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German Pages 720 Year 1891
Lehrbuch des
Deutschen Strafrechts. Von
D r . F r a n z von Liszt, ord. Professor der Rechte in Halle a/S.
Vierte durchgearbeitete Auflage.
Berlin. J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung. 1891.
Den norwegischen Freunden
Reichsanwalt Dr. B. Getz und
Professor Dr. Francis Hagerup als Zeichen des Dankes für
persönliche Freundschaft and wissenschaftliche Förderung
in aufrichtiger Ergebenheit zugeeignet vom
Verfasser.
Vorwort zur vierten Auflage. Die neue Auflage hat an der durch die Erfahrungen eines Jahrzehnts bewährten Anlage des Lehrbuches festgehalten, bringt aber im Einzelnen mancherlei Umgestaltungen. Der erste Abschnitt der Einleitung hat eine völlige Umarbeitung erfahren. Den deutschen Landesstrafgesetzbüchern des neunzehnten Jahrhunderts sowie der aufserdeutschen Gesetzgebung habe ich, um eine bei wissenschaftlichen Arbeiten von mir und andern schmerzlich empfundene Lücke auszufüllen, besondere Sorgfalt gewidmet. Andere Veränderungen in der Behandlung der allgemeinen Lehren werden dem Kundigen nicht verborgen bleiben. Überall war mein Bestreben auf möglichste Vereinfachung der Darstellung gerichtet. Im besondern Teile weisen wohl die Abschnitte über die strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit, gegen die Ehre die meisten und wichtigsten Veränderungen auf. Möglichste Raumbeschränkung ist durch den Zweck des Lehrbuchs geboten. Ich konnte daher einerseits nicht darauf verzichten, durch die Verschiedenheit der Typen die gröfsere oder geringere Wichtigkeit anzudeuten, welche ich der Darstellung im Texte beilege; obgleich ich dem feinfühligen niederländischen Kritiker zugeben mufs, dafs das Auge gleichmäfsigen Druck angenehmer empfinden möchte. Vielleicht tragen die lateinischen Lettern dazu bei, das Buch gefälliger erscheinen zu lassen. Und anderseits zwang die unvermeidliche Vermehrung des Stoffes zu wiederholter Prüfung, ob nicht weitere Kürzung des Ausdruckes ohne Nachteil für die Klarheit möglich wäre. Die neue Auflage weist manche Spuren dieses Bemühens auf;
VI
Vorwort.
dennoch ist der Umfang um fast drei Bogen gewachsen, von welchen die weitaus gröfsere Hälfte dem besondern Teile zu Gute kommt. A u f die Ausführlichkeit des Inhaltsverzeichnisses sowie auf die Genauigkeit der beiden Register möchte ich alle diejenigen besonders verweisen, welche die Verdrängung der Legalordnung durch das wissenschaftliche System unbequem empfinden; es wird ihnen jederzeit ohne Mühe und ohne Zeitverlust möglich sein sich zurechtzufinden. Darüber aber, dafs die Reihenfolge der Paragraphen in unserm Reichsstrafgesetzbuche für Lehrzwecke nicht geeignet ist, sollte heute doch kein Zweifel mehr obwalten. Der Druck des Buches hat sich lange hingezogen. Ich bitte das bei der Prüfung der Litteratur-Nachweise und bei der Darstellung auf den ersten Bogen gütig zu berücksichtigen. Die kriniinalpolitische Bewegung schreitet in ihrer Entwicklung so rasch vorwärts, dafs, was vor Jahresfrist geschrieben, heute schon fast als veraltet erscheint. Der äufsere Erfolg des Lehrbuches hat bisher meine Erwartungen. wohl auch mein Verdienst weit übertrofFen. Möge auch die neue Auflage (von welcher, nebenbei bemerkt, demnächst eine neugriechische Übersetzung erscheint) freundliche Aufnahme finden und sich als der Männer nicht unwürdig erweisen, welchen ich sie zueignen durfte. H a l l e a/S., im Oktober 1890.
Franz v. Liszt.
Inhaltsverzeichnis. Einleitung. I. Begriff and Aufgabe des Strafrechts.
Seite
§. 1. S t r a f r e c h t und K r i m i n a l p o l i t i k . L Das Strafrecht als Rechtswissenschaft. II. Die Kriminalpolitik. III. Die gesamte Strafrechtswissenschaft 1 §. 2. Die A u f g a b e des L e h r b u c h s . I. Gegenstand der Darstellung. IL Verhältnis zur Kriminalpolitik 7 §. 3. D a s S t r a f r e c h t als I n t e r e s s e n s c h u t z . I. Reohtsgut und Norm. II. Der Rechtszwang. III. Die Wirkungen des Strafzwanges. IV. Die Forderungen der Kriminalpolitik. V. Die Schranken des Zweckgedankens. VI. Sekundäre Natur dea Strafrechts 8 §. 4. A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit den G e g n e r n . I. Die Zweoktheorieen. II. Die Gerechtigkeitstheorieen. III. Die Rechtatheorieen. VI. Die Vereinigungstheorieen 16 0. Die Geschichte des Strafrechts. §. 5. A l l g e m e i n - g e s c h i c h t l i c h e E i n l e i t u n g . I. Rechtsvergleichung und Kriminalpolitik. II. Der soziale Charakter der ursprünglichen Strafe. III. Die staatliche Strafe. IV. Der Zweckgedanke in der Strafe §. 6. Das S t r a f r e c h t d e r Römer. I. Die älteste Zeit. II. Die Zeit des QuäBtionenprozesses. III. Die Kaiserzeit . . . . §. 7. Das m i t t e l a l t e r l i c h d e u t s c h e S t r a f r e c h t . I. Das frühere deutsche Mittelalter. Bis zum 13. Jahrhundert. II. Das spätere deutsche Mittelalter. Die Zeit der Rechtsaufzeichnungen. Vom 13. bis ins lö. Jahrhundert §. 8. D i e p e i n l i c h e G e r i c h t s o r d n u n g K a r l s V. I. Die italienischen Juristen des Mittelalters. II. Die populär-juristische Litteratur Deutschlands. III. Deutsche Gesetzgebungen; insbesondre die Schwarzenbergschen Arbeiten. IV. Die Entstehungsgeschichte der PGO. V. Ihre Bedeutung . • . §. 9. D a s g e m e i n - d e u t s c h e S t r a f r e c h t . I. Die Zeit bis 1750. II. Das Zeitalter der Aufklärung. III. Das Aufblühen der Strafrechtswissenschaft
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Inhaltsverzeichnis. Seite
§. 10. D i e d e u t s c h e L a n d e s g e s e t z g e b u n g . I. Die bücher auf dem Boden des gemeinen Rechts. II. gebung der Aufklärungszeit. III. Die deutschen bücher des 19. Jahrhunderts. IV. Der Stand der gebang im Jahre 1870 §. 11. D i e a u f s e r d e u t s c h e G e s e t z g e b u n g in.
StrafgesetzDie GesetzStrafgesetzStrafgesetz-
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Die Ciaellen des Reichsstrafrechts. Erster Abschnitt.
Die Erscheinungsform der Quellen. §. 12. I. Das gesetzte ßecht als einzige Quelle der Strafrechtssätze. II. Gesetz, Verordnung, Vertrag. III. Begriff des Gesetzes. Druckfehler und Redaktionsversehen. IV. „Blinde" Strafdrohungen 79 Zweiter Abschnitt.
Geschichte und Litteratnr der Quellen. §. 13. D a s R e i c h s s t r a f g e s e t z b u c h . I. Fehlgeschlagene Versuche. II. Das StGB, fiir den norddeutschen Bund. III. Das RStGB. IV. Spätere Abänderungen desselben 82 8. 14. D i e ü b r i g e n R e i c h s s t r a f g e s e t z e 88 §. 16. D i e L i t t e r a t u r des R e i c n s s t r a f r e c h t s u n d s e i n e r H i l f s w i s s e n s c h a f t e n . I. Textausgaben. II. Systematische Darstellungen. III. Kommentare. IV. Abhandlungen allgemeineren Inhalts. V. Zeitschriften. VI. Spruchsammlungen VII. Strafrechtsfälle. VIII. Hilfswissenschaften 92 Dritter Abschnitt.
Das Herrschaftsgebiet der Quellen. §. 16. D a s s a c h l i c h e G e l t u n g s g e b i e t d e r S t r a f r e c h t s s ä t z e . R e i c h s r e c h t u n d L a n d e s r e c h t . I. Der Grundsatz. II. Die reichsrechtlich nicht geregelten „Materien". III. Weitere Beschränkungen der Landesgesetzgebung. IV. Die Ausführungsgesetze der Einzelstaaten §. 17. D a s z e i t l i c h e G e l t u n g s g e b i e t d e r S t r a f r e c h t s s ä t z e . A l t e B u n d n e u e s R e c n t . I. Beginn und Ende ihrer Herrschaft. II. Die sog. rückwirkende Kraft der Strafrechtssätze. III. Anwendung des mildesten Gesetzes §. 18. D a s r ä u m l i c h e G e l t u n g s g e b i e t d e r S t r a f r e c h t s sätze. Deutsches und aufserdeutsches Recht. G r u n d s ä t z l i c h e E r ö r t e r u n g . I. Betriff des sog. internationalen Strafrechts. II. Das Strafrecnt als Interessenschutz. III. Im Ausland begangene strafbare Handlungen. IV. Internationale Vereinbarungen §. 19. F o r t s e t z u n g . D e r S t a n d p u n k t d e r R e i c h s g e s e t z g e b u n g . I. Der Ausgangspunkt. II. Der strafrechtliche Begrifi des Inlands. III. Im Ausland begangene Vergehen. IVT Besondre Bestimmungen §. 20. F o r t s e t z u n g . I n t e r n a t i o n a l e R e c h t s h i l f e . I. Die Auslieferung als Akt der internationalen Rechtshilfe. II. Die deutschen Auslieferungsverträge. Das Asylrecht politischer Verbrecher und die belgische Attentatsklausel
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Inhalts Verzeichnis.
IX Seit«
§. 21. D a s p e r s ö n l i c h e G e l t u n g s g e b i e t d e r S t r a f r e c h t s B ä t z e . I. Staatsrechtliche und I I . völkerrechtliche Befreiungen. I I I . Die Militärpersonen 115 §.23. F r i e d e n s r e c h t u n d K r i e g s r e c h t . I. §. 4 des Einführungsgesetzes zum RStGB. II. Das Mili'tär-StGB. H L §. 36 des Prefsgesetzes 117
Allgemeiner Teil. Erstes
Buch.
Das Verbrechen. A. I. Begriff und Einteilung. §. 23. B e g r i f f d e s V e r b r e c h e n s . I. Die Merkmale des Begriffs. I I . System des allgemeinen Teils 119 §. 24. D a s V e r b r e c h e n i m U n t e r s c h i e d e v o m b ü r g e r l i c h e n U n r e c h t . I. Die Unmöglichkeit einer begrifflichen Unterscheidung II. Die Gefährlichkeit des Angriffes als positivrechtliches Unterscheidungsmerkmal 121 §. 25. D i e E i n t e i l u n g d e r s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n n a c h i h r e r S c h w e r e . I. Geschichte. I I . Die Dreiteilung in unserm StGB. I I I . Anwendung der Dreiteilung. IV. Peinliches und polizeiliches Unrecht 123
B. D i e B e g r i f f s m e r k m a l e d e s V e r b r e c h e n s . II Da« Verbrechen als Handlung. §. 26. D a s S u b j e k t d e s V e r b r e c h e n s . I. Die Vergehensfähigkeit der Tiere. II. Die Vergehensfähigkeit der Körperschaft . §. 27. D e r B e g r i f f d e r H a n d l u n g . I. Handlung als Verursachung. I I . Die willkürliche Körperbewegung. I I I . Der Erfolg. I V . Der Begriff der Gefahr & 28. D e r B e g r i f f d e r V e r u r s a c h u n g . I. Die Ursache im Sinne des Strafrechts. II. Einschränkung des Begriffs. I I I . Die Geschichte der Frage. IV. Der Stand der Ansichten . . . §. 29. Z e i t u n d O r t d e r b e g a n g e n e n B e h a n d l u n g . I. Der Grundsatz. I I . Seine Anwendung §. 30. D i e U n t e r l a s s u n g . I. Begriff der Unterlassung. II. Die rechtswidrige Unterlassung. I I I . Begehung durch Unterlassung. IV. Echte Unterlassungsvergehen. V. Zeit und Ort der Unterlassung. VI. Geschichte der Frage
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III. Das Verbrechen als rechtswidrige Handlung§. 31. D i e R e c h t s w i d r i g k e i t a l s B e g r i f f s m e r k m a l . I. Geschichte. II. Verletzung und Gefährdung von Rechtsgütern; Ungehorsamsvergehen. I I I . Wegfallen der Recbtswidrigkeit 143 §. 32. D i e N o t w e h r I. Geschichte. I I . Die Merkmale des Begriffes. I I I . Überschreitung der Notwehr 146 §. 33. D e r N o t s t a n d . I.Geschichte. II. Begriff. I I I . Das geltende Recht 150
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Inhaltsverzeichnis. Seit«
§. 34. D i e ü b r i g e n F ä l l e . I. Amtspflicht. II. Besondere Berechtigung. III. Ausübung eines anerkannten Berufs. IV. Einwilligung des Verletzten. V. Selbstverletzung. VI. Wahrheitsgetreue Kammerberichte 155 IT. D u Verbrechen als schaldhafte Handlang. §. 36. D i e S c h u l d f ä h i g k e i t . I. Begriff der Zurechnungsfähigkeit. II. Ihr Verhältnis zur Willensfreiheit. III. Die Zurechnungsfähigkeit als normaler Zustand. IV. Der Begriff der Zurechnungsfähigkeit im RStGB. V. Die actiones liberae in caua. VI. Mangelnde Zurechnungsfähigkeit und die Teilnahme §. 36. D i e F ä l l e d e r Z u r e c h n u n g s u n f ä h i g k e i t . I. Fehlende geistige Reife: Jugend und Entwicklungshemmung. II. Fehlende geistige Gesundheit. III. Bewußtseinsstörungen §. 37. D i e S c h u l d . L Geschichte. II. Vergehen ohne Schuld. III. Die Arten der Schuld §. 38. D e r V o r s a t z . I. Begriff. II. Wunsch, Absicht, Wille. III. Vorsatz und Erfolg. IV. Voraussicht der Möglichkeit des Erfolges. V. Unbestimmter Vorsatz §. 39. D a s B e w u f s t s e i n d e r R e c h t s w i d r i g k e i t . I. DerGrundsatz. II. Ausnahmen. III. Folgesätze §. 40. F o r t s e t z u n g . D e r I r r t u m . 1. Begriff und Einflufs auf den Vorsatz. II. Beziehung des Irrtums auf den Erfolg. III. That- und Rechtsirrtum. IV. Aberratio ictus und error in persona §. 41. D i e F a h r l ä s s i g k e i t . I.Geschichte. II. Begriff. III. Einflufs des Irrtums. IV. Die fahrlässigen Vergehen in der Reichsgesetzgebung. V. Fahrlässigkeit in Bezug auf einzelne Vergehensmerkmale. VI. Grade der Fahrlässigkeit . . . §. 42. D i e V e r s c h u l d u n g b e i d e n P r e f s d e l i k t e n . I. Die Unzulänglichkeit der allgemeinen Grundsätze. II. Der verantwortliche Redakteur als Thäter. III. Die prefsrechtliche Fahrlässigkeit
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T. Das Verbrechen als strafbare Handlang. §. 43. D i e B e d i n g u n g e n d e r S t r a f b a r k e i t . I. Strafbarkeit der Rechtsverletzung. II. Bedingungen der Strafbarkeit im eig. Sinne. III. Folgesätze. IV. Unterschied von den Prozefsvoraussetzungen . 192 §. 44. D e r A n t r a g d e s V e r l e t z t e n i n s b e s o n d r e . I. Geschichte und Stand der Gesetzgebung. I I De lege ferenda. Die beiden Gruppen der Antragsvergehen. III. Der Antrag im geltenden Reichsrecht 196
C. D i e E r s c h e i n u n g s f o r m e n d e s V e r b r e c h e n s . Tl. Tollendang and Tersach des Terbrechens. §. 46. D e r B e g r i f f d e s V e r s u c h e s im a l l g e m e i n e n . I. Vollendetes und versuchtes Verbrechen. II. Geschichte des Versuchsbegriffes. III. Arten des Versuches. IV. Das geltende Recht. V. Unmöglichkeit des Versuches . . . . 202
Inhaltsverzeichnis.
XI Seit«
§. 46. V o r b e r e i t u n g u n d A u a f ü h r u n g . I. Nähere und entferntere Versuchshandlungen. II. Die Vorbereitungshandlungen des RStGB. III. Ausnahmsweise Strafbarkeit der Vorbereitungsbandlungen 208 §. 47. D e r u n t a u g l i c h e V e r s u c h . I. Geschichte der Frage. I I . Die Strafbarkeit des fehlgeschlagenen Verbrechens . . S i l 48. D e r R ü c k t r i t t vom V e r s u c h . I. Seine Bedeutung. I I . Bücktritt beim beendeten und heim nicht beendeten Versuch. III. Freiwilligkeit des Rücktritts. IV. Der Rücktritt als Strafaufhebungsgrund 216
VII. Thäterschaft and Teilnahme.
§. 49. G e s c h i c h t e u n d S t a n d d e r F r a g e . I. Geschichte. II. Die verschiedenen möglichen Formen. I I I . Begünstigung; Komplot und Bande: I V . Die notwendige Teilnahme . . . . §. 60. D i e ( A l l e i n - ) T h ä t e r s c h a f t . I. Begriff. I I . Begehung durch einen Zurechnungsunfähigen. I I I . und IV. Sogenannte mittelbare Thäterschaft §. 51. D i e M e h r t h ä t e r s c h a f t L Mittäterschaft. I I . Nebenthäterschaft S. 59. D i e T e i l n a h m e . I. Anstiftung. II. Beihilfe . . . . §. 53. F o r t s e t z u n g . F o l g e s ä t z e . I. Vorsätzliche Teilnahme an vorsätzlichem Thun. II. Strafbarkeit der Haupthandlung. III. Unselbständigkeit der Teilnahmehandlung. IV. Mehrfache Beteiligung an demselben Vergehen. V. Einschränkungen des Grundsatzes §. 54. £ i n f l u f s p e r s ö n l i c h e r V e r h ä l t n i s s e a u f d i e S t r a f b a r k e i t d e r A n s t i f t u n g u n d d e r B e i h i l f e . I. Objektive Thatumstände. II. Persönliche Eigenschaften. I I I . StGB. §. 60
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TOI. Handlnnggeinheit nnd Yerbrechensmehrheit
§. 55. D i e n a t ü r l i c h e H a n d l u n g s e i n h e i t . I. Handlung und Erfolg. I I . Die sog. gesetzliche Einheit. I I I . Danerverbrechen und Zustandsverbrechen §. 66. D i e j u r i s t i s c h e H a n d l u n g s e i n h e i t . I. Der Begriff. II. Die Anwendungsfälle. IIL Das sog. Kollektivverbrechen §. 57. D i e r e c h t l i c h e B e h a n d l u n g d e r V e r b r e c h e n s e i n h e i t . I. Die richtige Auffassung. I I . Die unzweifelhafte Gesetzeskonkurrenz. I I I . Die scheinbare Idealkonkurrenz . §. 58. D i e V e r b r e c h e n s m e h r h e i t . I. Der Rückfall. I I . Zusammentreffen mehrerer Verbrechen
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Zweites Buch.
Die S t r a f e . I. 59. D e r B e g r i f f d e r S t r a f e . I. Begriffsbestimmung. II. Strafe und Genugthuung. III. Objektive Mafsregeln. Hülfsweise Haftung Dritter. IV. Disziplinarstrafe. Rechtsfolgen der Verurteilung. V. Prozefsstrafe. VI. Strafzwang. VII. Ordnungs- und Polizeistrafe. VIII. Verwaltungsmafsregeln . . 260
Inhaltsverzeichnis.
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II. Die Strafarten. (Das Strafensystem.)
Seite
§. 60. D i e S t r a f a r t e n im a l l g e m e i n e n . 1. Notwendige Eigenschaften eines guten Strafmittels. I I . Prüfung der Strafmittel des heutigen Rechts § 61. Das S t r a f e n s y s t e m d e r R e i c h s g e s e t z g e b u n g . I. Hauptund Nebenstrafen. Nachstrafen. II. Das System der Strafmittel §.62. 1. D i e T o d e s s t r a f e . I.Geschichte II. Anwendungsgebiet. III. Vollzug der Todesstrafe §. 63. 2. D i e F r e i h e i t s s t r a f e . I h r e G e s c h i c h t e . I. Die alten Zuchthäuser. II. Der Beginn der Reform. III. Der Streit der Systeme in Nordamerika. IV. Der Sieg der Einzelhaft. V. Das sogenannte irische System und die bedingte Entlassung. VI. Gegenwärtiger Stand §. 64. D i e F r e i h e i t s s t r a f e n d e r Reichsgesetzgebung. I. Die Arten. II. Ihre Unterschiede. I I I . Die Einzelhaft. IV. Bedingte Entlassung. V. Jugendliche Verbrecher. VI. Strafvollzug gegen Studierende tj. 65. 3. D i e G e l d s t r a f e . I. Anwendungsgebiet. II. Reichsstrafgesetzbuch. III. Nebengesetze 6. 66. 4. D e r V e r w e i s . I. Anwendungsgebiet. II. Vollstreckung § . 6 7 . 5 . N e b e n s t r a f e n an d e r F r e i h e i t . I. Polizeiaufsicht. II. Überweisung an die Landespolizeibehörde. III. Ausweisung. IV. Aufenthaltsbeschränkung §. 68. 6. N e b e n s t r a f e n an d e r E h r e . I. Begriff. II. Aberkennung sämtlicher, I I I . Aberkennung einzelner Ehrenrechte. IV. Nachverfahren
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A uhaug. §. 69. D i e B u f s e .
I. Anwendungsgebiet.
I I . Wesen derselben
. 279
III. Das Strafmars in Gesetz und Urteil. §. 70. Die r i c h t e r l i c h e S t r a f z u m e s s u n g . I. Absolute und relative Strafdrohungen. II. Die Strafrahmen des heutigen Rechts. III. Die Strafzumessung. IV. Strafumwandlung. V. Strafänderung. Strafanrechnung §. 71. S t r a f ä n d e r u n g : 1. S t r a f s c h ä r f u n g . Insbesondre die Rückfallsschärfun g §. 72. S t r a f ä n d e r u n g : 2. S t r a f m i l d e r u n g . I. Allgemeine Milderungsgründe. Jugend, Versuch, Beihilfe. II. Besondre Milderungsgründe. Insbesondre die „mildernden Umstände" §. 73. S t r a f u m w a n d l u n g . I. Umwandlung der Geldstrafe in Freiheitsstrafe. II. Umwandlung einer Freiheitsstrafe in eine andre. III. Umwandlung der Einziehung in Geldstrafe §. 74. S t r a f an r e c h n u n g . I. Anrechnung der Untersuchungshaft. II. Anrechnung des ausländischen Urteils. III. Erwiderung oder Aufrechnung §. 75. B e s t i m m u n g d e r S t r a f e b e i Z u s a m m e n t r e f f e n m e h r e r e r V e r b r e c h e n ( r e a l e r E o n k u r r e n z ) . I. Notwendigkeit einer Milderung des Häufungsprinzips. II. Die Gesamtstrafe. III. und IV. Abweichungen. V. Besondre Bestimmungen der Nebengesetze
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Inhaltsverzeichnis.
XIII
IT. Der Verfall des staatlichen Strafansprnchs. §. 76. D i e S t r a f a u f h e b u n g s g r ü n d e im a l l g e m e i n e n . L Der Begriff. II. Der Tod des Schuldigen. III. Die thätige Reue. IV. Persönliche Strafauaschliefaungs gründe . . §. 77. D i e B e g n a d i g u n g . I. Begriff, Geschichte und Aufgabe. I I . Wirkung. Arten. I I I . Die Träger des Begnadigungsrechtes. IV. Zusammentreffen landesrechtlicher Begnadigungsansprüche §. 78. D i e V e r j ä h r u n g im a l l g e m e i n e n . I. Rechtsgrund der Verjährung. II. Ihre Wirkung. III. Ihre Geschichte . . S. 79. D i e V e r f o l g u n g s v e r j ä h r u n g . I. Die Verjährungsfristen. II. Beginn der Verjährung. III. Unterbrechimg. IV. Ruhen, V. Wirkung der Verjährung §. 80. D i e V o l l s t r e c k u n g s v e r j ä h r u n g . I. Die Verjährungsfristen. II. Beginn der Verjährung. III. Unterbrechung aer Verjährung. IV. Verjährung der Nebenstrafen
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Besondrer Teil, 81. U b e r s i c h t d e s S y s t e m s . I. Begriff des Rechtsguts. II. Rechtsgüter des Einzelnen. III. Rechtsgüter der Gesamtheit 308 Erstes
Buch.
Strafbare Handlungen gegen Rechtsgüter des Einzelnen. Erster Abschnitt. Strafbare Handlungen gegen die körperliche Unversehrtheit.
I. Die Tötung. §. 82. B e g r i f f u n d A r t e n d e r T ö t u n g . I. Gegenstand der Tötung. II. Selbstmord. III. Die Handlung. IV. Die Arten der Tötung. §. 83. D i e g e m e i n e v o r s ä t z l i c h e T ö t u n g . G e s c h i c h t e . I. Römisches Recht. II. Das deutsche Mittelalter. III. Die Karolina. IV. Das gemeine Recht. V. Die neuere Gesetzgebung. VI. Das Merkmal der Überlegung §. 84. 1. D i e g e m e i n e v o r s ä t z l i c h e T ö t u n g . Dasgeltende R e c h t . I. Mord und Totschlag. II. Mildere und III. schwerere Fälle §. 85. 2. D i e g e m e i n e f a h r l ä s s i g e T ö t u n g . I. Geschichte. II. Geltendes Recht §. 86. 3. Die K i n d e s t ö t u n g . I.Geschichte. II. Begriff. III. Gegenstand und IV. Subjekt der Tötung. V. Strafe . . . .
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Inhaltsverzeichnis.
XIV
Seit»
§. 87. 4. T ö t u n g auf V e r l a n g e n . Recht. III. Bestrafung
I. Geschichte. II. Geltendes
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II. Die KBrperverletxnng. §. 88. G e s c h i c h t e u n d B e g r i f f . I. Geschichte. II. Begriff der Körperverletzung. III. Die Widerrechtlichkeit; insbesondre Einwilligung des Verletzten 324 §. 89. D i e A r t e n d e r K ö r p e r v e r l e t z u n g . I. Die leichte vorsätzliche, II. die gefährliche, I I I . die schwere Körperverletzung. IV. Die Körperverletzung mit tödlichem Ausgange. V. Die fahrlässige Körperverletzung 397 § 90. V e r f o l g u n g u n d B e s t r a f u n g . I. Antragserfordernis. II. Antragsberechtigung. III. Bufse. IV. Erwiderung (Retorsion) 331 III. Die Gefährdung von Leib and Leben. 1. D i e A u s s e t z u n g . I. Geschichte. II. Begriff. III. Bestrafung 332 2. D i e V e r g i f t u n g . I. Geschichte. II.Begriff. III. Bestrafung 335 3. D i e A b t r e i b u n g . I. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten 337 4. D e r R a u f h a n d e l . I.Geschichte. II.RStGB. §.227, 1. Absatz. III. RStGB. §. 227, 2. Absatz 341 §. 95. 5. D e r Z w e i k a m p f . I. Geschichte und systematische Stellung. II. Begriff des Zweikampfes. III. Die Herausforderung zum Zweikampf. IV. Bestrafung 344
S
. . . .
91. 92. 93. 94.
Zweiter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen unkörperliche Rechtsgüter. I. Strafbare Handlangen gegen die Ehre. §. 96. G e s c h i c h t e u n d B e g r i f f d e r B e l e i d i g u n g . I. Injuria und Beleidigung. II. Der Begriff der Ehre. III. Die Handlung. IV. Die Rechtswidrigkeit 350 §. 97. D i e A r t e n d e r B e l e i d i g u n g . I. Die einfache Beleidigung. II. Die üble Nachrede. III. Die Verleumdung. IV. Die Kreditgefahrdung. V. Die sog. Beleidigung Verstorbener 358 §. 98. V e r f o l g u ng u n d B e s t r a f u n g d e r B e l e i d i g u n g . I. Der Wahrheitsbeweis. II. Das Antragserfordernis. III. Erwiderung. IV. Privatgenugthuung 362 II. Strafbare Handlangen gegen die persönliche Freiheit. §. 99. B e g r i f f d e r F r e i h e i t s v e r b r e c h e n . I. Die persönliche Freiheit. II. Die Arten ihrer Verletzung. III. Der Träger des Rechtsgutes. I V . Gewalt, Drohung, List 365 §. 100. G e s c h i c h t e d e r F r e i h e i t s d e l i k t e . I. Das crimen vis. II. Das ALR. III. Die Reichsgesetzgebung 368 §. 101. 1. D i e N ö t i g u n g . I. Begriff. II. Die Nötigungsmittel. III. Widerrechtlichkeit der Nötigung. IV. Versuch und Vollendung. V. §. 153 der Gewerbeordnung 369 §. 102. 2. D i e F r e i h ei t s b e r a u b u n g (oder G e f a n g e n h a l t ung). I. Der Begriff. II. Seine Merkmale. III. Bestrafung . . 372 §. 103. 3. Der M e n s c h e n r a u b . I. Der Begriff im allgemeinen. 11. Der eigentliche Menschenraub. III. Der Kinderraub. . . 373
Inhaltsverzeichnis.
m. Strafbare Handlangen gegen geschlechtliehe Freiheit and sittliches Geflhl. §. 104. Ü b e r s i c h t . I. Sittlichkeit und Strafrecht. II. Geschlechtliche Freiheit und sittliches Gefühl. I I I . Der Begriff der unzüchtigen Handlung. IV. Geschichtliche Übersicht . . §. 105. 1. D i e E n t f ü h r u n g ( o d e r d e r F r a u e n r a u b ) . J. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten §.106. 2. D i e N ö t i g u n g z u r U n z u c h t ( i n s b e s o n d e r e d i e N o t z u c h t ) . 1. Geschichte. II. Die Fälle des RStGB. . §. 107. 3. U n z u c h t m i t V e r l e t z u n g e i n e s A b h ä n g i g k e i t s v e r h ä l t n i s s e s . I. Der Begriff. I I . Die Arten . . . . §. 108. 4. D i e V e r f ü h r u n g z u m B e i s c h l a f . I. DieErachleichung des Beischlafs. I I . Die Verführung eines unbescholtenen jungen Mädchens . 10». 5. D i e K u p p e l e i . I. Begriff. I I . Geschichte. I I I . Arten . 110. 6. I. E r r e g u n g e i n e s ö f f e n t l i c h e n Ä r g e r n i s s e s . II. V e r b r e i t u n g u n z ü c h t i g e r S c h r i f t e n . III. M i t t e i lungen aus geheimen Ger i c h t s v e r h a n d l u n g e n §. 111. 7. D i e w i d e r n a t ü r l i c h e U n z u c h t . I. Geschichte. II. Geltendes Recht §.112. 8. D i e B l u t s c h a n d e . I. Begriff. II. Geschichte. I I I . Geltendes Recht
XV
Seite
376 379 383 387 388 389 393 396 398
IT. Strafbare Handlangen gegen Familienrechte. §. 113. 1. D i e V e r l e t z u n g deB P e r s o n e n s t a n d e s . I. Begriff. I I . Die Unterdrückung des Personenstandes. III. §. 68 des Personenstandgesetzes §. 114. 2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n b e i S c h l i e f B u n g d e r E h e . I. Die Eheerschleichung. II. Amtsdelikte bei Schliefsuug der Ehe. III. Die Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuchs §. 115. 3. D i e m e h r f a c h e E h e . I. Begriff und Geschichte. II. Das geltende Recht §. 116. 4. D e r E h e b r u c h . I. Geschichte. II. Begriff
400
402 403 405
V. Strafbare Handlangen gegen die Religionsfreiheit and das . religiöse Gefühl. §. 117. Ü b e r s i c h t . 1. D i e G o t t e s l ä s t e r u n g . I. Die Religion und das Strafrecht. II. Geschichte der Gotteslästerung. I I I . Die Gotteslästerung im geltenden Recht 407 §. 118. 2. D i e ü b r i g e n R e l i g i o n s v e r b r e c h e n . I. Beschimpfung von ReligionBgesellschaften. I I . Beschimpfender Unfug. I I I . Störung des Gottesdienstes. IV. Störung des Gräberfriedens 410
VI- Hansfriedensbrnch and Verletiang fremder Geheimnisse. §. 119. 1. D e r H a u s f r i e d e n s b r u c h . I. Geschichte. II. Begriff. I I I . Die Arten 414 §. 120. 2. D i e V e r l e t z u n g f r e m d e r G e h e i m n i s s e . I. Allgemeines. II. Verletzung des Briefgeheimnisses. I I I . Offenbarung von Privatgeheimnissen. IV. Verletzung von Betriebsgeheimnissen 417
XVI
Inhaltsverzeichnis. TU. Strafbare Handinngen gegen den Rechtsfrieden. Seile
§. 121. Ü b e r b l i c k . I. Der Begriff des Rechtsfriedens. II. Geschichte 421 §. 122. 1. D i e B e d r o h u n g . I. Ihr wesentlicher Inhalt. 11. Das geltende Recht 422 §. 123. 2. D i e ü b r i g e n F r i e d e n s s t ö r u n g e n . I. Landzwang. II. Landfriedensbruch. III. Ansammlung von Waffen. IV. Aufreizung zum Klassenkampf. V. Der Kanzelmifsbrauch . . 423 Dritter Abschnitt. Strafbare Handlungen gegen Individualrechte. §. 124. 1. V e r l e t z u n g d e s s c h r i f t s t e l l e r i s c h e n U r h e b e r r e c h t s . I. Begriff und Geschichte. II. Der eigentliche Nachdruck. III. Die übrigen Vergehen gegen das Autorrecht 427 §. 125. 2. D i e ü b r i g e n V e r l e t z u n g e n von I n d i v i d u a l r e c h ten. I. biB III. Verletzung des Urheberrechts an "Werken der bildenden Kunst, an Photographieen, an Mustern und Modellen. IV. Verletzung des Markenrechts. V. Verletzung des Patentrechts 481 Vierter Abschnitt. Strafbare Handlungen gegen Vermögensrechte. I. Strafbare Handinngen gegen Sachenrechte. §. 126. 1. D e r D i e b s t a h l . G e s c h i c h t e . I. Das römische Recht. II. Das deutsche Mittelalter. III. Die Italiener. IV. Die PGO. V. Das gemeine Recht und die Landesgesetzgebung 435 §. 127. B e g r i f f d e s D i e b s t a h l s . I. Begriffsbestimmung. II. Die fremde bewegliche Sache. III. Der Gewahrsam. IV. Das Wegnehmen. V. Die Zueignungsabsicht. VI. Versuch und Vollendung. VII. Der Verletzte 438 §. 128. D i e A r t e n deB D i e b s t a h l s . I. Der einfache Diebstahl. II. Der schwere Diebstahl. III. Diebstahl im Rückfall. IV. Der räuberische Diebstahl. V. Der Familien- und Hausdiebstahl 444 §. 129. D e m D i e b s t a h l v e r w a n d t e F ä l l e . I. Gebrauchsanmassung. II. Besitzentziehung. III. Forst- und Felddiebstahl. IV. Zueignung von Munition. V. und VI. RStGB. §. 370 Ziff. 1. und 2. VII. Der Mundraub. VIII. Der Futterdiebstahl 449 §. 130. 2. D e r R a u b . I. Geschichte. II. Begriff III. Die Arten des Raubes. IV. Nebenstrafe 453 §. 131. 3. D i e U n t e r s c h l a g u n g . I.Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten der Unterschlagung . . . . 467 §. 132. 4. D i e S a c h b e s c h ä d i g u n g . I. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten 461 II. Verletzung von Zneignnngsrechten. §. 133. I. Verletzung des Jagdrechts. II. Verletzung des Fischerei- 464 rechts. III. Verletzung des Bergrechts.
Inhaltsverzeichnis.
xvn
ID. Verbrechen gegen Forderugsrechte. §. 184. 1. D e r V e r t r a g s b r u c h . I. Geschichte. II. Das geltende Recht §. 135. 2. D i e U n t r e u e . I. (beschichte. II. RStGB. § 266. H L HilfBkassengesetz vom 7. April 1876. IV. Versicherungsgesetze. V. Aktiengesetz vom 18. Juli 1884. VI. Genossenschaftsgesetz vom 1. Mai 1889. VII. Untreue des Saohwalters g. 136. 3. D e r fiankbruch. G e s c h i c h t e u n d B e g r i f f . L Geschichte. II. Begriff §. 137. D i e A r t e n d e s B a n k b r n c h s . I. Der einfache, II. der betrügerische Bankbruch 138. D e m B a n k b r u c h v e r w a n d t e V e r b r e c h e n . I. Die Begünstigung einzelner Gläubiger. IL Teilnahmehandlungen als selbständige Delikte. III. Der Stimmenkauf. IV. Unterlassene Beantragung der Konkurseröffnung. V. Unterlassene Anzeige des ehelichen Güterrechts §. 139. 4. D i e V e r e i t e l u n g d e r Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g . .
^^ 469
470 474 478
480 483
IT. Strafbare Handlangen gegen das VermBgen Oberhaupt. §. 140. 1. D e r B e t r u g . G e s c h i c h t e u n d B e g r i f f . I. Geschichte des Betruges. II. Die Begriffsmerkmale 483 §. 141. D i e A r t e n d e s B e t r u g e s . L Einfacher Betrug. II. Betrug im Rückfall. III. Versicherungsbetrug 489 §. 143. 2. D i e E r p r e s s u n g . I. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten der Erpressung 491 §. 143. 3. S t r a f b a r e A u s b e u t u n g a n d r e r . I. Allgemeines. I I . Übervorteilung Minderjähriger 498 §. 144. F o r t s e t z u n g . D e r W u c h e r . I. Geschichte. II. Begriff III. Die Arten .496 §. 146. 4. D i e G e f ä h r d u n g des V e r m ö g e n s , a. Das Glücksspiel. I. Begriff. II. Die Arten 498 §. 146. b. Die ö f f e n t l i c h e A u s s p i e l u n g ( L o t t e r i e ) . I. Geschichte und systematische Stellung. II. RStGB. §. 286. I I I . Prämienpapiere: Gesetz vom 8. Juni 1871 600 . 147. c. G e f ä h r d u n g d u r c h K o n t e r b a n d e 608 . 148. 6. D i e S a c h h e h l e r e i ( P a r t i e r e r e i ) . I. Geschichte. IL Begriff. III. Die Arten 603 Fünfter Abschnitt. Dje durch das Mittel des Angriffes gekennzeichneten Vergehungen.
I. Die gemeingefährlichen Verbrechen des Relchsstrafgesetsbuche*. §. 149. A l l g e m e i n e s . I. Die Terminologie des RStGB. II. Grundcharakter der Gruppe. ELI.. Der Begriff der Gemeingefahr 609 §. 150. 1. B r a n d s t i f t u n g u n d Ü b e r s c h w e m m u n g . I. Geschichte der Brandstiftung. II. und III. Begriff und Arten der Brandstiftung. IV. Die Überschwemmung 611 §. 161. 2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d e n E i s e n b a h n u n d T e l e g r a p h e n - B e t r i e b . I. Gefahrdung des Eisenbahnbetriebes. II. Gefährdung des Telegraphenbetriebes. III. Nebenstrafen 616
xvm
Inhaltsverzeichnis. Seite
§. 162. 3. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n i n B e z u g a u f W a s s e r b a u t e n ; G e f ä h r d u n g d e r S c h i f f a h r t usw. I. Beschädigung von Wasserbauten. II. Verbrechen an Schiffahrtszeichen. III. Stranden- oder Sinken-Machen eines Schiffes § 153. 4. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n in B e z u g auf ans t e c k e n d e K r a n k h e i t e n . I. Verletzung der Anordnungen bei Volksseuchen. II. Verletzung der Anordnungen bei Viehseuchen §. 154. 5. V e r g i f t u n g v o n B r u n n e n u n d G e b r a u c h s m i t t e l n . I. Geschichte und systematische Stellung. IT. Das geltende Recht §. 155. 6. N i c h t e r f ü l l u n g v o n L i e f e r u n g s v e r t r ä g e n . I. Geschichte. II. Begriff §. 156. 7. V e r l e t z u n g d e r R e g e l n d e r B a u k u n s t . I. Geschichte. II. Begriff
519
521 522 523 524
II. Miisbranch von Sprengstoffen. g. 157. I. Das Gesetz vom 9. Juni 1884 im allgemeinen. II. Die von ihm bedrohten strafbaren Handlungen. III. Nebenstrafen und objektive Mafsregeln 525 III. Die Warenfälschnng. §. 168. I. Systematische Stellung. I I . Geschichte. III. Das Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879. IV. Blei- und zinkhaltige Gegenstände: Gesetz vom 25. Juni 1887. V. Gesundheitsschädliche Farben: Gesetz vom 5. Juli 1887. VI. Margaringesetz vom 12. Juli 1887 528 17. Strafbare Handlangen an Geld. §. 159. G e s c h i c h t e u n d s y s t e m a t i s c h e S t e l l u n g . I. Geschichte der sog. Münz verbrechen. II. Ihre Stellung im System 533 §.160. D i e A r t e n d e r G e l d v e r b r e c h e n . I. Die eigentliche Münzfälschung. II. Der Münzbetrug. III. StGB. §. 148. IV. Das Kippen und Wippen. V. Vorbereitungshandlungen. VI. Verwandte Übertretungen. VII. Der Schutz des Reichskassenschein-Papiers: Gesetz vom 26. Mai 1885 . . 535 7. Strafbare Handinngen an Urkonden. fj. 161. A l l g e m e i n e s . I. Geschichte und systematische Stellung der Urkundenverbrechen. II. Begriff der Urkunde . . . §. 162. D i e e i g e n t l i c h e U r k u n d e n f ä l s c h u n g . I. Die Handlung. II. Die Absicht. III. Die Arten. IV. Vollendung. V. Bestrafung §. 163. D i e F a l s c h b e u r k u n d u n g ( i n t e l l e k t u e l l e U r k u n d e n f ä l s c h u n g ) . I. Legislativer Grundgedanke. I I . Das geltende Recht §. 164. D i e ü b r i g e n U r k u n d e n v e r b r e c h e n . 1. Urkundenbeseitigung. II. Grenzverrückung. III. Strafbare Handlungen an Stempel-, Post- und Telegraphen-Wertzeichen. IV. Strafbare Handlungen an Versicherungsmarken. V. Strafbare Handlungen an Legitimationspapieren. VI. Strafbare Handlungen in Bezug auf Gesundheitszeugnisse . . . .
539 542 546
548
Inhaltsverzeichnis.
XIX
Zweites Bach.
Strafbare Handlungen gegen Bechtsgüter der Gesamtheit. Erster Abschnitt.
Die Verbrechen gegen den Staat. §. 165. 1. D e r H o c h v e r r a t . I. Geschichte. II. Begriff. I I I . Arten. IV. Vorbereitungshandlungen. V. Beschlagnahme des Vermögens §. 166. 2. D e r L a n d e s v e r r a t I. Der Begriff im allgemeinen. II. Der militärische, III. der diplomatische Landesverrat. IV. Beschlagnahme des Vermögens. V. Der Kriegsverrat. VI. Gesetz vom 6. April 1888 §. 167. 3. D i e M a j e s t ä t s b e l e i d i g u n g . I. Begriff. II. Thätlichkeiten. III. Einfache Beleidigung §. 168. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e p o l i t i s c h e n Rechte der Staatsbürger. I. Geschichte. I I . Die einzelnen Fälle
Mta 563
66» 564 667
Zweiter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen das Völkerrecht. §. 169. I. Übersicht.
II. Die einzelnen Fälle
670
Dritter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen die Staatsgewalt. §. 170. 1. G e w a l t s a m e r E i n g r i f f in Amtshandlungen. I. Widerstand. I I . Thätlicher Angriff. III. Nötigung. IV. Aufruhr. V. Auflauf §. 171. 2. G e w a l t g e g e n F o r s t - u n d J a g d b e a m t e . I. Begriff. I I . Arten. H I . Bestrafung §. 172. 3. D i e B e f r e i u n g v o n G e f a n g e n e n . I. Begriff and systematische Stellung. I I . Geschichte. III. Die Arten . §. 173. 4. D i e s t r a f b a r e n A u f f o r d e r u n g e n . I. Begriff and systematische Stellung. II. Die strafbaren Aufforderungen im RStGB. III. Die übrigen Fälle. IV. Der DuchesneFaragraph §. 174. 5. M i f s a c n t u n g d e r S t a a t s g e w a l t . I. Verleumdung des Staats willens. II. Amtsanmafsung. III. Beseitigung amtlicher Urkunden. IV. Beschädigung von Bekanntmachungen. V. "Wegnahme von Autoritätszeichen. VI. Siegelbruch. V I I . Arrestbruch
678 677 578
580
586
Vierter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen die Staatsverwaltung. §. 175. Ü b e r s i c h t . I. Die Aufgaben der Staatsverwaltung. II. Ihr Schutz durch die Strafgesetzgebung. I I I . Die Einteilung dieser Gruppe 689
Inhaltsverzeichnis.
XX
I. Strafbare Handlangen im Amte.
Saite §. 176. G e s c h i c h t e u n d B e g r i f f . I . Begriff der Am tsverbrechen. I I . Ihre Geschichte. I I I . Begriff des Beamten. I V . Einteilung der Amtsverbrechen 591 §. 177. D i e e i n z e l n e n A m t s v e r b r e c h e n . I. Bestechung. I I . Rechtsbeugung. I I I . Verbrechen bei Trauung und Eheschließung. I V . Bedrückung der Staatsbürger. V. Amtsmißbrauch im Strafverfahren. VI. .Urkundenverbrechen. V I I . Amtsunterschlagung. V I I I . Übermäfsiges Sportulieren. I X . Diplomatenverbrechen. X . und X I . Strafbare Handlungen der PoBt- und Telegraphenbeamten. X I I . Die Untreue des Sachwalters. X I I I . Konnivenz 594 II. Die falsche Aassage (die sog;. Eidesverbrechen). g. 178. G e s c h i c h t e und s y s t e m a t i s c h e S t e l l u n g . I. Geschichte. I I . Systematische Stellung 603 §. 179. D a s g e l t e n d e R e c h t . I . Die Arten der Eides verbrechen. I I . Die Bestrafung 605 III. Strafbare Handinngen gegen die Rechtspflege. §. 180. 1. D i e f a l s c h e A n s c h u l d i g u n g . I. Systematische Stellung. I I . Geschichte. I I I . Geltendes Recht 612 §. 181. 2. B e g ü n s t i g u n g u n d H e h l e r e i . I.Geschichte. I I . Beriff und Arten. I I I . Die Begünstigung im geltenden
^
echt. I V . Die Hehlerei 615 §. 182. 3. D i e ü b r i g e n V e r g e h e n g e g e n d i e R e c h t s p f l e g e . I. Eidesbruch. I I . Veröffentlichung der Anklageschrift. I I I . Verletzung der Dingpflicht. I V . Unterlassung der Anzeige. V. Veraltete Strafdrohungen 619 IT. Strafbare Handinngen gegen die Verwaltung des Kriegswesens. §. 183. I. Falschwerbung. I I . Verleitung zur Fahnenflucht. I I I . Untauglichmachung. I V . Betrübliche Umgehung der Wehrpflicht. V. Verletzung der Wehrpflicht durch Auswanderung. V I . Geschäftsmäfsige Verleitung zur Auswanderung. V I L Verletzung des KriegsleiBtungsgesetzes. V I I I Übertretung des Festungrayongesetzes. I X . Übertretung des Kriegshafengesetzes. X . Aufnehmen von Festungsrissen. X I . Veröffentlichungen über Truppenbewegungen. X I I . Nichterfüllung von Lieferungsverträgen 621 T. Strafbare Handinngen gegen die staatliche Überwachung des Frefswesens: die Prefspolixeivergehen. §. 184. I. Nichtnennung des Druckers und Verlegers. I I . Nichtablieferung der Pflichtexemplare. I I I . Nichtaufnahme amtlicher Bekanntmachungen. I V . Nichtaufnahme von Berichtigungen. V. Verbreitung verbotener ausländischer Druckschriften. VI. Verbreitung mit Beschlag belegter Druckschriften 627 Tl. Strafbare Oberschreitungen des Tereinsrechtes. §. 185. I. Geschichte.
I I . Das geltende Recht
628
Inhaltsverzeichnis. TO. Strafbare Handlangen gegen i i e Sicherheitspolizei. §. 186. L Allgemeines.
II. Die Bestimmungen des ÄStGB's . . .
XXI Seit« 630
Tin. Strafbare Handinagen gegen die GesandheitspollxeL §. 187. I. Verletzung der Anordnungen bei Volksseuchen. I L Verletzung der gegen Viehseuchen getroffenen Anordnungen. 1H. Übertretung der .Reichsimpfgesetze. IV. Zuwiderhandlungen gegen das Reblausgesetz. V. Andre Fälle. . 632 IX. Strafbare Handlangen gegen die Sittlichkeitspollsei. §. 188. L Landstreicherei und Bettel. I I . Müfsiggang und Trunkenheit. H I . „Prostitution. IV. Tierquälerei. V. Grober Unfug. VI. Übertretung der Polizeistunde. VII. Verletzung der Sonntagsruhe 634 X. Strafbare Handinngen gegen das Kfinx- and Bankwesen des Reichs. §. 189. I. Gegen das Münzwesen. II. Gegen das Bankwesen . . . 638 XI. Strafbare Handinngen gegen die Gewerbepollxei. §. 190. 1. D i e Ü b e r t r e t u n g e n d e r G e w e r b e o r d n u n g . I. Die einzelnen strafbaren Handlungen. II. Die Strafe. III. All641 emeine Bestimmungen
fi t r a f b a r e
H a n d l u n g e n auf dem G e b i e t e des A k t i e n w e s e n s . I. Untreue. II. Wissentlich falsche Angaben bei Eintragung des Gesellschaftsvertrages. III. Verschleierung des Standes der Gesellschaftsverhältnisse. IV. Unterlassene Bestellung des Aufsichtsrates und Nichtbeantragung der Konkurseröffnung. V. Betrügerische Täuschung des Publikums. VI. Stimmenkauf. VII. Wahlfälschung 645 §. 192. 3. D i e ü b r i g e n F ä l l e . Übertretungen 1. des Gesetzes •om 7. April 1876 betreffend die eingeschriebenen Hilfskassen; I I . des Gesetzes vom 1. Mai 1889 betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften; III. des Gesetzes vom 13. Hai 1884 Detreffend die Anfertigung und Verzollung von Zündhölzern; IV. des Krankenversicherungsgesetzes vom 15. Juni 1883 und V. des Unfallversicherungsgesetzes vom 6. Juli 1884 sowie der Gesetze vom 5. Mai 1886, 11. und 13. Juli 1887; VI. des Gesetzes betreffend die Invalidität«- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 648 XII. Strafbare Handlangen in Besag aaf die Mass- and Gewichts- sowie die LegierangspollseL §. 193. I. Falsches Mafs und Gewicht. II. Verletzung des Gesetzes •om 20. Juli 1881 betreffend die Bezeichnung des Raumgehalts der Schankgefäfse. I I I . Verletzungen der Schiffsvermessungsordnung vom 5. Juli 1872. IV. Verletzungen des Gesetzes vom 16. Juli 1884 betreffend den Feingehalt der Gold- und Silberwaren 653 Xm. Strafbare Handlangen in Bexng aaf das Elsenbahnand das Postwesen. §. 194. I. Zuwiderhandlungen gegen das Bahnpolizeireglement. I I . Verletzung der besondern Vorrechte der Posten 654
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Inhaltsverzeichnis. XIY. Strafbare Handlangen in Being aaf d u Schiffahrtivesen.
Seit«
§. 195. I. Gesetz vom 25. Oktober 1867 betreffend die Nationalität der Kauffahrteischiffe. II. Gesetz vom 28. Juni 1873 betreffend die Registrierung der Kauffahrteischiffe. III. Gesetz vom 25. März 1880 betreffend die Schiffsmeldungen bei den deutschen Konsulaten. IV. Verletzungen der Schiffsvermessungsordnung vom 20. Juni 1888. V. StGB. §. 145 und die kaiserlichen Verordnungen. VI. Gesetz vom 27. Dezember 1872 betreffend die Verpflichtung zur Mitnahme hilfsbedürftiger Seeleute. VII. Übertretungen der Strandungsordnung vom 17. Mai 1874. VIII. Ubertretungen des Gesetzes vom 21. November 1887 betr. die unterseeischen Kabel. IX. Übertretungen der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872. X. Verletzung der Bestimmungen über die. Küstenschiffahrt 655 I T . Strafbare Handinngen in Bezug anf das Finanzwesen des Reichs. 196. A l l g e m e i n e s . I. Einteilung der hierher gehörenden Verbrechen. II. Die typischen Fälle. III. Eigentümlichkeiten der in den Zoll- und Steuergesetzen enthaltenen Straf660 drohungen §. 197. 1. V e r l e t z u n g d e r G e b ü h r e n p f l i c h t . I. Post- und Porto-Hinterziehung. II. Erschwerte Hinterziehung der Postgebühren. III. und IV. Strafbare Handlungen in Bezug auf Telegraphen-Freimarken 663 §. 198. 2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e Z o l l g e s e t z e . I. Konterbande und Defraudation. II. Rückfall H I . Strafschärfung. IV. Allgemeine Bestimmungen. V. Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz vom 23. Juni 1881. VI. Übertretung der österreichisch-ungarischen Zollgesetze . . . 664 §. 199. 3. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e S t e u e r g e s e t z e . I. Salzsteuer. II. Tabaksteuer. III. BrauBteuer. IV. und V. Branntweinsteuer. VI. Zuckersteuer. VII. Banknotensteuer 666 §. 200. 4. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e S t e m p e l g e s e t z e . I. Die Delikte des RStGBs. II. Der Wechselstempel. III. Der Spielkartenstempel. IV. Der Stempelauf "Wertpapiere. V. Die sog. statistische Gebühr . . . 670 XYI. Die Militärverbrechen. §. 201. A l l g e m e i n e B e s t i m m u n g e n . I. Geschichte des Militärstrafrechts. II. Begriff der Militärverbrechen. III. Persönliches Geltungsgebiet des MilStGB9. IV. Räumliches Geltungsgebiet. V. Das Strafensystem. VI. Abweichungen von den allgemeinen Bestimmungen des bürgerlichen StGBs. 672 §. 202. D i e e i n z e l n e n m i l i t ä r i s c h e n V e r b r e c h e n u n d V e r g e h e n . I. Kriegsverrat. II. Gefährdung der Kriegsmacht im Felde. III. Unerlaubte Entfernung und Fahnenflucht. IV. Selbstbeschädigen und Vorschützen von Gebrechen. V. Feigheit. VI. Strafbare Handlungen gegen die Pflichten der militärischen Unterordnung. VII. Mifsbrauch der Dienstgewalt. VIII. Widerrechtliche Handlungen im Felde gegen Personen oder Eigentum. IX. Andre widerrechtliche Handlungen gegen das Eigentum. X. Verletzung von Dienstpflichten bei Ausführung besondrer Dienstverrichtungen. XI. Sonstige Handlungen gegen die militärische Ordnung 676
Abkürzungen. ALR:
Allgemeines preufsisches Landrecht; die beigefügten Ziffern bezeichnen die Paragraphen des 20. Titels des II. Teils. B: Berner Lehrbuch 15. Auflage 1888. B e n n e c k e : Lehrbuch des Strafprozefsrechts 1889ff. BGB: Entwurf eines bürgerl. Gesetzbuchs. Bg: Binding Handbuch I. Bd. 1886. EG: Einführungsgesetz zum Reichsstrafgesetzbuch. G: Geyer Grundrifs 1884/85. GA: (Goltdammer) Archiv für Strafrecht. Glaser: Handbuch des Strafprozesses I 1883, I I 1885. GS: Gerichtssaal. GVG: Gerichtsverfassungsgesetz. G r ü n h u t : Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart. H: Hölschner das gemeine deutsche Strafrecht I 1881, I I 1884 bis 1887. Hecker: Hecker Lehrbuch des deutschen Militärstrafrechts 1887. HH: v. Holtzendorff Handbuch des deutschen Strafrechts in Einzelbeiträgen I bis I I I 1871/72, IV 1877. HG: v. Holtzendorff und v. Jagemann Handbuch des Gefängniswesens in Einzelbeiträgen I, I I 1885. HR: v. Holtzendorff Rechtslexikon 3. Aufl. 1880/81. HV: Handbuch des Völkerrechts herausgegeben von v. H o l t z e n d o r f f . I bis IV 1885 bis 1889. J: Janka das österreichische Strafrecht 2. Aufl. 1890 (herausg. von Rulf). John: John Kommentar zur Strafprozefsordnung 1884ff. Krohne: Krohne Lehrbuch der Gefängniskunde 1889. L: Löning Grundrifs 1885. La band: Laband Staatsrecht 2. Aufl. 1888 bis 1890. M: v. Meyer Lehrbuch 4. Aufl. 1888. Ml: Merkel Lehrbuch des Strafrechts 1889. Mil.StGB. Militär-Strafgesetzbuch für das deutsche Reich. 0: Olshausen Kommentar 3. Aufl. 1889/90. Op: Oppenhoff Kommentar 11. Aufl. 1888. OT: Entscheidungen des Berliner Kammergerichts. R: Entscheidungen des Reichsgerichts; citiert nach Band und Seitenzahl der von den Mitgliedern des Gerichtshofes herausgegebenen Sammlung (die beiden ersten Ziffern der Jahreszahl sind weggelassen worden).
IXTY RStGB: S: Schsp: StPO: Ssp: StGB: W: Wach: W V: Z: Ziebarth: ZPO:
Abkürzungen. Reichstrafgesetzbuch. Schütze Lehrbuch 2. Aufl. 1874. Schwabenspiegel. Ausgabe von Lahberg. StrafprozefsordnuDg für das deutsche Reich. Sachsenspiegel. Ausgabe von Homeyer. Strafgesetzbuch. Wächter Vorlesungen 1881. Wach Handbuch des Zivilprozesses I 1885. Wörterbuch des Verwaltungarechts. Herausgegeben von v. S t e n g e l 188990. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Ziebarth Forstrecht 1887 89 2. Teil. Zivilprozeßordnung für das deutsche Reich.
Berichtigungen. Die Verweisungen auf spätere Paragraphen des allgemeinen Teils geben mehrfach, infolge einer während des Druckes eingetretenen Abänderung, statt des gemeinten, den folgenden Paragraphen an. So mufs es heifsen: S. 4 Zeile 3 von unten: siehe unten §§. 63, 64 statt §§. 64, 65; S. 5 „ 13 der Note von oben: siehe unten 36 statt 37; S. 66 Zeile 3 von oben ist statt Neapel zu lesen Toskana. S. 94 „ 7 von unten: Biehe unten §. 63 und 36 ütatt 8. 64 und 37. Der Vertrag betreifend den Schutz der unterseeischen Telegraphenkabel ist zweimal (S. 105 Zeile 26 von oben, und S. 111 Zeile 2 von oben) mit der Jahreszahl 1888 statt 1884 angeführt. S. 226 ist das zu I I gehörende Beispiel unrichtig zu I I I 1 gesetzt worden.
Einleitung.
1. Begriff und Aufgabe der Strafrechtswissenschaft. §. I. Litteratnr.
Strafrecht und Kriminalpolitik.
v. L i s z t Z VI 663, I X 459.
S t r a f r e c h t s w i s s e n s c h a f t ist die zu einem geordneten Ganzen (zum System) entwickelte Kenntnis von V e r b r e c h e n u n d S t r a f e n in i h r e m i n n e r e n Z u s a m m e n h a n g e . Ihre höchste, heute kaum gestellte, geschweige gelöste A u f g a b e ist es, diesen Zusammenhang nach allen Richtungen hin zu erforschen, keine Methode wissenschaftlicher Untersuchung unberücksichtigt zu lassen, die gewonnenen Ergebnisse mit kritischer Schärfe und schöpferischer Gestaltungskraft zur wissenschaftlichen Einheit zu verbinden. Zusammengehalten durch die Gleichheit des Gegenstandes, gesondert durch die Verschiedenheit der Methode, teilt sich die Strafrechtswissenschaft in zwei selbständige, wenn auch nahe verwandte und unter sich zusammenhängende Zweige. I . Vom rein j u r i s t i s c h e n Standpunkte aus erscheinen Verbrechen und Strafe als b e g r i f f l i c h e V e r a l l g e m e i n e r u n g e n , verbunden durch das logische Verhältnis von Bedingung und Folge. Den nächsten Gegenstand der Strafrechtswissenschaft bildet demnach das S t r a f r e c h t im engern Sinne, d. h. der Inbegriff derjenigen staatlichen Vorschriften, durch von L U i t , 8tr»frecht. 4. Aufl.
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§. 1. Strafrecht and Kriminalpolitik.
welche die Strafe als Rechtsfolge an das Verbrechen als T h a t bestand geknüpft wird.') Somit erwächst der Strafrechtswissenschaft die nächste Aufgabe, in rein j u r i s t i s c h - t e c h n i s c h e r Betrachtung, gestützt auf die Strafgesetzgebung, Verbrechen und Strafe als b e g r i f f l i c h e V e r a l l g e m e i n e r u n g e n ins Auge zu fassen; die einzelnen Vorschriften des Gesetzes, bis zu den letzten Grundbegriffen und Grundsätzen aufsteigend, zum geschlossenen Systeme zu entwickeln; im besonderen Teile des Systemes die e i n z e l n e n Verbrechen und die auf dieselben gesetzten Strafen, im allgemeinen Teile den Begriff d e s Verbrechens, d e r Strafe überhaupt darzustellen. Als hervorragend p r a k t i s c h e Wissenschaft, stets für die Bedürfnisse der Rechtspflege arbeitend und aus dieser immer neue Befruchtung schöpfend, mufs die Rechtswissenschaft die eigentlich s y s t e m a t i s c h e Wissenschaft sein und bleiben: denn nur die Ordnung der Kenntnisse zum System verbürgt jene sichere, stets bereite Herrschaft über alle Einzelnheiten, ohne welche die Rechtsanweudung stets Dilettantismus bleibt, jedem Zufall, jeder Willkür preisgegeben. I I . Vom p o l i t i s c h e n Standpunkte aus betrachtet dagegen der Staatsmann das Verbrechen als eine g e g e n d i e s t a a t l i c h e R e c h t s o r d n u n g gerichtete Handlung, die Strafe als ein M i t t e l z u r B e k ä m p f u n g d e s V e r b r e c h e n s . So entsteht die K r i m i n a l p o l i t i k als zweiter selbständiger Zweig der Strairechtswissenschaft. Xicht die l o g i s c h e Verknüpfung der Begriffe, sondern die klare Erfassung und zielbewufste ') Strafrecht im o b j e k t i v e n Sinn, auch peinliches Recht, Kriminalrecht genannt. In diesem Sinne gebraucht den Ausdruck „Strafrecht" zuerst E n g e l h a r d 1756; vgl. F r a n k die Wölfische Strafrechtsphilosophie 1887 S. 22. Im s u b j e k t i v e n Sinne bedeutet Strafrecht das Recht zu strafen, das jus puniendi. Zu beachten ist, dafs von einem staatlichen Straf r e c h t im subjektiven Sinne nur unter der Voraussetzung gesprochen werden kann, dafs die an sich schrankenlose, der juristischen Fassung spottende Strafgewalt des Staates in weiser Selbstbeschränkung V o r a u s s e t z u n g und I n h a 11 ihrer Bethätigung (Verbrechen und Strafe) bestimmt hat. Wie überhaupt „das Recht die Politik der Gewalt" ist (v. Ihering Zweck im Recht I. 249 der 2. Aufl.), so ist das staatliche Recht zu strafen die r e c h t l i c h b e g r e n z t e Strafgewalt des Staates. Diese Begrenzung aber bildet eben das Strafrecht im objektiven Sinne. Und daraus erhellt, dafs es sich nur um zwei Seiten desselben Begriffes handelt, dafs Strafrecht im objektiven und subjektiven Sinne bei Lichte betrachtet dasselbe bedeuten.
§. 1. Strafrecht and Kriminalpolitik.
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Durchführung des Z w e c k g e d a n k e n s im Rechte ist ihre Aufgabe. Die Kriminalpolitik aber, soll sie anders das Wesen einer strengen Wissenschaft sich wahren oder sich gewinnen, setzt ein Doppeltes voraus: 1. D i e w i s s e n s c h a f t l i c h e U n t e r s u c h u n g d e s V e r b r e c h e n s als einer gegen die staatliche Rechtsordnung gerichteten Handlung, also des Verbrechens in seiner äufseren thatsächlichen E r s c h e i n u n g und in seinen inneren, aus den Thatsachen zu erschliefsenden; U r s a c h e n . Passend Wann für diesen Zweig der Untersuchung der Ausdruck K r i m i n o l o g i e verwendet werden. Man könnte versucht sein, innerhalb der Kriminologie als der Lehre vom Verbrechen weiter zu unterscheiden die KriminalB i o l o g i e und die K r i m i n a l - S o z i o l o g i e . Die e r s t e r e hätte das Verbrechen als Ereignis im Leben des E i n z e l m e n s c h e n zu schildern, den Hang zum Verbrechen (penchant au crime) in seiner individuellen Gestaltung und seinen individuellen Bedingungen zu untersuchen. Als Zweige der KriminalBiologie oder Kriminal-Anthropologie würden sich dabei die Kriminal - Somatologie (Anatomie und Physiologie) und die Kriminal-Psychologie ergeben. Aufgabe der Kriminal-Soziol o g i e dagegen wäre es, das Verbrechen zu schildern als Ereignis des g e s e l l s c h a f t l i c h e n Lebens, es zu untersuchen in seiner sozialen Gestaltung sowie in seiner sozialen Bedingtheit. Aber diese Trennung erscheint schon aus dem Grunde als undurchführbar, weil die individuellen Faktoren des Verbrechens (man denke an die Kriminalität der Weiber oder der Jugendlichen) nicht losgelöst werden können von den gesellschaftlichen Verhältnissen, in welchen sie wurzeln. 2. D i e w i s s e n s c h a f t l i c h e U n t e r s u c h u n g d e r S t r a f e als eines Mittels zur Bekämpfung des Verbrechens, oder die P o e n o l o g i e , also die Darstellung der Strafe in ihrer äulseren thatsächlichen A n w e n d u n g und in ihren inneren aus den Thatsachen zu erschlie('senden W i r k u n g e n . Sonach können wir die Kriminal-Politik bestimmen als die s y s t e m a t i s c h e , a u f die w i s s e n s c h a f t l i c h e U n t e r s u c h u n g d e s V e r b r e c h e n s in E r s c h e i n u n g u n d U r 1*
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§.1. Strafrecht and Kriminalpolitik.
s a c h e n s o w i e d e r S t r a f e in A n w e n d u n g u n d W i r kung g e s t ü t z t e D a r s t e l l u n g der j e n i g e n Grundsätze, nach welchen der K a m p f der R e c h t s o r d n u n g g e g e n das V e r b r e c h e n durch die S t r a f e und die ihr verw a n d t e n s t a a t l i c h e n Einrichtungen geführt wird oder g e f ü h r t w e r d e n s o l l . Ihr nächster Gegenstand ist demnach die R e p r e s s i o n , d. h. die Bekämpfung des Verbrechens durch die Bestrafung desselben. Sie wird aber auch die P r a e v e n t i o n , d. h. die Bekämpfung des Verbrechens durch vorbeugende Mafsregeln insoweit in den Kreis ihrer Erörterungen zu ziehen haben, als es sich um Einrichtungen handelt, welche, der Strafe und dem Strafvollzuge in ihrer äufseren Erscheinung verwandt (Erziehungs- und Besserungsanstalten, Arbeitshäuser) oder an den Strafvollzug sich anschliel'send (Schutzfürsorge für Entlassene, Polizeiaufsicht), unmittelbar gegen den Hang zum Verbrechen sich wenden. 1 ) *) Da die Darstellung der Kriminalpolitik nicht Aufgabe dieses Lehrbachs ist, müssen hier einige kurze Litteraturangaben genügen. -— 1. Die ä l t e r e , dem 18. Jahrhundert entstammende, rationalistische Richtung der Kriminalpolitik findet ihren Abschlufs in den Arbeiten v. I. B e n t h a m f 1832. Vgl. etwa seine Grundsätze der Kriminalpolitik in einem Auszag and systematischen Zusammenhang ..dargestellt von H e p p 1839 (Works, herausgegeben Edinburg 1843; Übersetzung von Dum o n t : Traité de législation 1820, Théorie des peines 1840). Seither ist sie, wenn auch stets von Einzelnen weitergepflegt (so von Bérenger und Bonneville de Marsangy in Frankreich, von Mittermaier in Deutschland) ebensosehr durch die Träumereien der philosophischen, wie durch den Quietismus der geschichtlichen Rechtsschule in den Hintergrund gedrängt worden, um erst in unsern Tagen neuen Aufschwung zu nehmen. — 2. Die h e u t i g e Kriminalpolitik unterscheidet sich von ihrer ältern Schwester insbesondere durch das Bemühen, durch die genauste Untersuchung des Verbrechens wie der Strafe die wissenschaftliche Grundlage zu gewinnen. Als Methoden dienen ihr einerseits die systematische E i n z e l beobachtung, anderseits die systematische Massenbeobachtung oder Statistik. — 3. Frühzeitig beginnt die p s y c h o l o g i s c h e Schilderung einzelner merkwürdiger Verbrechen. Hierher gehört der sog. alte Pitaval, 1734—43 in Paris von Gayot de P i t a v a l (f 1743) herausgegeben, vielfach nachgeahmt; kürzlich (1886) von H. B l u m in einem Auszuge bearbeitet (Z VI 290, 408). Weitere Angaben bei G l a s e r Handb. des Strafprozesses 1883 I 333. F e u e r b a c h s aktenmäfsige Darstellung merkwürdiger Verbrechen 1828 f. ist auch heute noch in vielen Beziehungen mustergültig. Den Versuch einer systematischen Zusammenfassung der Ergebnisse macht K r a u s die Psychologie des Verbrechens 1884 (Z V 246). Auch die Arbeiten über G e f ä n g n i s wesen (unten § 64,66) enthalten viel Einschlagendes. — 4. Mit der Geschichte des (professionellen) Verbrechertums beschäftigt sich das grofse Werk von A v é - L a l l e m a n t Das deutsche Gaunertum in seiner
§. 1. Strafreoht and Kriminalpolitik,
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III. Erst in der sich gegenseitig durchdringenden Verbindung von Strafrecht und Kriminalpolitik erschöpft sich der sozial-politischen, litterarisohen und linguistischen Ausbildung zu seinem heutigen Bestände 1868—62. Die älteste Schilderung des Gaunertums enthält der über vagatorum 1494—98, vielfach gedruckt, 1588 mit einer Vorrede von Martin Luther herausgegeben. Seine heutige Gestalt schildern u. a. V a l e n t i n i Das Verbrechertum im preufsiscben Staate 1869. S c h r ä d e r Das Verbrechertum in Hamburg 1879. S t a r c k e Verbrechen und Verbrecher in Preuisen 1854 bis 1878, 1884 (Z IV 323 und 391). ä £ Die Verbrecherwelt von Berlin 1886 (SA. aus Z IV, V, VI). S p e n g l e r Aus Kerkermauern 1884 (Z V246). F l e i s c h m a n n Deutsches Vagabunden- und Verbrechertum im 19. Jahrhundert 1888 (Z IX 222). — 5. Die A n a t o m i e und P h y s i o l o g i e des Verbrechers wurde insbesondere von medizinisch-naturwissenschaftlicher Seite eifrig gepflegt. Vgl. die Litt. Angaben über P s y c h i a t r i e (unten § 37) und g e r i c h t l i c h e M e d i z i n (unten § 15). Aus Untersuchungen über Verbrechergehirne und Mörderschädel ( S c h w e k e n d i e c k , M. B e n e d i k t u. a.) entwickelte sich in Italien die von dem Mediziner C. L o m b r o s o begründete, von den Juristen E. F e r r i und R. G a r o f a l o geführte „kriminal-anthropologische Schule". Hauptwerke dieser Richtung sind: L o m b r o s o l'Uomo delinquente 1. Aufl. 1876, 4. Aufl 1889; übersetzt ins Deutsche von Frankel 1887 ff. (Z VIII 656); F e r r i J nuovi orizzonti del diritto e della procedura penale 2. Aufl. 1884 (Z V 420) ; 3. Aufl. italienisch und französisch unter dem Titel: Kriminal-Soziologie in Vorbereitung. G a r o f a l o Criminologia 1885 (Z V 421) ; französische Bearbeitung 1888 ; 3. Aufl. in Vorbereitung. M a r r o J caratteri dei delinquenti. 1887. - Zeitschriften dieser Richtung: Archivio di psichiatria, antropologia criminale e scienze penali per servire allo studio dell'uomo alienato e delinquente, seit 1880 in Turin von L o m b r o s o und seinen Freunden herausgegeben; Archives de l'anthropologie criminelle et des sciences pénales, seit 1886 in Lyon von G a r r a u d und L a c a B s a g n e herausgegeben. — Wichtig die Verhandlungen der internationalen kriminal-anthropologischen Kongresse zu Rom 1885 und Paris 1889. — Zu vgl. über die Richtung L o m b r o s o Z I 108, I I I 457; K r a e p e l i n Z V 669; B e n e d i k t Z VII 481; v. L i s z t Z IX 462; v. H o l t z e n d o r f f HG 1 20; K i r n H G i 35, 44; H. S e u f f e r t Über einige Grundfragen des.. Strafrechts 1886; v. K i r c h e n h e i m in der Einleitung zu Frankels Übersetzung des uomo delinquente. — Der Hauptfehler der Schule liegt in der einseitigen Hervorhebung der individuellen, in der ganz ungenügenden Berücksichtigung der sozialen Faktoren des Verbrechens. — 6. Die K r i m i n a l s t a t i s t i k hat sich erst allmählich von der Justizstatistik losgelöst. Begründer der Belgier Q u é t e l e t (f 1874); zunächst 1835 in seinem Buche Sur l'homme et le développement de res facultés ou essai de physique sociale, dann in einer Reihe von Schriften. — Hauptwerk für Deutschland A. v. O e t t i n g e n die Moralstatistik in ihrer Bedeutung für eine Sozialethik 1. Aufl. 1868—1869, 3. Aufl. 1882. — Vgl. auch v. O e t t i n g e n Z I 414; A s c h r o t t Z V 387; F e r r i Z II 11; B e u r l e Z V I I I 326; W ü r z b u r g e r Z V I I I 723; S i c h a r t Z X 36; M i s c h l e r HG I 56, II 473. — Wertvolles, noch wenig verarbeitetes Material enthalten die amtlichen statistischen Veröffentlichungen, in Frankreich ununterbrochen seit 1827 (für 1825) erscheinend. Wichtig nsbesondre die seit 1870 herausgegebene Statistik der zum Ressort des }reufs. Ministeriums des Innern gehörenden Straf- und Gefangenanstalten, iowie die seit 1883 (für die Jahre 1882ff.) erscheinende, mustergültig geirbeitete Reichskriminalstatistik. (Vgl. Z IV 319, V 248, VI 372, VII186).
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§. 1.
Strafrecht und Kriminalpolitik.
Begriff der g e s a m t e n S t r a f r e c h t s w i s s e n s c h a f t (der sciences penales, wie die Franzosen sagen). Diese zu schaffen, weiterzubilden, zu überliefern, ist die Aufgabe des K r i m i n a l i s t e n , nicht des Mediziners, des Soziologen, des Statistikers. Sobald der Gedanke entschwindet, dafs es sich um Zweige desselben Stammes, um Teile desselben Ganzen handelt, die sich gegenseitig berühren, ineinander übergreifen, sich befruchten und ohne diese AVechselbeziehung der Entartung entgegengehen, ist der Verfall der Strafrechtswissenschaft unvermeidlich. Ohne die genauste Kenntnis des geltenden Rechts in allen seinen Verzweigungen, ohne die vollste Beherrschung der legislativen Technik, ohne den strengen Zügel logisch-juristischen Denkens entartet die Kriminalpolitik zu seichtem, steuerlos auf den Wellen treibenden Kationalismus. Und das Strafrecht versinkt in lebensfremdes, öd-unfruchtbares Formelspiel, sobald es nicht von der Erkenntnis durchdrungen und geleitet wird, dafs das Verbrechen nicht nur ein Begriff ist. sondern ein Ereignis der Sinnenwelt, ein folgenschweres Ereignis im Leben des Einzelnen wie in dem der Gesellschaft; dafs die Strafe nicht um ihrer selbst Millen da ist. sondern im Schutze menschlicher Lebensinteressen Bestimmung wie Begründung findet. Ohne eine dem Leben zugewandte und zugleich fornienstrenge Strafr e c h t s w i s s e n s c h a f t aber wird die S t r a f g e s e t z g e b u n g zum Spielball ungeläuterter Tagesmeinungen, die S t r a f r e c h t s p f l e g e zum unfroh betriebenen Handwerk. Nur aus der Wissenschaft schöpft diese wie jene die befruchtende Lebenskraft.
— 7. Auf den Ergebnissen der Kriminalstatistik beruht die heutige s o z i o l o g i s c h e Auffassung des Verbrechens, welche die Erscheinung der Kriminalität vorzugsweise aus den gesellschaftlichen Verhältnissen ableitet und unter dem Einflufse der sozialpolitischen Strömung zur K r i m i n a l p o l i t i k sich entwickelt hat. Vgl. N. C o l a j a n n i Socialisnio e sociologia criminale 1884 ff. (Z V 247, IX 730). P r i n s Criminalité et répression 1886 (Z V I I 179). D e r s e l b e La criminalité et l'Etat social 1890. v. L i s z t Kriminalpolitische Aufgaben (Z I X 452, 737. X 61) T a l l a k Penological and preventive principles 1889 (Z IX 731). K r o h n e Lehrbuch 204. — Von dieser Grundauffassung wird die im Januar 1889 ins Leben getretene, von v. L i s z t , v a n H a m e l und P r i n s gegründete, „Internationale kriminalistische Vereinigung" geleitet. Vgl. Z I X 363 und die seit 1889 erscheinenden „Mitteilungen" der Vereinigung. Uber diese v. J a g e m a n n Blätter für Gefängniskunde X X I V 1. v. L i l i e n t h a l Schweizer StrRZ I I 1.
g. 8. Die Aufgabe de« Lehrbuchs. §. 2.
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Die Aufgabe des Lehrbuchs.
I . Das vorliegende Lehrbuch beschäftigt sich ausschliefslich mit dem S t r a f r e c h t im e n g e r n S i n n e . E s stellt sich die t e c h n i s c h - j u r i s t i s c h e Aufgabe, die Einzelbestimmungen der Strafgesetzgebung des deutschen Reichs im geschlossenen Systeme der Grundbegriffe und Grundsätze vorzuführen. 1. Während die Methode der juristischen F o r s c h u n g nur i n d u k t i v sein darf, vom Einzelnen ausgehend zum Allgemeinen aufsteigen mufs, um die Fülle der Lebenserscheinungen im Begriff und die Begriffe selbst im System zu umspannen, empfiehlt sich aus didaktischen Gründen für die Darstellung des Lehrbuchs die d e d u k t i v e Methode, welche mit den obersten und allgemeinsten Begriffen und Sätzen beginnt und aus diesen Unterbegriffe und Folgesätze entwickelt. 2. Gegenstand der Darstellung ist lediglich das Deutsche Reichsstrafrecht. Die G e s c h i c h t e des Strafrechts wird nur soweit herangezogen, als notwendig ist, um das g e l t e n d e R e c h t als ein geschichtlich gewordenes und weiter sich entwickelndes zu begreifen. Dasselbe gilt von der R e c h t s v e r g l e i c h u n g , die nur zur Erläuterung des d e u t s c h e n Rechts gelegentliche Verwertung finden wird. Die neben dem Strafrechte des deutschen R e i c h s geltenden Landes-Strafrechte bleiben aufser Betracht. 3. Die Grundbegriffe und Grundsätze des Strafrechts leiten uns hinüber zur a l l g e m e i n e n R e c h t s l e h r e ; diese führt uns weiter zu den Grundbegriffen und Grundsätzen des menschlichen Erkennens überhaupt, deren Entwicklung die Aufgabe der E r k e n n t n i s k r i t i k ist. An den Grenzen des menschlichen Erkennens endet die menschliche Wissenschaft; die metaphysische Spekulation hat mit dieser nichts mehr gemein. Aber auch Erkenntniskritik und allgemeine Rechtslehre werden in dem System des Strafrechts selbst nur jene Berücksichtigung beanspruchen und finden können, welche durch den Zusammenhang der Wissenschaften untereinander bedingt und gegeben ist. I I . Nur das Recht, welches i s t . nicht das. welches sein s o l l t e , bildet den Gegenstand unsrer Darstellung. Die K r i m i -
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g. 3.
Das Straf recht als Interessenschatz.
n a l p o l i t i k , mag sie auf der festen Grundlage empirischer Forschung, oder auf dem schwankenden Boden metaphysischer Spekulation sich aufbauen, mufs besondrer Behandlung überlassen bleiben. Dieser grundsätzliche Standpunkt zwingt uns aber weder, auf das Recht der Kritik im Einzelfalle zu verzichten, noch entbindet er uns von der Notwendigkeit, im allgemeinen, wenn auch aufserhalb des Systems, zu den Grundfragen der Kriminalpolitik grundsätzliche Stellung zu nehmen und zu zeigen, wie sich die von dem Verfasser des Lehrbuchs vertretene Auffassung zu den Ansichten verhält, welche in der Wissenschaft unserer wie vergangener Tage zur Geltung gelangt sind. Dieser Untersuchung sind die nächstfolgenden Paragraphen der Einleitung gewidmet.
§. 3. Das Strafrecht als Interessenschutz. L i t t e r a t n r . A h r e n s Naturrecht I 338; v. I h e r i n g der Zweck im Recht 1877ff.; H i n d i n ? Die Normen und ihre Übertretung I 1872, I I 1879 (inst). 1 189); B i n d l n g Handbuch des Strafrechts 11885; T h o n Rechtsnorm und subjektives Recht 1878; K o h l e r Deutsches Patentrecht 1878 (bes. S. 500); v. L i s z t Z I I I 1, VI 673, V I I I 134; E. B e n e d i k t Z V I I 481; M e r k e l Juristische Encyklopädie 1886 (Z V 240); G a r e i s Encyklopädie und Methodologie der Rechtswissenschaft 1887 (Z V I I I 134; F i n g e r GS XL 39 (Z V I I I 646); Z i e b a r t h Forstrecht S. 1, 321; M e r k e l Lehrbuch 1889 S. 20; B ü n g e r Z V I I I 666.
I. Alles Recht ist um der Menschen willen da- Es bezweckt den S c h u t z m e n s c h l i c h e r L e b e n s - I n t e r e s s e n . Interessenschutz ist das Wesen des Rechts : der Zweckgedanke die das Recht erzeugende Kraft. 1. Die durch das Recht geschützten Interessen nennen wir Rechtsgüter. R e c h t s g u t ist also das r e c h t l i c h ges c h ü t z t e I n t e r e s s e . 1 ) Alle Rechtsgüter sind L e b e n s i n t e r e s s e n , Interessen des Einzelnen, oder der Gemeinschaft. 1 ) Genau betrachtet, bezeichnen die beiden Ausdrücke „Gut" und -Interesse" nicht ganz dieselben Begriffe. „Interesse" ist der Wert, den der Eintritt oder Nicht-Eintritt einer bestimmten Veränderung für den Betreffenden hat. „Gut" ist nicht dieses Interesse, sondern dasjenige, w o f ü r jene Veränderung von Wert ist, also in letzter Linie (vgl. besondern Teil) immer das m e n s c h l i c h e D a s e i n in seinen verschiedenen Ausgestaltungen. Die Gleichsetzung der beiden Ausdrücke ist aber durch den Sprachgebrauch gerechtfertigt und durchaus ungefährlich. Wir sprechen nicht von dem Interesse, nicht getötet zu werden, sondern von dem (Rechts)gute des Lebens; nicht von dem Interesse der Frau, nicht
§. 3. Das Strafrecht als Interessenschatz.
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Nicht die Rechtsordnung erzeugt das Interesse, sondern das Leben; aber der Rechtsschutz erhebt das Lebensinteresse zum Rechtsgut. Persönliche Freiheit, Hausrecht, Briefgeheimnis waren Lebensinteressen, lang' ehe sie durch die Verfassungsurkunden gegen willkürliche Eingriffe der Staatsgewalt sicher gestellt wurden. Das Bedürfnis erzeugt den Schutz, und mit den wechselnden Interessen wechselt Zahl und Art der Rechtsgüter. Die Lebensinteressen aber entstehen durch die L e b e n s b e z i e h u n g e n der Einzelnen untereinander, wie der Einzelnen zu Staat und Gesellschaft und umgekehrt. Wo Leben ist, da ist Kraft, die nach freier Bethätigung, nach ungehemmter Entfaltung und Gestaltung ringt. In unzählbaren Punkten berühren und durchschneiden sich die Willenskreise, greifen die Machtgebiete in einander über. Diesen Lebensbeziehungen entspringt das Interesse, welches der Eine an dem für seine Bethätigung wichtigen Handeln oder Nichthandeln des Andern hat. Der Mieter will die ihm vermietete Wohnung beziehen, der Gläubiger das Darlehn vom Schuldner zurückerhalten; was ich durch meine Arbeit mir gewonnen, soll niemand mir nehmen oder beschädigen, meinen guten Namen keiner antasten; der Staat verlangt Steuern und Heerdienste, der Bürger freie Meinungsäufserung in Wort und Schrift. Damit nicht der Krieg Aller gegen Alle entbrenne, bedarf es einer Friedensgeschlechtlich mifsbraucht zu werden, sondern von dem (RechU)gute der weiblichen Geschlechtsehre. — .Rechtsgut ist demnach nicht ein Gut d e s R e c h t s oder der Rechtsordnung (anders freilich B i n d i n g und im Anschlufs an ihn von R o s i n W V II 276), sondern ein durch das Recht anerkanntes und geschütztes Gut d e r M e n s c h e n . — Ganz mifsverstanden von v. M a r t i t z Internat. Rechtshilfe I 49 sowie von K e f s l e r GS X X X I X 94 (Z V I I 730). Eine andere Frage ist es, ob es nicht einfacher und klarer wäre, statt von Interessenschutz, von dem Schutze s u b j e k t i v e r R e c h t e zu sprechen, wie dies L ö n i n g in seinem Grundrisse thut. Nach meiner Ansicht ist nun allerdings der Begriff des subjektiven Rechts enger als der des Rechtsgutes (vgl. u. a. auch M e r k e l Encyklopädie § 160 bis 168 und dazu Z V 240; L e o n h a r d Grünhuts Zeitschr. I X 21). Allein für die Zwecke des Lehrbuches ist ein Eingehen auf diese Frage um so weniger notwendig, als es unserem heutigen Sprachgehrauche wenigstens widerstrebt, von einem subjektiven Recht auf Freiheit, Ehre, Leben u. s. w. zu reden. — Gegen den Begriff des Rechtsgutes überhaupt v. B u r i GS X L 603 (Z 636). Er wird auch von altern Schriftstellern, z. B. von G e y e r (Klein. Schriften 203, 290), vielfach verwertet.
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§• 3-
Do* Strafrecht als Jnteressenschutz.
Ordnung, einer Abgrenzung der Machtkreise, des Schutzes dieser und der Zurückweisung jener Interessen. 2. Diese Aufgabe übernimmt der über den Einzelnen stehende allgemeine Wille; er löst sie in der R e c h t s o r d n u n g ; in der Scheidung der berechtigten von den unberechtigten Interessen. Die Rechtsordnung grenzt die Machtgebiete von einander ab; sie bestimmt, wie weit der Wille sich frei bethätigen, wie weit er insbesondere "fordernd oder versagend in die Willenskreise andrer Rechtssubjekte übergreifen darf; sie gewährleistet die Freiheit, das Wollen-Dürfen und verbietet die Willkür; sie erhebt die Lebensbeziehungen zu Rechtsbeziehungen, die Lebensinteressen zu Rechtsgütern; sie schafft, Rechte und Pflichten an bestimmte Voraussetzungen knüpfend, aus dem Lebensverhältnis das Rechtsverhältnis. Gebietend und verbietend, ein bestimmtes Handeln oder Nicht-Handeln unter bestimmten Voraussetzungen vorzeichnend, sind die N o r m e n der Rechtsordnung der Schutzwall der Rechtsgüter. Der Rechtsschutz, den die Rechtsordnung den Lebensinteressen gewährt, ist N o r m e n s c h u t z . „Rechtsgut" und „Norm" sind die beiden Grundbegriffe des Rechts. 2 ) ') Hein Ausgangspunkt in Beziehung auf die allgemeine Rechtslehre ist mithin derselbe wie derjenige B i n d i n g s . Aber sofort trennen sich unsere Wege, ßinding hat sowohl in seinen Normen als auch in seinem Handbuche I 155, ohne dem Rechtsgute, dessen Schutz zu d i e n e n die Norm berufen ist, weitere Beachtung zu schenken, in durchaus einseitiger und willkürlicher Weise den Begriff der Norm zum Angelpunkte aea ganzen strafrechtlichen Systems gemacht. Vgl. darüber v. L i s z t Z VI 668, VIII 134. Auf die von Binding aus seiner Grundauffassung gezogenen Folgerungen werden wir wiederholt zurückzukommen Gelegenheit haben. An dieser Stelle sei der Kern der „Normentheorie" kurz angedeutet. Der Verbrecher übertritt nicht das Strafgesetz, sondern die Norm, jene Gebote oder Verbote, welche den Thatbeständen der Strafgesetze zu Grunde liegen. Die N o r m e n sind selbständige, dem ungesetzten Recht angehörende Rechtssätze; niemals Sätze des Strafrechts, sondern Sätze des öffentlichen Rechts. „Die Norm ist ein reiner, unmotivierter, insbesondere nicht durch Strafandrohung motivierter Befehl" Bg I 164). S t r a f g e s e t z dagegen ist „jeder Rechtssatz, wonach aus bestimmtem Delikt ein Strafrecht oder eine Strafpflicht entsteht oder nicht entsteht" (I 176). Die N o r m e n sind primär verpflichtende Rechtssätze (I 183). Der Pflicht zum Gehorsam steht gegenüber das Recht auf Befolgung der Norm, auf Botmäfsigkeit. Das S t r a f g e s e t z dagegen (I 191) ist kein Befehl, sondern ein berechtigender Satz und zwar Festsetzung und Normierung eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Strafberechtigten und dem Verbrecher. Auf der Unterscheidung von Norm und Strafgesetz ruht die
§. 3. DM Strafrecht als Interessenschutz.
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I L Aber das Recht ist nicht blofs eine F r i e d e n s o r d n u n g , sondern zugleich auch, u. z. seinem innersten Wesen nach, eine K a m p f O r d n u n g . Um seinen Zweck zu erfüllen, bedarf es der Kraft, welche den widerstrebenden Einzelwillen niederbeugt. Hinter der Friedensordnung der Lebensbeziehungen steht die Staatsgewalt. Sie ist stark genug, ihren Normen Gehorsam zu erzwingen, der logischen Verknüpfung von Thatbestand und Rechtsfolge, wo es not tliut, thatsächliche Herrschaft zu verschaffen. So tritt ein neues Moment in den Begriff des Rechts: der Z w a n g . In drei Hauptformen erscheint uns dieser: 1. als Erzwingung der Erfüllung (Zwangsvollstreckung); 2. als Wiederherstellung der gestörten Ordnung (Entschädigung); 3. als Bestrafung des Ungehorsamen. In welchen Fällen diese einschneidenste und doch nur mittelbare Bewährung der Rechtsordnung, die Bestrafung des Ubertreters staatlicher Normen, eintritt, wird spätere Untersuchung lehren (unten §. 24). Hier handelt es sich darum, die Stellung der Strafe im Rechtssystem und damit die eigenartige Bedeutung des Strafrechts festzustellen. III. Ist die Aufgabe des Rechts überhaupt der Schutz menschlicher Lebensinteressen, so ist die eigenartige Aufgabe des Strafrechts der v e r s t ä r k t e S c h u t z b e s o n d e r s s c h u t z w ü r d i g e r und b e s o n d e r s s c h u t z b e d ü r f t i g e r I n t e r Unterscheidung von Delikt und Verbrechen. D e l i k t ist die schuldhafte Normübertretung, V e r b r e c h e n der Thatbestand, an welchen die Strafe geknüpft ist. Mit dieser (dem geltenden Rechte gegenüber zweifellos unhaltbaren Unterscheidung) ist für Bindings Nomentheorie die Grundlage für eine Reihe weiterer, hier noch nicht interessierender Folgerungen gewonnen. — Als A n h ä n g e r der Normentheorie wären zu nennen: T h o n Rechtsnorm und subjektives Recht 1878 (gegen diesen aber B i n d i n g selbst Krit. VJSchrift XXI 651); B i e r l i n g Zur Kritik der jurist. Grundbegriffe II 1883 (gegen diesen Bg 1167 Note 8); O e t k e r Einflufs des Rechtsirrtums 1876 (hat sich aber in seiner späteren Schrift: das Verfolgungsrecht nach § 36 KO. 1883 ganz an Thon angeschlossen); v. R o h l a n d Intern. Strafrecht I 1877; R o s i n Das Polizeiverordnungsrecht in Preufsen 1882; O p p e n h e i m Die Rechtsbengungsverbrechen 1886 (Z VII 239). — Zu den Gegnern derselben gehören u. a. W a c h GS. XXV 432, L a b and Staatsrecht I 452 Note 1, M e r k e l Encyklopädie 36, Lehrbuch 14 und Z VI 514, M 33, Z u c k e r Z IX 270, A f i'olter Untersuchungen über das Wesen des Rechts 1889 S. 12, L a s s o n Rechtsphilosophie 210. — Ich selbst bin insbesondere in der ersten Auflage dieses Lehrbuches warm für die Normentheorie eingetreten (vgl. Bg I 156 Note 4), habe mich aber mehr und mehr von ihrer wissenschaftlichen Unhaltbarkeit überzeugt.
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§. 3.
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essen. Das Mittel zu diesem Zweck ist A n d r o h u n g und Vollzug der Strafe. W a r n e n d und a b s c h r e c k e n d tritt die Strafdrohung zu den Geboten und Verboten der Rechtsordnung hinzu. Dem rechtlich gesinnten Bürger zeigt sie in eindringlichster Form, •welchen Wert der Staat seinem Befehle beilegt; weniger feinfühligen Naturen stellt sie als Folge ihres rechtswidrigen Verhaltens ein Übel in Aussicht, dessen Vorstellung als Gegengewicht den verbrecherischen Hang niederhalten soll. Aber die ganze ihr eigentümliche Kraft entfaltet die Strafe im Strafvollzüge, in der Bewährung des Willens der Rechtsordnung durch den S t r a f z w a n g . Hier scheut der Staat nicht zurück vor den schwersten tliatsächliclisten Eingriffen in Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen der Rechtsgenosseu, vor tief einschneidender, nicht nur nach Tagen, Wochen und Monaten, sondern wenn es sein muls nach Jahren und Jahrzehnten zählender Mafsregelung des Verbrechers. Vielgestaltig und gerade in ihrer Fähigkeit sich zu verbinden oder sich zu vertreten überaus wertvoll sind die W i r k u n g e n des Strafvollzuges. E r wirkt 1. auf die G e s a m t h e i t der Rechtsgenossen, indem er einerseits durch seine a b s c h r e c k e n d e Kraft die verbrecherischen Neigungen im Zaume hält (sog. Generalprävention) und anderseits durch die B e w ä h r u n g d e r R e c h t s o r d n u n g die rechtliche Gesinnung der Staatsbürger stärkt und sichert; 2. auf den V e r l e t z t e n , dem er überdies die G e n u g t h u u n g gewährt, dafs der gegen ilm gerichtete rechtswidrige Übergriff nicht ungeahndet bleibt ; 3. ganz besonders aber auf den V e r b r e c h e r selbst. J e nach Inhalt und Umfang des Strafübels kann (las Schwergewicht der Wirkung, welche durch den Strafvollzug auf den Verbrecher ausgeübt wird, liegen a) in der A b s c h r e c k u n g ; b) in der B e s s e r u n g ; c) in der U n s c h ä d l i c h m a c h u n g auf kürzere oder längere Zeit. 8 ) ®) Man kann in den Fällen unter a und b von der künstlichen A n p a s s u n g (Adaption) des Verbrechers an die Gesellschaft, im Falle unter
§. 3. DM Strafrecht als Interessenschutx.
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IY. Je nachdem im gegebenen Falle die eine oder die andre Wirkung der Strafe zum Zweck gesetzt wird, gestaltet sich demnach Strafdrohung und Strafvollzug in verschiedener Weise. Insbesondre wird es die beabsichtigte Wirkung auf den V e r b r e c h e r sein, welche Inhalt und Umfang der Strafe bestimmt. 4 ) Die Forderung der Kriminalpolitik aber geht dahin, die Eignung der Strafe als Mittel zum Zweck möglichst vollständig auszunutzen und sie nach den Bedürfnissen des Einzelfalles zu gestalten, also 1. die G e l e g e n h e i t s v e r b r e c h e r abzuschrecken; 2. a n g e h e n d e , aber noch nicht völlig verdorbene (mithin besserungsfähige und besserungsbedürftige) G e w o h n h e i t s v e r b r e c h e r zu bessern; 3. u n v e r b e s s e r l i c h e G e w o h n h e i t s v e r b r e c h e r auf möglichst lange Zeit unschädlich zu machen.6) c von der künstlichen A u s s c h e i d u n g (Selektion) des gesellschaftlichen untauglichen (adaptionsunfähigen) Verbrechers aus der Gesellschaft sprechen. Doch lege ich auf diese, in den früheren Auflagen des Lehrbuchs mehr hervorgehobene, darwinistische Einkleidung alter und einfacher Gedanken selbstverständlich gar kein Gewicht. 4 ) Mit L a m m a s c h kann man die oben unter 1 und Sangeführten Wirkungen, bezw. Zwecke der Strafe als „konstante", die unter 3 genannten als „variable" bezeichnen. Daraus ergiebt sich aber zugleich, dafs nur diese auf die Ausgestaltung der e i n z e l n e n Strafmittel von Einflufs sein können, während jene für die Richtung der Strafoesetzgebung i m a l l g e m e i n e n mafsgebend sind. Damit dürften sich anoh die von J a n k a in den unten §. 4 I 3 angeführten Schriften gegen meine Auffassung erhobenen Bedenken erledigen. *) Es ist ein grofses und bleibendes Verdienst W a h l b e r g s , in seinen verschiedenen Schriften den grundlegenden Unterschied von G e w o h n h e i t s - und G e l e g e n h e i t s V e r b r e c h e r n entschieden betont zu haben. Man vgl. insbeB. Ges. kleinere Schriften I 136, I I I 55, 101, 313; HG 1 131, 138. — Ich habe Z I I I 1 mich bemüht auszuführen, dafs nicht blofs dem unverbesserlichen, sondern auch dem angehenden und vielleicht noch zu rettenden Gewohnheitsverbrecher gegenüber eingreifende Mafsregeln notwendig sind. Es ergiebt sich danach die im Text festgehaltene Dreiteilung der Verbrechergruppen. Dieser Ansicht sind beifetreten u. a. v a n H a m e l in seinem Gutachten an den intern. Gef. iongrefs zu Rom 1885 (Z V 243); G a r r a u d in der einleitenden Abhandlung zu seinen Archives de l'anthropologie crim. 1886 (Z V I 394); P r i n s in seinem bedeutsamen Buche: Criminalité et répression. Essai de science pénale 1886 (Z VII 179). — Vgl. auch D u C a n e The punishment and prévention of crime 1886. K i r n HG I 42, v. H o l t z e n d o r f f HG 1400. B e n n e c k e Z VII 187. A s c h r o t t Z V I I I 1 . v. R o h l a n d Die Gefahr im Strafrecht 2. Aufl. 1888 S. 4. M e d e m Z V I I 135. H. S e u f f e r t Mitteilungen aus dem Entwurf eines StGB, für Italien 1888 S. 180 (Z I X 628). M e r k e l 186. v. K i r c h e n h e i m i n der Einleitung zu Fraenkels Übersetzung des uomo delinquente; die Ausführungen von
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§. 3. Daa Strafrecht als Interesaenschutz.
Die Kriminalpolitik aber verlangt weiter, dafs der Gesetzgeber keine zur Erreichung des Zweckes völlig untauglichen Strafmittel zur Anwendung bringe, dal's er also insbesondere die k u r z z e i t i g e F r e i h e i t s s t r a f e , welche weder bessert noch abschreckt noch unschädlich macht, möglichst durch andere geeignetere Mafsregeln ersetze.6) V. Der Grundgedanke der Kriminalpolitik bietet genügenden Schutz gegen die einseitige Betonung der auf den Verbrecher gerichteten Wirkungen und Zwecke der Strafe. Übertreibung des Besserungsgedankens wird dem llechtsbewulstsein der Gesamtbevölkerung und damit der Lebenskraft des Staates ebenso verhängnisvoll werden, wie rücksichtslose Härte dem Gelegenheitsverbrecher oder rolie Grausamkeit dem Unverbesserlichen gegenüber. Der Zweckgedanke begrenzt und schützt sich selbst. Das Mittel über den Zweck zu stellen, wird niemals als zweckmäfsig erscheinen.1 Der Anrufung der überlieferten Gerechtigkeit bedarf es nicht. Ein Bruch mit den im Volke lebenden Eechtsanschauungen würde den Namen der Kriminalpolitik vergebens beanspruchen. Aber auch die Erkenntnis, dals das Verbrechen in den gesellschaftlichen Verhältnissen seine tiefste Wurzel hat, _ wird vor Übertreibungen des Zweckgedankens schützen. Die Uberzeugung von der „Kollektivschuld der Gesellschaft"' (A. v. (Dettingen) wird die strafende Thätigkeit des Staates zügeln. Der Begehung des Verbrechens vorzubeugen wird wichtiger und wertvoller erscheinen, für den Einzelnen wie für die Gesamtheit, als die Bestrafung der begangenen That. VI. In allen seinen Formen aber, trotz seiner Eigenart, V a l e n t i n i , A v e - L a l l e m a n t , T a l l a k , v. (Dettingen in den oben S 1 Note 2 angegebenen Schriften. Ferner K l e i n f e l l e r Die Bekämpfung des Verbrechens 1889 (SA. aus GA.) Schweizer StrRZ I 410 (Zimmermann), II 101 (Stoofs). v. H i p p e l Die korrektionelle Nachhaft 1889. — Uber die sehr beachtenswerte französische Gesetzgebung betr. die Verhütung und Bestrafung des Rückfalls vgl. Z V 641. VI'709; v. L i s z t HG I 272. 6 ) Über die Nachteile der kurzzeitigen Freiheitsstrafe und die zu ihrer Einschränkung vorgeschlagenen Mittel, insbes. die sog. bedingte Verurteilung vgl. v. L i s z t Z 1X737, X 51. Mitteilungen der Int. knm. Ver. I. und II. Band. Verhandlungen des Int. Gef. Kongresses zu Petersburg 1890. A s c h r o t t Der Ersatz kurzzeitiger Freiheitsstrafen. 1889. Vgl. auch unten §. 61.
§. 4.
Auseinandersetzung mit den Gegnern.
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ist das Strafrecht R e c h t , das heifst Interessenschutz. Nicht die Art der geschützten Interessen, die den verschiedensten Rechtsgebieten angehören können, sondern die Eigenart des Schutzes macht das Wesen des Strafrechts aus. Vermögensund Familienrechte, Leben und Staatsgebiet, die Stellung des Staatsoberhauptes wie die politischen Rechte des Bürgers, die Interessen der Staatsverwaltung und die der Aktiengesellschaften, die Geschlechtsehre des Weibes und die Sicherheit des Verkehrs — alle Interessen ohne Ausnahme können des verstärkten Schutzes teilhaftig werdeu, welchen die Strafe verleiht. Zu allen Rechtsgebieten tritt das Strafrecht ergänzend und sichernd hinzu ( „ s e k u n d ä r e " , „ k o m p l e m e n t ä r e " , „ s a n k t i o n a t ä r e " Natur der Strafrechtssätze). §. 4.
Auseinandersetzung mit den Gegnern.
L i t t e r a t u r . Uber die sog. Strafreohtatheorieen vgl. insbes. H e i n z e H H I 239; v. B a r I 201; L a i s t n e r Das Recht in der Strafe 1872; G ü n t h e r Die Idee der Wiedervergeltung in der Geschichte und Philosophie des Strafrechts I 1889. —„Von neueren lieinungBäufserungen sind hervorzuheben: H. S e u f f e r t Uber einige Grandfragen des Strafrechts 188Ö (Z V I I 745); v. H o l t z e n d o r f f HG I 383; K ö h l e r Das Wesen der Strafe 1888 (Z I X 607); Z i e b a r t h Forstrecht 332; L a m m a s c h Z I X 423; G a r r a u d Le problème de la pénalité 1889; L ö n i n g Uber die Begründung des Strafrechts 1889; M e r k e l Über den Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Strafrechts und der Gesamtentwicklung der öffentlichen Zustände und des geistigen Lebens der Völker 1889.
I. Dafs der Zweck der Strafe Rechtsgüterschutz und dafs in und mit dieser Zweckbestimmung das W e s e n der Strafe gegeben ist, war die fast unbestritten herrschende Auffassung der Wissenschaft wie der Gesetzgebung bis zu demjenigen Zeitpunkte, in welchem die spekulative Philosophie die Herrschaft über die deutsche und bald auch die aufserdeutsche Wissenschaft gewann. 1. Und zwar lag gerade in der Betonung des Satzes, dafs, weil die Strafe verschiedene Wirkungen zu erreichen geeignet sei, je nach den Bedürfnissen des Einzelfalls durch die Gestaltung der Strafe diese oder jene Wirkung angestrebt werden müsse, also, wenn wir so sagen dürfen, in der V e r bindung der S t r a f z w e c k e , der gemeinsame Grundgedanke, von welchem die naturrechtlichen Schriftsteller des 17. und
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4.
Auseinandersetzung mit den Gegnern.
18. Jahrhunderts ganz ebenso ausgingen, wie die griechischen und römischen Philosophen. Aub der naturrechtlichen Litteratur seien erwähnt: Thomas H o b b e s (f 1679) De cive 1640. Leviath&n ICSI. — S p i n o z a (+ 1677) Traotatus theologo-politicu8 1670. — L o c k e (f 1704) On government 1680. — P u f e n d o r f (f 1694) De jure naturae et gentium 1672 (non est homo propter poenam, Bed poena propter hominem). — T h o m a s i u s (f 1728) Fundamentum juris naturae et gentium 1705 (Vergeltung, expiatio, ist nichts als crudelitas). — H. G r o t i u s (+ 1645; Vgl. P f e n n i n g e r Der Begriff der Strafe. Untersucht an der Theorie des H. Grotius 1877). De jure belli ac pacis 1626. — J . J . R o u s s e a u (f 1778) Contrat social 1762. — B e c c a r i a (f 1794) Dei delitti e delle pene 1764. — F i c h t e (f 1814) Grundlagen des Naturrechts 1796. — Auch J . B e n t h a m gehört noch in diese Gruppe. Vgl. oben §. 1 Note 2.
2. Mit dem Ausgange des 18. Jahrhunderts geht, wenn auch die Herrschaft des Zweckgedankens der Strafe erhalten bleibt, doch die Verbindung der Strafzwecke verloren. Einer der möglichen Zwecke der Strafe — Abschreckung (psychologischer Zwang, Warnung), Besserung, Verteidigung der Rechtsordnung, Wiederherstellung des ideellen Schadens — wird zum e i n z i g e n P r i n z i p der Strafe gemacht. Damit gewinnen die Strafrecht8theorieen an Geschlossenheit und überzeugender Kraft; zugleich aber verlieren sie in dieser einseitigen Ausgestaltung an praktischer Brauchbarkeit und an Widerstandsfähigkeit gegenüber den Angriffen der Kritik. Man pflegt gerade diese Anschauungen vorzugsweise als r e l a t i v e Theorieen, als N i i t z l i c h k e i t s - oder Z w e c k m ä f s i g k e i t s t h e o r i e e n zu bezeichnen, und von ihnen, wenn auch ganz mit Unrecht, zu behaupten, sie bestraften nicht, quia peccatum est, sondern ne peccetur. a) Weitaus der bedeutendste Vertreter dieser Richtung ist A. F e u e r b a c h (f 1833). Abgesehen von kleineren Schriften vgl. man: Antihobbes 1798. Revision der Grundbegriffe 1799. Über die Strafe als SicherheitBmittel 1800. Lehrbuch 1801. Feuerbach (vgl. unten §. 9) setzte an die Stelle der alten A b s c h r e c k u n g s t h e o r i e ( G e n e r a l prävention: Abschreckung durch die V o l l z i e h u n g der Strafe), die schon von Aristoteles angedeutete, von Hobbes u. a. vollständig entwickelte, von ihm aber zur höchsten Vollendung gebrachte „ T h e o r i e d e s p s y c h o l o g i s c h e n Z w a n g e s " . Während Hobbes sagt: comparantes enim, quod in crimine jucundum cum eo quod in poena molestum est (tamquam in bilancio ponderatio heifst es an andrer Stelle — „Balanciertheorie"),
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§. 4. Auseinandersetzung mit den Gegnern.
id quod sibi Optimum esse pat&at, necessario eligunt, soll nach Feuerbach der psychologische Zwang neben dem p h y s i s c h e n Zwange dazu dienen, Rechtsverletzungen unmöglich zu machen. „Alle Übertretungen — heifst es in g 13 des Lehrbuchs — haben ihren psychologischen Entstehungsgrund in der Sinnlichkeit, insofern das Begehrungsvermögen des Menschen durch die Lust an oder aus der Handlung zur Begehung derselben angetrieben wird. Dieser sinnliche Antrieb kann dadurch aufgehoben werden, dafs jeder weifs, a u f s e i n e T h a t w e r d e u n a u s b l e i b l i c h e i n Ü b e l f o l g e n , welches g r ö f s e r ist, als die U n l u s t , die aus dem n i c h t b e f r i e d i g t e n A n t r i e b z u r T h a t e n t s p r i n g t . " Damit aber diese Überzeugung allgemein und fest begründet werde, ist einerseits A n d r o h u n g , anderseits V o l l z i e h u n g der (verwirkten) Strafe erforderlich. § 14: „ D i e z u s a m m e n s t i m m e n d e W i r k s a m k e i t d e r vollstreckenden and gesetzgebe nden Macht z u d e m Z w e o k e der A b s c h r e c k u n g b i l d e t den psychologischen Zwang." Feuerbachs Ansicht teilt im wesentlichen der tonangebende italienische Kriminalist R o m a g n o s i , während S c h o p e n h a u e r (f 1860) Welt, als Wille und Vorstellung I 418 dieselbe auf metaphysischer Grundlage wiederholt. Eine Abart der Feuerbachschen Theörie ist B a u e r s W a r n u n g s t h e o r i e , Archiv 1626 IX 429 (die Warnungstheorie 1830, Abhandlungen I 1840), nach welcher sich die Strafdrohung nicht nur an die sinnliche, sondern auch an die s i t t l i c h e Natur des Menschen wendet (als „Warnungstafel"). b) Das gleiche Ziel verfolgt auf anderm Wege die B e s s e r u n g s t h e o r i e , in welcher sich Anhänger der verschiedensten philosophischen Richtungen,'wie S t e l t z e r , G r o o s , K r a u s e , A h r e n s , S c h l e i e r m a c h e r , R ö d e r u. a. begegnen. S t e l z e r Kritik über Eggers Strafges.Entwurf für SchleswigHolstein 1812. G r o o s (Determinist) Der Skeptizismus in der Freiheitslehre 1830. K r a u s e (f 1832) System der Rechtsphilosophie herausg. von Röder 1874. A h r e n s (f 1874) Naturrecht oder Rechtsphilosophie 6. Aufl. 1870 I I 453. S o h l e i e r m a c h e r (f 1834) Die christliche Sitte. R ö d e r (+ 1879) in einer Reihe von Schriften, besonders: Zur Rechtsbegründung der Besserungsstrafe 1846, Besserungsstrafe und Besserungsanstalten als Rechtsforderung 1864. Diese Theorie bezweckt die Verhütung künftiger Verbrechen durch B e s s e r u n g des Verbrechers bei V o l l s t r e c k u n g der Strafe; die erzielte Besserung ergiebt das Mafs der Strafe. c) Hierher ist wohl auch die V e r g ü t u n g s - o d e r W i e d e r h e r s t e l l u n g s t h e o r i e W e l c k e r s (f 1869 Die letzten Gründe von Recht, Staat und Strafe 1813, Encyklopädie 1829) zu rechneD. Sie sieht (wie früher S. v. C o c c e j i ) den Zweck der Strafe in d e r W i e d e r a u f h e b u n g des durch das Verbrechen verursachten i n t e l l e k t u e l l e n S c h a d e n s (sowie der zivilrechtliche Ersatz die Beseitigung des bewirkten m a t e r i e l l e n Schadens bezweckt), und den Rechtsgrund derselben einerseits in y o n L i a z t , Strafrecht. 4. Aufl.
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der Verpflichtung jedes Rechtsgenossen, die von ihm bewirkte Rechtsverletzung wieder gut zu machen, anderseits in dem Rechte und der Pflicht der Staatsgewalt, die Bürger wenn nötig zwangsweise zur Erfüllung dieser Rechtspflicht anzuhalten. — Eine — wenig gelungene — Umarbeitung der Welckerschen Ausführungen ist H e p p s (f 1851) „Theorie der bürgerlichen Gerechtigkeit", Kritische Darstellung der Strafrechtstheorieen 1829, 2. Aufl. 1843—45. Auch in v. W ä c h t e r s (Beilage 17) und B i n d i n g s (siehe unten S. 24) Ansichten ist der Einflufs Welckers unverkennbar. 3. Mehr und mehr wendet sich jedoch die Wissenschaft unserer Tage wieder jener älteren, von Feuerbach und seinen Nachfolgern verlassenen Bahn zu. Ausgehend von der Thatsache, dals die Erscheinung des Verbrechens nicht aus einer einheitlichen Ursache, sondern aus verschiedenartigen Bedingungen entspringt, verlangt sie, dals die Strafe diesen Bedingungen angepafst. dafs je nach L a g e des Einzelfalles dieser oder jener Strafzweck in den Vordergrund gestellt werde. Sie verwertet jeden brauchbaren Gedanken der alten Zweckmäfsigkeitstheorieen. vermeidet aber die Einseitigkeit, welcher jede von diesen notwendig verfiel. Als Vertreter dieser Gruppe sind nicht nur sämtliche Vertreter der sogenannten Kriminalanthropologie, sondern auch die meisten Vorkämpfer einer kräftigen, besonders gegen das gewerbsmäßige Verbrechertum gerichteten Kriminalpolitik (oben §. 1 Note 2) zu nennen. Vgl. unter andern: D a n k w a r t Psychologie und Kriminalrecht 1863. D ü h r i n g Kursus der Philosophie 1875. E. v. H a r t m a n n Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins 1879. K r ä p e l i n Abschaffung des Strafmafses 1880 (Z I 157). M i t t e l s t a d t Gegen die Freiheitsstrafe 1879, und Z I I 419. J a n k a Notstand 1878, Strafrecht 1884 (2. Aufl. 1890), Die Grundlagen der Strafschuld 1885 (Z V 737). L a m m a s c h Das Moment objektiver Gefährlichkeit im Begriffe des Verbrechensversuches 1879. D e r s e l b e Z IX 423. P f e n n i n g e r Der Begriff der Strafe 1877. J e l l i n e k Die sozial-ethische Bedeutung von Recht, Unrecht, Strafe 1878. H e r t z Das Unrecht und die allg. Lehren des Strafrechts 1880. H r e h o r o w i c z Grundfragen und Grundbegriffe des Strafrechts 2. Ausg. 1882 (Z I 346, III 496). W i l l e r t Z II 473. S e u f f e r t Über einige Grundfragen des Strafrechts 1886 (Z IX 745). L a u t e r b u r g Die Eidesdelikte 1886 (Z VII 225). K r o h n e 219. W a h l b e r g HG. I 130. v. H o l t z e n d o r f f HG. I 134. Ferner gehören notwendig alle diejenigen hierher (vgl. oben § 3 Note 5), welche die Unterscheidung der Gelegenheits- und der Gewohnheitsverbrecher verlangen. Vgl. auch die zutreffende Bemerkung von L e o n h a r d Göttgr. gelehrte Anzeigen 1889 S. 634: „Die unfruchtbaren Streitigkeiten, welche sich z. B. an die Frage nach dem
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Zweck der Strafe, des Vertrages u. dgl. anknüpfen, sind wissenschaftliche Krankheitserscheinungen, die aus diesem Glauben an die Unmöglichkeit mehrerer gleichzeitiger Gesetzeszwecke entspringen." Dafs dabei •on einer „Aufteilung des Strafrechts unter die verschiedenen Strafzwecke" ( • . M e y e r , Vorrede zur 4. Aufl.) keine Rede ist, dürfte wohl jedem Einsichtigen längst klar geworden sein. I L I n einem mehr oder minder scharfen Gegensatze steht die in §. 3 vertretene Auffassung der Strafe zu den sogenannten a b s o l u t e n Theorieen, auch N o t w e n d i g k e i t s - oder G e r e c h t i g k e i t s t h e o r i e e n genannt, als deren eigenartiges Merkmal man regelmäßig, auch hier wieder nicht zutreffend, anzuführen pflegt, dafs sie bestrafen wollten, nicht ne peccetur, sondern quia peccatum est. B e i der grofsen inneren Verschiedenheit der hierher gerechneten Ansichten ist es notwendig, innerhalb derselben eine Sonderung vorzunehmen. 1. Unbedingt a b l e h n e n d mufs sich die Wissenschaft denjenigen Ansichten gegenüber verhalten, welche die Strafe unmittelbar und ausdrücklich an die G o t t h e i t anknüpfen, sie auffassen als die Vollziehung eines göttlichen Befehls. So hat schon P r o t a g o r a s die Strafe aus dem Willen des Zeus abgeleitet, S. v. C o c c e j i (f 1755) in seiner Introductio ad Grotium illustratum 1751 die Strafe auf einen göttlichen Befehl zurückgeführt. Aber auch in der neueren Litteratur. bei J . d e M a i s t r e , L i n k , W a l t h e r u. a., findet sich diese Auffassung. Vgl. insbes. J a r c k e (f 1862) Handb. des gem. deutschen Strafrechts 11827. B e k k e r Theorie des heutigen deutsch. Strafrechts I 1869. S t a h l (f 1861) Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht 1830—1837. Nach Stahl ist der Staat dazu von Gott gesetzt, um die äufsere ethische Ordnung auf Erden zu handhaben. Kraft dieser Vollmacht übt er die Strafgerechtigkeit, stellt er dem Verbrechen gegenüber die Herrlichkeit des Staates, auf dem der Abglanz der Gottheit ruht, wieder her durch die Niederwerfung desjenigen, der sich gegen die ethische Ordnung empörte. Pantheistische Färbung gewinnt dieser Gedanke, wenn das Wesen der Strafe gefunden wird in der Wiederherstellung der durch das Verbrechen in der Seele des Thäters wie im All gestörten H a r m o n i e . So P i a t o n (im Gorgias); so L e i b n i z (f 1716) in seinen Nouveaux essais de tbeodicee; so neuerdings K o h 1 e r (s. oben Litt, zu §. 4), der das Wesen der Strafe in der nicht nur den Verbrecher, sondern die ganze Menschheit läuternden Kraft des Schmerzes erblickt. 2. D i e gleiche Stellung mufs die Wissenschaft aber auch der s p e k u l a t i v e n P h i l o s o p h i e , und zwar gerade ihren 2»
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hervorragendsten und einflufsreichsten Vertretern gegenüber einnehmen. Denn weder H e g e l s absoluter Begriff, noch K a n t s kategorischer Imperativ, noch H e r b a r t s Idee der Gerechtigkeit gehören der Welt der Erfahrung mehr an. Nur auf diese allein aber bezieht sich jede Wissenschaft. 1. Mitten in das Reich metaphysischer Spekulation führt uns die H e g e i s c h e Betrachtung der Strafe. Nach H e g e l (f 1831) Grundlinien der Philosophie des Rechts 1821 (VIII. Band der Gans'schen Ausgabe §§. 82, 97) stammt die Strafe aus dem B e g r i f f e , als dem Absoluten. Alles, was ist, ist nur ein Moment in der dialektischen Entwicklung des Begriffs. Ursprünglich sind Denken und Sein, Begriff und Ding, instinktiv eins und ungeschieden; dann treten sie auseinander und werden durch die R e f l e x i o n einander entgegengesetzt, bis die S p e k u l a t i o n sie in der höheren bewufsten Einheit zuBammenfafst. So ist auch die Strafe d i e d i a l e k t i s c h e V e r w i r k l i c h u n g d e s R e c h t s b e g r i f f e s , die Vernichtung des Verbrechens durch die begriffliche Macht des Rechts. Das R e c h t ist das verwirklichte Reich der Vernunft, die äufsere Existenz des vernünftigen Wesens des Willens. Im V e r b r e c h e n lehnt sich der Einzelwille gegen den allgemeinen Willen auf, er steht darum im Widerspruche mit sich und ist daher an sich nichtig. E r ist Schein, und das Wesen dieses Scheins ist, dafs er sich selbst aufhebt. Aber in seiner äufseren Existenz bedarf er der Nichtigerklärung, der Konstatierung seines Scheins, und das geschieht durch die Strafe. Die S t r a f e ist die Offenbarung der Nichtigkeit des Verbrechens, die Konstatienrng seiner Scheinexistenz; die Strafe ist Negation der Negation des Rechts (als Negation des Verbrechens), mithin die Position, die Wiederherstellung des Rechts. — Die logischen Fehler dieser Schlufsfolgerung liegen klar zu Tage. Es ist nicht wahr, dafs das Verbrechen in sich nichtig ist; und es ist gänzlich unbewiesen und unbeweisbar, dafs die Feststellung des Schein-Daseins der Strafe gerade durch die Strafe zu erfolgen hat. — Hegels Theorie ist unglücklicherweise von bestimmendem Einflüsse gewesen auf manche der bedeutendsten Kriminalisten, insbes. auf A b e g g , K ö s t l i n , L u d e n , H ä l s c h n e r und B e r n e r : aber auch in v. B a r s Mifsbilligungstheorie (Grundlagen des StrafrechtB 1869, Handbuch 1311), H e i n z e s Leistungstheorie ( H H I 3 2 1 ) , K i t z s Reszissibilitätstheorie (das Prinzip der Strafe in seinem UrBprung aus der Sittlichkeit 1874) lassen sich die bestimmenden Einwirkungen Hegelscher Grundgedanken nachweisen, während von den modernen Rechtsphilosophen insbes. A. L a s s e n System der Rechtsphilosophie 1882 (Z I I 141, IV 318) durchaus auf Hegelschem Standpunkte steht. 2. Bei K a n t (f 1804) Kritik der praktischen Vernunft 1788, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre 1799, ruht die Strafe, während das Recht überhaupt auf den Vertrag zurückgeführt wird, auf den Grundlagen der Ethik. Sie ist ein P o s t u l a t d e r p r a k t i s c h e n V e r n u n f t ,
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ein kategorischer Imperativ; ihr Mafsprinzip (ganz wie bei 8. v. C o c c e j i ) die T a l i o n . Mit grofsartigem, fast leidenschaftlichem Pathos vertritt Kant die Idee der Vergeltung. „Das Strafgesetz ist ein kategorischer Imperativ, und wehe dem, welcher die Schlangenwiudungen der Glückseligkeitslehre durchkriecht, um etwas ausznfinden, was durch den Vorteil, den es verspricht, ihn von der Strafe entbinde. Denn wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Wert mehr, dafs Menschen auf Erden leben." — Das einzig richtige Strafmafs ist das „Prinzip der Gleichheit (im Stande des Züngleins an der Wage der Gerechtigkeit)", das Wiedervergeltungsrecht, „aber wohlverstanden vor den Schranken des Gerichts, nicht in deinem Privaturteile". — Aber die mit gewaltiger Uberzeugungskraft vorgetragene Lehre von der Alleinberechtigung der Talion führt in der praktischen Anwendung zu durchaus ungenügenden Ergebnissen: Beleidigungen will Kant bestrafen mit öffentlicher Abbitte, nach Umständen verbunden mit Handküssen; Thätlichkeiten mit einsamem und beschwerlichem Arrest; Diebstahl mit Strafknechtschaft; Notzucht und Knabenliebe mit Entmannung; Bestialität mit Ausstofsung aus der bürgerlichen Gesellschaft; Mord unbedingt mit dem Tode. Aber nicht nur das Ergebnis, der Ausgangspunkt selbst ist unhaltbar. Die Strafe gehört nicht der Sittlichkeit an, sondern dem Becht. Dieses aber ist auch nach Kant selbst kein kategorischer Imperativ. Und weiter: Die Erkenntniskritik kann nichts andres liefern als die Kritik der Erkenntnis. Die Grundfrage der Ethik aber ist nicht die nach dem sittlichen W e r t u r t e i l , sondern nach der v e r b i n d e n d e n K r a f t des Sittengesetzes. Ihre Lösung gehört mithin, gerade vom Kantschen Standpunkt, nicht mehr in das Gebiet der kritischen Philosophie. Der kategorische Imperativ ist eine Verleugnung der Kritik der reinen Vernunft. Auch Kants Nachfolger, zu welchen auch H e n k e Lehrbuch 1815 gehört, waren nicht glücklicher mit der Durchführung der Idee der Vergeltung. K. S. Z a c h a r i ä (f 1843) Anfangsgründe des philosophischen Kriminal-Rechts 1806 geht davon auB, dafs jedes Verbrechen ein Eingriff in die rechtliche F r e i h e i t s s p h ä r e eineB andern sei, jede Strafe daher in F r e i h e i t s e n t z i e h u n g bestehen müsse; wo nicht etwa, wie bei dem Verbrechen der Einsperrung, das Mafs der Vergeltungsstrafe unmittelbar gegeben sei (wer einen andern auf 8 Tage einsperrt, erhält 8 Tage Freiheitsstrafe), müsse daher die Wirkung des Verbrechens in Geld abgeschätzt und die erhaltene Geldsumme durch den Preis des Tagelohns dividiert werden; der Quotient ergebe die Dauer der zu verhängenden Strafe. 3. Ahnlich, wie Kant, aber nicht mit gleicher Entschiedenheit, führt H e r b a r t (+ 1841) Allgem. prakt. Philosophie 1808 die Strafe zurück auf die I d e e der ausgleichenden Gerechtigkeit, d e r V e r g e l t u n g . Die unvergoltene That mifsfällt; die Strafe wird gefordert als ästhetische Notwendigkeit. Aber da Vergeltung lediglich um der Vergeltung willen der Sphäre des Ubelwollens angehört, bedarf die Strafe noch eines
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Motive«, und dieses liefern die ethischen Ideen des Rechts and des Wohlwollens. Auch Herbarts Idee der Vergeltung, an sich übrigens niemals geeignet, die Zufügung eines neuen Übels zu rechtfertigen, entzieht sich der wissenschaftlichen Untersuchung auf dem Boden der Erfahrung. Hauptvertreter Herbarts in der strafrechtlichen Fachliteratur sind G e y e r (-J- 1886, yergl. insbes. G e y e r s Geschichte und System der Rechtsphilosophie 1863, seine Einleitung in v. Holtzendorffs Recht sencyklopädie 4. Aufl. 1882, Klein. Schriften 65) und W a h l b e r g (vergl. insbes. dessen Grundzüge der strafrechtlichen Zurechnungslehre 1857; auch Ges. klein. Schriften I 1). I I I . A l s eigenartige Gestaltung des Rechtszwanges findet die Strafe ihren R e c h t s g r u n d einerseits w i e d a s R e c h t in den unabweislichen Kulturbedürfnissen der Menschheit, anderseits in ihrer N o t w e n d i g k e i t für den Schutz der wichtigsten und empfindlichsten menschheitlichen Interessen. Gerecht ist die Strafe, weil und soweit sie notwendig ist. E s ist daher gänzlich überflüssig, nach einein b e s o n d e r n Rechtsgrunde der Strafe zu suchen, wie dies eine dritte, durchaus selbständige Gruppe von Strafrechtstheorieen gethan hat. Man rechnet zu diesen sogenannten R e c h t s t h e o r i e e n die folgenden: 1. Die N o t w e h r - oder V e r t e i d i g u n g s t h e o r i e , welche, einen richtigen Gedanken in unklare Form kleidend, Rechtsgrund wie Mafsstab der Strafe in einem Notrechte des Staates erblickt. Durch S e r v i n u. a. mit der naturrechtlichen Schule zusammenhängend, hat diese Ansicht besonders bei den italienischen Schriftstellern als teoria della tutela giuridica bedeutende und zahlreiche Anhänger ( R o s s i , C a r m i g n a n i , R o m a g n o s i , C a r r a r a , L u c c h i n i u.a.) gefunden. Auch einzelne Franzosen (so F r a n c k ) und wenige Deutsche huldigen ihr. Von den letzteren wären zu erwähnen S c h u l z e Leitfaden der Entwicklung der philosophischen Prinzipien des bürgerl. und peinl. Rechts 1813, und M a r t i n (f 1857) Lehrbuch des Krim. Rechts 1825. 2. Die Ableitung der Strafe aus dem W i l l e n d e s V e r b r e c h e r s verdient keine ernstliche Widerlegung. Nach Aristoteles (Etb. Nicom. I I 8 §. 1; X 9 §. 3, 8, 9) entspringt die Strafbefugnis des Staates aus der That des Verbrechers selbst. Jedes Verbrechen ist eine Art von Vertrag, ein Vertrag wider Willen; bald heimlich wie Diebstahl und Ehebruch, bald offen wie Raub und Mord. Dieser unfreiwillige Vertrag giebt dem Verletzten einen Anspruch auf Ausgleichung des Mifsverhältnisses durch Hinzufügung eines zweiten, aber umgekehrten Mifsverhältnisses, so dafs auf beiden Seiten Schaden und Gewinn sich aufwiegen. Diese Ansicht ist später von G r o t i u s aufgenommen, und in unsern Tagen von L a i s t n e r Das Recht in der Strafe 1872 in neuer Gestalt vertreten worden. Der
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Verbrecher dringt in eine fremde Willenssphäre ein; statt Herr in ihr su werden, fängt er sich in der Willensherrschaft des Verletzten. Diese* Verfangensein bildet das Wesen der Strafe („Mausefallen-Theorie"). 3. Von demselben Gedanken geht die spätere naturrechtliche Schule aus, wenn sie die Strafe in einem V e r t r a g e d e s S t a a t e s m i t d e m V e r b r e c h e r zu begründen versucht. R o u s s e a u und B e c c a r i a (und diesem folgend S c h o p e n h a u e r ) greifen bis auf den „Staatsvertrag" selbst zurück, um die Wurzel der Strafe zu finden. Nach F i c h t e wird durch den „ B ü r g e r v e r t r a g " in seinen beiden Bestandteilen („Eigentumsvertrag" und „Schutzvertrag") die Grenze für den Gebrauch der individuellen Freiheit bestimmt und gegenseitiger Schutz der Rechte zugesichert. Wer den Bürgervertrng bricht, verliert die durch diesen ihm zugesicherten Rechte und müfste aus der Rechtsgemeinschaft ausgeschlossen werden, hätte er nicht in dem zu dem Bürgervertrage hinzutretenden „ A b b ü f s u n g s v e r t r a g " das Recht erlangt, durch Abbüfsung einer Strafe sich des Lebens in der Gesellschaft wieder würdig zu machen. Nur die Unverbesserlichen (und hierher gehören alle Mörder ohne weiteres) werden dauernd aus der Gesellschaft ausgestofsen. Von den neueren Schriftstellern stehen H e i n z e und v. B a r wenigstens zum Teil noch unter dem Einflüsse Fichtes, während der Vertragsgedanke selbst allgemein und ausnahmslos aufgegeben ist.
IV. Die überwiegende Mehrzahl der heutigen Schriftsteller huldigt einer der vielen g e m i s c h t e n oder V e r e i n i g u n g s t h e o r i e e n . Diese gehen alle aus von der v e r g e l t e n d e n G e r e c h t i g k e i t , gestatten aber, nachdem dieser hergebrachten Forderung Genüge geleistet ist, den R ü c k s i c h t e n der Z w e c k m ä s s i g k e i t einen mehr oder minder grofsen Spielraum. Eine Aufzählung der untereinander sehr weit abweichenden Ansichten ist an dieser Stelle überflüssig. Es genügt, auf einige der wichtigsten Schriftsteller zu verweisen. Man vergleiche: A b e g g (f 1868) Die verschiedenen Strafrechtstheorieen in ihrem Verhältnisse zn einander 1835 (Anwendung der dialektischen Methode Hegels auf die geschichtliche Entwicklung der Strafe). — G r o l m a n n (f 1829) Grundsätze der Kriminalrechtswissenschaft 1798. Über die Begründung des Strafrechts und der Strafgesetzgebung 1799. H e n k e (f 1869) Über den Streit der Strafrechtstheorieen 1811. Lehrbuch 1816. Handbuch 1823ff. T r e n d e l e n b u r g (f 1872) Naturrecht auf dem Grunde der Ethik 2. Aufl. 1868 (alle drei finden die Wurzel des Unrechts in der Gesinnung des Thäters, in seiner Besserung mithin die Tilgung der Schuld). — Ferner H e f f t e r (+ 1880) Lehrbuch §. 109. M e r k e l Kriminalistische Abhandlungen 1867. Lehrbuch 1889. Insbes. aber die oben S. 15 angef. Schrift. B e r n e r Lehrbuch. G e y e r in den oben S. 22 angef. Schriften. —
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v. M e y e r Lehrbuch S. 19, 26, GS XXXIII101, 161 (gegen ihn v. L i s z t Z I 604, H I 29; M e r k e l Z I 557; L ö n i n g Z III 373; G e y e r Krit. VJSchr. N. F. V 440). — H ä l s c h n e r Gem. deutsches Strafrecht I 558. v. B a r Handbuch I 311 (dazu v. L i s z t III 23). — S o n t a g Z I 495 (dazu M i t t e l s t a d t Z U 423, v. L i s z t Z i l l 27). — B i n d i n g Grünhuts Zeitschrift IV 417, Grundrifs 62 (dazu v. L i s z t Z i l l 45; G e y e r Grundrifs 15; v. B a r Handbuch I 308;.
Die Auseinandersetzung mit dieser grolsen Gruppe von Schriftstellern ist um so schwieriger, da sie, in dem Bestreben widerstrebende Gegensätze zu versöhnen, naturgemäfs die begriffliche Klarheit vielfach schwer vermissen lassen. 1. Zunächst leuchtet ein, dafs der von der spekulativen Philosophie entlehnten „Idee der vergeltenden Gerechtigkeit" dieselben Bedenken entgegenstehen, welche den Anhängern der rein absoluten Tlieorieen gegenüber geltend gemacht werden müssen. Die Bedenken werden in ihrer praktischen Tragweite, nicht aber in ihrer wissenschaftlichen Bedeutung berührt dadurch, dafs es heute niemand mehr wagt, den Begriff der Vergeltung ernst zu nehmen, ihn mit Wiedervergeltung gleichzusetzen und allen Ernstes den Grundsatz der Talion fiir unser heutiges Strafrecht zu fordern. 2. Nehmen wir den Ausdruck ..vergeltende Gerechtigkeit'' in dem heute gebräuchlichen Sinne, so bedeutet er ein gewisses (allerdings von keiner Seite näher bestimmtes) G l e i c h m a f s zwischen Verbrechen und Strafe. Der Schwere des Verbrechens soll die Schwere der Strafe entsprechen. Es fragt sich, ob diese Forderung der Gerechtigkeit mit der in § 3. verteidigten Ansicht verträglich ist. So viel sollte nun klar sein, dafs G e r e c h t i g k e i t der Strafe einerseits und ihre N o t w e n d i g k e i t zur Erreichung des Schutzzweckes keine logischen Gegensätze sind. Der Schulstreit zwischen dem punitur quia peccatum est und dem punitur ne peccetur hat genau denselben wissenschaftlichen und praktischen Wert, als wenn die Arzte sich darüber streiten wollten, ob sie heilten, damit der Kranke gesund werde oder aber weil er krank sei. W e i l 1 ) verbrochen worden ist, strafen wir, da') Aul den wiederholt mir gemachten Einwurf, meine Ansicht führe zu der Folgerung, dafs man beim Vorliegen verbrecherischer Gesinnung strafen müsse, noch ehe diese in der Begehung eines Verbrechens sich
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mit nicht wieder verbrochen werde. Weshalb soll die G e r e c h t i g k e i t nicht fordern, dafs wir gerade so viel Strafe verhängen, als notwendig ist, um unsre Zwecke zu erreichen? Wäre es unlogisch zu sagen: Unser S t r a f z w e c k , also der Schutz der Lebensbedingungen unserer heutigen Gesellschaft fordert von uns, dafs wir dem Verbrecher vergelten, was er gethan? 3. Eine Versöhnung der Gegensätze scheint mir in der That auf folgender Grundlage möglich.2) Die V e r g e l t u n g fordert, dafs jeder leide gemäfs seiner That, dafs das Mafs der Strafe der Schwere des Verbrechens entspreche. Es handelt sich also zunächst darum, sich über den Mafsstab zu verständigen, nach welchem die Schwere des Verbrechens bestimmt wird. Das geltende Recht und ihm folgend die herrschende kriminalistische Ansicht sucht die Schwere des Verbrechens zunächst "zu bestimmen nach dem W e r t e , den das durch das V e r b r e c h e n a n g e g r i f f e n e R e c h t s g u t für die R e c h t s ordnung hat. Wir strafen die Tötung schwerer als die Sachbeschädigung, den Hochverrat schwerer als die Majestätsbeleidigung. Aber ganz abgesehen davon, dafs eine folgerechte Durchfuhrung dieses Mafsstabes, nach welchem z. B . die gegen den Staat gerichteten Verbrechen stets schwerer bestraft werden müfsten, als die gegen einzelne Staatsbürger gerichteten, gar nicht möglich ist, zeigt auch ein oberflächlicher Blick auf unsere Strafgesetzgebung, dafs jener erste Mafsstab vielfach von einem zweiten durchkreuzt, dafs die Schwere des Verbethätigt habe, fällt die Antwort in der That nicht schwer. Die Verhängung einer Strafe ist eine so tief in die Freiheit des einzelnen einschneidende, das Wohl der Gesamtheit so unmittelbar berührende Mafsregel, dafs niemals die Gesinnung, d. h. der Verdacht, sondern stets nur die That, d. h. die Wirklichkeit eine ausreichend gerechtfertigte Grundlage für die strafende Thätigkeit des Staates gewähren kann. J ) Es kommt mir durcnaus nicht darauf an, neben die ungezählten Vereinigungstheorieen eine neue zu stellen. Wohl aber will icn zeigen, dafs die Verschiedenheit des Ausgangspunktes kein Hindernis bildet für gemeinsame Arbeit, an der Umgestaltung unsrer Gesetzgebung. Wer den Wunsch nicht teilt, dafs die beste Kraft unsrer Wissenschaft sich würdigeren Aufgaben zuwenden möge, als der Fortsetzung des unfruchtbaren Schulgezänkes, der möge die nachstehende Ausführung getrost als ungeschrieben betrachten. In dem Gefüge meiner wissenschaftlichen Gesamtanschauung bildet sie kein wesentliches Glied.
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§. 4. Auseinandersetzung mit den Gegnern.
brechens, und damit die Schwere der Strafe vielfach bemessen wird nach der T i e f e d e r r e c h t l i c h e n V e r s c h u l d u n g . Der Diebstahl im Rückfall kann auch nach unserm S t G B , wesentlich schwerer bestraft werden als der Totschlag unter mildernden Umständen. Unsere Forderung geht richtig verstanden dahin. die Schwere der Strafe in e r s t e r L i n i e n a c h d e r T i e f e d e r r e c h t l i c h e n V e r s c h u l d u n g , in z w e i t e r L i n i e e r s t n a c h dem " W e r t e d e s a n g e g r i f f e n e n R e c h t s g u t e s zu bemessen. D a s ist an sich keine Ablehnung, sondern eine tiefere Fassung des Vergeltungsgedankens. Innerhalb der rechtlichen Verschuldung aber ergiebt sich ein grundlegender Unterschied. Die Auflehnung des Einzelwillens gegen die Rechtsordnung kann entweder eine grundsätzliche zuständliche. der angebornen oder erworbenen Eigenart des Thäters entsprechende, oder aber eine ausnahmsweise, gelegentliche, episodische sein: g e w o h n h e i t s m ä f s i g e r K a m p f g e g e n d i e R e c h t s o r d n u n g und g e l e g e n t l i c h e A b i r r u n g von i h r s i n d d i e b e i d e n d u r c h g r e i f e n d e n G e g e n s ä t z e i n n e r h a l b d e r s u b j e k t i v e n V e r s c h u l d u n g ; ihnen mufs, nach den Forderungen der Gerechtigkeit, das Mafs der S t r a f e entsprechen; denn sie bestimmen die Schwere des V e r b r e c h e n s . Das ist aber genau dasselbe Ergebnis, zu dem uns oben der Z w e c k g e d a n k e geführt hat. In der V e r t i e f u n g des S c h u l d b e g r i f f e s liegt die Versöhnung des Gegensatzes. Der kategorische Imperativ der Vergeltung deckt sich mit den Nützlichkeitsriicksichten der Politik.
§• 6. Allgemein-geschichtliche Einleitung.
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II. Die Geschichte des Strafrechts. L i t t e r a t o r . Eine zusammenfassende Oeschichte des Strafrechts fehlt. Am besten immer noch G e i b Lehrb. I ; dazu v. B a r Handbuch I. Viel "Wertvolles bietet G ü n t h e r Die Idee der Wiedervergeltung in der Geschichte und Philosophie des Strafrechts I 1889. — Wichtig die Berichte von L ö n i n g Z I I 134, I I I 471, V 187, 534, YII 660. §. 5.
Allgemein-geschichtliche Einleitung.
L i t t e r a t o r . v. L i s z t Z I I I 1 Ml 199. — M e r k e l und L ö n i n g in den zu (j. 4 angeführten Schriften. — G l a s e r Zurechnungsfähigkeit 1887 (Z V I I I 612). — P o s t Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend ethnologischer Basis 1880, 1881 (Z I I 147). D e r s e l b e Die Grundlagen des Rechts und die Grundzüge seiner Entwicklungsgeschichte. Leitfaden für den Aufbau einer allg. Rechtswissenschaft auf soziologischer Basis 1884 (Z V 261). D e r s e l b e Einleitung in das Studium der ethnologischen Jurisprudenz 1886 iZ V I 392). D e r s e l b e Afrikanische Jurisprudenz 1887. — Zahlreiche Abhandlgn. von K o h l er, B e r n h ö f t u. a. in der Zeitschr. für vergleichende Rechtswissenschaft.— B e r n h ö f t Staat und Recht der römischen Königszeit im Verhältnis zu verwandten Rechten 1882 (Z II 620). — L e i s t Gräko-italische Rechts(zeschichte 1884 (Z V 553). D e r s e l b e Alt-arisches Jus gentium 1889.— K o h l e r Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz 1884 (Z V 187). D e r s e l b e Das islamitische Strafrecht GS X L I 257. — B ü c h e l e r und Z i t e l m a n n Das Recht von Gortyn 1885 (Z V 747). — M i k l o s i c h Die Blutrache bei den Slaven 1887. — W e s n i t s c h Die Blutrache bei den Südslaven. Zeitschr. für vergleichende Rechtswissenschaft VIII. und IX. Band. I. D i e Entwicklungsgeschichte der Strafe in den Rechten der verschiedensten Völker zeigt gemeinsame Grundzüge. D i e r e c h t s v e r g l e i c h e n d e B e t r a c h t u n g wird daher nicht nur Lücken und Dunkelheiten in der Rechtsgeschichte eines einzelnen Volkes ausfüllen und aufhellen; sondern, indem sie uns die Bahn weist, welche die Entwicklung der Strafe allezeit und überall genommen hat, wird sie uns auch die Richtung zu künden vermögen, in welcher für die Zukunft eine lebenskräftige Ilmgestaltung der Strafgesetzgebung erhofft werden kann ; sie wird die ratende Führerin sein können für eine zielbewufste, aber zugleich vorsichtig an das Gegebene anknüpfende Kriminalpolitik. I I . D i e Rechtsvergleichung lehrt uns, dafs der Anfangspunkt der Geschichte der Strafe zusammenfallt mit dem Anfangspunkte der Geschichte der Menschheit. I n jedem, auch dem entferntesten, geschichtlicher Forschung noch zugänglichen
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§• 5- Allgemein-geschichtliche Einleitung.
Z e i t r a u m , bei jedem, auch dem rohesten V o l k s s t a m m finden wir die Strafe, als ein quod infligitur propter malum actionis, als den Willens- und Machtkreis des einzelnen, er die W i l l e n s - und Machtkreise der Andern sind daher berechtigt, die Strafe als eine geschichtliche Thatsache zu bezeichnen. 1 )
oder entartetsten malum passionis einen Eingriff in welcher und weil gestört hat. Wir ursprüngliche
D i e der Staatengründung vorangehende Gliederung in G e s c h l e c h t s v e r b ä n d e (Blutsgemeinschaften) zeigt uns zwei gleich ursprüngliche A r t e n der S t r a f e : 1. die Bestrafung des G e s c h l e c h t s g e n o s s e n , der innerhalb des V e r b a n d e s gegen diesen oder gegen dessen Mitglieder sich versündigt h a t ; 2. die B e s t r a f u n g des G e s c h l e c h t s f r e n i d e n , der von aulsen her in den Macht- und Willenskreis des Verbandes oder einzelner Glieder desselben eingegriffen hat. I m ersten F a l l erscheint die S t r a f e als A u s s t o f s u n g a u s d e r F r i e d e n s g e n o s s e n s c h a f t in ihren verschiedenen F o r m e n : als Friedloslegung, als Tötung, vielleicht als Hinopferung an die G ö t t e r , unter deren Schutz die Friedensordnung gestellt ist. I m zweiten F a l l e erscheint sie als Bekämpfung des Fremden und seines ganzen Geschlechts, als B l u t r a c h e , geübt von Geschlecht zu Geschlecht, bis zum Unterliegen eines der beiden Teile geführt oder mit beiderseitiger Erschöpfung endigend. I n dem einen wie in dem andern F a l l e a b e r ist die Strafe, von den ersten Stufen ihrer Entwicklung an. die. wenn auch nicht klar bewufste und nicht klar gewollte, so doch thatsächlich geübte Reaktion der Hechts- und Friedensordnungen gegen Verletzung ihrer Interessen; sie ist s o z i a l e R e a k t i o n g e g e n antisoziale Handlungen oder, um mit M e r k e l zu sprechen, s o z i a l e Machtäufserung im Dienste s o z i a l e r Selbstbehauptung. in
D i e weitverbreitete A n s i c h t , welche die W u r z e l der Strafe dem als R a c h e t r i e b sich äul'sernden Selbster-
') Man geht nicht zu weit, wenn man mit W a l l a s c h e k Studien zur Rechtsphilosopie 1889 S. 182 behauptet, dafs a l l e s Recht ursprünglich S t r a f r e c h t ist, dafs an der Strafe sich der Begriff des Rechts entwickelt. „Das Unrecht ist der Hebel für Recht und Sittlichkeit", v. L i s z t Z I I I 16 Note 3.
§. 5.
Allgemein-geschichtliche Einleitung.
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h a l t u n g s t r i e b d e s E i n z e l m e n s c h e n erblickt, bedarf mithin der Berichtigung. Ausstofsung aus dem Friedensverbande wie Blutrache sind nicht Reaktion des Einzelmenschen, sondern R e a k t i o n d e s G e s c h l e c h t s v e r b a n d e s als der Rechts- und Friedensordnung. Und die Handlungen, gegen welche die Reaktion sich wendet, erscheinen stets, sei es unmittelbar, sei es mittelbar, als Verletzung g e m e i n s a m e r I n t e r e s s e n d e s G e s c h l e c h t s v e r b a n d e s , als Friedensstörung, als Rechtsbruch. 2 ) I I I . Die weitere Entwicklung der Strafe zeigt uns die M ä f s i g u n g der ursprünglich mafs- und ziellosen, triebartig ungestümen Reaktion. Die Ausstofsung aus der Friedensgenossenschaft schwächt sich ab zur Todesstrafe und zu verstümmelnder Leibesstrafe, zu dauernder oder zeitweiliger Verbannung und zu Vermögensstrafen aller Art; dem Friedensstörer und seinen Angehörigen wird trotz des Rechtsbruches gegen eine mehr oder minder bedeutende Leistung an die Gemeinschaft der Rechtsfriede gewahrt. Die zwischen den Geschlechtsverbänden entbrannte Blutrache wird beigelegt; die Versöhnung auf Grund eines dem verletzten Geschlechte zu entrichtenden Sühnegeldes erst vermittelt, dann erzwungen. Die Rückfälle bleiben nicht aus. Aber die Entwicklung erhält eine mächtige Förderung durch die erstarkende, über den Geschlechtsverbänden sich erhebende S t a a t s g e w a l t , welche die Handhabung der Strafe dem Verletzten entwindet, um sie unbefangenen, ruhig prüfenden Richtern zu übertragen. Die Höhe der Strafe wird flir die verschiedenen Rechtsbrüche verschieden bestimmt, das zu leistende Sühnegeld unter den Rechts*) Ich glaube, dieBe Behauptung als eine wissenschaftlich feststehende Thatsache bezeichnen zu dürfen. Fraglich dagegen ist die Erklärung dieser Thatsache. Die Handhabung der Strafe Kann stets nur Handlung eines e i n z e l n e n oder mehrerer e i n z e l n e r sein. Wie kommt es, dafs diese triebartige Handlung des einzelnen, ohne dafs er es weifs und will, g e m e i n s a m e Interessen wahrt, s o z i a l e n Charakter trägt? Ich finde die Erklärung in der Hypothese, dafs d e r i n d i v i d u e l l e T r i e b hier wie sonst (man denke an die Fortpflanzung) i m u n b e w u f s t e n D i e n s t e d e r A r t e r h a l t u n g s t e h t . Ähnlich G a r e i s Encyklopädie 2, 37; B ü n g e r Z V I I I , 633, 582. Vgl. auch v a n H a m e l Inleiding I 35; H a m a k e r Het recht en de maatschappij 1888. Doch würde die Unrichtigkeit dieser Erklärung an der Wahrheit jener Behauptung nichts ändern.
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§. 6. Das Strafrecht der Römer.
genossen ein für allemal vereinbart und nach der Schwere der Rechtsverletzung abgestuft; der kirchlich religiöse Gedanke der Talion giebt dem Rachetrieb Mals und Ziel. So gestaltet sich die an sich uneingeschränkte Strafg e w a l t des Staates zum staatlichen S t r a f r e c h t (ob. § 1 Note 1). D a s S t r a f g e s e t z bestimmt nicht nur Inhalt und Umfang d e S t r a f e , sondern auch die Voraussetzungen ihres Eintritts, indem es den Begriff des V e r b r e c h e n s umgrenzt; die Willkür wird ausgeschlossen, der Einzelfall unter feste, bindende Regel gestellt. I V . Aber noch ein Schritt ist zu machen. D e r Z w e c k g e d a n k e , die das Recht erzeugende K r a f t , wird auch in der Strafe erkannt; und mit dieser Erkenntnis ist die Möglichkeit gegeben, die vielverzweigten Wirkungen der Strafdrohung und des Strafvollzuges dem Schutze menschlicher Lebensinteressen dienstbar zu machen. Wenn auch die Erinnerung an die Vergangenheit der Strafe nicht völlig schwinden will, wenn auch heute noch der Rachetrieb in den Vergeltungstheorieen der Lehrbücher ein bescheiden-ruhiges Dasein führt, so vollzieht sich doch unaufhaltsam in der Geschichte der Strafe die aus der Entwicklung des Einzelmenschen uns bekannte Umgestaltung: die unbewul'st zweckmäfsige, ungezügelte T r i e b h a n d l u n g verwandelt sich in die durch die Zweckvorstellung bestimmte und gemäfsigte AVillenshandlung. Eine ruhige und zielbewufste Kriminalpolitik ist die unabweisbare Forderung, die sich uns aus der Entwicklungsgeschichte der Strafe ergiebt.
§. 6.
Das Strafrecht der Römer.
Litteratnr. Fiatner Quaestiones de jure criminum romano 1842. R e i n Das Kriminalrecht der Römer 1844. Zumpt Das Kriminalrecht der römischen Republik 18658'. Mommsen Staatsrecht 2. Aufl. 1876f. P e r n i c e M. Antistius Labeo II. Bd. 1878. v. I h e r i n g Geist des röm. Rechts. V o i g t Die 12 Tafeln 2 Bde. 1883 (Z V 197). L e i s t Gräkoitalische Rechtsgeschichte 1884 (Z V 553). B e r n h ö f t Staat und Recht der römischen Königszeit 1882 (Z I I 620). B r u n n e n m e i s t e r Das Tötungsverbrechen im altrömischen Recht 1887 und dazu L ö n i n g Z V I I 657 und 696. S c h n e i d e r Der Prozefs des C. Rabirius betr. verfassungswidrige Gewaltthat 1889. Die Lehrbücher der römischen Rechtsgeschichte.
§. 6. DM Strafrecht der Römer. I. Z e i t a b s c h n i t t .
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B i s zum B e g i n n d e s 7. J a h r h u n d e r t s der Stadt.
Die bezeichnendste Eigentümlichkeit des ältesten römischen Strafrechts, zur Zeit der angeblichen Königsgesetze, liegt in der — den übrigen indogermanischen Rechten auf den Anfangsstufen ihrer Entwicklung fremden — Entschiedenheit, mit welcher das Verbrechen als Eingriff in die s t a a t l i c h gesetzte und gehütete Rechtsordnung, die Strafe als s t a a t l i c h e Reaktion gegen das Verbrechen betrachtet wird. Zwar fehlt es nicht an zahlreichen und wichtigen Spuren einer s a k r a l e n Auffassung des Strafrechts, die uns in expiatio und execratio capitis mit consecratio bonorum, als Wiederversöhnung der Gottheit mit dem reuigen Sünder und als Ausstofsung des Frevlers aus der religiösen Gemeinschaft entgegentritt. So bei Mifshandlung der Eltern durch die Kinder, bei fraus im Verhältnisse zwischen Patron und Klienten, bei Verletzung des Grenzsteins, bei Unterlassung des Kaiserschnittes, bei Tötung des Ackerrindes, später noch bei Verletzung der leges sacratae und der sakrosankten Personen. Auch das Sühnopfer bei unabsichtlicher Tötung trägt sakralen Charakter. Aber unaufhaltsam vollzieht sich die Scheidung von jus und fas, und mit ihr der Sieg der staatlichen Strafe. Auch die p r i v a t r e c h t l i c h e (geschlechtsgenossenschaftliche) Auffassung von Verbrechen und Strafe kommt nur auf beschränktem Gebiete zur Geltung; aber um so zäher wird sie festgehalten und weiter entwickelt bis in die letzten Jahrhunderte des römischen Strafrechts. Sie äufsert sich in dem T ö t u n g s r e c h t e des Verletzten gegenüber dem auf frischer That ergriffenen Ehebrecher und dem nächtlichen Diebe; sie äufsert sich weiter in dem vereinzelt vorkommenden S ü h n e v e r t r a g (si membrum rupit, ni cum eo pacit, talio esto. Festue); sie äufsert sich endlich in den festbemessenen BufsBätzen bei os fractum aut collisum und andern Injurien (an deren Stelle Bpäter die ästimatorische actio injuriarum trat) und insbesondere bei den zahlreichen P r i v a t d e l i k t e n in der zivilrechtlichen Pönalklage auf das zwei-, drei-, vierfache des Schadens, die wohl überall an die Stelle des aufsergerichtlichen Sühnevertrages getreten ist (rton rj, poena gleich Sühnegeld).') Um zwei Verbrechensbegriffe reihen sich die gegen Rechtsgüter der Gesamtheit und des Einzelnen gerichteten Verbrechen: p e r du e i l io und p a r i c i d i u m . Perduellio, der arge, schlechte Krieg, der Krieg gegen das eigne Vaterland, modern ') poena hängt durch die indogermanische Wurzel tschi (suchen, scheuen, rächen) mit dem griechischen riou Bufse, Strafe, zusammen. Vgl. dazu L e i s t 298 Note 1, G ü n t h e r 6.
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§. 6. Das Strafrecht der Römer.
gesprochen: der Landesverrat, ist der Ausgangspunkt für die Entwicklung der politischen Verbrechen. An das paricidium, die arge, schlechte Tötung, die Tötung des Mitbürgers (angebl. Gesetz von 2suma bei Festus: si quis hominexn liberum dolo sciens inorti duit, paricida esto) schliefst sich die grofse Gruppe der gemeinen Verbrechen. Gerade darin, dafs die Tötung als Verletzung der öffentlichen Rechtsordnung angesehen, ihre Bestrafung nicht der Privatwillkür der Angehörigen des Verletzten anheimgestellt wird, liegt der auffallendste Unterschied zwischen römischer und germanischer Rechtsanschauung. Aber auch auiser perduellio und paricidium finden wir mit öffentlicher Strafe bedroht: Brandstiftung, falsches Zeugnis, Bestechung des Richters, das Schmähgedicht (occentare et carinen condere, quod infamiam faceret flagitiumve alteri), das furtum manifestum, nächtliche Versammlungen und Zauberei (alienos fructus excantare; alienam segetem pellicere). Wie in Zahl und Bedeutung der hierher gehörigen Verbrechen tritt die staatliche Auffassung des Strafrechts auch hervor einerseits in der Härte der auf das Verbrechen gesetzten S t r a f e n (die Todesstrafe herrscht vor), anderseits in der Gestaltung des S t r a f v e r f a h r e n s , das noch nicht wie in späterer Zeit die Eigenart des Privatklageprozesses an sich trägt. Mit den X I I Tafeln scheint die ernste Entschiedenheit der Strafgesetzgebung erschöpft zu sein. Die alten Strafbestimmungen werden nicht vermehrt; ja sie geraten teilweise, wie die Tötung des falschen Zeugen, in Vergessenheit. Auch von den Privatvergehen erfährt nur die Sachbeschädigung in der lex Aquilia eingehende und bedeutsame Regelung. Der Zug der Zeit, gerichtet auf Beschränkung der magistratischen Rechtsprechung, ist der Förderung des Strafrechts nicht günstig. Hausväterliclie Strafgewalt und zensorische Rüge müssen für Aufrechthaltung von Zucht und Sitte Sorge tragen. Todesstrafe und schwere Leibesstrafe werden beschränkt und beseitigt: die Verbannung wird als aquae et ignis interdictio, verbunden mit dem Verluste der bürgerlichen Rechte, zur regelmälsigen Folge des Verbrechens. Die Strafrechtspflege hat hochpolitische Färbung gewonnen.
§. 6. DM Slrafrecht der Römer. II. Z e i t a b s c h n i t t .
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D i e Zeit des Q u ä s t i o n e n - P r o z e s s e s
b i s i n s 3. J a h r h u n d e r t n a c h C h r i s t u s . Aber gerade in diesem hochpolitischen Charakter sollte das römische Strafrecht den Quell seiner Wiedergeburt finden. Um das Jahr 606 a. u. war eine zunächst unscheinbare, aber folgenschwere Neuerung ins Leben getreten. Über die zivilrechtlichen Klagen der Proyinzialen gegen die Statthalter auf Bückerstattung der Bepetunden hatte bisher das senatorische Rekuperatorengericht geurteilt. Jetzt wurde, im Zusammenhange mit der lex Calpurnia de repetundis, ein ständiger Ausschufs des Senates unter dem Vorsitze eines Prätors, die erste sogenannte quaestio perpetua, zur Aburteilung dieser Fälle niedergesetzt.') Noch war der Quästionenprozefs Zivilprozefs geblieben, wie der Rekupatorenprozefs, aus dem er hervorgegangen war. Bald aber erkannten die Führer der Volkspartei die Bedeutung dieser Einrichtung als einer Waffe im Kampfe gegen den herrschenden Stand. Die lex Sempronia von 632 übertrug den Bittern das Bichteramt im Quästionenprozesse und das Becht, nicht blofs auf Rückerstattung des Erprefsten, sondern auch auf Strafe, und zwar mit Einschlufs der Verbannung, zu erkennen. D a m i t w a r d e r Q u ä s t i - o n e n p r o z e f s zum S t r a f v e r f a h r e n g e w o r d e n . Zahlreiche Gesetze beschäftigen sich in den folgenden Jahrzehnten mit ihm, das Verfahren regelnd, seine Zuständigkeit auf andere Verbrechen ausdehnend. Immer aber sind es nur V e r b r e c h e n des h e r r s c h e n d e n s e n a t o r i s c h e n S t a n d e s , also Delikte von hervorragend politischer Bedeutung, welche den tiegenstand des neuen Verfahrens ausmachen; die gemeinen Verbrechen bleiben ihm nach wie vor entzogen. D a tritt 672—674 die S u l l a n i s c h e R e f o r m d e r S t r a f g e s e t z g e b u n g ein. Der Quästionenprozefs, bisher von der Parteileidenschaft als Parteiwaffe benutzt, wird die Grundlage für die Neubegründung des römischen Strafrechts. Sulla vermehrt in den l e g e s C o r n e l i a e (de sicariis, testamentarianummaria. de majestate u. a.) die Zahl der bestehenden Quästionen, überträgt die Gerichtsbarkeit in denselben wieder den Senatoren, und ü b e r w e i s t d e m Q u ä s t i o n e n p r o z e s s e a u c h d i e g e m e i n e n V e r b r e c h e n , deren Thatbestand eingehend bestimmt wird. Die leges J u l i a e von Cäsar und August a ) Diese Ableitung des Quästionenprozesses aus der Zivilgeriohtsbarkeit des S e n a t e s ist durch Z u m p t , M o m m s e n , M a d v i g u. a., wie mir scheint, fast bis zur Sicherheit nachgewiesen worden. Doch will die ältere Ansicht (Ableitung aus der S t r afgerichtsbarkeit der V o l k s v e r s a m m l u n g ) noch immer nicht aus den strafrechtlichen und strafprozessualischen Lehrbüchern verschwinden. v o n LiBzt, Strafrecht. 4. Aufl. 3
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§. 6.
DM Strafrecht der Römer.
bringen diese Entwicklung, durch welche eine der beiden Grundlagen des späteren gemein-deutschen Strafrechts geschaffen wurde, zum vorläufigen Abschlüsse. Dadurch ist neben die — gerade in diesem Zeitabsclinitt durch das prätorische Edikt wesentlich weiter entwickelten — P r i v a t d e l i k t e , welche der Verletzte vor den Zivilgerichten mit einer auf Geldbufse gerichteten zivilen Pünalklage zu verfolgen hatte, eine neue Gruppe von Verbrechen getreten: die c r i m i n a p u b l i c a (legitima, ordinaria). Sie beruhen auf einzelnen leges, welche für jedes Delikt den Thatbestand und die poena legitima (meist Interdiktion) festsetzen, das Verfahren regeln und die Aburteilung einer bestehenden oder neu zu errichtenden quaestio zuweisen. Die Anklage steht jedem aus dem Volke zu. Dolus ist erforderlich. Versuch und Teilnahme werden (regelmäfsig) bestraft und zwar so wie Vollendung und Thäterscliaft. Die Richter haben mit schuldig oder nichtschuldig zu antworten; unterscheidende Beurteilung des Einzelfalles ist unmöglich. Es gehören in diese Gruppe folgende Verbrechen: die A m t s d e l i k t e , welche j a den Anstofs zu der ganzen Entwicklung gegeben hatten, also die Erpressung (crimen repetundarum), die Amtserschleichung (ambitus und crimen Bodaliciorumi, Diebstahl und Unterschlagung im Amte (crimen peculatus et de residuis); H o c h v e r r a t (crimen majestatis, allmählich an Stelle der alten perduellio tretend); S t ö r u n g des ö f f e n t l i c h e n F r i e d e n s durch Gewaltthat (vis publica et privata mit vorwiegend politischer Färbung); M e n s c h e n r a u b (plagium) und F ä l s c h u n g (falsum); v o r s ä t z l i c h e T ö t u n g (crimen sicariorum et veneficorum; parricidium als Verwandtenmord); K ö r p e r v e r l e t z u n g und H a u s f r i e d e n s b r u c h (injuriae atroces: pulsare, verberare, domum vi introire); endlich die durch die lex Julia de adulteriis 736 a. u. zuerst der staatlichen Strafgewalt unterworfenen Fleischesverbrechen, Ehebruch, Unzucht, Kuppelei und blutschänderische Ehe (adulterium, ituprum, lenocinium, incestus).
Eine selbständige Mittelgruppe bilden die a c t i o n e s popul ä r e s (Interdikte, prätorische und ädilizische Strafklagen, Klagen aus Kolonial- und Munizipalverhältnissen), deren Erhebung jedem aus dem Volke zusteht, aber nur zur Verhängung einer meist an den Ankläger fallenden Geldbufse führt.
§. 6.
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Das Strafrecht der Kömer.
III. Z e i t a b s c h n i t t . Die K a i s e r z e i t . Der Untergang des alten ordo judiciorum publicorum seit dem Anfange des 3. Jahrhunderts nach Christus (wahrscheinlich nach 204 *)) läfst zunächst das materielle Strafrecht unberührt. Insbesondere bleibt der Gegensatz der crimina publica und delicta privata bestehen. Freilich bringen es die Zeitverhältnisse mit sich, dafs gerade jene Verbrechensbegriffe, an welche die Neubegründung des römischen Strafrechts anknüpft, die A m t s d e l i k t e der Republik, aus den Aufzeichnungen der Rechtspflege verschwinden; während andre, wie das crimen majestatis, eine wesentliche inhaltliche Umgestaltung erleiden. Aber im grofsen und ganzen bleiben die leges Corneliae und leges Juliae die feste Grundlage, auf welcher die klassische römische Rechtswissenschaft, ergänzend und ulligestaltend, weiter baut. Erst allmählich, treten die Folgen der Erstarkung der einheitlichen Staatsgewalt auch auf dem Gebiete des Strafreclits zu Tage. Wie die Verfolgung von Amtswegen in immer weiterem Umfange und mit immer bewufster auftretender Richtung sich Bahn bricht, 4 ) so werden dem privatrechtlichen Delikte immer weitere Gebiete zu Gunsten der peinlichen Strafe abgerungen. Es entsteht die neue, ausgedehnte und für die ganze spätere Entwicklung des Strafrechts hochwichtige Gruppe der c r i m i n a e x t r a o r d i n a r i a , eine Mittelstufe zwischen crimen publicum und delictuni privatum, aber jenem näher stehend als diesem. Nicht einem Volksschlusse, sondern Kaiserverordnungen und Senatsbeschlüssen oder juristischer Auslegungskunst verdanken sie ihre E n t s t e h u n g ; nicht die unabänderliche poena ordinaria, sondern eine nach richterlichem E r m e s s e n der eigenartigen Bedeutung des Einzelfalles angepafste Strafe ist ihre Folge. Dem V e r l e t z t e n steht die Strafklage, gerichtet an die Träger der Strafgerichtsbarkeit zu; die s u b j e k t i v e ' ) Vgl. darüber M e n n De interitu quaeBtionum perpetuarum 1859. W ä c h t e r Beilagen zu Vorlesungen über das deutsche Strafrecht 1877 No. 20. 4 ) Vgl. B i n d i n g De natura inquis. process. crim. Roman. 1863 und Qrunarifs S. 15. 3*
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§. 6.
Das Strafrecht der Römer.
S e i t e der That wird w i e bei d e n criminibus publicis in den V o r d e r g r u n d gestellt, d o l u s m a l u s erfordert. V e r s u c h und T e i l n a h m e bestraft. Innerbalb der crimina extraordinaria können wir drei Untergruppen unterscheiden. 1. A u s d e n P r i v a t d e l i k t e n werden d i e s c h w e r s t e n F ä l l e herausgehoben und mit peinlicher Strafe bedroht. So aus dem f u r t u m : das Verbrechen der saccularii (Taschendiebe), efiractores (Einbrecher), expilatores (Plünderer), balnearii (Badediebe, oder mit v. Bar: Paletotmarder), abigei (gewerbsmäßige Viehdiebe: quasi artem excercentes) und die expilatio hereditatis. Aus der r a p i ñ a : das Verbrechen der latrones (mit Hinneigung zum Raubmord) und grassatores. Aus der i n j u r i a : die libelli famosi (verleumderische Schmähschrift), das Verbrechen der directarii (Hausfriedensbruch^ und andere Fälle. 2. Daneben finden wir eine grofse Zahl n e u g e s c h a f f e n e r V e r b r e c h e n s b e g r i f f e . So die H e h l e r e i (crimen receptatorum); den B e t r u g (stellionatus und als besonderer Fall die venditio fumi, die Vorspiegelung eines nicht vorhandenen Einflusses auf Verleihung von Amtern); die E r p r e s s u n g (concussio); E n t f ü h r u n g -(raptus); A b t r e i b u n g d e r L e i b e s f r u c h t (abactio partus) ; K i n d e B a u s s e t z u n g (expositio infantum). Dazu kommen, neben andern, unter dem Einflufs des Christentums die bisher dem römischen Rechte unbekannt gebliebenen R e l i g i o n s v e r b r e c h e n : Gotteslästerung, Störung des Gottesdienstes, Abfall •om Glauben und Ketzerei, sowie die diesen mehr und mehr sich nähernde Zauberei. 3. Endlich s c h e i n t e s , als ob die Entwicklung dahin geführt h a b e , dem Verletzten gegen Ende der Periode bei d e n m e i s t e n P r i v a t d e l i k t e n auch ohne besondere gesetzliche Anordnung das Wahlrecht zwischen der zivilrechtlichen actio ex delicto und der strafrechtlichen accusatio extra ordinem einzuräumen (vgl. 1 92 D 47, 2; 1 46 D 47, 10). E i n e wesentliche U m g e s t a l t u n g erfahrt insbesondere auch das S t r a f e n s y s t e m . D i e a q u a e et ignis interdictio hat sich ü b e r l e b t ; sie hat ihre praktische B e d e u t u n g verloren. A n ihre S t e l l e tritt ein reichgegliedertes, vielfach insbesondere nach dem S t a n d e d e s V e r u r t e i l t e n a b g e s t u f t e s , im allgemeinen a b e r zu übertriebener S t r e n g e hinneigendes S y s t e m von L e b e n s - und Leibesstrafen, von F r e i h e i t s s t r a f e n mit und ohne A r b e i t s z w a n g , von Strafen an E h r e und V e r m ö g e n . U n v e r ä n d e r t d a g e g e n bleibt im wesentlichen der j u r i s t i sche Charakter der S t r a f b e s t i m m u u g e n des römischen R e c h t s . N a c h wie vor vermissen wir K l a r h e i t und B e s t i m m t -
§. 7. Das mittelalterlich deutsche Strafrecht.
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lieit in der Fassung der Verbrechensbegriffe; ja, je mehr der Zeitraum seinem Abschlüsse sich nähert, desto verderblicher wird der Einflufs jener unjuristischen willkürlichen und haltlosen Pseudo-Ethik, welche die späteren Kaisererlasse kennzeichnet. Es darf und kann uns daher auch nicht wundernehmen, wenn wir sehen, dafs die Ausbildung der a l l g e m e i n e n L e h r e n des Strafrechts, jene höchste und schwerste Aufgabe der kriminalistischen Wissenschaft, über vereinzelte und grundsatzlose Ansätze nicht hinauskommt. Das römische Strafrecht wäre zur Aufnahme in Deutscliland durchaus ungeeignet gewesen, hätte nicht in späteren Jahrhunderten das mittelalterliche Italien die Arbeit auf sich genommen, welche die römischen Juristen ungelöst der Nachwelt liinterlassen hatten.5)
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Das mittelalterlich deutsche Strafrecht.
1. Z e i t a b s c h n i t t . D a s frühere deutsche Mittelalter. B i s zum 13. J a h r h u n d e r t . Litteratnr. W i l d a Das Strafrecht der Germanen 1849. O s e n b r ü g g e n Das Strafreeht der Langobarden 1863. T h o n i s s e n L'organisation judiciaire, le droit pénal et la procédure pénale de la loi salique. 2. Aufl. 1882 (Z V 204). E. M a y e r Zur Entstehung der lex Ribuaria 1886 (Z VIII 665). B r u n n e r Abspaltungen der Friedlosigkeit Zeitschrift der Savigny-Stiftung XI 62 (germanist. Abt.). B e t h m a n n H o l l weg Der Zivilprozefs des gem. Hechts in geschichtlicher Entwicklung. IV. bis VI. Bd. 1868ff. L e h m a n n Der Jtönigsfriede der Nordgermanen 1886. Viel Material in W a i t i Deutsche Venassungsgeschiohte. — Berichte von Löning in Z I I ff. Die Lehr- und Handbücher der deutschen Rechtsgeschichte von Siegel, Schröder, Brunner.
In scharfem Gegensatze zum römischen Sträfrechte der ältesten Periode kennzeichnet sich das Strafrecht der deutschen Volksrechte durch das V o r h e r r s e h e n der p r i v a t r e c h t lichen, genauer: g e s c l i l e c h t s g e n o s s e n s c h a f t l i c h e n A u f f a s s u n g von V e r b r e c h e n und S t r a f e . Durch das Vorherrschen, nicht durch die a u s s c h l i e f s l i c h e Herrschaft dieser Auffassung. Wenn es nicht an Spuren fehlt, welche auf eine noch ältere Auffassung hinweisen, so sind anderseits Die Hauptmasse der strafrechtlichen Bestimmungen findet sich im 4. Buch, Tit. 1—6 und 18 der Instt., im 47. und 48. Buch der Digesten und im 9. Buch des Kodex.
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auch zahlreiche und kräftige, im allgemeinen viel zu weuig gewürdigte Ansätze zur Anerkennung der staatlichen Natur von Verbrechen und Strafe unzweifelhaft vorhanden. Und es darf auch nicht verkannt werden, dafs jene privatrechtliche Auffassung selbst uns in den Volksrechten nur mehr in wesentlich gemilderter Gestalt entgegentritt und in den Kapitularien der fränkischen Monarchie mehr und mehr, wenn auch nur allmählich und ohne nachhaltige Wirkung, in den Hintergrund gedrängt wird. 1. Von der F r i e d l o s i g k e i t , der charakteristischen Strafe der nordgennanischen Rechte für alle schweren Verbrechen (Friedensbrüche.') finden wir in den deutschen Volksrechten nur vereinzelte Spuren, welche keinen auch nur halbwegs sicheren Schlufs auf ausgedehntere Herrschaft derselben in vorgeschichtlicher Zeit gestatten. W o die Friedlosigkeit sonst in den Quellen dieser Zeit erwähnt wird, erscheint sie nicht als Strafe des begangenen Verbrechens, sondern als Rechtsfolge prozessualischen Ungehorsams gegenüber dem rechtweigernden Beklagten. 2 ) 2. Die g e s c h l e c h t s g e n o s s e n s c h a f t l i c h e Auffassung von Verbrechen und Strafe, diese auffallende Eigentümlichkeit des früheren deutschen Mittelalters, erklärt sich aus der staatlichen Bedeutung des Geschlechts als einer öffentlich rechtlichen Körperschaft. Die S i p p e erscheint als Friedensbürgschaft der Blutsverwandten; sie gewährleistet ihren Gliedern Schutz und Sühne; sie verteidigt den angegriffenen und rächt den verletzten Genossen. a) Nicht blol's bei Diebstahl und Ehebruch, sondern auch in zahlreichen andern Fällen erwähnen die Volksrechte das Recht des Angegriffenen (und seiner Angehörigen), den Ver') Sal. era. 55, 2 (Behrend): Si quis corpus jam sepultum effoderit aut exspoliaverit, w a r g u s s i t , hoc e9t, expulsus de eodem pago, usque dum parentibus defuncti convenerit, ut et ipsi parentes rogati sint pro eo, ut liceat ei infra patriam esse, et quicumque antea panem aut hospitalitatem ei dederit, etiamsi uxor ejus hoc fecerit, D C den. qui faciunt sol. X V culpabilis judicetur. Cap. 1 zur Sal.: die Frau, die sich mit einem Sklaven verheiratet, wird expellis. Kib. 55, 2 (Sohmi. *) Sal. 56, 1. S i quis ad mallura venire contempserit etc. 2 . . . Tunc rex extra sermonem suum ponat eum. Tunc ipse culpabilis et omnes res erunt suas.
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letzer bufslos zu erschlagen.') Aber vielfach wird das Notrecht des Angegriffenen bereits bedingt dadurch, dafs der "Verbrecher sich der Fesselung widersetzt; und aus dem Tötungsrecht entwickelt sich allmählich das Recht, den auf handhafter That Ergriffenen gebunden vor Gericht zu bringen und seine Verurteilung zu peinlicher Strafe in einem beschleunigten Verfahren zu erwirken: die verstärkte Klage bei unvernachteter That nach der Ausdrucksweise des späteren deutschen Mittelalters. b) Die B l u t r a c h e ist, wie uns schon Tacitus bezeugt,4) als Geschlechterrache Recht und Pflicht der gesamten Sippe bei nicht handhafter That. Sie wird abgelöst durch die Zahlung einer Sühnesumme, der compositio. Das verletzte Geschlecht hat ursprünglich die "Wahl zwischen Fehde und Annahme der Lösungssumme; und erst nach liartem Kampfe, welcher aus den Kapitularien deutlich erkennbar ist, gelingt es der erstarkenden Staatsgewalt, den gerichtlichen AbBchlufs des Sühnevertrages zur Rechtspflicht zu machen. Damit ist die Blutrache ersetzt durch das Kompositionensystem. Aber noch die Formen des mittelalterlich deutschen Rechtsganges weisen auf den Ursprung des Rechtes aus der Fehde; an die Stelle der Waffenhilfe ist die Eidhilfe getreten: wie jene, ist diese Recht und Pflicht der Geschlechtsgenossen, die in voller Waffenrüstung, durch Handreichung verbunden, mit gesamtem Munde den Eid des Hauptschwörenden bekräftigen. c) In der genauen Festsetzung der zu zahlenden Sühnegelder, also in der festen Regelung des K o m p o s i t i o n e n s y s t e m s liegt die Hauptbedeutung der strafrechtlichen Bestimmungen der Volksrechte. Sein hohes Alter erhellt aus den Mitteilungen bei T a c i t u s . " ) •) Bajuv. 9, 5; 8, 1; Sax. 4, 4; Rib. 77: Si quis hominem super rebus suis comprehenderit, et eum ligare voluerit, aut super uxorem, aut super filiam, vel his similibus, et non praevaluerit legare, sed colebus ei excesserit, et eum interficerit, coram testibus in quaaruvio in clita eum levare debet et sie 40 seu 14 noctes custodire et tunc ante judice in harao coniurit, quod eum de vita forfactum interfecisset. *) Germ. cap. 21: Suscipere tarn inimicitias patris seu propinqui quam amicitias necesse est. 5 ) Germ. cap. 12. Sed et levioribus delictis pro modopoena; equorum pecorumque numero convicti multantur. Pars multae regi vel civi-
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In vielfachen Abstufungen werden die verschiedenen Rechtsverletzungen abgeschätzt; für jeden einzelnen Zahn und jeden der verschiedenen Finger, für jedes Schmähwort, für jede unzüchtige Berührung von Frauen oder Mädchen wird die Sühnesumme genau bestimmt. Wir finden in den Kompositionssätzen der einzelnen Volksrechte zwei verschiedene Grundzahlen, eine gröfsere und eine kleinere; jene als W e h r g e l d bei Tötung und gleichgestellten Fällen; diese als B u f s e bei geringeren Rechtsverletzungen. 8 ) Aber nicht blofs die Schwere des begangenen Verbrechens, auch Stand und Volksangehörigkeit, Alter und Geschlecht des Verletzten sind mafsgebend für die Höhe des Sühnegeldes. Neben dem an den Verletzten und seine Sippe zu bezahlenden Betrage ist an die Gesamtheit, als der Vermittlerin des geschlossenen Sülinevertrages, das F r i e d e n s g e l d (fredus oder fredum) zu entrichten. Auch Sühnevertrag und Sühnegeld ruhen auf geschlechtsgenossenschaftlicher Grundlage, geradeso wie die Blutrache, aus der sie hervorgewach^en. Was Tacitus uns berichtet: recipitque satisfactionem universa domus, wird durch andre Quellen glänzend bestätigt. Die T e i l n a h m e d e r F a m i l i e an der Zahlung wie an dem Empfange der Wehrgeldsumme, in den deutschen Volksrechten nur in einzelnen Spuren angedeutet, hat sich in den niederdeutschen und nordischen Rechten lange Zeit hindurch, in letzteren teilweise bis ins 16. Jahrhundert erhalten. ') tati, pars ipsi qui vindicatur vel propinquis ejus exsolvitur. Cap. 21. Nec implacabiles durant (inimicitiae). Luitur enim etiam homicidium certo armentorum ac pecorum numero, recipitque satisfactionem universa domus. 4 ) Das Wehrgeld beträft bei aen verschiedenen Stämmen 160, 160 und 200, die Bufse 10, 12 and 16 Schillinge. Vgl. dazu B r u n n e r Handbuch I 226. D e r s e l b e in den Sitzungsberichten der J£gl. preufs. Akademie der Wissenschaften zu Berlin X L V 1 1039. Wie tief diese Summen — man denke an das bei Mord häufig eintretende neunfache Wehrgeld — in das wirtschaftliche Dasein und damit in die rechtliche Stellung des Betroffenen eingriffen, erhellt daraus, dafs nach gleichzeitigen Quellen ein Kind 1—3, ein Pferd 6—12 Schillinge kostete. Vgl. die bei W a i t z I I 1, 279 angeführten Stellen. ') Sal. 68, 62: Si cujuscumque pater occiaus fuerit, medietate compositionis filii collegant et alio medietate parentes qui proximiores sunt, tarn de patre quam ae matre, inter se dividant; Sax. 18, 19. W i l d a 396. W a i t z 1 71 Note 3, 76 Note 3. B r u n n e r , Sippe und Wehrgeld. Zeitschr. der Savigny-Stiftung I I I 1 (Z I I I 477). H e u s l e r I I 641. G ü n t h e r 176 Note 42.
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3. Aber auch die ö f f e n t l i c h e S t r a f e ist schon dem ältesten deutschen Rechte nicht fremd gewesen. Der höhere Friede, dessen das Heer auf dem Kriegszuge, die Volksversammlung auf der Dingstätte, dessen Tempel und Kirchen bedürfen, drängt dazu, die Strafgewalt in die Hand der Gesamtheit und ihrer Vertreter zu legen. 8) So sind es insbesondere Verbrechen p o l i t i s c h - m i l i t ä r i s c h er Natur, etwa Landesund Kriegsverrat, welche von den ältesten Zeiten an mit öffentlicher Strafe belegt werden.9) Aber schon in der Zeit d e s m e r o v i n g i s c h e n , weit mehr noch d e s k a r o l i n g i s c h e n K ö n i g t u m s treten, mit der klareren Erkenntnis und der schärferen Verfolgung der Staatszwecke, immer neue Verbrechen in das Gebiet der öffentlichen Strafe ein.10) Von der Mitte des 6. Jahrhunderts angefangen beschäftigt sich die Kapitulariengesetzgebung mit Strafdrohungen gegen Raub und Diebstahl, Mord und Blutschande, Zauberei und Vergiftung, Meineid und falsches Zeugnis, Fälschung von Münzen und Urkunden. 8 ) Vgl. schon T a c i t u s G e r m . c. 7. Ceterum neque animadvertere neque vincire ne verberare quidem nisi sacerdotibus permissum: non quasi in poenam nec ducis jussu sed velut deo imperante quem adesse bellantibus credunt. (Die Priester verhängen also Todes-, Leibes- nnd Freiheitsstrafe.) Cap. l t . Silentium per sacerdotes quibus tunc (in der Volksversammlung) et coercendi j u s est, imperatur. Cap. 6. Scutum reliquisse praecipuum flagitium. Nec aut sacris adesse aut concilium inire ignominioso fas : raultique snperstites bellorum infamiam laqueo finierunt. Cap. 12. Licet apud consilium accusare quoque et discrimen capitis intendere. Distinctio poenarum ex delicto. Proditores et transfuga* arboribus suspendunt: ignavos et imbelles et corpore infames, coeno ac palude, injecta insnper crate, mergunt. Diversità« supplicii illuc respicit, tainquam scelera ostendi opporteat, dum puninntur, flagitia abscondi. (Vgl. zu dieser Stelle W a i t z I 425.) — Hierher gehört auch die berühmte Stelle des friesischen Volksrechts: Add. XII, 1 : Qui fanum effregerit et ibi aliquid de sacris tulerit, ducitur ad mare, et in sabulo, quod accessus maris operire solet, finduntur aures ejus et caatratur et immolatur diis, quorum tempia violavit. *) R i b . 69, 1: Si quis homo infidelis extiterit, de vita componat et omnes res ejus fisco censeantur. B a j u v . I I 1, 2: Ut nullus liber Bajuvarius alodem aut vitam sine capitali crìmine perdat, id est si in necem ducis consiliatus fuerit, aut inimicos in provinciam invitaverìt aut civitatem capere ab extraneis machinaverit. Hierher gehören auch die zahlreichen Bestimmungen gegen herisliz: vgl. unten besonderen Teil. I0 ) So bedroht die lex Ribuaria mit öffentlicher Strafe : das Schelten der Königsurkunde (60, 6: quod si testamentum regio absque contrario testamento falsum clamaverit, non aliunde quam de vita componat), den handhaften Diebstahl (79: si quis homo propter furtum comprehensus fuerit, et legitime superjuratus et in judicio principos penditus fuerit,
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Durch die zunehmende U n g l e i c h h e i t d e s B e s i t z e s wird die Bewegung wesentlich gefördert: wer das Sühnegeld nicht bezahlen k a n n . büfst mit seinem L e i b e . wie von altersher der Unfreie. Insbesondere wird die k ö n i g l i c h e B a n n g e w a l t zu einem mächtigen Faktor der Rechtsbildung: zahlreiche neue Strafdrohungen, nicht blofs zum Schutze von Kirchen und Klöstern, von W i t w e n . Waisen und Armen, sondern auch zur Wahrung des öffentlichen Friedens gegen Gewaltthaten verschiedenster Art. treten kraft A m t s r e c h t e s neben das Volksrecht. 1 1 ) Endlich darf der Einthifs der K i r c h e nicht aufser acht gelassen werden, welche, auch soweit sie einer eigentlichen Strafgewalt entbehrte, mittelbar durch Bufsbiicher und Konzilienbeschlüsse auf die Rechtsanschauungen des Volkes wie auf die königliche Gesetzgebung einwirkte, und auf die Ausfüllung der Lücken hinarbeitete, welche das weltliche Strafrecht noch immer a u f w i e s . l 2 ) vel in quocumque übet patibulum vitam finiverit, omnes res suas heredes possedeant, exceptis capitali et dilatura in loco restituant); die Bestechung des Richters (88: de vita componatur); die Entführung der freien Frau durch den Sklaven (34, 4); die Fälschung der Königsurkunde (69, 3: cancellario polix dexter auferatur, aut eum quis in 50 solidos redimat); Verwandtenmord und Blutschande (69, 2: si autem quis proximura sanguinis interfecerit, vel incestum commiserit, exilio sustineat et omnes res suas fisco censeantur). — Im s ä c h s i s c h e n Volksrechte stand Todesstrafe auf Meineid, Hausfriedensbruch, Mordbrand, Diebstahl im Werte von mehr als 3 Schillingen. Karl der Grofse war bestrebt, diese Bestimmungen zu mildern, bedrohte aber seinerseits Verletzungen des Christenglaubens mit dem Tode. Vgl. W a i t z I I I 130. G ü n t h e r 182. " ) Vgl. W a i t z I I I 319; S i c k e l Zur Geschichte des Bannes. Marburger Programm 1886. S u m m u l a d e b a n n i s (Boretius Cap. 224): De octo bannus unde dominus noster vult, quod exeant solidi LX. 1. dishonoratio sanctae ecclesiae. 2. qui injuste agit contra viduas. 3. de orfanis. 4. contra pauperinos qui se ipsos defendere non possunt, qui dicuntur unvermagon. 5. qui raptum facit, hoc est qui feminam ingenuam trahit contra voluntatem parentum suorum. 6. qui incendium facit intra patriam, hoc est qui incendit alterius casam aut scuriam. 7. qui harizhut facit hoc est qui frangit alterius sepem aut portam aut casam cum virtute. 8. .qui in hoste non vadit. " ) Über das kanonische Strafrecht vgl. die Lehrbücher des Kirchenrechts von F r i e d b e r g , R i c h t e r - D o v e - K a h l u. a.; E. L ö n i n g s Geschichte des Kirchenrechts 1878ff. G ü n t h e r 263. Alles übrige ist so gut wie unbrauchbar. Dies gilt auch von K a t z Ein Grundrifs des kanonischen Strafrechts 1881. — Q u e l l e n : W a s s e r s c h i e b e n Die Bufsordnungen der abendländischen Kirche 1851. D e r s e l b e Die irische Kanonensammlung 2. Aufl. 1885. F r i e d b e r g Aus deutschen Bufsbüchern 1868. S c h m i t z Die Bufsbücher und die Bufsdisziplin der Kirche 1883 (Z V 535). Aus dem Corpus juris canonici daB V. Buch der Dekretalen.
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So hat gegen Ende der karolingischen Periode, zur Blütezeit des fränkischen Königtums, die staatliche Auffassung von Verbrechen und Strafe den Sieg über die familienrechtliche davontragen. Weitaus die meisten gegen die Interessen der Gesamtheit gerichteten Verbrechen sind mit öffentlicher Strafe bedroht, werden von Amts wegen verfolgt und bestraft. 4. Mit dem Zerfalle der fränkischen Monarchie beginnt eine allgemeine rückläufige Bewegung, die auch auf dem Gebiete des Strafrechtes die neugeschaffenen, durch eine starke Zentralgewalt gehaltenen, aber lange noch nicht festgewurzelten Einrichtungen der Karolingerzeit zerstörte oder doch in den Hintergrund drängte und auf längerer Zeit verdunkelte. So verschwinden die in fremder Sprache geschriebenen Volksrechte und die Kapitulariengesetzgebung gerät in Vergessenheit: es ist die Zeit der Herrschaft des G e w o h n h e i t s r e c h t e s , aus der Rechtsüberzeugung des Volkes geschöpft und in der Rechtsweisung der Schöffen sich offenbarend. Damit treten die nationalen, die a l t - d e u t s c h e n R e c h t s a n s c h a u ungen, die unter der fränkischen Königsherrschaft vielfach von fremden, römisch-kanonischen Rechtssätzen verdrängt worden waren, wieder in den Vordergrund. Und sofort macht sich die Eigentümlichkeit des deutschen Volksgeistes geltend: die in reichsten Bildungen sich entfaltende Gestaltungskraft führt, im Gegensatze zu der zentralisierenden und unifizierenden Richtung des abgelaufenen Zeitraums zu steigender Z e r s p l i t t e r u n g des Rechts nach Stämmen nicht blofs, sondern selbst nach Gauen und Gemeinden. Hand in Hand damit geht das Wiedererwachen der p r i v a t r e c h t l i c h e n A u f f a s s u n g d e s S t r a f r e c h t s , das Zurückdrängen der staatlichen Strafgewalt, welche j a , bedingt durch eine starke Staatsgewalt, unmöglich ihre Vorherrschaft in den Zeiten behaupten konnte, wo die königliche Macht im Schwinden begriffen und die Ausbildung der Landeshoheit noch nicht abgeschlossen war. So geht denn der Gedanke einer Verfolgung des Verbrechens von Amts wegen beinahe gänzlich verloren; das Sühnegeld erweitert sein Herrschaftsgebiet auf Kosten der öffentlichen Strafe; in dem Belieben des Verletzten steht die Wahl zwischen Erhebung und Durchführung der
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§. 7. DM mittelalterlich deatache Strafrecht.
K l a g e oder der Abfindung (Ledigung, Taidigung) mit dem Verbrecher, welcher bei einfachem Frevel (im Gegensatze zum Ungerichte) auch ohne weiteres die angedrohte Leibesstrafe — freilich ohne der Ehrlosigkeit zu entgehen — durch Geldzahlung abwenden kann. D i e Unsicherheit der Rechtspflege erzeugt das m i t t e l a l t e r l i c h e F e h d e r e c h t , welches, von der alten Blutrache wesentlich verscliieden, als Notrecht, wenn richterliche Hilfe gegen bürgerliche oder peinliche Rechtsverletzungen nicht zu erlangen war, nach vorausgegangener Absage (diftidatio) dem AVaftenberechtigten zustand und erst allmählich durch die g e s e t z l i c h e n L a n d f r i e d e n (von 1085 bis ins 16. Jahrhundert) beschränkt. durch die v e r t r a g s i n ä f s i g e n vorübergehend aufgehoben und durch die e w i g e n L a n d f r i e d e n beseitigt wurde. 13 ) II. Z e i t a b s c h n i t t . D a s s p ä t e r e .Mittelalter. Die Zeit
der R e c h t s a u f z e i c h n u n g e n . i n s 16. J a h r h u n d e r t .
deutsche Vom
13. b i s
L i t t e r a t u r . J o h n Strafrecht in Norddeutschland zur Zeit der Rechtsbücher 1868. O s e n b r ü g g e n Das alemannische Strafrecht im deutschen Mittelalter 1860. H ä l s c h n e r Geschichte des brandenburgischpreufs. Strafrechts 1855. F r a u e n s t ä d t Blutrache und Totschlagssühne 1881 (Z II 134). G e n g i e r Deutsche Stadtrechtsaltertümer 1882 (Z I I I 487). L i n d n e r Die Verne 1888. T h u d i c h u m Fehmgericht und Inquisition 1889. F r a u e n s t ä d t Breslaus Strafrechtspflege im 14. bis 16. Jahrhundert Z X 1. Die Berichte von L ö n i n g in Z II ff. — Eine zusammenfassende Arbeit fehlt. Viel wertvolles Material in den österr. Weistümern (gesammelt von der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften 1870 ff.). D i e Entwicklung des Strafrechts steht im engsten Zusammenhange mit dem Sinken und Steigen der Staatsgewalt. Mit der A u s b i l d u n g d e r L a n d e s h e r r l i c h k e i t und dem " ) Wächter Beilagen, Beil. 26. — B ö h l a u Nove constitutiones domini Alberti d. i. Der Landfriede v. J . 1235. 1868. Neuere Litt, bei Löning Z V 226. Dazu K ii c h Die Landfriedensbestrebungen Kaiser Friedrichs I 1887 (Marburger Diss.). W y n e k e n Landfrieden in Deutschland 1887 (Göttinger Diss.). W e i l a n d Sächsische Landfrieden aus der Zeit Friedrichs I I und die sog. trenga Henrici regia Zeitschrift der Savigny-Stiftung V I I I 88 (german. Abt.). S c h w a l m Die Landfrieden in Deutschland unter Ludwig dem Bayern 1889.
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A u f b l ü h e n d e r S t ä d t e nimmt auch die, während des vorhergehenden Zeitraumes unterbrochene, Erstarkung der öffentlichrechtlichen Auffassung von Verbrechen UDd Strafe ihren Fortgang. In — wenn auch vereinzelten — Reichsgesetzen, in Stadt-, Land- und Hofrechten, Weistümern und Rechtsbüchern wird das bestehende R e c h t a u f g e z e i c h n e t und das Gewohnheitsrecht in den Hintergrund gedrängt. Aus immer zahlreicheren Quellen und in immer rascherem Flusse strömt das f r e m d e R e c h t in die deutschen Gebiete erst des Südens, dann des Nordens und ringt mit den einheimischen Rechtssätzen um die Herrschaft. Die hervorragenderen Rechtsbücher und Stadtrechte erweisen sich als die Kristallisationspunkte, um welche sich, gewissermafsen als Ersatz für die untergegangenen Stammesrechte, neue Gebiete i n h a l t l i c h g l e i c h e n R e c h t s — trotz aller Verschiedenheit im einzelnen — anreihen. So sind die Vorbedingungen geschaffen für die Ausbreitung und Erstarkung der ö f f e n t l i c h e n S t r a f e . Wehrgeld und Bufse erwähnen die Rechtsbücher als das Recht vergangener Zeiten; das erstere wird mehr und mehr auf die Falle unbeabsichtigter Tötung beschränkt, die letztere häufig 14 ) als Scheinbufse nur darum angesetzt, damit ihr des Richters Gewette folge: sie verwandelt sich in eine eigentliche Geldstrafe. Aber auch die Strafen an Leib und Leben werden immer zahlreicher. Der Sachsenspiegel (II 13) bedroht den Diebstahl von drei Schillingen und mehr sowie den nächtlichen Diebstahl mit dem S t r a n g ; mit dem R a d e Mord und Diebstahl unter Bruch besonderen Friedens, Verrat, Mordbrand und untreue Botschaft; wer Tötung oder Menschenraub oder Raub oder Brandlegung oder Notzucht oder Friedensbruch oder schweren Ehebruch begeht, dem soll mau das H a u p t a b s c h l a g e n ; Abfall vom Christenglauben, Zauberei und Vergiftung wird mit dem S c h e i t e r h a u f e n bestraft. Neben den an Hals und Hand gehenden Strafen für Ungerichte finden sich zahlreiche Strafen an Haut und Haar sowie Geldbufsen für Frevel. ") So S a c h s e n s p i e g e l III 45. G r i m m Rechtsaltertümer 679; O s e n b r ü g g e n Alam. Strat'r. 72. Sehr häufig in den österr. Quellen.
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Das mittelalterlich deutsche Strafrecht.
Insbesondere aber ist es der städtische Verkehr, der mit neuen Lebensverhältnissen auch neue Verbrechen erzeugt und neue Strafbestimmungen notwendig macht. Die Stadtrechte, vor allen die Süddeutschlands, zeichnen sich durch strenge, oft grausame Strafdrohungen aus. 15 ) Ein neuer Umstand, dessen Einflufs auf die Entwickelung des Strafrechts nicht unterschätzt werden darf, tritt hinzu: d e r K a m p f gegen das g e w o h n h e i t s m ä f s i g e V e r b r e c h e r und V a g a n t e n t u m . Er fördert die durchaus im Zuge der Zeit liegende V e r f o l g u n g von A m t s w e g e n , welche, die verschiedensten Formen annehmend, insbesondere aber als R i c h t e n a u f b ö s e n L e u m u n d immer mehr an Entschiedenheit und Ausdehnung gewinnt und die aufsergerichtlich angewendete, gesetzlich nicht geregelte F o l t e r als kräftiges Mittel zur Herbeiführung der Verurteilung verwertet. Aber je entschiedener der Zweckgedanke Strafrecht und Strafverfahren seiner Herrschaft unterwirft, desto weniger passen die alten Formen, desto dringender wird das Bedürfnis, der inhaltlich längst vollzogenen Umgestaltung g e s e t z l i c h e A n e r k e n n u n g zu verschallen, den territorialen Milsbräuchen durch r e i c h s r e c h t l i c h e R e g e l u n g des Strafverfahrens entgegenzutreten. Diese Aufgabe , deren Erfüllung von dem eben erst gegründeten Reichskammergerichte auf dem Reichstage zu Lindau 1496 auf das eindringlichste gefordert wurde, aber erst nach harten Kämpfen im Jahre 1532 gelang, hatte die g e s e t z l i c h e V e r s c h m e l z u n g d e r a u f g e n o m m e n e n f r e m d e n R e c h t e mit dem e i n h e i m i s c h e n d e u t s c h e n R e c h t e zur Voraussetzung. Zahlreiche Vorarbeiten verschiedenster Art hatten die Lösung der Aufgabe erleichtert; dais sie gelang, ist vor allem das Verdienst E i n e s Mannes: H a n s v. S c h w a r z e n b e r g . ,& ) Über den gegen Ende des Mittelalters immer häufiger werdenden Ausschlufs des richterlichen Verfügungsrechts über die Strafe und der Taidigung mit dem Verletzten, sowie über die dadurch herbeigeführte Verschärfung der mittelalterlichen Sfrafdrohungen, welche von Anfang an die Möglichkeit einer amicabilis compositio voraussetzen, vgl. Löning Z V 227, 568.
§. 8.
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Die peinliche Gerichtsordnung Karls V .
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I . Das fremde Recht, welches Deutschland aufgenommen hatte, insbesondere das Strafrecht mit Einschlufs des Prozesses, war nicht das R e c h t der römischen Rechtsquellen, sondern ein wesentlich u m g e s t a l t e t e s , den veränderten Rechtsverhältnissen angepafstes Recht. S e i t d e m Wiedererwachen der Rechtsstudien hatten die i t a l i e n i s c h e n J u r i s t e n an der Fortbildung des römischen Rechtes, wenn auch vielfach unbewufst, ununterbrochen weiter gearbeitet. Glossatoren und Postglossatoren, insbes. A z o ( f 1220) mit seiner Summa zum Kodex; die Kanonisten, unter welchen R o f f r e d u s ( f 1250) und D u r a n t i s ( f 1296) besonders für das Strafverfahren von Bedeutung geworden sind; und die sog. „italienischen Praktiker", unter welchen R o l a n d i n u s de Romaneiis ( f 1284), Albertus G a n d i n u s ( t um 1300), J a k o b d e B e l v i s i o ( f 1335), A n g e l u s A r e t i n u s ( f nach 1451) und B o n i f a z d e V i t a l i n i s (bald nach Aretinus) an diesem Orte zu nennen sind ') — sie alle stellten das römische Strafrecht dar nach der generalis consuetudo ihrer Tage, wie sich dasselbe unter dem Einflüsse deutscher, den longobardischen Quellen entstammender Rechtssätze, praktischer Bedürfnisse und wissenschaftlicher Verallgemeinerungen, der päpstlichen und kaiserlichen Gesetzgebung wie des Gerichtsgebrauches entwickelt hatte. E s ist, können wir sagen, nicht mehr rein römisches, sondern i t a l i s c h e s Recht, das sie in ihren Werken zur Darstellung bringen. Und es bedarf keiner besonderen Betonung, dafs d i e s e s Recht ungleich leichter in Deutschland Eingang finden mufste, als das Recht der libri terribiles oder auch des Kodex. Von gröfster Bedeutung aber war es, dafs die mittelalterlich-italienische J u r i s prudenz auch den allgemeinen Lehren des Strafrechts ihre besondere Aufmerksamkeit gewidmet und damit die erste Grundlage zu wissenschaftlicher Beherrschung des Stoffes gelegt hatte. I I . Wie und auf welchen Wegen die Rezeption stattfand, ist hier nicht darzustellen. A b e r E i n e s Faktors mufs gedacht werden. In Handschriften und Drucken hatten die Arbeiten der italienischen Juristen in Deutschland Eingang gefunden; aber ausgedehnter und kräftiger war der Einflufs, den sie auf indirektem Wege ausübten: i n i h r e r B e a r b e i t u n g d u r c h die p o p u l ä r - j u r i s t i s c h e L i t t e r a t u r D e u t s c h l a n d s * ) . Aus der grofsen Anzahl der zu diesem eigentümlichen Zweige der deutschen Litteratur gehörenden Schriften ragt durch inneren W e r t wie ') Vgl. S e e g e r Zur Lehre vom Versuch des Verbrechens in der Wissenschaft des Mittelalters 1869. B r u s a Prolegomeni al diritto penale 1888 S. 256. — Von den Quellen sind besonders Friedrichs I I . Constitutionis regni siculi 1231 zu nennen. ') S t i n t z i n g Geschichte der populären Litteratur des römischkanonischen Rechts in Deutschland 1867. D e r s e l b e Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I . Bd. 1880. v. S c h u l t e De criminalibus causis 1888.
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durch seine geschichtliche Bedeutung der K l a g s p i e g e l hervor, der, im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts entstanden, bereits in den siebziger Jahren gedruckt, im Jahre 1516 von S e b a s t i a n B r a n t (f 1521) herausgegeben wurde. Azo, Roffredus, Durands. Gandinus sind die Gewährsmänner, aus welchen der Verfasser des Klagspiegels schöpft, ihre Ansichten in bald mehr bald weniger geschickter Weise wiedergebend. Daneben mufs aber auch auf die kanonistische S u m m e n - L i t t e r a t u r und insbesondere auf die S u m m a A n g e l i c a hingewiesen werden, welche, anfangs der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden, in zahlreichen Drucken sich durch ganz Deutschland verbreitete und alle andern Kompendien in den Hintergrund drängte. I I I . Die zweite Hälfte des 15. und die erste des IG. Jahrhunderts weist eine nicht unbedeutende Zahl von H a l s g e r i c h t s o r d n u n g e n auf. welche, im wesentlichen auf der alten deutschrechtlichen Grundlage stehend, aber von den fremden Rechten mehr oder minder beeinflufst. in erster Linie das Strafverfahren regeln, daneben jedoch auch eine Reihe von rein strafrechtlichen Bestimmungen enthalten. Als Bolche sind zu nennen (vgl. überhaupt S t o b b e Geschichte der deutschen Rechtsquellen I I 237): 1. das A p p e n z e l l e r Landbuch von 1409 ; 2. die Reformation des Zentgerichte6 zu W ü r z b u r g von 1447; 3. die N ü r n b e r g e r Halsgerichtsordnungen von 1481 und 1526; 4. das gestrenge Recht zu A l t o r f und 5. eine Z ü r i c h e r Blutgerichtsordnung, beide aus dem 15. Jahrh.; 6. die sog. T i r o l e r Malefizordnung vom 30. Nov. 1499 (nachgebildet in Radolphzell 1506 und Laibach 1514); 7. die n i e d e r ö s t e r r e i c h i s c h e Landgerichtsordnung vom 21. August 1514 (umgestaltet 1540); 8. das S a l z b u r g i s c h e Landtaiding aus dem 15. Jahrh.; 9. die W i t z e n h ä u s e r Halsgerichtsordnung aus dem 15. oder 16. Jahrh.; 10. b a y r i s c h e Formulare für den geschworenen Redner beim endlichen Rechtstage von 1518; in dieselbe Gruppe gehören weiter 11. die reformierte Churgerichtsordnung von A a c h e n von 1577; 12. das peinliche Halsgericht zu H ö x t e r von 1605. W e i t über all diesen zum Teil recht tüchtigen gesetzgeberischen Versuchen steht, durch gründliche Beherrschung und klare Darstellung des umfangreichen und spröden Stoffes sowie durch die Einfachheit und Zweckmäfsigkeit ihrer Grundgedanken hervorragend, für alle Zeiten ein rühmenswertes Denkmal des deutschen Berufes zur Gesetzgebung — die B a m b e r g e r H a l s g e r i c h t s o r d n u n g (mater Carolinae) von 1507. welche im Jahre 1516 mit geringfügigen Änderungen in den branden-
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burgischen Fürstentümern Ansbach und Bayreuth (soror Carolinae) eingeführt wurde.8) Verfasser der Bamberger Halsgerichtsordnung war J o h a n n F r e i h e r r zu S c h w a r z e n b e r g und H o h e n l a n d s b e r g . 4 ) Geboren im Jahre 1463, ausgezeichnet durch eine ans Märchenhafte grenzende Körperkraft, verbringt er seine Jugend der Standessitte der Zeit gemäfs mit Saufgelagen und Würfelspiel an den rheinischen Herrenhöfen, bis ihn ein ernster Mahnbrief seines Vaters zurückruft. Er schliefst sich Max L an und nimmt ruhmreichen Anteil an dessen Kriegszügen (1486, 1486). Bald darauf tritt er in die Dienste des benachbarten Bischofs von Bamberg, und bleibt unter fünf Bischöfen von 1601 bis 1632 Hofmeister und Vorsitzender des mit Rechtsgelehrten besetzten Hofgerichts. Im Jahre 1621 bezieht er den Reichstag zu Worms, auf dem er als Mitglied des Reichsregiments (1621—1624) und vorübergehend (1623) als Vertreter des kaiserlichen Statthalters eine hervorragende Rolle spielt. Inzwischen hatten sich die Verhältnisse geändert. Seit 1622 regierte der päpstlich gesinnte Bischof Weigand v. Redwitz; und Schwarzenberg, der mit Wort und That für die Reformation Partei ergriffen hatte, sah sich veranlafst, 1524 als Landhofmeister der Markgrafen Kasimir und Georg von Brandenburg in deren Dienst zu treten. Nachdem er 1626 als Vertreter seiner Herren zur Vermählung Albrechts von Preufsen nach Marienburg gegangen war und einen einjährigen Urlaub in Preufsen (Königsberg) zugebracht hatte, kehrte er nach Franken zurück, und starb zu Nürnberg am 21. Oktober 1628, in weiten Kreisen betrauert und von Luther noch nach Jahren gerühmt. Auch als populärer Schriftsteller war Schwarzenberg mit Eifer und Erfolg thätig gewesen; in schlichten, ja nüchternen aber von tief-ethischem Pflichtgefühl getragenen Gedichten, in Streitschriften gegen die Unsitten der Zeit, in Ubersetzungen Ciceros und in antipäpstlichen Flugblättern suchte er gestaltend einzugreifen in das gesamte geistige Leben seiner Tage. Kein Jurist, ja überhaupt kein Gelehrter ist es, dem wir die erste umfassende Gesetzgebung für das Deutsche Reich verdanken; wohl aber ein kerngesunder, als Krieger und Staatsmann, als Dichter und als Vorkämpfer der Reformation hochbedeutender, echt deutscher Mann.
Nicht neues Recht wollte der Verfasser der Bamberger *) Über die Ausgaben der Bambergensis vgl. L e i t s c h u h im Repertorium für Kunstwissenschaft IX. Bd. 1886 (auch als SA erschienen). Dsls auch die Breslauer Gerichte nach ihr urteilten, hat F r a u e n s t ä d t Z X 3 nachgewiesen. *) Eine genügende Lebensbeschreibung fehlt. Hauptwerk: E. H e r r m a n n Johann Fr. zu Schwarzenberg 1841. Vgl. auch die schöne Zusammenfassung bei S t i n t z i n g Geschichte der d. Rechtswissenschaft I 612 ff. von L i i s t , Stnirecht. 4. Aufl.
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Halsgerichtsordnung schaffen, wohl aber das bestehende in klarer und übersichtlicher Gestalt zusammenfassen, der t h a t s ä c h l i c h b e r e i t s v o l l z o g e n e n A u f n a h m e d e r fremden R e c h t e d u r c h V e r s c h m e l z u n g d e r s e l b e n m i t dem d e u t s c h e n Rechte gesetzlichen Ausdruck verleihen. Bei Lösung dieser Aufgabe benutzte Schwarzenberg folgende Quellen: 5 ) 1. Das einheimische Bamberger Recht; 2. die süddeutsche, insbesondere die Nürnberger Rechtsprechung; 3. die Wormser Reformation von 1498, vielleicht auch noch die eine oder die andre der übrigen süddeutschen Gesetzgebungen; 4. die populär-juristische Litteratur und somit m i t t e l b a r die Schriften der Italiener (unzweifelhaft ist die Benutzung des Klagspiegels; wahrscheinlich die der Summa Angelica oder einer ihrer Vorgängerinnen); 5. einzelne Reichsgesetze, so den Landfrieden von 1495. IV. Infolge der Klagen des Reichskammergerichtes 9 ) hatte schon der Reichstag zu Freiburg 1498 den Beschlufs gefafst, „eine gemeine Reformation und Ordnung in dem Reich fürzunehmen, wie man in criminalibus prozedieren solle". Aber die weiteren Schritte gerieten ins Stocken; und erst auf dem Reichstage zu Worms 1521 wurde die Sache wieder aufgenommen. Ein Ausschufs wurde mit der Ausarbeitung des Entwurfes beauftragt; er legte die Bamberger Halsgerichtsordnung, welche inzwischen insbesondere auch durch Ulr. T e n g l e r s ( f 1510) L a y e n s p i e g e l (1509) weite Verbreitung gefunden hatte, zu Grunde, benutzte aber neben ihr auch das sog. „Bamberger Korrektorium", eine Sammlung von Nachtragsverordnungen zur Bambergensis von 1507 bis 1516. Aber noch immer traten neue Hindernisse in den Weg. Noch dreimal wurde der (I.) 5 ) B r u n n e n m e i s t e r Die Quellen der Bambergensis 1879 bemüht •ich im einzelnen den Nachweis für die schon von S t o b b e , S t i n t z i n g u. a. aufgestellte Behauptung zu erbringen, dafs Schwarzenberg die Schriften der Italiener unmittelbar benutzt habe. Wichtiger ist es, daran festzuhalten, dafs der Inhalt der von Schwarzenberg vorgetragenen Rechtssätze trotz ihrer romanisierenden Einkleidung fast durchweg reindeutsch ist. *) Vgl. oben 8.46. — M a 1 b 1 an c, Geschichte der peinlichen Gerichtsordnung Karls V. 1783. G ü t e r b o c k , Entstehungsgeschichte der Karolina 1876 (auf Grund sorgfältigster archivalischer Forschungen). S t i n t z i n g I 607.
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Wormser Entwurf (1521) umgearbeitet: auf den Reichstagen zu Nürnberg (1524; I I . Entwurf), zu Speier (1529; D I . Entwurf) und zu Augsburg (1530; I V . Entwurf). Seit 1529 waren die partikularistischen Bestrebungen in offenen Gegensatz zu dem allgemeinen Verlangen nach einheitlicher Gesetzgebung getreten; insbesondere 1530 hatten Kursachsen, die Rheinpfalz und Kurbrandenburg gegen die Schmälerung ihrer verbrieften Landesrechte Verwahrung eingelegt. Und als im Jahre 1532 auf dem Reichstage zu Regensburg der Entwurf endlich zum Gesetze erhoben wurde, mufste in die Vorrede die sogenannte clausula salvatoria aufgenommen werden: „Doch wollen wir durch diese gnädige Erinnerung Kurfürsten, Fürsten und Ständen an ihren alten, wohlhergebrachten rechtmäfsigen und billigen Gebräuchen nichts benommen haben."') V . Wie ihre Vorgängerinnen, deren Einflufs auch bei oberflächlichster Betrachtung in die Augen springt, legt auch die Karolina das Schwergewicht auf die Regelung des Strafverfahrens. Hier hat sie jene Sätze aufgestellt, welche trotz landesrechtlicher Abweichungen in gar manchem Punkte doch dem gemeindeutschen Strafprozesse seine unverkennbare Eigenart aufgeprägt haben. Das materielle Strafrecht, behandelt in den Art. 104—208, tritt daneben in den Hintergrund. Es ist hier eigentlich nur ein einziger Satz ausgesprochen, der unbedingt zwingendes Recht enthält (Art. 104): Keine Handlung darf mit peinlicher Strafe, also entweder mit dem Tode oder mit verstümmelnder Leibesstrafe, belegt werden, wenn nicht das römische Recht diese Handlung (oder eine ihr gleichwertige, Art. 105) mit peinlicher Strafe belegt hat ; die Art der Strafe dagegen mag nach heimischer Gewohnheit bestimmt werden. Im übrigen will das Gesetz nichts sein als eine Schilderung des durch die Rezeption umgestalteten geltenden Rechts für den gemeinen, der fremden Rechte unkundigen Mann. Und diesem Zweck ist die Karolina in vorzüglichster Weise gerecht geworden; die ein' ) Die älteste uns bekannte Ausgabe ist von 1633 (editio princeps'!). Die Ausgabe von Z ö p f l (3. Aufl. 1883 stimmt durchaus mit der 9. von 1876 überein) enthält in synoptischer Darstellung 1. Bamberger und Brandenburger PGO.; 2. den Entwurf von 1521; 3. den von 1529 ; 4. das Reichsgesetz. — Die lateinischen Übersetzungen der PGO. von G o b i e r 1643 und R e m u i 1594 hat A b e g g 1837 herausgegeben. 4*
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fache und klare, bestimmte und leichtfafsliche Sprache macht sie zu einem für ihre Zeit mustergültigen Werke. Aber über dieses Ziel wollte und sollte sie nicht hinausgehen. Besserer Erkenntnis oder besserer Darstellung des geltenden Rechts wollte sie nicht in den Weg treten. W a r doch Schwarzenberg ängstlich bemüht, durch die immer wiederkehrende Vorschrift, dafs in allen zweifelhaften Fällen bei den Rechtsverständigen R a t geholt werden solle, der Wissenschaft ihren belebenden Einflufs auf die Rechtsprechung zu wahren. Daran mufs festgehalten werden, wollen wir die Bedeutung des Gesetzbuches, wollen wir insbesondere das Verhältnis der Landesgesetzgebung zur Karolina richtig würdigen. Die wenigen Anordnungen, welche zwingendes Recht enthalten, sind von den übrigen streng zu trennen. Aber auch wenn wir in Bezug auf diese zweite Gruppe von Bestimmungen die CCC. nicht als Gesetzbuch im modernen Sinne betrachten dürfen, sondern etwa nur als ein Rechtsbuch ähnlich den Spiegeln des 13. Jahrhunderts, ist ihr Wert für die Weiterentwicklung des Strafrechts ein sehr bedeutender. E s werden nicht nur die einzelnen Verbrechen genauer und zumeist in juristisch scharfer Weise bestimmt, 8 ) sondern auch die dem allgemeinen Thatbestande angehörigen Begriffe, wie Versuch, Notwehr, Fahrlässigkeit u. a., im Anschlufs an die Italiener in eingehenderer oder kürzerer Darstellung erörtert. So ist die Karolina d u r c h i h r e n inneren W e r t die Grundlage geworden, auf welcher das gemein-deutsche Strafrecht während dreier Jahrhunderte ruhte. *) Die von der CCC. behandelten Verbrechen sind die folgenden: 106 Gotteslästerung; 107 Meineid; 108 Urfehdebruch; 109 Zauberei; 110 Schmähschrift; 111—114 Fälschung von Hunzen, Urkunden u. s. w.; 115 Untreue des Rechtsfreundes; 116—123 Sittlichkeitsdelikte (Widernatürliche Unzucht, Blutschande, Entführung, Notzucht, Ehebruch, Doppelehe, Kuppelei); 124 Verrat; 125 Brandstiftung; 126 Raub; 127 Aufruhr; 128 Lanazwang; 129 Befehdung; 130—156 Tötungen (Vergiftung, Kindsmord, Aussetzung, Abtreibung, Selbstmord, Mord und Totschlag u. s. w.); 157 bis 175 Diebstahl und Veruntreuung; 180 EntweichenTassen von Gefangenen.
g. 9. D u gemein-deutsche Strafrecht.
§. 9.
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Das gemein-deutsche Strafrecht.
I. Z e i t a b s c h n i t t .
B i s z u r M i t t e d e s 18. J a h r hunderts.
Iiitterfttur. W ä c h t e r Gemeines Recht Deutschlands, insbes. gemeines deutsches Strafrecht 1844. H ä l s c h n e r Geschichte des brandenb. preufs. Strafrechts 1656. — S e e g e r Die strafrechtl. Consilia Tübingen«» 1877. S t i n t z i n g Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. S t o b b e Geschichte der deutschen Rechtsquellen II. Bd. S c h l e t t e r Die Konstitutionen Augusts von Sachsen v. 1672. 1867. G o f s l e r Zeitschr. f. deutsches Recht XX (Württemb. Entw. v. 1609). O p p e n h o f f Die Strafrechtspflege des Schöffenstuhls zu Aachen seit dem Jahre 1667. D a r g u n Die Rezeption der PGO in Polen Z der Savignystiftung X. — Das gesamte Quellengebiet harrt noch der Durchforschung.
1. D i e G e s e t z g e b u n g . Da die Thätigkeit der R e i c h s g e s e t z g e b u n g auf dem Gebiete des Strafrechts sich auf die Bedrohung einzelner weniger Delikte von meist polizeilicher Natur') beschränkte und nur in den Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 einen kräftigeren Aufschwung nahm, blieb es den einzelnen Ländern überlassen, selbständig die Weiterbildung des Strafrechts in die Hand zu nehmen. Und in der That entfaltete die Landes-Strafgesetzgebung in der zweiten Hälfte des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine ungemein lebhafte und fruchtbare Thätigkeit. Österreich und Bayern, Württemberg und Sachsen, Kurpfalz und Brandenburg wetteiferten untereinander und mit den kleineren Staaten in der Veröffentlichung von umfassenden, teils selbständigen, teils in die Landrechte aufgenommenen, Strafgesetzbüchern, welche sich bald wörtlich oder doch inhaltlich an die Karolina anschlössen, bald in freierer Weise den vorhandenen Rechtsstoff zur Anwendung brachten, immer aber denjenigen Bestimmungen des Reichsgesetzes Rechnung trugen, welche in Wahrheit zwingendes Recht enthielten. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts erlahmt die Thätigkeit ') So Fluchen und Schwören, Zutrinken, Ehebruch und Konkubinat; freilich auch Landfriedensbruch, Wucher, Schmähschriften, Betrügereien und Fälschungen. — Das Gutachten von 1668 gegen den Zweikampf erlangte nicht Gesetzeskraft, gab aber Veranlassung zu zahlreichen landesherrlichen Duellmandaten. — Von den aufserdeutschen Gesetzen verdienen Erwähnung die Kriminalordnungen Franz I für Frankreich 1639 nnd Philipps II für die Niederlande 1570.
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§. 9. Das gemein-deutsche Strafrecht.
der Landesgesetzgebung; an die Stelle umfassender und abschliefsender Strafgesetzbücher tritt eine A n z a h l langatmiger und kurzlebiger Kanzleiverordnungen, die den Geist des nicht aufgeklärten Absolutismus nur ausnahmsweise zu verleugnen im stände sind. Eine R e i h e von Verbrechensbegriffen verdankt der Landesgesetzgebung Entstehung oder W e i t e r b i l d u n g : so H o c h v e r r a t , Aufstand und A u f r u h r , Widerstand gegen die Obrigkeit, Zweikampf, Selbstmord, Bankbruch. Wilddiebstahl, Körperverletzung, Injurie u. a. Nur die wichtigsten gesetzgeberischen Arbeiten können hier zusammengestellt werden. I. Ö s t e r r e i c h . 1. In T i r o l wurde die Ualefizordnung von 1499 aufgenommen in die Landesordnungen von 1526, 1632 (diese bildet die Grundlage der Henneberger LO. v. 1539) und 1573. Teilweiser Einflufs von CCC. 2. In N i e d e r ö s t e r r e i c h wurde an Stelle der LGO. von 1514 am 30. Dez. 1656 eine ausführliche Peinl. LGO. durch Ferdinand III. erlassen. Spätere Entwürfe (1666, 1721) führten nicht zum Ziel. Wertvoller Kommentar von Bartsch 1751. 3. Die o b e r ö s t e r r e i c h i s c h e LGO. v. 1. Oktober 1569 ruht auf der niederöst. von 1514. Neuer Abdruck (nicht Revision; unrichtig Stobbe I I 409) 1627. Eine neue LGO. (keine blofse Revision), die im wesentlichen mit der niederöst. Ferdinande» von 1656 übereinstimmt, erliefs Leopold I. am 14. Aug. 1675. 4. Die LGO. für K r a i n v. 18. Febr. 1536 ruht auf der n.-ö. von 1514 nnd der CCC. 5. Dagegen enthält die K ä r n t n e r LGO. von 1577 nur wenige strafrechtliche Bestimmungen. 6. In S t e i e r m a r k führte Karl II. die Land- und PGO. vom 24. Dez. 1574 ein, die vielfach auf der CCC. beruht. Im 17. Jahrhundert galt in Steiermark sicher, wohl auch in Kärnten und Krain, die Ferdinandea von 1656. (Wenn daher die Theresias» von der „Karolina" spricht, ist darunter die PGO. Karls V. zu verstehen und nicht, wie fast allgemein angenommen wird, die steirische PGO.) 7. Für B ö h m e n sind zu erwähnen die Landesordnung Ferdinands I. von 1649, die LO. Ferdinand II. von 1627 und die vernewerte LO. von 1766. 8. Die m ä h r i s c h e LO. vom 1. Juli 1628 ruht auf der böhmischen von 1627. 9. In S c h l e s i e n galt seit 1707 die PStGO. Josephs I. II. In S a c h s e n veröffentlichte Kurfürst August am 21. April 1572 die kursächsischen Konstitutionen, deren Einflufs weit über Sachsen hinaus die Entwicklung des Strafrechts bestimmte. Die den Konstitutionen vorangehenden sehr wichtigen Vorarbeiten sind in den mehrfach gedruckten Consultationes constitutionum Saxonicarum enthalten (Ausgabe von Friderus Hindanus 1616). Eine Weiterbildung derselben sind die decisiones electorales von 1661. I I I . P r e u f s e n . 1. Im preufs. Ordenslande galt vorzugsweise Magie-
§. 9. D u gemein-deutsche 8trafrecht.
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barger Recht, in der «Ib jus cálmense bekannten Sammlang. Im 16. Jahrh. vielfache Verbesserungsversuche, insbes. 1694 das jus cólmense reviaom „der Danziger Culm", der, ohne Gesetzeskraft zu erlangen, bei den Gerichten Anwendung fand. 2. Auf Verlangen der ostpreufsischen Stände erfolgte eine nene Revision, deren Ergebnis das (von Levin B a c h i a s verfafste) Landrecht des Herzogtums Freufsen von 1620 war (VI. Buch Strafrecht. Einflnfs der sächsischen Konstitutionen und Damhouden). 3. Weitere Umarbeitungen sind das Brandenb. revidierte Landrecht des Herzogtums Preufsen von 1686 und Friedrich Wilhelms verbessertes Landrecht des Königr. Freufsen von 1721, gearbeitet von S. von Cocceji (VI. Buch Strafrecht; Einflufs Carpzovs). Ein 1721 vollendeter Entwurf eines StGB, (von Berger) hatte keine weitere Folge. 4. In der Mark B r a n d e n b u r g sind die Diestelmeyerschen (Vater und Sohn) Entwürfe einer Landesordnung 1672 bis 1694 nicht zum Gesetze geworden. 6. Im J . 1682 wurde die Brandenburger HGO. von 1616 neuerdings mit kleinen Abweichungen veröffentlicht. Nach der Vorrede mufs, im Gegensatze zu der allgemeinen Ansicht, angenommen werden, dafs das Gesetzbuch auch für Freufsen Geltung haben sollte, wie dasselbe in Brandenburg höchst wahrscheinlich auch schon vor 1682 Anwendung gefunden hat. Vgl. auch H ä l s c h n e r 107; gegen ihn (wohl mit Unrecht) L ö n i n g Z V 222. IV. Aus B a y e r n sind zu erwähnen die Reformation des bayrischen Landrechts von 1618 und das Landrecht von 1616 für Ober- and Niederbayern, welches in seinen strafrechtlichen Bestimmungen den Einflufs der sächsisch. Konstitutionen nicht verleugnet, mehrfach auch die auf Grund der CCC. entstandenen Streitfragen erledigt. V. Das k u r p f ä l z i s c h e Landrecht von 1682 (V. Buch Strafrecht; beruht auf CCC, aber mit Berücksichtigung der sächs. Konst.) wurde 1606 auch in der O b e r p f a l z (Amberg) eingeführt. Als diese an Bayern gekommen war, trat an seine Stelle das dem bayrischen Landrecht von 1616 nachgebildete Landrecht von 1667. VI. In der M a r k g r a f s c h a f t B a d e n wurden Landrechte für Baden-Baden 1688 (nachgebildet dem kurpfälzischen) und Baden-Durlach 1664 (gedruckt schon 1622) veröffentlicht. VII. In W ü r t t e m b e r g hatten die Stände bereits 1661 die Ausarbeitung eines StGB, verlangt. Der erst nach 1607 zu Stande gebrachte Entwurf erhielt jedoch niemals Gesetzeskraft. Doch enthalten das Landrecht von 1610 und die Landesordnung von 1621 eine Reihe strafrechtlicher Bestimmungen. V I H . In den übrigen Gebieten begnügte man sich damit, die CCC. einfach abzudrucken oder die Gerichte auf die Beachtung derselben zn vorweisen. Aber auch wo das nicht geschah, wo vielleicht die Neu-Ausgabe der Gesetzbücher nur altes Recht enthielt, wie z. B. in den Stadtrechtsreformationen von Lübeck 1686 und Hamburg 1603, unterliegt die praktische Geltung der CCC. keinem Zweifel.
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§. 9. Da« gemein-deutsche Strafrecht.
2. D i e W i s s e n s c h a f t . Die deutsche strafrechtliche Litteratur des 16. Jahrhunderts bietet zunächst ein durchaus trostloses Bild. Sie ruht in den Händen geistund kritikloser Abschreiber, welchen das römische Recht ebenso fremd geblieben ist wie das deutsche. P e r n e d e r ( t um 1&40) beherrscht mit seiner Halsgerichtsordnung (Ausg. 1544 f.) lange Jahre hindurch den Markt, besonders in Bayern und Tirol; ihm folgen G o b i e r (f 1669 in zahlreichen Schriften), K ö n i g (f 1626, Practica 1541), R a u c h d o r n (Practica 1564), D o r n e c k (Practica 1676), S a w r (Strafbuch 1577). Ihre geschmacklosen Kompilationen erleben eine Auflage nach der andern (Stinzing I 630). Inzwischen hatte die aufserdeutsche strafrechtliche Litteratur einen raschen und glänzenden Aufschwung genommen. Während die Italiener um die Mitte des Jahrhunderts, nach H i p p o l y t de M a r a i 1 ii8 (f 1529) und A g i d i u s B o s B i u s (f 1546), in J u l i u s C l a r u s (f 1575) den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreichten, von welchem sie allmählich in T i b. D e c i a n u s (f 1581) und J a k o b u s M e n o c h i u s (f 1600) bis auf P r o s p e r F a r i n a c i u s (-¡-1618) herabsanken, gewann in Frankreich und Spanien ( T i r a q u e l l u s und Co v a r r u v i a s ) die neue juristische Methode der Synthese, der mos gallicus, den Sieg. Der bedeutendste strafrechtliche Vertreter dieser Richtung, Anton M a t h ä u s I I , dem berühmten hessischen Gelehrtengeschlechte entstammend, aber in Holland thätig, gehört freilich einer spätem Zeit an (er starb 1654, sein Hauptwerk de criminibus erschien zuerst 1644, zuletzt 1803); er hat auch auf die deutsche Litteratur ungleich geringeren Einflufs geübt, als sein der italienischen Schule huldigender Vorgänger Jod. D a m h o u d e r f 1581.*) Dennoch ist auch in Deutschland in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts der Fortschritt unverkennbar. Mehr und mehr gelangt die strafrechtliche Urteilsfindung, insbesondere infolge der Aktenverschickung, an die Juristenfakultäten, welche bald anfingen (zuerst in Tübingen, Jena, Rostock, Ingolstadt) dem Strafrechte besondere Vorlesungen zu widmen; und wieder einmal, wie im mittelalterlichen Italien, erwies sich die Verbindung von Wissenschaft und Rechtspflege als segensreich nach beiden Richtungen. Zahlreiche Sammlungen von Konsilien nnd Disputationen geben davon Zeugnis. Zu erwähnen sind B o c e r Prof. in Tübingen, disputationes 1596 ff. (classis IV de criminibus); Petrus T h e o d o r i c u s Prof. in Jena (f 1640), collegium criminale 1618,1671; H u n n i u s Prof. in Giefsen (f 1636), collegii criminalis disputationes 1621; Theod. P e t r e j u s Marburger Doktor, Thesaurus controversarum conclusionum criminalium 1598; G. D. L o k a m e r Prof. in Strafsburg (f 1637), Centuria quaestionum criminalium 1523; Ad. V o l k m a n n Tractatus criminalis 1629 (3. Teil consilia criminalia). ! ) Über D a m h o u d e r s Verhältnis zu dem Genter Philips W i e l a n t , dessen Werk er abgeschrieben haben soll, vgl. v a n H a m e l Inleiding I 61 Note 29.
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Der Erste, welcher in Deutschland die synthetische Methode auf das Strafrecht anwandte, war N i e . V i g e l i n s Prof. in Harburg (f 1600) in seinen constitutione« Caroliniae publicorum judiciorum 1689, in welchen er die Ubereinstimmung der PGO. mit dem römischen Rechte nachzuweisen suchte. In gleicher Richtung sind thätig die Tübinger Professoren Val. V o l z ( t 1581) und Joh. H a r p r e c h t (f 1639; tractatus criminalis 1603), sowie der Hesse Q i l h a u s e n (f nach 1642; arbor judiciaria criminalis 1606). Mehr und mehr tritt die Karolina in den Mittelpunkt der schriftstellerischen Thätigkeit der Kriminalisten. Die Karolinenkommentare von M u s c u l u s 1614, Z i e r i t z 1622, S t e f a n i 1626, B u l l a u s 1631, M a n z i u s 1650, B l u m b l a c h e r 1670, C l a s e n 1684, O t t o 1685 tragen den Bedürfnissen der Gerichte Rechnung.
Ihre Blüte verdankt die auf der Karolina fufsende Wissenschaft des gemein-deutschen Strafrechts den s ä c h s i s c h e n J u r i s t e n des 17. Jahrhunderts. Getragen von der in weiten Gebieten Niederdeutschlands tief gewurzelten, durch die fremden Rechte nicht erschütterten, durch den Sachsenspiegel zusammengehaltenen, gemeinsamen Rechtsanschauung; gestützt auf eine zielbewufste, weit und breit angesehene Gesetzgebung; befruchtet durch die stets rege Wechselwirkung von Wissenschaft und Rechtsleben, erringen sie sich die fuhrende Rolle in Gesetzgebung, Litteratur und Rechtspflege. An Math. B e r l i c h (-j- 1638, Conclusiones practicabiles 1615—1619) schliefst sich, ihn bedeutend überragend, B e n e d i k t C a r p z o v (1595—1666), der durch seine Practica nova Imperialis Saxonica rerum criminalium 1635 und andere Schriften der Begründer der empirischen Methode und damit einer neuen deutschen Rechtswissenschaft wurde. Mitglied des Leipziger Schöffenstuhls und Ordinarius der Leipziger Juristenfakultät, ausgezeichnet durch reiche Belesenheit, wissenschaftliche Tüchtigkeit und umfassende praktische Erfahrung, hat er ein Jahrhundert lang der Strafrechtspflege Deutschlands den Stempel seines Geistes aufgedrückt. 8 ) Erst im 18. Jahrhundert gelingt es J . S. F. B ö h m e r (-j- 1772, observationes selectae ad Carpzovii practicam 1759), das Ansehen Carpzovs, welches von dessen Gegnern im 17. Jahrhundert, insbesondere von O l d e k o p (-j- 1667, observationes criminales practicae 1633, 5 ) Treffliche Charakteristik Carpzovs bei S t i n t z i n g II 55. Gegen den unbegründeten Vorbehalt des Herausgebers (Landsberg) vgl. L ö n i n g Z V 579.
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1639, 1654) und B r u n n e m a n n ( f 1672. tractatus de inqui8Ítionis proce8SU 1648; Kommentare zum Kodex und zu den Pandekten 1663 und 1670), vergebens angegriffen worden war. zu erschüttern und allmählich zu beseitigen. Die durch die sächsischen Juristen angebahnte Vertiefung der strafrechtlichen Litteratur tritt im 18. Jahrhundert deutlich in den KarolinaKommentaren hervor: neben S t e f a n i 1702, L u d o v i c i 1707, B e y e r 1714, M e c k b a c h 1756, S c o p 1758 u. a. ragen K r e f s (commentatio succincta 1721) und J . 8. F. B ö h m e r (Meditationes 1770) durch treffliche Leistungen hervor. Im Anschlüsse an das aufblühende akademische Studium erscheint in rascher Aufeinanderfolge eine Anzahl von systematischen Darstellungen des Strafrechts auf der Grundlage der Karolina: K i r c h g e f s n e r 1706, F r ö l i c h v. F r ö l i c h s b u r g 1709 ( k e i n Kommentar, trotz des Titeh), B e y e r 1711, G ä r t n e r 1729, K e m m e r i c h 1731, J . S. F. B ö h m e r 1733, E n g a u 1738, M e i s t e r sen. 1755, K o c h 1758, R i c h t e r 1763, Q u i s t o r p 1770ff., P ü t t m a n n 1779, M ü l l e r 1786, M e i s t e r jun. 1789, P a a l z o w 1789, S t e l z e r 1793, S t ü b e l 1795, K l e i n 1796 u. a. verfassen mehr oder weniger ausführliche Lehrbücher, während andere, wie insbesondere S t r u v e (y 1692, dissertationes criminales 1671), L e y s e r (f 1752, in seinen meditationes ad Pand. 1717 ff.), S c h i l t e r (exercitationes ad Dig. lib. 47 u. 48, 1675 f.) einzelne Fragen des Strafrechts im Anschlüsse an die libri terribiles in mehr oder minder ausführlichen Untersuchungen behandeln.
3. D i e R e c h t s p f l e g e . Wenn auch sowohl die Gesetzgebung im Reich und in den Eiuzelstaaten als auch die Wissenschaft bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts im a l l g e m e i n e n auf dem Boden der PGO. standen, so führte doch die notwendige Veränderung in den Bedürfnissen wie in den Anschauungen der Zeit zu einer immer tiefer greifenden U m g e s t a l t u n g d e s g e m e i n - d e u t s c h e n S t r a f r e c h t s . Wenn wir von der bereits betonten Aufstellung neuer und der Weiterbildung alter Verbrechensbegriffe absehen, wird durch diese Umgestaltung besonders das S t r a f e n s y s t e m der P G O . berührt. Zunächst wird einerseits das Anwendungsgebiet der in der PGO. angedrohten poena ordinaria durch gekünstelte Verengerung der Verbrechensbegriffe wesentlich eingeschränkt, (so wird immissio seminis bei den Fleischesdelikten, Eintritt des Todes bei der Vergiftung. Lebensfähigkeit des Kindes beim Kindesmorde u. s. w. gefordert), anderseits in fast schrankenloser Weise bei Mangel
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im Thatbestande von der poena extraordinaria, die aber nach Clarus und Carpzov niemals Todesstrafe sein darf, Gebrauch gemacht. Dann aber werden — und das ist von noch grösserer Wichtigkeit — die Strafmittel der PGO. selbst zum Teil durch andre verdrängt. So werden gewisse Arten der verschärften Todesstrafe und der verstümmelnden Leibesstrafen immer seltener angewendet; an ihre Stelle tritt — neben Ausstellung am Pranger, Brandmarkung, körperlicher Züchtigung — die äufserlich auf das römische Hecht gestützte Verurteilung zu öffentlichen Arbeiten, zum Bau von Strafsen und Festungen, zum Kriegsdienste, zu den Galeeren; besonders aber, wenn auch zunächst nur für Polizeidelikte, die Anhaltung in Zucht- und Arbeitshäusern. D a es an jedem festen Mafsstabe fehlte, um das Verhältnis dieser neuen Strafarten zu den alten sowie zum Verbrechen selbst zu bestimmen, wurde die Strafzumessung mehr und mehr zu einem Akte richterlicher Willkür. Und gerade in diesem Punkte trat die Notwendigkeit gründlicher Abhilfe am deutlichsten und unwiderleglichsten hervor. 4. Eine für unsere Periode durchaus charakteristische Erscheinung bilden die H e x e n V e r f o l g u n g e n . 4 ) Wenn auch Strafbestimmungen gegen Zauberei weder dem römischen noch dem mittelalterlich-deutschen Rechte fremd waren, so wird doch das eigentliche Verbrechen der H e x e r e i , verwandt mit der haeretica pravitaa, ausgezeichnet durch Teufelsbündnis und Teufelsbuhlschaft, erst seit dem 13. Jahrhundert ausgebildet. Aus einem Verbrechen gegen Leib und Leben wird sie dadurch zum Religionsdelikt und der Zuständigkeit der Kirche unterstellt. Schon der Sachsenspiegel (II, 13, 7) hatte die Zauberei mit Unglauben und Vergiftung zusammengestellt und mit dem Feuertode bedroht. Dennoch entwickelten sich in Deutschland die Hexenverfolgungen nur langsam. Trotz der Bulle „summis desiderantes" von Innocenz VIII. aus dem J . 1484 und dem von I n s t i t o r und S p r e n g e r verfafsten, 1489 zuerst erschienenen Malleus maleficarum, hält die PGO. in Art. 109 an der Auffassung des weltlichen Rechtes fest und bedroht nur die schädliche
*) Vgl. W ä c h t e r , Beiträge zur deutschen Geschichte 1845. S o l d a n - H e p p e Geschichte der Hexenprozesse 2. Aufl. 1880. S t i n t z i n g I, 641. Neuere Litt, bei L ö n i n g Z V 236. VII 689. Vgl. auch Ü i n z Doktor Johann W e y e r , der erste Bekärapfer des Hexenwahnes 1885. v. M a a e b u r g Zur Entstehungsgeschichte der Theresianischen HalsGO. mit bes. Rücksicht auf das . . . crimen magiae vel sortilegii 1880. L ä n g i n Religion und Hexenprozesse 1888.
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Zauberei mit dem Feuertode, andere Fälle mit willkürlicher Strafe. s ) Aber bald geht die Rechtsprechung weiter: gestützt auf die verhängnisvolle Lehre von den delictis exceptis setzt sie sich über die gesetzlichen Schranken hinweg; der Hexenhammer wird ihr Leitstern und die mafslose Anwendung der Folter ermöglicht die grofse Reihe der Hexenbrände, deren Blüte in das 17. Jahrhundert fällt. Vergebens hatten ruhige Männer, wie M o l i t o r i s 1489, Agrippa von N e t t e s h e i m (f 1535), W e y e r 1563, der Jesuit Fr. v. S p e e 1631 und andre, ihre Stimme erhoben; die Gegner, B o d i n 1579, del R i o 1599 an der Spitze, behaupteten das Feld. Die sächsischen Konstitutionen 1572 setzten Todesstrafe auf alle Fälle der Zauberei ohne Unterschied; ihnen folgte die österreichische Ferdinandea 1656, wie das preufs. Landrecht 1685. Benedikt C a r p z o v s gewaltiges Ansehen fiel zu Gunsten des Hexenglaubeus schwer ins Gewicht, und erst allmählich gelang es den Schriftstellern der Aufklärungszeit, als deren Vorkämpfer auch in dieser Frage T h o m a s i u s 6 ) (f 1728; de crimine magiae 1701; de origine ac progressu processuB inquisitorii contra sagas 1712) auftrat, die Hexenverfolgungen aus der Rechtsprechung zu verdrängen. Langsam folgte die Gesetzgebung. Während das preufs. Landrecht 1721 (VI. Buch, Tit. V, Art. 4), weitergehend als das Edikt vom 13. Dezember 1714, die Zauberei in das Gebiet des Wahns verwies, halten noch der codex crim. bavaricus 1751 und die österr. Vdg. vom 5. November 1766 (auf welcher Art. 58 der Theresiana 1768 ruht) an dem Verbrechensbegriffe der Zauberei, freilich in durchaus vorsichtiger Skepsis, fest. Die letzte Hinrichtung einer Hexe auf deutschem Boden fand 1749 zu Würzburg statt. Zu Glarus in der Schweiz wurde die Hexe Anna Göldi 1782 gefoltert und enthauptet.
IJ. Z e i t a b s c h n i t t .
D i e Zeit der A u f k l ä r u n g von 1750 b i s 1800.
Litteratnr.. L ö n i n g Z I I I 219. C a n t i i Beccaria e il diritto penale 1862 (französ. Ubersetzung mit Einleitung und Anmerkungen von Lacointa und Delpech 1885). F r a n k Die Wölfische Strafrechtsphilosophie und ihr Verhältnis zur kriminalpolitiBchen Aufklärung im 18. Jahrh. 1887 (Z V I I I 606). H e r t z Voltaire und die französische Strafrechtspflege im 18. Jahrh. 1887. K o p e t z k y Joseph und Franz von Sonnenfels 1882. Willibald M ü 11 e r Joseph von Sonnenfels. Biogr. Studie aus dem Zeitalter der Aufklärung in Österreich 1882. S t ö 11 z e 1 Karl Gottlieb Suarez. Ein Zeitbild aus der 2. Hälfte des 18 Jahrhunderts 1885. D e r s e l b e Brandenburg-Preufsens Rechtsverwaltung und Verfassung 2 Bde. 1888 (Z IX 219). Vgl. auch G o l d B c h m i d t Rechtsstudien und Prüfungsordnung 1887. ') Die in der Bambergensis Art. 130 und 131 sich findende Zusammenstellung von Ketzerei und Zauberei mufste in der Karolina schon mit dem,. Wegbleiben des die Ketzerei behandelnden Artikels entfallen. •) Über ihn vgl. N i c o l a d o n i Christian Thomasius. Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung 1888 (Z IX 604).
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1. Seitdem Carpzovs Ansehen unter den immer heftiger werdenden Angriffen seiner Gegner unterlegen war, hatte die deutsche Strafrechtspflege ihren letzten Halt verloren. Die Reichsgesetzgebung war verstummt, die Landesgesetzgebung erschöpfte sich in einer Unzahl kleiner Verordnungen; und auf die PGO. blickten Gelehrte und Richter mit gleicher Geringschätzung herab. War so der Zustand der Strafrechtspflege selbst ein durchaus unhaltbarer geworden, so traten nunmehr noch äufsere Umstände hinzu, um den Untergang des gemeindeutschen Strafrechts zu beschleunigen. Schon frühzeitig hatte die naturrechtliche Philosophie (insbesondere durch G r o t i u s , H o b b e s und P u f e n d o r f ) Einflufs auf die Litteratur des Strafrechts gewonnen. T h o m a s i u s griff unmittelbar in die Erörterung der strafrechtlichen Zeitfragen ein; Chr. G. H o f f m a n n verlangte in seiner D. de insignioribus defectibus jurisprudentiae criminalis Germanicae eorumque emendandorum ratione ac mediis 1731 Beseitigung der schwersten Mifsstände der deutschen Strafrechtspflege; und gestützt auf Christian W o l f f (-J- 1754) hatte schon 1756 E n g e l h a r d den Versuch unternommen, das „allgemeine peinliche Recht aus den Grundsätzen der Weltweisheit herzuleiten", während auch die gleichzeitigen Lehrbücher des Strafrechts sich von AVolffschem Einflüsse nicht völlig frei zu erhalten vermochten. Bald aber ergriff die Bewegung weitere Kreise, besonders seitdem die Hinrichtung von Jean Calas 1762 den Anlafs zu einer erregten Auseinandersetzung gegeben hatte, an welcher sich die Stimmführer der öffentlichen Meinung beteiligten. So kam es, dafs B e c c a r i a ' s (•{- 1794) Schrift: dei delitti e delle pene 1764 (Übersetzung von Glaser. 2. Aufl. 1876), welche die in der Strafrechtspflege herrschenden Mifsstände schonungslos geifselte und in tönenden Worten Reform an Haupt und Gliedern forderte, in allen Ländern lautes Echo fand. Die Preisausschreibung der Berner ökonomischen Gesellschaft 1778 rief eine Flut von Schriften hervor, unter welchen G l o b i g und H u s t e r s Abhandlung von der Kriminalgesetzgebung (1783 erschienen) gekrönt wurde. S o n n e n f e l s (-j- 1817) in Osterreich (schon seit 1764), F i l a n g i e r i in Italien, H o m m e l , W i e l a n d , v. S o d e n , K l e i n s c h r o d und unzählige andre wetteiferten,
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Das gemein-deutsche Strafrecht.
insbesondere in den achtziger J a h r e n . in Verbesseruugsvorschlägen. 7 ) 2. E s ist schwer, die Bedeutung der Aufklärungslitteratur für die Entwicklung des Strafrechts richtig zu würdigen. Unzweifelhaft hat sie sich arger Übertreibung schuldig gemacht und manchen blofs vorübergehenden Sieg errungen. Eigentümlich ist ihr zunächst der K a m p f g e g e n die in dem Zustande des gemeinen Strafrechts begründete r i c h t e r l i c h e W i l l k ü r , der bald in die Forderung ausartete, den Richter an den Buchstaben des Gesetzes zu binden, ihm jede Auslegung zu untersagen. Der Satz unsres heutigen Rechts: nullum crimen, nulla poena sine lege ist die bleibende Frucht dieses Kampfes geworden. Bezeichnend ist für diesen Zeitraum ferner das Bestreben, Recht, Moral und Religion voneinander zu unterscheiden. Führte dieses Streben auch zu der durchaus unrichtigen und lange Zeit hindurch geradezu verhängnisvollen A u f f a s s u n g des V e r b r e c h e n s a l s der V e r l e t z u n g e i n e s s u b j e k t i v e n P r i v a t r e c h t s , sowie weiter zu einer falschen und gekünstelten Behandlung zahlreicher Verbrechen, wie der Fleischesdelikte, des Meineides und andrer, so läfst sich doch unschwer nachweisen, dafs auch dieser Irrtum uns vielfache Förderung (man denke an die Religionsverbrechen) gebracht hat. Die unreife Verachtung alles geschichtlich Gewordenen, die mafslose Überschätzung der eignen Kraft, die Einengung der persönlichen Freiheit durch weitestgehende polizeiliche Bevormundung; völkerverbrüdernde Schwärmerei, kopflose Menschenliebe und daneben rücksichtslose Durchführung der als richtig angesehenen Ansichten: das alles waren Übertreibungen und Irrtümer, aber doch unvermeidliche Vorstufen der unerläfslich gewordenen Umgestaltung. Und wenn der Kampf gegen die Todesstrafe nur in Rufsland, Toskana und Osterreich zu einem teilweise vorübergehenden Siege von äufserst zweifelhaftem F i l a n g i e r i Scienza della legislazione 1780ff. W i e l a n d Geist der peinlichen Gesetze I 1783, I I 1784. G m e 1 i n Grundsätze der Gesetzgebung über Verbrechen und Strafen 1786. S o d e n Geist der peinlichen Gesetigebung Teutschlands 1792. (•. R e d e r ) Das peinliche Recht nach den neuesten Grundsätzen vollständig abgehandelt und meine Gedanken über den Entw. zu einem neuen peinlichen Gesetzbuch 4 Teile 1783/4.
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Werte führte, so steht doch die segensreiche Bewegung zur Verbesserung des gesamten Strafensystems, vor allem des Gefangniswesens, sowie auf strafprozessualischem Gebiete die Beseitigung der Folter im unmittelbaren Zusammenhange mit den Bestrebungen der Aufklärungszeit. Unsere heutige Strafgesetzgebung hat ihre ganze Kraft aus dem vielgeschmähten Jahrhundert der Aufklärung geschöpft: nur eine durchaus ungeschichtliche Betrachtungsweise vermöchte das in Abrede zu stellen. III. Z e i t a b s c h n i t t . Die B l ü t e z e i t der W i s s e n s c h a f t des g e m e i n - d e u t s c h e n S t r a f r e c h t s . Von 1800 bis 1870. 1. Immer zahlreicher wurden die Schriften zur Umgestaltung der Strafgesetzgebung, immer ungestümer die Gegner des geltenden Rechts, der bestehenden Strafrechtspflege. Die äufsere, ohnedies bereits durchbrochene und durch die PGO. nur dürftig zusammengehaltene Einheit des gemein-deutschen Rechts konnte dem Anstürme nicht mehr standhalten; die Zeit für die Herrschaft der deutschen Landes-Strafgesetzgebung war angebrochen. Aber um so kräftiger entwickelte sich, trotz aller landesrechtlichen Zersplitterung und Verkümmerung, der Zug nach einheitlicher Zusammenfassung des positiven Stoffes, nach innerer, geschichtlicher Verknüpfung desselben mit der Vergangenheit in der W i s s e n s c h a f t des d e u t s c h e n S t r a f r e c h t s . Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts brach ein Zeitraum neuer Blüte für sie an. Sie beginnt mit P. J . A. F e u e r b a c h , geb. 1775, •f 1833.®) Gestählt durch den Geist Kantscher Philosophie, die rationalistischen Anschauungen seiner Vorgänger kritisch prüfend, den ungestümen Reformforderungen seine fachwissenschaftliche Bildung und seine praktische Erfahrung entgegensetzend, wurde er einerseits durch sein Lehrbuch 1801 der Neubegründer der deutschen Strafrechtswissenschaft, anderseits durch •) L. F e u e r b a c h A. v. Feuerbachs Leben und Wirken 1858. Gl as e r Oes. kl. Schriften I 21. G e y e r Kl. Schriften 653. M a r q u a r d s e n All«. D. Biographie VI 731. — Das Lehrbuch ist in 14. Aufl. von Mittermaier 1847, mit kritischem Kommentar von Mörstadt und Osenbrfiggen 1859 und 65 herausgegeben worden. — Aus seinen Übrigen Schriften b«i. in erwähnen: Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des posit. peinL Kechts 1799, 1800.
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seine Arbeiten an dem bayrischen Strafgesetzbuche von 1813 der Bahnbrecher der deutschen Strafgesetzgebung. Gleichzeitig mit Feuerbach arbeiteten nicht nur seine Freunde G r o l m a n n ( f 1829; Grundsätze 1798) und v. A l m e n d i n g e n ( f 1827), sondern auch seine Gegner K l e i n (•{-1810; Grundsätze 1796) und K l e i n s c h r o d ( f 1824; Systematische Entwicklung 1794—96 3. A u s g . 1805) an der Wiedergeburt unsrer Wissenschaft. 2. Zahlreiche andre folgten. Als Verfasser von Lehr- und Handbüchern sind zu nennen: T i t t m a n n (f 1834), Handb. 1806/10, 2. Aufl. 1822/24. R o f s h i r t (f 1873), Professor in Heidelberg, Lehrb. 1821, Geschichte und System 1838/39. W i r t h Handb. 1822. M a r t i n (f 1857) Lehrb. 1820,25.2. Aufl. 1829. W ä c h t e r (f 1880; über ihn W i n d s c h e i d KG. v. W ä c h t e r 1880) Lehrb. 1825 6 (Grundrifs mit wertvollen geschichtlichen Nachweisungen). B a u e r (f 1843) Lehrb. 1827, 2. Aufl. 1833. H e n k e (f 1869) Handb. 1823/38. J a r k e (+ 1852) Handb. 1827 30. H e f f t e r (f 1880), Professor in Bonn, Halle, Berlin. Lehrb. 1833, 6. Aufl. 1867. K l e n z e (f 1838), Lehrb. 1833 (Grundrifs). A h e g g (f 1868), Professor in Königsberg und Breslau, System 1826, Lehrb. 1836. M a r e z o l l (f 1873), Professor in Giefsen und Leipzig, Kriminalrecht 1841, 3. Aufl. 1866. L u d e n (+ 1880), Professor in Jena, Handbuch I 1842. K ö s t l i n (f 1866), Professor in Tübingen, Hegelianer, Neue Revision 1846, System 1866. H ä b e r l i n Grundsätze 1846 ff. E. J . B e k k e r Professor des römischen Rechts in Heidelberg, Theorie 1869. G e i b (+ 1864), Lehrb. 1861/2 (trefflicher Grundrifs). B e r n e r Lehrb. 1. Aufl. 1867. T e m m e (•f 1881) Lehrb. des gem.-deutsch. Strafrechts 1876 (ein trauriger Anachronismus). Unter den zahlreichen übrigen Schriftstellern, welche einzelne Abschnitte des Strafrechts behandelten, ragt besonders K. J . A. U i H e r rn ai e r (f 1867) weniger durch Gründlichkeit und juristische Schärfe als vielmehr durch sein unermüdliches Bestreben hervor, die aufserdeutschen Arbeiten für die deutsche Wissenschaft fruchtbringend zu machen und dio sogenannten Hilfswissenschaften des Strafrechts mit diesem zur Einheit zu verschmelzen. Vgl. K. u. F. M i t t e r m a i e r . Bilder aus dem Leben K. J. A. Mittermaiers. 1886. Unter den Zeitschriften dieser Zeit nimmt, neben der Bibliothek für peinliche Rechtswissenschaft (1798—1804) von F e u e r b a c h und G r o l m a n n , das A r c h i v d e s K r i m . - R e c h t s (1799—1807), begründet von K l e i n und K l e i n s c h r o d , später als N e u e s A r c h i v (1816—1833), endlich als A r c h i v N e u e F o l g e (1834—1867) von K l e i n s c h r o d , M i t t e r m a i e r , A b e g g , H e f f t e r , W ä c h t e r , Z a c h a r i a e u. a. herausgegeben, die führende Stelle ein. S o war in der Wissenschaft die nach Ländern zersplitterte Strafgesetzgebung zur Einheit zusammengefafst. in ihr das gemein-
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Die Strafgesetzgebung der deutschen Einzelstaaten.
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deutsche Strafrecht erhalten und weitergebildet worden. Und so konnte die Wissenschaft des Strafrechts dem neuerstandenen Deutschen Reich als Morgengabe die Einheit der Rechtsüberzeugung darbringen, die sie durch sieben Jahrzehnte treu gehütet hatte. Die graue Theorie, welche der Gesetzgeber von 1870 vornehm ignorieren zu können meinte, war wieder einmal der Stab gewesen, an welchem des Lebens grüner Baum sicher und kräftig emporgewachsen war.
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Die Strafgesetzgebung der deutschen
Einzelstaaten.
L i t t e r a t u r . B e r n e r Die Strafgesetzgebung von 1751 bis zur Gegenwart 1867. — Reiches Material in den Kommentaren zu den verschiedenen Strafgesetzbüchern. Kürzere Angaben in S t e n g l e i n s Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher 1867.
I . D i e G e s e t z g e b u n g .auf dem B o d e n des gemeinen R e c h t s . Die ersten deutschen Laudes-Strafgesetzbücher, welche der wiedererwachenden Lebenskraft der Strafgesetzgebung ihre Entstehung verdanken, bewegen sich durchaus auf dem Boden des gemein-deutschen Strafrechts. In leiirbuchartiger Breite geschrieben, sind sie das getreue Spiegelbild der strafrechtlichen Wissenschaft ihrer Zeit, soweit dieselbe von den neuen Anschauungen noch unberührt geblieben war. Hierher gehören: 1. der C o d e x j u r i s c r i m i n a l i s fiavarici vom 7. Oktober 1761, verfafst und erleutert von K r e i t t m a y r ( f 1790); 2. die C o n s t i t u t i o c r i m i n a l i s T h e r e s i a n a für die österreichischen Erblande vom 31. Dezember 1768, welche, wesentlich von den A n schauungen J. S. F. B ö h m e r s beherrscht, als die vollendetste Durchbildung der gemeinrechtlichen Wissenschaft gelten kann. Vgl. W a h l b e r g Klein. Schriften I I 115. v. M a a s b u r g Zur Entstehungsgeschichte der Theres. HalsGO. 1880. — J. L . B a n n i z a Delineatio juris crim. secundum constitutionem Carolinam ac Theresianam. I I Bde. 1773.
n . D i e G e s e t z g e b u n g auf dem B o d e n der A u f klärung. Gar bald aber sollten die Grundgedanken der Aufklärungszeit in der Strafgesetzgebung der wichtigsten Länder folgerichtige Durchführung finden. In Rufsland hatte Katharina I I . schon 1767 in ihrer merkwürdigen ,.Instruktion für die zu Verfertigung des Entwurfes zu einem neuen Gesetzbuche v o n L i i z t , Strafrecht.
4. Aufl.
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§• 10.
Die Strafgesetzgebung der deutschen Einzelstaaten.
verordnete Kommission - ' den Versuch gemacht. Montesquieu's Esprit des lois in die Sprache des Gesetzgebers zu übertragen : Leopold des I I . S t G B , für Neapel von 1786 war von Beccarias Geist erfüllt; in Osterreich trug Sonnent'els nach langen Kämpfen den Sieg davon: und in Preul'sen schritt Friedrich der Grol'se seit seinem Regierungsantritte auf der Baiin der Neuerungen vorwärts. 1. In Österreich verkündete J o s e p h I I . am 2. April 1787 «las Gesetz über Verbrechen und deren Bestrafung vom 13. Januar 1787, welches in aller und jeder Beziehung im schärfsten Gegensatze zur Theresiana stand. Kurze, knappe Sprache, aufgeklärter Despotismus, Ersetzung der Todesstrafe durch die grausamsten bis zu hundert Jahren währenden Leibesstrafen, Ausschluß der Analogie, mangelhafte Begriffsbestimmung sind die Merkmale dieses Gesetzbuches, welches, nachdem die Todesstrafe f ü r den Hochverrat 1795 wieder eingeführt worden, am 17. J u n i 1796 (in Kraft seit 1. Januar 1797) mit manchen Veränderungen in dem eben mit Österreich vereinigten Westgalizien, am 3. September 1803 (in Kraft seit 1. Januar 1804) für die ganze Monarchie mit zahlreichen und wesentlichen Verbesserungen neu kundgemacht wurde, und so, durch Vermittlung der verbesserten Ausgabe von 1852, die Grundlage des geltenden österreichischen Strafrechts bildet. Vgl. W a h l b e r g Kleinere Schriften I I I 1.— Eine tüchtige Bearbeitung fand das StGB, von 1803 in J e n u l l Das österr. Krim.-Recht nach seinen Gründen und seinem Geiste dargestellt 4 Bde. 1808 15. Das Joseph. StGB, haben dargestellt S o n n l e i t h n e r Anmerkungen 1787; d e L u c a Leitfaden 1789. — Das StGB, von 1787 bildete auch die Grundlage für das 1787 in den österreichischen Niederlanden eingeführte règlement provisionnel pour la procédure criminelle (Bruxelles 1787) und wurde dadurch in manchen wichtigen Punkten bestimmend f ü r die Gesetzgebung der französischen Revolution. 2. I n Preufsen entfaltete F r i e d r i c h s des Grofsen Regierung eine lebhafte Thätigkeit auf dem Gebiete der Strafgesetzgebung. Sie fand, nach zahlreichen Verbesserungen im einzelnen, ihren Abschlufs in dem allgemeinen Landrecht von 1794 (kundgemacht 20. März 1791 ; suspendiert 18. April 1792; wieder kundgemacht 5. Februar 1794; in Kraft 1. Juni 1794), welches im 20. Titel des II. Teils in 1577 Paragraphen das Strafrecht behandelte. K l e i n (-¡- 1810) hatte den hauptsächlichsten Anteil an der Abfassung ; die Schrift von G l o b i g und H u s t e r war nicht ohne Einflufs geblieben. In seiner behaglichen Breite, seinem ängstlichen Wohlwollen, seiner bis zum Komischen reichenden Sorge für Vorbeugungsmafsregeln, seinen im ganzen milden Strafbestimmungen und meist brauchbaren Definitionen ist die Strafgesetzgebung des A L R . ein bezeichnendes Bild der den aufgeklärten Polizeistaat beherrschenden Ansichten. Wenn auch dem heutigen Musterbild eines Gesetzbuches wenig
§. 10. Die Strafge«etzgebung der deutschen Einzelstaaten.
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entsprechend, war aie doch eine tüchtige und lebenskräftige, der Weiterentwicklung durchaus fähige Leistung.
I I I . D i e d e u t s c h e n S t r a f g e s e t z b ü c h e r d e s 19. J a h r h u n d e r t s . Die Geschichte der deutschen Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts bis 1870 zerfällt in zwei grofse Abschnitte, die durch das Erscheinen des preufs. StGB, von 1851 gebildet werden. Ein reger Wetteifer, wie er auf keinem andern Gebiete der Gesetzgebung in dieser Zeit sich findet, hatte der einzelnen Staaten des deutschen Bundes sich bemächtigt; die durch Jahrhunderte erprobten, unverlierbaren Ergebnisse des gemeinen Rechts, die Forderungen der Aufklärungszeit sollten mit den aus dem Rechtsleben des neuen Jahrhunderts sich ergebenden Bedürfnissen, mit den Postulaten der spekulativen Philosophie, mit den Forschungen der geschichtlichen Rechtswissenschaft zur Einheit verschmolzen werden. Dabei gewann der Napoleonische code pénal von 1810 (in K r a f t seit 1. Januar 1811), der Abschlul's der sofort mit der Revolution beginnenden Reformbewegung (code pénal 1791, code des délits et des peines vom 3. Brumaire an I V 1795, verfafst von M e r l i n , hauptsächlich das Strafverfahren regelnd), insbesondere durch den Vorzug seiner, der deutschen weit überlegenen, klaren und bestimmten technischen Ausdrucksweise einen tiefgreifenden, nicht immer günstigen Eiuflufs auf die Entwicklung des deutschen Rechts, dessen Grundgedanken er vielfach verdrängte. ') Eine kurze Ubersicht mufs hier genügen. 1.
Die deutschen Strafgesetzbücher vor 1851.
1. Bayern. F e u e r b a c h s 1804 erschienene Kritik d e s K l e i n s c h r o d schen Entwurfs von 1802 hatte zur Folge, dafs jener zur Ausarbeitung eines neuen Entwurfs berufen wurde. Feuerbachs Arbeit, 1807 vollendet, wurde nach Durchberatung in der Gesetzgebungskommission 1810 gedruckt, und nach erneuter Beratung als StGB, vom 16. Mai 1813 kundgemacht. Amtlicher, allein gestatteter Kommentar („Anmerkungen") von G ö n n e r 3 Bde. 1813 14. 1814 in Oldenburg eingeführt. Von Einflufs ') Mit den Siegeszügen Napoleons drang auch der code pénal über den Rhein und über die Alpen, nach Holland (wo er das tüchtige StGB, von 1809 verdrängte), nach der Schweiz, nach Italien, nach dem westlichen Deutschland. Fast überall überdauerte er den Sturz der Fremdherrschaft. 5*
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§• 10. Die Strafgesetzgebung der deutschen Einzelstaaten.
auf die spätere Gesetzgebung in Sachsen, Württemberg, Hannover und Braunschweig. 2. Sachsen. 1810 wurden T i t t m a n n und E r h a r d mit der Ausarbeitung eines StGB, beauftragt. Ihre Entwürfe ( T i t t m a n n 1813, E r h a r d 1816) bilden die Grundlage der Beratungen eines Ausschusses, deren Ergebnis ein von S t ü b e 1 gearbeiteter Entwurf von 1624 war. Möbels und Tittmanns Tod brachte die weiteren Arbeiten zum Stillstand. Dagegen führte der 1834 und 1835 verfafste Entwurf von G r o f s zu dem Kriminalgesetzbuch vom 30. März 1838. — Kommentare von G r o f s 1838, W e i i s 1841 ff., H e l d u. S i e b d r a t 1848. 3. Dem sächsischen StGB, von 1838 schlössen sich vier von den Thüringischen Staaten an, nämlich Weimar 1839, Altenburg 1841, Meiningen 1841, Schwarzburg-Sondershausen 1845. Das sächsische StGB, liegt auch dem sog. thüringischen StGB, zu Grunde, welches 1850 in Weimar, Sondershausen, Rudolstadt, Anhalt, Meiningen und Koburg, 1851 in Gotha, 1852 in Reufs jüng. Linie mit Abweichungen im einzelnen eingeführt wurde und nachträglich noch 1864 in Anhalt-Bernburg zur Geltung gelangte, wo von 1852 an das preufsische StGB, (von 1851) angenommen worden war. Dagegen hielt Altenburg an seinem StGB, von 1841 fest, und Reufs alt. Linie vermochte sich noch nicht vom gemeinen Rechte zu trennen. 4. Württemberg. Die ersten Arbeiten von 1810—1813 (vier Entwürfe) führten nicht zum Ziele. Dasselbe gilt von dem 1823 von v. W e b e r verfafsten Entwurf. Man behalf sich einstweilen mit dem Edikt vom 17. Juli 1824 über die Strafgattungen und Strafanstalten. Das StGB, vom 1. März 1839 beruht auf den Entwürfen von 1832 (als MS. gedruckt), 1835 (Druckausgabe 1835; Bericht der Kammerkommission 1837 gedruckt) und 1838 (der letztere nach den Beschlüssen der beiden Kammern). Umgestaltungen erfolgten 1849, 1853 und 1855. K n a p p Das Württembergische Kriminalrecht, dargestellt in Zusätzen zu Feuerbachs Lehrbuch 1828—29. W ä c h t e r Die Strafarten und Strafanstalten des Königreichs Württemberg. 1832. Kommentare von H e p p 3 Bde. 1839—42, H u f n a g e l (f 1848) 2 Bde. 1840—44, kürzere Darstellung 1845. 6. Hannover. Die 1823 begonnenen Arbeiten führten zu dem 1825 veröffentlichten Entwurf (hervorragend beteiligt A. B a u e r , der 1826 den Entwurf mit Anmerkungen herausgab und weitere Anmerkungen 1828 und 1831 veröffentlichte). 1825 bis 1830 Umarbeitung des Entwurfs, der im letzten Jahre den Ständen vorgelegt wurde. Diese beendeten ihre Arbeiten 1838. Kundmachung des StGB, unter dem 8. August 1840. Zahlreiche Nachtragsgesetze. — Kommentar von L e o n h a r d t 2 Bde. 1846—1851, kürzer 1860. 6. Brannschweig. Der von der Regierung 1839 den Ständen vorgelegte Entwurf (besonders thätig v. S c h l e i n i t z und B r e y m a r ) führte zu dem
§. 10. D i e Strafgesetzgtbung der deutachen Einzelstaaten.
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StGB, vom 10. J u l i 1840. Dieses galt von 1843 bis 1870 auch in L i p p e Detmold. 7. Hesgen-Dtrmstadt. Entwurf von K n a p p 1824; auf Grund eines Gutachtens von H i t t e r m a i e r umgearbeitet 1831. Entwurf von v. L i n d e l o f 1837 (als MS. gedruckt). 1839 Vorlage des abermals umgearbeiteten Entwurfs (Berichterstatter v. L i n d e und B r e i d e n b a c h ) . Verkündung des StGB, unter dem 18. Oktober 1841. Abgeändert 1849. — Kommentar von B r e i d e n b a c h 2 Abteilungen 1842 bis 1844 (nur der allgemeine Teil). — Das hessische StGB, galt bis zum J a h r e 1867 auch in N a s s a u seit 1849, in F r a n k f u r t a,'M. seit 1857, in H e s s e n - H o m b u r g seit 1869. 8. Baden. Strafedikt von 1803, welches auf Grundlage des gemeinen Rechts die Einheitlichkeit der Strafrechtspflege herstellen sollte. Seit 1836 arbeitet ein besonderer Ausschufs an der Herstellung eines Entwurfs (der erste Entwurf ist 1836 gedruckt), welcher 1839 der zweiten Kammer überreicht wurde. Verkündung des StGB, unter dem 6. März 1845. In K r a f t getreten am 1. März 1851. — Kommentare von T h i l o 1845, P u c h e l t 2 Teile 1866 bis 1868.
2. Das prenfsische Strafgesetzbach von 1851. Die wichtige Zirkularverordnung vom 26. Februar 1799 über die Bestrafung der Diebstähle und ähnlicher Verbrechen bildete den Abschlufs der von Preufsen seit dem Regierungsantritt Friedrichs des Grofsen zielbewufst und kraftvoll verfolgten Kriminalpolitik. Zögernd und unsicher schreiten seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts die Umgestaltungsarbeiten vorwärts. Durch Kabinetsordre vom 24. Juli 1826 wurde der grofsen Gesetzrevisionskommission (unter dem Vorsitz des Justizministers Graf D a n k e l m a n n ) die allgemeine Revision der preufsischen Gesetzgebung übertragen. F ü r die Beratung des Strafrechts (Pensum I) wurde eine besondere Deputation bestimmt: v. K a m p t z (damals Direktor im Justizministerium) Vorsitzender; S a c k und F i s c h e n i c h Mitglieder; S c h i l l e r Berichterstatter für die Vermögensdelikte, B o d e für alle übrigen Teile. E r gebnis : Der I. Entwurf (Kommissions-Entw.) November 1828 bis Februar 1829 gedruckt vorgelegt; dazu 4 Bde. Motive. Beratung des Entwurfs in der (grofsen) Gesetzrevisionskommission sowie im Staatsministerium. Ergebnis: Der II. Entwurf (I. Teil Kriminalgesetzgebung) 1830. Nachdem v. K a m p t z das Justizministerium (1830) übernommen, erfolgte eine neue Beratung. Sie führte zu dem III. (revidierten) Entwnrf. 1. Teil. Kriminalgesetzbuch und Motive 1833. 2. Teil. Polizeistrafgesetze und Motive (als V. Band der oben erwähnten Motive) 1833. Im Jahre 1834 verschiedene Nachträge, besonders zu den Polizeiübertretungen.
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§- 10. Die Strafgesetzgebung der deutschen Einzelstaaten.
Hierauf abermalige Beratung. 1836 der IT. (revidierte) Entwurf. Dazu die (von W e i l gearbeitete) Zusammenstellung der Strafgesetze auswärtiger Staaten. 5 Teile. 1838-1841. Durch Kabinetsordre vom 4. Februar 1838 wurde die weitere Prüfung einer Immediatkommis9ion aus Mitgliedern des Staatsrates übertragen. Sie beriet vom März 1838 bis zum Dezember 1842. Daneben begann die Beratung der allgemeinen Grundsätze im Plenum des Staatsrats im Dezember 1839 und dauerte bis Januar 1843. Ergebnis der T. Entwurf 1843. Dazu die Beratungsprotokolle. 3 Teile. 1839 bis 1842. Zusammenstellung der drei Entwürfe (1. der von 1836; 2. der sonst nicht gedruckte der Immediatkommission; 3. der des Staatsrats von 1843), herausgegeben vom Staatsminister v. K a m p t z 1844. Der Entwurf wurde einerseits mit einer 64 Fragen umfassenden Denkschrift im F r ü h j a h r 1843 den acht Landtagen vorgelegt, anderseits einer Reihe von Behörden und Gelehrten übersandt. Auf Grund der eingelaufenen Gutachten und Kritiken (der rheinische Landtag hatte einen neuen Entwurf mit Motiven vorgelegt) verfafste, unter dem Justizministerium v. S a v i g n y , B i s e h o f f 1845 die dreibändige Revision des Entwurfes des StGB, von 1843 und auf dieser Grundlage den 71. (revidierten)
Entwarf 1845. Die weitere P r ü f u n g erfolgte durch die Immediatkommission vom Oktober 1845 bis zum Juli 1846. Dezember 1846 legte die Kommission den VII. Entwurf dem Staatsrat vor. Dazu Verhandlungen der Kommission 1846. Inzwischen regten sich die Sonderbestrebungen der Rheinländer. Eine Denkschrift von R u p p e n t h a l 1846 gab ihnen Ausdruck. Erneute Beratung führte zu dem TBL Entwurf mit Motiven 1847. Dazu fernere Verhandlungen der Kommission 1847. Dieser Entwurf wurde, mit 19 beigefügten Hauptfragen, dem auf den 3. Dezember 1847 eiuberufenen Vereinigten stiindischen Ausschusse vorgelegt und von diesem sowohl in der vorbereitenden Abteilung als auch im Plenum bis zum 6. März 1848 beraten. Vgl. B l e i c h , Verhandlungen des usw. Ausschusses 4 Bde. 1848. Die weitere Beratung wurde durch die Märzereignisse unterbrochen. Justizminister S i m o n s nahm die Arbeit wieder auf. Am 10. Dezember 1850 legte er den IX. Entwurf mit Motiven (erschienen 1851) der zweiten Kammer vor. Endlich hatten die langjährigen Bemühungen Erfolg. Nach eingehender Beratung in beiden Kammern erfolgte unter dem 14. April 1851 die Königliche Sanktion des neuen StGB., das am 1. J u l i 1851 in Kraft trat. Der Einflufs der rheinischen Juristen war deutlich erkennbar: in den Bestimmungen über Versuch und Teilnahme, über Strafensystem und internationales Strafrecht, Dreiteilung und mildernde Umstände u. s. w. steht das preufs. StGB, unter dem Banne des code penal.
§. 10. Die Strafgesetzgebong der deutschen Einzelstarten.
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Litteratur. Kommentar von G o l t d a m m e r Materialien 2 Teile 1851,52, B e B e l e r 1851, O p p e n b o f f 1856ff.; Lehrbücher von T e m m e 1853, H ä l s c h n e r 1855—1868, H e m e r 1857 ff. Das preuf9. StGB, ward ohne oder mit Veränderungen eingeführt 1852 in Hohenzollern, in Anhalt-Bernburg (bis 1864), 1855 in Waldeck und Pyrmont, 1858 in Oldenburg (wo 1837 das StGB, von 1814, um manche Zusätze vermehrt, neu ausgegeben worden), 1863 in Lübeck. Eine Verordnung vom 12. Dezember 1866 verkündete die beiden ersten Teile des StGB, in Frankfurt a'M. Die Vdg. vom 25. Juni 1887 verfügte, dafs in den neuerworbenen Landesteilen das preufs. StGB, (in Frankfurt a/M. dessen dritter Teil) in der Fassung der dritten amtlichen Ausgabe (von 1859) mit dem 1. September 1867 Gesetzeskraft erlangen sollte. Dadurch wurden verdrängt: 1. In Nassau, Homburg und Frankfurt a'M. das hessische StGB, von 1841; 2. in Hannover das StGB, von 1840; 3. ¡D Hessen-Kassel und Schleswig-Holstein das gemeine Recht. — Uber K u r h e s s e n , wo ein im Jahre 1849 ausgearbeiteter Entwurf nicht zur Vorlage gelangt war, vgl. K e r s t i n g Da9 Strafrecht in Kurhessen in einzelnen Abhandlungen 2 Bde. 1853—1854. Über S c h l e s w i g - H o l s t e i n (Entw. von Eggers 1808, Entwürfe von 1840, 1849) vgl. K r a m e r Versuch einer systematischen Darstellung des peinlichen Rechts 1789; S c h i r ä c h Handbuch des schleswig-holsteinschen Kriminalrechts 2 Bde. 1828—1829.
3.
Die deutsche Landes-Strafgesetzgebung nach 1851.
1. Sachsen. Die Umgestaltung des StGB, von 1838 war nach den tief eingreifenden Ereignissen des Jahres 1848 unvermeidlich geworden. Ein im Juni 1848 berufener Ausschufs (Berichterstatter K r u g ) überreichte im Juli 1850 einen Entwurf, der aber nicht weiter verfolgt wurde. Ein neugearbeiteter Entwurf wurde im April 1853 den ständischen Deputationen überreicht. E r führte zu dem StGB, vom 11. August 1855, in Kraft seit 1. Oktober 1856. Eine Nachbildung ist das StGB, für R e u f s ä l t e r e L i n i e vom 27. November 1861, in Kraft seit 1. Mai 1862. Das sächsische StGB, wurde 1868 einer teilweisen Umarbeitung, insbesondere in Beliehung auf das Strafensystem unterzogen. Kommentare von K r u g 2. Auflage, 1861—62, S i e b d r a t 1863, v. S c h w a r z e 1868. Systematische Darstellung von W ä c h t e r 1857/58 «unvollendet). 2. In Bayern trat bereits wenige Jahre nach der Einführung des StGB, von 1813 das Bedürfnis nach einer völligen Umgestaltung desselben zu Tage. Der I. Entwarf von G ö n n e r 1822 begegnete fast allgemeinem Tadel. Ein II. Entwurf von 1827, welcher vorzugsweise das Werk v o n S c h m i d t l e i n s war. hatte kein besseres Schicksal. Ein III. von S t ü r z e r gearbeiteter Entwurf von 183L wurde nicht weiter beraten. Die ins Stocken geratenen Arbeiten wurden erst nach 1848 wieder aufgenommen. Justizminister v. K l e i n s c h r o d legte den Kammern 1851 den ersten
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§. 11. Die aufserdeutsche Strafgesetzgebung.
allgemeinen Teil eines IT. Kntwvrfs und 1853 einen vollständigen V. Entwurf mit Motiven (Oktavau8gabe 1854) vor. Unverändert wurde dieser letztere von Kleinschrods Nachfolger v. R i n g e l m a n n 1855 wieder eingebracht. Lebhafte Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Volksvertretung führten im März 1858 zum jähen Abbruch der weiteren Beratungen. Erst im Juni 1860 legte das neue Ministerium den Kammern den umgearbeiteten VI. Entwurf vor. Nunmehr schritten die Arbeiten rasch vorwärts; am 1. Juli 1862 trat das dem preufsischen verwandte StGB, vom 10. November 1861 in Kraft. Kommentare von H o c h e d e r 1862, W e i s 1863—65, D o l l m a n n ( t 1867) und R i s c h 1862—68, S t e n g l e i n 1861—62. 3. In Hamborg hielt man es noch 1869 für zeitgeraäfs, ein neues StGB, einzuführen, welches vom 1. September 1869 bis 1. Januar 1871 in Kraft war.
I V . D e r S t a n d d e r S t r a f g e s e t z g e b u n g im J a h r e 1870. G e m e i n e s R e c h t galt nur noch 1. in beiden Mecklenb u r g , 2. in Lauenburg (bis zur Einverleibung in Preufsen 1876). 3. in Schaumburg-Lippe und 4. in Bremen (wo die E n t würfe von 1861 und 1868 nicht zum Ziele geführt hatten). Daneben waren z e h n verschiedene Landes-Strafgesetzbücher in Geltung und zwar: 1. das braunschweigische von 1840 (auch in Lippe-Detmold). 2. das sächsische von 1838 in S.-Altenburg seit 1841, 3. das hessische von 1841. 4. das thüringische von 1850 ff.. 5. das preufsische von 1851. 6. das sächsische von 1868, 7. das hamburgische von 1869: aufserdem in Süddeutschl a n d : 8. das württembergische von 1839 . 9. das badische von 1845 und 10. das bayrische von 1861. Die Zersplitterung war grofs, aber nicht so grofs, als es auf den ersten Blick erscheinen mochte. Trotz aller Verschiedenheiten im einzelnen herrschte doch eine gewisse Ubereinstimmung in den Grundzügen. Vor allem aber war durch die unmittelbare und mittelbare Ausbreitung des Herrschaftsgebietes des preul's. StGB, die Schaffung eines gemein-deutschen Strafgesetzbuchs wesentlich vorbereitet worden. Auch auf diesem Felde sollte Preul'sen die Früchte seiner Politik ernten. §. I I .
Die aufserdeutsche Strafgesetzgebung.
Litteratur. Die Entwicklung bis 1870 ist dargestellt von v H o 11 z en d o r f f HH. I 120. — Über die Veränderungen seit 1880 regelmäfsige Berichte in Z. Auf diese sei hier, ebenso wie auf die Angaben in HG,
§. 11. Die aufserdeutsche Strafgesetzgebung.
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ein für allemal verwiesen. — Reiches Material in dem von der Société de législation comparée zu Paris herausgegebenen Annuaire de législation étrangère; bis jetzt 17 Jahrgänge. 1. Österreich. Das noch geltende StGB, vom 27. Mai 1852 ist lediglich eine verbesserte Auflage des StGB, von 1803. Die seit 1861 begonnenen Arbeiten haben bisher zu keinem Ergebnisse gefuhrt. Entwürfe von v. H y e 1867, G l a s e r 1874, P r a z a k 1881, S c h ö n b o r n 1889. Hauptwerke: H e r b s t Handbuch I. Bd. 7. Aufl. 1882 (Z I I I 667); II. Bd. 7. Aufl. 1884. J a n k a (t 15. Oktober 1888; Nachruf Z IX 617) Das österr. Strafrecht. 2. von R u l f herausgeg. Aufl. 1890 (Z IV 379, V 170). — Beste Textausgabe des StGB. v. 1852 von C r a m e r 1884 (bei Manz; Z IV 169). Entscheidungen des Kassationshofs seit 1876 (bei Manz). — Militär-StGB. vom 15. Jänner 1856 (Ausgabe von S k a l a 1881, Z I I 125). GefällsStGB. vom 11. Juli 1835 (Ausgabe von B l o n s k i 1881, Z II. 126; Kommentar von E gl au er 1889, Z IX 730). Das StGB, von 1852 gilt gegenwärtig aufser Cisleithanien auch noch in K r o a t i e n , S l a v o n i e n und L i c h t e n s t e i n . Der kroatische Entwurf von 1879 ist nicht Gesetz geworden. Vgl. über ihn T a u f f e r 1880; D e r s e l b e Gesammelte Wohlmeinungen u. s. w. 1882 (mit einer deutschen Ubersetzung). In B o s n i e n und der H e r z e g o w i n a wurde die Österreich. Gesetzgebung 1880 mit kleinen Veränderungen eingeführt. Amtliche Ausgabe Wien 1881 (mit undatierter Einführung« - Verordnung: in Kraft vom „1. September dieses Jahres".) 2. Ungarn. StGB, von 1878, in Kraft seit 1. September 1880, dem deutschen nachgebildet. Amtliche deutsche Ubersetzung 1878. — StGB, über Übertretungen vom 12. Juni 1879. Amtliche deutsche Ubersetzung von 1879. — Wissenschaftliche Bearbeitungen von S c h n i e r e r 1878, K a u t z 1881 u. a. — Vgl. S. M a y e r Die Entwicklung der Justizgesetzgebung in Ungarn während der Jahre 1875-1887. 1888 (Z I X 631). D e r s e l b e GS. XXXIV 417, 432. B a u m g a r t e n Die Judikatur des obersten Gerichtshofes in Ungarn Z IX 543. 3. Die Niederlande. Die Entwürfe von 1827, 1839 —46, 1847, 1859 blieben erfolglos. Erst der Entwurf von 1875 führte zu dem StGB, vom 3. März 1881, in Kraft seit 1. September 1886; vorzüglich das Werk von A. E. J . M o d d e r m a n n , Professor und Justizminister, f 1886. Deutsche Ubersetzung als Beilage zu Z I. — Ein neues Militär-StGB., welches an Stelle der StGBr. für die Seemacht und die Landmacht von 1814 und 1815 treten soll, ist in Vorbereitung (Verfasser van d e r H o e v e n ) . — In Niederländisch O s t - I n d i e n gilt für die E u r o p ä e r ein StGB, von 1866, abgeändert 1875 (Ausgabe von de P i n t o ) . Gegenwärtig ist der Entwurf eines neuen Gesetzbuches in Vorbereitung. Für die I n l ä n d e r ein StGB, von 1872, abgeändert 1876, 1879. In W e s t - I n d i e n (Surinam und Curaçao) StGBr. von 1868. (Ausgaben von d e r K i n d e i en.)
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§•
Pie aufserdeutsche Strafgesetzgebung.
H . J . S c h m i d t Geschiedenis van het Wetbock von Strafrecht V Bde. 1881—89. Kommentar zum StGB, von van S w i n d e r e n 1888 ff. Ausgabe der gesamten Materialien bei Gebr. B e l i n f a n t o 6 Teile 1879 bis 86 (Z I X 374). Treffliches Lehrbuch (Inleiding tot de Studie van het Nederlandsche Strafrecht) von v a n H a m e l 1889 ff. — Tijdschrift voor Strafrecht mit vorzüglichen Übersichten über Litteratur, Rechtsprechung und Gesetzgebung (Beit 1. September 1886). 4. Der skandinavische Korden. Dänemark besitzt ein StGB, vom 10. Februar 1866. MilitärStGB. vom 7. Mai 1881, deutsche Ubersetzung als Beilage zu Z II. Hauptwerk: G o o s Den Danske Strafferet 1875 ff. — Das i s l ä n d i s c h e StGB, vom 25. Juni 1869 stimmt im wesentlichen mit dem dänischen überein. Schweden. StGB, vom 16. Februar 1864, in Kraft seit 1. Januar 1865 — Teilweise Abänderung durch das Gesetz vom 28. Oktober 1887. Entwurf in Vorbereitung (seit 1888). MilitärStGB. vom 7. Oktober 1881, deutsche Ubersetzung als Beilage zu Z II. Norwegen. StGB, vom 20. August 1842, umgestaltet am 3. Juni 1874, sowie am 29. J u n i 1889. Entwurf (von G e t z ) in Vorbereitung. I. (AUgem. Teil) 1887. Kommentar von S c h w e i g a a r d t. Finnland. Neues StGB, vom 19. Dezember 1889, welches vom 1. Januar 1891 an Stelle der schwedischen Gesetzgebung von 1734 (mit Abänderungen von 1866) tritt. Entwürfe von 1875 und 1884. — MilitärStGB. vom 16. Juli 1886. 5. Frankreich. Hier ist der Code pénal durch wiederholte, zum Teil tief einschneidende Gesetze (1832, 1848, 1850, 1864, 1863 u. s. w.) umgestaltet worden. Militär-StGB. f ü r des Heer vom 7. Juni 1857, für die Flotte vom 4. J u n i 1858. Berichte von G a r r a u d Z I I I 144, V I 732. — Aus der Litt, zu erwähnen: C h a u v e a u und F a u s t i n - H é l i e Théorie du code pénal 5. Aufl. 6 Bde. 1873. — O r t o l a n (f 1873) Eléments de droit pénal 5. Aufl. 2 Bde. 1886. — V i l l e y Précis d'un cours de droit criminel 1. Aufl. 1889 (Z VI 745). — T r é b u t i e n Cours élémentaire de droit criminel 2. Aufl. 1884 (Z V I 745). — B l a n c h e Etudes pratiques sur le code pén. 7 Bde. 1861 bis 72; 2. Aufl. 1888 — 89. — Besonders zu empfehlen: G a r r a u d Précis de droit criminel 3. Aufl. 1887 (Z I 339, V 267). D e r s e l b e Traité théorique et pratique de droit pénal français Bd. I, II, I I I 1888 und 1889. — Im Augenblick ist ein Ausschufs mit der Bearbeitung des C. p. befafst ; vgl. Bulletin de la Société gén. des prisons 1887 S. 328, 478. — Über f r a n z ö s i s c h - 1 n d i e n vgl. E. S a u v e l im Journal du droit criminel 1884. In C o c h i n c h i n a wurde 1880 der Code pénal eingeführt. 6. Belgien hat seit 1867 den französischen Code pénal in wesentlich verbesserter Gestalt eingeführt. Dasselbe gilt von Luxemburg seit 1879, dessen StGB, sich durchaus an das belgische anschliefst. H a u s (f 1881) Principes généraux du droit pénal belge. 3. Aufl. 2 Bde. 1879. — N y p e l s Le code pénal belge interprété 3 Bde. 1867, 1878,1884. — B e r n e r GS. X X X V I I 497. - Belgisches Militär-StGB. vom
§. 11. Die aofserdeutsche Strafgeaetzgebung.
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27. Hai 1870; Kommentar von D e j o n g h 1880. — Ausgabe des luxemb. StGB, in französischer Sprache nebst der amtlichen deutschen Übersetzung von Ruppert (Luxemburg 1879). 7. Italien. Bis 1. Januar 1890 galt in Toskana das (unter Mittermaien Einflufs dem badischen nachgebildete) StGB, von 1863, während auf das übrige Italien seit 1859 allmählich das sardinische StGB, von 1839 ausgedehnt wurde. Seit jenem Tage ist das StGB, vom 30. Juni 1889 in Kraft. Deutsche Übersetzung als Beilage zu Z X. Die Vorgeschichte des Gesetzes reicht über zwei Jahrzehnte zurück. Wichtigste Entwürfe von V i g l i a n i 1874, M a n c i n i 1876, Z a n a r d e l l i - S a v e l 1 i 1883, P e s s i n a 1884, T a j a n i 1886, Z a n a r d e l l i 1887. Vgl. auch die Lavori parlamentari del nuovo cod. pen. in den Beilagebänden zu der seit 1874 erscheinenden, von L u c c h i n i gegründeten und geleiteten Rivista penale. — Besprechungen des Entwurfs Zanardelli: v. L i s z t Abhandlungen des krim. Seminars 1 1; H. S e u f f e r t Mitteilungen aus dem Entwurf eines StGB, für Italien 1888 (Z IX 628); B u c c e 1 l a t i GS. X X X I X 577; v. H o l t z e n d o r f f GS. XL 321; S u c h s l a n d GS XL1I 321. — Bearbeitungen des neuen StGB, von C o g l i o l o , C r i v e l l a r i , T r a v a g l i a , P e s s i n a u . a . — Altere Litteratur: C a r r a r a (-}• 18881 Programma del corso di diritto penale. Allg. Teil 2 Bde. Besond. Teil 7 Bde. 1863 ff. P e s s i n a Elementi di diritto penale 2 Bde. 1882— 83. B r u s a Saggio di una dottrina generale del diritto penale 1884 (Z V 267). D e r s e l b e Prolegomini al diritto penale 1888 (Z IX 732). — Die strafrechtlichen Nebengesetze bringt die Rivista penale. Neues Militär-StGB. ist in Vorbereitung. In San Marino gilt ein StGB, vom 15. September 1865. 8. Spanien. StGB, von 1848, Umgestaltung 1. Januar 1871. Entwürfe von 1882, 1884 (FranciscoSi 1 v e l a ) und 1886 ( M a r t i n e z C a m p o s ) . — Militär-StGB. vom 17. November 1884. — Hauptwerk: S i l v e l a El derecho penai u.s.w. 1874—1880. — Besprechung der Entwürfe: v. K i r c h e n h e i m GS. X X X V I I 417 (Z VI 393); S. M a y e r GS. X L 272. — Dem spanischen nachgebildete StGBücher gelten auf C u b a , P u e r t o R i c a und den P h i l i p p i n e n . Portugal. Das StGB, vom 10. Dezember 1852 wurde umgearbeitet unter dem 14. Juni 1884 und dem 16. September 1886. — Vgl. K r e t s c h m a r in Schletters Jahrbüchern V I I I 185; L e h r Revue de droit intern. XX 313; M. T o r r e s C a m p o s Rivista penale XXX 213. Das selbständige Fürstentum Monaco (französische Seealpen) besitzt ein StGB, vom 19. Dezember 1874 (in Kraft seit 1. Januar 1876). 9. Die Schweiz, wo vom 4. Mai 1799 bis 1803 die Strafgesetzgebung der französischen Republick als helvetisches StGB, in Kraft war, wird zur Zeit nur durch das Bundesgesetz vom 4. Hornung 1853, welches lediglich die Verbrechen gegen den Bund und die Verbrechen der Bundesbeamten regelt, zur strafrechtlichen Einheit zusammengefafst. Daneben ist eine Anzahl von strafrechtlichen Bestimmungen in andern eidgenössischen Gesetzen enthalten. Die einheitliche Militärstrafgerichts-
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§• 11-
Die aufserdeutsche Strafgesetzgebung.
Ordnung ( n i c h t StGB.) ist am 1. J a n u a r 1890 ins Leben getreten. Die Ausarbeitung eines bürgerlichen Bundes-Strafgesetzbuchs ist in Angriff genommen. Oberrichter Professor S t o o f s in Bern hat den A u f t r a g erhalten, durch eine vergleichende Darstellung der kantonalen Strafrechte die Grundlage für eine einheitliche Gesetzgebung zu schaffen. Die 22 StGBr. der einzelnen Kantone (soweit diese der gesetzlichen Regelung des Strafrechts nicht gänzlich entbehren und in ihrer Strafrechtspflege auf einzelne Verordnungen sowie auf den Gerichtsgebrauch angewiesen sind) weichen von einander weit ab, indem die deutschen Kantone mehr oder weniger treu den jeweiligen Stand der deutschen Wissenschaft und Gesetzgebung widerspiegeln, während die französischen, insbes. Genf und Neuenburg, sich den code penal zum Vorbilde nehmen. Kein StGB, haben Uri, Nidwaiden, Appenzell i Rh. — Altere Gesetze besitzen Thurgau 1841, (umgearbeitet 1867i, Waadt 1843 44 (Entw. v. 1882), Graubünden 1851, Neuenburg 1855 62, Wallis 1858 9, Schaffhausen 1&59 (Entw. v. 1886, Z I X 346). — Neuere Gesetzbücher Bind eingeführt in Luzern 1860,61 (Ausgabe von Pfyffer 1861 f.), Obwalden 1864/65, Bern 1866/7 (Ausgabe von Stoofs 1885, Z V 419), Glarus 1867 (umgearbeitet 1887), Zürich 1871 (Ausgabe v. Benz-Zürcher 1886, Z VI 410; italienisch von Brusa und Carrara 1873), Baselstadt 1872/73 (Ausg. von 1887, Z V I I I 422\ Baselland 1873, Tessin 1873, Freiburg 1874, Genf 1874, Zug 1876 (mit Änderungen von 1882), Appenzell aufser Rh. 1878, Schwyz 1881, St. Gallen 1885 (in Anwendung 1. Mai 1886, Z V I 726), Solothurn 1885 (in K r a f t 1. Juli 1886, Z V I 724), Aargau 1857 mit Ergänzungsgesetz von 1886 (Ausgabe von Stierli 1887, Z V I I I 423). In Neuenburg ist ein von Staatsrat C ' o r n a z 1889 gearbeiteter Entwurf in Beratung. P o l i z e i S t G B r . besitzen Luzern (1861), Obwalden (1870), Baselstadt (1872/3), Graubünden (1873), Aargau (1868). Vgl. überhaupt S t o o f s GS. X L 121 (Z V I I I 417, 617), sowie die von S t o o f s herausgegebene Zeitschrift f ü r Schweizer Strafrecht (seit 1888). 10. In R a f t l a n d , wo das StGB, von 1866 (eine Umarbeitung des StGB, von 1845) in K r a f t ist, wird an einem neuen, durchaus auf der Höhe der westeuropäischen Gesetzgebung stehenden Strafgesetzbuche gearbeitet. Deutsche Übersetzung des StGB, erschien Petersburg 1868. Unter den wissenschaftlichen Vertretern sind besonders T a g a n z e f f und F o i n i t z k y z u nennen. Uber des letzteren Lehrbuch W e s n i t s c h Z X 4 4 7 . Ferner Lehrbücher von S p a s s o v i t s c h , S e r g e j e w s k y , N e k l ü d o f f u. a. Vgl. auch L e u t h o 1 d Russische Rechtskunde 1889. — Über den insbesondere von Taganzeff und Foinitzky gearbeiteten Entwurf eines StGB, (allg. Teil, Verbrechen gegen die Person und gegen das Vermögen, auch in deutscher Übersetzung von Gretener erschienen), wurde eine Reihe deutscher Gutachten veröffentlicht (vgl. Z V 745, V I I 595, 708). Ke-
§. 11.
Die anfserdeutsche Strafgesetzgebung.
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sprechung von G e y e r Z I I I 598, I V 186, V I 559. S c h ü t z e GA X X X V I 226. 11. Der Sidosten Europas. Griechenland. Das dem bayrischen nachgebildete StGB, vom 18./30. Dezember 1833 (amtl. Ausgabe deutsch und griechisch 1834) ist mehrfach, insbes. 1864, verbessert worden. — Entw. von 1871. — Hauptwerk das fünf bändige Handbuch von S a r i p o l o * 1868-1871; Lehrbuch von K o s t e 3 Bde. 1871—1879. Serbien. Das StGB, vom 29. März 1860 ist dem preufsischen von 1861 nachgebildet. - Vgl. S. M a y e r GA. X X X I V 441, GS. X X X I V 570. — Militär-StGB. vom 22. Oktober 1886. Rnminien. StGB, von 1864 in der Fassung vom 15. Februar 1874. Türkei. StGB, vom 25. Juli 1858 (mehrfach abgeändert), im Geiste des französischen Hechts (französische Übersetzung 1883). Es gilt gegenwärtig noch in O s t r u m e l i e n und B u l g a r i e n . Vgl. S. M a y e r Rivista penale X X X 190. Der für B u l g a r i e n von S t o i l o f f 1888 vorgelegte Entwurf wurde von den Kammern verworfen. Montenegro. StGB. Daniels I. vom 23. April 1855. Deutsche Übersetzung 1859 (Wien, Manz). Vgl. W a h 1 b e r g Kleine Schriften I I I 340. 12. England. Das englische Recht beruht auf dem common law, der Rechtsprechung (case law) und dem Statute law. F ü r das Strafrecht sind besonders die Criminal law consolidation statutes von 1861 von Bedeutung, durch welche die wichtigsten Verbrechensgruppen (Vermögensdelikte und Verbrechen gegen Leib und Leben) eine Neugestaltung erfuhren. Nachdem es den Bemühungen von J . F. S t e p h e n 1860 gelungen war, ein StGB, f ü r I n d i e n (umgestaltet 1870, 82 und 86) durchzusetzen, wurde der Gedanke einer einheitlichen Strafgesetzgebung f ü r Grofsbritannien mit Entschiedenheit aufgenommen. Aber die Entwürfe von 1878, 1879. und 1880 stiefsen im Parlamente auf so vielfache Schwierigkeiten, dafs die Hoffnung auf das Zustandekommen eines englischen StGB, eine sehr geringe geworden ist. Berichte von J . F. S t e p h e n Z 1439, O . S m i t h Z l V 1 1 9 , 518, L ö h n i s Z V I I I 61. — L i e p m a n n Z VI 413. — A s c h r o t t Strafensystem und Gefängniswesen in England 1887 (Z V I I I 618). — Hauptwerke: J . F . S t e p h e n Digest of the criminal law (crimes and punishments) 5. Aufl. 1883 (Z IV 531). D e r s e l b e A history of the criminal law of England 3 Bde. 1883 (Z I V 618). P h i l l i p s Comparative criminal jurisprndence 2 Bde. 1889 (Vergleichung des indischen Strafrechts mit dem europäischen). D e r s e l b e Manual of Indian criminal law 1883. — Das indische StGB, bildet die Grundlage des StGB, für S i n g a p o r e und die S t r a i t S e t t l e m e n t s (9. August 1871). Die englischen Kolonieen in A u s t r a l i e n besitzen beachtenswerte Gesetzgebungen auf dem Boden des englischen Rechts; so Süd-Australien vom 27. Oktober 1876, Neu-Süd-Wales vom 26. April 1883, Viktoria in dem General Code (der 1886 beraten wurde), Neuseeland den Criminal Code Act von 1886. In K a n a d a fand 1887 eine
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§. 11.
l ) i e aufserdeutsche Strafgesetzgebung.
Revision der Strafgesetzgebung statt. — Englisches Recht gilt seit 1854 auch auf M a l t a . Auf M a u r i t i u s ist noch eine französische Ver: Ordnung von 1838 in K r a f t . 13. Das Strafrecht der Vereinigten Staaten von Nordamerika ruht im wesentlichen auf denselben Grundlagen wie das englische und trägt denselben Charakter wie dieses. In den letzten Jahren sind in den meisten Staaten nicht immer gelungene Versuche einer Kodifikation des Strafrechts gemacht worden. Zuletzt im N e u - Y o r k e r StGB, von 1881, abgeändert 1886. Gemeinsames Rccht wird nur durch einige Bundesgesetze mit strafrechtlichem Inhalt gebildet. Deutsche Übersetzung des StGB, von Neu-York in Beilage zu Z IV. — Neuere W e r k e : H a r r i s - F o r c e Principles of criminal law 1880. M a y The law of crimes 1881 (Z I 609).
14. Die übrigen Staaten Amerikas. Mexiko. StGB, vom 7. Dezember 1871 (gilt in der gesamten Republik bez. der gegen den Bund gerichteten Delikte, im übrigen nur in Unter-Kalifornien). Zentralamerika. C o s t a - R i c a . StGB, vom 27. April 1880. Bearbeitung von O r o z c o 1882. — S a n S a l v a d o r . StGB, von 1880. — H o n d u r a s . StGB, vom 8. März 1866; Mil.-StGB. vom 31. Mai 1881. — G u a t e m a l a . StGB, vom 15. September 1877. Mil.-StGB. vom 15. September 1878.
Westindien. Negerrepublik H a i t i . Vgl. P r a d i n e Code pénal et code d'instruction criminelle annotées. Paris 1883. — H a w a ï besitzt ein StGB, von 1850. Sfidamerika. B r a s i l i e n . StGB, vom 16. Dezember 1830 (in K r a f t seit 1831). Kommentar von P i n o c o 1886; und (sehr tüchtig) von V i e i r a d e A r a u j o . Ein Ausschuss zur Umarbeitung des StGB, war bis zum Sturze der Monarchie in Thätigkeit. — C h i l e . StGB, vom 12. November 1874 (in K r a f t seit 1. März 1875). Kommentar von Robustiano V e r » 1883. — B o l i v i a . StGB, von 1830. — P e r u . StGB, von 1862 (in K r a f t seit 1863). — Vereinigte Staaten von K o l u m b i e n . Das StGB, von Cundinamarca vom 16 Oktober 1858 wurde durch Gesetz vom 15. April 1887 f ü r die gesarate Republik eingeführt; ein neues StGB, in Vorbereitung. StGB, vom 25. November 1886, in — Argentinische Republik. K r a f t seit 1. März 1887. — U r u g u a y StGB, vom 17. Januar 1889. 15. Asien. C h i n a besitzt kein Strafgesetzbuch; einzige Quelle des Rechts sind die in der Amtszeitung veröffentlichten kaiserlichen Anordnungen. Vgl. L i n d A chapter on the Chinese penal law 1887 (Z I X 633). — K o h 1 e r Chinesisches Strafrecht 1886. — S t a u n t o n ( R e n o u a i - d d e S a i n t e - C r o i x ) Ta-tBing-leu-lee ou les lois fondamentales du Code pénal de la Chine 2 Bde. 1812. (Leu-Lee ist die Sammlung der straigerichtlichen Bestimmungen.)
§. IS. Das Oesetz alt ausschliefsliche Quelle des Reichsstrafrechts.
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J a p a n . Nach langen Vorarbeiten (Entwürfe von 1871, 76, 1880) ist das StGB, vom Juli 1880, in Kraft seit 1. Januar 1881, zu Stande gekommen. Doch wird dieses einer erneuten Umarbeitung unterzogen. Amtliche englische Ausgabe Jokohama 82 (ich kenne eine in Quart und eine in Oktav). Vgl. v a n H a m e l Revue de droit intern. XIV 480. B o i B s o n a d e Projet révisé de code pénal pour l'empire du Japon 1886. R u d o r f f Ramporitsu oder Hiakkajo. Ein japanisches Rechtsbuch aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts 1889 (Z IX 719). M i c h a e l i s Zur Kenntnis der Geschichte des japanischen Strafrechts. R u d o r f f Die Rechtspflege in Japan in der gegenwärtigen Periode (Meiji).
16. Afrika.
In Ä g y p t e n wurde durch Dekret vom 13. November 1883 ein neues StGB, eingeführt. Amtl. französische Ubersetzung aus dem Arabischen in Jahrgang 1883 des Bulletin des lois et décrets (Kairo). Der K o n g o s t a a t besitzt ein am 1. August 1888 ins Leben getretenes StGB. Abgedruckt im Bulletin officiel de l'État Indépendant du Congo, Juni 1888.
HI. Die Quellen des Eeiclisstrafrechts. Erster Abschnitt. Die Erscheinungsform der Quellen. §. 12.
Das Gesetz als ausschliefcliche Quelle des Reichsstrafrechts.
I. Nach heutiger Rechtsanschauung ist d a s G e s e t z d i e einzige Quelle der Strafrechtssätze. Alle Sätze des Strafrechts gehören mithin dem g e s e t z t e n R e c h t e 1 ) an. D i e heutige Strafgesetzgebuug geht aus von der Annahme ihrer V o l l s t ä n d i g k e i t und gründet darauf die Forderung ihrer A u s s c h l i e f s l i c h k e i t . Sie kleidet diese Forderung in den seit der Aufklärungszeit regelmäfsig wiederkehrenden, im R S t t i B . §. 2 Abs. 1 wiederholten Satz: „Eine H a n d l u n g kann nur dann mit einer S t r a f e belegt werden, wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen ') Abweichend B g I 197, 201 ; auch Z I 4.
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§• 12-
Gesetz als ausschliefsliche Quelle des Reichntrafrechti.
wurde." Nur die im Gesetze ausdrücklich mit Strafe bedrohten Handlungen sind strafbar, und nur die im Gesetze ausdrücklich angedrohten Strafrahmen sind anwendbar. Diese Auffassung steht in untrennbarem Zusammenhange mit der Aufgabe, welche das jeweils geltende S t a a t s r e c h t dem Strafrichter zuweist. Nur wenn und soweit dieser nicht blofs Organ der Rechtsa n w e n d u n g , sondern auch der R e c h t s s c h ö p f u n g ist, giebt es andre als gesetzte Strafrechtssätze. Darum gestattete die römische Kaiserzeit im Gegensatze zum Quästionenprozesse dem Richter die Bestrafung ad exemplum legis (1 7 § 3 D 48, 4); darum „schöpfte" der mittelalterliche Urteils,,finder" die RechtBsätze aus seiner Rechtsüberzeugung; darum mufste das gemein-deutsche Strafrecht , gestützt auf Art. 105 PGO., der Gewohnheit und der Wissenschaft die Weiterbildung seiner Sätze überlassen. Noch die Theresiana hielt an dieser Auffassung fest. Aber seit der Aufklärungszeit war der Richter nur mehr der Verkünder des Gesetzes, dessen Wortlaut, nicht dessen Geist ihn bindet. Man ging so weit, wie einst zu Justinians Zeiten jede Auslegung des Gesetzes verbieten zu wollen.®) Wir sind heute von diesen Übertreibungen zurückgekommen und überweisen dem Richter die Anwendung des in seinem organischen Zusammenhange, d. h. wissenschaftlich erkannten Rechts. Daraus folgt unmittelbar, dafs dem G e r i c h t s g e b r a u c h (und nur in diesem kann das sog. G e w o h n h e i t s r e c h t sich äufsern) r e c h t s e r z e u g e n d e Kraft nicht zukommen kann, mag es sich darum handeln, neue Rechtssätze in Geltung oder geltende RechtBsätze aufser Geltung zu setzen (sog. desuetudo).') Damit ist aber auch der W i s s e n s c h a f t die rechtschaffende Kraft versagt. Durch die Kunst der A u s l e g u n g bat sie den Inhalt der Rechtssätze klarzustellen; durch die B e g r i f f s e n t w i c k l u n g kann sie vorhandene, aber nicht ausdrücklich und nicht unmittelbar ausgesprochene Rechtsätze aufdecken. Niemals aber kann sie aus eigner Kraft Rechtsätze schaffen oder vernichten. Nur dem Gesetze wohnt rechterzeugende Kraft bei.
II. Nur die Reichsgesetzgebung ist mithin Quelle der Rechtsätze des Reichsstrafrechts. In dreifacher Gestalt aber tritt uns der Befehl des Reichsgesetzgebers entgegen: 1. als G e s e t z im engern. staatsrechtlichen Sinne; 2. als V e r o r d n u n g . *) Vgl. G e i b I 328; L ö n i n g Z i n 320; Bg I 23 Note 18. *) Die entgegengesetzte Ansicht vertreten auch heute noch einzelne Schriftsteller. So Bg I 210, H I 82, M 139 (aber: „höchstens auf dem Gebiete des Landesstrafrechts") 0 46. — Der Gerichtsgebrauch kann daher jederzeit wieder umgestofsen werden. Vgl. auch GVG. §. 137. — Verwirrend hat vielfach die Bezeichnung des richterlichen Urteils als einer lex specialis gewirkt, eine Bezeichnung, hinter welcher man vergeblich nach einem klaren Gedanken sucht.
§. 12.
DM Oesetz ah ausschliefsliche Quelle des Reichsstrafrechts.
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soweit ausnahmsweise den Organen des Reichs ein Verordnungsrecht auf strafrechtlichem Gebiete ausdrücklich eingeräumt i s t ; 4 ) 3. als S t a a t s v e r t r a g , wenn die Voraussetzungen des A r t . 11 Abs. 3 der Reichsverfassung gegeben sind. I I I . Gesetz ist d e r d u r c h d a s v e r f a s s u n g s m ä f s i g e Z u s a m m e n w i r k e n der gesetzgebenden F a k t o r e n erk l ä r t e , in d e r v e r f a s s u n g s g e m ä f s e n F o r m v e r k ü n d e t e W i l l e d e r G e s a m t h e i t (RVerf. A r t , 2, 5, 17). Gesetz ist der e r k l ä r t e W i l l e der Gesamtheit; nicht der n i c h t e r k l ä r t e W i l l e . und nicht die n i c h t g e w o l l t e Erklärung. Die Erklärung erfolgt durch die B e s c h l u f s f a s s u n g seitens des Reichstages und Bundesrates, durch die A u s f e r t i g u n g und den V e r k ü n d i g u n g s b e f e h l seitens des Kaisers. Danach haben wir die sogenannten R e d a k t i o n s v e r s e h e n zu beurteilen. ä ) Von Redaktionsversehen spricht man, wenn der erklärte Wille selbst auf einem Irrtume beruht. D a das Erklärte gewollt und das Gewollte erklärt ist. liegt ein die Rechtsgenossen bindendes Gesetz vor. das nur durch Gesetz wieder beseitigt werden kann, wie dies durch die Novelle vom 2fi. Februar 187fi in einer Reihe von Fällen (nicht in allen) thatsächlich geschehen ist. Verschieden davon ist die Nichtübereinstimmung zwischen dem Wortlaut der Kundmachung und jenem der gefafsten Beschlüsse. Die irrtümlich kundgemachte Bestimmung ist nicht Gesetz, aber auch nicht der zwar gefafste aber nicht kundgemachte Beschlufs. Daher kann nur durch eine neue berichtigende Kundmachung diesem Mangel abgeholfen werden. 8 ) 4 ) Vgl. dazu L a b a n d I 589 (2. Aufl.) und die hier angeführte Litteratur. — Interessante Beispiele bieten §. 4 des Konsulargerichtsbarkeitsgesetzes vom 10. Juli 1879 sowie insbesondere §. 3 des Gesetzes vom 19. März 1888 betr. die Rechtsverhältnisse in den deutschen Schutzgebieten. Nach letzterem steht ein Strafverordnungsrecht nicht nur dem Kaiser und dem Reichskanzler zu, sondern es kann von diesem auch die Ausübung der Befugnis den mit kaiserl. Schutzbriefe versehenen KolonialgeselUchaften sowie den Beamten der Schutzgebiete übertragen werden. ") S c h ü t z e GA XX 351; S o n t a g Die Redaktionsversehen 1874; W ä c h t e r GS X X I X 321; M e r k e l H H IV 76; W a c h I 266. Bg I 460. •) Nach Bg I 460 ist der falsche Wortlaut einfach durch die Kritik zu berichtigen. Das ist zweifellos ebenso unrichtig, wie die zur Be-
r o n L i a z t , Strafrecht. 4. Aufl.
6
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§. 13. Das Reichsstrafgesetzbuch.
Aus dem Gesagten folgt, data die sogenannten „Materialien" der Gesetze, insbesondre Begründung und Kammerverhandlungen, nur mit äufser9ter Vorsicht als Auslegungsmittel verwertet werden können. Sie sind nicht erklärter Wille der Gesamtheit, sondern gehen uns im günstigsten Falle die Beweggründe, welche einzelne Mitglieder des einen der gesetzgebenden Faktoren zu i h r e r Willenserklärung bestimmt haben. 7 ) IV. Eine eigentümliche Erscheinungsform bieten diejenigen Strafrecht8siitze. in welchen nur die S t r a f d r o h u n g durch Reichsgesotz bestimmt ist, während die Festsetzung des Tliatbestandes anderen Gewalten, sei es dem Kaiser, dem Bundesrat, der Justizverwaltung, der Landesgesetzgebung oder der Polizei, vielleicht sogar der aul'serdeutschen Gesetzgebung, überlassen wird. Beispiele bieten StGB. §§. 145, 327, 328, 361«, 366 1 - 18 , 367«, », 368 Xahrungsmittelgesetz §§. 6—7 und zahlreiche andere NebengeBetze. Besonders interessant Gesetz betr. Zuwiderhandlungen gegen die österr.ungar. Zollgesetze v. 17. Juli 1881 §§. 2 u. 3. — Man spricht hier wohl von Blankettgesetzen (Binding), „blinden" oder „offenen" Strafdrohungen (fieinze, Janka). In allen diesen Fällen ruht aber die verbindende Kraft der Verknüpfung von Thatbestand und Rechtsfolge, also des Strafrechtssatzes selbst, auf reichsgesetzlicher Anordnung.
Zweiter Abschnitt. Geschichte und Litteratur des Reichsstrafrechts. §. 13.
Das Reichsstrafgesetzbuch.
1. Die an die Lanclesgesetzgebung gewendete Arbeit war keine vergebliche gewesen. Ohne sie wäre das Keichsstrafreeht nicht in so kurzer Zeit geschaffen worden. Innner und immer wieder wurden die Grundsätze des Strafrechts geprüft, die Forderungen der Wissenschaft mit den Ergebnissen der Kechtaufgestellte Behauptung, dafs auch die falsche Veröffentlichung em formellen Erfordernisse der Kundmachung genüge, oder die von fBründung i n d i n g Grundrifs 53 ausgesprochene, jetzt zurückgenommene Ansicht,
dafs der (nicht kundgemachte) Rechtssatz dem ungesetzten Recht anehöre. — Der Ausdruck „ D r u c k f e h l e r " ist zur Bezeichnung solcher 'alle zu eng. Interessantes Beispiel in Mil.StGB. §. 141 („Festungsstrafe" statt „Freiheitsstrafe"). Vgl. auch zu llil.StGB. §.95 H e c k e r 208. ') So schon W ä c h t e r Archiv 1839 S. 345. S c h a f f r a t h Theorie der Auslegung konstitutioneller Gesetze 1842. Jetzt kann die im Texte
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sprechung verglichen, das Strafensystem ausgebildet, die Technik vervollkommnet. Allmählich sammelte sich ein Schatz von gemeinsamen Anschauungen, ein inhaltlich-gemeines deutsches Strafrecht, die langsam gewonnene aber sichere Grundlage für ein einheitliches Gesetzbuch. Wiederholte Anläute zu einem solchen scheiterten. Die von einzelnen Personen ausgearbeiteten Entwürfe (K. S. Zachariae 1826. v. S t r o m b e c k 1829. K r u g 1857. v. K r ä w e l 1862) fanden wenig Beachtung. Der §. 64 der Reichsverfassung vom 28. März 1849 veranlasste (las preufsische Justizministerium zur Herstellung eines Entwurfes (1849), der, den rasch sich verschiebenden Zeitverhältnissen zum Opfer fallend, bis auf wenige Stücke, ohne ausgegeben zu werden, wieder eingestampft wurde. Auch der von Bayern in Verbindung mit mehreren anderen Regierungen im Jahre 1859 beim Bundestage gestellte Antrag, die Möglichkeit und Nützlichkeit einer gemeinsamen bürgerlichen und Strafgesetzgebung zu erörtern, hatte kein andres Ergebnis, als dafs der Ausschul'sbericht vom 12. August 1861 das Vorhandensein eines ..sehr dringenden Bedürfnisses" nach einem allgemeinen deutschen StGB, in Abrede stellte. Ungefähr gleichzeitig hatte der Antrag K r iL w e i s , der 1. deutsche Juristentag (1860) möge die Dringlichkeit einer einheitlichen Strafgesetzgebung aussprechen. im Plenum zwar einstimmige Annahme, aber nur geringe Teilnahme gefunden. I T . Es scheint, dafs dieselbe Ansicht in den nmfsgebenden Kreisen noch herrschte, als der Entwurf einer norddeutschen Bundesverfassung aufgestellt wurde. Der Art. 4 2fr. 13. welcher Zivilprozefsordnung und Konkursverfahren, Wechsel - und Handelsrecht der gemeinsamen Gesetzgebung unterstellte, erwähnte das Strafrecht nicht. Es ist ein unbestreitbares Verdienst L a s k e r s , durch einen von ihm gestellten und von dem konstituierenden Reichstage angenommenen Zusatz-Antrag die Aufnahme des Strafrechts in das Gebiet der gemeinsamen vertretene Ansicht als die in der Wissenschaft herrschende betrachtet werden. Vgl. Bg 1 471. W a c h I 282. G l a s e r I 317. Das Reichsgericht argumentiert freilich noch viellach mit der „Entstehungsgeschichte" der strafgesetzlichen Bestimmungen und greift zur Auslegung des StG-Es. nicht blofs auf die Entwürfe zum prcul's. S t ü B . von 1851. sondern selbst auf das A L R . zurück. 6*
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Gesetzgebung veranlafst zu haben (Art. 4 Nr. 13 der Bundesverfassung vom 26. Juli 1867). In kurzer Frist kam die Angelegenheit in Flufs. Auf Grund eines von den Abgeordneten W a g n e r und P l a n c k am 30. März 1868 gestellten Antrages beschloß der Reichstag am 18. April 1868. ..den Bundeskanzler aufzufordern, Entwürfe eines gemeinsamen Strafreclites und eines gemeinsamen Strafprozesses . sowie der dadurch bedingten Vorschriften der Gerichtsorganisation baldthunlichst vorbereiten und dem Reichstage vorlegen zu lassen". Nachdem der Bundesrat am 5. Juni 1868 diesem Beschlüsse beigetreten war. ersuchte der Bundeskanzler in dem Schreiben vom 17. Juni 1868 den preuisischen Justizminister Dr. L e o n h a r d t , die Ausarbeitung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches zu veranlassen. 1. Die Ausarbeitung wurde dem damaligen Geheimen Oberjustizrate Dr. F r i e d b e r g übertragen: Gerichtsassessor Dr. R u b o und Kreisrichter R ü d o r f f wurden als Hilfsarbeiter beigeordnet. Am 31. Juli 1865» konnte der von F r i e d b e r g ausgearbeitete Entwurf (Entwurf 1) dem Bundeskanzler überreicht und gleichzeitig veröffentlicht werden. Sehr wertvolle Motiv«' und (vier) Anlagen (Zusammenstellung strafrechtlicher Bestimmungen aus deutschen und aulserdeutschen Gesetzgebungen: Todesstrafe: Fragen aus dem Gebiete der gerichtlichen Medizin: höchste Dauer der zeitigen Zuchthausstrafe) waren ilun beigegeben. Der Entwurf schlol's sich an das preussisclie StGB, von 1851 als Vorbild an. aber nicht ohne dasselbe in einigen wichtigen Beziehungen wesentlich zu verbessern. ä. Zur Prüfung des Entwurfes trat eine vom Bundesrate schon am 3. Juli 18651 gewählte Kommission von sieben Mitgliedern am 1. Oktober 1865) in Berlin zusammen. Sie bestand aus Dr. L e o n h a r d t als Vorsitzendem, Dr. F r i e d b e r g als Berichterstatter, Generalstaatsanwalt Dr. v. S c h w a r z e (Dresden) alt stellvertretendem Vorsitzenden, Senator Dr. D o n a n d t (Bremen), Rechtsanwalt Justizrath Dr. D o r n (Berlin), Appellationsgerichtsrat B ü r g e r « (Köln), Oberappellationsgerichtsrat Dr. B u d d e (Rostock). l)r. R u b o und R ü d o r f f waren zu Schriftführern ernannt worden. Die „Theoretiker", von welchen keiner der Kommission beigezogen worden war, beteiligten sich durch handschriftlich überreichte oder g*-
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druckte Gutachten an dem nationalen Werke; so A n s c h ü t z , B e s e l e r (handschriftliche Mitteilungen), B e r n e r , B i n d i n g , G e y e r , H ä b e r l i n , H ä l s c h n e r , H e i n z e , H . M e y e r (gedruckte Gutachten), M e r k e l , G e s s l e r , S e e g e r (Verhandlungen des 9. deutschen Juristentags). J o h n hatte schon früher seinen lebhaften Anteil bekundet durch seinen: Entwurf mit Motiven zu einem StGB. f. d. Norddeutschen Bund 1868.
isach 43 Sitzungen beendete die Kommission ihre Beratung am 31. Dezember 1869 und überreichte am selben Tage den gedruckten Entwurf ( E n t w a r f I I ) dem Bundeskanzler (ohne Motive). Der Entwurf wurde nicht veröffentlicht, aber einzelnen Fachmännern zugeschickt. Heinze, Yollert, Wächter schrieben wertvolle Besprechungen desselben. 3. Der von der Kommission festgestellte Entwurf wurde nunmehr vom Bundesrate in der Zeit vom 4. bis 11. Februar 1870 einer kurzen Beratung unterzogen, aus welcher er mit wenigen Abänderungen (so erhielt §. 2 Einf.Ges. seine jetzige Fassung) als E n t w u r f I I I hervorging. Am 14. Februar 1870 wurde der Entwurf dem Reichstage vorgelegt. Die 4 Anlagen des Entwurfes I und die von F r i e d berg und v. S c h w a r z e teilweise umgearbeiteten Motive zu diesem waren beigelegt. L e o n h a r d t und F r i e d b e r g wurden von seiten der Regierungen mit der Vertretung des Entwurfes beauftragt. Die e r s t e „Lesung- 1 fand am 22. Februar statt. Der Antrag v. S c h w a r z e , den Entwurf einem Ausschusse von 21 Mitgliedern zu überweisen, wurde verworfen, und auf Antrag des Abgeordneten A l b r e c h t beschlossen, den ersten (allgemeinen) Teil sowie die Abschnitte 1—7 des zweiten Teils (hauptsächlich die politischen Delikte) durch Plenarberatung zu erledigen und nur die übrigen Abschnitte 8 — 2 9 des zweiten Teiles einer kommissioneilen Vorberatung zu unterziehen. Am 28. Februar begann die z w e i t e L e s u n g , die am 8. April 1870 zu Ende gefuhrt wurde. Hervorzuheben wäre die grofse Auseinandersetzung über die Todesstrafe, deren Beseitigung am 1. März 1870 mit 118 gegen 81 Stimmen beschlossen wurde. Für den Beginn der 3. L e s u n g war der 21. Mai 1870 angesetzt worden. Da erklärte .Tustizminister L e o n h a r d t im
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Auftrage der verbündeten Regierungen, dafs diese von der Rücknahme mehrerer der in 2. Lesung gefafsten Beschlüsse das Zustandekommen des Gesetzes abhängig machten. In erster Linie handelte es sich um die Wiederherstellung der Todesstrafe. Der von P l a n c k eingebrachte Zusatzantrag: „in denjenigen Bundesstaaten. in welchen die Todesstrafe gesetzlich bereits abgeschafft ist. bewendet es hierbei" — führte zunächst zu einer Vertagung der weiteren Beratung, und dann (22. Mai) zu einem Beschlüsse des Bundesrates, welcher den Antrag Planck als die einheitliche Rechtsbildung in einem der wichtigsten Punkte beeinträchtigend für unannehmbar erklärte. Am 23. Mai wurden die Beratungen wieder aufgenommen. P l a n c k zog seinen Antrag zurück: nach einer grofsen Rede des Bundeskanzlers wurde die Wiederherstellung der Todesstrafe mit 127 gegen Iii» Stimmen beschlossen. Das Gesetz selbst gelangte mit den vom Bundesrate gewünschten Abänderungen am 25. Mai zur Annahme, erhielt am selben Tage die Genehmigung des Bundesrates, am 31. Mai 1 ft70 mit dem EinfUhrungsgesetze die Ausfertigung des Bundesoberhauptes, und wurde in der am 8. Juni 1870 ausgegebenen Nr. 16 des BGBl, als StGB, für den Norddeutschen Bund veröffentlicht. Der Beginn seiner Wirksamkeit wurde auf den 1. Januar 1871 festgesetzt. IIT. Durch die auf denselben Tag fallende Gründung des Deutschen Reichs wurde die rmwandlung des n o r d d e u t s c h e n in das R e i c h s s t r a f g e s e t z b u c h notwendig gemacht. 1. Nach Art. 80 der zunächst mit Baden und Hessen am 15. November 1870 vereinbarten Verfassung des deutschen Bundes trat (las StGB, vom 31. Mai 1870 nebst dem gleichzeitig erlassenen Einführungs-Gesetz a) in B a d e n am 1. Januar 1872. b) in Hessen isoweit es nicht zum Norddeutschen Bunde gehört hatte) am 1. Januar 1871 in Kraft. 2. Nach dem mit W ü r t t e m b e r g am 25. November 1870 abgeschlossenen Vertrage begann die Wirksamkeit des StGB, daselbst mit dem 1. Januar 1872 (Art. 2 Nr. 6). 3. In B a y e r n erfolgte. entsprechend dein Vertrage vom 23. November 1870. die Einführung des StGB., mit Wirkung vom 1. Januar 1872. durch das Gesetz vom 22. April 1871
§. 13.
betreffend Bayern.
Das Reichsstrafgeeetzbuch.
die Einführung
norddeutscher
Bundesgesetze
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in
Inzwischen hatte §. 2 des Gesetzes vom 16. April 1871, die Verfassung des Deutschen Reichs betreffend. das StGB, zum R e i c h s g e s e t z e erklärt. Das Gesetz vom 15. Mai 1871. betreffend die Redaktion des StGB, für den Norddeutschen Bund als StGB, für das Deutsche R e i c h , nahm in dem Texte des StGB, (nicht des Einführungs-Gesetzes) die durch die Änderung der politischen Verhältnisse notwendig gewordenen Umgestaltungen vor. 4. In E l s a f s - L o t h r i n g e n wurde das StGB, (aber nicht das Einführungs-Gesetz vom 31. Mai 1870) durch das Gesetz vom 30. August 1871 (abgeändert durch Gesetz vom 14. Juli 1873) mit Wirkung vom 1. Oktober 1871 eingeführt. Demnach begann die Wirksamkeit des R S t G B : 1. am 1. J a n u a r 1871 in den Gebieten des früheren Norddeutschen Bundes und in Hessen südlich des Main; 2. am 1. Oktober 1871 in Elsafs-Lothringen; 3. am 1. J a n u a r 1872 in Württemberg, Baden, Bayern. IV. Schon durch das Gesetz vom 10. Dezember 1871 erhielt das RStGB. einen Zuwachs in dem als §. 130 a eingefügten sogenannten Kanzelparagraphen. Es folgten die Gesetze vom 30. November 1874 und 6. Februar 1875, durch welche die §§. 287 und 337 StGB, beseitigt wurden. Viel tiefergreifend, wenn auch lange nicht durchgreifend, war die durch die Novelle am 26. Februar 1876 geschaffene Umgestaltung des kaum ins Leben getretenen und doch schon vielfach als verbesserungsbedürftig bezeichneten Gesetzbuchs. Die wichtigsten Bestimmungen der am 23. November 1875 eingebrachten, nach eingehenden Beratungen (1. Lesung am 3. Dezember 1875; 2. Lesung vom 14. Dezember 1875 bis 29. Januar 1876; 3. Lesung 9. und 10. Februar 1876) mit vielen und wesentlichen Veränderungen angenommenen Vorlage betrafen folgende Punkte: 1. Verschiedene Redaktionsversehen wurden verbessert. 2. In einer Reihe von Fällen (§§. 176. 177, 240, 241, 296, 370 Nr. 4) wurde das Antragserfordernis beseitigt, in anderen (§§. 263, 292) beschränkt, und im allgemeinen die Unwiderruflichkeit des Antrags als Regel aufgestellt (§. 64).
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§. 14. Die übrigen Reichs-Strafgesetze.
3. Die Hindestmafse der Strafe wurden erhöht in den §§. 113, 114, 117; der Umfang der Verantwortlichkeit erweitert in §. 4 Nr. 1. 4. Neu eingefügt wurden §. 49 a („Duchesne-Paragraph"), §. 103 a, §. 223a, §. 296a, §. 353a („Arnim-Paragraph"), §. 366a, §. 361 Nr. 9; §. 130a 2. Abs. V. Die weitem Abänderungen des Gesetzes betrafen folgende Punkte: 1. D i e Ersetzung der §§. 281—283 S t G B , durch das 3. Buch der Konkurs-Ordg. vom 10. Februar 1877. 2. D i e Einfügungen der §§. 302 a — 3 0 2 d durch das sog. Wuchergesetz vom 24. Mai 1880. 3. D i e Anfügung eines zweiten Absatzes an den §. 184 durch Art. IV des Gesetzes betr. die unter Ausschlufs der Öffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlungen vom 5. April 1888. §. 14.
Die übrigen Reichs-Strafgesetze.
L i t t e r a t u r . Bg I 126. — Empfehlenswerte Sammlung aller einschlagenden Reichsgesetze: H e l l w e g und A r n d t Die deutsche und preußische Strafgesetzgebung 1883. ErgänzuDgsheft 1883—1885. 1886 (Z I I I 608, VI 758). Brauchbar auch B o r c h e r t Kodex des deutschpreufs. Strafrechts und Strafprozesses 1882. Nachtrag 1887 (Z VII 748). Die Strafrechtssätze, deren Inbegriff unser Reichsstrafrecht ausmacht, sind durch die Normen des B S t G B . nicht erschöpft. Auch zahlreiche andere Reichsgesetze (vom Standpunkte des Kriminalisten aus unpassend ,.2sebengesetze" genannt) enthalten wichtige, in keinem Systeme des Strafrechts zu übergehende, strafrechtliche Bestimmungen. Diese Gesetze folgen hier in zeitlicher Ordnung. 1867.
1. Gesetz betr. die Erhebung einer Abgabe von Salz vom 12. Oktober 1867. 2. Gesetz betr. die Nationalität der Kauffahrteischiffe vom 25. Oktober 1867. 1868. 3. Gesetz betr. die Besteuerung des Branntweins usw. vom 8. Juli 1868; nur für einen Teil des Bundesgebietes geltend. 1869. 4. Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 mit zahlreichen Abänderungsgesetzen; zuletzt Gesetz vom 6. Juli 1887 (neue Fassung durch Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 1. Juli 1883). 6. Gesetz betr. die Besteuerung des Zuckers vom 26. Juni 1869, teilweise abgeändert durch Gesetz vom 1. Juni 1886.
§. 14. Die übrigen Reichs-Strafgesetze.
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6. Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869. 7. Gesetz betr. die Sicherung der Zoll verein« grenze in den vom Zollgebiete ausgeschlossenen Hamburger Gebietsteilen vom 1. Juli 1869; ausgedehnt auf die bremischen Gebietsteile durch Gesetz vom 28. Juni 1879. 1870. 8. Gesetz wegen Abänderung der Verordnung die Besteuerung des im Inlande erzeugten Rübenzuckers betr. vom 2. Mai 1870. 9. Gesetz betr. das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken vom 11. Juni 1870. 1871. 10. Reichsverfassung vom 16. April 1871. 11. Gesetz betr. die Inhaberpapiere mit Prämien vom 8. Juni 1871. 12. Gesetz über das Postwesen vom 28. Oktober 1871. 13. Gesetz betr. die Beschränkung des Grundeigentums in der Umgebung von Festungen vom 21. Dezember 1871. 1872. 14. Gesetz wegen Erhebung der Brausteuer vom 31. Mai 1872, nur für einen Teil des Bundesgebietes geltend. 15. Militärstrafgesetzbuch vom 20. Juni 1872. 16. Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872. 17. Gesetz betr. die Verpflichtung deutscher Kauffahrteischiffe zur Mitnahme hilfsbedürftiger Seeleute vom 27. Dezember 1872. 1873. 18. Gesetz über die Kriegsleistungen vom 13. Juni 1873. 19. Gesetz betr. die Registrierung und Bezeichnung der Kauffahrteischiffe vom 28. Juni 1873. 20. Münzgesetz vom 9. Juli 1873. 1874. 21. Impfgesetz vom 8. April 1874. 22. Reichsmilitärgesetz vom 2. Mai 1874. 23. Gesetz über die Presse vom 7. Mai 1874. 24. Strandungsordnung vom 17. Mai 1874. 26. Gesetz über den Markenschutz vom 30. November 1874. 26. Gesetz betr. die Ausgabe von Banknoten vom 21. Dezember 1874. 1875. 27. Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschliefsung vom 6. Februar 1875. 28. Bankgesetz vom 14. März 1875. 1876. 29. Gesetz betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste vom 9. Januar 1876. 30. Gesetz betr. den Schutz der Photographien gegen unbefugte Kachbildung vom 10. Januar 1876. 31. Gesetz betr. das Urheberrecht an Mustern und Modellen vom 11. Jan. 1876. 32. Gesetz betr. die Beseitigung von Ansteckungsstoffen bei Viehbeförderung auf Eisenbahnen vom 25. Februar 1876. 33. Die Not- und Lotsensignalordnung für Schiffe auf See und auf den Küstengewässern vom 14. August 1876,
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§. 14. Die übrigen Reichs-Strafgesetze.
34. Verordnung über das Verhalten der Schiffer nach einem Zusammenstofs vom 15. August 1876. 35. Gesetz betr. die Schonzeit f ü r den Fang von Robben vom 4. Dezember 1876. 1877. 36. Reichskonkursordnung vom 10. Februar 1877. 37. Patentgesetz vom 24. Mai 1877. 38. Gesetz betr. Zuwiderhandlungen gegen die zur Abwehr der Rinderpest erlassenen Vieh-Einfuhrverbote vom 21. Mai 1878. 39. Gesetz betr. den Spielkartenstempel vom 3. Juli 1878. 40. Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21. Oktober 1878. 1879. 41. Gesetz betr. den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genufsmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 14. Mai 1879. 42. Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. J u l i 1879. 43. Gesetz betr. die Besteuerung des Tabaks vom 16. J u l i 1879. 44. Gesetz betr. die Steuerfreiheit des Branntweins zu gewerblichen Zwecken vom 19. Juli 1879. 1880. 45. Verordnung zur Verhütung des Zusammenstofsens der Schiffe auf See vom 7. Januar 1880. 46. Gesetz betr. die Schiffsmeldungen bei den Konsulaten des Deutschen Reichs vom 25. März 1880. (Dazu Verordnung vom 28. Juli 1880.) 47. Gesetz betr. den Wucher vom 24. 31ai 1880. 48. Gesetz betr. die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen vom 23. Juni 1880. 1881. 49. Gesetz betr. die Küstenfrachtfahrt vom 22. Mai 1881. 50. Gesetz betr. die Erhebung von Reichsstempelabgaben vom 1. Juli 1881; abgeändert durch Gesetz vom 29. Mai 1885. 51. Gesetz betr. die Bestrafung von Zuwiderhandlungen gegen die österr.-ungar. Zollgesetze vom 17. Juli 1881. 52. Gesetz betr. die Bezeichnung des Raumgehaltes der Schankgefäße vom 20. Juli 1881.
1878.
1882.
53. Gesetz betr. Abänderung des Zolltarifs vom 15. J u l i 1879. Vom 23. Juni 1882. 1883. 54. Gesetz betr. die Krankenversicherung der Arbeiter vom 16. J u n i 1883. 55. Gesetz betr. die Reichskriegshäfen vom 19. J u n i 1883. 56. Gesetz betr. die Abwehr und Unterdrückung der RebUuskrankheit vom 3. Juli 1883. 1884. 67. Gesetz betr. die Stimmzettel für öffentliche Wahlen vom 12. März 1884. 68. Internationaler Vertrag betr. die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee aufserhalb der Küstengewässer vom 6. Mai 1882 (ratif. am 15. März 1884). 59. Gesetz zur Ausführung der internationalen Konvention vom
§. 14. Die übrigen Reichs-Strafgesetze.
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6. Mai 1882 betr. die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee vom 30. April 1884. 60. Gesetz betr. die Anfertigung und Verzollung von Zündhölzern vom 18. Mai 1884. 61. Gesetz betr. die Abänderung des Gesetzes über die eingeschriebenen Hülfskassen (7. April 1876) vom 1. Juni 1884. 62. Gesetz gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen vom 9. Juni 1884. 63. Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. 64. Gesetz über den Feingehalt der Gold- und Silberwaren vom 16. Juli 1884. 65. Gesetz betr. die Kommanditgesellschaften auf Aktien und Aktiengesellschaften vom 18. Juli 1884. 1885. 66. Gesetz betr. den Schutz des zur Anfertigung von Reichskassenscheinen verwendeten Papiers gegen unbefugte Nachahmung vom 26. Mai 1885. 67. Gesetz betr. Abänderung des Gesetzes wegen Erhebung von Reichsstempelabgaben (vom 1. Juli 1881) vom 29. Mai 1885. 68. Verordnung betr. die Übertragung landesherrlicher Befugnisse auf den Statthalter in Elsafs-Lothringen vom 28. September 1885. 69. Vertrag mit Belgien, betr. die Bestrafung der auf den beiderseitigen Gebieten begangenen Forst-, Feld-, Fischerei- und Jagdfrevel vom 29. April 1885. 70. Bekanntmachung betr. das Bahnpolizeireglement für die Eisenbahnen Deutschlands vom 30. November 1886. 1886. 71. Gesetz betr. die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete vom 17. April 1886, abgeändert durch Gesetz vom 15. März 1888 (neue Fassung vom 19. März 1888). 72. Gesetz betr. die Unfall- und Krankenversicherung der in landund forstwirtschaftlichen Betrieben beschäftigten Personen vom 5. Mai 1886. 1887. 73. Gesetz betr. die Besteuerung des Branntweins vom 24. Juni 1887. 74. Gesetz betr. den Verkehr mit blei- und zinkhaltigen Gegenständen vom 25. Juni 1887. 75. Gesetz betr. die Verwendung gesundheitsschädlicher Farben bei der Herstellung von Nahrungsmitteln, Genufsmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 5. Juli 1887. 76. Gesetz betr. die Besteuerung des Zuckers vom 9. Juli 1887. 77. Gesetz betr. die Unfallversicherung der bei Bauten beschäftigten Personen vom 11. Juli 1887. 78. Gesetz betr. den Verkehr mit Ersatzmitteln für Butter vom 12. Juli 1887. 79. Gesetz betr. die Unfallversicherung der Seeleute und andrer bei der Seeschifffahrt beteiligter Personen vom 13. Juli 1887.
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Litteratur des Reichsstrafrechta u. 8. w.
80. Gesetz zur Ausführung des internationalen Vertrages zun Schutze der unterseeischen Telegraphenkabel (vom 14. März 1884) vom 21. November 1887. 1888. 81. Gesetz betr. den Schutz von Vögeln vom 22. Ilärz 1888. 82. Gesetz über die Auslegung des Art. I I des Gesetzes vom 30. August 1871 betr. die Einführung des StGB, für das Deutsche Reich in Elsafs-Lothringen vom 29. März 1888. 83. Gesetz betr. die unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlungen vom 5. April 1888. 84. Bekanntmachung betr. die Schiffsvermessungsordnung vom 20. J u n i 1888. 1889. 85. Gesetz betr. die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom 1. Mai 1889. 86. Gesetz betr. die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889. 87. Verordnung betr. das Bergwesen im südwestafrikanischen Schutzgebiet vom 15. August 1889. Außerdem enthalten die internationalen Verträge des Deutschen Reichs (über Rechtshilfe, Auslieferung. Schutz der Urheberrechte, die Freundschafts-, Schiffahrts- und Handelsverträge) manche wichtige strafrechtliche Bestimmungen, die an geeigneter Stelle Erwähnung finden werden.
§. 15.
Litteratur des Reichsstrafrechts und seiner Hilfswissenschaften.
Eine vollständige Bibliographie des Strafrechts fehlt. Für die ältere Litteratur sind zu empfehlen : G. W. B ö h m e r Handbuch der Litteratur des Kriminalrechts in seinen allgemeinen Beziehungen mit besonderer Rücksicht auf Kriminalpolitik nebst wissenschaftlichen Bemerkungen 1816. K a p p 1er Handbuch der Litteratur des Kriminalrechts und dessen philosophischer und medizinischer Hilfswissenschaften 1838. N y p e 1 s Bibliothèque choisie du droit criminel 1864. — Für die neuere Zeit bieten wertvolles Material die systematischen Sachregister zu den einzelnen Bänden der Z. Als die bedeutendsten Arbeiten sind an dieser Stelle zu nennen: I. Text&U8gaben. Ambesten die von R ü d o r f f 15. Aufl. 1890 und O l s h a u s e n 3. Aufl. 1887. Aufserdem: D a u d e 3. Aufl. 1888 (Z I I I 710). T r a u b 5. Aufl. 1885 (Z V 668). K r a h 1888. v. M a n g o l d t 1889. I I . Systematiiche Darstellungen. Lehrbücher von B e r n e r 1. Aufl. 1867, 15. Aufl. 1888 (Z I X 669). — S c h ü t z e 2. AuH. 1874. — H. v. M e y e r 4. Aufl. 1888 (Z 1X662). — v. H o l t z e n d o r f f f 4. Februar 1889 (Nachruf von K l e i n f e i 1er Z I X 619) Handbuch des deutschen Strafrechts in Einzelbeiträgen von verschiedenen Verfassern. 4 Bde. 1871—1877. — v. W ä c h t e r Deutsches Strafrecht. Vorlesungen herausgegeben von 0 . v. W ä c h t e r 1881 (Z I I 150). — H ä l s c h n e r Das
§. 15. Litteratur des Reichsstrafrechts u. s. w.
93
gemeine deutsche Strafrecht, systematisch dargestellt, I. Bd. 1681, I L Bd. 1. Teil 1884, 2. Teil 1887 (Z I 337, 653, V 263, VIII 84). — t . B a r Handbuch des deutschen Strafrechts. I. Bd. Oeschichte des deutschen Strafrechts und der Strafrechtstheorien 1883 (Z 11 617, I I I 472). — B i n d i n g Handbuch des Strafrechts I. Bd. 1885 (besprochen von M e r k e l Z V I 496, Y. L i s z t Z VI 663). — Grundrisse von B i n d i n g 3. Aufl. 1884 (Z V 266), G e y e r + 1885 (Nachruf von H a r b u r g e r Z VII 175) 1884,86 Z V 265, 723, L ö n i n g 1885 (Z VI 398). — Kurzgefaßte Lehrbücher von M e r k e l 1889, v. L i s z t 1890. Einen kurzen Abrifs des Strafrechts hat G e y e r in v. H o l t z e n d o r f f s Encyklopädie (3. Aufl. 1879, 4. Aufl., bearbeitet von M e r k e l 1890f.) geliefert. K o b n e r s sog. Lehrbuch 1888 (Z V I I I 633) ist ein schlecht gearbeiteter Quaritsch. Dagegen behandelt Z i e b a r t h Forstrecht das Strafrecht in trefflicher Kürze. III. Von den Kommentaren sind neben M e y e r (Thorn), K i r c h m a n n , B l u m , H a h n , F u c h e l t , R u b o hervorzuheben: O p p e n h o f f 11. Aufl. 1888, herausgegeben von Th. F. Oppenhoff (Z IX 663). R ü d o r f f 3. Aufl., herausgegeben von Stenglein 1881 (Z I I 149). v. S c h w a r x e 5. Aufl. 1883 (Z I I I 703). O l s h a u s e n 1. Aufl. 1879 bis 1883 (Z III 703) 3. Aufl. 1889 f. (Z IX 663), der umfangreichste, zugleich aber auch wissenschaftlich tüchtigste sämtlicher Kommentare. — Unvollendet blieb: B i n d i n g Die gemeinen deutschen Strafgesetzbücher. Kommentar. I. Einleitung. 2. Aufl. 1877. IV. Abhandinngen allgemeineren Charakters: S e e g e r Abhandlungen aus dem Strafrechte 1858. K ö s t l i n Abhandlungen aus dem Strafrecht. Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben von G e f s l e r 1868. — G l a s e r (t 1886; Nachruf von Lammasch in Grünhut XIV 675) Abhandlungen aus dem österreichischen Strafrecht I 1858. — D e r s e l b e Kleine Schriften über Strafrecht und Strafprozefs 9. Aufl. 1883 (Z I I I 689). — M e r k e l Kriminalistische Abhandlungen 1867. — " W a h l b e r g Gesammelte kleinere Schriften und Bruchstücke über Strafrecht u. s. w. 1 1875, II 1877, III 1882 (Z III 174). — B i n d i n g Die Normen und ihre Übertretung. Eine Untersuchung über die rechtmäfsige Handlung und die Arten des Delikts I 1872, II 1877. — H e r t z Das Unrecht und die allgemeinen Lehren des Strafrechts I 1880. — H r e h o r o w i c z Grundbegriffe des Strafrechts 2. Aufl. 1882 (Z I 346, III 496). — B ü n g e r Über Vorstellung, Wille und Handlung als Elemente der Lehre vom Verbrechen und von der Strafe 1888. — G e y e r Kleinere Schriften strafrechtlichen Inhalts. Herausg. v. H a r b u r g e r 1889. V. Zeitschriften: A r c h i v des p r e u f a i s c h e n S t r a f r e c h t s ; 1853 von Goltdammer begründet, 1872 v on Mager, 1873—1880 von Hahn, 1880 bis 1886 von Backoffner, seither von Meves, vom 37. Bande ab von M e v e s , D a l c k e und M u g d a n geleitet. Titel seit 1871: Archiv für gemeines deutsches und für preufsisches Strafrecht. — D e r G e r i c h t s s a a l ; 1849 von Jagemann begründet, seit 1872 von v. Schwarze,
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§. 15. Litteratur des Reichsstrafrechts u. s. w.
nach dessen am 17. Januar 1886 erfolgten Tode (Nachruf von Stenglein ö S XXXVIII 241) von v. Ho l t z e n d o r f f , vom 42. Bande ab von S t e n g l e i n herausgegeben. — A l l g e m e i n e d e u t s c h e S t r a f r e c h t s z e i t u n g herausgegeben von v. H o l t z e n d o r f f 1861 bis 1878. Seit 1874 mit dem Gerichtssaal verschmolzen. — Das von B e l m o n t e 1885 begründete T r i b u n a 1 ist 1888 eingegangen. — Z e i t s c h r i f t f ü r die g e s a m t e S t r a f r e c h t s w i s s e n s c h a f t ; 1881 von Dochow und v. Liszt begründet, nach des ersteren Tode (20. Dezember 1881 -r Nachruf von v. Liszt Z II Seite I) von v. L i s z t und v. L i l i e n t h a l , vom VIII. Bande aufser den Genannten auch von B e n n e c k e weitergeführt. — M i t t e i l u n g e n d e r I n t e r n a t i o n a l e n k r i m i n a l . V e r e i n i g u n g seit 1889 (vgl. oben §. 1 Note 2a. E.). — A b h a n d l u n g e n d e s p r e u f s . k r i m i n a l i s t i s c h e n S e m i n a r s (früher in Marburg, jetzt in Halle a. S.) seit 1888 von v. L i s z t herausgegeben. VI. Sprachsammlangen: D i e d e u t s c h e S t r a f r e c h t s p r a x i s I. Bd. 1877 von Pezold, S t i e g e l e und Köhn. II. Bd. 1880 von Z i m m e r l e . Eine übersichtliche Zusammenstellung der Entscheidungen der höchsten deutschen Gerichte zum RStGB. — D i e R e c h t s p r e c h u n g des d e u t s c h e n R e i c h s g e r i c h t s in Strafsachen, mit Ende 1888 eingegangen, im Ganzen 10 Bände. — E n t s c h e i d u n g e n des R e i c h s g e r i c h t s in Strafsachen. Herausgegeben von den Mitgliedern des RG. Vom 19. Bande ab auch von den Mitgliedern der Reichsanwaltschaft mit herausgegeben. — S a m m l u n g d e r E n t s c h e i d u n g e n des OLG. München in Gegenständen des S t r a f r e c h t s u n d S t r a f p r o z e s s e s 1881 ff. VII. Strafrechtsfälle. Aufser der veralteteu Kasuistik des Kriminalrechts von O s e n b r ü g g e n (1854): v. B a r Strafrechtsfälle 1875. — Dochow Strafrechtsfälle. 3. Aufl. herausg. von v. L i s z t 1884, 4. Aufl. in Vorbereitung. — K o h l e r Strafrechtsaufgaben zum Gebrauche bei dem akademischen Strafrechtspraktikum 1. Abteiig. 1889. VIII. Hilfswissenschaften: 1. Die Arbeiten über K r i m i n a l - B i o l o g i e und - S o z i o l o g i e s o w i e ü b e r K r i m i n a l p o l i t i k siehe oben §. 1, die über G e f ä n g n i s w e s e n unten §. 64, diejenigen über P s y c h i a t r i e unten §. 37. 2. G e r i c h t l i c h e M e d i z i n : Handb. von C a s p e r - L i m a n , 2 Bde. 7. Aufl. 1881'82. — M a s c h k a Handbuch in Einzelbeiträgen. 4 Bde. 1881 ff. - H o f f m a n n Lehrbuch 3. Aufl. 1883. - K o r n f e l d Handbuch 1884. — Vgl. auch die Litteraturberichte Hoffmanns in Z I I 82. 3. K r i m i n a l p o l i z e i : O r t l o f f Lehrbuch der Kriminalpolizei 1881. A v e - L a l l e m e n t Physiologie der Polizei 1882. S e u . f f e r t WV I 885.
§. 16.
D u sachliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
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Dritter Abschnitt. Das Herrschaftsgebiet der Quellen des Reichsstrafrechts.*) §. 16.
Das sachliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze. Reichsrecht und Landesrecht.
Litteratnr. H e i n z e Staatsrechtliche und strafrechtliche Erörterungen 1870. D e r s e l b e Das Verhältnis des Reichsstrafrechts zum Landesstrafrecht 1871. B i n d i n j r Der Antagonismus zwischen dem d. StGB, und dem Entw. des bad. Einf.Ges. 1871. L a b a n d II 93. H 1 89. B g I 270. S c h e r e r GS X X X I X 614.
I . Nach A r t . 2 der Reichsverfassung übt das Reich das Recht der Gesetzgebung nach Mafsgabe des Inhaltes der Verfassung und mit der W i r k u n g aus, dafs die R e i c h s g e s e t z e d e n L a n d e s g e s e t z e n v o r g e h e n . Die Landesgesetzgebung darf zu den Anordnungen der Reichsgesetzgebung, mögen diese ausdrücklich oder stillschweigend gegeben sein, nicht in W i d e r spruch treten; tliut sie es dennoch, so sind ihre angeblichen Gebote ohne gebietende K r a f t , sie s i n d n i c h t Gesetz. E s ist daher einerseits die b i s h e r i g e Landesgesetzgebung beseitigt. soweit die Sätze des Reichsrechtes das von ihr geregelte Gebiet, sei es widersprechend, sei es übereinstimmend, ergreifen, ohne dafs es einer ausdrücklichen A u f h e b u n g bedürfte; und es ist anderseits auch die k ü n f t i g e Landesgesetzgebung unter derselben Voraussetzung und in demselben Umfange wirkungslos. Diesen Grundsatz der Reichsverfassung drückt E G . §§. 2 und 5 wenig glücklich mit den Worten aus , dafs das Landesstrafrecht ausgeschlossen i s t , ,.insoweit dasselbe Materien betrifft . welche Gegenstand des StGBs. für das Deutsche Reich sind". ..Jlaterie - ', d. h. G e g e n s t a n d des StGB, aber sind die einzelnen für s t r a f b a r oder für nicht s t r a f b a r *) Da die Rechtssätze über das Geltungsgebiet der Quellen nicht dem Strafrechte oder einem andern einzelnen Zweige der Rechtswissenschaft angehören, sondern Gegenstand der allgemeinen Rechtslehre sind, empfiehlt..es sich, sie a u f s e r h a l b des strafrechtlichen Systems darzustellen. Ubereinstimmend L ; abweichend ßg, G, M (auch v a n H a m e l ) .
96
§. 16. Das sachliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
e r k l ä r t e n H a n d l u n g e n . 1 ) Die Landesgesetzgebung ist mithin ausgeschlossen: 1. wenn die Reichsgesetzgebung eine Handlung ausdrücklich für s t r a f b a r erklärt hat; 2. wenn die Reichsgesetzgebung eine Handlung ausdrücklich oder stillschweigend für s t r a f l o s erklärt hat. D a s Schweigen der Reichsgesetzgebung kann daher eine doppelte Bedeutung haben: entweder die einer stillschweigend verneinenden Anordnung (,.qualifiziertes Schweigen - '), oder die der Uberweisung der Regelung an die Landesgesetzgebung. Ob das eine oder das andre der Fall, haben wir nicht nur aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, sondern vor allem aus d e m G e s e t z e s e l b s t , aus dem Zusammenhange der ausdrücklich ausgesprochenen Rechtssätze untereinander zu beantworten. D i e Frage nach dem der Landesgesetzgebung überlassenen Gebiete ist eine Frage der A u s l e g u n g der Reichsgesetzgebung. Dabei werden wir uns wegen Art. 4 Nr. 13 der Reichsverfassung im Z w e i f e l für die T'nzulässigkeit landesgesetzlicher Regelung entscheiden müssen. Auch die Schwere der der Landesgesetzgebung zu Gebote stehenden Strafmittel ( E G . §. 5) wird nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. B e i s p i e l e . Aus der bunten, eines leitenden Gedankens entbehrenden Zusammenwürfelung einzelner Übertretungen in dem letzten Abschnitte des RStGB. folgt die Zulässigkeit landesgesetzlicher Thätigkeit auf dem Gebiete der Polizeidelikte.9) Daher besteht fort das rhein') Nicht aber die sog. allgemeinen Lehren, die nur in der Beziehung auf einzelne Verbrechen Bedeutung erlangen. Es giebt keinen Verbrechensversuch im allgemeinen, sondern nur einen Versuch des Mordes, des Diebstahls u. s. w. Auf dem der Landesgesetzgebung überladenen Gebiete kann diese daher über Versuch, Teilnahme, Zurechnungsfähigkeit, Verjährung u. s. w. Bestimmungen treffen, welche von denen des RStGBs. abweichen. Sie hat von dieser Befugnis auch reichlichen Gebrauch gemacht. Vgl. die Landes- Forstpolizei- und Forststrafgesetze; auch Z i e g n e r G n i i c h t e l Z VIII 232. Übereinstimmend O 15 sowie R 1. Mai 80 I I 34, 19. Mai 84 X 392 und früher das ROHG. Abweichend Bg I 307, H I 110, M 147, Ml 7; Z i e b a r t h 328. ') Von den PolizeiStGBüchern sind als die wichtigsten zu nennen das b a y r i s c h e vom 26. Dezember 1871 (Kommentarvon R i e d e l , 4. Aufl. bearbeitet von Probst 1889), das w ü r t t e m b e r g i s c h e vom 27. Dezember 1871 ( S c h i c k e r 2. Aufl. 1888, Z VIII 410), das b a d i s c h e vom 31. Oktober 1863, abgeändert 1871 ( S c h l u s s e r 1888, Z IX 715), das h e s s i s c h e von 1855. Sachsen, Preufsen, Elsafs besitzen keine einheitliche PolizeiStrafgesetzgebung. Vgl. überhaupt R o s i n WV I I 273. M a s c h e r Die preufsisch-aeutscne Polizei 4. und 5. Aufl. 1885.
§. 16. DM sachliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
97
preußische Verbot der öffentl. Ankündigung von Oeheimmitteln (R 25. Mai 82 VI 329). Ebenso ist wegen der Systemlosigkeit des Sammelabschnittes XXV RStGB. die fortdauernde Geltung des §. 270 des preufs. StGB, und des Art. 412 Abs. 2 C. pén. betr. die Freiheit des Bietens bei öffentlichen Versteigerungen zu behaupten (R 27. März 84 X 221, 6. März 88 XVII 203; dagegen M 147, 155, Z i e b a r t h 327, 385.) Auch die landesrechtlichen Strafbestimmungen gegen Winkeladvokaten sind nicht aufgehoben. Dagegen stehen die landesrechtlichen Verbote des Spielens in auswärtigen Lotterieen in Widerspruch mit dem Reichsrecht. Ebenso ergiebt sich aus der eingehenden und systematischen Behandlung des falschen Zeugnisses im StGB, der Rechtssatz, dafs die nicht beeidete falsche Aussage straflos zu lassen sei. Und ganz derselbe Grund entscheidet gegen die landesrechtlichen Vorschriften über die studentischen Schlägermensuren. Dasselbe gilt von den auf die Selbsthilfe (in den StGBüchern von Bayern 1813, Württemberg, Braunschweig, Sachsen 1868) gesetzten öffentlichen Strafen. Durch Gesetz vom 2». März 1888 wurde die fortdauernde Strafbarkeit der cris séditieux ausdrücklich ausgesprochen, nachdem R wiederholt (17. November 87 XVI 340, 20. Februar 88 XVII 134) und mit Recht die Geltung des Art. 8 des französ. Prefsgesetzes von 25. März 1822 verneint hatte. II. In den reichsgesetzlich n i c h t g e r e g e l t e n Materien hat die Landesgesetzgebung freien Spielraum. Die bisherigen Landesgesetze bleiben bestehen, neue können gegeben werden. Nur diesen Satz spricht §. 2 Abs. 2 des Einf.Ges. zum StGB, aus. wenn er auch irreleitend die „ b e s o n d r e n Vorschriften" dem StGB, gegenüberstellt. Die äufsere Stellung eines Rechtssatzes in einem allgemeinen S t G B . , bezw. Polizei - StGB, oder aber in einein sogenannten Nebengesetze hat für unsere Frage nicht die geringste Bedeutung. Nur b e i s p i e l s w e i s e nennt der 2: Prefspolizei-, Post-, Steuer-. Zoll-, Fischerei-, Jagd-, Forst- und Feldpolizeigesetze, Vorschriften über Jlil'sbrauch des Vereins- und Versammlungsrechtes und über den Holz(Forst-)Diebstahl. 8 ) *) Auch die Anführung des Holzdiebstahls ist eine lediglich beispielsweise; er ist eben — und war es von jeher — etwas wesentlich andres als Diebstahl, mit dem er nur den Namen gemein hat, wurde auch niemals zu den „unehrlichen Sachen" gerechnet. Vgl. überhaupt Z i e g n e r G n ü c h t e l Z VIII 222. Sch w a p p a c h WV I 442. Im Sinne des Textes R i n d i n g Normen I 73, J o h n Z I 273, Kommentar I 97, K a y s e r HH IV 46; G l a s e r I 289. D a g e g e n mit der gem. Ansicht insbes. H I 98, O 14, H e i n z e HH I I 11; jetzt auch Bg I 346 Note 9, Ml 6. Vgl. auch R o t h , Krit. VJSchr. N. F. IV (Z II 162), welcher die im Text vertretene Ansicht als richtig zugiebt, aber de lege ferenda bekämpft. — » o n L i s z t , Strafrecht.
4. Aufl.
7
98
§•
Das sachliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
H I . Aber auch auf dem an sich der Landesgesetzgebung überlassenen Gebiet, also in den reichsgesetzlich nicht geregelten Materien, sind jener gewisse Schranken gezogen. 1. Wenn in Landesgesetzen auf strafrechtliche Vorschriften, welche durch das StGB, für das Deutsche Reich aufser Kraft gesetzt sind, sei es ausdrücklich sei es stillschweigend verwiesen wird, so treten die entsprechenden Torschriften des letzteren an die Stelle der ersteren (EG. §. 3). So werden wir in dem Schweigen der Landes-lNebenstraigesetze über die allgemeinen Lehren eine Verweisung auf die StGBücher der Einzelstaaten erblicken können und d a r u m die allgemeinen Bestimmungen des RStGB. zur Anwendung zu bringen haben. 2. Vom 1. Januar 1872 (1871) ab darf nur auf die im RStGB. enthaltenen Strafarten erkannt werden. Ausgenommen ist die an Stelle der Gefängnis- oder Geldstrafe angedrohte oder nachgelassene Forst- oder Gemeindearbeit (EG. §. (5). 3. Während die unter 1 und 2 angeführten Beschränkungen in gleicher Weise die bisherige wie die künftige Landesgesetzgebung treffen, darf, ohne dafsdiebestehenden Landesgesetze durch diese Anordnung irgendwie unmittelbar berührt werden .*) in k ü n f t i g e n Landesgesetzen nur Gefängnis bis zu zwei Jahren, Haft. Geldstrafe. Einzielmng einzelner Gegenstände und die Entziehung öffentlicher Amter angedroht werden (EG. §. 5). IV. Durch ausdrückliche reichsgesetzliche Anordnung (EG. §. 8) wurde der Landesgesetzgebung das übrigens selbstverständliche Hecht vorbehalten, durch Ü b e r g a n g s b e s t i m m u n g e n die in Kraft bleibenden Landesstrafgesetze, welche als solche durch die Reichsgesetzgebung nicht berührt wurden, mit den Vorschriften des RStGB. in Übereinstimmung D i e einschlagenden Gesetze (für Preufsen: Forstdiebsstahlges. vom 15. April 1878; Forst- und Feldpolizeiges. vom 1. April 1880; Elsal's-Lotliringen: Feld] lolizeigesetz vom 9 Juli 1888) sind aufgezählt bei S c h e n k e 1 H R „Forststrafverfahren", Bg I 308 Note 3. Vgl. ferner O e h l s e h l i i g e r und B e r n h a r t Das preufs. Forstdiebstahlsgesetz 4. Aufl. 1886. R o t e r i n g Das preufs. Forst- und Feldpolizeigesetz 1887. E l b e n Das Württemberg. Forststrafgesetz. Z i e b a r t h 373. *) Die Frage ist bestritten. Im Sinne des Textes die gem. Meinung, insb. M 146, 0 22. Dag. H e i n z e GS X X X 561, Bg I 298, H I 103, K a y s e r H H I V 52.
§. 17. Das zeitliche Geltungsgebiet der Strafrechtseätze.
99
zu bringen. Solche Ausführungsgesetze sind in sämtlichen Bundesstaaten mit Ausnahme von Preufsen nebst Lauenburg und AValdeck erlassen worden.5)
§. 17.
Das zeitliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze. Neues und altes Recht.
Litteratnr. B e r n e r Wirkungskreis des Strafgesetzes nach Zeit, Kaum, Person 1853. S e e g e r Uber die rückwirkende Kraft neuer Strafgesetze 1862 (Abhdlgn. II 1). S c h m i d Herrschaft der Gesetze nach ihren räumlichen und zeitlichen Grenzen 1863. L a s a l l e System der erworbenen Rechte 1861 2. Aufl. 1880. R e g e l s b e r g e r HR „Rückwirkung". Bg I 225. — Vgl. auch G ö p p e r t das Prinzip „Gesetze haben keine rückwirkende Kraft" herausg. von E c k 1884.
I. Der Zeitpunkt, zu welchem das RStGB. in den verschiedenen Teilen des Deutschen Reichs in Wirksamkeit getreten ist, wurde bereits oben S. 87 festgestellt. Bezüglich aller übrigen Rechtssätze des Reichsstrafrechts bestimmt sich Beginn und Ende ihrer Herrschaft nach den allgemeinen Regeln. Demnach b e g i n n t ihre verbindende Kraft, sofern nicht in dem Gesetze selbst ein andrer Zeitpunkt bestimmt ist, mit dem 14. Tage nach dem Ablaufe desjenigen Tages, an welchem das betreffende Stück des Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist (RYerf. Art. 2). Tn den Konsulargerichtsbezirken ist diese Frist auf 4 Monate erweitert (Gesetz vom 10. Juli 1879 §. 47). Dasselbe gilt von den deutschen Schutzgebieten. Und es endet die Herrschaft der Strafrechtssiitze, wenn sie sich nicht selbst, wie das Sozialistengesetz, die verbindliche Kraft nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkte oder bis zu dem Eintritte einer Bedingung beilegen , mit ihrer ausdrücklichen oder stillschweigenden Aufhebung durch die gesetzgebende Gewalt. Das Gesetz ist die einzige Quelle, wie der Entstehung, so auch des Untergangs der Reichsstrafrechtssätze. Bezüglich der s t i l l s c h w e i g e n d e n Aufhebung ist an dem Satze festzuhalten, dais das s p ä t e r e Gesetz i n d e n v o n i h m g e r e g e l t e n s ) Von Zusammenstellungen des Landesstrafrechts sind zu erwähnen: die oben zu §. 14 angeführten Werke; ferner: Das StGB, für das deutsche Reich in seiner Anwendung im Königreich Bayern 5. Aull. 1889 (Bamberg); G ö s c h und v. D ü r i n g Hecklenburg-Schwerinsches Landesstrafrecht 1887. Mecklenburg-Strelitzsches Landesstrafrecht 1887. Uber französisches Recht vgl. S c h e r e r GS XXXIX 621.
7*
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§• 17.
D u zeitliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
M a t e r i e n die widersprechenden Bestimmungen des älteren a u f h e b t Der Begriff der ,,Materie' - bestimmt sich auch hier nach den oben §. 16 gegebenen Regeln. 1 ) Ebenso ist auch hier EG. §. 6 maßgebend, nach welchem vom 1. J a n u a r 1872 ab nur auf die im RStGB. enthaltenen i-trafarten erkannt werden darf. Dieser Satz gilt zunächst für das Verhältnis der einzelnen R e i c h s s t r a f g e s e t z e zu einander, ohne Rücksicht darauf, ob das spätere oder daB frühere Gesetz ein sogenanntes Nebengesetz oder das StGB, selbst ist. So ist §. 23 des Wechselstempelsteuergesetzes vom 10. J u n i 1869, also eines Nebengesetzes, beseitigt durch §§. 275, 276 RStGB.; so ist umgekehrt §. 287 StGB, ersetzt worden durch §. 14 des Gesetzes über den Markenschutz vom 30. November 1874. Derselbe Satz gilt ferner für das Verhältnis der R e i c h s strafgesetze zu den früheren L a n d e s strafgesetzen (aber nicht umgekehrt) und wurde in diesem Zusammenhange bereits besprochen (EG. 2 Abs. 1 und 2; ob. §. 16). Er gilt endlich auch für das Verhältnis der K e i c h s s t r a f g e s e t z gebung zu dem b ü r g e r l i c h e n Recht. Soweit daher Thatbestände, welche zugleich dem bürgerlichen Recht angehören, in RStGB. ausdrücklich oder stillschweigend für strafbar oder für straflos erklärt sind, hat diese Erklärung dem älteren Privatrecht gegenüber abändernde Kraft. Die nach gemeinem Recht oder nach neueren Landesrechten mit diesen Thatbesständen verbundenen P r i v a t s t r a f e n sind damit beseitigt. Aber auch A b b i t t e , W i d e r r u f und E h r e n e r k l ä r u n g sind durch die Formen der Privatgenugthuung im RStGB. ersetzt, während dem S c h m e r z e n s g e l d , soweit es nicht das Wesen einer Strafklage annimmt, fortdauernde Geltung nicht versagt werden kann.2) II. Ein R e c h t s s a t z herrscht oder g i l t . lieifst: die von ihm an einen T h a t b e s t a n d geknüpften Rechtsfolgen treten ein, sobald der T h a t b e s t a n d gegeben ist. D a r a u s folgt, dafs jeder ') Sonderbarer Weise geht Bg I 334 bei der Beantwortung dieser Frage von ganz andern Gesichtspunkten aus als bei Feststellung des Verhältnisses von Reichs- und Landesstrafrecht. Die „allgemeinen Lehren" sind hier. „Materie", dort nicht. *) Übereinstimmend bez. der Privatstrafen die meisten. Auch J o h n I 120, W i n d s c h e i d Pand. §§. 123, 326, 472 Note 8, M a n d r y Zivilrechtlicher Inhalt der Reichsgesetze 3. Aufl. 224, S t o b b e Privatrecht I I I §. la», Bg I 304. Dageg. insb. T h o n Rechtsnorm und subjekt. Recht 33 — Damit ist die actio aestimatoria injuriarum beseitigt, v. I h e r i n g Dogmatische Jahrbücher X X I I I 155 (gesammelte Aufsätze H I 233) und D e r n b u r g Pandekten I § 137 behaupten ihre Fortdauer für „indirekte Injurien". Aber auch diese sind Beleidigungen im Sinne des StGB. Vgl. Z V 729. Mit dieser Ansicht stimmt überein EG. zur StPO. § 11, nach welchem die Verfolgung von Beleidigungen und Körperverletzungen n u r nach den Vorschriften der StPO. stattfindet. Vgl. auch L a n a s b e r g Tnjurien und Beleidigung 1886 und dazu B r u n n e n m e i s t e r Zeit-
§. 17.
D M zeitliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
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Rechtssatz nur auf die während seiner Herrschaft entstandenen Thatbestände angewendet werden k a n n , soweit er nicht selbst auch die hinter oder vor seiner Geltung liegenden Thatsachen ergreifen zu wollen erklärt. Dies gilt auch für die S t r a frechtsätze. Auch sie haben weder nachwirkende noch r ü c k w i r k e n d e K r a f t , soweit der Gesetzgeber sie ihnen nicht ausdrücklich beilegt. s ) Daraus folgt die in StGB. §. 2 Abs. 1 mittelbar anerkannte Regel: D i e S t r a f r e c h t s s ä t z e f i n d e n A n w e n d u n g a u f d i e w ä h r e n d , sie f i n d e n k e i n e A n w e n d u n g a u f d i e v o r o d e r nach i h r e r G e l t u n g b e g a n g e n e n D e l i k t e . Lediglich den Anforderungen einer juristisch nicht zu begründenden, aber dennoch zu billigenden Milde trägt der Gesetzgeber Rechnung, wenn er von dieser Regel, ohne sie als Eegel zu beseitigen, die folgende Ausnahme zuläfst (StGB. §. 2 Abs. 2): B e i V e r s c h i e d e n h e i t d e r G e s e t z e von d e r Z e i t d e r b e g a n g e n e n H a n d l u n g bis zu d e r e n A b u r t e i l u n g i s t das mildeste Gesetz anzuwenden. Damit ist den milderen Strafrechtssätzen rückwirkende K r a f t verliehen. Zugleich aber ist damit der Satz anerkannt, dai's nach Ablauf der zeitlichen Herrschaft eines Strafrechtssatzes Verurteilung wegen einer vor diesem Zeitpunkt begangenen Handlung unmöglich ist. Von dem einmal eingenommenen Standpunkte aus war es nur folgerichtig, 4 ) die Berücksichtigung nicht nur a) des zur schrift der Savignystiftung VIII 966. — Auch von den Straffolgen der Selbsthilfe (decretum divi Marci) u. s. w. kann keine Bede mehr sein. So auch die überwiegende Meinung: W i n d s c h e i d § 123 Note 4a, M a n d r y 231, D e r n b u r g Pandekten I § 125 Note 8; auch R 22. Februar 84 XI 244 (der Zivilrecht!. Entscheidungen). Dagegen Bg I 330, M 893, Ml 173, B i rk m e y e r Mecklenburg. Zeitschrift V I I 173. Vgl. auch BGB. §§. 189, 814. — Über das Schmerzensgeld vgl. M a n d r y 226. *) Die Frage ist eine sehr bestrittene. Mit dem Texte übereinstimmend (wegen Annahme einer Verbindlichkeit aus Verschuldung) die gem. Meinung. Für Rückwirkung S c h m i d 190, Bg I 230, G I 89, H I 116, S 48. Anerkannt ist die Rückwirkung im russ. Entw. Art. 12. Andre, wie M 150, wollen grundsätzlich immer das mildere Gesetz zur Anwendung bringen. 4 ) Ebenso Bg I 225. M 151. Dagegen die meisten; so H I 125, S e e g e r 124, G e y e r Z III 637. Das OT. hatte sich sihon vor Erlafs des RStGB für die Anwendung der Zwischengesetze ausgesprochen. Angeordnet ist dieselbe auch in den StGBüchern für Ungarn und Holland.
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§• 17- D u zeitliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
Zeit der Begehung und b) die des zur Zeit der Aburteilung geltenden Gesetzes, sondern auch c) der etwaigen Zwischenstrafgesetze vorzuschreiben (man denke an die vorübergehende Abschaffung der Todesstrafe in einigen deutschen Staaten). I I I . Wenn der Richter aus zwei oder mehr Gesetzen das mildeste auszuwählen berufen wird, so hat er zunächst den ihm vorliegenden Fall nach dem einen der in Frage kommenden Gesetze, dann nach dem andern, dann nach den übrigen etwa noch vorhandenen Gesetzen zu entscheiden, daher den Thatbestand nach jedem dieser Gesetze festzustellen. Jede Verbindung verschiedener Strafgesetze ist unbedingt unzulässig. Die für den Beschuldigten g ü n s t i g s t e E n t s c h e i d u n g führt ihn zu dem m i l d e s t e n G e s e t z e . Dabei sind nicht nur Umfang und Inhalt der Strafe, sondern a l l e mafsgebenden strafrechtlichen Umstände in Betracht zu ziehen. So Nebenstrafen, der Einflufs erschwerender und mildernder Umstände. Bestimmungen über Rückfall, Teilnahme. Versuch, Bedingungen der Strafbarkeit u. s. w. Wenn sich bei dieser Prüfung Straflosigkeit oder mildernde Strafe nach einem der in Frage stehenden Gesetze ergiebt, weil dieses z. B. den Versuch nicht für strafbar erklärt oder eine Rückfallsschärfung nicht kennt, so ist dieses Gesetz als das mildere, bez. als das mildeste ausschließlich in Anwendung zu bringen. Dasselbe gilt bezüglich der Strafaufhebungsgründe und insbesondere der V e r j ä h r u n g ; ist die Verfolgung der That oder die Vollstreckung des Urteils nach dem einen oder dem andern Gesetze verjährt — wobei als Anfangspunkt des Verjährungslaufes für das frühere wie für das spätere Gesetz die Zeit der begangenen That, bez. der rechtskräftigen Urteilsfällung anzunehmen ist — so mufs Freisprechung erfolgen.") Dagegen sind etwaige p r o z e s s u a l e Hindernisse, welche der Durchführung der Strafklage im Wege stehen, aufser Betracht zu lassen. ,Ob das Antragserfordernis zu berücksichtigen sei. hängt theoretisch von der grundsätzlichen Auffassung desselben ab. Betrachtet man den Antrag als Prozefsvoraussetzung, so ist die Umwandlung eines Offizialdeliktes in ein Antragsdelikt und umgekehrt ohne Einflufs; fafst man dagegen den Antrag als Bedingung der Strafbarkeit auf, so ist dasjenige Gesetz, welches das Antragserfordernis aufstellt, bei Fehlen des Antrags «1B das mildere in Anwendung zu bringen. Uber diese Frage vgl. unten 45. Art. I I I der Novelle vom 26. Februar *) Unbegründet ist die Ansicht, nach welcher der Beginn der Geltung des späteren Gesetzes als Anfangspunkt für den Lauf der nach diesem zu berechnenden Verjährung gilt. Mehrfach wird behauptet, dafs die Vollstreckungsverjährung nach 70 StGB, auf v o r Geltung des StGB, r e c h t s k r ä f t i g erkannte Strafen keine Anwendung finde (§. 2 Abs. 2 StGB: „Bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung b i s zu d e r e n A b u r t e i l u n g . . . . " ) So H I 126, 0 49, H e i n z e H H I I 21. Doch steht einer analogen Anwendung dieses Satzes wohl nichts im Wege. Richtig B 317, Bg I 266, v. R i s c h Z IX 44 Note 60
§. 18. Das räumliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
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1876 hat die Frage praktisch gelöst: „Bei den Handlangen, welche vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen sind, wird das .Erfordernis des Antrages auf Verfolgung, sowie die Zulässigkeit der Zurücknahme nach den bisherigen Gesetzen beurteilt." Bei g l e i c h e r Milde der in Vergleich zu ziehenden Gesetze tritt die allgemeine Regel wieder in Kraft.') Dasselbe gilt bei Unvergleichbarkeit der Strafen.
§. 18.
Das räumliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze. Grundsätzliche Erörterung.
L i t t e r a t u r . B e r n e r Wirkungskreis. S c h m i d Herrschaft der Gesetze 1863. v. B a r Internationales Privat- und Strafrecht 1862 (2. Aufl. I 188 behandelt nur das Privatrecht), v. R ö h l a n d Das internationale Strafrecht 1877. I. (Dazu Krit, VJSchr. N. F. I 453.) v. L i s z t Z I I 50. v. B a r GS XXXIV 481 und XXXV 561 (Z I I I 600 und I V 330). G e y e r Z I I I 619. Bg I 370. H a r b u r g e r Der strafrechtliche Begriff Inland 1882 (Z I I 624). L a m m a s c h Auslieferungspflicht und Asylrecht 1887 (Z V I I I 634). D e r s e l b e GS XL 1. v. M a r t i t z Internationale Rechtshilfe in Strafsachen I 1888 (Z IX 681). — Über das hier nicht zu behandelnde Verhältnis der Landesstrafrechte zu einander vgl. J o h n I 204, Z i e b a r t h 333. I. In dem durch B e n t h a m eingebürgerten, unpassenden Ausdrucke „ i n t e r n a t i o n a l e s S t r a f r e c h t " , welchen die Uberschrift unseres Paragraphen absichtlich vermieden hat, pflegt man wesentlich verschiedene Begriffe zu vermengen. Man versteht darunter: 1. Die nationalen Rechtsregeln über d a s r ä u m l i c h e G e l t u n g s g e b i e t der heimischen Rechtssätze; 2. die i n t e r n a t i o n a l e R e c h t s h i l f e , insbesondere in der Gestalt der Auslieferung; 3. i n t e r n a t i o n a l e V e r e i n b a r u n g e n über strafrechtlichen Rechtsgüterschutz. Wir haben es hier in diesem Paragraphen zunächst mit der ersten Bedeutung des Wortes zu thun. II. Das räumliche Geltungsgebiet der heimischen Strafrechtssätze wird bestimmt und begrenzt durch die Aufgabe des Strafrechts, besonders schutzwürdigen und schutzbedürftigen Rechtsgütern verstärkten Sohutz durch Androhung und Vollzug der Strafe angedeihen zu lassen. 1. Demnach müfste das heimische Strafrecht unbedingt Anwendung finden auf a l l e im I n l a n d e b e g a n g e n e n strafbaren Handlungen. Ob der Thäter, ob der Verletzte ein Inländer oder aber ein Ausländer ist, darf dabei keinen Unterschied machen. Denn unzweifelhaft ist es Recht wie Pflicht des Staates, auf seinem Gebiete die Rechtsordnung aufrecht zu erhalten. 2. Wäre der Rechtsznstand in allen Staaten der gleiche und die Handhabung der Rechtspflege überall gesichert, so läge kein Grund vor, über diesen Grundsatz (sog. Territorialitätsprinzip) hinauszugehen. Un•) Ebenso G I 90, 0 48. Dag. M 151.
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§•
CM räumliche Geltangsgebiet der Strafrechtssätze.
bestreitbar, wenn auch nicht ganz unbestritten, sind die Vorteile, welche die ausnahmslose Verfolgung und Aburteilung der Übelthat am Thatorte bietet. Es kann aber nicht in Abrede gestellt werden, dafs jene Voraussetzungen weder rechtlich noch thatsächlich zutreffen. So ist das Strafrecht gezwungen, über die Grenzen des Heimatsstaates hinauszugreifen. Aber diese Grenzüberschreitung wird, schon wegen der Nachteile, welche mit der Verfolgung und Aburteilung an einem andern Orte als dem der begangenen That untrennbar verbunden sind, nicht weiter gehen dürfen, als unabweisliche Bedürfnisse es erheischen. Ein solches Bedürfnis kann aber nur dann anerkannt werden, wenn die im A u a l i n d e begangene Handlung gerichtet ist: a
) gegen das i n l ä n d i s c h e G e m e i n w e s e n selbst und seine Lebensinteressen; b) g e g e n R e c h t s g ü t e r d e r i n l ä n d i s c h e n R e c h t s g e n o s s e n ; c ) gegen Rechtsgüter, deren Träger nicht sowohl der einzelne Staat (als solcher oder in seinen Bürgern), sondern die G e m e i n s c h a f t d e r K u l t u r s t a a t e n ist; so gegen den internationalen Handelsverkehr mit seinen Bedürfnissen, gegen die Sicherheit der grofsen Verkehrswege, gegen die Sicherheit des Münz- und Geldverkehrs. Diese Erweiterung des räumlichen Geltungsbereiches der Strafrechtesätze pflegt man als „ S c h u t z p r i n z i p " oder „ P r i n z i p d e r b e t e i l i g t e n R e c h t s o r d n u n g " zu bezeichnen. Früher insbesondere von F e u e r b a c h Lehrbuch §§. 31, 40, A r n o l d GS. 1&57 I 340 u. a. vertreten, ist es in nnsern Tagen von H e i n z e Erörterungen 147, v. W ä c h t e r Vorlesungen, Beil. 85, Bg I 370, M 156, v. R o h l a n d 157 aufgenommen worden. In den deutschen Einzelstaaten erst durch französisch-preufsische Rechtsanschauungen verdrängt, entspricht es allein den Anforderungen einer von nationalem Geiste erfüllten kräftigen Kriminalpolitik; und wenn auch die ihm huldigenden Gesetzvorschläge (1875 und 1889) den Beifall des Reichstages nicht fanden, so ist diesem Grundsatze doch die Zukunft gesichert, bis einmal die Strafgesetzgebung Gegenstand internationaler Vereinbarung zwischen den auf gleicher Entwicklungsstufe stehenden Ländern geworden sein wird. III. 1. Der staatsrechtliche Grundsatz, Inländer an das Ausland zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung nicht auszuliefern (unten § 20), zwingt dazu, die I n l ä n d e r wegen der im A u s l a n d e begangenen strafbaren Handlungen auch dann dem inländischen Strafrechte zu unterwerfen, wenn die oben unter I I 2 aufgestellten Voraussetzungen nicht gegeben sind. Irreführend ist es, diese Erweiterung auf ein strafrechtliches „ N a t i o n a l i t ä t s - " oder „ S u b j e k t i o n s - P r i n z i p u zurückzuführen; und als ein Widerspruch mufs es bezeichnet werden, wenn man die Verfolgung und Bestrafung im Inland unter die Herrschaft ausländischer Rechtsregeln stellen will. 2. Wissenschaftlich unhaltbar und praktisch undurchführbar ist der -Grundsatz der absoluten Extraterritorialität der Straf-
§. 19.
Fortsetzung.
Die deutsche Reichsgesetzgebung.
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g e s e t z e " oder das „ S y s t e m d e r W e l t r e c h t s p f l e g e " . Seine Anhänger verlangen, untereinander wenig übereinstimmend, dafa jeder Staat, als Vertreter der internationalen Kulturgemeinschaft, bei allen wo immer begangenen Verbrechen wenigstens aushilfsweise die Ausübung der Rechtspflege gegen die von ihm ergriffenen Verbrecher auf sich nehmen soll. Diese Ansicht übersieht die tiefgreifende Verschiedenheit der strafrechtlichen Bestimmungen selbst in den nächstbenachbarten Ländern; sie zwingt den heimischen Richter, fremdes, ihm unbekanntes Recht zur Anwendung zu bringen; sie unterschätzt die Schwierigkeiten eines Strafverfahrens, dem die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme mangelt; und sie gewährt der Rechtsordnung trotz alledem keinen wesentlich stärkern Schutz als die Ausweisung des verdächtigen oder überführten Ausländers. Von den Anhängern dieser Ansicht sind aufser M o h l (Staatsrecht I 637), S c h m i d , O r t o l a n , C a r r a r a , B r u s a zu nennen: v. S c h w a r z e H H I I 45, G I 92 und Z I I I 619, H I 136, v. B a r GS XXXV 686, U l l m a n n GS X X X I I , insbesondre aber L a m m a i c h Auslieferungspflicht 26 und v. M a r t i t z (hier S. 106 weitere Litteratur). — Hinneigung zur Weltrechtspflege weisen auf Sachsen 1866 (1868 Art. 2, 9), Österreich 1803 (1862 §§. 39, 40), in geringerem Mafse die Österreich. Entwürfe, das ungarische StGB, von 1878 sowie der russische Entwurf (Erläuterung 42). Der grofsen Mehrzahl der Strafgesetzbücher ist sie fremd geblieben. IV. Ein wirklich internationales, d. h. auf Staatsverträgen beruhendes Strafrecht ist zur Zeit nur in den ersten bescheidensten Anfängen vorhanden. Vgl. insbes. den unten S. 111 erwähnten Vertrag zum Schutz der unterseeischen Telegraphenkabel vom 14. März 1888. Und doch wäre internationalen Feinden (Seeräubern, Sklavenhändlern, nihilistischen Dynamitverbrechern) oder dem Mifsbrauche des roten Kreuzes gegenüber die Vereinbarung gemeinsamer Abwehr gewifs mindestens ebenso sehr am Platze wie gegenüber — der Reblaus, welcher die Konvention vom 3. November 1881 gewidmet wurde
§. 19.
Fortsetzung. Oer Standpunkt der deutschen Reichsgesetzgebung.
I. D a s R S t G B . stellt in §. 3 den Satz an die Spitze: „ D i e Strafgesetze des D e u t s c h e n R e i c h s finden A n w e n d u n g auf alle im Gebiete desselben begangenen strafbaren Handlungen, auch wenn der Thäter ein A u s l ä n d e r ist." W e n n demnach i n l ä n d i s c h e r u n d ausländischer T h ä t e r einander gleich gestellt werden, so gilt diese R e g e l doch nicht ausnahmslos. So werden Landesverrat ( S t G B . §§. 87, 91) und gewisse D e l i k t e gegen die Wehrpflicht ( S t G B . §§. 140,
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§• 19-
Fortsetzung.
Die deutsche Reichsgesetzgebung.
142, 143) nur an dem D e u t s c h e n bestraft, während umgekehrt §. 296a StGB, nur a u s l ä n d i s c h e Fischer mit Strafe bedroht. Docli kann im ersten Falle der Ausländer, im zweiten der Deutsche als Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) sowie als mittelbarer Thäter (unten 51) oder Mitthäter zur Verantwortung gezogen werden. Auch das Roiibengesetz vom 4. Dezember 1876 spricht nur von ..Deutschen oder zur Besatzung eines deutschen Schiffes gehörigen Ausländern". Ebenso erleidet die Gleichstellung i n l ä n d i s c h e r u n d a u s l ä n d i s c h e r R e c h t s g ü t e r , welche 3 StGB, allgemein ausspricht, gewisse Ausnahmen. So wird nach einer freilich sehr bestrittenen und später (siehe bes. Teil) zu rechtfertigenden Ansicht bei Angriffen auf die Staatsgewalt nur in einzelnen vom Gesetze besonders hervorgehobenen Füllen die ausländische Staatsgewalt im Inlande Uberhaupt geschützt, ohne der inländischen je ganz gleichgestellt zu werden. l"nd die ausländischen. Individualrechte (Urheberrechte) geniefsen regelmäfsig nicht auf Grund des Strafgesetzbuches, sondern nur infolge besonderer Staatsverträge gleichen oder doch ähnlichen strafrechtlichen Schutz wie die inländischen. Man vergleiche auch noch StGB. 112. 141. 144. 275 u. a. I I . Jener Satz bedarf aber der näheren Erläuterung. Völkerrechtliche wie strafrechtliche Abweichungen führen teils zu einer Erweiterung teils zu einer Beschränkung des staatsrechtlichen Begriffes „ I n l a n d " . 1. Auszugehen ist davon, dal's Inland auch im Sinne des Reichsstrafrechts (und nur von diesem, nicht von den Landesstrafrechten ist hier die Rede) gleichbedeutend ist mit dem „ B u n d e s g e b i e t " im Sinne des A r t . 1 der Reichsverfassung und des Gesetzes vom 9. .Tuni 1871 betr. die Vereinigung von Elsafs und Lothringen mit dem Deutschen Reiche. Aber der Zeitpunkt, von welchem ab die einzelnen Teile des jetzigen Deutschen Reiches zur s t r a f r e c h t l i c h e n Einheit verbunden wurden, wird nicht durch die Rechtskraft der Reiclisverfassung (4. Mai 1871). sondern durch den Beginn der Geltung des StGBs. bestimmt. Daher bildeten das Inland im Sinne des StGBs. vom 1. J a n u a r bis 1. Oktober 1871 nur die Länder des ehemaligen Norddeutschen Bundes; an diesem Tage traten
§. 19.
Fortsetzung.
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Elsafs und Lothringen, am 1. Januar 1872 Bayern, Baden, Württemberg hinzu.') 2. Nach feststehenden völkerrechtlichen Grundsätzen gehören zum Inland auch die deutschen K ü s t e n g e w ä s s e r sowie die mit menschlichen Mitteln (Luftschiffahrt) erreichbare L u f t s ä u l e über dem deutschen Gebiet. Deutsche S c h i f f e auf offener See, S t a a t s s c h i f f e auch in fremden Gewässern gelten als Inland. Die gleichen Grundsätze führen aber auch umgekehrt zu einer Einschränkung des Geltungsgebietes des deutschen Strafrechts. Wichtige Anwendungen der völkerrechtlichen Regeln enthält das M i l . - S t G B . , indem es den K r i e g s s c h a u p l a t z sowie die im Kriege von d e u t s c h e n T r u p p e n b e s e t z t e n G e b i e t e in einer Reihe von Beziehungen (vgl. unten besondern Teil) dem Inlande gleichstellt. 3. Inland in strafrechtlicher Beziehung sind ferner die deutschen K o n s u l a r g e r i c h t s b e z i r k e nach dem Gesetz vom Kl. Juli 1879 §. 4 für die Reichsangehörigen wie für die Scliutzgenossen, und die deutschen S c h u t z g e b i e t e nach dem Gesetz vom Ii). März 1888 3 nicht nur für die Reichsangehörigen und Schutzgenossen, sondern auch für diejenigen Eingel tornen und Europäer, auf welche die deutsche Gerichtsbarkoit durch kaiserliche Verordnung erstreckt wird. 2 ) 4. Soweit benachbarte Staaten" dem Deutschen Reich das Recht eingeräumt haben. auf ihrem Gebiete Amtsgebäude (Zollabfertigungsstellen) einzurichten, müssen diese auch als inländisches Gebiet betrachtet werden.8) 5. Es ist endlich zu beachten. dafs nicht alle deutschen Strafgesetze in sämtlichen Teilen des Inlandes Anwendung finden. So ist § . 3 1 des Prefsgesetzes nicht in Elsafs-Lothringen eingeführt ; das Vereinszollgesetz gilt nicht in den Zollausschlüssen; ') Dag. die herrschende Ansicht. Nach ihr galten B a y e r n , W ü r t t e m b e r a und B a d e n im ehem. Norddeutschen Bundesgebiet (einschl. S ü d - H e s s e n ) schon vom 4. Mai 1871, dem Tage der Rechtskraft des Gesetzes vom 16. April 1871, — das ehem. Norddeutsche Bundesgebiet dagegen in jenen siidd. Staaten erst mit dem 1. Januar 1872, dem Tage der Einführung des StGB, als Reichsgesetz in jene Staaten, s t r a f r e c h t l i c h als Inland. Richtig neuerdings B g I 407. *) Vgl. G. M e y e r Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schutzgebiete 1888 S. 103; v. M a r t i t z S. 63. ") Vgl. R . 19. November 88 X V I I I 242.
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§- 19.
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Die deutsche Reichsgesetzgebung.
die Verordnungen über Gewinnung von Edelmetallen in den afrikanischen Schutzgebieten enthalten deutsches Reichsrecht, das nur aufserhalb des Deutschen Reiches Anwendung findet. I I I . Die Reichsstrafgesetzgebung ist über den an die Spitze gestellten Grundsatz (StGB. §. 4 Abs. 1, 6) weit hinausgegangen. W i r haben zu unterscheiden: 1. Im Auslande begangene Ü b e r t r e t u n g e n — soweit dieselben überhaupt unter die R e i c h s g e s e t z g e b u n g fallen — sind nur dann zu bestrafen, wenn dies durch besondere Gesetze oder durch Verträge von seiteil des Reichs oder eines Einzelstaates angeordnet ist (StGB. §. 6). So werden nach dem deutsch-belgischen Vertrage vom 29. April 1885 (RGBl. S. 251) Deutsche, welche auf belgischem Grenzgebiete sich eines Forst-, Feld-, Fischerei- oder Jagdfrevels schuldig gemacht haben, nach deutschem Rechte zur Verantwortung gezogen. Ahnliche Bestimmungen finden sich auch in Vertrügen mit andern Staaten. 2. Bezüglich der im Auslande begangenen V e r b r e c h e n o d e r V e r g e h e n unterscheidet das Gesetz weiter, indem es den Inländer in einer gröfseren Zahl von Fällen als den Ausländer dem inländischen Rechte unterwirft; in allen diesen Fällen steht die Verfolgung irn pflichtgemäfsen Ermessen (nicht in der Willkür) der Anklagebehörde (StGB. §. 4 Alis. 2).*) A. Der I n l ä n d e r kann nach inländischem Rechte verfolgt werden: a) o h n e w e i t e r e B e d i n g u n g , wenn er eine hoch- oder landesverräterische Handlung gegen das Reich oder einen Bundesstaat , oder eine Beleidigung gegen einen Bundesfürsten (nicht gegen Mitglieder der landesherrlichen Familien), oder ein Münzverbrechen, oder als Beamter des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaates eine Handlung begangen hat. die nach den Gesetzen des Deutschen Reichs (nicht blofs nach dem StGB.) als Verbrechen oder Vergehen im Amte anzusehen ist (StGB. 4 Nr. 1 und 2); *) Getadelt wird das „ k a n n verfolgt werden" des Gesetzes insb. von Bg I 404; gebilligt von H I 187 (jedoch I 706), M 163, 0 65, v. M a r t i t z 79. Die Bestimmung rechtfertigt sich durch den Hinweis auf die Schwierigkeiten, welche der Verfolgung einer im Auslände begangenen That im Einzelfalle entgegenstehen können.
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b) in a n d e r e n F ä l l e n dann, wenn die folgenden Voraussetzungen zusammentreffend vorliegen: 1. Die begangene Handlung mufs nach den Gesetzen des Deutschen Reichs als Verbrechen oder Vergehen anzusehen sein. 2. Sie mufs durch die Gesetze des Begehungsortes mit Strafe bedroht sein. Wird die Handlung auf staatslosem Gebiete, etwa auf einer Entdeckungsreise ins Innere von Afrika oder nach dem Nordpol, unter der See in der Taucherglocke usw. begangen, so entfällt diese Bedingung mit der Unmöglichkeit ihres Eintrittes. 5 ) Mehrfache Ehe , begangen in einem Staate,, in welchem Vielweiberei rechtlich erlaubt ist, kann an dem nach dem Reich zurückgekehrten Deutschen nicht bestraft werden. Gleichgültig ist es dagegen, ob das Recht des Thatortes die Handlung unter demselben oder unter einem andern Gesichtspunkte bedroht, wie das deutsche S t G B . 3. E s darf von den Gerichten des Auslandes n i c h t über die Handlung bereits rechtskräftig erkannt und entweder eine Freisprechung erfolgt oder die ausgesprochene Strafe vollzogen sein. Doch ist in diesem Falle ein besonderes Nachverfahren zum Zwecke der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zulässig ( S t G B . §. 3 7 ; vgl. unten §. 69 I V ) . 4. E s darf n i c h t Strafverfolgung oder Strafvollstreckung nach den Gesetzen des Auslandes verjährt oder die Strafe erlassen sein, und 5. es mufs der nach den Gesetzen des Auslandes erforderliche Antrag des Verletzten gestellt sein. Nur wenn alle fünf Bedingungen vorliegen, ist die Verfolgung nach inländischem Recht zulässig ( S t G B . §. 4 Nr. 3, §. 5). Für die Entscheidung der Frage, ob der Thäter Inländer oder Ausländer ist, kommt ausschliefslich der Augenblick der Begehung der That in Betracht. •) Die richtige Ansicht vertreten F u l d OS X L I I 37, B 265, Bg I 436, sowie früher l l e v e s Novelle 92, 93. Dagegen, an den Buchstaben des Gesetzes sich haltend, die Meisten, so B 266, M 161, 0 70, H I 167, S 69, G e y e r I 96 und Z I I I 629, L a m m a s c h Auslieferungspflicht 53. Vgl. auch v. M a r t i t z 69,77. Die gänzlich ungerechtfertigte Beschränkung in StGB. §. 4 Abs. 3 verdanken wir dem preafsischen StGB. Schwierigkeiten können sich bezüglich der Entdeckungsreisen ergeben, bei welchen häutig die Anwendung von Gewalt bis zur Tötung gegenüber den angeworbenen Eingebomen nötig wird, soll nicht die Unternehmung gefährdet oder vereitelt werden. Doch dürften hier die Grundsätze über den Ausschlufs der Rechtswidrigkeit, insbes. über Notstand (vgl. unten §§. 33 bis 35) ausreichen.
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§• 19. Fortsetzung. Die deutsche Reichsgesetzgebong.
B . Der A u s l ä n d e r wird wegen der von ihm im Auslande begangenen Verbrechen und Vergehen a) ohne weiteres nach inländischem Kechte verfolgt, wenn es sich um Hochverrat gegen das Deutsche Reich oder einen Bundesstaat oder um ein Münzverbrechen handelt, oder wenn er als Beamter des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaats eine Handlung begangen hat, die nach den Gesetzen des Deutschen Reichs als Verbrechen oder Vergehen iin Amte anzusehen ist (StGB. §. 4 Nr. 1). b) Dagegen ist in allen anderen Fällen, mit einer Ausnahme, die Verfolgung ausgeschlossen. Ist nämlich derThäter zwar bei Begehung der Handlung nicht Inländer gewesen , es aber n a c h t r ä g l i c h geworden, so kann die Verfolgung gegen ihn eingeleitet werden, wenn die oben unter A, b angeführten Bedingungen vorliegen, und überdies die zuständige Behörde des Landes, in welchem die strafbare Handlung begangen wurde, die Verfolgung beantragt. In diesem Falle ist das ausländische Strafgesetz anzuwenden, wenn und soweit dasselbe milder ist (StGB. §. 4 Nr. 3 Abs. 2). In allen unter A. und B . besprochenen Fällen mufs eine im Auslande vollzogene Strafe, wenn wegen derselben Handlung im Gebiete des Deutschen Reichs abermals eine Verurteilung erfolgt, auf die zu erkennende Strafe in Anrechnung gebracht werden (StGB. §. 7). IV. Vielfach aber hat das Bedürfnis nach weiter gehendem Schutze gesetzliche Anerkennung gefunden. 1. So machen die Gesetze, welche den r e c h t l i c h e n V e r kehr a u f offener See und den andern internationalen Wasserstraisen regeln, vielfach keinen Unterschied zwischen Begebung im Inlande und im Auslände. Hierher gehören 100 des Seemannsordiiuug vom 27. Dezember 1H72: das (der englischen Sealfishery act von 1875) nachgebildete Robbenfanggesetz vom 4. Dezember 187« (Gegenden zwischen dem 75. und 76 " nördlicher Breite und dem 5.° östlicher und 17. u westlicher Länge): der Haager Vertrag betr. die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee aul'serhalb der Küstengewässer vom 6. Mai 1882 (RGBl. 1884 Nr. 11); der Vertrag betr. die Laclisfisclierei im Stromgebiete des Rheins vom 30. Juni 1885 (RGBl.
§. 19. Fortsetzung.
Die deutsche Reichsgesetzgebung.
Hl
1 8 8 6 N r . 18). Insbesondere aber der unter dem 14. März 1 8 8 8 geschlossene ( R G B l . 1888 S. 151 veröffentlichte) internationale V e r t r a g zum S c h u t z d e r u n t e r s e e i s c h e n T e l e g r a p h e n k a b e l , dessen Bestimmungen nach A r t . 1 des Vertrages ausserhalb der Küstengewässer (nach §. 1 des deutschen Ausfiihrungsgesetzes vom 21. N o v e m b e r 1 8 8 7 , R G B l . 1888 S. 169 auch innerhalb der deutschen Küstengewässer) A n wendung finden sollen.*) 2. D a g e g e n ist der Begriff des S e e r a u b e s (der Piraterie) als eines ohne Rücksicht auf den Thatort zu bestrafenden völkerrechtlichen D e l i k t e s von der deutschen Gesetzgebung nicht anerkannt w o r d e n . 7 ) U n d der S k l a v e n h a n d e l ist nach deutschem Reichsrecht überhaupt nicht strafbar (unten besond. Teil). 3. E i n e weitere Gruppe bilden das N a c h d r u c k s g e s e t z vom 11. J u n i 1870 §. 2 2 („sobald ein Nachdrucksexemplar, sei es im Gebiete des Norddeutschen B u n d e s , sei es aufserhalb desselben hergestellt worden ist*'), §. 2 5 , sowie die drei U r h e b e r r e c h t s g e s e t z e von 1876. Vorausgesetzt ist dabei die Absicht der Verbreitung im Inland. Liegt diese vor, so ist Nach diesem Vertrage soll strafbar sein, unbeschadet der Zivilklage auf Entschädigung, „aas Zerreifsen oder Beschädigen eines unterseeischen Kabels, sofern es vorsätzlich oder durch schuldbare Fahrlässigkeit geschieht und zur Folge haben kann, dafs die telegrapbwchen Verbindungen ganz oder teilweise unterbrochen oder gestört werden" (Art. 2 Abs. 1). Ausdrücklich ausgenommen werden (Art. 2 Abs. 2) „diejenigen Fälle, in welchen die Thäter nur den berechtigten Zweck verfolgt haben, ihr Leben oder die Sicherheit ihrer Fahrzeuge zu schützen, nachdem sie alle Vorkehrungen zur Vermeidung des Zerreifsens oder der Beschädigung des Kabels getroffen hatten". — Da jedoch das deutsche Ausführungsgesetz für diesen Fall keine besondern Bestimmungen enthält, kommen lediglich die keineswegs ausreichenden Vorschriften des StGBs. über Sachbeschädigung, bez. Störung der telegraphischen Verbindung (StGB. 8§. 303- 305, 315—320) zur Anwendung. Vgl. dazu L a u t e n b a c h Die Strafbarkeit der Beschädigung unterseeischer Telegraphen-Kabel auf hoher See. Hallische Inaug. Diss. 1889. Auch D a m b a c h HV I I I 337. Osterreich. Gesetz vom 30. März 1888, belgisches vom 21. April 1888. — Auch die weitern Strafbestimmungen des deutschen Auaführungsgesetze» seien der Vollständigkeit wegen gleich hier angeführt: „Zuwiderhandlungen gegen die in Art. 5 und 6 des Vertrages zum Schutze der KabelBchiffe und ihrer Thätigkeit getroffenen Anordnungen werden mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft" (§. 2). — „Die §§. 113, 114 RStGB. finden auch Anwendung, wenn die in denselben vorgesehenen Handlungen gegen die in Art. 10 bez. Schiffsbefehlshaber begangen werden, während dieselben in Ausübung der ihnen dort selbst erteilten Befugnisse begriffen sind (§ 3)." ') v. M a r t i t z I 66, R i v i e r Völkerrecht 162.|
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§. SO. Fortsetzung.
Internationale Rechtshilfe.
auch der Ausländer, der im Auslande den Nachdruck eines deutschen "Werkes veranstaltet. nach deutschem Recht strafbar. 8 ) Uber die einschlagenden internationalen Verträge siehe unten besondern Teil. 4. D i e Bestimmungen des Mil.-StGBs. greifen vielfach über die durch das R S t G B . gezogenen Grenzen hinaus (vgl. unten besondern Teil). 5. Endlich ist noch auf folgende vereinzelte Bestimmungen hinzuweisen: S t G B . 102 („Ein Deutscher, welcher im Inlande oder Auslande u. s. w . - ) ; 140 („Ein Wehrpflichtiger, welcher . . . sich aufserhalb des Bundesgebietes aufhält"); 298 („ohne Unterschied. ob das Vergehen im Inlande oder im Auslande begangen worden ist"). Sprengstoffgesetz vom 9. Juni 1884 12 ( „ D i e Bestimmungen in 4 Abs. 2 Kr. 1 StGB, finden auch auf die in den §§. 5. 6. 7. 8 und 10 dieses Gesetzes vorgesehenen Verbrechen Anwendung"]. Uber das Gesetz vom 17. Juli 1881 betr. die Übertretung der österreichisch-ungarischen Zollgesetze vgl. besondern Teil.
§. 20.
Fortsetzung.
Internationale Rechtshilfe.
Litteratur. Die älteren Arbeiten sind entbehrlich gemacht durch die zu §. 18 angeführten Werke von L a m m a s c h , v. M a r t i t z , v.: B a r . — Zusammenstellung der sämtlichen Verträge bei K i r c h n e r L extradition. Recueil renfermant tous les traités jusqu'au 1. janvier 1883. 1884. Für das Deutsche Reich: H e t z e r Deutsche Auslieferungsverträge 1885 (Z I I I 723); S t a u d i n g e r Sammlung von Staatsverträgen des Deutschen Reichs 1882 und 1884. I. Die Lücken, welche durch die Begrenzung des räumlichen Geltungsgebietes der Strafrechtssätze entstehen, ergänzt die i n t e r n a t i o n a l e R e c h t s h i l f e . Ein Akt derselben — nicht der einzige, aber der wichtigste — ist die A u s l i e f e r u n g f l ü c h t i g e r V e r b r e c h e r , als Rechtsinstitut eine durchaus moderne Schöpfung.') *) Übereinstimmend Bg 1 427. Dagegen v. M a r t i t z I 99 Note 46. ') Die Auslieferung ist ein Akt der i n t e r n a t i o n a l e n . . Rechtsh i l f e , nicht aber der k o s m o p o l i t i s c h e n R e c h t s p f l e g e . Uber die Tragweite dieses Satzes siehe v. L i s z t Z I i 60. Er wird gebilligt von Bg I 397, M 166, M a r t e n s Völkerrecht I I 392, v. M a r t i t z 440, H a r b u r g e r Kritische Vierteljahrsschrift N. F. XIII 122; bekämpft dagegen insb. von L a m m a s c h Auslieferungspflicht 142 („Prinzip der identischen Norm"). Diese Meinungsverschiedenheit wird für die Entscheidung einer ganzen Reihe weiterer Fragen von grundlegender Bedeutung.
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g. 20. Fortsetzung. Internationale Rechtshilfe.
Das Auslieferungewesen ist in einzelnen Staaten durch G e s e t z e geregelt, welche die unverrückbare Grundlage der abzuschließenden Auslieferungsverträge bilden; in den übrigen Staaten bleibt die Regelung ausschliefslich der internationalen Vereinbarung durch S t a a t s v e r t r ä g e überlassen.*) Aber auch, wo es an einer derartigen, die Ansliefernngs' pflicht des ersuchten Staates begründenden a l l g e m e i n e n Regelung fehlt, ateht (und damit stimmt die Übung der meisten Staaten überein) der Auslieferung im E i n z e l f a l l e nichts im Wege, soweit nicht staatsrechtliche Vorschriften sie unmöglich machen. Das Deutsche Reich hat sich bisher mit dem Abschlüsse einzelner Auslieferungsverträge begDÜgt. Und zwar mit folgenden Ländern: A m e r i k a vom 22. Februar 1868 (BGBl. 1868 S. 231 ; Ausdehnung de« von Preufsen mit den Vereinigten Staaten am 16. Juni 1852 geschlossenen Vertrages auf alle Staaten des Norddeutschen Bundes); I t a l i e n vom 31. Oktober 1871 (RGBl. S. 446), und dazu: Abkommen zwischen Deutschland und Italien mit der Schweiz vom 25. Juli 1873 (ZB1. S. 271 und Pr.JM.Bl. vom 15. Januar 1878); G r o f s b r i t a n n i e n vom 14. Mai 1872 (RGBl. S. 229); der S c h w e i z vom 24. Januar 1874 (RGBl. S. 113); B e l g i e n vom 24. Dezember 1874 u. Bek. vom 29. Dezember 1878 (RGBl. 1875 S. 73 u. 1878 S. 79); L u x e m b u r g vom 9. März 1876 (RGBl. S. 223); B r a s i l i e n vom 17. September 1877 (RGBl. 1878 8. 293); S c h w e d e n und N o r w e g e n vom 19. Januar 1878 (RGBl. S. 110); S p a n i e n vom 2. Mai 1878 (RGBl. S. 213); U r u g u a y vom 12. Februar 1880 (RGBl. 1883 S. 287). Für Elsafs-Lothringen mit F r a n k r e i c h vom 11. Dezember 1871 (RGBl. S. 7). — Die von den e i n z e l n e n deutschen Staaten v o r dem Inkrafttreten des RStGBs. geschlossenen Verträge bleiben nur, soweit Verträge des Reichs nicht eingreifen, in Kraft. Dasselbe gilt von den n a c h h e r von denselben abgeschlossenen Verträgen, insbesondere von den Verträgen Rufslands mit Preufsen und Bayern aus dem Jahre 1885 ( Z V 634). Vgl. auch L a m m a s c h 81. Die Auslieferung f l ü c h t i g e r S e e l e u t e wird geregelt in den Handels-, Schiffahrts- und Konsularverträgen. *) Auslieferungsgeaetzebesitzen B e l g i e n (15. März 1874). H o l l a n d (6. April 1875), E n g l a n d (extradition acts von 1870 und 1873); L u x e m b u r g (13. März 1870), C a n a d a (27. April 1877), A r g e n t i n i e n (25. August 1885); teilweise auch die V e r e i n i g t e n S t a a t e n ; vorbereitet werden sie von F r a n k r e i c h , I t a l i e n (Z V 745), R u f s l a n d (im StGEntw.) und S p a n i e n . Vgl. L a m m a s c h Auslieferungspflicht 110. — Dafs die einseitige gesetzliche Regelung nicht genügt, wenn sie auch vor dem grundsatzlosen Abschlüsse inhaltlich abweichender Verträge den Vorzug verdient, dafs vielmehr die Vereinbarung eines alle Kulturstaaten umfassenden internationalen W e l t - A u s l i e f e r u n g s - V e r t r ä g e s wünschenswert sei, suchte mein mehrerwähntes Gutachten nachzuweisen. Dieser Forderung sind beigetreten B e r n a r d Traité théorique et pratique de l'extradition 2 Bde. 1883 (Z I I I 501), G e y e r Z I I I 263, O r t l o f f GA X X X I I 395 (Z V 742). Gegen dieselbe insb. v. B a r GS X X X I V 489, L a m m a s c h 114, R i v i e r Völkerrecht 200 Note 4. v o n L i s c t , Strnfreeht. 4. Aufl.
8
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§• SO- Fortsetzung.
Internationale Rechtshilfe.
II. Eine genaue Betrachtung der vom Deutschen Reiche geschlossenen Auslieferungsverträge ergiebt eine gewisse Übereinstimmung in den wesentlicheren Punkten. 1. Auslieferung wird nur gewährt bei strafbaren Handlungen v o n g r ö f s e r e r S c h w e r e , nicht bei geringfügigen Delikten. Wegen ihrer besondern Beschaffenheit werden regelmäfsig in den Verträgen nicht erwähnt: Zweikampf, leichtere Sittlichkeitsdelikte, Religionsvergehen, Beleidigung, Fahnenflucht, Wucher, Amtsdelikte, Widerstand gegen die Staatsgewalt. 2. Sie findet nur Btatt. wenn nach den Gesetzen b e i d e r Staaten (des ersuchenden und des ersuchten) die Handlung strafbar und die Strafbarkeit nicht durch Aufhebungsgründe beseitigt ist. Auslieferung findet daher nicht statt, wenn auch nur nach dem Rechte des ersuchten Staates die That als verjährt betrachtet werden mufs. 3. Ein D e u t s c h e r darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung nicht überliefert werden (StGB. §. 9). Dieser Satz entspricht dem auf dem europäischen Festlande allgemein anerkannten Grundsatze der N i c h t a u s l i e f e r u n g der eigenen Staatsunterthanen, einem Grundsatze, welcher in den letzten Jahren vielfach, von berufenen Vertretern des Völkerrechts, und mit guten Gründen als unhaltbar angegriffen worden ist. 3 ) 4. P o l i t i s c h e n V e r b r e c h e r n wird nach einem in beinahe sämtlichen Verträgen seit dem französisch-belgischen Vertrage von 1834 wiederkehrenden Grundsatze, dessen innere Berechtigung gegründeten Bedenken unterliegt, A s y l r e c h t gewährt. Der Begriff des politischen Deliktes selbst ist jedoch durchaus bestritten, und wird daher meist negativ durch Aufzählung der auslieferungsfähigeo Delikte umschrieben. Nach der richtigen, mehr und mehr sich Bahn brechenden Ansicht gehören hierher alle v o r s ä t z l i c h e n , g e g e n B e s t a n d u n d S i c h e r h e i t des S t a a t e s sowie g e g e n das S t a a t s o b e r h a u p t und die p o l i t i s c h e n R e c h t e d e r S t a a t s b ü r g e r (nicht gegen die Staatsverwaltung) gerichteten Verbrechen; im Sinne des RStGBs. also der 1., 2., 3., 4. und 5. Abschnitt des II. Teils. Gleichgültig bleibt hier wie sonst der Beweggrund der That. Das Asylrecht wird meist auf solche Verbrechen ausgedehnt, welche mit politischen „in Verbindung stehen" (sogenanntes délit connexe oder complexe ; relativ politische Verbrechen nach Lammasch, welcher hierher diejenigen Delikte rechnet, welche in der Absicht vorgenommen werden, ein politisches Delikt im eigentlichen Sinne zu verüben). Richtiger wäre es, hier die allgemeinen Grundsätze über Einheit und Mehrheit der Verbrechen (unten §. 56 ff.) entscheiden zu lassen. ') Vgl. die bei L a m m a s c h 396 und v. M a r t i t z 305 angeführte Litteratur. Gegen die Auslieferung neuerdings Bg 1400, M 167 Note 56, y. B a r GS XXXIV 492, G e y e r Z I I I 632, v. M a r t i t z a. O.
g. 21. Das persönliche Geltungsgebiet der Strafreohtssätza.
Hg
5. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben den Nachweis erbracht, dafs die weite Ausdehnung des Asylrechts für politische Verbrecher dem Rechtsbewufstsein unserer Zeit widerstrebt. Eine an Umfang and Entschiedenheit wachsende Bewegung verlangt Einschränkung des Asylrechts, ohne freilich bisher eine juristisch brauchbare Fassung für ihre Forderung gefunden zu haben. Meist wird nur der sog. K ö n i g s m o r d ausdrücklich von dem Asylrechte der politischen Verbrecher ausgeschlossen. Die Auslieferungsverträge pflegen sich dabei der vorbildlich gewordenen Fassung des belgischen Gesetzes vom 22. März 1866 (veranlafst durch den Tötungsversuch Jacquins gegen Napoleon III. 1864), der sog. b e l g i s c h e n A t t e n t a t s k l a u s e l zu bedienen, 4 ) einer Fassung, welche, obgleich sachlich durchaus gerechtfertigt, durch ihren juristisch ungenauen Ausdruck zu manchen Bedenken Anlafs giebt. Nur Italien, England und die Schweiz haben sich bisher geweigert, die belgische Klausel in die von ihnen abgeschlossenen Verträge aufzunehmen. Die Bemühungen der russischen Regierung 1881, eine internationale Konferenz für ihren viel weiter gehenden Vorschlag zu gewinnen, blieben ohne Erfolg. Auch die Fassung der Oxforder Versammlung (1880) des Institut de droit international fand allgemeinen und zweifellos begründeten Widerspruch.®)
§.21.
Das persönliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
Litteratur. Bg I 667. v. B a r Redefreiheit der Mitglieder gesetzgebender Versammlungen 1868. S c h l e i d e n Disziplinar- und Strafgewalt parlamentarischer Versammlungen 1879. H e i n z e Straflosigkeit parlamentarischer Rechtsverletzungen 1879. J o h n HR „Redefreiheit", v. K i f s l i n g Die Unverantwortlichkeit der Abgeordneten und der Schutz gegen Mifsbrauch derselben. 2. Aufl. 1885. F u l d GS XXXV 529. — v. L i s z t Reichsprefsrecht §§. 45, 55 1. Die Lehrbücher des Staatsrechts und des Völkerrechts. S t o ' e r k HV I I 656 (Z VIII 367), G e f f k e n HV I I I 646 (Z VIII 368).
I. Aus s t a a t s r e c h t l i c h e n Gründen sind von der Herrschaft der Strafgesetze befreit: 1. Das S t a a t s o b e r h a u p t , also der Kaiser, die Landes4 ) Ne sera pas réputé délit politique, ni fait connexe à un semblable délit, l'attentat contre la personne du chef d'un gouvernement étranger ou contre celle d'un membre de sa famille, lorsque cet attentat constitue le fait, soit de meurtre, soit d'assassinat, soit d'empoisonnement. 5 ) Vorschlag' Rufslands (gebilligt, von Lammasch u. a.): Aucun cas d'assassinat ou d'empoisonnement, ni de tentative, complicité ou préparation d'un pareil crime, ne pourra être désormais réputé délit politique. — Vorschlag des Instituts: Pour apprécier les faits commis au cours d'une rébellion politique, d'une insurrection ou d'une guerre civile, il faut se demander, s'ils seraient ou non excusés par les usages de la guerre. 8»
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§• 21. D u persönliche Geltungsgebiet der Strafrechtmtze.
herren (nicht die Mitglieder der landesherrlichen Familien), der Regent.1) 2. Die V o l k s v e r t r e t e r , und zwar die Mitglieder des Reichstages nach Art. 30 der Reichsverfassung und die Mitglieder eines Landtages oder einer Kammer eines zum Reich gehörigen Staates nach StGB. §.11, indem sie außerhalb der Versammlung, zu welcher sie gehören, weder wegen ihrer Abstimmungen noch wegen der in Ausübung ihres Berufes gethanen Aulserungen zur Verantwortung gezogen werden können. Auch die Mitglieder dos LandesausHchusses von Elsafs-Lothringen geniefsen diese Befreiung, nicht aber die Mitglieder des Bundesrates sowie die Sonnte und Bürgerschaften der Hansestädte. In beiden Fällen handelt es sich um persönliche Strafausschliefsungsgründe. während die objektive Strafbarkeit der Handlung nicht berührt wird. Dritte Personen, welche als Mitthäter, Anstifter oder Gehilfen an der Tliat des befreiten Landesherrn oder der befreiten Volksvertreter beteiligt sind, können daher nach allgemeinen Grundsätzen zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden. TL Aus völkerrechtlichen Rücksichten sind befreit: 1. F r e m d e L a n d e s h e r r e n mit Einscliluls des Papstes; ebenso die Regenten sowie die Präsidenten fremder Republiken. ®) 2. Fremde T r u p p e n k ö r p e r , welche mit Erlaubnis der inländischen Staatsgewalt inländisches Gebiet durchziehen. 3. DieChefs und M i t g l i e d e r der bei dem D e u t s c h e n ') Die Unverautwortlichkeit des Monarchen, schon im römischen Hechte anerkannt (prineeps legibus solutus: 1 31 D 1, 3), gehört seit der Aufnahme der fremden Rechte zu den Grundsätzen des deutschen Rechts. Anders (las deutsche Hittelalter, welches (S s ]>. III 52, 53; goldene Bulle 1356 c. 5 §. 2) den König vor das Kgl. Hofeericht verwies. Vgl. W e i z s ä c k e r Der Pfalzgraf als Richter über den König 1886 und dazu L ö n i n g Z VII 674. — Die UnVerantwortlichkeit des Regenten ist bestritten. Im Sinne des Textes die Hehrzahl der Kriminalisten. So Bg I 670, H 169, 0 61, S 56. Dagegen Hl 282. Vgl. insbesondre H a n k e Regentschaft und Stellvertretung des Landesherrn nach deutschem Staatsrecht 1887 8. 54. — Die Befreiung der Landesherren mufs auch in dem Falle uneingeschränkt angenommen werden, wenn sie sich etwa in einen Hochverrat gegen Kaiser und Reich eingelassen haben sollten. Dagegen J o h n *) Dagegen S t o r k a. 0., R i v i e r Völkerrecht 242, Z o r n WV 1372.
§. 88. Friedemrecht and Kriegsrecht.
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R e i c h e b e g l a u b i g t e n M i s s i o n e n , die F a m i l i e n g l i e d e r und das G e s c h ä f t s p e r s o n a l derselben, sowie ihre B e d i e n s t e t e n , sofern diese nicht Deutsche sind ( G Y G . §§. 18—21). Die bei einem einzelnen deutschen Bundesstaate beglaubigten diplomatischen Agenten sind von der Gerichtsbarkeit d i e s e s Staates, nicht aber von der Herrschaft der deutschen Strafrechtssätze befreit. Dagegen sind die im Deutschen Reiche angestellten K o n s u l n der inländischen (Straf-) Gerichtsbarkeit unterworfen, soweit nicht in Verträgen des Deutschen Reichs mit andern Mächten Vereinbarungen über die Befreiung der Konsuln von der inländischen Gerichtsbarkeit getroffen sind. Die Befreiung ist auch in diesen Fällen ein persönlicher Strafausschliefsungsgrund. s ) I I I . Auf deutsche M i l i t ä r p e r s o n e n finden die allgemeinen Strafgesetze des Reichs insoweit Anwendung, als nicht die Militärgesetze ein andres bestimmen (StGB. §. 10; vgl. besondern Teil).
§. 22.
Friedensrecht und Kriegsrecht.
I . Die Strafgesetze, die als allgemeine im Sinne des vorigen Paragraphen den Gegenstand unserer Darstellung bilden, erleiden zum Teil gewisse Veränderungen durch die Herrschaft des Kriegsrechtes (Einf.Ges. §. 4). Diese Veränderungen bestehen darin, dafs in gewissen Fällen des Hoch- und Landesverrates sowie bei einzelnen gemeingefährlichen Delikten (§§. 8 1 , 8 8 , 9 0 , 3 0 7 , 311, 312, 315, 322, 323, 324 StGB.) an Stelle der angedrohten lebenslänglichen Zuchthausstrafe die T o d e s s t r a f e tritt (vgl. unten 63). Die Voraussetzung dieser Veränderung der Strafdrohung ist gegeben, wenn entweder *) In den Folgerungen übereinstimmend diejenigen, welche im Falle unter 3 lediglich den Mangel einer Prozefsvorauasetzung erblicken; so Bg I 668, 0 62, B e n n e c k e §. 13 Note 7. Diese Ansicht widerlegt sich durch den Hinweis auf die Thatsache, dafs der auswärtige Gesandte auch nach Niederlegung seines Amtes wegen einer vorher begangenen strafbaren Handlung nicht im Inlande verfolgt werden kann. Mit dem Texte übereinstimmend G l a s e r I I 48 Note 3.
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§. 22. Friedensrecht und Kriegsrecht.
1. die genannten Handlungen i n e i n e m T e i l e d e s B u n d e s g e b i e t e s begangen werden, welchen der Kaiser nach Art. 68 der Reichsverfassung — also bis zum Erlafs eines Reichsgesetzes nach den Vorschriften des preufsischen Gesetzes vom 4. J u n i 1851 •— i n K r i e g s z u s t a n d e r k l ä r t hat; oder 2. wenn sie während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges a u f d e m K r i e g s s c h a u p l a t z e begangen werden. Für Bayern hat die Bestimmung unter 1 nach §. 7 Abs. 2 des Gesetzes vom 22. April 1871 ..bis auf weiteres" keine Geltung. II. Ferner bestimmt das Militär-StGB. vom 20. J u n i 1872 §. 9. clafs für strafbare Handlungen ,.iin F e l d e " die K r i e g s g e s e t z e Anwendung finden sollen, und ähnlich werden auch für die ,.vor d e m F e i n d e " (§. 10) begangenen strafbaren Handlungen besondere verschärfte Strafdrohungen aufgestellt. I I I . Endlich ist auf 30 Abs. 1 Prel'sgesetzes vom 7. Mai 1874 hinzuweisen, nach welchem die für Zeiten der Kriegsgefahr, des Kriegs, des erklärten Kriegs- oder Belagerungszustandes oder innerer Vnruhen (Aufruhr) in Bezug auf die Presse bestehenden besondern gesetzlichen Bestimmungen bis auf weiteres in Kraft bleiben.') ') Vgl. v. L i s z t Prefsr. §. 12.
Allgemeiner Teil. Erstes Buch.
Das Verbrechen. 1. Begriff und Einteilung. §. 23.
Der Begriff des Verbrechens.
I. Verbrechen ist die schuldhafte Handlung eines zurechnungsfähigen Menschen, welche, als Angriff auf besonders schutzwürdige und schutzbedflrftlge Rechtsgüter, ron der Rechtsordnung mit Strafe bedroht Ist. Um die Begriffsmerkmale des Verbrechens zu finden, müssen wir jene Thatbestände untersuchen, an welche die Strafe als Rechtsfolge geknüpft ist. 1. Der Thatbestand, als die Voraussetzung für den Eintritt einer Rechtsfolge, besteht ausnahmslos in rechtlich erheblichen Thatsachen, das heifst in sinnlich wahrnehmbaren V e r ä n d e r u n g e n der A u f s e n w e l t . Diese Thatsachen sind bald E r e i g n i s s e , bald H a n d l u n g e n , das heifst Veränderungen in der Aufsenwelt, welche auf menschlichem Wollen beruhen. Der Thatbestand, an welchen die S t r a f e geknüpft ist, besteht ausnahmslos aus H a n d l u n g e n , niemals aus Ereignissen. Das Verbrechen ist also Handlung; als solche kann es als ein T h u n oder als ein F n t er lassen uns entgegentreten. 2. Betrachten wir die Handlungen, welche Verbrechen im
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§. 83. Der Begriff des Verbrechens.
Sinne des positiven Rechtes sind, näher, so finden vir, dafs sie im Unterschiede von jenen Handlungen, welche als Thatbestände auf den übrigen Rechtsgebieten uns entgegentreten, stets R e c h t s v e r l e t z u n g e n , niemals Rechtsgeschäfte sind.1) Von einem Verbrechen kann daher keine Rede sein, wenn die Rechtswidrigkeit der gegen ein Rechtsgut gerichteten Handlung aus besondern Gründen entfällt. 3. Nur die s c h u l d h a f t e Rechtsverletzung wird als Verbrechen gestraft. 2 ) Zurechenbarkeit der Handlung zur Schuld setzt einerseits voraus, (lafs ein s c h u l d f ä h i g e r (zurechnungsfähiger) Mensch gehandelt hat: anderseits, dal's S c h u l d (sei es Vorsatz, sei es Fahrlässigkeit) in Beziehung auf den verursachten Erfolg vorgelegen hat. 4. Ein auch nur oberflächlicher Blick auf die Rechtsordnung zeigt uns, dafs nicht jede schuldhafte Rechtsverletzung vom Staate mit Strafe bedroht wird. Genauere Betrachtung lehrt uns nicht nur. dafs der U n t e r s c h i e d z w i s c h e n dein P r i v a t u n r e c h t und dem s t r a f b a r e n V e r b r e c h e n kein begrifflicher ist. sondern im steten Flusse der Entwicklung nach Zeit und Ort wechselt; sondern dafs auch, abgesehen von diesem grundlegenden und daher sofort näher zu untersuchenden Unterschiede, der Eintritt der Strafe vielfach an verschiedenartige V o r a u s s e t z u n g e n und S c h r a n k e n gebunden ist, welche teils als besondere Gestaltungen der verbrecherischen Handlung, teils als aul'serhalb derselben gelegene Bedingungen der Strafbarkeit erscheinen. II. Die hervorgehobenen Merkmale des Verbrechensbegriffes liefern uns zugleich das Gerippe für die Darstellung der Lehre vom Verbrechen in dem 2., 3. und 4. der folgenden Abschnitte. Neben den (notwendigen) Begriffsmerkmalen, ') Das Verbrechen i s t Rechtsverletzung, nicht aber b e w i r k t es eine Rechtsverletzung. Das ist ebenso sicher wie der Satz, dafs die Begriff amerkmale eines Gegenstandes nicht dessen Wirkungen sind. Dennoch wird dieses ebenso einfache wie klare Verhältnis vielfach unrichtig aufgefafst. In Bindings Normentheorie bildet diese Verwechslung den Ausgangspunkt für eine Reihe von folgenschweren Irrtümern. *) Das Strafrecht kann daher die Streitfrage, ob es ein sog. objektives, unbefangenes, d. h. ein s c h u l d l o s e s U n r e c h t gebe (eine Frage, die ich mit Bestimmtheit bejahe), beiseite lassen. FUr d a s S t r a f r e c h t g i e b t es n u r s c h u l d h a f t e s U n r e c h t .
§. 24. Das Verbrechen im Unterschiede vom bürgerlichen Unrecht.
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die bei jedem Verbrechen sich wiederfinden müsBen, haben wir aber auch die (zufälligen) E r s c h e i n u n g s f o r m e n , in welchen das einzelne Verbrechen auftreten kann (Versuch und Vollendung, Thäterschaft und Teilnahme, Einheit und Mehrheit des Verbrechens), einer genauen Betrachtung zu unterziehen. Davon handeln die Abschnitte 6, 7 und 8 des ersten Buches.
§. 24.
Das Verbrechen im Unterschiede vom bürgerlichen Unrecht.
Litteratur. M e r k e l Kriminalistische Abhandlungen I 1867. v. I h e r i n g Das Schuldmoment im römischen Frivatrecht 1867. D e r s e l b e Der Zweck im Recht I (2. Aufl.) 490. v. B a r Die Grundlagen des Strafrechts 1869. H e i n z e H H I 321. Bg Normen I 66. H I 16. v. L i s z t Die Grenzgebiete zwischen Privatrecht und Strafrecht 1889 (insbes. S. 25). H e i n e m a n n Die Bindingsche Schuldlehre 15.
I. Das peinliche Unrecht oder das Verbrechen ist von dem bürgerlichen nicht durch innere, begriffliche Merkmale unterschieden, der Gegensatz der beiden Unrechtsformen kein grundsätzlicher, sondern ein geschichtlich-politischer. Zweckmäfsigkeitsrücksichten, bald klar erkannt, bald nur dunkel geahnt, bestimmen den Staat zur Aufstellung seiner Strafdrohungen. Die schwankenden Bedürfnisse der Rechtsordnung drücken der Gerechtigkeit das Schwert in die Hand. Im Flusse der Zeiten wechselt die Grenzlinie, welche bürgerliches und peinliches Unrecht trennt; was heute Verbrechen ist, war es nicht immer, braucht es nicht immer zu bleiben: und der Rechtsstreit, den wir heute vor dem Zivilrichter anhängig machen, kann morgen an die Träger der Strafgerichtsbarkeit verwiesen werden. Wir müssen von dem Versuche einer begrifflich-scharfen Abgrenzung abstehen und uns mit der allgemeinen Fassung begnügen: d i e für die g e g e b e n e R e c h t s o r d n u n g g e f ä h r l i c h s t e n A n g r i f f e erklärt der Staat durch die Strafdrohung, welche er mit seinen Geboten und Verboten verbindet, zu Verbrechen. 1 ) ') Die im Texte vorgetragene Ansicht wird vertreten von A b e g g , v. B a r , B e k k e r , B i n d i n e , D a h n , G e i b , G e y e r , H e i n z e , J a n k a , v. I h e r i n g , K ö h l e r , M e r k e l , v. M e y e r , S c h ü t z e , T h o n , W ä c h t e r , W a h l b e r g u. a., sie kann heute als gemeine Meinung bezeichnet werden. — Unter den Versuchen, die Grenzlinie zwischen dem bürgerlichen und dem peinlichen Unrechte begrifflich zu bestimmen,
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8- 24. Das Verbrechen im Unterschiede vom bürgerlichen Unrecht.
II. D i e G e f ä h r l i c h k e i t d e s A n g r i f f e s aber kann liegen: 1. In der U n e r B e t z l i c h k e i t des angegriffenen Rechtsgutes. Man denke an das menschliche Leben oder an die Geschlechtsehre des Weibes. Aber auch hier weist die Geschichte des Strafrechtes zahlreiche Schwankungen auf. Jahrhunderte hat es gedauert, ehe die im offenen ehrlichen Kampfe erfolgte vorsätzliche Tötung des Gegners der Vereinbarung zwischen den Angehörigen des Verletzten und dem Totschläger entzogen und staatlicher Strafe unterstellt wurde. Umgekehrt ist die Straflosigkeit des Selbstmörders ein Ergebnis jüngster Rechtsentwicklung. Und noch heute schwanken Gesetzgebung, Rechtspflege und Wissenschaft zwischen den äufsersten Gegensätzen höchster Strafbarkeit und völliger Straflosigkeit hin und her, wenn es sich um die strafrechtliche Bedeutung des sogen, amerikanischen Duelles handelt. Welcher Wechsel der Anschauungen ferner, wenn wir die Altersgrenze ins Auge fassen, von welcher ab die nach Zeit und Ort verschiedenen Gesetzgebungen dem Weibe die freie Verfügung über seine Geschlechtsehre einräumen, so dafs die Strafbarkeit des Verführers entfällt! 2. In dem W e r t e des Rechtsgutes für die betreffende Rechtsgemeinschaft; richtiger, in der (^häufig sehr subjektivem W e r t s c h ä t z u n g durch die rechtsetzenden Faktoren. Man denke an die verschiedene Ausbildung des Strafrechts im theokratischen und im Kriegerstaate, in der despotischen Monarchie und in dem republikanischen Gemeinwesen, im Agrikultur- und im Industriestaate u. s. w. Verbrechen ist, wie v. I h e r i n g treffend sagt (Zweck im Recht 1 491 der 2. Aufl.), „die von seiten der Gesetzgebung konstatierte Gefährdung der L e b e n s b e d i n g u n g e n der Gesellschaft". (Ahnliche Gedanken schon bei M o n t e s q u i e u . ) 3. In der H ä u f i g k e i t d e s A n g r i f f e s . Das Uberhandnehmen gewisser Delikte (Fälschung von Nahrungmitteln, sozialdemokratische Umtriebe, Wucher, Sprengstoff-Attentate u. s. w.) kann die Gesetzgebung veranlassen, in ihren mehr oder weniger strengen Strafdrohungen ein genügendes Gegengewicht zu schaffen. 4. In der A r t , inabesondere in dem M i t t e l des Angriffes. Der Mifsbrauch staatlicher E i n r i c h t u n g e n sowie menschlicher E n t d e c k u n g e n u n d E r f i n d u n g e n zur Bekämpfung staatlicher und gesellschaftlicher Zwecke kann die Strafgesetzgebung des Staates wachrufen. Hierher gehören die interessantesten und schwierigsten Verbrechensnehmen diejenigen H e g e l s und seiner Schule den ersten Platz ein. Hegel bestimmt das peinliche Unrecht als das b e w u f s t e , das bürgerliche als das u n b e w u f s t e . Die von ihm weiter angenommene Mittelstufe des B e t r u g e s mufste als durchaus unhaltbar schon von seinen Anhängern aufgegeben werden. Aber auch jene Zweiteilung widerspricht, wie namentlich M e r k e l schlagend nachgewiesen hat, unleugbaren Thatsachen des Rechtslebens: dem Kulposen Verbrechen einerseits, dem zivilrechtlichen Dolus anderseits. Auch die fortgesetzten Bemühungen H ä l s c h n e r i , vom Hegeischen Standpunkte aus zu einer haltbaren Fassung des Unterschiedes zu gelangen, müssen als gescheitert betrachtet werden.
§. 26. Die Dreiteilung der strafbaren Handlungen.
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gruppen : die sog. Fälschungsdelikte, bei welchen die staatlichen. Geldund Wertzeichen oder die von der Rechtsordnung mit Beweiskraft ausgestatteten Beglaubigungsformen zu rechtswidrigen Zwecken mißbräuchlich verwendet werden, ebenso gut wie die gemeingefährliche Entfesselung der Naturkräfte, von der Brandstiftung und der Durchstechung der Nildämme angefangen bis zur verbrecherischen Verwertung von Dynamit und Nitroglycerin.
§. 2 5 .
Die Dreiteilung der strafbaren Handlungen nach ihrer Schwere.
I. Das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r hatte die strafbaren Handlungen in causae majores und minores ( U n g e r i c h t e , Malefiz einerseits, F r e v e l anderseits) eingeteilt, von welchen jene p e i n l i c h e Strafen an Hals and Hand, diese nicht peinliche oder b ü r g e r l i c h e Strafen an Haut und Haar nach sich zogen. Auf demselben Standpunkte steht die PGO. Vielfach findet sich jedoch schon in den mittelalterlichen, aber auch in den spätem Quellen eine Mittelstufe (das „nicht pur-lautere Malefiz" des österr. Rechts). Seit dem 17. Jahrhundert wird unter dem Einflüsse der auf J u l i u s C l a r a * zurückgreifenden sächsischen Juristen, insbesondere C a r p z o v s , eine Dreiteilung herrschend, welche unter wechselnden Bezeichnungen innerhalb der schweren Verbrechen atrociora und atrocissima crimina unterschied; letztere diejenigen, bei welchen verschärfte Todesstrafe eintrat (bei ihnen ist conatus proximus gleich der Vollendung). Das ist auoh der Standpunkt sowohl Österreichs 1768 wie Bayerns 1751. — Auf einer andern Grundlage ruht die Dreiteilung, welche seit dem Beginne der Aufklärungszeit vielfach in der Litteratur vertreten wurde. Danach unterschied man neben den P o l i z e i ü b e r t r e t u n g e n zwischen V e r b r e c h e n , gerichtet gegen natürliche Rechte wie Leben, Freiheit u. s. w., und V e r g e h e n , welche gegen die erBt durch den Staatsvertrag begründeten Rechte, wie Eigentum u. s. w., gerichtet sind. — Für die Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts wurde von verhängnisvoller Bedeutung die Einteilung des französischen Rechts, welches seit 1791 zwischen c r i m e s , d é l i t s und c o n t r a v e n t i o n s , j e n a c h d e r S c h w e r e d e r a u f d i e H a n d l u n g g e s e t z t e n S t r a f e unterschied. Diese „Trichotomie" des französischen Rechts ging in eine Reihe von deutschen LandesStrafgesetzbüchern, so in das preufsische von 1851 über, aus welchem sie trotz des lebhaften Widerspruchs der deutschen Wissenschaft in das RStGB. herübergenommen wurde. Sie wurde ferner beibehalten in dem belgischen StGB, von 1867, dem ungarischen von 1878, in den Entwürfen Österreichs und Rufslands, während das niederländische StGB, von 1881, das italienische StGB, von 1889 und der norwegische Entwurf die Dreiteilung durch eine Zweiteilung ersetzt haben. ') ') Vgl. Bg I 511 Note 5 und 6, S e u f f e r t Italienischer Entwurf.
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§. 25.
Die Dreiteilung der strafbaren Handlungen.
I I . Nach R S t G B . §. 1 sind die strafbaren Handlungen (Verbrechen im weiteren Sinne) entweder: 1. V e r b r e c h e n (im engeren Sinne) jede mit dem Tode, mit Zuchthaus oder mit Festungshaft von mehr als fünf J a h r e n ; oder 2. \ r e r g e h e n jede mit Festungshaft bis zu fünf Jahren, mit Gefängnis oder mit Geldstrafe von mehr als 150 Mark; oder 3. Ü b e r t r e t u n g jede mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu 150 Mark bedrohte Handlung. 2 ) I I I . F ü r die A n w e n d u n g d e r D r e i t e i l u n g sind folgende Regeln zu merken : 3 ) 1. Mafsgebend ist nicht die zu erkennende (die ,.verwirkte"), sondern die a n g e d r o h t e Strafe; und zwar bei wahlweiser Strafdrohung die s c h w e r s t e der angedrohten Strafen (eine mit ..Gefängnis oder H a f t " bedrohte Handlung ist immer Vergehen). Bei den als Vielfaches oder als Teil (unten ß. 66) eines bestimmten Betrages (insbesondere in den Zoll- und Steuergesetzen) angedrohten Geldstrafen entscheidet das im Einzelfall sich ergebende Höchstmals, soweit nicht durch die Angabe eines Mindestmaises, wie in §. 55 des Reichsbankgesetzes, der Verbrechenscharakter bereits entschieden ist. 4 ) 100. Anbänger der Dreiteilung sind B 71 und M 41. Tiber ihre Gegner im Auslande vgl. z. B. B u c c e l a t i GS X X X I X 578. — Die Verkehrtheit der Dreiteilung ergiebt sich einerseits daraus, dafs die im französischen Recht allerdings gewonuene Vereinfachung der Zuständigkeitsabgrenzung im Reichsrecht, wie ein Blick in das GVG. zeigt, nicht eingetreten ist; anderseits daraus, dafs die Vergehen des RStGBs. mit den Verbrechen desselben ihrem Wesen nach durchaus gleichartig, innere Gründe also, sie in Bezug auf Versuch, Teilnahme usw. von diesen verschieden zu behandeln, in keiner Weise vorhanden sind. ') Dabei begeht der Gesetzgeber einen eigentümlichen Rechnungsfehler: er behandelt als gleichwertig 5 J a h r e oder 60 Monate Gefängnis; 5 J a h r e Festung oder 40 Monate Gefängnis; 12 Monate Zuchthaus oder 18 Monate Gefängnis. StGB. §. 21. E r übersieht dabei weiter, dafs in dem Vollzug der Zuchthaus- und der Gefängnisstrafe ein nennenswerter Unterschied nicht besteht. — Das Mil.-StGB. §. 1 kennt nur Verbrechen und Vergehen; die Übertretungen sind der Disziplinarbestrafung überladen. ..*) Der Unterschied der Vergehen von den Verbrechen einerseits, den Übertretungen anderseits kommt in Betracht in StGB. §§. 4, 6, 37; 40; 67 Nr. 4; 43. 49, 49 a, 267; 27. 29 ; 67; 74, 79; 126, 240, 241; 151; 157 Nr. 1. *) So die gern Meinung mit der Rechtsprechung von OT und R (26. Sept. 81 V 23). Vgl. insb. O 42. Dagegen nur Bg I 515, nach welchem in jedem Falle Vergehen anzunehmen ist, weil das mögliche Höchstmafs 150 Mk. übersteigt.
§. 35.
Die Dreiteilung der strafbaren Handlungen.
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2. Bei Erweiterungen des Strafrahmens wegen mildernder oder erschwerender Umstände ist das Höchstmafs des e r w e i t e r t e n Strafrahmens fiir alle — regelgemäfse, leichtere, schwerere — Fälle mafsgebend. Handelt es sich dagegen um s e l b s t ä n d i g e leichtere oder schwerere U n t e r a r t e n derselben strafbaren Handlung, so sind die Strafrahmen sowohl des Regelfalles, wie jene der Unterarten besonders ins Auge zu fassen. Die Grenzlinie ist freilich im Einzelfalle oft schwer zu ziehen. "Wichtige Anhaltspunkte fiir die Selbständigkeit der in Frage stehenden Strafdrohung können die G e s c h i c h t e des bedrohten Deliktes, seine B e n e n n u n g , seine S t e l l u n g im S y s t e m des Gesetzes uns an die Hand geben. B e i s p i e l e : Totschlag auf „Reizung-1 (StGB. §. 213) bleibt als milderer Fall des Totschlags Verbrechen; Tötung auf Verlangen (StGB. §. 216) ist als selbständige Art der Tötung Vergehen; StGB. §. 313 Abs. 2 ändert nichts an der Verbrechensnatur der Überschwemmung, sowie die Strafermäfsigung des §. 157 StGB, in Bezug auf die Schwere des Meineids durchaus einflufslos bleibt. 3. Die herabgesetzten Strafrahmen bei Versuch, Beihilfe, Jugend sind als Erweiterungen des regelmäfsigen Strafrahmens, nicht aber als selbständige Strafdrohungen zu betrachten. 6 ) IV. Die Unterscheidung zwischen dem p e i n l i c h e n Unrecht im engern Sinne (im weitern bildet es den Gegensatz zum bürgerlichen Unrecht) und dem p o l i z e i l i c h e n Unrecht hat für das geltende Recht keine Bedeutung. 4 ) *) Ebenso die gemeine Meinung. Dagegen O 41. Unklar fig I 516. *) Der Begriff des polizeilichen Unrechts ist lebhaft bestritten. A m richtigsten wäre es, die Ungehorsamsdelikte (unten §. 31 II) als Polizeidelikte zu bezeichnen. Vielfach wird, wie v o n B e k k e r , G e i b , H e f f t e r , v. B a r , jeder Unterschied zwischen peinlichein und polizeilichem Unrechte gänzlich in Abrede gestellt; die naturrechtliche Schule — so noch F e u e r t ) a c h , v. W ä c h t e r u. a. — wollte das peinliche Unrecht auf die Verletzung subjektiver Rechte beschränken und die Verletzung allgemeiner Interessen dem polizeilichen zuweisen (vgl. oben S. 123); andere wieder, wie G r o l m a n n , K ö s t l i n , S e e g e r , G e y e r rechnen die Verletzung zum peinlichen, die Gefährdung zum polizeilichen Unrecht; nach M 40 sind peinliches Unrecht „diejenigen Delikte, deren sachliche Bedeutung im V o r d e r g r u n d steht, Polizeiunrecht diejenigen, bei welchen die sachliche Bedeutung hinter ihre formelle Bedeutung (als blofser Gesetzesverletzung) z u r ü c k t r i t t , was . . . auch bei allen wirklich geringfügigen Delikten der Fall ist". Mit dem Texte im wesentlichen übereinstimmend M e r k e l Abhandlungen I 35. Bg Normen I 179, 204, H I 35. R o s i n W V II 274 u. a. — Über die Lanaespolizeigesetzgebung Tgl. ob. §. 16 Note 2.
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§. 26.
Das Subjekt des Verbrechens.
II. Das Verbrechen als Handlung. §. 26.
Das Subjekt des Verbrechens.
L i t t e r a t o r . Zu I : Zusammenstellung bei G ü n t h e r Wiedervergeltung 25 Note 12. Dazu G e i b I I 197. Z i t e l m a n n Rheinisches Museum für Philologie X L I 129. — Zu I I : Insbesondere G i e r k e Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung 1887 S. 743 (Z IX 637). v. K i r c h e n h e i m GS XXXVII 421, XL 251. Ferner U b b e l o h d e in Glücks Pandekten Bücher 43 und 44, I 421. I. Nach heutiger allgemeiner Rechtsanschauung kann nur der M e n s c h Thäter eines Verbrechens sein. Anders freilich nach der naiven Auffassung vergangener Zeit, welche, ohne auf das Verschulden des Thäters Rücksicht zu nehmen, auf die nackte That die Strafe folgen liefs. Doch ist in der Geschichte des römisch-deutschen Strafrechts diese Auffassung bis auf vereinzelte, in ihrer Bedeutung zweifelhafte Uberreste verblafst. Die aus Rom wie aus dem deutschen Mittelalter uns überlieferten Beispiele angeblicher strafrechtlicher Verfolgung und Bestrafung von Tieren erklären sich, ohne dafs wir gezwungen wären, ihnen juristische Bedeutung beizulegen, teils aus religiös-abergläubischen Vorstellungen, teils aus einem phantastischen Spielen mit Rechtsbegriffen und Prozefsformen. I I . N a c h geltendem Reichsrecht kann. von besonderen Bestimmungen abgesehen, nur der e i n z e l n e M e n s c h , n i c h t e i n e K ö r p e r s c h a f t , eine strafbare Handlung begehen und die auf eine solche gesetzte Strafe erleiden. Societas delinquere non potest. Immer können nur die einzelnen handelnden Vertreter, nicht aber der vertretene Gesamtkörper zur Verantwortung gezogen werden. D i e nach den strafrechtlichen Nebengesetzen des Reiches auch den Körperschaften vielfach auferlegte aushilfsweise H a f t u n g für die zunächst den Schuldigen treffenden Geldstrafen (unten §. 60 I I I ) ist keine S t r a f e , wenn sie auch in ihren Wirkungen einer solchen durchaus gleichkommt. E s ist jedoch daran festzuhalten, dals die Anerkennung des Körperschaftsdeliktes, soweit die Handlungsfähigkeit der Körperschaft reicht, und die Bestrafung der Körperschaft, soweit sie selbständige Trägerin von Rechtsgütern ist, als ebenso möglich wie zweckmäfsig erscheint. Auch finden sich zahl-
g. 26.
Das Subjekt des Verbrechen«.
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reiche Bestätigungen dieses Satzes in der deutschen wie aufserdeutschen Gesetzgebung.') ') Die richtige Auffassung beherrscht nicht nur das deutsche Mittelalter (Bestrafung von Städten, welche Verfestete beherbergen: SSp I I 72, I ; Landfrieden 1235 §. 13), sie ist auch seit B a r t o l a s gemeine Meinung der strafrechtlichen Wissenschaft. So bei O u n d l i n g , E n g a u , K o c h , L e y s e r , J . S. F. B ö h m e r u. a., welche für den Fall, dafs commune consilium membrorum vorliegt, ausdrücklich die universitas als Subjekt des begangenen Deliktes bezeichnen. Erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts gewinnt, unter romanisierendem Einflufs, die entgegengesetzte Ansicht aas Übergewicht, bei den Lehrern des Strafrechts für lafige Zeit die ausschliefsliche Herrschaft. Doch findet in der heutigen Wissenschaft die Lehre von der Deliktsfähigkeit juristischer Personen auf privatrechtlichem wie strafrechtlichem Gebiete, an welcher das englischamerikanische, das russische, das französische und spanische Recht festhalten, wachsenden Anklang. — Von den Germanisten hat sie, aufser B e s e l e r , B l u n t s c h l i , D a h n u. a., insbesondre G i e r k e (schon in seinem Genossenschaftsrecht) siegreich vertreten; von den Romanisten stehen B e k k e r , D e r n b u r g , W i n d s c h e i d , U b b e l o h d e mehr oder weniger auf dem gleichen Standpunkt; ebenso als Vertreter despreufsischen Privatrechts F ö r s t e r - E c c i u s §. 282 VIII, und von den Kriminalisten Ml 60. Dagegen teilen neuerdings die herrschende Ansicht J 51, B ä n g e r Z V I I I 573, Z i e b a r t h 340, S t o r c h bei Grünhut X V I 323. — Aus der neuesten deutschen Gesetzgebung vgl. man §. 35 des Genossenschaftsgesetzes vom 4. Juli 1868: „Wenn eine Genossenschaft sich gesetzwidriger Handlungen oder Unterlassungen schuldig macht, durch welche das Gemeinwohl gefährdet wird . . . so kann sie aufgelöst werden . . ." Ganz ähnlich bezüglich der I n n u n g e n Gewerbeordnung §. 103 Ziff. 3, 104g. — Die im Texte vertretene Ansicht stützt sich nicht auf mystische Vorstellungen, sondern auf die Erkenntnis des Lebens. Das Körperschaftsdelikt ist r e c h t l i c h m ö g l i c h . Denn einerseits sind die Voraussetzungen für die Handlungsfähigkeit der Körperschaft auf dem Gebiete des Strafrechtes grundsätzlich keine andern als auf jenem des Zivilrechtes oder (was regelmäfsig übersehen wird) auf dem des öffentlichen Rechtes; wer Verträge schliefsen kann, der kann auch betrügerische oder wucherische Verträge schliefsen oder die geschlossenen Lieferungsverträge (StGB. 8. 329!) nicht halten. Anderseits ist die Körperschaft auch Trägerin von Rechtsgütern (Vermögensrechte, Wahlrecht, Dasein, Ehrenrechte), die strafweise geschmälert oder vernichtet werden können. Und seine Anerkennung ist e m p f e h l e n s w e r t . Denn einerseits gewinnt die Handlung, hinter welcher nicht ein einzelner oder mehrere, sondern die Körperschaft steht, andere und erhöhte Bedeutung; Wahlbeeinflussung, Verbreitung verbotener Schriften, Aufforderung zu strafbaren Handlungen, finanzielle Übervorteilungen aller Art können von Vereinen und Gesellschaften in einer Ausdehnung und mit einer Kraft getrieben werden, welche zu der Zahl ihrer Mitglieder aufser allem Verhältnisse steht. Anderseits widerspricht es ebenso sehr dem Gefühle der Gerechtigkeit wie den Grundsätzen gesunder Kriminalpolitik, den eigentlich Schuldigen straffrei zu lassen, das Organ fremden Willens aber mit der vollen und ausschliefslichen Verantwortlichkeit zu belegen. Freilich kann der Begriff der Handlung mit allem, was sich auf ihn bezieht, nur mittelbar auf die Verbrechen der Körperschaft angewendet werden. A b e r a n s t e l l e d e r w i l l k ü r l i c h e n K ö r p e r b e w e g u n g , des p h y s i s c h e n H a n d e l n s t r i t t das H a n d e l n d u r c h k ü n s t -
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§. 27. Der Begriff der Handlung.
§. 27.
Der Begriff der Handlung.
Litteratnr. B e k k e r Theorie des Strafrechts I 243. H I 503. Z i t e l m a n n Irrtum und Rechtsgeschäft 1879 S. 25. L a m m a s c h bei Grüohut IX 90 (Z I I 622). S i g w a r t Kl. Schriften II 113 (Z I I 151). B ü n g e r Z VI 291, VIII 520. v. L i s z t Z VI 663. J a n k a Die Grundlagen der Strafschuld 1885 (Z V 737). O r t l o f f GS XXXIV 401 (Z I I I 604). J a n k a Z IX 510... v. B u r i GS XLI 417. Die Lehr- und Handbücher der Psychologie. — Uber den Begriff der G e f a h r insbesondere: die zu §. 28 angeführten Schriften von J . v. K r i e s. Ferner: F i n g e r Der Betriff der Gefahr und seine Anwendung im Strafrecht 1889 (gegen Kries). v. R o h l a n d Die Gefahr im Strafrecht 2. Aufl. 1888 (Z VII 731) und gegen ihn v. B u r i GS XL 503 (Z IX 636). H e i n e in a n n Die Bindingsche Schuldlehre 1889. I. Handlung ist die a u f m e n s c h l i c h e s W o l l e n z u rückführbare Bewirkung einer Veränderung in der A u f s e n w e l t . Diese Veränderung nennen wir E r f o l g . Seine Bewirkung ist auf menschliches W o l l e n zurückführbar. wenn sie durch die gewollte, oder, was gleichbedeutend ist. durch die w i l l k ü r l i c h e K ö r p e r b e w e g u n g eines Menschen erfolgt. Somit setzt sich der Begriff der Handlung aus zwei Stücken zusammen: der Körperbewegung einerseits, dem Erfolg anderseits, beide zusammengehalten durch das Verhältnis von Ursache und W i r k u n g . ' ) I I . Ohne willkürliche Körperbewegung ist Handlung, mithin Verbrechen undenkbar. Willkürliche Körperbewegung aber ist d i e d u r c h V o r s t e l l u n g e n b e w i r k t e , durch die Innervierung der Bewegungsnerven erfolgende. A n s p a n n u n g (Kontraktion) der M u s k e l n . 2 ) l i e h e O r g a n e ; und so gut dieses künstliche Handeln auf dem Gebiete des bürgerlichen RechtB und des öffentlichen Lebens Rechtswirkungen für und gegen die Körperschaft zu erzeugen vermag, ebenso gut niufs dies auch auf dem Gebiete des Strafrechts möglich sein. ') Übereinstimmend H I 186. Teilweise abweichend B ü n g e r Z V I I I 540, welcher auch ein inneres, von keiner Körperbewegung objektiviertes Handeln kennt; ferner J a n k a Z IX 510, der den Erfolg aus dem Begriff der Handlung ausscheiden will. 2 ) Die genauere Betrachtung der Handlung und ihrer Entstehung fällt nicht mehr in den Rahmen unserer Wissenschaft. Für uns handelt es sich nur darum, mit bestimmten Ausdrücken feststehende Begriffe zu verbinden. In dieser Beziehung ist folgendes zu merken. 1. „ W i l l e " oder „ W o l l e n " bezeichnet lediglich denjenigen psychischen Akt, durch welchen die Anspannung der Muskeln erfolgt. „Gewollt" ist also stets nur die Körperbewegung, niemals der Erfolg. Ebenso schon früher B e k k e r 1 243, neuerdings Z i t e l m a n n I 136, B ü n g e r Z VI 321, O
§. 27. Der Begriff der Handlung.
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D a h e r sind nicht Verbrechen: 1. D i e j e n i g e n K ö r p e r b e w e g u n g e n , welche nicht durch Vorstellungen, sondern durch eine von a u f s e n h e r unmittelbar auf die Muskeln wirkende K r a f t hervorgerufen werden. A b s o l u t e Gewalt: ein D r i t t e r führt gewaltsam meine H a n d zur Brandlegung; auf schmalem Alpenpfade strauchelnd, stofse ich auf meinen Begleiter und stürze diesen in den A b g r u n d . 2. D i e j e n i g e n K ö r p e r b e w e g u n g e n , welche durch einen i n n e r e n , unmittelbar auf die Bewegungsnerven wirkenden Reiz hervorgerufen werden. Man denke an den Kranken, der in einem Krampfanfalle die Beschädigung fremder Gegenstände bewirkt. I I I . D e r Erfolg kann entweder u n m i t t e l b a r durch die Körperbewegung herbeigeführt werden (Schlag mit der Paust), oder m i t t e l b a r unter Benutzung der Naturkräfte (Töten durch 394; dagegen E n n e c c e r u s Rechtsgeschäft, Bedingung, Anfangstermin I 12. — 2. Das Wollen als psychischer Akt ist stets durch Vorstellungen bestimmt; es g i e b t k e i n u n b e w u f s t e s W o l l e n . Gegen B i n d i n g , welcher verleitet durch £ . v. Hartmann'sche Pseudophilosophie dieses unbewnfste Wollen zur Grundlage seiner Schuldlehre gemacht, haben sich alle andern Kriminalisten erklärt. So u. A.: H I S84, 312 Note 1, W a h l b e r g Z I I I 190, ß ü n g e r Z VI 292, F r a n k Z X 38, H e r t t Unrecht 159, L u c a s Subjektive Verschuldung 15, J a n k a Grundlagen 30, H e i n e m a n n 8. — 3. Der Begriff des Wollens,der willkürlichen Körperbewegung hat mit dem der Willensfreiheit nichts zu thun. Vgl. über diese unten §. 36 II. — 4. B e w e g g r u n d (Motiv) des Handelns nennen wir die das Wollen bestimmende Vorstellung des begehrten, durch die Körperbewegung herbeizuführenden Erfolges; Z i e l diesen Erfolg selbst, Z w e c k unseres Handelns seine Herbeiführung. A b s i c h t ist die Vorstellung des Erfolges als Beweggrund des Handelns; V o r s a t z dagegen ist die Vorstellung (Voraussicht) des Erfolges schlechthin, auch wenn diese nicht gerade bestimmend auf das Wollen eingewirkt hat. Vgl. darüber unten §. 39. — 5. Das Wollen ist ein ü b e r l e g t e s , wenn die auftauchende Vorstellung des begehrten Erfolges nicht sofort den Willen bestimmte, sondern den übrigen Vorstellungen, insbesondre den allgemeinen, unser gesamtes Verhalten beherrschenden Vorstellungen aer Religion, der Sittlichkeit, des Hechts, .der Klugheit, Zeit blieb, sich zur Geltung zu bringen. Der Mangel an Überlegung kann seinen Grund in heftiger Leidenschaft wie .in gedankenlosem Stumpfsinn haben. Das StGB, hat den Begriff der Überlegung zur Begriffsbestimmung von Mord und Totschlag verwendet und damit dessen allgemeine Bedeutung .wenigstens für die Strafzumessung anerkannt. Vgl. W a c h e n f e l d Die Überlegung in unserem heutigen Mordbegriff 1887 (Z IX «78). A l i m e n a La premeditazione in rapporto alla psicologia, al diritto, alle legislazione comparata 1887 (Z VIII437). Irreführend ist es, von überlegtem V o r s a t z (dolus praemeditatus im Gegensatze zum dolus repentinus) zu sprechen. Richtig Bg Normen I I 396, 508, H I 515, O 828, W a c h e n f e l d a. O. r o n L i a z t , Strafrecht.
4. A u f l .
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§. 27.
Der Begriff der Handlung.
Anzünden des Wohnhauses). Der Thäter kann sich zur Herbeiführung des Erfolges eines W e r k z e u g e s bedienen, sei dieses ein lebloser Gegenstand, oder ein ^Tier, oder ein andrer Mensch (unten §. 50). oder endlich der eigne Körper deB Thäters selbst (unten §. 36 V). Und zwar gilt dies von allen Arten der strafbaren Handlungen ohne jede Ausnahme. Auch die wörtliche Beleidigung kann durch Benutzung der überseeischen Drahtverbindung, der Meineid durch Übersendung des unterzeichneten Eidessatzes begangen werden. Es giebt keine Körperbewegung ohne irgend einen, wenn auch noch so unscheinbaren und vorübergehenden Erfolg; und es giebt kein Delikt, bei welchem nicht die Benutzung eines Werkzeuges und damit ein zeitlichesund örtliches Auseinanderfallen von Handlung und El folg denkbar wäre. :i ) Jede Veränderung der Aufsenwelt ruft weitere Veränderungen hervor. An die Begriffsbestimmungen des Strafgesetzbuchs haben wir uns zu wenden, um denjenigen Erfolg herauszufinden. an dessen Eintritt der Gesetzgeber seine Strafdrohungen knüpft. *) I V . Unter den strafrechtlich bedeutsamen Erfolgen spielt neben der Verletzung die G e f ä h r d u n g eine besondere Rolle. Gefahrdung aber ist die Herbeiführung einer G e f a h r . d. h. eines Zustande«, in welchem, unter den gegebenen und im Augenblicke der Körperbewegung hervortretenden Uniständen, nach unbefangenem Urteile die n a h e M ö g l i c h k e i t und damit die ') Es ist demnach ganz verkehrt, „materielle1- und „formelle 1- Verbrechen zu unterscheiden und zu den ersteren diejenigen zu rechnen, bei welchen ein äufserer Erfolg eintritt, zu den letzteren diejenigen, bei welchen dies nicht der Fall ist. Richtig J 60. H e r z o g Rücktritt, B e k k e r System 278, H e r m e s Teilnahme 8, B a u m g a r t e n Versuch 349, S 137. Vgl. v. L i s z t Z I 93 gegen L. C o h n Zur Lehre vom versuchten und unvollendeten Verbrechen I 1880. Dagegen neuerdings B o r c h e r t Verantwortlichkeit 117. *) Wenn der Ehemann gemeinsam mit seiner Geliebten seine Frau tötet und dann mit jener eine neue Ehe schliefst, so kommt strafrechtlich nur die Tötung in Betracht. Der Unterscheidung von näherem und entfernterem Erfolg entspricht die Unterscheidung von näherer und entfernterer Absicht. Die üner den nächsten Erfolg hinausreichende Absicht kommt strafrechtlich vielfach in Betracht. Vgl. unten §. 39 II. Im allgemeinen aber ist die Bedeutung des Beweggrundes für die Strafwürdigkeit der Handlung in Gesetzgebung und Wissenschaft viel zu wenig gewürdigt. Vgl. dazu G r a m Om motivets betydning i strafferetlig henseende. 1889. Kopenhag. Dissert (die einzige wissenschaftliche Behandlung der Frage).
§. 28.
Der Begriff der Verursachung.
131
b e g r ü n d e t e B e s o r g n i s gegeben ist, dafs der Eintritt der Verletzung erfolgen werde. Gar manche Verbrechensthatbestände beruhen auf dem Begriff der Gefahr; so die Aussetzung und der Zweikampf als Gefährdung des Lebens, das Glücksspiel als Gefährdung des Vermögens, die Kreditgefahrdung, die Gefährdung des öffentlichen Friedens; die Vergiftung als Gefährdung mit Verletzungsvorsatz; die gemeingefährlichen Delikte wie Brandstiftung, Überschwemmung und andre. Insbesondre ist auch die Eigenart des strafbaren Versuches mit dem Begriffe der Gefahr gekennzeichnet. Die „nahe Möglichkeit-' aber, dafs ein Erfolg eintrete, liegt vor, falls sein Eintritt nur durch Umstände abgewendet werden kann, deren Eintritt wir weder in unserer Hand haben noch mit Bestimmtheit erwarten können.5)
§. 28.
Der Begriff der Verursachung.
L i t t e r a t n r . G e y e r Klein. Schriften 108. v. B a r Die Lehre vom Kausalzusammenhange 1871; bei Grünhut I V 49. v. B u r i (aufser zahlreichen kleineren Abhandlungen) insb.: Kausalität 1873; Z I I 232, Die Kausalität und ihre strafrechtlichen Beziehungen 1885 (Z V 734). B i n d i n g Normen I I 224. B i r k m e y e r (mit vollständiger Litteraturangabe) Ursachenbegriff und Kausalzusammenhang im Strafrecht, Rektoratsrede 1885, abgedruckt GS X X X V I I 257 (Z V 730). B r u c k G A X X X V I 420. J a n k a Z I X 499, Ml 97. Insbesondre aber.: J . v. K r i e s Die Prinzipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung 1886; Uber den Begriff der objektiven Möglichkeit und einige Anwendungen desselben 1888, Z I X 528. Auch die oben zu §. 27 angeführten Schriften.
I. Handlung ist die Bewirkung eines Erfolges durch willkürliche Körperbewegung. Der Erfolg mufs mithin durch die s ) Vgl. auch das unten §. 48 Gesagte. Mit dem Text im wesentlichen übereinstimmend R 14.'Juni 82 V I 396, 11. März 84 X 173, 18. Mai 86 X I V 135. Ferner v. B a r I 338 Note 364, S i e b e n h a a r Z I V 248, Bg Nonnen I 46, H I I 596, Ml 42, 0 253, ß a u m g a r t e n Versuch 420; insbes. aber v. K o h l a n d und J . v. K r i e s a. 0 . Dagegen ist die Berechtigung des Begriffs einer thatsächlichen Gefahr gänzlich in Abrede gestellt worden von H e r t z Unrecht 73, J 59, v. B u r i und F i n g e r a. O. Zuzugeben ist, dafs der Begriff nur durch unsere, in zahlreichen Fällen gegebene, Unfähigkeit entsteht, den Ablauf eines Ereignisses vorherzusagen. da wir die denselben bestimmenden Umstände nicht genau zu berechnen vermögen. Aber die Erkenntnis, dafs wir von Gefahr nie mehr sprechen würden, wenn wir allwissend wären, darf uns nicht bindern, einstweilen den Begriff, wie im gewöhnlichen Leben so auch in der Rechtspflege zu verwerten. In dem allgemeinen Urteile findet er seine Grundlage, wie seine Begrenzung.
9*
132
§. 28.
Der Begriff der Verursachung.
Körperbewegung verursacht sein: K ö r p e r b e w e g u n g u n d E r f o l g m ü s s e n zueinander in dem Verhältnisse von Ursache und Wirkung, sie müssen i n K a u s a l z u s a m m e n h a n g stehen.') K a u s a l z u s a m m e n h a n g zwischen K ö r p e r b e w e g u n g und E r f o l g liegt a b e r d a n n vor, wenn die Körperbewegung nicht hinweg gedacht werden kann,ohne d a f s d e r E i n t r i t t d e s e i n g e t r e t e n e n E r f o l g e s (d. h. so, wie er eben thatsächlich eingetreten ist) e n t f a l l e n mül'ste. Ist die Verknüpfung zwischen Körperbewegung und Erfolg eine in der angegebenen Weise notwendige, so nennen wir die Körperbewegung U r s a c h e des Erfolges, den Erfolg W i r k u n g der Körperbewegung, d. h. wir wenden auf die Beziehung von Körperbewegung und Erfolg die Kategorie der K a u s a l i t ä t (als eine Form unsres Erkennens) an. Aus dieser Begriffsbestimmung ergeben sich unmittelbar zwei Folgesätze von gröfster praktischer Tragweite. 1. Der Erfolg ist auf die Körperbewegung als seine Ursache auch dann zurückzuführen, wenn er ohne die b e s o n d e r e n U m s t ä n d e . unter welchen die Handlung begangen wurde oder welche zu dieser hinzugetreten sind, sich nicht ereignet hätte. Die Verwundung ist Ursache des Todes, auch wenn dieser ohne die allgemeine Körperschwäche des Verletzten nicht eingetreten wäre oder wenn der Spitalbrand zu der an sich nicht tödlichen Verletzung hinzugekommen ist. 2. Der Erfolg ist auf die Körperbewegung als seine Ursache auch dann zurückzuführen, wenn er ohne das gleichzeitige oder aufeinanderfolgende Zusammenwirken a n d r e r m e n s c h l i c h e r H a n d l u n g e n nicht eingetreten wäre. Insbesondre ') Die Frage nach dem Vorliegen des Kausalzusammenhanges mufi streng getrennt werden von der Frage nach dem Vorliegen einer Verschuldung des Thäters. Vgl. über diese unten 8. 38. Übereinstimmend die gem. Meinung. Dagegen v. B a r (im Anschlüsse an L u d e n und K r u g ) a. 0., Ml 71 sowie Z I 591. Richtig neuerdings B i r k m e y e r sowie J a n k a a. ü. •— Es ist ferner unbedingt daran festzuhalten, dafs sich das „Kausalgesetz*- nur auf die in Raum und Zeit vor sich gehenden Veränderungen, nicht aber auf die logische Verknüpfung der Begriffe bezieht. Die Verwechslung findet sich in der neuesten Litteratur nur zu oft; so bei C o h n (Versuch), B i n d i n g , Z i t e l m a n n , v. R o h l a n d . Zutreffend H e i n e m a n n Die BindingBche Schuldlehre 31. Vgl. oben 23 Note l.
§. 88.
Der Begriff der Verunachnng.
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steht der Annahme des Kausalzusammenhanges die F a h r l ä s s i g k e i t eines d r i t t e n oder die eigene Fahrlässigkeit des V e r l e t z t e n selbst nicht im Wege. I I . Die folgerichtige Durchführung der vorgetragenen Sätze ist dem geltenden Rechte gegenüber nur mit wichtigen Einschränkungen möglich, ohne dafs jedoch im übrigen auf dieselbe verzichtet werden dürfte. 1. Wie aus der unten (§. 50 ff.) zu besprechenden Behandlung von Anstiftung und Beihilfe im R S t G B . hervorgeht, ist die Annahme ursachlichen Zusammenhanges ausgeschlossen, wenn zwischen die fragliche Handlung und den Erfolg das bew u f s t e und f r e i e T h u n e i n e s Z u r e c h n u n g s f ä h i g e n tritt. Wenn jemand von A tödlich verwundet und hierauf von B getötet wird, so hat nur B . nicht auch A den Tod verursacht. Irreführend spricht man hier von ,.Unterbrechung des Kausalzusammenhanges". 2. Überall dort, wo der E i n t r i t t eines b e s t i m m t e n E r f o l g e s im Gesetze als Bedingung der Strafbarkeit oder als Bedingung höherer Strafbarkeit aufgefafst wird (unten §. 40 I I ) , ist ursachlicher Zusammenhang des Erfolges mit der Handlung dann nicht anzunehmen, wenn der Erfolg nur durch eine ganz ausnahmsweise Verkettung von Umständen herbeigeführt wurde. 3. W o das Gesetz den Begriff der „ A u s f ü h r u n g s h a n d l u n g " verwertet (unten §§. 47 und 53), ist nur diejenige Handlung als Ursache des eingetretenen Erfolges zu betrachten, welche als die unmittelbar wirkende Bedingung desselben erscheint. I I I . Die Untersuchung der Frage, in welchem Falle Verursachung des Erfolges durch die Handlung angenommen werden könne, reicht weit zurück. Während einerseits das römische R e c h t eine Reihe von freilich widersprechenden Quellenstellen der Erörterung zur Verfügung stellte ( P e r n i o e Labeo I I 36), suchte anderseits das deutsche Mittelalter durch Aufstellung fester äufserer Kennzeichen (so wurde z. B . die Annahme des Totschlages vielfach ausgeschlossen, wenn der Getötete inzwischen zu Markt und Kirchen gegangen war) den Knoten zu durchhauen. In der gemeinrechtlichen Litteratur (bei C a r p z o v und B ö h m e r wie bei F e u e r b a c h u n d S t ü b e l ) wurde die Frage vielfach besprochen. Und zwar regelmäfsig bei der Lehre vom Totschlag. Man unterschied, ohne besonderu Gewinn, letalitas absoluta und relativa. in abstracto und
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§• 28.
Der Begriff der Verursachung.
in concreto, per se und per accidens. Die Philosophie (insbesondere der Wölfischen Richtung) bemächtigte sich gleichfalls des Problems, und nur vereinzelt erhob man (z. B. S o d e n ) Widerspruch gegen die Schuleinteilungen. Auch in die Gesetzgebung fand die Unterscheidung frühzeitig Eingang. Schon Preufsen legt grofses Gewicht auf dieselbe und ein Edikt von 1717 giebt genaue Vorschriften. Auch die Mehrzahl der deutschen Landes-StGBücher des 19. Jahrhunderts (von Bayern 1813 bis Österreich 1852) hielt es für notwendig, in einem besonderen Paragraphen zu betonen, dafs es gleichgültig sei, ob durch rasche und zweckentsprechende Hilfe der Erfolg hätte verhindert werden können, ingleichen „ob die Verletzung nur wegen der eigentümlichen Leibesbeschaffenheit des Getöteten oder wegen der zufälligen Umstände, unter welchen sie zugefügt wurde, den tödlichen Erfolg gehabt hat" (vgl. Preufsen §. 185). Erst die neueste Gesetzgebung hat auf derartige ebenso überflüssige wie irreleitende Bestimmungen Verzicht geleistet (Begründung zum Entw. des RStGB. S. 112), freilich ohne dadurch den Streitfragen ein Ende zu bereiten. IV. Nach zwei entgegengesetzten Richtungen hin nimmt die oben vorgetragene Ansicht in dem wissenschaftlichen Streite Stellung. *) 1. Wir gebrauchen den Begriff der Ursache nicht in jenem strengen Sinne, nach welchem Ursache jenen Zustand bedeutet, auf den ein anderer Zustand mit unbedingter Notwendigkeit und strenger Allgemeinheit folgt. Denn in diesem Sinne kann die menschliche Handlung überhaupt nicht Ursache sein; immer und ohne Ausnahme ist ihre Wirksamkeit in Bezug auf den Erfolg bedingt durch die Mitwirkung einer ganzen Reihe von äufsern Umständen, die ebenfalls nicht hinweggedacht werden können, ohne dafs der Lauf der Dinge als verändert sich darstellte. J a , in jenem strengen Sinne könnten wir überhaupt nie einen einzelnen Zustand als Ursache eines andern bezeichnen; nur die Gesamtheit (die Totalität, nicht die Summe) aller Antezedenzien eines Zustandes wäre dessen Ursache. Die Zahl der Antezedenzien aber ist eine nicht zu begrenzende; und der Rückgriff von der causa causati zur causa causae würde uns über die Grenzen des menschlichen Erkennens hinausführen zum Unbedingten, zum Absoluten. Nur in jener bescheidenen und beschränkten Bedeutung also können wir die menschliche Handlung als U r s a c h e eines Erfolges bezeichnen, in welcher Ursache nicht mehr sein will als e i n e d e r v i e l e n n o t w e n d i g e n Bedingungen des Erfolges. 2. Indem wir Bedingung und Ursache strafrechtlich einander gleichsetzen, treten wir in Widerspruch zu den in den letzten Jahren vielfach *) Die Strafsenate des Reichsgerichts teilen durchaus die im Text vertretene Auffassung. Vgl. die Zusammenstellung bei B i r k m e y e r Note 67. Ihr Hauptvertreter in der Litteratur ist v. B u r i in zahlreichen Schriften. Ihr huldigen aber auch G I 119, H I 227, J 6 7 ; L a m m a s c h a. ()., G l a s e r Abhandlungen 297 und später wiederholt. H e r t z Unrecht 167, B e r g e r bei Grünhut I X 735, B o r c h e r t Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Handlungen Dritter 111.
§. 29. Zeit und Ort der begangenen Handlung.-
135
gemachten Versuchen, unter den unzähligen Bedingungen des Erfolge* e i n e als Ursache im strengsten Sinne auszuzeichnen. Vier verschiedene Richtungen sind hier zu unterscheiden: a) • . B a r nennt, indem er die regelmäßig vorhandenen Bedingungen als gegeben voraussetzt, Ursache die den r e g e l m ä ß i g g e d a c h t e n V e r l a u f a b l e n k e n d e , zum R e g e l w i d r i g e n g e s t a l t e n d e B e d i n g u n g (ähnlich Z i t e l m a n n ) ; b) B i n d i n g dagegen, welchem O r t m a n n und leider auch O l s h a u s e n 191 folgen, bestimmt, indem er die dem Erfolge günstigen oder ungünstigen Bedingungen als sich das Gleichgewicht haltend vorstellt, die Ursache als jene Handlung, w e l c h e d e n v o r h a n d e n e n B e d i n g u n g e n d i e e n t s c h e i d e n d e R i c h t u n g auf den E r f o l g g i e b t ; c) nach B i r k m e y e r ist Ursache die „wirksamste" Bedingung (vgl. dagegen die zutreffenden Einwendungen von B e n n e c k e Z V 781); d) J . v. K r i e s (Z IX 532) verlangt „adäquate Verursachung", d. h. die Körperbewegung mufs allgemein geeignet gewesen sein, den eingetretenen Erfolg herbeizuführen, den Gegensatz dazu bildet die „zufällige" Verursachung. Ahnlich Ml 99. — Das Gefährliche jeder derartigen Fassung liegt darin, dafs sie, folgerichtig durchgedacht, zur Verwerfung des oben unter I 1 und 2 verwerteten Begriffes der M i t u r s a c h e führen mufs; einem Ergebnisse, bei welchem die Strafrechtspflege nicht bestehen kann. Vgl. freilich wieder M 237, der gar die sich widersprechenden Bestimmungen von v. B a r und B i n d i n g als gleich richtig hinstellt. Zudem führte die durchaus irrige Meinung des zuletzt genannten Schriftstellers, den Begriff der Ursache entdeckt zu haben, zu den verhängnisvollsten Fehlern in der Behandlung der Unterlassungsdelikte (s. unt. §. 30).
§. 29.
Zeit und Ort der begangenen Handlung.
L i t t e r a t n r . S c h n e i d l e r Der Ort der begangenen Handlung 1889 (Tübinger Diss.). Bg I 414. H I 152. J 70. M 174. 0 55. S 100. Die Darstellungen des Prozefsrechts; insbes. W a c h 1462. J o h n 1 205. I. Sobald Körperbewegung und Erfolg zeitlich und örtlich auseinanderfallen (sogenannte ,.Distanzverbrecheu"), entsteht die Doppelfrage: w a n n u n d w o i s t d i e H a n d l u n g (und damit das Verbrechen) b e g a n g e n ? A n sich ist eine dreifache Antwort auf diese Frage möglich. Man kann Ort und Zeit entweder 1. der K ö r p e r b e w e g u n g oder 2. des eingetretenen E r f o l g e s oder 3. Ort und Zeit s o w o h l der Körperbewegung a l s a u c h des Erfolges für mafsgebend erachten.') ') Die K ö r p e r b e w e g u n g betrachten als mafsgebend: v. B a r , B e k k e r , H ä l s c h n e r . H e r t z . J a n k a . v, M e y e r , v. R o h l a n d ,
136
§. 29. Zeit und Ort der begangenen Handlung.
Gegen die letzterwähnte Ansicht entscheidet die Erwägung, dafs dieselbe Handlung nicht an zwei verschiedenen Orten und zu zwei verschiedenen Zeitpunkten begangen, derselbe Mensch nicht in Bremen und iieu-York, am 1. und am 30. Juni getötet worden sein kann. Schwieriger fällt die Wahl zwischen den beiden ersten Ansichten. D a aber dem geltenden Rechte die Eigenart des Verbrechens sich bestimmt nach dem eingetretenen Erfolge, müssen wir zu dem Satze gelangen: G e h a n d e l t h a t der T h ä t e r d o r t , wo, und zu der Z e i t , zu w e l c h e r er den E r f o l g h e r b e i g e f ü h r t h a t . Wenn mein Nachbar von seinem Grundstücke aus mit einer langen Stange Apfel von einem Baum herunterholt, der in meinem Garten steht, so hat er a u f m e i n e m Grundstücke Apfel gestohlen und nicht auf dem seinigen; wenn die am 1. Juni verfrachtete Höllenmaschine am 15. Juli den Empfänger in Stücke reifst, so ist dieser am 15. J u l i getötet worden und nicht schon am 1. Juni. Dieser Satz bedarf einer näheren Erläuterung dahin: nial'sgebend ist d e r j e n i g e E r f o l g , w e l c h e r b e r e i t s a l s e i n e V e r l e t z u n g o d e r G e f ä h r d u n g des d u r c h die H a n d l u n g a n g e g r i f f e n e n R e c h t s g u t e s e r s c h e i n t . Die weiteren aus der Handlung sich entwickelnden Erfolge bleiben aul'ser Betracht. Mafsgebend ist also Ort und Zeitpunkt der tödlichen Verwundung, nicht des eingetretenen Todes. 4 ) W ä c h t e r ; ebenso die meisten Strafprozessualisten; von Vertretern des Zivilprozesaes P l a n c k 1 §. 18 Note 27. — Die Rechtsprechung erklärt zumeist beide Elemente der Handlung a h gleichberechtigt. So insbesondre R 13. März 80 1 274, 3. Februar 81 I I I 316, 23. Februar 81 I I I 397, 24. Juni 84 X I 20, 18. Uärz 89 X I X 147. Ebenso auch O l s h a u s e n , W a c h u. a. — Nach älteren Quellen (z. B . Preufsen 1620) war wohl der Ort mafsgebend, an welchem sich der K o p f des Thäters befand: caput enim est principalis pars hominis. Man hat auch wohl die gesamte Kausalreihe von der Körperbewegung bis zum Erfolge als eine Einheit betrachten, und die Handlung als an allen Orten begangen ansehen wollen, welche die ihre Entwicklung darstellende Linie durchläuft. So R 12/19. Mai 84 X 420. So auch B g I . 423. Diese Ansicht ist aber sicher unhaltbar. Wenn ein beleidigender B r i e f von London auf dem Wege Calais, Frankfurt, Wien, Pest usw. nach Konstantinopel an den Adressaten gelangt, so ist die Beleidigung sicherlich nicht überall unterwegs begangen. B g I 428 sieht sich daher gezwungen, bei den von ihm sog. „Transitverbrechen" eine Ausnahme zu machen. Damit ist aber der Grundsatz selbst gänzlich preisgegeben.
§. 29. Zeit und Ort der begangenen Handlang.
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II. Einzelanwendungen. 8 ) 1. A n s t i f t u n g u n d B e i h i l f e betrachtet und behandelt das geltende Recht (unten §. 50ff.) als Teilnahme an der T h a t e i n e s a n d e r n , nicht aber als selbständige, wenn auch mittelbare Herbeiführung des Erfolges. Von diesem Standpunkte aus erscheint als der durch die Anstiftung herbeigeführte Erfolg die Hervorrufung des verbrecherischen Entschlusses im Thäter; als Erfolg der Beihilfe die dem Thäter gewährte Förderung. Und daraus folgt: Dort wo der Anzustiftende den Rat usw., wo der Thäter die Hilfeleistung empfangt, und in dem Augenblicke, in welchem dies geschieht, dort und dann ist Anstiftung und Beihilfe begangen. B e i s p i e l : A in Paris bestimmt durch einen am 1. Januar 1880 abgeschickten, am 3. Januar 1880 in Berlin eingetroffenen Brief den B zur Ermordung des in London befindlichen C; wenn die That in London am 1. Februar 1880 ausgeführt wird, so ist die Anstiftung in Berlin am 3. Januar begangen. Es ist mithin die im Inlande gesetzte Beihilfe zu einer von einem Ausländer im Auslande begangenen Hauptthat möglicher-, aber nicht notwendigerweise als im A u s l a n d e v e r ü b t anzusehen. 2. Dagegen entscheidet bei Begehung der That d u r c h e i n e n a n d e r e n , mag dieser zurechnungsunfähig oder getäuscht oder gezwungen sein, Ort und Zeit der Handlung des Werkzeuges. Wenn ich durch einen Blödsinnigen einen jenseits der Grenze befindlichen Gegenstand wegnehmen lasse, so habe i c h ihn jenseits der Greuze weggenommen. In diesem Falle liegt eben nach Auffassung des geltenden Rechts e i g n e s H a n d e l n des Schuldigen, nicht aber Teilnahme an fremdem Thun vor (unten §. 51). 3. Bezüglich des strafbaren V e r s u c h e s ist die allgemeine Regel folgerichtig zur Anwendung zu bringen. Da die Eigenart der Versuchshandlung in der Gefahrdung besteht (unten §. 46), ist die That dort und dann begangen, wo und wann die Gefahr eingetreten ist. ') In allen diesen Fragen müssen natürlich diejenigen zu andern Ergebnissen kommen, deren grundsätzliche Auffassung von der im Texte unter I vorgetragenen abweicht.
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§. 30. Die Unterlassung.
4. Eine als juristische E i n h e i t zu betrachtende Handlungsreihe. z. B. das fortgesetzte oder das fortdauernde Delikt (unten §. 57), darf auch in Bezug auf unsere F r a g e nicht in seine unselbständigen Teile auseinander gerissen werden. E s ist überall dort begangen, wo ein solcher Teil gesetzt worden, und während der ganzen Dauer der Handlungsreihe. Ein dadurch veranlafster Zwiespalt zwischen fremdein und einheimischem Rechte ist zu Gunsten des letzteren, zwischen späterem und früherem Rechte zu Gunsten des milderen zu entscheiden (die mehreren Gerichtsstände sind gleichberechtigt). 5. Uber den Einflufs einer . . B e d i n g u n g d e r S t r a f b a r k e i t " vgl. unten § . 4 4 . über U n t e r l a s s u n g s d e l i k t e den folgenden 6. Bei den P r e f s d e l i k t e n entscheidet Ort und Zeit der Ausgabe der Druckschrift. 4 )
§. 30.
Die Unterlassung.
Litteratur. Diese ist vollständig zusammengestellt und kritisch beleuchtet bei v. R o h l a n d Die strafbare Unterlassung I 1887. Vgl. dazu noch B ü n g e r Z VI 322, L ö n i n g Haftung des Redakteurs 136, Z i e b a r t h 338.
I. U n t e r l a s s u n g im a l l g e m e i n e n i s t d i e N i c h t Vornahme eines bestimmten erwarteten Thuns. Unterlassen ist ein transitives Zeitwort. Es bedeutet nicht Ii i c h t-s t h u n . sondern etwas n i c h t t h u n . Und zwar das nicht thun, was erwartet, was gesollt wurde. AVir werden von niemand sagen, er habe es unterlassen uns zu griifsen. zu besuchen. einzuladen, wenn wir Grul's, Besuch. Einladung nicht mit G r u n d erwartet haben. I I . Die Unterlassung ist r e c h t s w i d r i g , w e n n e i n e R e c h t s p f l i c h t z u m H a n d e l n b e s t a n d . Non /acere quod debet facere: das ist die Unterlassung des Schuldners nach 1. 4 Dig. 42,8. Die Rechtspflicht zum Handeln kann aber verschieden begründet sein. Sie kann sich ergeben: *) Vgl. v. L i s z t Prefsrecht §. 41.
§. 30.
Die Unterlassung.
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1. aus einem ausdrücklichen G e b o t e d e r R e c h t s o r d n u n g , mag dieses dem Strafrechte angehören (z. B . StGB. §. 139, 360 Zif. 10 u. a.). »der aber sei es ausdrücklich sei es stillschweigend auf andern Rechtsgebieten ausgesprochen sein (Pflicht der Eltern zur Ernährung der Kinder, vertragsmäfsige Verpflichtung des Krankenwärters, Dienstpflicht des Beamten, des Gefangenenaufsehers, des Eisenbahn Wächters usw.); 2. aus dem v o r a n g e g a n g e n e n H a n d e l n , welches spätere Tliätigkeit als pflichtmäfsig, späteres Fahrenlassen der ergriffenen Zügel als pflichtwidrig erscheinen läfst. Insbesondre begründet die schuldlose Herbeiführung eines rechtswidrigen Erfolges die Verpflichtung, weiteren Folgen, solange es noch möglich ist, entgegenzutreten. Hierher gehören die gewöhnlichen Beispiele: der gute Schwimmer A hat den schlechten Schwimmer B durch das Versprechen eventueller Hilfeleistung zu einer Schwimmpartie bestimmt; in dem Augenblicke als Bs K r ä f t e nachlassen, fafst A den Tötungsvorsatz und läfst B untersinken. Oder: der Kutscher läfst die Pferde über den im Wege liegenden Betrunkenen hinweggehen. I I I . Unter den s t r a f b a r e n Unterlassungen tritt zunächst eine besondere Gruppe hervor, die sogenannten u n e c h t e n Unterlassungsdelikte, die B e g e h u n g e i n e s V e r b r e c h e n s d u r c h U n t e r l a s s u n g (delictum per omissionem commissum). Beispiel: die Mutter tötet ihr neugebornes Kind durch Unterlassung der Ernährung und Wartung. Das echte Unterlassungsdelikt erscheint als B e w i r k u n g eines Erfolges durch N i c h t - V o r n a h m e einer bestimmten p f l i c h t m ä f s i g e n K ö r p e r b e w e g u n g . Es teilt mit der Handlung in dem oben §. 27 entwickelten Sinne das Merkmal der Verursachung; es unterscheidet sich von ihr dadurch, dafs die Körperbewegung nur vorgestellt, nicht aber wirklich vorgenommen worden ist. 1. Die kausale Bedeutung der Unterlassung ist lebhaft bestritten. Die Entscheidung ist durch richtige Fragestellung bedingt. Die Frage aber lautet: d ü r f e n wir den eingetretenen Erfolg zu der nicht eingetretenen, blofs in unserer Vorstellung vorhandenen. Körperbewegung in der Weise in Verbindung bringen, dafs wir jenen als Wirkung, diese als Ursache be-
140
§. 30.
Die Unterlassung.
zeichnen? Die Frage ist entschieden mit der Erkenntnis, dafs weder dem Sprachgebrauche noch der Logik eine solche Ausdehnung des Ursachenbegriffes widerspricht, falls bei Vornahme der unterlassenen Handlung der Erfolg nicht eingetreten wäre. Damit ist die Berechtigung nachgewiesen, von der Kausalität der Unterlassung zu sprechen. Denn die Kausalität ist keine Kraft, sondern eine F o r m u n s e r e s E r k e n n e n s W i r bringen Einheit in die Mannigfaltigkeit unserer Erfahrung, indem wir Ereignisse unter der Denkform der Kausalität als Ursache und Wirkung miteinander verknüpfen. Nur dann müfste die Kausalität der Unterlassung verneint werden, wenn diese Verknüpfung die Einheit unserer Erfahrung gefährden, mit den Gesetzen unseres Denkens in Widerspruch treten würde. Dafs von einem solchen Widerspruche keine Hede sein kann, bedarf nicht erst des Nachweises. 2. Aber auch die naturwissenschaftliche Rechtfertigung unseres Sprachgebrauchs bietet keine unüberwindlichen Schwierigkeiten. Zunächst leuchtet ein, dafs nicht das passive Verhalten der Mutter, sondern dafs physiologische Vorgänge im Körper des Kindes die Ursache des Todes gewesen sind. Ganz allgemein können wir sagen, dafs in allen Fällen des Unterlassens die n e b e n d e m U n t e r l a s s e n t h ä t i g e n N a t u r k r ä f t e den Erfolg verursacht haben. Wenn (1er gute Schwimmer den schlechtschwinimenden Freund nicht rettet, so stirbt dieser nicht an dem verbrecherischen Entschlüsse des andern, sondern an Erstickung; und die Schwerkraft war es. nicht aber die zurückgehaltene Hand des Freundes, die ihn sinken machte. 1 ) ') Dieser Gedanke kann auch in folgender Weise ausgedrückt werden. Ursache im e. S. ist nur die Gesamtheit der Bedingungen eines Zustandes. Wenn wir e i n e Bedingung, insbesondere auch die menschliche Handlung als Ursache bezeichnen, so bedienen wir uns einer Abkürzung; jene Bedingung ist Ursache nur durch das Zusammenwirken mit den übrigen Bedingungen. So wenn man das Durchschneiden der Schnur als die Ursache bezeichnet, weshalb die an dieser hängende Kugel zu Boden fällt, a ist Ursache von b , heifst also genauer: a + a ' + a' + a' usw. smd zusammen Ursache von b; aber nur a, nicht auch die übrigen Bedingungen i n t e r e s s i e r e n mich. Wenn nun a wegfällt, so mufs auch b entfallen. Die Wirkung von Nicht-a ist mithin zunächst Nicht-b. Aber wenn auch a wegfällt, so bleiben doch die übrigen Bedingungen in Wirksamkeit; können sie auch b nicht mehr bewirken, so doch einen andern Zustand, den wir c nennen wollen. Und nun können wir entweder sagen:
§. 30.
Die Unterlassung.
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3. Nicht in der verursachenden Kraft der Unterlassung liegt mithin die Schwierigkeit. Wohl aber fragt es sich, ob wir nicht besser thäten. den e i n h e i t l i c h e n H a n d l u n g s b e g r i f f ganz aufzugeben und die Begehung streng von der Unterlassung zu scheiden, da j a nur dort, nicht hier von verursachender K ö r p e r b e w e g u n g gesprochen werden kann. Aber die Nachteile einer solchen Spaltung wären gröfser als ihre Vorteile. Mifsverständnisse sind im allgemeinen nicht zu besorgen und können, wo dies ausnahmsweise nicht der Fall ist, leicht beseitigt werden. I V . E c h t e U n t e r l a s s u n g s d e l i k t e (Omissivdelikte) nennt man diejenigen, welche lediglich in der Übertretung eines staatlichen Gebotes bestehen; also z. B . unterlassene Anzeige eines Verbrechens; unterlassene Rettung eines Menschen. Hier entfallen die unter I I I besprochenen Streitfragen. E s ist jedoch folgendes zu bemerken. Wir haben bei den echten Unterlassungsdelikten zunächst einen ganz bestimmten Erfolg im Auge: also etwa den Tod des nicht geretteten Menschen. Der Gesetzgeber kann nun sehr wohl die N i c h t h i n d e r u n g eines Erfolges der H e r b e i f ü h r u n g desselben gleichstellen, und er hat das in manchen Fällen auch gethan. 2 ) Aber zumeist bestraft er die Unterlassung an sich ohne Rücksicht auf Eintritt oder Nichteintritt des von uns ins Auge gefafsten Erfolges. So entsteht der Anschein, als wäre die echte Unterlassung eine Unterlassung 1. a ' + a ' + a* usw. sind (nachdem a hinweggefallen) Ursache von c ; oder aber Sä. der Wegfall von a bewirkt (wenn a ' + a ' + a ' weiter wirksam bleiben) den Eintritt von c. — Mit andern Worten: Der Wegfall einer Bedingung (die Unterlassung einer menschlichen Handlung) ist an sich nicht kausal; Bondern kausal wirken eben nur die übrigbleibenden Bedingungen. Aber ich kann, wenn das Verbleiben dieser selbstverständlich ist, das Wegfallen jener als Ursache des veränderten Erfolges bezeichnen. Die Abkürzung, deren ich mich dabei bediene, ist nicht überraschender und nicht ungenauer, als wenn ich überhaupt e i n e n Zustand als Ursache eines andern bezeichne. A u c h bei dem Thun ist es nicht die Handlung allein, sondern in ihrem Zusammenwirken mit ungezählten andern B e dingungen, welche den E r f o l g hervorruft; und dennoch tragen wir kein Bedenken, die Handlung allein als die Ursache des Erfolges zu bezeichnen. E s handelt Bich lediglich darum, einzusehen, dafs der philosophische Ursachenbegriff (oben §. 2 8 I V 1) im Leben überhaupt und im Rechtsleben insbesondere nicht verwertet werden kann und nicht verwertet werden darf. *) Vgl. Mil.StGB. §§. 60, 143, sowie verschiedene Amtsdelikte.
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§. 30.
Die Unterlassung.
ohne Erfolg. In Wahrheit ist aber auch hier stets eine Veränderung in der Aufsenwelt gegeben. Man denke nur an die Nichtreiniguug der Senkgrube eines von mehreren Familien bewohnten Hauses, und man wird au der verursachenden Kraft der Unterlassung nicht zweifeln. Somit ist die Festhaltuug des einheitlichen Handlungsbegriffes auch hier gerechtfertigt. V. Die Unterlassung ist dort und dann b e g a n g e n , wo und wann gehandelt werden sollte. VI. Die ältere Wissenschaft hatte an der Kausalität der Unterlassung, an ihrer Gleichstellung mit dem Thun, niemals Anstois genommen. Während aber die Italiener von der Glosse bis auf F a r i n a c i u s und ihnen folgend C a r p z o v mit B e y e r und andern die Unterlassung im allgemeinen f ü r milder strafbar erklärten als die Begehung, vertrat insbesondere J . S. F. B ö h m e r die strengere Ansicht, welche wenigstens bei der Tötung völlige Gleichstellung der Unterlassung mit der Begehung auch in der Bestrafung verlangte. Die Gesetzgebungen wollten, ganz so wie die philosophische Schule Wolfis, allgemein unter den Handlungen auch die Unterlassungen mitverstanden wissen, stellten aber doch für diese im Einzelfalle teilweise mildere Strafdrohungen auf. So will das Preufs. L B . 1620 im Anschlüsse an die sächsischen Konstitutionen die K r a n k e n w ä r t e r , welche die ihrer Pflege anvertrauten Kranken verschmachten lassen, nur willkürlich bestraft wissen; die Theresiana 17H8 A r t . 87, 5 bestimmt, dafs die Mutter, „welche durch blofse Unterlassung ihrem Kind den Tod verursacht hätte" (Nichtunterbinden der Nabelschnur, Verblutenlassen, Versagung der Nahrung usw.), mit e i n f a c h e r Schwertstrafe ohne Durchpfählung des Körpers zu bestrafen sei; und noch Osterreich 1852 §. 139 belegt die Kindestötung durch Unterlassung mit milderer Strafe. Erst mit dem 19. J a h r h u n d e r t beginnt der wissenschaftliche Streit um die Kausalität der Unterlassung, einer der unfruchtbarsten, welche die strafrechtliche Wissenschaft je geführt hat. Während noch F e u e r b a c h , S p a n g e n b e r g , M a r t i n u. a. die Frage nach der Kausalität der Unterlassung gar nicht aufgeworfen hatten und nur ihre Kechtswidrigkeit und Strafbarkeit untersuchten, beginnt bei ihren Nachfolgern sofort jene verhängnisvolle Zweifelsucht, welche die deutsche L i t t e r a t u r der Unterlassungsdelikte mehr und mehr der Scholastik in die Arme trieb. „Aus Nichts kann Nichts werden" — das war der Gedanke, von dem man ausging. L u d e n hatte durchgreifend genug die Unterlassung f ü r ein „Andershandeln" erklärt. K r u g , G l a s e r , v. B a r und M e r k e l dagegen erblickten in dem der Unterlassung vorangegangenen T h u n das kausale Moment, gerieten aber dadurch in unlösliche Widersprüche mit dem Hauptgrundsatze der Schuldlehre: Schuld mufs im Augenblicke der Körperbewegung vorliegen. Wesentlich anders
§. 31. Die Rechtswidrigkeit als Begriffsmerkmal.
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behandeln v. B u r i , O r t m a n n , B i n d i n g , H ä l e c h n e r , J a n k a , B ü n g e r das Problem. Sie Sachen das kausale Moment in der Unterlassung selbst nachzuweisen. Die Fassung des verbrecherischen Entschlusses vernichtet ein dem Erfolge entgegenstehendes Hindernis und führt so dessen Eintritt herbei. Untereinander vielfach abweichend, gelangen alle diese Schriftsteller dazu, einen rein psychischen Vorgang zum Ausgangspunkte der kausalen Bewegung zu stempeln. Mit voller Entschiedenheit haben G e y e r und A l d o s s e r diese Folgerung gezogen und die Unterlassuug als psychische Wirkung auf lebende Wesen erklärt. Die neueste Richtung unserer Wissenschaft sah sich daher, nachdem alle Lösungsversuche als gescheitert betrachtet werden mufsten, zu dem Verzweiflungsschritte gedrängt, die verursachende Bedeutung der Unterlassung überhaupt in Abrede zu stellen und so den einheitlichen Handlungsbegriff in zwei Teile zu spalten, für welche es keine Vereinigung mehr giebt. So insbesondre L ö n i n g und v. M e y e r . Aber auch v. R ö h l a n d ist hierher zu rechnen, denn sein „rechtlicher Erfolg" ist eben k e i n Erfolg in dem einzig zulässigen Sinne, in welchem er die in der A u f s e n w e l t herbeigeführte Veränderung bedeutet; und sein „rechtlicher Zusammenhang" ist etwas gänzlich andres als das Verhältnis von Ursache und Wirkung.®)
III. Das Verbrechen als rechtswidrige Handlung. §.31.
Die Rechtswidrigkeit als Begriffemerkmal.
I. Die Anerkennung des Satzes, dafs die Rechtswidrigkeit Begriffsmerkmal des Verbrechens ist, sowie die genauere Erfassung derjenigen Umstände, welche der Handlung die Eigenschaft der Rechtswidrigkeit ausnahmsweise entziehen, ist das Ergebnis einer langsamen, noch immer nicht abgeschlossenen Entwicklung. Das r ö m i s c h e R e c h t kennt eine Reihe von e i n z e l n e n hierher gehörigen Fällen, unter welchen Notwehr, Notstand sowie das Tötungsrecht gegenüber dem nächtlichen Dieb und dem auf frischer That ertappten Ehebrecher hervorragen; aber vergebens suchen wir nach einer allgemeinen Regel. Ja, auch die grundsätzliche Auffassung der ausdrücklich behandelten Fälle ist bei den römischen Juristen eine durchaus schwankende, meist sogar geradezu verfehlte: nicht die R e c h t s w i d r i g k e i t , sondern die S t r a f b a r k e i t des Thuns wird als ausgeschlossen betrachtet, weil der erforderliche dolus fehle. ®) Ganz mifsverständlich H e r m e s Teilnahme 45, B o r c h e r t Verantwortlichkeit 113. Vgl. oben §. 28 Note 1.
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§. 31. Die Rechtswidrigkeit als Begriffsmerkmal.
Ebenso verhält es sich mit dem m i t t e l a l t e r l i c h - d e u t s c h e n R e c h t . Neben einer immer eingehenderen Behandlung der Notwehr in den Quellen des späteren Mittelalters und der Hervorhebung einzelner Notstandsfälle spielt insbesondere das im weiten Umfange anerkannte Tötungsrecht eine hervorragende Rolle. Dies ist auch der Standpunkt der italienischen Wissenschaft des Mittelalters, der PGO. und des auf dieser sich aufbauenden gemeinen Rechts, wenn auch einzelne Schriftsteller, wie J. S. F. B ö h m e r , wenigstens beim Totschlag zwischen Ausschluß der Rechtswidrigkeit und mangelndem Vorsatz unterscheiden. Nur die N o t w e h r wird gegen Ende des vorigen Jahrhunderts aus ihrer Verbindung mit den Tötungsdelikten gelöst, begrifflich genau abgegrenzt und in den allgemeinen Teil des wissenschaftlichen Systems sowie der Gesetzbücher gestellt. Ihr folgt der N o t s t a n d , aber ohne bisher zu befriedigender Entwicklung zu gelangen. Die übrigen Ausschliefsungsgründe harren zum weitaus gröfsten Teile der begrifflichen Klarlegung. Die Gesetzbücher verzichten darauf, sie festzustellen, und die Wissenschaft mufs sich gestehen, dafs ihre Ergebnisse nur teilweise reif für gesetzgeberische Verwertung sind. Das unbefriedigende Ergebnis, welches die geschichtliche Entwicklung dieser Lehre uns bietet, spiegelt sich im RStGB. wider. Auch dieses behandelt die Lehre von der Rechtswidrigkeit ohne jede innere Folgerichtigkeit. Es hebt bei einer einzelnen strafbaren Handlung (Beleidigung §. 193) eine ganze Reihe von Umständen ausdrücklich hervor, die nicht nur hier, sondern überall die Rechtswidrigkeit ausschliefsen: es nimmt bei einer Anzahl von strafbaren Handlungen das Merkmal der RechtBwidrigkeit in den besondern Thatbestand auf, während es bei der grofsen Mehrzahl der strafbaren Delikte von diesem Erfordernisse gänzlich absieht; es regelt endlich in seinem allgemeinen Teile die Behandlung der N o t w e h r und des N o t s t a n d e s , verzichtet aber auf die Regelung der zahlreichen und wichtigen andern Fälle, in welchen die Rechtswidrigkeit des in Frage stehenden Thuns oder Unterlassens als ausgeschlossen erscheint, I I . Jedes Verbrechen enthält einen A n g r i f f a u f r e c h t l i c h g e s c h ü t z t e I n t e r e s s e n , eine Übertretung staatlicher Vorschriften und in diesem Sinne eine Rechtsverletzung. Jedes Verbrechen ist eine rechtswidrige Handlung. D e r Angriff auf rechtlich geschützte Interessen kann folgende Gestalten aunehmen: 1. V e r l e t z u n g eines Rechtsgutes; oder 2. G e f ä h r d u n g desselben 1 ) oder ') Es ist klar, dafs die Ausdrücke „Verletzung" und „Gefahrdung", die sich an sich nur auf äufsere Ereignisse beziehen, hier im übertragenen Sinne gebraucht werden. „Rechtsverletzung" ist nur ein Bild. Vgl. im übrigen oben §. 28 Note 1.
§. 31. Die Rechtswidrigkeit als BegriffsmerkmaL
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3. E i n f a c h e r Ungehorsam, d. h. die Begehung (oder Unterlassung) einer Handlung, welche der Gesetzgeber verbietet (oder gebietet), weil ihre Vornahme (oder Nichtvornahme) r e g e l m ä f s i g die Gefährdung eines Rechtsgutes enthält, ohne dafs es darauf ankommt, ob die Handlung auch im gegebenen Einzelfalle dieser allgemeinen Voraussetzung entspricht. Man denke an das Verbot des schnellen Fahrens und Reitens, das Gebot des Raupens, den Impfzwang und andres. III. Jeder Angriff auf rechtlich geschützte Interessen i s t an sich rechtswidrig, ohne dafs es eines besonderen Verbotes der Rechtsordnung bedarf. Der Begriff des Rechtsgutes schliefst das Verbot jeder Störung notwendig in sich.8) IV. Nur aus besondern Gründen kann ausnahmsweise der Angriff auf rechtlich geschützte Interessen gestattet sein. Die Lehre von der Rechtswidrigkeit des Verbrechens bedeutet die Darstellung derjenigen Gründe, welche ausnahmsw e i s e den "Wegfall der Rechtswidrigkeit bewirken. Mit ihr beschäftigen sich die folgenden Paragraphen. Hier seien einige allgemeine Sätze vorangeschickt. 1. Die Rechtswidrigkeit des Verbrechens bedarf als selbstverständlich keiner besondern Hervorhebung im Gesetze. Nur in besondern Fällen hat der Gesetzgeber das Merkmal der Rechtswidrigkeit in den besondern Thatbestand einzelner Verbrechen aufgenommen.Ä) Hier bedarf es daher auch ausdrücklicher Feststellung der Rechtswidrigkeit im Urteile. Der Grund aber, weshalb nur für diese Delikte eine abweichende Behandlung vorgeschrieben ist, kann darin gefunden werden, dafs gerade bei ihnen die Abgrenzung der nicht rechtswidrigen von den rechtswidrigen Fällen ungleich gröfsere Schwierigkeiten bietet als etwa bei der Tötung oder der gewaltsamen Vollziehung des Beischlafes. 2. Soweit die Rechtswidrigkeit der Handlung ausgeschlossen ist, kann von einem Verbrechen nicht die Rede sein. Es ist *) Dieser Satz wird im Privatrecht meist verkannt. So auch vom BQB. Vgl. v. L i s z t Grenzgebiete 34. Aber auch B i n d i n g s Normentheorie beruht auf einer Verkennung dieser einfachen Wahrheit. Da» Wesen der Norm ist Zusage des Rechtsschutzes, Anerkennung eines Lebensinteresses als Rechtsgut. *) Vgl. StGB. §§. 123. 124, 239, 240, 246, 291, 303, 306, 339, 363 a u. a. v o n L l i i t , Strafrecht. 4. Aufi.
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§. 32. Die Notwehr.
daher auch s t r a f b a r e T e i l n a h m e an einer solchen Handlung begrifflich unmöglich, während allerdings dritte Personen, welchen gegenüber die Gründe für die Ausschliefsung nicht zutreffen, durch ihre Beteiligung sich (als Thäter) einer strafbaren Handlung schuldig machen können. 3. D e r Mangel der Rechtswidrigkeit wird dadurch nicht berührt, dafs der Thäter vorsätzlich den die Rechtswidrigkeit ausschliefsenden Umstand herbeiführte, um straflos eine Rechtsverletzung zu begehen. 4 ) Nur bezüglich des Notstandes hat das positive Recht durch ausdrückliche Anordnung diesen Grundsatz durchbrochen. 4. D i e an sich nicht rechtswidrige Handlung ist, sobald sie über das eng umgrenzte Gebiet des ausnahmsweisen Ausschlusses der Reclitswidrigkeit hinausgreift, bezüglich dieses Übermafses (soweit dasselbe ausgeschieden werden kann) den allgemeinen Regeln unterworfen. Tötung oder Körperverletzung als Überschreitung eines Züchtigungsrechtes, mag dasselbe in seinen Voraussetzungen, seinem Inhalt oder seinem Umfange überschritten sein, können daher als vorsätzlich oder fahrlässig begangen nach den regelmäfsigeu Bestimmungen des StGBs. bestraft werden. Uber die bezüglich Überschreitung der Notwehr geltende Sondervorschrift vgl. unten §. 32 I I I . 5. Soweit die Rechtswidrigkeit infolge irgend eines Umstandes ausgeschlossen erscheint, ist Notwehr, welche begrifflich einen rechtswidrigen Angriff verlangt, gegen die unter dem Schutze jenes Umstandes vorgenommene Handlung unmöglich. 6. V o n den unter 1 erwähnten Ausnahmefällen abgesehen, ist die R e c h t s w i d r i g k e i t der H a n d l u n g ohne Rücks i c h t a u f einen etwaigen I r r t u m d e s T h ä t e r s s t r e n g o b j e k t i v zu p r ü f e n und f e s t z u s t e l l e n . Dieser Satz kann erst später seine nähere Erläuterung finden.
§. 32.
Die Notwehr.
Litteratnr. L e v i t a Recht der Notwehr 1866. G e y e r Lehre von der Notwehr 1857. S e e g e r Abhandlungen I 1858 S. 173. J a n k a Der 4 ) Ebenso die meisten, insbesondre H I 480, H 313, O 355. Dagegen Bg I 769, Normen I I 203.
§. 32.
Die Notwehr.
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strafrechtliche Notstand„1878. W a h l b e r g Klein. Schriften I I I 71. — Bg I 730, ü I 473. — Uber das römische Recht P e r n i c e Labeo 1131; über die Quellen der Bambergensis B r u n n e n m e i s t e r 177. — Bezüglich der Schutzvorrichtungen R o t e r i n g GA X X X 415 (Z I I I 706), S o m m e r l a d GS X X X I X 359 (Z V I I I 649). I. Die Notwehr ist zu allen Zeiten and bei allen Völkern, wenn auch in verschiedenem Umfange, als rechtgemäfse, nicht nur als nicht strafbare Handlung anerkannt worden. In diesem Sinne ist es richtig, wenn C i c e r o von der non scripta sed nata lex spricht, oder G e i b sagt, die Notwehr habe keine Geschichte. Genauere Betrachtung zeigt jedoch, dafs das geschriebene Recht der Notwehr eine ebenso reiche wie interessante Entwicklungsgeschichte durchgemacht hat. Das römische Recht bietet uns zwar zahlreiche Quellenstellen, welche von der gewaltsamen Zurückweisung gewaltsamen Angriffes handeln, läist aber den allgemeinen Begriff der Notwehr vermissen. Ebenso ist auch im ältesten deutschen Rechte die Notwehr noch nicht losgelöst von Rache und Tötungsrecht. Aber dennoch tritt uns bereits im späteren Mittelalter, in der italienischen Wissenschaft wie in der volkstümlichen Rechts-Litteratur Deutschlands, in Stadtrechten und Rechtsbüchern eine so durchgebildete und aasgeführte Darstellung der Notwehr entgegen, wie wir sie in den übrigen allgemeinen Lehren des Strafrechts ohne jede Ausnahme nicht wieder finden. So konnte S c h w a r z e n b e r g in den Art. 139—145 und 150 mit lehrbuchartiger Breite und Bestimmtheit nicht nur den Begriff der Notwehr feststellen und die Beweisführung regeln, sondern auch Einzelfragen, wie Notwehr „gegen einem Weibsbilde" und Ablenkung des Schlages bei Notwehr (im Anschlüsse an 1. 45 §. 4 D 9, 2), erledigen. Auch er kennt übrigens, wie das gesamte Mittelalter, nur Notwehr zur Rettung von Leib und Leben und behandelt sie als Fall der straflosen Tötung. Das gemein-deutsche Recht dehnte allmählich die Zulässigkeit der Notwehr aaf Angriffe gegen andere Rechtegüter, insbesondere gegeif Vermögen und Ehre aus (so übereinstimmend B ö h m e r , E n g a u , K o c h u. a.), and arbeitete an der genaueren Feststellung der einzelnen Begriffsmerkmale. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Notwehr, welche bisher stets im Anschlüsse an die Tötung behandelt zu werden pflegte, aus dieser Verbindung gelöst und ihr die ihr gebührende Stellung im allgemeinen Teile des Systems angewiesen. So bei G l o b i g und H u s t e r 1783, E r h a r d 1789, T i t t m a n n 1798. F e u e r b a c h s Ansehen verschaffte dieser Auffassung den Sieg. Auch die Gesetzgebung (mit Ausnahme der französischen) schlofs sich ihr an, nachdem bereits A L R . I I 20, 517 die Notwehr in die Einleitung zu den „Privatverbrechen" gestellt hatte.
II. N o t w e h r (StGB. §. 53, BGB. §. 186) i s t d i e zur Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen A n g r i f f e s 10*
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§. 32.
Die Notwehr.
erforderliche Verteidigung durch Verletzung rechtlicher I n t e r e s s e n des Angreifers.1) 1. Der A n g r i f f mufa a) ein rechtswidriger, d. h. nicht berechtigter sein. Daher ist Notwehr nicht möglich gegenüber dem in rechtinäfsiger Amtsausübung befindlichen Beamten, gegenüber der Ausübung eines Disziplinarrechtes usw.; nicht möglich gegenüber der Notwehrhandlung selbst oder der berechtigten Notstandshandlung (vgl. §. 33 Note 2). Wohl aber wird sie in dem Augenblicke berechtigt, in welchem eine Überschreitung den an sich rechtmäßigen Angriff zu einem rechtswidrigen macht, also auch gegenüber einer Überschreitung der Notwehr. Gestattet ist Notwehr gegenüber rechtswidrigen Angriffen solcher Personen, welchen, wie dem Souverän, dem Volksvertreter, den Exterritorialen (oben 21) ein persönlicher Strafausschliefsungsgrund zur Seite steht. Auch gegen den von einem Tiere oder einem Zurechnungsunfähigen ausgehenden Angriff ist Notwehr möglich; denn dieser Angriff kann zwar nicht ein deliktischer (schuldhafte Rechtswidrigkeit), wohl aber ein nicht berechtigter, d. h. gegen ein rechtlich geschütztes Interesse gerichtet (objektive Rechtswidrigkeit) sein. Die entgegengesetzte Ansicht würde die Verteidigung in einem solchen Falle auf gegen Leib und Leben (StGB. 54) gerichtete Angriffe einschränken müssen. 2 ) Ob der Angriff' ein v o r Ii e r g e s e h e n e r war oder nicht, ob er von dem Angegriffenen v e r s c h u l d e t worden oder nicht, ist nach dem heutigen Rechte gleichgültig. b) Der Angriff mufs ferner ein g e g e n w ä r t i g e r sein, d. h. unmittelbar bevorstehen o d e r bereits begonnen haben. ') Der Ausdruck „Notwehr" findet sieb nach Geyer zuerst im Wiener Stadtrecht von 1221, ist aber jedenfalls älter. Vgl. Landfrieden von 1235: . . . nisi in continenti ad tutelam corporis sui vel bonorum suorum vim vi repellat, quod dicitur notwere. — Eine Erweiterung des Begriffs der Notwehr enthält Mil.StGB. §. 124. 2 ) Sehr bestritten. Im Sinne des Textes u. a. W a h l b e r g III 77, v. B u r i GS X X X I 471, G o e b GA X X V I I I 184 (Z I 162), Bg I 738, O 261, besonders S o m m e r l a d GA X X X I V 329 (Z VIII 648), dagegen H I 479, J 116, M 331, S 113, S t a m m l e r Notstand 2, Z i e b a r t h 348, B i r k m e y e r Mecklenburgische Zeitschrift VII 191. — Ml 163 will Notwehr gegen Wahnsinnige, nicht aber gegen Tiere zulassen — Notwehr egen leblose Gegenstände ist ausgeschlossen. Bedenklich BGB. 187. lazu v. L i s z t Grenzgebiete 11.
S
§. 32.
Die Notwehr.
149
E s braucht daher einerseits der B e g i n n des Angriffes nicht abgewartet zu werden,3) während anderseits auch der bereit« begonnene aber noch f o r t g e s e t z t e Angriff abgewehrt werden kann. Ausgeschlossen ist Notwehr dagegen a) gegenüber einem e r s t in der Z u k u n f t drohenden Angriffe. Schutzmafsregeln gegen künftige Verletzungen, wie Fufsangeln, Selbstgeschosse, "Wolfsgruben, sind, wenn sie erst im Augenblicke des Angriffes thätig werden sollen, gestattet, soweit sie nicht (was allerdings meist der Fall sein wird) d i e Grenzen der e r f o r d e r l i c h e n V e r t e i d i g u n g überschreiten;4) ß ) gegenüber dem b e e n d e t e n Angriffe. Da der Diebstahl nicht schon mit der Ergreifung der Sache, sondern erst mit dem Bruche des Gewahrsams vollendet wird, ist Notwehr gegen den flüchtigen Dieb so lange zulässig, als der Gewahrsam des Innehabers noch nicht völlig gebrochen ist. 6 ) c) Der Angriff mufs gegen irgend ein R e c h t s g u t , d. h. gegen ein rechtlich geschütztes Interesse gerichtet sein. Das Gesetz macht unter den Rechtsgütern keinen Unterschied. Auch zum Schutze politischer Rechtsgüter ist mithin Notwehr zulässig. 2. Die V e r t e i d i g u n g darf a) die Grenzen des unbedingt Notwendigen nicht überschreiten. Das Mafs der „erforderlichen-1 Verteidigung (moderamen inculpatae tutelae) liegt in der Heftigkeit des Angriffes. Ist die Abwehr des Angriffes auf andere Weise nicht möglich, so kann auch das unbedeutendste Rechtsgut durch Tötung des Angreifers geschützt werden. Die Möglichkeit einer unschimpflichen Flucht, des Anrufens fremder Hilfe usw. schliefst die Rechtmäfsigkeit der Notwehrhandlung nicht aus. 6 ) s ) Laesio inchoata nicht erforderlich. PQO. Art. 140: „ist auch mit seiner Gegenwehr, bis er geschlagen wird, zu warten nicht schuldig." Die Bambergens!« fügt (im Anschlüsse an Azo) hinzu: „als etlich unverständige Leut' meinen." *) StGB. §. 367 Ziff. 8 bedroht das Anbringen von Selbstgeschossen usw. mit Ubertretungsstrafe. b ) Ist dieser gebrochen, so kann Selbsthilfe gestattet sein. B O B 815. •) Anders ausdrücklich PGO. 140. Doch haben schon K r e f s , E n g a u u. a. die Flucht als ein ebenso schimpfliches wie zweifelhaftes Mittel der Gefahr zu entgehen bezeichnet. Die im Text vertretene An-
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§. 33.
Der Notstand.
b) Die Notwehr ist nicht nur zum Schutze eigner, sondern als N o t h i l f e auch zum Schutze fremder ßechtsgüter gestattet. Die Beschränkung auf eine Bedrohung der ..Angehörigen' 1 (wie beim Notstande StGB. §§. 52 und 54) ist hier uuserm Rechte fremd. I I I . Sobald die Grenzen der erforderlichen Verteidigung überschritten sind, unterliegt die weitere Verletzung des Angreifers als r e c h t s w i d r i g e Handlung den allgemeinen Regeln. Doch bleibt nach 43 Abs. 3 StGB, die durch B e s t ü r z u n g , F u r c h t o d e r S c h r e c k e n herbeigeführte l'berschreitung (sogenannter Exzef.s der Notwehr) straflos: es liegt hier zwar eine an sich strafbare Handlung, zugleich aber auch ein persönlicher Strafausschließungsgrund vor. Auf andre als die vom Gesetze angeführten Gründe der Überschreitung, insbesondere auf die nicht erwähnten sogenannten positiven oder athenischen Gemütsbewegungen, wie Zorn. Liebe zu dem Angegriffenen, bei Nothilfe usw.. darf die vom Gesetze gewährte Straflosigkeit nicht ausgedehnt werden. 7 ) — Die gleichen Grundsätze gelten auch für den Fall, dafs der Thäter aus Bestürzung. Furcht oder Schrecken irrigerweise das Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffes angenommen hat. 8 )
§. 33.
Der Notstand.
Litteratnr. G e y e r Kleine Schriften 297. S t a m m l e r Darstellung der strafrechtlichen Bedeutung des Notstandes 1878. J a n k a Der strafrechtliche Notstand 1878. Zu beiden v. B u r i GS X X X 434. — Bg I 764. H 1 485. - S i m o n s o n Z V 367 (Mignonettefall) und dazu Z V 660. G o e b GA X X V I I I 183 (Z I 162). — P e r n i c e Labeo II 16. T u h r Der Notstand im Zivilrecht 1888. M o r i a u d Du délit nécessaire et de l'état de nécessité 1889 (wertvoll in seinem geschichtlichen Teil). I. Die Entwicklung des Notstandsbegriffes ist bis auf den heutigen Tag zurückgeblieben hinter derjenigen der Notwehr. Das r ö m i s c h e sieht kann heute als die herrschende bezeichnet werden. Gegen dieselbe freilich neuerdings R 13. Mai 87 X V I 69. — Gegen die uneingeschränkte Anerkennung des Notwehrrechts G I 82, v. B u r i Kausalität 93 sowie fast die gesamte aufserdeutsche Litteratur; man vgl. z. B. G e t z in der Begründung des norweg. Entwurfs, oder M o r i a u d Délit necéssaire 300. ') Ebenso M e r k e l H H IV 85, B 101, Bg I 753. H I 483, O 264. Dag. M 336. •) Dagegen Bg I 754, H I 484. O 264. — Eine Einschränkung enthält Mil.StGB. §. 49.
g. 33. Der Kotstand.
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Recht erwähnt einzelne Fälle (lex Rhodia u. &.); die d e u t s c h e n Quelles gedenken des wegfahrenden Mannes und der Bedürfnisse der schwangeren Frau, des Mundraubes und anderer Fälle (Ssp I I 68); und auch das k a n o n i s c h e Recht ist trotz der scheinbar allgemeinen Fassung seiner Vorschriften (nécessitas non habet legem) über dürftige Einzelbestimmungen nicht hinausgekommen. Die PGO. verweist in Art. 166 vom „Stehlen in rechter Hungersnot", durch welche der Thäter, um sich, Weib oder Kinder zu retten, etwas von essenden Dingen zu stehlen geursacht würde, auf den Rat der Rechtsverständigen (vgl. auch Art. 175). Das g e m e i n e Recht hat trotz mancher Anläufe zu einer Verallgemeinerung des Begriffes die Frage ebensowenig gefördert wie die Gesetzgebung im Ausgange des 18. und im Anfange des 19. Jahrhunderts. Koch ALR. 1115 bestimmt, dafs wenn jemand etwas entwendet, um sich oder andre aus dringender Leibes- oder Lebensgefahr zu retten, der Fall vom Richter höhern Orts zur Begnadigung angezeigt werden solle. Code pénal 1810 Art. 64 und Preufsen 1851 §. 40 kennen nur den psychischen Zwang durch Bedrohung, und ihnen folgt Bayern 1861. Das RStGB. hat neben der „Nötigung" den „Kotstand im engern Sinn" anerkannt, zugleich aber den einheitlichen Begriff in zwei wesentlich verschieden behandelte Unterbegriffe zerrissen. Einen neuen Weg haben das niederländische StGB. Art. 40 und der russische wie der norwegische Entwurf eingeschlagen, indem sie den einheitlichen Begriff wieder herstellen, wobei letzterer zwischen der Rettung des Lebens einerseits, der Rettung andrer Rechtsgüter anderseits unterscheidet. Eine scharfe und den Bedürfnissen des Rechtslebens entsprechende Ausbildung des Begriffes suchen wir in der Wissenschaft ebenso vergeblich wie in der Gesetzgebung. Nachdem die Anschauung der altern naturrechtlichen Schule, nach welcher im Kotstande die Rechtsordnung selbst als aufgehoben erscheint (so G r o t i u s , P u f e n d o r f , W o l f f , F i c h t e , G r o l m a n n , W ä c h t e r ) , aufgegeben worden war, gewann die im Anschlüsse an Kant von F e u e r b a c h , zahlreichen i t a l i e n i s c h e n und f r a n z ö s i s c h e n Juristen sowie einigen deutschen Schriftstellern') noch gegenwärtig vertretene Ansicht, dafs der durch den Kotstand verursachte unwiderstehliche Zwang die Zurechnungsfähigkeit ausschliefse, die Herrschaft in Gesetzgebung und Wissenschaft. Heute kann sie zwar als aufgegeben betrachtet werden. Aber auch der Begriff eines K o t r e c h t e s , wie er insbesondre von den Hegelianern K ö s t l i n , H ä l s c h n e r , B e r n e r , aber auch von B i n d i n g , v. M e y e r u. a. aufgestellt wurde, hält näherer Betrachtung nicht Stich. Die richtige Auffassung hat davon auszugehen, dafs das Wesen des Notstandes in einem Widerstreit berechtigter Interessen besteht, von welchen jedes nur auf Kosten des andern erhalten werden kann. Soweit >) Insbesondre G I 106. Ähnlich L 25, 0 255, B i r k m e y e r Kausalität Kote 118, Z i e b a r t h 341. Gegen diese „thörichte Annahme" Bg I 764.
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§ 38. Der Notstand.
dem gefährdeten Interesse ein gleichwertiges oder minderwertiges Interesse geopfert werden soll, fehlt der Rechtsordnung einerseits die Macht, anderseits die Veranlassung, strafdrohend und strafvollstreckend einzuschreiten. Sie v e r b i e t e t die Handlung n i c h t , die sie nicht bestrafen will. Sie bescheidet sich, hier wie sonst, den Thatsachen Rechnung zu tragen; sie duldet, was zu ändern sie nicht vermag, und sie regelt, was sie dulden mufs. Sie giebt dem Gefährdeten kein Not r e c h t , aber sie läfst ihn gewähren.
I I . Notstand ist — wenn wir vorläufig von den Beschränkungen des Begriffes durch das positive Recht absehen — ein Z u s t a n d g e g e n w ä r t i g e r G e f a h r f ü r b e r e c h t i g t e I n t e r e s s e n , a u s dem es k e i n e a n d r e R e t t u n g g i e b t . a l s die V e r l e t z u n g b e r e c h t i g t e r I n t e r e s s e n eines andern; mag dieser Zustand durch Naturkräfte, mag er durch das Verhalten eines dritten herbeigeführt worden sein. Die N o t s t a n d s h a n d l u n g erscheint demnach als die Wahrung eigner unmittelbar gefährdeter Interessen durch die Verletzung berechtigter Interessen dritter Personen. Beispiele: Um das Wasser zum Löschen eines ausgebrochenen Brandes zu holen, eilen die Bedrohten quer über ein fremdes Saatfeld zum Flusse; der von Räubern Überfallene Postillon liefert diesen den Geldbriefbeutel aus; von zwei durch ein Seil verbundenen Bergsteigern hackt der eine, der den abgestürzten, aber noch am Seile hängenden Begleiter nicht länger zu halten vermag, das Seil ab; um mich in stürmischer Winternacht nicht zu erkälten, nehme ich statt des mir im Klub entwendeten Pelzes den eines Bekannten mit nach Hause. Wie die Notwehr so ist auch die Notstandshandlung Verteidigung berechtigter eigner Interessen. Aber jener steht das Unrecht, der „rechtswidrige Angriff", dieser das rechtlich geschützte, vielleicht gleichwertige, vielleicht sogar mehrwertige Interesse eines andern gegenüber. Der Notstand erscheint als das Zusammenstofsen berechtigter Interessen, von welchen das eine notwendig in dem Kampfe unterliegen mufs. Die vom Staate nicht verbotene Notstandshandlung ist darum noch keine r e c h t m ä f s i g e , wohl aber hört sie auf eine r e c h t s w i d r i g e zu sein; sie gehört dem Mittelgebiete der rechtlich gleichgültigen Handlungen an. Daraus ergiebt sich mit Notwendigkeit die Einreihung des Notstandes unter jene Um-
g. 33.
Der Notatand.
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stände, durch welche (nicht etwa nur die Strafbarkeit, sondern) die R e c h t s w i d r i g k e i t des Thuns oder Unterlassens a u s g e s c h l o s s e n wird. Und daraus folgt, dafs die Notstandshandlung niemals rechtswidriger Angriff sein kann, dafs ihr gegenüber also Notwehr unmöglich ist (oben S. 148), während sie allerdings auf seiten des durch sie Bedrohten einen zweiten Notstand begründen kann. 2 ) Ebenso ist damit die Unmöglichkeit strafbarer Teilnahme an der nicht verbotenen Notstandshandlung gegeben. III. Das geltende Recht. 1.f Das R S t G B . unterscheidet wie bereits erwähnt Nötigung und Notstand. Die erstere behandelt Absatz 1 §. 52: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter durch u n w i d e r s t e h l i c h e G e w a l t oder durch eine D r o h u n g , welche mit einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden war, zu der Handlung genötigt worden ist." Den eigentlichen N o t s t a n d bestimmt §. 54 dahin: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung aufser dem Falle der Notwehr in einem unverschuldeten, auf andre Weise nicht zu beseitigenden Notstande zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Thäters oder eines Angehörigen begangen worden ist." 2. Das Gesetz verlangt in beiden Fällen gegenwärtige, auf andere Weise nicht abwendbare Gefahr für L e i b o d e r L e b e n , versagt also bei Gefahr für alle andern Rechtsgüter, z. B . auch für die persönliche Freiheit, die Geschlechtsehre, die wichtigsten staatlichen Interessen, deren Bedrohung doch gewifs von gröfserer Bedeutung ist als eine geringfügige Körperverletzung, dem Notstande seine Anerkennung, soweit der Angriff nicht zugleich als ein gegen die körperliche Unversehrtheit gerichteter betrachtet werden kann. 3 ) *) Die Frage ist sehr bestritten. Im Sinne des Textes S t a m m l e r 79, G o e b 185, M o r i a u d 273. Dagegen B 99, 101, Bg I 766, G I 7, H I 492, J 123, M 345, O 267. 5 ) Vgl. auch StGB. §. 313 sowie Mil.StGB. §. 130 und dazu Hecker 250. Die wesentlich weiter gehenden Bestimmungen des Vertrages über
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§. 33.
Der Notstand.
3. Nur zur e i g e n e n Rettung sowie zur Rettung der nächsten A n g e h ö r i g e n wird die Notstandshandlung gestattet. 4 ) 4. Der Notstand im engern Sinne (StGB. §. 54) mufs ein u n v e r s c h u l d e t e r , d. h. er darf nicht ein vom Thäter vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführter sein. Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig in die Gefahr begiebt. mufs die Folgen selbst tragen. Mafsgebeud ist mithin das Verschulden des Gefährdeten selbst, nicht das des Nothelfers. 5. D i e B e r u f u n g a u f N o t s t a n d ist in einer Anzahl von Fällen solchen Personen a b g e s c h n i t t e n , deren Beruf grölsere als die durchschnittliche Standhaftigkeit in Leibesund Lebensgefahr bedingt: so dem S o l d a t e n (Militär-StGB. §. 49 Abs. 1 vgl. mit 84—88). dem S c h i f f s m a n n (Seemaniisordnung von 1872 32): dasselbe mufs aber auch den Beamten des Sicherheitsdienstes, den Mitgliedern der Feuerwelir usw. gegenüber angenommen werden.5) den Schutz unterseeischer Kabel (oben 19 Note 6) sind nicht deutsches Recht geworden. Landesrechtliche Fälle- Betreten von Grundstücken wegen schlechten Weges, Abhauen von Holz bei Iladbruch usw. ( Z i e b a r t h 349). ' ) Der 2. Abs. des §. 52 giebt eine für das ganze Geltungsgebiet des StGB, geltende Legaldefinition der Angehörigen: „Als Angehörige im Sinne dieses Strafgesetzes sind anzusehen Verwandte und Verschwägerte auf- und absteigender Linie, Adoptiv- und Pflege-Eltern und -Kinder, Ehegatten, Geschwister und deren Ehegatten, und Verlobte.' - — Die von der Litteratur einstimmig getadelte Beschränkung ist weggefallen im niederländischen StGB., sowie in dem österreichischen, dem norwegischen und dem russischen Entwurf. s ) Die §§. 52 und 54 StGB, sind die einzigen Quellen f ü r die s t r a f r e c h t l i c h e Behandlung des Notstandes. Die Bestimmungen deB Handelsgesetzbuchs (Art. 702 und 708 über die grofse Haverei) und der Seemannsordnung (§. 75) haben nicht die Kraft, die Vorschriften des Strafrechts abzuändern. Dasselbe gilt von §. 17 des Postgesetzes vom 28. Oktober 1871 sowie von §. 9 der Stranaungsordnung vom 17. Mai 1874. Auch die Anordnungen des römischen Rechtes oder landesrechtlicher Zivilgesetze sind für das Strafrecht ohne Bedeutung. Ihre analoge Anwendung ist schon darum unmöglich, weil Analogie die Ausfüllung einer Lücke, nicht aber Beseitigung von Widersprüchen (Antinomieen) in dem Systeme des Rechts zur Aufgabe hat. Es ist also allerdings möglich, dafs bei einer zum Schutze von lediglich vermögensrechtlichen Interessen begangenen Sachbeschädigung die Zivilklage durch Einwendung des Notstandes abgewehrt wird, während der strafrechtlichen Verfolgung gegenüber diese Verteidigung untersagt ist. Aber f ü r dieses beklagenswerte Ergebnis kann nur die Gesetzgebung, nicht die Wissenschaft oder die Rechtspflege verantwortlich gemacht werden. Übereinstimmend insb. Ml 167 sowie Z V I 504, S o m m e r l a d GA X X X I V 357. Dagegen S t a m m l e r 64, Bg I 770, M 342, O 269 M o r i a u d 247.
§. 34. Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.
§. 34.
Igg
Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.
Litteratur. Im allgemeinen Bg I 696, 788, Ml 159. Im besondern zu I: H e c k e r 89. C a l k e r Das Recht des Militärs zum administrativen Waffengebrauch 1888 (Z IX 714). — Z u I I l : W a h l b e r g Rechtscharakter der Selbsthilfe 1879. Die Lehrbücher des Privatrechts. — Zu II 2: v. L i s z t HR „Ordnungsstrafe", F i n g e r Das Züchtigungsrecht und dessen Mifsbrauch 1888 (Z IX 683). K e f s l e r GS XLI 161 (Z IX 683) und gegen ihn S t e n g l e i n GS XLII 1. — Zu III: R o t e r i n g GA XXX 179 (Z III 186). — Zu IV: K e f s l e r Die Einwilligung des Verletzten 1884 (Z V 268). D e r s e l b e GS XXXVIII 561 (Z VII 735). R o e d e n b e c k Zweikampf 1883 (Z III 512). D e r s e l b e GS X X X V I I 124 (Z V 736). U l i m a n n GS XXXVII 529 (Z VI 401). B e n e d i k t Juristische Blätter 1887 No. 18 (Z IX 308). — Zu V: M e r k e l HR „Selbstmord". W a h l b e r g HR „Selbstverletzung".
Von den zahlreichen Fällen, in welchen kraft ausdrücklicher oder stillschweigender Anordnung der Rechtsordnung die Rechtswidrigkeit als ausgeschlossen betrachtet werden mufs, können hier nur die wichtigsten Erwähnung finden. Bei dem heutigen Stande der Gesetzgebung und "Wissenschaft bietet die Abgrenzung fast überall bedeutende Schwierigkeiten, und nur mit vorsichtiger Zurückhaltung kann die Aufstellung allgemeiner Grundsätze erfolgen. I . A m t s p f l i c h t schliefst innerhalb der durch sie gezogenen Grenzen die Rechtswidrigkeit des Handelns aus. Man denke an das ganze Gebiet des Erfüllungszwanges, an Hausdurchsuchungen. Beschlagnahmen. Verhaftungen, Vollstreckung von rechtskräftig erkannten Strafen, an die landesgesetzlich gewährleistete (Preufsen Gesetz vom 20. März 1837) aber reichsrechtlich nicht geregelte Befugnis der Wachen, der Post-, Zoll- und Steuerbeamten zum Waffengebrauche, an Mil.StGB. §. 124 usw. Der B e f e h l d e s V o r g e s e t z t e n an den Untergebenen schliefst die Rechtswidrigkeit der auf Grund des Befehles vorgenommenen Handlung auch dann nicht aus. wenn die Rechtsordnung die unbedingt verbindende K r a f t des Befehles anerkennt. 1 ) Vielmehr ist hier nur ein persönlicher Strafausschliefsungsgrund für den Gehorchenden gegeben und der >) Dies ist teilweise der Fall in Mil.StGB. §. 42, Seemannsordnung §§. 30, 32. Vgl. schon T h e r e s i a n a Art. 11 §. 8 und ähnlich B a y e r n 1751.
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§• 34. Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.
Befehlende kann als mittelbarer Thäter (unten §. 5 1 ) strafbar sein. I I . D i e Handlung ist keine rechtswidrige, wenn sie kraft einer besondern B e r e c h t i g u n g und innerhalb der Grenzen derselben vorgenommen wurde. D i e verschiedensten F ä l l e gehören hierher. Zu erwähnen sind: 1. Erlaubte S e l b s t h i l f e , insbesondere die eigenmächtige Pfändung. 2 ) 2. E r z i e h u n g » - und D i s z i p l i n a r g e w a l t . 3 ) Zu beachten ist, dafs die Ausübung dieses Rechtes, dauernd oder vorübergehend, von dem Berechtigten dritten Personen (von den Eltern dem Dienstmädchen) übertragen, dafs ferner in manchen Fällen (Züchtigung eines mutwilligen Knaben durch belästigte Vorbeigehende) die Zustimmung des Berechtigten vorausgesetzt werden kann. 3. Weiter sei erinnert an das Bergungsrecht nach Strandungsordnung §§. 4ff.; an die Ausstellung von Kaperbriefen; an die vorläufige Festnahme eines auf frischer That betroffenen oder verfolgten Verbrechers ( S t P O . §. 127) u. a. mehr. 4 ) I I I . Gleiche Wirkung hat die aus der rechtlich anerkannten A u s ü b u n g e i n e s B e r u f e s sich ergebende Berechtigung zur Vornahme derjenigen Handlungen, welche nach den Regeln «) BGB. §§. 189, 521, 815 und dazu v. L i s z t Grenzgebiete 8. L a u t e r b u r g Schweizer Zeitschrift I 97, I I 163. *) Eine solche steht in verschiedenem Umfange und mit verschiedenem Inhalt unter anderm zu a) den Eltern gegenüber den Kindern; b) dem Lehrer gegenüber seinen Schülern; c) dem Lehrherrn gegenüber dem Lehrling (Gewerbeordnung §. 127); d) dem Ehemann nach einzelnen Landesrechten (so in Bayern, nicht aber in Preufsen) gegenüber der Ehefrau; e) dem Schiffer gegenüber der Bemannung des Schiffes (Seemannsordnung §. 79 Abs. 1 bis 4 und dazu §. 96); f) der Dienstherrschaft gegenüber dem Gesinde; g) der Kirche gegenüber ihren Angehörigen (preufs. Gesetz vom 12. Mai 1873); h) den Gesellschaften und Vereinen gegenüber ihren Mitgliedern; i) den Vorgesetzten gegenüber ihren Untergebenen; k) den staatlich berufenen Organen gegenüber den staatlich Bediensteten (Disziplinarstrafordnung für das deutsche Heer vom 31. Oktober 1872, für die deutsche Marine vom 23. November 1872; Eeichsbeamtengesetz vom 31. März 1873). *) Hierher gehört auch das Tötungsrecht de9 Ehemannes gegenüber dem auf der That ergriffenen Ehebrecher, welches, in PGO. 121 ausdrücklich anerkannt, noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts wenigstens in den Lehrbüchern eine Rolle spielt. Preufsen 1620 gab auch noch dem Vater das Recht, die unkeusche Tochter und ihren Verführer zu töten.
§. 34. Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.
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der betreffenden Kunst oder "Wissenschaft im gegebenen Falle geboten sind. Nach diesem Gesichtspunkte sind chirurgische Operationen überhaupt, die Eingriffe des Zahnarzts oder des Hühneraugenoperateurs, ist insbesondere die vielbesprochene Perforation (Zerstückelung der Frucht im Mutterleibe) zu beurteilen. Doch wäre gerade für diese Fälle gesetzliche Abgrenzung der Berechtigung dringend wünschenswert. Insbesondere ist es zweifelhaft, ob und unter welchen Voraussetzungen der Arzt auch ohne die Einwilligung des Kranken (und seiner Angehörigen ?) vorzugehen berechtigt ist. Als Ausübung des rechtlich anerkannten Berufes erscheint auch der Versuch am lebenden Tier, insbesondere die V i v i s e k t i o n zu wissenschaftlichen Zwecken. IV. Die von dem Träger eines Rechtsgutes gegebene Einw i l l i g u n g zur Verletzung desselben schliefst die Rechtswidrigkeit der Verletzung nur dann und nur so weit aus, wenn und soweit die öffentliche Rechtsordnung dem Träger des Rechtsgutes die Verfügungsgewalt über dasselbe eingeräumt hat und eine ernstliche Verfügung des geistesgesunden Verfügungsberechtigten vorliegt. Die Rechtsordnung wird die Verfügungsgewalt versagen, wenn sie dem betreffenden Rechtsgute eine über die Person seines Trägers hinausreichende Bedeutung beilegt. Ob sie dies gethan, ist aus dem ganzen Zusammenhange der gesetzlichen Bestimmungen, nicht nur aus den Verbrechens-Thatbeständen zu entnehmen. Völlig verfehlt ist es hier ohne die genaueste Berücksichtigung des geltenden Rechts allgemeine Grundsätze aufstellen oder privatrechtliche Gesichtspunkte heranziehen zu wollen. 5 ) *) So bleibt die Tötung, auch wenn der Getötete sie ernstlich und ausdrücklich verlangt hat, rechtswidrige wenn auch milder bestrafte Handlung (StGB. §. 216), während Verletzung der weiblichen Geschlechtsehre, Beschränkung der persönlichen Freiheit, Eingriffe in fremde Vermögensrechte usw. (unter gewissen Voraussetzungen) durch die Einwilligung des Verletzten die rechtswidrige Eigenart verlieren. Sehr beetritten ist die Frage, ob die körperliche Verletzung des Einwilligenden als rechtswidrig nach den allgemeinen Grundsätzen über Körperverletzung bestraft werden könne oder nicht. (Vgl. darüber unten besond. Teil.) Sicher ist es, dafs die oft herangezogenen Quellenstellen des römischen Rechts (quia nulla injuria est quae in volentem fit; 1. I S . 5 D 47, 10) eine durchaus beschränkte Bedoutung haben, und dafs der Satz yolenti non fit injuria in dieser Allgemeinheit auch für das römische Recht ent-
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§• 34. Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.
V. D i e von d e m T r ä g e r e i n e s R e c h t s g u t e s s e l b s t an d e m s e l b e n vorgenommene Verletzung sollte grundsätzlich ebenso beurteilt werden, wie die mit Einwilligung des Verletzten von einem dritten ausgehende Handlung. Denn hier wie dort handelt es sich um die rechtliche Bedeutung der von dem Träger des Rechtsgutes ausgehenden Verfügung Uber dasselbe. Doch hat das Gesetz, von nebensächlichen Gesichtspunkten geleitet, die Grenzlinie dort vielfach anders bestimmt als hier. 6 ) schieden unhaltbar ist. Die Frage kann nur vom Standpunkte des geltenden Rechts aus befriedigend gelöst werden, und dieses wechselt mit den Zeitanschauungen. Dem mittelalterlichen Rechtsgefühle widerstrebte die Verpfändung des Leibes, der Freiheit, der Ehre („Schelmenschelten") usw. durchaus nicht. Man vgl. darüber K ö h l e r Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz 1883 (IV 334). — Ältere Gesetze schlössen wohl ausdrücklich die Berücksichtigung der Einwilligung aus; so Theresiana Art. 3 §. 16 und ebenso noch Osterreich 1852 jj. 4. — An dem Fehler vorschneller Verallgemeinerung kranken die unreifen neuern Arbeiten von R o e d e n b e c k und K e f s l e r . Vgl. Ml 168. Das wichtigste Beispiel bietet die heute fast allgemein anerkannte Straflosigkeit des S e l b s t m o r d e s . Das römische Recht bestraft den Selbstmordversuch nur, wenn von Soldaten begangen. (L. 6 §. 7 D. 49, 16). Im deutschen Mittelalter ist schimpfliches Begräbnis die regelmäfsige Strafe des Selbstmörders. (So in England noch bis 1882; vgl. 2 I I I 550, IV 122.) Hatte der Selbstmörder sich durch den Tod einer mit Einziehung des Vermögens verbundenen Strafe entziehen wollen, so soll gemeinrechtlich (PGO. Art. 135) die Einziehung auch nach der Entleibung eintreten. Das gemeine Recht hält an dem unehrlichen Begräbnis des Selbstmörders und an der willkürlichen Bestrafung des Selbstmordversuches fest (Preufsen 1620) und wird darin noch im 18. Jahrhundert von den Philosophen der W o l f f s c h e n Schule sowie von S o d e n , W i e l a n d , G m e l i n, Q u i s t o r p u. a. unterstützt. Erst unter dem Einflüsse Mon t e s q u i e u s und V o l t a i r e s , B e c c a r i a s und H o m m e l s tritt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ein Umschwung der Anschauung ein. Doch läfst noch das Joseph. StGB, den Selbstmörder „durch den Schinder einscharren" und verhängt bei versuchtem Selbstmord Gefängnis bis zur Besserung. In Preufsen wurde trotz der bekannten Ansichten Friedrich II. der Selbstmordversuch erst 1796 für straflos erklärt (vgl. ALR. 803 bis 806). Seit dem Bayrischen StGB. 1813 verschwindet die Strafdrohung gegen Selbstmord aus den Gesetzbüchern. — V e r s u c h des Selbstmordes ist noch nach heutigem englisch-amerikanischen Recht strafbar; A n s t i f t u n g u n d B e i h i l f e zu demselben war vielfach in den deutschen Landes-StGBüchern und ist heute in Bern, Ungarn 283, Holland 294, Japan 320 sowie im russischen und spanischen Entwurf als selbständiges Delikt mit Strafe bedroht. Gebilligt wird letzteres von B 94, M 315, Geyer GS XXXVIII 113; getadelt von Bg I 701, welcher, zweifellos unrichtig, Anstiftung zum Selbstmord als Tötung bestrafen will. Vgl. O 895. — Man denke weiter an die S e l b s t v e r s t ü m m e l u n g , die in §. 142 als Vereitelung der Wehrpflicht unter Strafe gestellt ist. Die Beschädigung eigener Sachen kann nach StGB. §. 304 strafbar sein. Die Gefährdung des eigenen Lebens ist vielfach polizeilich bedroht.
g. 35. Die Schuld Fähigkeit (Zurechnungsfähigkeit).
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V I . A n dieser S t e l l e ' ) sind endlich auch noch A r t . 22 A b s . 2 der Reichsverfassung sowie S t G B . §. 12 zu erwähnen. D i e s e verfugen, um die uneingeschränkte Oeffentlichkeit der parlamentarischen Verhandlung und damit die fortwährende Wechselwirkung zwischen der Volksvertretung und der Meinung der W ä h l e r zu sichern, dafs w a h r h e i t s g e t r e u e , mündliche oder schriftliche, B e r i c h t e a) über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstages, b) über Verhandlungen eines Landtages oder einer K a m m e r eines zum Reich gehörigen Staates von jeder Verantwortlichkeit frei bleiben, mithin auch der sogenannten objektiven Verfolgung nicht unterzogen werden können. 8 )
IV. Das Verbrechen als schuldhafte Handlung. §. 35.
Die Schuldfähigkeit (Zurechnungsfähigkeit).
Litterator. B e r n e r Grundlinien der Imputationslehre 1843. B r u c k Zur Lehre von der krimin. Zurechnungsfähiskeit 1878. J e s s e n Zurechnungsfähigkeit 1870. v. R ö n n e Kriminalistische Zurechnung 1870. W a h l b e r g Gesammelte Schriften I 1, I I I 101. B i n d i n g Normen I I 3. v. I h e r i n g Zweck im Recht 1 3 . J a n k a Die Grundlagen der Strafschuld 1886 (Z V 737). H I 183. G l a s e r Zurechnungsfähigkeit, Willensfreiheit, Gewissen und Strafe 2. Aufl. 1888 (Z V I I I 610). — Über W i l l e n s f r e i h e i t insbesondere: R ü m e l i n Reden und Aufsätze 1881 (Z I 606). ') Da es sich um Wegfall der Rechtswidrigkeit handelt, ist Bestrafung der Teilnehmer unmöglich. Ebenso O 88; dagegen Bg I 676, 684, v.8 K r i e s Z V 9. ) Soweit das Recht eine g ä n z l i c h e o d e r t e i l w e i s e R e c h t l o s i g k e i t kennt, ebensoweit schliefst diese die Rechtswidrigkeit aller oder gewisser Verletzungen aus. Dem heutigen Rechte ist eine solche Auffassung völlig frema. Die unbefugte Tötung des zum Tode verurteilten Verbrechers, welche noch F e u e r b a c h , G r o l m a n n u. a. milder bestraft wissen wollten, unterliegt den allgemeinen Regeln. Anders dachte das ältere Recht: man erinnere sich an die römische sacratio capitis, die germanische Friedlosigkeit, die Oberacht des mittelalterlichdeutschen Rechtes; an die Rechtlosigkeit der Zigeuner nach zahlreichen Reichs- und Landesgesetzen des 16. Jahrhunderts, die Ehrlosigkeit der Gotteslästerer nach den Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 usw.
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§. 36.
Die Schuldfähigkeit (Zurechnungsfähigkeit).
W i t t e Die Freiheit deB Willens 1882 (Z I I I 171). B ü n g e r Z V I I 80. K i r n HG I 37. F i n g e r Zur Begründung des Strafrechts vom deterministischen Standpunkte 1887 (Z V I I I 345). K. F i s c h e r Über die menschliche Freiheit 1888 (Z I X 598). M a c h Die Willensfreiheit des Menschen 1887 (Z V I I I 600). B i r k m e y e r Kritische Vierteljahrsschrift X X X I 539. K l i p p e l Z X 534. Vgl. noch die Lehrbücher der Psychologie und der Ethik.
I . Schuld ist V e r a n t w o r t l i c h k e i t f ü r d e n durch willkürliche K ö r p e r b e w e g u n g v e r u r s a c h t e n E r f o l g . Schuldfähigkeit oder Deliktsfähigkeit, als die Voraussetzung rechtlicher Schuld, ist die F ä h i g k e i t f ü r e i n e r e c h t s w i d r i g e H a n d l u n g v e r a n t w o r t l i c h zu sein. Strafrechtliche Deliktsfähigkeit oder Zurechnungsfähigkeit ist die F ä h i g k e i t , f ü r e i n e s t r a f b a r e H a n d l u n g S t r a f e zu erdulden. W i r können die Zurechnungsfähigkeit auch bestimmen als strafrechtliche Handlungsfähigkeit. Denn Handlungsfähigkeit im juristischen Sinne ist die Fähigkeit, rechtlich bedeutsame Handlungen vorzunehmen, d. h. solche Handlungen, an welche als Thatbestand das objektive Recht den Eintritt von Rechtsfolgen knüpft. Mithin ist Zurechnungsfahigkeit die Fähigkeit, strafrechtlich bedeutsame, d. h. den Eintritt der Straffolge nach sich ziehende Handlungen vorzunehmen; die Fähigkeit also, s t r a f r e c h t l i c h v e r a n t w o r t l i c h gem a c h t , a l s o b e s t r a f t zu w e r d e n . Schuldfähigkeit ist Voraussetzung der Schuld, nicht Schuld selbst. Es giebt schuldlose und schuldhafte Handlungen des Schuldfähigen. I I . Voraussetzung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit und mithin Inhalt der Zurechnungsfähigkeit ist nicht eine dem Kausalgesetz entrückte W i l l e n s f r e i h e i t , sondern nur d i e d e r R e g e l g e m ä f s e B e s t i m m b a r k e i t des W i l l e n s d u r c h V o r s t e l l u n g e n ü b e r h a u p t , d u r c h d i e unser gesamtes Verhalten regelnden a l l g e m e i n e n V o r s t e l l u n g e n d e r R e ligion, d e r S i t t l i c h k e i t , d e s R e c h t s , d e r K l u g h e i t (oben §. 27) i n s b e s o n d e r e . Nur in dieser Bestimmbarkeit des ') Abweichend nur Bg Normen I I 39, 86 und H e r t z Unrecht 39. Gegen ersteren u. a. H I 204 Note 1; M 182.
§. 36. Die Schuldfähigkeit (Zurechnungifahigkeit).
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Willens findet das Strafrecht seine feste, dem Streite der Philosophen entrückte Grundlage. *) III. Daraus aber folgt, dafs j e d e r g e i s t i g r e i f e und g e i s t i g g e s u n d e M e n s c h zurechnungsfähig ist; dafs die Lehre von der strafrechtlichen Schuldfähigkeit mithin ihr Schwergewicht in der Darstellung derjenigen Zustände finden mufs, welche a u s n a h m s w e i s e die Zurechnungsfahigkeit als a u s g e s c h l o s s e n erscheinen lassen. Zu beachten ist aber, dafs, wie die geistige Reife auf den verschiedenen Gebieten des rechtlich gleichgültigen Handelns nicht mit demselben Augenblicke eintritt, sondern hier längere dort kürzere Entwickelung vorangehen mufs, so auch die rechtliche Handlungsfähigkeit auf den verschiedenen Rechtsgebieten 2 ) Es ist daher methodisch verfehlt, wenn v. I h e r i n g , R ü m e l i n , H ä l s c h n e r . B i n d i n g , v. H o l t z e n d o r f f , B i r k m e y e r Ursachenbegriff Note 10 bis 12 (gegen ihn J a n k a Z I X 502), Z i t e l m a n n Irrtum und Rechtsgeschäft 153, L 24, M 20 u. a. — auch W u n d t Essays 1885 S. 105) das Strafrecht aufbauen wollen auf dem transzendenten Freiheitebegriff, mithin auf dem schwankenden Grunde metaphysischer Spekulation. Das Strafrecht hat es. wie jede Wissenschaft, nur mit dem empirischen Menschen zu thun, und dieser ist f r e i , wenn Freiheit nicht melir bedeuten soll als den Ausschlufs des m e c h a n i s c h e n Zwanges, ist unbedingt u n f r e i , insoweit er bestimmt (determiniert) wird durch Vorstellungen (Motive). F ü r diese Ansicht neuerdings MI 72, D e r s e l b e Z I 553, H e r t z Unrecht I 119, H a u p t Z I I 533, J a n k a 4, J e l l i n e k Sozial-ethische Bedeutung von Recht, Unrecht, Strafe 64, K r a e p e l i n Abschaffung des Strafmafses 1, H r e h o r o w i c s Grundbegriffe 17, B ü n g e r Z V I I 80, V I I I 576 (sehr beachtenswert), T u h r Notstand 4 Note 2, v a n H o u t e n Das Kausalitätsgesetz in der Sozialwissenschaft 1888, W a l l a s c h e k Studien zur Rechtsphilosophie 1889 S. 192, M o r i a u d Délit necéssaire 150, A p p e l i u s Die bedingte Verurteilung 1890 S. 72, G l a s e r , M a c h , F i n g e r , K l i p p e l a. O.; die Italiener F e r r i Z I I 11, L o m b r o s o Z I 1^7. der Russe F o i n i t z k y in seinem Handbuch und zahlreiche andre. Ebenso früher H o b b e s , S p i n o z a , L e i b n i t z , H u m e , insbesondre aber W o l f f jus nat. VIII 714, der die im Text vertretene Ansicht eine res satis manifesta nennt; H o m m e l (A. v. J o c h ) Belohnung und Strafe nach türkischen Gesetzen 1770; F e u e r b a c h Revision 1799 und in den ersten Auflagen seines Lehrbuchs; T h i b a u t Beiträge zur Kritik der Feuerbachschen Theorie 1802 S. 57 (welcher, wie M o r i a u d 161 Note 1 bemerkt, den Begriff der Zurechnungstähigkeit ganz so bestimmt wie unser Text), auch G e i b I I 67. In der neuern Philosophie haben namentlich K a n t (den Binding gründlich mifsversteht) und S c h o p e n h a u e r sich f ü r die ausnahmslose Herrschaft des Kausalgesetzes in der Welt der Erfahrung — und nur diese ist f ü r den Kriminalisten in Frage — ausgesprochen. Keines näheren Nachweises bedarf es, dafs auch der Determinismus, soweit er die Grenzen unseres Erkennens zu überschreiten sich anmafst. vom wissenschaftlichen Standpunkte aus unbedingt zurückgewiesen werden mufs.
v o n L i i z t , Strafrecht.
4. Auf)
11
162
§• 35.
Die Schuldfähigkeit (Zurechnungsfähigkeit).
(öffentliches Recht, bürgerliches Recht. Strafrecht) und deren Untergebieten (Familienrecht, Erbrecht, Forderungsrecht) nicht mit derselben Lebensstufe erworben wird. Sie wird auch auf dem Gebiete des Strafrechtes bei demselben Menschen in demselben Augenblicke bald als vorhanden, bald als fehlend angenommen werden müssen, je nachdem diese oder jene Gruppe von strafbaren Handlungen in Frage steht (man denke an Tötung einerseits, politische Delikte anderseits). Es mul's weiter beachtet werden, dafs innerhalb der Zurechnungsfähigkeit unendlich viele Abstufungen möglich sind, wie innerhalb der körperlichen Gesundheit. Es fragt sich nun: Boll der Gesetzgeber diese Abstufungen berücksichtigen, wenn er an den strafbaren Thatbestand die Straffolgen anknüpft? Man hat die Frage verwirrt, indem man die über das Mindestmafs sich erhebende, aber unter dem Durchschnittsinafs zurückbleibende Zurechnungsfahigkeit als v e r m i n d e r t e Zureclmungsfähigkeit bezeichnete und dadurch vielfach den Glauben erweckte, als handle es sich um einen Geisteszustand, der w e n i g e r sei, als Zurechnungsfiihigkeit. G e g e n die Bejahung der aufgeworfenen Frage spricht die Weite der Strafrahmen der deutschen Strafgesetze, insbesondre ihr äufserst geringes Mindestmafs und das System der ,.mildernden Umstünde": f ü r dieselbe aber die auf diesem Felde noch weitverbreitete und tiefgewurzelte Verwirrtheit, welche eine gesetzliche Regelung der Frage dringend wünschenswert macht. In e i n e m Falle — bezüglich der j u g e n d l i c h e n Thäter (StGB. §. 57) — h a t übrigens das StGB, selbst der ..verminderten" Zurechnungsfähigkeit Rechnung getragen. Ebenso läl'st sich auch die milde Behandlung des K i n d e s m o r d e s (siebe unten §. 86) auf einen ähnlichen Gedanken zurückführen. 3 ) IV.
l'nsre Reiclisstrafgesetzgebung hat daher mit vollem
*) Selten hat ein unglücklich gewählter Ausdruck soviel Streit veranlagt, wie die „verminderte" Zurechnungsfähigkeit. Für die richtige Ansicht M 464, Ml 53 sowie H H II 563, W 274, v. R ö n n e 32, v. B a r Grünhut I I I 45, G e y er HR „Strafmilderungsgründe", S e u f f e r t Italien. Entwurf 64. Dagegen u. a. B 76, H I 225. Im I. Entw. des RStöB. hatte die verminderte Zurechnungsfähigkeit ausdrückliche Anerkennung gefunden, wie sie auch in mehrere deutsche Landesgesetze aufgenommen war. Sie findet sich auch ia den StGBüchern für Bern, Zug, sowie Italien. Vgl. auch W i l l e Schweizer Zeitschrift I I I 1.
§. 36.
Die Schuldfähigkeit (Zurechnungsfahigkeit).
163
Recht davon abgesehen, den B e g r i f f der Zurechnungsfähigkeit festzustellen; sie hat die Lösung dieser Aufgabe den Bemühungen der juristischen und psychologischen Wissenschaft überlassen und sich damit begnügt, der Rechtsprechung einzelne leitende Gesichtspunkte an die Hand zu geben. Sie erschöpft den B e griff der Zurechnungsfähigkeit nicht und will ihn nicht erschöpfen, wenn sie hier (StGB. §. 51) die „freie Willensbestimmung" und dort (StGB. §§. 56—58) die „zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderliche Einsicht" hervorhebt. 4 ) V. Die Zurechnungsfahigkeit mufs b e i B e g e h u n g der That vorhanden gewesen sein. Später eintretende Zurechnungsunfähigkeit kann nur p r o z e s s u a l e Folgen nach sich ziehen. Mafsgebend ist dabei jener Augenblick, in welchem die willkürliche K ö r p e r b e w e g u n g selbst vorgenommen wurde; gleichgültig der Geisteszustand des Thäters in dem Augenblicke. in welchem der Erfolg eintritt. Wer vorsätzlich einen Brunnen vergiftet und dann sich berauscht, ist verantwortlich, wenn, während er sich im Zustande der Volltrunkenheit befindet, die von seinem Vorsatz umfafsten Personen aus dem vergifteten Brunnen trinken. Wer einen Wahnsinnigen zu einem Verbrechen bestimmt, hat im Zustande der Zurechnungsfähigkeit gehandelt, wenn auch der Wahnsinnige das Verbrechen ausführt, während der geistige Urheber der That im tiefsten Schlafe liegt. Für U n t e r l a s s u n g e n ist derjenige Zeitpunkt (oder Zeitraum) mafsgebend, in welchem die Handlung vorzunehmen war. Wir haben nur diese allgemeine Regel folgerichtig zur Anwendung zu bringen, um die berühmte Schulstreitfrage nach der Beurteilung der sogenannten a c t i o n e s l i b e r a e in c a u s a seu ad l i b e r t a t e m r e l a t a e zu entscheiden. Sie liegen vor, ') Die Zurechnungsfähigkeit mufs, als Voraussetzung der Schuld, wie alle rechtlich erheblichen Umstände v o n A m t s w e g e n festgestellt, ihr Mangel braucht nicht vom Angeklagten bewiesen zu werden. Ausdrücklicher Feststellung im Urteile bedarf es (StPO. §. 266), wenn ihr Vorhandensein im Laufe der Verhandlung bestritten worden war. Eine Ausnahme von dieser Regel tritt nur ein, wenn es sich um einen jugendlichen oder taubstummen Thäter handelt: hier m u f s — gegebenenfalls durch eine an die öeschwornen gerichtete Nebenfrage — in allen Fällen ausdrücklich festgestellt werden, ob der Thäter bei Begehung der That die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderlich« Einsicht besessen habe (StGB. §. 58). 11*
164
§• 35. Die Schuldfähigkeit (Zurechnungsfähigkeit).
wenn im Zustande der Zurechnungsunfähigkeit durch Thun oder Unterlassen ein rechtswidriger Erfolg herbeigeführt, dieses Verhalten aber veranlafst wurde durch einen im Zustande der Zurechnungsfähigkeit gefafsten Entschlufs oder eine in diesem -Zustande begangene Fahrlässigkeit. Beispiele: der Eisenbahnwächter betrinkt sich in der Absicht, beim Herannahen des Eilzuges die Weichen nicht zu stellen; die Mutter, die wissen sollte, dafs sie im Schlafe sich unruhig hin und her wirft, hat fahrlässigerweise ihr Kincl zu sich ins Bett genommen und erdrückt. Insbesondere, aber nicht ausschließlich. sind es l'nterlassungsdelikte, welche in dieser Gestalt begangen werden können: seltener fahrlässige Begehungsverbreclien: am seltensten und zweifelhaftesten dürften die Fälle sein, in welchen vorsätzliche Begehung als actio libera in causa erscheint. Aber unmöglich ist auch das nicht: so gut wir den Wahnsinnigen oder Trunkenen als Mittel für unsere Zwecke benutzen können, weil bei ihm die Bestimmbarkeit durch Vorstellungen zwar regelwidrig, aber nicht ausgeschlossen ist. ebensogut können wir im Zustande geistiger Gestörtheit oder Trunkenheit uns selbst zur Ausführung vorgefaßter Pläne benutzen.5) Wenn Kausalzusammenhang und Schuld in Bezug auf den Erfolg im Einzelfalle gegeben ist. so bietet die juristische Beurteilung keine weitere Schwierigkeit. Im entscheidenden Augenblicke — und das ist nicht der Eintritt des Erfolges, sondern der Anstois zum Abrollen der Kausalkette — war Zurechnungsfähigkeit vorhanden. Im nüchternen Zustande hat der Wächter, wachend hat die Mutter die Ti-saclie zu dem eingetretenen Erfolge gelegt. Der Zurechnung derselben steht nichts im Wege. •) ') Die Frage hat schon (las gemeine Recht seit B a r t n l u s vielfach beschäftigt. Ganz regelmäßig wird, weil dolus nicht ausgeschlossen sei, Strafbarkeit angenommen; vgl. z. B. E n g a u S- 41. Die Dissertation von T h o m a s i us De jure circa somnum et somnia ging in genauere Kasuistik ein. Schon Preufsen LR. IK20 droht wie D a m h o u d e r dem tötenden Schlafwandler willkürliche Strafe, wenn er die Gefährlichkeit seines Zustandes kannte. *) Die reiche Litteratur der Frage geht zumeist an dem entscheidenden Punkte vorüber. Die Annahme des Kausalzusammenhanges berechtigt ans noch immer nicht, den Erfolg zur Schuld zuzurechnen. Meist begnügt man sich aber damit, die Möglichkeit des Kausalzusammenhangs so erörtern. Im Sinne des Textes H I 212 (aber nur unter besonderen
§. 36. Die Fälle der Zurechnungiunfahigkeit.
165
V I . Ohne Zurechnungsfähigkeit ist Schuld undenkbar, ein Verbrechen unmöglich. Eben darum ist auch — und an diesem Satze mufs ohne A u s n a h m e festgehalten werden — s t r a f b a r e T e i l n a h m e d r i t t e r P e r s o n e n an der von einem Z u rechnungsunfähigen gesetzten Rechtsverletzung begrifflich unmöglich. W o h l aber können dritte Personen als S e l b s t t h ä t e r zur Verantwortung gezogen werden. 7 )
§. 36.
Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.
L i t t e r a t n r . Zu I. B a u m e r t ZurechnuDgsfahigkeit und Bestrafung jugendlicher Personen 1877. U l i m a n n in Grünhut I I I 293. G e y e r HB. „Altersstufen." — Zu I I . v. K r a f f t - E b i n g Lehrbuch der gerichtlichen Psychopathologie2. Aufl. 1881. D e r s e l b e Grundzüge der Kriminalpsychologie für Juristen 2. Aufl. 1882. D e r s e l b e Psychopathologia sexualis 4. Aufl. 1889. K i r n HG 1 35, I I 209. Die Lehrbücher der erichtlichen Medizin (oben§. 15 VIII2). Berichte von v. K r a f f t - E b i n g ; I I 358, IV 81, V 160. S p i t t a Die Willensbestimmungen und ihr Verhältnis zu den impulsiven Handlungen 1881 (Z I 614). S a n d e r und R i c h t e r Die Beziehungen zwischen Geistesstörung und Verbrechen 1886. M o e l i Über irre Verbrecher 1888 (Z IX 221). — Zu III. S c h w a r t z e r Die Bewufstlosigkeitszustände als Strafausschliefsungsgründe 1878. S p i t t a Schlaf- und Traumzustände der menschlichen Seele 1878. — Über A l k o h o l i s m u s : v. L i l i e n t h a l Bericht an den Petersburger Kongrefs 1890. v. S c h w a r z e GS X X X I I I 430 (Z I I 163). Vgl. besondern Teil (zu StGB. 361 Ziff. 5). — Über M o r p h i n i s m u s , C o c a i n i s R i u i uaw. sind die Lehrbücher der gerichtl. Medizin za vergleichen. — ü b e r H y p n o t i s m o s v. L i l i e n t h a l Z VII 281. R i e g e r Z V I I I 816. F o r e 1 Z IX 131. Die Z IX 725 angeführten Schriften von G i11e s d e 1a T o u r e t t e u n d B e r n h e i m . BoekhoudtDeBeteekenisvanHypnotisme en Suggestie in ons Strafrecht en Strafproces. 1890.
f
D i e Zurechnungsfähigkeit, als der n o r m a l e Geisteszustand des g e i s t i g r e i f e n und g e i s t i g g e s u n d e n menschlichen Individuums, ist nicht vorhanden: I. b e i f e h l e n d e r g e i s t i g e r R e i f e . D i e s e kann wieder eine doppelte Ursache haben: 1. N o c h n i c h t a b g e s c h l o s s e n e Entwicklung, Strafunmündigkeit des Thäters. Voraussetzungen), M 191, O 249, G e y e r H H IV 106. Dagegen S 198 u. a. Man vgl. insbes. Bg Normen I I 195. ') Vgl. unten §.„50. Das gilt von Strafunmündigen ebensogut wie von Wahnsinnigen. Über die abweichende Rechtsprechung des Reichsgerichtes vgl. unten §. 36 Note 3. ') Das ältere römische Recht scheint an der Bestrafung de« unmündigen Diebes keinen AnstofB genommen zu haben. D u spätere römische und das kanonische Recht halten an der Straflosigkeit des infans
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§. 36.
Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.
Das RStGB. hat für die strafrechtliche Beurteilung eine doppelte Altersgrenze gezogen. a) K i n d h e i t ; bis zum vollendeten 12. Jahre (StGB. §. 55). Unbedingte und ausnahmslose Zurechnungsunfähigkeit. Infolge dieses Grundsatzes Ausschlufs jeder strafgerichtlichen Untersuchung. Als polizeiliche Mafsregel ist seit der Novelle von 1876 die Unterbringung in eine Erziehung«- oder Besserungsanstalt zugelassen, wenn die Vormundschaftsbehörde die Begehung einer strafbaren Handlung festgestellt und die Unterbringung für zulässig erklärt hat. 8 ) Die Aufsichtspersonen können als Selbstthäter oder nach StGB. §. 361 Ziff. 9 wegen unterlassener Aufsicht, nie aber als Teilnehmer — da ein Verbrechen nicht vorliegt 9 ) — zur Verantwortung gezogen werden. (bis zum vollendeten 7. J ä h r e t fest. D a r ü b e r hinaus findet bei V e r b r e c h e n d e r i m p ú b e r e s P r ü f u u g des einzelnen Falles statt. Vgl. P e r n i c e L a b e o I 206. I n den deutschen Volksrechten wird bei R e c h t s v e r l e t z u n g e n J u g e n d l i c h e r vielfach die Z a h l u n g des Friedensgeldes ausgeschlossen. D i e sächsischen Quellen des s p ä t e m Mittelalters lassen K i n d e r n g e g e n ü b e r wenigstens die peinliehe S t r a f e entfallen (vgl. z. ß . SSp. I I 65, 1). D i e P G O . schliefst in A r t . 164 gegen j u n g e D i e b e ( u n t e r 14 J a h r e n ) n u r die Todesstrafe aus, soweit n i c h t besondere U r s a c h e n vorliegen, und ane r k e n n t den Satz malitia supplet a e t a t e m ; A r t . 179 verweist bei J u g e n d d e r I J b e l t h ä t e r ganz allgemein auf den R a t d e r R e c h t s v e r s t ä n d i g e n . Gesetzg e b u n g und L i t t e r a t u r des g e m e i n e n Hechtes schwankt, hält aber im allgemeinen an d e r S t r a f l o s i g k e i t d e r K i n d e r f e s t ; dieser A n s i c h t f o l g t die grofse Mehrzahl d e r n e u e r n G e s e t z g e b u n g e n , a b e r u n t e r verschiedener B e s t i m m u n g der Mindestgrenze (8 bis 14 J a h r e in den d e u t s c h e n LandesS t G B ü c h e r n ; 7 J a h r e in E n g l a n d , 9 in Italien, 10 in D ä n e m a r k , Österreich, H o l l a n d sowie im russischen E n t w u r f , 12 J a h r e in U n g a r n und in den österr. E n t w ü r f e n ) . Auf die A u f s t e l l u n g einer Mindestgrenze verzichtete das französische R e c h t gänzlich, um in j e d e m Einzelfalle das U n t e r n c h e i d u n g s v e r m ö g e n feststellen zu lassen; ihm folgten P r e u f s e n 1851 u n d Bayern 1861. ( B e g i n n d e r vollen S t r a f m ü n d i g k e i t mit d e m 16. J a h r e ; 14 J a h r e in R u f s l a n d , E n g l a n d , Italien, 16 in F r a n k r e i c h , Belgien, U n g a r n , Holland, 17 im russischen. 18 im Österreich. E n t w u r f ) . D a g e g e n ist da* S t G B , wieder zu d e r Auffassung des römisch-kanonischen und des gemeindeutschen R e c h t s z u r ü c k g e k e h r t . 8 ) P r e u f s . Gesetz vom 13. März 1878, betr. die U n t e r b r i n g u n g verw a h r l o s t e r K i n d e r , und dazu den a u s f ü h r l i c h e n K o m m e n t a r von W i e d e m a n n 1887 (Z V I I 722) sowie T h ü m m e l G S X L 40. Ü b e r die Gesetzg e b u n g d e r a n d e r n B u n d e s s t a a t e n vgl. die D a r s t e l l u n g in H G I I 48 sowie i m 17. H e f t des n o r d w e s t d e u t s c h e n Gefängnisvereins. ') Ü b e r e i n s t i m m e n d H I 223. G I 137, M 227, Ml 56, v. K r i e s Z V 10, G l a s e r I I 196 N o t e 4, B i r k m e y e r Mecklenb. Z e i t s c h r i f t V I I 168. D a g e g e n S c h ü t z e G A X X I 164, H e r z o g wiederholt, zuletzt G S X X X V I I I 342 (Z V I I 740) sowie im A n s c h l u f s an die f r ü h e r e preuf». R e c h t s p r e c h u n g R 12. April 82 V I 187 u n d 6. J u n i 82 V I 336, 0 271, Z i e b a r t h 341, B o r c h e r t S t r a f r e c h t l i c h e V e r a n t w o r t l i c h k e i t f ü r H a n d l u n g e n d r i t t e r S. 24. B e d e n k l i c h österr. E n t w . von 1889 §. 62.
§. 36.
Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.
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b) J u g e n d l i c h e s A l t e r vom vollendeten 12. bis zum vollendeten 18. Lebensjahre. Prüfung der Zurechnungsfähigkeit ü b e r h a u p t , der zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen That erforderlichen Einsicht i n s b e s o n d e r e (die letztere mufs ausdrücklich, gegebenenfalls durch die Geschworenen — StGB. §. 298 — festgestellt werden) in jedem einzelnen Falle. Festzuhalten ist, dafs nicht Erkenntnis der Strafbarkeit (auch nicht Bewufstsein der Rechtswidrigkeit), sondern die zur Erlangung dieser Erkenntnis erforderliche geistige Reife, das „discernement" des code pénal, das „Unterscheidungsvermögen" des preufs. StGB, vom Gesetz betont wird. Und zwar mufs jene Einsicht vorhanden sein, welche zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen V e r b r e c h e n s a r t erforderlich ist. 4 ) Es kann dieselbe in Bezug auf Eigentumsdelikte erlangt sein, in Bezug auf politische Verbrechen dagegen fehlen. Trotz vorhandener Einsicht kann die Zurechnungsfähigkeit aus einem andern Grunde, z. B. wegen Trunkenheit, ausgeschlossen sein. a) Fehlt die Fähigkeit, so tritt Freisprechung ein (StGB. §. 56). In dem Urteile kann die Unterbringung in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt ausgesprochen werden. Bezüglich dritter Personen gilt das oben unter a Gesagte. ß) Wird die Zurechnungsfähigkeit festgestellt, so tritt in Berücksichtigung der „verminderten" Zurechnungsfahigkeit eine Herabsetzung der regelmässigen Strafrahmen ein (StGB. §. 57 ; vgl. unten §. 72 I). 5 ) 2. G e h e m m t e E n t w i c k l u n g . Auch hier mufs die Zurechnungsfahigkeit überhaupt, die zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen That erforder4 ) Nach §. 50 des Mil.StGB. ist — mit Rücksicht auf die schon mit dem vollendeten 17. Lebensjahre beginnende Waffenfähigkeit — da« Alter des Thäters o h n e Einflufs auf die Bestrafung militärischer Verbrechen und Vergehen. Vgl. dazu H e c k e r 104. ") Besondre Bestimmung in §. 173. Die Eidesunmündiekeit wird durch die Prozeßordnungen bestimmt. — Die M i n d e r j ä h r i g l c e i t wird nicht berücksichtigt. Anders im österr. und ungar. Recht, welche bis zum 20. Lebensjahre sowohl Todesstrafe wie lebenslange Freiheitsstrafe ausschliefsen, sowie im russ. Entwurf. — Auch das G r e i s e n a l t e r ist nach geltendem Recht kein Milderungsgrund, während es als solcher im gemein-deutschen Recht des 18. Jahrhunderts sowie neuerdings im russ. Entw. sich findet. Der letztere hat auch w e i b l i c h e s G e s c h l e c h t unter die Milderungsgründe aufgenommen.
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§• 36.
Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.
liehe Einsicht insbesondere in jedem einzelnen Falle geprüft und letztere ausdrücklich festgestellt werden (StGB. §. 58). Bei Zurechnungsfähigkeit tritt jedoch eine Herabsetzung der Strafrahmen n i c h t ein, obwohl sie auch hier ohne Zweifel angezeigt wäre. •) Wenn auch das Gesetz nur von T a u b s t u m m e n ausdrücklich spricht, so sind doch diese Bestimmungen auf alle Fälle von Entwicklungshemmung gleiclniiäfsig anzuwenden (man denke an geringem Blödsinn, an Angehörige wilder Völkerstämme, in völliger Abgeschlossenheit aufgewachsene Menschen usw.') II. B e i f e h l e n d e r g e i s t i g e r G e s u n d h e i t . Auf Grund des von fachmännischer Seite erstatteten Gutachtens erklärt §. 51 des RStGB.: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande (von Bewufstlosigkeit oder) k r a n k h a f t e r S t ö rung d e r G eistesthätigkeit befand, durch welchen seine f r e i e Willensbestiiuniung ausgeschlossen war."8)
Der Ausdruck „krankhafte Störung der Geistesthätigkeit" wurde gewählt, um nicht nur die eigentlichen sogenannten Geisteskrankheiten, sondern auch geistige Entartungszustände, ferner körperliche Krankheiten im engern Sinne, welche mit geistigen Störungen verbunden sind (Fieberdelirien, ^Nervenkrankheiten), endlich vorübergehende Störungen der geistigen Thätigkeit •) Nur derjenige ist taubstumm im Sinne des Gesetzes, der von Geburt oder frühester Kindheit an infolge dieses Gebrechens in seiner Entwicklung gehemmt war. — Japan läfst die Taubstummen straffrei; Italien enthält eingehende Bestimmungen. 'J Übereinstimmend Bg I 221, H I 224, M 188, W 133; dagegen G I 103, O 248, M e r k e l H H I I 82. ') Die juristische Anerkennung der Geisteskrankheit als eines Falles der Zurechnungsunfähigkeit hat mit der medizinischen Erforschung derselben gleichen Schritt gehalten. Die Auffassung des deutschen Mittelalters tritt uns aus SSp. III, 3 entgegen: „Über rechten Thoren und über sinnenlosen Mann soll man nicht richten". PGO. Art. 179 verweist bezügl. des Thäters, welcher „Jugend oder anderer Gebrechlichkeit halber wissentlich seinerSinne nicht hätte", auf den Rat der Rechtsverständigen. Uber das römische Recht vgl. P e r n i c e Labeo I 234. — Beteiligte dritte sind nicht Teilnehmer, sondern Selbstthäter. Ebenso R 9. '16. Juni 84 XI 66; dagegen zu Unrecht O 250.
§. 36. Die Fälle der Zurechnangiunfahigkeit.
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(Intoxikationszustände usw.) zu umfassen. Sowie aber nicht jede Störung der vollen körperlichen Gesundheit als Krankheit bezeichnet werden kann, so wird auch nicht durch jede Störung der geistigenThätigkeit die Zurechnungsfahigkeit ausgeschlossen; das Mindestmafs, mit dem sich das Recht überhaupt begnügen mufs, bildet auch hier die untere Grenze. Darum verlangt StGB. §. 51, auch hier lediglich eine Seite in dem Inhalte der Zurechnungsfähigkeit besonders (aber durchaus nicht ausschliefslich) betonend, einen solchen Zustand, durch welchen „ d i e f r e i e W i l l e n s b e s t i m m u n g des Thäters ausgeschlossen" war. Dieselbe bedeutet auch hier nicht mehr als die r e g e l g e m ä f s e Bestimmbarkeit durch Vorstellungen. Die Darstellung der einzelnen Formen „krankhafter Störung der GeisteBthätigkeit" gehört nicht mehr zur Aufgabe der Strafrechtswissenschaft, wenn auch die Strafrechtspflege mit ihnen genau vertraut sein mufs, um, wo eB not thut, den Rat der Sachverständigen einzuholen. Jedoch ergiebt sich aus der E i n h e i t l i c h k e i t u n s e r e s g e i s t i g e n L e b e n s die doppelte Folgerung: E i n e r s e i t s , dafs Störungen nicht blofs des V o r s t e l l u n g s l e b e n s , sondern auch des E m p f i n d u n g s i e b e n a (wie konträre Sexualempfindungen) und des T r i e b l e b e n s (wie die sogenannte Paradoxie des Willens) die Zurechnungsfähigkeit aufzuheben geeignet sind. A n d e r s e i t s , dafs jede Störung das gesamte Geistesleben ergreift, dafs also teilweise Störungen bei sonstiger Unversehrtheit des Geistes nicht möglich sind. . Die heutige Wissenschaft hat daher den Begriff der sogenannten M o n o m a n i e e n als Entartungen des Trieblebens bei völliger Klarheit des Verstandes aufgegeben und betrachtet dieselben nur als Teilerscheinungen allgemeiner Erkrankung des Geistes. Ebenso ist „ m o r a l i s c h e r I r r s i n n " (moral insanity) stets mit einer Trübung des Vorstellungslebens sowie einer Abstumpfung der Gefühle verbunden. Ob durch die von sachverständiger Seite festgestellte geistige Störung die Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen wird oder nicht, hat der Richter, hier wie sonst, nach eigner Prüfung und unter eigner Verantwortlichkeit zu entscheiden. Das ärztliche Gutachten bindet ihn nicht und deckt ihn nicht. Ist der wegen mangelnder Zurechnungsfähigkeit freigesprochene Geistes-
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§. 37. Die Schuld.
kranke gemeingefährlich, so sollte für eine die Gesellschaft sichernde Unterbringung desselben gesorgt werden. I I I . A b e r auch das Seelenleben des geistig reifen und geistig gesunden Menschen unterliegt Schwankungen. welche, wenn auch auf physiologischer Grundlage beruhend, doch die Zurechnungsfähigkeit ausschliefsen können, und überdies in unmerklichen Übergängen auf das pathologische Gebiet hinüberfuhren. D a s R S t G B . bezeichnet sie in 51 als Zustände von „Bewufstlosigkeit". Genauer sprechen wir von hochgradiger T r ü b u n g o d e r A u f h e b u n g d e s B e w u f s t s c i n s , durch welche die regelgeiniifse Bestimmbarkeit durch Vorstellungen als gestört erscheint. Hierher gehören Ohnmacht, Schlaf, Schlaftrunkenheit. hypnotische Suggestion. Trunkenheit') (soweit wir dieselbe nicht als akute Alkoholvergiftung auffassen wollen l und andre. §. 3 7 .
Die Schuld.
Litteratur. Aufser der Litteratur zu §. 35 und 38: B e r n e r Imputationslehre 1843. D e r s e l b e Die Teilnahme und die Kontroversen über Dolus und Kulpa 1847. K r u g Dolus und Kulpa 1854. G e f s n e r Begriff und Arten des Dolus 1860. K u p p Modernes Recht und Verschuldung 1880. L u c a s Die subjektive Verschuldung- im heutigen Strafrechte 1883 (Z IV 141). I. Der uns heute selbstverständlich klingende Satz, dafs Schuld Begriffsmerkmal des Verbrechens, dafs ohne Schuld keine Strafe möglich sei, ist das Ergebnis einer langen, bisher wenig beachteten und auch gegenwärtig nicht abgeschlossenen Entwicklung. Erst allmählich nimmt der Begriff des Unrechts das Merkmal der Verschuldung in sich auf; an der Vertiefung der Schuldlehre bemifst sich der Fortschritt des Strafrechts. Wie es der religiösen Auffassung nicht widerstrebt, dafs die Sünden der Väter heimgesucht werden an Kind und Kindeskindern, wie in den Trauerspielen der Alten das blindwaltende Schicksal die Stelle der Verschuldung vertritt, so kennt auch das älteste Recht aller Völker Strafe ohne Schuld. Nach römischem Sakralrecht erregt die zufällige Rechtsverletzung in gleicher Weise den durch Sühne abzuwendenden Zorn der Götter wie die vorsätzliche, und noch die deutschen Volksrechte kennen die auf Geschlechter sich vererbende Blutschuld der Familie. *) Nach Mil.StGB. §. 49 bildet (ganz so wie bereits im gemeinen Recht) bei strafbaren Handlungen gegen die Pflichten der militärischen Unterordnung sowie bei allen in Ausübung des Dienstes begangenen strafbaren Handlungen die selbstverschuldete Trunkenheit des Thiters keinen Strafmilderungsgrund. Vgl. dazu H e c k e r 100, 106.
§. 37.
Die Schuld.
171
Ist so der Begriff der Schuld Belbst ein Erzeugnis rechtsgeschichtlicher Entwicklung, so sind es in um bo höherem Mafse die S c h u l d a r t e n . Dem römischen Strafrechte ist auf allen Stufen seiner Geschichte das f a h r l ä s s i g e Verbrechen als solches unbekannt geblieben. Der scharfsinnigen Durchbildung der aquilischen Kulpa läfst sich auf dem Gebiete des Strafrechts nichts gegenüberstellen, und die Beit Hadrian Bich mehrenden Versuche, die Strafe der Schuld entsprechend zu bemessen, hindern nicht, dafa culpa und casus einerseits und culpa und impetus anderseits zusammengeworfen werden.') Im deutschen Mittelalter entfallt bei Fahrlässigkeit (warlose, SSp. I I 38, wenn der Thäter ane sinen dank gehandelt hat) die peinliche Strafe. Gestützt auf die mittelalterlich italienische Wissenschaft erörtert PGO. in Art. 146 (im Anschlüsse an 1. 9, §. 4 und 1. 11 pr. D. 9, 2) das Wesen der fahrlässigen Tötung. Dieser Arikel sowie die Art. 136, 138, 180 bilden die Grundlage, auf welcher das gemeine Recht weiter arbeitet. Zu jedem Verbrechen wird böser Vorsatz, dolus erfordert. Bei Fahrlässigkeit liegt ein quasi-crimen vor, welches lediglich mit willkürlicher Strafe belegt werden kann. So z. B. Preufsen 1620 und ähnlich noch Bayern 1813. So ist die Kulpa zur allgemeinen Schuldform erhoben, ohne aber begriffliche Abgrenzung zu finden. Auch heute noch steht, wie wir sehen werden (unten §. 41), der Begriff des fahrlässigen Verbrechens, der in seiner Allgemeinheit den romanischen Rechten gänzlich fremd geblieben ist, durchaus nioht fest, während anderseits auch die Loslösung des Vorsatzes von dem unbestimmten , auch die subjektive Seite der Rechtswidrigkeit in Bich schließenden römischrechtlichen dolus malus nur erst als teilweise gelungen bezeichnet werden kann.
II. Nach heutiger Rechtsanschauung kann nur die s c h u l d h a f t e , von dem Schuldfähigen ausgehende, Rechtsverletzung Verbrechen sein. Die Richtigkeit und Bedeutung dieses Satzes wird durch die Erkenntnis nicht geschmälert, dafs auch das geltende Reichsrecht ihn durch vereinzelte Ausnahmen durchbrochen hat. Allerdings steht fest, dafs die zahlreich in den strafrecht') P e r n i c e Labeo II 244. — Die herrschende Ansicht nimmt an, das spätere römische Recht habe bei Tötung, Brandstiftung, Entweichenlassen von Gefangenen die fahrlässige Begehung von der vorsätzlichen unterschieden. Doch rechtfertigen die Quellen diese Behauptung nicht. B^ Kulpose Verbrechen im Gem. Rom. Rechte V 1877. Dagegen M218. — Die eigentümliche Ansicht von Bg Normen II 338, dafs die culpa lata des röm. Rechts Vorsatz mit Abzug des gemeinen Motives sei, wurde von P e r n i c e a. 0., W i n d s c h e i d §. 101, D e r n b u r g I §. 86 Note 6, B u r c k h a r d t Sinn und Gleichstellung von dolus und culpa lata im römischen Recht 1885 (Z VII 662) 133, L ö n i n g Z V I I 622, L u c a s 106, B r u c k Fahrlässigkeit 36 u. a. als unrichtig nachgewiesen. Vgl. auch V o i g t die X I I Tafeln 1883 (Z V 199).
172
§. 87. Die Schuld.
liehen Nebengesetzen sich findenden P r ä s u m t i o n e n der S c h u l d 2 ) zu diesen A u s n a h m e n n i c h t gerechnet werden dürfen. D e n n wenn das objektive R e c h t bis zu den Beweise des Gegenteils die Schuld — Vorsatz oder Fahrlässigkeit — als erwiesen annnimmt, vielleicht auch den Gegenbeweis dem Angeschuldigten aufbürdet, so erkennt es dadurcli an, dafs ohne Vorsatz oder Fahrlässigkeit eine B e s t r a f u n g nicht eintreten kann und soll. D u r c h die P r ä s u m t i o n einer Thatsaclie wird deren rechtliche B e d e u t u n g gerade besonders betont. D a g e g e n läfst es sich nicht in A b r e d e stellen, dafs, wenn auch nicht im R S t G B . selbst, so doch in einzelnen Nebengesetzen Bestimmungen sich finden, welche, von jedem Verschulden abseilend, die Strafe lediglicli an das Vorliegen des objektiven Thatbestandes k n ü p f e n . 3 ) D i e s e Erscheinung liifst sich beklagen, aber nicht einfach hinwegleugnen. 4 ) *) Vgl. B i n d i n g Normen I I 612, S c h m i d Die Präsumtionen im deutschen Reichsstrafrecht. Strafsburger Diss. 1884 (Z V I I 741). — Beispiele bieten aufser den Zoll- und Steuergesetzen: Gesetz betr. die Nationalität der Kauffahrteischiffe vom 26. Oktober 1867 §. 14; Handelsgesetzbuch (Fassung 1884) §. 249 c; Binderpestgesetz vom 21. Mai 1878 §. 3 Abs. 2; Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878 §. 10 Abs. 3; Erwerbsgenossenschaften-Gesetz vom 1. Mai 1889 §§. 142, 144. Besonders wichtig und interessant Prefsgesetz vom 7. Mai 1874 §!;. 20 und 21. Vgl. darüber unten §. 42. ') Ein durchaus unzweifelhaftes Beispiel bietet §. 137 Abs. 1 des Vereinszollgesetzes vom 3. Juli 1869: „Das Dasein der in Rede stehenden Vergehen und die Anwendung der Strafe derselben wird in den im §. 136 angeführten Fällen l e d i g l i c h d u r c h d i e d a s e l b s t b e z e i c h n e t e n T ( T a t s a c h e n begründet." Man vgl. ferner §. 20 des Gesetzes betr. die Besteuerung des Branntweins vom 24. Juni 1887: „Das Dasein der Defraudation der Verbrauchsabgabe wird in den durch die §§. 18 und 19 angegebenen Fällen durch die daselbst bezeichneten Thatsachen begründet. Wird jedoch in diesen Fällen festgestellt, dafs eine Defraudation der Verbrauchsabgabe nicht hat verübt werden können, oder wird nicht festgestellt, dafs eine solche beabsichtigt gewesen sei, so findet nur eine Ordnungsstrafe nach Mafsgabe des §. 26 statt.-' Ebenso §. 43 des Zucker«teuer-Gesetzes vom 9. Juli 1887. Das Reichsgericht hat in einer Reihe von Entscheidungen die Möglichkeit schuldfreier Verbrechen anerkannt. So 20. November 82 VII 240 (Wechselstempelsteuerges. vom 10. Juni 1869); 17. April 83 V I I I 182 (preufs. Kabinettsordre vom 10. Januar 1824, die Erhebung der Maischbottichsteuer betr.); 4. Juni 83 V I I I 390 und 414 (preufa. Gebäudesteuerges. vom 21. Mai 1861, bayr. Haussteuergesetz vom 15. August 1828 und 19. Mai 1881 und dazu v. B a r GS X X X V I I I 276 Note 2); 26. Mai 86 XIV 145 (Tabacksteuergesetz vom 16. Juli 1879). *) Am entschiedensten hat sich wohl B i n d i n g Normen I I 616 gegen die Annahme eines Deliktes ohne Schuld erklärt. Ihm folgt L u c a s
§. 38.
D e r Vorsatz.
173
Es tritt ferner nach geltendem Recht in einer Reihe von Fällen schwerere Strafe ein, wenn durch eine an sich schuldhafte Handlung ein unverschuldeter s c h w e r e r e r E r f o l g herbeigeführt wurde. Die schwerere Strafe wird hier also verhängt, auch wenn in Beziehung auf den schwereren Erfolg weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit des Thäters gegeben war. 6 ) III. Die Schuld ist Verantwortlichkeit für d e n e i n g e tretenen Erfolg. Ihre Arten sind V o r s a t z , d. i. die Voraussicht des Erfolges, oder F a h r l ä s s i g k e i t , d. i. die NichtVoraussicht des voraussehbaren Erfolges. Sie mufs stets im Augenblicke der willkürlichen Körperbewegung vorhanden sein. Späterer Eintritt, sowie späteres Entfallen der Schuld ist ohne juristische Bedeutung. 6 )
§. 38.
Der Vorsatz.
L i t t r r u t u r (aufser der zu §. 37 angegebenen): Bg Normen II 209, 403. H I 276. O r t l o f f GS X X X I V 401 (Z I I I 504). H e i t z Das Wesen des Vorsatzes 1885 (Z V 740). B ü n g e r Z V I 293. v. B u r i ÖS X L I 408. F r a n k Z X 1 (wichtig). H a v e n s t e i n GA X X X V I 37, H u t h e r GA X X X V I 445.
134. — Die Litteratur schwankt. Die Kommentatoren wollen, ohne zureichenden Grund, auch im KStGB. (bei den Übertretungen sowie bei den Unterlassungen) hierher gehörige Fälle annehmen. — F ü r die richtige Ansicht H I 258, O 238, 292, B i r k m e y e r Ursachenbegriff 53. ») Beispiele: StGB. 6$. 118, 178, 220, 221, 224 ff, 226, 227, 229, 239, 251, 307, 312, 314 bis 316, 321 bis 324, 326 bis 328, 340 u. a. Sprengstoffgesetz §. 5 Abs. 2; Gesetz betr. die Beseitigung von Ansteckungsstoffen vom 25. Februar 1876 §. 5; Nahrungsmittelgesetz §§. 12 bis 14; Rinderpestgesetz §. 4. — Die im Text vertretene Ansicht ist gemeine Meinung. Für dieselbe in feststehender Rechtsprechung R ; ferner G I I 143, M 196, O 338, S 270 Note 38, B i r k m e y e r Kausalzusammenhang 81, W a h l b e ' r g Z I I 207, v. R ö h l a n d Gefahr 55. Dagegen verlangen Fahrlässigkeit des Thäters in Beziehung auf den eingetretenen Erfolg B 482, Bg I 366, H I 326, I I 28, 819, L 46, S 396 (sich selbst widersprechend), B a u m g a r t e n Versuch 370, 378; ebenso die Entwürfe von Oesterreich, Rufsland, Norwegen. •) Daher ist die Annahme eines sogenannten d o l u s s u b s e q u e n s , d. h. eines dem schuldlosen Handeln nachfolgenden und dasselbe nachträglich ergreifenden Vorsatzes durchaus unzulässig. Und dasselbe gilt von dem sogenannten W e b e r s e b e n d o l u s g e n e r a l i s , einer Art von d o l u s a n t e c e d e n s . E r soll vorliegen, wenn der Thäter in der irrigen Voraussetzung, das Verbrechen bereits vollendet zu haben, eine weitere Handlung vornimmt, um die Spuren der That zu verdecken usw., und d a d u r c h erst den von ihm ursprünglich vorgesetzten Erfolg herbeiführt.
174
§. 38. Der Vorwitz.
I. Vorsatz 1 ) ist d a s V o r h e r s e h e n d e s E r f o l g e s d e r H a n d l u n g oder die Vorstellung von der Kausalität des Thuns oder Unterlassens. Vorsätzliche Handlung ist daher die H e r beiführung eines vorausgesehenen E r f o l g e s durch w i l l k ü r l i c h e K ö r p e r b e w e g u n g (oder durch Unterlassung), oder die willkürliche Körperbewegung begleitet von der Vorstellung ihrer Kausalität. Vorsatz ist überall dort, aber auch nur dort ausgeschlossen, wo diese Vorstellung fehlt. II. Eine nähere Betrachtung ergiebt: 1. Vorsatz ist nicht W u n s c h . Dieser schliefst die Vorstellung künftiger Veränderungen, aber nicht die Vorstellung der Kausalität der gegenwärtig vorgenommenen Handlung für dieselben in sich. Ich kann z. B. wünschen, aber nicht mir vorsetzen, dafs mein Gegner auf einer Eeise ins Gebirge oder auf einer Eisenbahnfahrt. zu welcher ich ihn bestimmt habe, verunglücke, oder vom Blitze unter dem Baume, unter den er sich auf mein Anraten gestellt hat. erschlagen werde; sowie es nur mein Wunsch, nicht mein Vorsatz ist. durch Ankauf eines Loses den Haupttreffer zu gewinnen (J 53). Hier wird die eigne Handlung nicht als zu den gegebenen Bedingungen hinzutretend, mithin nicht als verursachend vorgestellt, sondern diese selbst werden als möglicherweise eintretend gedacht. 2. Vorsatz ist nicht A b s i c h t , d . h . die Voraussicht des Erfolges als Beweggrund des Handelns. Absicht liegt vor, wenn ich u m der durch die Handlung zu bewirkenden Veränderungen in der Auisenwelt w i l l e n die Handlung vornehme; wenn jene Veränderungen das Z i e l , ihre Herbeiführung den Z w e c k meines Handelns bilden (vgl. oben §. 27 Xote 2). ') Der Ausdruck „Vorsatz" ist sprachlich wenig glücklich gewählt. 1. In den norddeutschen Quellen des Mittelalters bis ins 17. Jahrhundert hinein (vgl. z. B. Lübecker Stadtrecht 1586, 4. Buch, 16. Titel; F r e n s dorf f Verfassung von Lübeck 161, aber auch J o h n Strafrecht in Norddeutschland 167) Dedeutet vorsate ein besonderes, schwer zu bestimmendes Delikt; in Süddeutschland ist Fürsatz gleich „mit beratenem Mute", also soviel wie Vorbedacht. 2. Der dolus malus des römischen Rechte ist rechtswidrige Absicht und hat gleichfalls mit dem heutigen Vorsatz nichta gemein. 3. Auch der Sprachgebrauch unserer Tage schwankt; insbesondere werden einerseits Vorsatz und Absicht, anderseits Wille und Vorsatz vielfach als gleichbedeutend gebraucht. Beweis dafür die sofort im Texte zu erwähnende Unsicherheit in der Ausdrucksweise des RStG-B. — Um so wichtiger für die Wissenschaft ist feste Begriffsbestimmung und gleichbleibender Sprachgebrauch.
§. 38.
Der Vorsatz.
176
Vielfach hat die Reichsgesetzgebung das Merkmal der A b s i c h t in den Thatbestand einzelner Verbrechen aufgenommen. Die Ausdrucksweise des Gesetzes ist in diesen Fällen keine gleichmäfsige. Bald heilst es: ..wer in der A b s i c h t " oder „wer a b s i c h t l i c h . . . ' 1 ; bald wieder: „wer zu dem Z w e c k e . . . " ; bald auch: „wer u m z u . . . - 2 ) In allen diesen Fällen bedarf es sorgfältiger Prüfung des von dem Gesetzgeber mit diesem Worte verbundenen Sinnes. Sehr häufig bedeutet die „Absicht" des Gesetzgebers: A b s i c h t in unserm Sinne, also Beweggrund des Handelns; häufig aber auch (so z. B . in S t G B . §. 266) nichts weiter als die Voraussicht des Erfolgs, mihin V o r s a t z . J e d e allgemeine Regel wäre mithin irrtümlich; nur für den Einzelfall läfst sich die Entscheidung der Frage geben, ob Absicht, ob Vorsatz gefordert wird. E s mufs darum auf den besondern Teil unserer Darstellung verwiesen werden. 3. Vorsatz ist nicht W i l l e . Dieser bedeutet (oben §. 27 Note 2) die Anspannung der Muskeln. Nur die Körperbewegung ist gewollt, niemals der Erfolg. 3 ) I I I . Der Vorsatz bezieht sich auf den Erfolg als die Wirkung der Körperbewegung; d. h. auf die Handlung, soweit diese unter den g e s e t z l i c h e n B e g r i f f eines b e s t i m m t e n Verbrechens, sei es der regelmäfsigen, sei es einer schwerern Erscheinungsform desselben, fällt. Der Vorsatz kann demnach auch bestimmt werden als das w i s s e n t l i c h e V e r w i r k lichen sämtlicher Deliktsmerkmale.4) 3 ) Vgl. S t G B . §§. 124, 143, 146, 242, 249, 263, 266, 266, 267, 268, 272, 274, 281, 307, 346, 349. — S t G B . §§. 129, 147, 151, 177, 191, 236, 267, 270, 273. — S t G B . §§. 87, 146, 229, 234, 23«, 237, 252, 267, 298, 307, 333, 334, 343. — 81, 106, 114, 122, 169. ') Abweichend die herrschende Ansicht. M 202 bestimmt den Vorsatz als den „Willen, etwa im gegebenen Falle zu thun, was das Gesetz im allgemeinen unter Strafe gestellt hat." B ü n g e r Z V I 339 sagt: „Vorsatz ist der verbrecherische W i l l e , welcher das in der Vorstellung des zu erwartenden Eintritts des rechtsverletzenden Erfolges liegende sittliche Gegenmotiv handelnd überwindet." — Die Schwäche der herrschenAnsicht liegt in der Unklarheit ihres Willensbegriffes. Vgl. die überzeugenden Nach Weisungen von F r a n k . Sehr bestimmt im Sinne des Textes R 24. November 87 X V I 363, 26. Oktober 88 X V I I I 167. („Vorstellungstheorie" im Gegensatz zur „Willenstheorie.") Ahnlich Z i e b a r t h 342, B a u m g a r t e n Versuch 193, 349 (und schon früher B e k k e r Lehrbuch 278). ') Das S t G B , verwendet den Ausdruck „wissentlich", bez. „wider besseres Wissen'.', zumeist in Beziehung auf e i n z e l n e Deliktsmerkmale.
176
g. 88.
Der Vorsatz.
Der Vorsatz bezieht sich dagegen n i c h t auf die j u r i s t i s c h e B e d e u t u n g der Handlung, oder, wie wir auch sagen können, auf den a l l g e m e i n e n Thatbestand der Verbrechen; also nicht auf die Geltung der Strafrechtssätze, auf die Zurechnungsfähigkeit. auf Vorsatz und Fahrlässigkeit selbst, auf die Frage nach Versuch oder Vollendung. Thäterschaft oder Teilnahme, Einheit «der Mehrheit der Handlung, auf das Vorliegen einer Bedingung der Strafbarkeit oder einer Prozefsvoraussetzung. Insbesondere aber umfafst der Vorsatz nicht das B ew u f s t s e i n der R e c h t s w i d r i g k e i t : und gänzlich verkehrt ist es. in diesem gerade das Wesen des Vorsatzes erblicken zu wollen.8) I V . Aus dem Begriffe des Vorsatzes ergiebt sich, dafs vorsätzliche Herbeiführung des Erfolges stets schon dann anzunehmen ist, wenn der Thäter den Eintritt des Erfolges vorausgesehen hat. a u c h w e n n d i e s e V o r a u s s i c h t n i c h t B e w e g g r u n d s e i n e s H a n d e l n s w a r . W e r weifs, dafs seine Beteiligung an der Kriegsanleihe eines von Deutschland bekämpften Staates dessen Verteidigungskraft erhöhen werde, hat vorsätzlichen Landesverrat begangen, auch wenn es ihm nur um den Gewinn aus der Beteiligung zu thun war: wer sich bewufst ist. dafs die auf ein Schiff verladene SprengVgl. StGB. §§. 144. 153. 257, 273, Ü75, 287; 131, 171. 338; 164, 187, 189, 278; 127. 259, 345. 358. *) Somit erscheint uns der bereits oben 311V 6 angedeutete Satz, dafs die Rechtswidrigkeit der Handlung l e d i g l i c h o b j e k t i v zu beurteilen sei, als Ausfluß eines allgemeinen Grundsatzes und damit zugleich in neuer und schärferer Beleuchtung. Die zahlreichen Mif9Verständnisse, welche in der heutigen Litteratur an die Erörterung jenes Satzes sich knüpfen, hätten vermieden werden können, wenn man diesen Zusammenhang im Auge behalten hätte. Entscheidend ist die Erkenntnis, dafs bei den beiden Schuldarten Vorsatz und Fahrlässigkeit lediglich die Beziehung zwischen dem Vorstellungsleben des Thäters und dem V e r b r e c h e n a l s H a n d l u n g , d. h. a l s H e r b e i f ü h r u n g e i n e r V e r ä n d e r u n g in d e r A u f s e n w e l t in Frage steht.. Das wird noch einleuchtender, wenn man im Auge behält, dafs Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht nur auf dem Gebiete des rechtswidrigen, sondern auch auf dem des rechtlich gleichgültigen Handelns in der gleichen Weise wiederkehren. Nicht nur der Wilddieb, sondern auch der Jagdberechtigte kann ein Stück Wild vorsätzlich oder fahrlässig töten; und nicht nur eine fremde, sondern auch meine eigne bewegliche Sache kann ich vorsätzlich oder fahrlässig zertrümmern. Gerade deshalb pflegte man früher die nähere Bestimmung beizufügen: dolus m a l u s , b ö s e r Vorsatz. Vgl. auch die folgenden Paragraphen.
§. 38.
177
Der Vorsatz.
m&schine den Tod von Menschen nach sich ziehen werde, hat diese vorsätzlich getötet, auch wenn er die Handlung nur um der Versicherungssumme willen unternommen hatte; die Frauensperson, welche weifs, dafs sie syphilitisch erkrankt sei, und dennoch aus Gewinnsucht den Beischlaf vollzieht, kann sich der vorsätzlichen Gesundheitsbeschädigung schuldig machen usw. Voraussicht des Erfolges ist nicht nur dann anzunehmen, wenn der Thäter den Eintritt des Erfolges f ü r s i c h e r , sondern auch dann, wenn er ihn f ü r m ö g l i c h hält. Die Voraussicht der Möglichkeit des Erfolges genügt aber zur Annahme des Vorsatzes nur unter der Voraussetzung, dafs die Überzeugung von dem sicheren Eintritte des Erfolges den Thäter von der Begehung der Handlung nicht abgehalten hätte; wenn also, wie wir wohl sagen dürfen, der Thäter in den Erfolg eing e w i l l i g t hat. 6 ) V. Die Vorstellung des Erfolges der Handlung kann eine mehr oder weniger bestimmte sein, wenn sie auch niemals weder eine ganz unbestimmte sein darf, noch sämtliche Einzelheiten umfassen kann. 7 ) Der Thäter mufs die Glieder der von ihm durch seine Körperbewegung angeregten Kausalkette im a l l g e m e i n e n kennen, ihren Verlauf übersehen, ihre Wirkung sich vorstellen. Die Vorstellung des Erfolges mufs b e s t i m m t sein, um als solche sich von Wünschen und Hoffnungen zu unterscheiden. Aber diese Bestimmtheit, deren Mindestgrenze sich durch eine allgemeine Formel nicht unverrückbar feststellen läfst, kann mehr oder weniger genau sein; alle Menschen, die aus diesem Brunnen trinken, der mir unbekannte Einsender einer mich beleidigenden Zeitungsnachricht, der eben des Weges daherkommende Wandersmann, die in dem zu erbrechenden Schranke befindlichen, mir nicht näher bekannten Gegenstände, sie alle sind genügend bestimmte Gegenstände meines Vorsatzes. „Es mufs genügen," sagt R 29. März •) S t o o f s Schweizer StrRZ. I 626. — Auch der sog. „eventuelle Vorsatz" 18t unter dieser Voraussetzung Vorsatz. Das ist auch im wesentlichen der Standpunkt des Reichsgerichts. Gegen die Neigung desselben zu noch weiterer Anspannung des Begriffes vgl. F r a n k a. 0 . (auch S e u f f e r t Ital. Entw. 146). 7 ) Vgl. Bg Normen II 412; Z i t e l m a n n Irrtum und Rechtsgeschäft 433, 624; S i g w a r t Begriff des Wollens 194; H I 285ff. TOD L i B i t , Strafrecht. 4. Aufl.
12
178
§. 39. Das Bewnfitsein der Rechtswidrigkeit.
1882 V I 146, wenn der Zusammenhang zwischen verursachender Handlung und schädigendem Erfolge im w e s e n t l i c h e n in s e i n e n H a u p t z ü g e n so weit erkennbar ist, dafs an der geschlossenen Einheit der Kette sich kausal bedingender Ereignisse nicht gezweifelt zu werden braucht und dieser Zusammenhang insoweit auch zur Schuld zugerechnet werden kann." Will man den nicht in allen Einzelheiten bestimmten (aber niemals ganz unbestimmten) Vorsatz als dolus indeterminatus bezeichnen, so ist gegen diese Bezeichnung wenig einzuwenden, mit ihr aber auch nichts gewonnen. Dagegen ist die Annahme eines i n d i r e k t e n Vorsatzes entschieden zu verwerfen. Dolus ¡»directus soll nach gemeinrechtlicher Auffassung vorliegen, wenn der Thäter bei Begehung eines Verbrechens andre, von ihm nicht vorhergesehene, aber aus der That entsprungene und vielleicht auch leicht aus ihr entspringende Folgen herbeigeführt hat (so z. B. Körperverletzung mit tödlichem Ausgang). Diese Annahme fallt mit der Erwägung, dal's ein nicht vorgestellter Erfolg auch durch das versari in re illicita niemals zu einem vorgestellten werden kann. 8 )
§. 39.
Das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit.
Lltteratnr. O e t k e r Einflufs des Rechtsirrtums 1876. Bg Normen II 60, 310. Z i t e l m a n n Irrtum und Rechtsgeschäft 1879. v. B a r GS XXXVIII 252 (Z VII 737). H I 250. H e i n e m a n n Die Bindingsche Schuldlehre 1889. H a m m e r e r Der Einflufs des Rechtsirrtums auf die Bestrafung 1890.
I. Der Begriff des Vorsatzes schliefst das Bewufstsein der *) Der dolus indirectus verdankt seine Entstehung den Bedürfnissen der Rechtspflege, welchen die sog. Willenstlieorie (ob. Note 3) niemals zu genügen imstande war. Schon von C a r p z o v und L e y s e r vertreten, duren v. X e t t e l b l a d t - G l ä n z e r s Diss. de homicidio ex intentione indirecta commisso (1756, 3. Aufl. 1772) zur Herrschaft gebracht, von B ö h m e r vergeblich bekämpft, findet er sich in Wissenschaft und Gesetzgebung des 18. Jahrhunderts bald als ein gesetzliche B e w e i s r e g e l (so Bayern 1751, ALR 27), bald als selbständige S c h u l d a r t ( S o d e n s „einwilligende Schuld", F e u e r b a c h s culpa dolo determinata) und hat sich noch im geltenden Rechte Rufslands und Österreichs (vgl. Z V I I I 348) erhalten. Sein letzter Ausläufer in der deutschen Strafgesetzgebung ist der Erfolg als Bedingung schwerer Strafbarkeit (vgl. oben §. 37 Mote 6).
§. 89. Das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit.
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Rechtswidrigkeit n i c h t in sich. 1 ) Aber auch n e b e n dem Vorsätze, als etwas zu diesem selbständig h i n z u Tretendes, darf das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit im allgemeinen n i c h t gefordert werden. Eine solche Forderung würde, und das ist der ausschlaggebende Grund, die Rechtspflege geradezu lahmlegen, indem sie ihr den Nachweis in jedem einzelnen Fall aufbürdet, dafs der Thäter die von ihm übertretene Vorschrift gekannt habe. Sie darf daher um so weniger gestellt werden, als sie im Gesetze keinerlei Stütze findet2) und zu der gemeinen Meinung aller Zeiten in den schärfsten Widerspruch tritt. 8 ) II. Die eben aufgestellte Regel erleidet jedoch eine wichtige Ausnahme. Überall dort, wo das Gesetz das Merkmal der ' ) Dagegen insbesondere B i n d i n g , welcher (Normen I I 403) den Vorsatz geradezu als den b e w u f s t r e c h t s w i d r i g e n W i l l e n bestimmt. Ihm folgen O e t k e r , O l s h a u s e n und H a m m e r e r . Gegen diese Ansicht ist einzuwenden: 1. Das Gesetz selbst trennt „vorsätzlich" und „rechtswidrig" ganz scharf; so StGB. 136, 139, 239,299, 303, 304, 305 u. a. — 2. Der Bindingsche Vorsatzbegriff beruht auf der ganz verkehrten Annahme eines unbewußten Wollens (oben Sj. 27 Note 2). — 3. E r ist ohne Folgewidrigkeit gar nicht durchführbar. B i n d i n g selbst verlangt das Bewufstsein, dafs die Handlung eben jener e i n z e l n e n Norm widerstreite, gegen welche sie gerichtet ist. Das ist aber etwas durchaus andres, als das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit überhaupt. — 4. Die Bindingsche Ansicht führt zu handgreiflichen Unmöglichkeiten. So müfste der Räuber z. B. die drei (!) Normen kennen, gegen welche er sich vergeht, wenn Verurteilung möglich sein sollte; bei Raub unter Marterung eines Menschen sind sogar „vier Vorsätze" nötig (Normen I I 480, und dazu H 1 266 Note 1). — 6. Sie beruht auf der durchaus willkürlichen Unterscheidung von Delikts- und Strafbarkeitsmerkmalen. — 6. Sie verkennt, dafs Rechtswidrigkeit und Verursachung völlig verschiedene Begriffe sind. ' ) Dafs §. 59 nicht hierhergezogen werden kann, wie B i n d i n g , O r t m a n n , O e t k e r u. a. behaupten, ergiebt sich unzweifelhaft aus dem Wortlaute des Gesetzes („Thatumstände") und wird auch von O 299 wie von H a m m e r e r 30 ausdrücklich zugegeben. Vgl. H e i n e m a n n 122. ') Der im Texte vertretenen Ansicht folgt auch das Reichsgericht mit steigender Entschiedenheit. Man vgl. z. B. R 19. Febr. 85 X I I 275, 17. Januar 87 X V 158, 28. Mai 89 X I X 252. Ebenso G I 111, M 198, W 146 und GS X VI 56, L u c a s Subjektive Verschuldung 66, K o h 1 e r Patentrecht 531, Markenschutz 356, B r u c k Fahrlässigkeit 22, H e i t z Vorsatz 16, S i m o n GS X X X I I 4 2 5 , v. B a r G S X X X V I I I 2 5 2 ; insbesondre aber H e i n e m a n n a. O. — Die Gegner, unter sich uneins, verlangen Bewufstsein bald der Rechtswidrigkeit, bald der Strafbarkeit, bald der Staatswidrigkeit, bald der Gesellschaftswidrigkeit, bald der Pflichtwidrigkeit, bald der Normwidrigkeit, bald der Strafwürdigkeit; Ml 68 will Möglichkeit des Bewufstseins der Pflichtwidrigkeit, J 106 Bewufstsein der Möglichkeit der Rechtswidrigkeit. Man vgl. H I 198, 253, L 31. 35, O 300, B ü n g e r Z VI 340, v. B u r i Kausalität 36 (Z V 734), O r t l o f f GS X X I V 410, S e u f f e r t Italien. Entw. 144. 12*
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§• 39. Das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit.
Rechtswidrigkeit in den Thatbestand eines Verbrechens aufgenommen hat, mufs Bewufstsein der Rechtswidrigkeit auf seiten des Thäters gefordert werden. 4 ) E s ist ferner darauf hinzuweisen, dafs einzelne Nebengesetze besondre Bestimmungen über den Einflufs des sogenannten Rechtsirrtums enthalten. I I I . Nunmehr tritt der bereits oben §. 3 1 I V 6 aufgestellte Satz, dafs das Merkmal der Rechtswidrigkeit ohne Rücksicht auf den guten oder schlechten Glauben des Thäters streng objektiv zu prüfen s e i . in das richtige Licht. Isach zwei verschiedenen Richtungen wird er von Bedeutung. 1. I r r i g e A n n a h m e , dafs die an sich n i c h t r e c h t s w i d r i g e H a n d l u n g r e c h t s w i d r i g sei. schadet d e m T h ä t e r n i c h t . D a s W a h n v e r b r o c h e n oder Putativdelikt ist nicht Verbrechen, insbesondere auc-h nicht versuchtes (fehlgeschlagenes Verbrechen.") Zwei Fülle sind liier möglich, aber in gleicher AVeise zu erledigen. a) Der Thäter nimmt irrigerweise die Rechtswidrigkeit einer 4 ) Vgl. oben Sj. 31 Note 3. In dem oben Gesagten liegt auch die gesetzgeberische Rechtfertigung dieser Ausnahme. Das Reichsgericht wendet Bich auch in dieser Frage mehr und mehr der im Texte vertretenen Ansicht zu. Vgl. R 22. Juni 81 IV 328, 15. Februar 83 VIII 104, 11. Mai 85 XII 194, 26. März 89 XIX 209. Ebenso B o r c h e r t Verantwortlichkeit 28. Vgl. insbes. auch H e i n e m a n n 118. Dagegen neuerdings K r o n e c k e r GS XXXVIII 495, L u c a s Verschuldung 60, S t o o f s Schweizer StrRZ. I 524. Vereinszollgesetz 163: „Unbekanntschaft mit den Vorschriften dieses Gesetzes und der infolge desselben gehörig bekannt gemachten Verwaltungsvorschriften soll niemand, auch nicht den Ausländern zur Entschuldigung gereichen." — NachdruckBgesetz §. 18 Abs. 2: „Die Bestrafung des Nachdrucks bleibt ausgeschlossen, wenn der Veranstalter desselben auf Grund entschuldbaren, thatsächlichen oder rechtlichen Irrtums in gutem Glauben gehandelt hat." Ebenso in den Urheberrechtsgesetzen vom 9., 10. und 11. Januar 1876. •) Das Wahnverbrechen wird vielfach mit dem untauglichen Versuch verwechselt; so von Ml 130, S c h a p e r H H I I 121. Richtig Bg I 692, L 19, S 99, H ä b e r l i n GA X I I I 237, B a u m g a r t e n 359. Verschieden von dem Wahnverbrechen ist der V e r b r e c h e r w a h n , bei welchem der Thäter die Rechtswidrigkeit seiner Handlung kennt, aber, vermeintlich höheren Pflichten gehorchend, sich bewufst über die Rechtsordnung hinwegsetzt. Auch der Verbrecherwahn bleibt, aber aus andern Gründen, ohne Einflufs auf die Beurteilung der That. Vgl. Mil.-StGB. §. 48: „Die Strafbarkeit . . . ist dadurch nicht ausgeschlossen, dafs der Thäter nach seinem Gewissen oder den Vorschriften seiner Religion sein Verhalten für geboten erachtet hat."
§. 39. Das Bewufstsein der Rechtawidrigkeit
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ü b e r h a u p t nicht rechtswidrigen Handlung an. Die Frauensperson, welche mit Angehörigen ihres Geschlechts widernatürliche Unzucht treibt, ist überzeugt, sich einer rechtswidrigen und strafbaren Sodomiterei schuldig zu machen; der ViehZwischenhändler, welcher unter Ausbeutung der Notlage des Kleinbauern diesem das Jungvieh um einen Sündenpreis abnimmt, glaubt, dadurch gegen das Wuchergesetz zu verstofsen. In allen diesen Fällen liegt ein Verbrechen nicht vor. b) Der Thäter nimmt irrigerweise an, dafs eiD Umstand, w e l c h e r d i e R e c h t s w i d r i g k e i t einer im allgemeinen rechtswidrigen Handlung a u s s c h l i e f s t , nicht vorliege, obwohl er im gegebenen Falle thatsächlich vorhanden ist. Die Wache, welche von der Waffe Gebrauch gemacht hat, ist der irrigen Ansicht, dazu nicht berechtigt gewesen zu sein; der Lehrherr nimmt irrtümlich an, die Grenzen des ihm zustehenden Zuchtrechts überschritten zu haben. Auch hier kann von einem Verbrechen keine Rede sein. 2. I r r i g e A n n a h m e , dal's d i e o b j e k t i v r e c h t s w i drige Handlung nicht r e c h t s w i d r i g s e i , n ü t z t dem T h ä t e r n i c h t ; der Irrtum über die dem Strafgesetze zu Grunde liegenden Gebote und Verbote bleibt einflufslos. Auch hier aber sind zwei gleich zu behandelnde Fälle zu unterscheiden. a) Der Thäter nimmt irrigerweise an, dafs eine im allgemeinen rechtswidrige Handlung ü b e r h a u p t nicht rechtswidrig sei. Der Wucherer weifs nicht, dafs das Wuchergesetz seine Handlungsweise unter Strafe gestellt hat; der Bordellwirt meint, durch die polizeiliche Genehmigung geschützt zu sein. Diese Handlungen sind trotz dieses Irrtums Verbrechen, wie sie es ohne diesen Irrtum wären. b) Der Thäter nimmt irrigerweise an, dafs die von ihm als im allgemeinen rechtswidrig erkannte Handlung unter eine jener A u s n a h m e n falle, in welchen die Rechtswidrigkeit als ausgeschlossen erscheint. Der Thäter glaubt sich in Notstand oder einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffe gegenüber zu befinden, oder Träger eines Züchtigungsrechtes zu sein. Es liegt kein Grund vor, diese Fälle anders zu behandeln als die
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§• 40. Fortsetzung: Der Irrtnm.
unter a besprochenen.7) flufslos bleiben.
§. 40.
Auch hier also mufs der Irrtum ein-
Fortsetzung: Der Irrtum.
Litteratur. Aufser den zum vorigen Paragraphen angeführten Schriften: P f o t e n h a u e r Der Einflufs des Irrtums auf die Strafbarkeit 1638/39. L u d e n Abhandlungen II. S t o c k a r Die Lehre'von der Aberration 1864.
I. Irrtum ist N i c h t ü b e r ei nsti mm ung zwischen der Vorstellung und der "Wirklichkeit, zwischen der V o r s t e l l u n g d e s T h ä t e r s über die verursachende Bedeutung der von ihm vorgenommenen Körperbewegung und dem t h a t s ä c h l i c h eing e t r e t e n e n E r f o l g . Der Irrtum s c h l i e f s t mithin, soweit er reicht, die Z u r e c h e n b a r k e i t d e s E r f o l g e s zum V o r s a t z des Thäters aus. Aber wie sich der Vorsatz nicht auf die sämtlichen Einzelheiten in dem Verlauf der Kausalreihe zu erstrecken braucht (oben S. 177), so bedarf es auch, damit der eingetretene Erfolg zum Vorsatze zugerechnet werden kann, keiner v o l l k o m m e n e n , alle Einzelheiten umfassenden Ubereinstimmung zwischen dem vorgestellten und dem eingetretenen Verlauf. Die V o r s t e l l u n g von den durch die Handlung zu verursachenden Veränderungen und diese V e r ä n d e r u n g e n selbst müssen sich decken; aber „nicht wie zwei kongruente Dreiecke" ( B i n d i n g ) , sondern in allen w e s e n t l i c h e n Punkten. N u r der I r r t u m in B e z u g a u f e i n e n wesentlichen P u n k t s c h l i e f s t den Vorsatz aus. Die Nichtübereinstimmung zwischen dem vorgestellten und dem thatsächlich eingetretenen Verlaufe der Handlung schliefst mithin die Zurechenbarkeit des Erfolges zum Vorsatze dann n i c h t aus, wenn die Abweichung nur e i n z e l n e und gegenüber dem Gesamtbilde der Handlung nur u n w e s e n t l i c h e Punkte ') Dagegen Bg I 751 Normen II 69, J 120, M 197, 221, W 179; Z i e b a r t h 343; richtig v. B a r ö S XXXVIII 257, H e i t z Vor«atz 38. Auch die Rechtsprechung des Reichsgerichts weist hier bedenkliche Schwankungen auf, welche zum grofsen Teil auf die haltlose Unterscheidung von That- und Kechtsirrtum (vgl. unten §. 40 Note 2) zurückgeführt werden können.
§. 40. Fortsetzung: Der Irrtum.
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betrifft. So wäre meines Erachtens vorsätzliche Tötung in folgenden Fällen anzunehmen: Der Angeklagte dringt mit geladenem Revolver auf seine Geliebte ein, in der eingestandenen Absicht sie zu erschiefsen; im Ringen berührt die Bedrohte selbst den gespannten Hahn und wird tödlich getroffen. — A. wirft den B. über die Brücke, um ihn zu ersäufen; B. schlägt auf dem Brückenpfeiler auf und zerschmettert sich die Schädeldecke. — Der Wildschütze legt auf den Jäger an, um ihn zu erschiefsen; dieser macht unwillkürlich einen Seitensprung und stürzt dabei in den Abgrund. 1 ) — Vorsätzlicher Diebstahl ist anzunehmen, wenn der Dieb, der in dem verschlossenen Kästchen gegen 1000 Mk. Bargeld vermutet, zu seiner Freude in demselben 10000 Mk. in Schmucksachen findet. Dagegen kann ein Umstand dadurch zu einem w e s e n t l i c h e n werden, dafs er, u n t e r A u s s c h l u f s a l l e r a n d e r n e n t s p r e c h e n d e n U m s t ä n d e a u s d e r V o r s t e l l u n g , mit vollster Bestimmtheit von dem genau bestimmten Vorsatze umfafst wurde. Dies trifft nicht nur dann zu, wenn der Thäter die verursachende Bedeutung der Handlung in Bezug auf jenen Umstand für ganz ausgeschlossen erachtete, sondern auch dann, wenn er die Anwendung dieses Erfolges jederzeit in seiner Hand zu haben vermeinte, wenn also die Voraussetzung des Erfolges ihn von der Vornahme der Handlung abgehalten hätte. II. Begrifflich bezieht sich also der Irrtum nur auf die Herbeiführung des Erfolges, auf diese aber ohne Einschränkung. Lediglich diesen durchaus selbstverständlichen Satz enthält der gänzlich überflüssige §. 59 Abs. 1 StGB.: „Wenn jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vorhandensein von Thatumständen nicht kannte, welche zum gesetzlichen Thatbestande gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, so sind ihm diese Umstände nicht zuzurechnen." Es liegt also vorsätzlicher Diebstahl nicht vor, wenn ich die Eigenschaft der Sache als einer fremden; es liegt Aszendententotschlag nicht vor, wenn ich die Eigenschaft des Erschlagenen als meines Aszendenten nicht kannte. Dagegen ') In diesem letzten Falle, welcher hart an der Grenze steht, sind a. A.: L 34, M 205, v. R o h l a n d Gefahr 72 Note 2.
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§. 40. Fortsetzung: Der Irrtum.
bleibt I r r t u m in B e z u g auf eins der übrigen Verbrechensmerkmale, insbesondere in B e z u g auf die Rechtswidrigkeit der Handlung (vgl. oben §. 39) gänzlich aufser Betracht. I I I . I n allen Füllen des I r r t u m s macht es keinen Unterschied , ob derselbe auf einer unrichtigen Beurteilung der T h a t s a c h e n , oder auf einer irrigen A u f f a s s u n g der in F r a g e kommenden R e c h t s s ä t z e , oder endlich auf einer irrtümlichen A n w e n d u n g dieser auf jene, einer irrigen S u b s u m t i o n der Thatsachen unter das Gesetz beruhte. D i e U n t e r s c h e i d u n g v o n T h a t - u n d R e c h t s i r r t u m hat im S t G B , aus guten Gründen keine Anerkennung gefunden. D a m i t entfällt auch die Unterscheidung des S t r a f r e c h t s - I r r t u m s von den übrigen F ä l l e n des R e c h t s i r r t u m s . 2 ) IV. Die aufgestellten Grundsätze reichen völlig aus, um alle Fälle des Irrtums über die verursachende Bedeutung der Handlung zu erledigen. Es liegt durchaus kein Grund vor, die dem gemeinen Rechte in diesem Gegensatze fremden, erst im 19. Jahrhunderte eingebürgerten Schulbegriffe der aberratio ictus und des error in objecto oder in persona weiter beizubehalten. 1. Im Sinne der herrschenden Ansicht liegt a b e r r a t i o i c t u s vor, wenn der Erfolg bei einem andern als dem vorgestellten Objekte eintritt und diese Abirrung des Erfolges zurückzuführen ist a u f ä u f s e r e U m s t ä n d e . Hier soll die Zurechnung des eingetretenen Erfolges stets ausgeschlossen sein, vielmehr Zusammentreffen eines versuchten vorsätzlichen mit einem vollendeten fahrlässigen Verbrechen angenommen werden. Das ist falsch. Auch hier entscheidet vielmehr lediglich der oben aufgestellte Grundsatz, dafs nur die w e s e n t l i c h e Nichtübereinstimmung zwischen Vorstellung und Erfolg zu berücksichtigen ist, so dsf9 die Zurechnung zum Vorsatze bald als ausgeschlossen, bald als unvermeidlich betrachtet werden mufs. Wenn ein Wildschütze auf den schönsten Bock ") Ebenso im wesentlichen JBg Normen I I 607 Grundrifs 101, L 36 O e t k e r 83, besonders aber v. B a r 270. Auf dem gleichen Standpunkte steht BGB. Dagegen R in einer Reihe von Entscheidungen. Mit der gemeinen Meinung nimmt R an, dafs Irrtum in Bezug auf das Strafgesetz einflufslos bleibe, jeder andere Rechtsirrtum aber ebenso wie der Thatirrtum entschuldige. Der Wortlaut des §. 59 („Thatumstände . . . gesetzlicher Thatbestand") beweist jedoch, dafs insbesondere auch die Subsumtion mit umfafst werden soll. Und mit Recht. Wenn auch die Unterscheidung von That - und Rechtsirrtum überhaupt durchgeführt werden kann und wegen unsres Rechtsmittelsystems durchgeführt werden mufs, so setzt sie doch eine solche Gewandtheit in juristischer Abstraktion voraus, dafs es geradezu verkehrt wäre, dieser Abstraktion in dem Vorsatze des Verbrechers nachspüren und auf Grund einer nachträglichen Untersuchung derselben über Schuld oder Unschuld urteilen zu wollen. Dagegen H e i n e m a n n 184, H a m m e r e r 3.
§. 41. Die Fahrlässigkeit.
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in einem Rädel Gemsen anlegt und infolge des „Abirrens" seine« Schusses den zweitbesten trifft, so kann diese Nichtübereinstimmung zwischen Vorstellung und Erfolg doch sicherlich nicht als eine wesentliche bezeichnet werden. Und dasselbe wird angenommen werden müssen, wenn bei einer allgemeinen Wirtshausbalgerei eine „Ablenkung41 des Schlages auf einen andern als den ursprünglich ins Auge gefafsten Gegner stattfindet. 2. E r r o r in p e r s o n a (in objecto) nimmt die herrschende Ansicht dagegen an, wenn der Eintritt des Erfolges bei einem andern als dem vorgestellten Objekte zurückzuführen ist auf e i n e n I r r t u m (eine Verwechselung) des T h ä t e r s . Hier soll der Irrtum stets als unwesentlich betrachtet, die Zurechnung des Erfolges zum Vorsatze stets ausgeschlossen sein, vorausgesetzt, dafs die beiden Objekte dem in Frage stehenden Verbrechensbegriffe gegenüber von gleicher strafrechtlicher Bedeutung Bind. Diese Auffassung unterliegt geringem Bedenken als die zu 1 erwähnte. Jedenfalls aber entbehrt die grundsätzliche Unterscheidung dieser Fälle von denjenigen der Abirrung jeder innern Berechtigung.*)
§.41.
Die Fahrlässigkeit.
Litteratnr. v. B a r in Grünhut I I I 21. v. P r i t t w i t z GA XXX 145 (Z III 184). W a h l b e r g Klein. Schriften I I I 268 (Z II 688). B r u c k Zur Lehre von der Fahrlässigkeit im heutigen deutschen Strafrecht 1885 (Z VI 402); dazu die Besprechung von B i r k m e y e r Krit. VJSchrift Neue Folge X 687 und dagegen wieder B r u c k GA XXXVI 420. — K ü h n e r Die Kunstfehler der Arzte vor dem Forum der Juristen 1886 (Z VII 235). O r t l o f f Die strafbare Fahrlässigkeit bei Ausübuug der Heilkunst 1888 (Z IX 682). Vgl. auch die Z VIII 93 angeführten Schriften. I. Der Begriff der Fahrlässigkeit hat sich als a l l g e m e i n e r Begriff auf dem Gebiete des Strafrechts erst allmählich und langsam entwickelt. E i n z e l n e fahrlässige Verbrechen sind es gewesen — so die fahrlässige Tötung —, welche Wissenschaft und Rechtsprechung zumeist beschäftigen. So kann es uns nicht wunder nehmen, wenn die Entwicklung noch immer nicht abgeschlossen ist, und noch in unserm geltenden Rechte sich verschiedene Entwicklungsstufen nebeneinander vertreten ') R steht auf dem Standpunkte der herrschenden Ansicht. Verl. R. 28. September 80 II 336, 14. Februar 81 I I I 384, 29. Dezember 88 XVIII 337, 25. April 89 XIX 179. — Das gemeine Recht hat die Abirrung steta ebenso wie den Irrtum in der Person behandelt (z. B. Preufsen 1721), und regelmäßig in beiden Fällen, gestützt auf C l a r u s und C a r p z o v (sächsische Konstit. IV 6), vollendetes vorsätzliches Verbrechen angenommen (milder freilich D a m h o u d e r u. a.). Noch Oesterreich 1852 §. 134 stellt beide Fälle, welche auch die französische Wissenschaft nicht unterscheidet, ausdrücklich einander gleich. Über die ungarische Rechtsprechung vgl. Z IX 554.
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§. 41. Die Fahrlässigkeit.
finden. Wenn z. B. §. 17 de« Impfgesetzes vom 8. April 1874 sagt: „Wer bei Ausführung einer Impfang fahrlässig handelt, wird usw.", so handelt es sich um einen durchaus andern Begriff der Fahrlässigkeit als bei der fahrlässigen Tötung. Bei dieser mufs nicht nur das Verhalten, sondern auch der durch dasselbe herbeigeführte Erfolg von der Schuld umfafst sein. Hit andern Worten: der heutige Begriff des fahrlässigen Delikts (der aber auch in der Reichsgesetzgebung noch nicht vollständig durchgeführt erscheint) beruht darauf, dafs der eingetretene Erfolg nicht als Bedingung der Strafbarkeit, sondern als Teil der Handlung selbst aufgefafst wird. Erst damit tritt die Fahrlässigkeit als zweite Schuldart neben den Vorsatz. Dieser entwickelte Begriff des heutigen Rechts wird im folgenden zu Grunde gelegt.
II. F a h r l ä s s i g k e i t ist das N i c h t - V o r a u s s e h e n e i n e s v o r a u s s e h b a r e n E r f o l g e s , d. h. eines solchen Erfolges, welchen der Thäter hätte voraussehen s o l l e n und k ö n n e n . Fahrlässige Handlung ist mithin die H e r b e i f ü h r u n g e i n e s nicht v o r a u s g e s e h e n e n , aber v o r a u s s e h b a r e n Erf o l g e s d u r c h w i l l k ü r l i c h e K ö r p e r b e w e g u n g (oder durch Unterlassung).') Zum Begriff der Fahrlässigkeit gehört mithin ein doppeltes : 1. M a n g e l an V o r s i c h t bei Vornahme der Handlung, d. h. Aufserachtlassung der durch die Rechtsordnung gebotenen und nach Lage der Umstände erforderlichen Sorgfalt. Das Hafs der Sorgfalt bestimmt sich dabei a l l g e m e i n nach der o b j e k t i v e n Natur der vorgenommenen Handlung, nicht nach der besondern Eigenart des Handelnden. Die Nichtanspannung der Aufmerksamkeit, die Nichterfüllung des Sollen, erscheint als eine W i l l e n s s c h u l d . 2. M a n g e l an V o r a u s s i c h t , d. h. es mufs dem Handelnden möglich gewesen sein, den Erfolg als "Wirkung der Körperbewegung (wenn auch nur in allgemeinen Umrissen) vorherzusehen. Bei der Beurteilung dieser Frage sind die geistigen Fähigkeiten des H a n d e l n d e n , ist sein gröfserer oder geringerer Scharfblick zu Grunde zu legen. Der Mafsstab ist hier ein subjektiver, b e s o n d e r e r . Das geistige K ö n n e n des ') Abweichend auch hier Bg Normen II 115, welcher die Fahrlässigkeit bestimmt als den unbewufst rechtswidrigen Willen. Vgl. oben §. 89 Note 1.
§. 41. Die Fahrlässigkeit
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einzelnen Thäters steht in Frage. Wird es bejaht, dann erscheint der Mangel der Voraussicht als eine V e r s tandesschuld. 4 ) HI. Die Fahrlässigkeit beruht mithin auf einem Irrtum über die verursachende Bedeutung der Handlung; auf einem Mangel der Kausalitätsvorstellung. Darin liegt ihr Unterschied vom Vorsätze. Aber jener Irrtum und dieser Mangel begründen die Annahme der Fahrlässigkeit nur dann, wenn sie hätten vermieden werden können und sollen. Darin liegt der Unterschied der Fahrlässigkeit vom Zufall. Der Irrtum wird mithin die Fahrlässigkeit nur dann ausschliefsen, wenn er ein unvermeidbarer war, wenn es dem Thäter nach seiner Veranlagung unmöglich war, die Vorstellung von der verursachenden Bedeutung seines Thuns zu gewinnen. Nicht mehr als diesen aus dem Wesen der Fahrlässigkeit folgenden Satz enthält der gänzlich überflüssige §. 59 Abs. 2 StGB., nach welchem „Thatumstände, welche der Thäter nicht kannte, ihm bei Bestrafung fahrlässig begangener Handlungen insoweit nicht zugerechnet werden sollen, als die Unkenntnis selbst nicht durch Fahrlässigkeit verschuldet ist." IV. Alle Vorschriften der Rechtsordnung sind an sich der fahrlässigen Übertretung fähig. Aber nicht jede fahrlässige Übertretung wird von dem geltenden Rechte mit Strafe belegt. Es bildet im Gegenteile nach Reichsrecht die Bestrafung fahrlässiger Delikte eine A u s n a h m e , die nur dann als gegeben anzunehmen ist, wenn der Wille, auch die fahrlässige Übertretung zu bestrafen, ausdrücklich im Gesetze ausgesprochen oder aus dem Zusammenhange der gesetzlichen Bestimmungen mit Sicherheit zu entnehmen ist. 5 ) *) Mit dem unter 1 and 2 Gesagten erledigt sich die alt« Streitfrage, ob der Mafsstab für die Fahrlässigkeit ein allgemeiner oder besonderer, ein objektiver oder subjektiver, ob die Fahrlässigkeit ein Willensfehler oder ein Verstandesfehler sei, durch den Hinweis auf die beiden gleichwertigen Elemente des Begriffes. Die im Text vertretene Ansicht (Unterscheidung von „Vorsicht" und „Voraussicht") teilt auch R in einer Reihe von Entscheidungen, zuletzt 14. Februar 87 XV 346. Ebenso auch O 294. >) Das Gesetz bedroht die fahrlässige Begehung mit Strafe a u s d r ü c k l i c h in folgenden Fällen: StGB. §§. 220 und 230 Tötung und und Körperverletzung; §§. 121 und 347 Entweichenlassen von Gefangenen; 163 Falscheid; 259 Partiererei; 309, 311, 314, 316, 318, 326, 329 gemeinefährliche Delikte; 345 Vollstreckung einer nicht zu vollstreckenden träfe. — N e b e n g e s e t z e : Personenstandsgesetz vom 6. Februar 1876 §. 69; die Urhebergesetze vom 11. Juni 1870 §§. 18, 20, 24 ; 9. Januar
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§. 41. Die Fahrlässigkeit.
V. Zum Vorsatz ist Vorstellung s ä m t l i c h e r unter den Verbrechensbegriff fallender Thatumstände erforderlich. Fehlt auch nur eins dieser Begriffsmerkmale in der Vorstellung, so ist der Vorsatz ausgeschlossen und es kann Fahrlässigkeit vorliegen. Genau betrachtet, würden daher jedem e i n z e l n e n vorsätzlichen Verbrechen begrifflich ebenso viele fahrlässige Delikte entsprechen, als jenes Verbrechen Begriffsmerkmale hat; und nichts würde den Gesetzgeber hindern, nur eins oder das andre der fahrlässigen Delikte mit Strafe zu belegen, die übrigen aber straffrei zu lassen. So würden der vorsätzlichen Tötung eines Menschen zwei Fälle des fahrlässigen Deliktes entsprechen: 1. Der Thäter weifs, dafs er tötet; aber nicht, dafs er einen Menschen vor sich hat. 2. Er weifs, dafs er gegen einen Menschen handelt, aber nicht, dafs er tötet. Die Gesetzgebung hat von der Möglichkeit dieser Unterscheidung im allgemeinen keinen Gebrauch gemacht. Die fahrlässige Tötung des RStGB. umfafst beide Fälle. Wohl aber ist es geschehen bezüglich der Sachhehlerei in §. 259 StGB, (siehe besondern Teil). VI. G r a d e der F a h r l ä s s i g k e i t . Dasgeltende Recht hat in zwei Fällen die Fahrlässigkeit als eine schwere dann behandelt, wenn der Thäter zu der von ihm aufser acht gelassenen Sorgfalt „vermöge seines Amtes. Berufes oder Gewerbes besondere verpflichtet war- (StGB. §§. 222 und 230 Tötung und Körperverletzung). Hierher würden die sogenannten ..ärztlichen K u n s t fehler'' zu rechnen sein, deren Beurteilung durchaus nach den allgemeinen Grundsätzen zu erfolgen hat. Von dieser besonderen Anordnung des Gesetzes abgesehen, können zwei Stufen der Strafbarkeit innerhalb der Fahrlässigkeit unterschieden werden: 1. Der Thäter hatte die (irrige) V o r s t e l l u n g , d a f s s e i n e 1B76 §. 16; Seemannsordnunff vom 27. Dezember 1872 §§. 94 und 97; Prefsgesetz vom 7. Mai 1874 §.21; Gesetz betreffend Beseitigung vonAnsteckungsstoffen bei Viehbeförderung vom 25. Februar 1876 §. 5 (interessant für den Begriff der Fahrlässigkeit); Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 §§. 11 und 14; tiesetz betreffend Zuwiderhandlungen gegen die cor Abwehr der Rinderpest erlassenen Vieheinfuhrverbote vom 21. Mai 1878 §§. 3 und 4; Gesetz vom 26. Mai 1885 (Reichskassenscheine) §. 2. — Uber das Militär-Strafrecht vgl. H e c k e r 96.
§. 42. Die Verschuldung bei Prefsdelikten.
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H a n d l u n g den e i n g e t r e t e n e n E r f o l g nicht herbeifuhren werde; der leichtere Fall. 2. Der Thäter hat (blind drauf los) gehandelt, ohne überh a u p t zu irgend einer V o r s t e l l u n g über die verursachende Bedeutung seiner Handlung zu g e l a n g e n , obwohl er dies hätte können und sollen; der schwerere Fall.4)
§. 42.
Die Verschuldung bei Prefedelikten.
L i t t e r a t u r . v. L i s z t Das deutsche Reichsprefsrecht §§. 47 bis 52. D e r s e l b e H R „Prefsstrafrecht" und „Redakteur", v. S c h w a r z e Kommentar 2. Aufl. 1885 (Z VI 404). B e r n e r Lehrbuch des deutschen Prefsrechts 1876. H o n i g m a n n Die Verantwortlichkeit des Redakteurs nach dem Reichsgesetz über die Presse 1885 (Z VI 404). B a u m g a r t e n Z V 491. K o l l e r Kommentar 1888 (Z IX 704). L ö n i n g Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs 1889 (Z IX 704). I. Die in den vorhergehenden Paragraphen entwickelten Grundsätze finden zunächst auch auf P r e f s d e l i k t e Anwendung, d. h. auf diejenigen strafbaren Handlungen, deren Wesen in dem Mifsbrauche des Rechts der freien Meinungsäufserung durch Verbreitung von Druckschriften besteht. Demgemäfs bestimmt §. 20 Abs. 1 des Prefsgesetzes vom 7. Mai 1874: „Die Verantwortlichkeit für Handlungen, deren Strafbarkeit durch den Inhalt einer Druckschrift begründet wird, bestimmt sich nach den bestehenden allgemeinen Strafgesetzen." Aber diese allgemeinen Grundsätze reichen den Prefsdelikten gegenüber nicht aus. Abgesehen von andern Gründen (man denke z. B. an die Anonymität der Presse) bewirkt die Umgestaltung, welche der Gedanke durch seine Drucklegung erfährt, und das damit gegebene eigen') Man denke an folgende Beispiele ( D e r n b u r g Pandekten I §.86): In der Fastnacht werden Böller abgefeuert, Feuerwerkskörper abgebrannt; beim Arbeiten werfe ich gedankenlos die Zigarre auf den mit schweren Teppichen bedeckten Fafsboden. Damit erledigt sich wohl der Einwand, dafs der schwerere Fall der Fahrlässigkeit thatsächlich unmöglich sei. — Die im Text gegebene Unterscheidung fällt mit der durchaus unhaltbaren Einteilung in d e w u f s t e und u n b e w u f s t e Fahrlässigkeit, wie dieselbe von der herrschenden Ansicht seit F e u e r b a c h (besonders durch B e r n e r ) vertreten wird, nicht zusammen. Danach wäre b e w u f s t e Fahrlässigkeit als schwerer Fall anzunehmen, wenn der Thäter trotz der Vorstellung von der Möglichkeit des Erfolges handelte; u n b e w u f s t e Fahrlässigkeit als leichterer Fall, wenn er die Vorstellung von der Möglichkeit des Erfolges nicht hatte. Vgl. zuletzt M 224. Danach würde also der umsichtige Thäter, welcher die entfernten Folgen ängstlich zuvor erwägt und nach sorgfältiger Prüfung die Kausalität ablehnt, ungleich strenger behandelt als der gedankenlose Bummler. Richtig Bg Normen I I 121, v. B u r i Teilnahme 27, B r u c k 16, W a h l b e r g 283, H I 317, L 44.
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§• 42.
Die Verschuldung bei Prefsdelikten.
artige Zusammenwirken einer Reihe von Personen (Verfasser, Herausgeber, Redakteur, Verleger, Drucker, Verbreiter), dafs den Prefsdelikten gegenüber eine E r g ä n z u n g d e r a l l g e m e i n e n G r u n d s ä t z e U b e r V e r s c h u l d u n g d u r c h S o n d e r b e s t i m m u n g e n unerläfslich wird, soll nicht die Strafverfolgung in den meisten und wichtigsten Fällen an juristischen Schwierigkeiten scheitern. Die Gesetzgebung aller Länder ist daher seit langem bemüht, derartige Sonderbestimmungen aufzustellen, welche eine rasche und entschiedene Strafverfolgung sichern, ohne den thatsächlichen Verhältnissen Zwnng anzuthun. Das Keichsprefsgesetz hat diesen Bestrebungen Rechnung getragen, indem es die allgemeinen Grundsätze nach zwei Richtungen hin durch Bestimmungen ergänzt, welche jedoch, obwohl g u t gemeint, an einer bedenklichen, die Sicherheit der Rechtsprechung arg gefährdenden Unklarheit leiden. II. Von dem Gedanken ausgehend, dafs die Persönlichkeit des Redakteurs der von diesem geleiteten Druckschrift ihr eigenartiges Wesen erteilt, ergiinzt das Reichsprefsgesetz nach dem Vorbilde anderer Gesetzgebungen die allgemeinen Grundsätze über Verschuldung zunächst durch die A u f n a h m e d e r H a f t u n g d e s R e d a k t e u r s . §. 20 Abs. 2 f ä h r t fort: „Ist die Druckschrift eine periodische, so ist der verantwortliche Redakteur als Thäter zu bestrafen, wenn nicht durch besondere Umstände die Annahme seiner Thäterschaft ausgeschlossen wird." ') V e r a n t w o r t l i c h e r R e d a k t e u r aber ist diejenige Person, welche 1. auf der betreffenden Nummer der Zeitung oder Zeitschrift als solcher genannt ist und 2. die Oberaufsicht über den Gesamtgang der RedaktionBgeschäfte in Bezug auf die etwaige strafrechtliche Bedeutung des Inhaltes der betreffenden Nummer führt. §. 20 Abs. 2 kann demnach keine Anwendung finden, wenn eines dieser beiden Erfordernisse fehlt; wenn also entweder der thatsächlioh die Oberaufsicht in der angegebenen Richtung führende Redakteur auf der betreffenden Nummer als solcher n i c h t b e z e i c h n e t ist oder aber wenn die als verantwortlicher Redakteur bezeichnete Person thatsächlich d i e O b e r a u f s i c h t in der angegebenen Richtung bezüglich der betreffenden Nummer n i c h t g e f ü h r t h a t . 8 ) E s kann in beiden Fällen nur wegen Nichtbefolgung des §. 7 PrefsgesetzeB nach §§. 18 und 19 Bestrafung eintreten. ') Vgl. Prefsgesetz §tj. 7 und 8 über den Begriff der periodischen Druckschrift und die vom Gesetze geforderten Eigenschaften des verantwortlichen Redakteurs. Dafs der Grundgedanke des Gesetzes gröfsern Zeitungen gegenüber nicht zutrifft, wird heute wohl allgemein zugegeben. — Die Anwendbarkeit des §. 20 Abs. 2 des Prefsgesetzes ist ausgeschlossen in dem Falle des ¡3. 249 d Abs. 4 Handelsgesetzbuch (Fassung vom 18. J u l i 1884). 4 ) Abweichend bez. des zweiten Falles R, insbesondere 22. April 87 X V I 16, wo auch die ältern übereinstimmenden Entscheidungen angegeführt sind. Doch ist die Begründung, dafs hier „besondere Umstände" im Sinne des §. 20 Abs. 2 nicht vorliegen, dem im Text eingenommenen, von R niemals berührten Standpunkte gegenüber hinfällig. Die Ansicht
§. 42.
Die Verschuldung bei Prefadelikten.
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Dem verantwortlichen Redakteur gegenüber stellt nun das Gesets die P r ä s u m t i o n s e i n e r T h ä t e r s c h a f t bezüglich der durch den Inhalt der Druckschrift begangenen strafbaren Handlungen auf. Die Prä-, sumtion kann nur widerlegt werden durch den vom Angeklagten erbrachten Nachweis oder die vom Gericht von Amtswegen erfolgte Feststellung, dafs „besondere Umstände" vorliegen, durch „welche die Annahme der Thäterschaft ausgeschlossen wird". Solche besondere Umstände sind nur dann anzuerkennen, wenn auch bei pflichtgetreuer Anwendung der erforderlichen Aufmerksamkeit dem Redakteur die Strafbarkeit des Inhaltes der Druckschrift entgehen konnte; z. B. weil die in der Druckschrift enthaltene Beleidigung nur bei Kenntnis besonderer thatsächlicher Verhältnisse erkennbar war, oder weil der Setzer willkürliche Veränderungen in dem redigierten Artikel vorgenommen hat. I I I . Das Reichsprefsgesetz hat aber weiter das S y s t e m d e r F a h r l ä s s i g k e i t s s t r a f e n , verbunden mit dem sogenannten b e l g i s c h e n S y s t e m d e r s t u f e n w e i B e n V e r a n t w o r t l i c h k e i t zur Ergänzung der allgemeinen Grundsätze herangezogen. Wenn die bei der Herstellung und Verbreitung einer Druckschrift strafbaren Inhaltes beteiligten Personen den Inhalt derselben nicht mit der erforderlichen Aufmerksamkeit geprüft haben oder nicht wenigstens durch die Nennung ihres Vormannes den Nachweis mangelnden eignen Verschuldens erbringen können, so werden sie w e g e n d i e s e r i h r e r F a h r l ä s s i g k e i t zur Verantwortung gezogen. 9 ) Von diesem Gedanken geht §. 21 aus, indem er bestimmt: „Begründet der Inhalt einer Druckschrift den Thatbestand einer strafbaren Handlung, so sind 1. der verantwortliche Redakteur, 2. der Verleger, 3. der Drucker, 4. derjenige, welcher die Druckschrift gewerbsmäfsig vertrieben oder sonst öffentlich verbreitet hat (Verbreiter), soweit sie nicht nach §. 20 als Thäter oder Teilnehmer zu bestrafen sind, wegen Fahrlässigkeit mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit H a f t oder mit Festungshaft oder Gefängnis bis zu einem J a h r e zu belegen, wenn 9ie nicht die Anwendung der pflichtgemäfsen Sorgfalt oder Umstände nachweisen, welche diese Anwendung unmöglich gemacht haben. Die Bestrafung bleibt jedoch f ü r jede der benannten Personen ausgeschlossen, wenn sie als den Verfasser oder den Einsender, mit dessen Einwilligung die Veröffentlichung geschehen ist, oder, wenn es sich um eine nicht periodische Druckschrift handelt, als den Herausgeber derselben, oder als einen der in obiger Reihenfolge vor ihr Benannten eine des R führt zur rechtlichen Anerkennung der beliebten Einrichtung der „Sitzredakteure". Die von L ö n i n g gegen meine Ansicht vorgebrachten Gründe veranlassen mich nicht, dieselbe zu ändern. s ) In Wirklichkeit handelt es sich mithin nach der Auffassung des Gesetzes um die f a h r l ä s s i g e B e g e h u n g d e r d u r c h d e n I n h a l t der D r u c k s c h r i f t b e g r ü n d e t e n strafbaren Handlungen, v. L i s z t Prefsrecht §. 47 Ö l , §. 52. Meiner Ansicht haben sich angeschlossen H o n i g m a n n a. 0 . und B r u c k Fahrlässigkeit 59. Dagegen L ö n i n g H a f t u n g des Redakteurs 270 und R 2. Februar 86 X I I I 319.
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§. 43.
Die Bedingungen der Strafbarkeit.
Person bis zur Verkündung des ersten Urteils nachweist, welche in dem Bereich der richterlichen Gewalt eines deutschen Bundesstaats sich befindet, oder falls sie verstorben ist, sich zur Zeit der Veröffentlichung befunden hat; hinsichtlich des Verbreiters ausländischer Druckschriften aufserdem, wenn ihm dieselben im Wege des Buchhandels zugekommen sind."
V. Das Verbrechen als strafbare Handlung. §. 43.
Die Bedingungen der Strafbarkeit.
Litteratur. F r a n c k e GA X X 33. Bg I 588, M 348, Ml 236. J o h n I 127, G l a s e r I I 46, B e n n e c k e 9, v. K r i e s Z V 1, H e l l w e g Strafprozeß 249, E i B l e r bei Grünhut X V I I 592.
I. Nicht jeder schuldhafte Angriff auf rechtlich geschützte Interessen ist strafbar, ist Verbrechen. Ganz abgesehen von den bereits oben 24 besprochenen Erwägungen, welche zur Unterscheidung des bürgerlichen und des peinlichen Unrechts führen, erleidet das Gebiet der strafbaren Handlung vielfache und wesentliche Einschränkungen. So wird zumeist nur die Verletzung und nicht die Gefährdung eines Rechtsgutes, nur die Vollendung und nicht der Versuch, nur die vorsätzliche und nicht die fahrlässige Handlung unter Strafe gestellt. Häufig bedroht das S t G B , auch nicht jede vorsätzliche und vollendete Verletzung des rechtlich geschützten Interesses, sondern nur bestimmte Arten desselben. So ist nicht jede Art des Wuchers strafbar, sondern nur der Darlehenswucher; nur die von bestimmten Personengruppen begangene Untreue fällt unter das Gesetz, der Begriff des Hochverrates, der Brandstiftung, des Bankbruches ist in eine Reihe einzelner Fälle aufgelöst. Statt des einheitlichen Verbrechens: „Gefährdung des Lebens" finden wir die Aussetzung, die Vergiftung, den Zweikampf. Oder aber es ist nur die erschwerte, nicht die einfache Handlung mit Strafe belegt; das Gesetz verlangt Öffentlichkeit
§. 48. Die Bedingungen der Strafbarkeit.
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der Verübung, Anwendung von Gewalt und Drohung, Gewohnheits- oder Gewerbsmäfsigkeit der Begehung und anderes mehr. Alle diese Erfordernisse der Strafbarkeit werden in der Darstellung des besonderen Teiles ihre Erörterung' finden. I I . Allgemeine Bedeutung beanspruchen dagegen diejenigen F ä l l e , in welchen der Gesetzgeber den Eintritt seiner Strafdrohung abhängig gemacht hat von dem Vorliegen ä u f s e r e r , von d e r v e r b r e c h e r i s c h e n H a n d l u n g selbst u n a b h ä n g i g e r , zu i h r h i n z u t r e t e n d e r U m s t ä n d e . W i r bezeichnen diese Umstände als B e d i n g u n g e n d e r S t r a f b a r k e i t im engeren Sinn. 1 ) So ist die Strafbarkeit feindlicher Handlungen gegen befreundete Staaten bedingt durch die Verbürgung der Gegenseitigkeit (§§. 102 und 103); unterlassene Anzeige eines Verbrechens unterliegt der Strafe des §. 139 nur dann, wenn das Verbrechen oder ein strafbarer Versuch desselben begangen worden ist; Aufreizung zum Zweikampf fallt unter §. 210 nur. falls der Zweikampf stattgefunden hat; die Zahlungseinstellung ist Bedingung der Strafbarkeit beim Bankbruch (§§. 209 ff. KO.); zur Strafbarkeit des Raufhandels ist erforderlich, dafs durch denselben der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung verursacht worden ist (§. 227); der Ehebruch ist nur strafbar, wenn wegen desselben die Ehe geschieden ist; die Strafbarkeit des Ehebetruges ist bedingt durch die Auflösung der Ehe. 2 ) III. In allen diesen Fällen ist daran festzuhalten, dafs die Bedingungen der Strafbarkeit ä u f s e r e Umstände sind, die mit ') Der Betriff wurde insbesondere von Bg Nonnen I 130 verwertet. Seither ist er in Litteratur und Rechtsprechung vielfach erörtert, aber wenig geklärt worden. Neuerdings hat B i n d i n g in seinem Handbuch das Geltungsgebiet der „Bedingungen der Strafbarkeit" zu Qunsten der Prozefsvoraussetzungen wesentlich eingeschränkt, indem er, von dem willkürlichen Satze ausgehend, dafs Bedingungen der Strafbarkeit zur Zeit der That vorliegen müssen, nur mehr StGB. §§. 4 Nr. 3, 103 und 103 hierher rechnet. Gegen ihn, aber gleichfalls unrichtig, M 306 Note 11. — Verschieden von diesen Fällen sind diejenigen, in welchen der Eintritt eines schwereren Erfolges Voraussetzung für die Verhängung einer strengeren Strafe ist. Vgl. oben §. 37 Note 5. Hier ist die Handlung strafbar, auch wenn der schwerere Erfolg nicht eintritt. Die unter I I I im Texte aufgestellten Sätze finden daher hier nur einschränkende Anwendung. *) Die letzten Beispiele sind bestritten. Vgl. besonderen Teil. TOn L i a z t , Strafrecht, 4. Aufl.
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§. 43. Die Bedingungen der Strafbarkeit.
der verbrecherischen Handlung selbst und deren einzelnen Bestandteilen n i c h t s zu t h u n h a b e n , vielmehr durchaus g e t r e n n t von dieser ins Auge gefafst werden müssen. Aus diesem Grundsatze ergiebt sich eine Reihe wichtiger Folgesätze. 1. Da die Schuld als Vorsatz wie als Fahrlässigkeit lediglich in der Beziehung des Vorstellungslebens zum Erfolg d e r H a n d l u n g besteht, umfafst sie nicht die a u f s e r h a l b der Handlung liegenden Bedingungen der Strafbarkeit. 2. AVenn und solange die vom Gesetz aufgestellte Bedingung der Strafbarkeit fehlt, kann weder von Vollendung noch auch von V e r s u c h des betreffenden Verbrechens die Rede sein. Wohl aber ist Versuch dann anzunehmen und nach dem herabgesetzten Strafrahmen des 44 StGB, zu bestrafen, wenn die Bedingung der Strafbarkeit vorliegt, die Handlung selbst aber nicht bis zur Vollendung gediehen oder fehlgeschlagen ist. 3. AVenn und solange die Bedingung der Strafbarkeit fehlt, i s t a u c h die E n t s t e h u n g des s t a a t l i c h e n S t r a f a n s p r u c h e s u n m ö g l i c h , ist die Handlung eben k e i n e s t r a f b a r e im Sinne des Gesetzes. a) Daher kann auch vor Eintritt der Bedingung (z. B. der rechtskräftigen Scheidung der Ehe im Falle des §. 172 StGB.) weder die Verfolgung eingeleitet, noch auch nur der Antrag auf Einleitung derselben mit rechtlicher Wirkung gestellt werden. Die Antragsfrist beginnt vielmehr erst mit der Kenntnis des Verletzten von der Rechtskraft des Scheidungsurteils zu laufen. 3 ) b) Teilnahme an der Handlung und Begünstigung derselben bleiben straflos, wenn die Bedingung der Strafbarkeit nicht eintritt. c) Falsche Anschuldigung liegt nicht vor, wenn nach Inhalt der Anzeige die nach dem Gesetze erforderliche Bedingung der Strafbarkeit fehlt. d) Objektive Malsregeln, wie Einziehung, Vernichtung, Un') Ebenso auch, wenngleich mit abweichender Begründung, die gemeine Meinung. So R 3. Januar 80 I 44, 23. März 80 II 62; Bg I 643, G II 86, 0 691. Dagegen u. a. H I 719, II 469, 473, M 364, 983; H e i n z e HH II 629, D o c h o w HH IV 274, F i s c h e r GS X X X I 56, XXXII496 (Z I 356), C o n r a d GA XXXV 17 (Z VIII 650).
§. 43.
Die Bedingungen der Strafbarkeit.
195
brauchbarmachung von Gegenständen, sind unter der gleichen Voraussetzung unzulässig. "Wenn aber die Bedingung eintritt, dann wird ihre W i r kung zurückbezogen auf den Zeitpunkt der Begehung der deliktischen Handlung; der Anspruch gilt als entstanden in dem Augenblicke der begangenen Handlung. Daher ist die Vornahme v o r b e r e i t e n d e r gerichtlicher oder polizeilicher Schritte auch vor Eintritt der Bedingung rechtlich durchaus möglich. 4. Soweit lediglich die B e g e h u n g d e r v e r b r e c h e r i s c h e n H a n d l u n g s e l b s t in F r a g e steht, bleiben die Bedingungen der Strafbarkeit aufser Betracht, da sie j a nicht als zu derselben gehörig betrachtet werden sollen. a) F ü r die Beurteilung des Z e i t p u n k t e s der Begehung, sowie des T h a t o r t e s ist Zeit und Ort des Eintritts der B e dingung gleichgültig. b) D i e V e r j ä h r u n g des Verbrechens beginnt ihren L a u f ohne Rücksicht auf den Eintritt der Bedingung. 4 ) c) B e g ü n s t i g u n g und nicht Teilnahme liegt vor, wenn dem Thäter vor Eintritt der Bedingung, aber nach Begehung der Handlung Beistand geleistet wurde. I V . Von den Bedingungen der Strafbarkeit sind nach Begriff und Wirkung strenge zu scheiden die sogenannten P r o z e f s v o r a u s s e t z u n g e n (Strafklage Voraussetzungen nach B i n d i n g), d. h. die Voraussetzungen für die rechtliche Wirksamkeit der prozefsualischen Handlungen überhaupt, insbesondre aber für die Geltendmachung des Anspruches. Dieser Begriff gehört voll und ganz dem Strafprozessrechte an. E r umfafst aufser Zuständigkeit des Gerichtes usw.: die Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten n a c h der T h a t (Prozefsfähigkeit); den Vorentscheid der Behörden oder Gerichte bei Verfolgung von Beamten ( E G . zum G V G . §. 1 1 ) ; die Voraussetzungen, unter welchen gegen Mitglieder einer gesetzgebenden Versammlung während der Dauer einer Sitzungsperiode eine Strafverfolgung eingeleitet werden
*) Dagegen R 15. Februar 81 I I I »50; 30. Dezember 81 V 282; 26. Juni 82 V I I 392. Richtig dagegen bezügl. des Strafantrages 13. Februar 82 V I 38, sowie C o n r a d GA X X X V 23 und 0 648, 692. 13*
44. Der Antrag des Verletzten insbesondere.
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kann») (RVerf. Art. 31; E G . zur S t P O . g. 6 Ziff. 1) u. a. Ferner sind hierher 6 ) unzweifelhaft auch die sogenannten E r m ä c h t i g u n g s d e l i k t e ( S t G B . §§. 99. 101, 197) zu rechnen. Die wichtigste Folgerung aus dieser Unterscheidung auf dem Gebiete des Strafprozefsrechtes besteht darin. dafs bei Mangel einer Bedingung der Strafbarkeit Abweisung des A n s p r u c h e s (Freisprechung mit anspruch-vernichtender W i r k u n g ) , bei Mangel einer Prozefsvoraussetzung dagegen Abweisung der K l a g e (Einstellung ohne Vernichtung des Anspruches) einzutreten hat.
§. 44.
Der Antrag des Verletzten insbesondere.
Litteratur. Bg I 602, H 1 704. F u c h s Anklage und Antragsdelikte 1873. R e b e r Antragsdelikte 1873. N e s s e l Antragsberechtigungen 1873. v. L i s z t GS XXIX 187. v. K i r c h e n h e i m l)ie rechtliche Natur der Antragsdelikte 1877. S a m u e l y GS XXXII 1 (Z I 162). L e h m a n n Zur Lehre vom Strafantrage 1881 (Z I 353). — K o l In e r Kann bei Delikten, welche nur auf Antrag verfolgt werden, der Beschuldigte die Bestrafung durch Berufung auf einen mit dem ..Antragsteller geschlossenen Privatvergleich abwenden? Diss. 1889. — Über.Ermächtigungsdelikte vgl. E i s l e r Juristische Blätter 1888 No. 18ff. — Uber die Stellvertretung beim Strafantrage B o l z e GS XXXII 433 (Z I 163). H e r z o g GS XXXIII 389 (Z I I 165). H o l z a p f e l GA XXX 428 (Z III 706). I. Während die PGO. nur in vier Fällen: Ehebruch, Entführung, Notzucht und Familiendiebstahl die Verfolgung von Amtswegen ausschlofs und das gemeine Recht nur noch Beleidigung und Kindesunterschiebung hinzufügte, hat die neuere Gesetzgebung in einer rasch anschwellenden Zahl von Fällen die Strafverfolgung von dem Antrag des Verletzten abhängig gemacht. Auf die Reichsgesetzgebung übte auch hier das sächsische StGB, von 1868 einen bestimmenden Einflufs. Eine wesentliche, wenn auch noch nicht genügende Einengung der Antragsberechtigung trat durch die Novelle vom 26. Februar 1876 ein ') (oben §• 13 IV). Die Antragsfälle des RStGB. sind: §§. 102, 103, 104 (strafbare Handlungen gegen befreundete Staaten), 123 (Hausfriedensbruch), 170, 172, 179, 182 (Eheerschleichung, Ehebruch, Erschleichung des Beischlafs, Ver5 ) 8
Ubereinstimmend v. K r i e s Z V 9 ; dagegen W e i s m a n n Z IX 414. ) Ebenso B e n n e c k e 14; dagegen Bg 1614, M 351, 0461, v. R i s c h GS XXXVI 252 Note 10. ') Zu weit geht Bg I 604, welcher die gänzliche Beseitigung des Antragserfordernisses verlangt. Gegen ihn mit Recht M 363, Ml 240. Der rehler des Gesetzgebers liegt darin, dafs er die beiden Arten der .Antragsdelikte nicht unterscheidet. Diesen Fehler hat aber auch Binding nicht vermieden.
§. 44. D e r Antrag des Verletzten insbesondere.
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f u h r u n g eines jungen Mädchens), 189, 194—196, 232 (Beleidigung und Körperverletzung), 236, 237 (Entführung), 247, 263 (Diebstahl, Unterschlagung, Betrug gegen Angehörige), 288, 289, 292, 299, 300—303 (Fälle „•trafbaren Eigennutzes" und Sachbeschädigung), 370 Ziff. 5 und 6 (Genufsmittel- und Futterdiebstahl). Dazu kommen noch einzelne Fälle in den Nebengesetzen; so im Prefsgesetz vom 7. Mai 1874 §. 19 Ziff. 3 ; Nachdrucksgesetz vom 11. J u n i 1870 §§. 27, 35, 36, 43, 45 (ebenso in den Gesetzen vom 9 , 10., 11. Januar 1876); §§. 14 und 17 Markenschutzgesetz vom 30. November 1874; §. 34 Patentgesetz vom 25. Mai 1877; Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 §§. 81 und 84; Unfallversicherungsgesetz vom 6. J u l i 1884 §. 107. — Dagegen ist nach §. 51 (127) Mil.-StGB. die Verfolgung eines militärischen Verbrechens oder Vergehens unabhängig von dem Antrage des Verletzten oder einer andern zum Antrage berechtigten Person. I I . Bei genauerer Betrachtung müfsten die Antragsdelikte in zwei, nach Inhalt und Behandlung wesentlich von einander verschiedene Gruppen zerlegt werden. *) 1. Gewisse Rechtsgüterverletzungen erscheinen nur dann als solche, sind nur dann für die öffentliche Rechtsordnung von Bedeutung, wenn der Verletzte sie als Verletzung empfindet und, dafs er dies thut, in vorgeschriebener bestimmter Form (durch den „Antrag" auf Verfolgung) erklärt. Die unzüchtige Berührung eines Mädchens kann von der Berührten als Liebkosung oder als tiefste Entehrung empfunden werden. Hier ist die Stellung des Antrages B e d i n g u n g der Strafbarkeit; die Befristung des Antrages hat guten Grund; die Rücknahme müfate (etwa bis zu Beginn der Hauptverhandlung) gestattet, die Teilbarkeit ausgeschlossen sein, Fehlen des Antrages müfste Freisprechung mit endgültiger Erledigung der Strafsache zur Folge haben; die Berechtigungen mehrerer Verletzten wären als voneinander unabhängig zu betrachten, bei Idealkonkurrenz mit einem von Amtswegen zu verfolgenden Verbrechen könnte dieses auch bei mangelndem Antrage verfolgt werden usw. 2. Bei der zweiten Gruppe der Antragsfälle liegt die Sache durchaus anders. Man denke an die Notzucht, die bis zur Novelle von 1876 Antragsdelikt war, oder an die Verführung eines bisher unbescholtenen noch nicht sechzehnjährigen MädchenB (StGB. §. 182). Hier ist das Interesse des Staates an der Verfolgung vom Anfange an gegeben; aber ihm steht das Interesse des Verletzten an der Nichtverfolgung (da die UnterBuchung und Verhandlung der Sache, der „strepitus fori", für ihn nur eine neue und vielleicht die erste an Schwere übertreffende Verletzung
•) Im wesentlichen übereinstimmend B 320 Note 1, M 364, Ml 239, G e y e r Z I V 241 und in Grünhut I I 378, D o c h o w H H I V 239, H o l z a p f e l 433. — Der Reichsgesetzgebung ist diese Unterscheidung (abgesehen von StPO. §. 414) fremd geblieben; dagegen unterscheidet der ö s t e r r . StGEntwurf grundsätzlich richtig, wenn auch in wenig gelungener Durchführung, die beiden Gruppen. Ebenso der r u s s . Entwurf.
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§. 44. Der Antrag des Verletzten insbesondere.
wäre) schroff gegenüber. Und der Staat verzichtet dem Verletzten EUliebe auf die Geltendmachung seines Strafanspruches, so lange der Verletzte nicht durch die Stellung des „Antrages" erklärt, dafs das bei ihm vom Staate vorausgesetzte Interesse im Einzelfalle nicht vorliege. Hier ist der Antrag nicht Bedingung der Strafbarkeit der That, sondern Voraussetzung der Geltendmachung des staatlichen Strafanspruches, mithin Prozersvoraussetzung; sein Mangel nicht Strafausschließungsgrund, sondern Hindernis der Strafverfolgung in dem eben (§. 43) besprochenen Sinne; und die ganze Lehre von diesen AntragRdelikten würde gar nicht inB Strafrecht, sondern in das Strafprozefsrecht gehören. Die verschiedene grundsätzliche Auffassung würde dann auch bezüglich der oben unter 1 besprochenen Folgerungen in weitaus den meisten Punkten zu ganz anderen Ergebnissen führen. III. Nach geltendem Reichsrecht mul's die S t e l l u n g d e s A n t r a g e s in allen Fällen als eine Bedingung der Strafverfolgung, nicht aber der Bestrafung, mithin a l s P r o z e f s v o r a u s s e t z u n g aufgefafst werden.3) Mangel des Antrages hat Einstellung des Verfahrens, uicht Freisprechung des Augeklagten zur Folge. D i e Lehre vom Antrage gehört mithin streng genommen ausschliefslich dem Prozefsrecht an. D a s R S t G B . regelt das Antragserfordernis in folgender Vi'fise: 1. B e r e c h t i g t z u r A n t r a g s t e l l u n g ist: a) In Ermangelung besonderer gesetzlicher Anordnung *) der durch das Verbrechen V e r l e t z t e , genauer gesprochen: der Träger des durch die strafbare Handlung unmittelbar angegriffenen Rechtsgutes, so der Eigentümer bei der Sachbeschädigung, der Inhaber der befriedeten Räume beim Hausfriedensbruch usw. Doch mul's der Verletzte, um antragsberechtigt zu sein, das achtzehnte Lebensjahr zurückgelegt haben ( S t G B . §. 65 A b s . 1). b) D e r g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r (bez. Vormund) s t a t t ') Ubereinstimmend das Reichsgericht: ferner N e s s e l 9, S a m u e l y 19, v. K r i e s Z V 10, L e h m a n n 16, Bg I 610. — Als Bedingung der Strafbarkeit, mithin dem materiellen Recht angehörig, fassen den Antrag auf: R e b e r 57, K ö h l e r Patentrecht 510, v. K i r c h e n h e i m 66, G l 205. — Eine mittlere, sehr wenig klare Ansicht vertreten H I 711, L 69, M 351, 352, 0 307, S 168 Note 6, P u c h s 33, Bg Normen I 19, D o c h o w H H IV 242, v. R i s c h Verjährung 11. 4 ) StGB. §§. 102, 103, 104, 170, 182, 189, 196, 288 usw.; §. 28 Nachdrucksgesetz.
§. 4 4
Der Antrag des Verletzten inibesondere.
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des Verletzten, wenn dieser noch nicht achtzehn Jahre alt, geisteskrank oder taubstumm ist, oder aber wenn eine Körperschaft verletzt wurde. (StGB. §. 65 Abs. 2 und 3, StPO. §. 414.) c) N e b e n dem Verletzten der g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r , wenn ersterer über achtzehn Jahre alt, aber noch minderjährig ist (StGB. §. 65 Abs. 2), der G a t t e und V a t e r nach §. 195 (232), d e r a m t l i c h V o r g e s e t z t e n a c h § . 196 (232).*) Ist der gesetzliche Vertreter selbst der Thäter oder Teilnehmer, oder unterläfst er es in pflichtwidriger Weise den Strafantrag zu stellen, so hat die Bestellung eines besondern Vertreters also eines Vertreters zum Zwecke der Antragsstellung zu erfolgen.6) Mehrere Antragsberechtigungen, mögen dieselben mehreren Verletzten (so wenn ein Wort mehrere Personen beleidigt hat) oder aber dem Verletzten und den liebenberechtigten zukommen, sind voneinander unabhängig. Wenn daher von den mehreren zum Antrage Berechtigten einer die dreimonatliche Frist versäumt, so wird hierdurch dae Recht der übrigen nicht ausgeschlossen (StGB. §. 62). Ebenso sind auch mehrere, wegen derselben strafbaren Handlung zur Erhebung der Privatklage berechtigte Personen bei Ausübung dieses Rechts voneinander unabhängig (StPO. §. 415). Die Stellung des Antrages, d. h. die E r k l ä r u n g , die Verfolgung zu beantragen, kann auch im Auftrage des Berechtigten durch einen im Einzelfalle dazu bevollmächtigten S t e l l v e r t r e t e r erfolgen, dagegen ist allgemeine Bevollmächtigung für künftige Fälle unzulässig. Verschieden von der Vertretung in der E r k l ä r u n g ist die Vertretung im W i l l e n , d. h. in ") Zu beachten ist — namentlich in prozessualischer Beziehung, — dafs auch bei mehrfacher Antragsberechtigung wegen derselben Rechtsverletzung es sich immer nur um e i n e strafbare Handlung, mithin auch nur um e i n e n Strafanspruch handelt, als dessen Träger ausnahmslos der Staat erscheint. •) Die aufserdeutschen Gesetzgebungen haben hier in durchaus zweckmäfsiger Weise vielfach besondre Bestimmungen gegeben. — Die Antragsfrist des §. 61 beginnt dann mit dem Tage, an welchem der Kurator in seiner amtlichen Stellung von der Handlung und der Person des Thätero Kenntnis erhält. Übereinstimmend Bg I 630. Dagegen l£ 364, 0 346.
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§. 44. Der Antrag de« Verletzten insbesondere.
der Entschliefsung über die Stellung des Antrages. Auch diese mufs für zulässig erachtet werden, soweit die Wahrnehmung der durch das Antragsdelikt verletzten Interessen (insbesondere die Vermögensverwaltung) einem dritten übertragen worden ist. 7 ) 2. Das Antragsrecht ist b e f r i s t e t . Es erlischt (StGB. §. 61). wenn der zum Antrage Berechtigte es unterläfst, den Antrag binnen drei Monaten zu stellen. Die ßügefrist beginnt mit dem Tage, seit welchem der zum Antrage Berechtigte von der Handlung und von der Person des Thäters, bez. der Person auch nur e i n e s an der That beteiligten Thäters 8 ) Kenntnis gehabt hat. Ebenso nach §. 35 Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870. Die Frist ist demnach, wenn die Kenntnis z. B. am 12. Februar erlangt worden, mit Beginn des 12. Mai bereits abgelaufen. Ist die Stnifbarkeit der That von einer zu der Handlung hinzutretenden Bedingung abhängig, so beginnt die Antragsfrist erst mit dem Eintritte der Bedingung zu laufen (oben §. 43 Note 3). 9 ) 3. Der Antrag ist u n t e i l b a r . Die Verfolgung findet nach StGB. §. 63 gegen sämtliche an der Handlung Beteiligte (Thäter und Teilnehmer,) sowie gegen den Begünstiger statt, auch wenn nur gegen eine dieser Personen auf Bestrafung angetragen wurde; und die Rücknahme des Antrags gegen den einen hat Einstellung des Verfahrens überhaupt zur Folge. (StGB. §. 64 Abs. 2.) Daher ist die Beschränkung des Antrages auf einzelne der beteiligten Personen ausgeschlossen; und wenn dieselbe dennoch vorkommt, so mufs, je nach der mut') Ebenso R 1. Mai 80 II 145, 16. Februar 83 VIII 112, 13. Dezember 86 XV 144, 22. Februar 89 XIX 6 mit der gemeinen Meinung. Vgl. O 311. 8Dagegen üg 652, M 369, H o l z a p f e l 428, H e r z o g 408. ) Ver. Sen. 2. Januar 84 IX 390; G I 210, 0 332, B o r c h e r t Verantwortlichkeit 13. Dagegen Bg I 640, M 363. ') Eine wesentliche Veränderung erleidet diese Frist in dem Falle wechselseitiger Beleidigungen und Körperverletzungen (StGB. §§. 198, 882; StPO. §. 426), indem hier der Beklagte einerseits bei Verlust seines Hechtes verpflichtet ist, den Antrag auf Bestrafung spätestens bis zur Beendigung der Schiufavorträge in erster Instanz zu stellen, hierzu aber auch dann berechtigt bleibt, wenn zu jenem Zeitpunkte die dreimonatliche Frist bereits abgelaufen ist. Eine besondere Bestimmung der Frist findet sich in §. 84 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 (bis zur Abmusterung). Neben der Rügefrist läuft die Verjährung des Verbrechens durchaus selbständig.
§. 44. Der Alltrag des Verletzten insbesondere.
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mafslichen Willensrichtung des Antragsberechtigten, der Antrag entweder als rechtsunwirksam oder als gegen alle, auch gegen die nicht genannten Beteiligten gerichtet betrachtet werden. Eine scheinbare Ausnahme von der Unteilbarkeit des Antrages findet sich bei den sog. r e l a t i v e n A n t r a g s d e l i k t e n deren Verfolgung nur, wenn und soweit der Thäter in einem gewissen persönlichen Verhältnisse zum Verletzten steht, durch die Stellung des Strafantrages bedingt ist. 10 ) In diesen Fällen hat Stellung wie Zurücknahme des Antrages eben nur denjenigen Beteiligten gegenüber rechtliche Bedeutung, welchen gegenüber die Handlung zum Antragsdelikte gemacht ist; innerhalb des Kreises dieser Personen greift wieder die allgemeine Regel von der Unteilbarkeit des Antrages ein. 4. Die Z u r ü c k n a h m e des Antrages ist seit der Novelle vom 26. Februar 1876 nur mehr in den gesetzlich besonders vorgesehenen Fällen und nur bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Urteils zulässig (StGB. §. 64) n ) 5. Der Antrag mufs die A b s i c h t , die V e r f o l g u n g h e r b e i z u f ü h r e n , bestimmt zum Ausdrucke bringen. Daher ist bedingte Antragstellung, falls es sich um eine echte Bedingung, nicht nur um einen einschränkenden Vorbehalt handelt, ausgeschlossen. Verzicht auf den Antrag ist juristisch ohne Bedeutung; Widerruf der Rücknahme des gestellten Antrages unzulässig. 6. Das Antragsrecht ist h ö c h s t p e r s ö n l i c h e r N a t u r und geht daher auf den Rechtsnachfolger des Verletzten nicht über. 10
) StGB. §§. 247, 263, 289, 292, 303. ") Diese besonders vorgesehenen Fälle sind: StGB. §§. 102—104, 194, 232, 247, 263, 292, 303, 370; Nachdrucksgesetz vom 11. Jnni 1870 8. 27; ebenso die Urhebergesetze vom 9., 10. und 11. Januar 1876. Nach StPO. §. 431 ist die Zurücknahme der P r i v a t k l a g e bis zur Verkündung des Urteils zweiter Instanz gestattet. Sie ist nicht notwendig Zurücknahme des Antrages; amtliche Verfolgung bleibt daher möglich.
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§. 46. Der Begriff des Versuches im allgemeinen.
VI. Vollendung und Versuch des Verbrechens. §. 45.
Der Begriff des Versuches im allgemeinen.
Litteratur. Z a c h a r i a e Die Lehre vom Versuch 2 Bde. 1836/39. v. B a r Zur Lehre von Versuch und Teilnahme 1859 L. C o h n Zur Lehre vom versuchten und unvollendeten Verbrechen I 1880 (dazu v. Liszt Z I 93). C o h n Die Grundsätze über den Thatbestand der Verbrechen und der heutige Gattungsbegriff des Versuchs 1889 (gegen seine Kritiker v. Buri, Lammasch, v. Liszt). B a u m g a r t e n Die Lehre vom Versuch des Verbrechens 1888 (Z IX 639). H e r z o g Rücktritt vom Versuch und thätige Reue 1889 (Z IX 649). — Die Geschichte der Versuchslehre behandeln: P e r n i c e Labeo I I 40. S e e g e r Versuch des Verbrechens nach römischem Recht 1879. D e r sei be Ausbildung der Lehre vom Versuch in der Wissenschaft des Mittelalters 1869. B a u r a g a r t e n und H e r z o g a. O.
I. Das Verbrechen ist vollendet, sobald der d u r c h das Gesetz zum B e g r i f f e dieses V e r b r e c h e n s gef o r d e r t e E r f o l g a l s W i r k u n g der w i l l k ü r l i c h e n K ö r p e r b e w e g u n g e i n g e t r e t e n ist. Der Zeitpunkt der Vollendung wird demnach für jedes Verbrechen nur durch das geltende Recht bestimmt, welches nicht immer den Eintritt des eigentlichen Deliktsübels für maßgebend erachtet und vielfach Klarheit wie Folgerichtigkeit vermissen läfst. So ist der Augenblick der Vollendung ein andrer beim Diebstahl (StGB. §. 242) als bei der Unterschlagung (StGB. §. 246). ein andrer bei der Münzfälschung (StGB. §. 146) als bei der Urkundenfälschung (StGB. §. 267). Das Verbrechen i6t versucht, wenn die mit Voraussicht des E r f o l g e s u n t e r n o m m e n e 1 ) w i l l k ü r l i c h e K ö r p e r b e w e g u n g den durch das Gesetz zum Beg r i f f e d i e s e s V e r b r e c h e n s g e f o r d e r t e n E r f o l g nicht ') Die Vorstellung des Erfolges braucht auch hier nicht treibendes Motiv zu sein. Zum Versuche ist V o r s a t z genügend, A b s i c h t nicht erforderlich, soweit sie nicht auch zur Vollendung notwendig ist. Ganz unklar R 18. Oktober 82 VII 119, wo ein „ s t ä r k e r e r , e n e r g i s c h e r e r G r a d solchen Bewufstseins" erfordert wird, „um die Bethätigung des . . . Entschlusses erkennen zu können". Als ob S t ä r k e g r a d e (statt Helligkeitsgraden) des Bewufstseins unterschieden werden könnten! Jedenfalls aber auch hier unbestimmter (eventueller) Vorsatz genügend; so auch 15/22. Dezember 84 X U 64, 29. März 89 XIX GO.
§. 46. Der Begriff des Vemiches im allgemeinen.
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h e r b e i g e f ü h r t h a t . Das Wesen des Versuches im Sinne unserer heutigen Auffassung besteht demnach in der Richtung der Handlung auf einen nicht eingetretenen, aber vorgestellten Erfolg; nicht an sich, sondern durch diese ihre Richtung erscheint uns die Handlung als strafwürdig. Der Grund für die Strafbarkeit des Versuchs liegt demnach in der G e f ä h r l i c h k e i t der That und des Thäters für rechtlich geschützte Interessen. Gefährlich aber ist die T h a t , weil sie, obwohl der vom Gesetze nicht gewollte Erfolg nicht eingetreten ist, doch die Möglichkeit seines Eintritts erzeugt hat; und gefahrlich ist der T h ä t e r , weil er d u r c h d i e T h a t seine verbrecherische Gesinnung kundgegeben hat. *) II. Oer Versuchsbegriff verdankt seine Entstehung der m i t t e l a l t e r l i c h e n R e c h t s w i s s e n s c h a f t Italiens. Das r ö m i s c h e R e c h t ist zu feststehenden allgemeinen Grundsätzen nicht gelangt. Während bei den Frivatdelikten wirkliche Herbeiführung einer Rechtsverletzung auch noch im Justinianeischen Rechte gefordert wird, sind schon in den legeB Corneliae e i n z e l n e Versuchs- und Vorbereitungshandlungen mit der Strafe des vollendeten Verbrechens bedroht. Unter dem Einflüsse der schöngeistigen und philosophierenden Rhetorik wird, insbesondere seit Hadrian, die subjektive Seite des Verbrechens, die voluntas, im Gegensätze zum exitus, mehr und mehr in den Vordergrund gestellt, wohl auch dem flagitium imperfectum überhaupt mildere Strafe angedroht (1. 1 §. 2 1) 47, 11). Aber einen allgemeinen Begriff des Versuches hat das römische Recht nicht gewonnen. Ebensowenig das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r . Vielfach werden zwar schon in den Volksrechten Angriffe auf Leib und Leben, auch wenn sie ohne Erfolg geblieben, unter Strafe gestellt; aber wie wir aus dem angedrohten Bufssatze mit Sicherheit entnehmen können, nicht als Versuchshandlungen, sondern als selbständige Verbrechen, insbesondre unter dem Gesichtspunkte der G e f ä h r d u n g . Auch die Stadtund Landrechte weisen keinen Fortschritt auf, wenn auch die Rechtsprechung sich nicht scheute, etwa den mit falschen Schlüsseln betretenen *) Ahnlich Ml 132. Italiener und Franzosen betonen die durch den Versuch bewirkte Verminderung des Gefühls der Sicherheit, die Störung des Rechtsfriedens. Die Auffassung wird wichtig für die Beurteilung des untauglichen Versuchs. Vgl. unten §. 47. Sie führt ferner zu der im Gesetze freilich nicht verwirklichten Forderung, den Versuch verschieden zu behandeln, je nachdem ein Verletzungs-, Gefahrdungs- oder Ungehorsamsverbrechen vorliegt; ihn im ersten Falle immer, im zweiten regelmäfsig zu bestrafen, im dritten dagegen straflos zu lassen. — Abgelehnt werden mufs die schon früher von R o s s i , L a m m a s c h u. a. angedeutete, neuerdings von H e r z o g folgerichtig durchgeführte Ansicht, welche den Grund für die Strafbarkeit des Versuchs in der V e r m u t u n g findet, dafs der Thäter die begonnene That fortsetzen und vollenden werde.
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§. 45.
D e r Begriff des Versuches im allgemeinen.
Ü b e l t h ä t e r ohne weiteres zu hängen. Dagegen arbeiten die i t a l i e n i s c h e n Schriftsteller mit E i f e r u n d E r f o l g an der Verallgemeinerung des Begriffes. Sie bestimmen den V e r s u c h als ein cogitare, agere, sed non perficere und verlangen, deutscher Rechtsanschauung gemäfs, im Gegensätze zu den Römern mildere B e s t r a f u n g des Versuchs. I h n e n folgen Klagspiegel und Bambergensis. D i e P G O . giebt im A r t . 178 eine durchaus gelungene und ganz allgemeine Begriffsbestimmung: „ I t e m so sich j e m a n d einer Uissethat m i t etlichen scheinlichen W e r k e n , die zur Vollb r i n g u n g der Missethat dienstlich sein mögen, untersteht, und doch an Vollbringung derselben Missethat d u r c h andere Mittel wider seinen Willen verhindert würde, solcher böser Will, daraus etlich W e r k , als obsteht, folgen, ist peinlich zu strafen. A b e r in einem Fall härter denn in dem andern " Die A n o r d n u n g e n der Carolina bilden die Grundlage des gemeinen Rechtes u n d der auf diesem beruhenden Landes-Strafgesetzbiicher. Dabei bemühte man sich, die verschieden schwer zu bestrafenden Fälle genauer zu bestimmen u n d unterschied zumeist eonatus remotus (Vorbereitungshandlungen), propinquus (Ausführungshandlungen) und proximus (den beendeten Versuch in der Gestalt des fehlgeschlagenen Verbrechens')). A n der milderen Bestrafung des Versuches wird im allgemeinen festgehalten. Auch die ausnahmsweise Gleichstellung des beendeten Versuchs mit der Vollendung, welche von B ö i r a e r , L e y s e r u. a. f ü r die schwersten V e r b r e c h e n g e f o r d e r t und z. B. von Bayern 1751 und Österreich 1768 ausgesprochen wird, findet bei K o c h u. a. W i d e r s p r u c h und wird z. B. von PreufBen 1721 abgelehnt. F ü r die deutschen Gesetzb ü c h e r des 19. J a h r h u n d e r t s werden die aus dem Gesetz vom 22. prairial J a h r I V herübergenommenen Bestimmungen des Code pénal vorbildlich; der Versuch wird meist als commencement d'exécution bestimmt, die Gleichstellung von Versuch und Vollendung (toute tentative est le crime même) z. B. von Preufsen 1851 und Bayern 1861 aufgenommen. Die Scheindefinition des c o d e p é n a l geht aus dem p r e u f s i s c h e n auch in das R e i c h s s t r a f g e s e t z b u c h über und verdrängt die alte deutschrechtliche Fassung.
I I I . Innerhalb (les einheitlichen Versuchsbegriffs haben wir zwei A r t e n d e s V e r s u c h s zu unterscheiden. 1. B e e n d e t e r Versuch liegt vor, wenn die mit Voraussicht des Erfolges unternommene willkürliche Körperbewegung abgeschlossen ist, ohne dafs der Erfolg eingetreten wäre. Drei Fälle sind hier denkbar. a) Der Eintritt des Erfolges nach kürzerer oder längerer
' ) So sagt J . S. F . B ö h m e r , eonatus proximus liege v o r , wenn der T h ä t e r alles gethan habe, q u a n t u m in ipso fuit et ad oonsummandum delictum necessarium putavit.
§. 45. Der Begriff des Versuches im allgemeinen.
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Frist ist Bicher; man kann hier von g e l u n g e n e m Verbrechen im Unterschiede vom vollendeten sprechen. b) Der Nichteintritt des Erfolges ist sicher: m i f s l u n g e n e s oder f e h l g e s c h l a g e n e s Verbrechen als Unterart des unten §. 47 zu besprechenden untauglichen Versuchs. c) Der Eintritt des Erfolges ist zweifelhaft; erst mit Ablauf der Frist zeigt es sich, ob vollendetes oder fehlgeschlagenes Verbrechen gegeben ist. 2) N i c h t b e e n d e t e r Versuch liegt vor, wenn die mit Voraussicht des Erfolges unternommene willkürliche Körperbewegung noch nicht abgeschlossen ist. 4 ) IV. Das RStGB. bestimmt in §. 43: „Wer den Entschlufs, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch Handlungen, welche einen A n f a n g d e r A u s f ü h r u n g dieses Verbrechens oder Vergehens enthalten, bethätigt hat, ist, wenn das beabsichtigte Verbrechen oder Vergehen nicht zur Vollendung gekommen ist, wegen Versuchs zu bestrafen. Der Versuch eines Vergehens wird jedoch nur in den Fällen bestraft, in welchen das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt." Das RStGB. nimmt mithin, wie das preufsische StGB, von 1851, die f r a n z ö s i s c h e Fassung, das commencement d'exécution auf. Es bestraft ferner, ebenfalls im Anschlüsse an das französische Recht, den V e r s u c h e i n e s V e r 4 ) Die Unterscheidung des Textes ist nach mehrfacher Bichtung von Bedeutung. 1. Sie ist wichtig für den Rücktritt vom Versuch, StGB. §. 46, unten S. 48. 2. Sie legt den Oedanken nahe, ob nicht das fehlgeschlagene Verbrechen in der Bestrafung der Vollendung gleichgestellt werden sollte; so L o m b r o s o Z I 121, B r u s a Z I 146, v. B a r Grundlagen 10, M 271, G a r o f a l o u. a. gegen die überwiegende Meinung. 3. Sie lehrt, dafs mit dem „Anfang der Ausführung" nicht der Versuch überhaupt, sondern nur der unbeendete Versuch bestimmt wird, aus diesen Worten also keinerlei Schlufsfolgerungen für das fehlgeschlagene Verbrechen gezogen werden dürfen, wie dies nur zu häufig geschieht. — Uber den Unterschied vgl. B e r n e r GS XVII. Die Gutachten zum XIII. deutschen Juristentag von B e r n e r , L a m m , L e u t h o l d . v . L i s z t Z I 94. J 139, S t o o f s Schweizer StRZ. I 528. Vielfach wird der Unterschied ganzlich geleugnet, so von B i n d i n g , noch öfter aber unrichtig aufgefafst. Zu weit ging auch noch die 3. Aufl. dieses Buches, welche, wie Gesetzgebung und Wissenschaft der romanischen Völker, délit manqué und tentative einander völlig entgegenstellte. Gegen die Unterscheidung auch B a u m g a r t e n 442 (bei ihm 164 und 215 über die französische und italienische Auffassung).
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§. 45. Der Begriff des Versuches im allgemeinen.
b r e c h e n s i m m e r , den e i n e s V e r g e h e n s a u s n a h m s w e i s e in den besonders ausgezeichneten Fällen, 4 ) den e i n e r Ü b e r t r e t u n g niemals. D i e Reichsgesetzgebung ist dagegen, ebenso wie die StGBücher für Ungarn und Holland zu der gemeinrechtlichen Auffassung zurückgekehrt, nach welcher der V e r s u c h m i l d e r zu b e s t r a f e n i s t a l s d a s v o l l e n d e t e V e r b r e c h e n , und hat die Durchführung dieses Grundsatzes sowohl durch dessen ausdrückliche Anerkennung, als insbesondere durch die Aufstellung eines h e r a b g e s e t z t e n S t r a f r a h m e n s für den Versuch gewährleistet (StGB. 44: unten g. 72 I). Nur ausnahmsweise wird dieser Grundsatz verlassen: 1. § . 8 0 StGB, bestraft den hochverräterischen Mordversuch wie den Mord selbst mit dem Tode; auch §. 153 Gew.Ordg. stellt Versuch und Vollendung in der Strafe einander gleich. •) 2. In einer Reihe von Fällen ist das „ U n t e r n e h m e n " einer strafbaren Handlung in der Bestrafung ihrer Vollendung gleichgestellt. Vgl. StGB. §§. 81, 82, 105, 114, 122 Abs. 1, 159, 357; Sprengstoffgesetz §. 9; Salzsteuergesetz vom 12. Oktober 1867 11, Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 134 und 135, Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879 §§. 32 und 38, Branntweinsteuergesetz vom 24. Juni 1887 §. 17, Zuckersteuergesetz vom 9. Juli 1887 §. 40 usw. 3. Soweit Vorbereitungshandlungen als selbständige Delikte bestraft werden, fallen sie nicht unter den herabgesetzten, sondern unter einen besonderen Strafrahmen. StGB. §§. 83 bis 86, 151, 201, teilweise 49 a. V. An unserer begrifflichen Auffassung des Versuches und seiner beiden Unterarten haben wir festzuhalten bei Entscheidung der vielbesprochenen und lebhaft bestrittenen Frage, ob und in welchen Fällen die M ö g l i c h k e i t d e s V e r s u c h e s aus logischen Gründen als ausgeschlossen betrachtet werden müsse. ») Es sind dies §§. 107, 120, 140, 141, 148, 150, 160, 169, 240, 242, 246, 253, 263, 289, 303 bis 305, 339, 350, 352 StGB.; Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 §. 12, Gesetz gegen Rinderpest, vom 21. Mai 1878 §. 1, Bankgesetz vom 14. März 1875 §. 57 Abs. 2. Über das Mil.StGB. vgl. H e c k e r 81. — Richtiger wäre es, den Versuch eines Vergehens nur ausnahmsweise n i c h t zu bestrafen, wie dies das niederländische StGB, und der österreichische Entwurf thun. Übereinstimmend H 1 466; dagegen M 250. — Auf landesrechtlichem Gebiete kann auch der Versuch einer Übertretung bestraft werden. e ) Auch §. 4 des P r e u f s . Forstdiebstahlsgesetzes vom 16. April 1878 und S. 8 des P r e u f s . Feld- und Forstpolizeiges. vom 1. April 1880 bedrohen den Versuch mit der Strafe der Vollendung. Die Landesgesetzgebung ist überhaupt auf dem ihr überwiesenen Gebiete an den reichsrechtlichen Grundsatz nicht gebunden (vgl. ob. §. 16 Note 1). Über das Mil. Strafrecht vgl. H e c k e r 82.
§. 45. Der Begriff des Versuches im allgemeinen.
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1. Der V e r s a c h e i n e s f a h r l ä s s i g e n V e r b r e c h e n s (die culpa attentata des gemeinen Rechts) i s t l o g i s c h a n m ö g l i c h . Denn die Fahrlässigkeit schliefst begrifflich die Vorstellung der Folgen des Handelns aus, während der Versuch dieselbe ebenso notwendig fordert. Gerade die V o r s t e l l u n g des Erfolges berechtigt und befähigt uns, das Geschehene als versuchte Herbeiführung eines gar nicht eingetretenen Erfolges überhaupt aufzufassen. Beim fahrlässigen Verbrechen entfallt auch diese subjektive und nur in der Vorstellung enthaltene Beziehung der Handlung auf den Erfolg gänzlich. Man denke an folgenden Fall: der Thäter hat in fahrlässiger Unkenntnis ein geladenes Gewehr auf einen andern abgeschossen, o h n e diesen zu treffen. Wo wäre hier der Erfolg, dessen „versuchte" Herbeiführung wir bestrafen könnten? 2. B e i u n b e s t i m m t e m V o r s a t z e i s t V e r s u c h m ö g l i c h . Da jeder der vorgestellten Erfolge vom Vorsatze umfafst wird, mufs der schwerste derselben, ob eingetreten oder nicht, alB für die strafrechtliche Beurteilung des Thäters mafsgebend betrachtet werden. Wer also als Erfolg seiner Handlung Verwundung o d e r Tötung seines Gegners voraussieht, ist der versuchten Tötung schuldig, wenn seine Handlung nur eine Verwundung des Gegners zur Folge gehabt hat oder gänzlich erfolglos verlaufen ist. 3. W e n n d i e S t r a f b a r k e i t d e r H a n d l u n g von e i n e r obj e k t i v e n B e d i n g u n g a b h ä n g t , i s t V e r s u c h m ö g l i c h , falls die Bedingung eingetreten, die Handlung aber entweder unvollendet geblieben oder mifslungen ist (oben §. 43 I I I 2). Dieser Satz findet auch dann Anwendung, wenn es sich um den schwereren Erfolg als Bedingung höherer Strafbarkeit handelt (oben §. 37 Note ö).7) 4. B e i den (eigentlichen wie uneigentlichen) U n t e r l a s s u n g s d e l i k t e n ist zwar fehlgeschlagenes Verbrechen, nicht aber nichtbeendeter Versuch möglich. Beispiel: Der Eisenbahnwächter läfst vorsätzlich, um die Entgleisung des Personenzuges zu bewirken, ein auf den Bahnkörper gerolltes Felsstück liegen; das Hindernis wird aber von dem Lokomotivführer rechtzeitig bemerkt und der Zug im letzten Augenblicke zum Stehen gebracht. 5. Dasselbe gilt aus gleichem Grunde in a l l e n d e n j e n i g e n F ä l l e n , in welchen die A u s f ü h r u n g s h a n d l u n g als e i n e d u r c h a u s e i n h e i t l i c h e schon im ersten wie in jedem folgenden Zeitteilchen ihrer Verwirklichung dem gesetzlichen Thatbestande voll und ganz entspricht. Rasches Fahren in belebten Strafsen, Rauchen an feuergefährlichen Stellen, Betreten eines fremden Grundstückes und ähnliche Begriffe gestatten für ihre regelmäßige Begehungsweiße die Annahme einer begonnenen aber noch nicht abgeschlossenen Thätigkeit nicht. Ein andres Beispiel bieten die durch Verbreitung von Druckschriften begangenen strafbaren Handlungen. Doch ist in all diesen Fällen zu beachten, dafs bei Anwendung ') Dagegen insbesondre Bg I 589, B a u m g a r t e n 370, 378.
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§. 46.
Vorbereitung und Auaführung.
eine« gröfaeren Apparates tur Herbeiführung des £rfolges (oben §. 27 III) die Möglichkeit unvollendeter Thätigkeit sich ergiebt. 6. Wenn das Gesetz ausnahmsweise V e r s u c h s - o d e r V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n , insbes. auch das U n t e r n e h m e n einer strafbaren Handlung a l s s e l b s t ä n d i g e V e r b r e c h e n unter besondere Strafe stellt (oben S. 206), so ist Versuch w e d e r a l s f e h l g e s c h l a g e n e s , n o c h a l s u n v o l l e n d e t e s V e r b r e c h e n m ö g l i c h . Denn die Annahme eines V e r s u c h e s d e s V e r s u c h e s oder eines Versuches der Vorbereitung würde nicht nur zu unlöslichen logischen Schwierigkeiten führen, sondern auch die durch jene Ausnahmen bereits gestörte Gleichmäfsigkeit der gesetzlichen Strafbestimmungen doppelt erschüttern.')
§. 46.
Vorbereitung und Ausführung.
Lltteratur. Vgl. die Angaben zu §. 45. Aufserdem R o s e n b l a t t GA X X X V I 67 (Z I X 651).
I. Der Grund fiir die Strafbarkeit des Versuchs liegt in der Gefährlichkeit der Handlung und des Thäters. Wir beurteilen diese Gefährlichkeit nach dem lediglich in der Vorstellung des Thäters enthaltenen, thatsächlich gar nicht eingetretenen Erfolge. Das Wesen des Versuches besteht mithin in der Beziehung des Geschehenen auf einen nicht eingetretenen Erfolg. Diese Beziehung m u f s gegeben sein, damit von Versuch gesprochen werden kann. J e entfernter aber das Geschehene von der Vollendung, auf einer je früheren Stufe die Handlung unterbrochen wurde: desto schwieriger, desto unsicherer ist der Nachweis jener Beziehung; ob die verbrecherische Entschiedenheit des Thäters ausgereicht haben würde, um die Ausführung bis ans Ziel zu bringen, und ob die Handlung die Richtung auf den behaupteten Erfolg thatsächlich gehabt habe oder nicht — ist schwer zu entscheiden, wenn die Handlung über die ersten Anläufe zur Verwirklichung des Entschlusses nicht hinausgekommen ist. Der Ankauf eines Revolvers kann zu verschiedenen Zwecken erfolgen; wer sagt uns, dafs er zum Werkzeuge eines Mordes bestimmt war; wer sagt uns, selbst wenn der Zweck des Ankaufes aufser Zweifel gestellt sein ') Ebenso B 364, W 200, B a u m g a r t e n 401. Dagegen M 863, 0 174, Cohn 383.
§. 46.
Vorbereitung and Ausführung.
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sollte, dafs der Käufer den Mut gehabt hätte, es bis zum Aufsersten kommen zu lassen? Aus dem Gesagten ergiebt sich die Notwendigkeit, die e n t f e r n t e n V e r s u c h s h a n d l u n g e n s t r a f l o s zu l a s s e n . So gelangen wir zu einer Unterscheidung innerhalb der Versuchshandlungen, und wir können die entfernteren Versuchshandlungen als straflose V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n d e n näheren, strafbaren V e r s u c h s h a n d l u n g e n im engern Sinne gegenüberstellen. I I . Statt nun, wie es am zweckmäfsigsten wäre, die Zuteilung einer in Frage stehenden gegebenen Handlung in die eine oder die andre Gruppe dem Ermessen der Rechtsprechung im Einzelfalle zu überlassen, hat die Reichsgesetzgebung im Anschlüsse an das französische Recht es unternommen, die Grenzlinie ein für allemal zu ziehen. Diesem Bestreben verdanken wir die scheinbare ') Versuchsbestimmung in StGB. §. 43: Versuch ist Bethätigung des Entschlusses, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch H a n d l u n g e n , w e l c h e e i n e n A n f a n g d e r A u s f ü h r u n g dieses V e r b r e c h e n s o d e r V e r g e h e n s e n t h a l t e n . Die Grenzlinie zwischen Vorbereitung und Versuch im engern Sinne (strafbarem Versuch) bildet demnach der An fang der Ausführung, das commencement d'exécution des französischen Rechts. Aber mit dieser Fassung ist für die Rechtsprechung wenig gewonnen. Alle Versuche, den „Anfang der Ausführung" näher zu bestimmen, führen zu wertlosen Umschreibungen. Nur so viel geht aus StGB. §. 43 hervor, dafs nach Absicht des Gesetzgebers einmal Vorbereitung und Versuch überhaupt auseinandergehalten, und weiter nur n a h e an die Vollendung heranreichende Handlungen als Versuch gestraft werden sollen. Anfang der Ausfuhrung bedeutet also nichts andres als die ') Scheinbare Versuchsbestimmung: denn es soll nur Vorbereitungshandlung von Versuchshandlung i. e. S. abgegrenzt, nicht aber der Versuch als solcher bestimmt werden. Auf den Gegensatz von gelungenem und fehlgeschlagenem Verbrechen bezieht sich §. 43 StGB, überhaupt nicht. Es ist demnach ganz verkehrt, bei der Frage nach der Strafbarkeit des untauglichen Versuches den „Anfang der Ausführung" verwerten zu wollen, und etwa zu sagen: wenn die Ausführung nicht vollendet werden kann, dann kann sie auch nicht angefangen werden. Vgl. den folgenden §. 47. T o n L i a n t , 8trafrecht.
4. Aufl.
14
210
§. 46. Vorbereitung und Ausführung.
l e t z t e e n t s c h e i d e n d e T h ä t i g k e i t in der vom Thäter vorgestellten Reihe von Einzelhandlungen im Gegensatze zu denjenigen Handlungen, welche die B e g e h u n g vorbereiten oder befördern; oder, wie wir, ebenfalls umschreibend, sagen können, diejenige Handlung des T h ä t e r s , welche bereits einen wirklichen Bestandteil des im Gesetze mit Strafe bedrohten Thatbestandes bilden. E s beginnt demnach der strafbare Versuch der Doppelehe erst mit der (zweiten) Eheschliefsung, der V e r s u c h des Meineids erst mit dem Beginne des Schwuraktes; der Versuch der Entführung, des Diebstahls erst in dem A u g e n b l i c k e , im welchem die Schutzgewalt, der Gewahrsam des Machthabers gestört wird; bei den sogenannten zusammengesetzten Verbrechen, wie Raub, Notzucht u. a., ist strafbarer Versuch anzunehmen, sobald mit der Gewaltanwendung begonnen wurde, usw.2) III. Von der grundsätzlichen Straflosigkeit der Vorbereitungshandlungen hat die Gesetzgebung einzelne Ausnahmen gemacht. Es gehören hierher alle diejenigen Fälle, in welchen entweder e i n e V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g unter besondere Strafe gestellt, oder schon das U n t e r n e h m e n einer strafbaren Handlung mit der Strafe des vollendeten Verbrechens bedroht wird (oben S. 206). Denn „Unternehmen" ist ein weiterer Begriff als das in §. 43 StGB, eng begrenzte „Versuchen". Eroteres umfafat auch Bolche Handlungen, welche als Vorbereitungshandlungen noch nicht in das Gebiet des strafbaren Versuches hineinfallen würden.*) *) Ubereinstimmend im wesentlichen, wie schon früher Z a c h a r i a e , H l 128, O 167; insbes. aber das Reichsgericht, zuletzt ß 20. November 86 XV 56. Ahnlich auch B a u m g a r t e n , welcher direkte Beziehung zwischen der An^riffshandlung und dem Angriffsobjekt (das „leidende Subjekt", wie er im Anschlüsse an C a r r a r a sagt) verlangt. Unbrauchbar ist die Fassung bei M 259, verfehlt die bei L ö n i n g Haftung des Redakteurs 152. — Ganz unrichtig aber ist es, die gesetzliche Bestimmung völlig aufser acht zu lassen und mit H I 336, 342, der frühern sächsischen Rechtsprechung u. a. Strafbarkeit anzunehmen, sobald die A b s i c h t in der That zum unzweideutigen Ausdrucke gelangt ist. Gegen diese, auch vom Obersten Österr. Gerichtshof angenommene, Ansicht vgl. R o s e n b l a t t a. 0. •) Die Frage ist sehr bestritten. Die herrschende Ansicht ist der im Text vertretenen entgegengesetzt. Ich habe meine Auffassung einffehend begründet in meiner falschen Aussage S. 175 ff. — Gegen dieselbe äfst sich insbes. n i c h t ins Feld führen die Begriffsbestimmung des StGB. §. 82: „Als ein Unternehmen, durch welches das Verbrechen des Hochverrats vollendet wird, ist jede Handlung anzusehen, durch welche das Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebracht werden •oll". Denn
§. 47.
§. 47.
Der untaugliche Versuch.
211
Der untaugliche Versuch.
L i t t e r a t n r . Aufser den zu §. 46 genannten Schriften: H e r t z Versuch mit untauglichen Mitteln 1874. L a m m a s c h Das Moment objektiver Gefährlichkeit im Begriffe des Verbrechensversuches 1878. C o h n GA X X V H I 361 (Z I 164). Z i m m e r m a n n GA T T T Y 182 (Z I 616); V i l l n o w GA X X X V 98. — G e y e r Z I 30; v. B n r i Z 1186; v. L i s z t Z I 93; B ü n g e r Z V I 362. — G o l d f e l d Über den Versuch mit untauglichen Mitteln und an untauglichen Objekten 1883 (Z I I 380). (Havenstein) GA X X X V I 33 (Z I X 651), Z u c k e r GA X X X V I 370 (Z I X 656), und wieder H a v e n s t e i n GA X X X V I I 130, Z u o k e r GA X X X V I I 274. H u t h e r GA X X X V I 433. K r o s c h e l GS X L H I 216. Vgl. auch die zu §. 28 angeführten Schriften von J . v. K r i e s . I. Schon bei den römischen Juristen, von Neratius und Pomponius bis auf Ulpian und Paulus, scheint die Strafbarkeit des untauglichen Versuches, wenn auch allerdings nur in Beziehung auf einzelne strafbare Handlungen zu den vielbesprochenen Streitfragen gehört zu haben. Die spätern von ihnen bemühen sich, strafbare und straffreie Fälle zu unterscheiden, ohne aber zur Aufstellung eines allgemeinen Grundsatzes zu gelangen. Das gemein-deutsche Recht und die auf ihm beruhende Gesetzgebung erwähnte den fehlgeschlagenen Versuch bei einzelnen Verbrechen, wie Vergiftung, Abtreibung u. a., und behandelte ihn zumeist als einen die ordentliche Strafe des vollendeten Verbrechens ausschliefsenden Milderungsgrund. In unBern Tagen hat F e u e r b a c h (Lehrbuch 4. Aufl. 1808) die Frage in allgemeiner Fassung aufgestellt und damit den Streit über die Strafbarkeit des mifslungenen Verbrechens lebhaft entfacht. Feuerbach will nur die g e f ä h r l i c h e Versuchshandlung bestraft wissen, und verlangt daher, dafs die Handlung ihrer äufsern Beschaffenheit nach mit dem beabsichtigten Erfolge in ursächlichem Zusammenhange stehe. Diese Forderung führt zur Unterscheidung von M i t t e l und O b j e k t der mifslungenen Handlung und weiter ( M i t t e r m a i e r 1816) zur Unterscheidung von a b s o l u t e r und r e l a t i v e r U n t a u g l i c h k e i t des Mittels oder Objektes. Bäsch wurde diese Ansicht, trotz der von manchen wie K ö s t l i n , H ä l s c h n e r , v. S c h w a r z e u. a. gegen sie erhobenen Bedenken, zur herrschenden und blieb es bis in die jüngste Zeit. Danach sprach man von a b s o l u t untauglichem Versuche, wenn die Handlung mit den angewendeten Mitteln und gegenüber dem angegriffenen Objekte in k e i n e m F a l l e zum Ziele führen konnte (Mordversuch mit einer un1. ist die hier gegebene Begriffsbestimmung nicht ohne weiteres über das Gebiet des Hochverrats auszudehnen ( K 9. November 80 I I I 26; B 135, O 461); 2. enthält 6. 82 eine positivrechtliche, dem Begriffe des Unternehmens im gewöhnlichen wie juristischen Sprachgebrauche nicht angehörende Beschränkung in dem Worte „unmittelbar" ( R 4. Juni 83 V l U 354); 3. greift trotz dieser Beschränkung auch das Unternehmen des §. 82 über den Umfang des Versuchsbegrriffes hinaus. Vgl. darüber unten bes. Teil (Hochverrat). Für die richtige Ansicht H I I 926. 14*
212
§. 47. Der untaugliche Versuch.
geladenen Pistole; gegen einen bereits Verstorbenen); von r e l a t i v untauglichem Versuche, wenn das gewählte Mittel, das angegriffene Objekt zwar im allgemeinen geeignet waren, im E i n z e l f a l l e aber, wegen der besondern Gestaltung der Verhältnisse, sich als ungeeignet herausstellten (Mordversuch mit einer im Augenblicke des Abdrückens zerspringenden Pistole; gegen jemand, der sich durch ein Panzerhemd geschützt hat). In der Behandlung der beiden Fälle gingen die Ansichten weit auseinander. Die einen — so auch die Rechtsprechung in Preufsen, Bayern, Österreich, ferner in den romanischen Ländern — straften den relativ untauglichen Versuch, liefsen den absolut untauglichen dagegen straflos; die andern — und ihnen folgte die württembergische und sächsische Praxis — verlangten Bestrafung nicht blofs des relativ, sondern auch de9 absolut untauglichen Versuches. Nur einzelne, wie v. B a r , wollten die Untauglichkeit des Mittels anders behandeln wie die des Objekts. War diese letztere Ansicht an sich schon gegen die Mittermaiersche Unterscheidung gerichtet, so begann nun auch bald die kritische Prüfung und Bekämpfung derselben. Man schlofs etwa folgendermafsen: Der Versuch beruhe i m m e r auf einem Irrtume über die Folgen des Thuns, d. h. auf der (irrigen) Annahme, dafs eine zur Herbeiführung des vorgestellten Erfolges untaugliche Handlung zur Herbeiführung tauglich sei. Nur die Tauglichkeit der H a n d l u n g , als des Mittels zum Zwecke, stehe mithin zur Frage. E i n e bestimmte vorgenommene Handlung aber könne zur Herbeiführung e i n e s bestimmten vorgestellten Erfolges immer nur tauglich oder nicht tauglich, d. h. kausal oder nicht kausal sein, nicht aber mehr oder weniger nicht-kausal; die Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Untauglichkeit des Mittels (oder des Objektes) sei daher eine grobe Verkennung des Ursachenbegriffes. Das Wesen des Versuches bestehe in der Kundgebung eines auf Verletzung gerichteten Willens; diese Kundgebung finde sich aber in durchaus gleicher Weise auch bei dem sogenannten untauglichen Versuche. Und wenn jeder Versuch in einem Irrtume über die Kausalität de9 Thuns bestehe, so könne dieser Irrtum keinen Grund abgeben, um einzelne Versuchsfälle nicht strafen zu wollen. Diese Ansicht hat die rückhaltlose Billigung des R e i c h s g e r i c h t e s gefanden. Mit aller Entschiedenheit hat sich dieses auf den insbesondere von v. B u r i wiederholt vertretenen Standpunkt gestellt und in einer Reihe von Entscheidungen, vor allen aber in der vielbesprochenen Entscheidung der vereinigten Strafsenate vom 24. Mai 1880') die Strafbarkeit ') I 489. Ferner R 10. Juni 80 I 451 (Tötungsversuch an einem totgebornen Kinde); 30. März 83 V I I I 198 (Abtreibungsversuch von seiten einer nicht schwangern Frauensperson); 1. Juni 1883 VIII 351; 27. Februar 88 X V I I 158 (untaugliches Mittel). — G e g e n d i e Plenarentscheidung haben sich erklärt: C o h n , G e y e r , v. L i s z t , Z i m m e r m a n n , H a g e m a n n , V i l l n o w , in den oben angeführten Abhandlungen; ferner W a n l b e r g Z I I 194, B i n d i n g Grundrifs 114, R o t e r i n g GA X X X I £66, B ä n g e r Z VI 352, v. R o h l a n d Gefahr 78 (Z V I I 734), B a u m g a r t e n
§. 47.
Der untaugliche Versuch.
213
auch des absolut untauglichen Versuches ausgesprochen, ohne vor irgend einer der aus diesem Grundsatze sich ergebenden Folgerungen zarückzuscheuen.
II. U n t a u g l i c h e r Versuch liegt vor, wenn die mit Voraussicht des Erfolges unternommene körperliche Bewegung ung e e i g n e t war den Erfolg herbeizuführen. Der untaugliche Versuch tritt uns nicht ausschliefslich, wenn auch vorwiegend als f e h l g e s c h l a g e n e s Verbrechen, mithin als beendeter Versuch, sondern auch als n i c h t b e e n d e t e r Versuch entgegen. Es ist ebenso gut möglich, dafs der Thäter eben die ersten Anstrengungen machte, um mit dem gänzlich untauglichen Brechwerkzeuge den Verschlufs zu öffnen, als dafs er mit seinen vergeblichen Bemühungen zu Ende gelangt ist. In dem einen wie in dem andern Falle sind die Merkmale des Versuchsbegriffs unzweifelhaft gegeben. Bei der Beantwortung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der untaugliche Versuch nach deutschem Reichsrecht strafbar sei, mufs unbedingt daran festgehalten werden, dafs §. 43 StGB, dieselbe weder, wie sein Wortlaut zeigt, entschieden hat, noch auch, wie die Motive zu §. 43 ergeben, hat entscheiden wollen. Vielmehr sollte die Entscheidung dieser alten und schwierigen Streitfrage, zu deren Lösung der Gesetzgeber sich nicht berufen fühlte, nach wie vor der Wissenschaft und der Rechtsprechung überlassen bleiben. Als zweifellos unrichtig ergiebt sich hiermit die Schlufsfolgerung: J e d e r Versuch ist strafbar; der untaugliche Versuch i s t Versuch; folglich ist der untaugliche Versuch strafbar. Diese Schlufsfolgerung ist unrichtig, weil der Obersatz weder im Gesetze begründet ist, noch aus allgemeinen Erwägungen sich ergiebt. 8 ) 358, B o r c h e r t Verantwortlichkeit für Handlungen dritter 69; G o l d s c h m i d t Kritische Beleuchtung der Übergriffe der historischen Schule und der Philosophie in der Rechtswissenschaft 1887 (Z V I I 742), W e h r l i Eindesmord 81, M 261, O 166 u. a. — Es hat aber auch nicht an Schriftstellern gefehlt, welche der Ansicht deB Reichsgerichts in allem Wesentlichen beitraten. Aufser W ä c h t e r , H ä l s c h n e r , S c h w a r z e , H e r t z , J a n k a u. a. seien erwähnt S e u f f e r t Italien. Entwurf 167, S t e n g l e i n QS X L I I I (Bemerkung zu Kroschel) und von den Ausländern G a r o f a 1 o Criminologie 318. *) Uber die Verwertung des „Anfangs der Ausführung" vgl. §. 46 Note 1. Damit entfallt auch G e y e r s Schlufsfolgerung: der versuch ist teilweise Verwirklichung des Vorsatzes; folglicn ist der untaugliche Versuch nicht Versuch.
214
§. 47. Der untaugliche Versuch.
A u f diese aber müssen wir mangels einer gesetzlichen Regelung der Frage zurückgreifen. Nun liegt der Grund für die Strafbarbeit des Versuches, wie wir gesehen haben, in der G e f ä h r l i c h k e i t der Handlung und des Thätera. Die Strafbarkeit des Versuches kann daher nur dort entfallen, wo diese Gefährlichkeit sowohl der That als auch des Thäters ausgeschlossen ist. So gewinnen wir die Regel: s t r a f l o s bleibt d e r u n g e f ä h r l i c h e V e r s u c h . Dieses Ergebnis wird durch die unbestreitbare Thatsaclie unterstützt, dafs unser Rechtsbewufstsein j e nach der Gefährlichkeit der Versuchshandlung in verschiedener Weise gegen dieselbe reagiert, dem u n g e f ä h r l i c h e n V e r s u c h e gegenüber aber eine Reaktion unseres Rechtsbewufstseins unmittelbar gar nicht, sondern erst mittelbar auf dem W e g e einer Schlufsfolgerung eintritt; der wesentlichen Verschiedenheit in der objektiven Bedeutung der Versuchshandlung entspricht mithin die wesentliche Fngleichartigkeit des psychologischen Eindrucks, welchen die Handlung in dem Bedrohten wie bei den übrigen Rechtsgenossen hervorruft. 3 ) Der Begriff der Gefährlichkeit (ob. § . 2 7 I V ) bietet darum besondere Schwierigkeiten, weil er, wie der höhere Begriff der Möglichkeit, gegeben oder ausgeschlossen sein kann, j e nachdem die Zahl der bei der Beurteilung in Betracht gezogenen näheren Umstände eine kleinere oder gröfsere ist. A u f die F r a g e : ist es eine Gefährdung des Lebens, wenn ich einen Menschen ins Wasser werfe? wird die Antwort verschieden lauten, j e nachdem die F r a g e in dieser Allgemeinheit gestellt oder in sie die Tiefe des Wassers, die Schwimmkundigkeit des Hineingeworfenen, sein Körperzustand, die Hilfsbereitschaft dritter usw. aufgenommen wird. E s handelt sich also darum, diejenigen näheren Umstände festzustellen, welche bei der Beurteilung der Gefährlichkeit oder l'ngefährlichkeit des Versuchs zu berücksichtigen sind. Der Satz: „straflos bleibt der ungefährliche Versuch 1 ' bedarf mithin der näheren Erläuterung. 1. B e i der Beurteilung ist die Handlung nicht in willkürlicher Verallgemeinerung, sondern u n t e r B e r ü c k s i c h t i g u n g *) Ähnlich LammaBch a. 0. B a u m g a r t e n 248, B ü n g e r Z VI 361, J . v. K r i e s Z I X 634.
g. 47.
Der antangliche Versuch.
21g
a l l e r sie begleitenden b e s o n d e r n U m s t ä n d e ins Auge zu fassen. 2. Die Beurteilung mufs als eine nachträgliche P r o g n o s e 4 ) betrachtet werden; d. h. es sind die im A u g e n b l i c k e des H a n d e l n s , in welchen der Urteilende sich z u r ü c k z u v e r setzen hat, h e r v o r t r e t e n d e n , nicht aber die erst durch den weitern Verlauf aufgedeckten Umstände zu berücksichtigen. 3. Nur wenn unter Berücksichtigung der im Augenblicke der Handlung hervortretenden Umstände nach o b j e k t i v e m U r t e i l e die Handlung als völlig ungeeignet erscheint, den Erfolg herbeizuführen, ist der Versuch als ein ungefährlicher straflos. Demnach kann z. B . der Versuch der Abtreibung von seiten einer gar nicht schwangern Frauensperson ganz wohl strafbar sein, wenn die Umstände bei Vornahme der Versuchshandlung das Vorhandensein einer Schwangerschaft als nicht völlig ausgeschlossen erscheinen liefsen; strafbarer Tötungsversuch an einem totgebornen Kinde ist durchaus möglich, nicht aber an einer bereits stark in Verwesung übergegangenen Leiche. Anders in den viel mifsbrauchten Schulbeispielen: beim Totbeten (welches zuerst Feuerbach 1808 verwertet hat), Nestelknüpfen. Verhexen; bei dem Versuche, den auf Kanonenschufsweite in einem Kahne befindlichen B durch einen Pistolenschufs zu töten usw. 5 ) ) Vgl. dazu auch F i n g e r Begriff der Qefahr 23. Bei dem Zwiespalt der Ansichten, insbesondere bei dem Widerspruch, welchen der Standpunkt des Reichgerichts gefunden hat, erschiene g e s e t z l i c h e Regelung aer Frage wünschenswert. Eine solche enthielten nicht nur ältere deutsche Landesgesetzbücher, sondern sie findet sioh auch neuerdings wieder in den Entwürfen von England, Rufsland, Spanien, Schweiz (Mil.-StGB.) sowie im italien. StGB. Empfohlen wird sie auch von v. R o h l a n d und v. M e y e r . Meine Ansicht entspricht daher ebensowenig der herrschenden Lehre von der Straflosigkeit des „absolut untauglichen" Versuches, wie der Auffassung des R. Sie geht vielmehr von jener aus und nähert sich dieser, ohne sicn ihr völlig anzuschliefsen. Mit jener stimmt sie in der wissenschaftlichen Grundlegung, mit dieser in den praktischen Ergebnissen wesentlich überein. — Die vielfach auch in neuester Zeit (vgl. K r o s c h e l GS X L I 273) gemachten Bemühungen, untauglichen Versuch und „Mangel im Thatbestande" zu unterscheiden, müssen einstweilen wenigstens als gescheitert betrachtet werden. 4
216
§. 48.
§. 48. Litteratnr. 1889 (Z I X 649). I.
Der Rücktritt vom Versuch.
Der Rücktritt vom Versuch.
H e r z o g Rücktritt vom Versuch und thätige Reue Hier weitere Nachweise.
W e n n wir
den G r u n d
für
die S t r a f b a r k e i t
des
s u c h s in d e r G e f ä h r l i c h k e i t d e r T h a t u n d des T h ä t e r s so ist
die
Strafbarkeit
gegeben,
s o b a l d mithin die B e z i e h u n g
sobald
diese
Gefährlichkeit,
zwischen d e r T h a t und d e m
g e s t e l l t e n E r f o l g e , e r k e n n b a r gegeben ist.
Ver-
erblicken, vor-
In dem Augenblicke,
in w e l c h e m die Grenzlinie zwischen den s t r a f l o s e n V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n u n d d e r s t r a f b a r e n A u s f ü h r u n g ü b e r s c h r i t t e n wird, in d e m s e l b e n
Augenblicke
Strafe verwirkt.
Diese
ist
die
a u f den
T h a t s a c h e kann
Versuch
gesetzte
n i c h t mein - g e ä n d e r t ,
nicht „ n a c h r ü c k w ä r t s a n n u l l i e r t " , nicht a u s d e r W e l t
geschafft
werden.
kriminal-
AVohl
aber
kann
die
Gesetzgebung
aus
politischen G r ü n d e n d e m b e r e i t s straffällig g e w o r d e n e n
Thäter
eine g o l d e n e B r ü c k e zum R ü c k z ü g e b a u e n .
S i e h a t es g e t h a n ,
indem
zum
sie
den
hebungsgründe
freiwilligen
Rücktritt
m a c h t e ( S t G B . §.
Strafauf-
46).1)
Das römische Recht hatte in vereinzelten Quellenstellen die Bedeutung des freiwilligen Rücktrittes ausdrücklich anerkannt. Vgl. insbesondere I. 19 proem. D. 48, 10: qui falsam monetam percusserint, si id totum formare noluerunt suffragio justae poenitentiae absolvuntur. — Art. 178 PGO. verlangte zur Strafbarkeit des Versuches, dafs der Thäter „durch andre Mittel wider seinen Willen" an der Vollbringung der ') Man hat früher vielfach die straffreimachende Wirkung des Rücktritts auf R e c h t s g r ü n d e zurückzuführen versucht, indem man behauptete, dafs durch den Rücktritt der verbrecherische Wille vernichtet werde, oder dafs im Falle des Rücktritts der Wille von Anfang an gar nicht oder nicht in der erforderlichen Festigkeit vorhanden gewesen sei. Die Unhaltbarkeit dieser Ansichten hat H e r z o g schlagend nachgewiesen. Aber auch der Ansicht dieses Schriftstellers, dafs nur die Herbeiführung des Deliktübels verboten 9ei, dafs die Strafbarkeit des Versuchs daher auf der Vermutung des Ausführungswillens beruhe (oben §. 45 Note 2) and diese durch den Rücktritt widerlegt werde, kann nicht beigetreten werden, da sie den Grund für die Strafbarkeit des Versuches unrichtig bestimmt. — Die heute herrschende Ansicht führt wie der Text die Wirkung des Rücktritts auf Erwägung der Klugheit oder der Billigkeit zurück. Auch R 20 März 88 X V I I 244. Abweichend B 146 und B g Normen I 43, I I 234, 250; letzterer auf Grund seiner Kausalitätstheorie. — Vereinzelt wird die Straflosigkeit überhaupt mifsbilligt; so, aufser von J o h n und S c h ü t z e , insbes. von C o h n I 556, v. ß u r i Kausalität (1885) 141. G e y e r Kleine Schriften 292 will nur Strafmilderung.
§. 48. Der Rücktritt vom Versuch.
217
Missethat verhindert worden sei. Das gemeine Recht gewährte teils Straflosigkeit, teils Strafmilderung. Die erstere Ansicht gelangte zur Herrschaft in den deutschen Landes-StGBüchern. Doch machten diese teilweise ( n i c h t Preufsen 1861 und Bayern 1861 im Anschlufs an das französische Recht) den freiwilligen Rücktritt zum Strafaufhebungsgründe, statt die Nicht-Freiwilligkeit als Begriffsmerkmal des Versuches hinzustellen. Diesem Beispiele folgt auch §. 46 RStGB.
I I . Der freiwillige Rücktritt ist unmöglich, wenn die Herrschaft über die That und ihre Folgen bereits dem Thäter entrissen ist, mag der Eintritt oder der Nichteintritt des Erfolges gewifs sein, also sowohl beim gelungenen als auch beim mifslungenen Verbrechen. Er ist dagegen möglich: 1. Bei dem n i c h t b e e n d e t e n V e r s u c h e durch Nichtvollendung der körperlichen Bewegung: ,.wenn der Thäter die Ausführung der beabsichtigten Handlung aufgegeben hat" (StGB. §. 46 Nr. 1). Der Thäter läfst den zum Schlage erhobenen Arm sinken; die nach dem Giftbecher ausgestreckte Hand zieht sich zurück. Mit der Beendigung der auf den Erfolg gerichteten Handlung entfällt mithin auch die Anwendbarkeit der Ziffer 1 des §. 46. 2. Bei dem beendeten Versuche in der drittel! der oben §. 45 I I I 1 angegebenen Gestalten, so lange also der Eintritt des Erfolges noch zweifelhaft ist, durch „Abwenden des Erfolges** (StGB. §. 46 Nr. 2), also durch unmittelbares Eingreifen in das bereits rollende Rad des Kausalzusammenhanges: der abgesendete Brief wird während des Postlaufes zurückverlangt, die "Wirkung des Giftes durch Gegengift beseitigt. I I I . In beiden Fällen verlangt das Gesetz F r e i w i l l i g keit des Rücktrittes; indem §. 46 Nr. 1 die Straffreiheit nur gewährt, wenn der Thäter an der Ausführung nicht durch „Umstände gehindert worden ist, welche von seinem Willen unabhängig waren-', während Nummer 2 Abwendung des Erfolges „durch eigne Thiitigkeit" des Thäters verlangt. Die Freiwilligkeit wird am besten bestimmt durch ihren Gegensatz: die thatsächliche H i n d e r u n g in der Vollendung des Verbrechens. Der Rücktritt darf nicht in äufsern Umständen, er nmfs in einem freigefafsten Entschlüsse des Thäters seinen Grund haben, mag dieser aus Furcht oder Reue, mag er vielleicht auch den niedrigsten Beweggründen, etwa der Ent-
218
§. 48. Der Rücktritt vom Versuch.
täuschung über den geringen "Wert der zu stehlenden Gegenstände, entspringen. D e r t h a t s ä c h l i c l i e n Hinderung mufs aber die A n n a h m e der Hinderung gleichgestellt werden. 2 ) E n d g ü l t i g e s A u f g e b e n des verbrecherischen Entschlusses kann nicht gefordert werden. I m zweiten F a l l e ist die strafaufhebende W i r k u n g des Rücktrittes an die weitere B e dingung geknüpft, dafs die H a n d l u n g noch nicht entdeckt, d. h. noch niemandem aufser den an der That strafbar beteiligten Personen oder dem durch die H a n d l u n g V e r l e t z t e n 8 ) bekannt war. IV. Die Auffassung, nach welcher der freiwillige Rücktritt S t r a f a u f h e b u n g s g r u n d ist, also zwar von der bereits verwirkten Strafe befreit, aber an dem Verbrechenscharakter der Versuchshandlung nichts ändert, wird nach den verschiedensten Richtungen hin von Bedeutung. Insbesondre folgt aus ihr: 1. Der Rücktritt des Thäters macht weder den Mitthäter noch den Anstifter oder Gehilfen straffrei; denn die Thatsache, dafs sie sich an einer strafbaren Handlung beteiligt haben, bleibt bestehen. 4 ) 2. Aber die Teilnehmer können sich selbst der Wohlthat des Gesetzes teilhaft machen: Anstifter und Gehilfe allerdings nicht durch Nichtvollendtjng der Handlung nach §. 46 Nr. 1, denn hatten sie ihre Handlung noch nicht beendet, so waren sie überhaupt noch nicht strafbar geworden; wohl aber durch selbständige Abwendung des Erfolges nach §. 46 Nr. 2. 3. Nur die Strafe der versuchten Handlung entfällt (§. 46: „der Versuch a l s s o l c h e r bleibt straflos"), nicht aber die Strafbarkeit des etwa in der Versuchshandlung gelegenen vollendeten anderweitigen Verbrechens. Man spricht hier wohl, wenig bezeichnend, von „qualifiziertem" Versuch. 4. Wenn Vorbereitungs- oder Versuchshandlungen mit besondrer ») Ebenso H e r b s t GA X X X I I 130. B a u m g a r t e n 460. Dagegen H e r z o g 243, O 186. ') A. A. R 12. März 80 I 307. Nach Ansicht des Reichsgerichtes wäre mithin bei denjenigen Verbrechen, bei welchen die Kenntnisnahme des Verletzten zu den Begrifismerkmalen gehört, wie z. B. bei der Erpressung, §. 46 Ziff. 2 überhaupt nicht anwendbar. Mit R einverstanden G I 134, B a u r a g a r t e n 464, H e r z o g 255; teilweise auch (mit willkürlichen Unterscheidungen) O 188. ' ) Ebenso G I 134, H I 362, J 152; insbes. aber R 15. März 86 X I V 19, 25. November 87 X V I 347. Dagegen B 160, M 279, O 183, S 141, B a u m g a r t e n 457, H e r z o g 260 (von seinem Standpunkte aus durchaus folgerichtig). Vgl. über die Frage M e v e s GS X X X V I I 397, welcher übersieht, dafs Strafaufhebungsgründe s t e t s nur demjenigen zu Gute kommen, in dessen Person sie sich ereignet haben.
§. 49. Teilnahme. Geschichte and Stand der Frage.
219
Strafe bedroht aind oder das unternommene dem vollendeten Verbrechen in der Bestrafung gleichgestellt ist (ob. S. 206), so entfällt, mangels einer besonderen positivrechtlichen Bestimmung, die strafaufhebende Wirkung des Rücktrittes.')
VII. Thäterschaft und Teilnahme. §. 49.
Geschichte und Stand der Frage.
Litteratnr. B e r n e r Teilnahme 1847. v. B a r Zur Lehre von Versuch und Teilnahme 1869. v. B u r i Zur Lehre von der Teilnahme 1860. L a n g e n b e c k Teilnahme 1867, 1868. S c h ü t z e Notwendige Teilnahme 1869... G e y e r H H I I 319, IV 141. v. K r i e s Z VII 631. B o r c h e r t Uber die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Handlungen dritter, insb. über Teilnahme und mittelbare Thäterschaft 1888 (Z I X 667). H e r m e s Zur Lehre von der Teilnahme am Verbrechen 1878. — S t u t t e Komplott und Bande 1887 Jenenser Dias. (Z VII 743). I. Der aus dem Begriff der Ursache (ob. §. 28) sich ergebende Satz, dafs nicht blofs der Alleinthäter, sondern dafs alle, welche sich an der Begehung einer strafbaren Handlung beteiligt haben, für den durch diese bewirkten Erfolg zur Verantwortung zu ziehen sind, ist in allen Rechtssystemen und zu allen Zeiten anerkannt worden. Aber ob und wie die v e r s c h i e d e n e n F o r m e n der Beteiligung begrifflich unterschieden, ob und wie S c h u l d - u n d T h a t a n t e i l eines jeden verschieden bestimmt und demgemäfs die S t r a f e bemessen werden solle, darübergehen die Ansichten bis auf den heutigen Tag auseinander. Das r ö m i s c h e R e c h t hatte nicht nur durch die regelmäfsige Formel der leges aus der Zeit des Quästionenprozesses: cujus ope consilio dolo malo id factum erit quive id fieri jusserit faciendumve curaverit — sondern auch vorher wie nachher die Beteiligten, die auctores, socii, ministri, fautores, participes mit Strafe belegt. Aber erst die freiere Stellung deB Richters im Verfahren extra ordinem ermöglichte jene unterscheidende Beurteilung, welche die Vorbedingung für die weitere Entwicklung der Lehre war. Doch ist auch das spätrömische Recht zur Ausbildung allgemeiner Grundsätze nicht gelangt. Im m i t t e l a l t e r l i c h e n D e u t s c h l a n d wurde der Anstifter von jeher dem Thäter, *) Für die im Text vertretene Ansicht sehr bestimmt R 29. April 84 X 324; ferner M 267, 0 183, H e c k e r 209, B a u m g a r t e n 470, Z i e b a r t h 362. Dagegen B 362, G I I 127, H II 736, 927, M 796, O 421, S 233, W 206, H e r z o g 230.
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§• 49. Teilnahme.
Geschichte und Stand der Frage.
wenigstens bei einer Reihe von Delikten, in der Bestrafung gleichgestellt. Dagegen war bezüglich der Strafbarkeit des Gehilfen die Entwicklung bei den einzelnen Verbrechen eine ganz verschiedene, bald wird (wie im Landfrieden von 1235) die Gewährung von Rat und That mit der Thäterschaft auf eine Stufe gestellt, bald (Ssp. I I 25, 1; I I 13, 6) nur der „rechte Volleist", ohne dessen Mitwirkung die Begehung nicht möglich gewesen wäre, dem Thäter gleich bestraft, während die übrigen Beteiligten mit geringerer Strafe davonkommen. Den Anstifter trifft dieselbe, wenn nicht härtere Strafe wie den Thäter. Auf dem letzteren Standpunkt stand auch die m i t t e l a l t e r l i c h e R e c h t s w i s s e n s c h a f t I t a l i e n s , wenn sie consilium, auxilium und mandatum von der Thäterschaft unterschied und den mandans wie den socius priucipalis, qui causam dat delicto dem Thäter in der Bestrafung gleichstellte. Aber auch sie gelangte nicht zu abschliefsenden, allgemein anerkannten Ergebnissen. So sah sich denn auch die PGO. gezwungen, in Art. 177 von einer Begriffsbestimmung abzusehen und einfach auf den Rat der Rechtsverständigen zu verweisen: Item so jemand einem Missethäter zu Übung einer Missethat wissentlicher und gefährlicher Weise einicherlei H i l f e , B e i s t a n d o d e r F ö r d e r u n g , wie das alles Namen hat, thut, ist peinlich zu strafen, als aber vorsteht in einem Fall anders denn in dem andern; darum sollen in diesen Fällen die Urteiler . . . Rates pflegen. — Der A n s t i f t e r wird in Art. 107 (Meineid) besonders erwähnt. Auch der g e r n e i n r e c h t 1 i c h e n Wissenschaft und Gesetzgebung gelang es nicht, feste Begriffe zu gewinnen; die von ihr aufgestellten Unterscheidungen — Teilnahme vor, während und nach der That (letztere zumeist als besonderes Delikt betrachtet), allgemeine und besondere, hauptsächliche und nebensächliche, physische und psychische, positive und negative Teilnahme — entbehren ebenso sehr der begrifflichen Schärfe wie der praktischen Brauchbarkeit. II. Die Entwicklung der Lehre in der Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts wird zunächst bestimmt durch die verschiedene Beantwortung zweier grundlegender Fragen. 1. Der Begriff der A n s t i f t u n g gestattet eine doppelte Auffassung. Man kann entweder die Anstiftung ansehen als mittelbare Herbeiführung des Erfolges, als ein Verursachen, bei welchem die Beeinflussung des Handelnden nur ein Glied in der Kette von Ursache und Wirkung ist. Dann ist die Anstiftung m i t t e l b a r e T h ä t e r s c h a f t (intellektuelle Urheberschaft). Gegen diese Auffassung, welche allein wissenschaftlich begründet ist und in der Rechtsprechung zu brauchbaren Ergebnissen führt, hat man eingewendet, dafs dann der Thäter als Werkzeug in der Hand des Anstifters erscheine, was mit der Annahme der Willensfreiheit unvereinbar sei. So gelangte man dazu, eine „Unterbrechung des Kausalzusammenhanges" zwischen der Handlung des Anstifters und dem Erfolge durch die freie und vorsätzliche Handlung des zurechnungsfähigen Thäter»
§. 49. Teilnahme.
Geschichte und Stand der Frage.
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anzunehmen und die Anstiftung nicht als mittelbare Selbstherbeiführung des Erfolges, sondern als T e i l n a h m e an der y o n d e m T h ä t e r begangenen That zu betrachten. Dies ist der Standpunkt des geltenden Rechts. Damit erhält die Anstiftung unselbständiges Wesen, ihre Strafbarkeit wird abhängig von der Strafbarkeit der vom Thäter begangenen Handlung. 2. Indem man ferner die B e i h i l f e ebenfalls als unselbständige T e i l n a h m e an der That eines a n d e r n betrachtete und für den Gehilfen ausnahmslos geringere Bestrafung als für den Thäter forderte, entstand das Bedürfnis, von der Beihilfe als der minderwertigen Beteiligung die M i t t ä t e r s c h a f t als gleichwertige Beteiligung zu unterscheiden. Das ist auch die Auffassung des RStQBs. Aber die starrformalistische Unterscheidung des Gehilfen und des Mitthäters entspricht den Bedürfnissen des Rechtslebens nicht; sie verleitet die Wissenschaft (B 164), von einem als Mitthäter zu bestrafenden „Hauptgehilfen" zu sprechen; sie zwingt die Rechtsprechung, dem Begriffe der M i t t ä t e r schaft eine Ausdehnung zu geben, welche ihn gänzlich unfafsbar und damit unbrauchbar macht. Die neueste ausländische Gesetzgebung gelangt daher dazu, entweder die Unterscheidung gänzlich aufzugeben (norwegischer Entw.) oder ihre Schroffheit zu mildern (italienisches StGB, und russischer Entw.) oder doch wenigstens die bindende Herabsetzung des Strafrahmens für den Gehilfen zu beseitigen (österreichischer Entw. von 1889). I I I . Glücklicheren Erfolg hatte die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, indem sie die Ausscheidung des Komplotts und der Bande einerseits, der Begünstigung anderseits aus den Arten der Beteiligung mehrerer an demselben Verbrechen in der Gesetzgebung durchsetzte und damit die Einfachheit und Klarheit dieses Begriffes wesentlich förderte. 1. K o m p l o t t ist die Verabredung mehrerer zur Begehung eines oder mehrerer bestimmter Verbrechen; B a n d e die auf Begehung mehrerer noch nicht einzeln bestimmter Verbrechen gerichtete Verbindung. Die ältere Ansicht hatte entweder alle Mitglieder als „gegenseitige Anstifter" für den gesamten Erfolg verantwortlich gemacht oder aber die Verabredung selbst als Versuch des Verbrechens gestraft. Die heutige Wissenschaft dagegen hält an dem Grundsatze fest, dafs den einseinen das begangene Verbrechen nur insoweit zugerechnet werden kann, als eben die Begriffe der Thäterschaft, Anstiftung, Beihilfe im gegebenen Falle thatsächlich durch die Thätigkeit der einzelnen verwirklicht worden ist; dafs ferner von Versuch nicht gesprochen werden kann, solange kein Anfang der Ausführung vorliegt. Der Gesetzgebung aber bleibt es unbenommen, Verabredung und Verbindung als selbständige Delikte unter Strafe zu stellen oder aber sie als Schärfungsgründe zu verwenden. Die Reichsgesetzgebung hat das erstere bezüglich des Komplotts gethan in StGB. §. 83, Mil.StGB. §§. 59, 72, 100, 103 sowie bezüglich des Komplotts und der Bande in §. 6 des Sprengstoffgesetzes vom 9. Juli 1884. Dagegen
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§. 50. Die (Allein-)Thäterschaft.
ist in §§. 146 und 147 des Vereinazollgesetzes vom 1. Juli 1869 und in §§. 87 und 91 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 das Komplott, in StGB. §. 243 Nr. 6, 260 Nr. 2, Mil.StGB. §. 136, Vereinszollgeeetz §. 146 die bandenmäfsige Begehung lediglich als Strafschärfungsgrund behandelt. 2. Die B e g ü n s t i g u n g ist keine Form der Beteiligung mehrerer an dem Verbrechen. Denn es fehlt ihr, da sie erst n a c h Begehung der That möglich ist, das einzige allen Formen der Beteiligung gemeinsame Merkmal : das Setzen einer Bedingung zu dem eingetretenen Erfolg. Sie ist mithin selbständiges Delikt und gehört als solches in den besondern Teil. Dieser, in der Wissenschaft nur mehr von einzelnen (so M 301, Ml 163) wideraprochenen Auffassung folgt, im Gegensatze zum Code pénal, nicht nur das RStGB., sondern auch die Mehrzahl der aufserdeutschen Gesetze (so Italien) und Entwürfe (so der russische, österreichische usw.). IV. Ganz verunglückt war die Aufstellung des Begriffs des concursus necessarius oder der n o t w e n d i g e n T e i l n a h m e ( S c h ü t z e ) . Sie soll dann vorliegen, wenn zur Begehung eines Verbrechens, wie bei Ehebruch, Blutschande, Zweikampf einerseits, bei Aufstand, Aufruhr, Meuterei anderseits, das Zusammenwirken mehrerer Personen begrifflich notwendig ist. Dabei ist aber übersehen, dafs auch hier die allgemeinen Kegeln über Beteiligung uneingeschränkte Anwendung finden, insbesondere die Strafbarkeit des einen Beteiligten durch die Straflosigkeit des andern (vielleicht gutgläubigen oder zurechnungsunfähigen) Genossen nicht berührt wird, dafs mithin die Aufstellung eines besondern Begriffs überflüssig ist und nur irreleitend wirken kann.
§. 50.
Die (Allein-)Thäterschaft.
I . Thäter (Alleinthäter) ist derjenige, d e r d i e g a n z e Verbrechenshandlung begeht, den gesetzlichen Thatbestand des Verbrechens voll und ganz verwirklicht; Notzüchter also z. B. derjenige, der nötigt u n d geschlechtlich mifsbraucht; Räuber derjenige, der Gewalt anwendet u n d die Sache wegnimmt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Erfolg lediglich durch eigne körperliche Thätigkeit, oder durch B e nutzung der Naturkräfte, eines "Werkzeuges oder eines Tiers herbeigeführt wurde. Derjenige also, der durch seinen H u n d ein Stück Fleisch aus dem Metzgerladen wegholen läfst oder den H u n d auf einen Menschen hetzt, ist als T h ä t e r des Diebstahls oder der Körperverletzung gerade so gut schuldig, wie derjenige, der sich die W u r s t vom Fenster der Speisekammer
§. 60. Die (Allein-)Thäterschaft.
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mittels einer Stange herabholt oder der mit der Faust oder durch einen unglücklichen Schrotschufs das Auge des andern beschädigt. II. Dasselbe gilt aber auch von der Benutzung eines zur e c h n u n g s u n f ä h i g e n Menschen. W e r etwa dem Tobsüchtigen ein Messer in die Hand giebt und ihn auf einen andern hetzt, damit dieser erstochen werde, ist als Thäter des Mordes schuldig. Dem Wahnsinnigen steht aber nicht nur das K i n d , sondern auch der S t r a f u n m ü n d i g e durchaus gleich (oben §. 36 Note 3). Denn Anstiftung, nach Auffassung des Gesetzes unselbständige Teilnahme an der strafbaren Handlung eines andern, ist unmöglich, wenn auf seiten des zur That Bestimmten eine strafbare Handlung nicht vorliegt. Die Verleitung eines Wahnsinnigen, eines strafunmündigen Kindes usw. kann daher niemals Anstiftung, sondern immer nur mittelbare Selbstbegehung der in Frage stehenden Handlung sein. III. Aber auch die Benutzung eines Z u r e c h n u n g s f ä h i g e n kann Selbstthäterschaft sein. Und zwar in drei Fällen. 1. Wenn der Bestimmte u n f r e i , d. h. g e n ö t i g t gehandelt hat; genauer: wenn die Voraussetzungen des §. 52 StGB, gegeben waren. Denn in diesem Falle entfallt mit der Rechtswidrigkeit auch die Strafbarkeit des Thuns; und damit ist die Unmöglichkeit strafbarer Teilnahme gegeben. 2. Wenn der Bestimmte nicht v o r s ä t z l i c h , d. h. nicht in der Voraussicht der Folgen seines Thuns gehandelt hat. Nur ist der Grund hier ein andrer als im vorigen Falle. Wer die Krankenpflegerin durch Täuschung bestimmt, statt des vom Arzte verordneten Chinins Gift zu geben, ist nicht Anstifter zu einem von der Pflegerin überhaupt nicht begangenen Morde, sondern selbst Mörder. 3. Wenn das Delikt eine b e s t i m m t e A b s i c h t fordert (z. B. Brandstiftung in der betrügerischen Absicht, die Versicherungssumme zu gewinnen), diese Absicht aber dem zu der That bestimmten Thäter mangelt, während sie bei dem Anstifter vorliegt. Auch hier ist dieser rechtlich nicht als Anstifter, sondern als Thäter zu betrachten. IV. Man spricht in den unter II und I I I bezeichneten
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§. 51.
Die Mehrthäterschaft.
Fällen von m i t t e l b a r e r Selbstbegehung (auch wohl von r fingierter" Thäterschaft). Nicht die Aufstellung dieses Begriffes, wohl aber die dem Menschen verliehene, von der Anerkennung durch die Rechtswissenschaft unabhängige, Fähigkeit, auf die Entschliefsungen seiner Mitmenschen einzuwirken und diese als Werkzeuge zur Ausführung seiner Pläne zu verwenden, gestattet die Annahme der Thäterschaft auch dort, wo körperliche oder Uberhaupt unmittelbare Begehung unmöglich wäre: so kann — z. B. durch Bestimmung eines Wahnsinnigen oder durch Nötigung eines Zurechnungsfähigen — sich eine Frauensperson der Notzucht oder der Päderastie, ein Nichtverwandter der Blutschande, ein Nichtbeamter eines eigentlichen Amtsdeliktes auf dem Wege der mittelbaren Thäterschaft schuldig machen. Und nur positivrechtliche Einschränkung (die uns bindende Auffassung des Gesetzes von dem Wesen der Anstiftung) zwingt uns, eine ,.Unterbrechung des Kausalzusammenhanges" (oben 28 I I 1) dann anzunehmen, wenn die freie und vorsätzliche That eines Zurechnungsfähigen zwischen Handlung und Erfolg tritt. 1 )
§.51.
Die Mehrthäterschaft.
L i t t e r a t u r . H i r s c h Uber den Unterschied zwischen M i t t ä t e r schaft und Beihilfe 1881. S c h m i d t Mittäterschaft 1882 (Z III 181). — F u c h s GA X X I X 170 (Z I 616). R u h s t r a t G S X X X I I 182 (Z I 166). G e y e r Klein. Schriften 161.
I. Die Mittäterschaft. Das RStGB. hat in 47 die vorsätzliche gleichwertige ') Der Betriff der mittelbaren Thäterschaft wird im allgemeinen von Wissenschaft und Rechtsprechung anerkannt. So von H I 368, 398, J 149, M 228, 297, v. S p e f s h a r d t Versicherungsbetrug 74; auch R 17. Januar 80 I 146; 8. Dezember 80 III 96; 14. Juni 81 I V 266; 13. Februar 85 X I I 67; 28. Januar 89 X V I I I 419. Doch glaubt man vielfach (v^l. O 192, B o r c h e r t 99, 106, L ö n i n g Haftung des Redakteurs 149, 160) ihn dort ausschliefsen zu müssen, wo das Gesetz körperliohe Begehung erfordere. Dieser Ansicht verdankt StGB. §. 160 (Verleitung zum Falscheid) sein wenig erfreuliches Dasein (vgl. bes. Teil). Dafs sie auf einer durchaus willkürlichen Unterscheidung beruht, bedarf keines Nachweises. Ganz verfehlt ist es, die mittelbare Selbstbegehung als strafrechtliche Verantwortlichkeit für Handlungen dritter aufzufassen, wie B o r c h e r t dies thut.
§. 51. Die Xehrthäterschaft.
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Beteiligung mehrerer an einem Verbrechen als M i t t ä t e r s c h a f t hervorgehoben. §. 47 sagt: „Wenn mehrere eine strafbare Handlung g e m e i n s c h a f t l i c h a u s f ü h r e n , so wird jeder als Thäter bestraft." Das Gesetz verwendet mithin zur Kennzeichnung der Mitthäterschaft einen uns bereits aus der Lehre vom Versuche bekannten technischen Ausdruck: „gemeinschaftliche A u s f ü h r u n g " . M i t t h ä t e r ist mithin derjenige, w e l c h e r an d e r Ausführungshandlung teilgenommen hat. So ist Mitthäter beim Morde derjenige, der eine tödliche Verletzung beigebracht; beim Diebstahl, wer die Sache weggenommen; beim Betrüge, wer an der Täuschung sich beteiligt hat. Bei den sogenannten z u s a m m e n g e s e t z t e n Verbrechen ist Mitthäter derjenige, welcher auch nur eine der das Verbrechen bildenden Ausführungshandlungen begangen hat. So sind A und B Mitthäter, wenn A die Frauensperson C vergewaltigt oder den D mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben bedroht und B die C mifsbraucht oder dem D die Brieftasche wegnimmt: denn Gewalt und Drohung sind Thatbestandsmerkmale für Notzucht und Raub. Wenn aber A Wache stand, während B einen Einbruchsdiebstahl verübte, so ist A niemals Mitthäter, sondern Gehilfe; denn das Wachestehen ist nicht Ausführung8handlung beim Diebstahl. Indem das Gesetz „ g e m e i n s c h a f t l i c h e A u s f ü h r u n g " verlangt, bezeichnet es den V o r s a t z der Beteiligten als Begriffsmerkmal der Mittäterschaft. Vorsatz aber als Bewufstsein von der verursachenden Bedeutung (der Kausalität) des Thuns umfafst hier die Vorstellung des einzelnen, d a f s er d u r c h seine H a n d l u n g z u s a m m e n w i r k e mit den H a n d l u n g e n der ü b r i g e n zu g e m e i n s a m e m Z i e l e . Fehlt es an diesem Bewufstsein gemeinsamer Thätigkeit, so kann von Mittäterschaft im Sinne des Gesetzes keine Rede mehr sein. Ob die Handlung ein Thun oder ein Unterlassen, darf nach richtiger Auffassung keinen Unterschied begründen. 1 ) ') Abweichend das Reichsgericht. Dieses hat, gestützt auf die ausdrückliche Erklärung der Motive, in einer Reihe von Entscheidungen die auch in der Wissenschaft vielfach verteidigte Ansicht vertreten, nach welcher der Unterschied ein lediglich subjektiver, in der Willensrichtung Ton L i i i t , Strafrecht. 4. AuB.
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§. 51. Die Mehrthäterachaft.
Die Mittäterschaft ist nach dem oben §. 49 I I 2 Gesagten k e i n e Form der Teilnahme i. e. S.; also nicht (unselbständige) Teilnahme an dem Thun eines andern, sondern Selbstherbeiführung des Erfolges. Eben darum ist jeder Mitthäter für den gesamten Erfolg verantwortlich, aber in der Bestrafung unabhängig von seinen Genossen; es kann daher der eine Mitthäter als Mörder, der andre als Totschläger, der eine als Räuber, der andre als Dieb bestraft werden. Es ist mithin Mittäterschaft ausgeschlossen, wenn auf Seiten des einen der beiden Beteiligten die Zurechnungsfähigkeit oder aber der Vorsatz mangelte. 2 ) Ein Fall der Mittäterschaft ist die . . g e m e i n s c h a f t l i c h e Begehung", welche von der Strafgesetzgebung vielfach als erschwerender Umstand behandelt wird. So StGB. §§. 119, 123, 223a, 293; Vereinszollgesetz §§. 146, 147. 3 ) Auch für die b a n d e n m ä f s i g e Begehung müssen die für die Mittäterschaft geltenden Grundsätze festgehalten werden. II. Die gleichwertige, aber nicht vorsätzliche Beteiligung mehrerer Personen an demselben Verbrechen bezeichnen wir zum Unterschiede von der Mittäterschaft als S e b e n t hat e r s c h a f t . Sie liegt z. B. vor, wenn mehrere Bauarbeiter gemeinsam einen Balken von dem Gerüste des abzutragenden Baues herabwerfen, des Thäters gelegener sein soll; nach welcher der Mitthäter den animus auctoris, der Gehilfe den animus socii haben, jener die That a l s d i e s e i n e , dieser die That a l s d i e e i n e s a n d e r n wollen muh. Kur auf die Willensrichtung, nicht auf die objektive Beteiligung käme es daher an, vorausgesetzt dafs irgend eine äufsere Mitwirkung stattgefunden hat; auch das Herbeischaffen der Werkzeuge, das Hinwegräumen der Hindernisse, die Ermunterung der Thäter, aas Wachestehen, während die Genoasen das gemeinsam geplante Verbrechen vollführen, könne als Mitt ä t e r s c h a f t betrachtet werden. So zuletzt R 18. März 86 XIV 28, 10. Januar 87 XV 295. Ahnlich schon A b e g g , B a u e r , M a r e z o l l , H e f f t e r , H e n k e , H e p p , v. W ä c h t e r , später K ö s t l i n , H e r t z , J a n k a , K o h l e r , G l a s e r , v. S c h w a r z e , v. ß u r i , sowie die höchsten Gerichtshöfe von S a c h s e n und W ü r t t e m b e r g . Ebenso auch B o r c h e r t 44, sowie neuerdings 0 197, Z i e b a r t h 351. Dagegen für die im Text vertretene Ansicht, wie früher die Rechtsprechung von Berlin und München, so neuerdings B 156, G I 138, H I 377, 420, L 93, 97, M 286, Ml 144, S 148, B i r k m e y e r Ursachenbegriff 20, F u c h s und R u h s t r a t a O. ') Übereinstimmend R 16. April 88 X V I I 413, 29. April 89 X I X 192 (abweichend aber — u. z. durchaus folgerichtig nach der oben 6. 36 Note 3 erwähnten Ansicht —, wenn es sich um ein Kind unter 12 Jahren handelt). *) Übereinstimmend O 198.
§. 62. Die Teilnahme.
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ohne die Vorübergehenden zu warnen, und durch ihr unvorsichtiges Gebaren einen Menschen töten. Ebenso aber auch dann, wenn die mehreren Thäter zwar jeder für sich vorsätzlich, aber ohne das Bewufstsein gemeinsamer Thätigkeit, denselben Erfolg durch ihr Zusammenwirken herbeiführen. Die Beurteilung dieser Fälle ist dieselbe wie bei der Mitthäterschaft: j e d e r e i n z e l n e h a f t e t , u n a b h ä n g i g von d e n ü b r i g e n , für den g e s a m t e n E r f o l g .
§. 52.
Die Teilnahme.
I. A n s t i f t u n g ist die v o r s ä t z l i c h e B e s t i m m u n g e i n e s a n d e r e n zu der von i h m v o r s ä t z l i c h b e g a n g e n e n s t r a f b a r e n H a n d l u n g , mag diese Verbrechen, Vergehen oder Übertretung sein. 1. Das Gesetz sagt in §. 48 Abs. 1: „Als Anstifter wird bestraft, wer einen anderen zu der von demselben begangenen s t r a f b a r e n H a n d l u n g durch Geschenke oder Versprechen, durch Drohung, durch Mifsbrauch des Ansehens oder der Gewalt, durch absichtliche Herbeiführung oder Beförderung eines Irrtums oder durch andre Mittel vorsätzlich bestimmt hat/' Die clausula generalis in dieser Begriffsbestimmung „oder durch andre Mittel" läfst deutlich erkennen, dafs die Aufzählung der Anstiftungsmittel lediglich beispielsweise erfolgte und jedes Mittel, im gegebenen Falle sogar scheinbares Abraten von der Begehung der Handlung, als genügend erachtet werden mufs. Daher hat die aufserdeutsche Gesetzgebung zum Teil (so Ungarn, der österreichische und der russische Entwurf) auf die Aufzählung gänzlich verzichtet. Nur ist zu beachten, dafs Zwang und Drohung nicht in „Nötigung" übergehen, Irrtumserregung nicht die Vorsätzlichkeit des Thuns ausschliefsen darf, denn damit würde an Stelle der Anstiftung mittelbare Selbstbegehung treten (oben §. 50 I I I ) . 2. Wesentlich ist der Anstiftung die v o r s ä t z l i c h e B e s t i m m u n g eines andern zu der von ihm begangenen That, d. h. die Hervorrufung des Entschlusses in dem andern, die That zu begehen. Eben daraus folgt aber auch, dafs nur Be15*
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§. 52. Die Teilnahme.
Stimmung zu v o r s ä t z l i c h e m H a n d e l n als Anstiftung im Sinne des Gesetzes betrachtet werden k a n n . ' ) 3. D e r V o r s a t z des Anstifters setzt sich aus mehreren Bestandteilen zusammen. E r umfafst: 1. die Vorstellung der eignen Thätigkeit; 2. die Vorstellung einer fremden Thätigkeit; з . die Vorstellung, dafs diese fremde Thätigkeit durch die eigne werde hervorgerufen werden. 4. Die Anstiftung ist nach der Auffassung unseres positiven Rechtes nicht intellektuelle Urheberschaft, sondern (unselbständige) T e i l n a h m e a n d e r T h a t e i n e s a n d e r n ; sie trägt den Grund ihrer Strafbarkeit nicht in sich, sondern entlehnt ihre Strafbarkeit aus dieser fremden T h a t . 2 ) Daraus folgt, dafs von Anstiftung keine R e d e sein kann, wenn auf Seiten des Angestifteten nicht eine strafbare Handlung, wenigstens auf der Stufe des Versuches, vorliegt. 5. D i e Strafe des Anstifters ist nach demjenigen Gesetze zu bestimmen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich angestiftet h a t . s ) ') Abweichend von dein im Texte dargestellten (sehr bestrittenen) Grundsatze spricht StGB. §. 121 Abs. 2 von fahrlässiger Beförderung der Entweichung eines andern. Doch liegt hier eben keine Teilnahmehandlung, sondern ein selbständiges Verbrechen vor. — Eine unzweifelhafte Ausnahme enthält dagegen §. 20 des Nachdruckgesetzes vom 11. Juni 1870 (geltend auch für die Gesetze vom 9., 10. und 11. Januar 1876): „Wer vorsätzlich oder aus F a h r l ä s s i g k e i t einen anderen zur Veranstaltung eines Nachdrucks v e r a n l a f s t u. s. w., wird bestraft, mag dieser andere vorsätzlich oder fahrlässig oder schuldlos gehandelt haben". — Über die im Text entschiedenen Streitfragen vgl. H I 396, 446; O 308 und 212; M 276, 289; G e y e r H H I I 338. ') Diese Ansicht ist freilich auch de lege lata bestritten. Für die richtige Auffassung vor allen R. Vgl. die unten §. 53 Note 6 angeführten Entscheidungen. Ebenso G I 137, 140, H I 398, J 154, M 288, L 95 и. a. Dagegen u. a. K o h l er Patentrecht 522, B i n d i n g Grundrifs 126, H e r z o g zuletzt GS XXXVIII 357. ®) Verschieden von dem Anstifter ist der „Anführer" oder „ R ä d e l s f ü h r e r " , welchen der Gesetzgeber an verschiedenen Stellen — so StGB. §§. 115, 125; Vereinszollges. vom 1. Juli 1869 §§. 146, 147; Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 §§. 89, 91 u. a. — verwertet hat. Dabei haben wir unter Rädelsführern (den duces factionum der Römer) die geistigen, die Bewegungen der Genossen bestimmenden, Leiter der Unternehmung zu verstehen. Rädel ist Diminutiv von rad = Kreis, Tanz, (engl, ringleader). Ebenso O 509. Vgl. auch die Hervorhebung der Vorsteher, Leiter, Ordner, Agenten, Redner, Kassierer in sozialdemokratischen Vereinen und Versammlungen in §. 17 Sozial.Gesetz vom 21. Oktober 1878. — Die „Stifter" und „Vorsteher" der Verbindung hebt hervor StGB. §§. 128, 129.
§. 58. Die Teilnahme.
II. Beihilfe ist die v o r s ä t z l i c h e
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Unterstützung
e i n e s a n d e r n b e i d e m TOB i h m b e g a n g e n e n v o r s ä t z l i c h e n V e r b r e c h e n o d e r V e r g e h e n (StGB. §. 49). Oder wie das Gesetz im Abs. 1 sich ausdrückt: „Als Gehilfe wird bestraft, wer dem Thäter zur Begehung des Verbrechens oder Vergehens durch Bat oder That wissentlich Hilfe geleistet hat-1. Die Beihilfe zu einer Ü b e r t r e t u n g bleibt demnach straflos. 4 ) 1. Die Unterstützung der fremden Handlung kann eine psychische oder physische sein („Rat oder That - '), sie kann auch in der vor der That gegebenen Zusage nachträglicher Begünstigung derselben bestehen (StGB. §. 257 Abs. 3). Nie aber darf sie Teil der Ausfuhrungshandlung sein (oben S. 225). Gerade die Thätigkeit des Gehilfen wird sich in den meisten Fällen als eine solche darstellen, welche, wenn vom Thäter begangen, lediglich eine (straflose) Vorbereitung der That begründen würde. Dafs Beihilfe auch durch Unterlassung begangen werden kann, falls Verpflichtung zum Handeln vorlag, unterliegt keinem Zweifel. 2. Auch die Beihilfe ist nur als v o r s ä t z l i c h e Unterstützung v o r s ä t z l i c h e n Thuns strafbar. 3. Der V o r s a t z des Gehilfen umfafst: 1. die Vorstellung der eignen Thätigkeit; 2. die Vorstellung der Thätigkeit eines andern; 3. die Vorstellung, dafs diese Thätigkeit durch jene unterstützt werde. Dagegen ist Kenntnis des Thäters von der ihm geleisteten Hilfe nicht erforderlich. 4. Die Beihilfe setzt als (unselbständige) Teilnahme an der That eines andern unerläfslich voraus, dafs auf seiten des Thäters eine strafbare Handlung, sei es auch nur im Stadium des Versuches, vorliege. 5. Die Strafe des Gehilfen ist nach demjenigen Gesetze zu bestimmen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich Hilfe geleistet hat, jedoch nach den ') Ausnahme in §. 28 des Branntweinsteuergesetzes vom 24. Juni. 1887 und §. 44 des Zuckersteuergesetzes vom 9. Juni 1887: „Liegt eine Ubertretung (?) vor, so ist die Beihilfe und die Begünstigung mit Geldstrafe bis zu 160 Mark zu bestrafen".
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§. 53. Die Teilnahme.
Folgesätze.
über die Bestrafung des Versuches aufgestellten Grundsätzen (unten §. 72 I) zu ermäfsigen. Liegt Beihilfe zu einer blofs versuchten Handlung vor. so ist zweimalige Herabsetzung des Strafrahmens nötig. 5 )
§. 53.
Die Teilnahme.
Folgesätze.
I. Nur v o r s ä t z l i c h e Anstiftung oder Beihilfe zu v o r s ä t z l i c h e m Handeln ist Teilnahme im Sinne des Gesetzes. Mithin ist n i c h t Teilnahme: 1. Vorsätzliche Bestimmung oder vorsätzliche Beihilfe zu f a h r l ä s s i g e m Handeln. Vielmehr liegt hier ein Fall der mittelbaren Thäterschaft vor. 2. F a h r l ä s s i g e Bestimmung oder f a h r l ä s s i g e Beihilfe zu f a h r l ä s s i g e m Handeln. Hier greift die allgemeine Regel durch, dafs jeder, der durch sein Verhalten eine Bedingung zu dem eingetretenen Erfolge gesetzt hat, für diesen verantwortlich zu machen ist. 3. F a h r l ä s s i g e Bestimmung oder f a h r l ä s s i g e Beihilfe zu vorsätzlichem Thun mufs straflos bleiben. Teilnahme im technischen Sinne kann nicht angenommen werden, weil das gesetzlich erforderliche Merkmal der Vorsätzlichkeit fehlt; aber auch mittelbare Selbstbegehung ist ausgeschlossen, da nach Annahme des Gesetzes durch die freie und vorsätzliche Handlung des scheinbar Angestifteten der Kausalzusammenhang unterbrochen wurde. Anstifter und Gehilfe haften nur für die v o r s ä t z l i c h hervorgerufene, beziehungsweise unterstützte Handlung. 1. Decken sich Handlung des Angestifteten und Anstiftervorsatz *) Nur in einzelnen Fällen droht das Gesetz dem Gehilfen g l e i c h e Strafe wie dem Thäter; so in StGB. §. 143 und in §. 3 des Stempelabgabengesetzes vom 29. Mai 1885. Einen besonderen Strafrahmen für die Beihilfe enthalten StGB. §8. 203 und 21»; Wechselstempelgesetz vom 10. Juni 1869 §. 15 (gegen Makler und Unterhändler, welche wissentlich unversteuerte Wechsel verhandelt haben). Ausnahmsweise belegt §. 18 Sozialistengesetz vom 21. Oktober 1878 die Beihilfe (Hergeben von Räumlichkeiten zu verbotenen Vereinen und Versammlungen) mit s c h w e r e r e r Strafe als die Thäterschaft (das Sich-Beteiligen an solchen Vereinen). Eine besondere Form der Beihilfe enthält §. 92 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872: Verweigerung des Gehorsams gegenüber Befehlen des Vorgesetzten, welche sich auf Abwehr oder Unterdrückung von Nötigung und Widerstand beziehen. Zu beachten ist ferner, dafs überall dort, wo der Gesetzgeber Versuch und Vollendung in Bezug auf die Bestrafung gleichstellt oder gar schon das Unternehmen mit der Vollendungsstrafe belegt, wegen der thatsächlichen Unmöglichkeit, die vorgeschriebene Herabsetzung des Strafrahmens vorzunehmen, Thäter und Gehilfe unter denselben Strafrahmen fallen. Richtig G I I 127. H I I 735. Dagegen B 354, 0 421, M 796.
§. 63. Die Teilnahme. Folgesätze.
231
in einem w e s e n t l i c h e n Punkte nicht, so liegt diesbezüglich Anstiftung nicht vor. Die oben über Vorsatz and Irrtum überhaupt gegebenen Regeln beanspruchen auch hier durchgreifende Geltung. In durchaus unzutreffender Weise spricht man hier wohl von einem e x c e s s u s m a n d a t i . Hat der zu Raub Angestiftete einen Mord, der zu Betrug Angestiftete einen Diebstahl begangen — oder auch umgekehrt —, so kann die begangene Handlung dem Anstifter nicht zum Vorsätze zugerechnet werden. Nur wenn sich die vom Angestifteten begangene Handlung als das Mehr gegenüber derjenigen darstellt, zu welcher angestiftet worden, ist Zurechnung des Weniger zum Vorsatze des Anstifters möglich; so wenn es sich um Raub statt Diebstahl, oder um einen erschwerten Fall statt des einfachen handelt. Zu beachten ist in allen diesen Fällen, dafs der unbestimmte Vorsatz alle nicht ausgeschlossenen Erfolge umfafst (oben §. 40 I). Das Gesagte gilt auch dann, wenn auf Seiten des Angestifteten ein sogenannter e r r o r in o b j e c t o oder eine sogenannte a b e r r a t i o i c t u s vorliegt (oben §. 40 IV). Auch hier kommen schlechtweg die allgemeinen Regeln über die Behandlung des Irrtums zur Anwendung. Doch kann hier, wenn infolge dieser Regeln der Vorsatz des Hauptthäters als ausgeschlossen erscheint, auf Seiten des Anstifters mittelbare Selbstthäterschaft anzunehmen sein.') 2. Dieselben Grundsätze gelten auch für den Gehilfen. II. Die Strafbarkeit der Teilnahme ist bedingt durch die S t r a f barkeit der Haupthandlung. 1. Anstiftung wie Beihilfe sind demnach unmöglich, wenn die Strafbarkeit der H a u p t h a n d l u n g ausgeschlossen ist (doch kann hier mittelbare Thäterschaft vorliegen), werden aber nicht berührt von dem Wegfall der Strafbarkeit des T h ä t e r s (persönlicher Schuldausschliefsungsgrund, Strafaufhebungsgrund, Mangel einer Prozefsvoraussetzung). 2. a) Die v e r s u c h t e , sei es fehlgeschlagene, sei es unvollendete A n s t i f t u n g ist nicht Anstiftung im technischen Sinne. Denn es fehlt an der strafbaren Handlung des Thäters, aus welcher die Anstiftung ihre Strafbarkeit ableiten könnte. Daher kann auch die versuchte Anstiftung nicht als versuchte Selbstbegehung des Verbrechens bestraft werden. Zur versuchten (mifslungenen) Anstiftung gehört auch die in der gemeinrechtlichen Wissenschaft und Gesetzgebung vielbesprochene Anstiftung des sogenannten alias oder omnimodo facturus, d. h. des schon vor der Einwirkung zur That Entschlossenen. b) Ebenso mufs die v e r s u c h t e , sei es unvollendete, Bei es fehlgeschlagene B e i h i l f e straflos bleiben. Hierher gehört auch der Fall, wenn die geleistete Hilfe ohne Einflufs auf den Erfolg geblieben ist, ') Vgl. hier die an einem praktischen Fall ( D o c h o w - L i s z t Strafrechtsfälle Nr. 62) sich anschließende Litteratur. B ö h l a u Der Fall RoseRosahl 1869. G o l t d a m m e r und H ä l s c h n e r GA VII; B ö h l a u GA VIII; P f o t e n h a u e r GS XIII; G e y e r HH I I 360.
232
§. 63. Die Teilnahme.
Folgesätze.
z. B. der Thäter das ihm zur That geliehene Werkzeug nicht benutzt hat und auch durch die Hilfeleistung in «einem Entschlufs nicht bestärkt worden ist.*) 3. a) Ebenso wie versuchte Anstiftung ist A n s t i f t u n g z u m V e r s u c h e nicht möglich. Der Vorsatz des Anstifters wie des Thäters mufs auf die Ausführung gerichtet sein. Fehlt dieser Vorsatz dem T h ä t e r (dieser will z. B. nur „versuchen", ob der falsche Schlüssel öffne), so liegt strafbarer Versuch überhaupt nicht vor. Fehlt er dem A n s t i f t e r (dieser will z. B., dafs der Thäter auf dem Versuche ertappt werde), so kann von Anstiftung keine Rede sein. Der sogenannte agent provocateur ist daher nur strafbar, wenn er den Thäter zur (vollendeten) Ausführung verleitet, um ihn vielleicht hinterher der Bestrafung zu überliefern. Dann liegt eben vollendete Anstiftung zu vollendetem Verbrechen vor.5) b) Ebenso ist B e i h i l f e ausgeschlossen, wenn der Gehilfe voraussieht, dafs der Erfolg nicht eintreten werde oder gar nicht eintreten könne. *) III. Aus der unselbständigen Natur der Teilnahme folgt weiter: 1. Anstiftung zur Anstiftung und Anstiftung zur Beihilfe erscheint als m i t t e l b a r e T e i l n a h m e an d e r H a u p t t h a t ; die erstere ist nach dem auf die Hauptthat gesetzten ursprünglichen, die letztere nach dem herabgesetzten Strafrahmen der Beihilfe zu bestrafen. Auch Beihilfe zur Beihilfe und Beihilfe zur Anstiftung ist mittelbare Teilnahme an der Hauptthat; daher ist im ersten dieser beiden Fälle die durch §. 49 StGB, geforderte Herabsetzung des Strafrahmens nur einmal vorzunehmen.') 2. M e h r f a c h e Anstiftung zu einer und derselben Hauptthat ist immer nur ein Verbrechen; doch kann Mehrthäterschaft in Bezug auf die Anstiftung desselben Thäters durch mehrere Personen vorliegen. Wenn dagegen zu m e h r e r e n Hauptthaten durch ein und dieselbe Handlung, z. B. durch ein aufreizendes Wort, angestiftet worden ist, so liegt *) Nichts aber hindert den Gesetzgeber, die e r f o l g l o s g e b l i e b e n e A n s t i f t u n g als selbständiges Delikt (nicht als Teilnahmehandlung) unter Strafe zu stellen. Er hat dies gethan in StGB. §§. 49a, 86, 111, 141, 169, 810, 367; Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 §. 88; Mil.-StGB. §§. 99, 100, 110, 116 (dazu B e c k e r 233), 149. Dasselbe gilt von der • e r s u c h t e n B e i h i l f e , vgl. StGB. §8. 141, 347; sowie von der Beih i l f e zu an s i c h s t r a f l o s e r H a n d l u n g , vgl. StGB. §§. 120, 121, 160, 286, 347, 364, 356. ») Vgl. R 17. Februar 87 XV 316. Dagegen u. a. B o r c h e r t 66. O 211 nimmt, bei Bewufstsein der Rechtswidrigkeit, Strafbarkeit an. G e y e r HH II 349, IV 161, M 277 wollen zwischen der formellen und der materiellen Vollendung des Delikts unterscheiden. *) Der „Gehilfe" weifs z. B. dafs das Abtreibungsmittel gänzlich ungeeignet ist. Vgl. R 17. Februar 87 XV 316, 28. März 87 XVI 26, 89. Mai 88 XVTI 377. Dagegen B o r c h e r t 88. Sehr bestritten. Vgl. O 214 mit der Litteratur. B 162 erklärt Beihilfe zur Beihilfe für straflos.
§. 68. Die Teilnahme. Folgesätze.
233
wirkliches Zusammentreffen ebensoyieler Verbrechen vor.') Das gleiche gilt von der Beihilfe. 3. Der Anstifter wie der Gehilfe b l e i b t straflos, wenn er selbst, sei es durch psychische sei es durch physische Einwirkungen das Zustandekommen der strafbaren Handlung v e r h i n d e r t (dafB „Widerruf" nicht genügt, sollte selbstverständlich sein). Auch dieser Satz ergiebt sich aus der unselbständigen Natur der Teilnahme, und ist nicht als Rücktritt vom n i c h t b e e n d e t e n Versuche nach §. 46 Ziff. 1 StGB, aufzufassen. Dagegen kann sich, wenn b e e n d e t e r Versuch vorliegt, der Anstifter allerdings ebenso wie der Gehilfe durch freiwillige Abwendung des Erfolges (StGB. §. 46 Ziff. 2; oben §. 48 IV 3) einen Strafaufhebungsgrund für seine Person sichern. 4. Wenn der Gesetzgeber Versuchs- oder Vorbereitungshandlungen als selbständige Verbrechen unter besondere Strafe gestellt hat (oben S. 806), so ist Teilnahme an diesen selbständig strafbaren Handlungen möglich. Derselbe Satz mufs aber auch dann Anwendung finden, wenn Teilnahmehandlungen vom Gesetze als selbständige Delikte bestraft werden (oben Note 2). IV. Bei m e h r f a c h e r Beteiligung derselben Person an demselben Delikte wird die leichtere Form der Beteiligung durch die s c h w e r e r e aufgezehrt (konsumiert), wie ja auch Vorbereitung und Versuch neben der Vollendung des Verbrechens nicht mehr in Betracht kommen (unten §. 67 II). Wenn der Anstifter sich später an der Ausführung des Verbrechens als Thäter oder aber als Gehilfe beteiligt, behandelt ihn das Strafrecht im ersten Falle nur als Thäter, im zweiten nur als Anstifter. Dafs dieser Satz auf das Verhältnis der Teilnahme zur Beg ü n s t i g u n g keine Anwendung findet, bedarf nach dem oben Gesagten keines Beweises. Daher kann auch der Anstifter zu einer strafbaren Handlung sich (in wirklichem Zusammentreffen) der H e h l e r e i in Bezug auf die vom Thäter erlangte Sache schuldig machen. — Eine abweichende Bestimmung enthält StGB. §. 267 Abs. 3: „Die Begünstigung ist als Beihilfe zu bestrafen, wenn sie vor Begehung der That zugesagt worden ist. Diese Bestimmung leidet auch auf Angehörige Anwendung." — Die Bedeutung dieser Anordnung wird vielfach mißverstanden. Sie erweitert nicht den B e g r i f f der Beihilfe und verengert nicht den B e g r i f f der Begünstigung, sondern giebt lediglich eine auf die B e s t r a f u n g bezügliche Bestimmung. Leistung des schon vorher zugesagten Beistandes wäre Beihilfe und Begünstigung in wirklichem, unter Umständen in scheinbarem Zusammentreffen; diese Folgerung weist §. 267 Abs. 3 zurück: b e i B e m e s s u n g d e r S t r a f e ist nicht Begünstigung u n d Beihilfe, sondern nur B e i h i l f e anzunehmen. Darum sagt das Gesetz nicht: „Die Begünstigung ist Bei®) Sehr bestritten. Die richtige Ansicht vertritt in einer Reihe von Entscheidungen das Reichsgericht. Zuletzt R 7. Juli 84 XI 37, 16. April 86 XIV 92; ebenso Ml 147, B o r c h e r t 62, J o h n II 266. Dagegen B ü n g e r Z VIII 712, 0 388.
234
§• 64. Einflufs persönlicher Verhältnisse auf die Strafbarkeit
hilfe", sondern: „sie ist als Beihilfe zu bestrafen". Begünstigung des Diebstahls ist daher unter den Voraussetzungen des §. 257 Abs. 3 als Beihilfe zum Diebstahl zu bestrafen; die Verurteilung kann demnach später als Vorstrafe für Diebstahl im Rückfalle in Betracht kommen. 7 ) V. Die Anwendung der Grundsätze über Teilnahme erleidet gewisse Einschränkungen. 1. Diejenige Person, d e r e n I n t e r e s s e n durch eine Strafdrohung geschützt werden, kann nicht wegen Teilnahme an einer Übertretung dieses Gesetzes bestraft werden. So die Entführte nicht wegen Beihilfe zu der Entführung, die Schülerin nicht wegen Anstiftung des Lehrers zu der Vergehung des §. 174RStGB.; der übervorteilte Minderjährige ist nicht nach §§. 301, 302, der Bewucherte nicht nach §. 302a strafbar. 2. Wenn das Gesetz T e i l n a h m e - H a n d l u n g e n a l s s e l b s t ä n d i g e D e l i k t e unter besondere Strafe stellt, während die Haupthandlung straflos bleibt, so kann der Thäter nicht wegen Anstiftung oder Beihilfe zu der Teilnahme-Handlung bestraft werden. Ist also Teilnahme an dem (an sich straflosen) Selbstmorde strafbar, so kann der Selbstmörder nicht wegen Anstiftung zur Beihilfe bestraft werden. Wer den Kuppler bezahlt, bleibt ebenso straffrei, wie der Gefangene, welcher einen andern bestimmt, ihm zur Selbstbefreiung behilflich zu sein (vgl. bes. Teil). 3. Wenn (bei der sog. notwendigen Teilnahme, vgl. oben §. 49IV) die S t r a f l o s i g k e i t g e w i s s e r P e r s o n e n aus dem Zusammenhange der gesetzlichen Bestimmungen erkennbar ist, dürfen dieselben auch nicht als Teilnehmer an der That eines andern bestraft werden. Vgl. unten besondern Teil über §§. 211 und 213 Konkursordnung. 8 )
§. 54.
Einflute persönlicher Verhältnisse auf die Strafbarkeit der Anstiftung und der Beihilfe.
I. Thatumstände. welche, die Eigenart der H a n d l u n g selbst bestimmend, deren Strafbarkeit begründen, erhöhen, vermindern, sind den Thätern wie den Teilnehmern nur dann zuzurechnen , wenn sie von deren Schuld mitumfafst werden. H a t der Thäter die Eigenschaft der von ihm entwendeten Sache als einer fremden nicht gekannt, so ist von Diebstahl weder 7 ) Ebenso im wesentlichen G r e t e n e r Begünstigung 162, G e y e r H H I I 422, IV 173, H I I 884, M 308, O 928, S 162; R 8. Juli 86 XIV 818. Die vorhergehende Zusage der Begünstigung kann auch den Thäter zur That bestimmen; dann sind die allgemeinen Grundsätze über Zusammentreffen von Begünstigung und A n s t i f t u n g anzuwenden; R 10. Januar 87 XV 296, 3. November 87 XVI 374. ") Eine ganz vereinzelte Bestimmung enthält §. 32 des Branntweinsteuergesetzes vom 24. Juni 1887, nach welchem bei Teilnahme mehrerer Personen die Gesamtstrafe nur einmal eintreten soll.
g. 64. Einflufs persönlicher Verhältnisse auf die Strafbarkeit.
235
bei ihm noch bei den Teilnehmern die Rede. Und die vom Thäter bei der Wegnahme angewendete Gewalt haben Mitthäter, Anstifter und Gehilfe nur dann zu verantworten, wenn sich ihr Vorsatz darauf mit erstreckte (oben §. 53 I). Ebenso können die Teilnehmer nur für die vom Thäter wirklich begangene Handlung bestraft werden, mag auch ihr Vorsatz ein mehreres umfafst haben. I I . Anders liegt die Frage dann, wenn p e r s ö n l i c h e Eigenschaften oder Verhältnisse, ohne die Eigenart der Handlung selbst zu bestimmen, die Strafbarkeit des als Thäter oder Teilnehmer Beteiligten begründen oder verändern. Hierher gehören Verwandtschaft des Thäters mit dem Verletzten, Beamtenstellung, Jugend, Rückfölligkeit,') Gewohnheits- und Gewerbsmäfsigkeit, sowie die in S t G B . §§. 157 und 158 erwähnten Fälle. Mafsgebend ist hier S t G B . §. 50, welcher bestimmt: „Wenn das Gesetz die Strafbarkeit einer Handlung nach den p e r s ö n l i c h e n E i g e n s c h a f t e n o d e r V e r h ä l t n i s s e n desjenigen, welcher dieselbe begangen hat, erhöht oder vermindert, so sind diese besonderen Thatumstände dem Thäter oder demjenigen Teilnehmer (Mitthäter. 2 ) Anstifter. Gehilfe) zuzurechnen, bei welchem sie vorliegen." I I I . Demnach findet die Regel des §. 50 keinen Anwendung: 1. Wenn die persönlichen Eigenschaften oder Verhältnisse die Strafbarkeit der Handlung n i c h t e r h ö h e n o d e r v e r m i n d e r n , d. h. zur Aufstellung eines besondern Strafrahmens führen, mithin als Schärfungs- oder Milderungsgründe wirken, sondern blofs als Mehrungs- oder Minderungsgründe erscheinen (unten 70 I I I ) . Beispiele: Wenn der Nichtverwandte B den Sohn A des Vaters C, oder die Mutter A des neugeborenen Kindes C zur Tötung des Vaters ') Ubereinstimmend die gemeine Meinung, insbes. R 20. Mai 81 I V 184. Dagegen betrachten den Rückfall als eine Eigenschaft der T h a t , nicht des Thäters B 166, H I 489, 0 235, S 147. 2 ) Die Erwähnung der Mitthäter in §. 60 ist überflüssig und irreleitend; denn die M i t t ä t e r s c h a f t ist gar kein Fall der Teilnahme. Vgl. oben §. 49 I I 2.
236
§• M. Einflufs persönlicher Verhältnisse auf die Strafbarkeit.
oder Kindes C bestimmt hat; oder wenn umgekehrt der Sohn A oder die Matter A dem Fremden B zur Tötung des Vaters oder des Kindes C Hilfe geleistet haben: so ist in beiden Fällen der Fremde B nach den Bestimmungen über gemeine Tötung, der Sohn A nach jenen über Aszendententotschlag, die Mutter A nach jenen über Kindestötung zu beurteilen. 2. Wenn es sich um persönliche Eigenschaften oder Verhältnisse handelt, welche ein an sich strafloses Thun erst zu e i n e m s t r a f b a r e n m a c h e n , welche die Strafbarkeit also erst b e g r ü n d e n , nicht erhöhen oder vermindern. Diese sind, wenn beim Thäter vorliegend, dem Anstifter und Gehilfen zuzurechnen; fehlt es an einer solchen Bedingung in der Person des Thäters, so liegt eine strafbare Hauptthat überhaupt nicht vor. und es kann daher auch von Teilnahme an einer solchen keine Rede sein. Beispiel: Anstiftung und Beihilfe zu einem reinen Amtsverbrechen sind nach den für dieses gegebenen Bestimmungen zu beurteilen, während wenn der Beamte Anstifter oder Gehilfe, ein Nichtbeamter aber Thäter ist, ein Verbrechen überhaupt nicht vorliegt; denn der Nichtbeamte kann nur als mittelbarer, nicht aber als unmittelbarer Thäter ein Amtsdelikt begehen. Dasselbe gilt bezüglich der Teilnahrae von Zivilpersonen an Militär-Delikten.») 3. Wenn S t r a f a u f h e b u n g s g r ü n d e , mangelnde P r o z e f s v o r a u s s e t z u n g e n und persönliche S t r a f a u s s c h l i e l ' s u n g s g r ü n d e in Frage sind. Sie wirken ihrem Wesen nach, ohne dafs es diesbezüglich einer ausdrücklichen Bestimmung bedürfte, stets nur für denjenigen Beteiligten, in dessen Person sie vorliegen. s ) Ebenso 0193, H e c k er 84, 89, R 1. April 1887 XV 396, B o r c h e r t Verantwortlichkeit 19. Vgl. aber auch v. K r i e s Z VII 567. — Die Vorschrift des §. 50 ist aus guten Gründen gestrichen im österr. Entw. von 1889.
§. 66. Die natürliche Handlongs-Einheit.
237
VIII. Handlungs-Einheit und VerbrechensMehrheit. §. 55.
Die natürliche Handlungs-Einheit.
Littoratnr. v. Buri Einheit und ILehrheit der Verbrechen 1879. M e r k e l HH IV 234. H i l l e r OS XXXII 196 (Z I 167). S c h ü t s e Z III 48. v. S c h w a r z e GS XXXIV 676 (Z III 607) H i l l e r bei Grünhut XIII 126 (Z VI 403). Bg I 647. v. L i s z t Z VI 694. B ü n g e r Z VIII 620.
I . Um die natürliche Handlungs-Einheit bestimmen zu können, müssen wir von dem Begriffe der Handlung (oben §. 27) ausgehen. D a Handlung die Bewirkung einer Veränderung in der Aufsenwelt (eines Erfolges) durch die willkürliche Körperbewegung eines Menschen ist, so kann die natürliche Handlungseinheit gegeben sein: 1. Durch die E i n h e i t d e r K ö r p e r b e w e g u n g trotz Mehrheit des Erfolges. Wenn ein Wort mehrere Menschen beleidigt, ein Scliufs mehrere Jagdvögel trifft usw., liegt immer nur e i n e Handlung vor. Daran kann selbst die Art-Verschiedenheit der eingetretenen mehreren Erfolge nichts ändern. H a t der geschleuderte Stein einen Menschen getötet, den zweiten verletzt und aufserdem eine Scheibe zertrümmert, so können wir nur von einer Handlung mit mehreren Erfolgen, nie aber von mehreren Handlungen sprechen. 2. Durch die E i n h e i t des eingetretenen oder (beim Versuche) auch nur vorgestellten E r f o l g e s trotz Mehrheit der Körperbewegungen. Ob aber im Einzelfalle Einheit des Erfolges anzunehmen sei, ist nach folgenden Regeln zu beurteilen. Bei denjenigen Rechtsgütern, die nur in der Person ihres Trägers verletzt oder gefährdet werden können (wie Leben, Ehre, geschlechtliche Freiheit), entscheidet die Einzahl oder Mehrzahl der angegriffenen Personen über die Einheit oder Mehrheit des Erfolges. Wenn A den B durch eine Reihe von Axthieben tötet oder durch eine Flut von Schimpfwörtern
238
§• 66- Die natürliche Handlungs-Einheit.
beleidigt, ist mit der Einheit des Erfolges die Einheit der Handlung gegeben. Viel schwieriger gestaltet sich die Frage bei den übrigen Rechtsgütern, welche auch losgelöst von der Person ihrer Träger (oder nur in dieser Loslösung) der Gefährdung oder Verletzung zugänglich sind. Es ist zweifellos nur eine Sachbeschädigung vorhanden, wenn ein Marmorstandbild durch wiederholte Schläge mit dem Hammer zertrümmert, wenn eine Maschine durch langwierige, vielleicht unterbrochene, Arbeit in ihre Teile zerlegt und unbrauchbar gemacht wird. Aber auch das Wegnehmen mehrerer, einzeln fortgetragener, Sachen, die Beschädigung mehrerer Gegenstände durch wiederholtes Zuschlagen kann als e i n e Handlung erscheinen; und zwar selbst dann, wenn die weggenommenen oder beschädigten Sachen v e r s c h i e d e n e n Eigentümern gehören. Die Einheit des Erfolges kann hier gegeben sein durch die Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t der Gegenstände, die in demselben Schaufenster, demselben Gasthof sich befinden.') 3. Dagegen ist M e h r h e i t der Handlung da anzunehmen, wo die Mehrheit der Körperbewegungen mit der Mehrheit der Erfolge sich verbindet. Es liegen sechs Handlungen vor, wenn der Thäter durch sechs Schüsse aus seinem Revolver oder durch sechs Briefe ebensoviele Menschen tötet oder beleidigt. ') Vor folgenden Fehlern mufs gewarnt werden. 1. Die Einheit oder Mehrheit der Handlung darf nicht in der Zahl der Rechtswidrigkeiten, welche sie enthält, gesucht werden; denn an dieser Stelle steht nur die natürliche Handlung, nicht ihre rechtliche Bedeutung in Frage. Die Verwechslung des Erfolgs der Handlung mit ihren rechtlichen Eigenschaften (oben §7 23 Note 1) spielt insbesondre bei Bg I 666 (bei blutschänderischem Ehebruch nimmt er zweifachen Beischlaf an) eine verhängnissvolle Rolle; aber auch H I 672, B ü n g e r Z V I I I 665 sind von diesem Fehler nicht ganz frei. Gegen Bg vgl. v. L i s z t Z VI 694, O r t m a n n GA XXXV 32. — 2. Die Handlung ist kausale Körperbewegung, nicht „Kausalität"; mehrere Handlungen liegen also nicht schon dann vor, wenn „mehrere Kausalitäten" (d. h. Erfolge), sondern nur dann, wenn mehrere kausale Körperbewegungen gegeben sind. Unrichtig J o h n I I 256, v. B u r i Einheit 107, Kausalität (1885) 80, GS X L I 435; gegen letzteren H 657 Note 1, O 377, S c h ü t z e Z I I I 64, H i l l e r GS X X X I I 200, O r t m a n n GA XXXV 33, H e c k e r 140, B ü n g e r Z V I I I 698. — Die oben §. 53 Note 6 erwähnte Ausnahme beruht auf der positiv rechtlichen Auffassung der Teilnahme und kann grundsätzliche Bedeutung nicht beanspruchen. — 3. Der Vorsatz des Thäters mufs einflufslos bleiben, soweit, wie hier, nur die Bedeutung der Handlung als kausaler Körperbewegung in Frage steht. Die Nichtberücksichtigung dieses Satzes hat insbesondere in der Lehre vom fortgesetzten Verbrechen viel Unheil angerichtet (vgl. unten §. 56).
§. 66. Die juristische Handlungs-Einheit.
239
II. Vielfach hat das Gesetz selbst darauf hingewiesen, dafs die Mehrheit der Körperbewegungen wegen der Einheitlichkeit des Erfolges zu einer Einheit zusammenzufassen sei, indem es sich solcher Ausdrücke bedient, welche eine Mehrheit von Einzelhandlungen umfassen. So spricht §. 146 ff. StGB, nicht von der Nachmachung einzelner Geldstücke, sondern von Geld usw. überhaupt; 4 ) so gebraucht §. 176 StGB., wie viele andere, den Plural „unzüchtige Handlungen"; so liegt in den Ausdrücken „Zweikampf", „Schlägerei", „Raufhandel", „Mifshandlung", „Betrieb eines Gewerbes", „Unternehmen einer Lotterie" und manchen anderen die Umfassung einer Reihe von Einzelhandlungen. Dennoch ist es unrichtig oder doch irreführend, hier mit v. B u r i von „gesetzlicher Einheit" zu sprechen. Denn die Einheit ist nicht erst durch das Gesetz geschaffen, sondern in der Einheitlichkeit des Erfolges begründet; es liegt ein Fall der natürlichen Handlungseinheit vor. III. E i n e Handlung enthält ferner das sog. f o r t d a u e r n d e V e r b r e c h e n oder Dauerdelikt, d. i. die ununterbrochene Verwirklichung des verbrecherischen Thatbestandes; so eine durch Wochen oder Monate andauernde Freiheitsentziehung, das Ausströmenlassen von Gas, das Verhungernlassen eines Kindes. Und dasselbe gilt, wenn auch aus andern Grunde, von dem sog. Z u s t a n d s v e r b r e c h e r bei welchem, wie bei der Doppelehe, der durch die einmal abgeschlossene Handlung herbeigeführte, dauernde rechtswidrige Zustand nicht weiter in Betracht kommt.
§. 56.
Die juristische Handlungs-Einheit.
Litteratnr. Über das f o r t g e s e t z t e Verbrechen vergleiche: K r u g Zur Lehre von dem fortgesetzten Verbrechen 1857. v. S c h w a r z e Die Lehre vom fortgesetzten Verbrechen 1857. v. W o r i n g e n Über den Begriff des fortgesetzten Verbrechens 1867. J o h n Fortgesetztes Verbrechen und Verbrechens-Konkurrenz 1860. M e r k e l Zur Lehre vom fortgesetzten Verbrechen 1862. D e r s e l b e H H H 573, IV 226. K o h 1 e r Patentrecht 516. Bg I 640. S c h ü t z e Z HI 48 (zu II 4). — Zu I U *) Gänxlich verfehlt ist es, hier mit Bg I 677, welchem O 616 folgt, die Zahl der Münzarten entscheiden zu lassen.
240
§•
Die juristische Handlungs-Einheit.
Dochow Zur Lehre vom gewerbs- und gewohnheitsmäfsigen Verbrechen 1871. v. L i l i e n t h a l Beiträge zur Lehre vom Kollektivdelikt 1879. V a h l b e r g Oes. Schriften I 136. I . Aber auch wo eine M e h r h e i t von natürlichen Handlungen vorliegt, kann diese der strafrechtlichen Betrachtung als eine V e r b r e c h e n s - E i n h e i t erscheinen. In diesen Fällen mufs die Einheit in a l l e n r e c h t l i c h e n B e z i e h u n g e n als solche betrachtet und behandelt werden. Das juristisch einheitliche Verbrechen ist demnach überall dort begangen, wo, und in jedem der Augenblicke, in welchen eine der Handlungen begangen wurde; bei einem Wechsel der Gesetzgebung kommt immer das mildere, bei einem Widerspruch zwischen dem einheimischen und dem fremden Rechte immer das erstere zur Anwendung. I s t auch nur eine der Einzelhandlungen erschwert, so ergreift die Erschwerung auch die übrigen Handlungen, soweit nicht eben durch die Erschwerung einer Einzelhandlung die Einheit aufgehoben wird. Teilnahme an einer Einzelhandlung ist stets Teilnahme an dem einheitlichen Verbrechen. Dasselbe gilt von der Begünstigung. Die Verjährung beginnt nicht, ehe die letzte der Handlungen gesetzt wurde, und ebenso ist die Antragsfrist von der letzten Handlung zu berechnen. Durch die Entscheidung über auch nur eine der Einzelhandlungen wird Rechtskraft bezüglich der gesamten Einheit begründet usw. >) I I . Die wichtigsten F ä l l e einer solchen künstlich geschaffenen Verbrechenseinheit sind: 1. Das f o r t g e s e t z t e V e r b r e c h e n , d. i. die unterbrochene, stofsweise Verwirklichung des verbrecherischen Thatbestandes; eine Mehrheit von Handlungen, juristisch zusammengehalten durch ihre G l e i c h a r t i g k e i t . 2 ) ') Übereinstimmend bezüglich des Antrages ß 18. März 87 XV 370; bezüglich der Verjährung R 3. März 84 X 204 , 25. Mai 86 XIV 145. Vri. unten §. 79 II. — Bedenklich ß 5. März 88 X V I I 227 bez. der Teilnahme dritter an den Teilhandlungen. *) Als delictum continuatum schon im gemeinen Recht (Engau, K o c h u. a.) mit einer einzigen Strafe belegt, wurde das fortgesetzte verbrechen von den deutschen Landes-StGBüchern, wenn auch in verschiedener Fassung, meist ausdrücklich erwähnt. Aus dem Schweigen des RStQB. läfst Bich, da dasselbe auch die übrigen Fälle der juristischen Handlungseinheit nicht ausdrücklich behandelt, kein Grund zur Verwerfung des Begriffes ableiten. Ebenso mit der gemeinen Meinung in ständiger Becht-
§. 56.
Die juristische Handlungs-Einheit.
241
Beispiele: Das ehebrecherische Verhältnis des A mit der C führt zu einer Reihe von Beischlafsakten; D treibt mit demselben Knaben in einer Reihe von aufeinanderfolgenden Nächten widernatürliche Unzucht: E giebt das auf einmal verschaffte Geld in Teilbeträgen aus; der Diener nimmt sich täglich eine Zigarre aus dem Zigarrenkästchen seines Herrn. Dagegen könnte von fortgesetztem Verbrechen keine Rede mehr sein, wenn der Ehebrecher, nachdem er das Verhältnis gelöst, später mit einer andern Fraueusperson sich vergeht; oder wenn der Zigarrendieb das früher offene, später verschlossene Kästchen nunmehr gewaltsam erbricht. 2. Auch durch eine gemeinsame o b j e k t i v e B e d i n g u n g d e r S t r a f b a r k e i t (oben §. 43) kann eine Mehrheit natürlicher Handlungen zur juristischen Einheit zusammengefafst werden. Ein Beispiel bietet der Bankbruch (vgl. unten besondern Teil). 3. Einen Fall der juristischen Handlungseinheit bildet auch das z u s a m m e n g e s e t z t e V e r b r e c h e n . Es liegt vor, wenn das Gesetz aus zwei an sich rechtswidrigen, gegen verschiedene Rechtsgüter gerichteten Handlungen einen einheitlichen Deliktsbegriff bildet. So ist der Begriff des Raubes aus Diebstahl und Nötigung, jener der Notzucht aus Nötigung und Verletzung der Geachlechtsehre des "Weibes zusammengesetzt. Andre Beispiele bieten Urkundenfälschung oder Einbruchsdiebstahl. 4. Endlich sind hierher die beiden folgenden vielbesprochenen Fälle zu rechnen: a) Die verbrecherische Handlung, welche als M i t t e l zur sprechung R. Dagegen O r t l o f f GA X X I V 422, X X X I I 423, v. B u r i Einheit 115, Kausalität (1885) 97, G I 184, v. L i l i e n t h a l Kollektivdelikt 61 u. a. — Aber auch bei den Anhängern des Begriffes herrscht Meinungsverschiedenheit über seine Fassung, hervorgerufen durch das mifsverständliche Bestreben, die n a t ü r l i c h e H a n d l u n g s m e h r h e i t auf eine natürliche H a n d l u n g s e i n h e i t zurückzuführen. Diesen Fehler begeht auch R, welches zumeist Einheitlichkeit des Entschlusses, Gleichartigkeit der Begehungsform und Einheit des angegriffenen Rechtsgutes verlangt. So z. B. R 3. März 84 X 204, 28. Oktober bez. 4. November 86 XV 23, insbes. aber 19. Dezember 87 X V I I 103, 21. Dezember 88 X V I I I 317. — Richtig u. a. J 161, L 90, sowie die Begründung des ital. StGB. — Die einheitliche Strafe ist ein Bedürfnis der Rechtsprechung; man vgl. den in der Reichskriminalstatistik für 1884 erwähnten Fall einer Verurteilung wegen 8826 Milchfälschungen. Wünschenswert dagegen wäre die Möglichkeit einer ausgiebigen Strafschärfung. v o n L i s z t , Strafrecht. 4. Aul).
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242
§. 56.
Die juristische H&ndlungs-Einheit.
B e g e h u n g einer andern gedient hat (Beispiel: die Sachbeschädigung beim Einbruchsdiebstahl), ist mit dieser zu einer Einheit zusammenzufassen, wenn sie entweder zu den gesetzlichen Merkmalen der letztern gehört, oder als das dem gewöhnlichen Hergange entsprechende Mittel vom Gesetzgeber stillschweigend vorausgesetzt wird. b) Die verbrecherische Handlung, welche als M i t t e l zur V e r d e c k u n g einer andern gedient hat (Beispiel: die Aneignung der durch Diebstahl oder Betrug erlangten Sache), ist mit dieser zu einer Einheit zusammenzufassen, wenn sie zu den gesetzlichen Merkmalen der letztern gehört, oder als das dem gewöhnlichen Hergange entsprechende Mittel stillschweigend Ton dem Gesetzgeber vorausgesetzt wird. 3 ) I I I . Unter den Begriff der juristischen Handlungseinheit gehört endlich auch das sog. K o l l e k t i v d e l i k t , bei welchem eine Reihe von Einzelhandlungen mit einer einzigen Strafe belegt wird. Man rechnet hierher die folgenden Fälle: 1. Das g e w e r b s m ä f s i g e Verbrechen (das quasi artem exercere der Römer). Dasselbe kennzeichnet sich einerseits durch den auf öftere Wiederholung gerichteten Vorsatz, anderseits durch die Absicht des Thäters. sich durch diese Wiederholung eine, wenn auch nicht regelmässig oder dauernd fliefsende Einnahmequelle zu verschaffen. 2. Das g e s c h ä f t s m ä f s i g e Verbrechen. Es teilt mit dem gewerbsmäfsigen den auf öftere Wiederholung gerichteten Vorsatz, unterscheidet sich von ihm aber dadurch, dafs die Absicht, sich eine Einnahmequelle zu eröffnen, nicht vorzuliegen braucht (der sozialdemokratische Agitator opfert z. B. sein Vermögen für die von ihm vertretene Sache). 3. Das g e w o h n h e i t s m ä f s i g e Verbrechen. Es liegt vor, wenn infolge wiederholter Begehung die Triebkraft des verbrecherischen Reizes verstärkt, die Widerstandskraft geschmälert ist. Gewohnheit ist mithin der d u r c h w i e d e r h o l t e B e g e h u n g einer bestimmten Handlung h e r v o r g e r u f e n e H a n g zu w e i t e r e r B e g e h u n g derselben. 4 ) ') Übereinstimmend B 11. Dezember 84 XI 355 , 36. April 87 XV 426, 12. bez. 19. November 88 XVIII 286. *) Verwendung dieser Begriffe in der Reichsgesetzgebung: 1. G e -
§. 66. Die joriitiache Handlunga-Einheit.
943
In allen drei Fällen genügt für die Annahme eines Kollektivdeliktes, data, wenn die übrigen Voraussetzlingen gegeben sind, eine strafbare Handlung zur richterlichen Aburteilung gelangt. Deutlicher aber zeigt sich das Wesen des Kollektivdelikts, wenn wirklich m e h r e r e Handlungen der richterlichen Entscheidung unterzogen werden. Denn hier ist trotz der Mehrheit der selbständigen natürlichen Handlungen nicht wirkliches Zusammentreffen, sondern unzweifelhaft nur ein Verbrechen anzunehmen. Eben darum ist für die Zusammenfassung die S t r a f b a r k e i t der einzelnen zusammenzufassenden Handlungen gleichgültig; auch verjährte, begnadigte, im Auslande begangene, bereits abgeurteilte, ja selbst nicht einmal rechtswidrige Handlungen können mit herangezogen werden.5) Am deutlichsten aber tritt die Eigenart des Kollektivdelikts zu Tage auf dem Gebiete des Prozefsrechts. Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung sind die sämtlichen zur Einheit gehörigen, wenn auch nicht bekannt gewordenen Handlungen; nachträgliche Verfolgung der einen oder andern dieser später bekannt werdenden Handlungen wird durch die rechtskräftige Erledigung des Kollektivdeliktes ausgeschlossen. w e r b a m ä f a i g k e i t : StGB. 860, 384, 994, 802d, 360 Ziff. 6; Mönsgeaetz vom 9. Juli 1873 §. 13; Reichsbankgesetz vom 14. llärz 1875 8. 67 Aba. 2; Patentgesetz vom 96. Mai 1877 §. 4; Geaetz vom 26. Joni 1887 (blei- und zinkhaltige Gegenetände) §. 4, vom 6. Juli 1887 (gesundheiUachädliche Farben) §. 12. - 2. G e a c h ä f t a m ä f a i g k e i t : StGB. §. 144, Sozialiatengeaetz 8. 22. — 3. G e w o h n h e i t a m ä f a i g k e i t : StGB. §§. 150, 180, 260, 302 d; Hünzgeaetz vom 9. Juli 1873 §. 13. — Begriff und Behandlung dea Kollektivdeliktea ist widerholt, inabeaondere von D o c h o w 96, v. L i l i e n t h a l 112, J 162, lebhaft angefochten worden. Die Angriffe auf den I J e g r i f f sind berechtigt, aoweit beabsichtigte, aber noch nicht begangene Handlungen mit herangezogen werden; die Angriffe auf die B e h a n d l u n g aind berechtigt, insoweit die Beatrafung milder iat ala die einea wirklichen Zuaammentreffena. *) Daher können auch Wucherhandlungen, welche vor dem 14. Juni 1880 begangen worden, zur Begründung der Gewerba- oder Gewohnheitsmäfaigkeit des Wuchers verwendet werden. Das Reichsgericht schwankt. Richtig 23. Januar 1882 V 397; unrichtig 24. Januar 1882 V 370. — Im Sinne dea Textes 0 mit der gem. Meinung gegen Bg I 249, 660 Note 12. Gegen die Berücksichtigung verjährter Handlungen Bg I 826 Note 7, v. R i a c h Z IX 268 Note 53. 16«
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§. 57.
57.
Die rechtliche Behandlung der Verbrechenseinheit.
Die rechtliche Behandlung der Verbrechenseinheit.
Litteratnr. Aufser den zu § 55 genannten Abhandlungen H a b e r m a a s Die ideale Konkurrenz der Delikte 1882 (Z III 506). L ö w e n s t e i n Die Verbrechenskonkurrenz nach dem RStGB. 1883 (Z III 706). M e r k e l H H I I 579. Bg I 349, 500. O r t l o f f GA X X X I I 395 (Z V 742) v. L i s z t (Z V I 694). O r t m a n n GA X X X V 26 (Z V I I I 650). S t e l l i n g GS X L I I 121.
I . Die rechtliche Behandlung der Verbrechen-Feinheit ist die gleiche, mag dieser eine natürliche Handlungseinheit oder aber eine natürliche Handlungsniehrheit entsprechen. Dem einheitlichen Verbrechen entspricht die eine und einheitliche Strafe. Dies gilt auch dann ausnahmslos, wenn eine Mehrheit von gleichartigen, d. h. unter dasselbe »Strafgesetz fallenden Erfolgen vorliegt: das mehrfach übertretene Strafgesetz findet nur einmal Anwendung und die Mehrheit der Erfolge kann nur bei Zumessung des Erfolges innerhalb des Strafrahmens berücksichtiget werden.') Schwierigkeiten entstehen aber dann, wenn die Yerbrechenseinheit auf den ersten Blick unter mehrere verschiedene Strafgesetze fällt, wenn, wie S t G B . 73 sagt, „eine und dieselbe H a n d l u n g m e h r e r e S t r a f g e s e t z e v e r l e t z t " . W i e die bisherigen, durch den unzweideutig klaren "Wortlaut des Gesetzes unterstützten. Ausführungen ergeben, ist liier nicht von einem Zusammentreffen mehrerer V e r b r e c h e n , wohl aber von einem solchen mehrerer verletzter S t r a f g e s e t z e die Rede. Nicht Verbrechenskonkurrenz, sondern G e s e t z e s k o n k u r r e n z liegt vor. Und die F r a g e ist die: wie ist diese ..Konkurrenz- zu lösen, welches der verletzten Strafgesetze ist zur Anwendung zu bringen. Bei der Losung dieser F r a g e sind zwei Fülle auseinanderzuhalten. 0 ) ') Die herrschende Ansicht spricht hier von ,.gleichartiger idealer Verbrechenskonkurrenz" und will den §. 73 StGB. „analog" zur Anwendung bringen. Man vgl. statt aller andern U 386 (nur v. B u r i Einheit 108 ist gegen die „Analogie" des 73). — Diese Auflassung ist völlig verkehrt. Sie. steht auch im Widerspruche zu dem Gesetze, welches eine „gleichartige Idealkonkurrenz" überhaupt nicht kennt. Vgl. aber neuerdings B ü n g e r Z VIII 689. Richtig Z i e b a r t h 359. 2 ) Die herrschende Ansicht spricht hier von „ungleichartiger idealer Verbrechenskonkurrenz": eine Handlung, mehrere Verbrechen. Diese Auffassung steht aber nicht nur im offensichtlichen Widerspruche zu Sinn und Wortlaut des §. 73; sie übersieht auch, dafs die ..ideale Ver-
§. 67. Die rechtliche Behandlung der Verbrechenseinheit.
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II. Der erste Fall. W e n n von den mehreren verl e t z t e n Strafgesetzen eins die Handlung nach a l l e n ihren Seiten berücksichtigt, so dafs Thathestand und Verbrechensbegriff sich vollständig decken, so i s t l e d i g l i c h dieses S t r a f g e s e t z auf die H a n d l u n g a n z u wenden. So geht die besondre Bestimmung der allgemeinen vor. Majestätsbeleidigung fällt immer unter §. 95 StGB., nie unter §. 185; Fälschung eines Legitimationspapieres zum Zwecke besseren Fortkommens ist immer nach §. 363 StGB., nie als Urkundenfälschung im Sinne des §. 267 zu behandeln. — Die Handlung des Thäters schliefst die des Teilnehmers, die Handlung des Anstifters die des Gehilfen (oben §. 53 IV); das v o l l e n d e t e Verbrechen die Strafbarkeit des Versuchs sowie der Vorbereitungshandlungen aus. — Strafdrohungen, welche nach ausdrücklicher oder stillschweigender Anordnung des Gesetzes andern gegenüber nur a u s h i l f s w e i s e Geltung haben, werden durch diese ausgeschlossen. Beispiele bieten StGB. §§. 49 a und 207. — In dem gleichen Verhältnisse stehen die Ungehorsamsverbrechen zu Gefährdungs- und V e r l e t z u n g s v e r b r e c h e n sowie die Gefährdungsverbrechen zu Verletzungsverbrechen (oben § . 3 1 II). Wer durch schnelles Fahren einen Menschen fahrlässig getötet hat, ist nur nach brechenskonkurrenz" dem gemeinen Recht ebenso fremd geblieben ist wie der Mehrzahl der aufserdeutschen Gesetzgebungen. Frankreich, Belgien, Ungarn, Holland, Italien, Japan, der russische und der norwegische £ntwurf, das geltende österreichische Recht und der österreichische Entwurf von 1889 wissen nichts von diesem merkwürdigen Erzeugnisse der Schulweisheit. — Mit dem Text im wesentlichen übereinstimmend H i l l e r GS XXXII 195 und bei G r ü n h u t X I I I 126 ( Z I 167, V I 403), S c h ü t z e Z I I 71, O r t l o f f GA X X X I I 400, auch Bg I 349, freilich in vollem Widerspruche mit Bg I 570 (weshalb Päderastie des Lehrers mit dem Schüler anders zu behandeln ist als blutschänderischer Ehebruch, vermag ich nicht einzusehen). Neuerdings auch B ü n g e r Z VIII 696, wenn auch mit andrer Begründung (die Strafe wendet sich gegen den Willen, d. i. gegen die dem Handeln parallel gehende psychische Energie; diese ist aber nur e i n e , trotz der mehrfachen Beziehung auf verschiedene Erfolge). — Ein wertvoller Beweis für die Richtigkeit meiner Auffassung liegt darin, dafs der Gesetzgeber mit einem Federstrich durch Einfügung einer besondern Bestimmung die scheinbare Verbrechenskonkurrenz beseitigen kann. Man denke an §. 178 StGB., welcher die Annahme einer „Iaeaikonkurrenz" von Tötung und Notzucht unmöglich macht. Das wäre doch nicht denkbar, wenn nicht die „Idealkonkurrenz" in Wahrheit Gesetzeskonkarrenz wäre.
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§• 57.
Die rechtliche Behandlung der Verbrechengeinheit.
S t G B . §. 222, nicht auch nach §. 366 2 zu bestrafen; der Giftmord fällt nur unter S t G B . § . 2 1 1 , nicht auch unter §. 229. 8 ) III. Der zweite Fall. Die unvermeidliche Lückenhaftigkeit unsrer Gesetzgebung bringt es mit sich, dafs diese Regel in zahlreichen Fällen versagt, weil wir keinen Paragraphen finden, welcher der Handlung nach allen ihren Seiten gerecht würde. In diesen Fällen bleibt nur ein, freilich gewaltsamer und wenig befriedigender Ausweg übrig: wir w e n d e n j e n e s S t r a f g e s e t z a n , w e l c h e s u n s d u r c h die S p a n n w e i t e s e i n e r S t r a f r a h m e n die volle W ü r d i g u n g der H a n d l u n g w e n i g s t e n s a n n ä h e r u n g s w e i s e g e s t a t t e t . So ist die Notzucht an der eignen Tochter, die sowohl unter §. 173 als unter §. 177 S t G B , fallen würde, nach dem letztern Paragraphen zu bestrafen. Diese Ausliilfsregel und nicht mehr spricht §. 73 S t G B , aus: „Wenn eine und dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze verletzt, so kommt nur dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafe, und bei ungleichen Strafarten dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafart androht, zur Anwendung. Ein begrifflicher Unterschied zwischen diesen Fällen und den oben unter I I . besprochenen liegt nicht vor. Hier wie dort handelt es sich nicht um die Konkurrenz von Verbrechen, sondern um die Konkurrenz von Strafgesetzen. Der Unterschied liegt nur darin, dal's wir dort im Gesetze selbst einen sichern Anhaltspunkt zu durchaus sachgemäfser Entscheidung haben, hier dagegen nur mühsam über die vom Gesetze gelassene Lücke hinwegkommen. F ü r den Richter ergiebt sich in dem letztem Falle die Notwendigkeit, urteilsmäfsig festzustellen — gegebenen Falls durch Befragung der Geschwornen —. d a f s die Handlung unter beide Strafgesetze fällt, und was ihn bei der Auswahl geleitet. Hat er aber die Wahl einmal getroffen, so ist das mildere Strafgesetz in k e i n e r Weise zu berücksichtigen. Eben darum kann, wenn das schwerere Gesetz ein geringeres Mindestmafs ' ) Schon M e r k e l hat diese Fälle auB der Idealkonkurrenz ausgeschieden und als Uesetzeskonkurrenz bezeichnet. Bg hat den Begrifl' erweitert durch Aufstellung des Grundsatzes von der ,,Subsidiarität" und (sehr unklar) „Alternativität" der Strafgesetze. Vgl. aber auch 0 386, B ü n g e r Z V I I I 686.
§. 68. Die Verbrechena-Mehrheit.
347
hat als das mildere, unter das Mindestmafs des letztern bei der Strafzumessung herabgegangen werden.4) Eine etwa in dem mildern Strafgesetze angedrohte Nebenstrafe kann bei Anwendung des schwerern Gesetzes, welches sie nicht kennt, nicht verhängt werden. Wohl aber sind polizeiliche Mafsregeln (z. B. Einziehung) zulässig. Nachträgliche Verfolgung wegen des leichtern Deliktes wird durch die Rechtskraft des Urteils auageschlossen, es kann mithin auch nicht etwa später die Annahme eines Rückfalls auf jene Feststellung gegründet werden.*) Zu berücksichtigen ist, dafs die Strafen ihrer Schwere nach in folgender Reihe aufeinander folgen: Todesstrafe, Zuchthaus, Gefängnis, Festungshaft, Haft, Geldstrafe; dafs bei gleicher Strafe das höhere Höchstmafs und nur wann dieses gleich ist das höhere Mindestmafs entscheidet; dafs erst in dritter Linie Nebenstrafen, niemals aber Arten der Privatgenugthuung zu berücksichtigen sind.')
§. 58.
Die Verbrechens-Mehrheit.
Litteratur. OlBhausen Einflufs der Vorbestrafungen R o s e n b l a t t Strafenkonkurrenz 1879. H I 663.
1876.
Mehrere Verbrechen desselben Thäters stehen nicht notwendig in rechtlicher Beziehung zu einander. Wir haben im Gegenteile, von besonderer gesetzlicher Anordnung abgesehen, die mehreren Verbrechen desselben Thäters ebenso selbständig 4 ) Ubereinstimmend R 8. Februar 83 VIII 84, 10. November 87 XVI 302, ö I 189, M e r k e l HH IV 229. Dagegen R 3. März 81 III 390, Ii 496, O 397, H e c k e r 143, R e i f f e i GS XXXIX 601. — Gerade um diese nnabweisliche Folgerung zu vermeiden, würde sich die Nachahmung dea in den österr. Entwürfen ausgesprochenen Grundsatzes empfehlen, naoh welchem in diesem Falle ein zusammengesetzter Strafrahmen aus den härtesten Beatimmungen der in Frage kommenden Gesetze gebildet wird. Vgl. auch B ü n g e r Z VIII 717. ») Übereinstimmend v. B u r i Einheit 110, M e r k e l HH IV 229, G I 189, H I 683, H a b e r m a a s 27, S c h ü t z e Z III 72. Dagegen B i n d i n g Grundrifs 174, M 497, O 392; insbes. aber R 16. Oktober 88 XVIII 193 (im Widerspruch mit seiuen eignen Ausführungen über die „absolute Exklusivität" des schwereren Strafgesetzes). •) Übereinstimmend R 10. November 87 XVI 302 (Geldstrafe immer milder ab Freiheitsstrafe). R 12. Dezember 87 XVII 193 will Polizeiaufsicht nicht berücksichtigen, da ihr Eintritt nicht im Willen des Gerichtes liegt; dagegen mit Recht H S e u f f e r t W V II 266.
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§. 68.
Die Verbrechens-Mehrheit.
zu behandeln, wie mehrere Handlungen verschiedener Thäter. Eine strafrechtlich erhebliche Beziehung der mehreren Handlungen desselben Thäters untereinander entsteht nur durch positivrechtliche, von kriminalpolitischen Gesichtspunkten beeinflufste Anordnung des Gesetzgebers. Nach geltendem Rechte kann diese Beziehung sein: I . R ü c k f a l l ; d. i. Begehung eines gleichen oder gleichartigen Verbrechens nach gänzlicher oder teilweiser Yerbüfsung oder Erlassung der wegen eines früher begangenen gleichen oder gleichartigen Verbrechens zuerkannten Strafe: vorausgesetzt dal's nicht seit Yerbüfsung oder Erlal's der frühern Strafe bis zur Begehung des neuen Verbrechens ein gewisser Zeitraum (sogenannte R ü c k f a l l s V e r j ä h r u n g ) verstrichen ist, welcher die strafrechtliche Beziehung zwischen beiden Handlungen als zerrissen erscheinen läfst. Der Rückfall wird nach Reichsrecht nur in einzelnen Fällen als Strafschärfungsgrund verwendet (unten §. 71). I I . R e a l e K o n k u r r e n z oder w i r k l i c h e s Z u s a m m e n t r e f f e n mehrerer selbständiger strafbarer Handlungen (StGB. §. 74).') Die folgerichtige Durchführung des grundsätzlich unstreitig richtigen Gedankens, dafs bei Begehung mehrerer Verbrechen durch denselben Thäter jede der verbrecherischen Handlungen mit der ihr entsprechenden Einzelstrafe, die Summe jener Handlungen daher mit der Summe dieser Einzelstrafen zu belegen sei, führt nach der heute in der Gesetzgebung herrschenden Auffassung bei Vollzug der Freiheitsstrafen zu unerträglichen Härten (unten §. 75). Die gesetzliche Anordnung der Milderung dieser Härten erheischt die gesetzliche Feststellung der Voraussetzungen, unter welchen die Abweichung von dem Grundsatze stattfinden soll, und führt somit zu der Aufstellung des Begriffes des Zusammentreffens. Der Begriff verdankt mithin lediglich den Bedürfnissen der Kriminalpolitik ') Wann eine Handlung, wann mehrere vorliegen, ist nach den oben 6. 65 aufgestellten Grundsätzen zu beurteilen. — Bei Verbreitung einer Druckschrift von mehreren Verbreitungsmittelpunkten aus liegt wirkliches Zusammentreffen ebenso vieler (strafbarer) Handlungen vor; so der 15. deutsche Juristentag i 71, I I 350 im AnBchlufs an das Gutachten v. L i s z t s ; E 23. Dezember 81 V 314, S t e n g l e i n GS X X X V 24, M 500 Note 14, O 389. Dagegen S c h ü t z e Z I I I 70, Bg I 585 Note 45.
§. 66.
Die Verbrechens-Mehrheit.
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seine Entstehung. 2 ) Voraussetzungen des Begriffes sind: einerseits die, wenn auch thatsächlich vereitelte, r e c h t l i c h e M ö g l i c h k e i t g l e i c h z e i t i g e r A b u r t e i l u n g , anderseits d i e tliatsächliche Möglichkeit nachträglicher Berücks i c h t i g u n g j e n e r r e c h t l i c h e n M ö g l i c h k e i t . Genauer gesprochen: (Wirkliches) Zusammentreffen mehrerer Yergehungen ist die Begehung mehrerer verbrecherischer Handlungen durch denselben Thäter, wenn 1. die mehreren Handlungen begangen waren, e h e wegen einer v o n i h n e n d a s U r t e i l g e s p r o c h e n w o r d e n i s t (Rechtskraft des Urteils nicht erforderlich). Beispiel: Die Verbrechen a, b, c sind am 1. Januar, 1. Februar, 1. März begangen; Zusammentreffen liegt vor, wenn die Aburteilung wegen a, b und c am 15. März erfolgt ; aber auch dann, wenn am 15. März lediglich über das Verbrechen a gesprochen wurde und die Verbrechen b und c erat nachträglich zum Vorschein kommen. Dagegen steht das am 16. März begangene Verbrechen d nicht mehr im „Zusammentreffen" mit a, b und c (StGB. §. 74).
2. W e n n d i e v e r w i r k t e n S t r a f e n g l e i c h z e i t i g z u r V o l l s t r e c k u n g k o m m e n . Dies ist zunächst der Fall, wenn sämtliche strafbare Handlungen Gegenstand derselben Verhandlung und Entscheidung waren. Bei nicht gleichzeitiger Aburteilung ist Zusammentreffen nur dann anzunehmen, wenn die nachträgliche Entscheidung über das später entdeckte Verbrechen stattfindet, solange eine Verbesserung des frühern Urteils noch möglich ist, solange also die in dem frühem Urteile ausgesprochene Strafe noch nicht vollständig verbüfst, verjährt oder erlassen ist (StGB. §. 79). Beispiel: Ist der Verbrecher wegen a am 15. März zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden, so ist Zusammentreffen von b und c mit a anzunehmen, wenn b und c vor dem 15. Juni zur Aburteilung kommen; nicht aber, wenn an dem Tage, an welchem das Urteil wegen b und c gefällt werden soll, die wegen a erkannte Strafe bereits verbüfst, verjährt oder erlassen ist. Das spätere Urteil hat dann unter Berücksichtigung der früher ausgesprochenen Gesamtstrafe auf eine Z u s a t z s t r a f e zu erkennen. 9 ) 9 ) Eben darum sprechen G I 184, H I 654, R o s e n b l a t t 3 u. a. statt von Verbrechenskonkurrenz von Strafenkonkurrenz. 3 ) Aber auch wenn jemand mit Aufserachtlassnng des §. 79 S t G B , durch verschiedene rechtskräftige Urteile zu mehreren Strafen verurteilt wurde, sind die erkannten Strafen noch nachträglich durch gerichtliche Entscheidung auf eine Gesamtstrafe zurückzuführen. StPO. §§. 492, 494.
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§• 59. Der Begriff der Strafe.
Zweites Buch.
Die Strafe. §. 59.
Der Begriff der Strafe.
L i t t e r a t u r . Zu I : M 2. — Zu I I : M e r k e l Abhandlungen I 57. H e i n z e H H I 337. B i n d i n g Normen I 270 (2. Aufl.). F u c h s GA X X I X 422 (Z I I 380). — Zu I I I : N i s s e n Die Einziehung 1887. H. S e u f f e r t W V I 313. K r o n e c k e r GA X X V I I I 9 (Z I 168). Z i e b a r t h 339, B o r c h e r t Verantwortlichkeit für Handlungen dritter S. 1. v. A u f s e f s H R „Haftpflicht in Zoll- und Steuersachen". Loebe Zollstrafrecht (1881) 107. Bg I 489. M e i s e l Finanzarchiv V 1, insbesondere 45. — Zu I V : v. L i s z t H R „Ordnungsstrafe". Laband I 462. Z o r n Staatsrecht I 243. Die Kommentare zum Reichsbeamtengesetz. O p p e n h e i m Die Rechtsbeugungsverbrechen 1886 (Z V I I 239). G l a s e r 1 280. J o h n I 78. H. S e u f f e r t W V I 47. L a b e s Die Disziplinargewalt des Staates über seine Beamten 1889. — Zu VI: G n e i s t H R „Verwaltungsexekution". M e i s e l a. O. — Zu V I I : G. M e y e r W V I I 203.
I. Strafe 1 ) ist die R e c h t s g ü t e r v e r l e t z u i i g , welche der S t a a t , als Träger und Schirmer der ö f f e n t l i c h e n R e c h t s o r d n u n g (als Inhaber der öffentlichen Zwangsgewalt), gegen den Ü b e r t r e t e r eines staatlichen G e b o t e s oder V e r b o t e s wegen dieser Ü b e r t r e t u n g d u r c h die mit der Strafrechtspflege beauftragten Organe verhängt. I I . D i e Strafe ist R e c h t s g ü t e r v e r l e t z u n g (Verletzung rechtlich geschützter Interessen durch die sonst schützende Rechtsordnung selbst); sie ist ein Ü b e l , welches der Verbrecher erleidet. Dadurch unterscheidet sie sich wesentlich von dem Schadensersatz, mag sie auch mit ihm unter den gemeinsamen höheren Begriff der Rechtsfolgen des Unrechts gebracht werden können. 2 ) Denn Schadensersatz ist Beseitigung der ') Das Wort findet sich seit dem Anfange des 14. Jahrhunderts. Die Etymologie ist eine sehr zweifelhafte. Vgl. L ö n i n g Z V 546 Note 18, G ü n t h e r Wiedervergeltung I 5. Andre mittelalterlich-deutsche Ausdrücke sind büfsen, bessern, wandeln, kehren. *) EbenBoM 4, Bg Normen I 270; dagegen M e r k e l Abhdlgn. 157, H e i n z e H H I 337. Es darf aber nicht vergessen werden, dafs auch die
§. 69. Der Begriff der Strafe.
251
JEtechtsgüterverletzung; er soll die Wunde h e i l e n , während Strafe gerade zu dem Zwecke verhängt wird, um (dem Verbrecher) eine Wunde zu s c h l a g e n und so die Aufrechthaltung der Rechtsordnung zu sichern. Nicht unter den Begriff der Strafe fallen daher, weil dem Zwecke der G e n u g t h u u n g (für den nicht blofs am Vermögen, sondern auch an andern Rechtsgütern verursachten Schaden") dienend: 1. Die B u f s e (unten §. 69). 2. Die A u s f e r t i g u n g des verurteilenden Erkenntnisses an den Verletzten, sowie die Befugnis zur öffentlichen Bekanntmachung desselben auf Kosten des Verurteilten. 8 ) Denn auch hier handelt es sich nicht darum, durch Demütigung des Beleidigers diesen in seinen rechtlich geschützten Interessen zu verletzen, sondern darum, die verletzte Ehre des Beleidigten durch gerichtliche Ehrenerklärung wieder herzustellen. I I I . Strafe ist Verletzung eines Rechtsgutes, dessen Träger der V e r b r e c h e r ist, und zwar um denselben in diesem seinem Interesse zu treffen. Trifft die Verletzung nicht den Verbrecher oder trifft sie ihn nur nebenher, so liegt Strafe nicht vor. Daher sind nicht Strafe: 1. P o l i z e i l i c h e M a f s r e g e l n , deren Zweck es nicht ist, ein Interesse des Verbrechers zu verletzen. Hierher gehört Strafe dem Verletzten Genugthuung gewährt, und diese von dem Thäter als ein Übel empfunden wird; dafs also Privatrecht und Strafrecht auch in dieser Frage nicht völlig getrennt voneinander vorgehen dürfen. *) StGB. §§. 165 und 200; Markenschutzgesetz §. 17, Patentgesetz §. 36. Dagegen ist die Veröffentlichung des Urteils Neben st rate in tj. 16 Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879. Abweichend vom Text erklärt R in einer Reihe von Entscheidungen, insbes. (verein. Strafsenate) 17. April 82 VI 180 die fragliche Mafsregel stets für eine Strafe. Sehr bezeichnend für die Unklarheit dieser Ansicht ist die Fassung in R 17. Mai 87 XVI 73: „eine Strafe lediglich zur Genugthuung_ des Verletzten". Ebenso Dochow HH III 260, B i s c h o f f GA XXIX 141 Note 3, H e f s Falsche Anschuldigung 65, B 231, G II 39, H II 218, Ml 173, S 364, Merkel HH IV 230. Übereinstimmend mit dem Text T u c h s 434. F r a n c k e GA XX 19, K ö h n e Z VIII 448, B ü n g e r Z VIII 718 Note 123, Ä e i f f e l GS XLII 68, L 55, M 5, 447 Note 1, O 366, 799, Z i e b a r t h 358. E l s a s Begnadigungsrecht 54 Note. — Eine ganz vereinzelte Verbindung von Ersatz und Strafe enthält §. 56 Nacharucksgesetz vom 11. Juni 1870, nach welchem die Entschädigung des Verletzten gebildet wird durch den g a n z e n Betrag der Einnahme von jeder unbefugten öffentlichen Aufführung eines dramatischen usw. Werkes ohne A b z u g der auf d i e s e l b e v e r w e n d e t e n Kosten.
§. 69.
252 die A u f l ö s u n g
Der Begriff der Strafe.
einer V e r s a m m l u n g , die S c h l i e l s u n g eines V e r -
eins, einer K a s s e :
hierher g e h ö r t ferner d i e E i n z i e h u n g , V e r -
nichtung, U n b r a u c h b a r m a c h u n g von G e g e n s t ä n d e n , welche d u r c h ein V e r b r e c h e n brechens
hervorgebracht
gebraucht
strafbaren Inhaltes
oder
dem
vielen R e i c h s -
Schuldigen und
zur B e g e h u n g eines V e r sind, von
Haftung
dritter
Druckschriften
usw.4)
2. D i e h i i l f s w e i s e die von
oder
bestimmt
verwirkten
Personen
G e l d s t r a f e n , die
Landes-^Nebenstrafgesetzen
für
sich in
ausgesprochen
findet.6) IV.
Die
Rechtsgiiterverlet/.ung
mul's von dem S t a a t e a l s
d e m I n h a b e r der ö f f e n 11 i c Ii e n Z w a n g s g e w a l t , als d e m T r ä g e r ') StGB. §§. 40, 41. 42, 152. 295, 296 a, 335. 367, 369; zahlreiche Bestimmungen in den Nebengesetzen. Die rechtliche Natur dieser Mafsregeln ist sehr bestritten, und wegen der Unklarheit der das Gesetz beherrschenden Grnndgedanken auch äufserst zweifelhaft. Für die im T e x t vertretene Ansicht vgl. insbesondere die Ausführungen N i s s e n s . 5 ) Das Wesen dieser eigentümlichen Einrichtung, die sich schon A L R . 293 und weit früher findet, ist sehr bestritten. Nach meiner Ansicht handelt es sich um eine au9 öffentlich-rechtlichen finanziellen Gründen erfolgte Ausgestaltung der p r i v a t r e c h t l i c h e n H a f t u n g f ü r f r e m d e S c h u l d . Ebenso M 7, K r o n e c k e r 16, Bg Normen I I 614 Note 930, L ö n i n g Haftung des Redakteurs 132 Note 1; dagegen Bg I 489, D i t z e n Z X 129 Note 26. — Die grundsätzliche Auffassung ist entscheidend für eine Reihe von Einzelfragen. So würden in Bezug auf Verjährung, Begnadigung usw. die Grundsätze des bürgerlichen Rechts anzuwenden sein. Ist der Haftpflichtige selbst neben einer derjenigen Personen, f ü r die er zu h a f t e n hat, an dem begangenen Delikte strafrechtlich beteiligt, so kann ihn die Zahlung zweimal treffen: einmal als Strafe, dann aber als (zivilrechtliche) Haftung für seinen Genossen. Es ist weiter möglich, dafs dieselbe Person f ü r mehrere an derselben That Beteiligte mehrfach zur Haftung herangezogen wird, oder dafs trotz Erfüllung der Haftpflicht hinterher noch Anklage wegen Teilnahme an dem Vergehen erhoben wird, und umgekehrt. Auch ist es nur bei dieser Auffassung erklärlich, dafs auch GeBamtpersönlichkeiten, wie Aktiengesellschaften, Eisenbahnunternehmungen usw., deren strafrechtliche Verantwortlichkeit in unserm positiven R e c h t e rundsätzlich ausgeschlossen ist (oben §. 26 II), vom Gesetze ausdrücklich der [aftung unterstellt werden. Vgl. auch BGB 46 und dazu Begründung 1203, v. L i s z t Grenzgebiete 43. — Dagegen liegt S t r a f e überall da vor, wo die Haftung durch ein Verschulden de9 Haftenden bedingt ist. So ist die in §. 151 Gewerbe-Ordnung bestimmte Mithaftung des verfügungsfahigen Vertretenen, m i t d e s s e n V o r w i s s e n der Stellvertreter die Übertretung begangen hat, als eigentliche Strafdrohung (für Mitthäterschaft) zu betrachten. Als Strafe ist wohl auch aufzufassen die H a f t u n g des Brennerei- bezw. Zuckerfabriks-Besitzers nach den Steuergesetzen vom 24. J u n i und 9. Juli 1887 (§§. 28 und 32 des Branntwein-, §§. 61 und 55 des Zucker-Steuer-Gesetzes). Vgl. auch §. 38 des Brausteuergesetzes vom 31. Mai 1872. — Auf einem ganz andern Grundgedanken ruht die hier nicht zu erörternde G e s a m t s c h u l d h a f t für verwirkte Geldstrafen nach §. 34 Reichs-Stempelabgaben-Gesetzes von 1885.
f
§. 59.
Der Begriff der Strafe.
253
und Schirmer der ö f f e n t l i c h e n Rechtsordnung verhängt werden. Sie rnufs vom Staate v e r h ä n g t werden. Alle die von R e c h t s w e g e n eintretenden Folgen der Verurteilung scheiden demnach aus dem Gebiete der Strafe aus. Dies gilt auch von der dauernden Unfähigkeit zum Dienste in dem deutschen Heere und der Kaiserlichen Marine, sowie zur Bekleidung öffentlicher Amter. welche nach StGB. § . 3 1 mit der Verurteilung zur Zuchthausstrafe „von Rechtswegen" verbunden ist. Ferner gehören hierher zahlreiche Bestimmungen in den Nebengesetzen. 6 ) Sie nmfs endlich vom Staate verhängt werden als dem Inhaber der ö f f e n t l i c h e n Zwangsgewalt, nicht kraft seiner d i e n s t h e r r l i c h e n Stellung. Dies*ist der Grund, warum die staatliche D i s z i p l i n a r s t r a f e , die der Staat im Interesse des innern Dienstes verhängt, nicht Strafe im engern Sinne ist. Daraus folgt: ihre Verhängung ist, weil nicht Strafsache, nicht Sache der ordentlichen Strafgerichte; dieselbe Übertretung kann Disziplinarstrafe und überdies eigentliche Strafe nach sich ziehen; wenn jemand mehreren Dienstkreisen angehört, so kann er wegen desselben Vergehens zweimal disziplinarisch bestraft werden (z. B. als Beamter und als Reserveoffizier); durch Verjährung der Strafe wird die disziplinarische Verfolgung nicht ausgeschlossen usw. V. Nachteile, die auf die Nichtbeachtung eines n i c h t b e f e h l e n d e n Rechtssatzes gesetzt sind, sind nicht Strafe. So die sogenannten P r o z e l ' s s t r a f e n aller Art (wichtig §. 48 Gerichtskostengesetz); die prozessualen Vorschriften heischen nicht unbedingten Gehorsam, wie die staatlichen Gebote und Verbote, sie stellen vielmehr die W a h l zwischen zwei Möglichkeiten frei. VI. Die Strafe ist an die b e g a n g e n e Rechtsverletzung geknüpft, und wenn sie auch durch ihre Zweckbestimmung in die Zukunft reicht, so hat sie doch nicht einzelne b e s t i m m t e •) Sogenannte „Rechtsverwirkungen' 1 ; vgl. B g l 4 2 8 Note 14, K ö h n e Z V I I I 441). Dagegen handelt es sich überall dort um eine v/irkliche Strafe, wo durch g e r i c h t l i c h e s E r k e n n t n i s der Verlust einer Befugnis aulgesprochen wird.
254
§. 59. Der Begriff der Strafe.
Handlungen und Unterlassungen, sondern die Handlungen und Unterlassungen ü b e r h a u p t im Auge. Dadurch unterscheidet sie sich vom S t r a f z w a n g e , welcher auf die Herbeiführung einer b e s t i m m t e n Handlung oder Unterlassung durch Rechtsgüterverletzung gerichtet ist. Wichtig ist die Unterscheidung für das Prozefsrecht: Strafzwang zur Verwirklichung der Zeugnispflicht findet sich hier neben der Strafe für Nichterfüllung derselben. 7) Auch sonst wird der Strafzwang vielfach in der Reichsgesetzgebung verwertet; zahlreiche Gesetze schreiben vor, dafs der Widerstrebende „durch Ordnungsstrafen angehalten" werden solle. 8 ) VII. Begrifflich mit der eigentlichen Strafe sich deckend, sind dennoch von derselben kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung -zu unterscheiden jene kleinen Strafen für geringfügigere Rechtsverletzungen, welche die Reichsgesetzgebung mit dem Namen der O r d n u n g s s t r a f e n bezeichnet. Sie finden sich besonders häufig in den Zoll- und Steuergesetzen;9) es gehören hierher aber auch die Fälle der e i n f a c h e n N i c h t e r f ü l l u n g der D i n g p f l i c h t . 1 0 ) Dagegen ist die sogenannte P o l i z e i s t r a f e , von beson') StPO. §§. 69, 60, 95; ZPO. §§. 355 und 345; Postgesetz vom 28. Oktober 1871 §. 38. *) So aufser den vielen Fällen des Handelsgesetzbuches auch ZPO. §§. 774, 782; GVG. §. 178; §. 66 des Genossenschaftsgesetzes vom 4. Juni 1868; §. 33 Gesetz vom 7. April 1876 über die eingeschriebenen Hilfskassen ; die „exekutorischen Geldstrafen" in §.40 des Tabaksteuergesetzes vom 16. Juli 1879; weitere Beispiele in den Versicherungsgesetzen sowie in den Steuergesetzen von 1887. ») Vgl. z. B. Salzsteuergesetz vom 12. Oktober 1867 §§. 13, 15; Zuckersteuergesetz von 1869 §. 4; Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 151, 152, 160, 161; Rübenzuckersteuergesetz vom 2. Mai 1870 (Verordnung von 1846 §. 17); Brausteuergesetz vom 31. Mai 1872 8§. 32, 35, 36; Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878 §S. 11, 16; Tabaksteuergesetz §§. 34, 40—42; Gesetz betr. die Statistik des Warenverkehrs vom 20. Juli 1879 §. 17; Stempelsteuergesetz vom 1. Juli 1881 §. 23; HGB. Art, 251 u. a.; ferner GVG. §§. 56, 96; StPO. §§. 50, 69, 77; ZPO. §§. 345, 355, a74, 579. Vgl. unten besondern Teil: Delikte gegen die Rechtspflege. — Diese Ordnungsstrafen sind wesentlich verschieden von dem Strafzwange m Ziffer VI. — M 9, 10, 8, 12 rechnet die unter IV, VI, VII behandelten Institute zu der eigentlichen Strafe, wird aber damit ihrer Eigenart nicht gerecht. 10) Ebenso J o h n I 539, G e y e r Handb. des Strafprozesses I 271; dagegen Bg Grundrifs des Strafprozesses 155.
§. 60. Die Strafarteli im allgemeinen.
255
derer gesetzlicher Anordnung abgesehen, von der Strafe im engern Sinne n i c h t verschieden, seihst wenn zwischen dem kriminellen und dem polizeilichen Unrecht eine grundsätzliche Verschiedenheit angenommen wird (oben §. 25 IV). VIII. Endlich sind von der Strafe zu unterscheiden die V e r w a l t u n g s m a f s r e g e l n , welche u n a b h ä n g i g v o n d e r g e r i c h t l i c h e n F e s t s t e l l u n g einer strafbaren Handlung von den Organen der Staatsverwaltung verhängt werden können. Als Beispiele seien erwähnt die in dem Freizügigkeitsgesetz vom 1. November 1867, dem Jesuitengesetz vom 4. Juli 1872 usw. angedrohten Nachteile.
II. Die Strafarten. §. 60.
(Das Strafensystem.)
Im allgemeinen.
Litteratnr. Vgl. die zu den ersten fünf Paragraphen der Einleitung angeführten Schriften sowie die Litteraturangaben zu den einzelnen Strafarten. — Über D e p o r t a t i o n die Litteraturangaben bei v. H o l t z e n d o r f f HG I 427. Dazu v. J a g e m a n n HG I 372 Note 5 und F u c h s H G I I 372. S t ö l t z e l Brandenburg-Preufsens Rechtsverwaltung I I 346, 351. K r o h n e Lehrbuch 267. Hauptwerk: v. H o l t z e n d o r f f Die Deportation als Strafmittel in alter und neuer Zeit 1859. — Uber die P r ü g e l s t r a f e : M i t t e l s t a d t Gegen die Freiheitsstrafe 82. v. S c h w a r z e Für die Freiheitsstrafe 42. S c h m ö l d e r Die Strafen des RStGB. 49. S o n t a g Z I 501. L u c a s GA XXXII143. B e n n e c k e Z VII 212. I l l i n g Blätter für Gefängniskunde XV 93. v. L i s z t Z I I I 40. F u l d Grenzboten XL VI 474 (Z V I I I 107). HG I 296 (England), 312 (Dänemark), 323 (Schweden), 332 (Rufsland), 360 (Vereinigte Staaten). Die Begründung des Bundesratsentwurfes eines deutschen Strafvollzugsgesetzes (§. 38 Ziff. 10). — Über d i e F r i e d e n s b ü r g s c h a f t : S c h i e r l i n g e r Die Friedensbürgschaft 1877. v. H o l t z e n d o r f f HG 1 404; v. J a g e m a n n H G I I 124. P r i n s Criminalité et répression 1886 (Z VII 182). I. Die Strafe ist Rechtsgüterschutz durch Rechtsgüterverletzung. Sie ist Mittel zum Zweck. Jenes Strafmittel wird darum das geeignetste sein, welches den Zweck (Rechtsgüterschutz) am sichersten, am vollständigsten und zugleich am billigsten (durch möglichst geringe Rechtsgüterverletzung) erreicht. Wir werden daher folgende Anforderungen an die in Frage kommenden Strafmittel zu stellen haben. 1. Da die Strafe je nach Lage der Umstände verschiedene Zwecke
256
§. 60. Die Strafarteli im allgemeinen.
verfolgt, so müssen wir jenem Strafmittel den Vorzug geben, welche« am geeignetsten ist, s i c h d e n v e r s c h i e d e n e n S t r a f z w e c k e n j e n a c h B e d ü r f n i s a n z u p a s s e n ; jenem, mit dem wir bald drohen und abschrecken, bald bessern, bald die Rechtsordnung schützen und sichern können (Schmiegsamkeit der Strafmittel). Darum mufs das unsern höchsten Anforderungen entsprechende Strafmittel nach Inhalt und Umfang abstufbar sein, eine Reihe von Graden zulassen, verschiedene Arten des Strafvollzuges gestatten. Strafmittel, mit welchen wir nur den einen oder den andern der Strafzwecke — es ist gleichgültig, welcher von ihnen es ist — zu verfolgen in der Lage sind, werden hinter dehnbareren und teilbareren Strafmitteln zurückstehen müssen. 2. Das Strafmittel d a r f n i c h t die g ü n s t i g e W i r k u n g , die es n a c h d e r e i n e n R i c h t u n g hin erzielt, a u f h e b e n d u r c h ung ü n s t i g e W i r k u n g n a c h einer a n d e r n R i c h t u n g hin. Es darf, wenn es bessern will, nicht zugleich die abschreckende oder sichernde Wirkung der Strafe vernichten; nicht, wenn es die beiden letztgenannten Zwecke verfolgt, die Massen entsittlichen und damit die verbrechenverhütende Kraft der Strafe beeinträchtigen. Verstümmelnde und beschimpfende Strafen, öffentlicher Vollzug grausam verschärfter Hinrichtungen sind daher ebenso verwerflich, wie einseitig milde Verfolgung der sittlichen Besserung des Sträflings. 3. Wir werden jene Strafmittel verwerfen müssen oder doch nur im Notfalle verwenden können, die den Strafzweck nur mit Aufwand unverhältnismäfsig drastischer Mittel zu erreichen in der Lage sind. Vernichtung der körpei lieben, wirtschaftlichen, sittlichen Persönlichkeit (Todesstrafe, VermögenskoufUkation, Ehrlosigkeit! sind als Mittel zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes zurückzuweisen, solange wir denselben Zweck mit geringerem Kraftaufwande erreichen können. (Billigkeit der Strafmittel.) Daher iat ganz besonders der in den romanischen Rechten vielfach verwertete, aber auch im bayrischen StGB. 1813 sich findende b ü r g e r l i c h e Tod (in Bayern 1849, in Frankreich 1851 beseitigt) ein durchaus verkehrtes und höchst verwerfliches Strafmittel. 4. Da ein einziges Strafmittel wohl kaum für die vollständige Erreichung sämtlicher Strafzwecke ausreichend ist, wir mithin eine Anzahl von Strafmitteln miteinander verbinden müssen, um zum Ziele zu gelangen, so entsteht die weitere an das S t r a f m i t t e l s y s t e m zustellende Anforderung, dafs die verschiedenen Strafmittel untereinander in einem klaren, einfachen, Abschätzung und stufenweisen Ubergang zulassenden Verhältnisse zu einander stehen. Man kann diese Eigenschaft als die Vertretbarkeit der Strafmittel bezeichnen. II. 1. Aus dem eben Gesagteu folgt die unbestreitbare Berechtigung der F r e i h e i t s s t r a f e , die erste Stelle im Strafensysteme der Neuzeit einzunehmen. Sie ist schmiegsam, wie kein andres Strafmittel; sie kann von stundenlangem Stubenarrest bis zu lebenslanger Zuchthausstrafe steigen; sie gestattet es dem unbefangenen Strafvollzug, die samt-
§. 60. Die Strafarten im allgemeinen.
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lieben denkbaren Strafzwecke mit gröfstmöglicher Sicherheit anzustreben; aie läfst Verbindung mit den andern Strafmitteln und nicht-unvermittelte Abgrenzung von denselben (den meisten von ihnen wenigstens) zu. Freilich verlangt die Freiheitsstrafe, um ihre segensreiche Wirkung entfalten zu können, klarere Einsicht in Wesen und Zweck der Strafe, als sie hente noch in weitern und engern Kreisen vorhanden zu sein pflegt; schärfere und durchdachtere Anpassung an die verschiedenen Strafzwecke, als sie unsere heutige Gesetzgebung ermöglicht. Aber wenn die Vorzüge der Freiheitsstrafe von ihren ersten Entwicklungsstufen an bis auf den heutigen Tag unausgenützt geblieben sind, so wird doch durch diesen Umstand die Ansicht derjenigen nicht gerechtfertigt, welche in unsern Tagen ( M i t t e l s t a d t ) mit gleicher Einseitigkeit die zufälligen Fehler des Strafvollzuges als wesentliche Fehler des Strafmittels aufgefafst und die Stellung der Freiheitsstrafe in unserem Strafmittelsysteme angefochten haben. Auch der D e p o r t a t i o n , als eigentümlicher Ausgestaltung der Freiheitsstrafe, wird gröfsere und unbefangenere Aufmerksamkeit gewidmet werden müssen als bisher. Ganz besonders wäre die Unterstützung der f r e i w i l l i g e n A u s w a n d e r u n g entlassener und gebesserter Sträflinge ins Auge zu fassen. 2. Der T o d e s s t r a f e haften die meisten jener Eigenschaften an, die ein zweckentsprechendes Strafmittel n i c h t besitzen soll. Sie beeinträchtigt ihre abschreckende und sichernde Wirkung durch das Mitleid für den Hingerichteten, welches sie in den Massen, durch das Mifsbehagen, welches sie in den Gebildeten wachruft; Bie vernichtet ein Menschenleben, welches vielleicht noch den Zwecken der Gemeinschaft hätte dienstbar gemacht werden können; sie steht ohne jede Vermittelung neben den übrigen Strafmitteln, von welchen es keinen Ubergang zu ihr giebt; sie zwingt zu absoluten Strafdrohungen und verwandelt das Begnadigungsrecht der Krone in ein Hinrichtungsrecht. Das gilt nicht blofs von der verschärften und öffentlichen Todesstrafe früherer Zeit, sondern auch von der einfachen Hinrichtung unsrer Tage, welche, innerhalb der Gefängni«mauern vollzogen, an abschreckender Kraft wesentlich verloren hat. Auch ist es nicht richtig, dafs ihre abschreckende und sichernde Wirkung auf anderm Wege nicht erreicht werden könnt«. Aber solange die Freiheitsstrafe diese abschreckende und sichernde Wirkung vermissen läfst, mufs die Todesstrafe als u n e n t b e h r l i c h bezeichnet werden. Erst die Umgestaltung des Gefängniswesens wird auch die Frage der Todesstrafe zur befriedigenden Lösung bringen. 3. Die V e r m ö g e n s s t r a f e ist teilbar und dehnbar und pafst sich den übrigen Strafmitteln leicht an; sie hält, wenn sie dem Vermögen des Verurteilten entsprechend, etwa nach dem Steuersatz, bemessen wird, die Triebfeder zu einer Reihe von Verbrechensarten nieder; sie ist daher bei zweckmäbiger Ausgestaltung trefflich geeignet, eine bedeutendere Bolle im Strafensystem zu spielen und besonders als Nebenstrafe von grofaem Werte. TOB Lisst, Btnfrecht 4. Anfl. 17
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§- 61- DM Strafensystem der ReichageBetzgebung.
Darchaus verwerflich ist die V e r m ö g e n s e i n z i e h u n g , die Vernichtung des wirtschaftlichen Daseins, welche aus dem römischen Recht (Nov. 134 c. 13) ins gemein-deutsche (PGO. Art. 218) herübergenommen und erst seit der Aufklärungszeit vollständig aus dem System der Strafmittel ausgeschieden worden ist. 4. Grofse Gefahren birgt die E h r e n s t r a f e . Auch in ihren mildesten Formen nimmt sie der gesunkenen sittlichen Persönlichkeit den letzten Halt. Pranger, Brandmarkung und die beschimpfenden Aufzüge, welche die Phantasie des deutschen Mittelalters zu Volksbelustigungen gestaltete, sind zum Teil erst im 19. Jahrhunderte beseitigt worden. Die heutige Gesetzgebung kennt eine Strafe an der E h r e im eigentlichen Sinne des Wortes nicht mehr, wohl aber eine Beschränkung der Rechts- und Handlungsfähigkeit. 5. Derselbe Grund spricht auch gegen die verstümmelnden oder nicht verstümmelnden L e i b e s s t r a f e n überhaupt, gegen die P r ü g e l s t r a f e insbesondere. Als peinliche Strafe wurde sie in den deutschen Staaten teilweise vor 1848, grofsenteils aber nachher, in Schweden 1856, in Rufsland 1863, in Hannover 1866, in Österreich 1867, in Sachsen 1868, in Ungarn 1869, in Mecklenburg 1871 durch das RStGB., in der Schweiz durch die Bundesverfassung von 1874 beseitigt. Doch findet sie sich als D i s z i p l i n a r s t r a f m i t t e l in den Strafanstalten von P r e u f s e n , S a c h s e n , H a m b u r g , L ü b e c k ; in E n g l a n d , R u f s l a n d , den n o r d i s c h e n K ö n i g r e i c h e n sowie in zahlreichen a m e r i k a n i s c h e n Gefängnissen. Sie wird nur dort gebilligt und — kaum entbehrt werden können, wo wie bei den Unverbesserlichen die Gefahr einer Verschlechterung verschwunden ist, oder wo wie bei vielen jugendlichen Verbrechern mehr der Schmerz als die Schmach der Prügel empfunden wird. 6. Als Ersatz der in jeder Beziehung unzweckmäfsigen kurzzeitigen Freiheitsstrafen würde sich neben der bedingten Verurteilung die Wiedereinführung der noch dem gemeinen Rechte bekannten F r i e d e n s b ü r g s c h a f t empfehlen; d. h. die Leistung einer Sicherheit für rechtgemäfses Verhalten, welche verfällt, sobald ein neues Verbrechen begangen wird. Aach die ausgedehntere Verwertung der A r b e i t o h n e E i n s p e r r u n g (Forst- und Gemeindearbeit) sowie die Anwendung von E h r e n h a u p t s t r a f e n (Untersagung der Ausübung des Berufs oder Gewerbes) käme in Betracht.
§.61.
Das Strafensystem der Reichsgesetzgebung.
I. In dem Systeme der RSGB. haben wir H a u p t - und N e b e n s t r a f e n zu unterscheiden. Erstere sind jene, die auch allein, letztere jene, welche nur' in Verbindung mit einer Hauptstrafe verhängt werden können. Unter den Nebenstrafen können als N a c h s t r a f e n diejenigen besonders hervorgehoben
§. 61. Das StrafenByetem der Reichsgesetzgebung.
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werden, welche erst nach der Erledigung der Hauptstrafen zum Vollzüge gelangen. Ein weiterer Einteilungsgrund ergiebt sich, wenn wir die Rechtsgüter des Verbrechens ins Auge fassen, deren Verletzung der Staat zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes vornimmt. Es sind: L e b e n , F r e i h e i t , V e r m ö g e n , E h r e . 1 ) II. Danach gewinnen wir folgendes System: A. H a u p t s t r a f e n . 1. A m L e b e n : die Todesstrafe. 2. A n d e r F r e i h e i t : a) Zuchthaus, b) Gefängnis, c) Festungshaft, d) Haft. 3. Am V e r m ö g e n : die Geldstrafe. 2 ) 4. A n der E h r e : der Verweis. 3 ) B. N e b e n s t r a f e n . 1. An d e r F r e i h e i t : a) Stellung unter Polizeiaufsicht, b) Uberweisung an die Landespolizeibehörde, c) Ausweisung aus dem Reichsgebiet, d) Beschränkung des Aufenthaltes. 4 ) 2. A m V e r m ö g e n : a) der dauernde oder zeitige Verlust der Befugnis zum Gewerbebetrieb, soweit auf denselben im Ur') Die Bestimmungen des RStGB. über das Strafensystem sind absolut gemeines Recht. Sie binden die Landesgesetzgebung auch auf jenen Gebieten, auf welchen diese im übrigen selbständig ist. Vgl. EG. §. 5. — Von den Nebenstrafen werden in den folgenden Paragraphen nur diejenigen erörtert werden, welche allgemeinere Bedeutung haben. — Über das StrafenBystem des Mil.StGB. vgl. besondern Teil. *) Die Geldstrafe ist stets Hauptstrafe, auch wenn sie n e b e n . e i n e r Freiheitsstrafe angedroht ist. Das wird wichtig für StGB. §. 46. ü b e r einstimmend die gem. Meinung, insbes. B ü n g e r Z V I I I 720, B 239, O 111, Z i e b a r t h 352, R 14. Mai 89 XIX 234. Abweichend noch die dritte Aufl. dieses Buchs. s ) Dafs der Verweis Strafe sei, wird bestritten von L 66, anerkannt von den meisten, insbeB. von R 20. September 88 X V I I I 116. — Bedenken gegen die Zweckmäfsigkeit dieser Strafe bei G e y e r Grünhut I I 372, S o n t a g Z I 499. Vgl. auch die Litt, über die bedingte Verurteilung oben §. 3 Note 6. *) Dafs wir es hier mit N e b e n s t r a f e n zu thun haben, ergiebt sich aus dem oben §. 69 Gesagten und wird auch von der Mehrzahl dei Schriftsteller zugegeben. Vgl. insbesondere v. H i p p e l und B e n n e c k e in den zu §. 67 angegebenen Schriften, ferner J 186, O 141, B r a u n e Z I X 807, G n e i s t WV I 466, H. S e u f f e r t W V I I 266, 268, E l s a t Begnadigungsrecht 64 Note. Dagegen Bg I 873, F u h r Polizeiaufsicht 96 u. a. — In der zielbewufsten Erweiterung dieser Nebenstrafen und ihrer Verschmelzung mit den Hauptstrafen liegt eine der wichtigste! Aufgaben der Kriminalpolitik. 17«
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g. 62.
1. Die Todesstrafe.
teil durch den Richter anerkannt wird. 4 ) b) Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 §. 16: Bekanntmachung der Verurteilung auf Kosten des Schuldigen (oben §. 59 Note 3). 3. A n d e r E h r e : a) die Aberkennung sämtlicher, b) die Aberkennung einzelner bürgerlichen Ehrenrechte, c) die Nebenstrafen in §§. 161 und 319 StGB.
§. 62.
I . Die Todesstrafe.
Litteratnr. Hervorgehoben seien: Abhandlungen von H e p p 1835, M i t t e r m a i e r 1862, B e r n e r 1863, K u n z e 1868, G e y e r 1869. H e t z e l Die Todesstrafe in kulturgeschichtlicher Entwicklung 1869. v. H o l t z e n d o r f f Das Verbrechen des Mordes und die Todesstrafe 1875. S e e g e r Abhandlungen I 1. W a h l b e r g Kleinere Schriften II 138. — Vgl. auch die Anlage zu der Begründung des RStGB und Bismarcks grofse Rede vom 23. Mai 1870, sowie die Motive zum österr. StGEntwurf von 1874 ( G l a s e r ) , zu dem italienischen StGB, von 1888 und zum norwegischen Entwurf. I. Die Todesstrafe, neben der verstümmelnden Leibesstrafe die peinliche Strafe des gemeinen Rechtes, ist nach Inhalt und Umfang seit der Beseitigung der grausam geschärften Arten der Hinrichtung und seit ihrer Beschränkung auf wenige Ausnahmsfälle in dem System des heutigen Strafrechts neben der Freiheitsstrafe völlig in den Hintergrund getreten. Der Kampf, welchen die Schriftsteller der Aufklärungsperiode (vor allen B e c c a r i a und S o n n e n f e l s 1764) gegen die Todesstrafe eröffneten, ') hatte zunächst nur geringen Erfolg: Abschaffung der Todesstrafe in Toskana 1786 (bis 1790, bez. 1795), in Österreich 1787 (bis 1796; ihre Stelle vertraten die furchtbaren Strafen der Anschmiedung im dunklen ' ) So ist nach §. 30 des Branntweinsteuergesetzes vom 24. Juni 1887 dem verurteilten Brennereibesitzer zu untersagen, das Brennereigewerbe selbst jemals wieder auszuüben oder durch andre zu seinem Vorteil ausüben zu lassen. Ahnlich §. 53 des Zuckersteuergesetzes vom 9. Juli 1887. Und nach §. 23 des Sozialisten-Gesetzes vom 21. Oktober 1878 kann gegen sozialdemokratische Agitatoren neben der Verurteilung zu Freiheitsstrafe wegen gewisser Übertretungen des Sozialisten-Gesetzes auf Untersagung des Gewerbebetriebes erkannt werden, wenn es sich um Gastwirte, Schankwirte, mit Branntwein oder Spiritus Kleinhandel treibende Personen, oder um Buchdrucker, Buchhändler, Leihbibliothekare und Inhaber von Lesekabinetten handelt (vgl. auch §$. 24, 25 Sozialisten-Gesetz). ') Verteidiger der Todesstrafe finden sich aber auch in dieser Zeit häufig. Ich erinnere an M o n t e s q u i e u , R o u s s e a u , L i n g u e t , S o d e n sowie an K a n t und J . M o e s e r . In G o e t h e s Dissertation 1771 lautet These 53: poenae capitales non abrogandae. Vgl. M e i s n e r Goethe als Jurist (1885) 17. Als frühere Gegner werden genannt im 15. Jahrhundert B o j a r d o , im 17. R o m b o u t H o g e r b e e t s (Z V 721). In den österreichischen Niederlanden wurde 1776 die Abschaffung amtlich erwogen.
§. 69. 1. Die Todesstrafe.
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Kerker bei Hangerkost sowie des Schiffziehens). In Rufsland war sie schon 1763 einstweilig durch den bürgerlichen Tod ersetzt worden; 1764 erfolgte ihre Beseitigung im ordentlichen Verfahren. In seinen weitem Wirkungen aber führte jener Kampf, in Verbindung mit der seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beginnenden Gefängnisreform, zur allmählichen Beseitigung der verschärften und znr allmählichen Einschränkung der Todesstrafe überhaupt auf eine geringe Anzahl von Straffällen. Infolge des §. 9 der deutschen Grundrechte von 1848 (§. 139 der Reichsverfassung) wurde die Todesstrafe in einer Reihe von deutschen Staaten (nicht aber in Österreich, Preufsen, Bayern, Sachsen) beseitigt; doch führte in den meisten dieser Staaten die Herrschaft der Reaktion zur Wiederherstellung der Todesstrafe; Hannover kannte sogar noch bis 1859 die Schleifung zur Richtstatt. Nur Oldenburg, Anhalt, Bremen hielten an der Beseitigung fest; Sachsen fand es noch im Jahre 1868, als die Gesetzgebung des Bundes in Strafsachen vor der Thüre stand, für angezeigt, zur Abschaffung der Todesstrafe zu schreiten. So stand die Frage, als die Beratung des norddeutschen Strafgesetzbuchs in Angriff genommen wurde. Die harten parlamentarischen Kämpfe, die mit der Beibehaltung (bez. Wiedereinführung) der Todesstrafe endeten, sind bereits oben S. 85 geschildert worden. Auch aufserhalb Deutschlands hat die auf Beseitigung der Todesstrafe gerichtete („abolitionistische") Bewegung nur geringe Fortschritte zu verzeichnen. Die Todesstrafe ist beseitigt in T o s k a n a (wo sie bereit* 1847 bis 1862 abgeschafft war) seit 1869, in R u m ä n i e n seit 1864 (ausdrücklich verboten in der Verfassung von 1866), P o r t u g a l (seit 1848 nicht mehr vollzogen) seit 1867, H o l l a n d seit 1870. Sie besteht aufserdem nicht in S a n M a r i n o (seit 1848) und in einzelnen der V e r e i n i g t e n S t a a t e n Nordamerikas (Michigan seit 1846, Rhode Island seit 1862, Wisconsin seit 1863, Main seit 1887). Auch in Columbien (1863), Venezuela (1864), Costa Rica (1880) hat man sie abgeschafft. Die gröfseren Staaten, insbesondere E n g l a n d und F r a n k r e i c h haben sie beibehalten, aber beide, ersteres seit 1861, letzteres seit 1839 und 1848, auf eine geringere Anzahl von strafbaren Handlungen beschränkt. Die S c h w e i z hatte durch Bundesverfassung von 1874 die Todesstrafe für unzulässig erklärt ; seit 28. März 1879 bleibt sie nur für politische Delikte von Bundeswegen ausgeschlossen. Die Kantone haben damit das Recht zur Wiedereinführung der Todesstrafe zurückgewonnen. Bis jetzt machten von demselben Gebrauch: Schwyz, Uri, Unterwaiden ob dem Wald, Appenzell i. Rh., Zug, St. Gallen, Luzern, Wallis. Vgl. G u i l l a u m e État actuel de la question de la peine de mort en Suisse 1886 (GS XXXV1I1 624). Das neue i t a l i e n i s c h e S t G B , hat ebenso wie der n o r w e g i s c h e E n t w u r f auf die Todesstrafe verzichtet. Doch ist sie in Italien schon seit 1877 Dicht mehr vollzogen worden. Auch B e l g i e n hat seit 1863 keine Hinrichtung mehr erlebt.
262
§. 62.
1. Die Todesstrafe.
II. A n w e n d u n g s g e b i e t d e r T o d e s s t r a f e . Wenn wir von dem Militär-StGB. absehen, welches die Todesstrafe in 10 Fällen ausschliefslich, in 8 Fällen wahlweise androht, -) findet sich diese in der Reichegesetzgebung: 1. Als Strafe des v o l l e n d e t e n M o r d e s nach StGB. §. 2 1 1 .
2. Als Strafe des M o r d e s und M o r d v e r s u c h s an d e m K a i s e r , d e m e i g n e n L a n d e s h e r r n und d e m L a n d e s h e r r n d e s A u f e n t h a l t s s t a a t e s StGB. §. 80 (Antrag v. Kardorff). 3. Als Strafe des M i f s b r a u c h s v o n S p r e n g s t o f f e n , wenn der Thäter vorsätzlich durch Anwendung von Sprengstoffen Gefahr für das Eigentum, die Gesundheit oder das Leben eines andern herbeifülirt; und zwar für den Fall, dafs durch die Handlung der Tod eines Menschen herbeigeführt worden ist und der Thäter einen solchen Erfolg hat voraussehen können (Sprengstoffgesetz vom 9. Juni 1884 5 Abs. 3; vgl. dazu unten im besonderen Teil). 4. Eine wesentliche Erweiterung des Anwendungsgebietes der Todesstrafe hat der E i n t r i t t d e s K r i e g s r e c h t e s zur Folge (oben §. 22 I). In den drei ersten Fällen ist die Todesstrafe ausschliefslich angedroht;3) im vierten Falle dagegen stets wahlweise neben andern Strafen. *) In allen Fällen kann die Todesstrafe v e r s c h ä r f t werden durch Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte (StGB. §. 32). Ausgeschlossen ist die Todesstrafe ') Nur für militärische Verbrechen, welche im F e l d e verübt sind; utid zwar in einzelnen Fällen von Kriegsverrat und Gefährdung der Kriegsmacht, Fahnenflucht, Feigheit, bei einzelnen Subordinationsverbrechen vor dem Feinde, bei Plünderung mit Tötung, Pflichtverletzung auf Posten vor dem Feinde, Bruch des Ehrenwortes durch einen Kriegsgefangenen (Mil.StGB. §§. 68, 60, 63, 71, 72, 73, 84, 96, 97, 107, 108, 133, 141,159). Vgl. H e c k er 48. *) Anders in Schweden und Frankreich (hier wegen der Möglichkeit, mildernde Umstände anzunehmen). Gegen die absolute Androhung de lege ferenda K r ä w e l GS X X X V I I I 177 (Z V I I 727). *) Das scheint mir unzweifelhaft, soweit das Friedensrecht neben lebenslänglichem Zuchthaus, an dessen Stelle die Todesstrafe tritt, noch andre Strafen androht. Ebenso J o h n H H III 58, O 21. Es mufs dasselbe aber auch für StGB. §. 87 Satz 2 und §. 90, wo lebenslängliches Zuchthaus angedroht ist, angenommen werden, da beide Paragraphen mildernde Umstände zulassen. Ebenso H I I 763, O 21.
§. 62.
1. Die Todesstrafe.
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bei Versuch, Beihilfe und bei jugendlichem Alter des Thäters (unten §. 75). III. V o l l z u g der T o d e s s t r a f e . Die Todesstrafe ist nach RStGB. §. 13 durch E n t h a u p t e n , nach §. 14Mil.-StGB. „durch E r s c h i e f s e n zu vollstrecken, wenn sie wegen eines militärischen Verbrechens, im Felde auch dann, wenn sie wegen eines nicht militärischen Verbrechens erkannt worden ist." 5 ) Im übrigen ist die Vollstreckung der Todesstrafe landesrechtlich geordnet. 0 ) Nach dem Reichsgesetz, betr. die Rechtsverhältnisse in den deutschen Schutzgebieten §. 3 Ziff. 8, kann hier durch Kaiserl. Verordnung eine andre, eine Schärfung nicht enthaltende Art der Todesstrafe eingeführt werden.') Einzelne hierher gehörende Bestimmungen hat die StrafprozefoordnuDg gebracht. So ist nach StPO. §. 485 die Vollstreckung der Todesstrafe erst zulässig, wenn der Träger des Begnadigungsrechtes erklärt hat, von demselben keinen Gebrauch machen zu wollen. Geisteskrankheit oder Schwangerschaft hemmen die Vollstreckung. Ferner ist durch die StPO. (§. 486) die seit den vierziger J a h r e n in den meisten deutschen Staaten (in Preufsen 1861) eingeführte sogenannte I n t r a m u r a n h i n r i c h t u n g ' ) (Vollstreckung in einem umschlossenen Räume bei beschränkter Öffentlichkeit) Beichsrecht geworden. Die Fassung ist allerdings nicht ganz klar: B e n n e c k e Z V I I 728. I m F r i e d e n ist die Todesstrafe für m i l i t ä r i s c h e Verbrechen ausgeschlossen. iBt wegen eines g e m e i n e n Deliktes im Frieden auf Todesstrafe erkannt, so erfolgt i n P r e u f s e n nach Mil.StPO. §. 188 Abgabe an das Z i v i l g e r i o h t , welches die Todesstrafe durch Enthauptong vollstreckt. *) In den altpreufsischen Provinzen das Beil; das Fallbeil seit 1818 in der Rheinprovinz, 1841 in Darmstadt, 1862 in Sachsen, 1854 in Bayern, 1856 in Frankfurt, Baden, Weimar, 1867 in Sondershausen, Koburg, 1800 in Hannover. — Österreich-Ungarn, England, Rufsland und die Vereinigten Staaten halten an der Hinrichtung mit dem Strange fest. Spanien hat die Garotte beibehalten, New York vor kurzem die Elektrizität als Tötungsmittel eingeführt. — Der Name Guillotine stammt von dem Lyoner Arzt J . B. Guillotin (welcher nicht, wie oft behauptet, selbst guillotiniert wurde, sondern 1814 eines natürlichen Todes starb; vgl. H e r t z , Voltaire 626 Note 1). Die erste Hinrichtung mittels Guillotine erfolgte 1792. Die Erfindung selbst war längst bekannt. Sie stammt wohl aas Asien (Persien). 1268 wurde sie in Neapel, im 16. Jahrhundert in England und Schottland verwendet. In Österreich wurde 1766 ff. die Einführung nur wegen der Kosten abgelehnt. W a h l b e r g Klein. Sehriften I I 269. M a a f s b u r g Entstehungsgeschichte der Theresiana (1880) 40. ') Vgl. z. B. Vdg. vom 7. Febr. 1890 betr. die Rechtsverhältnisse im Schutzgebiete der Marschallinseln §. 9 (Erschiefsen oder Erhängen). •) Sie ist auch eingeführt in Österreich (seit 1873), Ungarn, Belgien, England (29. Mai 1868), Schweden (10. August 1877), auf Maurice (1880), in Rufsland (1881), in Norwegen (1890); auch in einzelnen Schweizer
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§. 63. 2. Die Freiheitsstrafe. Ihre Geschichte.
§. 63.
2. Die Freiheitsstrafe.
Ihre Geschichte.
Litter&tnr. Vor allem: Handbuch des Gefängniswesens herausgegeben durch Holtzendorff und v. Jagemann 2 Bde. 1888 (Z I X 617) und K r o h n e Lehrbuch der Gefängniskunde 1889. — Dazu A s c h r o t t Z V I I I 1. v. K o b l i n s k i Z IX 783. H. S e u f f e r t in WV I 481. — D a l c k e und G e n z m e r Handbuch der Strafvollstreckung u. Gefängnis•erwaltung in Preufsen 2. Aufl. 1889 (Z IX 719). W u l f f Die Gefängnisse der Justizverwaltung in Preufsen 1890. H e n l e Das Gefängniswesen in Bayern 1887 (Z VIII 430). — Wichtig die Verhandlungen der internationalen Gefängniskongresse zu London 1872, Stockholm 1878, Rom 1885, Petersburg 1890. — Blätter für Gefängniskunde, seit 1864 von E k e r t herausgegeben. I. Die Freiheitsstrafe gehört als eigentlich peinliche Strafe der Neuzeit an. Noch der peinlichen Ger.Ordnung Karls V. ist sie in dieser Bedeutung fremd, wenn auch die Spinn- und Raspelhäuser, die unmittelbaren Nachfolger des mittelalterlichen „Thurms", als Aufbewahrungsort für säumige Schuldner und Übertreter polizeilicher Anordnungen dienten und daneben öffentliche Arbeit vielfach schon im 15. Jahrhundert (Z X 18) als Strafmittel verwertet wurde. Die seit dem Ende des 16. und dem Anfange des 17. Jahrhunderts allmählich auftauchenden Zuchthäuser (in Amsterdam 1595 und 1596. Lübeck und Bremen 1613. Hamburg 1622 usw.), für Landstreicher und Arbeitsscheue, für Bettler und liederliche Dirnen, für störriges Gesinde und ungeratene Kinder bestimmt, haben zunächst die Eigenart der Zwangserziehungsanstalten. Aber schon im Laufe des 17. Jahrhunderts beginnt man, ihnen auch verurteilte Verbrecher zuzuweisen und sie damit ihrer ursprünglichen Bestimmung zu entfremden. Im 18. Jahrhundert beherbergen die Zuchthäuser, in unzureichenden Räumen, ohne genügende Aufsicht und entsprechende Beschäftigung, die verschiedensten Menschenklassen nebeneinander. Erst allmählich begann man in der Gemeinschaft der Häftlinge den Krebsschaden des bisherigen Strafvollzuges und damit zugleich den Weg zur Beseitigung der gröbsten Mifsstände zu erkennen. II. Als erster Vorläufer der heutigen Strafanstalten können das 1677 zu Florenz eröffnete Zellengefängnis von F r a n c i sowie das von C l e m e n s X I . zu Rom 1704 erbaute Besserungshaus für böse Buben betrachtet werden; gemeinsame Arbeit unter Schweiggebot bei Tage, Einzelhaft bei Nacht wurden hier zum erstenmal in erfolgreicher Weise angewendet. Kantonen (Luzern, Zug), in Japan (1882). Über Dänemark vgl. Z V I 267, über Frankreich Z VI 735, über Finnland HG I 344. — Die nichtöffentliche Hinrichtung wird gegen Ausgang des 18. Jahrhunderts auch in Deutschland vielfach besprochen; so von v. H i p p e l 1797, einem Ungenannten 1798 ( B ö h m e r Handb. der Litt. N. 84). Den Ausgangspunkt Bildet die wachsende Abneigung gegen öffentlichen Strafvollzug überhaupt. Vgl. R u s h (Pennsylvanien) Enquiry into the effects of public pumshments upon criminals and upon society 1787. Und dazu P ü t t m a n n » Sendschreiben an Rush 1792.
§. 63. 2. Die Freiheitsstrafe. Ihre Geschichte.
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Nach denselben Grundsätzen war auch das Zuchthaus zu K a s s e l (1780) eingerichtet. Aber die Herrschaft der Freiheitsstrafe und des eigentlichen Gefängniswesens beginnt doch erst mit dem, infolge Kaiserl. Anordnung vom 17. Januar 1772 begonnenen, 1775 eröffneten Zuchthause zu G e n t , welches, nach den Plänen des Vicomte V i l l a i n XIV. unter M a r i a T h e r e s i a erbaut, wie jenes Böse-Buben-Haus tagsüber die Sträflinge zu gemeinsamer Arbeit vereinigte, des Nachts sie in Einzelzellen voneinander getrennt hielt. Ungefähr gleichzeitig (1773) begann J o h n H o w a r d (geb. 1726) seine Untersuchungen Uber den Zustand der englischen und festländischen Gefängnisse. 1777 erschien sein „state of prisons in England and Wales" und weitere Veröffentlichungen über die mit unermüdlichem, opferfreudigem Eifer fortgesetzten Reisen folgten, bis Howard als Opfer de« selbstgewählten Lebensberufes 1790 zu Cherson^in Rufsland starb. Rasch hatte die Bewegung in England, unterstützt durch die seit 1776 eingetretene Stockung in der überseeischen Verschickung der Verbrecher, festen Fufs gefafst; doch fehlte es an klaren Gedanken sowie an der bereiten Mitwirkung der Grafschaften, und das im Jahre 1816 erbaute riesige Besserungshaus zu M i l l b a n k erwies sich als ein kostspieliger, aber gänzlich verunglückter Versuch. III. Inzwischen war, insbesondre unter dem Einflüsse B. F r a n k l i n a (f 1790) die Bewegung nach Nordamerika verpflanzt worden; gehörte doch die Verschickung der englischen Verbrecher mit unter die sohon 1775 betonten Beschwerdepunkte. Die am 7. Februar 1776 begründete, durch den Krieg gesprengte, aber 1787 abermals zusammentretende Philadelphische GefängnisgesellBchaft setzte neben der Beschränkung der Todesstrafe die Einführung einer Tag und Nacht währenden vollständigen Einzelhaft (most rigid and unremitted solitude mit wenigstens thatsächlichem Ausschlufs der Arbeit) in dem 1790 in der Wallnufsstrafse eingerichteten Gefängnisse durch. Die Ergebnisse dieses von echt Quäkerschem Geiste erfüllten Systems waren möglichst ungünstig. Z u A u b n r n im Staate New-York ersetzte man daher 1823 das solitary-system durch dag silent-system: Trennung bei Nacht und gemeinsame Tagesarbeit, bei welcher der entsittlichende Verkehr der Sträflinge untereinander durch das mit gröfster Strenge (Peitsche) aufrechterhaltene Schweiggebot verhindert werden sollte. Dagegen siegte im Staate P e n n s y l v a n i e n nach hartem Kampfe im Jahre 1829 die Einzelhaft; sie wurde, aber mit Arbeitszwang, in dem berühmten, von Reisenden aller Länder besuchten und gepriesenen Eastern Penitentiary auf Cherry Hill in Philadelphia mit strengster Folgerichtigkeit durchgeführt. IV. Während in den Vereinigten Staaten der mit gröfster Heftigkeit weiter geführte Kampf der beiden Systeme mit einer völligen Niederlage der Einzelhaft endete, begann diese ihren SiegeBzug durch Europa. 1840 wurde der Grund zu dem englischen Mustergefängnisse in Penton-
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§. 63.
2. Die Freiheitsstrafe.
I h r e Geschichte.
ville bei London gelegt, welches 1842 eröffnet, das solitary-system der Amerikaner zum separate-system milderte. Aber, abweichend von dem pennsylvanischen Muster, bildete die Einzelhaft in England nur ein Glied in dem durchaus f o r t s c h r e i t e n d ( „ p r o g r e s s i v 1 ' ) angelegten Strafvollzug. Nach achtzebnmonatlicher, der Prüfung, nicht der Besserung dienender (später wesentlich verkürzter) Anhaltung in Einzelhaft wurden die Sträflinge nach den australischen Kolonieen verbracht und hier, j e nach ihrer F ü h r u n g in Pentonville, verschiedenen Strafklassen zugeteilt. Auf dem Festland übersah man diesen Zusammenhang. Man vermeinte dem englischen Beispiele zu folgen, indem man Vollzug der Freiheitsstrafe in Einzelhaft ohne jede Einschränkung verlangte. B r u c h s a l und M o a b i t , jenes 1848, dieses 1849 eröffnet, waren die ersten deutschen Anstalten nach dem Muster von Pentonville. Trotz der ziemlich allgemeinen Ernüchterung, welche in den fünfziger Jahren der ersten Begeisterung folgte, wetteiferten bald die verschiedenen Staaten in der Erbauung von Zellengefängnissen mit Mittelbau und Zellenflügeln, mit Vorschlägen (stalls) in Kirche und Schule, mit Einzel-Spazierhöfchen und Masken, sowie in der gesetzlichen Regelung der Einzelhaft. Allen voran hatte B e l g i e n die vollständige Umgestaltung seiner Gefängnisse nach dem Systeme der Einzelhaft in Angriff genommen und folgerichtig weiter geführt. Dagegen beschränkten sich die sämtlichen übrigen Staaten darauf, die Einzelhaft einerseits bei kurzzeitigen, anderseits als Anfangsstufe bei langwierigen Freiheitsstrafen zur Anwendung zu bringen. V. Die allmähliche Beseitigung der englischen Deportation nach Australien (1862, 1857, 1867) und ihre Ersetzung durch die Strafknechtschaft (penal servitude) führte in England zu einer immer entschiedeneren Anwendung des f o r t s c h r e i t e n d e n (progressiven) S y s t e m s bei Vollstreckung der langdauernden Freiheitsstrafe. Auf dem Gedanken a l l m ä h l i c h e r Wiederherstellung des sittlichen Gleichgewichts im Sträflinge, allmählicher Wiedereinführung desselben in die bürgerliche Gesellschaft aufgebaut, besteht das englische System im wesentlichen aus folgenden, von dem Verurteilten zu durchlaufenden Stufen: 1. Btrenge neunmonatliche Einzelhaft; 2. gemeinsame Arbeit in vier fortschreitenden Abteilungen (Markensystem); 3. bedingte Entlassung mit der Möglichkeit des Widerrufes (ticket of leave). Mit unwesentlichen Abweichungen wurde dieses System auch in Irland eingeführt. Zu den Abweichungen gehörte insbesondere die Einfügung einer Vorstufe vor der bedingten E n t lassung: Aufenthalt in einer Zwischenanstalt (intermediate prison), in welcher dem Sträfling freierer Verkehr mit der Aufsenwelt gestattet war. Aus dieser Abweichung (eingeführt durch Walter Crofton 1864 bis 1864) nahmen Mittermaier, v. Holtzendorff und andere den Anlafs, von einem besondern „irischen System" (ein in Grofsbritannien selbst ganz unbekannter Ausdruck) zu sprechen und dasselbe zur Nachahmung warm zu empfehlen (1859). J a man gebrauchte wohl auch (und gebraucht
§. 63. 9. Die Freiheitsstrafe.
Ihre Geschichte.
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noch heute) die Ausdrücke „irisches System" und „Progressivsystem" als völlig gleichbedeutend, obwohl der Grundgedanke stufenweiser Zurückführung zur Freiheit, losgelöst von den zum guten Teil örtlich bedingten und nur örtlich berechtigten Einzelheiten der Durchführung (also Markensystem einerseits, und die Zwischenanstalten anderseits), schon im vorigen Jahrhundert von W a g n i t z , später von T e i l k ä m p f und andern vertreten und in mehreren S c h w e i z e r Anstalten (so insbesondere in Genf), sowie auch in England längst verwirklicht worden war. Selbst die „Ubergangsstation" war bereits wiederholt schon früher in Deutschland erörtert und 1851 in Dreibergen in Mecklenburg eingeführt worden. Vgl. HG I 117 (Wahlberg), 177 (v. Liszt). Am engsten schlössen sich an das irische Vorbild U n g a r n (Leopoldstadt a. d. Waag 1869), K r o a t i e n (Lepoglava 1877) und B o s n i e n (Zenica 1887, Z IX 327). Dagegen fand die bedingte Entlassung des englischen Rechts, deren Wurzeln bis nach den Kolonieen in Australien zurückreichen, bald zahlreiche Freunde auf dem Kontinent. Sie wurde (von dem mifsglückten Versuche zu Vechta in Oldenburg 1860 abgesehen) in Sachsen 1862, später in Ungarn, Kroatien, Holland, Italien, Portugal, Rufsland, Serbien, in einzelnen Kantonen der Schweiz (Zürich, Tessin, Zug, Schwyz, Solothurn), teilweise in den Vereinigten Staaten, ja selbst in Japan (1882) eingeführt; zuletzt folgten auch Frankreich (1886) und Belgien (1888) dem allgemeinen Beispiele. VI. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe ist nur zum kleinsten Teile durch die bisherige Reichsgesetzgebung geordnet, zum weitaus gröfsten Teile der landesrechtlichen Bestimmung überlassen. Auf dem zweifellos bedeutsamsten Gebiete der Strafrechtspflege entbehrt mithin das deutsche Reich zur Zeit noch der Rechtseinheit, und in den Einzelstaaten, voran in dem gröfBten derselben, findet sich eine bunte Musterkarte der widersprechendsten Systeme. Das Bedürfnis nach reichsrechtlicher Regelung hatte in der Begründung zum Entwürfe des norddeutschen StGB. Ausdruck gefunden; wiederholte Beschlüsse des Reichstages aus den Jahren 1870, 1875 und 1876 sprachen sich im gleichen Sinne aus, und auch der Verein deutscher Strafanstaltsbeamten betonte im Jahre 1874 auf seiner Versammlung zu Berlin die Notwendigkeit, der landesrechtlichen Zerfahrenheit des Strafvollzuges ein Ende zu machen. Aber alle diese Wünsche harren noch der Erfüllung. Der Entwurf eines Reichsgesetzes betr. die Vollstreckung der Freiheitsstrafen, welcher 1879 dem Bundesrate überreicht wurde, gelangte nicht zur Vorlage an den Reichstag. Nur über die Zulässigkeit der Einzelhaft, die bedingte Entlassung sowie die Strafanstalten für jugendliche Verbrecher sind im RStGB. Bestimmungen getroffen.
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§• 64-
§. 64.
Die Freiheitsstrafen der Reichsgesetzgebung.
Die Freiheitsstrafen der Reichsgesetzgebung.
I. Die Reichsgesetzgebung hat v i e r verschiedene Freiheitsstrafen für nötig erachtet. Diese sind: 1. Z u c h t h a u s , als schwere entehrende Strafe mit Arbeitszwang ; 2. G e f ä n g n i s , als mittelschwere, an sich nicht entehrende Strafe mit Arbeitszwang; 3. H a f t , als leichte, nicht entehrende Strafe, regelmäfsig ohne Arbeitszwang; 4. F e s t u n g s h a f t , als schwere nicht entehrende Strafe ohne Arbeitszwang (die „detention" der Franzosen, „Einschliesfung im preufsischen StGB., vielfach auch „Staatsgefangnis" genannt). J ) Infolge der Mangelhaftigkeit der reichsrechtlichen Bestimmungen über den Vollzug der Freiheitsstrafen ist jedoch der Unterschied zwischen Zuchthaus und Gefängnis, sowie zwischen Gefängnis und Haft thatsächlich so gut wie ganz verwischt. I I . Nach den Bestimmungen des R S t G B . unterscheiden sich die Freiheitsstrafen in folgenden Punkten: 1. A r t der V e r w e n d u n g . Z u c h t h a u s ist die Verbrechensstrafe; G e f ä n g n i s die Vergehens-, H a f t die Ubertretungsstrafe. Doch findet sich Haft ausnahmsweise (StGB. §§. 140*, 185, 186 sowie in §. 147 der Gewerbeordnung und in Art. I I und I I I des Gesetzes vom 5. April 1888 betr. die nicht-öffentlichen Gerichtsverhandlungen) auch bei Vergehen. Die F e s t u n g s h a f t soll sowohl Zuchthaus als auch Gefängnis ersetzen und wird wahlweise mit diesen beiden Strafen bei einer Reihe politischer Delikte, ausschliefslich bei Zweikampf, (daneben auch in S t G B . §§. 130a und 345) angedroht. 2. D a u e r . Z u c h t h a u s und F e s t u n g s h a f t sind lebenslange oder zeitige, G e f ä n g n i s und H a f t immer zeitige Freiheitsstrafen. Das Höchstmafs beträgt bei den b e i d e n e r s t e n fünfzehn Jahre, bei G e f ä n g n i s fünf Jahre, bei H a f t sechs "Wochen. Der Mindestbetrag ist bei Z u c h t h a u s ein ') Sie fehlt im holländischen StGB, sowie im norwegischen Entwurf.
§. 64. Die Freiheitsstrafen der Reichsgesetzgebung.
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J a h r , so dafs Bruchteile eines Jahres in Gefängnis umgewandelt werden müssen; bei den ü b r i g e n Freiheitsstrafen ein Tag (StGB. §§. 14—18).») 3. Die B e m e s s u n g der Z u c h t h a u s s t r a f e erfolgt nach vollen Monaten, die der ü b r i g e n Freiheitsstrafen nach vollen Tagen (StGB. §. 19). Dabei wird der Tag zu vierundzwanzig Stunden, die Woche zu sieben Tagen, der Monat und das J a h r nach der Kalenderzeit berechnet. 4. A r b e i t s z w a n g ist mit Z u c h t h a u s notwendig verbunden (StGB. §. 15); Aufsenarbeit bei Trennung von freien Arbeitern gestattet. Die zu G e f ä n g n i s Verurteilten (StGB. §. 16) k ö n n e n auf eine ihren Fähigkeiten und Verhältnissen angemessene Weise beschäftigt werden; auf ihr Verlangen s i n d sie in dieser Weise zu beschäftigen; Aufsenarbeit ist nur mit ihrer Zustimmung zulässig. Bei F e s t u n g s h a f t (StGB. §. 17) ist Arbeitszwang ausnahmslos ausgeschlossen; bei H a f t findet er nur ganz ausnahmsweise (StGB. §§. 362, 361 Z. 3—8 gegen Landstreicher, Bettler, Müfsiggänger, Arbeitsscheue, Prostituierte, Erwerbslose) statt. 5. Neben Z u c h t h a u s tritt der Verlust gewisser E h r e n r e c h t e von Rechts wegen ein (StGB. §. 31); neben Z u c h t h a u s und (unter gewissen Voraussetzungen) neben G e f ä n g n i s kann vollständige, neben l e t z t e r m und (in gewissen Fällen) neben der F e s t u n g s h a f t teilweise Aberkennung der Ehrenrechte stattfinden (StGB. §§. 32 ff.); neben H a f t ist die Aberkennung ausgeschlossen. 6. E i n z e l h a f t u n d b e d i n g t e E n t l a s s u n g (StGB. §§. 22 ff.) finden bei Zuchthaus und Gefängnis, nicht aber bei Festungshaft und Haft Anwendung. s ; *) Über die Frage, wie hoch das Höchstmafs der schwersten zeitigen Freiheitsstrafe zu bestimmen sei, vgl. die Anlage der Begründung zum RStGB. Vielfach wird Herabsetzung auf 10, selbst auf 6 Jahre verlangt. Wichtiger wäre es, das Mindestmafs der Zuchthausstrafe zu erhöhen. — Ausnahmsweise können die Höchstmafse des RStGB. überschritten werden bei wirklichem Zusammentreffen mehrerer Verbrechen (darüber unten §• 78). .. •) Uber den Vollzug militärisch erkannter Strafen vgl. v. J a g e mann HG I 157. — Im übrigen vgl. StPO. §. 488, GVG. §§. 163 und 164. — Der Vollzug der vom Reichsgericht erkannten Strafen ruht auf vertragsmäßiger Vereinbarung zwischen Preufsen und dem Reich.
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§. 64. Die Freiheitsstrafen der Reichsgesetzgebung.
I I I . D i e E i n z e l h a f t (StGB. §. 22). Zuchthausstrafe und Gefängnisstrafe können sowohl für die ganze Dauer, wie für einen Teil der erkannten Strafzeit in der Weise in Einzelhaft vollzogen werden, dafs der Gefangene unausgesetzt von andern Gefangenen gesondert gehalten wird. Die Einzelhaft darf ohne Zustimmung des Gefangenen die Dauer von drei Jahren nicht übersteigen. 4 ) IV. D i e b e d i n g t e E n t l a s s u n g . Nach §§. 23—26 RStGB. können die zu einer l ä n g e r n (zeitigen) Z u c h t h a u s oder G e f ä n g n i s s t r a f e Verurteilten, wenn sie d r e i V i e r t e i l e , mindestens aber ein J a h r der ihnen auferlegten ( d . h . erkannten) Strafe verbüfst, sich auch während dieser Zeit g u t g e f ü h r t haben, m i t i h r er Z u s t i m m u ng vorläufig entlassen werden. Ist die festgesetzte Strafzeit abgelaufen, ohne dafs ein Widerruf der vorläufigen Entlassung erfolgt ist, so gilt die Freiheitsstrafe als verbüfst. Dagegen hat der Widerruf — zulässig bei schlechter Führung des Entlassenen, sowie wenn derselbe den ihm auferlegten Verpflichtungen zuwiderhandelt — die Wirkung, dafs die seit der vorläufigen Entlassung bis zur Wiedereinlieferung verflossene Zeit auf die festgesetzte Strafdauer nicht angerechnet wird. Entlassung und Widerruf liegen in der Hand der obersten Justizaufsichtsbehörde: die vorläufige Festnahme Entlassener kann aus dringenden Gründen des öffentlichen Wohls auch von der Ortspolizeibehörde verfügt werden. V. Die gegen j u g e n d l i c h e P e r s o n e n erkannten Freiheitsstrafen sind in b e s o n d e r n , nur für diesen Zweck be') Aus dem klaren Wortlaute dieser Bestimmung folgt, dafs sie bei Festungshaft und Haft ausgeschlossen ist. Die erstere, welche l e d i g l i c h in Freiheitsbeschränkung besteht, gestattet grundsätzlich keine Besserangsversuche ; bei der letzteren sind diese zwar wegen der kurzen Dauer der Anhaltung unmöglich, doch würde Einzelhaft der gegenseitigen Verschlechterung der Gefangenen entgegenwirken. Ebenso Bg I 297, M 418, O 107, v. H o l t z e n d o r f f HG 1 422; Dagegen B 201, G I 162. Der Begriff der Einzelhaft wird aber nicht dadurch ausgeschlossen, dafs die Sträflinge in Kirche und Schule nicht in hölzernen Verschlagen sitzen und im Freien sich nicht in gemauerten Einzelhöfen bewegen. Daher iat das preufs. Rglmt. vom 16. März 1881 im Widerspruch mit dem Reichsrecht. Abweichend O 107.
§. 66.
3. Die Geldstrafe.
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stimmten Anstalten oder Räumen zu vollziehen (StGB. §. 57 letzter Absatz). "VI. Nach einem preufsischen Gesetz vom 29. Mai 1879 können die gegen Studierende auf den preufsischen Landesuniversitäten und gewissen Akademieen erkannten Freiheitsstrafen bis zu zwei Wochen auf Antrag der gerichtlichen Behörden in den akademischen Karzern verbüfst werden.5)
§. 65.
3. Die Geldstrafe.
L i t t e r a t n r . S t o o f s Zur Natur der Vermögensstrafe 1878. v. B u r i GS X X X . K r o n e c k e r GA X X V I I 81 und X X V I I I 9 (Z I 168). W a h l b e r g Klein. Schriften I I 231. D o c h o w H R „Geldstrafe."
I. Die Geldstrafe ist die einzige Vermögens-Hauptstrafe im Strafensystem der Reichsgesetzgebung. Sie hat hier reichliche und reichartige Verwendung gefunden. Sie wird bald a u s s c h l i e f s l i c h , bald neben der Freiheitsstrafe v e r b i n d u n g s w e i s e als zweite Hauptstrafe, bald mit der Freistrafe w a h l w e i s e 1 ) und zwar bald an erster bald an zweiter Stelle angedroht. I I . Der M i n d e s t b e t r a g der Geldstrafe ist bei Verbrechen und Vergehen drei Mark, bei Übertretungen eine Mark (StGB. §. 27). Der H ö c h s t b e t r a g der Geldstrafe ist im allgemeinen Teile des S t G B , nicht angegeben; im besondern Teile übersteigt er sechstausend Mark nicht, nur nach dem durch das "Wuchergesetz vom 24. Mai 1880 eingefugten §. 302 d kann bis auf fünfzehn tausend Mark erkannt werden. Die Geldstrafe wird vom S t a a t e eingezogen und für öffentliche Zwecke verwendet. Die V o l l s t r e c k u n g erfolgt nach den Vorschriften über die Vollstreckung der zivilgerichtlichen Urteile (StPO. §. 495). ') Bei Gefängnisstrafe nicht anwendbar, denn diese mufs nach §. 16 StGB, „in einer Gefangenanstalt" verbüfst werden; als eine Bolche ist aber der akadem. Karzer nicht zu betrachten. Ebenso O r t l o f f GS X X X I I I 216, Zimmermann GS X X X I V 391. Dagegen M 414, 0 99. Nach Mil.StGB. §. 29 darf in diesem Falle, wenn durch die strafbare Handlung zugleich eine militärische Dienstpflicht verletzt worden ist, auf Geldstrafe nicht erkannt werden.
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§. 66.
4. D e r Verweis.
I I I . W e i t höher reicht die Geldstrafe in den Nebengesetzen, wo sie in zahlreichen Fällen als Vielfaches oder Teil der hinterzogenen A b gaben oder G e b ü h r e n auftritt. A u f s e r zahlreichen Zoll- und Steuergesetzen seien als Beispiele e r w ä h n t : Gesetz betr. die I n h a b e r p a p i e r e mit P r ä m i e n vom 8. J u n i 1871 §. 6: Geldstrafe, welche dem f ü n f t e n Teile des Nennwertes d e r den Gegenstand der Z u w i d e r h a n d l u n g bildenden P a p i e r e gleichkommt, mindestens aber 100 T h a l e r betragen soll; Bankgesetz vom 14. März 1875 §. 55: Geldstrafe, welche dem Zehnfachen des Betrages der u n b e f u g t ausgegebenen Wertzeichen gleichkommt, mindestens aber fünftausend Mark beträgt ; Gesetz betr. Ausgabe von Banknoten vom 21. Dezember 1874 Art. I I §. 2 : vierfacher B e t r a g der gesetzwidrig ausgegebenen Banknoten, mindestens aber tausend Mark. Das Handelsgesetzbuch in d e r Fassung des Gesetzes vom 18. J u l i 1884 d r o h t in den A r t . 249ff. wiederholt Geldstrafe bis zu 20000 Mark an. — Die Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 rechnet in den §§. 83 u n d 84 nach dem Betrage der Monatsheuer. Über die V e r w e n d u n g der Geldstrafen vgl. z. B. Personenstandsgesetz vom 6. Februar 1875 §. 70, Dach welchem die hier angedrohten Geldstrafen jenen Gemeinden zufliefBen, welche die sachlichen Kosten der Standesämter zu tragen h a b e n ; Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 §. 17, nach welchem jene Kassen bezugsberechtigt sind, welchen die U n t e r h a l t u n g der zur technischen Untersuchung von Nahrungs- und Genufsmitteln bestimmten Anstalten obliegt; G e w e r b e - O r d n u n g ¡5. 146 (Hilfskasse, andre zum Besten der Arbeiter bestehende Kassen, eventuell Ortsarmenkasse: G e w e r b e - O r d n u n g §. 116); Postgesetz vom 28. Oktober 1871 §. 33 (Postarmen- oder Unterstützungskasse); Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 §. 107 (Seemannskasse bez. Ortsarmenkasse des Geimatshafens des Schiffes); nach den Zoll- und Steuergesetzen fällt sie zumeist an den FiBkus desjenigen Staates, von dessen Behörden die Strafentscheidung erlassen ist. — Die nach §. 7 des preufs. Ges. vom 23. April 1883, betr. den Erlafs polizeilicher S t r a f v e r f ü g u n g e n wegen Ü b e r t r e t u n g e n , erkannten Geldstrafen fallen demjenigen zu, welcher die sachlichen Kosten der Polizeiverwaltung zu t r a g e n hat. Nach §. 34 des preufsischen Forstdiebstahlgesetzes von 1878 Riefst die Geldstrafe sogar unter gewissen Voraussetzungen zur Kasse des Beschädigten.
§. 66.
4. Der Verweis.
L i t t e r a t u r . Dochow G S X X I I I und H R „Verweis". Die D a r stellungen des Strafprozefsrechts bei der L e h r e von der Strafvollstreckung.
I. Der Verweis, schon im gemeinen Recht und in mehreren deutschen Landesstrafgesetzbüchern als Strafmittel anerkannt, findet, sich in der Reichsgesetzgebung in einem einzigen Falle
§. 67.
5. Nebenstrafen an der Freiheit.
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(StGB. §. 57 Ziff. 4): hat ein jugendlicher Thäter ein Vergehen oder eine Übertretung begangen, so kann in besonders leichten Fällen auf Verweis erkannt werden. I I . Da der Verweis Strafe ist, kann er erst erteilt werden, wenn das auf ihn erkennende Urteil rechtskräftig geworden ist. Uber den Vollzug dieser Strafart fehlt es — auch in der StPO. — an ausdrücklichen Anordnungen; es sind daher die übrigen Bestimmungen der StPO. zur entsprechenden Anwendung zu bringen. 1 ) So hat z. B . die Erteilung des Verweises gemäfs §. 483 StPO. durch den Amtsrichter, bez. durch die Staatsanwaltschaft auf Grund einer von dem Gerichtsschreiber zu erteilenden, mit der Bescheinigung der Vollstreckbarkeit versehenen, beglaubigten Abschrift der Urteilsformel zu geschehen. Wo die Bestimmungen der StPO. nicht ausreichen. ist l a n d e s g e s e t z l i c h e Regelung notwendig und mafsgebend.2)
§. 67.
5. Nebenstrafen an der Freiheit.
Litteratur. Zu I : Anlage I I I der Motive. B e r n e r GS X X X I I I 331 (Z I I 166). v. H o l t z e n d o r f f HG I 424, v. J a g e m a n o HG I I 132, v. L i s z t HG I 256 (Österreich). F u h r Die Polizeiaufsicht nach dem RStGB. 1888 (Z V I I I 652). B r a u n e Z I X 807. H. S e u f f e r t W V I I 249. G n e i s t W V I 450. K r o h n e 237. Die Motive tum russischen StGEntwurf. — Zu I I : W i n t z i n g e r o d a - K n o r r Die deutschen Arbeitshäuser, ein Beitrag zur Lösung der Vagabundenfrage 1886 (Z V 720). S i c h a r d HG I I 265; ferner HG I 286 (Niederlande), 314 (Dänemark), 320, 326 (Schweden), v. H i p p e l Die korrektionelle Nachhaft 1889 (Z I X 614). B e n n e c k e Z X 321. M ü n s t e r b e r g W V I 842. — Zu I I I : v. O r e l l i I X 688. v. M a r t i t z Internationale Rechtshilfe 7. S t o r k H V I I 644. v. B a r Internat. Privatrecht I 100. — Zu I V : L e u t h o l d H R „Aufenthaltsbeschränkung".
I. D a s g e r i c h t l i c h e E r k e n n t n i s a u f Z u l ä s s i g k e i t von P o l i z e i a u f s i c h t , das neben der Freiheitsstrafe, und zwar regelmäfsig neben Zuchthaus, ausnahmsweise (StGB. §§. 49 a. 180. 262, 294) auch neben Gefängnis, aber nur in ') Ebenso K 14. Oktober 86 X I V 421, H I 605, M 431; dagegen O 285. *) §. 67 Ziff. 4 StGB, gilt in einzelnen Landes-Strafgesetzen überhaupt nicht. Man vgl. Preufs. Forstdiebst.Ges. vom 15. April 1878 §. 10. — Auch die Verurteilung zu Verweis begründet die Rückfallsschärfung; vgl. unten besondern Teil. — Über die Verjährung des Verweises siehe unten §§. 79, 80. TOD L i s i t , Strafrecht. 4. Aufl.
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§. 67. 6. Nebenatrafen an der Freiheit.
durch das Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Fällen, dem richterlichen Ermessen anheimgegeben ist. ') 1. Die im RStGB. ausdrücklich vorgesehenen Fälle, in welchen auf Zulässigkeit der Polizeiaufsicht erkannt werden kann, sind: StGB. §§. 116, 116 (Aufruhr und Auflauf). 122 (Meuterei von Gefangenen), 125 (Landfriedensbruch), 146, 147 (Münzverbrechen), 180, 181 (Kuppelei), 248 (Diebstahl und Unterschlagung), 266 (Raub und Erpressung), 262 (Hehlerei), 294 (gewerbsmäßige Wilddieberei), 325 (Reihe von gemeingefährlichen Delikten), 49a (Aufforderung und Erbieten zu Verbrechen¡; ferner bei dem Versuch eines mit Tod oder lebenslangem Zuchthaus bedrohten Verbrechens und der Beihilfe®] zu einem solchen (StGB. §§. 44 und 49). Dazu treten von den Nebengesetzen : SeemannBordnung vom 27. Dezember 1872 §§. 91 und 92; Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 §. 13; Sprenget offgesetz vom 9. Juni 1884 §.11. Ist Polizeiaufsicht neben der Strafe des vollendeten Verbrechens oder Vergehens zulässig, so gilt gleiches bei der Versuchsstrafe (StGB. 45); ist sie wegen einer von mehreren zusammentreffenden strafbaren Handlungen zulässig, so kann auf sie auch neben der Gesamtstrafe erkannt werden (StGB. §. 76). Dem jugendlichen Thäter gegenüber darf Zulässigkeit der Polizeiaufsicht nicht ausgesprochen werden (StGB. 57 Ziff. 5).
2. Durch ein solches Erkenntnis erhält die höhere Landespolizeibehörde die Befugnis, nach Anhörung der GefängnisVerwaltung den Verurteilten auf die Zeit von höchstens fünf Jahren unter Polizeiaufsicht zu stellen. — Diese Zeit wird von dem Tage berechnet, an welchem die Freiheitsstrafe verlml'st, verjährt oder erlassen ist (StGB. §. 38). ') Das Josefinische StGB, von 1787 (II 32) ist meines Wissens das erste, welches Polizeiaufsicht (bei Diebstahl) zuläfst. Doch war sie gegen Ausgang des 18. Jahrhunderts in der deutschen Rechtspflege ziemlich allgemein in Gebrauch und findet sich in den meisten LandesStGBücheru dieses Jahrhunderts. Ihre neuere Entwicklung in Preufsen (Gesetz vom 12. Febr. 1850) beruht auf dem code pénal Art. 44 (Senatsbeschlufs vom 28. Floréal des Jahres X I I : renvoi sous la surveillance de la police). In Frankreich wurde sie 1885 (Z VI 709) dem Namen, nicht der Sache nach beseitigt; den Gesetzbüchern für Zürich, Dänemark, Schweden, Ungarn, Holland und Finnland ist sie fremd geblieben. Sie findet sich aber in Italien (trotz der Gegnerschaft vonPessina, Brusa u. a ), Japan, den Entwürfen für Norwegen, Rufsland, Österreich. — Im allgemeinen hat sie wenig genutzt und viel geschadet. Nur in enger Verbindung mit einer geregelten Schutzfürsorge vermag sie eine wolthätige Wirkung zu entfalten. *) Ist neben lebenslangem Zuchthaus noch eine andre Strafe wahlweise angedroht, so ist bei Versuch Polizeiaufsicht zulässig, falls der Richter sich für die Anwendung des schwerern Strafrahmens entscheidet. Vgl. F u h r 14 und die gleichartige Streitfrage oben §. 62 Note 4. ®) Dagegen F u h r 29. Mafsgebend ist jedoch die vom Gesetze gewollte Gleichstellung von Versuch und Beihilfe. Richtig S eu ff er t a. 0 .
§. 67.
6. Nebenstrafen an der Freiheit.
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3. D i e Polizeiaufsicht hat folgende Wirkungen
(StGB.
§• 39): a) dem Verurteilten kann der Aufenthalt an einzelnen bestimmten Orten (Ortschaften oder Räumlichkeiten, wie W i r t schaften, Theater, Bahnhöfe U9W.) von der Landespolizeibehörde untersagt werden; b) die höhere Landespolizeibehörde ist befugt, den Ausländer (auf die Dauer von höchstens fünf Jahren) aus dem Bundesgebiet zu verweisen; c) Haussuchungen unterliegen keiner Beschränkung hinsichtlich der Zeit, zu welcher sie stattfinden dürfen. 4 ) 4. Zuwiderhandlungen gegen die Anordnungen unter a und b fallen unter StGB. §. 361 Ziff. 1. I I . D i e U b e r w e i s u n g an d i e Landespolizeib e h ö r d e . Neben der Verurteilung zur Haft wegen der in §. 361 StGB. Ziff. 3—8 bedrohten Delikte (gegen Landstreicher, Bettler, Mülsiggänger, Dirnen, Arbeitsscheue, Erwerbslose) k a n n zugleich erkannt werden, dafs die verurteilte Person nach verbül'ster Strafe der Landespolizeibehörde zu überweisen sei. Diese erhält dadurch die Befugnis, den Verurteilten entweder bis zu zwei Jahren in ein Arbeitshaus unterzubringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu verwenden. Im Falle des §. 361 Ziff. 4 (Bettel) ist dies jedoch nur dann zulässig, wenn der Verurteilte in den letzten drei Jahren wegen dieser Übertretung mehrmals rechtskräftig verurteilt worden ist, oder wenn derselbe unter Drohungen oder mit Waffen gebettelt hat. Gegen Ausländer kann an Stelle der Unterbringung in ein Arbeitshaus Verweisung aus den» Bundesgebiete eintreten (StGB. 362). Man spricht hier auch wohl von „korrektioneller Nachhaft" oder „Anhang' 1 . 5 ) Weitere Folgen enthält die StPO. in den §§. 103, 104, 106, 113. Sie wurde in Preufsen schon durch Suarez (Stöltzel 245, 301) angeregt, ins A L K . aufgenommen, durch eine Verfügung von 1799 erweitert, geriet aber dann in Vergessenheit. Die neuere Entwicklung ruht auf einem dem code penal nachgebildeten preufs. Gesetze von 1843, umgestaltet 1856. — Ausdehnung auf rückfällige Eigentums-Verbrecher ist vielfach vorgeschlagen worden und würde sich gewifs empfehlen; vgl. K r o h n e Z I 81. S o n t a g Z I I I 505. v. i . i s z t . Z I I I 39, M 4 3 3 Note 5 ; v. J a g e m a n n H Ö H 128. S i c h a r t H G I I 519 und die an diesen Orten angegebene weitere Litteratur. — Die österr. Gesetze vom 24. Mai 1885 b)
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§. 68.
6. Nebenstrafen an der Ehre.
I I I . D i e A u s w e i s u n g a u s d e m R e i c h s g e b i e t e ist als Neben s t r a f e nur gegen Ausländer zulässig, und zwar in folgenden Fällen: 1. Bei gewerbsmäfsigem Betriebe des Glücksspiels StGB. 284. 2. An Stelle der Polizeiaufsicht oder der Unterbringung in ein Arbeitshaus StGB. §§. 39 Ziff. 2 und 362 Abs. 2. 3. Gegen Personen, welche sich die Agitation für sozialdemokratische Bestrebungen zum Geschäfte machen, hier an Stelle der Versagung des Aufenthaltes. Sozialisten-Gesetz vom 21. Oktober 1878 22. Zuwiderhandlungen fallen unter 361 Ziff. 2 StGB., bez. unter 22 des Sozialisten-Gesetzes. IV. A u f e n t h a l t s b e s c h r ä n k u n g , als Verwaltungsmalsregel häufig, ist als N e b e n s t r a f e nur im Sozialisten-Gesetz (£. 22) angedroht. Bei geschäftsmäfsiger Agitation für sozialdemokratische Bestrebungen kann neben der Freiheitsstrafe wegen gewisser Übertretungen des Sozialisten-Gesetzes auf die Z u l ä s s i g k e i t der Einschränkung des Aufenthaltes e r k a n n t werden. Die Landespolizeibehörde erhält dadurch das Recht, dem ATerurteilten den Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Ortschaften zu v e r s a g e n : in seinem AVohnsitze jedoch nur dann, wenn er denselben nicht bereits seit sechs Monaten inne hat. Die Aufenthaltsbeschränkung darf nie in E i n s c h r ä n k u n g (Konfinierung), d. h. in A n w e i s u n g eines bestimmten Aufenthaltsortes. durch Versagung des Aufenthaltes in allen übrigen, übergehen. Ausländer können ausgewiesen werden.
§. 68.
6. Nebenstrafen an der Ehre.
Litteratur. W i e c k Ehrenstrafen und Ehrenfolgen 2. Aufl. 1853. W a h 1 b e r g Ehrenfolgen der strafgerichtlichen Verurteilung 1864. Z u g s c h w e r d t Schärfungen der Freiheitsstrafe 1865. G l a s e r Studien zum össterr. Entw. 1870. ö r o f s Ehrenfolgen 1874. M a n d r y 77. T e i c h m a n n HR „Ehrenstrafen". K ö h n e Z VIII 439. L a s e r r e De la réhabilitation des condamnés 1889. siehe Z VI 280. — Die „ Nachhaft" hat sich unmittelbar an die Hauptstrafe anzuschlief9en. Ebenso v. H i p p e l 113. B e n n e c k e 20. Dagegen S e u f f e r t 258 mit der Übung in Preufsen und Baden.
§. 66. 6. Nebenlinien an der Ehre.
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I . Die Nebenstrafen an der Ehre bestehen nach der Reichsgesetzgebung nicht etwa in einer Vernichtung oder Schmälerung des Rechtsgutes der Ehre, sondern in der gänzlichen oder teilweisen Aberkennung gewisser vom Gesetze genau bezeichneter „Ehrenrechte", d. h. von Rechten und Fähigkeiten, welche sich auf die öffentliche, nicht aber auf die privatrechtliche oder gesellschaftliche Stellung des Verurteilten beziehen. Abgesehen von den Bestimmungen in §§. 161 und 319 R S t G B . erscheinen demnach als die Ehren-Nebenstrafen der Reichsgesetzgebung die gänzliche oder die teilweise Aberkennung der „bürgerlichen Ehrenrechte - ', die Entziehung des jus suffragii et honorum, der droits civiques. I I . D i e A b e r k e n n u n g s ä m t l i c h e r E h r e n r e c h t e . Sie umfafst: 1. den d a u e r n d e n V e r l u s t der aus öffentlichen Wahlen für den Verurteilten hervorgegangenen Rechte, ingleichen den dauernden Verlust der öffentlichen Amter, Würden, Titel, Orden und Ehrenzeichen ( S t G B . §. 3 3 ) ; ' ) 2. d e n V e r l u s t d e r F ä h i g k e i t , w ä h r e n d d e r i m Urteile bestimmten Zeit a) die Landeskokarde 2 ) zu tragen; b) in das Deutsche Heer oder in die Kaiserliche Marine einzutreten; c) öffentliche Amter, Würden, Titel, Orden und Ehrenzeichen zu erlangen; d) in öffentlichen Angelegenheiten zu stimmen, zu wählen oder gewählt zu werden oder andre politische Rechte auszuüben ; e) Zeuge bei Aufnahme von Urkunden zu sein; ') Unter den öffentlichen Ämtern sind Advokatur, Anwaltschaft, Notariat sowie Geschwornen- und Schöffendienst mitbegriffen ( S t G B . §. 31 Abs. 2). Zu den „Würden" gehören auch die akademischen Grade, soweit dieselben unter staatlicher Anerkennung verliehen werden. — Der Adelsverlust ist vom Gesetze mit Recht nicht unter die Ehrenfolgen aufgenommen worden; denn derselbe würde eine Schmälerung der familienrechtlichen Stellung des Betroffenen sein und daher mit dem Grundgedanken der heutigen Ehrenstrafe im Widerspruche stehen (mifsverstanden von M 438 Note 17). *) Bei Einführung einer R e i c h s kokarde würde mithin eine E r gänzung des §. 34 S t G B , notwendig werden. Dagegen M 438.
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§. 68.
6.
Nebenstrafen an der Ehre.
f ) Vormund. Nebenvormund. Kurator, gerichtlicher Beistand oder Mitglied eines Familienrates zu sein, es sei denn, dafs es sich um Verwandte absteigender Linie handle und die obervormundschaftliche Behörde oder der Familienrat die Genehmigung erteile (StGB. §. 34). Die Dauer der Unfähigkeit beträgt bei zeitiger Zuchthausstrafe mindestens zwei und höchstens zehn Jahre, bei Gefängnisstrafe mindestens ein und höchstens fünf Jahre ( S t G B . §. 32). Die Wirkung der A b erkennung tritt mit der Rechtskraft des Urteils ein; die Zeitdauer (der Unfähigkeit) wird von dem Tage berechnet, an dem die Freiheitsstrafe, neben welcher jene Aberkennung ausgesprochen wurde, verbüfst, verjährt oder erlassen ist (StGB. §. 36). Die Aberkennung der sämtlichen Ehrenrechte ist regelmäßig dem Ermessen des Gerichtes überlassen; bindend vorgeschrieben ist sie nur in den §§. 161 (Meineid), 181 (schwere Kuppelei), 302d StGB, (gewerbsoder gewohnheitsmäfsiger Wucher nach dem Gesetz vom 24. Mai 1880). Neben T o d e s - und neben Z u c h t h a u s s t r a f e kann sie ohne weiteres, neben G e f ä n g n i s s t r ä f e aber nur dann ausgesprochen werden (StGB. §. 32), wenn die Dauer der erkannten Strafe drei Monate erreicht u n d entweder das Gesetz den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte ausdrücklich zuläfst o d e r die Gefängnisstrafe wegen Annahme mildernder Umstände an Stelle von Zuchthausstrafe ausgesprochen wurde. Die Fälle, in welchen das Gesetz den Verlufst ausdrücklich zuläfst, sind die §§. 49 a, 108, 109, 133, 142, 143, 150, 160, 161, 164, 168, 173, 175. 180, 183, 248, 256. 262, 263, 266, 280, 284, 289, 294, 302, 302 a, b, c (Wucher nach dem Gesetz vom 24. Mai 1880), 304, 329, 333, 350; Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 §. 12; Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 §. 97; Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 tj. 108; Handelsgesetzbuch A r t . 249 ff. (Fassung vom 18. Juli 1884). Bei V e r s u c h (StGB. §. 45) ist die Aberkennung zulässig oder geboten, wenn sie es neben der Strafe des vollendeten Deliktes wäre (die Versuchsstrafe mufs also bei Gefängnis mindestens drei Monate betragen); ebenso neben der G e s a m t s t r a f e , wenn sie auch nur neben einer der verwirkten Einzelstrafen zulässig oder geboten ist (StGB. §. 76). Gegen den jugendlichen Thäter darf sie nie ausgesprochen werden ( S t G B . §. 67 Ziff. 5). — Nach Mil.StGB. §. 46 Bind militärische Ehrenstrafen neben der Versuchsstrafe z u l ä s s i g , wenn sie neben der Strafe des vollendeten Verbrechens oder Vergehens zulässig oder geboten sind.
I I I . D i e A b e r k e n n u n g (der V e r l u s t ) e i n z e l n e r Ehrenrechte. Hier haben wir mehrere Fälle zu unterscheiden : 1. Neben einer Gefängnisstrafe, mit welcher die A b erkennung überhaupt hätte verbunden werden können, kann auf
§. 69. Die Bufse.
279
die U n f ä h i g k e i t zur Bekleidung öffentlicher Ä m t e r auf die Dauer von ein bis zu fünf J a h r e n erkannt w e r d e n . Die Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Amter hat den dauernden Verlust der bekleideten Amter von Rechts wegen zur Folge (StGB. §. 35). 2. Auf den d a u e r n d e n Verlust der bekleideten öffentlichen Ä m t e r und der aus ö f f e n t l i c h e n W a h l e n h e r v o r g e g a n g e n e n R e c h t e kann erkannt werden in den Fällen der §§. 81, 83, 84, 87—91, 94, 95 StGB., und zwar nach §. 95 neben der Gefängnisstrafe, in den übrigen Fällen neben der Festungshaft, die hier ausnahmsweise mit einer Minderung der Ehrenrechte verbunden sein kann. 3. Nach den §§. 128, 129, 358 StGB, kann auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ä m t e r auf die Dauer von ein bis zu fünf Jahren erkannt werden (siehe besondern Teil). Für die Berechnung der Dauer der zeitigen Unfähigkeit gilt auch hier das oben zu II Gesagte. IV. Ist ein Deutscher im Auslande wegen eines Verbrechens oder Vergehens bestraft worden, das nach den Gesetzen des Deutschen Reiches den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte überhaupt oder einzelner bürgerlicher Ehrenrechte zur Folge hat oder zur Folge haben kann, so ist ein n e u e s Strafverfahren zulässig, um gegen den in diesem Verfahren für schuldig Erklärten auf jene Folgen zu erkennen (StGB. §. 37; oben S. 109). s )
Anhang. §. 69. Die Bufoe. L i t t e r a t n r . W ä c h t e r Die Bube 1874. D o c h o w Die Bufse 1875. v. W e i n r i c h Die Haftpflicht 1883 S. 132 (Z IV 327). M a n d r y 426. G l a s e r I I 13. H i l s e GA X X X V I 26. ') Die Wiedererlangung der Ehrenrechte (Rehabilitation) entbehrt der gesetzlichen Regelung, kann daher nur im Gnadenwege erfolgen. Anders früher in einzelnen deutschen Staaten (bayrisches Gesetz vom 10. Juli 1861), anders auch in Frankreich (HG I 274, I I 109 Note 12), Dänemark (1868), Norwegen (1883), Japan (1882), Italien (StGB, von 1889).
280
§. 69
Die Bufse.
I. A n w e n d u n g s g e b i e t . Die Bufse findet sich sowohl im Strafgesetzbuch selbst als auch in einzelnen Nebengesetzen. Die Fälle, in welchen auf Bufse erkannt werden kann, sind die folgenden: I. StGB. §. 188. Üble Nachrede und Verleumdung (StGB. §§. 18« und 187), wenn die Beleidigung nachteilige Folgen für die Vermögensverhältnisse, den Erwerb oder das Fortkommen des Beleidigten mit sich bringt. Höchstmafs 6000 Hark. — 2. StGB. §. 231. Körperverletzung in allen Fällen. Höchstmafs 6000 Mark. — 3. N a c h d r u c k s g e s e t z vom 11. Juni 1870 §§. 18, 43, 45. Bei vorsätzlichem wie bei fahrlässigem Nachdruck. Höchstmafs 6000 Mark. — 4. U r h e b e r r e c h t s g e s e t z e vom 9. Januar 1876 §. 16, 10. Januar 1876 §. 9, 11. Januar 1876 §. 14. Wie unter 3. — 5. M a r k e n s c h u t z g e s e t z vom 30. November 1874 §. 16. HöchBtmafs 6000 Mark. — 6. P a t e n t g e s e t z vom 26. Mai 1877 §. 36. Höchstmafs 10000 Mark. — 7. Weitere Ausdehnung schlägt BGB 728 vor. Vgl. dazu v. L i s z t Grenzgebiete 31. — 8. Auf dem ihr überwiesenen Gebiete kann die L a n d e s g e s e t z g e b u n g Bufse zulassen; dies ist z. B. in dem Forstgesetze für Elsafs-Lothringcn vom 9. Juli 1888 geschehen. In allen Fällen ist der Zuspruch der Bufse durch das im Strafverfahren zu stellende Verlangen des Verletzten (StPO. §§. 443—446) bedingt; ist die Bufse an den Verletzten zu entrichten; schliefst die erkannte Bufse die Geltendmachung eines weitern Entschädigungsanspruches aus; haften die zur Bufse Verurteilten als Gesamtschuldner (obwohl StGB, g. 188 das nicht ausdrücklich ausspricht); darf auf einen höhern Betrag der Bufse als den beantragten nicht erkannt werden (StPO. §. 446); kann der Anspruch des Verletzten von dessen Rechtsnachfolgern nicht erhoben oder fortgesetzt werden (StPO. §. 444 Abs. 4); erfolgt die Eintreibung nach den Vorschriften der ZPO. §. 496). I I . D a s W e s e n d e r B u f s e ist lebhaft bestritten; bald wird sie als Strafe, bald als Entschädigung, bald als eine aus beiden Elementen zusammengesetztes Einrichtung betrachtet. W e n n wir im A u g e behalten, dafs der Begriff der Entschädigung durch den Ersatz vermögensrechtlicher Nachteile nicht erschöpft wird, sondern auch die dem Verletzten gebührende Genugt u u n g für den von ihm erlittenen Eingriff in seine Rechtssphäre überhaupt in sich schliefst (oben §. 69 I I ) , so werden wir gegen die Auffassung der B u f s e als reiner Entschädigung, besser: a l s G e n ü g t h u u n g keine Bedenken erheben können.') Diese ') Im wesentlichen derselben Meinung (wenn auch meist mit Beschränkung auf Ersatz des VermögensBchadenB) die meisten; so D o c h o w, S o n t a g , B i n d i n g , G e y e r , H ä l s c h n e r , B e r n e r , v. M e y e r , L ö n i n g , R ü d o r f f , insbesondere aber K ö h l e r Patentrecht 661, L e h m a n n Die Schutzlosigkeit immaterieller Rechtsgüter 37, 0 766, sowie
§. 70. Die richterliche Strafzumessung.
281
Auffassung schliefst nicht aus, dafs der Anspruch auf Bufse ein höchst persönlicher, nur dem Verletzten, nicht aber seinen Erben zustehender ist. Sie findet unmittelbare Bestätigung in den Nebengesetzen ( „ s t a t t der Entschädigung kann auf Bufse erkannt werden/') Von diesem Standpunkte aus können wir die meisten der an die Bufse anknüpfenden Streitfragen erledigen. So ist weder der N a c h w e i s eines Vermögens-Nachteils, noch ein solcher N a c h t e i l überhaupt Bedingung für das Entstehen des Anspruchs; so ist Bufse auch bei scheinbarem Zusammentreffen von Vergebungen zuzusprechen, wenn auch das sie enthaltende Gesetz als das mildere bei der Bestimmung der Strafe aufser Betracht bleibt; so verjährt der Anspruch auf Bufse nach den Grundsätzen des Zivilrechtes, wenn auch seine Geltendmachung im Strafprozesse durch die strafrechtliche Verjährung des Deliktes thatsächlich unmöglich gemacht wird; *) so wird die zuerkannte Bufse durch Begnadigung nicht berührt, während die Niederschlagung des Strafverfahrens (unten §. 79 II) allerdings auch die Geltendmachung des Bufsanspruches verhindert.
III. Das Strafmais in Gesetz und Urteil. §. 70.
Die richterliche Strafzumessung.
Litteratnr. M e r k e l HH II 645, IV 307. W a h l b e r g Das Prinzip der Individualisierung 1869; kl. Schriften III 667. M e d e m Z VII 186. v. H o l t z e n d o r f f HG I 432. H I 634. Medem GS XL 173 (Z VIII 664). D u r c h h o l z und S o r o f G A XXXV 261, 286 (Z IX 627). S a m t e r GA XXXV 381 (Z IX 628). R 22. Mai 84 XII 224, 7. März 87 XV 362 (Bufse bei Verlust der Zeugungsfähigkeit), 9. März 88 XVII 190. Als P r i v a t s t r a f e wird die Bufse aufgefafst von R e b e r , F l e s c h , W a h l b e r g , insbesondere aber von Heinze, während W ä c h t e r , S c h ü t z e , v. S c h w a r z e , S t o o f s und neuerdings Ml 236 zwei Elemente in der Bufse unterscheiden wollen, ein ziviles und ein pönales, v. W e i n r i c h fafst die Bufse als Z w a n g s a b f i n d u n g auf. ') Ebenso Dochow HH III 376, K o h l er Patentrecht 667, L 84, M 429; dagegen Bg I 864, H I 704, 0 370.
282
§. 70. Die richterliche Strafzumessung.
I. In dem Wesen des staatlichen Strafrechts, als der Selbstbeschränkung der an sich unbeschränkten Strafgewalt (oben §. 1 Note 1), liegt, dafs durch das Strafgesetz nicht nur die V o r a u s s e t z u n g der Strafe (der Thatbestand des Verbrechens), sondern auch der I n h a l t derselben nach A r t und M a f s bestimmt wird. Die Betrachtung der Qeschichte lehrt uns, dafs diese im Strafgesetze ein für allemal — a b s o l u t — gegebene Bestimmung erst allmählich im Laufe der Entwicklung einer r i c h t e r l i c h e n B e m e s s u n g der Strafe Platz macht. So kennt sowohl die Gesetzgebung der X I I Tafeln als auch die Zeit des Quäationenprozeaaea nur Verhängung oder Nichtverhängung der unabänderlich vom Gesetze vorgeschriebenen Strafe; und erst die Kaiserzeit verleiht, den Gedanken der extraordinaria cognitio ausdehnend, dem .Richter die Befugnis zur Bemessung der Strafe nach den Umständen des einzelnen Falles. Auch im deutschen Mittelalter finden wir, soweit die Herrschaft des gesetzten Rechtes reicht, nur absolut bestimmte Strafdrohungen, die aber durch das „Richten nach Gnade" ergänzt werden.') Und dasselbe gilt im wesentlichen von der PGO. Erst im spätem gemeinen Rechte, als das Gebiet der willkürlichen Bestrafung immer weiter ausgedehnt wurde und neue Strafarten an Stelle der in der Karolina angedrohten getreten waren, gewann die richterliche Strafzumessung an Bedeutung. Da es an gesetzlichen Vorschriften über die Bestimmung der Strafe ebenso fehlte wie an wissenschaftlichen Grundsätzen über die Strafzumessung, verfiel die Rechtsprechung schrankenloser Willkür. Die gegenteilige Ansicht vertraten in äufserster Schroffheit, vor keiner Folgerung zurückscheuend, die Schriftsteller der Aufklärungszeit (oben S. 62; inbesondre code penal 1791): sie wollten den Riohter gebunden wissen an den Buchstaben des Gesetzes. Aus diesem Kampfe ging das die deutsche Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts beherrschende System der r e l a t i v b e s t i m m t e n Strafdrohungen, der zwischen Mindestmafs und Höchstmafs sich spannenden S t r a f r a h m e n hervor. Aber mehr und mehr drängte die Entwicklung wieder zur Ausdehnung des richterlichen Ermessens, zur Erweiterung des Spielraums. Und die infolge dessen in der Rechtsprechung hervorgetretenen Ubelstände haben in unsern Tagen eine lebhafte rückläufige Strömung veranlafst, deren Ziel bald Abschaffung des' Strafmafses ( K r ä p e l i n ) , bald absolut bestimmte gesetzliche Strafdrohungen ( M i t t e l s t ä d t ) bilden. Die Lösung dieser brennenden Frage wird bedingt durch Verständigung über die Grundfragen der Kriminal-Politik (oben §§. 3 bis 5).
II. In der Reichsgesetzgebung finden sich a b s o l u t e Strafdrohungen nur in ganz verschwindender Zahl und Bedeutung: soweit das Gebiet der Todesstrafe reicht (oben §. 62 II; anders ') Vgl. O s e n b r ü g g e n Alamannisches Strafrecht 179; W a h l b e r g Kl. Schriften I I 122, L ö n i n g Z V 228.
§. 70. Die richterliche Strafzumessung.
283
MiLStGB. §§. 58, 60. 63, 95, 97, 133, 141) und soweit die Geldstrafe als Bruchteil oder als Vielfaches eines bestimmten Geldbetrages zu berechnen ist (oben §. 65 HI). Die Herrschaft führt auch in der Reichsgesetzgebung das System der „Strafrahmen", d. h. der r e l a t i v - b e s t i m m t e n Strafdrohungen. Diese Relativität kann liegen: 1. Darin, dafs der Gesetzgeber dem Richter innerhalb derselben Strafart einen Spielraum zwischen einem Mindestund einem Höchstbetrage läfst. In diesem Falle ist nicht nur der Abstand zwischen der untern und der obern Grenze, sondern auch die durch die Art der Berechnung, insbesondere durch die Rechnungseinheit bei den Freiheitsstrafen (oben §. 64 I I 3) bestimmte Zahl der dazwischen liegenden S t r a f g r ö f s e n zu beachten. So enthält „Zuchthaus bis zu fünfzehn Jahren" 169 Strafgröfsen; „Gefängnis bis zu fünf Jahren" deren 1826; „Festungshaft bis zu fünfzehn Jahren" 5478, „Haft bis zu sechs Wochen" 42 Strafgröfsen. 2. Darin, dafs der Gesetzgeber dem Richter die W a h l läl'st zwischen zwei oder sogar mehreren (wieder durch Mindestmafs und Höchstmafs begrenzten) S t r a f a r t e n . Vgl. StGB. §. 185: „Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu einem Jahre". Ahnlich Art. I I und I I I des Gesetzes vom 5. April 1888 betr. die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen. Prefsgesetz §. 21 läfst sogar dem Richter die Wahl zwischen vier verschiedenen Strafarten (Geldstrafe, Haft. Festungshaft, Gefängnis). In diesem Falle hat der Richter in leichtern Fällen die leichtere Strafart; wenn Zuchthaus und Festungshaft zur Wahl gestellt sind,®) Zuchthaus nur bei festgestellter ehrloser Gesinnung des Thäters zu wählen (StGB. §. 20). 3. Darin, dafs es dem richterlichen Ermessen in vielen Fällen überlassen wird, ob die Hauptstrafe allein, oder neben derselben eine Nebenstrafe einzutreten hat.*) *) Dies ist der Fall S t G B . §§. 82—86, 88, 89, 94, 96, 98, 100, 105 uDd Militär-StGB. §g. 2 und 62. *) Eigentümlich ist die Fassung in §. 10 Xahrungsmittelges. vom 14. Mai 1879: „Mit Gefängnis bis zu sechs Monaten u n d mit Geldstrafe bis fünfzehnhundert Mk. o d e r mit einer dieser Strafen wird b e s t r a f t . . 106.
284
§. 71. Strafänderung.
1. Strafschärfung.
I I I . Innerhalb der gesetzlichen Strafrahmen hat der R i c h t e r die Strafe für das einzelne gegebene Verbrechen zu bemessen; im Einzelfalle die Aufgabe zu lösen, die der Gesetzgeber im allgemeinen zu lösen hatte. 4 ) Diese Bestimmung der Strafe innerhalb des Strafrahmens heifst S t r a f z u m e s s u n g ; die den Richter bei derselben leitenden Gesichtspunkte nennt nian S t r a f m e h r u u g s - (oder Straferhöhungs-) und S t r a f m i n d e r ungwgrüude. IV. "Wenn auch der Gesetzgeber die Strafrahmen für die einzelne Verbrecheusart hinlänglich weit bemifst, so dafs sie der objektiven und subjektiven Schwere der meisten Fälle dieser Verbrechensart entsprechen, so können doch Ausnahmen vorkommen, welchen gegenüber der Regel-Strafrahmen sich als zu eng erweist, in welchen also ein Hinaufgehen über das Höchstmafs, eiu Herabgeheu unter das Mindestmafs als angezeigt erscheint. Für diese Fälle stellt der Gesetzgeber besondre, sei es schwerere sei es leichtere. S t r a f r a h m e n auf. Nicht ganz genau spricht man hier von S t r a f ä n d e r u n g (als ob es sich um eine richterliche und nicht um eine gesetzgeberische Thätigkeit handelte), zerfallend in S t r a f s c h ä r f u n g u n d S t r a f m i l d e rung. V. Thatsäcbliche oder rechtliche l'nabweudbarkeit an sich anzuwendender Strafarten führt zur S t r a f u m w a n d l u n g ; das Zusammentreffen früherer mit spätem in derselben Sache notwendig werdenden Entscheidungen oder von der zu erkennenden Strafe mit andern bereits vom Verbrecher erlittenen Übeln zur S t r a f a n r e c h n u u g . Endlich sind noch die besonderen Bestimmungen ins Auge zu fassen, welche der Gesetzgeber für den Fall des Z u s a m m e n t r e f f e n s m e h r e r e r V e r g e h u n g e n getroffen hat. §.71.
Strafänderung.
I. Strafschärfung.
Litteratnr. Uberhaupt: L i p p m a n n Historisch-dogmatische Darstellung der Lehre von der richterlichen Strafänderungsbefugnis 1863. G e y e r HR „Strafschärfungsgründe". — v. M ü n c h h a u s e n Rückfall *) Der Richter soll die Gleichung finden zwischen Schuld und Strafe. In der Unlösbarkeit dieser Aufgabe liegt das Hauptgebrechen unsrer heutigen Strafrechtspflege.
§. 71.
Straf änderung.
1. Strafschärfung.
285
1870. F r i e d l ä n d e r Der Rückfall im gem. d. Recht. L Die Entwicklung der L e h r e mit Einschlufs der Karolina 1879. O l s h a u a e n Einflufs von Vorbestrafungen 1876. v. L i l i e n t h a l Kollektiydelikte 1879. S i c h a r t Z X 40. Ferner die oben §. 3 Note 5 angeführte Litteratur und dazu die Verhandlungen der Intern, krim. Vereinigung zu Brüssel und Bern (Mitteilungen I und I I ) sowie der deutschen Landesgruppe zu Halle (Beilageheft zu Z X). D i e W e i t e der von der G e s e t z g e b u n g verwendeten regelmäfsigen S t r a f r a h m e n gestattet es, die A u f s t e l l u n g von besondern, erhöhten S t r a f r a h m e n auf ein verhältnismäfsig kleines G e b i e t zu beschränken. A l l g e m e i n e Schärfungsgründe sind dem R S t G B . fremd geblieben (anders M i l . S t G B . §§. 5 3 , 5 5 ) . B e i e i n z e l n e n V e r g e h u n g e n werden als strafschärfend berücksichtigt g e w e r b s oder g e w o h n h e i t s m ä f s i g e B e g e h u n g (oben §. 56 I I I ) , G e m e i n s a m k e i t oder Ö f f e n t l i c h k e i t der V e r ü b u n g , G e b r a u c h einer W a f f e , V e r l e t z u n g eines V e r w a n d t e n aufsteigend e r L i n i e , B e t e i l i g u n g als R ä d e l s f ü h r e r , gewinnsücht i g e A b s i c h t , E i n t r i t t eines s c h w e r e n E r f o l g e s (oben 37 N o t e 5) u n d andre mehr. A u c h der R ü c k f a l l (oben §. 5 8 I ) wird nur bei w e n i g e n einzelnen D e l i k t e n als Schärfungsgrund verwendet. E s mufs mithin der H i n w e i s auf den besonderen Teil an dieser S t e l l e g e n ü g e n . 1 ) Der Rückfall, im römischen wie im mittelalterlich deutschen Recht und ebenso in Art. 161, 162 FOO. nur bei einzelnen Delikten, insbesondere beim Diebstahl (der ter furatus steht dem grassator gleich) als Schärfungsgrund anerkannt, wird im gemeinen Recht, welches auf der Lehre der Italiener von der consuetudo delinquendi und der iteratio delicti fufst, wesentlich weiter gebildet und verallgemeinert. Insbesondere werden allmählich die Begriffe Rückfall, Zusammentreffen, Gewohnheit schärfer bestimmt und genauer voneinander geschieden. Die Mehrzahl der deutschen Strafgesetzbücher des 19. Jahrhunderts — insbesondre auch Preufsen — stellt mit zahlreichen Abweichungen im einzelnen den Rückfall als allgemeinen Strafschärfungsgrund auf. Die aufserdeutsche Gesetzgebung schwankt. Während Frankreich, Belgien, Portugal, Italien und der russische Entwurf den Rückfall als allgemeinen Schärfungsgrund betrachten, haben Ungarn und die österreichischen Entwürfe Bich dem System des RStGB. angeschlossen. Eine Mittelstellung nimmt Holland ein. Die Reichsgesetzgebung verwertet den Rückfall nur in folgenden ') Zur Feststellung der Rückfälligkeit dienen die S t r a f r e g i s t e r (casiers judiciaires) ; vgl. über sie aie lehrreiche Abhandlung von H. S e u f f e r t in W V . Wichtig ist die Feststellung der Persönlichkeit durch genaue Körpermessungen (System B e r t i 11 o n : Identification anthropométrique).
286
§. 72. Strafanderung.
2. Strafmilderung.
Fällen: Zunächst im StGB. selbst in §§. 244, 245 (Diebstahl), 260 Ziff. 6 (Raub), 261 (Hehlerei), 264 (Betrug). Ferner in einzelnen Nebengesetzen, besonders Zoll- und Steuergesetzen. So im Salzsteuergesetz vom 12. Oktober 1867 §. 12; im Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 140—143; im Postgeeetz vom 28. Oktober 1871 §. 28; im Brausteuergesetz vom 31. Mai 1872 §§. 33, 34; im Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879 §§. 37 bis 39; im Stempelabgabengesetz vom 29. Hai 1885 §. 19; im Branntweinsteuergesetz vom 24. Juni 1887 23; im Zuckersteuergesetz vom 9. Juli 1887 §. 46. (Dagegen Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 23.)
§. 72.
Strafänderung.
2. Strafmilderung.
Litteratnr. G e y e r HR ..Strafmilderungsgründe". M o r r i s Geschichte und System der mildernden Umstände im deutschen Strafrecht und Prozefs 1887.
I. Die a l l g e m e i n e n Jlildenmgsgründe der Reiehsgesetzgebung sind 1. jugendliches Alter, 2. Versuch, 3. Beihilfe. 1. Bei j u g e n d l i c h e m A l t e r (oben 36 1) schreibt StGB. §. 57 folgende Milderungen vor:') a) Ist die Handlung mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht, so lautet der erniedrigte Strafrahmen: Gefängnis von drei bis zu fünfzehn Jahren. b) Bei lebenslänglicher Festungshaft: Festungshaft von drei bis zu fünfzehn Jahren. c) In allen übrigen Fällen ist die Strafe zwischen dem gesetzlichen Mindestbetrage der angedrohten Strafart und der Hälfte des Höchstbetrage« der angedrohten Strafe zu bestimmen. Dies gilt auch für diejenigen Fälle, in welchen (oben §. 65 III) die Geldstrafe dem Erwachsenen gegenüber als Vielfaches eines bestimmten Betrages zu bemessen ist, so dafs auch hier die in §. 27 StGB, angegebenen Mindestbeträge mafsgebend sind. An Stelle von Zuchthaus tritt Gefängnisstrafe von gleicher Dauer. d) Wegen Vergehen oder Übertretungen kann in besonders leichten Fällen auf Verweis erkannt werden. e) Auf Verlust sämtlicher oder einzelner Ehrenrechte, sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht ist nicht zu erkennen. 2. Für den Fall des V e r s u c h e s bestimmt StGB. §. 44: Ist das vollendete Verbrechen mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter drei Jahren ein, neben welcher auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden l ) Sind für das in Frage stehende Delikt im Gesetze mildernde Umstände vorgesehen, so ist zuerst über diese zu entscheiden und dann erst die Herabsetzung des Strafrahmens vorzunehmen. R 20. März 82 VI 98.
g. 72. Strafänderung. 2. Strafmilderung.
287
kann. Lebenslängliche Festungshaft wird duroh Festungshaft nicht unter drei Jahren ersetzt. In allen übrigen Fällen kann die Strafe bis anf ein Vierteil des Mindestbetrages der auf das vollendete Verbrechen oder Vergehen angedrohten Freiheits- oder Geldstrafe ermäfsigt werden. Ist hiernach Zuchthausstrafe unter einem Jahre verwirkt, so ist dieselbe nach Mafsgabe des §. 21 StGB, in Gefängnis zu verwandeln. Wenn jedoch neben der Strafe des vollendeten Verbrechens oder Vergehens die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zulässig oder geboten ist, oder auf Zuläasigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden kann, so gilt gleiches auch von der Versuchsstrafe (StGB. §. 45). Hat ein jugendlicher Verbrecher sich des Versuches schuldig gemacht, so ist die Herabsetzung zuerst nach §. 44 und dann nach §. 67 vorzunehmen. *) 3. Die Strafe des G e h i l f e n ist nach demjenigen Gesetze festzusetzen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich Hilfe geleistet hat, jedoch nach den über die Bestrafung des Versuches aufgestellten Grundsätzen zu ermäfsigen (StGB. §. 49). Liegt Beihilfe zum Versuch vor, so ist die Herabsetzung zweimal vorzunehmen. Beihilfe zur Beihilfe führt dagegen nur zu einmaliger Herabsetzung (oben §. 53 Note 5). I I . D a n e b e n finden wir bei den einzelnen Vergehungen eine Reihe b e s o n d e r e r Milderungsgründe. So die „Anreizung" durch den Gegner beim Totschlag in §. 213, die durch den gegnerischen Angriff hervorgerufene Erregung bei Beleidigung und Körperverletzung ( S t G B . §§. 199, 2 3 2 ) , die Fälle der §§. 157 und 158 beim Meineid usw. 8 ) Insbesondre aber hat der Reichsgesetzgeber im Anschlüsse an die französische, durch die harten Strafdrohungen des code pénal veranlafste und durch Gesetz vom 28. April 1832 geregelte Einrichtung der circonstances atténuantes, dem Beispiele Preufsens folgend, trotz des lebhaften Widerspruchs in der deutschen Wissenschaft*) bei 5 ) Ein Strafrahmen mit l Jahr Zuchthaus als Mindestmafs ergiebt dann 1 Tag Gefängnis als Mindestmafs für Versuch des Jugendlichen. Übereinstimmend im Ergebnisse G I 174, M 466, 0 283. Dasselbe gilt entsprechend für den Fall, dafs Beihilfe eines Jugendlichen zu bestrafen ist. s ) Darüber unten bes. Teil. Wenn dem Jugendlichen die Milderungsgründe der §§. 157, 158 zu gute kommen sollen, so ist zuerst der regelmäfsige Strafrahmen nach §. 57 herabzusetzen, dann die „an sich verwirkte" Strafe zu bestimmen und nun erst die Ermäfsigung nach §§. 157, 158 vorzunehmen. Abweichend R 22. November 83 IX 245, sowie M 455, 0 644. ') Gegner dieser Einrichtung sind u.a. G e i b . K ö s t l i n , H ä b e r l i n , S c h ü t z e , v. W ä c h t e r , J o h n , M e r k e l , H ä l s c h n e r , G e y e r . Für dieselbe haben sich B 276, M 467 ausgesprochen. Sie fand Auf-
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§. 73. Strafumwandlung.
zahlreichen Delikten für den Fall mildernder Umstände", die er nicht näher bezeichnet und die im schwurgerichtlichen Verfahren durch Befragung der Geschwornen festzustellen sind ( S t P O . §. 297). einen hesondern niedrem Strafrahmen aufgestellt. Dabei weist er in den meisten Fällen den Richter bestimmt an. sich, wenn mildernde Umstände vorliegen, dieses milderen Strafrahmens zu bedienen: in andern Fällen (so S t G B . §5?. 187. 246. 263. 333. 340. nicht aber 228) dagegen läfst er dem Richter trotz Feststellung des Vorliegens mildernder Umstände die W a h l , ob er sich des regelmäfsigen oder des erniedrigten Strafrahmens bedienen will. Nicht zu verwechseln mit den mildernden Umständen sind die ..leichtem", „minder schweren Fälle" in S t G B . §§. 57 Ziff. 4. 94. 96; hier liegt in der T h a t nur e i n Strafrahmen vor
§. 73.
Strafumwandlung.
Litteratur. G e y e r HR ..Strafverwandlung*4. Strafuniwandlung ist die Umrechnung einer Strafart in eine andre. Sie wird notwendig, sobald die Anwendung der zunächst in Frage kommenden Strafart aus rechtlichen oder t a t s ä c h l i c h e n Gründen unmöglich ist. Die Reichsgesetzgebuug schreibt Strafumwaudlung in folgenden Fällen vor. I . E i n e n i c h t b e i z u t r e i b e n d e G e l d s t r a f e i s t in F r e i h e i t s s t r a f e u m z u w a n d e l n (StGB. §§. 28. 29. 78; S t P O . §§. 491, 495). An Stelle der Geldstrafe tritt Dach §. 28 StGB.: 1. regelmäßig G e f ä n g n i s . 2. H a f t bei Übertretungen, ferner bei Vergehen, gegen welche Geldstrafe allein oder an erster Stelle oder wahlweise neben Haft angedroht ist, vorausgesetzt, dafs die erkannte Strafe nicht den Betrag von sechshundert Mark und die an ihre Stelle tretende Freiheitsstrafe nicht die Dauer von sechs Wochen übersteigt. 3. Z u c h t h a u s . War neben der Geldstrafe auf Zuchthaus erkannt, nähme in das italienische StGB., den russischen und den österreichischen Entwurf, wurde aber vom holländischen StGB, aufgegeben. — Das geltende österr. Recht räumt dem Richter ganz allgemein die Befugnis ein, unter den Strafrahmen herabzugehen.
§. 73. Strafumwandlung.
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so iat die an deren Stelle tretende Gefängnisstrafe in Zuchthaus umzurechnen. M a r s s t a b d e r U m w a n d l u n g (StGB. §. 39): Bei den wegen eines Verbrechens oder Vergehens erkannten Geldstrafen ist irgend ein Betrag zwischen drei und fünfzehn Mark, bei den wegen einer Ubertretung erkannten Geldstrafen irgend ein Betrag zwischen einer und fünfzehn Mark einer eintägigen Freiheitsstrafe gleichzuachten. G r e n z e n d e r h i l f s w e i s e n F r e i h e i t s s t r a f e . Der Mindestbetrag derselben ist ein Tag, der Höchstbetrag bei Haft sechs Wochen, bei Gefängnis ein Jahr. Im Falle des Zusammentreffens (unten §. 76) erhöht sich der Höchstbetrag auf zwei Jahre Gefängnis, bez. drei Monate Haft (StGB. §. 78 Abs. 2). Wenn eine neben der Geldstrafe wahlweise (oder auch bei mildernden Umständen) angedrohte Freiheitsstrafe ihrer Dauer nach den vorgedachten Höchstbetrag nicht erreicht, so darf die hilfsweise Freiheitsstrafe den angedrohten Höchstbetrag j e n e r Freiheitsstrafe nicht übersteigen (StGB. §. 29 letzter Satz). Der Verurteilte kann sich durch Erlegung des Strafbetragos, soweit dieser durch die erstandene Freiheitsstrafe noch nicht getilgt ist, von der letztern freimachen (StGB. §. 28 Abs. 4). Vielfach von dem eben Gesagten abweichende Bestimmungen enthalten die Nebengesetze. So schliefsen sie teilweise die Umwandlung in Freiheitsstrafe überhaupt aus; wie Wechselstempelgesetz vom 10. Juni 1869 §. 15; Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §. 24; Stempelabgabengesetz vom 29. Mai 1885 §. 36. Oder sie stellen einen andern Umwandlungsniafsstab auf; so Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 g. 81 Abs. 3, die Zoll- und Steuergesetze usw. Mehrfach ist auch die Art der hilftweisen Freiheitsstrafe abweichend bestimmt; so in Gewerbeordnung §. 146 (stets Gefängnis) und §. 147 (stets Haft).') Hierher gehören auch StPO. §§. 50, 69, 77, ZPO. §§. 345, 355, 374. II. D i e U m w a n d l u n g e i n e r F r e i h e i t s s t r a f e in e i n e a n d r e kann aus verschiedenen Gründen notwendig werden. 1. Da der gesetzliche Mindestbetrag der Zuchthausstrafe ein Jahr beträgt, so ist Umrechnung in Gefängnis nötig, sobald in den Fällen der §§. 44, 49, 157, 158 StGB, nach dem erniedrigten Strafrahmen Zuchthausstrafe unter einem Jahre verwirkt wäre. 2. Wird die Gesamtstrafe nach StGB. §. 74 durch Zuzählung der verkürzten übrigen Strafen erhöht (unten §. 75), so sind etwaige Gefängnisstrafen in Zuchthaus umzurechnen. 3. War neben einer Geldstrafe auf Zuchthaus erkannt, ') Vgl. auch preufs. Forstdiebstahlsgesetz und dazu R 3. Januar 1888 XVII 39. • OS Ijlsit, Strafrecht. c Aufl. 19
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§•
Anrechnung auf die verwirkte Strafe.
so ist die aushilfsweise Gefängnisstrafe in Zuchthaus umzuwandeln. M a f s a t a b der U m r e c h n u n g in allen drei Fällen (StGB. §.21): acht Monate Zuchthaas lind gleich zwölf Monate Gefängnis; acht Monate Gefängnis gleich zwölf Monate Festangshaft.
H I . Vereinzelt findet sich auch noch die Umwandlung der Einziehung in eine Geldstrafe. Vgl. z. B. Gesetz vom 17. Juli 1881 §. 4. 2 )
§. 74.
Anrechnung auf die verwirkte Strafe.
Litteratnr. Zu III: G e y e r GS XXVI 321. XLI 192 (Z IX 675).
K r o n e c k e r GS
Es gehören hierher folgende Fälle: I. Eine e r l i t t e n e U n t e r s u c h u n g s h a f t kann als Strafyerbüfsung betrachtet und bei Fällung des Urteils auf die erkannte Strafe (die im Urteil ihrem vollen Betrage nach anzugeben ist) ganz oder theilweise angerechnet werden (StGB. §. 60). Die Anrechnung ist bei Freiheit»- und Geldstrafe, nicht bei Verweis oder Todesstrafe, nie bei den Nebenstrafen gestattet. Das Ergebnis der Anrechnung kann sein, dafs der Rest der verwirkten Strafe unter das Mindestmafs der Strafart herabsinkt; eine Umwandlung findet in diesem Falle nicht statt. I I . Eine im A u s l a n d e v o l l z o g e n e S t r a f e ist, wenn wegen derselben Handlung im Gebiete des Deutschen Reichs abermals eine Verurteilung erfolgt, auf die zu erkennende Strafe in Anrechnung zu bringen (StGB. §§. 7 vgl. mit §. 3 und 4). Auch hier gilt in Bezug auf Zulässigkeit und Ergebnis der Umwandlung das zu I Gesagte. I I I . Die sogenannte E r w i d e r u n g oder A u f r e c h n u n g *) Damit gewinnt die Einziehung thatsächlich die ihr rechtlich mangelnde (oben §. 69 III 1) Eigenschaft einer Strafe. Nicht hierher gehören dagegen diejenigen Bestimmungen, nach welchen (z. B. StGB. §. 336, Prelsgesetz §. 16, Sozialistengesetz §§. 20, 21 u. a.) statt auf Einziehung auf Zahlung des Werts des einzuziehenden Gegenstandes erkannt werden kann. *) B 286, M 474, 0 304 wollen Anrechnung auch auf Nebenstrafen, B und M auch auf Verweis. Anrechnung auf Einziehung ist schon deshalb ausgeschlossen, weil diese keine Strafe ist (vgl. oben §. 59 III 1). — U n v e r s c h u l d e t braucht die Untersuchungshaft nicht zu sein; anders wohl mit Recht Ungarn und Holland.
g. 74. Anrechnung anf die verwirkte Strafe.
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(Retorsion oder K o m p e n s a t i o n ) * ) ( S t G B . §§. 199 und 233). W e n n Beleidigungen mit B e l e i d i g u n g e n , leichte Körperverletzungen (§. 223 S t G B . ) mit solchen, Beleidigungen mit leichten Körperverletzungen oder letztere mit e r s t e m a u f der Stelle (d. h . solange die durch die K r ä n k u n g hervorgerufene Gemütsbewegung fortdauert) erwidert werden, so kann der Richter für beide Angeschuldigte, oder für einen derselben eine der A r t oder dem Mafse nach mildere S t r a f e eintreten lassen oder von der B e s t r a f u n g des einen oder beider völlig absehen. W e n n dagegen eine Beleidigung mit einer Beleidigung a u f der Stelle erwidert wird ( S t G B . §. 199), so ist der Richter nicht zur Milderung der Strafe, sondern lediglich dazu berechtigt, beide Beleidiger oder einen derselben f ü r straffrei zu erklären. Es handelt sich dabei um eine Erweiterung des dem R i c h t e r bei Bemessung der Strafe zugewiesenen Spielraumes, welche bis zur Gestattnng der Strafumwandlung, ja selbst der Verschonung mit aller Strafe reioht. Dem Richter soll die Gelegenheit geboten werden, einerseits die Aufregung des zuerst Angegriffenen, anderseits die Thatsache, dafs dieser bereits selbst sich Sühne genommen, in umfassendster Weise in Betracht zu ziehen. Eben darum setzt die Anwendung des durch die §§. 199 and 933 dem Bichter eingeräumten Rechtes voraus, dafs auf seiten beider Teile s t r a f b a r e Handlungen vorliegen; bei F r e i s p r e c h u n g sei es auch nur des einen der beiden kann daher von Aufrechnung keine Rede mehr sein, während diese, wie in dem Falle, dafs durch die erlittene Untersuchungshaft die ganze erkannte Strafe aufgezehrt ist, auf Grand der Verurteilung zu einer „Straffrei-Erklärung" fuhren kann. Insbesondere mufs daran festgehalten werden, dafs die Anwendung der §§. 199 und 933 ausgeschlossen ist, sobald wegen Mangels der Rechtswidrigkeit die Strafbarkeit der Handlung des einen der beiden Teile entfällt Aber aach dann ist die Aufrechnung unmöglich, wenn auf Seiten des einen der beiden Thäter ein persönlicher Strafansschliefsungsgrund gegeben ist. *) ") Sie ist auch dem deutschen Mittelalter nicht fremd; vgl. L ö n i n g Z V 573, G ü n t h e r Wiedervergeltung 914. Das gemeine Recht läfst das beneficium retorsionis, das wohl als private Selbstrache aufgefafst wird ( K o c h ) , auch noch in andern Fällen, z. B. bei Ehebruch, zu. Für die richtige Auffassung auch B g Normen I 39 (9. Aufl.). *) übereinstimmend bez. des §. 11 StGB. (vgl. oben S. 116) R 6. März 81 IV 14, O 87, 741, F u l d GS X X X V 533. Dagegen Bg I 676 Note 14, M 170, Z i m m e r m a n n GA X X X I 197, X X X I I 313, K r ö n • c k e r GS X L I 93.
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§. 75. Bestimmung der Strafe bei Ziuammentreffen.
§. 75. Die Bestimmung der Strafe bei Zusammentreffen mehrerer Vergehungen („realer Konkurrenz"). Litteratur. Vergleiche die oben zu §. 58 angeführten Abhandlungen. Dazu K a t z GS XXXVI 576 (Z V 743). R e i f f e i GS XXXVII 470, XL 27 (Z VIII 651).
I . Liegen mehrere selbständige Vergebungen desselben Thäters zur strafrechtlichen Beurteilung vor. so wäre die logisch notwendige Folge aus der Selbständigkeit der einzelnen Handlungen d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e r d e n s e l b e n e n t p r e c h e u d e n E i n z e l s t r a f e n. die mithin sämtlich ungekürzt neben bez. nacheinander zu vollstrecken wären. Aber so wie zur Zeit der Vorherrschaft der Todesstrafe die t h a t s ä c h 1 i c li e U n m ö g l i c h k e i t , mehrere Todesstrafen an demselben Tliäter anders als bildlich zu vollstrecken, so führt das I b e r w i e g e n d e r F r e i h e i t s s t r a f e n in dem heutigen Recht zu tiefgehenden Abweichungen von der H ä u f u n g ( K u m u l a t i o n ) der für die Einzelverbrechen verwirkten Straten. Mit der Dauer der Freiheitsstrafe wächst deren Schwere; soll daher die Strafvollstreckung bei zusammentreffenden Vergebungen nur die wirkliche Summe der einzelnen Strafiibel zufügen, so mufs sie diesen an Umfang nehmen, was sie clurcli die Häufung an Schwere gewinnen. So gelangen wir zu der Forderung einer M i l d e r u n g d e s G r u n d s a t z e s d e r H ä u f u n g bei zusammentreffenden Vergebungen ; einer Milderung, die nur scheinbar eine solche, in "Wahrheit aber eine Wiederherstellung des ursprünglichen Gleichmafses zwischen Einzelhandlung und Einzelstrafe ist; einer Milderung, die aber nur dort und nur so weit angemessen ist. wo und soweit die Häufung jenes ursprüngliche Gleichmafs stört. Dies ist der Grundgedanke der in den §§. 74ff. R S t G B . niedergelegten Bestimmungen. II. Die Milderung der Häufung ist im RStGB. zum Ausdrucke gelangt in der Gestalt der G e s a m t s t r a f e . Sie findet aber nur dort Anwendung, wo durch mehrere (gleichnamige oder ungleichnamige) V e r b r e c h e n o d e r V e r g e h e n m e h r e r e z e i t i g e F r e i h e i t s s t r a f e n verwirkt worden; denn nur hier würde nach Ansicht des Gesetzgebers der unverkürzte
§. 75. Bestimmimg der Strafe bei Znsammentreffen.
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Vollzug sämtlicher Einzelstrafen eine von ihm nicht gewollte Schärfung jeder Einzelstrafe bedeuten. Die Gesamtstrafe besteht in einer E r h ö h u n g d e r v e r wirkten schwersten Strafe. Es werden zunächst die sämtlichen Einzelstrafen ausgeworfen. Die schwerste derselben (bei gleichartigen die der D a u e r , bei ungleichartigen die der A r t nach schwerste) bildet die E i n s a t z s t r a f e , welche anverkürzt beizubehalten ist; die übrigen Einzelstrafen werden verhältnismäfsig gekürzt und dann zu der Einsatzstrafe hinzugerechnet. 1 ) Die Gesamtstrafe darf den Betrag der verwirkten Einzelstrafen nicht erreichen, und fünfzehnjähriges Zuchthaus, zehnjähriges Gefängnis oder fünfzehnjährige Festungshaft nicht übersteigen (StGB. §. 74). Die Gesamtstrafe ist trotz ihrer Entstehung überhaupt, insbesondere aber in Bezug auf die Verjährung, als eine einheitliche Strafe aufzufassen. III. Soweit es sich um zusammentreffende Ü b e r t r e t u n g e n oder um das Zusammentreffen solcher mit Verbrechen oder Vergehen handelt; soweit ferner nicht zeitige Freiheitsstrafen untereinander, sondern solche mit a n d e r n S t r a f m i t t e l n oder andre Srafmittel untereinander zusammentreffen, findet die Gesamtstrafe keine Anwendung. Dies gilt insbesondere auch dann, wenu mehrere lebenslange Freiheitsstrafen oder mehrere Todesstrafen untereinander oder eine Todesstrafe mit einer Freiheitstrafe zusammentrifft. Die genannten Strafen sind dann eben einfach nebeneinander zu erkennen.2) Doch wird der Grundsatz der Häufung auch hier nicht rein durchgeführt. 1. So ist zwar auf G e l d s t r a f e n , welche wegen mehrerer strafbarer Handlungen allein oder neben einer Freiheitsstrafe verwirkt sind, ihrem vollen Betrage nach zu erkennen; allein bei Umwandlung derselben in Freiheitsstrafe dürfen zwei J a h r e G e f ä n g n i s und, wenn die mehreren Geldstrafen nur wegen Übertretungen erkannt sind, drei M o n a t e H a f t nicht überschritten werden 8 ) (StGB. §. 78 vgl. mit §. 29). ') Im Falle des §. 79 StGB, ist eine Z u s a t z strafe auszusprechen. ') Für die richtige Ansicht die Rechtsprechung in Preuisen and Bayern, Bg Grundrifs 173, M 602, 0 400, S 199, S c h ü t t e Z III 93; dagegen B 394, H I 688, L 88, Ml 366, W 286, T h o m s e n GS XXXI 327, sowie die österr. Rechtsprechung. ') Diese Grenze mufs auch dann eingehalten werden, wenn die
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§. 75. Bestimmung der Strafe bei Zusammentreffen.
2. D i e A b e r k e n n u n g d e r b ü r g e r l i c h e n E h r e n r e c h t e und der Ausspruch der „ Z u l ä s s i g k e i t v o n P o l i z e i a u f s i c h t " ist zwar neben der Gesamtstrafe zulässig oder geboten, auch wenn sie nur neben der Verurteilung zu einer der zusammentreffenden Einzelstrafen zulässig oder geboten sind 4 ) (StGB. §. 76); aber das fiir diese Nebenstrafen an sich vorgezeichnete Höchstmafs darf auch neben der Gesamtstrafe nicht überschritten werden. IV. Aber auch innerhalb des Gebietes der zeitigen Freiheitsstrafen erleidet der Grundsatz der Gesamtstrafe wesentliche Einschänkungen. 1. Trifft H a f t mit einer andern Freiheitsstrafe zusammen, so ist auf die erstere g e s o n d e r t zu erkennen. — Auf eine mehrfach verwirkte Haft ist ihrem Gesamtbetrage nach, jedoch nicht über die Dauer von drei Monaten zu erkennen (StGB. §• 77). 2. Trifft F e s t u n g s h a f t nur mit Gefängnis zusammen, so ist auf jede dieser Strafarten gesondert zu erkennen. Ist Festungshaft oder Gefängnis mehrfach verwirkt, so ist hinsichtlich der mehreren Strafen gleicher Art so zu verfahren, als wenn dieselben allein verwirkt wären. Doch darf die Gesamtdauer der Strafen in diesen Fällen fünfzehn Jahre nicht übersteigen (StGB. §. 75). V. Abweichende Bestimmungen finden sich vielfach in den Nebengesetzen. Uan vgl. z. B. Braumalzgesetz vom 4. Juli 1868 §. 36, Gewerbeordnung §. 150 u. a. Ganz eigentümlich das Spielkartenstempelgesets yom 3. Juli 1878, welches in mehreren Strafdrohungen die Strafe nach der Zahl der einzelnen feilgehaltenen, erworbenen, gebrauchten usw. Spiele bemifst, während §. 8 des Reichsstempelabgabengesetzes vom 1. Juli 1881 die Geldstrafe so bestimmt, dafB sie „mindestens zwanzig Jlark für jedes stempelpflichtige Schriftstück" beträgt. Nach Handelsgesetzbuch Art. 849 f tritt Geldstrafe von zehn bis dreifsig Mark für jede der widerrechtlich zur Ausübung des Stimmrechts benutzten Aktien ein. Das Branntweinsteuergesetz vom 24. Juni 1887 bestimmt in §. 33: „Im Falle mehrerer oder wiederholter Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz, mehreren Geldstrafen wegen Vergehen erkannt sind, aber ausnahmsweise (oben §. 73 I 2) in Haft umgewandelt werden sollen. So R 27. Januar 82 V 872, 2. Januar 83 V I I 368. *) Es kann daher Aberkennung der bürgerl. Ehrenrechte neben Gefängnis nach §. 32 StGB, nur dann ausgesprochen werden, wenn eine der Einzelstrafen drei Monate erreicht.
§. 76. Die Strafaufhebungsgründe im allgemeinen.
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-welche nur mit Ordnungsstrafe bedroht rind, soll, wenn die Zuwiderhandlungen deraelben Art sind und g l e i c h z e i t i g entdeckt werden, die Ordnung*«träfe . . . nur in einmaligem Betrage festgeaetat werden". Ganz ähnlich andre Steuergesetze.
IV. Der Wegfall des staatlichen Strafanspruchs. §. 76.
Die Strafaufhebungsgründe im allgemeinen.
Litterstar. Bg 1808. — Zu II: Geyer GA U l i 161. Walther GS XIX 268. Lueder GS XXIX 401. K r o n e c k e r GA XXVIII 90. S t o o f s Vermögensstrafen 1878. Ortloff GA XXXTTT 909 (Z VII786). — Zu III: F o r n e t GS XII, Geyer GS XXI 1 (Kl. Schriften 818), Dinding bei Grünhut I I 686, insbesondre aber Herzog Rücktritt vom Versuch 188. Über das römische .Recht Pernice Labeo II 47. Strafaufhebungsgründe sind solche nach B e g e h u n g einer strafbaren Handlung eintretende Umstände, w e l c h e n das p o s i t i v e R e c h t die W i r k u n g b e i l e g t , d e n b e r e i t s e n t s t a n d e n e n S t r a f a n s p r u c h zu v e r n i c h t e n . Ihr Wesen tritt am deutlichsten hervor in der Strafverbüfsung welche als Leistung und mithin als Tilgung des Anspruchs erscheint. Sie wirken stets nur zu Gunsten desjenigen, in dessen Person sie eintreten, ohne die Strafbarkeit der That zu beseitigen (oben §. 54 I Q 3). Soweit durch prozessualische Handlungen, wie durch Vergleich im Sühneverfahren, durch Rücknahme desgestellten Antrages oder der Privatklage, durch rechtskräftige Entscheidung über den erhobenen Anspruch usw., die Tilgung (Konsumtion) des Strafantrags herbeigeführt wird, kommt die Darstellung dieser Strafaufhebungsgründe unzweifelhaft dem S t r a f p r o z e f s r e c h t e zu. Als dem materiellen Strafrecht angehörige Strafaufhebungsgründe werden regelmäfsig angeführt: 1. der Tod des Schuldigen; 2. tbätige Reue; 3. Begnadigung; 4. Veijährung. Allein nur die beiden letzten können als allgemeine Strafaufhebungsgründe festgehalten werden, während" der thätigen Reue nur ausnahmsweise straftilgende Wirkung von unserer Gesetzgebung verliehen wird und der Tod des
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§• 76. Die Strafaufhebungsgründe im allgemeinen.
Schuldigen überhaupt nicht zu den Strafaufhebungsgründen, sondern nur zu denjenigen Umständen gerechnet werden kann, durch welche die Verfolgung und Vollstreckung für immer ausgeschlossen wird. II. Ans den Zwecken der Strafe folgt die höchstpersönliche Natur des Strafanspruchs. Während weder dem spätrömischen noch dem mittelalterlichen oder gemeindeutschen Rechte die Durchfuhrung des Strafverfahrens gegen den Verstorbenen bis zur Vollstreckung der Strafe an dem Leichname oder bis zur Hinrichtung im Bilde (in effigie) widerstrebte, während noch Wissenschaft und Gesetzgebung der Aufklärungszeit den Namen des Verstorbenen an Galgen oder Schandsäule anschlagen liefs (Josephinisches StGB. 1787 §. 17), hemmt nach unserer heutigen Auffassung der Tod des Schuldigen nicht nur das Feststellungs-, sondern auch das Vollstreckungsverfahren. Dafs der Strafanspruch durch den Tod getilgt werde, der Tod mithin Strafaufhebungsgrund sei, läfst sich nicht behaupten, wenn man nicht mit den Worten spielen will.1) Von einem Wegfall des Strafanspruchs infolge des Todes des Schuldigen könnte nur so weit gesprochen werden, als damit die Unmöglichkeit der Vollstreckung gegeben ist. Davon kann aber den rechtskräftig erkannten Vermögensstrafen gegenüber keine Rede sein. Nur aus dem Strafzwecke kann die höchstpersönliche Natur des Strafanspruchs abgeleitet und damit die Forderung begründet werden, dafs die Strafe die P e r s o n des Schuldigen treffe. Da das heutige Recht im allgemeinen diese Auffassung durchaus teilt, ist es eine nicht zu billigende Ausnahme, wenn das StGB, in g. 30 die V o l l s t r e c k u n g von G e l d s t r a f e n in d e n N a c h l a f s anordnet, sofern das Urteil bei Lebzeiten des Verurteilten rechtskräftig geworden war.") III. Der sog. t h ä t i g e n R e u e , welche zur Zeit des gemeinen Rechts (Sachsen 1672 IV 16, Preufsen 1685 u. a.) vielfach die Anwendung der ordentlichen Strafe ausschlofs, legt unsere Gesetzgebung nur ausnahmsweise und in durchaus willkürlicher Weise die Bedeutung eines Strafaufhebungsgrundes bei. Sie will in diesen Fällen dem Verbrecher die Möglichkeit des Rückzuges offen lassen, und so das durch ihn be') So freilich die gemeine Meinung; neuerdings Bg I 811, der sich aber 812 dem 80 StGB, gegenüber mit aer Annahme eines „publizistischen Forderungsrechtes" gegen den Nachlafs hilft und S. 813 Zeile 8 die im Text vertretene Ansicht im wesentlichen annimmt. Richtig B e n n e c k e 275 Note 6. *) Ebenso 1. 20 D. 48, 2, das gemeine Recht und die meisten neuem Gesetze. Die richtige Auffassung vertreten das französisch-belgische Recht, die Niederlande, Italien, der russische Entwurf, während Ungarn and die österreichischen Entwürfe dem deutschen StGB, folgen. Die grofse Mehrzahl der Kriminalisten hat sich gegen die Bestimmung des 8. 30 erklärt; dieselbe wird jedoch gebilligt von W 300, W e i f s m a n n Hanptintervention (1884) 43 Note 5, N i f s e n Einziehung 9, B i e r l i n g Z I 279 u. a.
§. 77. Die Begnadigung.
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drohte Rechtsgut vor Verletzung überhaupt oder doch vor gröfserer Verletzung schützen. Aufser dem bereits besprochenen R ü c k t r i t t e vom V e r s u c h e gehören hierher: 1. Widerruf der fahrlässigen falschen Aussage, StGB. §. 163; 2. Abstehen vom Zweikampfe und Bemühung um Verhinderung desselben, StGB. §§.304 und 209; 3. rechtzeitiges Löschen des bereits ausgebrochenen Brandes. StGB. §. 310. Dagegen hat die Reichsgesetzgebung dem Ersätze des Schadens bez. der Rückgabe des Entwendeten bei den Eigentumsdelikten die straftilgende Wirkung, welche andre Rechte (so noch Österreich 1862, Sachsen 1668 sowie die Österreich. Entwürfe) in beachtenswerter Weise ihr einräumten, versagt. Die thätige Reue kann demnach einen Anspruch auf die Bedeutung eines allgemeinen Strafaufhebungsgrundes nicht erheben. IV. Verschieden von den Strafaufhebungsgründen sind die Strafausschliefsungsgründe: dort wird der bereits entstandene Strafanspruch hinterher vernichtet, hier ist ein solcher überhaupt nicht entstanden. Unter den der einheitlichen Auffassung sich entziehenden Strafau8schliefsungsgründen heben sich diejenigen Fälle hervor, in welchen der Gesetzgeber wegen der Persönlichkeit des Thäters diesem gegenüber, aber auch nur ihm gegenüber, von der Bestrafung absieht, während er die That im übrigen als strafbar betrachtet. Ich spreche hier von „ p e r s ö n l i c h e n Strafausschliefsungsgründen". So bleiben nach StGB. §. 173 (Blutschande) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie straflos, wenn sie das 18. Lebensjahr nicht erreicht haben;*) so ist die persönliche Begünstigung nach §. 257 StGB, straflos, wenn sie dem Th&ter oder Teilnehmer von einem Angehörigen gewährt worden ist; das gleiche gilt von Diebstahl oder Unterschlagung gegen Verwandte absteigender Linie oder gegen Ehegatten (StGB. §. 247); auch StGB. §. 209 ist in diese Gruppe zu rechnen.
§. 7 7 .
Die Begnadigung.
Litteratnr. L u e d e r Das Souveränitätsrecht der Begnadigung 1860. v. A r n o l d Umfang und Anwendung des Begnadigungsrechtes 1860. H e i n z e HH II 629. V a s s a l l i Krit. Untersuchungen über da« Begnadigungsrecht 1867. A r n d t Das Verordnungsrecht des Deutschen Reiches 1884 S. 286. L o e b Begnadigungsrecht 1881 (Z I 366). E l s a s Uber das Begnadigungsrecht 1688. S e u f f e r t WV I 147. L a b a n d Staatsrecht II 479 (2. Aufl.). L ö w e Kommentar zur StPO. (zu Titel 2 GVG.). — Über Ministerbegnadigung B r i e WV II 496. Bg I 860. H I 722. v. J a g e m a n n HG I 106. — J. M e r k e l Die Begnadigungskompetenz im römischen Strafprozesse 1881 (Z I 603). L ö n i n g Z V 227. — K o h l e r Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz 1884 und dazu L ö n i n g Z V 187. I. Die Begnadigung ist Beseitigung der Straffolgen durch ») Bedenklich R 23. September 1889 XIX 391.
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§. 77. Die Begnadigung.
Verfugung der Staatsgewalt, also V e r z i c h t des StrafanspruchsBerechtigten auf den ihm erwachsenen Anspruch. 1 ) Sie soll dazu dienen, als „Selbstkorrektur der Gerechtigkeit", als „Sicherheitsventil des Rechts" (v. Ihering) den starren Verallgemeinerungeu des Rechts gegenüber den Forderungen der Billigkeit (freilich immer nur zu Gunsten des Verurteilten, nie umgekehrt) zur Geltung zu bringen; sie kann dazu dienen, einen (wirklichen oder vermeintlichen) Irrtum des Richters zu verbessern oder der Staatsklugheit auf K o s t e n des Rechts zum Siege zu verhelfen. Oem altera römischen Rechte und dem deutschen Mittelalter ist die Begnadigung in diesem Sinne fremd; die Thaidigung zwischen dem Verletzten und dem Verbrecher sowie die Ledigung dem Richter gegenüber (oben S. 44) tragen das Wesen privatrechtlichen Verzichts, und das „ Richten auf Gnade" (oben §. 70 Kote 1) gehört zur Strafzumessung. Und wenn dem Gehenkten das Leben geschenkt wird, weil der Strick zerrissen, oder wenn der arme Sünder dem Mädchen überlassen wird, das ihn zum Manne begehrt — so wird man auch darin keine Ausgleichung von Recht und Billigkeit erblicken wollen. Erst in der römischen Kaiserzeit wird das Begnadigungsrecht entwickelt, und mit der Aufnahme der fremden Rechte dringt es nach Deutachland herüber. Im 16. und 17. Jahrhundert wird es als landesfürstliches Regal von den Landesherren in Anspruch genommen und mehr and mehr nach öffentlich-rechtlichen Gesichtspunkten behandelt. Die Schriftsteller der Aufklärungszeit, von B e c c a r i a und F i l a n g i e r i (anders M o n t e s q u i e u ) bis auf K a n t und F e u e r b a c h , bekämpfen die Begnadigung lebhaft aber erfolglos. 1791 in Frankreich beseitigt, wird sie 1801 daselbst wieder eingeführt. Heute wird das Begnadigungsrecht der Krone von der deutschen Wissenschaft (anders O a r o f a l o , L o m broBO u. a.) an sich kaum in Zweifel gezogen, wenn auch eine zweckentsprechendere Regelung seiner Ausübung durch rechtliche Ausgestaltung als möglich und wünschenswert zugegeben werden mufs. I I . Die Begnadigung ist Beseitigung der R e c h t s f o l g e n des D e l i k t s , nicht der begangenen strafbaren H a n d l u n g ; diese kann daher später stets, insbesondre zur Begründung der Rückfallsstrafe in Betracht gezogen werden; vgl. S t G B . §§. 245, 250", 261, 264. Sie beseitigt nur die Straffolgen, nicht die privatrechtliche E r s a t z - und G e n u g t h u u n g s p f l i c h t , läfst also die Bufse unberührt. Sie kann die Straffolgen g a n z oder ') Unhaltbar ist die vielfach vertretene (H I 730, S 214 u. a.) Auffassung der Begnadigung als einer lex specialis. Vgl. dagegen E l s a s and L a b a n d .
§. 77. Die Begnadigung.
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t e i l w e i s e ausschliefsen, umfafst also Erlafs uiid Milderung der Strafe, sowie insbesondre auch die S t r a f u m w a n d l u n g . Durch Begnadigung kann mithin auch an Stelle der verwirkten eine andre Strafart treten, mag diese auch im Gesetze für in Frage stehende Vergehung nicht verwendet werden; ausgeschlossen aber sind Strafarten, welche (z. B. Prügelstrafe) dem Strafensystem der Reichsgesetzgebung fremd sind. Statt der Hauptstrafen kann eine Nebenstrafe (z. B. Polizeiaufsicht) bestimmt werden; aber auch Erlafs der Nebenstrafe ohne Erlafs der Hauptstrafe ist möglich. So kann die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte erlassen werden (sog. Restitution, vgl. oben §. 68 Note 3), nicht aber die von Rechtswegen eintretende E h r e n f o l g e der Verurteilung. V e r w a l t u n g s m a f s r e g e l n , wie die Unterbringung in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt, werden von der Begnadigung nicht berührt. Der Begnadigung im e. S. oder dem Verzicht auf die rechtskräftig erkannte Strafe steht die N i e d e r s c h l a g u n g der Strafverfolgung (Abolition) gegenüber. Diese ist Verzicht auf den noch nicht festgestellten, also möglicherweise gar nicht vorhandenen Anspruch, und schon darum verwerflich. III. Träger des Begnadigungsrechtes ist in allen Fällen (auch indem der Antrags- und Privatklagedelikte) der Staat, und zwar bald das Deutsche Reich, welches durch den Kaiser, bald die deutschen Einzelstaaten, welche durch ihr Landesherren bez. die Senate von Bremen, Hamburg und Lübeck das Begnadigungsrecht ausüben. 1. Dem K a i s e r steht das Begnadigungsrecht (nicht die Niederschlagung) zu in folgenden Fällen: a) Nach der StPO. §. 484 in Sachen, in welchen das Reichsgericht in erster und letzter Instanz erkannt hat (vgl. GVG. §. 136 Ziff. 1). Hierher gehören nicht nur Hoch- und Landesverrat gegen Kaiser und Reich, sondern auch die mit diesen zusammenhängenden Verbrechen; auch Versuch und Teilnahme, nicht aber, abgesehen von dem Falle des Zusammenhanges, Begünstigung und unterlassene Anzeige. b) Nach dem Gesetz vom 10. J u l i 1879 betr. die Konsulargerichtsbarkeit §. 42 in Sachen, in welchen der Konsul oder das Konsulargericht in erster Tnstanz erkannt hat. Das-
300
§. 77. Die Begnadigung.
selbe gilt bezüglich der Schutzgebietsgerichte nach §. 2 des Gesetzes vom 19. März 1888. c) I n Elsafs-Lothringen nach 3 des Gesetzes vom 9. Juni 1871 betr. die Vereinigung von Elsafs-Lothringen mit dem Deutschen Reiche. d) Hinsichtlich der Strafurteile der M a r i n e g e r i c h t e , sowie der von den R e i c h s v e r w a l t u n g s b e h ö r d e n erlassenen Strafverfügungen. a ) 2. In allen übrigen Fällen sind die Einzelstaaten Träger des Begnadigungsrechts. Doch ist die Niederschlagung in den meisten Bundesstaaten durch Verfassungsbestimmungen beschränkt oder beseitigt,*) und die Begnadigung überhaupt darf in manchen Fällen, so insbesondere in den Fällen der Ministeranklage, nur unter gewissen Voraussetzungen ausgeübt werden. 3. D a s Begnadigungsrecht über militärisch Verurteilte steht an sich dem K r i e g s h e r r n z u ; doch haben manche Landesherren bei Abschlufs der Militärverträge mit Preufsen sich die Begnadigung ihrer Untertlmnen in Bezug auf nicht militärische Delikte vorbehalten. D e r Ü b e r t r a g u n g des Begnadigungsrechtes seiner A u s ü b u n g nach steht das R S t G B . nicht im W e g e . 4 ) IV. Bei Zusammentreffen landesrechtlicher Begnadigungsanspriiche *) Nicht hierher gehört die Prisengerichtsbarkeit nach Vdg. vom 16. Februar 1889 6. 27, da hier ein Strafverfahren überhaupt nicht in Frage Bteht. Unrichtig L a b a n d I I 487. *) Vgl. insbes. S i e b e n h a a r Z VIII 466. Dafs die Abolition durch die Justizgesetzgebung überhaupt beseitigt sei, ist mehrfach behauptet worden; so von J o h n Komm, zur StPO. I 108; J a s t r o w GS XXXIV 632 (Z I I I 629); v. K r i e s Z V 12, D e r s e l b e Archiv für öffentl. Recht V 367 Note 13; B i n d i n g Grundrifs 190 (richtig dagegen Bg I 871), L 82, S t e n g l e i n Lehrbuch des Strafprozesses 18, B e n n e c k e 39 Note 14; dagegen mit Recht die gem. Meinung, insbes. B 334, Gl II 63, Hl 248, S i e b e n h a a r Z VIII 484, S e u f f e r t a. 0., L a b a n d I I 486, L ö w e zu §. 6 Einf.Ges. StPO., A r n d t 236, G. M e y e r Staatsrecht 446. E l s a s 96 nält Niederschlagung für unmöglich, sobald das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen nat. *) Vgl. RGes. vom 4. Juli 1879, durch welches der Kaiser ermächtigt wird, die Ausübung in Elsafs-Lothringen einem Statthalter zu übertragen; und dazu Verordnung vom 28. September 1886, welche dem Statthalter die Befugnis zum Erlafs von Geldstrafen und zur Gewährung der Rehabilitation überträgt. Vgl. auch für Preufsen Erlafs vom 16. Dezember 1881, nach welchem der LandwirtschaftsminiBter bei Forstübertretungen kleinere Geldstrafen bis zu 30 Mk. erlassen kann.
§. 78. Die Verjährung im allgemeinen.
301
untereinander ist davon auszugehen, dafs in Bezug auf Entstehung und Geltendmachung der Strafansprüche die deutschen Staaten zu einander in demselben Verhältnisse stehen, wie die verschiedenen Gerichte desselben Staates. Es kann dieser Satz geradezu als der Grundgedanke der heutigen Gerichtsverfassung Deutschlands bezeichnet werden. 1. Liegt ein r e c h t s k r ä f t i g e s U r t e i l vor, so hat derjenige Einzelstaat das Begnadigungsrecht, dessen Gericht in erster Instanz erkannt hat. Die nachträgliche Erkennung einer Gesamtstrafe nach StGB. §. 79 oder StPO. 493 hat nur insoweit Einflufs, als eine Herabsetzung der früher ausgesprochenen Strafen dem Umfang des durch das frühere Urteil begründeten Begnadigungsrechtes entsprechend vermindert wird. 2. "Werden durch e i n e strafbare Handlung mehrere gleichberechtigte Gerichtsstände in verschiedenen Staaten begründet, so entsteht durch Eröffnung der Untersuchung nach StPO. §. 12 ein ausschließliches Niederschlagungsrecht für denjenigen Staat, dem das eröffnende Gericht angehört.*) Frühere oder spätere Niederschlagung in einem andern Staate bleibt ohne rechtliche Wirkung. 3. Die Verbindung mehrerer zusammenhängender Strafsachen bei demselben Gerichte (StPO. §§. 4 und 13) begründet mit dem Augenblioke der Verbindung ein ausschliefsliches Niederschlagungsrecht bezüglich sämtlicher Strafsachen zu Gunsten desjenigen Staates, dem das betreffende Gericht angehört, frühere oder spätere Niederschlagung in einem andern Staat ist ohne rechtliche Wirkung. Bei nachträglicher Trennung leben die Niederschlagung9befugnisse der Einzelstaateu wieder auf.')
§. 78.
Die Verjährung im allgemeinen.
Litteratur. D a m b a c h Beiträge zur Lehre von der KriminalVerjährung 1860. A b e g g Verjährung rechtskräftig erkannter Strafen 1862. v. S c h w a r z e Bemerkungen zur Lehre von der Verjährung im Strafrechte 1867. H e i n z e H H I I 595. v. R i s c h GS XXXVI 241 (Z V 269) und Z IX 235. Bg I 816. H I 693. K o o p m a n n Die Verjährung im Strafrecht. Göttinger Diss. 1888. G a u t i e r Schweizer Zeitschrift I 443.
I. Wenn durch den Ablauf einer bestimmten Reihe von Jahren der privatrechtliche Anspruch aufgehoben oder die Rechtsfolgen einer strafbaren Handlung beseitigt werden, so liegt der Grund für diese Erscheinung und zugleich ihre innere Berechtigung nicht in einer mystischen, Recht erzeugenden oder *) Selbstverständlich nur unter der Voraussetzung dafs das Landesrecht überhaupt Niederschlagung zuläfst. ') Die Frage ist sehr bestritten. Näheres bei E l s a s . Bei L a b a n d finden die Schwierigkeiten nur teilweise Berücksichtigung.
302
§. 78.
Die Verjährung im allgemeinen.
Recht vernichtenden Kraft der Zeit, sondern darin, dal's die Rechtsordnung, welche nicht die folgerichtige Durchführung all* gemeiner Grundsätze, sondern die Verwirklichung praktischer Zwecke zur Aufgabe hat, der M a c h t d e r T h a t s a c h e n Rechnung trägt. Wohl wäre die Verfolgung und Bestrafung auch der kleinsten Übertretung noch nach einem Menschenalter an sich denkbar: aber die Wirkung, welche die Strafe auch in diesem Falle dem Thäter, dem Verletzten und allen übrigen gegenüber erzielen könnte, stände aufser allem Verhältnisse zu den Schwierigkeiten und Unsicherheiten, welche die Feststellung des Sachverhaltes bietet, zu dem störenden Eingriff in neubegründete, tiefgewurzelte und weitverzweigte Verhältnisse. Wozu noch strafen, wenn das Strafbedürfnis weggefallen ist ? J ) Die heutige Strafgesetzgebung räumt demnach aucli ausnahmslos nur mit vollstem Recht der Verjährung die Wirkung eines Strafaufhebungsgrundes ein; sie kennt sogar neben der Verjährung der verwirkten aber noch nicht rechtskräftig festgestellten Strafe (sogenannte „ V e r f o l g u n g s V e r j ä h r u n g " ) auch eine Verjährung der durch rechtskräftiges Urteil ausgesprochenen Strafe (sogenannte „Vollstreckungsverjährung - '). Vgl. S t G B . §. 66. I I . In ihren beiden Gestalten ist die Verjährung S t r a f a u f h e b u n g s g r u n d . Sie schliefst nicht nur die Verfolgung aus, sondern sie tilgt das staatliche Strafrecht. Als A n s p r u c h s Verjährung, nicht K l a g e Verjährung, gehört sie inhaltlich und ihrer Eigenart nach nicht dem Prozefsrecht au, sondern dem materiellen Recht. 4 ) ') Gegen die im Text vertretene Auffassung neuerdings Bg I 823, der sie, auf Grund der haltlosen und von ihm selbst nicht folgerichtig durchgeführten Unterscheidung von Strafrecht und Strafklagerecht, für .ein höchst bedenkliches Erzeugnis moderner Naturrechtslehre" erklärt, den Recbtsgrund der Verfolgungsverjährung in der „Beweisvergänglichkeit" erblickt, diesen seinen Grund „einem konsequent denkenden Recht" aufzwingt und so zu der Unmöglichkeit gelangt, die dem geltenden Kecht angehörende Vollstreckungsverjährung überhaupt zu begreifen: alles im Namen der allein positiv-rechtlichen „exakten Forschung". Vgl. dazu J 200, Ml 244, besonders aber v. R i a c h . Die Auffassung des Textes teilen im Wesentlichen B e r n e r , H ä l s c h n e r , v. M e y e r , R i s c h , sowie neuerdings K o o p m a n n 9. *) Dafs es sich um Anspruchsverjährung handelt, geben zu (abgesehen von den privatrechtlichen Schriftstellern, deren Ansicht B G B . 164, 177 aufgenommen hat) H e i n z e , v. W ä c h t e r , H ä l s c h n e r ,
§. 78. Die Verjährung im allgemeinen.
303
Aber sie tilgt nur die R e c h t s f o l g e n der That. Diese selbst vermag sie nicht aus der Welt zu schaffen. Auch die verjährte (wie die begnadigte) That kann mithin als Grundlage für die Annahme der Gewerbs- und Gewohnheitsmäfsigkeit oder des Rückfalls verwertet werden. III. Die Verjährung ist dem mittelalterlichen deutschen Strafrechte fremd. Auch in der Karolina finden wir sie mit keiner Silbe erwähnt. Da« römische Hecht kennt die Kriminalverjährang (abgesehen von den Privatdelikten) erst seit der lex Julia de adulteriis (736 oder 737 a. u.), welche für die von ihr mit Strafe bedrohten Verbrechen eine fünfjährige Verjährungsfrist einführte. Erst später finden wir (abgesehen von den Fleischesdelikten) allgemein in Bezug auf alle crimina publica die zwanzigjährige Verjährungsfrist ausdrücklich anerkannt. Unverjährbar waren auch nach spätrömischem Recht parricidium, suppositio partua und Apostasie. Erst im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts findet die Verjährung in den deutschen Staaten Eingang; so kennt sie Preufsen schon 16S0, 1666 wird sie in Niederösterreich als eine ganz neue, dem bayrischen Recht von 1616 entlehnte Einrichtung bezeichnet (bei Bartsch). Die gemeinrechtliche Wissenschaft erblickt den Rechtsgrund der Verjährung zumeist in der vermuteten Besserung des Verbrechers, der sich deshalb weder aus dem Lande geflüchtet, noch ein neues Verbrechen begangen, noch den Nutzen aus seiner That noch in den Händen haben darf. Vielfach wird bei den schwersten Verbrechen die Verjährung ganz ausgeschlossen. Der Kampf der gesamten Aufklärungslitteratur von v. C o c c e j i und B e c c a r i a bis auf F e u e r b a c h und H e n k e gegen die ihr unerklärliche Kriminalverjährung (Österreich hatte sie 1787 beseitigt, 1803 aber wieder eingeführt) endete damit, dafs nicht nur die Verjährung der Strafklage neuerdings anerkannt, sondern nach dem Beispiele der französischen Gesetzgebung von 1791 und 1808 auch die Verjährung der rechtskräftig erkannten Strafe in die neuere deutsche Gesetzgebung (zuerst Sachsen 1838; n i c h t Preufsen 1861 und Österreich 1862) aufgenommen wurde. Doch wurde bei Verbrechen, welche mit dem Tode oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht waren, mehrfach die Verjährung ausgeschlossen (so noch Österreich 1862). Die Reichsgesetzgebung folgt dem französischen Recht. S c h ü t z e , B e r n e r , S a m u e l y , G e y e r , v. K r i e s ( Z V 12). Dagegen sehen O 346, v. R i s c h , E i s l e r bei Grünhut XVII 610 in der Verjährung ein materiellrechtliches Institut, das aber in der positiven Gesetzgebung die Eigenschaft einer negativen Prozefsvoraussetzung erhalten hat. Die Doppelnatur der Verjährung betojjen auch Gl I I 49, 644, M 374, L ö w e zu StPO. §. 269 u. a. Sehr bestimmt im Sinne des Textes R 8. Oktober 86 XII 434.
304
§. 79. Die Verfolglingsverjährung.
§. 79.
Die Verfolgungsverjährung.
1. Die Strafklage verjährt ( S t G B . §. 6 7 ) : 1. bei V e r b r e c h e n in zwanzig Jahren, wenn sie mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthause; in fünfzehn Jahren, wenn sie im Höchstbetrage mit einer Freiheitsstrafe von einer längeren als zehnjährigen D a u e r ; ' ) in zehn Jahren, wenn sie mit einer geringem Freiheitsstrafe bedroht sind. 2. Bei V e r g e h e n in fünf oder drei Jahreu. je nachdem sie im Höchstbetrage mit einer längern als dreimonatlichen Gefängnisstrafe, oder aber mit einer mildern Strafe bedroht sind. Ist Geldstrafe angedroht, so beträgt die Frist immer nur drei Jahre, mag auch die ihr entsprechende Freiheitsstrafe drei Monate übersteigen. 3. Bei allen Übertretungen in drei Monaten. Für die Berechnung ist das Höchstmafs des Strafrahmens mafsgebend: im einzelnen gelten auch hier die oben §. 18 I I I aufgestellten Grundsätze. Besondre Verjährungsfristen finden sich in zahlreichen Nebengesetzen; so Wechselstempelgesetz vom 10. Juni 1869 §. 17 (fünf Jahre). Gewerbeordnung §. 145 (drei Monate), Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §. 164 (drei Jahre), Rübenzuckersteuergesetz vom 2. Mai 1870 [Verordn. von 1846 § 30] (fünf Jahre), Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §§. 33 ff. (drei Jahre bez. drei Monate), Braumalzsteuergesetz vom 31. Mai 1872 §. 40 (drei Jahre), Frefsgesetz vom 7. Mai 1874 §. 22 (sechs Monate), Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878 §. 20 (drei Jahre), Patentgesetz vom 25. Mai 1877 §. 38 (drei Jahre), Tabaksteuergesetz vom 16. Juni 1879 §. 45 (drei Jahre); Branntweinsteuergesetz vom 24. Juni 1887 (drei Jahre bez. ein Jahr), Zuckersteuergesetz vom 9. Juli 1887 §. 58 (ebenso). Vgl. auch Einf.Ges. zum StGB. §. 7, nach welchem Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Entrichtung der Branntweinsteuer, der Biersteuer und der Postgefalle in drei Jahren verjähren. I I . Der Fristeulauf b e g i n n t mit dem Tage, an welchem die Handlung begangen ist, ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des eingetretenen Erfolges (§. 67 Abs. 4). Die Handlung ist ') Hierher gehört auch die vom Gesetze vergessene Strafe der lebenslänglichen Festungshaft. Dagegen nur Bg 1 844, K o o p m a n n 26. Die richtige Ansicht beruht nicht, wie Bg irrtümlich annimmt, auf dem „in dubio mitius", sondern darauf, dafs diese Strafen in §. 67 Absatz 1 eben nicht erwähnt sind.
§. 79. Die Verfolgung«Verjährung.
305
aber in dem Augenblicke begangen, in welchem der Thäter durch Entfaltung der Naturkräfte wirksam geworden ist.*) Dagegen ist der Eintritt einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit (oben §. 43 Note 4) ohne Einflufs auf den Beginn der Verjährung. Doch kann unter Umständen das Ausstehen einer Bedingung der Strafbarkeit das R u h e n der Veijäbrung zur Folge haben. Aus dem Gesagten folgt, dafs die Verjährung der Anstifter- oder Gehilfenthätigkeit unabhängig von der That des Hauptthäters beginnt.*) Nach der ausdrücklichen Bestimmung in §. 36 Branntweinsteuergesetz vom 24. Juni 1887 (ebenso §. 68 Zuckersteuergesetz vom 9. Juli 1887) verjähren die den „Brennereibesitzer als solchen" treffenden Strafen (oben §. 59 Note 5) zugleich mit der Strafe des Thäters. Eine Summe von Einzelhandlungen, welche das Recht zur j u r i s t i s c h e n H a n d l u n g s e i n h e i t zusammenfafst (oben §. 66), ist auch in Bezug auf den Beginn der Verjährung als eine Einheit zu betrachten. So beginnt bei dem f o r t d a u e r n d e n Delikte und ganz ebenso bei dem f o r t g e s e t z t e n Verbrechen die Verjährung erst mit dem letzten Abschlüsse der verbrecherischen Thätigkeit; 4 ) dasselbe gilt von dem geschäfts-, gewerbs-, gewohnheitsmäßigen Verbrechen, während bei dem Z u s t a n d s v e r b r e c h e n (z. B. mehrfache Ehe) einzig und allein die verbrecherische Handlung selbst, nicht die Fortdauer des herbeigeführten Zustandes mafsgebend ist. Bei den U n t e r l a s s u n g s d e l i k t e n tritt der Beginn der Verjährung ein, sobald die Verpflichtung zu handeln aufhört. Die durchaus verfehlte Unterscheidung von eigentlichen und uneigentlichen Unterlassungsdelikten bleibt auch hier einflufslos. B e s o n d r e B e s t i m m u n g e n : Nach §. 100 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 beginnt die Verjährung mit dem Tage, an welchem das Schiff zuerst ein Seemannsamt erreicht. Beachtenswert Naohdruolugesetz vom 11. Juni 1870: nach §§. 33 und 37 beginnt die Verjährung des Nachdrucks sowie des durch unterlassene Quellenangabe begangenen Deliktes mit dem Tage der ersten Verbreitung, obwohl schon mit der a ) §. 67 Abs. 4 wird (mit Recht) getadelt von H e i n z e H H I I 617, Bg I 838, G l 197; gebilligt von H I 698, I I 383, W 308. E r wurde aufgenommen in die österr. Entwürfe, nicht aber von Ungarn und dem russischen Entwurf. Die herrschende Ansicht des gemeinen Rechts hatte allgemein crimen finitum als Anfangspunkt der Verjährung verlangt. *) Ebenso H I 700, M 384, W 308; dagegen die meisten, so Bg I 840, 0 369, B o r c h e r t Verantwortlichkeit für Handlungen dritter 66; R 30. Dezember 61 V 282, 24. Juni 84 XI 20, u. z. wegen der unselbständigen Natur der Teilnahme, die aber hier, wo der Erfolg einflufslos bleibt, nicht in Betracht kommen kann. Ebenso grundsätzlich R 3. März 84 X 204; Bg I 835; H I 617, I i 384; dagegen Bg I 837, G I 198, W 309, H e i n z e H H I I 617, K o h l e r Patentrecht 604.
T o n L l l i t , Strafrecht. 4. Aufl.
20
306
§. 80.
Die Vollstreckung* Verjährung.
Herstellung des ersten Exemplares nach §. 22 das Vergehen vollendet war. Die Verjährung der Wechselstempelhinterziehungen beginnt nach §. 17 des Gesetzes vom 10. Juni 1869 mit dem Tage der Ausstellung des "Wechsels.
III.
D i e Verjährung wird
Handlung des R i c h t e r s , gegen
unterbrochen
den Thäter gerichtet ist ( S t G B . §. 68).
StPO.
durch
jede
welche wegen der begangenen That
in den §§. 453 und 549
Doch hat die
auch der polizeilichen
Straf-
verfolgung und dem Strafbescheide der Verwaltungsbehörden die unterbrechende Wirkung beigelegt. gesetz
vom
10. Juni
1869
§.
Nach dein Wechselstempel-
17 unterbricht jede
amtliche
Handlung die Verjährung. Nur gegen den Thäter a l s T h ä t e r gerichtete Handlungen unterbrechen die Verjährung; es genügt also nicht die Vorladung als Zeugen, selbst wenn der Vorgeladene sich bei dieser Gelegenheit schuldig bekennt und darum nicht beeidet wird. D i e Unterbrechung findet nur rücksichtlich desjenigen statt, auf welchen die Handlung sich bezieht. Mit der Unterbrechung beginnt eine neue Verjährung. IV.
D i e Verjährung r u h t ( S t G B .
69). wenn der Be-
ginn oder die Fortsetzung des Strafverfahrens von einer Vorfrage abhängig ist, deren Entscheidung
in einem andern Ver-
fahren erfolgen mul's.5) V.
Wirkung
der Verjährung
ist
die
Strafanspruchs, nicht die des Verbrechens.
Beseitigung
des
Eben darum kann
die Verjährung gegenüber einem von mehreren Teilnehmern eingetreten sein, während die übrigen noch strafbar sind.
§. 80. I.
Die Vollstreckungsverjährung.
Die Vollstreckung rechtskräftig
erkannter Strafen ver-
jährt ( S t G B . §. 70): a)
wenn
auf Tod
oder lebenslängliches
Zuchthaus
oder
lebenslängliche Festungshaft erkannt ist, in dreifsig Jahren; b ) wenn auf Zuchthaus oder Festungshaft von mehr als zehn Jahren erkannt ist, in zwanzig Jahren; c) wenn auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder Festungs' ) Man vgl. §§. 164, 170-172, 191, 237, 238 StGB.
307
§. 80. Die VolUtreckungsverjährung.
haft von fünf bis zu zehn Jahren oder Gefängnis yon mehr als fünf Jahren erkannt ist, in fünfzehn Jahren; d) wenn auf Festungshaft oder Gefängnis yon zwei bis zu fünf Jahren oder auf Geldstrafe von mehr als sechstausend Mark erkannt ist, in zehn Jahren; e) wenn auf Festungshaft oder Gefängnis bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe von mehr als hundertundfiinfzig bis zu sechstausend Mark erkannt ist, in fünf Jahren; f) wenn Haft oder auf Geldstrafe bis zu hundertundfünfzig Mark erkannt ist, in zwei Jahren. 1 ) I I . Die Verjährung b e g i n n t mit dem Tage, an welchem das Urteil rechtskräftig geworden ist (StGB. §. 70). I I I . Die Verjährung wird u n t e r b r o c h e n durch jede auf Vollstreckung der Strafe gerichtete Handlung derjenigen Behörde, welcher die Vollstreckung obliegt, sowie durch die zum Zwecke der Vollstreckung erfolgende Festnahme des Verurteilten. Nach der Unterbrechung der Vollstreckung der Strafe beginnt eine neue Verjährung (StGB. §. 72). IV. Die Vollstreckung einer wegen derselben Handlung neben einer Freiheitsstrafe erkannten Geldstrafe veijährt nicht früher als die Vollstreckung der Freiheitsstrafe (StGB. §. 71). Ebenso verjähren auch die übrigen Nebenstrafeu, soweit sie überhaupt zur Vollstreckung gelangen, mit der Hauptstrafe. Eine Ausnahme stellt das Gesetz für die zeitigen Nebenstrafen an der Ehre (StGB. §. 36) und für die Nebenstrafe der Polizeiaufsicht (StGB. §. 38) auf. Bei beiden beginnt die Wirkung des gerichtlichen Erkenntnisses gerade mit der Verjährung der Hauptstrafe. Dasselbe gilt von der nach §. 3 Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 eintretenden Nebenfolge der Verurteilung. V. Soweit die Nebengesetze, wie dies insbesondre in den Zoll- und Steuergesetzen der Fall ist, die Verfolgungsverjährnng ausdrücklich regeln ohne die Vollstreckungsverjährung zu erwähnen, mufs diese letztere all ausgeschlossen betrachtet werden. Dasselbe gilt im gleichen Falle für die der Landesgesetzgebung überlassenen Gebiete (oben §. 16 Note 1). ') Hierher mufs auch der vom Gesetzgeber vergessene Verweis gerechnet werden. 20*
Besondrer Teil. §.81.
Übersicht des Systems.
Litteratur. v. L i s z t Z VIII 133. Vgl. die oben zu §. 3 angeführten Abhandlungen.
I. Den natürlichen, heute allgemein in den wissenschaftlichen Darstellungen des Strafrechtes verwendeten E i n t e i l u n g s g r u n d des besondern Teiles unserer AVissenscliaft bildet die A'erschiedenheit des durch die Strafe geschützten, durch das Delikt bedrohten H e c h t s g u t e s , also jener I n t e r e s s e n , welche rechtlichen und zwar strafrechtlichen Schutz durch die Gesetzgebung geniefseu. Rechtsgut als Gegenstand des Rechtsschutzes ist in letzter Linie stets d a s m e n s c h l i c h e D a s e i n in seinen verschiedenen Ausgestaltungen (oben §. 3 Note I). Dieses ist d a s Rechtsgut, d. h. der Kern aller rechtlich geschützten Interessen. Das menschliche Dasein aber erscheint entweder als das Dasein des als E i n z e l w e s e n betrachteten Menschen oder als Dasein des Einzelnen in der G e s a m t h e i t der Rechtsgenossen. Alle durch das Arerbrechen angegriffeneu, durch das Strafrecht geschützten Interessen zerfallen demnach in R e c h t s g ü t e r d e s E i n z e l n e n und in R e c h t s g ü t e r d e r G e s a m t h e i t . II. R e c h t s g i i t e r des E i n z e l n e n . AVenn das Dasein des Einzelwesens Gegenstand des Rechtsschutzes sein soll, so bedeutet das: die Rechtsordnung als Friedensordnung gewahrleistet dem Einzelnen die u n g e s t ö r t e Bethätiguug seiner Eigenart. Das ist das oberste
§. 81. Übersicht de« System«.
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Rechtsinteresae d e s E i n z e l n e u , das Rechtsgut desselben. Aus der verschi ednen Richtung dieser Bethätigung mufs sich die E i n t e i l u n g d e r R e c h t s g ü t e r d e s E i n z e l n e n ergeben. Der Schutz ungestörter Bethätigung der Eigenart schliefet in sich e r s t e n s als die Voraussetzung aller menschlichen B e thätigung den Schutz des k ö r p e r l i c h e n L e b e n s , der leiblichen Unversehrtheit. Diese bildet demnach das erste und wichtigste aller Rechtsgüter des Einzelnen. E r umfafst weiter alle diejenigen Richtungen der B e thätigung, welche als höchstpersönliche Aufserungen des Individuums untrennbar mit diesem verbunden sind. W i r gewinnen damit eine zweite grofseGruppe von Interessen, welche als u n k ö r p e r l i c h e ( i m m a t e r i e l l e ) R e c h t s g ü t e r zusammengefafst werden können. Hierher gehören etwa folgende Rechtsgüter: 1. die persönliche Geltung im Kreise der Rechtsgenossen (die E h r e ) ; 2. die persönliche F r e i h e i t ; 3. die freie Verfügung über den eigenen Leib im geschlechtlichen Verkehr ( G e s c h l e c h t s e h r e ) sowie die Wahrung des s i t t l i p h e n G e f ü h l s ; 4. die F a m i l i e n r e c h t e ; 5. die ungestörte Bethätigung des r e l i g i ö s e n L e b e n s ; 6. das freie Schalten und Walten in Haus und Hof ( H a u s r e c h t ) sowie die Wahrung des persönlichen und geschäftlichen Lebens vor unberufenem Eindringen ( B r i e f g e h e i m n i s usw.); 7. das Bewufstsein, in allen Richtungen der Bethätigung des Schutzes der Friedensordnung gewifs sein zu dürfen ( R e c h t s f r i e d e n ) . Den unkörperlichen Rechtsgütern stelle ich eine d r i t t e , von ihnen in jeder Beziehung verschiedne Gruppe von Interessen des einzelnen gegenüber: die der V e r m ö g e n s r e c h t e . Ihr Unterschied von jenen ist mit dem Hinweise gekennzeichnet, dal's sie n i c h t höchstpersönliche, mit dem Einzelwesen untrennbar verbundene Interessen desselben sind: die in den Vermögensrechten stofflich gebundene Bethätigung des einzelnen begründet für diesen eine Herrschaft über Sachen oder Personen, welche von ihm losgelöst, auf andre übertragen, in Geld abgeschätzt werden kann. In den Vermögensrechten tritt die Persönlichkeit des Berechtigten gänzlich zurück: das Rechtsgüt
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§. 81. Übersicht de* Systems.
des Eigentums ändert Bein Wesen nicht, wenn es von dem A. auf den B. übertragen wird. Dieser ihrer Eigenart entpricht der hochentwickelte, durchaus nicht nur in Verboten sieb erschöpfende [Rechtsschutz, welchen die Rechtsordnung den Vermögensrechten gewährt. Zwischen die rein unkörperlichen Rechtsgüter und die Vermögensrechte tritt nun aber, den Übergang von den einen zu deu andern vermittelnd, noch eine vierte besondre Gruppe rechtlich geschützter Interessen, welche Gar eis, Kohl er u. a. in sehr bezeichnender Weise „Individualrechte" genannt haben.1) Es ist die selbstthätige, schaftende Individualität, die höchstpersönliche Eigenart des bildenden Künstlers, des forschenden Gelehrten, des erfindenden Gewerbsmannes, welche in ihnen rechtlichen Schutz verlangt. Insoweit berühren sich die Individualrechte mit den rein unkörperlichen Rechtsgütern. Aber sie fallen doch mit diesen nicht gänzlich zusammen. Der künstlerische Gedanke bedarf der F o r m , um sich darzustellen; nur an und in dem S t o f f äufsert sich die Schaffenskraft des Geistes. Mit dieser Versinnlichung des schöpferischen (Wankens ist aber die Möglichkeit einer wenn auch nur teilweisen Loslösuug desselben von seinem Urheber, eine wenn auch unvollständige Übertragung au andre, eine wenn auch ganz ungenügende Abschätzung in Geld möglich. Das von mir verfafste Werk kann ich als H a n d s c h r i f t dem Verleger zur Vervielfältigung übertragen, die N i e d e r s c h r i f t meiner Oper einer Theaterleitung zur Auffüllung überlassen. Durch diese Übertragbarkeit nähern sich die Individualrechte den Vermögensrechten, ohne ganz mit ihnen zusammenzufallen.3) so dafs die Aufstellung einer besonderen Gruppe zur systematischen Notwendigkeit wird. ') Gar eis Eucyklopädie 79 Note 1 hat die Litteratur zusammengestellt. Gegen Begriff und Bezeichnung erklären sich M 781, U1 337, v. I h e r i n g Rechtsschutz gegen injuriöse Rechtsverletzungen Dogmat. Jahrb. XXIII 155 (Abschnitt X). Im Sinne des Textes wird der Ausdruck „Individualrecht" gebraucht vom II. Strafsenat 29. März 1881 IV 36 sowie vom I. Zivilsenat 2. Oktober 1886 XVIII 28 (der zivilr. Entscheidungen). *) San vergesse nicht, dass die Verwandlung des Urheberrechtes in das Verlagsrecht, also eine wesentliche Umgestaltung, die Folge jeder Übertragung des erstem ist. Das Uarkenrecht kann überhaupt nicht von der Firma, welche durch die Harke bezeichnet wird, losgelöst, sondern nur mit dieser übertragen werden. Vgl. auch R 2. Juli 85 XII 327.
§. 81. Übersicht des Systems.
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W i r gewinnen hiermit folgende Einteilung der gegen Rechtsgüter des einzelnen gerichteten Verbrechen: 1. Verbrechen gegen Leib und Leben; 2. Verbrechen gegen unkörperliche Rechsgüter; 3. Verbrechen gegen Individualrechte; 4. Verbrechen gegen Vermögensrechte. Zu diesen vier Gruppen tritt eine fünfte: die durch die A r t , insbesondere durch das M i t t e l , nicht durch den G e g e n s t a n d des Angriffs gekennzeichneten Delikte: d e r M i f s b r a u c h staatlicher Einrichtungen sowie menschlicher Entdeckungen und E r f i n d u n g e n zur Bekämpfung rechtlich geschützter Interessen (oben §. 24 I I 4). Indem der Staat diese Handlungen mit Strafe bedroht und dadurch eine Gruppe eigenartiger Vergehungen schafft, stempelt er nicht etwa neue, bisher nicht vorhandene oder nicht geschützte Interessen zu neuen Rechtsgütern, sondern er vervollständigt die Rüstkammer der Waffen zum Schutze längst vorhandener und längst wenn auch ungenügend geschützter Rechtsgüter. Hierher gehören die gemeingefährlichen Verbrechen sowie der Mifsbrauch von Sprengstoffen einerseits, Waren-, Geld- und Urkundenfälschung anderseits. III. R e c h t s g ü t e r der G e s a m t h e i t . Hier können wir vier Gruppen unterscheiden: die Gesamtheit wird uns dargestellt durch den S t a a t als solchen; die Bethätigung, die Arbeit der Gesamtheit, durch die schützende und fördernde S t a a t s v e r w a l t u n g . Aber auch die K r a f t , welche das Ganze zusammenhält und die einzelnen Glieder in Bewegung setzt: die S t a a t s g e w a l t als Abstraktum wie in ihren Organen bedarf des rechtlichen Schutzes. Daneben bedarf die v ö l k e r r e c h t l i c h e Stellung des Staates mit den aus ihr sich auch für die einzelnen ergebenden Pflichten besonderer Betrachtung. Die strafbaren Handlungen gegen die Gesamtheit zerfallen demnach in folgende Unterabteilungen: 1. Delikte gegen den Staat (die politischen Delikte); 2. Delikte gegen das Völkerrecht; 3. Delikte gegen die Staatsgewalt; 4. Delikte gegen die Staatsverwaltung.
Erstes Buch.
Die strafbaren Handlungen gegen Rechtsgüter des einzelnen. Erster Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben. I. §. 82.
Die Tötung.
Begriff und Arten der Tötung.
Litteratur. K ö s t l i n Mord und Totschlag 1838. v. H o l t z e n d o r f f Das Verbrechen des Mordes und die Todesstrafe 1875. D e r s e l b e HH I I I 406. H I I 19.
T ö t u n g ist die Z e r s t ö r u n g des m e n s c h l i c h e n Lebens. I . G e g e n s t a n d der Tötuugshandlung ist der M e n s c h , das ist das vom Weibe geborne Lebewesen. Geborensein bedeutet aber ein selbständiges Dasein aufserhalb des Mutterleibes fuhren. Dieses Merkmal unterscheidet den Menschen" von der Leibesfrucht, die Tötung von dem Hauptfalle der sogenannten Abtreibung. Das selbständige Dasein beginnt nicht erst mit der völligen Loslösung des Kindes von der Mutter, auch nicht schon mit dem Anfange der Ausstofsungsbewegungen (den „Wehen"), sondern mit dem Aufhören der fötalen PlazentarAtmung und dem Beginne der Atmung durch die Lungen;
§. 82.
Begriff und Arten der Tötung.
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Austritt der äufsern Atmungsorgane ist mithin unerläfslich, aber auch genügend, falls sie zur Lungenatmung geführt hat. Alles vom Weibe Geborne ist Mensch, auch die sogenannte M i l ' s g e b u r t , d. h. ein Lebewesen mit so regelwidriger Bildung, dafs das Fortleben unmöglich ist („Monstrum" im engern Sinn). 2 ) L e b e n s f ä h i g k e i t ist nicht erforderlich; an dem lebensunfähigen Neugebornen kann Tötung begangen werden, wie an demjenigen, der in den letzten Zügen liegt. II. Gegenstand der Tötung kann auch der Handelnde selbst sein, doch ist nach geltendem festländischen Recht nicht nur der S e l b s t m o r d selbst, sondern meist auch Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord straflos (oben §. 34 Note 6). Bestimmung eines nicht Zurechnungsfähigen erscheint als mittelbare Thäterschaft (oben §. 50 II). III. Die H a n d l u n g besteht in der Verursachung des Todes, sei es unmittelbar (occidere), sei es durch künstliche Veranstaltungen (mortis causam praebere). Das angewendete Mittel ist gleichgültig. Die Tötung braucht nicht durch unmittelbare körperliche Einwirkung, sie kann durch Erschrecken, Verhinderung des Schlafes usw. erfolgen. Doch schliefst das Dazwischentreten der freien und vorsätzlichen Handlung eines andern hier wie sonst die Verantwortung für den Kausalzusammenhang aus (oben §. 28 II). So ist vom Standpunkte des Kriminalisten Tötung nicht anzunehmen, wenn A durch fortgesetzte Kränkungen den B dazu treibt, sich den Tod zu geben. Dem Thun steht das Lassen vollkommen gleich, w e n n u n d ') Die Frage ist von grosser praktischer Bedeutung, da zwar fahrlässige Tötung, nicht aber fahrlässige Abtreibung unter Strafe gestellt ist. Die Ansichten gehen jedoch weit auseinander. Den Beginn der Wehen lassen entscheiden M 524, W e h r 1 i Eindesmord 94, M i t t e l s t e i n GS X X X I V 173, R 29. September 83 I X 131. Dagegen verlangen den Austritt irgend eines Körperteils aus dem Mutterleibe Bg I 220 Note 6, Ml. 308, 0 824, v. H o l t z e n d o r f f H H I I I 461, H o r c h Abtreibung 45, R 8. Juni 80 I 446. Die .richtige Ansicht bei O r t l o f f Kind oder Fötus? 1887. (Z V I I I 413). Über das Nähere vgl. die Lehrbücher der gerichtlichen Medizin. -) Ebenso H I I 21, O 769, v. H o l t z e n d o r f f H H III 413. Dag. M 511. Die Frage war schon im gem. Recht bestritten; überwiegend wurde bei „tierischer Gestalt" Tötung nicht angenommen (so im Anschluss an das römische Recht von D a m h o u d e r und J. S. F. B ö h m e r ) Preufsen 1721 gestattet die Tötung, wenn feststeht, dafs die Geburt mit keinem Verstände begabt sei.
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§. 83. Die vorsätzliche gemeine Tötung.
Geschichte.
s o w e i t die Verpflichtung zum Handeln besteht (oben §. 30 I I ) ; wenn die Mutter durch Nichtunterbindung der Nabelschnur oder durch Unterlassung der Ernährung deu Tod des Neugebornen veranlafst, so ist sie der Kindestötung schuldig. Hier wäre der Punkt, von dem aus die unterlassene Rettung Hilfsbedürftiger zu beurteilen w ä r e , w e n n die Gesetzgebung nicht nur eine Pflicht zur Rettung anerkannt, sondern auch bei unterlassener Rettung die Zurechnung des Erfolges angeordnet hätte. 3 ) I V . Das R S t G B . unterscheidet von der gemeinen Tötung die Tötung auf Verlangen und die Kindestötung. Die genieine Tötung ist eine vorsätzliche oder fahrlässige; die erstere entweder Mord oder Totschlag.
§. 83.
Die vorsätzliche gemeine Tötung.
Geschichte.
L i t t e r a t n r . H e r r l i c h Die Verbrechen gegen das Leben nach attischem Recht 1883 (Z V 196). L e i s t Gräko-italische Rechtsgeschichte 1884 (Z V 553). P a s s o w De crimine ßorkeiaaas 1886 (Z VII 696). B r u n n e n m e i s t e r Das Tötungsverbrechen im alt-römischen Recht 1887 (Z VII 656). — A l l f e i d Die Entwicklung des Begriffes Mord bis zur Karolina 1877. F r a u e n s t ä d t Blutrache und Totschlagssühne 1881 (Z I I 134). — W a c h e n f e l d Mord und Totschlag 1890. I. Schon das älteste römische Strafrecht fafst abweichend von den übrigen indo-germanischen Rechten die Tötung auf als ein gegen die öffentliche Rechtsordnung gerichtetes Verbrechen, dessen Verfolgung und Bestrafung der privaten Willkür entzogen wird (oben S. 32); der unmittelbaren körperlichen Tötung, dem caedere, stellt es schon in dem angeblichen Gesetze Numas die mittelbare Herbeiführung des Todes, das morti dare oder mortis causam praebere in der Bestrafung gleich (vgl. aber auch P e r n i c e Sachbeschädigung 148). Seit Sulla ruht das römische Recht über Tötungen auf der allerdings nach und nach sehr erweiterten Lex Cornelia de aicarÜB et veneficis (D. 48, 8; C. 9, 16), welche den Banditenmord sowie das Auflauern in mörderischer Absicht, die Vergiftung (mit ihren Vorbereitungsbandlungen), die mörderische Brandstiftung, die Bestechung eineB Richters oder eines Zeugen in einem ') StGB. § 360 Ziff. 10 bedroht mit Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mk. oder mit Haft denjenigen, welcher bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not, von der Polizeibehörde oder deren Stellvertreter zur Hilfe aufgefordert, keine Folge leistet, obgleich er der Aufforderung ohne erhebliche eigene Gefahr genügen konnte. Dieser Bog. „LiebesParagraph" entstammt dem ALR. 782, welches den Schuldigen mit Freiheitsstrafe bis zu 14 Tagen und mit Veröffentlichung seiner „Lieblosigkeit - ' bedrohte. Vgl. auch Strandungsordnung vom 17. Mai 1874 § 9.
g. 83.
Die vorsätzliche gemeine Tötung.
Geschichte.
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Kapitalprozesse und zahlreiche andre Fälle mit der Interdiktion bedrohte. S p ä t e r wurden die Vornehmen mit Deportation und Verlust ihres Vermögens, die Geringem mit dem Tode bestraft. Als besonders schwerer F a l l hob sich das parricidium in veränderter Bedeutung als Tötung der nächsten Verwandten hervor (Lex Pompeja von 699 a. u.; D. 48, 9; C. 9, 17), deren eigentümliche Strafe, seitdem Konstantin die Sitte der Vorfahren erneuert hatte, die Säckung mit Schlange, Affe, H u n d und Hahn, d e r culeus bildete. Seit Hadrian wird in der Bestrafung zwischen dem überlegten Vorsatze und dem impetus zu unterscheiden versucht. Dafs die fahrlässige Tötung als solche bestraft worden sei, ist unrichtig (oben §. 37 Note 1). I I . Das frühere d e u t s c h e M i t t e l a l t e r legt — ganz abweichend vom römischen Hecht — das Hauptgewicht auf die Unterscheidung innerhalb der Tötungsfälle. So wird neben dem Verwandtenmord (Lex Rib. 69, 2) und der Tötung mit Bruch eines besondern Treuverhältnisses (petit treason des englischen Rechts) besonders der Unterschied von M o r d und T o t s c h l a g betont. Mord ist die heimliche, hinterlistige, auf diebische A r t (furtivo modo) vollführte Tötung, gekennzeichnet durch die Verberguog des Leichnams; Totschlag die Tötung im offenen, ehrlichen Kampf, für welche einzustehen der Thäter sich nicht scheut. Mord wird mit wesentlich strengerer Strafe belegt als Totschlag.') Die Strafverfolgung des T o t s c h l ä g e r s liegt in den Händen der Sippe des Verletzten, wie früher die Blutrache; und bis tief in die Neuzeit hinein steht die Ledigung (Totschlagsühne) in dem Ermessen des Verfolgungsberechtigten, während gegen den flüchtigen M ö r d e r im Mordachtsprozefs die V e r f e s t u n g ausgesprochen wird. 2 ) Die Landfrieden haben vielfach den Totschlag ohne weitere Abstufung mit dem Tode bedroht. Aber noch in der zweiten H ä l f t e des Mittelalters findet sich vielfach die alte Auffassung wieder. Daneben aber dringt bereits die von den italienischen Juristen ausgebildete Unterscheidung von dolus praemeditatus und impetus in die deutschen Rechtsaufzeichnungen ein, mit dem deutsch-rechtlichen Unterschied sich verbindend und verschmelzend.") Im allgemeinen werden Mord und Totschlag auch in der Bestrafung unterschieden: f ü r jenen das R a d , f ü r diesen das Schwert (vgl. SSp. I I 13). ') Dreifaches Wehrgeld bei den F r a n k e n ; neunfaches bei Alemannen, Friesen, Bayern, Sachsen; bald auch, bes. in den Kapitularien, der Tod. S a l . 41, 2, R i b . 15. F r i s . 20. 2. A l a m . 49, 1. B a j . 19, 2. S a x . I I 6. C a p . 696 (Boretius 16). Vgl. G ü n t h e r Wiedervergeltong 182. s ) Noch in der Bambergensis, nicht in der PGO. Erhält sich dennoch landesrechtlich über das 17. J a h r h u n d e r t hinaus. Ausdrücklich noch Hamburg 1603. ») Im Anschluss an 1 11 § 2 D. 48, 19. Vgl. Glosse zum Sachsenspiegel, Stadtrechte von Strassburg 1249, F r a n k f u r t 1297. — Einteilung bei C l a r u s : 1. homicidium simplex. a necessarium, b casuale, c culposum, d dolosum. 2. homicidium deliberatum. a ex proposito, b ex insidiis, e proditorie, d per assassinium.
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§• 83-
Die vorsätzliche gemeine Tötung.
Geschichte.
I I I . Auf deutscher Rechtsanschauung beruht PGO. 137: . . . „Und also, dafs der Gewohnheit nach ein f ü r s e t z l i c h e r m u t w i l l i g e r M ö r d e r mit dem Rade, und ein ander, d e r e i n T o t s c h l a g a u s G ä h h e i t u n d Z o r n g e t h a n , . . . mit dem Schwert vom Leben zum Tod gestraft werden sollen. Und man mag in fürgesetztem Mord, so der an hohen trefflichen Personen, des Thäters eigenen Herrn, zwischen Eheleuten oder nahe gesippten Freunden geschieht, durch etlich Leibstraf, als mit Zangen reifsen oder AuBSchleiffung vor der endlichen Tötung um gröfserer Furcht willen die Strafe mehren". — Die Bedeutung dieses Artikels ist sehr bestritten. 4 ) Richtig ist folgendes. Die T ö t u n g i m A f f e k t ist Totschlag, d i e T ö t u n g m i t „ b e r a t e n e m M u t e " , d i e „ v o r g e s e t z t e " T ö t u n g ist Mord. Aber der impetus des spätrömischen Rechts und der mittelalterlichen Italiener, welchen Schwarzenberg offenbar verwertet, ist einerseits nicht gleichbedeutend mit dem „nicht überlegten" Tötungsvorsatze der heutigen Gesetzgebung; anderseits umfafst der Ausdruck Totschlag im Sinne der PGO. auch die Körperverletzung mit tödlichem Ausgange, ja auch die fahrlässige, 9elbst die schuldloszufällige Tötung. Die Vergiftung wird in Art. 130 besonders erwähnt. E s konnte nicht fehlen, dafs dieser wenig klaren Unterscheidung gegenüber das gemeine Recht vielfache Schwankungen aufwies. IV. Die gemeinrechtliche Wissenschaft pflegte, ohne sich viel um FGO. 137 zu kümmern, innerhalb des homicidium dolosum eine Anzahl von besonders schwer zu bestrafenden Mordfällen hervorzuheben. Regelmäfsig unterschied man: a) p a r r i c i d i u m , Verwandtenmord mit vielfachen Abstufungen in der Bestrafung (schon in Sachsen 1572 I V 3, ebenso Preufsen 1620 eingehend behandelt); b) h o m i c i d i u m p r o d i t o r i u m , Meuchelmord (bei Engau, Böhmer u. a.); c) 1 a t r o c i n i u m , Strafsenraub (nach Carpzov) oder Raubmord (lucri faciendi causa nach Koch, Engau, Böhmer); d) a s s a s s i n i u m , Banditenmord (nach der politisch-religiösen Sekte der schiitischen Mohamedaner, 1090 gestiftet, wird der Ausdruck seit dem 12. Jahrhundert gebräuchlich; assassinator ist der Auftraggeber, assassinus der Mörder; die einfache Zusage straft Preufsen 1620 als Totschlag); e) v e n e f i c i u m , der Giftmord. Daneben wurde noch das propricidium, der Selbstmord, besonders hervorgehoben (oben §. 34 Note 6). Frühzeitig beginnen die gesetzlichen Bestimmungen über das Vorliegen der Verursachung. Schon die sächsischen Konstitutionen I V 6 erwähnen den Irrtum in der Person. Auch die Tötung durch Unterlassung wird ausdrücklich geregelt. Der Begriff des Totschlages wurde unter Verwertung des dolus indirectus (oben §. 38 Note 8) auf diejenigen Fälle erweitert, in welchen nicht Tötungsvorsatz, sondern lediglich feindselige Absicht (der pravus animus Carpzovs) vorlag. So
' ) Vgl, über diesen Streit einerseits G ü t e r b o c k Entstehungsgeschichte der CCC. 233; anderseits B r u n n e n m e i s t e r Quellen der Bambergensis 249 Note 4. Hier weitere Litteraturangaben.
tj. 84. Die vorsätzliche gemeine Tötung. DM geltende Recht.
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schon Preufsen 1721 sowie in den StGBiichern für Österreich 1787 bis 1869 und im ALR. 806. V. Preufsen ALR. bedroht als Mörder mit der Strafe des Rades von oben herab denjenigen, der mit vorher überlegtem Vorsatz zu töten einen Totschlag wirklich begeht. Daneben werden besonders erwähnt der verabredete und der befohlene Mord (839,849), Banditenmord (864), Raubmord (856), Vergiftung (856), Verwandtenmord (873). Neue Bahnen schlugen der Code pénal sowie das bayrische StGB, von 1813 ein. Der erstere nennt Mord (meurtre) jede vorsätzliche Tötung; Meuchelmord (assassinat) den Mord mit Vorbedacht oder Hinterhalt (avec préméditation ou guet-apens). Bayern 1813 stellt Mord und Totschlag scharf gegenüber; ersteren kennzeichnet Vorbedacht beim Entschlaf! und Überlegung bei der Ausführung, letzteren die aufwallende Hitze des Zorns. Das englische Recht verwendet nach wie vor den vorbedachten Vorsatz (malice aforthougt) zur Unterscheidung von murder und manslaugter. VI. Für die heutige Gesetzgebung ist die Unterscheidung von Mord und Totschlag nur darum von Wert, weil sie ermöglicht, die Todesstrafe auf ein kleines Gebiet der Tötungen zu beschränken. Dabei wird regelmäfsig der Unterschied zwischen ü b e r l e g t e m und n i c h t ü b e r l e g t e m Tötungsvorsatz verwendet. So auch das RStGB. im Anschlufs an Frankreich 1810, Preufsen 1851. Doch haben die Entwürfe für Osterreich und Rufsland dieses von H a u s , v. H o l t z e n d o r f f u. a lebhaft bekämpfte Unterscheidungsmerkmal mit Recht ganz aufgegeben und dem Regelfalle der vorsätzlichen Tötung einerseits eine Reihe von erschwerten Fällen, anderseits die in heftiger Gemütsbewegung ausgeführte Tötung (Totschlag) gegenübergestellt.
§. 84.
Die vorsätzliche gemeine Tötung.
Das geltende Recht.
Litteratur. Wie zu §. 82 und 83. K r ä w e l GS XXXVH1 177. W a c h e n f e l d Die Überlegung in unserm heutigen Mordbegriff 1887. Göttinger Diss. (Z IX 678). I. Nach dem R S t G B . liegt M o r d vor (§. 211), wenn der Thäter die vorsätzliche Tötung m i t Ü b e r l e g u n g ; Totschlag ( § . 2 1 2 ) , wenn er sie n i c h t m i t Ü b e r l e g u n g a u s g e f ü h r t hat. Durch diese von dem preufsischen S t G B , abweichende und an das sächsische sich anschliefsende Fassung wollte der Gesetzgeber betonen, dafs das Schwergewicht auf der A u s f ü h r u n g liege und dafs eine Tötung, welche mit Überlegung beschlossen, aber ohne Überlegung ausgeführt wurde, nicht als Mord, sondern als Totschlag aufzufassen und zu bestrafen sei. Allein bei näherer Betrachtung stellt sich die Abweichung als
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§• M. Die vorsätzliche gemeine Tötung. Das geltende Recht.
durchaus unwesentlich dar. Überlegung ist ein Merkmal des Entschlusses, nicht aber des Vorsatzes (§. 27 Note 2 a. E.). Tn dem angenommenen Falle ist die Ausführung des frühern Entschlusses unterblieben, und die Tötung beruht in der That auf einem n e u e n , nicht überlegten Entschlüsse. Wir können demnach bestimmen: M o r d i s t d i e v o r s ä t z l i c h e ü b e r legte, T o t s c h l a g die v o r s ä t z l i c h e nicht ü b e r l e g t e Tötung.1) Die S t r a f e des Mordes ist der Tod; die des Totschlages Zuchthaus nicht unter fünf Jahren. Wenn von mehreren Beteiligten der eine mit, «lor andre ohne Überlegung gehandelt hat. so ist der erste des Morden, der andre des Totschlages schuldig. Anstiftung zum Mord kann als Totschlag strafbar sein und umgekehrt.*) TT. M i l d e r b e s t r a f t wird der Totschlag (StGB. 213), wenn der Thäter ohne eigne Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen (StGB. 52 Abs. 2) zugefügte Mifshandlung oder schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf (1er Stelle zur That hingerissen worden, oder wenn andre mildernde Umstände vorhanden sind. S t r a f e : Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Auch hier bleibt der Totschlag V e r b r e c h e n ; der Versuch ist daher strafbar (oben 25 I I I 2). „Mifshandlung und schwere Beleidigung" sind nicht im technischen Sinne zu nehmen, auch Ehebruch würde z. B. hierher gehören. — „Auf der Stelle" ist nicht örtlich oder zeitlich aufzufassen, sondern bedeutet die Fortdauer der durch die Kränkung hervorgerufenen heftigen Gemütsbewegung. — StGB. §. 213 stammt aus Code pénal Art. 321. Das übertrieben milde Mindestmafs von sechs Monaten Gefängnis ist erst während der parlamentarischen Beratung des BStGB. aufgenommen worden. Dadurch entsteht ein unlöslicher Widerspruch zu §§. 216 und 217, welche beide höhere Mindestmafse haben. ') Preussisches StGB. § 175: „Wer vorsätzlich und mit Überlegung tötet" . . . Ebenso die Mehrzahl der übrigen deutschen StGBücher. Daß die Fassung des BStGB. eine sachliche Änderung nicht bedeute, wird vom R mit der gem. Meinung bestritten. Richtig besonders H II 52 Kote 1. — Doch bleibt die Fassung des BStGB. selbstverständlich für die Fragestellung im schwurgerichthchen Verfahren sowie überhaupt für die Feststellung im Urteile mafsgebend. *) StGB. § 60 kann freilich als solcher nicht angewendet werden. Aber der ihm zu Grunde liegende Gedanke greift auch hier durch. Ebenso B 503, H I 439, M 281. Dagegen Ml 307, 0 236.
§. 86. Die fahrlässige gemeine Tötung.
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III. S c h w e r e r b e s t r a f t e Fälle: 1. Tötung b e i U n t e r n e h m u n g e i n e r s t r a f b a r e n H a n d l u n g ( S t G B . §. 214), um ein der Ausführung derselben entgegentretendes Hindernis zu beseitigen, oder um sich der Ergreifung auf frischer That zu entziehen. 2. Tötung eines V e r w a n d t e n a u f s t e i g e n d e r Linie ( S t G B . §. 215). Beide Bestimmungen sind dem Code pénal (Art. 304 and 302) entlehnt. — Die Strafe ist Zuchthaus von zehn bis zu fünfzehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Noch Preufsen 1861 hatte die Todesstrafe angedroht. — „Unternehmen" umfafst auch die VorbereitungBhandlungen (oben §. 46 Note 3).*) — Die unternommene Handlung mufs nach deutschem Recht, wenn auch nicht nach Reichsrecht, „strafbar" sein. — Das „um . . . zu" bezeichnet die Absicht als Beweggrund. — Den nicht verwandten Mitthäter oder Teilnehmer trifft die schwerere Strafe des § 215 nicht.
§. 85.
Die fahrlässige gemeine Tötung.
I Die f a h r l ä s s i g e T ö t u n g , dem römischen S t r a f r e c h t e auch nach Hadrian fremd, wird in den Quellen des deutschen Mittelalters und von den Italienern vielfach erörtert. So bringt Art. 146 PGO., mit seiner freien Ubersetzung von 1 9 § 4 und 111 proem. D. 9, 2, deutsche Rechtsanschauungen im römischen Gewände.1) I L S t G B . §. 222 setzt auf die fahrlässige Tötung Gefängnis bis zu drei Jahren; Gefängnis bis zu fünf Jahren trifft den Thäter, wenn er zu der von ihm aus den Augen gesetzten Aufmerksamkeit vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet war. Nach allgemeinen Grundsätzen (oben §. 28 I 2) wird die Zurechenbarkeit des Erfolges durch die mitwirkende Fahrlässigkeit eines Dritten oder des Getöteten selbst nicht berührt. "Wohl aber hebt das freie und vorsätzliche Handeln eines Zurechnungsfähigen die Verantwortlichkeit für den Erfolg auf. Beihilfe zum Selbstmord kann daher nicht als mittelbare Tötung aufgefafst werden. •) Ebenso G I I 6, H I I 45, O 833, v. H o l t z e n d o r f f H H I I I 441. Dagegen M 518 u. a. ') In Sachsen wird noch im 18. Jahrhundert im Anschlüsse an SSp I I 14, 1, I I 38, I I 40, 1, I I 65 und an die sächsischen Konstitutionen IV 11 bei fahrlässiger Tötung, wenn keine Verurteilung zu Leibesstrafe erfolgt, den verfolgenden Verwandten das W e h r ge ld gezahlt (20 Thaler für den Mann, 10 für die Frau). In den übrigen Teilen Deutschlands wird wohl auch eine actio legis Aquiliae utilis gegeben.
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§. 86. Die Kindestötung.
§. 86.
Die Kindestötung.
L i t t e r a t u r . J o r d a n Begriff und Strafe des Kindesmordes 1844. K u n z e Der Kindesmord 1860. v. K l e i s t Das Verbrechen der Kindestötung 1862. v. F a b r i c e Lehre von der Kindesabtreibung und vom Kindesmord 1868. W e h r l i Der Kindesmord 1889 (Z IX 679). d e F e y f e r Verhandeling over den Kindermoord 1866. — O r t l o f f Kind oder Fötus 1887. Die Lehrbücher der gerichtlichen Medizin. I. Die K i n d e s t ö t u n g , vom römischen Recht zu keiner Zeit besonders hervorgehoben, wird unter dem Einflüsse der Kirche im deutschen Rechte zu einem besondern, aber im Gegensatze zu den milden Bestimmungen derBufsbücher (welche bereits die Schande als den Beweggrund der unehelich Gebärenden bezeichnen und den Kindesmord bei den Fleischesdelikten behandeln) mit erschwerter Todesstrafe (Lebendigbegraben und Pfählen) bedrohten Verbrechen. Dies ist auch der Standpunkt der PGO. In Art. 131 bestimmte sie: „Welches Weib ihr Kind, das Leben und Gliedmafs empfangen hätte, heimlicher, boshaftiger, williger Weiss ertötet, die werden gewöhnlich lebendig begraben und gepfählt. Aber darinnen Verzweiflung zu verhüten, mögen dieselben Ubeltätherinnen in welchem Gericht die Bequemlichkeit des Wassers dazu vorhanden ist, e r t r ä n k t werden. Wo aber solche Übel oft geschehen, wollen wir die gemeldete Gewohnheit des V e r g r a b e n s u n d P f ä h l e n s um mehrerer Furcht willen solcher boshaftiger Weiber auch zulassen oder aber dafs vor dem Ertränken die Ubelthäterin mit glühenden Zangen gerissen werde." In der Rechtsprechung begnügte man sich in Oberdeutschland (wo vielfach, wie in Österreich, das Ertränken überhaupt nicht Sitte war) meist mit dem Schwert; anderswo, wie in Breslau (Z X 13) vollzog man die Pfählung bis ins 17. Jahrhundert thatsächlich, später bildlich. Sachsen wandte dagegen den culeus an (vorgeschrieben durch Const. Sax. IV 3; noch 1734), welcher 1714 auch in Preufsen eingeführt wurde, hier aber bald wieder verschwand. Frühzeitig aber (schon im Anfange des 18. Jahrhunderts)') bemächtigt Bich die naturrechtliche Litteratur der Untersuchung des Kindesmordes; ') Schon in L e y s e r s Meditationen. S e r v i n u. a. verlangen sogar völlige Straflosigkeit. Die 1780von D a l b e r g und M i c h a e l i s gestellte Preisfrage nach den besten Mitteln zur Verhütung des Kindesmordes rief dann eine ganze Flut von mehr oder weniger seichten Schriften hervor. Man vgl. msbes. die 1783 anonym erschienene Schrift von Pestalozzi: Über Gesetzgebung und Kindermord. Wahrheiten und Träume. Nachforschungen und Bilder. — Der Kindesmord ist zugleich Lieblingsvorwurf der schönen Litteratur jener Zeit. Über die siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts (insb. Schillers Kindesmörderin) vgl. Max K o c h Helferich Peter Sturz 1879 S. 210. Auf der gegnerischen Seite stand J . M o s e r (Abeken I 368, I I 164), welcher die Milde der neuern Gesetzgebung tadelte.
§. 86. Die Kindestötung.
321
sie macht eine Reihe von Milderungsamständen geltend, welche die Todesstrafe als angerecht erscheinen lassen and legt das Hauptgewicht auf die Vorbeugangsmittel. Bäsch folgt die Gesetzgebung; schon ein preafsisches Edikt yon 176S, dann die Theresiana von 1768, welche zwar noch Pfihlung des Leichnams vorschreibt, aber das Schwergewicht doch schon auf die Verhütung des Kindesmordes legt; in völlig bezeichnender Weise aber das ALR. von 1794, nach welchem (II 20, 903) die Mutter verpflichtet wird, ihre vierzehnjährige Tochter über die Kennzeichen der Schwangerschaft und die Unterbindung der Nabelschnur zu belehren. Doch finden wir hier noch immer dje Todesstrafe, die erst Österreich 1803 und Bayern 1813 beseitigen. Seither behauptet die Kindestötong in der deutschen Gesetzgebung (anders in .England und Frankreich) ihre bevorzugte Stellung, wobei eine Minderzahl von Gesetzgebungen (auch Österreich und die Niederlande sowie die französisch-schweizerischen Gesetzbücher) die eheliche Matter der unehelich Gebärenden grundsätzlich gleichstellt.
II. Kindestötung ist d i e v o r s ä t z l i c h e , sei es überlegte, sei es nicht überlegte T ö t u n g d e s u n e h e l i c h e n K i n d e s d u r c h d i e M u t t e r in o d e r g l e i c h nach der Geburt (StGB. §. 217). Der Ausdruck umfafst mithin sowohl den Kindesmord, wie den Kindestotschlag. Fahrlässige Tötung ist nach StGB. §. 222 zu bestrafen. III. Gegenstand der Tötung ist das Kind, nicht die Leibesfrucht (oben §. 82 Note 1). Und zwar das Kind entweder in der Geburt, d. h. von dem Beginn der Lungenatmung bis zur Lösung der physiologischen Verbindung mit der Mutter (Nabelschnur) oder g l e i c h nach der Geburt. Die mildere Behandlung der Kindestötung findet in diesem letztem Falle ihre zeitliche Grenze, sobald die Voraussetzungen wegfallen, von welchen der Gesetzgeber ausgegangen ist, sobald also der Zustand sein Ende findet, durch welchen die günstigere Stellung der Kindesmörderin bedingt ist.8) Der Grund für die mildere Behandlung der Kindestötung liegt aber einerseits in der Stärke der die unehelich Gebärende zur Tötung treibenden Beweggründe. anderseits in der durch den Gebärakt hervorgerufenen Verminderung der Zu*) Von der in der frühern Gesetzgebung sich findenden ziffermässigen Begrenzung hat das RStGB. mit Recht abgesehen. Zutreffend Z ü r i c h : .Während der Geburt oder noch in dem mit dem Gebartsakt verbundenen Zustand der Erregung." Vgl. auch die Bemerkungen zu Bayern 1813. — Bedenken gegen die Sonderstellung der Kindestötung bei G I I 8. TOD L i a i t , Stmfracht. «. Aufl. 91
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§. 87. Die Tötung auf Verlangen.
rechnungsfähigkeit (oben §. 35 N o t e 3). Ob diese Gründe eine soweit gehende Berücksichtigung verdienten, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist anzunehmen, dafs der Gesetzgeber den ersten dieser beiden Gesichtspunkte als den entscheidenden betrachtet, da der zweite in gleicher W e i s e auch bei der e h e l i c h Gebärenden zutreffen kann. Lebensfähigkeit des Kindes ist nicht erforderlich. D i e Ehelichkeit des Kindes ist ohne jede Rücksicht auf zivilrechtliche Präsumtionen zu bestimmen. D e r Irrtum der Kindesmutter über die Ehelichkeit bleibt einflufslos. 3 ) I V . S u b j e k t der Tötung kann nur die Mutter selbst sein. Aber nicht nur die unverheiratete, sondere auch die verheiratete F r a u , wenn sie unehelich gebiert. D i e mildere Behandlung der Kindestötung tritt ein, mag die Kindesmutter in der Form der Thäterschaft, mag sie in der Form der Teilnahme zu dem Eintritte des Erfolges mitwirken, während etwa beteiligte dritte (Thäter oder Teilnehmer) wegen gemeiner Tötung zu bestrafen sind (oben §. 54). V. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter drei Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter zwei Jahren. 4 ]
§. 87.
Die Tötung auf Verlangen.
L i t t e r a t n r . B ö h l a u GA V 489. M i t t e r m a i e r GA IX 433. A b e g g GA X I I I 387. O r t m a n n GA XXV 104. XXVI 195. W ä c h t e r GS XX 6. Vgl. auch GA XXXV 169 (Z VIII 397). I. Die Tötung des Verlangenden wird schon von der gemeinrechtlichen Wissenschaft des 18. Jahrhunderts lebhaft besprochen. K r e f s , B ö h m e r , E n g e l h a r d , später S o d e n u. a. verlangen mildere Bestrafung gegen C a r p z o v, M a t h ä u s , L e y s e r , W i l l e n b e r g . Preufsen 1721 läfst die volle Strafe des Totschlages eintreten. ALR. 834 dagegen bestraft sie wie Beihilfe zum Selbstmord, also wesentlich milder als die vor•) Ebenso Bg Normen I I 513. Dagegen G II 8, H I I 60, M 197, O 839, W e h r l i 70, K e s s l e r Einwilligung 103. Die richtige Ansicht ergibt sich aus der Erwägung, dafs sich der Irrtum der Thäterin nicht auf den Erfolg der Handlung, sondern auf das juristische Verhältnis zum Kinde bezieht. 4 ) Zu beachten ist, dafs nach StGB. § 367' die Beerdigung oder Beiseiteschaffung der Leiche eines neugebornen Kindes als Übertretung strafbar sein kann. Dagegen kennt das KStGB. das im Bpätern gemeinen Recht sich findende Vergehen der Verheimlichung der Schwangerschaft oder der Niederkunft nicht mehr.
§. 87. Die Tötung auf Verlangen.
323
sätzliche Tötung. Die Mehrzahl der Landes-StGBücher (nicht aber Preufsen 1851, Österreich 1862, Bayern 1861) folgt diesem Beispiele, wobei die Schwierigkeit, vielleicht Unmöglichkeit der Abgrenzung von der Beihilfe zum Selbstmord den Ausschlag gab. Die Bestimmung des RStGB. ist dem sächsischen Recht (schon 1865) entnommen. Ahnlich Ungarn, Holland sowie die meisten neueren Entwürfe. Die französische Rechtsprechung nimmt gemeine Tötung an (dagegen Chauvean). I I . N a c h R S t G B . §. 216 gehört hierher die vorsätzliche (überlegte oder nicht überlegte) Tötung, zu welcher der Thäter d u r c h d a s a u s d r ü c k l i c h e und ernstliche V e r l a n g e n d e s G e t ö t e t e n b e s t i m m t w o r d e n ist. Erforderlich ist das freie und bewufste Verlangen eines zurechnungsfähigen Erwachsenen. D e r Entschlufs zur T h a t mufs durch den Getöteten in dem Thäter hervorgerufen sein; Einwilligung genügt mithin nicht. Zweifel können entstehen, wenn der Entschlufs zu sterben (z. B . von einem unglücklichen Liebespaare) gemeinschaftlich gefafst und ausgeführt wurde, aber nur dem einen Teile gegenüber von Erfolg war. Irrige A n n a h m e des Verlangens kann das Fehlen desselben nicht ersetzen. 1 ) I I I . S t r a f e : Gefängnis von drei bis zu fünf Jahren. Da es sich nicht um einen milder bestraften Fall des Mordes oder Totschlages, sondern um ein selbständiges Delikt handelt, ist dasselbe als V e r g e h e n zu betrachten. Der Versuch bleibt mithin nach § 216 straflos, kann aber als Körperverletzung strafbar sein.*) Da mildernde Umstände nicht vorgesehen sind, kann unter das Mindestmafs von drei Jahren in keinem Falle herabgegangen werden.*) ') Ebenso Bg. I 721. Dagegen mit andern G I I 7, M 612, 0 837, v. H o l t z e n d o r f f H H I I I 447. *) Ebenso R 15. November 80 I I 442. v. H o l t z e n d o r f f H H I I I 447 u. a. Dagegen Bg. I 721, G 117, H I I 68 Note 3, O 837, B a u m g a r t e n Versuch 354; auch alle diejenigen, welche bei körperlicher Verletzung des Einwilligenden Straflosigkeit annehmen. Vgl. unten § 8 8 Note 8. ») So M 521, O 837 mit der gemeinen Meinung. Dagegen Bg. I 468, H I I 58, v. H o l t z e n d o r f f HH I I I 447, u. a., welche hier das Hindestmafs des § 213 anwenden wollen.
21*
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§• 88! Die Körperverletzung.
II.
Geschichte und Begriff.
Die Körperverletzung.
§. 88.
Geschichte und Begriff.
L i t t e r a t u r . G e y e r H B I I 517, I V 363; H I I 83; B e r n e r GS X V I I I , XIX, GA X V I ; Verhandlungen des 12. d. Juristentages (Gutachten von T h o m s e n ) ; G e y e r GS X X V I ; H e r b s t GA X X V I 23; K r a t t e r H R „Körperverletzung" (medizinisch). H e c k e r GA X X X I I I 70 (Z V I 652; auch als selbständige Schrift 1885). G ü n t h e r Uber die Hauptstadien der geschichtlichen Entwicklungdes Verbrechens der Körperverletzung und seiner Bestrafung. 1884. Erlanger Diss. (Z V I I 681). S c h m i d t GS X L I I 57 (Verbrechen am Seelenleben der Menschen). — Uber die Einwilligung des Verletzten vgl. die oben zu §. 34 I V angegebene Litteratur. I. Der Begriff der Körperverletzung als eines selbständigen Vergehens ist dem r ö m i s c h e n R e c h t e fremd geblieben. Die Körperverletzung geht hier völlig auf in dem unbestimmten, und zunächst nur dem Gebiete des zivilrechtlichen Deliktes angehörigen Begriffe der injuria. Zwar hatten die X I I Tafeln bei membrum ruptum Talion angedroht, wenn ein Vergleich nicht Zustandekommen sollte (ni cum eo pacit). Aber schon bei os fractum aut collisum trat Geldstrafe ein (300 bez. 150 Ass) und ebenso bei allen übrigen Injurien (25 Ass). Das prätorische Recht setzte am die Stelle dieser festen Bufssätze die zivilrechtliche actio injuriarum aestimatoria. Auch kann unter Umständen das crimen vis gegeben sein. Zur Zeit des Quästionenprozesses werden drei Fälle der injuria als injuriae atroces mit peinlicher Strafe bedroht: das pulsare, verberare und domum vi introire, von welchen nur die beiden ersten unter den heutigen Begriff der Körperverletzung fallen würden. Auch den i t a l i e n i s c h e n Praktikern ist infolgedessen das selbständige Vergehen der Körperverletzung fremd. Anders das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r . Schon die Volksrechte widmen" der Körperverletzung die grösste Aufmerksamkeit (oben § 7 S. 40). Ihnen folgen die Quellen des späteren Mittelalters. Im allgemeinen unterschied man die einfachen Schläge (der römischen Realinjurie entsprechend) einerseits, Blutwunden und Verstümmlungen (Lähmungen, debilitationes) anderseits. Die ersteren wurden niedergerichtlich, die letzteren (auch im SSp und in den Landfrieden) mit dem VerluBt der Hand bedroht. Daneben waren das Messerzücken u. s. w. besonders hervorgehoben. Trotz des Schweigens der PGO. erhielt sich die deutschrechtliche Auffassung, welche die Körperverletzung als selbständiges Vergehen betrachtete und wenigstens in den schwerern Fällen mit peinlicher Strafe belegte, auch zur Zeit de« gemeinen Rechts. Die Wissenschaft hält an
§. 88. Die Körperverletzung.
Geschichte und Begriff.
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dem Delikt der violatio corporis oder laesa sanitaa fest, auch nachdem die Landesgeaetzgebung (so schon Bayern 1616, Preufsen 1620) begonnen hatte, die romanistische Anschauung zar Geltung zu bringen. Während noch im ALR. die Grenzlinie zwischen Beleidigung und Körperverletzung fast völlig verwischt war, fand letztere selbständige Behandlung im österr. StGB, von 1803, im code pénal und im bayrischen StGB, von 1813. Auch die neuere Gesetzgebung steht auf diesem Standpunkte, ist aber wenig glücklich in ihrem Bestreben, den Begriff der Körperverletzung schärfer zu fassen und die Strafbarkeit der unter ihn fallenden Verletzungen abzustufen, wobei die Schwere des Erfolges, häufig (auch Ungarn 1878, Italien 1889) gemessen an der Dauer der verursachten Krankheit oder Berufsunfähigkeit, neben der Art der Verübung regelmäfsig als ausschlaggebend erachtet wurde.
II. 1. Körperverletzung ist die (widerrechtliche) S t ö r u n g der k ö r p e r l i c h e n U n v e r s e h r t h e i t eines andern. Diese ist gegeben, sobald in den regelmäfsigen Verlauf der Körperthätigkeit eingegriffen ist. Doch mufs ein gewisser, grundsätzlich nicht näher zu bestimmender Grad der Störung verlangt werden. Als Körperverletzung erscheinen mithin: das Stofsen und Schlagen (das pulsare und verberare der Römer), Verwundungen (die coupa et blessures des c. péual), Verstümmelung, Lähmung, das Abschneiden von Haaren, Ausbrechen von Zähnen; Verursachung einer körperlichen oder geistigen Krankheit; Herbeiführen von Erbrechen, Durchfall, Samenergufs; das Berauschen, Betäuben, Hypnotisieren; Erregung von Schmerz; von Unbehagen, Ekel, Abscheu, Furcht, Schrecken nur dann, wenn die Störung keine ganz uubedeutende war; unter derselben Voraussetzung störende Eiuwirkung auf die Sinne (Katzenmusik, blendendes Licht, Gestank, Kitzeln, Kratzen, unzüchtige Berührung); Verursachung von Hunger und Durst. Der Erfolg kann unmittelbar durch die eigene Körperbewegung des Thäter oder mittelbar durch Benutzung eines Werkzeuges (Hetzen eines Hundes) herbeigeführt sein. Dem Thun steht das Unterlassen (Entziehung der Nahrung) unter den bekannten Voraussetzungen gleich. Schmerzempfindüng ist in keinem Falle nötig.1) ') Richtig R 16. April 89 XIX 136.
326
§. 88. Die Körperverletzung.
Geschichte und Begriff.
2. Das RStGB. hat in durchaus verunglückter Weise diesen einheitlichen Begriff der Körperverletzung gespalten in zwei, schwer auseinander zu haltende Uuterbegriffe: k ö r p e r l i c h e M i f s h a n d l u n g und B e s c h ä d i g u n g a n d e r G e s u n d h e i t . Erstere liegt vor bei Schlagen. Stofsen und andern k ö r p e r l i c h e n E i n w i r k u n g e n auf den K ö r p e r des A n d e r n . Die Gesundheitsbeschädigung umfafst alle übrigen Fälle. 2 ) 3. Die Körperverletzung erscheint zugleich als Beleidigung (Thätlichkeit), wenn sie bewufster Ausdruck der Nichtachtung ist. In diesem Falle findet §. 73 StGB. Anwendung. 4. Der Vorsatz der Körperverletzung kann sich mit unbestimmtem (eventuellen) Tötungsvorsatz verbinden; in dem Vorsatz der Tötung wird jener der eventuellen Verletzung wohl nur ganz ausnahmsweise nicht enthalten sein. I I I . Die allgemeinen Grundsätze über die Widerrechtlichkeit der Handlung und über die Gründe, welche dieselbe ausschliefsen (oben §§. 31 bis 34). finden auch auf die Körperverletzung uneingeschränkte Anwendung. Insbesondere kann eine Überschreitung des Züchtigungsrechtes die Widerrechtlichkeit und damit die Strafbarkeit der zugefügten Verletzungen zur Folge haben. Schwierigkeiten bietet die Einwilligung des Verletzten. Die folgerichtige Anwendung der allgemeinen Grundsätze mufs dazu führen, die Einwilligung für gleichgültig zu erklären. Die Bestimmungen des StGB, geben keinen Anhalt für die (wenigstens in Bezug auf schwerere Fälle) unserm Reclitsbewufstsein entschieden widerstreitende Annahme, dafs da? Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit dem Belieben des Einzelnen habe preisgegeben werden sollen. Dafs bei der Tötung die Einwilligung Einflufs auf die Strafbarkeit der Handlung ausübt, ist ein Beweis nicht gegen, sondern für die *) Die Ansichten gehen weit auseinander. Man vgl. B 516, H I I 84 I I 530, O 864, W 341. Nach 0 ist körperliche Uisshandlung: das Zufügen vot Missbehagen oder Störung des Wohlbefindens sowie die entstellende Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit; Gesundheitsbeschädigung: d u Verursachen einer Krankheit. Diese Ansicht führt in den meisten Fällen, insbesondre bei dem vielbesprochenen „Zopfabschneiden" zu ganz unbefriedigenden Ergebnissen. — Überflüssig ist die Aufstellung des Begriffs eines besonderen Verbrechens am Seelenleben (Schmidt).
§. 89. Die Arten der Körperverletsnng.
327
aufgestellte Behauptung. Denn aus S t G B . §. 216 müssen wir entnehmen, dafs es ausdrücklicher Anordnung bedurfte, um der Einwilligung diesen Einfiufs zu sichern, und dafs derselbe selbst in diesem Falle nur bis zur Strafmilderung, nicht aber bis zum Ansschlusse der Rechtswidrigkeit reicht. Überdies läfst sich ohne Übertreibung die Verstümmelung eines Einwilligenden als das schwerere Verbrechen gegenüber der Tötung desselben bezeichnen. Der Hinweis aber auf unbedeutende Körperverletzungen erledigt sich durch die Erwägung, dafs leichte vorsätzliche Körperverletzungen nur auf Antrag verfolgt werden können, bei Stellung des Antrages trotz Einwilligung aber bis auf einen Tag Gefängnis oder drei Mark Geldstrafe herabgegangen werden kann. 3 )
§. 89.
Die Arten der Körperverletzung.
Litteratur. Zu I I : v. B u r i GS X X X I V 342 (Z i n 187). — Über den Betriff der W a f f e : v. K r i e s GA XXV. — Zu I I I : H ä u s e r Vierteljahrsschr. f. ger. Medizin X X X V H I 93 (Z I I I 514).
Nach den durch die Novelle von 1876 abgeänderten Bestimmungen unsres R S t G B . haben wir zu unterscheiden: I. Die l e i c h t e v o r s ä t z l i c h e Körperverletzung ( S t G B . §. 223). Sie ist Vergehen; der Versuch daher leider straflos (anders österr. Entw.), während er bei der Sachbeschädigung strafbar ist. Die leichte Körperverletzung zerfällt in die einf a c h e und die e r s c h w e r t e ; letztere liegt vor, wenn die Verletzung gegen Verwandte aufsteigender Linie begangen wurde.
S t r a f e : im einfachen Fall Gefängnis bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bis zu tausend Mark; im erschwerten Fall Gefängnis nicht unter einem Monat, doch tritt hier bei mildernden Umständen der regelmäfsige Strafsatz wieder ein (StGB. §. 228).
') Vgl. oben §. 34 Kote 5. Übereinstimmend R 15. November 80 I I 442, 22. Februar 82 VI 61, H I 471, I I 91. Dagegen Bg I 728, 724, 0 868, W- 190, Ortmann GA X X V 119, Zimmermann GA X X I X 441, K r o n e c k e r GS X X X V 219, K e f s l e r Einwilligung 78, R o e d e n b e c k Zweikampf 38, 47, d e r s e l b e GS X X X V I I 140. G 1 I 17, M 319, Ml 170 nehmen Straflosigkeit bei leichten Körperverletzungen an. — Das Josef. StGB. 1787 §. 121 erklärte die Einwilligung ausdrücklich für gleichgültig. Gesetzliche Regelung wäre wünschenswert.
328
§• 89- Die Arten der Körperverletzung.
II. D[ie g e f ä h r l i c h e v o r s ä t z l i c h e Körperverl e t z u n g ( S t G B . §. 223a). Sie liegt vor, wenn die Verletzung begangen wurde 1. mittels einer Waffe, insbesondre eines Messers oder eines andern gefährlichen "Werkzeuges; 2. mittels eines h i n t e r l i s t i g e n Überfalles (insbesondre mittels Auflauern oder eines andern unvorhergesehenen Angriffs aus gedeckter Stellung); 3. von m e h r e r e n g e m e i n s c h a f t l i c h (oben §. 51
Note 3); den
4. mittels einer d a s L e b e n (im Einzelfalle) Behandlung.
gefährden-
W a f f e ist hier nicht im technischen Sinne (unten 96 II) zu nehmen und bedeutet daher jedes zur angriffs- oder Verteidigungswesen Zufügung von Verletzungen auf mechanischem Wege g e e i g n e t e Werkzeug, ohne Rücksicht auf Bestimmung und gewöhnliche Verwendung, so dafs z. B. ein Schlagring, ein schwerer Hausschlüssel, ein Bierglas usw. hierher gehören. Als Arten der Waffe in diesem Sinne führt das Gesetz beispielsweise an: „Messer und andre gefahrliche Werkzeuge". W e r k z e u g ist jeder Gegenstand der Sinnenwelt, welcher durch menschliche Körperkraft in Bewegung gesetzt wird; auch der Stein, nicht der gehetzte Hund (wohl aber die geschleuderte Katze), nicht der angetriebene Geisteskranke. Der Gebrauch mufs im gegebenen Falle jener allgemeinen Eignung entsprechen. So ist die Stahlfeder wohl eine Waffe, wenn mit derselben gestochen, nicht aber, wenn mit ihr geschlagen wird.1) In allen vier Fällen mufs der Thäter das Bewufstsein gehabt haben, dafs einer der erschwerenden Umstände vorliege; dafs also seine Handlung das Leben des andern gefährde, dafs er eine Waffe gebrauche usw.9) S t r a f e : Gefängnis nicht unter zwei Monaten; bei mildernden Umständen (StGB. §. 228) Gefängnis bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bis zu tausend Mark. ') Die besprochenen Fragen sind sehr bestritten. Im Sinne des Text im wesentlichen R. — StGB. §. 367 Ziff. 10 bedroht mit Übertretungsstrafe denjenigen, welcher bei einer Schlägerei, in die er nicht ohne sein Verschulden hineingezogen worden ist, oder bei einem (auch nur von ihm selbst, nicht von mehrern, ausgehenden) Angriffe sich einer Waffe, insbes. eines Messers oder eines andern gefährlichen Werkzeuges bedient. — Strengere Strafen gegen die Messerhelden, insbes. schwere Geldstrafen gegen die Landbevölkerung würden sich gewifs empfehlen. Bayern 1861 hatte hier Rückfallsschärfung. *) Übereinstimmend im Ergebnis H I I 96, M 636, Ml 298, O 879, L u c a s subjektive Verschuldung 27; dagegen mit der überw. Meinung R 14. Juni 80 I I 107, 29. September 80 I I 278, 14. Februar 84 X 101. Sehr anklar 12. März 88 X V I I 279.
§. 89. Die Arten der Körperverletzung.
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HI. D i e s c h w e r e v o r s ä t z l i c h e K ö r p e r v e r l e t z u n g (StGB. §. 224). Sie liegt vor, wenn die Handlung zur Folge hatte 1. den V e r l u s t , sei es a) eines (im Verhältnis zum Gesamtorganismus) w i c h t i g e n G l i e d e s , sogenannte Verstümmelung (Gebrauchsunfähigkeit genügt mithin nicht, während Wiederherstellbarkeit durch ärztliche Kunst (z. B. Bhinoplastik) die Anwendung des §. nicht ausschliefst); oder b) des S e h v e r m ö g e n s auf einem oder beiden Augen; d. h. den Verlust der Fähigkeit, Gegenstände zu erkennen, mag auch Lichtempfindung geblieben sein; c) des G e h ö r s , u. z. auf beiden Ohren; d. h. den Verlust der Fähigkeit, artikulierte Laute zu verstehen, mag auch die Schallempfindung geblieben sein; d) der S p r a c h e , Worte auszudrücken;
d. h. der Fähigkeit, Gedanken durch
e) der Z e u g u n g s f ä h i g k e i t , d. h. nicht der Begattungs-, sondern der Fortpflanzungsfähigkeit (Zeugungs- und Gebärfähigkeit). Das römische Recht hatte die Entmannung unter die lex Cornelia de 8icariis gestellt (das spadones aut thlibias facere) und bestrafte auch den, der sich dazu hergab (Kastraten als Sklaven, Sänger usw.). Justinian bedrohte 558 die That mit Wiedervergeltung. Die Beschneidung war nur den Juden gestattet und wurde im übrigen als Entmannung behandelt (I. 11 D 48, 8 ; Nov. 142). Das fränkische Recht bestrafte mit Auferlegung des vollen Wehrgelds. PGO. Art. 133 fafste die Bewirkung von Zeugungsunfähigkeit (Unfruchtbarkeit) als Fall der Tötung (homicidium conditionale) neben der Abtreibung auf. Dagegen behandelte die spätere gemeinrechtliche Wissenschaft die procuratio sterilitatis als besondres Verbrechen und bedrohte sie mit willkürlicher Strafe. Auch die Rechtsprechung hielt an der Todesstrafe nicht fest. In der neuern Gesetzgebung (abweichend code pénal 316) ist die Kastration als besondres Verbrechen aufgegeben worden. Bewirkung einer Frühgeburt ist in §. 224 ebensowenig erwähnt, wie der Verlust des Geruchs oder Geschmacks.
2. E r h e b l i c h e d a u e r n d e E n t s t e l l u n g , d. h. eine die äufsere Gesamterscheinung verändernde, aber nicht notwendig auffallende Verunstaltung, auch wenn sie durch Toiletten-
330
§. 89.
Die A r t e n der Körperverletzung.
künste verborgen werden kann (Perrücke, falsche Zähne, Glasauge) oder durch die Kleidung verborgen wird. 3 ) 3. S c h w e r e G e s u n d h e i t s s c h ä d i g u n g , und zwar V e r f a l l in a) S i e c h t u m , d. h. schwere chronische Erkrankung ohne bestimmte Hoffnung auf Heilung; oder b) L ä h m u n g , d. h. eine mindestens mittelbar den ganzen Menschen ergreifende Beeinträchtigung der Fähigkeit, die Muskeln (auch die Schliefsmuskeln des Afters oder der Blase) willkürlich anzuspannen, daher besonders der Fähigkeit zur Bewegung im Kaum; oder c) G e i s t e s k r a n k h e i t in dem oben 36 I I erörterten Sinne, also auch Bewufstlosigkeits- und Entartungszustände umfassend. Dagegen ist vorübergehende Geistesstörung kein ,,Verfallen" in eine solche; dasselbe Ergebnis folgt aus derGleichstellung mit ..Siechtum" und ..Lähmung". S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis nicht unter einem J a h r e ; bei mildernden Umständen (StGB. §. ¡¿28) Gefängnis nicht unter einem Monate. Die Strafe tritt ein, auch wenn in Bezug auf den schweren Erfolg weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit auf seiten des Thäters vorliegt (oben §. 37 Note 5). — Eben darum kann aber auch ein Versuch des Verbrechens nach §. 224 nicht angenommen werden, da die oben §. 45 Note 7 angedeutete Möglichkeit hier versagt. Diese Lücke auszufüllen, ist tj. 225 berufen. W a r einer der eingetretenen Erfolge vorsätzlich herbeigeführt worden, so ist auf Zuchthaus von zwei bis zu zehn J a h r e n zu erkennen. W a r der Erfolg vorgesetzt, aber nicht eingetreten, so ist der Strafrahmen des §. 225 nach StGB. §. 44 zu ermäfsigen. Mildernde Umstände sind (aus Versehen) im Gegensatz zu dem unter I V behandelten Falle nicht zugelassen.
I V . Die vorsätzliche Körperverletzung m i t t ü t l i c h e m A u s g a n g (StGB. §. 226). Versuch unmöglich; bei Tötungsvorsatz würde Tötungsversuch vorliegen. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter drei J a h r e n oder Gefängnis nicht unter drei J a h r e n ; bei mildernden Umständen (StGB. §. 228) Gefängnis nicht unter drei Monaten.
V. Die f a h r l ä s s i g e
Körperverletzung (StGB. §. 230);
*) Übereinstimmend bezüglich des ersten, abweichend bezüglich des zweiten Falls 0 883 und R 1. Oktober 86 X I V 344.
§. 90. Verfolgung und Bestrafung der Körperverletzung.
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als Gesundheitsbeschädigung, wie als körperliche Mifshandlung denkbar.*) S t r a f e : Geld bis zu neunhundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren; bei Verletzung einer besondern Amts-, Berufs- oder Gewerbspflicht kann die Strafe auf drei Jahre Gefängnis erhöht werden.
§. 90. Litteratur.
Verfolgung und Bestrafung.
Zu III: oben bei §. 69. Zu I V : oben bei §. 74.
I. Die Strafverfolgung tritt nur a u f A n t r a g ein (StGB. §. 232), wenn es sich um l e i c h t e v o r s ä t z l i c h e (nicht §. 223a) oder um f a h r l ä s s i g e Körperverletzung handelt; aber nur dann, wenn die Körperverletzung nicht mit Übertretung einer Amts-, Berufs- oder Gewerbspflicht begangen worden ist. Rücknahme des Antrages ist zulässig, wenn das Vergehen gegen einen Angehörigen (StGB. §. 52 Absatz 2) verübt worden. II. A n t r a g s b e r e c h t i g t ist der Verletzte bez. dessen Vertreter (oben §. 44 III 1). Eine Ausnahme enthalten die auch hier (nach StGB. §. 232) anwendbaren §§. 195 und 196 StGB., nach welchen auch der Ehemann und der Vater sowie der amtlich Vorgesetzte des Verletzten neben diesem und unabhängig von ihm zur Antragstellung berechtigt sind. Eine Erweiterung, bez. Beschränkung der Antragsfriat tritt bei w e c h s e l s e i t i g e n Körperverletzungen ein. Der Begriff der Wechselseitigkeit erfordert weder thatsächlichen, noch ursächlichen Zusammenhang; es genügt, wenn der klagende Verletzte den beklagten Verletzer ebenfalls verletzt hat. 1 ) In diesem Falle ist, wenn von einem Teile auf Bestrafung angetragen worden, der andre Teil bei Verlust seines Rechtes verpflichtet, den Antrag auf Bestrafung spätestens bis zur Beendigung der Schlufsvorträge in 1. Instanz (StPO. §. 428) zu stellen, hierzu aber auch dann berechtigt, wenn zu jenem Zeit4 ) Ubereinstimmend O 900 mit der gem. Meinung. Dagegen nehmen B 516, H II 111, G e y e r HH III 634 u. a. an, dafs die „körperliche Mifshandlung" nur vorsätzlich begangen werden könne. ») Übereinstimmend R 4. Juni 80 II 87; G II 39, H II 209, M 531, X r o n e c k e r GS XXXIII 21, G l a s e r II 23 u. a. Dagegen B 477, 0 793, S 366.
332
ij. 91.
Die Aussetzung.
punkte die dreimonatliche Frist bereits abgelaufen ist (StGB. §. 232 mit §. 198). Auf den Fall, in welchem Körperverletzung und Beleidigung einander gegenüberstehen, ist diese Bestimmung nicht anzuwenden. 2 ) III. In allen Fällen der Körperverletzung 3 ) kann auf Verlangen des Verletzten neben der Strafe auf eine an denselben zu erlegende B u f s e bis zum Betrage von sechstausend Mark erkannt werden. Die Zuerkennung der Bufse schliefst die Geltendmachung eines weitern Entschädigungsanspruchs aus. Für diese Bufse haften die zu derselben Verurteilten als Gesamtschuldner (StGB. §. 231). IV. E r w i d e r u n g (Retorsion) (StGB. §. 233). W e n n leichte Körperverletzungen 4 ) mit solchen, Beleidigungen mit leichten Körperverletzungen oder letztere mit erstem auf der Stelle erwidert werden, so kann der Richter für beide Angeschuldigte oder für einen derselben eine der Art oder dem Mafse nach mildere oder überhaupt keine Strafe eintreten lassen.
III. Die Gefährdung von Leib und Leben. §.91.
I. Die Aussetzung.
L i t t e r a t u r . v. H o l t z e n d o r f f HH I I I 463. P l a t z Geschichte des Verbrechens der Aussetzung 1876. v. S c h w a r z e GS X X I V 52. v. B u r i GS X X V I I 517. H I I 76. I. G e s c h i c h t e . Während das Hecht des f r ü h e m deutschen Mittelalters ebenso wie das Recht des römischen Freistaates Strafdrohungen a ) bestritten. Ubereinstimmend O 794. Hier die Litteratur. ') In allen Fällen, in welchen eine vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführte Körperverletzung im Sinne des 17. Abschnittes des R S t G B . vorliegt, kann auf die Bufse erkannt werden. Sie ist demnach nur dann ausgeschlossen, wenn entweder eine Körperverletzung nicht vorliegt, oder wenn dieselbe schuldlos herbeigeführt wurde. Insbesondre ist sie auch bei versuchter Körperverletzung zulässig; dagegen H I I 112, O 902. — Die Bestimmungen des StGB, über Bufse haben durch 95 des Unfallversicherungsgesetzes vom 6. Juli 1884 keine Einschränkung erfahren. Abweichend L a a s Haftpflichtrecht 1890 S. 62. *) umfafst sowohl §. 223, als auch 230, wenn kein schwerer Erfolg im Sinne der §§. 224 und 226 eingetreten ist.
§. 91. Die Aussetzung.
333
gegen Aussetzung nicht enthält, finden wir in der römischen Kaiserzeit, und zwar seit der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts oft wiederholte Bestimmungen gegen die expositio infantium (C 8, 52), die aber nicht ala besondres selbständiges Verbrechen betrachtet, sondern als Fall der Tötung behandelt wird. So auch von Justinian in der Novelle 163. Erst das kanonische Recht fafst die Aussetzung als G e f ä h r d u n g von Leib und Leben auf, und hebt sie als selbständiges Verbrechen hervor. Dieselbe Auffassung vertritt, trotz des Schwankens der italienischen Juristen, auch die PGO. in Art. 132. Sie straft das Weib, welches „ihr Kind, damit sie dessen abkomme, von sich legt", an Leib oder Leben, wenn das Kind stirbt; dagegen mit aufserordentlicher Strafe, wenn es am Leben bleibt. Die Verweisung auf die Strafe des Kindesmorde«, welche noch in der Bambergeneis sich findet, hat die PGO. gestrichen. Das gemeine Recht (Preufsen 1620, Österreich 1656 bis 1768) unterschied dagegen zwei Fälle, einen schwereren, wenn Tötungsvorsatz vorlag, und einen leichteren, wenn dies nicht der Fall war; dort trat die Strafe des Kindesmordes, hier mildere Strafe ein. Erst Österreich 1787 scheidet die Aussetzung scharf von der Tötung, während ALR. die gemeinrechtliche Auffassung beibehält. Die heutige Gesetzgebung (schon Bayern 1813 Art. 174) erweitert, im Anschlüsse an das kanonische Rccht und einzelne gemeinrechtliche Schriftsteller (so J . S. F. Böhmer) die Strafbarkeit auf die Aussetzung von Hilfsbedürftigen (languidi) überhaupt.
II. B e g r i f f . Nach dem RStGB. (§. 221) umfafst die Aussetzung folgende Begriffamerkmale: 1. Als G e g e n s t a n d eine wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflose Person. Bezüglich des j u g e n d l i c h e n A l t e r s ist die feste Altersgrenze des preufs. StGB. (7 Jahre) mit Recht beseitigt; es wird also hier wie in den andern Fällen darauf ankommen, ob Hilflosigkeit vorliegt oder nicht, ob also das ausgesetzte Kind bereits genügend entwickelt ist, um durch eigene Kraft, bez. durch Anrufung fremder Unterstützung sich aus der hilflosen Lage zu befreien. Die G e b r e c h l i c h k e i t kann, mufs aber nicht, durch Altersschwäche hervorgerufen sein. Als K r a n k h e i t sind auch Geistesstörungen (nicht aber eine in regelmäfsigen körperlichen Zuständen begründete Bewufstlosigkeit wie tiefer Schlaf u. dgl.), insbesondere Betäubungs- und Rauschzustände anzusehen; auch chloroformierte oder hypnotisierte Personen gehören hierher. Dagegen liegt Aussetzung nicht vor, wenn die Hilflosigkeit andre als die im Gesetze genannten Ursachen hatte (z. B. Fesselung, Knebelung, Taubstummheit).
§. 91. Die Aussetzung.
334
2. Als H a n d l u n g entweder a) ein A u s s e t z e n im engern Sinn, das "Versetzen a u s dem bisherigen Zustande in einen a n d e r n ; vollendet mithin, sobald jene Beziehungen zur Aulsenwelt. in welchen der Verletzte sich bisher befunden, gelöst worden sind. Und zwar ein Aussetzen in h i l f l o s e r L a g e . d. h. das Versetzen in einen Zustand, in welchem die körperliehe Unversehrtheit des Ausgesetzten g e f ä h r d e t ist. Aussetzung liegt daher nicht vor, wenn der Thäter hilfsbereit in der Nähe wartet, bis der Ausgesetzte durch dritte Personen aufgenommen wird; doch ist die blofse Möglichkeit einer Errettung durch dritte nicht ausreichend. Oder b) ein V e r l a s s e n in hilfloser Lage; strafbar nur dann, wenn der Verlassene unter der Obhut des Thäters stand, oder wenn dieser fiir die Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme des Verlassenen zu sorgen hatte. Die Verpflichtung kann begründet sein durch Gesetz, Vertrag, aber auch durch vorangegangenes Thun, z. B. durch das Aufnehmen eines ausgesetzten Kindes von seiten eines unbeteiligten dritten. 1 ) Ein V e r s e t z e n in a n d r e Lage ist hier nicht erforderlich; wohl aber mufs eine r ä u m l i c h e T r e n n u n g , durch Sicli-Entfernen des Thäters oder aber auch durch Verschliefsen des Einganges usw., stattgefunden haben. Einfache Vernachlässigung der pflichtgemäfsen Obsorge genügt nicht.2) 3. Als V o r s a t z das Bewufstseiu von der g e f ä h r d e n d e n Bedeutung der Handlung. Liegt Tötungsvorsatz vor, so ist Kindestötung, bez. gemeine Tötung anzunehmen; doch kann bei Rücktritt vom Tötungsversuch strafbare Aussetzung übrig bleiben.8) III. Strafe.
Die Aussetzung ist regelmäßig V e r g e h e n : der
') Ubereinstimmend Merkel HR, H II 79, M 347, Ml 302, S 393 Note 15, R 21. März 1888 XVII 260; dagegen 6 II 12, 0 851, R 17. April 83 VIII .205. ') Ubereinstimmend R 12. Juni 83 VIII 343, 21. Februar 84 X 183; &II 12, L a n d s b e r g Kommissivdelikte 204. Dagegen H II 77, M. 547, 0 851. — Eine Erweiterung des Gesetzes auf Zuriicklassung von Kindern in nicht-hilfloser Lage, z. B. im Eisenbahnwartesaal wäre w ÜD8cheD sw 6rt *) Ebenso M 491 Note 26, S 394 Note 16. Dagegen Bg I 369, H II 81, 0 853. Der Verletzungsvorsatz verträgt sich ebensogut mit einem
§. 92. Die Vergiftung.
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Strafsatz beträgt Gefängnis von drei Monaten bis za fünf Jahren; wenn von den leiblichen Eltern (nicht Stief-, Schwieger-, Pflege-, Grofseltern) gegen ihr Kind begangen, Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Die Schwere des (wenn auch weder vorsätzlich noch fahrlässig herbeigeführten) Erfolges macht die Aussetzung zum V e r b r e c h e n : ist eine schwere Körperverletzung (StGB. §. 224) der ausgesetzten oder verlassenen Person verursacht worden, so tritt Zuchthaus bis zu zehn Jahren, und wenn der Tod verursacht worden, Zuchthaus von drei bis zu fünfzehn Jahren ein. Der Versuch ist nur strafbar, wenn die Aussetzung Verbrechen ist; er ist hier möglich, wenn die versuchte Handlung eine der schweren Folgen nach sich gezogen hat (oben §. 45 Note 7).
§. 92.
2. Die Vergiftung.
L i t t e r a t n r . G e n g i e r Verbrechen der Vergiftung 1842. M i t t e r m a i e r GA IV und V. B e r n e r GS XIX 7. G e y e r H H I I I 657. H I I 103. B e n o i t De l'empoisonnement criminel 1888. I. G e s c h i c h t e . Die Vergiftung ist erst im heutigen Recht, und zwar als in Verletzungsabsicht mit gewissen Mitteln begangene G e f ä h r d u n g von Leib und Leben, wieder zum selbständigen Verbrechen geworden. Die SullaniBche Gesetzgebung stellte das Geben, Zubereiten, Ankaufen, Verkaufen von Gift unter die 1. Cornelia de sicariis et venificis. Die römischen Kaiser dagegen brachten, unter dem Einflüsse kirchlicher Anschauungen stehend, die Vergiftung als maleficium mit der Zauberei in engste Berührung (C 9, 18). Ganz ebenso das deutsche Mittelalter; so auch SSp I I 13, 7, welcher daher die Strafe des Feuertodes verhängt. Die PGO. droht in Art. 130 die Strafe des Rades gegen denjenigen, welcher .jemanden durch Gift oder Venen an Leib oder Leben beschädigt"; Tötungsvorsatz und Tötungserfolg wird vorausgesetzt, aber nicht verlangt, die Vergiftung mithin als selbständiges Verbrechen anerkannt. Das gemeine Recht und die ihm folgonde Gesetzgebung sondert im Anschlüsse an die sächsischen Konstitutionen IV 18 die gemeingefährliche Vergiftung von Brunnen und Weiden ab; die Vergiftung aber wird zumeist (nicht Osterreich 1666 und 1768, wohl aber Österreich 1787 und 1803. sowie ALR.) als Fall des Meuchelmordes aufgefafst und damit ihrer selbständigen Bedeutung entkleidet. Dagegen macht, den spätem gemeinrechtlichen Schriftstellern ( G r o l m a n n , F e u e r b a c h , M a r t i n u. a.) folgend, Preufsen 1851 die Vergiftung wieder zum selbständigen Verbrechen und ihm schliefst sich das RStGB. an, individuelle und gemeine Gefährdung (Vergiftung von Brunnen usw.) streng voneinander trennend. (eventuellen) Gefahrdungsvorsatz, wie das umgekehrt der Fall ist. Eigentümliche Folgerungen ergeben sich daraus, dafs §. 217 mildernde Umstände zuläfst, §. 221 Abs. 3 aber nicht.
336
§. 92. Die Vergiftung.
I I . B e g r i f f . Nach §. 229 StGB, kennzeichnet sich die Vergiftung durch folgende Begriffsmerkmale: 1. Als M i t t e l fordert das Gesetz entweder G i f t . d. h. einen Stoff, der auch in kleinen Gaben auf chemischem Wege die Gesundheit zu zerstören geeignet ist: oder aber a n d r e S t o f f e , welche geeignet sind, die Gesundheit, sei es auf chemischem. sei es auf mechanischem Wege (z. B. gestofsenes Glas) zu zerstören, also, wie code penal 301 sagt, mehr oder weniger rasch den Tod herbeizuführen. Unter den Begriff des Giftes fallen auch die von Körper zu Körper übertragbaren Ansteckungsstoffe. wie bei Cholera. Syphilis. Tuberkulose u. a. 2. Die H a n d l u n g besteht in dem B e i b r i n g e n der genannten Stoffe, d. h. bei Verwendung von Gift im engern Sinn in der Einführung desselben in den Organismus, also in das Blut des Verletzten. Ob diese Eiuführuug durch Gewalt oder Täuschung bewirkt wird, ob sie durch die Verdauungs- oder durch die Atmungsorgane (Narkotisierung). durch Einspritzung unter die Haut oder auf andre Weise erfolgt, ist durchaus gleichgültig. Mit dem Beibringen ist das Verbrechen vollendet; etwaige Anwendung von Gegengiften schliefst daher die Bestrafung aus §. 229 StGB, nicht aus. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuches (Zucker statt Arseuik usw.) richtet sich nach den allgemeinen, oben §. 47 erörterten Grundsätzen. 3. Der V o r s a t z mufs die Vorstellung umfassen, dafs die beigebrachten Stoffe die Gesundheit zu zerstören g e e i g n e t sind. Die Vorstellung, dafs die Handlung die Gesundheit zerstören w e r d e , ist nicht erforderlich; es genügt mithin Gefahrdungsvorsatz. Es mufs aber weiter als Beweggrund des Handelns hinzutreten: die A b s i c h t , die Gesundheit eines andern zu beschädigen. Die Vergiftung ist, wie erwähnt, Gefahrdungsdelikt in Verletzungsabsicht. 1 ) Ging der Vorsatz des Thäters dahin, durch das Gift zu töten, so liegt scheinbares Zusammentreffen von §§. 211 ff. einerseits, §. 229 anderseits ») Ebenso Bg Normen II 519, Bg I 358 Note 6, v. R o h l a n d Gefahr 36. Dagegen H II 104 Note 3, O 898. Letzterer übersieht, dafs die von ihm bekämpfte Fassung sich unmittelbar an den Wortlaut de« Gesetzes anschliefst („um zu beschädigen"; „Stoffe, welche . . . zu zerstören geeignet sind").
§. 93. Die Abtreibung.
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vor, da der Verletzungsvoraatz ganz wohl den Gefahrdungsvorsatz (alternativ oder eventuell) in sich schliefsen kann.*) III. S t r a f e : regelmäßig Zuchthaus bis zu sehn Jahren; wenn durch die Handlung eine schwere Körperverletzung (StGB. §. 834) verursacht worden, Zuchthaus nicht unter fünf Jahren; wenn der Tod verursacht worden, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Auch hier ist der höhere Strafsatz lediglich durch den Eintritt der, wenn auch weder vorsätzlich noch fahrlässig herbeigeführten, schweren Erfolge bedingt. Dennoch ist Versuch möglich, wenn einer der genannten Erfolge durch die unvollendete oder an sich fehlgeschlagene Handlung verursacht wurde; wenn also etwa der Versuch, eine vergiftende Einspritzung vorzunehmen, zwar mifalingt, aber einen Herzschlag des zu Vergiftenden oder den Verlust seines Sehvermögens (beim Ringen dringt die Spitze des Instruments ins Auge) zur Folge hat (oben §. 46 Note 7). Neben der Vergiftung kann aof Bufse erkannt werden, da jene ausnahmslos als sei es vollendete, sei es versuchte Körperverletzung erscheint.*)
§. 93.
3. Die Abtreibung.
Litteratnr. v. F a b r i c e Kindesabtreibung und Kindesmord 1868. v. H o l t z e n d o r f f HH I I I 466. v. W ä c h t e r OS XXIX 1. H o r c h Abtreibung 1878. H ä l s c h n e r GS XXXII 688. H II 64. G a l l i o t Recherches etc. sur l'avortement criminel 1884. P l o f s Zur Geschiohte, Verbreitung und Methode der Fruchtabtreibung 1884. L G e s c h i c h t e . Das ältere r ö m i s c h e Recht hatte die Ahndung der Abtreibung (abactio partus, proouratio abortus) der zensorisohaa Rüge und der hausväterlichen Gewalt überlassen. Staatliche Strafdrohungen finden wir erst seit Septimins Severus (1. 4 D 47, 11; 8 D 48, 8). Die Zerrüttung des Familienlebens, welche die Folge der bei den römisohen Frauen weitverbreiteten Abneigung gegen die Übernahme der mütterlichen Pflichten war, sollte hintangehalten werden; unwürdig erschien es dem Kaiser, dafs der Gatte, weloher um der Zeugung von Kindern willen die Ehe geschlossen hatte, durch die Frau um seine Hoffnungen betrogen würde. Dem Embryo selbständigen Schutz zu verleihen, widersprach der stoizistischen Auffassung der römischen Juristen, welche die Leibesfrucht als mulieris portio vel viscerum betrachteten. Anders das k a n o n i s c h e und das in dieser Frage unter seinem Einflüsse stehende m i t t e l a l t e r l i c h - d e u t s o h e Recht. Die Tötung der belebten Frucht erscheint als homicidium. Belebt aber ist nach der bei den kirchlichen Schriftstellern vertretenen, vom weltlichen Recht anf*) Ebenso U 662, H e r z o g Versuch 236; dagegen ßg Normen I I 620, H II 104, O 899. Es kann daher bei Rücktritt vom Tötungsversuoh strafbare Vergiftung vorliegen. •) Dag. G I I 22, H fl 112, Ml 802, 0 902, S 404. von L i n t , Stnfrwht 4. Aufl.
22
S38
§. 98. Die Abtreibung.
genommenen, auf das zweite Bach Mosis gestützten Ansicht der Embryo erat, wenn die anima rationalis in ihn eingegangen ist, also erst sechs bis zehn Wochen nach der Empfängnis. Vor diesem Zeitpunkte wird die Abtreibung nur willkürlich gestraft. Denselben Standpunkt nimmt auch FGO. ein. Art. 113 sagt: „Wer einem Weibsbild durch Bezwang, Essen oder Trinken ein l e b e n d i g e s Kind abtreibt, so solch Übel fürsätzlicher und boshaftiger Weise geschieht, soll der Mann mit dem Schwert, a l s e i n T o t s c h l ä g e r , und die Frau, so sie es auch an ihr selbst thäte, ertränkt oder sonst zum Tod gestraft werden. So aber ein Kind, das noch n i c h t l e b e n d i g wäre, •on einem Weibsbild getrieben würde, soll der Bat Rechtsverständiger eingeholt werden." Obwohl die Überzeugung von der Unrichtigkeit jener Unterscheidung zwischen belebter und nicht belebter Frucht in medizinischen Kreisen bald allgemein Eingang fand, hielt doch Gesetzgebung, Rechtsprechung und bis tief ins 18. Jahrhundert hinein auch die Wissenschaft des gemeinen Rechts an der Unterscheidung, wenn auch auf veränderter Grundlage, fest. Die sächsischen Konstitutionen IV 4 (ebenso Österreich 1636) unterschieden zwischen der ersten und der zweiten Hälfte der Schwangerschaft (Anklänge noch ALR. 986); die Rechtsprechung betrachtete zumeist das Auftreten der Kindesbewegungen als ausschlaggebend (so noch das heutige englische Recht). Von den Juristen war L e y s e r (-J- 1752; spec. 697 m 24) der erste, welcher die Unterscheidung grundsätzlich verwarf. Aber nur allmählich gelangte seine Ansicht zur Anerkennung. Für die heutige Gesetzgebung handelt es sich darum, einerseits die Leibesfrucht, anderseits aber auch Leben und Gesundheit der Schwangern selbst gegen gefährdende Eingriffe sicher zu stellen. Aus diesen Erwägungen ergiebt sich die Doppelstellung der Abtreibung in den Gesetzbüchern: sie ist einerseits Tötung oder Gefährdung der Frucht, anderseits Gefährdung der Schwangern. Den Bestimmungen des RStGB (§§. 218 bis 220) kann der Vorwurf nicht erspart bleiben, dafs sie durch ihre unklare und fehlerhafte Fassung den Anlafs zu zahlreichen und schwierigen Streitfragen gegeben haben.
II. B e g r i f f . 1. G e g e n s t a n d ist die noch nicht geborne, d. h. die noch nicht zu selbständigem Leben aufserhalb des Mutterleibes (oben §. 82 Note 1) gelangte Leibesfrucht auf allen Stufen ihrer Entwicklung. Leibesfrucht aber ist das lebende befruchtete Ei; mithin auch die M o l e oder das krankhaft entartete Ei. 1 ) 2. Die Handlung ist entweder a) A b t r e i b u n g im e n g e r n S i n n , nämlich das (rechts') So mit Recht 0 841 gegen die gemeine Meinung. Der Streit wird in der gemeinrechtlichen Litteratur schon seit B e r l i e h geführt.
§. 93. Die Abtreibung.
339
-widrige) Bewirken einer Frühgeburt, mag auch der Vorsatz des Thäters nicht auf Tötung der Leibesfrucht gerichtet gewesen und dieser Erfolg auch nicht eingetreten sein.4) Es wäre mithin strafbare Abtreibung anzunehmen, wenn die bald nach dem Tode ihres Mannes von einem andern geschwängerte Witwe im 8. Monate ihrer Schwangerschaft eine Frühgeburt bewirkt, um das Kind als ein ehelich erzeugtes erscheinen zu lassen. Oder b) T ö t u n g der Frucht im Mutterleibe. Durch welche Mittel die Abtreibung bewirkt wird, ob durch „Anwendung" äufserliclier oder mechanischer, ob durch „Beibringung" innerlicher oder dynamischer Mittel (Abortivmittel im engern Sinn), oder vielleicht durch psychische Einwirkung — ist für den Begriff des Verbrechen gleichgültig. Selbstmordversuch der Schwangern ist in keinem Falle als vollendete oder versuchte Abtreibung strafbar. 8 ) III. D i e A r t e n d e r A b t r e i b u n g . 1. Der e i n f a c h e Fall (StGB. §. 218) umfafst sowohl die von der Schwangern selbst, als auch die von einem dritten mit Einwilligung der Schwangern an dieser bewirkte Abtreibung. „Einwilligung" ist dasselbe wie das „mit Wissen und Willen" derselben in StGB. §. 220; sie setzt hier wie überall Zurechnungsfahigkeit der Einwilligenden voraus.4) Die Handlung des dritten mufs jedoch, damit sie unter den gleichen . Strafrahmen wie die Abtreibung durch die Schwangere selbst fällt, nach den allgemeinen Grundsätzen als Thäterschaft oder Mittäterschaft er*) Sehr bestritten. Im Sinne des Texte* J 916, M 640, Hl 309, W 336, C a s p a r - L i m a n I I 941 (7. Aufl.) W ä c h t e r GS XXIX 10, O r t I of f GS XXXIV446, W e h r 1 i Kindestötung9« (wie früher sohon M a r t i n und andre gemeinrechtliche Schriftsteller); dagegen aufser H E l s c h n e r , B e r n e r , B i n d i n g , S o n t a g , S c h ü t t e , y. H o l t z e n d o r f f insbes. O 841, sowie auch R 9. Juli 81 IV 880, überhaupt die gem. Meinung, welche stets Tötung der Frucht verlangt, sei es durch die vorzeitige Ausstofaung derselben, sei es durch Einwirkung auf dieselbe im Mutterleibe, so dafi die bereits getötete Frucht ausgestoßen wird. Doch sind die Gründe der Gegner, insbes. die Entstehungsgeschichte der §§. 918—390 StGB., dem klaren Wortlaute dieser §§. gegenüber, welche „abtreiben" und „töten" überall einander entgegensetzen, nioht beweisend. — Gesetzliche Regelung wäre wünschenswert Unzweideutig sagt der österr. Entw.: „Eine Schwangere, welche ihre Frucht durch Abtreibung oder im Mutterleibe tötet." ') Ebenso v. H o l t z e n d o r f f H H I I I 469. Dag. M 463, O 849. *) Ebenso G H 10, wohl auch R 13. Juli 87 XVI 184; dagegen H I I 70, O 843. 99*
340
§. 93. Die Abtreibung.
scheinen (das Gesetz verlangt, dafs er r d i e Mittel zur A b treibung bei der Schwangern äufserlich a n g e w e n d e t oder ihr innerlich b e i g e b r a c h t hat"); blofses V e r s c h a f f e n der Mittel würde als Beihilfe zu dem Delikte der Schwangern unter den herabgesetzten Strafrahmen fallen. D i e Schwangere kann in Bezug auf die Handlung des dritten als Mitthäterin oder aber auch als Teilnehmerin nach den allgemeinen Grundsätzen erscheinen. S t r a f e : Zuchtbaus bis zu fünf Jahren; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Zu den mildernden Umständen wird der Richter wegen StGB. §. 217 jedenfalls die Unehelichkeit der Empfängnis zu rechnen haben, wie dies einige neuere Gesetze (Ungarn und der russische Entwurf) ausdrücklich vorschreiben. Auch Italien 1889 nimmt weitgehende Rücksicht auf die Wahrung der Geschlechtsehre als Beweggrund der That. Aus der Wortfassung des 3. Abs. des §. 218: „angewendet oder beigebracht h a t " ergiebt sich, dafs von Strafbarkeit des dritten keine Rede sein kann, wenn er nur versucht hat, die Mittel anzuwenden oder beizubringen, ohne dafs ihm dies gelang (die Schwangere ist z. B. nicht imstande, den übelriechenden Trank zu sich zu nehmen). Dagegen liegt strafbarer Versuch vor, wenn die thatsächlich angewandten oder beigebrachten Mittel erfolglos geblieben sind, d. h. die Abtreibung, bez. Tötnng nicht herbeigeführt haben.*) 2. D i e L o h n a b t r e i b u n g ( S t G B . §. 219.) Sie liegt vor, wenn jemand einer Schwangern, welche ihre Frucht abgetrieben oder getötet hat, gegen E n t g e l t die Mittel hierzu verschafft, bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat. Entgelt ist gleichbedeutend mit Vermögensvorteil, umfafst also nicht Vorteile andrer A r t (unten §. 109). a ) Die Bedeutung dieser dem preufsischen StGB, unbekannten Beatimmung liegt in der wesentlichen Erhöhung des Strafrahmens (Zuchthaus bis zu zehn Jahren) gegenüber der — so häufig gewerbsmäfsig betriebenen — entgeltlichen Thätigkeit dritter. Eben darum wird nicht nur das Beibringen oder Anwenden von Abtreibungsmitteln, also eine all Thäterschaft oder Mitthätenchaft erscheinende Mitwirkung, sondern auch das V e r s c h a f f e n der Mittel, also eine B e i h i l f e h a n d l u n g , von dieser strengern Strafdrohung getroffen, während alle a n d e r n Beihilfehandlungen (insbesondere Beihilfe durch Rat, Aufmunterung usw.) ebenso *) So die gem. Meinung, insbes. O 844. Dagegen R 24. Juni 81 I V 309, 38. März 87 XVI 26; auch B a u m g a r t e n Versuch 434. — Empfehlen würde es sich, den 3. Abs. des §. 218 mit dem §. 219 zusammenzufassen. •) So die gem. Meinung. Dagegen 0 846.
§. 94. Der Raufhandel.
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wie die A n s t i f t u n g nur nach dem mildern Straf satze des §. 218 zu beurteilen sind. Dieser Grandgedanke de« Gesetzgeber* zwingt aber zu der Folgerang, dafs die Mitwirkung der Schwängern selbst unter gar keinen Umständen nach §. 219, sondern nur nach §. 218 Abs. 1 oder 8 gestraft werden kann.7) Dafs die Frucht abgetrieben oder getötet w o r d e n , ist nach der Fassung des Gesetzes B e d i n g u n g d e r S t r a f b a r k e i t . Strafbarer Versuch nach §. 219 könnte daher nur dann angenommen werden, wenn, obwohl die Handlung des Lohnabtreibers fehlschlug oder unvollendet blieb, doch — infolge anderweitiger Thätigkeit — die Abtreibung erfolgte.*) Abgesehen von diesem Falle, würde der Versuch nach §. 218 gestraft werden können. 3. Abtreibung durch einen dritten o h n e W i s s e n o d e r W i l l e n d e r S c h w a n g e r n (StGB. §. 220). Mangel der Einwilligung begründet ebenso die Strafbarkeit des Thäters, welcher mit Wissen der Schwangeren (etwa gewaltsam) handelt, wie Mangel des Wissens bei erfolgter Einwilligung. — Tötung der Schwangeren ist niemals zugleich als Abtreibung strafbar, da die Frucht kein von dem mütterlichen Leben trennbares Dasein hat. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter zwei Jahren; ist durch die Handlung der Tod der Schwängern verursacht worden, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. S c h u l d in Bezug auf den schweren Erfolg ist nicht erforderlich, da derselbe auch hier Bedingung der Strafbarkeit ist. V e r s u c h des schwerern Falles ist möglich, wenn durch die Versuchshandlung der schwerere Erfolg verursacht wurde, die Abtreibungsmittel also zwar nioht die Ausstofsung oder den Tod der Leibesfrucht, wohl aber den Tod der Schwangern (etwa durch Blutvergiftung) herbeigeführt haben.
§. 94. Litteratnr.
4 . Der Raufhandel.
B e r n e r GS XVIIL
G e y e r HH I I I 661. H I I 107.
I. G e s c h i c h t e . Verletzungen und Tötungen im Raufhandel bieten der rechtlichen Beurteilung in doppelter Beziehung besondre Schwierigkeiten. Einmal ist es in zahlreichen Fällen unmöglich, mit einiger SicherDagegen R 10. April 80 I 360, 13. Juli 87 XVI 184; H II 7JL M 642, 646, O 846, S 391 Note 9; übereinstimmend mit dem Text G Ö 10, v. KrieB Z VII 637. Vgl. auch oben 6. 63 V. *) Im wesentlichen übereinstimmend die gem. Meinung, insbes., im Anschlüsse an OT, R in einer Anzahl von Entscheidungen. Dagegen G II 10, H II 73, M 646, O 846.
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§. 94.
Der Raufhandel.
heit festzustellen, wer von den Beteiligten den Tod oder die Körperverletzung verursacht hat. Ferner kann aber auch der Fall sich ereignen, dafs der eingetretene Erfolg nur aus dem Zusammenwirken mehrerer Verletzungen entstanden ist. Wie die deutschen Quellen, so beschäftigte sich auch die italienische Wissenschaft des spätem Mittelalters vielfach mit diesen Schwierigkeiten, f ü r welche das römische Recht (1. 11 §. 3 D 9, 2 vgl. mit 1 61 eod.) widersprechende Entscheidungen getroffen hatte, ohne dafs sie jedoch über die Aufstellung gewaltsamer Fiktionen hinwegzukommen vermocht hätte. Auch die PGO. begnügt sich mit einer solchen, wenn sie in Art. 148 bestimmt: „ W ä r e aber der Entleibte durch mehr denn einen, die man wüfste, gefährlicherweise tödlich geschlagen . . . worden und man könnte nicht beweislich machen, von welcher sonderlichen Hand und That er gestorben wäre, so sind dieselben, so die Verletzung wie obsteht gethan haben, alle als T o t s c h l ä g e r zum Tod zu strafen." Die Landesgesetzgebung aus der Zeit des gemeinen Rechts ist trotz aller Anläufe zu sachgemäfser Regelung (vgl. z. B. Bächsische Konstitutionen I V 7) nicht glücklicher gewesen. Noch A L R . 844 bestimmt, dafs derjenige als Totschläger anzusehen sei, welcher zuerst von einer tödlichen Waffe Gebrauch gemacht habe. Die heutige Gesetzgebung bemüht sich, seit den Gesetzbüchern f ü r Braunschweig und Freufsen, alle willkürlichen Annahmen zu vermeiden und die Strafe nach dem Verschulden zu bemessen, hat aber mit diesen Bemühungen einen nur teilweisen Erfolg erzielt. Dies gilt auch von §. 237 RStGB., welcher zwei wesentlich voneinander verschiedene Fälle umfafst, und in dem zweiten derselben gänzlich ungerechtfertigte Bestimmungen trifft. Das einzig richtige wäre (ähnlich wie dies der russische Entwurf gethan hat), die Beteiligung an einem Raufhandel als Vergehen gegen die öffentliche Ordnung mit möglichst strengen Strafen zu belegen. StGB. §. 367 Ziff. 10 (vgl. oben §. 89 Note 1) erscheint in keiner Weise als ausreichend. I I . D e r e r s t e F a l l . N a c h dem 1. A b s . des §. 2 2 7 ist, wenn durch eine Schlägerei oder durch einen von mehrern gemachten A n g r i f f der T o d eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§. 2 2 4 ) verursacht w o r d e n , j e d e r , welcher sich an der S c h l ä g e r e i oder dem Angriffe beteiligt h a t , schon w e g e n d i e s e r B e t e i l i g u n g zu bestrafen, falls er nicht ohne sein V e r s c h u l d e n hineingezogen worden ist. D e m n a c h ist die B e t e i l i g u n g a l s s o l c h e , wenn die übrigen V o r a u s s e t z u n g e n zutreffen, s t r a f b a r ; die B e t e i l i g u n g a m R a u f h a n d e l ist in durchaus zutreffender W e i s e zum selbständigen V e r g e h e n erhoben, der Eintritt des Todes oder der schweren Körperverletzung zur objektiven B e d i n g u n g der S t r a f b a r k e i t g e m a c h t .
§. 94. Der RsuflmndeL
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S c h l ä g e r e i ist der in Thätlichkeiten ausgeartete Streit zwischen mehr als zwei Personen. A n g r i f f ist gleichbedeutend mit „thmtlicher Angriff' in dem nnten §. 97 Note 1 erörterten Sinn. Beteiligt aber ist jeder, welcher an dem Orte und zur Zeit de« Raufhandels persönlich anwesend ist und sei es psychisch (wie doroh Aufreizung usw.), sei es physisch mitwirkt. Dabei macht es, vorausgesetzt, dafs sich der Baufhandel als einheitlicher Vorgang darstellt, keinen Unterschied, ob die Mitwirkung vor oder nach jenem Zeitpunkte stattfindet, in welchem Tod oder Körperverletzung verursacht wurden. Ist der Urheber der tödlichen oder schweren Verletzung bekannt, so kann dieser nach §§. 211 ff., bez. 224ff.StGB, bestraft werden, während die übrigen Beteiligten nach §. 227 haften. Die S t r a f e ist Gefängnis bis zu 3 Jahren. Auf Bufse ist nicht zu erkennen, da der Schuldige nicht wegen Verursachung des Erfolges, sondern wegen des Sondervergehens der Beteiligung am Raufhandel bestraft wird.1)
III. Wesentlich andre Bedeutung hat die Bestimmung im 2. Abs. des §. 227 StGB. Ist nämlich durch eine Schlägerei oder durch einen von mehrern gemachten Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§. 224) verursacht worden, diese Folge aber mehreren (vorsätzlichen, nicht fahrlässigen)*) V e r l e t z u n g e n zuzuschreiben, welche dieselbe nicht einzeln, sondern nur d u r c h ihr Z u s a m m e n t r e f f e n verursacht haben, so wäre nach den allgemeinen Grundsätzen jede deijenigen Personen, welcher eine dieser Verletzungen zur Last fällt, mit der Strafe der §§. 224r-226, bez. 230 zu belegen. In ganz ungerechtfertigter und nur aus geschichtlichen Nachklängen erklärbarer Weise stellt der Gesetzgeber für diesen Fall einen b e s o n d e r n S t r a f r a h m e n auf, welcher im Vergleiche mit den angeführten Paragraphen einerseits als unverhältnismäßig mild, anderseits als ungerechtfertigt streng erscheint. Die Streichung des ganzen Absatzes ist demnach dringend wünschenswert. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen (§. 228) Gefängnis nicht unter einem Monat. Auf B u f s e ist zu erkennen, wenn eine Körperverletzung vorliegt. >) Übereinstimmend v. W ä c h t e r Bufse 60, H II 112, M 668. Dagegen 0.902 mit der gem. Meinung. •) Ubereinstimmend H I I 110 u. a. Dagegen 0 896.
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§. 96. Der Zweikampf.
§. 95. 5. Der Zweikampf. L i t t e r a t n r . Wertvolle Darstellung in der Begründung des preufs. Entw. von 1833 (S. 101 bis 203). T e i c h m a n n H H I I I 381, I V 364. O r t l o f f GA XXXI 147. R ö d e n b e c k Der Zweikampf im Verhältnis zu Tötung und Körperverletzung 1883 (Z I I I 512). H ä l s c h n e r OS X X X I V 1 (Z I I 626), XXXV 161 (Z I I I 712). V i l l n o w GS X X X V I I 606 (Z VI 661). H I I 933. Z u c k e r bei Grünhut XV 760. L e v i Zur Lehre vom Zweikampfverbrechen 1889. — Über studentische Schlägermensuren insbesondre: S o n t a g Z II 1. r. B u r i GS X X X I V 354 (Z I I I 185). Z i m m e r m a n n GS X X X I V 379 (Z I I I 185). K r o n e c k e r GS XXXV 201 (Z I I I 712). Die Z V I I I 362 angeführten Schriften. — Etwa noch A. v. O e t t i n g e n Zur Duellfrage 1889. U e d e m Die Duellfrage 2. Aufl. 1890. M a r t i n Die juristische Behandlung des studentischen Schlägerduells 1887. I. G e s c h i c h t e u n d s y s t e m a t i s c h e S t e l l u n g . Die Strafbestimmungen gegen die Herausforderung, das „Ausheischen" oder „Ausladen" zum Kampf, finden sich seit der zweiten Hälfte des Mittelalters. 1 ) Sie knüpfen sich einerseits an den Schutz des Hausrechtes, anderseits an das Verbot des gerichtlichen Zweikampfes. Bis in den Anfang des 17. Jahrhunderts wird, unter dem Einflufs der sächsischen Konstitutionen (IV 10) der Herausgeforderte, selbst wenn er seinen Gegner tötet, nur willkürlich bestraft. Bald aber treten strenge Duellmandate in den verschiedenen Ländern (in Reufs schon 1613, in Osterreich 1624) gegen die •os den romanischen Ländern in neuer Gestalt herüberdringende Unsitte auf. Das ReichBgutachten von 1668, das allerdings niemals gesetzliche Kraft erlangte, drohte dem im Zweikampf Gebliebenen schimpfliches Begräbnis, dem Überlebenden entehrende Todesstrafe. Die Schriftsteller der Auf klärongszeit sind auch hier geteilter Ansicht. Während B e c c a r i a , 8 o d e o u.a. den Zweikampf überhaupt oder doch auf seiten des Geforderten straflos lassen wollen, verlangen F r i e d r i c h I I und J o s e f I I strengste Bestrafung. Das ALR. 667 fafst den Zweikampf als eigenmächtige Selbsthilfe für erlittene Beleidigung auf, straft Tötung des Gegners als Mord oder Totschlag, droht beiden Teilen Adels- und Ehrverlust und läfst das Bild des flüchtigen Thäters an den öffentlichen Schandpfahl schlagen. Noch v. S a v i g n y hielt entehrende Strafen für angezeigt. Erst allmählioh überzeugt sich die Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts, dafs der Widerspruch zwischen dem Verbot der Strafgesetzgebung und dem Gebot der Ehre eine, wenn auch ernste, so doch nicht entehrende Strafe dringend verlange; und so verwendet auch im Anschlufs an Preufsen ') Zahlreich in den österreichischen Weistümern. Vgl. auch O s e n b r ü f f g e n AlamannischeB Strafrecht 212, 364. B e n n e c k e Zur Geschichte des deutschen Strafprozesses (1886) 65. Bayern 1616 spricht noch von dem „Heimsuchen mit Scheitworten". Diesen Zusammenhang hat auch Levi wieder gänzlich übersehen.
g. 95. Der Zweikampf.
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1861 uiiier BStGB. — von den Fällen in §§. 207 und 210 abgesehen — die Festangshaft «lg custodia honesta rar Bestrafung des Zweikampfes. Der Grand für die Strafbarkeit des Zweikampfs liegt aber nicht darin, dafs er als Krieg zweier Menschen (dnellum) eine Störung de« öffentlichen Friedens enthielte: denn der Zweikampf geht heutzutage meist in stiller Abgeschiedenheit vor sich ; auch nicht darin, dafs er als ungerechte Selbsthilfe den Gang der Rechtspflege durch eigenmächtigen Eingriff störte: denn diese wird einfach beiseite gelassen und niemand Gewalt angethan; sondern nur darin, dafs er ein Spiel um Leib und Leben, eine G e f ä h r d u n g eignen und fremden Daseins ist, wie sie der Staat nicht ruhig mit ansehen zu können glaubt. In systematischer Beziehung nimmt der Zweikampf unter den Verbrechen gegen Leib und Leben dieselbe Stellung ein, wie das Glücksspiel unter den strafbaren Handlungen gegen das Vermögen.*) II. D e r B e g r i f f des Zweikampfes wird im StGB, nicht bestimmt, sondern als durch die Sitte vorgezeichnet vorausgesetzt. Das ist für eine Reihe von Einzelfragen von Bedeutung. Im allgemeinen können wir sagen: Zweikampf ist d e r v e r a b r e d e t e , den h e r g e b r a c h t e n oder v e r e i n b a r t e n R e geln e n t s p r e c h e n d e K a m p f mit gleichwertigen t ö d l i c h e n W a f f e n z w i s c h e n zwei Personen. Der B e w e g g r u n d des Zweikampfes ist begrifflich gleichgültig; es ist unrichtig, nur den E h r e n z w e i k a m p f oder nur diesen u n d d e n R a c h e Zweikampf als Zweikampf im Sinne des Gesetzes gelten lassen zu wollen. Der Begriff des K a m p f e s erfordert gegenseitiges Einsetzen von Kraft und Gewandtheit. Es ist kein Zweikampf, wenn etwa die beiden Gegner das Ubereinkommen getroffen haben, den Gesetzen der Ehre scheinbar Genüge zu leisten, aber beiderseits in die Luft zu ächiefsen. Aber auch das sogegenannte a m e r i k a n i s c h e D u e l l (besser: die Losung ums Leben) ist kein Zweikampf. Will man dasselbe überhaupt mit Strafe bedrohen, so bedarf es, da auch alle übrigen strafrechtlichen Gesichtspunkte versagen, der Aufstellung eines neuen ») Derselben Ansicht G I I 14, M 448, 0 808, W 362, r. B o h l and Gefahr 6, Son t a g Z II 3. Dagegen hält H II 939 an der Auffassung des Zweikampfes als eines gegen aie Rechtspflege gerichteten Verbrechens fest. — Bei Nichterwähnung des Zweikampfes im Gesetz (bo code pénal, Bayern 1813, anders Belgien und die gTofse Mehrzahl der übrigen Staaten) würde die Frage, ob der Zweikampf überhaupt strafbar sei, wegen seiner durchaus eigenartigen Bedeutung sehr schwierig zu entscheiden und am richtigsten wohl zu verneinen sein. Vgl. die französische Rechtsprechung.
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§. 95.
Der Zweikampf.
selbständigen, am besten dem Zweikampfe anzureihenden Verbrechensbegriffes. 8 ) Der Kampf mufs v e r a b r e d e t sein. Ob der Vereinbarung eine längere oder kürzere Überlegung vorhergegangen, ist gleichgültig. Daher ist auch das sog. R e n c o n t r e wahrer Zweikampf, nicht aber die A t t a c k e , bei welcher der Angegriffene in Notwehr handelt. Der Begriff der " W a f f e ist hier im engern (technischen) Sinne zu nehmen: er umfafst alle zur angriff's- oder verteidigungsweisen Zufügung von Verletzungen bestimmten und bei bestimmungsgemäfser Anwendung geeigneten Werkzeuge. Ein Faustkampf ist mithin ebensowenig Zweikampf wie das englische Boxen oder das „Hackein" oder „Hosenlupfeu 1 ' der Alpenbewohner. Die Waffe mufs aber der hergebrachten Sitte entsprechen, „Duellwaffe" in diesem Sinne sein; Stöcke und Knüttel sind ebenso ausgeschlossen wie Messer und Dolch oder Streitkolben und Schleuder. G l e i c h h e i t der Waffen ist nicht erforderlich, auch nicht Gleichheit der A r t nach. Zweikampf wäre möglich zwischen einem den Säbel führenden Reiter und einem Bajonettfechter zu Fufs. 4 ) Wohl aber ist, wie das schon aus dem Begriffe des „Kampfes" hervorgeht, G l e i c h w e r t i g k e i t der Waffen erforderlich, so dafs nicht von vornherein der Sieg unzweifelhaft entschieden ist. Aus dem gleichen Grunde mufs aber auch eine g e w i s s e Gleichwertigkeit der G e g n e r , welche auch dem Schwächern eine, wenn auch noch so geringe Hoffnung auf den Sieg gewährt, gefordert werden. AVenn in einem Pistolenduell ') Die Frage ist sehr bestritten. Im Sinne des Textes G o l t d a m m e r GA X I I I 95, L e v i 96, J 216, G II 14, H II 941, M 556, Ml 304. 0 806, W 354. Besondre Bestimmungen finden sich im ungarischen StGB., in den österreichischen und im russischen Entwurf; gebilligt wird letzterer von S c h ä t z e Kritik 16 und G e y e r GS X X X V I I I 121. Vgl. Antrag R e i c h e n s p e r g e r beim deutschen Reichstag 1886. — Dagegen betrachten das amerikanische Duell als Zweikampf L u e d e r GA X I I I 540, S 293 Note 7; als straflose Teilnahme am Selbstmord T e i c h m a n n HH I I I 395, v. H o l t z e n d o r f f H H III 417, S c h a p e r H H II 117, M 449, O r t l o f f a. 0 . 152, V i l l n o w a. 0 . 617; als fahrlässige Tötung O p p e n h o f f No. 7 zu §. 211; als Mord (!) Bg I 702. Vgl. auch die Aufsätze in der allg. österr. Gerichtszeitung 1846 No. 96 ( F r ü h w a l d ) , 1865 No. 6 ( N e u b a u e r ) , 1875 (v. L i s z t ) . 4 ) Dagegen die gemeine Meinung. Im Sinne des Textes M 559, 0 807.
§. 96. Der Zweikampf.
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ein Sehender seinen blinden Gregner erschie&t, so liegt für die rechtliche wie für die sittliche Beurteilung gemeiner Mord vor. Das Gesetz verlangt weiter t ö d l i c h e Waffen, also Waffen von einer gewissen Eigenschaft. Eine tödliche Waffe aber ist diejenige, welche zur angriffe- oder verteidigungsweisen Zufügung von t ö d l i c h e n Verletzungen bestimmt und bei bestimmungsgemäßer Anwendung geeignet ist. Ein „Kampf mit tödlichen Waffen" liegt nicht vor, wenn die Waffe zur Zufügung tödlicher Verletzungen nicht bestimmt und ihre Eignung dazu durch besondre Schutzvorrichtungen aufgehoben ist. Nicht nur eine bestimmte Eigenschaft der Waffen, sondern auch eine dieser Eigenschaft entsprechende Verwendung im Kampfe ist erforderlich. Demnach erscheinen die gewöhnlichen studentischen S c h l ä g e r m e n s u r e n zwar als ein vielleicht strafwürdiges (positivrechtlich strafloses) Kampfspiel, nicht aber als Zweikampf im Sinne des RStGB. 5 ) Die Anwendung der strafgesetzlichen Bestimmungen über Körperverletzung und Raufhandel ist ausgeschlossen, weil die im Zweikampf vorkommenden Verletzungen zum Zweikampf selbst gehören und nicht getrennt von diesem zur Strafe gezogen werden können.6) Die a k a d e m i s c h e n V o r s c h r i f t e n über *) Die Ansichten und deren Begründung gehen weit auseinander. Im Ergebnisse, wenn auch nur teilweise in der Begründung übereinstimmend: G I I 15, M 558, Ml 305, 0 809, Bg Normen 1 392 Note 40 (8. Aufl.), L e v i 110, B a l a n Duell und Ehre 1890 S. 6 Note, K r o n e c k e r GS XXXV 214, T e i c h m a n n H H I I I 394, K e s s l e r Einwilligung 95, y. B u r i GS XXXIV 365, ß o e d e n b e o k GS X X X V I I 144, S o n t a g Z II 6, H I I 948, V i l l n o w GS X X X V I I 166, v. J a g e m a n n H G I I 108. Vgl. auch Z VIII 352. — Dagegen hat das RG. nach öfterm Schwanken durch Entsch. der Ver. Str. Senate vom 6. März 83 V I I I 87 die Schlägermensur für Zweikampf im Sinne des Gesetzes erklärt. Aber die Gründe dieser Entscheidung sind merkwürdig schwach. 1. „Die Entstehungsgeschichte des preufs. StGB, erweise, dafs „„tödliche"" Waffe (im Unterschiede vom A L ß . nur „„Waffe"" im technischen Sinne bedeuten solle." Als ob diese geschichtliche Erinnerung den leisesten Wert für die Auslegung des RStGB. hätte. 2. „Die gegenteilige Ansicht führe zu unerträglichen Folgerungen." Das ist weder richtig noch beweisend. Solche Folgerungen zu beseitigen, ist Sache des Gesetzgebers. 3. „Im preufs. StGB. habe es nie einen bes. Thatbestand des studentischen Duells gegeben." Eine Behauptung, welche der im Texte vertretenen Ansicht gegenüber ohne alle Erheblichkeit ist. «) Ebenso B g I 368, 724, G I I 15, 0 804, S o n t a g Z I I 7 u. a.; insbesondre auch alle diejenigen, welche die körperliche Verletzung des Einwilligenden straflos lassen (oben §. 88 Note 3). Dagegen H I I 951, M 559, Ml 306, M e r k e l H R „Zweikampf".
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§. 95. Der Zweikampf.
Studentenduelle sind durch d a s R S t G B . als Straf-, nicht als Disziplinargesetze beseitigt worden. 7 ) Der Zweikampf ist v o l l e n d e t , sobald auch nur einer der beiden Gegner den K a m p f begonnen, d. h. von seiner W a f f e zum Angriff Gebrauch gemacht hat, auch wenn die W a f f e (Pistole) versagt haben sollte, oder wenn der Duellant absichtlich, aber ohne Einverständnis mit seinem Gegner, in die L u f t geschossen hat. 8 ) Der Versuch (Zielen mit der Pistole, A u s holung zum Schlag) ist nicht s t r a f b a r . I I I . Der Gesetzgeber hat sich aber nicht damit begnügt, den Zweikampf selbst unter Strafe zu stellen, sondern bedroht auch im Anschlüsse an die geschichtliche Entwickelung des Verbrechens gewisse V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n , nämlich die H e r a u s f o r d e r u n g zum Zweikampf und die A n n a h m e einer solchen. S t r a f e : regelmäfsig (StGB. §. 201) Festungshaft bis zu sechs Monaten; wenn aber bei der Herausforderung die Absicht (gleich Vorsatz), dafs einer von beiden Teilen verlieren soll, entweder ausgesprochen ist oder aus der gewählten Art des Zweikampfes erhellt (StGB. §. 202) Festungshaft von zwei Monaten bis zu zwei Jahren. Der V e r s u c h ist wegen der Vergehensnatur dieses Deliktes nicht strafbar. T e i l n a h m e ist nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Einen Fall der Beihilfe hebt der Gesetzgeber besonders hervor, indem er (in §. 203) diejenigen, welche den Auftrag zu einer Herausforderung (nicht den Auftrag zur Annahme) übernehmen und ausrichten (die Kartellträger), mit Festungshaft bis zu sechs Monaten bedroht. Die Strafe der Herausforderung und der Annahme derselben, sowie die Strafe der Kartellträger f ä l l t weg (StGB. §. 204), wenn die Parteien den Zweikampf vor dessen Beginn freiwillig aufgegeben haben.') EntEbenso B 492, B g I 316, 321, G II 15, M 564, O 804, jetzt auch H II 944; dagegen S. 292 Note 3, T e i c h m a n n HH III 392, S o n t a g Z II 6, K r o n e c k e r GS X X X V 233, V i l l n o w GS X X X V I I 629, K e s s l e r Einwilligung 96, ferner: die frühere preufs. Rechtsprechung, sowie das badische Einf.Ges. vom 23. Dezember 1871, welches in Art. 8 die Schlägermensur mit Haft bedroht. Jedenfalls wäre gesetzliche Regelung der ganzen Frage, u. z. durch ausdrückliche Uberweisung der studentischen Schlägermensur an die Disziplinar • Gerichtsbarkeit der Universitäten dringend zu wünschen. ') So O 815; dagegen die gem. Meinung, insbesondere H I I 953. ') Rücktritt b e i d e r Parteien ist erforderlich. Ebenso M 562, L e v i 128. Dagegen O 814. — Straflosigkeit tritt auch dann ein, wenn der Herausforderer nach Ablehnung seiner Forderung durch den Gegner den Zweikampf aufgiebt. Dagegen H II 957, O 814, L e v i 122 und R 28. April 81 IV 114.
§. 95. Der Zweikampf.
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gegen der aligemeinen Regel (oben §. 76 I, 54 I I I 8), dafs Strafaufhebungsgründe nnr demjenigen zu gute kommen, in dessen Person sie sich ereignen, wirkt hier die „thätige Rene" der Hauptthäter zn gunsten aller Betheiligten. Kommt der Zweikampf wirklich zustande, so wird dadurch die Strafbarkeit der Vorbereitungshandlungen für die beiden Parteien beseitigt (oben §. 57 I I ) ; die übrigen Betheiligten, auch die Kartellträger (StGB. §.209), haften nach den allgemeinen Grundsätzen über Teilnahme; aber nunmehr wegen ihrer Beteiligung am Zweikampfe selbst. l0 ) IV. Die S t r a f e des Zweikampfes ist im Gesetze verschieden abgestuft. 1. Regelmäßiger Strafrahmen (StGB. §. 205): Festungshaft von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Bufse ausgeschlossen. 2. Wer seinen Gegner im Zweikampf (durch eine vorsätzlich zugefügte Verletzung) tötet (StGB. §. 206), wird mit Festungshaft nicht unter zwei Jahren, und wenn der Zweikampf ein solcher war, welcher den Tod des einen von bpiden herbeiführen sollte, mit Festungshaft nicht unter drei Jahren bestraft. Der schwere Strafrahmen ist ausgeschlossen, wenn der Tod aus einer nicht vorsätzlichen Verletzung hervorging, der Getötete z. B. durch einen Sturz sich die Klinge des Gegners in den Leib stiefs; sowie dann, wenn er überhaupt nicht die Folge einer im Kampfe erlittenen Verwundung, sondern z. B. des durch die Bandagierung bewirkten Blutandranges zum Kopfe war. Dagegen ist im übrigen der regelmäfsige Ursachenbegriff (oben §. 28) uneingeschränkt zur Anwendung zu bringen. 3. Ist eine Tötung oder Körperverletzung mittels vorsätzlicher Übertretung der vereinbarten oder hergebrachten Regeln des Zweikampfes bewirkt worden, so ist der Übertreter (StGB. §. 207), sofern nicht nach den oben erwähnten Bestimmungen eine härtere Strafe verwirkt (nioht: „angedroht") ist, nach den allgemeinen Vorschriften über Tötung oder Körperverletzung zu bestrafen. Das Besondre dieser im übrigen selbstverständlichen Anordnung liegt darin, dafs die Zweikampfstrafen, wenn höher, eintreten sollen, obwohl der Zweikampf in dem Augenbliok aufgehört hat, Zweikampf zu sein, in welchem die Überschreitung der Kampfesregeln eingetreten ist. Hat der Zweikampf ohne Sekundanten stattgefunden, so kann nach §§.205, 206 die verwirkte Strafe bis um die Hälfte, jedoch nicht über fünfzehn Jahre erhöht werden (StGB. §. 208). Die Behandlung der T e i l n e h m e r richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Insbesondre können anch die Mitglieder des Ehrengerichts, welches den Zweikampf anordnet, sich der Teilnahme schuldig machen, wenn ihr Spruch auf den Entschlufs der Gegner, sich zu schlagen, bestimmend eingewirkt hat. Einen Fall hat auch hier der Gesetzgeber " ) Übereinstimmend G I I 15, M 568 Note 54, O 815. Dagegen H n 958, S 296, L e v i 127, R 4. Dezember 84 X I 279.
350
§•
Geschichte and Begriff der Beleidigung.
als selbständiges Vergehen besonder« hervorgehoben (StGB. §. 910), und damit für unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen der Teilnahme erklärt. Wer nämlich einen andern zum Zweikampf mit einem dritten ab. sichtlich (gleich vorsätzlich), insbesondre durch Bezeigung oder Androhung von Verachtung anreizt, wird, falls der Zweikampf (wenn auch nicht infolge seiner Anreizung) stattgefunden hat, statt mit Festungshaft, der regelmässigen Strafe des Zweikampfes, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. „Anreizen" ist ein weiterer Begriff als „Auffordern" und umschliefst auch mittelbare oder versteckte Einwirkung. S t r a f l o s bleiben (StGB. §. 209) Kartellträger, welche ernstlich bemüht gewesen sind, den Zweikampf zu verhindern, Sekundanten, sowie zum Zweikampf zugezogene Zeugen, Arzte und Wundärzte.
Zweiter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen unkörperliche Rechtsgüter. I. Strafbare Handlungen gegen die Ehre. §. 96.
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
L i t t e r a t n r . W e b e r Injurien und Schmähschriften (1793) 4. Aufl. 1820. K ö s t l i n Abhandlungen 1868. v. B u r i Abhandlungen 1868. D o c l o w H H I I I 337. .Tohn Z I 277 und gegen ihn v. B u r i GS X X X I I I (409 Z I I 160). — H U 167. — F r a n k GA XXXV 36 (Z V I I I 90). K r o n e c k e r GS XXXVIII 481 (Z VII 231). S t e n g l e i n GS X L I I 79. K u m p GA XXXV 370 (Z IX 675). Über die actio injuriarum vgl. oben §. 17 Note 2. I. Kaum tritt auf einem andern Gebiete des Strafrechts der Wechsel der Anschauungen, welcher nicht nur neue Interessen zu Rechtsgütern stempelt, sondern auch anerkannte Rechtsgüter innerlich umgestaltet, so deutlich zu Tage, wie auf dem Gebiete der gegen die Ehre gerichteten Vergehen. Was wir heute Ehre nennen und waB der Germane von jeher so genannt hat, ist dem r ö m i s c h e n R e c h t e stets fremd geblieben. Ihm war Ehre der Vollgenufs der römischen Bürgerrechte (dignitatis illaesae status legibus ac moribus comprobatus), deren Besitz wie Verlust durch festbestimmte objektive Vorschriften genau geregelt und damit dem verletzenden Angriffe dritter so gut wie entzogen war. Den heutigen Begriff der Beleidigung würden wir im römischen Rechte vergeblich snehen.
g. 96. Geschichte und Begriff der Beleidigung.
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Die privatrechtlicbe actio injuriarum geht von der Körperverletzung ana. In ihrer weitern Entwicklung umfafst sie jeden übermütigen Eingriff in fremden Rechtskreis. Das pulsare, verberare und domum vi introire der lex Cornelia de injuriis (oben §. 88 1) fällt gänzlich aus dem Umfang des Beleidigungsbegriffes heraus. Es ist daher für unsre Lehre ohne wesentliche Bedeutung, dafs nach spätrömischem Recht (1. 10 J 4, 4; 1. ult. D 47,10) bei injuria dem Verletzten die Wahl zwischen der actio injuriarom und der strafrechtlichen Verfolgung offen stand. Nur in e i n e m Funkte war das römische .Recht von jeher empfindlich gewesen. Schon die XII Tafeln (oben S. 32) bedrohten es mit kapitaler Strafe, si quis occentasset sive carmen condidisset, quod infamiam faceret flagitiumve alteri. Und in der Kaiserzeit waren die l i b e l l i f a m o s i , die anonymen Schmähschriften, mit strenger Strafe bedroht (C 0, 36). Anders die d e u t s c h e n V o l k s r e c h t e . Für den Qermanen wurzelt die Ehre voll und ganz in der Person und mit dieser in der Anerkennung von seiten der Genossen. Sie kann dnrch jedes Wort verletzt, aber sie kann auch wie durch das Schwert, so durch den Spruch der Genossen und die Ehrenerklärung des Gegners wieder hergestellt werden. Die Volksrechte zählen uns die Scheit- und Schimpfwörter mit den auf sie gesetzten Bufsen auf; sie schildern uns die verschiedenen thätlichen Angriffe und ergehen sich in behaglicher Breite über die Unterschiede in den Strafen, welche die unzüchtigen Berührungen einer Frau oder eines Mädchens nach sich zogen. Die Quellen des s p ä t e r n l l i t t e l a l t e r s , insbesondre die Stadtrechte, stehen auf dem gleichen Standpunkte; Widerruf, Abbitte und Ehrenerklärung, neben die Zahlung der Geldsumme oder an ihre Stelle tretend, sollen dem Verletzten Genugthuung gewähren. In schwerern Fällen werden aber auch (nicht-verstümmelnde) Leibesstrafen, Ausstellung am Pranger, gegen Frauen das Lastersteintragen oder ähnliche Übel verhängt. Peinliche Strafe (an Hals und Hand) ist ausgeschlossen. Die PGO., welche die Regelung der niedern Gerichtsbarkeit sich nicht zur Aufgabe gestellt hatte, erwähnt im Art. 107 (vgl. aber auch Art. 216) nur die S c h m ä h s c h r i f t und bedroht dieselbe, unter Ansschlufs des Wahrheitsbeweises, mit der Talion. Das g e m e i n e R e c h t entwickelt, gestützt auf die Reichs-Polizeiordnungen, die Lehre vom Pasquill (dem das Schandgemälde, die pictura famosa, gleichgestellt wird) weiter, setzt aber an Stelle der Talion willkürliche Strafe, welche in schwerern Fällen bis zur Todesstrafe sich steigern kann. Die Landesgesetzgebung des 16. bis 18. Jahrhunderts überläfst vielfach (abweichend Preussen 1620) die Beleidigung dem Privatrecht, und betrachtet nur die schwersten Fälle als landgerichtlich. Die sächsischen Konstitutionen, auch hier vielfach vorbildlich, heben die Beriihmung, mit einer Frau oder Jungfrau geschlafen zu haben, besonders hervor (IV 46) und gewähren im übrigen dem Beleidigten das Recht (IV 42), auf öffentlichen Widerruf vor Gericht und daneben auf willkürliche Strafe bis cor
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§• 96- Geschichte und Begriff der Beleidigung.
ewigen Landesverweisung zu klagen, wenn er sich nicht bei der bürgerlichen Klage beruhigen will. Vielfach (besonders in den Duellmandaten) wird die peinliche Privatklage durch amtliche Verfolgung verdrängt; wo jene fortbesteht, verjährt sie (in leichteren Fällen) in einem Jahr. Die neuere Gesetzgebung ist in der Behandlung der Beleidigung wenig glücklich gewesen. Sie hat es nicht verstanden, dem Verletzten eine unserm, vielleicht überspannten Ehrgefühl, entsprechende Sühne zu sichern. Dies gilt auch von unserm RStGB., welches den Beleidigten auf den dornenvollen Weg der Privatklage verweist, den Wahrheitsbeweis uneingeschränkt auch daun zuläfst, wenn Thatsachen des Familienlebens durch die Tagespresse in die Öffentlichkeit gezerrt wurden, und in seinen Strafdrohungen bis zu dem äufaersten Mindestmafs hinabgeht. In der Unausrottbarkeit des Zweikampfes liegt der unwiderlegliche Beweis für die Unzulänglichkeit unserer Gesetzgebung.
II. Der Begriff der Ehre. 1. Ehre ist d i e d e r S t e l l u n g i m K r e i s e d e r R e c h t sg e n o s s e n e n t p r e c h e n d e p e r s ö n l i c h e G e l t u n g . 1 ) Der Begriff wird nicht erschöpft durch die angeborne und unverlierbare „Menschenwürde"; auch nicht durch den rechtlich unfafsbaren, so manchem unter den Rechtsgenossen fehlenden „sittlichen Wert". Wohl aber wird der Begriff der Ehre begrenzt und bestimmt durch Umfang und Inhalt des Pflichtenkreises, der mit der Stellung gegeben ist. Ein Ehrenmann im Sinne der Rechtsordnung ist nur der, welcher seine Pflicht voll und ganz erfüllt. Aus dieser Auffassung erklärt sich uns die besondere Bedeutung der M a j e s t ä t s b e l e i d i g u n g ; gegen den Monarchen, und nicht gegen den Menschen schlechtweg gerichtet, überragt sie an Umfang die gemeine Beleidigung um ebensoviel, als die Stellung des Herrschers eine andere ist, wie die seiner Unterthanen (unten §. 168). Diese Auffassung erklärt es uns weiter, dafs nicht nur das Absprechen des sittlichen Wertes, sondern auch der Eigenschaften und Fähigkeiten, welche zur Ausfüllung der Stellung notwendig sind, als Beleidigung erscheint. Es giebt eine ') Diese Auffassung wird insbesondere vertreten von v. I h e r i n g Zweck im Becht I 143, I I 646 (auch von S o h m Institutionen); neuerdings von K r o n e c k e r 484, J 332, Ml 987, O 749. Verwandt die Fassung bei D o c h o w H H I I I 337, S t e n g l e i n GS X L I I 83 (Ehre gleich äufsere Achtung). Abweichend Bg I 726, M 689 (Achtung*wördigkeit); H I I 164 (sittlicher Wert).
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S t a n d e s - und B e r u f s e h r e , weil und soweit es Standes« und Berufspflichten giebt. Es ist Beleidigung, wenn der Arzt «in Stümper, der Künstler ein guter Mensch aber schlechter Musikant genannt wird; wenn von dem Reichskanzler gesagt wird, er spreche wie ein Schornsteinfeger; von dem Richter, er urteile wie ein Rechtskandidat; wenn der Leiter eines Opernhauses als Zirkusdirigent oder der Prediger als Schauspieler bezeichnet wird. Demnach gehört zur Ehre auch der K r e d i t , d. h. das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit des Kreditnehmenden, die wirtschaftliche Seite der Ehre.*) Den Kredit im Gesetze besonders zu erwähnen, ist mithin ebenso überflüssig und verwirrend, wie die ausdrückliche Betonung des sog. B e r u f s k r e d i t s , d. h. des Vertrauens in die zur Ausübung des Berufs (als Arzt, Erzieherin usw.) erforderlichen Eigenschaften und Fähigkeiten. 2. T r ä g e r des Rechtsgutes der Ehre kann nur der l e b e n d e Mensch sein. Der Verstorbene ist nicht mehr Rechtssubjekt. Die sog. Beleidigung Verstorbener ist mithin in Wahrheit stets Beleidigung der Überlebenden; und zwar nicht der e i n z e l n e n , etwa antragsberechtigten F a m i 1 i e n g 1 i e d e r, sondern der F a m i l i e selbst als Gesamtpersönlichkeit.*) Ebensowenig kann auch im allgemeinen das K i n d — wobei freilich die Grenzlinie schwer zu ziehen ist — in seiner „Ehre" verletzt werden; doch werden wir dem Kinde gegenüber die Möglichkeit einer Beleidigung annehmen müssen, sobald es in irgend einen Pflichtenkreis, etwa in der Schule, eintritt und das Bewufstsein dieser Pflichten besitzt. Anders steht es mit dem G e i s t e s k r a n k e n , in welchem wir trotz der *) Der Kredit ist mithin kein besonderes Rechtsgut, wie Bg I 169 und v. R ö h l and Gefahr annehmen. Noch unrichtiger ist es freilich, ihn mit G II 38, H II 198, M 590, O 764 zu den Vermögensinteressen zu stellen. Vgl. unten §. 97 IV. *) Beleidigung des Verstorbenen nehmen an A m s l e r die Möglichkeit einer Injurie an Veratorbenen 1871 und M 594. Nach der überwiegenden Ansicht soll StGB. 189 das „religiöse Gefühl" der Angehöngen schützen. Diese, auch in der Begründung des StGB, vertretene, Ansicht wird durch die Stellung des g. 189 widerlegt. Mit dem Text übereinstimmend H II 199, 468 sowie das französische Prefsgesetz vom 49. Juli 1881 g. 34 (Beilage zu Z I) und das englische Recht (Z VIII 463). Vermittelnd G II 38, L 109. Ton L i a i t , 8tr»frecht. 4. Aufl.
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vielleicht nur teilweisen Umnachtung seines Geistes im allgemeinen den Genossen zu achten verbunden sind; es liegt unzweifelhaft Beleidigung vor, wenn von der unheilbar geisteskranken Frau gesagt wird, sie sei eine Dirne gewesen oder wenn etwa der Wärter sie entblöfst, um das Gelächter der Anwesenden zu erregen.4) Ebenso ergiebt sich aber aus dem Begriffe der Ehre auch mit Notwendigkeit die, auch von der gesamten ältern Litteratur gezogene Folgerung, dafs nicht nur der Einzelne, sondern auch die Individuengruppen, soweit sie als G e s a m t p e r s ö n l i c h k e i t innerhalb des gesellschaftlichen Körpers anerkannt sind, Träger des Rechtsgutes „Ehre" und als solche Gegenstand der „Beleidigung" sein können. Das Reichsstrafrecht hat freilich diese Folgerung nicht gezogen. Von besondrer Anordnung abgesehen, schützt es nur die Ehre des E i n z e 1 individuums, nicht die der Individuengruppen.5) Ausnahme enthalten: a) StGB. §§. 196, 197 Beleidigung von B e h ö r d e n und p o l i t i s c h e n K ö r p e r s c h a f t e n ; b) StGB. §. 187 Gefährdung des Kredits von H a n d e l s g e s e l l s c h a f t e n ; c) StGB. §. 189 Schutz der F a m i l i e n ehre. Dazu käme noch d) §. 166: Beschimpfung von R e l i g i o n s g e s e l l s c h a f t e n (darüber unten §. 118 I.) *) Regelmäßig wird die Frage sowohl bezüglich des Kindes wie auch des Geisteskranken in gleicher Weise entschieden. Dies grlt sowohl von der gemeinen Meinung, welche die Möglichkeit einer Beleidigung des Kindes wie des Geisteskranken annimmt (auch R 2. Mai 84 X 372 sowie 0 761), als auch von v. B u r i 8 und J o h n HR, welche sie für beide in Abrede stellen. Die Notwendigkeit einer Unterscheidung ergiebt sich schon daraus, dafs nur in Beziehung auf den Geisteskranken, nicht in Beziehung auf das Kind, die Behauptung ehrenrühriger Thatsachen aus der Vergangenheit denkbar ist. Wird die Handlung nur in Gegenwart des Betroffenen selbst vorgenommen, so kann von Beleidigung hier wie stets nur dann die Rede sein, wenn der Ausdruck der Nichtachtung von dem Betroffenen verstanden werden kann. Der Satz pati quis injuriam etiamsi non sentiat potest (1. 3 §. 2 D 47, 10) ist mithin zweifellos falsch. Sehr interessant gestaltet sich diese Frage bei der MajeBtätsbeleidigung, wenn ein Kind oder ein Geisteskranker die Krone trägt. *) So die gem. Meinung auch R 12. April 81 IV 76; vgl. insbes. B o l z e GA X X V I 1, O 753. Dagegen J o h n HR, S t e n g l e i n GS X L I I 84, Ml 290, S 365, W 388, welche die Beleidigungsfähigkeit in weiterem Umfange annehmen,„während B r u h n s GS XXIV 481, J 235 u. a. sie ganz verneinen. — Uber die grundsätzliche Seite der Frage ist zu vergleichen G i e r k e GenoBsenschaftstheorie 147 (Z IX 637).
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Mit der Frage nach der Möglichkeit einer Beleidigung von G e s a m t p e r s ö n l i c h k e i t e n ist die andre Frage nicht zu verwechseln, ob und inwieweit E i n z e l p e r s o n e n durch G e s a m t b e z e i c h n u n g beleidigt werden können. Eine derartige Bezeichnung, wie: „die Geistlichkeit Berlins" oder „die braunschweigischen Leutnants" mufs als genügend erachtet werden, s o b a l d durch dieselbe einzelne Personen in erkennbarer Weise bezeichnet sind. Dagegen würden a l l g e m e i n e Bezeichnungen, wie „die Juden", „die Deutschfreisinnigen", „die Börsianer", „die Professoren" nicht geeignet sein, eine Beleidigung zu begründen. 3. Der R e c h t s s c h u t z , welchen die Rechtsordnung dem Rechtsgut der Ehre verleiht, ist ein rein negativer. Sie gewährt keinen Anspruch auf Achtung, aber sie bestraft den Ausdruck der Nichtachtung; und mit der Bestrafung des Beleidigers verbindet sie, wenn auch in durchaus ungenügender Weise, eine dem Beleidigten zu gewährende Genugthuung.
III. Die Handlang. Beleidigung ist im allgemeinen j e d e H a n d l u n g , d u r c h w e l c h e , unmittelbar oder mittelbar, d e r H a n d e l n d e s e i n e N i c h t a c h t u n g e i n e m a n d e r n g e g e n ü b e r , sei dies der Beleidigte selbst oder ein dritter, z u m A u s d r u c k b r i n g t . Das gesprochene oder geschriebene Wort kann ebensogut wie eine Gebärde oder ein Zeichen zum Ausdrucke der Nichtachtung dienen; durch Schimpfworte und Thätlichkeiten, durch den Vorwurf körperlicher Gebrechen, geistiger Schwäche oder sittlicher Mängel, wie durch das Absprechen der zur Ausübung des Berufes erforderlichen Eigenschaften und Fähigkeiten, durch grobe Scherze oder schwere Unhöflichkeiten wie durch das Behaupten ehrenrühriger Thatsachen — kann der Thatbestand der Beleidigung erfüllt werden; durch den Eingriff in fremde Rechte nur, wenn in ihm sich die Mifsachtung nicht nur des Rechts, sondern der Persönlichkeit selbst ausspricht. Der Handlung steht die U n t e r l a s s u n g (Nicht-Annahme der dargebotenen Hand, Nicht-Erwiderung des Grufses) gleich, soweit das Handeln als geboten erwartet werden durfte. Der durch die Handlung bewirkte E r f o l g besteht darin, dafs ein Anderer, sei es der Beleidigte, sei es ein dritter, von 23*
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dem Ausdruck der Nichtachtung Kenntnis nimmt. In diesem Augenblicke tritt die V o l l e n d u n g ein. B e i Übergabe eines Schriftstückes an die Post oder die Telegraplienanstalt oder an den Setzer darf weder ohne weiteres angenommen werden, dafs diese Personen den Inhalt des Schriftstücks zur Kenntnis genommen haben, noch darf die tliateächlich erfolgte Kenntnisnahme als gleichgültig behandelt werden. Der V e r s u c h der Beleidigung ist denkbar, aber nicht strafbar. W a r der gewählte Ausdruck nicht geeignet, die Nichtachtung zur Kenntnis anderer zu bringen, so würde untauglicher Versuch vorliegen. D i e Beleidigung ist nur als vorsätzlich begangene nach geltendem Rechte strafbar. Der V o r s a t z besteht aber auch hier lediglich in der Voraussicht des Erfolges, also in der Kenntnis von der beleidigenden Bedeutung der Handlung. Eine darüber hinausgehende A b s i c h t (sogenannter animus injuriandi) ist nicht erforderlich. I V . D i e allgemeinen Grundsätze über R c c h t s w i d r i g k c i t und Wegfall derselben (oben §§. 31 ff.) beanspruchen uneingeschränkte Geltung auch auf dem Gebiete der Beleidigungen. Insbesondere wird durch die E i n w i l l i g u n g des Verletzten nicht die Rechtswidrigkeit der Beleidigung ausgeschlossen, da die Ehre kein verzichtbares oder veräufserliches Recht i s t ; 6 ) wohl aber wird es in diesem Falle zumeist an dem erforderlichen Vorsatze fehlen. W a r dagegen der Thäter zur Vornahme der Handlung berechtigt, so entfallt damit die Rechtswidrigkeit der Beleidigung. D e r Gesetzgeber wollte in §. 193 diese allgemeine Regel dem Richter gerade hier ins Gedächtnis rufen und zugleich durch Beispiele erläutern, hat aber eben dadurch die Rechtsprechung vielfach irregeführt. §. 193 bestimmt: Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, ingleichen Äußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von eeiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind n u r i n s o f e r n t r a f b a r , als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der «) Dagegen Bg I 725, H I 472, M 349.
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Äußerung oder aas den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.') Zu den im Gesetz erwähnten „andern Fällen" wird unter andern zu rechnen sein: die Erfüllung der Zeugenpflicht; die Ausstellung eine* Dienstzeugnisses; eine im guten Glauben erfolgende Anzeige bei der Behörde; tadelnde Urteile über militärische oder amtliche Leistungen, soweit dieselben öffentlich stattfinden (Truppenschau, Schwurgerichtssitzung); Mitteilungen des Arztes an das Familienhaupt über Krankheiten der Familienmitglieder; kaufmännische Auskünfte überhaupt und insbesondere Mitteilungen der sog. „Auskunftsbüreaus" oder „Schutzgenossenschafton" an ihre Mitglieder über zahlungsunfähige oder säumige Schuldner*) usw. Hervorzuheben wäre, dafs die „Wahrnehmung berechtigter Interessen" d r i t t e r Personen unter §.193 StGB, fällt, wenn und soweit der Handelnde zu der Wahrnehmung b e r u f e n war, wenn auch nicht gerade durch Rechtspflicht, und wenn er die Aufserung zum Zwecke der Wahrnehmung gemacht hat. Ein besondrer Beruf der P r e s s e , fremde Interessen wahrzunehmen, kann nicht zugegeben werden.9) Irrige Annahme, dafs einer der Fälle des §. 193 vorliege, schliefst den Vorsatz aus. Durch die Schlufsworte des §. 193 wird der ebenfalls selbstverständliche Grundsatz zum Ausdrucke gebracht, dafs mit jeder Überschreitung der Berechtigung nach Inhalt oder Form (wozu auch der Ton der Aufserung gehört) das Gebiet des rechtswidrigen Handelns wieder betreten wird. Von der „Absicht zu beleidigen" ist aber auch in diesen Worten nicht die Rede. Selbstverständlich sollte es endlich sein, dafs §. 193, welcher überhaupt keinen neuen Rechtssatz ausspricht, auf a l l e Arten der Beleidigung, insbesondre auch auf die V e r l e u m d u n g Anwendung findet. Wenn auch eine B e r e c h t i g u n g zur Verleumdung nur ganz ausnahmsweise gedacht werden kann, so darf doch die Möglichkeit einer solchen grundsätzlich (man denke an einen Fall der Notwehr oder des Notstandes) nicht geleugnet werden.10) ^ Schon das gemeine Recht hat eine Reihe von Fällen hervorgehoben, in welchen der animus injuriandi entfällt (so Stryk, Kooh, Engau). Sehr kasuistisch auch hier ALR. Der russische Entw. hat mit Recht den ganzen §. gestrichen. — Gegen die im Text vertretene Ansicht von der rein deklaratorischen Bedeutung des §. 193 neuerding« K r o n e c k e r 496, 499, Ml 294. Richtig dagegen insbesondere 0 776 sowie R j m p . ') Ubereinstimmend R 30. Juni 89 VI 406. 20. März 84 X 361, sowie C o r d e s GA XXVIII 416 (Z I 369) und O 779. Dagegen 0. M e y e r Jahrbücher für Gesetzgebung VI 1269 (Z III 512). •) Übereinstimmend im allgemeinen R. Weiter gehend K r o n e c k e r 612, welcher alle Einschränkungen verwirft und nur verlangt, dafs die Aufserung w i r k l i c h zum Z w e c k e der Wahrnehmung berechtigter Interesse^ vorgenommen wurde. Ihm folgt 0 779. I0 ) Übereinstimmend R7. Juni87XVI139; M612,S369,Kronecker
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§. 97. Die Arten der Beleidigung.
§. 97.
Die Arten der Beleidigung.
I. E h r v e r l e t z u n g (StGB. §. 185) oder Beleidigung im eigentlichen Sinne ist d e r A u s d r u c k e i g n e r N i c h t a c h t u n g , mag derselbe in der Form eines Urteils oder in der Form einer das Urteil in sich schliefsenden Thatsachenbehauptung erfolgen. Die Aufserungen: „er ist ein Betrüger" und ..er hat mich betrogen" sind strafrechtlich von durchans gleicher Bedeutung. Immer aber mufs es sich um ein U r t e i l d e s B e l e i d i g e n d e n s e l b s t , nicht nur um die Herbeischaffung der Grundlage für das Urteil andrer handeln. Darin liegt der Unterschied der Beleidigung im eugeru Sinn von der Verleumdung wie von der üblen Nachrede. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Ausdruck der Nichtachtung vorliege, ist die Anschauungsweise der betreffenden Kreise, nicht etwa ein objektiver Mafsstab zu Grunde zu legen: die Bezeichnung eines Katholiken als Hugenott, eines Protestanten als Papist kann eine Beleidigung enthalten. Strafe: a) Geldstrafe bis zu sechshundert Mark, oder Haft oder Gefängnis bis zu einem Jahre; b) wenn mittels einer T h ä t l i c h k e i t , d. h. mittels eines unmittelbar gegen den Körper des zu Beleidigenden gerichteten, wenn auch fehlgeschlagenen Angriffes') begangen, Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Der verschiedene Vorsatz scheidet thätliche Beleidigung und Körperverletzung; ist — was wohl in der Regel der Fall sein dürfte — das BewufstBein vorhanden, dafs die Handlung nach b e i d e n Richtungen hin von Erfolg sein werde, so giebt nach allgemeinen Grundsätzen der höhere Strafsatz den Ausschlag.
IT. Die G e f ä h r d u n g der Ehre durch ü b l e N a c h r e d e (StGB. §. 186) oder das Behaupten oder Verbreiten von nicht erweislich wahren Tliatsachen in Beziehung auf einen andern, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen 621, F r a n k 47. Dagegen D o c h o w HH III 346, J o h n Z I 285, H II 186, O 776 (gestützt auf den unrichtigen Satz, dafs man niemals das Recht haben könne, wider besseres Wissen die Unwahrheit zu sagen). ') Also gleichbedeutend mit dem „thätlichen Angriff". Dagegen H II 766, O 752; übereinstimmend M 604, B a u m g a r t e n Versuch 411 Note 81. Der fehlgehende Peitschenhieb ist vollendete thätliche Beleidigung.
g. 97. Die Arten der Beleidigung.
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Meinung herabzuwürdigen geeignet sind. Den Gegensatz bildet das Ausspreeben des eigenen, wenn auch auf Thatsachen gestützten Urteils. Die üble Nachrede ist mithin nicht Verletzung, sondern Gefährdung der Ehre; nicht Ausdruck der Nichtachtung, sondern Mittheilung der Grundlage, welche a n d r e zur Nichtachtung veranlassen kann.1) Sie kann daher nicht g e g e n ü b e r dem Betroffenen,8) sondern nur in B e z u g auf ihn dritten Personen gegenüber begangen werden; und sie ist v o l l e n d e t mit der Behauptung oder Verbreitung der Thatsachen, d. h. sobald die Thatsache zur Kenntnis einer dritten Person gebracht ist. Daher ist ferner — im Gegensatze zu dem oben unter I Gesagten — nicht die Anschauung derjenigen Kreise, für welche die Aufserung zunächst berechnet ist, sondern die des unbefangen urteilenden Publikums mafsgebend. T h a t s a c h e i s t hier wie beim Betrug (unten §. 140 II) alles, was der Gegenwart oder der Gegenwart oder Vergangenheit, nicht aber was der Zukunft angehört. Vorgänge der Aufsenwelt wie im Innern des Thäters gehören hierher; den physischen Thatsachen stehen psychische, wie Eigenschaften, Ansichten und Absichten des Beleidigten, durchaus gleich.4) Die Thatsache ist b e h a u p t e t , wenn sie als Gegenstand eignen Wissens hingestellt wird; sie ist v e r b r e i t e t , wenn sie sonst einem andern mitgeteilt wird. Der Ausdruck „Verbreitung" bedeutet hier nicht, wie sonst (unten §. 110 II) Zugänglichmachen an einen nicht begrenzten Personenkreis, sondern schliefst auch die ohne den Vorsatz der Weiterverbreitung gemachte, ja selbst die streng vertrauliche Mitteilung in sich. Die Thatsache mufs geeignet sein, den andern, wenn auch nur bei e i n z e l n e n , v e r ä c h t l i c h zu m a c h e n , d. h. ihm die Achtung gänzlich zu entziehen; oder aber, ihn in d e r ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g (bei einem nicht begrenzten Personenkreis) h e r a b z u w ü r d i g e n , d. h. seine Achtung zu schmälern. *) Ebenso 111987, 290. Dagegen G II 37, M690, 0 767, K r o n e c k e r GS XXXVIII 488. *) Ebenso B 39. Juni 81 IV 401; insbesondre 30. November 82 VII 286. Teilweise abweichend O 767. *) Dagegen H II 191, Ml 292. Ubereinstimmend G II 37, M 608, 0 767. Es genügt z. B. die Behauptung, dafs jemand die Absicht verfolge, sich zu bereichern.
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§. 97. Die Arten der Beleidigung.
Dafs diese Wirkung thatsächlich erfolgt sei, ist nicht erforderlich. Der V o r s a t z des Thäters mufs diese Eignung, sowie die Beziehung der Thatsache auf den andern umfassen. Durch die Fassung des Nebensatzes: „wenn nicht diese Thatsachen erweislich wahr sind" hat der Gesetzgeber in möglichst deutlicher Weise zum Ausdrucke gebracht, dafs die Nichterweislichkeit der Thatsachen eine aufserhalb der verbrecherischen Handlung liegende, rein objektive Bedingung der Strafbarkeit (oben §. 43) ist. Daraus folgt, dafs der Vorsatz des Thäters sich nicht ai)f die j.Nichterweislichkeit-' zu erstrecken braucht, dafs mithin, trotz irriger Annahme der Erweislichkeit oder trotz einer ohne alles Verschulden des Thäters infolge äufserer Umstände, z. B. des Todes der Augenzeugen, eingetretenen Nichterweislichkeit — der Thatbestand des§. 186 gegeben sein kann.5) Strafe: a) Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu einem Jahre; b) wenn a) ö f f e n 11 i c h, d. h. so, dafs die Behauptung einem individuell nicht bestimmten und begrenzten Kreise von Personen zugänglich war. oder ß) durch V e r b r e i t u n g v o n S c h r i f t e n , Abbildungen oder Darstellungen begangen, Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Der Begriff der Verbreitung ist hier im technischen Sinne (unten §. 110 I I ) zu nehmen.
III. Die G e f ä h r d u n g der Ehre durch V e r l e u m d u n g " ) (StGB. §. 187) unterscheidet sich von der üblen Nachrede zunächst dadurch, dafs an Stelle der „nicht erweislich wahren" Thatsachen „ u n w a h r e " Thatsachen treten; weiter aber da') So die gem. Meinung, wenn auch mit unsicherer Begründung. Übereinstimmend insbes. R 30. Oktober 82 V I I I 171, 28. September 83 I X 160, 28. September 89 X I X 386. Abweichend Bg Normen I I 611. Ganz verfehlt ist es, hier Fahrlässigkeit anzunehmen (so L 30) oder von einer Präsumtion zu sprechen (so S c h m i d Präsumtionen 67, R u p p Modernes Recht 66). •) Seit F e u e r b a c h und G r o l m a n n als Verletzung des „Rechts auf den guten Namen" von der Beleidigung ah der Verletzung der ^bürgerlichen Ehre" unterschieden, und als Vorwurf rechtswidriger, bez. in der Meinung des Publikums herabsetzender H a n d l u n g e n bestimmt. Meine Auffassung der Verleumdung als Gefährdung der Ehre ist lebhaft angefochten worden von G I I 37, 0 763. K r o n e c k e r 488. Doch haben mich die Gründe der Gegner in keiner Weise überzeugt. Das Untergraben der Ehre ist noch keine Verletzung derselben, wenn auch (was ich stets betont habe) verwerflicher und strafbarer als diese. Der Ansdruck „Kreditgefährdung" spricht gewifs nicht für die Gegner.
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Die Arten der Beleidigung.
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durch, dafs der Thäter „wider besseres "Wissen" gehandelt haben mufs. Dies ist aber auch dann der F a l l , wenn er eine Thatsache bestimmt behauptet oder verbreitet, deren Richtigkeit ihm zweifelhaft erscheint. Unbestimmter Vorsatz genügt mithin hier wie überall. 7 ) Im übrigen deckt sich der Thatbestand der Verleumdung mit jenem der üblen Nachrede.
S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren; wenn die oben zu I I b angeführten erschwerenden Umstände vorliegen, Gefängnis nicht unter einem Monate. Bei mildernden Umständen kann entweder die Strafe bis auf einen Tag Gefängnis ermäßigt, oder auf Geldstrafe bis zu neunhundert Mark erkannt werden.
I V . G e f ä h r d u n g des K r e d i t s d u r c h V e r l e u m d u n g (§. 187), ist die wider besseres Wissen in Bezug auf einen rudern erfolgende Behauptung oder Verbreitung von Thatsachen, welche dessen Kredit zu gefährden geeignet sind. Dafs durch diese, dem sächsischen S t G B , von 1868 entnommene, Bestimmung der Kredit auch von Handelsgesellschaften, obwohl sie Gesamtpersönlichkeiten sind, geschützt werden soll, wird allgemein zugegeben. S t r a f e wie zu I I I .
V. G e f ä h r d u n g d e r F a m i l i e n e h r e d u r c h V e r l e u m d u n g V e r s t o r b e n e r ( S t G B . §. 1 8 9 ) , d. h. Beschimpfung des Andenkens eines Verstorbenen durch wider besseres Wissen erfolgende Behauptung oder Verbreitung von Thatsachen, welche denselben bei seinen Lebzeiten verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet geeignet gewesen wären. Dabei ist der Ausdruck „beschimpfen" nicht im technischen Sinn (unten § . 1 1 7 I I I ) zu nehmen. Antragsberechtigt sind nur die nächsten Angehörigen: leibliche Eltern und Kinder sowie der Ehegatte; der strafrechtliche Schutz ist beschränkt auf jene wenigen Familienglieder, die als im unmittelbaren Zusammenhange mit dem Verstorbenen stehend und daher als durch das Urteil über den Verstorbenen mit berührt betrachtet werden können. S t r a f e : Gefängnis bis zu sechs Monaten, bei mildernden Umständen Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. ?) Ebenso M 611. Dagegen H I I 197, 0 753, L u c a s Subjektive Verschuldung 46, sowie R. Über das Verhältnis der Verleumdung zur falschen Anschuldigung siehe bei dieser unten §. 180 I.
§. 98. Verfolgung und Bestrafung der Beleidigung.
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§. 98.
Verfolgung und Bestrafung der Beleidigung.
Lltteratur. Zu I : v. L i l i e n t h a l HR „Wahrheitsbeweis". I I I : die Litteratur zu §. 74 I I L
Zu
I . Mit dem B e w e i s e d e r W a h r h e i t entfällt ohne weiteres die Annahme der in den §§. 186, 187, 189 R S t G B . enthaltenen Vergehen, welche begrifflich U n w a h r h e i t oder wenigstens N i c h t - B e w e i s b a r k e i t der behaupteten oder verbreiteten Thatsachen erfordern. A b e r auch im Falle des §. 185 RStGrB. schliefst die Wahrheit der Thatsachen (soweit solche überhaupt in Frage stehen) die Rechtswidrigkeit aus; es sei denn, dafs die durch das Recht die Wahrheit zu sagen gezogenen G r e n z e n überschritten wurden, und der Thäter dem Vorbringen der Thatsachen etwas Weiteres, eine Beleidigung Enthaltendes, hinzugefügt hat ( S t G B . §. 192). Ist die Thatsache eine kriminell (wenn auch nur nach deutschem Landesrecht) strafbare Handlung, so ist (§. 190 S t G B . ) der Wahrheitsbeweis a) a l s e r b r a c h t a n z u s e h e n , wenn der Beleidigte wegen dieser Handlung rechtskräftig verurteilt worden; b) a u s g e s c h l o s s e n , wenn er wegen derselben v o r der Behauptung oder Verbreitung rechtskräftig freigesprochen worden ist, sei es wegen eines Schuldausschliefsungs-, sei es wegen eines Strafaufhebungsgrundes. 1 ) Nicht hierher gehört dagegen das „für straffrei Erklären" nach §. 199 usw. Ist wegen der strafbaren Handlung zum Zwecke der Herbeiführung eines Strafverfahrens bei der Behörde Anzeige gemacht, so ist (nach S t G B . §. 191) bis zu dem Beschlüsse, dafs die Eröffnung der Untersuchung nicht stattfinde, oder bis zur Beendigung der eingeleiteten Untersuchung, mit dem Verfahren und der Entscheidung über die Beleidigung inne zu halten. Inzwischen ruht die Verjährung nach S t G B . §. 69. II.
Die Verfolgung einer Beleidigung tritt nur auf Antrag
>) Mithin auch dann, wenn Verjährung angenommen wird. Dagegen M 389, 0 771, H e i n z e HH I I 625. — Dafs §. 196 auch auf §. 186 Anwendung findet, scheint mir zweifellos. Dagegen 0 772; für die richtige Ansicht H I I 204, W 392 Note 13.
§. 98.
Verfolgung and Bestrafung der Beleidigung.
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ein. Die Zurücknahme des Antrages ist in allen Fällen zulässig (StGB. §. 194; oben §. 44 Note 11). In Bezug auf die Berechtigung zur Antragstellung gelten zunächst die allgemeinen Grundsätze (oben §. 44 I I I 1). Ist eine Mehrzahl von Personen durch eine G e s a m t b e z e i c h n u n g verletzt worden, so ist jede der erkenntlich bezeichneten Personen antragsberechtigt. Anders liegt die Sache bei Beleidigung einer K ö r p e r s c h a f t . Da f ü r zwei der hierher gehörigen Fälle (§. 189 und §. 196) im Gesetze besondre Vorschriften ausdrücklich gegeben sind, bleibt nur noch die Gefährdung des Kredits einer Handelsgesellschaft zu erwähnen. F ü r diesen Fall ist daran festzuhalten, dafs die Stellung des Antrages (wie die Erhebung der Privatklage) nur von den überhaupt zur Vertretung berufenen Personen ausgehen kann. Sind Ehefrauen oder unter väterlicher Gewalt stehende Kinder beleidigt worden, so haben sowohl die Beleidigten als deren Ehemänner und Väter das Recht, auf Bestrafung anzutragen (StGB. §. 196).') Wenn die Beleidigung gegen eine Behörde, einen Beamten, einen Religionsdiener oder ein Mitglied der bewaffneten Macht, während sie in der Ausübung ihres Berufes begriffen Bind, oder in Beziehung auf ihren Beruf begangen ist, so haben aufser den unmittelbar Beteiligten auch deren amtliche Vorgesetzte das Recht, den Strafantrag zu Btellen (StGB. §. 196).*) Dagegen kennt die Reichsgesetzgebung das noch im preufs. StGB, sich findende, aus dem gemeinen Recht Btammende Vergehen der Verletzung der „Amtsehre" nicht mehr. Nicht Antrags-, sondern E r m ä c h t i g u n g s d e l i k t (oben §. 43 Note 6) ist die Beleidigung (StGB. §. 197), wenn dieselbe begangen worden ist gegen eine gesetzgebende Versammlung des Reichs oder eines Bundesstaats oder gegen eine andre politische Körperschaft. 4 ) Veränderungen der Antragsfrist ergeben sich bei w e c h s e l s e i t i g e n B e l e i d i g u n g e n nach §. 198 StGB. Ist nämlich bei wechselseitigen Beleidigungen (oben §. 90 Note 1) von einem Teile auf Bestrafung angetragen worden, so ist der andre Teil bei Verlust seines Rechts verpflichtet, den Antrag auf Bestrafung spätestens vor Schlufs der Verhandlung in *) Dafs es sich nicht um einen Fall der sog. „mittelbaren Injurie", der injuria mediata oder obliqua des gemeinen Rechts handelt, wird heute allgemein zugegeben. ') Über den Begriff der Behörde vgl. unten §. 170 Note 5; über den des Beamten StGB. §. 169. — Im Falle des §. 195 wie in ienem des §. 196 ist f ü r die Eigenschaft des Beleidigten der Zeitpunkt der Beleidigung, für die des Antragsberechtigten der Zeitpunkt der Antragstellung mafsgebend. — Mehrere, sei es gleichgeordnete, sei es übergeordnete Vorgesetzte sind nebeneinander selbständig antragsberechtigt. *) Hierher gehören nicht blofs Reichstag und Bundesrat, sondern auch der Landesausschufs von EUafs-Lothringen, sowie die Senate und Bürgerschaften der Hansestädte.
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§. 98.
Verfolgung and Bestrafung der Beleidigung.
erster Instanz zu stellen, hierzu aber auch dann berechtigt, wenn zu jenem Zeitpunkte die dreimonatliche Frist bereits abgelaufen ist.
I I I . E r w i d e r u n g (§. 199 StGB.). Wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, 90 kann der Richter beide Beleidiger oder einen derselben für straffrei erklären (oben §. 90 IV). I V . Auf Bufse bis zu sechstausend Mark kann (StGB. §. 188) auf Verlangen der Beteiligten in den Fällen der §§. 186 und 187 (nicht des §. 185) erkannt werden, w e n n die Beleidigung nachteilige Folgen für die Vermögensverhältnisse, den Erwerb oder das Fortkommen des Beleidigten mit sich bringt. Damit ist die Geltendmachung eines weitern Entschädigungsanspruches ausgeschlossen. Neben der Bufse kennt das Gesetz (StGB. §. 200) bei der Beleidigung noch zwei andre Formen der P r i v a t - G e n u g t h u u n g (oben §. 59 II). 1. D i e A u s f e r t i g u n g d e s S c h u l d u r t e i l e s an den Beleidigten auf Kostendes Verurteilten (vorgeschrieben in allen 1 ) Fällen). 2. Die Befugnis der B e l e i d i g t e n d. h. derjenigen, welche wegen der Beleidigung Strafäntrag gestellt oder Privatklage erhoben haben, 5 ) z u r ö f f e n t l i c h e n B e k a n n t m a c h u n g d e r V e r u r t e i l u n g auf Kosten des Verurteilten. Diese ist zuzusprechen bei öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Darstellungen oder Abbildungen begangenen Beleidigungen ohne Rücksicht auf die Art der Beleidigung. Die A r t der Bekanntmachung sowie die Frist zu derselben ist in dem Urteile zu bestimmen. Erfolgte die Beleidigung in einer Z e i t u n g o d e r Z e i t s c h r i f t , so ist der verfügende Teil des Urteils auf Antrag des Beleidigten durch die öffentlichen Blätter bekannt zu machen, und zwar wenn möglich durch dieselbe Zeitung oder Zeitschrift und in demselben Teile und mit derselben Schrift, wie der Abdruck der Beleidigung geschehen. •) Beide Fragen sind sehr bestritten. sowie R 24. September 86 XIV 327.
Übereinstimmend 0 800, 802,
§. 99. Begriff der Freiheitsrerbrechen.
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II. Strafbare Handlungen gegen die persönliche Freiheit. §. 99.
Begriff der Freiheitsverbrechen.
Litteratnr. T i t t m a n n B e i t r a g zur Lehre von den Verbrechen gegen die Freiheit 1806. B r u c k Zur Lehre von den Verbrechen gegen die Willensfreiheit 1876. K ö s t l i n Abhandlungen (1858) 417. V i l l n o w GA X X I V 104. G e y e r HH I I I 667. H I I 117. — Über den S k l a v e n h a n d e l insbesondre Gar eis Handb. des Völkerrechts I I 553 (Z V I I I 107). F l e i s c h m a n n Gegenwart X X X I V 401 (Z I X 685). F u l d GS X L I I 35. v. M a r t i t z Archiv für öffentl. Recht I 3. — Über M ädchenhandel unten bei der Kuppelei (§. 109). I . P e r s ö n l i c h e F r e i h e i t im Sinne des Strafrechts ist das rechtlich geschützte Interesse des einzelnen an u n g e s t ö r t e r Bethätigung des W i l l e n s , insbesondere an u n g e h e m m t e r B e w e g u n g im R a u m . Sie ist H a n d l u n g s freiheit, nicht W i l l e n s f r e i h e i t ; auch die Nötigung zur Duldung ist Verletzung der Freiheit. Verletzung der persönlichen Freiheit ist in ebensovielen selbständigen Gestalten möglich, als es besondere Richtungen ihrer Bethätigung giebt. Aber nur dann sprechen wir von einem Freiheitsdelikt im engeren Sinne des W o r t s , wenn die Beschränkung oder Entziehung der persönlichen Freiheit nicht das Mittel zur Verletzung andrer Rechtsgüter darstellt. So erscheint der R a u b wie die E r p r e s s u n g als Vermögensdelikt; die E r z w i n g u n g e i n e r A m t s h a n d l u n g als Widerstand gegen die Staatsgewalt; die E n t f ü h r u n g ihrem Wesen wie ihrer geschichtlichen Entwicklung entsprechend trotz der entgegenstehenden Auffassung unsres R S t G B s . als Vergehen gegen die Sittlichkeit. Die Nötigung zur U n t e r l a s s u n g r e l i g i ö s e r H a n d l u n g e n ist ein Vergehen, „welches sich auf die Religion bezieht" ; die V e r h i n d e r u n g an d e r A u s ü b u n g des ö f f e n t l i c h e n W a h l - u n d S t i m m r e c h t s Verbrechen „in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte". Somit kennzeichnet sich strafrechtlich die Verletzung der persönlichen Freiheit durch ihre ergänzende, aushilfsweise Bedeutung. Dagegen
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§. 99. Begriff der Freiheitaverbrechen.
sind die Störung des R e c h t s f r i e d e n s (die Bedrohung) sowie der H a u s f r i e d e n s b r u c h von vornherein gegen Rechtsgüter gerichtet, deren Unterscheidung von der persönlichen Freiheit für Wissenschaft wie Rechtspflege gleich wünschenswert erscheint. I I . Die Verletzung der Freiheit kann entweder sein: 1. V e r h i n d e r u n g der Willensbethätigung nach einer b e s t i m m t e n R i c h t u n g hin oder Z w a n g zur Bethätigung in einer b e s t i m m t e n R i c h t u n g : die „ N ö t i g u n g " ; 2. V e r h i n d e r u n g der Bethätigung überhaupt: die „ F r e i h e i t s b e r a u b u n g " ; 3. Z w a n g zur Bethätigung ü b e r h a u p t : der „ M e n s c h e n r a u b " , als dessen schwerster F a l l der S k l a v e n h a n d e l erscheint. I I I . Die Möglichkeit einer strafbaren Handlung entfällt (von dem untauglichen Versuch abgesehen), wenn der Angegriffene aus rechtlichen oder thatsächlichen Gründen des zu verletzenden Rechtsgutes nicht teilhaftig ist. So wenig der Blinde des Augenlichts beraubt, der Habenichts bestohlen werden kann, ebensowenig kann in seiner persönlichen Freiheit verletzt werden, wer der Willensbethätigung überhaupt oder nach der bestimmten, in Frage kommenden Richtung hin unfähig ist. Von freier Bethätigung der religiösen Überzeugung, von freier Ausübung des politischen Wahl- und Stimmrechts, mithin auch von einer Verletzung dieser Rechtsgüter ist dem Wickelkinde gegenüber keine Rede. Daher setzen Nötigung, Freiheitsberaubung und Menschenraub voraus, dafs der Angegriffene die Fähigkeit besitzt, selbst oder durch andre Menschen seinen Willen zu bethätigen; an einem vom Starrkrampf Befallenen, an einem im tiefsten Rausche Dahinliegenden, an einem stumm geborenen Kinde kann ein F r e i h e i t s d e l i k t niemals begangen werden. 1 ) I V . Die Mittel der Freiheitsverletzung sind: 1. G e w a l t , d. h. die Anwendung körperlicher Kraft zur Überwältigung menschlichen Widerstandes oder zur Beseitigung gegenständlicher Hindernisse. Stets mufs die Gewalt gegen den in seiner Freiheit zu Verletzenden gerichtet sein, sie mufs dazu dienen, seine Willensbethätigung zu beeinflussen. Sie kann aber ') Ähnlich Ml 312, O 922, G e y e r HH IV 390.
§. 99. Begriff der Freiheitirerbrechen.
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nicht nur u n m i t t e l b a r gegen den Körper des zu Vergewaltigenden Bich wenden (Gewalt an der Person); sondern auch auf m i t t e l b a r e m Wege ihr Ziel erstreben (Gewalt g e g e n die Person). Dieses ist möglich 1. durch Gewalt a n d r i t t e n P e r s o n e n , z. B. an dem Führer des Blinden; 2. durch G e w a l t a n S a c h e n , z.B. Zerstören eines Steges, Zertrümmerung eines Reisewagen, Aushängen von Fenstern und Thüren, um das Verlassen einer Wohnung zu erzwingen. 2. D r o h u n g , d. i. das Inaussichtstellen eines die freie Willensbethätigung ausschliefsenden oder doch einengenden Nachteils. Hierher würde gehören: Einklagung einer Forderung, Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, Mitteilung an Verwandte, Veröffentlichung in der Presse usw. Die Zufügung des Nachteils kann an sich berechtigt oder rechtswidrig sein; die Androhung strafbarer Handlungen bildet nur eine besondere Art der Drohungen. Als schwerste Art erscheint die Bedrohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Die Drohung braucht keine ernstlich gemeinte, d. h. die Ausführung derselben braucht weder beabsichtigt, noch möglich zu sein (Drohung mit einem ungeladenen Gewehr). Wohl aber mufs sie dem Bedrohten als eine ernstliche erscheinen, so dafs sie geeignet ist, auf seine Willensentschliefsung einzuwirken, und der Drohende mufs das Bewufstsein dieser Eigenschaft seiner Drohung haben. Auch die Drohung mufs stets gegen den in seiner Freiheit zu Verletzenden gerichtet, zur Beeinflussung s e i n e r Willensbethätigung bestimmt und geeignet sein. Aber das Übel, welches seine Willensbethätigung beeinflussen soll, braucht nicht unmittelbar ihm selbst, es kann auch gegen andere Personen sowie gegen Sachen in Aussicht gestellt werden. Die Drohung kann ausdrücklich ausgesprochen oder durch Handlungen (Erheben der Faust, Anlegen des Gewehrs usw.) angedeutet sein. Die Möglichkeit der Flucht oder des Widerstandes schliefst die Strafbarkeit der Drohung nicht aus. 3. L i s t , d. h. Täuschung des Handelnden über die verursachende Bedeutung seines Thuns, also die Erregung oder Unterhaltung eines Irrtums, durch Vorspiegelung, Entstellung oder Unterdrückung von Thatsachen. Auch die List kann gegen dritten Personen sich richten und z. B. als Irreführung eines
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§. 100. Geschichte der Freiheitsverbrechen.
Beamten oder des Leiters einer Irrenanstalt Mittel der Freiheitsberaubung sein. 4 . A b e r auch andere Mittel sind denkbar. So Verführung, Verleitung, Zureden, Versprechungen, Überraschung usw. Insbesondere auch B e t ä u b u n g , B e r a u s c h u n g , NarkotiB i e r u n g , H y p n o t i s i e r u n g usw., welche zwar als A n wendung von Gewalt oder List, je nach L a g e der Umstände, erscheinen können, aber nicht notwendig zu erscheinen brauchen.*)
§. 100.
Geschichte der Freiheitsverbrechen.
I. Die vorgetragene Auffassung der Freiheitsdelikte, insbesondre die scharfe Betonung der persönlichen Freiheit als eines Rechtsgutes des e i n z e l n e n Rechtsgenossen ist wesentlich neueren Ursprungs. Das römische c r i m e n v i s , seit dem Ende des Freistaates durch die innern Unruhen entwickelt (lexPlotia666 a. u., leges von F o m p e j u s , C a e s a r , A u g u s t ) , trägt trotz der schwankenden Scheidung von vis publica und privata stets politische Eigenart. Störung des ö f f e n t l i c h e n Friedens, wenn auch durch Angriffe auf Private, macht sein innerstes Wesen aus. Das gleiche gilt von dem deutsch-rechtlichen L a n d f r i e d e n s b r u c h , der violatio pacis publicae. Der PGO. ist der Begriff des Freiheitsdelikts fremd, und das gemeine Recht ist über eine sehr unsichere und unklare Verwertung des crimen vis nicht hinausgekommen. Auch die E i n s p e r r u n g hat das spätrömische Recht (C. 9, 6 De privatis carceribus inhibendis; Zeno 486) nur als Verletzung staatlicher Hoheitsrechte betrachtet und damit die Auffassung der deutschen Landesrechte bis tief ins 19. Jahrhundert hinein (noch die Theresiana spricht von den Privatkerkern) beherrscht. Selbständige Bedeutung gewinnt im römischen Recht nur der M e n s c h e n r a u b (plagium), nachdem eine nach dem Bundesgenossenkriege erlassene lex Fabia (D. 48, 16, C. 9, 20) die Versetzung eines Freien in den Zustand der Sklaverei oder die eines Unfreien in Abhängigkeit von dem Verbrecher unter selbständige Strafe gestellt hatte. Spätere Kaiserverordnungen verschärften die anfangs milden Strafen, bis Konstantin sogar die Todesstrafe androhte. Das deutsche Mittelalter bestrafte den Menschenraub schon in den Volksrechten (z. B. lex Rib. 16 das Verkaufen über die Grenze) mit dem vollen oder sogar mit mehrfachem Wehrgelde, später auch mit dem Tode, indem die Quellen das Fangen des Mannes bald (Ssp. I I 13, 6) dem Totschlage gleichstellten, bald ' ) Narkotisierung usw. wird stets als „List" aufgefafst von H I I 243, O 909, S 417 Note 9: stets als Gewalt von Bg Normen I I 626 Note 766, M 484 Note 18, v. L i l i e n t h a l Z V I I 778, H e r b s t GA X X V I 49.
§. 101. Die Nötigung.
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(Sohsp. 337) unter dem Einflüsse des kanonischen Rechts als schwersten Diebstahl bezeichneten und behandelten. Das gemeine Aecht mufste bei dem Schweigen der PGO. auf das römische Recht zurückgreifen, hob aber einerseits den E i n d e r r a u b , anderseits die F a l s c h w e r b u n g (das plagium militare, das „Leuteauffangen") als ausgezeichnete, meist mit der Schwertstrafe bedrohte Fälle hervor. An klarer grundsätzlicher Auffassung fehlte es aber bis tief ins 18. Jahrhundert; noch J . S. F. B ö h m e r (ebenso Bayern 1751) behandelt den Menschenraub als Fall des Diebstahls. II. Bahnbrechend wurde die Bestimmung des ALE. 1677: „wer «inen Menschen . . . mit G-ewalt f e s t h ä l t , e i n s p e r r t oder wider seinen Willen zu etwas n ö t i g t usw." Damit war nicht nur der Auffassung des frühern deutschen Mittelalters entsprechend (das ligare der Volksrechte) das Festhalten und ähnliches als Angriff auf die persönliche Freiheit des e i n z e l n e n erfafst (13. Abschnitt : „Von den Beleidigungen der Freiheit"), sondern auch zuerst der Begriff der N ö t i g u n g klar hingestellt. Die wissenschaftliche Bewegung ( G r o l m a n n , F e u e r b a c h , T i t t m a n n ) folgte dieser Anregung, und damit war für die heutige Gesetzgebung die Abtrennung des Rechtsgutes der „persönlichen Freiheit" von dem des „öffentlichen Friedens" fortan als unverlierbarer Gewinn gegeben. III. Die Reichsgesetzgebung fufst auf dieser Grundlage. Leider hat sie es bisher unterlassen, den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Deutschen Reichs zu genügen und den S l a v e n h a n d e l in seinen verschiedenen Formen unter Strafe zu stellen. Der sehr beachtenswerte Entwurf von 1875 ist nicht zum Gesetze geworden. Die Strafgewalt der Konsuln aber (oben §. 13 Note 4) ist gänzlich unzureichend. Der Sklavenhandel ist also auch heute im wesentlichen der landesrechtlichen Ahndung überlassen.1)
§.101.
I. Die Nötigung.
Litteratnr. G e y e r H H H I 567. H I I 118. — Zu V : H i l s e GA XXXVII 377. C r o u z e l Etude historique etc. sur les coalitions et les grèves dans l'industrie 1887. Die Begründung des italienischen StGB. I I 54. N e v i l l e Strikes. A concise siatement of the criminal law relating to intimidation and picketing. 1890.
I. Nötigung ist die V e r l e t z u n g der p e r s ö n l i c h e n *) Quintupelvertrag vom 30. Dezember 1841, Vertrag zwischen Deutschland und England vom 30. März 1879, Kongoakte vom 36. Februar 1885. Preufsische Verordnung wegen Bestrafung des Handels mit Negersklaven vom 8. Juli 1844, Gesetze in Bremen, Hamburg und Lübeck (1887), Mecklenburg-Schwerin (1846), Oldenburg (1876). Von ausländischen Bestimmungen zu erwähnen: das französische Gesetz vom 4. März 1831 (loi pour la répression de la traite des noirs), sowie das niederländische StGB, von 1881 (Art. 374 bis 377). • o n L i a i t , Strafrecht. *, Aufl.
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g. 101. Die Nötigung.
F r e i h e i t in einer b e s t i m m t e n R i c h t u n g ihrer B e t h ä t i g u n g ; also die E r z w i n g u n g e i n z e l n e r Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen. Die Hervorhebung des „ D u l d e n s " neben dem „Unterlassen" rechtfertigt sich dadurch, dafe dieses, nicht aber jenes, einen wenn auch erzwungenen Entschlufs voraussetzt. Das A n t r a g s e r f o r d e r n i s wurde durch die Novelle von 1876 gestrichen. II. Die M i t t e l der Nötigung sind nach dem Gesetze: 1. G e w a l t (oben §. 99 I V 1); 2. D r o h u n g (oben §. 99 I V 2); und zwar Bedrohung m i t einem Verbrechen oder Vergehen. Neben Gewalt und Drohung ist die L i s t als Mittel der Nötigung im Gesetze nicht erwähnt, mithin auch nicht als genügend zu erachten. Der Beugung des Willens steht die Erschleichung der Einwilligung, der Überwältigung die Täuschung nicht ohne weiteres gleich. Narkotisierung, Berauschung, Hypnotisierung kann daher nur dann als Nötigungsmittel genügen, wenn diese Handlungen gewaltsam oder durch Drohungen vorgenommen werden. Dasselbe gilt von der Einschliefsung und ähnlichen Fällen: vgl. oben §. 99 Note 2. III. Die Nötigung ist nur strafbar, wenn sie w i d e r r e c h tl i c h erfolgt. Die Widerrechtlichkeit der Nötigung entfällt aber nur dann, wenn der Thäter nicht nur 1. berechtigt ist, die fragliche Handlung, Duldung oder Unterlassung zu fordern, sondern wenn er a u f s e r d e m auch noch 2. zur Anwendung der von ihm angewendeten Nötigungsmittel berechtigt ist; also berechtigt, Gewalt anzuwenden oder aber Handlungen anzudrohen, welche, ohne besondre Berechtigung vorgenommen, als Verbrechen oder Vergehen sich darstellen würden. 1 ) Auch die ') Übereinstimmend die gem. Meinung, z. B. O 933, sowie die feststehende Rechtsprechung des K. D a g e g e n einerseits K r o n e c k e r GS XXXII 60 und Z III 638, welche das Wort „widerrechtlich" in §. 240 nur auf „Gewalt" beziehen; anderseits B r u c k 67, J o h n I 222, welche das „widerrechtlich" lediglich mit den Nötigungszwecken in Verbindung setzen. — Die Sache liegt bei der Nötigung eben wesentlich anders als bei der Erpressung (StGB. §.253, unten §. 142), bei welcher j e d e Drohunggenügt, also auch die Androhung von Nachteilen, zu deren Zufügung der Drohende berechtigt ist.
§. 101. Die Nötigung.
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Nötigung znr Unterlassung einer unsittlichen, ja selbst einer strafbaren Handlung kann danach strafbar sein. Da die Widerrechtlichkeit in §. 240 ausnahmsweise vom Gesetzgeber zum Begriffsmerkmal erhoben ist, mufs das Bewufstsein derselben zum Vorsatz verlangt werden (oben §. 39 Note 4). Dagegen ist nicht nötig die Kenntnis des Thäters, dafs die von ihm angedrohten Handlungen als Verbrechen oder Vergehen strafbar seien. IV. Die V o l l e n d u n g der Nötigung tritt nach dem RStGB. (die Landes-StGBücher schwankten) erst mit der erzwungenen Handlung, Duldung, Unterlassung ein; der Versuch der hier trotz der Vergehensnatur des Delikts strafbar ist, beginnt Bchon mit der Anwendung von Gewalt oder Drohung, als der Mittel zur Herbeiführung der Handlung, Duldung, Unterlassung. S t r a f e : Gefängnis big zu einem Jahre oder Geld bis zu sechshundert Mark.
V. Die A r b e i t s f r e i h e i t , als die Befugnis zur selbständigen Schliefsung und Lösung des Arbeitsvertrages, schliefst die F r e i h e i t der V e r a b r e d u n g m i t a n d e r n zu gem e i n s a m e m V o r g e h e n in sich (Koalitionsfreiheit). Die Gesetzgebung schützt diese Richtung der persönlichen Freiheit, indem sie den Zwang zur Eingehung derartiger Vereinbarungen unter Strafe stellt. §. 153 der Gewerbeordnung bestimmt: „Wer andre durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch D r o h u n g e n , durch E h r V e r l e t z u n g oder durch V e r r u f s e r k l ä r u n g bestimmt oder zu b e s t i m m e n v e r s u c h t , an Verabredungen zum Behufe der Erlangung günstigerer Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondre mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, teilzunehmen oder ihnen Folge zu leisten, oder andre durch gleiche Mittel hindert oder zn h i n d e r n v e r s u c h t , von solchen Verabredungen zurückzutreten, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetz nicht eine härtere Strafe eintritt." Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind mithin gleichgestellt. Körperlicher Zwang ist erforderlich, Gewalt an Sachen, z. B. Zertrümmern der Werkzeuge, Zuschütten des Schachtes usw., genügt nicht. Der Kreis der strafbar machenden Nötigungsmittel ist im übrigen erweitert. Freiwillig von dem Betroffenen vereinbarte Mittel, z. B. Geldbufsen, Verlust der Mitgliedschaft usw., gehören nicht hierher. Den Versuch trifft dieselbe Strafe wie die Vollendung. 8 ) ' ) Vgl. auch das unten (S. 134) über den Vertragsbruch Gesagte. — Nach dem Entwurf zur Abänderung der Gewerbeordnung von 1890 soll 24*
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§• 102. Die Freiheitsberaubung (oder Gefangenhaltnng).
§. 102.
2. Die Freiheitsberaubung (oder Gefangenhaltung).
Litteratnr. Geyer HH III 687. H II 133. I. Freiheitsberaubung ist die g ä n z l i c h e wenn auch vorübergehende Verletzung der persönlichen Freiheit als d e r f r e i e n B e w e g u n g im R ä u m e . Sie unterscheidet sich von der Nötigung dadurch, dafs sie nicht Zwang zu e i n e r e i n z e l n e n Handlung, Duldung, Unterlassung ist, sondern die Freiheit der Willensbethätigung ü b e r h a u p t ausschliefst. Der Zwang zur Unterfertigung einer Urkunde, zur Erduldung eines Kusses, zur Nichterstattung einer Anzeige erscheint nicht als Freiheitsberaubung, sondern als Nötigung. Das RStGB. sagt in §. 239: „Wer vorsätzlich und widerrechtlich einen Menschen einsperrt oder auf andre Weise des Gebrauches der persönlichen Freiheit beraubt, wird mit Gefängnis bestraft." Der geschichtlichen Entwicklung des Vergehens sich anschliefsend, hebt das Gesetz als Hauptfall die E i n s p e r r u n g hervor, d. h. die Festhaltung in einem solchen Räume, aus welchem der Festgehaltene nur durch Uberwindung gegebener Hindernisse mittels erhöhter Kraftanstrengung sich entfernen kann. Hindernisse, welche durch sittliche Vorstellungen (Wegnehmen der Kleider) oder durch Furcht vor Verletzung, durch hypnotische Suggestion usw. gegeben sind, stehen den äufseren Hindernissen gleich. Dafs der Raum einen oder mehrere Ausgänge hat, hindert die Anwendung des Begriffes nicht, wenn dieselben dem Eingesperrten unbekannt sind oder von Gehilfen des Thäters bewacht werden. Als besondre Fälle wären neben dem Einsperren in eine Irrenanstalt, in ein Kloster, in ein Bordell usw. das Binden und Fesseln hervorzuheben. Widerrechtlichkeit des Handelns ist auch bei der Freiheitsberaubung Begriffsmerkmal, mithin Bewufstsein derselben erforderlich (oben §. 39 Note 4). einerseits die Strafe des §. 168 wesentlich geschärft, anderseits die Bestrafung auch auf den Fall ausgedehnt werden, dafs keinerlei Verabredung in Frage steht. Bei grewohnheitsmäfsiger Begehung (Begründung S. 69 mit der geschäftsmäfsigen verwechselt!) soll Gefängnis nicht unter einem Jahre eintreten.
§. 103. Der Menschenraub.
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II. Abweichend von der Begriffsbestimmung der Nötigung zählt das RStGB. in §. 239 die M i t t e l der Freiheitsberaubung nicht auf. Daraus folgt, dafs nicht blofe Gewalt oder Drohung mit einem Verbrechen oder Vergehen, sondern a l l e Mittel, welche überhaupt geeignet Bind, die Handlungsfreiheit eines andern zu beeinflussen, taugliche Mittel der Freiheitsberaubung sind. Dies gilt insbesondre auch von der L i s t (oben §. 99IV 3). Nur wenn das Verhalten des der Freiheit Beraubten als dessen freies und vorsätzliches Thun erscheint, kann von einem Vergehen keine Rede mehr sein. Wer sich der Hypnotisierung durch einen andern mit Kenntnis der Folgen selbst preisgiebt, darf sich über Freiheitsberaubung nicht beklagen. Die V o l l e n d u n g tritt mit der Entziehung der Freiheit ein; länger dauernde Freiheitsentziehung begründet ein fortdauerndes Delikt. Die Veijährung kann daher nicht beginnen, ehe nicht dieser Zustand ein Ende gefunden hat (oben §. 79 Note 4). III. S t r a f e : a) für den einfachen Fall: Gefängnis von einem Tage bis zu fünf Jahren. b) Wenn die Freiheitsentziehung über eine Woche gedauert hat, oder wenn eine schwere Körperverletzung (StGB. §. 294) des der Freiheit Beraubten durch die Freiheitsentziehung oder die ihm während derselben widerfahrene Behandlung verursacht worden iat: Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Monat. c) Ist auf die zu b angegebene Weise der Tod des der Freiheit Beraubten verursacht worden, Zuohthaus nicht unter drei Jahren, bei mildernden Umständen nicht unter drei Monaten. Versuch ist in den unter b und c genannten Fällen möglich, wenn der Erfolg (Tod oder Körperverletzung) aus der versuchten Handlung hervorgegangen ist (oben §. 43 I I I 2).
§. 103.
3. Der Menschenraub.
Litteratur. D o b b e l m a n n De crimine plagii 1866. M e r k e l HR „Menschenraub". H II 137.
I. Menschenraub als erschwerter Fall der Freiheitsberaubung ist die A n m a f s u n g u n m i t t e l b a r e r k ö r p e r l i c h e r H e r r s c h a f t ü b e r e i n e n M e n s c h e n . Darin, dafs der Thäter
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§. 103.
Der Menschenraub.
eines Menschen s i c h b e m ä c h t i g t , liegt der Unterschied des Menschenraubes von der Aussetzung (oben §. 91); jener ist Verletzung der Freiheit, diese Gefährdung von Leib und Leben. Der Menschenraub im weitern Sinne umfafst zwei Fälle: 1. den Menschenraub im engern Sinn; 2. den Kinderraub. vor, oder oder oder
I I . E i g e n t l i c h e r M e n s c h e n r a u b (StGB. §. 234) liegt wenn jemand sich eines Menschen durch List, Drohung Gewalt bemächtigt, um ihn in hilfloser Lage auszusetzen in Sklaverei, Leibeigenschaft oder in auswärtige KriegsSchiffsdienste zu bringen.
Die im Gesetze bezeichnete A b s i c h t (gleich Beweggrund) ist Begriffsmerkmal. Gleichwertige Zwecke, z. B. Auslieferung an eine Zigeunerbande oder Gauklergesellschaft, genügen nicht. Das Verbrechen ist v o l l e n d e t mit der (positiven) Erlangung der Herrschaft; der V e r s u c h beginnt mit dem (negativen) Eingriff in die persönliche Freiheit. Der Menschenraub ist Dauerverbrechen; danach bestimmt sich der Beginn der Verjährung. S t r a f e : Zuchthaua von einem bis zu fünfzehn Jahren.
I I I . Der K i n d e r r a u b (StGB. §. 735) wird begangen dadurch, dafs eine m i n d e r j ä h r i g e P e r s o n ihren Eltern 2 ) oder ihrem Vormund durch Gewalt, Drohung, List entzogen wird. Angegriffen ist die persönliche Freiheit des Minderjährigen; aber die Verfügungsbefugnis über dieses Rechtsgut steht nicht ihm, sondern den Eltern oder dem Vormunde zu. Darum schliefst die Einwilligung der letztgenannten Personen die Rechtswidrigkeit des Thuns aus, während die des Minderjährigen selbst gleichgültig ist. Die Minderjährigkeit ist nach der Staatsangehörigkeit des Geraubten zu bestimmen, gegebenenfalls das Privatfürstenrecht anzuwenden. T h ä t e r können auch die leiblichen Eltern oder der Vormund des Kindes sein, wenn ihnen die Aufsicht über dasselbe entzogen ist oder nicht allein zusteht. V o l l e n d e t ist der Kinderraub, sobald die Gewalt der ') Dagegen Bg Normen I I 602 Note 894, 0 909. *) Auoh Adoptiv- oder Pflegeeltern, nicht aber Grofseltern oder Schwiegereltern.
§. 104. SittlichkeitsTergehen.
Übersicht.
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Machthaber gebrochen u n d eine fremde Gewalt begründet ist;*) der V e r s u c h beginnt mit der ersten dieser beiden Entwicklungsstufen. S t r a f e : regelmäßig Gefängnis; wenn die Handlang in der A b s i c h t geschieht (Absicht gleich Beweggrund), die Person zum Betteln oder zu gewinnsüchtigen (d. h. auf Erlangung eines Vermögensrorteils gerichteten) oder unsittlichen Zweoken oder Beschäftigungen zu gebrauchen, Zuchthaus bis zu zehn Jahren. Der Minderjährige kann nicht selbst als Teilnehmer gestraft werden; daher bleibt auch Beihilfe zur Selbstentziehung straftlos.
III. Strafbare Handlungen gegen geschlechtliche Freiheit und sittliches Gefühl. §. 104.
Übersicht.
Lltteratnr. C e l l a Uber Verbrechen und Vergehen in Unzuchtsfällen 1787. W ä c h t e r Abhandlungen 1836. W a h l b e r g H E „Unzuoht". B i n d i n g Z I I 460. K o h l e r Z VII 47. H I I SSO (Delikte gogen die Züchtigkeit der Person) und 683 ((gegen die öffentliche Sittlichkeit). B i n d i n g Normen I 196. — T a r a i e u JStudes snr les Attentats aar moeurs (wiederholt aufgelegt; 4. Aufl. 1862). Die Lehrbücher der gerichtlichen Medizin, v. K r a f f t - E b i n g Psychopathologia eexualit 4. Aufl. 1889. — Uber P r o s t i t u t i o n siehe unten die Litteraturangaben zu 8. 188. — Über K o n k u b i n a t H a r b u r g e r Z IV 499 und dazu B o s e n D l a t t Z V 872. Vgl. auch Z VIII 62 (über das englische Gesetz von 1886). I. Die g e s c h l e c h t l i c h e S i t t l i c h k e i t , d. h. die Einhaltung der durch die jeweilige Sitte dem geschlechtlichen Verkehr gezogenen Schranken, ist kein B e c h t s g u t , kein um seiner selbst willen geschütztes rechtliches Interesse der G e s a m t h e i t . Wenigstens nicht nach unsrer heutigen Auffassung. Der Staat hat in dem Rechtsinstitute der Ehe dem Geschlechtsleben seine Bahnen gewiesen und damit den mächtigsten aller Naturtriebe in den Dienst der gesellschaftlichen Zwecke gestellt; dem aufserehelichen Geschlechtsleben widmet er seine Auf') G e g e n die Forderung, dafs die Gewalt des Thäters begründet sei, mit Unrecht R 27/30. November 88 XVHI 273; Ml 313, 0 912. F ü r jene Forderung spricht die Gleichstellung mit der Entführung (unten §. 106 II 3).
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g. 104. Sittliohkeitsvwgehen. Übersicht.
merksamkeit nur, wenn diese durch besondre Umstände wachgerufen wird. I I . Stets ist es mithin das Interesse e i n z e l n e r , welches den Gesetzgeber zu Strafdrohungen gegen Verletzungen der geschlechtlichen Sittlichkeit veranlafst.1) Und zwar ist es zunächst das Interesse des einzelnen an der f r e i e n V e r f ü g u n g ü b e r den g e s c h l e c h t l i c h e n V e r k e h r , welches rechtlichen Schutz erfordert; ein durchaus eigenartiges, wenn auch mit dem Rechtsgute der Freiheit nahe verwandtes Interesse, welches aber wegen der sittlichen Bedeutung des Geschlechtslebens auch mit der Ehre, wegen der physiologischen Wichtigkeit desselben (insbesondre für das Weib, weit weniger für den Mann) auch mit der körperlichen Unversehrtheit in nächsten Beziehungen steht. Die Gesetzgebung schützt die geschlechtliche Freiheit zunächst gegen jeden g e w a l t s a m e n Eingriff; die Notzucht stellt sich als das Musterbild der hierher gehörenden Vergehungen dar. Und wenn die Notzucht durch ihre Beziehungen zur Nötigung unverkennbar auf die Freiheitsvergehen hinweist, so wird der unmittelbare Ubergang von diesen zu unsrer Gruppe durch das Delikt der E n t f ü h r u n g gebildet, bei welcher die Verletzung der persönlichen Freiheit das Mittel zur Erreichung geschlechtlicher Zwecke bildet. Der Gewalt aber steht der M i f s b r a u c h des in besondern Verhältnissen begründeten A n s e h e n s , sowie die Benutzung des I r r t u m s oder der U n e r f a h r e n h e i t des zu mifsbrauchenden Opfers (die Verführung) gleich. Neben der geschlechtlichen Freiheit schützt der Gesetzgeber das s i t t l i c h e G e f ü h l des einzelnen gegen Verletzung durch Ärgernis erregende unzüchtige Handlungen andrer. m . Durch die nahe Verwandtschaft der beiden Rechtsgüter „geschlechtliche Freiheit" und „sittliches Gefühl" zu einander und durch die Gleichartigkeit der die beiden Rechtsgüter ') Eine Ausnahme bildet nur die w i d e r n a t ü r l i c h e U n z u c h t , siehe unten §. 111. Doch ist gerade hier die Angemessenheit strafrechtlicher Bestimmungen sehr zweifelhaft. — Die „öffentliche Sittlichkeit" (H I I 688) ist nichts als das sittliche Oefiihl einer unbestimmten Mehrheit Einzelner (mifsverständlich U 974).
g. 104. Sittlichkeitsvergehen.
Übersicht.
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verletzenden Handinngen rechtfertigt es sich, die sämtlichen S i t t l i c h k e i t s d e l i k t e zu einer einheitlichen Gruppe zusammenzufassen. Die einheitliche Grundlage dieser Gruppe bildet die Vornahme einer u n z ü c h t i g e n H a n d l u n g . Als solche erscheint aber jede Handlung, welche, erregtem Geschlechtstriebe entspringend oder zu dessen Erregung (nicht notwendig zu dessen Befriedigung) bestimmt, den sittlichen Anstand in geschlechtlicher Beziehung, die durch die jeweilige Sitte dem Geschlechtsleben gezogenen Schranken, gröblich verletzt. Als Unterart der unzüchtigen Handlungen können erscheinen einerseits d e r Beis c h l a f , d. i. die naturgemäfse Vereinigung der Geschlechtsteile, anderseits b e i s c h l a f ä h n l i c h e , d. h. solche Handlungen, welche auf die Befriedigung des Geschlechtstriebes in einer dem naturgemäfsen Beischlaf ähnlichen Weise gerichtet sind. Fehlt es dagegen der Handlung an der geschlechtlichen Beziehung, so kann sie trotz grober Verletzung des sittlichen Anstandes nicht als eine unzüchtige bezeichnet werden; man denke z. B. an die Entblöfsung der Schämteile zum Zwecke der Verrichtung der Notdurft, an körperliche Züchtigung auf den entblöfeten Unterleib und ähnliche Fälle. Ob in künstlerischen und wissenschaftlichen Darstellungen, Beschreibungen usw. eine unzüchtige Handlung erblickt werden kann, hängt davon ab, ob die objektiven und die subjektiven Merkmale des Begriffes zutreffen; bei der wahren Kunst, bei der echten "Wissenschaft ist das niemals der Fall, mag auch Prüderie an ihr Anstois nehmen oder Lüsternheit sie für ihre gemeinen Zwecke mifsbrauchen. IV. Die Anschauungen über die Stellung der staatlichen Strafgewalt zu den Verletzungen der Sittlichkeit haben in verschiedenen Zeiten and bei verschiedenen Völkern vielfache Wandlangen durchgemacht. Das r ö m i s c h e R e c h t hat, von vereinzelten Bestimmungen abgesehen, bis in das 8. Jahrhundert der Stadt hinein die Ahndung der Vergehen gegen die Sittlichkeit der Strafgewalt des Hausvaters sowie der zensorischen Rüge fiberlassen. Erst als die allenthalben im Gefolge von Ehelosigkeit und Kinderlosigkeit eingerissene Verwilderung der Sitten die Grundlagen des Staates zu zerstören drohte, stellte die wesentlich im ö f f e n t l i c h e n Interesse erlassene lex Julia de adulteriis coercendis vom Jahre 736 a. u. (D. 48, 5; C. 9, 9) eine Anzahl von Sittlichkeitsvergehen, und zwar adulterium, stuprum, lenocinium, incestus unter öffentliche Strafe. Als stuprum wurde der nieht gewaltsame Beischlaf des Mannet
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§. 104. Sittlichkeitsrergehen.
Übersicht.
mit einer virgo Tel vidua honeste vivens, nicht aber der Konkubinat oder der Verkehr mit einer meretrix erklärt. Dem frühem d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r i s t der öffentliche Gesichtspunkt bei Bestrafung der Sittlichkeitsvergehen im wesentlichen fremd. Das einfache stuprum wird als Eingriff in die Mundschaft mit einer Bufse an die (Gewalthaber gesühnt; Todesstrafe dagegen trifft die freie Fraa, die bei ihrem Knechte schläft.*) Auch die Auffassung des k a n o n i s c h e n R e c h t s , welches die Unsittlichkeit als Sünde betrachtete and in weitestem Umfange bis zu den Gedanken und Wünschen herab unter Strafe stellte, war nicht im stände den thatsächlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen und Klarheit über das rechtliche Wesen der Sittlichkeitsvergehen zu verbreiten. So erklären sich die Zustände des s p ä t e m M i t t e l a l t e r s mit seinen nicht blofs geduldeten, sondern anerkannten und vielfach mit besonderen Rechten ausgestatteten städtischen Frauenhäusern. Die PGO. bedroht, der deutschrechtlich-kanonischen Auffassung folgend, unter den Sittlichkeitsdelikten in den Artikeln 116—133 Sodomie, Blutschande, Entführung, Notzucht, Ehebruch, Doppelehe und Kuppelei. Ergänzend griffen die Reichsgesetze des 16. Jahrhunderts, besonders die RPolizeiordnungen von 1630, 1548 und 1577 ein. Sie bedrohen stuprum voluntarium, fornicatio (cum meretrice), Konkubinat (zur Unehe sitzen), Halten von Bordellen usw. mit Geldstrafe oder Gefängnis; daneben war bis ins 18. Jahrhundert hinein öffentliche Kirchenbufse für gefallene Mädchen üblich. Auch der geschlechtliche Verkehr zwischen Christen und Juden wurde, wie im spätem Mittelalter, 1 ) noch zur Zeit des gemeinen Rechts (so von F r ö l i c h ) „interpretative" als ein Fall der widernatürlichen Unzucht behandelt; doch geriet nach dem Zeugnisse von K o c h , B ö h m e r n. a. die Kapitalstrafe für dieses Vergehen schon im 17. Jahrhundert in Vergessenheit. Anderseits verhängt noch T o s k a n a 1786 harte Strafe. Die Landesgesetzgebung des 17. und 18. Jahrhunderts erschöpft sich in zahlreichen, meist vergeblichen Strafdrohungen gegen Unsittlichkeit, während die gemeinrechtliche Praxis die strengen Strafen der PGO. durch weitgehende Einschränkungen des Thatbestandes wesentlich zu mildem bestrebt ist. So wird (vgl. oben S. 58) zur Vollendung bei strafbarem Beischlaf immissio, bei andern unzüchtigen Handlungen emissio seminis verlangt (bekämpft von S o d e n u. andern). Gegenüber dieser mafslosen Erweiterung der staatlichen Strafdrohungen trat ein Rückschlag im Laufe des 18. Jahrhunderts unter dem Einflüsse der Aufklärungslitteratur ein, welche, hauptsächlich vertreten von V o l t a i r e , H o m m e l , C e l l a , S o d e n , M i c h a e l i s , aber unter dem Widerspruche von G m e l i n , F i l a n g i e r i u.a., für die Sittlichkeitsvergehen möglichst geringe Strafen verlangte, da durch dieselben niemand s ) Schsp. 319 (L), G r i m m Rechtsaltertümer 699, W i l d a 604 Note 4. •) Schsp. 322 (L), Augsburger Stadtrecht ( O s e n b r ü g g e n Alam. Strafr. 279).
105. Die Entführung (oder der Frauenraub).
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beleidigt and auch der Staat nicht in Gefahr gebracht werde; dabei machte sich vielfach die, allerding« erfahrungsgemäfs wenig zutreffende Anrieht geltend, dafs die dnreh den aufserehelichen Geschlechtsverkehr erzielte Nachkommenschaft an körperlicher und geistiger Tüchtigkeit die im Ehebette erzengten „blöden and dummen Pflanzen" weit fibertreffe.4) Erst allmählich und nur unter fortwährenden Schwankungen gelang es Wissenschaft und Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts den richtigen Standpunkt für Auffassung und Behandlung der Sittlichkeitsvergehen zu finden. Doch ist diese Bewegung noch keineswegs abgeschlossen und insbesondre die Behandlung sowohl der widernatürlichen Unzucht als auch der Kuppelei in dem RStGB. eine sehr wenig befriedigende. Der leitende Gesichtspunkt mufs bleiben: dafs nur Verletzungen der g e s c h l e c h t l i c h e n F r e i h e i t oder des s i t t l i c h e n G e f ü h l s Anlafi zu strafrechtlichem Einschreiten geben können. Das einfaohe stuprum, d. h. der nicht erschwerte aufsereheliche Geschlechtsverkehr bleibt heute allgemein straflos. Die in §. 861 Ziff. 6 RStGB. enthaltene Strafdrohung gegen g e w e r b s m ä f s i g e U n z u c h t trägt lediglich sitten- und gesundheitspolizeilichen Charakter. Dagegen ist der K o n k u b i n a t zwar nicht reichsrechtlich, wohl aber nach mehreren Landesrechten 5 ) unter der Voraussetzung strafbar, dafs durch fortgesetztes häusliches Zusammenleben zu öffentlichem Ärgernis Anlafs gegeben werde. Doch ist die rechtliche Zulässigkeit derartiger landesrechtlicher Strafdrohungen gegenüber der reichsrechtlichen Regelnng der „Materie" der Sittlichkeitsdelikte mindestens zweifelhaft und richtiger zu verneinen.')
§. 105.
I. Die Entführung (oder der Frauenraub).
Lltteratur. T i t t m a n n Beiträge zur Lehre von den Verbrechen gegen die Freiheit 1806. W ä c h t e r Abhandlgn. 1836. G e y e r HH I I I 607. W a h l b e r g HR „Entführung". V i l l n o w GA XXIV 118. H H II 341. I. Während das r ö m i s c h e R e c h t noch zur Zeit der klassischen Juristen die Entführung lediglich als vis bestrafte, bedrohte Konstantin unter dem Einflüsse christlicher Anschauungen den raptus virginum, viduarum vel uxorum, welchen schon von Konstantias die sanctimoniales gleichgestellt wurden, mit schwerer Todesstrafe (C. 9, 10). Das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r unterschied zwei Fälle: 1. den F r a u e n r a u b , d. h. die Entführung wider Willen der Entführten, welcher mit der Notzucht zusammengestellt wurde (daher auch das Erfordernis der Unbescholten*) Vgl. H o m m e l Philosophische Gedanken über das Krim. Recht 1784 5S. 121 ff. ) So in Württemberg, Baden, Hessen, Braunschweig; jetzt auch in B a y e r n nach dem Ges. vom 20. März 1882. •) Ebenso M 989, O 693, W 507, insbes. H a r b u r g e r Z IV 601.
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§. 106. Die Entführung (oder der Frauenraub).
heit); und 9. die e i g e n t l i c h e E n t f ü h r u n g zum Zwecke der Ehe, welche all Eingriff in die Kundschaft trotz der Einwilligung der unselbständigen Entführten an dem Entführer wie an der Entführten selbst bestraft wurde. Ergänzend treten zu diesem zweiten Fall die Strafdrohungen gegen B e f ö r d e r u n g v o n W i n k e l e h e n hinzu (unten §. 109). An der Gleichstellung von Frauenraub und Entführung hält trotz des Schweigens der PGO. das gemeine Recht zunächst fest; so noch ausdrücklich Lübeck 1686 IV 7 und Hamburg 1603 IV 26. Strafe war allgemein das Schwert. Dagegen schwanken Gesetzgebung und Wissenschaft bezüglich der eigentlichen Entführung. Während Bambergenais 143 ausdrücklich das Schwert angedroht hatte, begnügt sich PGO. in Art. 118: „Wer einem andern sein Eheweib oder eine unverleumdete Jungfrau gegen des Ehemannes oder des Vaters Willen einer unehrlichen Weise entführt, darum kann der Gatte oder Vater, unangesehen ob die Frau oder Jungfrau ihren Willen dazu giebt, klagen usw." damit, die Verfolgung von Amtswegen auszuschliefsen, und verweist im übrigen auf den Rat der Rechtsverständigen. So fehlte dem gemeinen Recht die feste Grundlage. Im allgemeinen hielt man daran fest, dafs nur eine persona honesta Gegenstand des Verbrechens sein könne (so E n g a u , B ö h m e r u . a.), erklärte aber die Einwilligung der Entführten für gleichgültig und drohte bei Einwilligung dieser selbst willkürliche Strafe (so schon Kurpfalz 1682 und Preufsen 1620 bis ALR. 1103). Damit war der wesentliche Unterschied der beiden Fälle verwischt. Weitere Verwirrung brachte ALR. 1096, welches die Entführung nicht mehr zu den Fleischesverbrechen, wie das gesamte gemeine Recht, sondern zu den F r e i h e i t s d e l i k t e n rechnete. Ihm folgen K l e i n s c h r o d , S t ü b e l , G r o l m a n n , T i t t m a n n u. a. Damit war die Gesetzgebung auf die seither nicht mehr verlassene falsche Bahn gedrängt. Statt die beiden schon im deutschen Rechte geschiedenen Fälle auseinanderzuhalten, und den einen zu den Familiendelikten, den andern neben die Notzucht zu den Sittlichkeitsvergehen zu stellen, pflegt sie beide Fälle mehr oder weniger zusammenzufassen und sie trotz ihrer hervorragend geschlechtlichen Bedeutung den Freiheitsdelikten anzureihen. Dies thut auch — im Anschlüsse an Preufsen — das RStGB. in den §§. 236 bis 238. I I . Entführung (oder Frauenraub) ist d i e A u m a f a u n g körperlicher H e r r s c h a f t über eine F r a u e n s p e r s o n z u g e s c h l e c h t l i c h e n Z w e c k e n . Sie kennzeichnet sich: 1. Durch den G e g e n s t a n d . N a c h §. 236 kann jede, nach §. 237 nur die minderjährige unverehelichte Frauensperson Gegenstand der Entführung sein. D a der Zweck der Entführung Unzucht in der Bedeutung von Beischlaf oder E h e ist, so mufs Mannbarkeit der entführten Minderjährigen gefordert
j . 106. Dia Entführung (oder* der Frauenranb).
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werden. Fehlt es an dieser, so kann §. 235 StGB, gegeben sein.') Dagegen ist in Bezug auf die T h ä t e r der Entführung keinerlei Beschränkung aufzustellen. Da die Entführung auch im Interesse eines dritten möglich ist, kann insbesondre auch eine Frauensperson sich als Thäterin dieses Verbrechens schuldig machen. 2. Durch die A b s i c h t (gleich Beweggrund). Diese muls auf Unzucht oder Ehe gerichtet sein, also geschlechtlichen Inhalt haben. „Unzucht" ist hier, u. z. wegen der Gleichstellung mit der Ehe, als aufserehelicher Beischlaf aufzufassen. Entführung zum Zwecke widernatürlicher Unzucht kann daher nicht nach §§. 236 oder 237 gestraft werden. Anders nach der Auffassung des gemeinen Rechts ( B ö h m e r ) . 3. Durch die H a n d l u n g . Das Gesetz verlangt „Entführung", also Erlangung unmittelbarer körperlicher Herrschaft. Ausübung eines Druckes auf die Eltern, damit diese ihre Einwilligung zur Ehe geben, kann nicht genügen.*) Das wesentliche Merkmal der Entführung ist der Bruch des Schutz- und Herrschaftsverhältnisses, unter welchem die Entführte bisher stand, und die Begründung eines neuen Abhängigkeitsverhältnisses. Der Hinweis auf das „Wegnehmen" beim Diebstahl liegt nahe. Auf räumliche Entfernung kann entscheidendes Gewicht nicht gelegt werden ;*) Entfuhrung würde vielmehr vorliegen, wenn etwa dem Gewalthaber der Eintritt in seine eigenen Räume verwehrt würde, damit inzwischen in diesen die Ehe vollzogen werden kann. Der Bruch des bisherigen Schutz- und Herrschaftsverhältnisses mufs durch die Thätigkeit des Entführers erfolgen. Diese wird durch eine Mitwirkung der Entführten nicht ausgeschlossen; dagegen kann von Entführung allerdings keine Rede mehr sein, wenn die „Entführte" das ') Entführung einer einwilligenden, wenn auch minderjährigen E h e f r a u kann daher nicht ge*traft werden. — Gegen die Gleichstellung von Unzucht und Beischlaf, mithin gegen das Erfordernis der Kannbarkeit M 1006, O 916. — Das gemeine ¿echt (so schon Decianus und nooh T h e r e s i a n a ) kannte auch eine Entführung des Mannes durch die Frau. *) Bedenklich R 6. Hai 1880 R XIX 169. ') Dagegen 0 916 mit der gemeinen Meinung, übereinstimmend M 1006. Die gemeinrechtliche Wissenschaft hatte allerdings im Anschlüsse an die Italiener eine deductio de loco ad locum gefordert.
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§. 106.
Die Entführung (oder der Franennub).
Haus ihrer Eltern allein verläfst und sich in die "Wohnung des „ Entführersu begiebt. Die V o l l e n d u n g tritt in beiden Fällen mit der Begründung der Herrschaft des Entführers ein. Erst mit dem Ende dieser Herrschaft beginnt die V e r j ä h r u n g s frist zu laufen (Dauerverbrechen). H I . Der Frauenraub des R S t G B . umfafst zwei Fälle. 1. Entfuhrung der Frauensperson g e g e n i h r e n W i l l e n ( S t G B . §. 236) durch List, Drohung oder Gewalt (oben §. 99 IV), um sie entweder zur Unzucht oder zur E h e zu bringen. S t r a f e : im entern Fall Zuchthaus bis zu zehn Jahren, im zweiten Gefängnis. Verfolgung nur auf Antrag. Antragsberechtigt die Entführte, bez. der gesetzliche Vertreter (StGB. §. 65).
2. Entführung einer m i n d e r j ä h r i g e n , unverehel i c h t e n Frauensperson m i t i h r e m W i l l e n , a b e r o h n e E i n w i l l i g u n g d e r E l t e r n o d e r d e s V o r m u n d e s , um sie zur Unzucht oder zur E h e zu bringen ( S t G B . §. 237). Entführung einer einwilligenden Ehefrau, ebenso aber auch einer Wittwe oder einer geschiedenen Ehefrau fällt mithin nicht unter §. 237. Auch hier ist nach Auffassung des Gesetzes die persönliche Freiheit der Entführten in Bezug auf ihren geschlechtlichen Verkehr das angegriffene Rechtsgut; daran wird durch den Umstand nichts geändert, dafs die Verfugung über das Rechtsgut einer andern Person als der Trägerin desselben zusteht. Auch der Diebstahl ändert seine Eigenart nicht, wenn er mit Einwilligung des nicht verfügungsfähigen Eigentümers begangen wird. Die M i t t e l sind im Gesetze nicht bezeichnet. E s ist daher ausdrückliche Feststellung, dafs die Entführung „durch List, Drohung oder Gewalt" stattgefunden habe, nicht erforderlich; doch wird wohl jedes Mittel, durch welches das Herrschafts- und Schutz Verhältnis der Eltern oder des Vormundes gebrochen wird, unter einen dieser Begriffe fallen. W a r jenes rechtliche Verhältnis thatsächlich bereits gelöst, so kann von Entführung keine Rede sein. Die E n t f ü h r t e selbst kann nach der oben §. 53 V aufgestellten Regel nicht als Mitthäterin oder Teilnehmerin an der Entführung gestraft werden. Ebenso wenig ist Teilnahme an Selbstentfernung strafbar. S t r a f e : Gefängnis. Verfolgung nur auf Antrag. hier nur der Gewalthaber.*)
Antragsberechtigt
*) Ebenso G I I 29, W 375 u. a. Dagegen 0 920. Doch liegt die Sache hier nicht anders als bei der Verführung, siehe unten §. 108 I I .
§. 106. Die Nötigung zur Unzucht (insbesondre die Notzucht).
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Hat der Entführer die Entführte geheiratet, so findet die Verfolgung nur statt (StGB. §. 238), nachdem die Ehe, wenn auch nioht wegen der Entführung, für ungültig erklärt worden ist. Diese Erklärung ist Bedingung der Strafbarkeit in dem uns bekannten Sinne.1) Hat nicht der Entführer selbst, sondern der dritte, in dessen Interesse die Entführung erfolgte, die Entführte geheiratet, so bleibt §. 838 anwendbar, vorausgesetzt, dafs der dritte (was wohl fast ausnahmslos der Fall sein wird) als Mitthäter oder Teilnehmer, also als „Entführer" im rechtlichen Sinne des Wortes erscheint.
§. 106.
2. Die Nötigung zur Unzucht (insbesondre die Notzucht).
Litteratnr. M e r k e l H S „Notzucht". W a h l b e r g HR „Schändung". H II 222. I. Für die Geschichte dieses Begriffes ist in erster Linie die eigentliche N o t z u c h t von Bedeutung. Diese geht zwar im r ö m i s c h e n R e c h t , wie die meisten Freiheitsvergehen, in dem weiten Begriffe der vis unter, so dafs sie in gleicher Weise wie an der Frau, auch an dem Manne (etwa als gewaltsame Päderastie) begangen werden kann (1. 5 §. 4 D. 48, 6); erscheint aber nach d e u t s c h r e c h t l i c h e r A u f f a s s u n g von jeher als ein durchaus selbständiges, gegen die weibliche Geschlechtsehre gerichtetes Verbrechen („Notnunft"). Eben darum ist zumeist Unbescholtenheit der Frauensperson erforderlich, während fahrende Weiber sich auch gewaltsame Umarmungen gefallen lassen müssen; die entgegengesetzte Auffassung von Ssp I I I 46, 1, welche allerdings teilweise auch in den alamannischen Quellen wiederkehrt, ist im wesentlichen vereinzelt geblieben. Aus demselben Grunde liegt ferner die Klage und wohl auch die Urteilsvollstreckung in der Hand der Gezwungenen, deren Ehre hier und da ausdrücklich im Urteil als unverletzt bezeichnet wird. Die Strafe der Notzucht ist nach Ssp und den Landfrieden das Schwert, nach den oberdeutschen Quellen auch das Lebendigbegraben mit und ohne Pfählen. S c h w a r z e n b e r g steht auch hier auf deutschem Boden. PGO. Art. 119 droht die Schwertstrafe demjenigen, welcher „einer unverleumdeten Ehefrau, Witwe oder Jungfrau mit Gewalt und wider ihren Willen ihre jungfräuliche oder frauliche Ehre nehme"; bei versuchter Notzucht tritt willkürliche Strafe ein; Verfolgung von Amtswegen ist ausgeschlossen. Das g e m e i n e Recht hält trotz des Widerspruches der von Carpzov geführten sächsischen Schriftsteller an der Auffassung fest, dafs nur an einer unverleumdeten Person Notzucht (stuprum violentum im Gegensatz zu fornicatio violenta cum meretrice) begangen werden kann; so noch Preufsen 1721, Bayern 1761 und Österreich 1768, während ALR. 1058 wenigstens ») Dagegen O 920. Vgl. §. 116.
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§• 106. Die Nötigung zur Unzucht (insbesondre die Notsucht).
mildere Strafe eintreten läTst, wenn die Person „schon vorher in dem Ruf einer schlechten liederlichen Lebensart gestanden hat". Ahnlich auch noch der österr. Entwurf von 1889. Neben der Notzucht hebt das gemeine Hecht, im Anschlufs an die sächsischen Konstitutionen IV 26 und 31 den Beischlaf mit einer geistesgestörten Person oder einem Mädchen unter IS Jahren als S c h ä n d u n g (stuprum nec voluntarium nec violentnm) besonders hervor. Die A u f k l ä r u n g s z e i t zweifelt vielfach (Voltaire, Reder u. a.) an der Möglichkeit einer Notzucht bei emstlichem Widerstreben des Weibes und straft daher, wie Österreich 1787 §. 130, nur, wenn die That mit Fesselung, vorgezeigten mörderischen Waffen oder von mehreren gemeinschaftlich begangen worden ist. Erat die Gesetzgebung seit ALR. hat auf diese Beschränkungen verzichtet, läfst aber teilweise, im Widerspruch mit der deutsch-rechtlichen Auffassung, dem code pénal folgend, die Notzucht in dem weitern Begriffe der Nötigung zur Unzucht überhaupt aufgehen. Auch das RStGB. hat die Selbständigkeit jenes Begriffes leider nur in ungenügender Weise wiederhergestellt, indem es die Notzucht mit dem schwersten Falle der Schändung in einen besondern Paragraphen (§. 177) zusammenfafste.
II. Nach dem RStGB. haben wir folgende Fälle zu unterscheiden : 1. N ö t i g u n g e i n e r F r a u e n s p e r s o n zur D u l d u n g u n z ü c h t i g e r H a n d l u n g e n d u r c h G e w a l t oder durch D r o h u n g mit g e g e n w ä r t i g e r G e f a h r für L e i b o d e r L e b e n . (StGB. §. 176 Ziff. 1.) Nötigung einer Mannsperson, z. B. gewaltsame Mauustupration, Erzwingung widernatürlicher Unzucht kann nur nach §. 240 StGB, bestraft werden; anders noch Preufsen §. 144, sowie das gemeine Recht, welches in diesem Falle allerdings nur willkürliche Strafe eintreten liefs. Unbescholtenheit der Frauensperson ist nicht erforderlich. Dafs die Ehefrau der Rohheit des Gatten (gewaltsame Vornahme widernatürlich unzüchtiger Handlungen) schutzlos preisgegeben sei, darf nicht behauptet werden; jede Berechtigung ist an gewisse Schranken gebunden, deren Überschreitung das Recht zum Unrecht stempelt. Anders bei der eigentlichen Notzucht, bei welcher das Gesetz ausdrücklich aufserehelichen Beischlaf verlangt; doch kann auch hier immer noch strafbare Nötigung vorliegen. Unzüchtige Handlungen" sind hier im weitern Sinn zu nehmen (oben S. 377). Gewalt bedeutet Gewalt an der Person (oben §. 99 IV 1). Gewalt und Drohung müssen das Mittel zur Überwältigung des Wider-
§. 106. Di« Nötigung rar Unsacht (imbesondre die Notiaoht).
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standes gewesen sein; Tis haud ingrata genügt nicht. D e r Vorsatz des Thäters mufs das Bewufstsein umfassen, dafe ihm Widerstand geleistet, und dieser durch die Gewalt bez. Drohung gebrochen werde. Thäter kann zweifelsohne auch eine Frauensperson sein (oben §. 50). S t r a f e : a) für den e i n f a c h e n F a l l : Zuchthaus bis zu sehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nioht unter seehs K " " * * ^ b) Ali besondern Verbrechensbegriff hebt das Gesetz (§. 177) aas den hierher gehörigen Fällen die auf die angegebene Art bewirkte Nötigung sur D u l d u n g d e s a u ß e r e h e l i c h e n B e i s c h l a f e s oder die K o t « x u o h t hervor.1) In der Handlung, nicht in den übrigen Merkmalen, liegt das kennzeichnende Merkmal dieses Falles. Gegenstand desselben kann, und zwar nicht blofs im Falle des Versuches, auch eine nooh nicht geschleohtsreife Frauensperson sein.*) c) Zuchthaus nioht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus tritt (StGB. §. 178) in den Fällen a wie b ein, wenn durch die Handlung der Tod der verletzten Person verursacht worden ist. In Betreff des ursachlichen Zusammenhangs gelten die allgemeinen Grundsätze, so dafs auch dann dem Thäter der Tod zugerechnet wird, wenn derselbe infolge der Niederkunft der durch die Notzucht Geschwängerten eintritt; durch freies, vorsätzliches Handeln, z. B. Selbstmord der Genötigten, wird auch hier der Zusammenhang unterbrochen. Versuoh ist möglich {oben §. 46 Note 7), da ja auch die unvollendete oder fehlgeschlagene Handlung die genannten Folgen nach sich ziehen kann. 2. D i e sogenannte u n f r e i w i l l i g e S c h w ä c h u n g o d e r S c h ä n d u n g ; d. h. d e r M i f s b r a u c h e i n e r i n w i l l e n losem oder bewuftlosem Z u s t a n d e befindlichen oder einer geisteskranken F r a u e n s p e r s o n zum a u f s e r e h e l i c h e n B e i s c h l a f . ( S t G B . §. 176 Ziff. 2.) Hier fehlt das die Nötigung kennzeichnende Merkmal, das Brechen der fremden Widerstandskraft. A b e r dennoch ist dieser Fall mit der Nötigung nahe verwandt; dem Brechen des Widerstandes steht das Benutzen des Umstandes gleich, dals der Widerstand b e r e i t s gebrochen ist. E b e n d a r u m gehören auch Fesselung, Lähmimg der Glieder, sowie überhaupt alle Fälle *) Die nachfolgende Ehe bleibt ohne Berücksichtigung. Anders Ungarn 340. •) Richtig 17. März 81 IV 93, sowie G I I 80, M 896, 0 712. Die Vereinigung der Geschlechtsteile wird dadurch nicht ausgeschlossen, dafs «ine vielleicht tödliche Zerreifsung der Weichteile des Opfers eintritt. Dagegen H I I 227 Note 1, 880; anders auch das gemeine Recht, welches m r Vollendung immissio seminis forderte. TOB L l u t , Hinfracht 4. Aafl. 26
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§• 108-
Di* Nötigung zur Unzucht (insbesondre die Notzucht).
der Unfähigkeit zum Wideretande, der Wehrlosigkeit hierher. 8 ) Die Einwilligung der mifsbrauchten Frauensperson ist rechtlich gleichgültig, auch wenn sie vom Thäter (der an seiner betrunkenen Zuhälterin den Beischlaf vollzieht), vorausgesetzt werden konnte. Zu beachten ist, dafs das Gesetz nur von aufserehelichem Beischlaf, nicht von andern unzüchtigen Handlungen spricht. S t r a f e : a) für den einfachen Fall: wie oben l a ; b) wenn der Thäter die Frauensperson mifsbraucht, nachdem e r sie zu d i e s e m Z w e c k e , etwa durch Hypnotisierung, in einen willenlosen oder bewufstlosen Zustand v e r s e t z t h a t , so tritt die Strafe der Notzucht ein (StGB. §. 177). c) e r s c h w e r t e r F a l l wie oben 1 c.
3. V o r n a h m e u n z ü c h t i g e r H a n d l u n g e n m i t P e r s o n e n (männlichen oder weiblichen Geschlechtes) u n t e r v i e r zehn J a h r e n , o d e r V e r l e i t n n g d e r s e l b e n zur V e r ü b u n g oder D u l d u n g s o l c h e r H a n d l u n g e n (StGB. §. 176 Ziff. 3); wegen des vom Gesetze angenommenen Mangels der Verfügungsfähigkeit dieser Personen den Nötigungsfällen gleichgestellt. Eben darum aber können Kinder unter vierzehn Jahren nicht selbst als Thäter oder Teilnehmer zur Bestrafuog gezogen werden. 4 ) Die unzüchtigen Handlungen müssen a n d e m K ö r p e r der jugendlichen Person vorgenommen werden, so dafs z. B . eine unzüchtige Entblöfsung, welche der Thäter in Gegenwart der jugendlichen Person vornimmt, nicht hierher gehören würde. Der Thäter mufs das Alter des Mifsbrauchten gekannt haben; doch genügt hier wie überall unbestimmter Vorsatz. Das Geschlecht des Thäters ist ebenso gleichgültig wie das des Verletzten. Thäter können auch die leiblichen Eltern sein. ' ) Dagegen G I I 30, 0 716. Aber mit Unrecht. Die Einwilligung der Gefesselten hat nicht mehr Wert als ihr Widerstand. Oder soll bei Nicht-Einwilligung derselben nur §. 240 angenommen werden? Richtig M 997, S 337 Note 13. ' ) Die entgegengesetzte Ansicht des R 18. Dezember 82 V I I 352, 23. Januar 90 X X 161 würde dahin führen, dafs gegenseitige Onanie zwischen dreizehnjährigen Knaben strafbar, zwischen fünfzehnjährigen aber straflos wäre. Ubereinstimmend mit dem Text G I I 31, H I I 228, M 994 (aber 187), O 718, V i l l n o w GS X X X V I I 152 (Z V 392). Vgl. aber auch v. K r i e s Z V I I 529. — Verleitung durch den Thäter liegt auch dann vor, wenn die unzüchtige Handlung durch einen Dritten vorgenommen werden soll; R 21. Oktober 1889 X X 30 gegen die frühere Rechtsprechung von OT.
§. 107. Unincht mit Verletzung eines Abhängigkeitsverhältnisses.
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S t r a f e : Zuchthaus bis za zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht anter sechs Monaten.
§. 107.
3. Unzucht mit Verletzung eines Abhängigkeitsverhältnisses.
I. Der Gewalt stellt der Gesetzgeber hier wie sonst (z. B. bei den AmtBverbrechen) den Mifsbrauch eines besondern Vertrauens- oder GewaltVerhältnisses gleich, welches die Freiheit der Willensentschliefsung beeinträchtigt. An geschichtlichen Vorbildern fehlt es trotz des Schweigen* der PGO. nicht. Schon das spätrömische Recht hatte den Vormnnd bestraft (C 9, 10), welcher seine Mündel verführte; dieselbe Bestimmung findet sich in Schsp 349 (L), sowie in der deutschen Gesetzgebung aus der Zeit des gemeinen Rechts. Auch die Strafdrohung der sächsischen Konstitutionen IV 85 gegen den Gefängniswärter, welcher die ihm befohlene Gefangene beschläft, fand vielfache Nachahmung. ALR. 1088 hebt daneben noch die Hausbediensteten besonders hervor.
n . Das RStGB. (§. 174) rechnet hierher: 1. unzüchtige Handlungen von V o r m ü n d e r n mit ihren Pflegebefohlenen, A d o p t i y - u n d P f l e g e e l t e r n mit ihren Kindern, G e i s t l i c h e n , L e h r e r n (ohne Unterschied, ob öffentliche oder Privatlehrer), E r z i e h e r n mit ihren minderjährigen Schülern oder Zöglingen. Die unzüchtigen Handlungen müssen m i t den genannten Personen, d. h. an dem Körper derselben vorgenommen werden (vgl. oben S. 386); daher genügen unzüchtige Aufserungen nicht. Das Geschlecht des Thäters ist gleichgültig. Leibliche Eltern können nur dann nach §. 174 Ziff. 1 bestraft werden, wenn (was ausnahmsweise möglich ist) eins der in diesem Paragraph erwähnten Verhältnisse zwischen ihnen und dem Kinde besteht. Beichtkinder sind nicht genannt. 2. Unzüchtige Handlungen von B e a m t e n 1 ) mit Personen, gegen welche sie eine Untersuchung zu führen haben, oder welche ihrer Obhut anvertraut sind; 3. von B e a m t e n 1 ) , Ä r z t e n o d e r a n d e r n M e d i z i n a l p e r s o n e n , welche in Gefängnissen oder in öffentlichen, zur Pflege von Kranken, Armen oder andern Hilflosen bestimmten ') §. 369 StGB, ist hier n i c h t mafsgebend. Ebenso G II 32, H II 237, 1028 u. a.; dagegen M 992 Note 81, O 709 sowie R 22. Dezember 81 V 418. 26*
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§. 106. Die Verführung zum Beischlaf.
Anstalten beschäftigt oder angestellt sind, mit den in das Gefängnis oder die Anstalt aufgenommenen Personen. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Die in dem Abhängigkeitsverhältnisse stehenden Personen können nicht als Teilnehmer zur Strafe gezogen werden.
§. 108. 4. Die Verführung zum Beischlaf. I. Während die E r s c h l e i c h u n g d e s B e i s c h l a f e s durch Täuschung, d. h. durch Hervorrufung oder Benutzung eines Irrtums des andern Teiles über die verursachende Bedeutung seines Thuns zwar möglich, aber doch nur in einer verschwindend kleinen Zahl von Fällen praktisch sein dürfte, hat das RStGB. in §. 179 einen dieser Fälle (der schon im gemeinen Recht, z. B. Preufsen 1620 eine gewisse Rolle gespielt hatte) besonders hervorgehoben: die Verleitung einer Frauensperson zur Gestattung des Beischlafes durch Vorspiegelung einer Trauung oder durch E r r e g u n g oder Benutzung e i n e s andern I r r t u m s , in w e l c h e m s i e d e n B e i s c h l a f f ü r e i n e n ehelichen hielt. Von den beiden Möglichkeiten ist nur die zweite für den Begriff des Verbrechens wesentlich. Eben darum ist unter „Trauung" der nach dem geltenden Recht erforderliche Eheschliefsungsakt, nicht aber die kirchliche Trauung zu verstehen.1) Vorspiegelung der letztern würde nur dann genügen, wenn damit auch der Thatbestand der zweiten Möglichkeit gegeben ist. Das Schulbeispiel für diese letztere ist der Fremde, welcher nächtlicherweile von der Ehefrau für den Qatten gehalten, dessen Stelle vertritt. Der Irrtum braucht nioht von dem beischlafenden Mann, er kann auch von einer Frauensperson erregt sein. Vollendet ist das Verbrechen mit dem Beischlaf, nicht mit der ihm etwa zeitlich vorangehenden „Gestattung".') Antragsvergehen. Antragsberechtigt die Verleitete. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. II. Dem Irrtum steht die Unerfahrenheit zur Seite (vgl. unten §. 143). Darum bedroht §. 182 RStGB. die V e r f ü h r u n g e i n e s u n b e s c h o l t e n e n M ä d c h e n s , welches das sechzehnte Lebensjahr nicht vollendet hat, zum Beischlafe. >) Ebenso M 987; dagegen H II 928, 0 734. *) Dagegen L a n d s b e r g Kommissivdelikte 201 Note 2.
g. 109. Die Kuppelei.
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Unbescholtenheit darf dabei nicht als gleichbedeutend mit Jungfräulichkeit genommen werden; diese kann vorhanden sein, während jene, etwa infolge einer Notzucht oder ähnlicher Fälle, fehlt und umgekehrt (das Mädchen lieh sich z. B. widernatürlich mifsbrauohen). Verführung setzt voraus, dafs die geschlechtliche Unerfahrenheit und geringere sittliche Widerstandskraft des Mädchens mifsbraucht and dadurch eine Einwilligung in die Vollziehung des Beischlafes erreicht wurde. Wufste die Hifsbrauohte überhaupt nicht, dafs der Beischlaf vollzogen werden sollte, glaubte sie vielleicht, dafs es sich um ein Heilverfahren (etwa zur Beseitigung des Bettnässens) handle, wie in dem Z I I 98 mitgeteilten Falle, so findet g. 188 keine Anwendung.*) Fehlt es an der Verführung oder war die erste Anregung sogar von der Seite des Mädchens ausgegangen, so kann von der Anwendung des §. 182 keine Bede sein. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern 4 ) oder des Vormundes der Verführten ein; denn ihnen, und nicht dem Mädchen, das ja vom Gesetzgeber noch nicht als reif und erfahren genug betrachtet wird, um frei über seine geschlechtliche Ehre verfügen zu können, ist die Wahrnehmung des verletzten Interesses anvertraut. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre.
§. 109.
5. Die Kuppelei.
Littermtur. H I I 686. E n g e l s Die Kontroverse über die Vollendung des Delikts bei der Kuppelei 1884 (Z V 392). Vgl. unten §. 188 bei den Übertretungen der Sittlichkeitspolizei die Litteratur über Prostitution. Uber die sehr weitgehende neueste englische Gesetzgebung (Criminal Law Amendment Act 1885) vgl. S m i t h Z VI 887, L ö h n i s Z VIII 62. I. G e s c h i c h t e . Der Begriff der Kuppelei, d. h. der selbständig strafbaren Unterstützung fremder Unzucht, ist erst seit der Gesetzgebung des 16. Jahrhunderts zur Anerkennung, aber auch im heutigen Rechte noch nicht zur völligen Abklärung gelangt. Das r ö m i s c h e R e c h t der spätem Kaiserzeit bedrohte zwar (insbesondre Novelle 14) die gewerbsmäfsige Kuppelei, das Halten von Bordellen, als selbständiges Vergehen, behandelt aber das einfache lenocinium lediglich als Beihilfe zu adulterium und stuprum nach den für diese Handlungen geltenden Bestimmungen, wobei der kuppelnde Ehegatte oder Vater mit besonders schwerer Strafe bedroht wurde. Dem d e u t schen R e c h t des Mittelalters ist der Begriff der Kuppelei im allgemeinen fremd geblieben; wir finden, soweit nicht die Auffassung des spätem römischen Rechts zur Anwendung kommt, lediglich polizeiliche •) Ebenso G II 82, H II 235, 794; dagegen M 994, 0 738; R 28. Mära 1882 4VI 186, 11. Febr. 84 X 96. ) D. h. des Vaters o d e r der Mutter; so O 738, R 25. Septemb. 88 XVIII 101.
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§. 109. Die Kuppelei.
Anordnungen in betreff der im übrigen anerkannten und geregelten Hurenwirtachaft; daneben ist vielfach die B e r e d u n g U n m ü n d i g e r sur Eheschließung gegen den Willen der Gewalthaber, die W i n k e l h e i r a t , welche zumeist (so Österreich 1666 Art. 78, 79, 80, Verordnungen im Codex Austriacus von 1650 bis 1703) mit dem zweiten Falle der Entführung (oben §. 106 I) auf eine Stufe gestellt wird, als Eingriff in die Mundschaft, mithin als Familiendelikt unter Strafe gestellt. Auch finden wir, so in den Eintragungen des Berliner Staätbuchs (Festausgabe 1883 S. 901 und 204), dafs die Verkuppelung der eigenen Tochter als V e r r a t mit der Todesstrafe und zwar mit dem Feuertode belegt wurde. Das k a n o n i s c h e R e c h t bemühte sich, insbesondre in den Bufsordnungeni der Kuppelei entgegenzutreten, gelangte aber zu keinen festen Grundsätzen über Behandlung und Bestrafung derselben. Dasselbe Schwanken finden wir bei den I t a l i e n e r n . Erst S c h w a r z e n b e r g bringt, ohne dafs wir seine Quellen anzugeben im stände wären, Ordnung in das Chaos. Die PGO. unterscheidet einen schwerern und einen leichtern Fall (das lenocinium qualificatum und simplex deB gemeinen Rechts). Nach Art. 129 trifft denjenigen, welcher „sein Eheweib oder Kinder um einicherlei Genufs willen, wie der Namen hätte, williglich zu unkäuschen und schändlichen Werken gebrauchen läfst", Infamie und Bestrafung „vermöge gemeiner Rechten". Und in Art. 123 wird die einfache Kuppelei mit Leibesstrafe bedroht. Das g e m e i n e R e c h t blieb bei dieser Auffassung stehen. Die n e u e r e G e s e t z g e b u n g , auf welche der code pénal wesentlichen Einfiufs übte, bietet ein buntes Gemisch der verschiedenartigsten, meist kasuistisch gefafsten Bestimmungen, von welchen die des preufs. StGB., obwohl sie •ich nicht gerade durch besondere Klarheit auszeichneten, mit geringfügigen Abänderungen in das Reichsrecht übergegangen sind und Veranlassung zu einer ganzen Reihe der schwierigsten Streitfragen gegeben haben. Der sogenannte Mädchenhandel ist an sich nicht unter Strafe gestellt. Viel weiter geht der österr. Entw. von 1889. II. B e g r i f f . D a s Reichsstrafgesetzbuch bestimmt in §. 180 die Kuppelei als die V o r s c h u b l e i s t u n g z u r U n z u c h t d u r c h V e r mittelung oder durch G e w ä h r u n g o d e r V e r s c h a f f u n g von G e l e g e n h e i t . D a b e i haben wir als Unzucht zu betrachten nicht nur den a u f s e r e h e l i c h e n B e i s c h l a f überhaupt, sondern auch alle von dem Gesetze m i t S t r a f e b e d r o h t e n beischlafsähnlichen oder einfach unzüchtigen Handlungen. Förderung der widernatürlichen Unzucht zwischen Frauenspersonen würde mithin nicht als strafbare Unzucht betrachtet werden können. Anderseits liegt keine Veranlassung vor, den Begriff auf die Beförderung jener Unzuchtarten zu
§. 109. Die Kappelei.
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beschränken, bei welchen eine Mehrheit von Personen beteiligt ist, und die Förderung z. B. die Bestialität auszuschließen.1) Die Kuppelei ist nach der heute feststehenden Ansicht nicht als T e i l n a h m e im Sinne des Strafrechts, sondern als s e l b s t ä n d i g e s V e r b r e c h e n aufzufassen. Daraus folgt: 1. sie setzt keine strafbare Handlung, zu welcher Hilfe geleistet wird, voraus; ja grade in weitaus der gröfsten Mehrzahl der Fälle handelt es sich nur um Beförderung des einfachen, straflosen, aufserehelichen Beischlafs; 2. die Strafbarkeit der Kuppelei ist, auch wenn die unterstützte Unzuchtshandlung selbst vom G«setze mit Strafe bedroht sein sollte, durchaus unabhängig von dem Vorliegen einer Schuld auf seiten derjenigen, welche diese Unzuchtshandlung vorgenommen haben; 3. nicht jede Hilfeleistung (z. B. Rat) zur Unzucht ist Kuppelei, sondern nur die Vermittelung sowie die Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit, d. i. die Herbeiführung eines solchen Z u s t a n d e s , welcher in bezug sei es der Personen sei es der Bäumlichkeiten der Ausübung der Unzucht günstigere Bedingungen bietet, als früher vorhanden waren. Diese k a n n mithin liegen in dem Vermieten von Wohnungen an Prostituierte sowie in Unterlassung der Wohnungskündigung, der Hinderung, der Überwachung, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für die Strafbarkeit der Unterlassung (oben §. 30) gegeben sind; sie l i e g t in dem Halten von Bordellen, und daran wird weder durch polizeiliche Genehmigung der Bordelle noch durch die polizeiliche Aufsicht über Prostituierte (StGB. §. 361 Ziff. 6) das geringste geändert, so lange Reichsrecht nicht durch Landesrecht, Gesetz nicht durch Verfügung der Verwaltungsbehörden gebrochen werden kann. 1 ) ') Dagegen erstreckt die gemeine Meinung, so H II 687, M 1008, O 726 und R 29. Mai 84 XI 4 den Begriff der „Unzucht" auch auf nicht strafbare Fälle (z. B. unzüchtige Betastungen), verlangt aber anderseits, im wesentlichen aus sprachlichen Gründen, unzüchtigen Verkehr zwischen m e h r e r e n Personen. Ml 370 verlangt Beischlaf oder beischlafsähnliche Handlungen. *) Im gleichen Sinne mit der überwiegenden Meinung R 29. Januar 80 I 88; dagegen M 1004, S 344. Damit dürfte die vor kurzem noch berühmte Streitfrage theoretisch wenigstens erledigt sein. Material über dieselbe (insbes. zehn Gutachten deutscher Juristenfakultäten) in: Das deutsche StGB, und die polizeilich konzessionierten Bordelle 1877. Der
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g. 100. Die Kuppelei.
4. Einmalige gleichzeitige Förderung mehrerer fremder Unzuchtsakte begründet immer nur eine Handlung, mithin ein Verbrechen. In der mehrmaligen Beförderung der Unzucht derselben Personen kann ein fortgesetztes Verbrechen liegen. 5. Die Kuppelei ist vollendet mit dem Vermitteln, mit der Anwerbung für ein Bordell, der Eröffnung eines solchen usw., mag es auch zu einem Unzuchtsakte selbst nicht gekommen sein. Eine positivrechtliche Ausnahme von diesem Satze enthält §. 181 Abs. 2 (siehe unten S. 393). 6. Diejenigen Personen, deren Unzucht befördert werden soll, können sich nach der oben §. 53 V aufgestellten Regel der Anstiftung oder Beihilfe zur Kuppelei n i c h t schuldig machen. H I . D i e A r t e n d e r K u p p e l e i . Der Gesetzgeber hat nicht die einfache Beförderung fremder Unzucht, sondern nur gewisse schwerere Fälle derselben mit Strafe bedroht. Diese Fälle sind: 1. Die g e w o h n h e i t s m ä f s i g (oben §. 56 I I I 3) oder aus E i g e n n u t z betriebene Kuppelei (StGB. §. 180). Eigennutz ist gleichbedeutend mit gewinnsüchtiger Absicht, d. h. mit ller Absicht, sich oder einem andern einen rechtswidrigen V e r m ö g e n s vorteil zu verschaffen (vgl. über diesen Begriff unten §. 140 I I beim Betrug). Es genügen also nicht Vorteile andrer Art, wie Unterlassung oder Abwendung einer Strafanzeige, Heiratsversprechen, Gewährung des Beischlafs, Bewirtungen usw.8) Mangel des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit ist hier sowenig wie sonst von Belang. — Dieselbe Frage hat schon gemeinrechtlich eine Rolle geielt (bei K o c h , E n g au u. a.). Damit erledigt sich die Ansicht von I I 691 Note 1, nach welohem alle Bedenken nur aus dem Widerspruch der §§. 180 u. 361 StGB, entstanden sind. In Wahrheit liegt der Widerspruch viel tiefer: in der Scheu, zu der Prostitution (grundsätzliche Stellung zn nehmen. Der russische Entw. nimmt die Bordelle von den Strafdrohungen gegen Kuppelei ausdrücklich aus. Das ist auch das einzig Richtige, soweit es sich um polizeilich genehmigte und überwachte Anstalten handelt. — Auch sonst entsprechen die §§. 180, 181 den thatsächlichen Bedürfnissen nicht. Werden diejenigen bestraft, welche Wohnungen an Prostituierte vermieten, so treibt man diese auf die Strafse. Anderseits gewährt das Gesetz bei richtiger Auslegung keine Möglichkeit, die so gefahrlichen Z u h ä l t e r der Dirnen, die sog. Louis, zu bestrafen, soweit diese nicht den Zuführer machen. Dagegen R 17. Oktober 84 XI 149 sowie O 788 (aber 789). Vgl. das osterr. Gesetz vom 24. Mai 1886. *) Übereinstimmend B 486 Note 1, H I I 690 Note 8; dagegen G I I 36,
S
§. 110. öffentlich« Ärgernis and unzüchtige Schriften.
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S t r a f e : Gefängnis; Ehrverlust und Polizeiaufsicht nach Eimeseen.4)
2. Die e r s c h w e r t e K u p p e l e i and zwar (StGB. §. 181): a) die A n w e n d u n g h i n t e r l i s t i g e r K u n s t g r i f f e , um der Unzucht Vorschub zu leisten; also die Erregung oder Unterhaltung eines Irrtums durch Vorspiegelung falscher, Unterdrückung oder Entstellung wahrer Thatsachen, z. B . die Verlockung unter dem Vorwand, der Frauensperson eine Anstellung oder einen Dienstplatz zu verschaffen. b) Der Fall, wenn E l t e r n ihre Kinder, V o r m ü n d e r ihre Pflegebefohlenen, G e i s t l i c h e , L e h r e r (auch Privatlehrer), E r z i e h e r die von ihnen zu unterrichtenden oder zu erziehenden Personen verkuppeln. Zu den Eltern gehören auch die Adoptiv- und Pflegeeltern sowie die Stiefeltern, nicht aber Grofseltern und Schwiegereltern. Ob die Kinder oder Pflegebefohlenen Objekt oder Subjekt der Unzucht sind, ob sie „mit" andern oder andere „mit ihnen" Unzucht treiben, ist ebenso gleichgültig wie ihr Geschlecht. Die Verkuppelung der Ehefrau durch den Ehemann ist, abweichend vom gemeinen Recht, nicht besonders hervorgehoben. Vollendung tritt hier, wegen der Worte „Personen, mit welchen die Unzucht g e t r i e b e n w o r d e n i s t " , erst mit der Vornahme des Unzuchtsaktes ein. Der Vorsatz des Thäters mufs auch seine Stellung zu der verkuppelten Person umfassen. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren; Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte hier ausnahmsweise bindend vorgeschrieben; Polizeiaufsicht nach Ermessen.
§. 110. 6. Erregung eines öffentlichen Ärgernisses und Verbreitung unzüchtiger Schriften. Litteratnr. H I I 604. Die oben zu 104 angeführten Abhandlungen von B i n d i n g und K o h l e r . — Schriften über den Prozefs Graef 11 1002 Note 98, O 730, R 3. Mai 87 X V I 66. Vgl. auch S i m o n s o n Der Begriff des Vorteils und seine Stellung im deutschen Strafreoht 1889 (Z I X 664). *) Sind die e i n z e l n e n Fälle teils gewohnheitsmäfsig, teils a u Eigennutz geschehen, so können die beiden Gruppen untereinander in wirklichem Zusammentreffen stehen. So auch R 10. November Kl V I I 899, 21. Dezember 83 X 22. Sind d i e s e l b e n Handlungen sowohl gewohnheitsmäfsig als auch aus Eigennutz begangen worden, so liegt Ge•etzeskonkurrenz vor.
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§• HO. öffentliche« Ärgernis und unzüchtige Schriften.
zusammengestellt Z VI 647. Der Bealismus vor Gericht 1890 (Proaefa gegen die Schriftsteller A l b e r t i , C o n r a d i , W a l l o t h und deren Verleger, mit dem vom rechtlichen wie vom künstlerischen Standpunkte gleich unhaltbaren Urteil der Leipziger Strafkammer vom 27. Juni 1890). — O a r r a u d Z I I I 166, VI 747 (über die französische Gesetzgebung gegen die pornographische Litteratur). — Zu III Tgl. insbesondre aie Erläuterung des Gesetzes von K l e i n f e i l e r 1888 (Z IX 663). Hier sowie Z VIII 376 und 386 weitere Angaben. I. Im Anschlufs an Code pénal Art. 330 und Preufsen §. 150 bedroht RStGB. §. 183 denjenigen, w e l c h e r d u r c h e i n e u n z ü c h t i g e H a n d l u n g ö f f e n t l i c h ein Ärgernis g i e b t . Der Begriff der unzüchtigen Handlung ist hier derselbe wie überall (oben S. 377) ; auch die öffentliche Vollziehung des Beischlafes zwischen Ehegatten würde hierher gehören. Auch m ü n d l i c h e Äufserungen sind unzweifelhaft zu den ,.Handlungen" im Sinne des Gesetzes zu rechnen. 1 ) Ä r g e r n i s ist die Verletzung des sittlichen Gefühls. Die Handlung, u. z. diese selbst, nicht etwa nur das Bekanntwerden derselben, mufs Ärgernis g e g e b e n , d. h. es mufs thatsächlich irgend Jemand Ärgernis genommen haben, mag dies auch ausschliefslich derjenige sein, gegen welchen die unzüchtige Handlung gerichtet war; es genügt mithin nicht, wenn die Handlung nur g e e i g n e t war Ärgernis zu erregen, dies aber nicht gethan hat. Öffentliches Ärgernis ist nicht erforderlich, wohl aber dafs das Ärgernis öffentlich gegeben wurde; die unzüchtige Handlung mufs also ö f f e n t l i c h , d. h. so vorgenommen worden sein, dafs sie von unbestimmt vielen Personen, nicht nur von einein geschlossenen Kreise bestimmter Personen wahrgenommen werden konnte. S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark; neben Gefängnis Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte nach Ermessen. II. D i e V e r b r e i t u n g u n z ü c h t i g e r Schriften, Abbildungen, Darstellungen (StGB. §. 184), ein Vergehen, mit welchem schon die Gesetzgebung zur Zeit des gemeinen Rechts sich vielfach beschäftigte. Das ,.Verbreiten", als dessen Unterfalle das Gesetz das ,.Verkaufen" und ..Verteilen" hervorhebt, ') Übereinstimmend jetzt die gem. Meinung; insbesondre B 461, G II 33, H II 694, 0 739, Wahlberg Z II 180. R 30. Oktober 82 VII 169. Dagegen M 1000.
§. 110. öffentliches Ärgernis and unzüchtige Schriften.
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setzt Zugänglichmachen für das Publikum voraus, also fiir einen nicht geschlossenen Kreis bestimmter Personen.*) Verbreitet ist die Schrift, sobald die Kenntnisnahme e r m ö g l i c h t ist; noch nicht, wenn diese erst vorbereitet wird; nicht erst, wenn sie erfolgt. Und zwar mufs die Schrift usw. selbst verbreitet, d. h. das gedruckte Wort, die bildliche Darstellung als solche zugänglich gemacht werden; das Vorlesen, Nacherzählen usw. genügt nicht. Dem Verbreiten stellt das Gesetz gleich das „Ausstellen oder Anschlagen an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind". Wer ein Bild an die Wand malt oder zeichnet, stellt es aus. Jedenfalls aber mufs auch der I n h a l t der Schrift usw. der Wahrnehmung des Publikums zugänglich gemacht werden, und es genügt z. B. nicht, wenn der Buchhändler in seinen Schaufenstern ein unzüchtiges Buch zugeklappt aufstellt, so dafs nur der Titel gelesen werden kann. Unzüchtig aber ist die Schrift, wenn die Behandlung ihres Gegenstandes, erregtem Geschlechtstrieb entspringend oder auf Erregung desselben abzielend, den Anstand in den geschlechtlichen Beziehungen gröblich verletzt. Ein echt wissenschaftliches oder künstlerisches Werk fällt mithin an sich niemals unter diesen Begriff (oben S. 377), wohl aber kann ihm relativ, d. h. bestimmten Kreisen des Publikums gegenüber, sowie durch die Art der Verbreitung, die Eigenart eines unzüchtigen Werkes gegeben werden. S t r a f e : Geldatrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten.
III. Durch Art. IV des Gesetzes vom 5. April 1888, betr. die unter Ausschlufs der Öffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlungen, wurde dem §. 184 StGB, der folgende 2. Absatz beigefügt: *) Beweis die im §. 184 selbst gegebene Gegenüberstellung mit dem Ausstellen an „Orten, welche dem P u b l i k u m zugänglich sind". Das Nähere bei v. L i s z t Pressrecht §. 42. Sehr unsicher K. Einerseits betonen vielfache Entscheidungen, dafs das Gesetz ö f f e n t l i c h e Verbreitung nicht fordre, anderseits schliefst aber doch R vertrauliche Mitteilungen aus und verlangt Verbreitung „auf breiterer Grundlage". Man vgl. dazu 0 475, der aber gleichfalls feste Begriffsbestimmung vermissen läfst. In keinem Falle darf in der Bestellung einer Schrift Teilnahme an ihrer Verbreitung erblickt werden; so richtig gegen R. v. K r i e s Z V I I 646, M 899.
§. 111.
396
Die widernatürliche Unzacht.
Gleiche Strafe trifft denjenigen,
welcher aus Gerichtsver-
handlungen, für welche wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, oder aus den diesen Verhandlungen zu Grunde liegenden amtlichen Schriftstücken öffentlich Mitteilungen macht, welche geeignet sind, Ärgernis zu erregen. Besonderes
Schweiggebot wird
nicht
vorausgesetzt.
Mitteilung kann mündlich oder schriftlich erfolgen.
Die
N u r vor-
sätzliche Mitteilung macht s t r a f b a r ; der Vorsatz mufs auch die Öffentlichkeit
der Mitteilung
auffassen.
Die Mitteilung
mufs
g e e i g n e t sein Ärgernis zu erregen; dafs Ärgernis thatsächlich erregt worden sei, ist nicht erforderlich.
§.111.
7. Die widernatürliche Unzucht.
Litteratur. H ä l s c h n e r System I I 313. D a l c k e GA X V I I 88. J o h n Entwurf 400. Anlagen zum Entwurf I 21. H I I 238. Die Lehrbücher der gerichtlichen Medizin. C a r l i e r Leu deux prostitutions 1887. I. Schon in der Zeit des Freistaates beschäftigte sich die r ö m i s c h e Gesetzgebung mit der wohl aus Griechenland herübergedrungenen Monstrosa Venus (lex Scatinia von unbekanntem Datum). In der lex Julia wurde sie zum stuprum gerechnet, und die Kaiser drohen Todesstrafe, ubi sexus perdit locum, ubi Venus mutatur in aliam formam. Auch dem älteren d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r ist die widernatürliche Unzucht nicht fremd geblieben, wie die corpore infames bei Tacitus, Hinweisungen in den Volksrechten und Bestimmungen der Kapitularien bezeugen. Seiner übertreibenden Strenge gegen die Fleischesvergehen getreu, erklärte das k a n o n i s c h e Hecht, dessen Schriftsteller sich mit einem gewissen Behagen in die Erörterung der einschlagenden Einzelfragen vertiefen, jede gegen die Regeln der Natur erfolgende Befriedigung deB Geschlechtstriebes für verboten. Die PGO. droht in §. 116 den Feuertod, „so ein Mensch mit einem Viehe, Mann mit Mann, Weib mit Weib Unkäusch treiben". Das g e m e i n e R e c h t beschränkt die Feuerstrafe auf die eigentliche Bestialität (so Österreich 1666, anders freilich Preufsen 1620 und 1721), erweitert aber den Thatbestand der strafbaren widernatürlichen Unzucht auf die sodomia contra ordinem naturae, also jeden naturwidrigen Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Weib, die Onanie, die Befriedigung an Leichen usw. Die Litteratur der Aufklärungszeit verlangt, teilweise wenigstens ( M o n t e s q u i e u , H o m m e l gegen S o d e n , G m e l i n ) , Ein•f.hränkwng der Bestrafung. In dem Josephinischen StGB. 1787 ist Bestialität und Unzucht mit dem eignen Geschlecht unter die „politischen Verbrechen" verwiesen. Dagegen erfordert noch A L R . 1069 bei „Sodo-
§. 111. Die widernatürliche Unzucht
397
miterei und andern dergleichen unnatürlichen Sünden, welche wegen ihrer •bscheulichkeit hier gar nicht genannt werden können, gänsliche Vertilgung des Andenkens"; daher wird Verbannung des Thäters, bei. Vernichtung des Tieres angeordnet. In der n e u e r e n Wissenschaft und Gesetzgebung zeigt sioh das teilweise erfolgreiche Bestreben, die widernatürliche Unzuoht ganz ans dem StOB. zu verweisen oder doch den Begriff derselben wesentlich einzuschränken. Auch das Gutachten der preufs. Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen hatte sich vor der Ausarbeitung des norddeutschen Entwurfes für die Streichung des Deliktes ausgesprochen.1) Und zum Teil wohl mit Recht Die Strafdrohungen gegen Unzuoht mit Tieren liefsen sich um so leichter entbehren, als hier in den meisten Fällen Geistesstörung vorliegt, und die widernatürliche Unzuoht zwischen Frauen entzieht sich, trotz ihrer weiten Verbreitung in den Kreisen der Prostituierten sowie in den Weiberstrafanstalten, der gerichtlichen Feststellung. Im übrigen würden die Strafdrohungen des §. 188 ausreichen. Auf der andern Seite ist zu erwägen, dafs der g e w e r b s m ä f s i g e P ä d e r a s t (von der auf Perversität des Geschlechtstriebes beruhenden, gar nicht so seltenen „Urningsliebe" wohl zu unterscheiden) zu den gemeingefährlichen Klassen der Gesellschaft gehört, so dafs Freigebung dieses Gewerbes von den bedenklichsten Folgen begleitet sein würde. Die Beschränkung der Strafbarkeit auf diesen Fall würde die gegen jede Bestrafung der widernatürlichen Unzucht gerichteten Bedenken entkräften und doch den Bedürfnissen der Rechtsordnung genügende Rechnung tragen.
II. Nach geltendem Rechte ist bedroht (§. 175 StGB.) die widernatürliche Unzucht 1. zwischen Personen des männlichen Geschlechts (sog. sodomia ratione sexus, Päderastie); 2. zwischen Mensch und Thier (sodomia ratione generis, Bestialität). Dabei haben wir unter Unzucht nur Beischlaf und beischlafsähnliche Handlungen (coitus per anum) zu verstehen. S t r a f e : Gefängnis; daneben nach Ermessen Verlust der Ehrenrechte. ') Ebenso neuerdings wieder H I I 989. Das französische Recht straft nur bei outrage public ä la pudeur. Der österr. Entw. von 1889 dagegen will auch die lesbisohe Liebe verfolgen. •) Viel weiter geht R 3. Februar 90 XX 986 (Einführung der Rute eines Schlafenden in den Mund des Thäters). Straflos bleibt aber auoh nach R die wechselseitige Befleckung. Widernatürliche Unzucht zwischen Mann und Weib fällt nicht unter das Gesetz.
398
§. 112. Die Blutschande.
§. 112.
8. Die Blutschande.
L i t t e r a t n r . H I I 479. Die Lehrbücher des Kirchenrechts ( R i c h t e r K a h l S. 1063, F r i e d b e r g §. 146). I. B l u t s c h a n d e (Inzest) ist die Vermischung nahe verwandten Blutes. Sie bildet den Übergang zu den strafbaren Handlungen gegen die Familienrechte. D e r Grund ihrer Strafbarkeit liegt einerseits in der durch die Blutschande notwendig herbeigeführten sittlichen Zerrüttung und Verwüstung des Familienlebens, anderseits in der hohen Wahrscheinlichkeit einer allseitigen Entartung der auf diesem W e g e erzeugten Nachkommenschaft. B e i d e Erwägungen liegen so nahe, dafs die Geschichte des Verbrechensbegriffes so alt ist wie derjenige der Familie und fast nur in den, grundsätzlich wenig bedeutsamen Schwankungen in B e z u g auf die für heilig erklärten Verwandtschaftskreise besteht. II. Das r ö m i s c h e R e c h t , welches nicht den geschlechtlichen Verkehr zwischen Verwandten als solchen, sondern nur den Abschlufs der auf denselben abzielenden Ehe unter Strafe stellte, unterschied zwischen incestus juris gentium und juris civilis, und rechnete zu ersterm die Ehe zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie. Ahnlich stellte das k a n o n i s c h e R e c h t dem incestus juris divini die Blutschande nach Menschensatzung gegenüber; zugleich erweiterte es den Begriff ins Mafslose (erst Innozenz I I I beschränkte 1215 unter Berufung auf die Galenische Humoralpathologie') das Eheverbot wieder auf den vierten Grad kanonischer Berechnung, und fügte überdies noch die cognatio spiritualis zur Blutsverwandtschaft hinzu. Frühzeitig findet die kirchliche Anschauung Eingang in das Recht des d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r s . Rib.69, 2 droht der blutschänderischen Ehe Verbannung und Vermögensverlnst; zahlreiche Kapitularien schärfen die Eheverbote ein. Die Bambergensis hatte in Art. 142 die Strafe des Ehebruches (das Schwert, unter Umständen mit Schärfung) angedroht. Dagegen bestimmte PGO. 117: „Item so einer Unkäusch mit seiner Stieftochter, mit seines Sohnes Eheweib oder mit seiner Stiefmutter treibt, in s o l c h e n u n d n o c h n ä h e r e n S i p p s c h a f t e n " soll die Strafenach den geschriebenen Rechten bestimmt und deshalb bei den Rechtsverständigen angefragt werden. Durch diese Fassung wurde zu mancher langwierigen Streitfrage ') quia quatuor sunt humores in corpore, qui constant ex quatuor elementis.
119. Die Blutschande.
399
Anlafs gegeben. Nicht blofs, ob auch Unzucht unter Geschwistern hierher gehöre, sondern insbesondere auch Art und Höhe der Strafe war und blieb gemeinrechtlich bestritten. Die sächsischen Konstitutionen (IV 82) bestraften Verwandte auf- und absteigender Linie mit dem Schwert, Seitenverwandte mit Staupenschlägen und ewiger Landesverweisung. Diese auch von C a r p z o v vertretene Ansicht fand überwiegende Billigung (so Hamburg 1603, Preufsen 1690, Österreich 1666), doch gingen einzelne Gesetzgebungen (wie Kurpfalz 1689) bis zur Strafe des Feuertodes. Die Aufklärungszeit zweifelte vielfach an der Strafbarkeit der Blutschande. Die neuere Gesetzgebung hat dieselbe beibehalten, freilich ohne sich über die rechtliche Eigenart der Vergebung besonders klar zu werden. Denn die sittliche Zerrüttung des Familienlebens wird nicht nur durch den B e i s c h l a f zwischen den Blutsverwandten herbeigeführt. So lange der Gesetzgeber nicht die Sittlichkeit an sich schützt (oben §. 104), kann die Blutschande als strafbar nur erscheinen, wenn durch sie ein Ärgernis gegeben, d. h. das s i t t l i c h e G e f ü h l a n d r e r v e r l e t z t oder aber die g e s c h l e c h t l i c h e F r e i h e i t durch den Hifsbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses beeinträchtigt wird. Damit wäre die Beseitigung der Blutschande als eines besonderen Verbrechens gegeben. I I I . Nach StGB. §. 173 ist Blutschande nur der B e i s c h l a f , d. h. die naturgemäfse Vereinigung der Geschlechtsteile (nicht aber andre unsittliche, selbst widernatürliche Handlungen) 1. zwischen ehelichen oder unehelichen V e r w a n d t e n aufund absteigender Linie; 2. zwischen V e r s c h w ä g e r t e n auf- und absteigender Linie (mag auch die das Schwägerschaftsverhältnis begründende Ehe gelöst sein); 3. zwischen (vollbiirtigen wie halbbürtigen) G e s c h w i s t e r n . S t r a f e : zu 1: Jahr Zuchthaus bis zu fünf Jahren gegen Aszendenten, Gefängnis bis zu zwei Jahren gegen Deszendenten; zu 9 und 3: Gefängnis bis zu zwei Jahren. In allen Fällen Ehrverlust nach Ermessen. Verwandte absteigender Linie bleiben (wie im gemeinen Recht) straflos, wenn sie das 18. Lebensjahr nicht vollendet haben (oben §. 76 Note 3).
400
§. 113. Die Verletzung des Personenstände«.
IV. Strafbare Handlungen gegen Familienrechte. §.113.
I. Die Verletzung des Personenstandes.
Littermtur. v. S c h w a r z e HH I I I 876. H II 469. R e i s Die Unterdrückung und Veränderung des Personenstandes Tüb. Diss. 1888 (Z IX «71). I. Der P e r s o n e n s t a n d ist Voraussetzung wie Inbegriff der Familienrechte; er bedeutet die rechtliche Stellung, welche durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie sowohl den Familiengliedern wie allen andern Menschen gegenüber begründet wird. Der Personenstand entsteht durch Geburt; er endigt durch den Tod; er wird geändert durch Annahme an Kindesstatt, Legitimation, Schliefsung und Lösung der Ehe. Die Verletzung des Personenstandes bildet ein besondres, in dieser weiten Bedeutung erst durch die neuere G esetzgebung anerkanntes Vergehen. Das römische Recht hatte allerdings nicht nur die Kindesunterschiebung (suppositio partus als unverjährbares Delikt) sondern auch die Anmafsung eine« falschen Namens (asseveratio falsi nominis vel cognominis: 1. 13 D. 48, 10) als quasi falsa unter Strafe gestellt. Dabei überwog das öffentliche Interesse: publice interest, partus non subjici, ut ordinum dignitas familiarumque salva sit. Dagegen schweigen die Quellen des deutschen Mittelalters und dasselbe thut die PGO. Das gemeine Recht (z. B. Prenfsen 1791) hält sich an die römischen Bestimmungen; Österreich 1707 bedroht das „Unterstofsen fremder Kinder" mit dem Schwert und noch ALR. 1436 rechnet, wie die Mehrzahl der deutschen Landesstrafgesetzbiicher, die Veränderung des Personenstandes zum Betrug. Diese Auffassung ist weniger unrichtig, wie die neuerdings von Reis und 0 684 vertretene Einreihung unter die Fälschungsvergehen. Denn das Mittel zur Entziehung der mit dem Personenstande gegebenen Familienrechte ist nicht der Mifsbrauch einer Beglaubigungsform, sondern die Vorspiegelung oder Unterdrückung von Thatsachen, so dafs entweder die Zugehörigkeit des Verletzten zu einer bestimmten Familie dauernd der Kenntnis dritter entzogen ( U n t e r d r ü c k u n g des Personenstandes) oder die irrige Annahme hervorgerufen wird, der Verletzte gehöre einer Familie an, deren Glied er in Wahrheit nicht ist ( V e r ä n d e r u n g des Personenstandes). In der That aber haben wir es mit einer durchaus eigenartigen Vergehung zu thun. I I . Verletzung des Personenstandes ist die E n t z i e h u n g der mit der Z u g e h ö r i g k e i t zu e i n e r b e s t i m m t e n
§. 113.
401
Die Verletzung des Personenstandes.
F a m i l i e g e g e b e n e n F a m i l i e n r e c h t e durch die Err e g u n g e i n e s d a u e r n d e n I r r t u m s ü b e r den P e r s o n e n s t a n d (StGB. §. 169). Zwischen Veränderung und Unterdrückung besteht kein wesentlicher Unterschied. Jedenfalls aber mufs die Herbeiführung eines Z u s t a n d e s gefordert werden. E s genügt nicht, wenn jemand sich in einem Einzelfall für einen andern ausgiebt (StGB. §. 360 Zif. 8) oder den Tod eines andern oder dessen Verheiratung verheimlicht. Dagegen fällt unter das Gesetz sowohl die Unterdrückung des Personenstandes eines V e r s t o r b e n e n als auch die Veränderung des e i g e n e n Personenstandes, wenn und soweit dadurch der Personenstand andrer lebender Menschen berührt wird. Durch Einwilligung des Betroffenen wird die Strafbarkeit nicht berührt, weil der Personenstand der freien Verfügung seines Trägers nicht untersteht. Als besonders wichtigen Fall hebt der Gesetzgeber, der geschichtlichen Uberlieferung folgend, die U n t e r s c h i e b u n g oder v o r s ä t z l i c h e V e r w e c h s e l u n g eines Kindes hervor, d. h. einer jugendlichen Person, welche wegen ihres Alters noch keine klare Kenntnis ihrer eignen Familienangehörigkeit hat und daher die Pläne des Thäters zu zerstören nicht im stände ist (vgl. auch oben §. 91 II 1 ). ] ) S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren; wenn in gewinnsüchtiger Absicht (vgl. unten §. 140 I I 3) begangen, Zuchthaus bis zu zehn Jahren. V e r s u c h strafbar. Die Verjährung beginnt, soweit nicht etwa ein Dauerverbrechen vorliegt, mit der Handlung selbst, durch welche die Veränderung oder Unterdrückung des Personenstandes erfolgt.
III. Durch das Gesetz vom 6. Februar 1875 über die B e u r k u n d u n g des P e r s o n e n s t a n d e s und d i e E h e s c h l i e f s u n g wurden mehrere neue strafbare Handlungen geschaffen. So bedroht §. 68 desselben mit einer Ubertretungsstrafe (Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder Haft) die V e r l e t z u n g der in den §§. 17 bis 20. 22 bis 24, 56 bis 68 dieses Gesetzes begründeten Anzeigepflichteu. Doch tritt die Strafverfolgung nicht ein, wenn die Anzeige, o b w o h l n i c h l v o n d e n z u n ä c h s t V e r p f l i c h t e t e n , doch rechtzeitig gemacht worden ist: einganz eigenartiger Strafaufhebungsgrund ') Dagegen 0 687, R e i s 77; übereinstimmend B 435, M 766. Ton L i u t , Strafrecht. 4. Aufl.
26
402
§• 114.
§. 114.
Strafbare Handlungen bei Schließung der £he.
2. Strafbare Handlungen bei Schliefeung der Ehe.
Litteratnr.
H II 466.
I. Die E h e e r s c h l e i c h u n g , auch Ehebetrug genannt, (schon Österreich 1787 und A L R . 1068 sowie in zahlreichen LandesStGBüchern, nicht aber Preufsen 1851 besonders hervorgehoben), ist insofern mit der Verletzung des Personenstandes verwandt, als sie die Herstellung eines der Rechtsordnung nicht entsprechenden Personenstandes zum Ziele hat. StGB. §. 170 unterscheidet zwei Fälle. 1. Die arglistige Verschweigung eines gesetzlichen (und zwar trennenden) Ehehindernisses bei Eingehung der Ehe dem andern Teile gegenüber. ,.Arglist" ist anzunehmen, wenn, wie dem Thäter bekannt, bei Kenntnis des Hindernisses der andre Teil die Ehe nicht eingegangen wäre, mithin Benutzung der Unkenntnis des andern, Täuschung desselben durch Vorspiegelung, Unterdrückung oder Entstellung von Thatsachen vorliegt. Der Begriff der Arglist deckt sich also mit dem der List (oben §. 99 I V 3).') 2. Die arglistige Verleitung des andern Teiles zur Eheschliefsung mittels einer solchen Täuschung, welche den Getäuschten berechtigt, die Gültigkeit der Ehe anzufechten. S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten. Auflösung der Ehe aus einem dieser Gründe ist B e d i n g u n g d e r S t r a f b a r k e i t (oben §. 43). a ) A n t r a g s v e r g e h e n ; ® ) die A n t r a g s f r i s t beginnt zu laufen erst mit dem die Ehe lösenden rechtskräftigen Erkenntnisse (oben §. 43 Note 3). Dagegen läuft die V e r j ä h r u n g s f r i s t schon von dem Tage, an welchem die Handlung begangen ist, also von dem Tage der Eheschliefsung (oben §. 43 Note 4). ') Ebenso H I I 467, I I 986. Dagegen verlangen B 437, O 689 die Absicht, den andern Teil zu schädigen. s ) Die Streitfrage ist dieselbe wie beim Ehcbruch (unten §. 116 Note 5). Übereinstimmend B i n d i n g Normen 1 130, B 441, 11 350, W a h l b e r g H R Ehebruch, R e b e r Antragsdelikte 204; dagegen v. R i s c h G S X X X V I 252, v. K r i e s Z V 12, Bg I 601, H I I 4H8. B e n n e c k e Lehrbuch S. 12 Note 10, E l s a s Begnadigungsrecht 45, H e 11 w eg Strafprozess 262, 0 690, 700, R wiederholt, zuletzt 8. Februar 1887 XV 261, welche hierin nur eine Bedingung der Strafverfolgung erblicken. Doch dürfte einleuchten, dafs bei Nichtanfechtung der Ehe durch den Getäuschten eine strafbare Handlung im Sinne des Gesetzes überhaupt nicht vorliegt. *) Das „nur" im 2. Abs. des §. 170 hat keine weitre Bedeutung; StGB. §. 65 2 bleibt anwendbar.
§. 115. Die mehrfache Ehe.
403
II. Es gehören weiter hierher zwei später noch in anderm Zusammenhange zu erwähnende Amtsverbrechen: 1. des Geistlichen oder Religionsdieners, welcher zur Trauung schreitet, bevor ihm nachgewiesen worden ist, dafs die Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen sei (§. 67 des Personenstandsgesetzes vom 6. Februar 1875; an Stelle des §. 337 StGB, getreten); 2. des Religionsdieners oder Personenstandsbeamten, welcher, wissend dafs eine Person verheiratet ist, eine neue Ehe derselben schliefst (StGB. §. 338). S t r a f e . Zu 1: Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten. Zu 2: Zuchthaus bis zu fünf Jahren. I I I . Es sei endlich erwähnt, dafs in das EG. zu dem bürgerlichen Gesetzbuch (vgl. Note zu §. 1260 des Entwurfs) folgende Strafdrohung aufgenommen werden soll: Mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre wird bestraft: 1. Wer gegen das Verbot des §. 1237 eine Ehe schliefst; 2. die Frau, welche gegen das Verbot des §. 1241 eine Ehe schliefst, sowie derjenige, welcher mit ihr die Ehe schliefst, wenn er bei der Eheschliefsung von dem Hindernisse Kenntnis hatte. 4 )
§. 115.
3. Die mehrfache Ehe.
L i t t e r a t u r . W ä c h t e r Abhandlungen 144. H ä l s c h n e r GS X X I I 424. W a h l b e r g H R „Bigamie". V i l l n o w GS XXX 123. H I I 474. — Vgl. auch B e n n e c k e Die strafrechtliche Lehre vom Ehebruch 1884. I. Die m e h r f a c h e E h e , regelmäfsig, aber ungenau, Doppsiehe oder Bigamie genannt, erscheint als Verletzung des Ehebandes durch M i f s b r a u c h d e r E h e s c h l i e f s u n g s f o r m . Im römischen Recht lediglich als stuprum betrachtet (1. 18 C. 9, 9), ist sie der Auffassung des frühern deutschen Mittelalters als besondres Vergehen fremd und nur als Ehebruch oder Entführung strafbar ( F r a u e n 9 t ä d t Z X 234). Erst die spätem Quellen, z. B. das Stadtrecht von Ripen 1269 ( L ö n i n g Z V 224, vgl. auch O s e n b r ü g g e n Alamannisches Strafrecht 282) oder die Tiroler Malefizordnung 1499. erwähnen die Doppelehe als selbständig strafbare Handlung. Während Bambergensis 146 die Todesstrafe als den *) §. 1237 verbietet die Ehe zwischen demjenigen, dessen Ehe wegen Ehebruches geschieden ist, und demjenigen, mit welchem er des Ehebruches sich schuldig gemacht hat, sofern dieser Ehebruch in dem Scheidungsurteile als Grund der Scheidung festgestellt ist. Dispensation ist zulässig. !;. 1241 untersagt der Frau die Schliefsung einer neuen Ehe vor Ablauf von zehn Monaten von dem Zeitpunkte an, in welchem ihre frühere Ehe aufgelöst oder für ungültig erklärt ist. 26«
404
§. 115.
Die mehrfache Ehe.
kaiserlichen Rechten zuwiderlaufend ausdrücklich ausschlofs, bestimmt die PGO. in Art. 121, dafs die der Doppelehe Schuldigen, „wiewohl die kaiserlichen Rechte auf solche Übelthat keine Strafe am Leben setzen . . . nicht weniger als die Ehebrüchigen peinlich gestraft werden Bollen". Das gemeine Recht verhängte demgemäfs die Strafe des Schwertes (so Kurpfalz 1582, Hamburg 1603, Bayern 1616, Preufsen 1620, Österreich 1656), verlangte aber, eben wegen der Gleichstellung mit dem Ehebruch, zur Vollendung Vollziehung des Beischlafs, copula carnalis, (so noch Bayern 1751, Osterreich 1786). Auch die gemeinrechtliche Litteratur (Koch, Krefs, Böhmer u. a.) hielt an dieser Auffassung fest, verlangte aber auch Bestrafung des crimen binorum sponsaliorum, bis die Aufklärungszeit (von Thomasius bis auf Soden) die Strafbarkeit überhaupt in Frage Btellte. Erst mit dem Siege des Grundsatzes der staatlichen Eheschliefsung ist die Stellung der mehrfachen Ehe im Systeme bestimmt und gesichert.
I I . Die Doppelehe wird nach geltendem Rechte (StGB. §. 171) begangen durch Schliefsung einer Ehe von einem oder mit einem Ehegatten, bevor die frühere Ehe aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt worden ist. Vorausgesetzt ist eine den gesetzlichen Vorschriften über die F o r m der Eheschliefsung entsprechende Ehe, mag dieselbe auch ungültig oder nichtig sein. Nicht nur der verheiratete, sondern auch der unverheiratete Teil erscheint (entgegen der Auffassung des gemeinen Rechts) als Thäter; denn auch er hat die staatliche Eheschliefsungsform mii'sbraucht. Sind beide Teile verheiratet (bigamia duplex des gemeinen Rechts), so kann das nur innerhalb des Strafrahmens berücksichtigt werden. Der die Ehe schliefsende Religionsdiener oder Personenstandsbeamte wird nicht nach StGB. §. 17] als Gehilfe oder Mitthäter, sondern nach StGB. §. 338 (oben §. 114 I I 2) selbständig als Thäter gestraft. Der V e r s u c h beginnt mit dem Anfange derEheschlielsungsliandlung (also mit der Frage des Standesbeamten), so dafs Verlobung, Aufgebot, Fahrt zum Standesbeamten usw., als straflose Vorbereitungshandlungen erscheinen. Die V o l l e n d u n g ist mit der vollendeten Eheschliefsung gegeben; Geschlechtsgemeinschaft ist nicht erforderlich. Die Doppelehe ist mithin kein D a u e r verbrechen, sondern ein Z u s t a n d s verbrechen. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Die V e r j ä h r u n g beginnt, kraft besondrer, aus allgemeinen Grund-
§. 116. Der Ehebruch.
405
sätzen nicht abzuleitender, daher auf andre Fälle nicht auszudehnender Vorschrift des Gesetzes erst mit dem Tage, an welchem eine der beiden Ehen aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt worden ist.
§. 116.
4. Der Ehebruch.
L i t t e r a t n r . W ä c h t e r Abhandlungen 162. H ä l s c h n e r GS YTTT 401. R o s e n t h a l Die Rechtsfolgen des Ehebruchs nach kanon. und deutschem Recht 1880. B e n n e c k e Die strafrechtliche Lehre vom Ehebruch 1884 (Z V 392, 560). W a h l b e r g H R „Ehebruch". H I I 469. I. G e s c h i c h t e . Erst durch die lex Julia de adulteriis vom Jahre 736 oder 787 a. u. wurde der Ehebruch dem Kreise der v o m r ö m i s c h e n R e c h t e mit öffentlicher Strafe belegten Verbrechen eingefügt (D. 48, 5. C. 9, 9. Nov. 134). Im übrigen blieb der Gesetzgeber den aus der hansherrlichen Gewalt des Mannes erklärlichen Volksanschauungen treu: nor der Bruch der ehelichen Treue durch die Frau und die Störung- fremder Ehe durch den Mann (temerator alienarum nuptiarum wird der Ehebrecher in den Quellen genannt), nicht aber der geschlechtliche Verkehr des verheirateten Mannes mit einer unverheirateten Frauensperson erschien als adulterium. Die uralte Tötungsbefugnis blieb, wenn auch nur innerhalb enger Grenzen, dem Vater sowohl als auch dem Gatten erhalten. Nach Justinianeischem Rechte trifft den Ehebrecher das Schwert; die Ehebrecherin kommt ins Kloster, auB welchem sie ihr Gatte nach Ablauf von zwei Jahren befreien kann (Novelle 134). Seit Konstantin ist das Anklagerecht auf die nächsten Verwandten beschränkt. Auch nach der Auffassung des d e u t s c h e n Rechtes kann der Ehebruch nur von der verheirateten Frau und ihrem Mitschuldigen begangen werden. Von dem Strafrechte des Ehemannes berichtet uns Tacitus Germ. 19. Die Unzucht der Braut mit einem andern steht dem Ehebruche der Frau gleich.') Die Auffassung der K i r c h e , welche von dem Manne dieselbe Keuschheit forderte wie von der Frau (c. 4 C. 83 qu. 4) vermochte dem weltlichen Rechte gegenüber nicht durchzudringen, obwohl der Ehebruch zumeist zur kirchlichen Gerichtsbarkeit gezogen wurde. Ssp. I I 13, 5 setzt auf die overhure das Schwert; meist aber begnügte sich die Rechtsprechung mit willkürlicher Strafe. Die Bambergensis 145 hatte die verschiedenen Fälle noch genau zu trennen versucht; der Mann, der mit einer Ehefrau die Ehe brach, sollte mit dem Schwert, dagegen der Ehebruch „mit einem ledigen Weibsbild" nur willkürlich gestraft werden, Verfolgung von Amtswegen nur bei „öffentlichem, unzweifelhaftem, ärgerlichem Ehebruch" stattfinden. FGO. 120 begnügt sich mit der Verweisung auf „die Sage unserer Vorfahren und unsre kaiserlichen Rechte". Damit war der Landesgesetzgebung freier Spiel') So hm Das Recht der Eheschliefsung 76. H e u s l e r Institutionen des deutschen Privatrechts I I 283.
406
§. 116. Der Ehebruch.
räum gelassen. Vielfach bemühte sich diese, Mann und Weib gleichzustellen und bedrohte beide mit dem Schwert (Z X 235); so Sächsische Konstitutionen IV 18, Preufsen 1620, wiederholte österreichische Verordnungen im 16. und 17. Jahrhundert. Sachsen hat erst 1783 die Todesstrafe beseitigt. Dennoch war die Rechtsprechung eine sehr schwankende (praxis incertissima, klagt B ö h m e r ) , und die Todesstrafe wurde wohl nur selten verhängt. Öffentliche Verfolgung blieb ausgeschlossen; nur bei öffentlichem Ärgernis (durch Zusammenwohnen mit der Konkubine) wurde nach den RPolizeiordnungen von Amtswegen eingeschritten. Noch milder war die Zeit der Aufklärung; sah sie doch in dem Ehebruch nur die Verletzung des aus dem Ehevertrage entspringenden rein privatrechtlichen Anspruches auf Leistung der ehelichen Pflicht und auf ausschliefst liehen geschlechtlichen Verkehr. Osterreich 1787 verwies den Ehebruch unter die „politischen Verbrechen" ; auch ALR. 1062 ist nur gegen die ehebrecherische Frau strenge. Die neuere Gesetzgebung bat, von wenigen Ausnahmen (so Hamburg 1869) abgesehen, an der Strafbarkeit des Ehebruches festgehalten, dieselbe aber mannigfach eingeschränkt. Dabei ist insbesondre auf deutschem Boden (anders code pénal, Japan, russischer Entwurf) zumeist übersehen worden, dafs die gröfsere Strafwürdigkeit der Frau, dem Ehemanne, wie besonders dem unverheirateten Mitschuldigen gegenüber, in der perturbatio sanguinis physiologisch begründet ist. IL D a s g e l t e n d e R e c h t . §. 172 R S t G B . setzt den Begriff des Ehebruches als gegeben voraus. N a c h allgemeinem Sprachgebrauch wird der Ehebruch nur begangen durch B e i s c h l a f , d. h. durch die naturgemäfse Vereinigung der Geschlechtsteile, während jeder andersartige, wenn auch sittlich noch so verwerfliche geschlechtliche Verkehr mit Personen des andern oder auch desselben Geschlechtes nicht als Ehebruch betrachtet werden darf. 2 ) O b die Vollziehung des Beischlafes auf der Willenseinigung beider Teile beruht oder nicht, ist begrifflich gleichgültig; auch durch Notzucht kann Ehebruch begangen werden. Voraussetzung des Ehebruchs ist das Gegebensein einer materiell bestehenden (also nicht nichtigen), 3 ) wenn auch anfechtbaren (ungültigen) E h e . Einwilligung des verletzten E h e gatten in den Ehebruch schliefst die Strafbarkeit desselben ®) Anders das ALR., welches „Sodoniiterei und andere unnatürliche Laster" ausdrücklich gleichgestellt hatte. Übereinstimmend mit dem Text die gemeine Meinung, auch 0 698, R 8. Oktober 86 XIV 352. Violenta et certa suspicio fornicationis (c. 12 X de praes.) genügt nicht. ') Ebenso B 442, G I I 89, H II, 470, O 698, W 484. Dagegen M 982, S 325.
§. 117. Die Gotteslästerung.
407
nicht aus.4) Doch erscheint der Ehebrach nur dann als strafbar, wenn wegen d e s s e l b e n die Ehe geschieden und damit festgestellt ist, dafs er das eheliche Zusammenleben unmöglich gemacht habe.6) Die Vollendung tritt mit der Vereinigung der Geschlechtsteile ein; Samenergufs darf nicht gefordert werden. Der Ehebruch ist A n t r a g s v e r g e h e n . Der Lauf der A n t r a g s f r i s t beginnt mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils (oben §. 43 Note 3), während die V e r j ä h r u n g der Strafverfolgung nach allgemeiner Regel schon mit der Begehung des Ehebruches beginnt, allerdings aber naoh §. 69 StGB, während der Dauer des Scheidungsverfahrens r u h t . Die S t r a f e des Ehebruchs beträgt Gefängnis bis zu sechs Monaten.
V.
Strafbare Handlungen gegen die Religionsfreiheit und das religiöse Gefühl. §. 117.
Überblick.
I. Die Gotteslästerung.
L i t t e r a t n r . W a h l b e r g HH I I I 263. D e r s e l b e H R „Religionsverbrechen". V i l l n o w GS XXXI 609, 579. H a g e r Beiträge zur Lehre von den Religionsvergehen. 1874. B o t t Zur Lehre von den Religionsvergehen. Tübinger Diss. 1890. K o h l e r Studien aus dem Strafrecht I 160 (1890). F u l d Magazin für deutsches Recht I I I 93. — H I I 700. I. Wenige Vergebungen bieten der richtigen grundsätzlichen Auffassung und der durch diese bedingten Einreihung in das System gröfsere Schwierigkeiten als die Religionsverbrechen; wenige Deliktsgruppen haben im Laufe der Jahrhunderte öfter und rascher ihre Eigenart verändert, Umfang und Inhalt gewechselt. Der theokratische Staat kann die R e l i g i o n a l s s o l c h e zum Rechtsgute erklären, sie in das Verzeichnis der 41, O 1279, H u b e r Das Tramway-Mrafrecht in Schweizer Zeitschr. I I 4t>9. H i l s e Schutzbedürfnis der Pferdebahnen im Strafrechtsgebiet 1890 verlangt (ohne ausreichende Begründung) Gleichstellung der Pferdebahnen.
§. 128.
Die Arten des Diebstahls.
447
einer der Teilnehmer bei Begehung der That Waffen bei sich führt. „ W a f f e " ist hier im technischen Sinne zu nehmen.4) Da, abweichend von der PGO., welche den E n t s c h l u f s , von der Waffe allenfalls Gebrauch zu machen, als erschwerend betrachtete (die gemeinrechtliche Wissenschaft verlangte den animus laedendi), der Grund der höhern Strafbarkeit des bewaffneten Diebstahls in seiner gröfsern o b j e k t i v e n (durch die Möglichkeit des Gebrauchs bedingten) Gefährlichkeit liegt, ist es gleichgültig, einerseits ob der Dieb die Absicht hatte, die Waffe nötigenfalls zu gebrauchen, anderseits ob infolge des äufserlich sichtbaren Tragens der Waffe der Bestohlene sich in seiner persönlichen Sicherheit bedroht fühlte. Daher ist der erschwerende Umstand gegeben, wenn der Soldat das gewöhnliche Seitengewehr trägt, nicht aber, wenn er seine Kanone begleitet oder wenn das Dienstmädchen den Degen ihres Herrn zum Schwertfeger trägt. Wer eine nicht geladene Schufswaffe bei sich trägt, ist dagegen bewaffnet, falls es ihm nicht an der erforderlichen Munition fehlt. Der Vorsatz des Thäters mufs auch den Besitz der Waffe mit umfassen. 6. Der B a n d e n d i e b s t a h l : wenn zu dem Diebstahle mehrere mitwirken, welche sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden haben (oben S. 221). Die Form der „Mitwirkung" (Thäterschaft, Mitthäterschaft, Teilnahme) ist gleichgültig. 5 ) 7. D e r n ä c h t l i c h e D i e b s t a h l : vorliegend, wenn der Diebstahl z u r N a c h t z e i t in einem bewohnten Gebäude, in welches sich derThäter in diebischer Absicht e i n g e s c h l i c h e n , oder in welchem er sich in gleicher Absicht verborgen hatte, begangen wird, auch wenn zur Zeit des Diebstahls Bewohner in dem Gebäude nicht anwesend sind. Einem bewohnten Gebäude werden der zu einem solchen gehörende umschlossene Raum und die in einem solchen befindlichen Gebäude jeder Art, sowie Schifte, welche bewohnt werden, gleich geachtet. Ein „ b e w o h n t e s G e b ä u d e - ' (ob. S. 415) ist dasjenige Ge4 ) Vgl. oben S. 348. Ebenso v. K r i e s GA X X V 33, 48, (x II 48, H I I 329; dagegen B 551, II 670, Ml 321, O 980, S 435. ") Ebenso H I 557, I I 330 Note 1, O 981; dagegen M 672, S 436.
448
§. 128.
Die Arten des Diebstahls.
bäude, welches Menschen zur ordnungsmäfsigen Kachtruhe dient. „ N a c h t z e i t " ist, wie aus dem Zwecke der Bestimmung hervorgeht, nicht die Zeit der Dunkelheit, sondern die ortsübliche Zeit der Nachtruhe. 8 ) „ E i n s c h l e i c h e n " ist das heimliche, sich der Wahrnehmung durch andre absichtlich entziehende Eintreten. Yornächtliches Einschleichen ist nicht erforderlich. I I I . D i e b s t a h l im z w e i t e n R ü c k f a l l e (StGB. §. 244 und 245; oben §. 71). Voraussetzung: zweimalige frühere Bestrafung im I n 1 a n d e wegen Diebstahls, Raubes, räuberischen Diebstahls, räuberischer Erpressung oder Hehlerei. Ob die Vorstrafe durch Zivil- oder Militärgerichte oder durch Polizeibehörden ausgesprochen worden, ist gleichgültig, sobald es sich nur um eine eigentlich peinliche Strafe handelt; auch der Verweis genügt als Vorstrafe. Die technische Bezeichnung der Vordelikte bleibt aufser Betracht, doch mufs innere Gleichartigkeit derselben mit den in §. 244 StGB, genannten Verbrechen gegeben sein. Daher begründen Vorstrafen wegen Entwendungen, welche das geltende Recht vom Diebstahl trennt (wie Mundraub, Entwendungen im Sinne der Forst- und Feldpolizeigesetze usw.), die Anwendung der Rückfallsschärfung nicht. 7 ) Der Thäterschaft bez. der Vollendung stehen in Bezug auf erste, zweite und dritte Begehung Teilnahme bez. Versuch durchaus gleich. Ebenso genügt Vorbestrafung aus §. 257 Abs. 3 StGB, (oben §. 53 Note 7). Die Vorbestrafung ist „im Inlande" erfolgt, wenn das Gericht, welches dieselbe ausgesprochen, nach h e u t i g e m Rechte zum Inlande gehört, mag es auch zur Zeit der Aburteilung dem Auslande angehört haben. Die Vorstrafen müssen ganz oder teilweise verbüfst oder erlassen sein. Ein zehnjähriger Zeitraum von Verbülsung oder Erlafs der l e t z t e n S t r a f e bis zur Begehung des neuen Diebstahls schützt vor der Rückfallsstrafe (sog. R ü c k f a 11sv e r j ä h r u n g ) . Dagegen kommt der zwischen der ersten •) Übereinstimmend B 551, G II 48, H II 332, M 667; dagegen Ml 321, O 983, S 438 Note 16, R 23. Dezember 80 III 209. ') Dag. R 19. Oktober 80 I I 356, sowie 0 991. Richtig J o h n Z I 273.
§. 199. Dem Diebstahl verwandte Fälle.
449
und der zweiten Verurteilung verstrichene Zeitraum nicht in Betracht. Die S t r a f e beträgt: a) für einfachen Diebstahl (StGB. §. 242) Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten; b) für schweren Diebstahl (StGB. §. 343) Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Jahre.
I V . Der r ä u b e r i s c h e (raubähnliche) Diebstahl (StGB. §. 252), vorliegend, wenn der Dieb, auf frischer That, also nach Vollendung der Wegnahme, betroffen, gegen eine Person Gewalt verübt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben anwendet, um sich im Besitze des gestohlenen Gutes zu erhalten. Über die Begriffe „Gewalt" und „Drohung" vgl. oben §. 99 IV. Strafe: die des Raubes. V. M i l d e r b e s t r a f t e F ä l l e (StGB. §. 247, der sog. F a m i l i e n - und H a u s d i e b s t a h l ) : 1. Diebstahl von Verwandten aufsteigender Linie gegen Verwandte absteigender Linie oder zwischen Ehegatten begangen (§. 247 Abs. 2), bleibt straflos (oben §. 76 IV). 2. A l s relatives Antragsvergehen (oben §. 43 S. 188) behandelt das RStGB. zwei Fälle (StGB. §. 247 Abs. 1): a) ohne weitre Bedingung den Diebstahl gegen Angehörige, Vormünder oder Erzieher (StGB. §. 52 Abs. 2) („Familiendiebstahl"); b) wenn es sich um Sachen von unbedeutendem Werte handelt, den Diebstahl gegen Personen, zu welchen der Thäter im Lehrlingsverhältnisse steht oder in deren häuslicher Gemeinschaft er als Gesinde sich befindet (der freie Zutritt zu den Räumlichkeiten entscheidet). Entscheidend ist nach dem oben §. 127 VII Gesagten die Beziehung des Thäters zum Gewahrsamsinhaber. Der Diebstahl bleibt Antragsvergehen, auch wenn die vom Sohne bei seinem Vater gestohlenen Gegenstände Eigentum eines dritten sind. Der Antrag ist rücknehmbar. Beide Bestimmungen (1 und 3) finden auf Teilnehmer oder Begünstiger, welohe nicht in einem der vorbezeichneten Verhältnisse stehen, keine Anwendung (StGB. §. 247 Abs. 3).
§. 129.
Dem Diebstahl verwandte Fälle.
Aus dem Begriffe des Diebstahls haben sich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung eine Reihe von Vergehungen losgelöst und selbständige
Ton Llsit, Strafrecht. 4. Aufl.
29
450
§. 129. Dem Diebstahl verwandte Fälle.
Bedeutung erlangt, die hier der bessern Übersicht wegen zusammengestellt und dem Diebstahle angeschlossen werden sollen, wenn 9ie auch, einzeln betrachtet, eine andre Stellung im Systeme des besonderen Teiles beanspruchenkönnten. Es sei betont, dass wir es hier mit s e l b s t ä n d i g e n Verbrecheusbegriffen zu thun haben, auf welche daher das über den Diebstahl Gesagte n i c h t ohne weiteres Anwendung findet. I. D i e G e b r a u c h s a n m a f s u n g . Das furtum usus war im r ö m i s ch en S e c h t e ausdrücklich zum furtum gerechnet worden (oben §. 126 I). Das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r dagegen behandelte einzelne hierher gehörige Fälle, wie den Raubritt, die Benutzung eines fremden Kahnes, das Bebauen eines fremden Grundstückes, als besondre, mit Bufse zu belegende Vergehen. Die g e m e i n r e c h t l i c h e Wissenschaft und Rechtspflege griff auf die Auffassung des römischen Rechtes vielfach zurück. J e mehr aber der heutige Diebstahlsbegriff sich entwickelte, desto weniger wollte die Gebrauchsanmafsung unter ihn passen, da es ja an der Aneignungsabsicht bei ihr gänzlich mangelt. Daher sahen sich mehrere Landes-StGBücher, so z. B. Sachsen, veranlafst, der Gebrauchsanmafsung eine selbständige, allgemein gehaltene Strafdrohung zu widmen. N a c h Reichsreclit ist die Gebrauchsanmafsung nur in dem einen besondern. durch den Milsbrauch des öffentlichen Vertrauens erschwerten F a l l e ( S t G B . 2 9 0 ) strafbar, wenn öffentliche Pfandleiher die von ihnen in P f a n d genommenen Gegenstände unbefugt in Gebrauch nehmen. Ö f f e n t l i c h e Pfandleiher sind diejenigen, deren Geschäft dem Publikum offen steht. A n d r e A r t e n der Gebrauchsanmafsung, das Tragen fremder Kleider und W ä s c h e , das Benutzen eines fremden Eisenbahnoder Theaterbillets, das Lesen fremder Zeitungen und Bücher, das Benutzen eines fremden Regenschirms oder Pelzes usw. erscheinen nicht als strafbar. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre, das nach Ermessen mit Geldstrafe bis neunhundert Mark verbunden werden kann.') II. D i e B e s i t z e n t z i e h u n g . Das sogenannte furtum possessionis, nach römischem Rechte ebenfalls zum furtum gerechnet, unterscheidet sich von dem Diebstahl dadurch, dafs es nicht g e g e n den Eigentümer gerichtet ist, sondern von diesem oder zu dessen gunsten vorgenommen wird. Verletzt ist der G e w a h r s a m (oben §. 127 I I I ) als thatsächliche Herrschaftsmöglichkeit. D a s R S t G B . bedroht in §. 289 die W e g n a h m e der eignen beweglichen Sache durch den Eigentümer oder die W e g n a h m e ') Vgl. Art. 249 f. der Aktieugesetznovelle von 1884 unten §. 191 V I I .
§. 129.
Dem Diebstahl verwandte Fälle.
451
einer fremden beweglichen Sache zu gunsten des Eigentümers derselben durch einen dritten aus dem Gewahrsam des Nutzniefsers, Pfandgläubigers oder Gebrauchs- oder ZurückbehaltungsBerechtigten. Thäter kann auch ein Mit-Berechtigter sein. Hierher gehört insbesondre die Ausräumung der eingebrachten Sachen des Mieters gegen den ausdrücklich oder stillschweigend erklärten Willen des Vermieters (daa „Rücken"); nicht aber die Zerstörung derselben.2) Die Wegnahme mufs in „ r e c h t s w i d r i g e r A b s i c h t " , d. h. zu dem Zwecke erfolgen, das Recht des Berechtigten zu verletzen. Der Vorsatz mufs das Recht des Gewahrsamsinhabers mitumfassen. S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren (daneben nach Ermessen Verlast der bürgerlichen Ehrenrechte) oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. V er 8 u c h strafbar. Antragsvergehen. StGB. §. 247 Abs. 2 und 3 (oben §. 128 V) finden auch hier Anwendung; nicht aber die Erschwerungen des §. 243 StGB.
III. Der F o r s t - u n d F e l d d i e b s t a h l , im deutschen Rechte von jeher vom gemeinen Diebstahl unterschieden, ist durch Einführungsgesetz §. 2 der Landes-Gesetzgebung überlassen worden.8) Er ist mithin nicht als „Diebstahl" im technischen Sinne des RStGB. zu betrachten. IV. Die widerrechtliche Zueignung von bei den Übungen der Artillerie verschossener M u n i t i o n oder von Bleikugeln aus den Kugelfängen der Truppen-Schiefsstände (StGB. §. 291). Die Bestimmung ist aus der preufsischen Kabinetsordre vom 23. Juli 1833 in das preufsische StGB. §. 349 5 als Übertretung übergegangen, im RStGB. aber im Hinblick auf den erhöhten Wert der Geschosse zum Vergehen erhoben worden. Das kennzeichnende Merkmal, welches (abgesehen von dem engbegrenzten Gegenstande) dieses Vergehen von dem Diebstahl unterscheidet, liegt in der eigentümlichen Gestaltung der Verfügungsgewalt, welche den Truppen über die im §. 2!)1 genannten Gegenstände zusteht. Von einem Aufgeben des Eigen•) Vgl. unten §. 131 Note 2. Ebenso R 29. März 87 X V 434; anders in StGB. 137. Dagegen O 1199. ') Vgl. oben §. 16 Note 3. F o r s t d i e b s t a h l ist die Entwendung von Walderzeugnissen (insbesondre Holz), solange sie noch nicht gewonnen sind; F e l d ( l i e b s t a h l ist die Entwendung von Feldfrüchtcn vom Felde. Die Landesgesetze enthalten aber meist noch weitere Einschränkungen. Keichsrechtliche Regelung wünschenswert. 29*
452
§. 129.
Dem Diebstahl verwandte Fälle.
turns verbunden mit einem staatlichen Wiederergreifungsrechte kann nicht die Rede sein. Wohl aber wird der Gewahrsam bis zur äufsersten Grenze g e l o c k e r t , ohne gänzlich verloren zu gehen, solange die Artilleriemunition nicht über die Grenzen des Übungsfeldes hinausfliegt und die Kugeln in den Kugelfängen sich befinden. Eben darum ist nicht §. 291, sondern §. 242 anzunehmen, sobald der Gewahrsam, wie etwa bei Schiefsübungen im geschlossenen Räume, völlig erhalten bleibt ; und auch §. 291 entfallt, wenn der Gewahrsam völlig verloren geht, wie bei Übungen auf offenem Wasser. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. V. Unbefugte Verringerung eines fremden Grundstücks, eineB öffentlichen oder Privatweges oder eines Grenzrains durch Abgraben oder Abpflügen (StGB. §. 370 Ziff. 1). S t r a f e : Geldstrafe bis hundertundfünfzig Mark oder Haft. VI. Unbefugte Wegnahme von Erde, Steinen, Rasen aus öffentlichen oder Privatwegen; Graben von Erde, Lehm, Sand, Grand, Mergel aus fremden Grundstücken; Hauen von Plaggen oder Bülten; Wegnahme von Hasen, Steinen, Mineralien aus fremden Grundstücken, zu deren Gewinnung es einer Verleihung, einer Konzession oder einer Erlaubnis einer Behörde nicht bedarf, oder von ähnlichen Gegenständen (StGB. 370 Ziff. 2). S t r a f e : wie zu V.
V I I . Entwendung von N a h r u n g s - o d e r G e n u f s m i t t e l n von unbedeutendem Werte oder in geringer Menge zum alsbaldigen Gebrauche (StGB. §. 370 Ziff. 5). 4 ) Sie unterscheidet sich vom Diebstahl wie von der Unterschlagung, einerseits durch den geringen Vermögenswert des Gegenstandes, anderseits durch die Absicht: nicht Zueignung, sondern alsbaldiger Gebrauch, bez. Verbrauch ist der Zweck der Entwendung. Die Notwendigkeit vorhergehender Zubereitung schliefst diesen Begriff ebensowenig aus wie der Mitgenuls andrer Personen; wohl aber Verkauf oder Aufsammlung der entwendeten Gegenstände. Zu den ,.Genufsniitteln" sind auch Tabak, Zigarren, Parfüms, nicht aber Brennmaterialien, Beleuchtungsgegenstände zu recliuen; Blumen gehören hierher, wenn sie zum Riechen, nicht wenn sie als Schmuck verwendet werden sollen. *) K ö s t l i n Abhdlgn. S. 312ff., 315ff. G e y e r Z II 299, 0 1466. Schon im deutschen Mittelalter wird der „Mundraub" vielfach erwähnt.
§. 130. Der Raab.
453
W e g e n ihrer durchaus selbständigen Natur darf diese „Entwendung" in keiner Beziehung, insbesondere nicht in Bezug auf die Strafschärfungen der §§. 243, 244, 252 als eigentlicher Diebstahl betrachtet werden, während bei Anwendung von Gewalt oder Drohung Raub oder Erpressung angenommen werden müfste. 6 ) S t r a f e : wie zu V. Antragsvergehen; Rücknahme zulässig. Entwendungen von Verwandten aufsteigender gegen Verwandte absteigender Linie und zwischen Ehegatten bleiben straflos. V I I I . Der schon in den Rechtsquellen des 13. Jahrhunderts hervorgehobene sogenannte F u t t e r d i e b s t a h l (StGB. §. 370 Ziff. 6) besteht in der Wegnahme von Getreide oder andern zur Fütterung des Viehs bestimmten oder geeigneten Gegenständen wider Willen des Eigentümers, um dessen Vieh damit zu futtern. Auch der Futterdiebstahl darf — und zwar wegen der Verwendung der weggenommenen Gegenstände im Interesse des Eigentümers — nicht als Diebstahl im technischen Sinne der Reichsgesetzgebung betrachtet werden.
§. 130.
2. Der Raub.
Litteratnr. B r e i d e n b a c h Verbrechen des Raubes nach röm. Recht 1839. E ö s t l i n Abhandlungen 1858 S. 389. M e r k e l HH I I I 714. V i 11 n o w Raub und Erpressung 1876. v. ß u r i GS XXIX Beilagaheft.. W a h l b e r g HR „Raub". W a n j e k GA XXVII 194. H II 364. — Uber den See r a u b vgl. die Darstellungen des Völkerrechts, insbesondre G a r eis HV I I 571 (Z VIII 108) und oben §. 19 Note 7. I. G e s c h i c h t e . Der Raub als selbständiger Verbrechensbegriff ist deutschrechtlichen Ursprunges. Im altern r ö m i s c h e n Rechte lediglich als „schlechter Diebstahl" bezeichnet (Gaius I I I 209), durch die vom Prätor Lucullus 677 oder 678 a. u. für den Fall gewaltsamer Entwendung durch eine bewaffnete Rotte eingeführte actio vi bonorum rsptorum (D. 47, 8) mit der Privatstrafe des quadruplum belegt, wurden später gewisse Fälle des Raubes allerdings bald als vis (cum armiB, ex incendio, naufragio; 1. 3 D. 48, 6), bald als crimen extraordinarium (latrones, grassatores; 1. 28 §. 10 D. 48, 19) mit öffentlicher Strafe belegt; ®) Die Frage ist Behr bestritten. Der Beschlufs der Verein. Strafsenate vom 7. Juli 86 XIV 313 erklärt den Mundraub für Diebstahl, will aber trotzdem die Erschwerungen des 8. 243 StGB, nicht anwenden. Richtig M 675, O 1026, 1467; dagegen Bg 1 528 Note 13. — Durch fortgesetzte Begehung kann die Eigenart der Entwendung nicht geändert werden; dagegen R 26. April 88 XVII 332, O 1468.
454
§. 180.
Der iUub.
aber der allgemeine Begriff des Raubes bleibt dem römischen Rechte verschlossen. Dagegen hat das m i t t e l a l t e r l i c h d e u t s c h e R e c h t den Raub als die o f f e n e Wegnahme einer fremden Sache von jeher scharf von der dieblichen Wegnahme geschieden; und auch, nachdem im Laufe des Mittelalters, insbesondre in Landfrieden und Rechtsbüchern das Merkmal der G e w a l t in den Begriff des Raubes aufgenommen und damit seine Strafbarkeit bedeutend erhöht worden war, wurden Diebstahl und Raub immer als wesentlich verschiedene Verbrechen behandelt, jener mit dem Strang, dieser als Friedensbruch mit dem Schwert bestraft. So finden wir auch in der PGO. die Strafdrohung gegen den „boshaft überwundenen Räuber" (Art. 126) nicht unter den zahlreichen den Diebstahl behandelnden Artikeln, sondern weitab von diesen zwischen Brandstiftung und Aufruhr, so dafs die Richtung gegen die allgemeine Sicherheit unzweideutig hervortritt. Im g e m e i n e n R e c h t machen sich zwei Strömungen geltend. Die eine, besonders von Carpzov vertreten, nimmt Raub als Strassenraub, latrocinium (so Osterreich 1656 und 1768. Bayern 1751); die andern, so Böhmer, Meister, Engau sehen das Wesen der robbaria, depraedatio, grassatio in der Gewalt gegen Personen (ihnen folgen Preufsen 1620 und 1794). Auch die deutsche L an de s g e s e t z g e b u n g des 19. Jahrhunderts schwankt, insbesondre in Bezug auf den Zeitpunkt der Vollendung und ist in ihrem Bemühen, den Raub vom Diebstahl einerseits, von der E r pressung anderseits zu unterscheiden, nur teilweise glücklich gewesen. Das R S t G B . hat, im Anschlüsse an das p r e u f s i s c h e , Raub und Erpressung in denselben Abschnitt zusammengestellt und dadurch den e n t e r n sowohl von der Nötigung als auch vom Diebstahl schon äufserlich gesondert, so dafs, trotz der Aufnahme sämtlicher Merkmale des Diebstahls in den Begriff des Raubes, dieser im heutigen Rechte als selbständiges Verbrechen betrachtet werden mufs. II.
Der
schuldig,
Begriff.
„wer
mit
Nach
Gewalt
§. 249 S t G B , gegen
eine
unter A n w e n d u n g von D r o h u n g e n mit G e f a h r für Leib oder Leben einem
a n d e r n in
widrig
zuzueignen".
1. Mittel
der
Kennzeichnend
ist
des
Rauhes
Person
oder
gegenwärtiger
eine fremde bewegliche S a c h e
A b s i c h t wegnimmt
sich
dieselbe
rechts-
f ü r den R a u b sind m i t h i n z u n ä c h s t d i e
d e r W e g n a h m e , d. Ii. d e r B e g r ü n d u n g des eignen
w a h r s a m s a u f seiten des Gefahr für
L e i b und
Thäters:
Leben
oder
D r o h u n g mit Gewalt
Ge-
gegenwärtiger
gegen eine
Person.
D i e l e t z t e r e ist ( o b e n §. 9 9 I V 1) stets G e w a l t a n der P e r s o n , 1 ) d. h . *) Will man die im Texte angenommene Deutung nicht billigen, dann bleibt nichts übrig, als die Behauptung einer „unlösbaren Anti-
§. 130.
Der Raub.
455
an dem Inhaber der wegzunehmenden Sache. Es genügt weder Gewalt an Sachen (Wegreifsen der Uhrkette), noch Gewalt an andern Personen (z. B. an dem Kinde, um die Mutter zur Herausgabe der Sache zu veranlassen). Die Anwendung dieser Mittel unterscheidet den Raub einerseits vom Diebstahl, mit welchem er im Übrigen alle Merkmale gemein hat, anderseits von der Erpressung (unten §. 142). Daraus ergiebt sich, dafs die sogenannte „räuberische Erpressung" (StGB. §. 255) nicht Erpressung sein kann. 2. Aber auch noch ein andres Merkmal unterscheidet den Raub von der Erpressung. Jener ist W e g n e h m e n einer fremden beweglichen S a c h e , mithin gerichtet unmittelbar gegen den G e w a h r s a m , mittelbar gegen das Eigentum, diese gegen das V e r m ö g e n überhaupt. Die sogenannte „räuberische Erpressung" kann auch darum nicht R a u b sein; sie ist vielmehr, wie der Name es ausdrückt, ein eigenartiges Verbrechen, welches durch Verbindung der M i t t e l des Raubes mit den G e g e n s t ä n d e n der Erpressung gebildet und am besten als eine Erweiterung des Raubes vom Sachdelikte zum V e r m ö g e n s delikte aufgefafst, mithin im Anschlüsse an den Raub behandelt wird (unten I I I 4). 3. Der Raub ist vollendet (wie der Diebstahl) mit der vollendeten Wegnahme der Sache, ohne dafs erfolgte Zueignung erforderlich wäre; der strafbare V e r s u c h beginnt bereits mit der Anwendung von Gewalt oder Drohung. III. F ä l l e d e s R a u b e s . 1. E i n f a c h e r R a u b (StGB. §. 249). S t r a f e : Zuchthaus; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten.
2. S c h w e r e r R a u b (StGB. §. 250). Die erschwerenden Umstände sind teilweise dieselben wie beim Diebstahl, so dafs hier das oben §. 128 Gesagte zu vergleichen ist. Schwerer Raub liegt vor: a) Wenn der Räuber oder einer der Teilnehmer am Raube bei Begehung der That Waffen bei sich führt. nomie" zwischen StGB. §. 255 einerseits, §§. 249 und 253 anderseits. Diesen Verzweiflungsschritt unternehmen Bg I 462, G I I 58, M 717, 720 Note 18.
456
g. 130.
Der Raub.
b) Wenn zu dem Raube mehrere mitwirken, welche sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden haben. (Bande.) c) Wenn der Raub auf einem öffentlichen Wege, einer Strafse, einer Eisenbahn, einem öffentlichen Platze, auf offener See oder einer Wasserstrafse begangen wird. ( S t r a f s e n r a u b , S e e r a u b , Piraterie, gemeinrechtlich mit dem Schwert bestraft). Der Begriff der „offenen See" bestimmt sich nach völkerrechtlichen Grundsätzen; StGB. §§. 3—5 finden auch hier Anwendung. Die „Wasserstrafse" braucht nicht a l s s o l c h e benutzt zu sein; auch die Beraubung badender oder fischender Personen gehört hierher. d) Wenn der Raub zur Nachtzeit in einem bewohnten Gebäude (StGB. §. 247 Ziff. 3) begangen wird, in welches sich der Thäter zur Begehung eines Raubes oder Diebstahls eingeschlichen oder sich gewaltsam (durch Gewalt gegen Personen oder Sachen) Eingang verschafft oder in welchem er sich in gleicher Absicht verborgen hatte. e) Wenn der Räuber bereits einmal als Räuber oder wegen räuberischen Diebstahls (StGB. §. 252) oder räuberischer Erpressung (StGB. §. 255) im Inlande bestraft worden ist (Raub im ersten Rückfall). StGB. §. 245 findet auch hier Anwendung. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter fünf Jahren; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Jahre.
3. S c h w e r s t e r F a l l (StGB. §. 251): Raub, bei dem ein Mensch gemartert oder bei dem durch die verübte Gewalt eine schwere Körperverletzung (StGB. §. 224) oder der Tod eines Menschen verursacht worden ist; gleichgültig, ob die gemarterte, ' verletzte, getötete Person der Beraubte selbst oder ein dritter ist. „Marterung" (verwandt mit dem „Quälen" in §. 360 Ziff. 13) erfordert länger andauernde Zufügung körperlicher Schmerzen von einer bestimmten Heftigkeit. Die schwerere Strafe trifft jeden, welcher sich an dem Raube in Kenntnis der marternden oder gewaltsamen Handlung beteiligt hat, mag er auch an dieser Handlung selbst keinen Anteil genommen haben. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus.
4. D i e r ä u b e r i s c h e E r p r e s s u n g (StGB. §. 255). Sie liegt vor, wenn jemand, u m s i c h o d e r e i n e m d r i t t e n
§. 131. Die Unterschlagung.
457
e i n e n r e c h t s w i d r i g e n V e r m ö g e n s v o r t e i l zu vers c h a f f e n , einen andern durch Gewalt an der Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zu e i n e r H a n d l u n g , D u l d u n g o d e r Unterlassung nötigt. S t r a f e : die des Raubes.
5. Der sog. r ä u b e r i s c h e D i e b s t a h l (StGB. §. 252) ist wie bereits oben §. 128 IV hervorgehoben, nicht Raub, sondern Diebstahl. IV. Neben der Zuchthausstrafe kann in allen Fällen auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB. §. 256).
§.131.
3. Die Unterschlagung.
Litteratnr. S c h ü t z e GS XXI 115. v. S t e m a n n Das Vergehen der Unterschlagung und Untreue 1870. M e r k e l H H III 689. H u b e r Unterschlagung 1875. K a p f Die Unterschlagung 1879. H ä l s c h n e r GA XV 1. W a l t h e r Die Lehre vom Funddiebstahl 1849. R o t e r i n g GS XXXVI 520, 561 (Z V 396). F u c h s GA XXXII 161 (Z V 397). H I I 345. I. G e s c h i c h t e . Während das r ö m i s c h e R e c h t die Unterschlagung ohne weitere Unterscheidung mit dem Diebstahl in dem weiten Begriffe des furtum zusammenfafste, wurde im d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r zumeist zwischen dem dieblichen Behalten von za treuer Hand iibergebenen Sachen einerseits und dem einfachen Behalten von gefundenen oder auf andre Weise zufällig erlangten Sachen unterschieden, der erste Fall als Veruntreuung dem Diebstahl gleichgestellt, der zweite als Unterschlagung nur willkürlich bestraft. Demgemäfs bestimmt PGO. 170: „welcher mit eines andern Gütern, die ihm in gutem Glauben zu behalten und verwahren gegeben sind, williger- und gefährlicherweise dem Gläubiger zu Schaden handelt, solche Missethat ist einem Diebstahl gleich zu strafen" — und stellt so die Veruntreuung als selbständige Vergehung in der Bestrafung dem Diebstahl gleich. G e m e i n r e c h t l i c h war die Stellung sowohl der Veruntreuung als auch besonders der einfachen Unterschlagung eine sehr bestrittene. Carpzov, Kreis, Koch, Engau u. a. hielten an der deutschrechtlichen Auffassung fest, stellten die Unterschlagung als furtum improprium (contrectatio ficta) n e b e n den Diebstahl und begnügten sich meist mit geringerer Strafe (so Kurpfalz 1582, Frankfurt 1578, Preufsen 1620). Die andern liefsen, wie Böhmer (auch Bayern 1751, Österreich 1768 und 1787) die Unterschlagung ganz im Diebstahl aufgehen. Erst allmählich gewinnt die Unterschlagung in der n e u e r e n Gesetzgebung ausgeprägtere Gestalt: die vielfach sich findende Beschränkung auf anvertraute Sachen („Veruntreuung") wird
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§. 131.
Die Unterschlagung.
aufgegeben, die U n t e r s c h l a g u n g als Sachvergehen von der U n t r e u e als Verletzung von Forderungsrechten und von dem gegen das Vermögen überhaupt gerichteten B e t r u g gesondert, der Begriff seiner kasuistischen Fassung entkleidet. Während noch P r e u f s e n 1851 von mit der Verpflichtung zur Rückgabe, Verwahrung, Verwaltung oder Ablieferung erlangtem Gute gesprochen und die durch Finden oder zufällig erlangten Sachen gleichgestellt hatte, bestimmt das RStGB. in § 246 ganz allgemein die Unterschlagung als d i e r e c h t s w i d r i g e Z u e i g n u n g einer f r e m d e n b e w e g l i c h e n S a c h e , w e l c h e der Thäter ber e i t s in s e i n e m G e w a h r s a m e h a t . Mit dieser allgemeinen Fassung entfiel die Notwendigkeit, die F u n d v e r h e h l u n g , welche wohl auch als F u n d d i e b s t a h l bezeichnet und teilweise (so Osterreich) als B e t r u g behandelt wurde, besonders auszuzeichnen.
II. B e g r i f f . 1. G e g e n s t a n d der Unterschlagung ist wie beim Diebstahl eine f r e m d e b e w e g l i c h e S a c h e . Mithin kann an R e c h t e n überhaupt, an F o r d e r u n g s r e c h t e n insbesondre Unterschlagung ebensowenig wie Diebstahl begangen werden, während die das Recht beweisende oder begründende Urkunde als Sache Gegenstand des einen wie des andern Verbrechens sein kann. Daher wird weiter durch den Ubergang des Eigentums au den Gewahrsamsinhaber die Möglichkeit einer Unterschlagung unbedingt ausgeschlossen, mag auch eine persönliche Verpflichtung zur Rückgabe oder zur Verwendung nach einer ganz bestimmten Richtung hin bestehen. Ob der Eigentumsübergang stattgefunden hat oder nicht, ist lediglich nach den Grundsätzen des mafsgebenden bürgerlichen Rechtes zu entscheiden ; und die, insbesondre in der preufsischen Rechtsprechung beliebte Aufstellung des Begriffes eines „strafrechtlichen Eigentums" kann heute als von allen Seiten aufgegeben betrachtet werden. Wichtig und schwierig gestaltet sich diese Frage bei der praktisch häufigen Übergabe von regelmäfsig v e r t r e t b a r e n Sachen. Hier ist es stets nach den genau ins Auge zu fassenden Umständen des Einzelfalles zu beurteilen, ob jene regelmäfsige Eigenschaft auch den im Einzelfall übergebenen Gegenständen zukommt; ob die Rückgabe in genere oder in specie zu leisten, ob also das Eigentum an den einzelnen Stücken auf den Empfänger übergegangen ist oder nicht. Nicht nur die unterscheidende Bezeichnung der hingegebenen Stücke (z. B.
§. 131. Die Unterschlagung.
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Versiegelung des die Banknoten enthaltenden Briefumschlags), sondern auch die Vermögensverhältnisse des Empfangers und seine Beziehungen zu dem Übergebenden werden für die E n t scheidung der Frage mafsgebend sein. 1 ) A n einem S c h a t z e ist Unterschlagung durch den Finder dann möglich, wenn nach dem mafsgebenden bürgerlichen R e c h t durch das Finden selbst einem dritten (dem Eigentümer des Grundstückes oder dem Staate) sofort E i g e n t u m an einem Teile des Schatzes, nicht blofs ein Anspruch auf Herausgabe erworben wird. 2. Nach ausdrücklicher Vorschrift des Gesetzes mufs der Thäter die Sache bereits i n s e i n e m G e w a h r s a m haben. Darin liegt der Unterschied der Unterschlagung vom Diebstahle. Streng genommen wäre die Abgrenzung nur dann eine durchgreifende, wenn der Unterschied rein negativ etwa dahin gefafst worden wäre: „eine Sache, die der Thäter zu diesem Zwecke nicht erst aus dem Gewahrsame eines andern weggenommen hat. . . . " Aber auch die gegenwärtige Fassung des Gesetzes bietet einer verständigen Rechtsprechung keine ernstliche Schwierigkeit. A u f welche "Weise der Unterschlagende den Gewahrsam erlangt hat, ob durch Zufall, durch Irrtum, durch ein Anvertrauen von seiten des bisherigen Gewahrsamsinhabers, oder endlich durch eine strafbare Handlung, ist gleichgültig. Doch wird in dem letzten dieser F ä l l e die Aneignung regelmäfsig hinter dem strafbaren "Wegnehmen zurücktreten (oben §. 56 Note 3). Insbesondre ist Aneignung einer gefundenen (von einem andern „verlornen") Sache unzweifelhaft als Unterschlagung zu betrachten. 3. Die H a n d l u n g besteht in der Z u e i g n u n g der fremden beweglichen Sache. D e r Begriff ist derselbe wie beim Diebstahle. Die heutige Gesetzgebung hat von einer kasuistischen Umschreibung der Zueignung abgesehen. J e d e Handlung oder pflichtwidrige Unterlassung, durch welche die eigentumsgleiche Herrschaft des Gewahrsamsinhabers bethätigt wird, gehört hierher. E s ist Aneignung, wenn der Finder einer ') Über die Unterschlagung von Amtsgeldern vgl. unten §. 177 V I I .
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§. 131. Die Unterschlagung.
verlornen Sache den suchenden Eigentümer stumm an sich vorübergehen läfst, vorausgesetzt dafs er seine frühere Absicht der Rückstellung eben erst in diesem Augenblicke endgültig aufgegeben hat. Ebenso kann Ableugnen des Besitzes, Beiseiteschaffen, Beheben eines Sparkassabuchs, Verschenken, Veräufsern, Anbieten zum Kaufe usw. als Aneignung erscheinen. Sofortige Vernichtung der Sache ist nicht Aneignung,2) ebensowenig vorübergehender Gebrauch, wohl aber der allmähliche Verbrauch derselben. V e r p f ä n d u n g ist dann, aber auch nur dann, nicht Aneignung, wenn die Absicht und zugleich die gegründete Aussicht rechtzeitiger Wiedereinlösung besteht.3) Ebenso ist V e r k a u f mit Vorbehalt des Rückkaufrechtes zu beurteilen. 4. Die W i d e r r e c h t l i c h k e i t der Zueignung ist zum Begriffsmerkmal erhoben; der Irrtum über dieselbe mithin bedeutsam. Es schliefst daher die irrige Annahme, dafs der bisherige Eigentümer in die Aneignung willige, den Begriff der Unterschlagung aus; während bei Unkenntnis der thatsäclilich erfolgten Einwilligung untauglicher Versuch anzunehmen ist. Beispiel: Ich rauche die Zigarren meines verreisten Stubengenossen oder benutze den Vorrat seines Weinkellers, um einen gemeinsamen Freund zu bewirten. 5. Die V o l l e n d u n g tritt ein mit der geschehenen Aneignung (anders beim Diebstahl). Der Versuch — trotz der Vergehensnatur strafbar — beginnt mit der beginnenden Aneignung. 6. Verletzt ist der Eigentümer, und nur er, nicht etwa derjenige, der die Sache dem Thäter übergeben (anvertraut) hatte. III. A r t e n d e r U n t e r s c h l a g u n g : 1. E i n f a c h e U n t e r s c h l a g u n g (StGB. §. 246). S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren; bei mildernden Umständen Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. 2. Die V e r u n t r e u u n g oder Unterschlagung a n v e r t r a u t e r , 2 ) So die gemeine Meinung, auch R l l . November 84 XI 239. Dagegen H II 299, ü 954. 3 ) Schon das gemeine Recht (Engau) verlangte animus und facultas restituendi. So wiederholt auch R , zuletzt 12. Juni 84 X I 17, 3. Juli 84 XI 69, auch Ml 318. Dagegen G II 61, H II 352, O 953, 1005, nach welchen die Absicht genügend ist.
§. 139.
Die Sachbeschädigung.
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d. h. auf Grund eines Rechtsgeschäftes mit der Verpflichtung zur Rückgabe oder Ablieferung übernommener Sachen. S t r a f e : Gefängnis bis zu fünf J a h r e n ; bei mildernden Umständen Geld bis zu neunhundert Mark. 3. Milder bestrafte Fälle (StGB. §. 247); dieselben wie beim Diebstahl (oben §. 128 V); entscheidend hier immer die Stellung des verletzten Eigentümers. Neben Gefängnis kann in allen Fällen auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden (StGB. §. 248).
§. 132.
4. Die Sachbeschädigung.
L i t t e r a t u r . K ö s t Ii n Abhandlungen 1858 S. 169. L u e d e r Die Vermogensbeschädigung 1867. P e r n i c e Die Sachbeschädigung nach röm. Recht 1867. M e r k e l H H I I I 848, I V 466 und H R „Sachbeschädigung«. H I I 386. I. G e s c h i c h t e . Die Sachbeschädigung verdankt erst der neueren Gesetzgebung ihre selbständige Stellung. Das r ö m i s c h e Recht hatte neben dem damnum injuria datum der lex Aquilia nur eine Anzahl von einzelnen Fällen, so die Beschädigung von Bäumen, Saaten und Weinbergen, von Mauern, Thoren und Strafsen, und zwar wegen ihrer Richtung gegen allgemeine Interessen, extra ordinem bestraft. Auch im m i t t e l a l t e r l i c h d e u t s c h e n Recht finden wir zwar eine Reihe von einzelnen Strafdrohungen, so gegen Beschädigung von Tieren, von Zäunen und Hecken, von Feldern und Wiesen, von Gärten und Wäldern, vermissen aber den allgemeinen Begriff der Sachbeschädigung. Ebenso bot auch die PGO. (trotz der Art. 167 und 168) der Entwicklung des Vergehensbegriffes keine irgendwie genügende Grundlage. Erst die n e u e s t e G e s e t z g e b u n g war bemüht, die fühlbare Lücke auszufüllen. E s gelang, nachdem die Gruppe der Feld-, Forst- und Flurfrevel ausgeschieden und der Sondergesetzgebung überwiesen und nachdem die irreleitende Bezeichnung „Vermogensbeschädigung" aufgegeben worden war, dem RStGB., den Begriff in §. 303 mit annähernder Genauigkeit zu bestimmen. Doch wird durch die Fassung des §. 304 und durch die Einfügung des gar nicht hierher gehörenden §. 305 die Klarheit des kaum gewonnenen Begriffes wieder wesentlich getrübt; während anderseits in der Wissenschaft das Streben zu Tage getreten ist,1) das Vergehen durch Erweiterung desselben zur V e r m ö g e n s b e s c h ä d i g u n g seiner festausgeprägten Gestalt zu berauben. ') insbesondre bei L u e d e r . Gegen ihn D o c h o w , G l a s e r , M e r k e l , H ä l s c h n e r . Doch geht auch H ä l s c h n e r in seinen Vorschlägen noch viel zu weit. Richtiger wäre es, die arglistige Vermögensbeschädigung ohne gewinnsüchtige Absicht selbständig mit Strafe zu bedrohen, wie dies der österr. Entw. gethan.
462
§. 132.
Die Sachbeschädigung.
II. D e r B e g r i f f u n d s e i n e M e r k m a l e . Sachbeschädigung ist E i g e n t u m s v e r l e t z u n g d u r c h rechtswidrige V e r l e t z u n g oder V e r n i c h t u n g der Sachsubstanz. 1. G e g e n s t a n d ist auch hier eine f r e m d e Sache, und zwar, im Gegensatze zu allen übrigen Vergehen gegen dingliche Rechte, nicht nur bewegliche sondern auch unbewegliche Sachen. Insbesondre gehören auch Tiere hierher. Vermögenswert braucht die Sache auch hier nicht zu besitzen. Nur fremde, bereits im Eigentum eines andern stehende Sachen werden durch StGB. §. 303 geschützt; die Vergiftung noch herrenloser, wenn auch jagdbarer Tiere erscheint demnach nicht als Sachbeschädigung. 2. Die H a n d l u n g bezeichnet das Gesetz als ,.Beschädigung oder Zerstörung" der Sache. Jede Vernichtung oder Verletzung der Sachsubstanz, wobei die Sache auch als natürliches oder künstliches Sachganzes in Betracht kommen kann, gehört hierher. Beispiele: Zerlegen einer Maschine, Auseinanderwerfen des druckfertigen Satzes, Fliegenlassen eines Bienenschwarmes, Ausströmenlassen von Gas, Überstreichen eines Gemäldes, Einsetzen eines Hechts in den Karpfenteich. Wertverminderung ist nicht erforderlich. Gebrauchsentziehung — selbst dauernde — gehört nicht hierher (Ausfliegenlassen eines Vogels, Versenken in die See), solange die Sachsubstanz unverletzt bleibt; 2 ) ebensowenig die Herstellung einer neuen Sache durch Verarbeiten von Metall, Bemalen von Holz oder Leinwand usw., mag auch die Sachsubstanz dadurch verletzt werden (vgl. BGB. §. 894). Ebenso würde zwar auch das Beschmieren von Büchern, nicht aber etwa das Ausbessern von Druckfehlern hierher gehören. Billiges Ermessen des Richters mul's liier die Grenzlinie ziehen. 3. Die R e c h t s w i d r i g k e i t ist bei allen Arten der Sachbeschädigung Begriffsmerkmal, Bewufstsein derselben daher zum 2 ) Übereinstimmend R 19. Oktober 85 X I I I 27; G II 41, H II 387, M 625, Ml 316, O 1245, M e r k e l HH III 853; dagegen nehmen auch hier Sachbeschädigung an L u e d e r 76, Z i e b a r t h 389, B 613, S 499. Daher genügt es auch nicht, dafs das Sachganze als solches unbrauchbar gemacht, z. B. in die Taschenuhr eine schleimige Flüssigkeit gebracht oder Saatgetreide mit Unkraut vermengt wird; abweichend R 17. Januar 90 X X 182.
§. 132.
Die Sachbeschädigung.
463
Vorsatz erforderlich. Ihr Wegfall richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen. So wird z. B. die Berechtigung von Jagdinhabern zur Tötung frei umherlaufender Hunde nach den bestehenden landesrechtlichen Vorschriften zu beurteilen sein. 4. V e r l e t z t im technischen Sinne des Wortes, mithin antragsberechtigt, ist immer nur der E i g e n t ü m e r der beschädigten Sache.®) 5. Die V o l l e n d u n g tritt mit der erfolgten Beschädigung oder Zerstörung der Sache ein; der Versuch ist — auch wenn das vollendete Delikt Vergehen — strafbar. III. A r t e n . 1. Die e i n f a c h e Sachbeschädigung (StGB. §. 303). S t r a f e : Geld bis zu tausend Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Antragsvergehen. Antrag rücknehmbar, wenn gegen Angehörige (StGB. §. 62 Abs. 2) verübt.
2. B e s c h ä d i g u n g o d e r Z e r s t ö r u n g v o n res s a c r a e r e l i g i o s a e p u b l i c a e (StGB. §. 304). Das Gesetz nennt: Gegenstände der Verehrung einer im Staate bestehenden Religionsgesellschaft; Sachen, die dem Gottesdienste gewidmet sind; Grabmäler, öffentliche Denkmäler; Gegenstände der Kunst, Wissenschaft, des Gewerbes, welche in öffentlichen (d. h. dem Publikum offenstehenden) Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich ausgestellt sind; Gegenstände, welche (auch Bäume und Sträucher) zum öffentlichen Nutzen oder zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen d i e n e n , mögen sie auch nicht gerade zu diesem Zwecke bestimmt sein. S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren oder Geld bis zu fünfzehnhundert Mark. Neben Gefängnis kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Nur des Zusammenhanges wegen — es sei dies ausdrücklich betont — ist dieser Fall mit der einfachen Sachbeschädigung unter den Eigentumsverbrechen zu behandeln; die Richtung gegen den einzelnen tritt völlig, die ») Übereinstimmend Bg I 620, G I I 42, H II 389, M 628, Ml 317, 0 1248. Dagegen halten S 498, v. Bar GA X I X 648 u. a. mit der frühern preufs. Rechtsprechung und dem Reichsgericht (R 12. März 80 1 306, 22. Juni 81 IV 326, 18. Juni 83 V I I I 399) jeden für antragsberechtigt, welcher, mag er dinglich oder persönlich an der Sache berechtigt sein, durch die Beschädigung derselben u n m i t t e l b a r verletzt wurde. (Der Antragsteller war im ersten der vom Reichsgericht entschiedenen Fälle berechtigt, an den beschädigten Wandpfeilern eines Hauses Firmenschilder anbringen zu lassen.)
464
§• 133-
Verletzung von Zueignungsrechten.
gegen das Eigentum hinter der Verletzung des öffentlichen Gebrauchsrechtes zurück.
3. G ä n z l i c h e o d e r t e i l w e i s e Z e r s t ö r u n g (nicht Beschädigung) v o n in fremdem Eigentum stehenden Gebäuden. Schiffen, Brücken, Dämmen, gebauten Strafsen, Eisenbahnen oder andern B a u w e r k e n (StGB. §. 305). Unter „Bauwerk" ist jedes von Menschenhand hergestellte mit dem Grund und Boden in feste Verbindung gebrachte selbständige, dauernde Werk zu verstehen.4) Unter diese Begriffsbestimmung würden S c h i f f e an sich nicht fallen, so dafs insofern die Fassung der Gesetzes eine ungenaue ist. ,.Schiff" aber ist jedes auf dem Wasser zu benutzende Fahrzeug von gewisser Gröfse, nicht ein Kahn, ein Nachen usw. „ G e b a u t e S t r a f s e n " umfafst Land- wie Wasserstrafsen, wenn dieselben von Menschenhand angelegt sind. Der Begriff der „ E i s e n b a h n " ist derselbe wie oben §. 128 Note 3. S t r a f e : Gefängnis nicht unter einem Monat. Hier ist die Eigenart der einfachen Sachbeschädigung als eines gegen den einzelnen gerichteten Eigentumsvergehens vollständig gewahrt; zugleich aber bildet dieser dem code pen. Art. 437 entnommene Fall den Übergang von der Sachbeschädigung zu den gemeingefährlichen Verbrechen. 4. Uber die Beschädigung von u n t e r s e e i s c h e n T e l e g r a p h e n l e i t u n g e n vgl. oben §. 19 Note 6. B. In einer ganzen Reihe von Fällen tritt die Bedeutung der Sachbeschädigung als eines Eigentumsverbrechens so sehr in den Hintergrund, dafs die Einreihung dieser Fälle unter andre Verbrechensbegriffe oder ihre selbständige Behandlung angezeigt erscheint. Vgl. StGB. §§. 90 Ziff. 2, 133ff., 168, 265, 274, 315ff.; Forst- und Feldfrevel usw.
II. Verletzung von Zueignungsrechteil. §.
133.
L i t t e r a t n r . Z u l : v. W ä c h t e r Jagdrecht und Jagdvergehen 1870. W a g n e r die preufsische Jagdgesetzgebung 1883 (Z I I I 516). D a l c k e 4 ) Übereinstimmend R 11. Februar 87 XV 263; teilweise abweichend 0 1252. Das „Gebäude", ausgezeichnet durch Wand und Dach (oben S. 445) ist eine Art des „Bauwerks".
§. 133. Verletzung von Zueignungsrechten.
465
das preufsische Jagdrecht 2. Aufl. 1888 (Z IX 716). v. R o t h Geschichte des Forst- und Jagdwesens 1879. K o t e r i n g GA X X X I I 340 (Z V 398). V o l l e r t das Jagdrecht des Grofsherzogtums Sachsen 1887 (Z V I I I 113). H I I 338. — Zu I I : v. S t a u d i n g e r der Fischereischutz durch die Strafgesetzgebung 1881 (Z I 364). D e r s e l b e W V I 408. — Zu I I I : L e u t h o l d H R „Bergrecht". — Vgl. auch die Darstellungen des deutschen Privatrechts.
I. V e r l e t z u n g d e s J a g d r e c h t s . 1. Die G e s c h i c h t e dieses Vergehens beginnt erst mit dem Ausgange des Mittelalters. Während die gemeinrechtliche Rechtsprechung zumeist den Art. 169 der PGO. (Fischdiebstahl) analog zur Anwendung brachte, schritt die Landesgesetzgebung, besonders des 17. und 18. Jahrhunderts, mit zahlreichen und zum Teil grausamen, aber zumeist vergeblichen Strafdrohungen gegen die „Wilddieberei" ein. Die wissenschaftlichen Zweifel an der wahren Natur des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes hemmten jedoch bis in die neueste Zeit eine allgemeine Übereinstimmung in Bezug auf die systematische Stellung und die grundsätzliche Auffassung des Vergehens, welches vom RStGB. in dem Sammelabschnitt „strafbarer Eigennutz" schlecht und recht untergebracht ist.1)
2. B e g r i f f . Jagdrecht ist das ausschliefsliche Recht auf Zueignung j a g d b a r e r Tiere. Welche Tiere „jagdbar" sind, ist nach dem am Thatorte geltenden Landesrechte zu beurteilen. Nicht jagdbare Tiere unterliegen dem freien Tierfang. Irrtum über die Jagdbarkeit würde den Vorsatz ausschliefsen. Die Verletzung des Jagdreclites ist daher ausgeschlossen, sobald die Zueignung erfolgte. An Wild in umschlossenem Gehege, an gezähmten jagdbaren Tieren usw. ist nur Diebstahl, nicht aber das Vergehen des §. 292 StGB, möglich. Die Verletzung des Jagdrechtes besteht in der A u s ü b u n g d e r J a g d a n s o l c h e n O r t e n , an w e l c h e n zu j a g e n d e r T h ä t e r n i c h t b e r e c h t i g t i s t . Mafsgebend ist dabei der Standort des Wildes, nicht derjenige des Jägers. Ich jag€ auf meinem Jagdgebiet, wenn ich das auf diesem sich aufhaltende Wild von dem Gebiete meines Nachbars aus beschleiche. Dagegen ist die Verfolgung des angeschossenen Wildes auf fremdes Gebiet rechtswidrige und strafbare J a g d f o l g e . Der V o r s a t z mufs das Bewufstsein der Widerrechtlichkeit (als Thatbestandsmerkmal) mit umfassen. ') Über den Schutz der Forst- und Jagdberechtigten vgl. unter §. 171. v o n L i u z t , Strafreoht. 4. Aufl.
30
466
§• 133-
Verletzung von Zueignungsrechten.
,.Ausübung der J a g d " begreift ein doppeltes: a) Schon das A u f s u c h e n u n d V e r f o l g e n des Wildes, also das Nachstellen, Anschleichen, den Anstand, das Schlingenlegen und Fallenstellen, nicht aber die Beschädigung oder Vernichtung des Wildes. Mit jenen Handlungen ist das Verbrechen vollendet. b) Die wirkliche Z u e i g n u n g jagdbarer Tiere, mag diese auf weidmännische A r t erfolgen oder nicht. Hierher gehört also auch das Ausnehmen von Jungen oder Eiern, das Ansichbringen von Fallwild und dergleichen. Ob auch die Zueignung von Hirschstangen usw., richtet sich nach dem geltenden Landesrechte. V e r l e t z t ist in allen Fällen der J a g d berechtigte. 3. Die A r t e n . a) E i n f a c h e r Fall ( S t G B . §. 292). S t r a f e : Geld bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten. Antragsvergehen, wenn gegen einen Angehörigen ( S t G B . §. 52 Abs. 2) begangen. Antrag rücknehmbar.
b) S c h w e r e r Fall ( S t G B . §. 293), wenn dem Wilde nicht mit Schiefsgewehr oder Hunden, sondern mit Schlingen, Netzen, Fallen oder andern Vorrichtungen nachgestellt, oder wenn das Vergehen während der gesetzlichen Schonzeit, in Wäldern, zur Nachtzeit oder gemeinschaftlich von mehreren (oben §. 51 Note 3) begangen wird. „Nachtzeit -1 bedeutet hier (anders beim Diebstahl, siehe oben §. 128 Note 6) die Zeit der Dunkelheit, also von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang, nicht aber die ortsübliche Zeit der Nachtruhe. Strafe: Geld bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Antrag ist hier nicht erforderlich 8 ).
c) W i l d d i e b e r e i ( S t G B . §. 294): gewerbsmäfsiges treiben des unberechtigten J a g e n s .
Be-
S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden kann. In allen drei Fällen ist ( S t G B . §. 295) auf Einziehung des Gewehrs, 2 ) Bei der klaren Fassung des sollte darüber kein Zweifel sein. Dennoch ist (oder war) die Frage lebhaft bestritten. Die richtige Ansicht vertritt, wie früher OT. in feststehender Rechtsprechung, so R 23. J u n i 81 I V 330; ebenso B 603, flg I 608 Note 2, G I I 53, O 1213; dagegen M 688, Ml 335, S 505 Note 11, M e r k e l H H I I I 840 u a.
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§. 133. Verletzung von Zueignungsrechten.
de« Jagdgerätes und der Hönde, welche der Thäter bei sich geführt hat, ingleichen der Schlingen, Netze, Fallen und andrer Vorrichtungen zu erkennen, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht, und ohne Unterschied ferner, ob diese Gegenstände zur Jagdausübung bestimmt waren oder nicht.®) d) Hierher gehören endlich noch, wenigstens teilweise, StGB. §. 368 Ziff. 10 u. 11: Geldstrafe bis zu sechzig Mark oder Haft bis zu vierzehn Tagen trifft denjenigen, welcher a) ohne Genehmigung des Jagdberechtigten oder ohne sonstige Befugnis auf einem fremden Jagdgebiete aufserhalb des öffentlichen, zum gemeinen Gebrauche bestimmten Weges, wenn auch nicht jagend, doch zur Jagd ausgerüstet, betroffen wird; ß) unbefugt Eier oder Junge Ton jagdbarem Federwild oder von Singvögeln ausnimmt. II. V e r l e t z u n g d e s R e c h t s a u f Z u e i g n u n g v o n F i s c h e n u n d K r e b s e n , sowie von Austern und Perlmuscheln sowie andern, nach Landesrecht „fischbaren" Wassertieren. Auch hier handelt es sich um die Verletzung eines ausschliefslichen Zueignungsrechtes, während der Eingriff in fremdes Eigentum als Diebstahl erscheint. So hatte schon FGO. (Art. 169) im Anschlüsse an die Auffassung des deutschen Mittelalters (Ssp I I 28, 1) das Wegnehmen von Fischen „aus Weihern oder BehältniaBen" als Diebstahl erklärt und davon den Fall unterschieden, wenn jemand „aus einem fliefsenden, ungefangenen Wasser Fische finge, das einem andern zustände". Auch nach geltendem Rechte mufs, abweichend vom preufsischen StGB., das Schwergewicht darauf gelegt werden, ob nicht die Zueignung bereits stattgefunden hat; Fische in geschlossenen Teichen Bind Gegenstand des Diebstahls. D a s R S t G B . unterscheidet: 1. E i n f a c h e s unberechtigtes Fischen oder Krebsen ( S t G B . §. 370 Ziff. 4). S t r a f e : Geld bis zu einhundertfünfzig Mark oder Haft. 2. Unberechtigtes Fischen oder Krebsen zur N a c h t z e i t oder unter Anwendung s c h ä d l i c h e r oder e x p l o d i e r e n d e r S t o f f e ( S t G B . §. 296). Hierher gehören nach dem preufsischen Fischereigesetz vom 30. Mai 1874 „giftiger K ö d e r oder Mittel zur Betäubung oder Vernichtung der Fische, Sprengpatronen oder andre Sprengmittel". S t r a f e : Geld bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. *) Auch dann, wenn Gewehr usw. dem Eigentümer durch eine strafbare Handlung entzogen werden; dagegen R 2. Juli 88 X V I I I 43 und O 1216.
30*
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§• 133. Verletzung von Zueignungsrechten.
3. A u s l ä n d e r , welche in den deutschen Küstengewä89era unbefugt fischen, trifft die unter 2 angegebene Strafe, auch wenn keiner der erschwerenden Umstände des §. 296 vorliegt (StGB. §. 296a). I n l ä n d e r können als Anstifter oder Gehilfen sowie als mittelbare Thäter strafbar werden. Durch diesen von der Novelle von 1876 eingefügten Paragraphen wird, übereinstimmend mit den Grundsätzen des heutigen Völkerrechts, die Fischerei in den deutschen Küstengewässem (oben S. 107) den Inländern vorbehalten und zugleich der Strafschutz für das so geschaffene Rechtsgut bestimmt. Neben der Geld- oder Gefängnisstrafe ist auf Einziehung der F a n g g e r a t e , welche der Thäter bei dem unbefugten Fischen bei sich geführt hat, ingleichen der in dem Fahrzeuge enthaltenen F i s c h e zu erkennen, ohne Unterschied, ob die Fanggeräte und Fische dem Verurteilten gehören oder nicht.
4. Die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee a u f s e r h a l b d e r K ü s t e n g e w ä s s e r erfolgte durch einen internationalen Vertrag, geschlossen am 6. Mai 1882 zwischen Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, England, Holland. Das deutsche Ausführungsgesetz vom 30. April 1884 dehnt die Bestimmungen der §§. 6—23 dieser Vereinbarung auf die zur Seefischerei bestimmten Fahrzeuge auch für die Zeit aus, während welcher sich diese in den zur Nordsee gehörigen deutschen Küstengewässern aufhalten. Zuwiderhandlungen (auch gegen die vom Kaiser erlassenen Ausführungsverordnungen) werden, soweit nicht nach allgemeinen Strafgesetzen eine höhere Strafe verwirkt ist, mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Im Falle des Führens oder Gebrauchs verbotener Werkzeuge oder Geräte ist aufserdem auf Einziehung dieser zu erkennen, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht. Ist die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so kann auf die Einziehung s e l b s t ä n d i g erkannt werden.
5. Das Gesetz vom 4. Dezember 1876 bedroht mit Geldstrafe bis zu fünftausend Mark deutsche und zur Besatzung eines deutschen Schiffes gehörige Ausländer, wenn sie den vom Kaiser mit Zustimmung des Bundesrates erlassenen Verordnungen zuwiderhandeln, durch welche der F a n g von R o b b e n in den Gegenden zwischen dem 67. und 75. Grad nördlicher Breite und dem 5. Grade östlicher und 17. Grade westlicher
§. 134. Der Vertragsbrach.
469
Länge, vom Meridian von Greenwich aus gerechnet, für bestimmte Zeiten des Jahres (Schonzeit) beschränkt oder verboten wird. H L D i e V e r l e t z u n g d e s B e r g r e c h t s ist für das Staatsgebiet des deutschen Reichs gar nicht, landesgesetzlich nur teilweise behandelt.4)
Iii. Strafbare Handlungen gegen Forderungsrechte. §. 134.
I. Der Vertragsbruch.
L i t t e r a t n r . Geschichte: L ö n i n g Der Vertragsbruch und seine Rechtsfolgen: I. Der Vertragsbruch im deutschen Recht 1876. S i c k e l Die Bestrafung des Vertragsbruches und analoger Rechtsverletzungen in Deutschland 1876. Arbeitervertragsbruch: R. L ö n i n g Handwörterbuch der Staatswissenscbaften I 761 (hier weitere Angaben). D i e t z Vertragsbruch im Arbeits- und Dienstverhältnis 1890. K a t z Die strafrechtlichen Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs 1885 126 (Z VI 657). Vgl. auch oben §. 101 V und unten §. 173 I I 2. I Im r ö m i s c h e n R e c h t e bei den contractus famosi (Mandat, Depositum, Sozietät, Tutel) mit der Infamie belegt, im m i t t e l a l t e r l i c h d e u t s c h e n R e c h t e vielfach mit Bufssätzen bedroht, bleibt der Vertragsbruch sowohl im g e m e i n e n R e c h t als auch in der h e u t i g e n G e s e t z g e b u n g im allgemeinen straflos. Landesrechtlich finden sich zwar in Dienstboten- und Handwerks-Ordnungen sowie auf verwandten Gebieten Strafdrohungen gegen einzelne Arten des mehrfach als Auflehnung gegen die Obrigkeit aufgefafsten Vertragsbruches; aber der allgemeine Begriff fehlt. Besondre Bedeutung hat im letzten Jahrzehnt der Vertragsbruch der Lohnarbeiter gewonnen, da gerade hier die Mittel, welche das bürgerliche Recht an die Hand giebt, versagen. Doch hat auch der Regierungsentwurf von 1890 sich nicht zur Bestrafung des einfachen Vertragsbruches entschliefsen können. *) Z. B. Brandenburgische Bernsteinordnung von 1644. Preufsischeti Gesetz vom 22. Februar 1867 (Bernstein), 26. März 1856 (Aneignung von Mineralien). Die Berggesetze der einzelnen Länder (Preufsen 24. Juni 1865). Verordg. vom 15. August 1889 betr. das Bergwesen und die Gewinnung von Gold- und Edelsteinen im südwestafrikanischen Schutzgebiete.
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§. 135. Die Untreue.
I I . Die Reichsgesetzgebung bedroht den Vertragsbruch nur in wenigen vereinzelten Fällen, deren Strafbarkeit aber auf einem andern Gesichtspunkte als dem der Nichterfüllung des geschlossenen Vertrages beruht. Es gehören hierher: 1. Die N i c h t e r f ü l l u n g von gewissen mit einer Behörde geschlossenen L i e f e r u n g s v e r t r ä g e n (StGB. §. 329); vom Gesetze als gemeingefährliches Verbrechen behandelt (unten §. 155). 2. Der B r u c h d e s H e u e r v e r t r a g s , der einzige Fall des Vertragsbruchs, der als solcher mit Strafe bedroht ist. Das Gesetz unterscheidet zwei Fälle des Bruches des Heuervertrags. a) Den e r s t e n F a l l behandelt StGB. §. 298.») E r liegt vor, wenn die Heuer bereits gegeben war, und der Schiffsmann m i t d e r s e l b e n entläuft oder mit ihr sich verborgen hält, um sich dem übernommenen Dienste zu entziehen, und zwar ohne Unterschied, ob das Vergehen im Inlande oder im Auslande, von Inländern oder von Ausländern begangen ist. Durch diesen Zusatz wird der Eintritt der Strafe unabhängig gemacht von der sonst nach §. 4 StGB, erforderlichen Strafbarkeit der Handlung am Orte der That. Der gesetzgeberische Grund liegt in der Straflosigkeit dieses Vergehens nach englischem und amerikanischem Recht. b) Die andern Fälle bedroht §. 81 Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872. S t r a f e : Zu a: Gefängnis bis zu einem Jahr. Zu b: Auf Antrag des Schiffers Geldstrafe bis zu dreihundert Mark (bez. sechzig Mark) oder Gefängnis bis zu drei Monaten.
§. 135.
2. Die Untreue.
Litteratnr. v. S t e m a n n Unterschlagung und Untreue 1870. W a h l b e r g GesetzgebungBfragen in betreff der Untreue 1876 (Ges. kl. Schriften II 183). K r o n e c k e r GA X X X I V 402 (Z VIII 99). K a t z Die strafrechtlichen Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs 1885 S. 90 (Z VI 657). H II 391. HA in GA X X X V I 346 (Z I X 688). ') Da aber die hier gegebene Bestimmung in den §§. 81 Abs. 3 und 100 Abs. 1 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 inhaltlich wiederholt ist, mufs 298 als aufgehoben betrachtet werden. Ebenso O 1223. Dagegen Bg I 349, 355 Note 15, G II «3. — StGB. 8. 298 entstammt dem §. 279 des preufs. StGB., bez. §§. 1542 ff. des ALR. I I 8.
§. 135. Die Untreoe.
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I. G e s c h i c h t e . Die geschichtliche Entwicklung der Untreue knüpft einerseits an den Vertragsbrach, anderseits an die Unterschlagung an. Der die„ Veruntreuung" behandelnde Art. 170 der PGO. enthielt ungeschieden Unterschlagung und Untreue in sich, während die RPolizeiordnungen den ungetreuen oder fahrlässigen Vormund mit Strafe bedrohten. Im 17. und 18. Jahrhundert vielfach als erschwérter Fall des erweiterten Betrugsbegriffes aufgefafst (so auch im preufsischen Landrecht), gewinnt die Untreue allmählich im 19. Jahrhundert unter dem Einflüsse des Code pénal (art. 408: abus de confiance) selbständige Stellung. Das RStGB. (§. 266) schliefst sich zum Teil an das preufsische, zum Teil aber auch an das sächsische StGB. (Art. 287 Abs. 2) an. Allgemeine Fassung im österr. Entwurf 285: „Wer Vermögensrechte eines andern, welche seiner Obsorge anvertraut sind, absichtlich zu dessen Nachteil preisgiebt." Die U n t r e u e d e s S a c h w a l t e r s (die praevaricatio des römischen Hechtes) ist im Gesetz in durchaus verkehrter Weise zu den Amtsverbrechen gestellt, richtig aber als ein Fall der Untreue zu behandeln. Die gewerblichen H i l f s k a s s e n und V e r s i c h e r u n g s k a s s e n sowie die A k t i e n - und K o m m a n d i t g e s e l l s c h a f t e n a u f A k t i e n bieten in ihren vielgestaltigen und vielverschlungenen Verhältnissen reichliche Gelegenheit zur Vernachlässigung anvertrauter Interessen. Die heutige Gesetzgebung knüpft daher vielfach ihre Strafdrohungen, deren Zweck Schutz dieser Interessen ist, an den Begriff der Untreue an. I I . D i e U n t r e u e i m e i g e n t l i c h e n S i n n e behandelt S t G B . §. 266. Sie erscheint als die V e r l e t z u n g d e r a u s Verträgen oder vertragsähnlichen Verhältnissen entspringenden P f l i c h t zur W a h r n e h m u n g anvertrauter fremder Vermögensinteressen. Sie unterscheidet sich von dem V e r t r a g s b r u c h , der als einfache Nichterfüllung erscheinen kann, durch ihre p o s i t i v e Richtung gegen fremde Interessen; von der U n t e r s c h l a g u n g , welche Eigentumsverletzung i s t , durch ihre Richtung gegen fremde F o r d e r u n g s r e c h t e . D i e Untreue ist gerichtet gegen die Ansprüche andrer auf Wahrnehmung ihrer V e r m ö g e n s i n t e r e s s e n . N u r solche, nicht aber etwa die Interessen an sittlich ernster Erziehung, an tiefer Bildung von Geist und Gemüt, an Stählung der Gesundheit und Entwicklung der Körperkraft sind Angriffsgegenstand der U n treue, die eben darum V e r m ö g e n s verbrechen ist. U n d da diese Ansprüche aus Verträgen oder vertragsähnlichen Verhältnissen entspringen, sind wir berechtigt, die Untreue innerhalb der Vermögensverbrechen im unmittelbaren Anschlüsse an den Vertrags-
472
§. 135.
Die Untreue.
brach unter die strafbaren Handlungen gegen Forderungsrechte einzureihen. Zur Vollendung ist mithin Vermogensbeschädig u n g in dem unten §. 140 I I 4 beim Betrug entwickelten Sinne erforderlich. StGB. §. 266 bedroht: a) Vormünder, Kuratoren, Güterpfleger, Sequester, MassenVerwalter, Vollstrecker letztwilliger Verfügungen und Verwalter von Stiftungen, wenn sie absichtlich zum Nachteile der ihrer Aufsicht anvertrauten Personen oder Sachen (hier Vermögensgegenstände aller Art, auch Forderungen) handeln. b) Bevollmächtigte, welche über Forderungen oder andre Vermögensstücke (bewegliche, unbewegliche Sachen; Rechte) des Auftraggebers absichtlich zum Nachteile desselben verfügen. Ob die Vermögensstücke selche des Auftraggebers sind, bestimmt sich nach den einschlagenden privatrechtlichen Grundsätzen. Die Verfügung kann auch durch Unterlassung (Nichtunterbrechung der Verjährung, Nichteinlegung eines Rechtsmittels usw.) begangen werden. c) Feldmesser, Versteigerer, Mäkler, Güterbestätiger, Schaffner, Wäger, Messer, Bracker, Schauer, Stauer und andre zur Betreibung ihres Gewerbes von der Obrigkeit verpflichtete Personen, wenn sie bei den ihnen übertragenen Geschäften absichtlich diejenigen benachteiligen, deren Geschäfte sie besorgen. In allen drei Fällen ist das „absichtlich", welches an Stelle des „vorsätzlich" in §. 246 des preufsischen StGB, getreten, eben einfach als „vorsätzlich" aufzufassen; Eintritt des Nachteils braucht nicht Beweggrund des Handelns zu sein. S t r a f e : Gefängnis; Ehrverlust nach Ermessen. Die Untreue ist erschwert, wenn sie der Thäter begangen hat, um sich oder einem andern einen (nicht notwendig rechtswidrigen) Vermögensvorteil (unten 140 I I 3) zu verschaffen (Beweggrund). In diesem Fall kann neben der Gefängnisstrafe auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden. Der Strafausschliefsungsgrund des §. 247 Abs. 2 StGB, findet auf die Untreue keine Anwendung.
I I I . Nach dem Gesetz über e i n g e s c h r i e b e n e H i l f s k a s s e n vom 7. April 1876, abgeändert durch Gesetz vom 1. Juni 1884 §. 34, unterliegen Mitglieder des Vorstandes oder des Ausschusses, welche absichtlich zum Nachteile der Kasse gehandelt haben, der Strafbestimmung des §. 266 StGB.
§. 135.
Die Untreue.
473
IV. Nach dem Reichsgesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883 §. 42 haften die Mitglieder des "Vorstandes sowie Rechnungs- und Kassenführer der Kasse 1 ) für pflichtmäfsige Verwaltung wie Vormünder ihren Mündeln. Handeln sie absichtlich zum Nachteile der Kasse, so unterliegen sie der Bestimmung des §. 266 StGB. Das Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 bestimmt gleichfalls in §. 26: Die Mitglieder der Genossenschaftsvorstände sowie die Vertrauensmänner haften der Genossenschaft für getreue Geschäftsverwaltung wie Vormünder ihren Mündeln. Handeln sie absichtlich zum Nachteile der Genossenschaft, so unterliegen sie der Strafbestimmung des §. 266 StGB. Diese Bestimmung, findet auch auf die Unfall- und Krankenversicherung der in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben (§. 31 des Gesetzes vom 8. Mai 1886), ferner auf die Unfallversicherung der bei Bauten beschäftigten Personen (§. 12 des Gesetzes vom 11. Juli 1887), sowie auf die Unfallversicherung der Seeleute (§. 32 des Gesetzes vom 13. Juli 1887) Anwendung. Und dasselbe gilt für Vorstandsmitglieder und Vertrauensmänner nach §. 59 des Gesetzes betr. die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889. V. Eine wesentlich strengere Strafe droht Art. 249 des Gesetzes betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften in der Fassung von 1884, den persönlich haftenden Gesellschaftern, den Mitgliedern des Aufsichtsrats und Liquidatoren einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, sowie den Mitgliedern des Vorstandes und des Aufsichtsrats und den Liquidatoren einer Aktiengesellschaft, welche absichtlich zum Nachteile der Gesellschaft handeln. S t r a f e : Gefängnis und zugleich Geldstrafe bis zu zwanzigtausend Mark. Ehrverlust nach Ermessen.
VI. Etwas milder ist nach §. 140 des Gesetzes vom 1. Mai 1889 betr. die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften die Strafe gegen Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichts') Gilt für die Orts-Krankenkassen, die Betriebs- (Fabrik-) und Baukrankenkassen, die Innungskrankenkassen sowie für fortbestehende ältere Zwangskassen.
474
§. 136.
Der Bankbruch.
Geschichte und Begriff.
rates und gegen Liquidatoren, welche absichtlich zum Nachteile der Genossenschaft handeln. S t r a f e : Gefängnis und zugleich Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. Ehrverlust nach Ermessen.
VII.
Die Untreue des
Sachwalters.
Das römische Recht hat zwei Fälle unterschieden: die praevaricatio propria oder die Bestechung des Anklägers in einem Judicium publicum, und die praevaricatio impropria oder die ungetreue Sachwaltung des advocatus oder patronus. Die PGO. behandelt in Art. 115 nur den zweiten dieser Fälle, und zwar im Zusammenhange mit den Fälschungsdelikten (wie das auch schon die Italiener gethan hatten). Auch gemeinrechtlich pflegte man die Untreue des Sachwalters als falsum zu behandeln. Die neuere Gesetzgebung rechnet zumeist die Prävarikation wegen der amtlichen Stellung des Anwaltes zu den Amtsverbrechen. Das RStGB. hat diese Stellung beibehalten, obwohl ihr Grund hinweggefallen ist.
§. 356 bedroht den Advokaten, Anwalt oder andern Rechtsbeistand, der bei den ihm vermöge seiner amtlichen (?) Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient. S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten; wenn der Thäter im Einverständnisse mit der Gegenpartei zum Nachteil seiner Partei gehandelt hat, Zuchthaus bis zu fünf Jahren.
§. 136.
3. Der Bankbruch.
Geschichte und Begriff.
L i t t e r a t n r . K ö s t l i n Abhandlungen 362. D e r s e l b e GA V und V I . H ä l s c h n e r GA X V I I I . S e e g e r GA X X . M e r k e l H H H I 812, I V 4r>0. K o h l e r Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz 1884 (Z IV 333, V 187). v. H o i n i n g e n gen. H ü n e Beiträge zur geschichtlichen Entwicklung des strafbaren Bankrotts in Deutschland 1878. Vgl. auch L ö n i n g Vertragsbruch 215. H I I 398. M e v e s G A X X X V I 377 (Z I X 701) und gegen ihn K l e i n f e l l e r GS X L I I I 161. Z ü r c h e r Schweizer Zeitschrift II 293. — Die Kommentare zur Konk.O. I. Die strafrechtliche Haftbarkeit des f l ü c h t i g e n zahlungsunfähigen Schuldners tritt erst seit dem Ausgange des Mittelalters zunächst in den Stadtrechten neben die allmählich immer mehr gemilderte zivilrechtliche Personal-Exekution. Die RPolizeiordnungen von 1548 und 1677 bilden die Grundlage für zahlreiche Bankrott-Edikte und -Mandate in den verschiedenen deutschen Ländern und Städten (besonders wichtig das Mandat der Hansestädte 1620), während die Reichsschlüsse von 1668 und 1670 nicht Gesetzeskraft erlangten und das gemeine Recht die decoctores, bancoruptores oder falliti nach den Bestimmungen über falsum behandelte. Die neuere Gesetzgebung steht vorzugsweise unter dem Einflüsse des französischen Rechts (code de comm. art. 586 ff., c. pén. art. 402 ff.).
§. 136.
D e r Bankbruch.
Geschichte und Begriff.
475
Diesem entstammt auch die in das preufs. S t G B , von 1861 und in das R S t G B . übergegangene Beschränkung der Strafbestimmungen auf den kaufmännischen Bankbruch. Erst die RKonk.O. vom 10. Februar 1877, deren §§. 209—212 an Stelle der §§. 281—283 des R S t G B . getreten sind, kehrte zurück zu der schon im preufs. A L R . sich findenden Gleichstellung des Nichtkaufmannes mit dem Kaufmann, welche um so notwendiger geworden, seitdem durch das Gesetz vom 29. Mai 1868 die Schuldhaft für das ganze Reichsgebiet aufgehoben worden war.
I I . Der Bankbruch gehört zu denjenigen Vergehungen, deren begriffliche Entwicklung eben im Flusse begriffen ist, ohne dafs Gesetzgebung und Wissenschaft zu abschliefsenden Ergebnissen gelangt wären. Grade darum bietet die juristische Auffassung wie die praktische Anwendung der hierher gehörenden gesetzlichen Bestimmungen gröfsere Schwierigkeiten als bei andern, zu endgültiger Gestaltung gelangten Verbrechensbegriffen. 1. Bankbruch ist — wenn wir vom geltenden Rechte abs e h e n — V e r l e t z u n g d e r F o r d e r u n g s r e c h t e der G l ä u b i g e r , b e g a n g e n von S e i t e n des S c h u l d n e r s d u r c h v o r s ä t z l i c h e oder f a h r l ä s s i g e V e r m i n d e r u n g des e i g n e n V e r m ö g e n s oder durch Verschleierung des Vermögensstandes. Die Forderungen der Gläubiger sind der eigentliche Angriffsgegenstand des Bankbruches; sie werden getroffen in dem schuldnerischen Vermögen selbst, als dem Mittel ihrer Befriedigung. 1 ) Der Bankbruch ist mithin unzweifelhaft Verletzung des V e r m ö g e n s , und zwar gerichtet gegen F o r d e r u n g s r e c h t e ; mag er auch in seinen Folgewirkungen, über die Vermögensinteressen der Nächstbeteiligten hinausgreifend, eine Erschütterung von Treu und Glauben, der Sicherheit des Kreditwesens in weitern, nicht abgegrenzten und nicht abzugrenzenden Kreisen herbeiführen. J e nachdem die Verminderung des eignen Vermögens zu dem Zwecke erfolgt, um die Ansprüche der Gläubiger zu schädigen oder nicht, würden wir zwei Arten ') Das Reichsgericht hat diesen Standpunkt mit aller Bestimmtheit betont; so 1. April 81 I V 41, 17. März 82 V I 94. Durchaus richtig bezeichnet das holländ. S t G B , den Bankbruch als „Benachteiligung von Gläubigern oder Interessenten". Ahnliche Auffassung bei G I I 65, L 116, v. R ö h l a n d Gefahr 30, M e v e s 378. Unrichtig ist die Auffassung des Bankbruchs als einer Verletzung von „Treu und Glauben", oder als Vermögensgefährdung (Kleinfeller) oder als eines Vergehens gegen die „Gesellschaft" (H I I 403).
476
§. 186. Der Bankbruch.
Geschichte and Begriff.
des Bankbruches, einen erschwerten und einen einfachen Fall, zu unterscheiden haben. 2. Das geltende Recht hat den Begriff des Bankbruches in abweichender Weise gestaltet. Danach liegt strafbarer Bankbruch vor, w e n n S c h u l d n e r , w e l c h e i h r e Z a h l u n g e n eingestellt haben oder über deren Vermögen das Konk u r s v e r f a h r e n e r ö f f n e t w o r d e n i s t , g e w i s s e (im Gesetze genau bezeichnete) H a n d l u n g e n b e g a n g e n h a b e n . Eine Vergleichung dieser gesetzlichen Begriffsbestimmung mit der wissenschaftlichen ergiebt beachtenswerte Abweichungen. a) An Stelle unsres allgemeinen Erfordernisses: „ V e r l e t z u n g d e r F o r d e r u n g s r e c h t e " setzt das geltende Recht eine bestimmt bezeichnete Thatsache: „Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung". Das heifst: der Gesetzgeber schneidet die Erörterung der Frage, ob im Einzelfalle eine A'erletzung der Ansprüche der Gläubiger stattgefunden hat, ein für allemal ab. E r nimmt die Verletzung ohne weiteres als gegeben an. wenn jene Thatsache eingetreten ist: er betrachtet sie ohne weiteres als ausgeschlossen, wenn jene Thatsache nicht eingetreten ist. Der praktische Wert dieser Annahme dürfte ebenso klar sein wie ihre wissenschaftliche Bedenklichkeit. Die vom Gesetzgeber geforderte Thatsache umschliefst zwei Fälle: a) Die K o n k u r s e r ö f f n u n g , welche nach §. 94 Konk.O. durch Z a h l u n g s u n f ä h i g k e i t des Schuldners bedingt ist; d. h. durch die (thatsächlich vorhandene) Unfähigkeit, die Mittel zur Bezahlung fälliger Geldschulden herbeizuschaffen. ff) Die Z a h l u n g s e i n s t e l l u n g , das ist die Nichterfüllung einer fälligen Verpflichtung auf Grund wirklicher, vermeintlicher oder vorgeschützter Zahlungsunfähigkeit, daher zu unterscheiden einerseits von der wirklichen U n f ä h i g k e i t zur Erfüllung der schwebenden Verbindlichkeiten, anderseits von der Ü b e r s c h u l d u n g , dem Überwiegen der Passiva über die Aktiva. b) A n Stelle unsres allgemeinen Erfordernisses: „ d u r c h vorsätzliche oder fahrlässige Verminderung des e i g n e n . V e r m ö g e n s " setzt das geltende Recht eine ganze Reihe einzelner, genau bezeichneter Handlungen, welche regel-
§. 136. Der Bankbruch.
Geschichte and Begriff.
477
mäfsig, wenn auch nicht immer, eine Verschlechterung oder doch eine Gefahrdung der Vermögenslage herbeiführen. Die Folge dieser kasuistischen Fassung ist der Ausschlufs aller andern, wenn auch durchaus gleichwertigen Handlungen. 3. Aus dem so festgestellten Begriffe des Bankbruches ergiebt sich: a) Zahlungseinstellung, bez. Konkurseröffnung ist o b j e k t i v e B e d i n g u n g der S t r a f b a r k e i t (oben §. 43). 9 ) Die Gesamtheit der an derselben Zahlungseinstellung (oder Konkurseröffnung) beteiligten Gläubiger ist Trägerin des angegriffenen Rechtsgutes. b) Durch diese Bedingung der Strafbarkeit werden die sämtlichen etwa vom Gemeinschuldner begangenen Einzelhandlungen zu einer j u r i s t i s c h e n H a n d l u n g s e i n h e i t (oben §. 56 II 2) zusammengefafst. Und daraus folgt weiter: a) Wenn ein Schuldner m i t R ü c k s i c h t a u f d i e s e l b e Z a h l u n g s e i n s t e l l u n g (Konkurseröffnung) m e h r e r e der vom Gesetze in demselben Paragraphen bezeichneten Handlungen begangen hat (z. B. Diflferenzspiel und Vernichtung der Handelsbücher), so liegt nur e i n e strafbare Handlung, nicht Zusammentreffen mehrerer vor. ß) Solange es sich um d i e s e l b e Z a h l u n g s e i n s t e l l u n g (Konkurseröffnung) handelt, können nicht z w e i Bankbrüche angenommen werden, mag auch der Thatbestand des einfachen wie der des erschwerten Falles vorliegen; der Schuldner hat sich vielmehr nur e i n e s Bankbruches, und zwar des schweren Falles schuldig gemacht. c) K a u s a l z u s a m m e n h a n g zwischen den Einzelhandlungen des Schuldners und der Zahlungseinstellung (oder Konkurseröffnung) braucht nicht zu bestehen. d) S c h u l d in Bezug auf die eingetretene Zahlungseinstellung (oder Konkurseröffnung) ist weder als Vorsatz noch als Fahrlässigkeit erforderlich. e) Die vom Gesetze bezeichneten Handlungen können der Zahlungseinstellung (Konkurseröffnung) zeitlich vorangehen oder ») Dagegen G II 65, Ml 382, K l e i n f e l l e r a . O.; auch R, zuletzt 20. September 87 XVI 188.
478
§. 137.
Die Arten des Bankbruches.
ihr nachfolgen; im ersten Falle ist das Vergehen mit der Zahlungseinstellung, im letztern mit der Vornahme der betreffenden Handlung T o l l e n d e t . Versuch ist nach allgemeinen Grundsätzen (oben §. 45 Note 7) anzunehmen, wenn die Bedingung der Strafbarkeit eingetreten ist, die Einzelhandlung aber unvollendet blieb oder fehlschlug. Dagegen kann von strafbarem Versuch keine Rede sein, wenn es zur Zahlungseinstellung (Konkurseröffnung) überhaupt nicht gekommen ist. a ) 4. T h a t e r ist nach der Konk.O. jeder Schuldner, nicht blofs der Kaufmann. Auch Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft, sowie die Liquidatoren einer Handelsgesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft, welche ihre Zahlungen eingestellt hat oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, können sich des Bankbruches schuldig machen, wenn sie in dieser Eigenschaft die mit Strafe bedrohten Handlungen begangen haben (Konk.O. §. 214). 5. O r t u n d Z e i t p u n k t d e r B e g e h u n g sind nach den (oben §. 56 I ) für die juristische Handlungseinheit gegebenen allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Der Bankbruch ist also dort und dann begangen, wo und wann die einzelnen Handlungen begangen sind; Ort und Zeitpunkt der Zahlungseinstellung sind gleichgültig. 4 ) 6. F ü r die T e i l n a h m e gelten die allgemeinen Regeln, soweit nicht §. 212 Konk.O. eingreift.
§. 137.
Die Arten des Bankbruches.
In herkömmlicher AVeise unterscheidet das Gesetz zwei Arten des Bankbruchs. I. D e r e i n f a c h e B a n k b r u c h (Konk.O. §. 210). E r liegt, die Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung vorausgesetzt, vor, wenn der Schuldner: 1. durch Aufwand, Spiel oder Differenzhandel mit W a r e n ») Abweichend R 9. November 85 X I I I 41, 11 739, M e v e s 383, ß a u m g a r t e n Versuch 367. *) Abweichend auch hier R 20. September 87 X V I 188.
§. 137.
Die Arten des Bankbruches.
479
oder Börsenpapieren (nicht blofs das eigentliche Differenzgeschäft, sondern auch effektive Lieferungsgeschäfte, wenn auf unsolider Spekulation beruhend, gehören hierher) übermäfsige Summen verbraucht hat oder schuldig geworden ist; 2. wenn er Handelsbücher zu führen unterlassen hat, deren Führung ihm gesetzlich oblag, oder dieselben verheimlicht, vernichtet oder so unordentlich geführt hat, dafs sie keine Übersicht des Vermögensstandes gewähren; 3. wenn er es gegen die Bestimmung des Handelsgesetzbuchs unterlassen hat, die Bilanz seines Vermögens in der vorgeschriebenen Zeit zu ziehen. S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren.
Ganz verkehrt ist es, diesen Fall des Bankbruchs als f a h r l ä s s i g e n Bankbruch zu bezeichnen. Die einzelnen Handlungen müssen vielmehr alle vorsätzlich begangen sein. Fahrlässigkeit aber in Bezug auf die Zahlungseinstellung (oder Konkurseröffnung) kann aus den oben (§. 43 I I I 1) angegebenen Gründen nicht gefordert werden.1) I I . Der sogenannte b e t r ü g e r i s c h e B a n k b r u c h (Konk.O. §. 209). Zu der Thatsache der Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung mufs — aufser den vom Gesetz bezeichneten Handlungen — die A b s i c h t , d i e G l ä u b i g e r zu b e n a c h t e i l i g e n , d. h. in iliren Ansprüchen zu schädigen, hinzutreten. Das Gesetz bedroht den Schuldner, welcher: 1. Vermögensstücke, seien es bewegliche oder auch unbewegliche Sachen, seien es Forderungen, verheimlicht oder beiseite geschafft, d. h. dauernd oder vorübergehend der Verfügung der Gläubiger entzogen hat (Bestellung einer Hypothek für eine erdichtete Forderung würde hierher gehören); 2. Schulden oder Rechtsgeschäfte anerkannt oder aufgestellt hat, welche ganz oder teilweise erdichtet sind; ') Dafs die Bezeichnung „fahrlässiger Bankbruch" durchaus unpassend sei, erklärt auch R 17. September 81 IV 418 und 1. Februar 82 V 407. Während aber beide Entschdgn. von jeder Verschuldung in Bezug auf die Einzelhandlungen absehen, hat R 18. Februar 85 X I I I 354 die Notwendigkeit einer solchen ausdrücklich betont. M e v e s 390 nimmt, im Anschlufs an R 5. April 1886 X I V 87 an, dafs §. 210 eine dritte, von Vorsatz und Fahrlässigkeit verschiedene Schuldart aufstelle. Gegen ihn mit Recht K l e i n f e i l e r a. 0 . , welcher aber seinerseits Fahrlässigkeit für genügend erklärt.
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§. 138. Dem Bankbruche verwandte Vergehungen.
3. Handelsbücher zu fuhren unterlassen hat, deren Führung ihm gesetzlich oblag; 4. seine Handelsbücher (auch wenn er zur Führung nicht verpflichtet war) vernichtet, verheimlicht oder so geführt oder verändert hat, dafs dieselben keine Übersicht des Yermögensstandes gewähren. S t r a f e : Zuchthaus, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten.
§. 138.
Dem Bankbruche verwandte Vergehungen.
D i e Koukursordnung stellt mit dem Bankbruche als mehr oder weniger ihm verwandt noch folgende strafbare Handlungen zusammen: I . Die B e g ü n s t i g u n g e i n e s G l ä u b i g e r s oder die sog. G r a t i f i k a t i o n (Konk.O. §. 211). Sie liegt vor, wenn ein Schuldner (Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung vorausgesetzt), obwohl er seine Zahlungsunfähigkeit kannte, einem Gläubiger (der nicht notwendig eigentlicher Konkursgläubiger zu sein braucht) in der Absicht, ihn vor den übrigen zu b e g ü n s t i g e n , eine Sicherung oder Befriedigung gewährt hat, welche derselbe nicht oder nicht in der A r t oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte. Unterlassung (z. B. der Verteidigung gegenüber dem klagenden Gläubiger) genügt, soweit Handeln Pflicht ist. Auch dieses Vergehen entspricht dem allgemeinen Begriff des Bankbruchs: Verletzung der Ansprüche der Gläubiger durch Verminderung des eignen Vermögens. Aber es hält die Mitte zwischen den beiden Arten des Bankbruchs. Von dem einfachen wird es geschieden durch das dem Thäter innewohnende Bewufstsein, dafs seine Handlung eine Verminderung des eignen Vermögens als der Befriedigungsmittel der Gläubiger bedeute; von dem erschwerten durch den Mangel der Absicht, die Gläubiger zu benachteiligen, an deren Stelle die Absicht tritt, einen der Gläubiger vor den übrigen zu begünstigen. Mit dieser Absicht ist das Bewufstsein (also Vorsatz, nicht Absicht), die übrigen Gläubiger zu benachteiligen, untrennbar verbunden. Irrige Annahme des Schuldners, dafs der Gläubiger ein Recht auf vorzugsweise Befriedigung habe, schliefst die Anwendung des Gesetzes aus. S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren. T e i l n a h m e dritter Per-
§. 138.
Dem Bankbruche verwandte Vergehangen.
sonen ist nach allgemeinen Grundsätzen möglich. günstigte Gläubiger selbst straflos bleiben.')
481
Doch mufs der be-
I I . T e i l n a h m e d r i t t e r P e r s o n e n am Bankbruche des Schuldners wird im allgemeinen nach den gewöhnlichen Grundsätzen behandelt. Doch hat das Gesetz (Konk.O. §. 212) gewisse Fälle als selbständige Verbrechen unter besondre Strafe gestellt und damit von den sonstigen Voraussetzungen der Teilnahme losgelöst. Das Gesetz bedroht denjenigen, welcher: 1. im Interesse des Schuldners (Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung auch hier vorausgesetzt) Vermögensstücke desselben verheimlicht oder beiseite geschafft hat; oder 2. im Interesse eines solchen Schuldners, oder um sich oder einem andern einen (nicht notwendig rechtswidrigen) Vermögensvorteil (unten §. 140 I I 3) zu verschaffen, in dem Verfahren erdichtete Forderungen im eignen Namen oder durch vorgeschobene Personen geltend gemacht hat. S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis oder Geldstrafe bis zu sechstausend Mark. Versuch und Teilnahme sind der allgemeinen Regel gemäfs möglich. Versuch ist anzunehmen, wenn die Teilnahmehandlung unvollendet blieb oder fehlschlug, die Bedingung der Strafburkeit aber dennoch eingetreten ist.
III. An den Bankbruch des Schuldners reiht das Gesetz noch ein besondres Vergehen des Konkursgläubigers an, welches sich als eine abstrakte Gefährdung der Interessen der Mitgläubiger darstellt: d e n S t i m m e n k a u f (Konk.O. §. 213). Dieser liegt vor, wenn ein Gläubiger sich von dem Gemeinschuldner oder andern Personen besondre Vorteile dafür hat gewähren oder versprechen lassen, dafs er bei den Abstimmungen der Konkursgläubiger in einem gewissen Sinne stimme. Bevorstehende Abstimmung ist vorausgesetzt; mit dem Gewähren oder Versprechen tritt die Vollendung ein, mag auch die spätere Abstimmung der Verabredung nicht entsprechen; Teilnahme dritter Personen, nicht aber des Bestechenden (oben Text zu Note 1), ist möglich. S t r a f e : Geldstrafe bis zu dreitausend Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre. ') Vgl. oben 8. 63 V 3 . Ebenso v. K r i e s Z V I I 651, Z a d e k GS X L 661 (Z I X 702), ü a l c k e GA X X X V I I 342, M 742. Abweichend R wiederholt, zuletzt 31. Januar 90 X X 214 (doch hält R die Annahme allein nicht für genügend). v o n L i s z t , Strafrecht. 4. Aufl.
31
482
§. 139.
Die Vereitelung der Zwangsvollstreckung.
I V . Mitglieder des Vorstandes und Liquidatoren einer Aktiengesellschaft werden nach §. 240 c Ziff. 2 des Gesetzes vom 18. Juli 1884 bestraft, wenn sie es unterlassen, rechtzeitig die Eröffnung des Konkurses zu beantragen. Dieselbe Bestimmung gilt auch für bezüglich der Erwerbs- und "Wirtschaftsgenossenschaften nach §. 142 Ziff. 2 des Gesetzes vom 1. Mai 1889. S t r a f e : nach dem Gesetz von 1884: Gefängnis bis zu drei Monaten und zugleich Geldstrafe bis zu fünftausend Mark; bei mildernden Umständen Geldstrafe allein. Nach dem Gesetz von 1889: Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten oder beide Strafen zugleich. Nach beiden Gesetzen tritt die Strafe gegen denjenigen nicht ein, welcher nachweist, dafs die Unterlassung ohne sein Verschulden geschehen ist. Die Handlung ist auch als fahrlässig begangene strafbar. V. Die landesgesetzlichen Vorschriften, welche die Nichtbefolgung der Vorschriften über die Anzeige des zwischen dem Gemeinschuldner und seinem Ehegatten bestehenden Güterrechts unter Strafe stellen, sind durch §. 5 Einf.Ges. zur K.O. aufrecht erhalten worden.
§. 139.
4. Die Vereitelung der Zwangsvollstreckung.
Litteratnr.
M e r k e l HH III 834, H II 423.
Sowie die Strafbestimmungeu gegen Bankbruch die Vereitelung der G e n e r a 1 exekution, so bedroht StGB. 288 (welcher dem Art. 310 des sächsischen StGB, von 1868 nachgebildet ist) die Vereitelung der S p e z i a l exekution. Daher ist auch der Angriffsgegenstand dort und hier nahe verwandt: dort die Forderungsrechte der s ä m t l i c h e n Konkursgläubiger, hier das Recht des e i n z e l n e n vor der Zwangsvollstreckung stellenden Gläubigers. 1 ) Nach §. 288 StGB, liegt Vereitelung der Zwangsvollstreckung vor, wenn jemand bei einer ihm drohenden Zwangsvollstreckung, in der Absicht die Befriedigung des Gläubigers (aus d i e s e r Zwangsvollstreckung, nicht notwendig überhaupt) zu vereiteln, Bestandteile seines Vermögens veräufsert oder beiseite schafft. ') Dagegen handelt es sich bei dem im übrigen nahe verwandten Vergehen des §. 137 StGB, um die Mifsachtung der Staatsgewalt (vgl. unten §. 174 VI).
§. 140.
Der Betrug.
Geschichte und Begriff.
483
Die Zwangsvollstreckung ist eine d r o h e n d e , 9obald nach Lage der Sache anzunehmen ist, dafs der Gläubiger demnächst zur Zwangsvollstreckung schreiten werde; Beginn des Vollstreckungsverfahrens ist nicht erforderlich; Arrestanlage, Klagerhebung, Wechselprotest mangels Zahlung kann genügen. G l ä u b i g e r ist hier nicht nur der persönlich, sondern auch der dinglich berechtigte. Die A b s i c h t (Beweggrund) mufs auf Vereitelung der Zwangsvollstreckung gerichtet sein; wer demnach lediglich um einen Gläubiger zu befriedigen handelt, fällt nicht unter das Gesetz. Als K i t t e l nennt das Gesetz nur die Veräufserung und Beseitigung von Vermögensstücken. B e s e i t i g u n g ist jede Handlung, durch welche das Vermögensstück der Verfügung des Berechtigten, hier aUo dem Zugriff des Gläubigers dauernd oder vorübergehend entzogen wird. Zerstören (Verbrennen von Banknoten) gehört hierher, nicht aber Beschädigen oder Entwerten. S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren. Verfolgung nur auf Antrag des Gläubigers, dessen Befriedigung vereitelt werden soll.
IV. Strafbare Handlungen gegen das Vermögen überhaupt. §. 140.
I. Der Betrug.
Geschichte und Begriff.
Litteratur. M e r k e l Kriminalistische Abhandlungen I I 1867. D e r s e l b e H H I I I 750, I V 432. G r y c i e c k i Studien über den strafbaren Betrug 1870. Z i m m e r m a n n G S X X I X 120. F e i g e G A X X V I 103. W a a g G S X X X I 242. M.St. G S X L 81 (Z V I I I 414). H I I 245. P f i z e r G S X L I 337 (Betrug beim Spiel). I . Der nach-hadrianischen Zeit gehört die Entstehung eines neuen r ö m i s c h r e c h t l i c h e n Deliktsbegriffes, des s t e l l i o n a t u s (D. 47, 2 0 ; C. 9, 34; von dem stellio ignotus abgeleitet) an, welcher, als crimen extraordinarium neben die zivilrechtliche actio doli tretend, die Grundlage für den heutigen Begriff des Betruges bildet. Das spätrömische Recht selbst hat den Begriff nur wenig entwickelt; sicher ist nur, dafs eingetretene Vermogensbeschädigung und eine gewisse calliditas des Thäters gefordert werden müssen, dafs das Verbrechen mithin — im Unterschiede von den Fällen des falsum — gegen Rechtskreis des Einzelnen gerichtet ist. In den Quellen des d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r s wird der Betrug (trogene, Tirol 1499: n Laiclierey u ) nur vereinzelt erwähnt, in der Rechtsprechung aber vielfach mit schweren Strafen, selbst mit dem Tode, be31*
484
§. 140. Der Betrug.
Geschichte und Begriff.
legt (Z X 242). PGO. kennt ihn nicht. Die spätere Landesgesetzgebung schliefst sich teilweise (so Österreich 1656) unmittelbar an das römische Recht an. Bei C a r p z o v und den ihm folgenden Schriftstellern erscheint der stellionatus als ein jeder praktischen Bedeutung entbehrender Aushilfsbegriff. Erst das s p ä t e r e g e m e i n e Recht, insbesondre aber die z w e i t e H ä l f t e d e s 18. J a h r h u n d e r t s erkannte die praktische Bedeutung des Betrugsbegriffes. Aber noch war man sich nicht klar über Auffassung und Umgrenzung deB Verbrechens. Bald verlangte man Eintritt der Vermögensbeschädigung zur Vollendung, bald begnügte man sich mit der geschehenen Täuschung. Insbesondre aber wurde — so in der österreichischen und preufsischen Gesetzgebung des vorigen Jahrhunderts — der Begriff des Betruges überspannt; er Bollte auch die Fälschungsfälle mit umfassen, und selbst Verletzungen andrer als vermögensrechtlicher Interessen (wie Meineid und andre Vergehungen) werden zum Betrüge gerechnet. Dieser Übertreibung gegenüber hat die Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts den Betrug wieder zurückgedrängt auf sein natürliches Gebiet, ihn eingeschränkt zum V e r m ö g e n s v e r b r e c h e n . Dies ist auch der Standpunkt des RStGB., welches sich von dem preufsischen nur durch die Beseitigung des „qualifizierten" Betruges unterscheidet.
II. D e r B e g r i f f u n d s e i n e M e r k m a l e . Betrug ist V e r m o g e n s b e s c h ä d i g u n g i n B e r e i c h e r u n g s a b s i c h t , h e r b e i g e f ü h r t durch a r g l i s t i g e T ä u s c h u n g , d. h. d u r c h E r r e g u n g u n d U n t e r h a l t u n g e i n e s I r r t u m s . Der zu Beschädigende handelt selbst, aber ohne sich der verursachenden Bedeutung seines Thuns bewufst zu sein; juristisch betrachtet ist es also nicht der Beschädigte, der sich selbst, sondern der Täuschende, der einem andern die Beschädigung zufügt. Durch das Mittel der Beschädigung (Täuschung) unterscheidet sich der Betrug von der im übrigen ihm nahe verwandten Erpressung, deren Mittel Gewalt oder Drohung sind. Wie die Erpressung ist der Betrug als B e r e i c h e r u n g « v e r b r e c h e n gerichtet gegen das Vermögen ü b e r h a u p t und dadurch wesentlich unterschieden von den bisher besprochenen, gegen b e s t i m m t e Bestandteile des Vermögens gerichteten Vermögensverbrechen. 1. Die a r g l i s t i g e Täuschung besteht in der V o r s p i e g e l u n g f a l s c h e r o d e r in d e r E n t s t e l l u n g o d e r U n t e r d r ü c k u n g w a h r e r T h a t S a c h e n als dem Mittel zur Erregung und Unterhaltung des Irrtums.
§. 140.
Der Betrog.
Geschichte and Begriff.
485
Der Begriff der Thatsache ist derselbe, wie bei der Beleidigung (oben § . 9 7 Note 4). Auch Täuschung über A n sichten und Absichten des Thäters, z. B . über dessen Absicht seinen Verpflichtungen nachzukommen, nicht aber z. B . über die A u s sichten des ins Leben zu rufenden Unternehmens kann den Thatbestand des Betruges erfüllen. 1 ) 2. Die E r r e g u n g und die U n t e r h a l t u n g des Irrtums stehen einander gleich. Beide können durch V e r s c h w e i g e n von Thatsachen begangen werden. Dieses Nichtreden ist aber nur dann dem Reden gleichwertig, wenn der Getäuschte berechtigt war, das Reden zu erwarten; wenn also eine Verpflichtung zum Reden bestand, die nicht notwendig eine Rechtspflicht zu sein braucht, sondern auch in den geschäftlichen Gewohnheiten begründet sein oder aber auch aus dem vorhergegangenen Verhalten folgen kann (oben §. 30 I I ) . Nach dem Gesagten ist auch die Strafbarkeit des sogenannten K r e d i t b e t r u g e s zu beurteilen; d. h. die Bestimmung eines andern zur Gewährung oder Verlängerung von Kredit unter Verhältnissen, welche (wie z. B . die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners) die Beitreibung der Forderung des Gläubigers mehr oder weniger gefährden. Nur dann, wenn ein „Verschweigen" dieser Verhältnisse stattgefunden hat, wenn also der Gläubiger die Mitteilung derselben zu erwarten berechtigt war, weil das gesamte Auftreten des Schuldners den Besitz der nötigen Zahlungsmittel erwarten liefs, kann von Betrug gesprochen werden. Dasselbe gilt von der Z e c h p r e l l e r e i , die nur als Abart des Kreditbetruges erscheint, sowie von dem Mitfahren „ b l i n d e r P a s s a g i e r e " . 8 ) ') Im Sinne des Textes die feststehende Rechtsprechung des Reichsgerichts; ebenso G I I 58, H I I 262, 0 1079. Dagegen M 705, M e r k e l HH I I I 763, I V 435. *) Es ist Betrug, w e n n , was zumeist der Fall sein wird, eine Täuschung des Schaffners oder des Zugführers (des Kutschers eines Postoder Pferdebahnwagens uawj vorliegt. Ebenso R 13. März 88 X V H 217; dagegen v. B a r GS X L 491, W e s t r u m Magazin für deutsches Recht V I I 222 (Z V I I I 222), O 1078. — Die Frage der R ü c k f a h r k a r t e n ist in erster Linie eine privatrechtliche. Kann die Eisenbahnverwaltung ihre Unübertragbarkeit einseitig festsetzen (was ich bezweifle), so erscheint die Benutzung durch einen dritten als Betrug. Vgl. die Polemik zwischen de J o n g e und v. B a r (Z I X 686 bis 688) und dazu S t e n g l e i n G S X L I I 151.
486
§• 140. Der Betrug. Geschichte und Begriff.
3. Das Gesetz verlangt, dafs die Täuschung erfolge ,.in der A b s i c h t , s i c h o d e r e i n e m d r i t t e n e i n e n r e c h t s w i d r i g e n V e r m ö g e n s v o r t e i l zu v e r s c h a f f e n " . An andern Stellen wird diese Absicht vom RStGB. als „gewinnsüchtige Absicht" bezeichnet; wir haben oben den Ausdruck „Bereicherungsabsicht" gebraucht. „Absicht" aber bedeutet auch hier den Beweggrund des Handelns; sie mufs zum Vorsatz, als dem Bewufstsein der Beschädigung durch Täuschung hinzutreten. Vermögens v o r t e i 1 ist nicht blofs die V e r m e h r u n g des Vermögens, also die Gewinnung eines neuen dinglichen oder persönlichen Anspruches, sondern jede V e r b e s s e r u n g der Vermögenslage. Eine solche liegt stets dann, aber auch nur dann vor, wenn der G e l d w e r t des Vermögens durch die That vergröfsert wird. Sicherung der vorhandenen Ansprüche (durch Pfandbestellung, Bürgschaftsleistung, Ausstellung von Urkunden usw.) kann hierher gehören, wie das thatsächliehe Haben der Sache; ebenso die Abwendung drohender Schädigung. R e c h t s w i d r i g ist jeder Vorteil, auf welchen der Handelnde einen rechtlich begründeten Anspruch nicht hatte: 3 ) nicht nur der dem Gesetze zuwiderlaufende Vermögensvorteil gehört hierher, sondern die ganze, überaus grofse und praktisch hochwichtige Gruppe der dem Rechte gleichgültigen Vermögensvorteile. Rechtswidrig hat demnach nicht positive, sondern rein negative Bedeutung; am entsprechendsten wäre der Ausdruck „nicht rechtlich begründet". Der Betrug entfallt also nur dann, wenn die arglistige Täuschung das Mittel zur Durchsetzung eines wohlerworbenen und bereits fälligen Anspruchs war. I r r t u m über die Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils, also irrige Annahme, dafs ein rechtlicher Anspruch auf Erlangung des Vermögensvorteils bestand, scldiefst den Vorsatz aus, irrige Annahme des Gegenteils begründet strafloses Wahnverbrecheu (oben §. 3!) Note 6). *) Übereinstimmend die durchaus feststehende Rechtsprechung des Reichsgerichts; B 572, G I I 57, M 699; dagegen H I I 273, 383. Ml 325, O 1099, S 456, Bg Normen I I 560, M e r k e l HH I I I 733. Vgl. auch S i m o n s o n Begriff des Vorteils 188.
§. 140. Der Betrug. Geschichte und Begriff.
487
4. Der vollendete Betrug setzt eingetretene V e r m ö g e n s b e s c h ä d i g u n g voraus. Vermogensbeschädigung aber ist nicht nur die V e r m i n d e r u n g des Vermögens, also der Verlust eines dinglichen oder persönlichen Anspruches, sondern jede V e r s c h l e c h t e r u n g der Vermögenslage. Diese liegt stets dann, aber auch nur dann vor, wenn der G e l d w e r t des Vermögens durch die That verringert wird. Aufgabe der Sicherheit für einen bestehenden Anspruch kann hierher gehören; Vereitelung zu erwartenden Gewinnes nur dann, wenn bereits ein Anspruch auf denselben vorhanden war. Die Vermögensbeschädigung kann eine bleibende oder vorübergehende sein; durch die Möglichkeit künftiger Ausgleichung wird der Begriff nicht ausgeschlossen. "Wird der Anspruch, in welchem der Getäuschte beschädigt worden, vom Rechte nicht anerkannt (z. B. Hurenlohn), so kann Betrug nicht angenommen werden. Da der Betrug Bereicherungsverbrechen ist, also Vermögensvorteil auf der einen und Vermögensnachteil auf der andern Seite durchaus einander entsprechen müssen, kann von Betrug keine Rede mehr sein, sobald der Getäuschte den vollen Gegenwert für seine Veräufserungshandlung erhält. Nicht jede Täuschung ist Betrug. Ich bin nicht betrogen, wenn ich durch Täuschung bestimmt werde, mich bei einer andern als der von mir ins Auge gefafsten Versicherungsgesellschaft einzukaufen, meine Zigarren bei einem mir fremden Händler zu bestellen, Staatspapiere gegen gleich sichere Industriepapiere einzutauschen, statt Naturwein preiswerten Kunstwein entgegen zu nehmen. Aber es ist dabei zu beachten, dafs die Vermögenslage d e s G e t ä u s c h t e n in Frage steht; dafs f ü r i h n , für s e i n Vermögen, die Gegenleistung den Wert seiner Leistung enthalten mufs. Ist die Gegenleistung eine andre als die gewollte, so kann schon die V e r ä n d e r u n g der Vermögenslage als eine V e r m ö g e n s b e s c h ä d i g u n g erscheinen; insbesondre dann, wenn die sofortige Versetzung in den frühern Stand (etwa durch Veräufserung des Erhaltenen) ohne Einbufse nicht möglich ist.*) 5. Die Täuschung mufs das M i t t e l der Vermögensbe*) Ebenso im Wesentlichen Beschlufs der verein. Strafsenate vom 20. April 87 X V I 1 (dazu GS X L I I I 821) und dagegen MSt. in GS X L 81.
488
§. 140.
Der Betrug.
Geschichte und Begriff.
Schädigung sein; beide müssen im Kausalzusammenhange zu einander stehen. Der Täuschende ist es ja, der s e l b s t das Vermögen des Getäuschten beschädigt. Dies schliefst die Möglichkeit mehrerer als Mittel benutzter Zwischenglieder nicht aus; wie des Beschädigten selbst, ebenso kann sich der Betrüger schon nach allgemeinen Grundsätzen auch andrer Personen als Mittel für seine Zwecke bedienen. Mit andern Worten: I d e n t i t ä t der g e t ä u s c h t e n und der beschädigten Pers o n i s t n i c h t e r f o r d e r l i c h . Freilich wird der Getäuschte t h a t s ä c h l i c h in der Lage sein müssen, über das Vermögen des zu Beschädigenden in einer diesen verbindenden Weise zu verfügen, aber diese Stellung braucht nicht auf einer besondern rechtlichen Beziehung zwischen dem Getäuschten und dem Berechtigten zu beruhen. Insbesondre kann die Beschädigung des Prozefsgegners durch eine Täuschung des Richters herbeigeführt werden; vorausgesetzt, dafs es sich nicht um einfach unwahre, durch Vernehmung der Gegenpartei, bez. des zu Beschädigenden als unwahr erkennbare Parteibehauptungen handelt, welche durch keinerlei die richterliche Uberzeugung beeinflussende Beweismittel unterstützt werden, sondern um ein Fälschen der Beweismittel selbst. Das Erschleichen von G e s c h e n k e n ist nur dann Betrug, wenn sie d u r c h eine wirkliche I r r e f ü h r u n g des Schenkgebers erlangt wurden; nicht aber dann, wenn der Kausalzusammenhang fehlt und nicht die Täuschung, sondern der Wunsch den lästigen Bewerber loszuwerden oder Gutmütigkeit und Bequemlichkeit die den Schenkgeber zur Schenkung bestimmten. 6 ) Dasselbe gilt von kaufmännischen A n p r e i s u n g e n und wird wohl auch in der Mehrzahl der Fälle von den G r ü n d u n g s p r o s p e k t e n gelten. 6 ) *) Den „bezüglichen Bettel" hatten schon die Landesgesetzgebungea (auch Preufsen) vielfach vom Betrüge ausgeschieden und unter mildere Strafe gestellt. Der österr. Entw. 309 bedroht den Fall als strafbaren Eigennutz. «) F e i g e GA XXVI. M e r k e l HH IV 436. H II 978. M ö l l e r Gründerprozesse 2. Aufl. 1876. S t e n g l e i n und M i t t e l s t a d t , Gutachten für den 14. d. Juristentag. Die Schwierigkeiten der Gründerprozesse liegen hauptsächlich darin, dafs zumeist ein „Getäuschter" gar nicht vorhanden ist, sondern alle Beteiligten, auch diejenigen, welche zuletzt im Besitze der entwerteten Papiere bleiben, nur durch Spekulation
§. 141. Die Arten des Betrüge*.
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6. Der V e r s u c h — der auch, wenn der Betrug als Vergehen erscheint, strafbar ist — beginnt bereits mit der Vorspiegelung, Entstellung, Unterdrückung der Thatsachen. Ist die angestrebte Vermögensbeschädigung auf dem vom Thäter gewählten Wege nicht zu erreichen, so liegt Versuch mit untauglichem Mittel vor, der nach den allgemeinen Regeln zu beurteilen ist. 7. V e r l e t z t ist immer der in seinem Vermögen Beschädigte; also nicht notwendig der Getäuschte. 8. Geschichtlich sowie positivrechtlich unterscheidet sich vom Betrüge die H i n t e r z i e h u n g ö f f e n t l i c h e r A b g a b e n oder die D e f r a u d e , welche, auch wenn ihr Thatbestand sich vollständig mit dem des Betruges decken würde, nach den einschlagenden Sondergesetzen zu beurteilen ist (vgl. darüber unten §. 196).
§. 141. Die Arten des Betruges. Litteratnr. Zu I I I : v. S p e i s h a r d t Der Versicherungsbetrug im RStGB. unter Berücksichtigung der wichtigsten ausländischen Gesetzgebungen 1885 (Z VI 654).
I. Der einfache Betrug (StGB. §. 263). S t r a f e : Gefängnis; daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark, sowie Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Bei mildernden Umständen kann ausschliefslich auf Geldstrafe erkannt werden. Antragsvergehen, wenn und Boweit gegen Angehörige (StGB. §. 52 Abs. 2), Vormünder oder Erzieher begangen; Antrag rücknehmbar.
II. B e t r u g i m z w e i t e n R ü c k f a l l (StGB. §§. 264 und 245). Voraussetzungen: a) Zwei inländische Vorstrafen wegen Betrugs, b) Gänzliche oder teilweise Verbüfsung oder Erlassung dieser Strafen, c) Nichteintritt der (zehnjährigen) Rückfallsverjährung (vgl. oben §. 58 I und §. 71). S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren und zugleich Geldstrafe von hundertundfünfzig bis zu sechstausend Mark, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten, daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. zu gewinnen beabsichtigten. Daher sind besondre Bestimmungen nötig, wie sie z. T. durch die Novelle zum Aktiengesellschaftsgesetz vom 18. Juli 1884 (vgl. unten §. 191) vorgesehen werden. Vgl. auch H e c h t in den Verhdlgn. des 18. d. Juristentags I 104 (Z VII 248).
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§. 141. Die Arten des Betruges.
I I I . Der sog. V e r s i c h e r u n g s b e t r u g , welcher aus dem preufsischen A L R . in das preufsische StGB., und aus diesem in das RStGB. übergegangen ist, hat mit dem eigentlichen Betrüge nur den Namen und die Stellung im Systeme des Gesetzbuches gemein. In Wahrheit handelt es sich um ein, durch die betrügerische Absicht erschwertes, g e m e i n g e f ä h r l i c h e s Verbrechen. Nach §. 265 StGB, liegt Versicherungsbetrug vor, wenn jemand in betrügerischer Absicht eine gegen Feuersgefahr versicherte, bewegliche oder unbewegliche Sache in Brand setzt, oder ein Schiff, welches als solches oder in seiner Ladung oder in seinem Frachtlohn versichert ist, sinken oder stranden -macht. Von den verschiedenen Arten des Versicherungsbetruges ist also nur der B r a n d - und der See-Versicherungsbetrug hervorgehoben. „ B e t r ü g e r i s c h e A b s i c h t " ist die Absicht, durch Vorspiegelung eines vom Versicherten nicht schuldhaft herbeigeführten Ereignisses zum Nachteil des Versicherers die Versicherungssumme ganz oder teilweise für sich oder einen andern zu gewinnen. A b s i c h t ist dabei als Beweggrund, nicht als Vorsatz aufzufassen. Andre gewinnsüchtige Absicht, z. B. um eine Belohnung für die erste geleistete Hilfe zu erlangen, genügt nicht. Thäter kann nur der Versicherte selbst sein; dieser erscheint nicht als Anstifter, sondern als mittelbarer Thäter. wenn er einen Dritten zur Ausführung der Brandstiftung bestimmt (oben §. 50 I I I 3). Wenn auch vom Standpunkte des Betrugsbegriffes die Brandlegung nur als Vorbereitungshandlung zum Betrüge erscheint, so mufs doch schon aus dem hohen Strafrahmen geschlossen werden, dafs es sich um ein durchaus eigenartiges, den Grund seiner Strafbarkeit in sich selbst tragendes Verbrechen handelt. Daher mufs die Möglichkeit eines strafbaren V e r s u c h e s angenommen werden. l*nd aus dem gleichen Grunde sind, wenn der geplante Betrug wirklich ausgeführt wird, die allgemeinen Grundsätze über Einheit und Mehrheit der verbrecherischen Handlung uneingeschränkt zur Anwendung zu bringen. Dies gilt insbesondre gegenüber der laudesrechtlicli (z. B. Preulsisches Gesetz vom 8. Mai 1837 §. 20) strafbaren Überversicherung.
§. 142. Die Erpressung.
491
S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren und zugleich Geldstrafe von hundertundfünfzig bis zu sechstausend Mark, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten, daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark.
§. 1 4 2 .
2.
Die Erpressung.
L i t t e r a t n r . K ö s t l i n Abhandlungen 407. G l a s e r Abhandlungen 155. M e r k e l H H I I I 724, I V 416. D a l c k e GA XVII. V i l l n o w Raub, Erpressuug usw. 1875. K a t z GS X X X I 424. " W ä c h t e r Über Gewalt bei der Erpressung 1876. H I I 378. I. G e s c h i c h t e . Die Wurzel des Begriffes der Erpressung liegt im s p ä t r ö m i s c h e n Recht. Als das crimen repetundarum veraltet war und die actio quod metus causa sich als ungenügend herausstellte, entstand in der Kaiserzeit ein besondres crimen extraordinarium: die c o n c u s f l i o (D. 47, 13), welche vorlag, wenn (conc. publica) entweder durch Vorspiegelung eines öffentlichen Amtes oder (conc. privata) durch Androhung einer Kriminalklage (crimen minari) ein Vermögensvorteil erzwungen wurde. Da die PGO. ebensowenig wie das deutsche Mittelalter den selbständigen Begriff der Erpressung kannte (die nächste Verwandtschaft wies wohl der Landzwang auf; oben §. 1231), war das g e m e i n e R e c h t darauf angewiesen, die römische concussio auszubilden (noch ALR. 1254). Aber es machte grofse Schwierigkeiten, das Verhältnis der Erpressung zu verwandten Verbrechen, insbesondre zum Raube in brauchbarer Weise festzustellen, und erst die Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts gelangte allmählich 7.u einer wenigstens teilweise befriedigenden Begriffsbestimmung der Erpressung. Doch enthält auch noch das RStGB. in dem vielbebprochenen Zwitterbegriffe der räuberischen Erpressung eine greifbare Erinnerung an jene noch nicht vollständig überwundene Unklarheit des gemeinen Rechts. II. D e r B e g r i f f d e r E r p r e s s u n g . N a c h S t G B . §. 2 5 3 liegt Erpressung vor, „wenn jemand, um sich oder e i n e m d r i t t e n einen r e c h t s w i d r i g e n V e r m ö g e n s v o r t e i l zu v e r s c h a f f e n , einen andern d u r c h G e w a l t o d e r D r o h u n g zu e i n e r H a n d l u n g , Duldung oder Unterlassung nötigt. 1. D a s Mittel der Vermögensbeschädigung scheidet die Erpressung zunächst vom B e t r u g : hier aber nicht dort das mangelnde Bewul'stsein von der verursachenden B e d e u t u n g des Thuns auf seiten des Beschädigten; dort aber nicht hier das Bewul'stsein von der Unfreiwilligkeit des Thuns. D a s V o r h a l t e n
492
§. 142. Die Erpressung.
einer nicht geladenen Pistole, die Behauptung Vertreter einer gefiirchteten Räuberbande zu sein usw., können als Mittel der Erpressung wie des Raubes, nicht des Betruges, in Betracht kommen. Abgesehen von diesem Unterschiede teilt die Erpressung mit dem Betrüge einerseits die Richtung gegen das Vermögen, anderseits die Benutzung der eignen Thätigkeit des zu Verletzenden für die Zwecke des Verbrechers. 2. Von der N ö t i g u n g hebt sich die Erpressung (von der sofort zu besprechenden Verschiedenheit der Nötigungsmittel abgesehen) ab durch das Hinzutreten der Bereicherungsabsicht; die Nötigung ist gegen die Freiheit, die Erpressung nur zunächst gegen die Freiheit, in letzter und entscheidender Linie aber gegen das Vermögen gerichtet. 3. Das Verhältnis der Erpressung zum R a u b e ist bereits oben §. 130 I I erörtert worden. Darnach liegt der Unterschied hauptsächlich in der Beschaffenheit der N ö t i g u n g s m i t t e l . Als solche nennt das Gesetz: a) D r o h u n g schlechthin (oben §. 99 I I I 2), ausgenommen Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, b) G e w a l t schlechthin (oben §. 99 I I I 1), ausgenommen Gewalt a n der Person des Genötigten, c) Den beiden genannten Mitteln stellt StGB. §.339 gleich den Mi fsb r a u c h d e r A m t s g e w a l t sowie die A n d r o h u n g eines bestimmten Mifsbrauchs derselben. Sind die Mittel der Erpressung, nicht die des Raubes angewendet, so ist Erpressung auch dann anzunehmen, wenn der Genötigte gezwungen wurde, die Wegnahme einer (dem Thäter gegenüber) fremden, beweglichen Sache zu dulden. 4. Uber die B e r e i c h e r u n g s a b s i e h t ist das oben §. 140 I I 3 Gesagte zu vergleichen. Eingetretene Vermögensbeschädigung ist nach StGB. §. 253 nicht erforderlich. 5. Die V o l l e n d u n g tritt mit der erzwungenen Handlung, Duldung, Unterlassung ein; der V e r s u c h , welcher mit der Anwendung von Gewalt oder Drohung bereits vorliegt, ist immer strafbar. 6. V e r l e t z t ist, da die Erpressung zunächst und in erster Linie gegen die persönliche Freiheit gerichtet ist, immer der zur Handlung, Duldung, Unterlassung Gezwungene; also nicht notwendig derjenige, gegen den Gewalt oder Drohung ange-
§. 143. Übervorteilung Minderjähriger.
493
wendet wurde; auch nicht notwendig derjenige, in dessen Vermögen die Beschädigung eintrat. III. D i e A r t e n d e r E r p r e s s u n g . 1. D i e e i n f a c h e E r p r e s s u n g (StGB. §. 253). S t r a f e : Gefängnis nicht unter einem Monat. 2. D i e e r s c h w e r t e E r p r e s s u n g (StGB. §. 264), wenn durch Bedrohung mit Mord, Brandstiftung oder Überschwemmung begangen. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren. 3. D i e r ä u b e r i s c h e E r p r e s s u n g (StGB. §. 266), die wir als eine Erweiterung des Raubes vom Eigentums- zum Vermögensverbrechen aufgefafst und daher (oben §. 130 III 4) beim Raube behandelt haben. Neben der wegen Erpressung erkannten Gefängnisstrafe (in den Fällen 1 und 3) kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte; neben der Zuchthausstrafe (in den Fällen 2 und 3) auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB. §. 266).
§. 143.
3. Strafbare Ausbeutung andrer. Allgemeines, a) Die Übervorteilung Minderjähriger.
Litteratur.
M e r k e l HH III 845.
H II 427.
I. G r u n d s ä t z l i c h e B e d e u t u n g . Als Mittel der Vermögensbeschädigung kennt die ßeichsgesetzgebung aufser Täuschung und Zwang, von welchen erstere das Bewufstsein der verursachenden Bedeutung, letzterer die Freiheit des Handelns ausschliefst, noch die A u s b e u t u n g des L e i c h t s i n n s , der U n e r f a h r e n h e i t oder der N o t l a g e a n d r e r . Auch in diesen Fällen ist, mag auch eine scheinbar freie und bewufste Handlung des Beschädigten selbst dazwischen liegen, der eingetretene Erfolg nach der Auffassung des Gesetzgebers auf Rechnung des Thäters zu setzen; Unerfahrenheit und Leichtsinn schliefsen nach Ansicht des Gesetzgebers das Bewufstsein von der verursachenden Bedeutung der Handlung auf seiten des Beschädigten, die Notlage schliefst die Freiheit seiner Bestimmung, ganz oder wenigstens teilweise aus. Der Gesetzgeber nimmt somit in durchaus berechtigter Ausdehnung Zusammenhang zwischen dem Thun des Thäters und der erfolgten Vermögensbeschädigung an, wo derselbe, bei strengem Festhalten der allgemeinen Grundsätze (oben §. 28 I 2), eigentlich in Abrede gestellt werden müfste. Er thut dies
494
§. 143.
Übervorteilung Minderjähriger.
aber nur unter besondern, genau bezeichneten, Voraussetzungen und verwendet die angedeutete Auffassung zur Bildung von nur zwei, eng umschriebenen Begriffen: Ubervorteilung Minderjähriger und "Wucher.1) II. D i e Ü b e r v o r t e i l u n g M i n d e r j ä h r i g e r , d. h. Vermogensbeschädigung in Bereicherungsabsicht durch Benutzung des Leichtsinns und der Unerfahrenheit Minderjähriger, ist von dem RStGB., im Anschlufs an das auf das ALR. zurückgreifende preufsische Gesetz vom 2. März 1857, 2 j in den §§. 301 und 302 unter Strafe gestellt worden. Das Gesetz unterscheidet einen einfachen und einen schweren Fall. 1. D e r e i n f a c h e F a l l liegt vor (StGB. §.301). wenn jemand in gewinnsüchtiger Absicht und unter Benutzung des Leichtsinns und der Uuerfahrenheit eines Minderjährigen sich von demselben Schuldscheine, Wechsel, Empfangsbekenntnisse, Bürgschaftsinstrumente oder e i n e a n d r e , e i n e V e r p f l i c h tung e n t h a l t e n e Urkunde a u s s t e l l e n oder auch nur m ü n d l i c h ein Z a h l u n g s v e r s p r e c h e n e r t e i l e n l ä f s t . „ G e w i n n s ü c h t i g e A b s i c h t " bedeutet auch hier die Bereicherungsabsicht (oben §. 140 II 3j. „ L e i c h t s i n n " ist das Unbekümmertsein um die weitern Folgen; „ U n e r f a h r e n h e i t " die geschäftliche Unkenntnis (rusticitas). In der „ B e n u t z u n g " dieser Eigenschaft liegt die Notwendigkeit einer Vermögensbeschädigung. Dem „ m ü n d l i c h e n " Versprechen steht das durch schlüssige Handlungen abgegebene gleich (unten §. 173 II 4). Von wem die A n r e g u n g zum Abschlüsse des Geschäftes ausgegangen, ist gleichgültig. Jedenfalls kann der Minderjährige selbst nicht als T e i l n e h m e r zur Verantwortung gezogen werden (oben 53 V 1). S t r a f e : Gefängnis bi* zu sechs M o n a t e n oder Geldstrafe bis z u f ü n f z e h n h u n d e r t Mark. Antrngsvergelien. ') Erweiterung dieser Begriffe wäre durchaus möglich. Beachtenswert der österr. Entwurf ij. 317: Ausbeutung der Notlage innerhalb schon bestehender vertragsmäfsiger Beziehungen durch ..den wirtschaftlich Stärkeren; 318: Ausbeutung bei Ratengeschäften. — Uber das sog. Trucksystem vgl. unten 190 I 1. — Benutzung des Aberglaubens, des Schwachsinns, der Gemütserregung andrer kann nur als Betrug gestraft werden. — Ausbeutung des Ehrenwortes von volljährigen Offizieren, Studenten usw. bleibt, wenn nicht Wucher, straflos. s ) Vgl. auch C. pen. Art. 406. — Lex Plaetoria; aus dem 6. Jahrhundert der Stadt?
§. 144. Der Wucher.
495
2. Der schwerere Fall liegt vor (StGB. §. 302), wenn jemand in gleicher Absicht und auf gleiche Weise sich von dem Minderjährigen unter Verpfändung der Ehre, auf Ehrenwort, eidlich oder u n t e r ähnlichen V e r s i c h e r u n g e n o d e r B e t e u e r u n g e n die Zahlung einer Geldsumme oder die Erfüllung einer andern, auf Gewährung geldwerter Sachen gerichteten Verpflichtung aus einem Rechtsgeschäfte versprechen läfst (StGB. §. 302). S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. Neben Gefängnis ist Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zulässig. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher sich eine Forderung abtreten läfst, von welcher er weifs, dafs deren Berichtigung ein Minderjähriger in der vorbezeichneteu Weise versprochen hat. Antragsvergehen.
§. 144.
Fortsetzung,
b) Der Wucher.
Litteratar. v. L i l i e n t h a l in Conrads Jahrbüchern 1860. D e r s e l b e HR „Wucher", v. S c h w a r z e Das Reichsgesetz betreffend den Wucher (Bezold) 1881. — M. N e u m a n n Geschichte des Wuchers in Deutschland 1865. S t i n t z i n g Geschichte d. d. Rechtswissenschaft I 19. v. S t e i n Der Wucher und sein Recht 1870. A. W a g n e r in Schönbergs HB der pol. Ökonomie. W e i b e l Zur Wucherfrage 1884 (Z V 399). — Uher den W u c h e r auf dem Lande vgl. Schriften des Vereins für Sozialpolitik. Band XXXV, XXXVIII (Z IX 612, 694) und v. L i l i e n t h a l Z VIII 167, mit sehr beachtenswerten gesetzgeberischen Vorschlägen. B a r r e Preufsische Jahrbücher LXXX 213 (Z 1X 695). Verhandlungen des Preufsischen Landesökonomie-Kollegiums vom 12. November 1889. I. G e s c h i c h t e . Von der Zeit der XII Tafeln an wendet die r ö m i s c h e Gesetzgebung dem G e l d w u c h e r , d. h. der Überschreitung des fenus unciarium, ihre besondre Aufmerksamkeit zu und bedroht denselben, neben der poena quadrupli, auch mit ädilizischer Geldstrafe. In der Kaiserzeit tritt neben dem W a r e n w u c h e r oder Dardanariat der G e t r e i d e w u c h e r (annona fraudata) besonders hervor; schon nach der 1. Julia (von Cäsar oder August) wird er mit zwanzig aurei, später noch strenger bestraft. Einen neuen, ungleich strengern Standpunkt nimmt die c h r i s t l i c h e K i r c h e ein; sie verbietet das Zinsennehmen überhaupt; jede Übertretung des Verbotes ist strafbarer Wucher. Durch Karl den Grofsen (Kap. 789) wird dieses Verbot in die weltliche Gesetzgebung eingeführt. Daneben finden wir seit der zweiten Hälfte des Mittelalters zahlreiche Bestimmungen gegen den H a n d e l s w u c h e r in seinen verschiedenen Gestalten (insbesondere als „Fürkauf"); auch die RPolizeiordnungen des 16. Jahrhunderts und die spätem Landesgesetze (noch das preufs. ALR.) be-
496
§. 144. Der Wucher.
schäftigen sich vielfach mit ihm und drohen Geld- und Ehrenstrafen, wohl auch Gefängnis und Landesverweisung. Während auch die Reformatoren dem Wucher gegenüber an der Auffassung des kanonischen Rechtes festhielten, vollzog sich unter dem Einflüsse der grofsen Juristen des 16. Jahrhunderts eine wesentliche Umgestaltung des Wucherbegriffes, die uns alsbald in der deutschen Reichsgesetzgebung entgegentritt, und in dem J R A . 1654 zum vorläufigen Abschlüsse gelangt. Der Wucher erscheint nunmehr wie früher im römischen Rechte als die Ü b e r s c h r e i t u n g deB g e s e t z l i c h e n (fünfprozentigen) Zinsfufses. Aber die Bewegung griff alsbald weiter und drängte auf gänzliche Beseitigung aller Wuchergesetze. Die rationalistische Philosophie und die von ihr beeinflufste Wirtschaftstheorie eröffneten um die Mitte des vorigen Jahrhunderts den Kampf für die Wucherfreiheit. Und zwar mit teilweisem Erfolge. So wurden in Osterreich die Wuchergesetze 1787 abgeschafft, um aber 1803 wieder eingeführt zu werden. Erst um die Mitte unsres Jahrhunderts erlangte die abolitionistische Bewegung den vollen, freilich für sie verhängnisvollen Sieg gegenüber den untereinander wesentlich abweichenden deutschen Landesgesetzen, welche in ihrer Mehrzahl nur den schweren Wucher (den verschleierten oder gewerbsmäfsigen Wucher) unter Strafe gestellt hatten. Der Norddeutsche Bund trat, nachdem W ü r t t e m b e r g schon 1839, B a y e r n 1861, L ü b e c k 1863 die Strafbestimmungen gegen den Wucher aufgegeben hatten, durch Gesetz vom 14. November 1867, welches 1871 auf das ganze Reich ausgedehnt wurde, in die Reihe derjenigen Staaten, welche die Wuchergesetze entbehren zu können glaubten. Nur zu bald überzeugte man sich von der Unrichtigkeit dieser Ansicht. Seit dem Gesetz vom 24. Mai 1880 (ausgegeben am 31. Mai 1880, in Kraft seit 14. Juni 1880) zählt der G e l d w u c h e r wieder zu den nach deutschem Rechte strafbaren Handlungen. Auf den H a n d e l s w u c h e r (Viehwucher, Landwucher, Warenwucher) erstreckt sich die Reform der Gesetzgebung bisher nicht; doch wäre einerseits zu beachten, dafs die Novelle zum Aktiengesetze vom 18. Juli 1884 das künstliche Hinauftreiben des Kurses von Wertpapieren unter Strafe stellt, anderseits, dafs auch der Handelswucher sich vielfach als verschleierter, mithin schwerer zu bestrafender, Geldwucher darstellt. 1 )
II. D e r B e g r i f f und s e i n e M e r k m a l e . NachStGB. §. 302a liegt Wucher vor, w e n n j e m a n d u n t e r A u a ') Das in E l s a f s - L o t h r i n g e n geltende französische Gesetz vom 19. Dezember 1860 ist durch das Reichsgesetz beseitigt. Von den auswärtigen Wuchergesetzen der letzten Jahre sind zu erwähnen: das österr. vom 28. Mai 1881 (Z I I Beil. I I I ) ; das ungar. vom 27. April 1883 (Z I I I Beil. I I ) ; die Gesetze von Zürich, Basel-Stadt, Bern, Thurgau, Aargau, Wallis, Glarus (Z I I I 556, V 638, VII 473, 474, IX 341, 344, 345). — Das Hinauftreiben der Lebensmittelpreise bestraft Japan.
§. 144. Der Waoher.
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b e u t u n g d e r N o t l a g e , d e s L e i c h t s i n n s o d e r der U n e r f a h r e n h e i t e i n e s a n d e r n für ein D a r l e h e n o d e r im F a l l e der S t u n d u n g einer G e l d f o r d e r u n g , sich oder einem dritten V e r m ö g e n s v o r t e i l e vers p r e c h e n o d e r g e w ä h r e n l ä f s t , w e l c h e den üblichen Zinsfufs d e r g e s t a l t ü b e r s c h r e i t e n , d a f s nach den U m s t ä n d e n d e s F a l l e s d i e V e r m ö g e n s v o r t e i l e in a u f f ä l l i g e m Mifsverhältnisse zu d e r L e i s t u n g stehen. Neben Leichtsinn und Uneriahrenheit ist auch die „Notlage" genannt, d. h. ein dringendes, wenn auch vorübergehendes Kreditbedürfnis. Indem das Gesetz von „ A u s b e u t u n g " (so viel wie bewufste Benutzung) spricht, ist die Notwendigkeit einer V e r m o g e n s b e s c h ä d i g u n g bereits zum Ausdrucke gebracht. Diese selbst wird aber im Gesetze in ängstlich genauer Weise bestimmt. Sie darf nur dann als vorliegend angenommen werden, wenn 1. der übliche Zinsfufs überschritten wird, und 2. ein auffallendes Mifsverhältnis zwischen den wirklichen Vorteilen, welche das Darlehen dem S c h u l d n e r gewährt,4) und den Vorteilen, welche der G l ä u b i g e r sich versprechen oder gewähren läfst, besteht. Ein Zinsfufs von mehreren Hundert im Jahre braucht demnach durchaus nicht in allen Fällen als ein wucherischer zu erscheinen; Rentabilität auf der einen, Risikoprämie auf der andern Seite werden mit in Anschlag zn bringen sein. III. D i e A r t e n des W u c h e r s . 1. E i n f a c h e r F a l l (StGB. §. 303a). Gefängnis big zu seoh» Monaten u n d Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. Aberkennung der Ehrenrechte nach Ermessen. 2. E r s c h w e r t e r F a l l (StGB. §. 309b); vorliegend, wenn jemand sich oder einem dritten die wucherlichen Vermögensvorteile verschleiert (die sog. usurae palliatae) *) oder wechselmäfsig oder unter Verpfändung der Ehre, auf Ehrenwort, eidlich oder unter ähnlichen Versicherungen oder Beteuerungen versprechen läfst. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre und Geldstrafe bis zu sechstausend Mark. Aberkennung der Ehrenrechte nach Ermessen. *) Dagegen will R 5 . Januar 85 XI 389 (ebenso O 1237, S i m o n s o n Vorteil 87) nur Nachteil und Vorteil des Gläubigers in Betracht ziehen. Richtig v. L i l i e n t h a l Z VIII 208. *) Täuschung des Schuldners ist nicht erforderlich; es genügt, dafs dritten 'die Bewucherung verborgen wird. R 11. Oktober 88 XVIII 888. T o n L i u t , Strafrecht. 4. Aufl.
32
498
§• 145- Die Gefährdung des Vermögen«. Das Glücksspiel.
3. Während in Bezug auf Thät erschaft und Teilnahme im übrigen die allgemeinen Grundsätze zur Anwendung kommen, hat das StGB, im §. 302c eine besondre Art der Beteiligung, das sog. M i t w u c h e r n zum selbständigen Vergehen gemacht. Die unter 1 und 2 angeführten Strafen treffen nämlich auch denjenigen, welcher mit Kenntnis des Sachverhaltes eine Forderung der angegebenen Art erwirbt und entweder a) dieselbe weiter veräufsert, oder b) die wucherlichen Vermögensvorteile geltend macht. 4. G e w e r b s - o d e r g e w o h n h e i t s m ä ß i g e r (oben §. 56 I I I 3) W u c h e r (StGB. §. 302 d; auf die Fälle unter 1 bis 3 zu beziehen). S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten (viel zu mild!) und Geldstrafe von einhundertfünfzig bis zu fünfzehntausend Mark. Aberkennung der Ehrenrechte bindend vorgeschrieben. Mangels besonderer Bestimmungen finden die allgemeinen Rechtsregeln über die sogenannte rückwirkende Kraft der Strafgesetze (oben §. 17) auch auf den Wucher Auwendung. Demnach beziehen sich die §§. 802 a und b nur auf wucherische Verträge, welche n a c h dem 14. Juni 1880 e n t s t a n d e n sind; 302 c trifft nur auf solche wucherische Forderungen, welche, mögen sie vor oder nach diesem Tage entstanden sein, 4 ) n a c h dem 14. Juni 1880 erworben werden. 5. Im Zusammenhange mit den Strafbestimmungen gegen Wucher Bteht §. 360 Ziff. 12 StGB, in der neuen, durch das Gesetz vom 24. Mai 1880 bestimmten Fassung: Wer als Pfandleiher oder Rückkaufshändler bei Ausübung seines Gewerbes den darüber erlassenen Anordnungen zuwiderhandelt, i n s b e s o n d r e d e n durch Landesgesetz oder Anordnung der zuständigen Behörde b e s t i m m t e n Z i n s f u f s ü b e r s c h r e i t e t , wird mit Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder Haft bestraft. 5 )
§. 145.
4. Die Gefahrdung des Vermögens, a) Das Glücksspiel.
L i t t e r a t n r . B r u c k UberSpiel und Wette 1868. S c h u s t e r Das Spiel, seine Entwicklung und Bedeutung im deutschen Recht 1878. S c h ö n h a r d t Alea. Uber die Bestrafung des Glücksspiels im ältern römischen Recht 1885 (Z VII 664). L o e h n i s Z VIII 65 (über England). H I I 443. S t e n g l e i n Z I I I 111. J o n a s Z I I 551 (564 über Behandlung der Wettbüreaus nach französischem und englischem Recht).
I. Als eine G e f ä h r d u n g e i g n e n u n d f r e m d e n V e r m ö g e n s reiht sich das Glücksspiel an die übrigen Yermögensdelikte. Der Gesetzgeber wacht über den Yermögens*) Ebenso M 748 Note 25, Ml 341; dagegen R 26. April 81 IV 110 sowie insbesondre O 1235. 6 ) Über die zivilrechtliche Nichtwirksamkeit wucherlicher Geschäfte vgl. Art. 3 des Ges. vom 24. Mai 1880.
§. 146. Die Gefährdung dea Vermögens.
Da« GlücknpieL
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Interessen der Staatsbürger, auch wenn diese selbst die nötige Vorsicht aus den Augen lassen. Es führen also zunächst, wenn man so will, sozialpolitische Erwägungen zur Yerbietung und Bestrafung des Glücksspiels. Daneben sind auch sittenpolizeiliche und staatsfinanzielle Bedenken gegen dasselbe in Betracht zu ziehen. Dabei haben wir als G l ü c k s s p i e l e diejenigen zu betrachten, bei welchen, wenn auch nicht ausschliefslich, so doch vorwiegend der Z u f a l l den Ausschlag gibt; den Gegensatz bilden Spiele, bei welchen Sieg und Gewinn hauptsächlich von Geschicklichkeit, Berechnung oder K r a f t abhängig ist, und welche als K u n s t s p i e l e bezeichnet zu werden pflegen. Da es sich bei dem Glücksspiel um ein Vermögensvergehen handelt, scheiden weiter die sogenannten U n t e r h a l t u n g s s p i e l e aus, bei welchen der Vermögenswert der Einsätze nicht ins Gewicht fallt. 1 ) Der zivilrechtliche Gegensatz von S p i e l u n d W e t t e , an sich kaum in befriedigender Weise zu bestimmen, ist dem Strafrechte fremd. 2 ) Danach ist die Frage, ob die bei Pferderennen, sei es bei dem offiziellen „Totalisator", sei es bei den privaten „Buchmachern" (oder „Wettbiireaus") geschlossenen „Wetten" als solche oder als Glücksspiel anzusehen sind, durchaus gleichgültig; mafsgebend ist lediglich, ob die Entscheidung in der Hand des Zufalls liegt oder nicht. Jene Wetten, an welchen das grofse, mit den Vorzügen und Schwächen der in Frage kommenden Pferde gar nicht oder nur in höchst oberflächlicher Weise vertraute Publikum auch mit kleinen Beträgen sich beteiligen kann, fallen demnach unzweifelhaft unter den Begriff des Glücksspiels.8) ' ) Nicht die Gewohnheit der Beteiligten, sondern die allgemeine Anschauung entscheidet: R 28. Mai 89 X I X 253. *) Übereinstimmend S t e n g l e i n Z III 111, G I I 72 gegen die herrschende Ansicht (O 1175) und das Reichsgericht, nach welchen alles auf die Willensrichtung der vertragschliefaenden Teile ankommt (vgl. die in der folgenden Note angeführten Entscheiduniren). ' ) Übereinstimmend im Ergebnis preufs. OVG. 6. April 1882 (Z I I 551 von J o n a s mitgeteilt; daselbst auch eine gute Darstellung des Sachverhalts); R 29. April 82 V I 172, 30. Juni 82 V I 421, 7. Juli 82 V I I 21. Auch 0 1177. Allein diese Entscheidungen gehen alle von dem Unterschiede zwischen Spiel und Wette aus und suchen diesen im „Motive" : dort Gewinn ; hier Erhärtung der aufgestellten Behauptung. — Durch 32*
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§. 146.
Die öffentliche Ausspielung (Lotterie).
II. D i e A r t e n d e s s t r a f b a r e n G l ü c k s s p i e l e s . 1 ) 1. Das unbefugte H a 11en v o n G l ü c k s s p i e l e n auf einem öffentlichen Wege, einer Strafse, einem öffentlichen Platze oder in einem öffentlichen Versammlungsorte (StGB. §. 360 Ziff. 14). „ Ö f f e n t l i c h k e i t " bedeutet auch hier Zugänglichkeit für einen nicht geschlossenen Personenkreis. S t r a f e : Geld bis zu hundertfünfzig Mark oder Haft; daneben nach Ermessen E i n z i e h u n g der auf dem Spieltische oder in der Bank befindlichen Gelder, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht. 2. Das g e w e r b s m ä f s i g e (oben §. 56 I I I 1) Glücksspiel ( S t G B . §.284). S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren, daneben nach Ermessen Geldstrafe von dreihundert bis zu sechstausend Mark und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Ist der Verurteilte ein A u s l ä n d e r , so ist die Landespolizeibehörde befugt, denselben aus dem Reichsgebiete auszuweisen; unerlaubte Rückkehr des'Verwiesenen ist (nach S t G B . §. 361 Ziff. 2) strafbar. 3. Aus dem A L R . in das preufs. StGB, und aus diesem in das R S t G B . übergegangen: Der I n h a b e r e i n e s ö f f e n t l i c h e n V e r s a m m l u n g s o r t e s , welcher Glücksspiele daselbst gestattet oder zur Verheimlichung solcher Spiele mitwirkt (StGB. §. 285), wird mit Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark bestraft.
§. 146.
b) Die öffentliche Ausspielung (Lotterie).
L i t t e r a t n r . E n d e m a n n Beiträge zur Geschichte der Lotterie 1882. G a r e i s und v. L i s z t H R „Lotterie". M e r k e l H H I I I 829. H I I 449. Vgl. die Lehrbücher des Handels- und des Verwaltungsrechts. L e u t h o l d , v. M a y r W V I 119, II 55. I. Strenggenommen fällt die öffentliche Ausspielung unter den Begriff des Glücksspiels. Dennoch hat das preufsische StGB, (im Anschlüsse an das A L R . und spätere Verordnungen) und ihm folgend das R S t G B . die Ausspielung neben dem Glücksspiele besonders hervorgehoben. Diese besondere Auszeichnung erklärt sich aus der G e s c h i c h t e d e r L o t t e r i e v e r b o t e . Seit dem 16. Jahrhundert Bich findend, tragen sie bis in die neueste Zeit fiskalische Bedeutung; auch A L R . 248 bestraft die Lotterie als Eingriff in die (fiskalischen) Rechte des Königs. Auf dieser Stufe der Entwicklung des Begriffs will der Staat die Gewinnsucht seiner Unterthanen für s e i n e Zwecke ausbeuten, und darum schützt er den Bürger gegen Ausbeutung durch ausländische oder private inVerwaltungsverordnung, welche die Aufstellung und Benutzung des Totalisators unter gewissen Voraussetzungen gestattet, kann selbstverständlich die Anwendung des StGBs. §§. 284 und 285 (anders §. 360 Ziff. 14) nicht beschränkt werden. Dagegen O 1403. *) Vgl. auch Ges. vom 1. J u l i 1868 betr. die Schliefsung und Beschränkung der öffentlichen Spielbanken (vom 1. Januar 1873 an).
§. 146. Die öffentliche Ausspielung (Lotterie).
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ländische Unternehmungen („Strafrecht der Monopole"). Er verbietet nicht d u Aufsspielaetzen des Vermögens, nimmt aber den ans diesem zn erwartenden Unternehmergewinn für sich in Ansprach. Als dieser Standpunkt in der neueren Gesetzgebung aufgegeben worden war, änderte das Vergehen seine Eigenart: in der G e f ä h r d u n g , in dem Aufsspielsetzen eignen und fremden Vermögens wird nunmehr der Grund seiner Strafbarkeit erblickt.
n . Das RStGB. bedroht in §.286 das ö f f e n t l i c h e V e r a n s t a l t e n von A u s s p i e l u n g e n beweglicher oder unbeweglicher Sachen ohne obrigkeitliche Erlaubnis; insbesondere das Veranstalten von öffentlichen L o t t e r i e e n , 1 ) d . i. das Ausspielen von Geldpreisen. Die A u s s p i e l u n g kennzeichnet sich als der zweiseitige Vertrag, in welchem der eine der beiden Teile (der V e r a n s t a l t e r der Ausspielung) sich unter bestimmten Bedingungen zur Zahlung einer Geldsumme oder zur Lieferung einer Sache (des Gewinnes) an den andern Teil, dieser aber sich unbedingt zur Zahlung eines bestimmten Geldbetrages (des Einsatzes) verpflichtet. "Wer fremde Lose vertreibt, ist nicht „Veranstalter", kann aber Gehilfe sein. Der Spielende selbst bleibt straflos (oben §. 53 V 1). — Ausspielung ist auch dann anzunehmen, wenn in dem Einsätze z u g l e i c h der Preis für eine wirkliche Gegenleistung mit enthalten ist, z. B. bei Verbindung der Ausspielung mit der Bestellung auf ein wissenschaftliches Werk oder mit einer Theatervorstellung oder bei den Preisrätseln der Familienzeitungen. Auch die durch Beteiligung an einer andern (vielleicht sogar gestatteten) Lotterie erworbene Gewinnsthoffnung kann zum Gegenstande weiterer strafbarer Ausspielung gemacht werden (Partiaischeine, Promessen u. dgl.). Man spricht in diesem Falle von einem H e u e r - oder Promessengeschäft. Anders liegt die Sache, wenn das Eigentum an dem Lose selbst ') Damit ist die „Materie" der Ausspielung geregelt. Die Landesgesetzgebung ist mithin nicht befugt, dieselbe auch ihrerseits regeln zn wollen- Das sächsische Gesetz vom 4. Dezember 1837 ist demnach ebenso wie das preufsische vom 30. Juli 1886 betr. das Spiel in aufserpreufsischen Lotterieen rechtsunwirksam. Für diese Ansicht spricht auch, teilweise wenigstens, BGB. §. 665, nach welchem der Lotterievertrag (im ganzen Reich) rechtsverbindlich ist, wenn, die Lotterie staatlich (wenn auoh nur im Einzelstaat) genehmigt war. Übereinstimmend 0 1178. Abweichend die gemeine Meinung (z. B. Bg I 323 Note 17) und die feste Rechtsprechung von OT. und R; neuerdings auch D e l i u s Das preufsische Gesetz betr. das Spiel in aufserpreufsischen Lotterieen 1889.
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§. 146.
Die öffentliche Ausspielung (Lotterie).
zu einem bestimmten Teile auf einen andern übertragen wordeD ist (sog. K o m p a n i e g e s c h ä f t ) . Die Ausspielung ist eine ö f f e n t l i c h e , wenn die Beteiligung einem nicht geschlossenen Personenkreise zugänglich ist. V o r s a t z ist erforderlich; er mufs das Bewufstsein mit umfassen, dafs ohne Erlaubnis der zuständigen Obrigkeit eine öffentliche Ausspielung veranstaltet werde. Der Beweggrund des Thäters ist gleichgültig; auch Ausspielungen zu wohlthätigen Zwecken sind strafbar. Die Ausspielung ist in dem Augenblicke v o l l e n d e t , in welchem dem Publikum die Beteiligung möglich ist; Vornahme der Ziehung oder Absatz auch nur eines einzigen Loses ist begrifflich gleichgültig. S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei J a h r e n oder Geldstrafe bis 2U dreitausend Mark.
I I I . Als eine Verbindung des Darlehnsvertrages mit eineiu Spielvertrage erscheint die Ausgabe von Prämienpapieren, die entweder auf Namen oder auf den Inhaber gestellt sein können. Besonders diese letztern eignen sich infolge ihrer grossen Umlaufsfähigkeit zur Durchführung finanzieller Unternehmungen sowie zur Anregung und Befriedigung der Spiellust des Publikums. Eben darum empfiehlt sich eine genaue Überwachung der Ausgabe wie des Vertriebes von Prämienanleihepapieren auf den Inhaber sowohl aus finanzpolitischen wie aus polizeilichen Gesichtspunkten. Diesen Standpunkt hat auch die Reichsgesetzgebung eingenommen. Das Gesetz vom 8. J u n i 1871, betreffend die I n h a b e r p a p i e r e m i t P r ä m i e n , verbietet in §. 6 : 1. Das i n n e r h a l b d e s D e u t s c h e n R e i c h s erfolgende A u s g e b e n von auf den Inhaber lautenden Schuldverschreibungen, in welchen allen Gläubigern oder einem Teile derselben aufBer der Zahlung der verschriebenen Geldsumme eine P r ä m i e dergestalt zugesichert wird, dafs durch Auslosung oder durch eine andre auf den Zufall gestellte A r t der Ermittelung die zu prämiierenden Schuldverschreibungen u n d die Höhe der ihnen zufallenden P r ä m i e bestimmt werden sollen, wenn das Ausgeben nicht a u f G r u n d e i n e s R e i c h s g e s e t z e s u n d z u m Z w e c k e d e r A n l e i h e e i n e s B u n d e s s t a a t e s o d e r d e s R e i c h e s erfolgt. S t r a f e : Geldstrafe, welche dem fünften Teile des Nennwertes der den Gegenstand der Zuwiderhandlung bildenden Papiere gleichkommt, mindestens aber dreihundert Mark betragen soll. 2. Das W e i t e r b e g e b e n solcher Papiere, welche a) i m l n l a n d e nach Verkündigung des Gesetzes vom 8. J u n i 1871, oder b) im A u s -
§. 147. Gefahrdung durch Konterbande.
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l a n d e nach dem 30. April 1871 auagegeben worden sind. Gleichgestellt ist der Fall, wenn solche Papiere an den Börsen oder an andern zum Verkehr mit Wertpapieren bestimmten Versammlungsorten zum Gegenstande eines Geschäfts oder einer Geschäftsvermittelang gemacht werden. S t r a f e : wie zu 1. 3. Das W e i t e r b e g e b e n von solchen Papieren, die im Auslande vor dem 1. Mai 1871 ausgegeben und nicht abgestempelt sind. Die dem Falle unter 2 gleichgestellten Geschäfte werden auch hier ebenso behandelt wie das Weitergeben selbst. Die Strafbarkeit beginnt mit dem 14. Juli 1871. S t r a f e : wie zu 1. 4. Die ö f f e n t l i c h e A n k ü n d i g u n g . A u s b i e t u n g , E m p f e h l u n g von den unter 2 und 3 angeführten Papieren sowie die N o t i e r u n g derselben zum Zwecke der Feststellung eines Kurswertes. S t r a f e : Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten.
§. 147. Litteratnr.
c) Gefährdung durch Konterbande. H I I 396. Die Lehrbücher des Völkerrechts.
Ein ganz eigentümliches Vergehen enthält der §. 297 StGB., welcher dem preufsischen StGB. §. 278, mittelbar dem preufsischen Seerecht Art. 31 Kap: 4 entnommen ist. Er bedroht den Reisenden oder Schiffsmann, welcher ohne Vorwissen des Schiffers, ingleichen den Schiffer, welcher ohne Vorwissen des Rheders Gegenstände an Bord nimmt, welche das Schiff oder die Ladung gefährden, indem sie die Beschlagnahme oder Einziehung des Schiffes oder der Ladung veranlassen können (Zoll- oder Kriegskonterbande). Die Strafdrohung bezieht sich nur auf Seeschiffe. Der V o r s a t z mufs das Bewufstsein der Gefahrdung umfassen. Die V o l l e n d u n g tritt mit der Anbordnahme ein. S t r a f e : Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren.
§. 148.
5. Die Sachhehlerei (Partiererei).
Litteratnr. Villnow Raub und Erpressung, Begünstigung und Hehlerei 1876. G r e t e n e r Begünstigung und Hehlerei in historisch dogmatischer Darstellung 1879. Merkel HH I I I 736, IV 419. W a l d h a u s e n GA XXIX 375. H II 869, 887. I. Erst das s p ä t r ö m i s c h e Recht hat, wenn wir von der auf das triplum gehenden actio furti concepti abseben, die Sachhehlerei, das
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§. 14& Die Sachhehlerei (Partiererei).
crimen recept&toram, welche als das „pessimum genas hominam, sine quibus nemo latere diu potest" bezeichnet werden, als selbständiges Vergehen mit Strafe bedroht (D. 47, 16) und darunter sowohl das Hehlen der durch Diebstahl oder Raub erlangten Sachen als auch das Verbergen des Verbrechers verstanden. Das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r stellt den Hehler dem Stehler gleich, ohne ein selbständiges Verbrechen der Sachhehlerei zu kennen. Infolgedessen schweigt denn auch die PGO. in ihrem strafrechtlichen Teile über die Hehlerei, führt aber in A r t 40 unter den Verdachtsgründen gegen jene, „so Räubern oder Dieben helfen", auch den Fall an, dafs „einer wissentlich und gefährlicherweise von geraubtem oder gestohlenem Oute Beute oder Teil nimmt". Im g e m e i n e n R e c h t nnd der auf diesem beruhenden L a n d e s g e s e t z g e b u n g wird zumeist (anders z. B. Preufsen 1630, welches den Ankauf gestohlener Sachen als selbständiges Vergehen behandelt) die Sachhehlerei mit der Begünstigung zusammen als Fall der Teilnehmung an dem begangenen Vermögensvergehen aufgefafst (so auch im ALR.). Die Strafgesetzbücher des 19. Jahrhunderts sind bemüht, einerseits die Begünstigung von der Partiererei zu trennen, anderseits beiden Verbrechen die ihnen zukommende Stellung im Systeme des besondern Teiles anzuweisen. Diese Bemühungen, welche von der stets (insbesondre in Bezug auf die Auffassung der Begünstigung) schwankenden Wissenschaft nor ungenügend unterstützt wurden, haben bisher nicht zum Ziele geführt. Auch das RStGB. hat in durchaus ungerechtfertigter Abweichung von dem preufsischem StGB, nicht nur Begünstigung und Sachhehlerei in einem und demselben Abschnitte zusammengefafst, sondern auch durch Aufstellung des ganz mifslungenen Zwitterbegriffes der (einfachen) Hehlerei (StGB. §. 368) beide Vergehungen in eine unnatürlich nahe innere Verbindung gebracht. Im Gegensatz dazu mufs als Grundgedanke sowohl der Gesetzgebung als auch der Wissenschaft festgehalten werden: dafs Begünstigung als Verbrechen gegen die R e c h t s p f l e g e (unten §. 181) und Sachhehlerei als Verbrechen gegen das V e r m ö g e n an durchaus verschiedenen Stellen des Systems ihren Platz einzunehmen haben.
II. Nach §. 259 besteht die Sachhehlerei darin, dafs der Thäter seines Vorteils wegen Sachen, von denen er weifs oder den Umständen nach annehmen mufs, dafs sie mittels einer strafbaren Handlung erlangt sind, verheimlicht, ankauft, zum Pfände nimmt oder sonst an sich bringt oder zu deren Absätze bei andern mitwirkt. Demnach erscheint die Sachhehlerei als A u f r e c h t e r h a l t u n g , in den meisten Fällen sogar als Vertiefung und Sicherung e i n e r r e c h t s w i d r i g e n Vermögensl a g e ; sie tritt zu einer bereits erfolgten Vermögensbeschädigung hinzu, setzt diese begrifflich voraus, bringt aber den dem
§. 148. Die Sachhehlerei (Partiererei).
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Berechtigten entzogenen Vermögensgegenstand in noch weitre Entfernung von seiner Verfügungsgewalt. 1. Ihr G e g e n s t a n d sind Sachen, welche mittels einer strafbaren Handlung erlangt sind. Also Sachen (nicht Rechte), gleichgültig ob bewegliche oder nicht, ob fremde oder nicht; Hehlerei ist möglich in Bezug auf das Wild, welches in das Eigentum des Wilddiebes übergegangen ist, oder auf die Sache, welche der Eigentümer dem Rückhaltungsberechtigten entzogen hat. Ferner nur jene S a c h e n s e l b s t , welche unmittelbar durch die betreffende strafbare Handlung erlangt wurden; nicht aber andre an deren Stelle getretene Sachen, oder der aus denselben gewonnene Erlös. Die Sachen müssen mittels einer s t r a f b a r e n Handlung, gleichgültig ob diese als Verbrechen, Vergehen oder Ubertretung sich darstellt, erlangt sein. Die strafbare Handlung kann Eigentumsverletzung oder irgend ein andres Vermögensvergehen, braucht aber überhaupt nicht gegen das Vermögen gerichtet zu sein; auch solche Sachen, welche durch Fälschung, Meineid, Mord, Ehebruch usw. erlangt wurden, sind taugliche Gegenstände der Sachhehlerei. Die strafbare Handlung mufs das M i t t e l gewesen sein, durch welches die Sachen erlangt wurden; sie mufs daher als vollendete Handlung der Sachhehlerei vorangegangen sein, den Sachen den ihnen anhaftenden Makel bereits eingeprägt haben. Ist die Sache durch ein Antragsvergehen erlangt worden, so haben wir die Bedeutung des Antrages als einer ProzefsvorauBsetzung im Auge zu behalten (oben §. 44). Wenn auch der Antrag nicht gestellt oder wenn er zurückgenommen wurde, so liegt doch eine strafbare, wenn auch nicht verfolgbare, Handlung vor; die durch dieselbe erlangten Sachen können mithin Gegenstand der Sachhehlerei sein. War die Handlung von einem Schuldunfahigen begangen, so kann, weil sie eine „strafbare" nicht ist, nicht Hehlerei, wohl aber gegebenenfalls Unterschlagung angenommen werden.1) ') Das gilt auch von dem StrafuDmündigen (vgl. aber oben §. 36 Note 3). Ebenso Bg Normen I I 672, H e r b s t GA XXVIII 120, G I I 77, H 759 Dagegen 0 1059, auch E 6. Juni 82 VI 336, 17. Dezember 88 XVIII 298.
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§. 148.
Die Sachhehlerei (Partiererei).
Dagegen wird der Begriff der Hehlerei durch das Vorliegen eines persönlichen Strafausschliefsungsgrundes (z. B . Diebstahl zwischen Ehegatten, oben §. 76 I V ) nicht berührt. Im Urteile genügt die Feststellung, dafs die Sachen d u r c h e i n e s t r a f b a r e H a n d l u n g erlangt wurden: genauere Bezeichnung derselben ist nicht erforderlich. Die Sachen erscheinen nicht als m i t t e l s einer strafbaren Handlung erlangt, wenn die Handlung, durch welche sie erlangt wurden, zwar a n s i c h , nicht aber in B e z u g a u f die E r l a n g u n g von Sachen durch dieselbe strafbar ist. Dies gilt vom Betteln, der gewerbsmäfsigen Unzucht, der Schmuggelei, von der Jagdausübung durch den Jagdberechtigten während der Schonzeit usw. Zu dem gleichen Ergebnisse fuhrt auch die Erwägung, dai's das Wesen der Sachhehlerei in der Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Vermögenslage besteht, von einer solchen aber hier nicht gesprochen werden kann. 2. Die H a n d l u n g besteht darin, dafs der Hehler die Sache mehr noch als dies bisher der Fall gewesen der Verfügungsgewalt des Berechtigten entzieht, ihm die Wiedererlangung dieser Gewalt erschwert oder unmöglich macht. Das Gesetz zählt die einzelnen unter diesen Begriff fallenden Handlungen in §. 259 ausschliefsend auf. E s nennt: a das „ V e r h e i m l i c h e n " , durch welches dem Berechtigten die Auffindung erschwert oder unmöglich gemacht wird; b das ,, A n s i c h b r i n g e n " durch Ankauf, in Pfand nehmen oder auf eine andre Art, durch welche der Hehler die Verfügungsgewalt vom Thäter übertragen erhält; c das „ M i t w i r k e n zum A b s a t z " (d. h. zur wirtschaftlichen Veräufserung durch Verkauf. Tausch, Verpfändung usw.), mag derselbe auch nicht erfolgt sein. Zu bemerken wäre, dafs als ,.Ansichbringen" auch das s i n n l i c h e G e n i e f s e n (Essen, Trinken) der erlangten Sachen aufgefafst werden mufs, vorausgesetzt, dafs der Geniefsende die thatsächliche Verfügungsgewalt über die Sache erlangt hatte. 3. Die Sachhehlerei mufs um d e s e i g n e n (nicht notwendig rechtswidrigen) V o r t e i l s des Hehlers willen vorgenommen sein. V e r m ö g e n s v o r t e i l wird nicht gefordert (oben §. 109 Note 3). W a r die Absicht dagegen auf Begünstigung
§. 148. Die Sachhehlerei (Partiererei).
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des Thäters gerichtet, so kann Sachhehlerei nicht angenommen werden. 4. Die Sachhehlerei kann vorsätzlich oder fahrlässig begangen werden: a) Der V o r s a t z besteht in dem Bewufstsein von der verursachenden Bedeutung des Thuns; der Thäter mufs wissen, nicht nur dafs er Sachen verheimlicht, verkauft usw., sondern auch dais diese Sachen durch eine strafbare Handlung erlangt sind. Kenntnis dieser Handlung nach Art und Umständen kann dagegen nicht gefordert werden. b) Auch die f a h r l ä s s i g e Sachhehlerei ist strafbar. Aber nicht jede, auch nicht nur die grobe Fahrlässigkeit fällt unter das Gesetz; sondern nur ein ganz bestimmter Fall des fahrlässigen Verhaltens: „wenn d e r T h ä t e r d e n U m s t ä n d e n n a c h a n n e h m e n m u f s , dafs die Sache durch eine strafbare Handlung erlangt ist". Straflos bliebe z. B. derjenige, der nicht weifs, dafs er zum A b s ä t z e der (wie ihm bekannt) gestohlenen Sache m i t w i r k t , obwohl er bei einiger Aufmerksamkeit dies hätte bemerken können.2) 5. Die Sachhehlerei ist v o l l e n d e t , sobald eine der im Gesetze angeführten Thätigkeiten gesetzt ist, sobald die Sache e i n e n weitern Schritt aus dem Machtbereiche des Berechtigten gemacht hat. Die folgenden Kreuz- und Querläufe der Sache sind strafrechtlich gleichgültig. Wenn also A eine gestohlene Sache am 1. Januar in Frankreich angekauft und am 1. Juli in Deutschland weiter v e r kauft hat, so kann er nur wegen j e n e s Ankaufes, nicht wegen d i e s e s Verkaufes zur Verantwortung gezogen werden. *) Vgl. oben §. 41 V. Diese achon in der ersten Auflage vertretene Ansicht findet jetzt eine gewichtige Unterstützung in BOB. §. 146: „Im Sinne des Gesetzes ist . . . unter Kennenmüssen oder Wissenmüssen ein auf Fahrlässigkeit beruhendes Michtkennen oder Nichtwissen zu verstehen." Ebenso M 761. Die herrschende Ansicht sieht in den fraglichen Worten eine R e g e l f ü r den N a c h w e i s d e s V o r s a t z e s ; so R 29. September 82 VII 85, Bg Normen II 620, H II 893, L 30, O 1068, G r e t e n e r 182, V i l l n o w 102, L u c a s subjektive Verschuldung 115, B r u c k Fahrlässigkeit 47, B u r c k h a r d t (oben g. 37 Note 1) 138 Note 3. Unbestimmten Vorsatz verlangen S 461 Note i4, v. S c h w a r z e GS XXIV 394. W a l d t h a u s e n GA XXIX 408. Grobe Fahrlässigkeit, Culpa lata ist erforderlich nach M e r k e l HH IV 430 und R 28. April 80 II 140. Jede Fahrlässigkeit soll genügen nach v: Buri GS XXIX 51, G I 118, Ml 327.
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§. 148. Die Sacbheblerei (Partiererei).
6. Bezüglich der T h ä t e r s c h a f t und der T e i l n a h m e gelten die allgemeinen Grundsätze. Doch ist nach dem oben §. 53 V Gesagten strafbare Teilnahme des an dem Vordelikte Beteiligten an der Sachhehlerei auch hier als ausgeschlossen zu betrachten.8) III. D i e A r t e n d e r S a c h h e h l e r e i . 1. Die e i n f a c h e Sachhehlerei (StGB. §. 259). S t r a f e : Gefängnis. 2. Die g e w e r b a - o d e r g e w o h n h e i t s m ä f s i g e (oben §.56 111) Sachhehlerei (StGB. §. 260). S t r a f e : Zuchthaas bis zu zehn Jahren. 3. S a c h h e h l e r e i i m z w e i t e n R ü c k f a l l e (StGB. §. 261). Strafe: a) Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Jahre, wenn sich die letzte Handlung auf einen schweren Diebstahl (StGB. §. 243), einen Raub, oder ein dem Raube gleich zu bestrafendes Verbrechen (räuberischen Diebstahl, räuberische Erpressung) bezieht; doch mufs der Sachhehler wissen, dafs das Vordelikt diese Eigenschaft an sich trägt; b) in allen andern Fällen Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten. In Bezug auf die V o r s t r a f e n stehen Partiererei und Hehlerei einander gleich. Vgl. im übrigen oben §. 58 I. In allen Fällen (1—3) kann neben der wegen Hehlerei erkannten Gefängnisstrafe auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und neben jeder Verurteilung wegen Hehlerei auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB. §. 262). 4. Eine der Sachhehlerei verwandte Übertretung bedroht (StGB. §. 370 Ziff. 3: Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder Haft trifft denjenigen, der von einem zum Dienststande gehörenden Unteroffizier oder Gemeinen des Heeres oder der Marine ohne schriftliche Erlaubnis des vorgesetzten Kommandeurs llontierungn- oder Armaturstücke kauft oder zum Pfände nimmt.. ') Dagegen die gem. Meinung, z. B. 0 1070, während dieselbe Frage bei der Begünstigung lebhaft bestritten ist. Vgl. unten §. 181.
§. 149. Die gemeingefährlichen Verbrechen. Allgemeines.
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Fünfter Abschnitt.
Sie durch das Mittel des Angriffs gekennzeichneten Vergehungen.
1. Die gemeingefährlichen Verbrechen des Reichsstrafgesetzbuchs. §. 149.
Allgemeines.
Litteratur. S c h a p e r HH III 869, H II 698. S i e b e n h a a r Z IV 246. R o t e r i n g GÄ XXXI 266. Die za §§. 27, 28 angeführten Schriften über den Begriff der Gefahr.
I. Das Reichsstrafgesetzbuch hat nach dem Vorbilde des sächsischen StGB, von 1838 im 27. Abschnitte des II. Teils eine gröfsere Anzahl von strafbaren Handlungen unter der Bezeichnung „gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen" zusammengestellt. Diese Handlungen weisen im allgemeinen dasselbe kennzeichnende Merkmal auf: die Gemeingefahrlichkeit; aber nähere Betrachtung zeigt uns, dafa einerseits die einzelnen hierher gehörigen Vergehungen jenem Merkmale gegenüber in wesentlich verschiedener Weise sich verhalten, dafs anderseits dasselbe Merkmal auch bei andern, in diesen Abschnitt nicht aufgenommenen Verbrechen wiederkehrt; dafs also die Bezeichnung „gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen" nur bei unbedingtem Festhalten an der Sprechweise des G e s e t z e s einen festbegrenzten Inhalt umschliefst. Es empfiehlt sich demnach aus praktischen Gründen, die genannte Bezeichnung auf die im 27. Abschnitte des StGB, aufgeführten Fälle zu beschränken, anderseits aber auch auf alle diese Fälle zu erstrecken. II. Nach dem Gesagten ist eine einheitliche Auffassung aller hierher gehörenden Verbrechen unmöglich. Wohl aber werden wir von den vorbildlichen Fällen ausgehend die Eigenart der Gruppe zu bestimmen berechtigt sein. Als typische Fälle aber stellen sich uns Brandstiftung und Überschwemmung
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§• 149- DIA gemeingefährlichen Verbrechen.
Allgemeines.
dar. Sie kennzeichnen sich als E n t f e s s e l u n g j e n e r N a t u r k r ä f t e , welchen sonst im Dienste der Menschheit und ihrer Zwecke eine hervorragende Rolle zukommt, zur Verwirklichung gesellschafts- und menschheitsfeindlicher Bestrebungen (oben S. 311). Wer die Naturkraft aus ihren Fesseln entläfst, der kann ihr die Grenzen ihrer Ausbreitung nicht vorzeichnen, die Folgen nicht abwägen, welche seine Handlung mit sich bringt: die entfesselte Naturkraft spottet seiner Macht wie seiner Vorhersieht. In diesem Unbegrenzbaren und Unabsehbaren wurzelt der Begriff der G e m e i n g e f a h r , welcher den 27. Abschnitt des RStGB. zusammenhält. Daraus erklärt sich auch die geschichtliche Thatsache, dafs der Umfang und Inhalt dieser Gruppe mit den Erfindungen und Entdeckungen wechselt und sich mehrt. I I I . Der Begriff der Gemeingefahr erfordert im einzelnen: 1. G e f ä h r d u n g , in dem oben §. 27 Note 5 entwickelten Sinne. 2. Gefährdung von L e i b oder L e b e n einerseits, des V e r m ö g e n s anderseits; nicht aber der übrigen Rechtsgüter des Einzelnen oder der Gesamtheit. Es entspricht dem gewöhnlichen Sprachgebrauche der Gesetzgebung nicht, auch z. B. die Prefs-Vergehen als gemeingefährliche zu bezeichnen, obwohl diese Bezeichnung logisch wie juristisch durchaus zutreffend wäre. 3. G e m e in gefahrdung, d. i. Herbeiführung eines Zustandes, in welchem nicht blofs e i n einzelner bestimmter Träger der genannten Rechtsgüter oder m e h r e r e , nach Zahl und Individualität bestimmte Träger derselben, sondern ein n i c h t individuell bestimmter und begrenzter Personenk r e i s als gefährdet erscheint. Gemeingefahr für Leib und Leben mufs daher auch dann angenommen werden, wenn feststeht, dafs die Verletzung nur einem einzigen Menschen oder nur einer beschränkten Z a h l von Menschen droht, diese Personen aber nicht i n d i v i d u e l l bestimmt sind. Soweit es sich um Gemeingefahr für fremdes E i g e n t u m handelt, bedarf die Begriffsbestimmung einer Umgestaltung; Gemeingefahr bedeutet in diesem Falle Gefahr für einen n i c h t i n d i v i d u e l l b e -
§. 160. Brandstiftung und Überschwemmung.
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s t i m m t e n u n d b e g r e n z t e n K r e i s v o n S a c h e n , mögen dieselben auch einem und demselben Eigentümer gehören. Das genannte Merkmal wird nun aber vom Gesetzgeber in doppelter "Weise zur Bildung der einzelnen Verbrechensbegriffe verwertet. a) Bei manchen Verbrechen ist die r e g e l m ä f s i g e , wenn auch im einzelnen Falle n i c h t vorliegende, Eigenart der Handlung für die Strafdrohung des Gesetzgebers mafsgebend; dann ist die Gemeingefáhrlichkeit nicht Begriffsmerkmal. Beispiel: Die Brandstiftung. b) In andern Fällen hat der Gesetzgeber die Gemeingefáhrlichkeit, wie bei der Überschwemmung, zum B e g r i f f s m e r k m a l erhoben, und 6omit ihr Vorliegen im e i n z e l n e n F a l l e zur unerläfslichen Voraussetzung für die Möglichkeit der Verurteilung, bez. Bestrafung gemacht. Bei der Handhabung der einzelnen Verbrechensbegriffe ist diese verschiedne Verwertung des Merkmals der Gemeingefährlichkeit wohl ins Auge zu fassen.
§. 150.
I. Brandstiftung und Überschwemmung.
L i t t e r a t n r . W ä c h t e r de crimine incendii 1833. O s e n b r ü j r g e n Die Brandstiftung 1864. U l l m a n n OS XXX 689. W a n j e k GS X X X I 1. H II 606. G a u t i e r Étude sur le crime d'incendie 1881. P a p e Versuch und Vollendung bei der Brandstiftung. Haitische Diss. 1889. — Über das römische Recht G ü n t h e r Wiedervergeltung 127. — Vgl. auch v. S p e f s h a r d t Versicherungsbetrug 1885. I. G e s c h i c h t e . Die B r a n d s t i f t u n g ist weitaus das älteste aller gemeingefährlichen Vergehen. Schon die X I I Tafeln erklärten (1. 9 D. 47, 9): Qui aedes acervumve frumenti juxta domum positum combusserit, vinctus verberatus igni necari jubetur. Dennoch ist es zweifelhaft, ob wir mit Bezug auf das r ö m i s c h e R e c h t von einem selbständigen Verbrechen der Brandlegung sprechen dürfen. Die Lex Cornelia de sicariis stellte die mörderische Brandlegung unter die Tötungsfalle (oben §. 83 S. 314), und auch die Kaiserzeit ist über diese Auffassung wohl kaum hinausgekommen, obwohl sie (1. 28 §. 12 D. 48, 19) die Erregung eines Brandes innerhalb der Stadt, das Anzünden einer casa oder villa hervorhebt und die messium per dolum incensores vinearum olivarumque mit aufserordentlicher Strafe belegte und auch der fahrlässigen Brandstiftung, in gewissem Sinne wenigstens (oben §. 37 Note 1), ihre Aufmerksamkeit schenkte.
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150.
Brandstiftung und Überschwemmung.
Das d e u t s c h e H e c h t , welches von jeher die Brandstiftung als selbständiges Verbrechen aufgefafst hatte, unterschied zwischen der heimlichen, diebischen Brandlegung, dem M o r d b r a n d , und dem offenen (gewaltsamen) W a l t b r a n d . Noch der Sachsenspiegel verfügte (II 13, 4 und 6): „Mordbrenner soll man radebrechen; wer den Mann brennt ohne Mordbrand, dem soll man das Haupt abschlagen", während die oberdeutschen Quellen zumeist den Feuertod verhängen. Die PGO. begnügte sich (Art. 126) mit der kurzen Erklärung: „Die boshaften überwundenen Brenner sollen mit dem Feuer vom Leben zum Tod gerichtet werden". Das g e m e i n e R e c h t nahm trotz Carpzovs Widerspruch (ihm folgt u. a. Österreich 1768) die Unterscheidung von Mordbrand und einfacher Brandstiftung, wenn auch mit schwankender Abgrenzung wieder auf (so Hamburg 1603, Preufsen 1620, Österreich 1666), betonte aber mehr und mehr den Gesichtspunkt der gemeinen Gefahr (Engau, Koch, Böhmer: contra securitatem publicam, ignis periculosa). Auch die n e u e s t e G e s e t z g e b u n g weist bedenkliche Schwankungen auf, die sich insbesondre in der Verwertung des Begriffs der Gemeingefährlichkeit äufsern.
II. D e r B e g r i f f d e r B r a n d s t i f t u n g . Brandstiftung — vom Gesetzgeber nicht weiter bestimmt — ist d i e g ä n z l i c h e o d e r t e i l w e i s e Z e r s t ö r u n g e i n e s G e g e n s t a n d e s d u r c h V e r b r e n n e n , also durch die von der entfesselten Naturkraft des Feuers hervorgerufene Hitze. Sie unterscheidet sich durch ihre Gemeingefährlichkeit von der S a c h b e s c h ä d i g u n g . Aber nicht jede im einzelnen Falle gemeingefährliche Sachbeschädigung durch Brandlegung ist Brandstiftung im Sinne des Gesetzgebers; dieser hat vielmehr die Fälle der gemeingefährlichen Brandstiftung ausschliefsend aufgezählt. und damit die Untersuchung nach dem Vorliegen jenes Merkmales im Einzelfalle ein für allemal abgeschnitten. Die Bratfdstiftung ist v o l l e n d e t , sobald nicht nur der Zündstoff in Brand gesetzt, sondern das Feuer a u s g e b r o c h e n ist, d. h. sobald sich das Feuer über den Zündstoff hinaus in einer solchen Weise mitgeteilt hat, dafs ein selbständiges Weiterbrennen desselben auch nach Entfernung des Zündstoffes als möglich erscheint. Dafs eine ,.Flamme" entstanden, ist nicht erforderlich; auch Weiterkohlen, Weiterglimmen usw. genügt. Die t h ä t i g e R e u e (oben §. 76 III) ist als Strafaufhebungsgrund anerkannt (StGB. §. 310; anders noch Preufsen 1851). Sie liegt vor, wenn der Thäter den Brand wieder gelöscht hat, bevor derselbe entdeckt und ein weitrer als der durch die blofse
§. 160. Brandstiflnng nnd Überschwemmung.
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Inbrandsetzung bewirkte Schaden entstanden ist. Dafs e i g n e Thätigkeit des Schuldigen erforderlich sei, ergiebt "Wortlaut wie Zweck der Bestimmung. Dagegen sind die Mittel gleichgültig, deren sich der Brandstifter zur Löschung bedient; insbesondre schliefst das Herbeiholen fremder Hilfe die Anwendung des §. 310 nicht aus. Da es sich um einen Strafaufhebungsgrund handelt, kommt dessen Wirkung jedem Beteiligten — Thäter, Anstifter oder Gehilfen — zu gute, in dessen Person er vorliegt (oben §. 76 I). HI. Die A r t e n der Brandstiftung. 1. V o r s ä t z l i c h e B r a n d s t i f t u n g mit (abstrakter) Gemeingefahr für das L e b e n . E i n f a c h e r F a l l (StGB. §. 306). Er liegt vor, wenn in Brand gesetzt wird: a) Ein zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmtes Gebäude (oben §. 128 S. 445); b) ein Gebäude, ein Schiff oder eine Hütte, welche, mögen sie auch nicht dazu bestimmt sein, zur Wohnung (oben §. 119 Note 2) von Menschen dienen, wenn auch im Augenblicke der That keine Menschen sich darin befanden; c) eine Räumlichkeit, welche zeitweise zum Aufenthalte YOÜ Menschen dient, ,und zwar zu einer Zeit, während welcher Menschen in derselben sich aufzuhalten pflegen, wenn auch thatsächlich im Augenblicke der That keine Menschen sich darin befanden. Der Vorsatz des Thäters mufs die in Ziff. 1 bis 3 hervorgehobenen Merkmale mit umfassen. S t r a f e : Zuchthaus.
S c h w e r e r F a l l (StGB. §. 307). E r liegt vor: a) Wenn der Brand den Tod eines Menschen dadurch verursacht hat, dafs dieser zur Zeit der That in einer der in Brand gesetzten Räumlichkeiten sich befand.1) Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Thäters in Beziehung auf den eingetretenen Erfolg ist nicht erforderlich. ') Die dem Thäter bekannte A n w e s e n h e i t in der Ränmlichkeit zur Zeit der That mufs die Ursache des eingetretenen Todes gewesen sein. Dies ist z. B. der Fall, wenn einer der Anwesenden durch einen Sprung aus dem Fenster, durch Schrecken usw. ums Leben kommt; nicht aber, wenn jemand bei Löschungs-, Kettlings- oder Bergungsversuchen,
tos Liait, Strafrecht. 4. Aufl.
33
514
§• IM.
Brandstiftung und Überschwemmung.
b) "Wenn die Brandstiftung in der Absicht (gleich Beweggrund) begangen worden ist, um unter Begünstigung derselben Mord oder Raub (also StGB. §§. 249 bis 251, nicht 252 oder 255) zu begehen oder einen Aufruhr zu erregen. c) Wenn der Brandstifter, um das Löschen des Feuers zu verhindern oder zu erschweren, Löschgerätschaften entfernt oder unbrauchbar gemacht hat. Nicht hierher gehört das Trunkenmachen der Löschmannschaft. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche* Zuchthaus. V e r s u c h ist auch im Falle unter a möglich, wenn der Tod durch die unvollendete oder fehlgeschlagene Handlung in der vom Gesetze geforderten Weise verursacht wurde.
2. V o r s ä t z l i c h e Brandstiftung mit (abstrakter) Gemeingefahr für E i g e n t u m o d e r L e b e n (StGB. §. 308); wenn Gebäude, Schiffe, Hütten, Bergwerke, Magazine, Warenvorräte, welche auf dazu bestimmten öffentlichen Plätzen lagern, Vorräte von landwirtschaftlichen Erzeugnissen oder von Bauoder Brennmaterialien, Früchte auf dem Felde, Waldungen, oder Torfmoore2) in Brand gesetzt werden, und diese Gegenstände entweder a) fremdes Eigentum sind (sog. „unmittelbare Brandstiftung"), so dafs nicht nur bei Einwilligung- des Eigentümers, sondern auch bei Inbrandsetzen von herrenlosen Sachen, z. B . von verlassenen Gebäuden, Straflosigkeit angenommen werden mufs; oder b) zwar dem Brandstifter eigentümlich gehören, jedoch ihrer Beschaffenheit und Lage nach geeignet sind, das Feuer einer der im §. 306 Nr. 1 bis 3 bezeichneten Räumlichkeiten oder einem der vorstehend bezeichneten fremden Gegenstände mitzuteilen (sog. „mittelbare Brandstiftung"). S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. die ihn nach der That in die .Räumlichkeit geführt oder zurückgeführt haben, den Tod findet. s ) S c h i f f e und H ü t t e n dürfen nach Wert und Gröfse nicht ganz unbedeutend sein. Der Begriff des V o r r a t s erfordert einerseits eine gewisse Erheblichkeit, anderseits die Bestimmung zu künftiger Verwendung. Zur W a l d u n g gehört nicht nur der Holzbestand, sondern auch die B e deckung des Waldbodens, wie Strauchwerk, Moos, Laub usw.
§. 160. Brandstiftung and Überschwemmung.
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3. F a h r l ä s s i g e Brandstiftung ( S t G B . §. 309), strafbar nur, wenn in der in den §§. 306 und 3 0 8 bezeichneten A r t herbeigeführt. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre, oder Geldstrafe bis za neunhundert Mark; wenn durch den Brand der Tod eines Menschen verursacht worden, Gefängnis von einem Monate bis zu drei Jahren. Neben Zuchthaus kann in allen Fällen der Brandstiftung auf Zalässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB. §. 326). 4. D e r Brandstiftung ist gleichgestellt ( S t G B . §. 311) die gänzliche oder teilweise Zerstörung einer Sache durch den Gebrauch von P u l v e r o d e r a n d e r n explodierenden S t o f f e n . D o c h findet §. 310 S t G B , hier keine Anwendung.*) IV. D i e Ü b e r s c h w e m m u n g . Während der Codeztitel De Nili aggeribus rumpendis (9, 38), sowie verschiedene örtliche Deichordnungen im deutschen Mittelalter besondre Bestimmungen über die Herbeiführung von Überschwemmungen enthalten, fehlen solche der PGO. sowie dem g e m e i n e n .Reoht. Nur vereinzelt (so Kurpfalz 1662) wird die Überschwemmung in den Landesgesetzen als selbständiges Verbrechen behandelt. Erst die neaere Gesetzgebung (schon ALR. 1671) stellt sie, von dem Gesichtspunkte der Gemeingefahr ausgehend, neben die Entfesselung der Naturkraft des Feuers. Überschwemmung ist — eine gesetzliche Begriffsbestimmung fehlt auch hier — d i e E n t f e s s e l u n g d e r N a t u r k r a f t d e s W a s s e r s . E s genügt demnach nicht jedes Überströmen oder Überrieseln usw., sondern es mufs zum Begriffe der Überschwemmung gefordert werden, dafs der Thäter die Beherrschung der von ihm wachgerufenen Naturkraft nicht mehr in seiner H a n d hat. D a s R S t G B . hat demgemäfs das Merkmal der Gemeingefahr in den Begriff der Überschwemmung aufgenommen. Daher mufs das Verschulden des Thäters (Vorsatz wie Fahrlässigkeit) auch dieses Merkmal umfassen. 4 ) Arten: 1. V o r s ä t z l i c h e Überschwemmung. a) Mit Gemeingefahr (im einzelnen Fall) für M e n s c h e n l e b e n (StGB. §. 312). S t r a f e : Zuchthaus nicht unter drei Jahren; wenn durch *) Vgl. unten §. 157 (Sprengstoffgesetz). Zahlreiche Strafdrohungen gegen feuergefährliche Handlungen enthält der 29. Abschnitt des StGB. ¡So §§. 367 Ziff. 4 - 6 , 368 Ziff. 3—8, 369 Ziff. 3. «) Übereinstimmend Bg Normen I I 580, H I I 638, M 913; abweichend O 1276, der aber das Unbefriedigende seiner Auffassung selbst zugiebt. 33*
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§• 151.
Vergehen gegen Eisenbahnen und Telegraphen.
die Überschwemmung der Tod eines Menschen verursacht worden, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Der Versuch des schwerern Falles ist unter den bekannten Voraussetzungen (oben §. 45 Note 7) möglich. b) Mit Gemeingefahr (im einzelnen Falle) für das E i g e n t u m (StGB. §. 313). S t r a f e : Zuchthaus; wenn die Absicht des Thäters (im engern technischen Sinn) nur auf Schutz seines Eigentums gerichtet gewesen, Gefängnis nicht unter einem Jahre.') 2. F a h r l ä s s i g e (StGB. §. 314) Überschwemmung mit Gemeingefahr (im einzelnen Fall) für Leben oder Eigentum. S t r a f e : Gefängni« bis zu einem J a h r e ; wenn durch die Überschwemmung der Tod eine« Menschen verursacht worden, Gefängnis von einem Monate bis zu drei Jahren. Neben Zuchthaus kann auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB. §. 325).
§.151.
2. Strafbare Handlungen gegen den Eisenbahn- und Telegraphenbetrieb.
L i t t e r a t u r . Zu I : M ü l l e r Das Verbrechen gegen die materielle Integrität der Eisenbahnen 1846. M e v e s GS X X V I 167, 242. H II 641. Auch H i 18e Schutzbedürfnis der Pferdebahnen 21. — Zu I I : D a m b a c h GS X X I I I 241. D e r s e l b e Das Telegraphenstrafrecht 1872. F i s c h e r Post- und Telegraphengesetzgebung 3. Aufl. 1886.
I. G e f ä h r d u n g v o n E i s e n b a h n t r a n s p o r t e n . Mit der Entwicklung des Eisenbahnwesens hat der strafrechtliche Schutz des Bahnbetriebes im Allgemeinen gleichen Schritt gehalten. Der Begriff der E i s e n b a h n ist in dem oben §. 128 Note 3 entwickelten Sinne zu nehmen. Ob die Eisenbahn öffentlichen oder privaten Zwecken (in Fabriken, Bergwerken usw.) dient, ist hier gleichgültig. Ebenso, ob sie bereits dem öffentlichen Betriebe übergeben worden. T r a n s p o r t bedeutet den Betrieb auf der Bahn überhaupt, nicht den einzelnen, aus Zug- und Transportmitteln mit den zu befördernden Personen und Gütern bestehenden Eisenbahnzug. Bahnbetrieb aber liegt nur vor, wenn er in der dem Begriff der Eisenbahnen entsprechenden Weise, also durch tote Naturkräfte (auch Verschieben der Wagen unter Benutzung der Bodenflächen-lJnterschiede) und auf festem Gleise vorgenommen wird. Beförderung ') Die Handlung bleibt Verbrechen.
Dagegen M 44, O 1277.
§. 151. Vergehen gegen Eisenbahnen und Telegraphen.
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durch Pferde oder durch Menschenkraft (Kurbelwagen) gehört mithin nicht hierher. Das RStGB. bedroht — von einem Ausnahmsfall abgesehen — die Gefahrdung des Eisenbahntransportes nur dann, wenn sie begangen wird entweder a) durch B e s c h ä d i g u n g von Eisenbahnanlagen, Beförderungsmitteln oder sonstigem Zubehör, oder b) durch B e r e i t u n g v o n Hindernissen auf der Fahrbahn mittels falscher Zeichen oder Signale oder auf andre Weise. Zur Vollendung ist im Einzelfalle thatsächliche Gefährdung des Transportes erforderlich, nicht aber die — damit allerdings wohl immer gegebene — Gemeingefährdung von Leben oder Vermögen. In betreff der Rechtswidrigkeit gelten die allgemeinen Grundsätze. Notstand, Erfüllung der Amtspflicht usw. schlieft die Rechtswidrigkeit aus. Bewufstsein derselben ist hier sowenig wie sonst erforderlich. Daa RStGB. unterscheidet in der Bestrafung: 1. Die v o r s ä t z l i c h verursachte Gefahrdung (§. 315). S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren; bei Verursachung einer schweren Körperverletzung (StGB. §. 294) Zuchthaus nicht unter fiinf Jahren; bei Verursachung des Todes nicht unter zehn Jahren oder lebenslänglich. Polizeiaufsicht kann erkannt werden (§. 325). Für den V e r s u c h gelten die allgemeinen Grundsätze. Der V o r s a t z mufs nicht nur die Beschädigung der Anlagen usw., sondern auch die Gefährdung des Transportes mit umfassen. 2. Die f a h r l ä s s i g verursachte Gefährdung (§.316). S t r a f e : Gefängnis bis zu einem J a h r e ; bei Verursachung des Todes Gefängnis von einem Monate bis zu drei Jahren. Die Fahrlässigkeit mufs sich auf die Gefährdung des Transportes beziehen, während die verursachende Handlung (Beschädigung der Anlagen usw.) vorsätzlich oder fahrlässig erfolgen kann. Die unter 2 bezeichnete Strafe trifft die zur Leitung der Eisenbahnfahrten nnd zur Aufsicht über Bahn und Beförderungsbetrieb a n g e s t e l l t e n P e r s o n e n , wenn sie durch V e r n a c h l ä s s i g u n g d e r i h n e n o b l i e g e n d e n P f l i c h t e n einen Transport in Gefahr setzen. Verursachung der Gefährdung durch Beschädigung der Anlagen usw. ist also nicht erforderlich. In betreff der Fahrlässigkeit gilt das oben Gesagte: sie mufs sich auf die Gefährdung des Transportes beziehen, während die Pflichtvernachlässigung eine vorsätzliche oder fahrlässige sein kann. 1 ) ') Anders die gem. Meinung, welche von jedem Verschulden absehen will, da-, wie bei jedem Unterlassungsverbrechen, der polizeiliche Gesichts-
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§• 151- Vergehen gegen Eisenbahnen and Telegraphen.
II. V e r h i n d e r u n g o d e r S t ö r u n g d e r B e n u t z u n g e i n e r zu ö f f e n t l i c h e n Z w e c k e n d i e n e n d e n T e l e g r a p h e n anstalt. A l s T e l e g r a p h e n a n s t a l t e n sind nicht blofs elektrische, sondern auch optische, überhaupt alle diejenigen Anstalten zu •erstehen, welche die von ihnen beförderte Mitteilung nicht in ursprünglicher Gestalt, sondern in einer R e p r o d u k t i o n überliefern. Die R o h r p o s t gehört demnach nicht hierher, wohl aber die F e r n s p r e c h a n s t a l t e n , bei welchen ebenfalls eine Umsetzung und Wiedererzeugung der Schallwellen stattfindet. 2 ) Ob die Anstalten öffentliche oder private sind, ist gleichgültig: doch müssen sie öffentlichen Zwecken dienen, nicht blofs dem innern Dienst bestimmt sein. Die H a n d l u n g ist im Gesetze nicht näher angegeben, wird sich aber meist als eine Sachbeschädigung darstellen; Abschneiden der Leitungsdrähte, Umbrechen der Stangen usw. gehört ebenso hierher wie eine Verhinderung der Beamten an der Erfüllung ihrer Dienstpflicht. Sie ist vollendet, erst wenn die Benutzung thatsächlich verhindert oder gestört worden ist; Gefahrdung der Benutzung genügt nicht. 3 ) G e m e i n g e f ä h r d u n g im Einzelfalle ist begrifflich nicht erforderlich, wird aber wolil immer gegeben sein, wenn die Benutzung der Telegraphenanstalt verhindert oder gestört ist. In der B e s t r a f u n g unterscheidet das Gesetz: 1. Die v o r s ä t z l i c h e Begehung (StGB. §. 317). S t r a f e : Gefängnis von einem l&onate bis zu drei Jahren. Der Vorsatz mufs die Verhinderung oder Störung der Benutzung mit umfassen. 2. Die f a h r l ä s s i g e Begehung (§. 318>. S t r a f e : Gefängnis bis zu punkt den Ausschlag gebe. So auch O 1287, (vgl. aber oben §. 37 Note 4) P i n g e r Begriff der Gefahr 48 Note 1, R 18. Mai 85 XII 203. Wieder andre, wie H II 648, rechnen nur fahrlässige Pflichtverletzung hierher. Richtig G II 116. ») Ubereinstimmend B 827, G II 116, H II 660, M 917, 0 1289, S c h e f f l e r GS XXXVI 481 (Z V 400), M e i l i Das Telephonrecht 1885 (Z V 401). D e r s e l b e Das Hecht der Verkehrs- und Trausportanstalten 1888 S. 130, insbesondre aber R 28. Februar 89 XIX 55. Auch die Begründung des italienischen StGBs. Dagegen F u l d GS XXXVI 202 (Z IV 341), B a r a z e t t i Zeitschrift für vergl. Rechtswissenschaft VI 473. — Vgl. das belgisohe Gesetz vom 11. Juni 1883 (Z V 641), das italien. Dekret vom 21. „Februar 1884, das französische Gesetz vom 28. Juli 1885. *) Über die Beschädigung unterseeischer Telegraphenleitungen vgl. oben §. 19 Note 6. Eine Erweiterung des Thatbestandes der §§. 317, 318 StGB, im Sinne jenes Vertrages hat der Entwurf von 1889 vorgeschlagen.
§. 162. Strafbare Handlangen in Besag aaf Wasserbraten u w .
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einem Jahre oder Geldstrafe bis zu neunhundert Hark. Die Fahrlässigkeit mufs Verhinderung oder Störang mit umfassen, während die Verunachungs-Handlung selbst yorsätzlich oder fahrlässig begangen sein kann. Die zu 2 bezeichnete Strafe trifft die zur Beaufsichtigung und Bedienung der Telegraphenanstalten und ihrer Zubehörungen a n g e s t e l l t e n Personen, wenn sie durch Pflichtvernachlässigung die Benutzung der Anstalt verhindern oder stören. Auch hier ist die für den entsprechenden Fall bei der Gefährdung eines Eisenbahntransportes gegebene Regel zur Anwendung zu bringen. III. Für beide Fälle — I und I I — droht das Gesetz eine eigentümliche Nebenstrafe an. Es können nämlich die wegen einer der angeführten Handlungen verurteilten Angestellten zugleich für u n f ä h i g zu einer Beschäftigung im Eisenbahn- oder Telegraphendienste oder in bestimmten Zweigen dieser Dienste erklärt werden (StGB. §. 319). Die V o r s t e h e r der Eisenbahngesellschaft4) oder einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanstalt, welche nicht sofort naoh Mitteilung des rechtskräftigen Erkenntnisses die Entfernung des Verurteilten bewirken, werden mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft (StGB. §. 320). Vorsatz ist nicht erforderlich, Fahrlässigkeit genügt. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher fiir unfähig zum Eisenbahn- oder Telegraphendienste erklärt worden ist, wenn er sich nachher bei einer Eisenbahn- oder Telegraphenanstalt wieder anstellen läfst; sowie diejenigen, welche ihn wieder angestellt haben, obgleich ihnen die erfolgte Unfähigkeitserklärung bekannt war.')
§. 152.
3. Strafbare Handlungen in Bezug auf Wasserbauten; Gefährdung der Schiffahrt usw.
I. Z e r s t ö r u n g oder B e s c h ä d i g u n g von Wasserleitungen, Schleusen, Wehren, Deichen, Dämmen oder andern W a s s e r b a u t e n ; von (wenn auch nicht öffentlichen) Brücken, Fähren, Wegen, Schutzwehren; von Bergwerksvorrichtungen zur Wasserhaltung, Wetterführung, zum Ein- und Ausfahren der Arbeiter; S t ö r u n g d e s F a h r w a s s e r s (nicht nur der ungehinderten Fahrt) in schiffbaren Strömen, Flüssen oder ') Zwischen Privatgesellschaften und Staatsbahnen besteht in dieser Beziehung kein Unterschied. So die gem. Meinung. Dagegen O 1293. *) Damit ist auch der Fall getroffen, wenn jemand, der „in einem bestimmten Zweige dieser Dienste" für unfähig erklärt wurde, in dem betreffenden Dienste nachher wieder angestellt wird. So die gem. Meinung. Dagegen 0 1293.
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§• IBS. Strafbare Handlangen in Bezug auf Wasserbauten usw.
Kanälen: w e n n dadurch G e f a h r f ü r L e b e n o d e r G e s u n d h e i t a n d r e r herbeigeführt wurde (mithin Gemeingefahr im Einzelfalle 1 ) erforderlich); Gefährdung des Vermögens genügt nicht. 1. V o r s ä t z l i c h begangen (StGB. §. 321). S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten; bei Verursachung einer schweren Körperverletzung (StGB. §. 224), Zuchthaus bis zu fünf Jahren; bei Verursachung des Todes, Zuchthaus nicht unter fünf Jahren. Neben Zuchthaus Polizeiaufsicht nach Ermessen (§. 325). Der Vorsatz mufs auch die Herbeiführung der Gefahr umfassen.') Der schwerere Erfolg ist dagegen lediglich objektive Bedingung der Strafbarkeit. 2. F a h r l ä s s i g begangen (§. 326). S t r a f e : Bei Verursachung eines Schadens, Gefängnis bis zu einem Jahre; bei Verursachung des Todes, Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren. Die Fahrlässigkeit mufs, wie oben der Vorsatz, auch die Herbeiführung der Gefahr in sich schliefsen. Verursachung eines Schadens, d. h. Entwicklung der Gefahr zur Verletzung „an Leben oder Gesundheit andrer" *) ist objektive Bedingung der Strafbarkeit. IT. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n a n S c h i f f a h r t s z e i c h e n , genauer an z u r S i c h e r u n g d e r S c h i f f a h r t b e s t i m m t e n F e u e r z e i c h e n o d e r a n d e r n zu d i e s e m Z w e c k e a u f gestellten, d. h. angebrachten (auch schwimmenden) Z e i c h e n ; und zwar Zerstören, W e g s c h a f f e n , Unbrauchbarmachen, Auslöschen, dienstpflichtwidriges N i c h t - A u f s t e l l e n ; A u f stellen eines falschen Zeichens, welches geeignet ist, die Schifffahrt (See- oder Flufsschiffahrt) unsicher zu machen; insbesondre nächtliches Anzünden von F e u e r auf der Strandhöhe, welches die Schiffahrt zu gefährden geeignet ist (abstrakte Gemeingefährdung genügt). 1. V o r s ä t z l i c h begangen (StGB. §. 322) S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren; bei Verursachung der Strandung eines Schiffes, Zuchthaus nicht unter fünf Jahren; bei Verursachung des Todes eines Menschen, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Polizeiaufsicht nach Ermessen (§. 325). ') Ebenso H I I 653, S i e b e n h a a r Z IV 286. Dagegen mit der gem. Meinung G I I 117, O 1296, der aber Gefährdung m e h r e r e r Personen verlangt. *) Übereinstimmend H I I 653, M 903; dagegen O 1296. ») Sehr bestritten. R 17. April 83 V I I I 218 rechnet auch Schaden an Eigentum hierher. Ebenso auch G I I 118, H I I 655, O 1296. Dagegen spricht die Fassung des §. 321 und das allgemeine Verhältnis zwischen Gefährdung und Verletzung. Richtig M 903.
§. 163. Strafbare Handl. in Bezug auf ansteckende Krankheiten.
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2. F a h r l ä s s i g begangen (§. 326). Begriff und Strafe wie oben zu I, 2.
m . B e w i r k u n g des S t r a n d e n s oder S i n k e n s e i n e s S c h i f f e s , wenn dadurch Gefahr für das Leben eines andern herbeigeführt wird (konkrete Gemeingefährdung 4 ) erforderlich).
1. V o r s ä t z l i c h begangen (StGB. §. 323). S t r a f e : Zuchthaus nicht unter fünf Jahren; bei Verursachung des Todes eines Menschen, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Polizeiaufsicht nach Ermessen (§. 326). 2. F a h r l ä s s i g begangen (§. 326). Begriff und Strafe wie oben zu I, 2. Vorsatz wie Fahrlässigkeit müssen die Herbeiführung der Gefahr mit umfassen.
§. 153.
4. Strafbare Handlungen in Bezug auf ansteckende Krankheiten.
Litteratur.
F i n k e l n b u r g HR „ V o l k s s e u c h e n H II 676.
Um die vom Gesetzgeber als „gemeingefährlich" zusammengefafsten Vergehen in der Darstellung nicht auseinanderzureifaen, seien an dieser Stelle auch die §§. 327 und 328 erwähnt, obwohl dieselben teils wegen ihres unlöslichen innern Zusammenhanges mit andern Reichsgesetzen, teils wegen ihrer Eigenart als Blankettstrafgesetze, insbesondre aber weil sie b e s t i m m t e , e i n z e l n e Anordnungen im Auge haben, systematisch richtiger zu den strafbaren Handlungen gegen die Staatsverwaltung, und zwar gegen die G e s u n d h e i t s p o l i z e i gestellt würden. I. StGB. §. 327 bedroht: Die wissentliche V e r l e t z u n g der A b s p e r r u n g s - o d e r A u f s i c h t s m a f s r e g e l n o d e r E i n f u h r v e r b o t e , welche vou der zuständigen Behörde zur Verhütung des Einfiihrens oder Verbreitens e i n e r a n s t e c k e n d e n K r a n k h e i t angeordnet werden. Nur die im Gesetze genannten, nicht aber andre dem gleichen Zwecke dienende Anordnungen der Behörden gehören hierher. Dafs nicht ständige Einrichtungen, sondern nur solche 4 ) Ebenso S i e b e n h a a r Z IV 287; dagegen G II 118, H II 669, 11 918, O 1300. R o t e r i n g GA XXXI 277.
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9- 154- Vergiftung von Braunen and Gebrauchsmitteln.
Anordnungen gemeint sind, welche mit Rücksicht auf eine bestimmte bereits ausgebrochene oder drohende Krankheit erlassen werden, oder in K r a f t treten, ergiebt die Fassung des Paragraphen. 1 ) S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren; wenn infolge dieser Verletzung ein Mensch von der Krankheit ergriffen worden, Gefängnis von drei Monaten bis zu drei Jahren. I I . §. 328 bedroht die w i s s e n t l i c h e V e r l e t z u n g d e r A b s p e r r u n g s - oder A u f s i c h t s m a f s r e g e l n oder Einf u h r v e r b o t e . welche von der zuständigen Behörde zur Verhütung des Einführens oder Verbreitens v o n V i e h s e u c h e n angeordnet sind. D e r Thatbestand dieses Vergehens deckt sich vollständig mit dem des §. 327; nur sind die Viehseuchen an Stelle der Volksseuchen getreten. E s sind daher die oben aufgestellten Grundsätze auch hier zur Anwendung zu bringen. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre; wenn infolge der Verletzung Vieh von der Seuche ergriffen worden, Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren. §. 154.
5. Vergiftung von Brunnen und Gebrauchsmitteln.
Litteratur.
H II 660.
I. Die Selbständigkeit der Vergiftung von Brunnen und Weiden gegenüber der einfachen Vergiftung beruht (oben §. 92) auf der Anordnung der sächsischen Konstitutionen IV 18, welche die Strafe des Feuertodes androhen. Dieselbe Auffassung vertritt auch die gemeinrechtliche Landesgesetzgebung (so Kurpfalz 1582, Freufsen 1620). Im neuern Recht bildet das Verbrechen den unmittelbaren Ubergang zu der Fälschung von Nahrungsmitteln und verwandten Gegenständen. Doch hebt das sogenannte „Nahrungsmittelgesetz" (unten §. 158) einerseits g e w i s s e G e g e n s t ä n d e , welche der Nahrung, dem Genüsse oder Gebrauche dienen, besonders hervor, weil hier jede Fälschung oder Verfälschung erhöhte Gefahr in sich schliefst, anderseits bedroht das Nahrungsmittelgesetz, weit über §. 324 hinausgreifend, nicht blofs die Gefährdung der G e s u n d h e i t , sondern auch die Beschädigung des V e r m ö g e n s durch Herstellung und Verkauf geringwertiger Fälschungen (Surrogate). I I . D e r §. 3 2 4 S t G B , bedroht: a) die Vergiftung von Brunnen oder Wasserbehältern, die ') Übereinstimmend R 24. Januar 88 XVII 72. Dagegen G I I 118, H I I 675, M 923, O 1308.
§. 156. Nichterfüllung von Liefernngsverträgen.
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zum Gebrauche andrer (d. h. zur Wassergewinnung für den persönlichen Gebrauch von Menschen, also nicht etwa als Betriebsmittel, zur "Wäsche, Viehtränke, Fischzucht usw.) dienen; b) die Vergiftung von Gegenständen, welche zum öffentlichen Verkaufe oder Verbrauche (also ohne individuelle Bestimmung und Begrenzung der Abnehmer) bestimmt sind, oder die Beimischung von Stoffen, von welchen dem Thäter bekannt ist, dafs sie auch bei sachgemäfsem Gebrauche, die menschliche Gesundheit zu zerstören geeignet sind; c) das wissentliche Verkaufen, Feilhalten, In-VerkehrBringen solcher vergifteter oder mit gefahrlichen Stoffen vermischter Sachen mit Verschweigung dieser Eigenschaft. Übergabe an e i n e n andern gehört hierher. Abstrakte Gemeingefährdung genügt. S t r a f e d e r v o r s ä t z l i c h e n Begehung (StGB. §. 894): Zuchthaus bis za zehn Jahren; bei Verursachung des Todes Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Polizeiaufsicht nach Ermessen (§. 335). Bei f a h r l ä s s i g e r Begehung tritt die oben §. 159 I 2 angegebene Strafe ein (StGB. §. 396).
§. 155.
6. Nichterfüllung von Lieferungsverträgen.
Litteratnr. H II 681. La Ts Das Delikt gegen die Kriegsmaoht des Staates nach §. 399 StGB. 1888 (Z IX 696). Vgl. auch die oben zu §. 134 angeführten Schriften, besonders S i c k e l 174. I. Abweichend von den sonst festgehaltenen Grundsätzen (oben §. 134) hat das RStGB. in §. 399 unter gewissen Voraussetzungen den Bruch der mit einer Behörde geschlossenen Lieferungsverträge unter Strafe gestellt. Die Bestimmung entstammt dem code pénal (Art. 430 bis 433), welcher aber nur Lieferungen fur die Militärverwaltung unter seinen Schutz stellte. Preufsen (1861) schlofs sich an, indem es auch Lieferungen aus Anlafs eines Notstandes heranzog, und so ging die Strafdrohung, obwohl die meisten übrigen deutschen StGBücher sich ablehnend verhielten und auch die Wissenschaft das Vergehen bei Seite liefs, unter Gleichstellung der kaiserlichen Marine mit dem Heere, in das Reichsrecht über. Dabei wurde jedoch übersehen, dafs das Vergehen des §. 399 StGB, in seinem ersten Teile (unten I I a) nicht sowohl durch seine Gemeingefährlichkeit, als vielmehr durch seine Richtung gegen die Kriegsmacht des Staates sich kennzeichnet. Richtigere Auffassung in Ungarn, Holland sowie in dem Österreich. Entwurf.
524
§• 166. Verletzung der Regeln der Baukunst.
II. Strafbar ist nach diesem die N i c h t e r f ü l l u n g (Erfüllung nicht zur bestimmten Zeit oder nicht in der vorbedungenen Weise) von m i t e i n e r B e h ö r d e g e s c h l o s s e n e n L i e f e r u n g B v e r t r ä g e n : a) über Bedürfnisse des Heeres oder der Marine zur Zeit eines Krieges; 1 ) oder b) über Lebensmittel zur Abwendung oder Beseitigung eines Notstandes, mag dieser durch Mifsernte, Überschwemmungen, Sturmfluten oder durch andre Ursachen, z. B. Hungertyphus oder andre Volkskrankheiten. herbeigeführt sein. Mafsgebend ist weder der Zeitpunkt, in welchem die Lieferung fällig wird, noch derjenige, in welchem der Vertrag geschlossen wurde; sondern der Augenblick, in welchem die Bedürfnisse entstehen und Befriedigung erheischen. Strafe: 1. B e i v o r s ä t z l i c h e r B e g e h u n g : Gefängnis nicht unter sechs Monaten; Ehrverlust nach Ermessen. Abstrakte Gemeingefahr genügt. Der Vorsatz mufs auch die Bestimmung der Lieferungen mit umfassen. 2. B e i f a h r l ä s s i g e r B e g e h u n g , d. h. fahrlässige Nichterfüllung des Vertrages, während Kenntnis der Bestimmung der Lieferungen auch hier erforderlich ist: Gefängnis bis zu zwei Jahren. Doch ist die Strafbarkeit o b j e k t i v b e d i n g t dadurch, dafs ein „Schaden" verursacht worden, d. h. Bedürfnisse des Heeres oder der Marine nicht befriedigt, oder der Notstand nicht abgewendet oder beseitigt wurde.*) Dieselben Strafen finden auch gegen U n t e r l i e f e r a n t e n , V e r m i t t l e r u n d B e v o l l m ä c h t i g t e des L i e f e r a n t e n Anwendung, welche mit Kenntnis des Zweckes der Lieferung die Nichterfüllung vorsätzlich oder fahrlässig verursachen.
§. 156.
7. Verletzung der Regeln der Baukunst.
Von dem Preufsischen StGB, im Anschlüsse an das A L R . zu den Körperverletzungen gerechnet, wird die Herbeiführung einer Gefahr für andre durch Verletzung der allgemein anerkannten Regeln der Baukunst bei Ausführung oder Leitung eines Baues vom RStGB. unter den gemeingefährlichen Vergehen bedroht (§. 330). ') also nicht Verträge z. B. über die Beförderung der Truppen. Handlungen gegen Bundesgenossen, Handlungen im Auslände müssen straflos bleiben. s ) Übereinstimmend G I I 121, L a s s 52. Weitergehend M 925, O 1312.
§. 157. Mifsbrauch von Sprengstoffen.
525
Nach der Fassung des Gesetzes muh G e m e i n g e f a h r , and zwar für Leben und Gesundheit, im Einzelfalle gefordert werden; die Gefahr mufs ferner in dem g e g e n w ä r t i g e n Zustande des Bauwerkes begründet, darf nicht von erst künftig eintretenden Ereignissen (z. B. Weiterbau) abhängig sein. V o r s a t z ist nicht erforderlich; F a h r l ä s s i g k e i t genügt; beide müssen die Gefahr umfassen. S t r a f e : Geldstrafe bis zu neunhundert Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre.
II. Mi fsbrauch von Sprengstoffen. §.
157.
L i t t e r a t u r . H ä l s c h n e r GS X X X V I I I 1 6 1 (Z VI 659). S c h e i f f Das Dynamitgesetz vom 9. Juni 1884. 1886 (Z VII 246). O m m e l m a n n Das Dynamitgesetz und seine Folgen 1887 (Z V I I I 110). — ü b e r die ausländische Gesetzgebung vgl. Z I I I 739, IV 123, V 661 (England 14. April 1883); V 658 (Nordamerika), Z V 636, V I 282 (Österreich), belgisches Gesetz vom 15. Oktober 1881. I. Das durch das Umsichgreifen anarchistischer Unternehmungen veranlagte Gesetz vom 9. Juni 1884 g e g e n d e n v e r b r e c h e r i s c h e n u n d g e m e i n g e f ä h r l i c h e n G e b r a u c h von S p r e n g s t o f f e n hat eine Anzahl neuer Vergehungen geschaffen, welche am zweckmäfsigsten an dieser Stelle im Zusammenhange behandelt werden, obwohl sie zum Teil g e w e r b e p o l i z e i l i c h e r Natur sind (Vereitelung der staatlichen Aufsicht), zum Teil andern Verbrechensbegriffen (öffentliche Aufforderung, Nichtanzeige^ sich anschliefsen. Da Ts das M i t t e l des Angriffs das Wesen dieser Vergehungen und damit ihre Stellung im Systeme des besondern Teiles bestimmt, dürfte gerade hier in unbestreitbarer Weise hervortreten. Auf das lebhafteste mufs bedauert werden, dafs das Gesetz, infolge seiner schlechten Fassung, im wesentlichen nur die Wirkung gehabt hat, den rechtmäfsigen Verkehr mit Dynamit zu schädigen.
II. Die im Gesetze vom 9. Juni 1884 bedrohten Vergehen lassen sich in folgende Gruppen bringen: 1. D i e v o r s ä t z l i c h e H e r b e i f ü h r u n g e i n e r G e fahr für E i g e n t u m , G e s u n d h e i t oder L e b e n e i n e s a n d e r n , bewirkt durch Anwendung von Sprengstoffen (§. 5). Gefahr im Einzelfall und Bewufstsein derselben erforderlich.
526
§. 157. Mifsbrauch von Sprengstoffen.
S t r a f e : Zuchthaus. Ist durch die Handlang eine schwere Körperverletzung verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter fünf Jahren, und wenn der Tod eines Menschen verursacht worden ist, Zuchthausstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein (§. 5 Abs. 2). Ist durch die Handlung der Tod eines Menschen herbeigeführt worden und hat der Thäter einen solchen Erfolg voraussehen können, so ist auf Todesstrafe zu erkennen i§. 5 Abs. 3).')
2. Daran schliefst sich die Bedrohung verbrecherischer V e r a b r e d u n g e n sowie andrer V o r b e r e i t u n g s h a n d lungen. a) Haben mehrere die Ausführung einer oder mehrerer nach §. 5 zu ahndender strafbarer Handlungen v e r a b r e d e t oder sich zur fortgesetzten Begehung derartiger, wenn auch im einzelnen noch nicht bestimmter Handlungen v e r b u n d e n , so werden dieselben, auch ohne dafs der Entschlufs der VerÜbung des Verbrechens durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung enthalten, bestätigt worden ist, mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft (§. 6). Komplott wie Bande (oben §. 49 III) erscheinen demnach als selbständige Verbrechen. Die Ausführung der verabredeten Handlung hat mithin nach §. 5 Abs. 1 eine Herabsetzung (!) der Strafe von fünf Jahren auf ein J a h r im Mindestmafs zur Folge. b) Wer Sprengstoffe h e r s t e l l t , a n s c h a f f t , b e s t e l l t o d e r (wissentlich) in s e i n e m B e s i t z e (gleich thatsächlicher Innehabung) h a t , in d e r A b s i c h t , durch Anwendung derselben Gefahr für das Eigentum, die Gesundheit oder das Leben eines andern entweder selbst herbeizuführen oder andre Personen zur Begehung dieses Verbrechens in den Stand zu setzen, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft (§. 7 Abs. 1). Der gleichen Strafe verfällt, wer Sprengstoffe, wissend dafs dieselben zur Begehung eines in dem §. 5 vorgesehenen Verbrechens bestimmt sind, an andre Personen überläfst (§. 7 Abs. 2). c) Wer Sprengstoffe h e r s t e l l t , a n s c h a f f t , b e s t e l l t , wissentlich in s e i n e m B e s i t z e h a t o d e r an a n d r e P e r s o n e n ü b e r l ä f s t anter Umständen, welche nicht erweisen, dafs dies zu einem erlaubten ') Eine durchaus unklare Bestimmung. Wer vorhersieht, dafs seine Handlung den Tod eines Menschen zur Folge haben werde, hat eben v o r s ä t z l i c h gehandelt. Wer es nicht voraussah, aber voraussehen konnte u n d s o l l t e , hat fahrlässig gehandelt. Das Gesetz droht also, von einer ganz veralteten, vom Reichsgericht längst aufgegebenen Begriffsbestimmung von Vorsatz und Fahrlässigkeit ausgehend, einerseits die Todesstrafe für Fälle an, in welchen ihre Anwendung selbstverständlich ist, anderseits für solche Fälle, in welchen nicht einmal notwendig Fahrlässigkeit vorliegt. Auf Fahrlässigkeit beziehen die Bestimmung G I I 122, L 102. Andre verlangen grobe Fahrlässigkeit, andre unbestimmten Vorsatz. Wieder anders die Begründung des Entwurfs. Unklar H I I 633 Note 1, B B M 912.
§. 167. X i b b r u e h von Sprengstoffen.
527
Zweck geschieht, wird mit Zuchthausstrafe *) bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis nicht unter einem Jahre bestraft. Diese Bestimmung findet auf die gemäfs g. 1 Abs. 3 vom Bundesrat bezeichneten Stoffe*) keine Anwendung (§. 8).
3. V e r l e t z u n g d e r A n o r d n u n g e n zum Z w e c k e der Ü b e r w a c h u n g der H e r s t e l l u n g , des V e r t r i e b e s , d e s B e s i t z e s und der E i n f ü h r u n g von S p r e n g s t o f f e n (gewerbepolizeiliche Anordnungen). Wer der Vorschrift im ersten Abs. des §. 1 zuwider es unternimmt, o h n e p o l i z e i l i c h e E r m ä c h t i g u n g Sprengstoffe herzustellen, vom Auslande einzuführen, feilzuhalten, zu verkaufen oder sonst an andre zu überlassen, oder wer im Besitze derartiger Stoffe betroffen wird, o h n e p o l i z e i l i c h e E r l a u b n i s dazu nachweisen zu können, ist, ohne Bücksicht auf den von ihm verfolgten Zweck, mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren zu bestrafen (§. 0 Abs. 1). Gleicher Strafe verfällt, wer die Vorschriften des §. 1 Abs. 2, *) die von den Zentralbehörden in Gemäfsheit des §. 2 getroffenen Anordnungen, oder die bereits bestehenden oder noch zu erlassenden sonstigen polizeilichen Bestimmungen über den Verkehr mit Sprengstoffen, auf welche §. 1 Abs. 1 Anwendung findet,*) übertritt (§. 9 Abs. 2).
4. Ö f f e n t l i c h e A u f f o r d e r u n g (unten §. 173) zu Übertretungen des Gesetzes, sowie die A n p r e i s u n g (Glorifizierung) derselben. Wer öffentlich vor einer Menschenmenge, oder wer durch Verbreitung oder öffentlichen Anschlag oder öffentliche Ausstellung von Schriften oder andern Darstellungen, o d e r w e r in S c h r i f t e n o d e r a n d e r n D a r s t e l l u n g e n ' ) zur Begehung einer der in den §§. 5 und 6 bezeichneten strafbaren Handlungen oder zur Teilnahme an denselben auffordert, wird mit Zuchthaus bestraft (§. 10 Abs. 1). Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher auf die vorbezeichnete Weise zur Begehung der im Abs. 1 gedachten strafbaren Handlungen 2 ) Der Reichsgesetzgeber hat vergessen, dafs er sonst stets „Zuchthaus" sagt ') Sprengstoffe, welche vorzugsweise als Schiefsmittel gebraucht werden. 4 ) Führung von Verzeichnissen über die Mengen der hergestellten usw. Sprengstoffe, über die Bezugsquellen und den Verbleib derselben; Verpflichtung zur Vorlegung dieser Verzeichnisse. *) Also nicht Sprengstoffe, welche a) vorzugsweise als Schiefsmittel gebraucht, oder b) zum eignen Gebrauch durch Reichs- oder Landesbehörden von der zuständigen Verwaltung hergestellt, besessen, eingeführt oder vertrieben werden. fl ) Die durch den Druck hervorgehobenen Worte fehlen in dem Thatbestande der übrigen öffentlichen Aufforderungen unserer Reichsstrafgesetzgebung. In der That ist der Begriff der ö f f e n t l i c h e n Aufforderung damit überschritten.
528
§. 158. Die Warenfälschung.
insbesondre dadurch a n r e i z t o d e r v e r l e i t e t , dafs er dieselben anpreist oder als etwas Rühmliches darstellt (§. 10 Abs. 2).
5. N i c h t a n z e i g e (unten §. 182 IV).
Der in §. 139 RStGB. angedrohten Strafe verfällt, wer von dem Vorhaben eines im §. 5 vorgesehenen Verbrechens oder von einer in §. 6 vorgesehenen Verabredung oder von dem Thatbestande eines im §. 7 unter Strafe gestellten Verbrechens in glaubhafter "Weise Kenntnis erhält und es unterläfst, der durch das Verbrechen bedrohten Person oder der Behörde rechtzeitig Anzeige zu machen (§. 13). III. N e b e n s t r a f e n und o b j e k t i v e M a f s r e g e l n . In den Fällen der §§. 5, 6, 7, 8 und 10 kann auf Z u l ä s s i g k e i t v o n P o l i z e i a u f s i c h t erkannt werden. In den Fällen der §§. 5, 6, 7, 6 und in dem Falle einer Anwendung der Strafvorschriften des §. 9 ist auf E i n z i e h u n g der zur Zubereitung der Sprengstoffe gebrauchten und bestimmten Gegenstände, sowie der im BeBitze des Verurteilten vorgefundenen Vorräte von Sprengstoffen zu erkennen, o h n e U n t e r s c h i e d , ob dieselben dem Verurteilten gehören oder nicht (§. 11). IV. Endlich dehnt das Gesetz die Bestimmungen in §. 4 Abs. 2 Nr. 1 StGB., nach welchen die von einem Deutschen oder von einem Ausländer im A u s l a n d e begangenen strafbaren Handlungen ausnahmsweise nach inländischem Recht verfolgt und bestraft werden können, auf die in §§. 5, 6, 7, 8 und 10 des Sprengstoffgesetzes vorgesehenen Verbrechen aus (§. 12).
III.
Die
W a r e n f ä l s c l m n ac' . §.
158.
L i t t e r a t u r . Die Vorarbeiten zu dem Gesetz in GA XXVII. — Kommentierte Ausgaben von M e y e r und F i n k e l n b u r g 2. Aufl. 1886. B a e r 1879 (in Bezolds Gesetzgebung), Z i n n , 2. Aufl. 1885 (Z V 757). — F i n k e l n b u r g WV I I 30, 152. L ö b n e r Die Gesetzgebung des alten und neuen Deutschen Reichs wider Verfälschung der Nahrungsmittel 1878. S c h w a r z e XXXI 81. H I I 665. — Geschichtliches bei E l b e n Zur Lehre von der Warenfalschung 1881. Vgl. auch J o l l y in Schönbergs Handbuch der polit. Ökonomie I I I 815. — Zu IV, V und VI die Ausgabe von H a a s 1887 mit Materialien (Z V I I I 110). I. Die Strafbarkeit der Warenfälschung, welche heute auf dem Gesetze vom 14. Mai 1879 (abgeändert 29. Juni 1887) betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genufsmitteln, Gebrauchsmitteln beruht, bildet
§. 168. Die Warenfälschung.
529
die Brüoke von den gemeingefährlichen Verbrechen zu den Fälschungen. Mit j e n e n teilt es die R i c h t u n g gegen Leib nnd Leben sowohl wie gegen das Vermögen einerseits und die Heranziehung von Naturkräften anderseits, die freilich nicht mit imponierender Gewalt, aber dafür um so sicherer das Werk der Zerstörung vollenden; mit diesen die eigenartige H a n d l u n g , das Fälschen und Verfälschen, die mifsbräochliche Herstellung oder Veränderung gewisser im Verkehr anerkannter Formen. Wenn es demnach auch eine systematisch berechtigte Gruppe der Fälschungsvergehen gebe, so würde doch die Warenfälschong — wenigstens die der Reichsgesetzgebung — eine besondre Stellang innerhalb derselben beanspruchen dürfen. II. Die Warenfälschung spielt schon im deutschen Mittelalter ihre Rolle. Die Stadtrechte enthalten vielfache Strafdrohungen gegen die Fälschung von Gold- und Silberwaren, von Tuch und Seide, von Speisen und Getränken. Selbst die Todesstrafe findet sich (Z X 242). Auch die Polizeiordnungen im Reich wie in den Einzelstaaten beschäftigten sich mit verwandten Vergehen. Art. 113 der PGO. bedroht mit peinlicher, gegebnenfalls mit der Todesstrafe denjenigen, welcher „böslicher und gefährlicher Weise Mafs, Wage, Gewicht, S p e z e r e i oder a n d r e K a u f m a n n s c h a f t fälscht und die für gerecht gebraucht und ausgiebt". Auch das g e m e i n e R e c h t hat die Warenfälschung, besonders die adulteratio vini, als „benannten Fall" des falsum hervorgehoben und unter Umständen sogar mit der Todesstrafe, meist dem Strang als der Strafe des Diebstahls, bedroht. Österreich 1707 hebt einzelne Fälle bei der Vergiftung hervor. Noch ALR. 723 verhängt ein- bis dreijährige Freiheitsstrafe gegen denjenigen, welcher Lebensmittel auf eine der Gesundheit nachteilige Weise verfälscht, während (ALR. 1442) die Fälschung von Waren sowie von Mafs und Gewicht als erschwerter „Betrug des Publici" behandelt wird. Der deutschen Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts fehlte das Verständnis für die praktische Bedeutung des Vergehens, und es bedurfte erst der Anregung von auswärts, insbesondre von England und Frankreich, um dasselbe wieder in das deutsche Strafrecht einzuführen. III. D a s Reichsgesetz vom 14. Mai 1879, welches sich vielfach an das englische Gesetz von 1875 anschließt, bezieht sich (§. 1) auf den Verkehr mit N a h r u u g s - u n d G e n u f s m i t t e l n , sowie mit S p i e l w a r e n , T a p e t e n , F a r b e n , E f s - , T r i n k - u n d K o c h g e s c h i r r u n d P e t r o l e u m , und enthält Bestimmungen von verschiedener grundsätzlicher Bedeutung, welche hier nur der Übersichtlichkeit wegen im Zusammenhange dargestellt werden sollen. A. Zunächst ist — und hier handelt es sich um gesundheits- und gewerbe-polizeiliche Mafsregeln — der Verkehr Ton Li«zt, Strafrecht. 4. Aufl. 34
530
§. 168. Die Warenfalschung.
mit den genannten Gegenständen 'der s t a a t l i c h e n s i c h t i g u n g unterstellt (§§. 1—4).
Beauf-
Widerstand gegen dieselbe (Verweigerung des Eintrittes in die Geechäftsräumlichkeiten, der Entnahme von Proben, der Revision gegenüber den zuständigen Polizeibeamten) unterliegt (§. 9) einer Geldstrafe von fünfzig bis hundertfünfzig Mark oder der Strafe der Haft. Überdies ist dem Kaiser (mit Zustimmung des Bundesrates) ein weitgehendes V e r o r d n u n g s r e c h t z u m S c h u t z e d e r G e s u n d h e i t eingeräumt (§§. 5 bis 7), kraft dessen Herstellung, Aufbewahrung, Verpackung, Verkauf, Verwendung gewisser Gegenstände verboten werden kann. Übertretung dieser Verordnung wird mit Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft (§. 8).
B. Die weiter folgenden Bestimmungen bezwecken den Schutz des V e r m ö g e n s gegen Beeinträchtigung durch Fälschungen. Wir haben zu unterscheiden: 1. Die N a c h m a c h u n g o d e r V e r f ä l s c h u n g von Nahrungs- oder Genufsmitteln zum Zwecke der Täuschung im Handel und Verkehr. Dabei bedeutet „ N a c h m a c h u n g " die Herstellung von (nicht als solchen bezeichneten) Ersatzmitteln oder Surrogaten: „ V e r f ä l s c h u n g " (anders als bei Münz- und Urkundenfälschung, wo es sich um Beglaubigungsmittel oder Wertzeichen handelt) jede menschliche Handlung, durch welche der Ware der Anschein besserer, d. h. wertvollerer Beschaffenheit gegeben wird, als sie thatsächlich besitzt. 2. D a s w i s s e n t l i c h e V e r k a u f e n von v e r d o r b e n e n , n a c h g e m a c h t e n , v e r f ä l s c h t e n Nahrungs- oder Genufsmitteln unter Verschweigung dieses Umstandes, sowie das wissentliche Feilhalten derselben unter einer zur Täuschung geeigneten Bezeichnung. „ V e r d o r b e n " aber ist die Ware, wenn sie infolge einer Veränderung ihres regelgemälsen Zustandes ungeeignet geworden ist. als Nahrungs- oder Genufsmittel zu dienen; ist sie überhaupt niemals dazu geeignet gewesen (z. B. Fleisch von ungebornen Kälbern), so kann sie daher nicht als verdorben bezeichnet werden. Jede dieser Handlungen wird i§. 101 mit Gefängnis bis zu sechs Monaten u n d Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark, o d e r mit e i n e r dieser Strafen; die f a h r l ä s s i g e Begehung der unter 2 bezeichneten Handlungen aber (§. 11) mit Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft.
C. Dem
Schutze der
Gesundheit
gegen
gemein-
§. 168. Die Warenfälschung.
531
g e f ä h r l i c h e Fälschungen dient endlich eine 3. Gruppe von Strafbestimmungen. — Sie umfafst: 1. Die H e r s t e l l u n g von Gegenständen, welche bestimmt sind, andern als Nahrungs- oder Genufsmittel zu dienen, in solcher Weise, dafs der bestimmungsgemäfse Genufs derselbenJ) die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist; sowie das V e r k a u f e n , F e i l h a l t e n , I n - V e r k e h r - B r i n g e n von Gegenständen, deren Genufs die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist, a l s Nahrungs- oder Genufsmittel; 2. die H e r s t e l l u n g von Bekleidungsgegenständen, Spielwaren, Tapeten, Efs-, Trink- und Kochgeschirr oder Petroleum in einer solchen Weise, dafs der bestimmungsgemäfse oder vorauszusehende Gebrauch derselben die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist; sowie das V e r k a u f e n , F e i l h a l t e n , I n - V e r k e h r - B r i n g e n solcher Gegenstände. In diesen beiden Fällen ist eine Vermögensbeschädigung des Käufers ebensowenig erforderlich, wie eine Irreführung desselben. Daher ist auch unentgeltliche Überlassung sowohl wie Verkauf usw. unter Mitteilung der gesundheitsgefährlichen Eigenschaft strafbar. Die S t r a f e ist in folgender Weise abgestuft: a) V o r s ä t z l i c h e Begehung. al E i n f a c h e r F a l l (§. 12): Gefängnis, daneben nach Ermessen Ehrverlust. Versuch strafbar. Bei Verursachung einer schweren Körperverletzung (StGB. §. 224) oder des Todes, Zuchthaus bis zu fünf Jahren. ß) S c h w e r e r Fall (§. 13), vorliegend, wenn der Genufs oder Gebrauch der genannten Gegenstände die menschliche Gesundheit zu z e r s t ö r e n geeignet, und diese Eigenschaft dem Thäter bekannt war: Zuchthaus bis zu zehn Jahren; bei Verursachung des Todes Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Polizeiaufsicht nach Ermessen. Hier lehnt sich das Gesetz vom 14. Mai 1870 sowohl in Bezug auf den Thatbestand als auch in Bezug auf die Strafe unmittelbar an §. 324 StGB. an. b) F a h r l ä s s i g e Begehung (§. 14). Geldstrafe bis zu tausend Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten; bei Verursachung eines Schadens an der Gesundheit eines Menschen, Gefängnis bis zu einem J a h r e ; bei Verursachung des Todes, Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren. E i n z i e h u n g d e r f r a g l i c h e n G e g e n s t ä n d e ist in den zur ') Der Genufs selbst, und nicht etwa blofa ihn begleitende Vorstellungen und Empfindungen; R 1. Oktober 88 X V I I I 135. 34*
532
§. 168. Die Warenfähchung.
dritten Gruppe gehörenden Fällen, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht, neben der Strafe bindend, als objektive Uafsregel nach Ermessen vorgezeichnet. In den übrigen Fällen kann neben der Strafe auf Einziehung erkannt werden (§. 15). Die ö f f e n t l i c h e B e k a n n t m a c h u n g der V e r u r t e i l u n g 2 ) auf Kosten der Schuldigen k a n n , die der F r e i s p r e c h u n g auf Kosten der Staatskasse, bej. des Anzeigers, m u f s auf Antrag der Freigesprochenen angeordnet werden (§. 16).') 1 Y . D i e Bestimmungen des Nahrungsmittelgesetzes werden ergänzt durch das Gesetz vom 25. Juni 1887, betreffend d e n V e r k e h r mit blei- und zinkhaltigen Gegenständen. D i e §§. 1 bis 3 dieses Gesetzes geben Vorschriften über die Herstellung von Efs-, Trink- und Kochgeschirr, von Flüssigkeitsmai'sen, von Druckvorrichtungen zum Ausschank von Bier, von Syplions für kohlensäurehaltige Getränke, von Metallteilen für Kindersaugflaschen, von Mundstücken für Saugflaschen, von Saugringen und Warzenhütchen, von Trinkbechern und Spielwaren. von Leitungen für Bier, Wein oder Essig, von Geschirren und Gefäfsen zur Verfertigung von Getränken und Fruchtsäften, von Konservenbüchsen, von Gefäfsen zur Aufbewahrung von Getränken, von Metallfolien zur Packung von Schnupf- und Kautabak sowie von Käse. Sie bezwecken, den gesundheitsschädlichen Einflufs von Blei und Zinn hintanzuhalten. Übertretungen des Gesetzes werden, wenn sie gewerbsmäfsig (oben §. 56 I I I 1) erfolgen, mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft (§. 4). Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher zur Verfertigung von Nahrungs- oder Genufsmitteln bestimmte Mühlsteine unter Verwendung von Blei oder bleihaltigen Stoßen an der Mahlfläche herstellt oder derartig hergestellte Mühlsteine zur Verfertigung von Nahrungsoder Genufsmitteln verwendet. Gewerbsmäfsigkeit wird hier nicht gefordert (§. 5). Neben der Strafe kann auf Einziehung der Gegenstände, welche den Vorschriften zuwider hergestellt, verkauft, feilgehalten oder verwendet sind, sowie der vorschriftswidrig hergestellten Mühlsteine er*) Hier Nebenstrafe; vgl. oben §. 59 Note 3. Auch R 3. März 84 X 206. r ') Über die Verwendung der Geldstrafen vgl. oben §. 65 III. — Die Bestimmungen des Nahrungsmitteiges, werden ergänzt durch §. 367 Ziff. 7 StGB., für dessen fortdauernde Geltung sich auch das Reichsger. ausgesprochen hat (zuletzt 18. Juni 85 XII 301). Dieser Paragraph bedroht mit ÜbertretungBstrafe denjenigen, welcher verfälschte oder verdorbene Getränke oder Efswaren, insbes. trichinenhaltiges Fleisch feilhält oder verkauft.
§. 159.
Geschichte und systematische Stellung der Gelddelikte.
kannt werden. Ist die Verfolgung oder Person nicht ausführbar, so kann auf die werden (§. 6). Nahrungsmittelgesetz §. §. 17 (oben §. 66 I I I ) finden Anwendung
533
Verurteilung einer bestimmten Einziehung selbständig erkannt 16 (oben §. 69 Note 3) sowie (§. 7).
V. Eine weitre Ergänzung bietet das Gesetz vom 5. Juli 1887, betreffend die V e r w e n d u n g g e s u n d h e i t s s c h ä d l i c h e r F a r b e n bei der H e r s t e l l u n g von Nahrungsmitteln, Genufsmitteln und Gebrauchsgegens t ä n d e n . Das Schwergewicht des Gesetzes (§§. 1 bis 11) ruht in seinen eingehenden technischen Bestimmungen, von deren Wiedergabe an dieser Stelle abgesehen werden kann.
Übertretungen des Gesetzes durch vorschriftswidriges Herstellen, Aufbewahren oder Verpacken, Verkaufen oder Feilhalten werden, u. z. teilweise nur bei gewerbsmäfsiger Begehung, mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft (§. 13). Über Einziehung gilt das oben zu I V Gesagte (§. 18).' Ebenso bezüglich der Anwendbarkeit der §§. 16 und 17 des Nahrungsmittelgesetzes.
VI. Es gehört endlich hierher das Gesetz vom 12. Juli 1887, betreffend den V e r k e h r mit E r s a t z m i t t e l n f ü r B u t t e r (Margarine). Das Gesetz verlangt im wesentlichen, dafs das Ersatzmittel als solches deutlich erkennbar gemacht werde. Zuwiderhandlungen werden mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft. Im Wiederholungsfalle ist auf Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder auf Haft oder auf Gefängnis bis zu drei Monaten zu erkennen. Diese Bestimmung findet keine Anwendung, wenn seit dem Zeitpunkte, in welchem die für die frühere Zuwiderhandlung erkannte Strafe verbüfst oder erlassen ist, drei Jahre verflossen sind. Neben der Strafe, aber auch selbständig, ist Einziehung zulässig (§. 5). §§. 16 und 17 des Nahrungmittelgesetzes finden auch hier Anwendung (§. 0).
IV. Strafbare Handlungen an Geld. §. 159. Litteratur.
Geschichte und systematische Stellung. M e r k e l HH I I I 215.
H I I 570.
I. G e s c h i c h t e . Im römischen Rechte bildete die Münzfälschung im eigentlichen Sinne des Wortes (das nummos rädere, tingere, fingere)
634
§•
Geschichte und systematische Stellung der Gelddelikte.
den einen der beiden Hauptbestandteile der lex Cornelia teatamentaria nummaria. War schon durch diese Einreihung in den dehnbaren Begriff des falsum die selbständige Entwicklung des Verbrechensbegriffes gefährdet, so wurde diese so gut wie unmöglich, als das spätre Aecht, den Gesichtspunkt des verletzten Hohheitsrechtes heranziehend, die Münzfälschung teilweise als crimen laesae majestatis auffafste (C. 9, 24). In den Quellen des deutschen Mittelalters wird die Münzfälschung meist mit dem Feuertode, der Besitz und das Ausgeben falscher Münzen mit dem Verlust der Hand bedroht (Ssp. I I 26,1). PGO. Art. 111 zerlegt die Münzvergehen in drei Fälle: 1. „wann einer betrüglicherweise eines andern Zeichen darauf schlägt"; 2. „wann einer unrecht Metall dazu setzt"; 3. „so einer der Münze ihre rechte Schwere gefährlich benimmt", — Fälle, die wir als Falschmünzerei. Münzbetrug, Kippen und Wippen unterscheiden können. Nur im schwersten Falle tritt Feuertod, im übrigen Strafe an Leib und Gut ein. Wer sein HauB wissentlich dazu leiht, hat dasselbe verwirkt. Die spätre Gesetzgebung') vermehrte, zum Teil unter dem Einflüsse verkehrter Anschauungen über Münzpolitik stehend, die herrschende Verwirrung. Ausführung oder Einschmelzung einheimischer guter, Einführung schlechter ausländischer Münze treten zu den Münzverbrechen hinzu. Die gemeinrechtliche Wissenschaft unterschied innerhalb der Münzfälschung 1. Fälle, quae in falsum, 2. solche quae in crimen laesae majestatis in specie, 3. quae in utrumque incidunt, und beschränkte die Anwendung der Todesstrafe. In der Landesgesetzgebung tritt der rein fiskalische Gesichtspunkt gegen Ausgang des 18. Jahrhunderts mehr und mehr hervor; so behandelt auch ALR. die Münzverbrechen unter den „Anmafsungen und Beeinträchtigungen der vorbehaltenen Rechte des Staates". In neuester Zeit wird der Begriff wesentlich erweitert durch Gleichstellung des P a p i e r g e l d e s sowie andrer geldvertretender Wertpapiere (Geldpapiere) mit dem gemünzten Gelde. Und gleichzeitig hemmt die Wissenschaft die richtige Auffassung, indem sie, festhaltend an dem durchaus unbrauchbaren Begriffe des falsum, den Geldverbrechen als Angriffsgegenstand das angebliche Rechtsgut der publica fides (Treu und Glauben im rechtlichen Verkehr) zuweist und danach ihre Stellung im Systeme bestimmt, obwohl das RStGB. selbst die sogenannte Münzfälschung in durchaus andern Zusammenhange behandelt als die zu den Vermögensverbrechen gestellte Urkundenfälschung. II. D i e s y s t e m a t i s c h e S t e l l u n g d e r s o g e n a n n t e n M ü n z v e r b r e c h e n . Die Münzverbrechen kennzeichnen sich dadurch, dafs sie rechtswidrige Handlungen in B e z u g auf b e s t i m m t e W e r t z e i c h e n sind. Und zwar rechnet das heute geltende Recht hierher: 1. G e l d , d. h. das vom Staate anerkannte Tauschmittel (als Wert') Vgl. Reichsmünzordnung von 1559, Münzedikt von 1759 u. a.
§. 160.
Die Arten der Geldverbrechen.
535
messer und Wertträger), und zwar Metallgeld wie Papiergeld, inländisches wie ausländisches Geld (StGB. §. 146); 2. die StGB. §. 149 angeführten g e l d v e r t r e t e n d e n W e r t z e i c h e n (Geldpapiere); nämlich auf den Inhaber 9 ) lautende Schuldverschreibungen, Banknoten, Aktien oder deren Stelle vertretende Interimssebeine oder Quittungen, sowie die zu diesen Papieren gehörenden Zins-, Gewinnanteils- oder Erneuernngsscheine, wenn dieselben von dem Reich, dem Norddeutschen Bunde, einem Bundesstaate oder einem fremden Staate oder von einer zur Ausgabe solcher Papiere berechtigten Gemeinde, Korporation, Gesellschaft oder Privatperson, ausgestellt sind. Die internationale Bedeutung der Geldzeichen hat das StGB, in §. 4 Ziff. 1 anerkannt: Münz verbrechen werden, auch wenn im Auslande, sei es von einem Aasländer, sei es von einem Inländer begangen, ohne weiteres nach einheimischen Rechte bestraft (oben §. 19 S. 108, HO). Die sogenannten Münzverbrechen (ein Ausdruck, der dem geltenden Rechte gegenüber viel zu enge ist) gehören demnach zu jener Gruppe strafbarer Handlungen, welche, durch das M i t t e l des Angriffes gekennzeichnet, gegen verschiedene Rechtsgüter sich richten. Die M ü n z h o h e i t des S t a a t e s , das Interesse des P u b l i k u m s an der Sicherheit des rechtlichen Verkehrs und ebenso die Vermögensinteressen des e i n z e l n e n Rechtsgenossen verlangen in gleich gebieterischer Weise nach strafrechtlichem Schutze der Geldzeichen. Um dieser Interessen willen, nicht aber wegen der „Integrität der Geldzeichen" an s i c h erläfst der Staat seine Strafdrohungen. Danach bestimmt sich die Stellung der strafbaren Handlungen an Geld und in B e z u g a u f dasselbe im System des besondern Teiles. s ) Diese Auffassung findet volle Bestätigung, wenn wir die vom Gesetz bedrohte H a n d l u n g ins Auge fassen. Sie kann allerdings F ä l s c h u n g sein, d. h. Mifsbrauch der Geldzeichen als s o l c h e r , in jener Bedeutung, welche ihrer anerkannten sinnlichen Erscheinung innewohnt. Aber dieser Fall der eigentlichen Münzfälschung erschöpft lange nicht den Umfang der zu den Münzverbrechen gehörenden strafbaren Handlangen, die untereinander keinen andern Zusammenhang haben, als das gemeinsame M i t t e l des Angriffes auf die Rechtsgüterwelt: die Geldzeichen.
§. 160. Die Arten der Geldverbrechen. I. Die e i g e n t l i c h e M ü n z f ä l s c h u n g (StGB. §. 146). Sie umfafat zwei Fälle, und zwar: *) Auch auf den Namen lautende Papiere werden hierher gerechnet von Ungarn, Belgien, Italien sowie dem österr. Entw. ') Dagegen die herrschende Ansicht, z. B. H I I 571 Note 9. L 134 stellt noch weiter gehend die Münzdelikte zu den Verbrechen gegen die Münzhoheit des Staates. — Über die Unhaltbarkeit des Begriffs der publica fides als eines selbständigen Rechtsgutes vgl. v. L i s z t Falsche Aussage (1877) S. 9.
536
§. 160. Die Arten der Geldverbrechen.
1. Die F a l s c h m ü n z e r e i , d. h. die rechtswidrige Herstellung von unechten Geldzeichen. Ob diese au Metallwert den echten Münzen gleichstehen oder hinter denselben zurückbleiben, ist gleichgültig. Selbstverständlich ist ein gewisser Grad von Ähnlichkeit mit dem echten Gelde erforderlich, sonst könnte nur von untauglichem Versuch der Münzfälschung oder von vollendetem Betrug gesprochen werden ; aber es genügt, dafs die Möglichkeit eines wenn auch kurzen Umlaufs gegeben ist, die Ähnlichkeit mithin hinreicht, um Täuschung im gewöhnlichen Verkehr herbeizuführen. D a „verrufenes", d. h. aufser Kurs gesetztes, Geld nicht mehr G e l d ist, so ist es rechtlich als Falschmünzerei zu betrachten, wenn verrufenem Gelde das Ansehen eines noch geltenden gegeben wird, obwohl das Gesetz diesen Fall zur Münzverfalschung gestellt hat. 2. Die M ü n z v e r f ä l s c h u n g , d. h. die Vornahme einer solchen Veränderung an den Geldzeichen, durch welche echtem Gelde der Schein höhern Wertes gegeben wird. Auch das Versilbern, Vergolden von Münzen geringen Metalls und ähnliche Fälle gehören hierher. Sowohl die Falschmünzerei als auch die Münzverfälschung erfordern begrifflich V e r b r e i t u n g s a b s i c h t auf seiten des Thäters, d. h. die Absicht (gleich Beweggrund), das nachgemachte oder verfälschte Geld als echtes zu gebrauchen oder „In-Verkehrsonst (als echtes) in Verkehr zu bringen. B r i n g e n " bedeutet die Übertragung der freien Verfügungsgewalt an einen andern. Das Geld mufs „als echtes" übertragen werden, der Empfänger also über seine Unechtheit sich im Irrtum befinden. E s genügt jedoch völlig, wenn die A b sicht des Thäters darauf gerichtet war, dieses Ziel erst durch eine oder mehrere Mittelspersonen zu erreichen. Das „Gebrauchen" erscheint nach Auffassung des Gesetzes als Unterfall des In-Verkehr-Bringens. Verbreitungsabsicht liegt demnach nicht vor, wenn die Verfügungsgewalt bei dem Thäter bleiben soll, wenn dieser also etwa zur Erlangung von Kredit, zur Verdeckung eines Kassenabgangs usw. das unechte Geld lediglich vorzeigt. 1 ) Auch das Anbieten, ohne dafs das Geldstück end») Ebenso G II 98, M 961, O 614. Dagegen R28. Mai 86 X I V 161.
g. 160. Die Arten der Geldverbrechen.
537
gültig aus der Hand gegeben wird, ist noch kein Verbreiten, sondern kann nur unter Umständen als ein Versuch desselben erscheinen. Die V o l l e n d u n g tritt jedoch nicht erst mit dem Verbreiten. sondern schon mit dem Fälschen ein. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, daneben nach E r messen Polizeiaufsicht; bei mildernden Umständen Gefängnis.
II. Der Münz b e t r u g (StGB. §. 147), d. h. das Verbreiten von gefälschten (nachgemachten oder verfälschten) Geldzeichen. V e r b r e i t e n bezeichnet auch hier jene Handlungen, durch welche das Geld, wenn auch nur in einzelnen Stücken, in den Verkehr gebracht wird. Der Münzbetrug ist unter den folgenden Voraussetzungen strafbar: 1. wenn die Fälschung von dem Verbreiter selbst, aber*) ohne Verbreitungsabsicht vorgenommen worden; 2. wenn der Verbreiter sich das gefälschte Geld in Kenntnis dieses Umstandes anderweitig verschafft hat; 3. wenn der Thäter das gefälschte Geld zum Zwecke der Verbreitung (im Inland oder Ausland) aus dem Auslande einführt. Die Vollendung tritt in den beiden ersten Fällen mit der Verbreitung, im dritten bereits mit der Einfuhr ein. Das Geld tnufs im ersten, nicht aber in den beiden andern Fällen als „echt" in den Verkehr gebracht werden. Die Strafe ist die der Münzfälschung (StGB. §. 146).
III. An den Münzbetrug reiht sich der Fall des §. 148 StGB.: wenn jemand nachgemachtes oder verfälschtes Geld als e c h t e s empfängt und nach erkannter Unechtheit als echtes in Verkehr bringt. Das „Empfangen" verlangt Übertragung von seiten eines andern, schliefst einseitiges Ansichnehmen (Stehlen, Finden usw.) aus. V o l l e n d e t mit der Verbreitung; S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu dreihundert Mark; V e r s u c h strafbar.
IV. Das sog. K i p p e n und W i p p e n , oder die M ü n z v e r r i n g e r u n g , d. h. (StGB. §. 150) das Verbreiten von echten, zum Umlaufe bestimmten Metallstücken, welche auf irgend einem mechanischen oder chemischen Wege (Beschneiden, Abfeilen usw.) in ihrem Metallwerte verringert sind. Hierher *) Das Gesetz sagt statt „aber" unrichtig: „auch".
538
§. 160. Die Arten der Geldverbrechen.
gehört auch das sogenannte Ausschälen. Die Handlung erscheint demnach als ein M ü n z verbrechen im engern Sinn; entsprechende Verringerungen an Papiergeld vorgenommen, fallen nicht unter §. 150. 3 ) Die Voraussetzungen, unter welchen das Kippen und Wippen strafbar ist, sind: 1. wenn der Thäter (Wipper) die Verringerung selbst vorgenommen hat, oder 2. wenn er die von einem andern (Kipper) verringerten Münzen gewohnheitsmäfsig (oben §. 56 I I I 3) oder 3. im Einverständnisse mit dem Verringerer als vollgültig in Verkehr bringt. S t r a f e : Gefängnis, daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark, sowie Ehrverlust. V e r s u c h strafbar.
V. Das A n s c h a f f e n o d e r A n f e r t i g e n von Stempeln, Siegeln, Stichen. Platten oder andern zur A n f e r t i g u n g v o n G e l d z e i c h e n d i e n l i c h e n F o r m e n zum Zwecke eines M ü n z v e r b r e c h en s (StGB. §. 151). Das Gesetz stellt hier gewisse V o r b e r e i t u n g s - , bez. V e r s u c h s h a n d l u n g e n als selbständige Verbrechen unter besondre Strafe; es wird daher durch die Begehung des geplanten Münzverbrechens selbst die Strafbarkeit jener Handlungen beseitigt. S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren. In allen bisher erwähnten Fällen 4 ) ist auf E i n z i e h u n g des nachgemachten oder verfälschten Geldes, sowie der unter V bezeichneten Gegenstände zu erkennen, auch wenn die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht stattfindet (StGB. §. 152). VI. Im Zusammenhange mit den eigentlichen Münzverbrechen stehen die im §. 960 Ziff. 4, 5, 6 StGB, enthaltenen Übertretungen ( S t r a f e : Geldstrafe bis zu.hundertfünfzig Mark oder Haft); nämlich a) die A n f e r t i g u n g der oben unter V genannten Gegenstände ohne schriftlichen Auftrag einer Behörde oder die V e r a b f o l g u n g derselben an einen andern als die Behörde; b) das U n t e r n e h m e n e i n e s A b d r u c k e s von diesen Gegenständen oder d e s D r u c k e s v o n F o r m u l a r e n zu derartigen Papieren ohne schriftlichen Auftrag der Behörde, oder die V e r a b f o l g u n g von Abdrücken an andre als die Behörde; c) die A n f e r t i g u n g o d e r V e r b r e i t u n g von Drucksachen oder ') Vgl. R 19. April 88 X V I I 395. Der österr. Entw. hat hier eine besondre Bestimmung. *) Dazu gehört auch die Münzverringerung des §. 150 StGB. Dagegen M 956, 0 623, W 467.
§. 161. Urkunden verbrechen.
Allgemeines.
539
Abbildungen, welche in Form oder Verzierung d e n G e l d z e i c h e n ä h n l i c h sind; sowie das Anfertigen von Formen, welche zur Erzeugung derartiger Drucksachen oder Abbildungen dienen können. Auf Einziehung der Vervielfältigungsmittel, Abdrücke, Abbildungen kann neben der Strafe erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Thäter gehören oder nicht.
VII. Es ist endlich in diesem Zusammenhange hinzuweisen auf das Gesetz vom 26. Mai 1885, betreffend den Schutz d e s zur A n f e r t i g u n g von R e i c h s k a s s e n s c h e i n e n verwendeten Papiers gegen unbefugte Nachahmung. Papier, welches dem zur Herstellung von Reichskassenscheinen verwendeten, durch äufsere Merkmale erkennbar gemachten Papier hinsichtlich dieser Merkmale gleicht oder so ähnlich ist, dafs die Verschiedenheit nur durch Anwendung besondrer Aufmerksamkeit wahrgenommen werden kann, darf ohne Erlaubnis weder a n g e f e r t i g t oder aus dem Auslande e i n g e f ü h r t , noch v e r k a u f t , f e i l g e h a l t e n oder sonst in V e r k e h r g e b r a c h t werden (§. 1). Vorsätzliche Zuwiderhandlung wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr, und wenn die Handlung zum Zweck eines Münzverbrechens begangen worden ist, mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft. Ist die Handlung aus Fahrlässigkeit begangen worden, so ist auf Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten zu erkennen (§ 2). Neben der Strafe, aber auch selbständig, ist auf Einziehung zu erkennen (§. 3).
V. Strafbare Handlungen an Urkunden. §. 161.
Allgemeines.
L i t t e r a t u r . M e r k e l H H I I I 784, IV 441. J o h n Z IV 1 und gegen ihn v. B u r i GS X X X V I 173 (Z IV 340). M o m m s e n GS XXXVI 34 (Z I V 339); gegen ihn v. B u r i GS XXXVI 310 (Z V 398). J o h n Z V I 1; und dagegen v. B u r i GS XXXIX 36 (Z VII 236). v. K r i e s Z V I 88, insb. 148. R i e d e l GS X X X V I I I 534 (Z VII 236). D e r s e l b e GS XXXIX 161 (Z V I I I 100). B o e r n e GS X L I 383. "Weism a n n Z X I 1. — H II 518. T e i c h m a n n Schweizer Zeitschrift V I I 347 (Z IX 693).
540
§• 161. Urkundenverbrechen.
Allgemeines.
I. G e s c h i c h t e u n d s y s t e m a t i s c h e S t e l l u n g . Wie die Münzfälschung, so hat auch die Urkundenfälschung ihre Wurzel in der lex Cornelia t e s t a m e n t a r i a nummaria, deren zunächst auf Testamentsfälschung beschränkte Bestimmungen durch eine Reihe von QuasifalsumsFällen wesentlich erweitert wurde. Das d e u t s c h e Recht hat der Fälschung von Siegeln und Urkunden (chartae, notitiae, Briefe, Handfesten usw.) die Stellung eines selbständigen Verbrechens eingeräumt und sie regelmäfsig mit dem Verluste der Hand oder auch mit der Strafe de« Siedens bedroht. Die PGO. bestraft in Art. 112 an Leib oder Leben diejenigen, „welche falsche Siegel, Briefe, Urbar-, Rent- oder Zinsbücher oder Register machen". Das g e m e i n e Recht hat durch die Einreihung der Urkundenfälschung unter den allgemeinen und unbestimmten Begriff der Fälschung ah der Verletzung der „öffentlichen Treue" die richtige Auffassung wesentlich erschwert. Auch das RStGB. spricht immer noch irreleitend von „Urkundenfälschung", obwohl der Inhalt des 23. Abschnittes zu dieser Uberschrift nicht pafst, und verleitet dadurch auch die Wissenschaft, an den veralteten und unzutreffenden Überlieferungen festzuhalten. Nur in dem Falle des §. 267 StGB, liegt eine „Fälschung" im eigentlichen Sinne vor. Aber auch hier tritt das F ä l s c h e n gänzlich zurück hinter dem G e b r a u c h m a c h e n , mit welchem erst die Vollendung gegeben ist. Beider F a l s c h b e u r k u n d u n g aber (StGB. §.271) ist von Fälschung ebensowenig die Rede, wie bei der V e r n i c h t u n g einer fremden Urkunde (StGB. §. 274 Ziff. 1). Das Gemeinsame der hierher gehörigen Fälle liegt vielmehr darin, dafs sie a n U r k u n d e n , also an Beweismitteln begangen werden. Wie bei den Geldverbrechen ist es das M i t t e l , und nicht die R i c h t u n g des Angriffs, wodurch sich die einheitliche Eigenart der Gruppe bestimmt. Nicht um ihrer selbst willen schützt der Gesetzgeber die Urkunde, sondern um der verschiedenartigen Rechtsgüter willen, für welche die Urkunde im Rechtsverkehr von Bedeutung werden kann. I I . D e r B e g r i f f d e r U r k u n d e wird im Gesetzbuche nicht bestimmt; die Motive setzen ihn „bereits als bekannt und feststehend" voraus. In der That ein verhängnisvoller Irrtum; jedes einzelne Merkmal des Begriffes ist ebenso bestritten, wie der Grundgedanke, auf welchem er beruht. U r k u n d e im strafrechtlichen Sinne (anders im Sinne des Prozelsrechts) ist j e d e r d e r S i n n e n w e l t a n g e h ö r i g e G e g e n s t a n d , w c l c h e r zu d e m Z w e c k e a n g e f e r t i g t ist, d u r c h s e i n e n I n h a l t (nicht nur durch sein Dasein) e i n e r e c h t s e r h e b l i c h e T h a t s a c h e zu b e w e i s e n . Urkunden sind daher nicht nur S c h r i f t s t ü c k e , sondern auch andre Gegenstände, welche durch W o r t e oder w o r t v e r t r e t e n d e
§. 161. Urkundenverbrechen. Allgemeine«.
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Z e i c h e n zur Mitteilung von Gedanken bestimmt und geeignet sind; auch Denkmäler, Kerbhölzer, Waldhammeranschläge, Marken, Siegel, Wappen usw. gehören hierher. Die Urkunde mufs a n g e f e r t i g t , errichtet, aufgenommen sein, d. h. die B e weisbestimmung durch einen mafsgebenden Willen bei der E r richtung oder auch später aufgeprägt erhalten haben. Nur solchen Beweisurkunden, nicht allen, welche im zivil- oder strafprozessualen Verfahren von Bedeutung sind, verleiht das Strafrecht seinen eigenartigen Schutz. B e w e i s b e s t i m m u n g , nicht B e w e i s f ä h i g k e i t macht das Wesen der Urkunde a u s . 1 ) D i e Urkunde mufs bestimmt sein, eine r e c h t l i c h e r h e b l i c h e T h a t s a c h e zu beweisen, d. i. eine Thatsache, welche entweder für sich allein oder in Verbindung mit andern Thatsachen die Entstehung, Aufhebung oder Veränderung von Rechtsverhältnissen bewirkt. Die Urkunden sind entweder öffentliche oder private, inländische oder ausländische. Ö f f e n t l i c h e Urkunden sind nach Z P O . §. 380 diejenigen, welche v o n e i n e r ö f f e n t l i c h e n B e h ö r d e innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von e i n e r mit ö f f e n t l i c h e m G l a u b e n versehenen P e r s o n innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind. Alle übrigen Urkunden sind private. Eifie i n l ä n d i s c h e p r i v a t e Urkunde ist diejenige, die i m I n l a n d e (wenn auch von einem Ausländer) ausgestellt worden ist; eine i n l ä n d i s c h e ö f f e n t l i c h e Urkunde dagegen diejenige, welche von einer i n l ä n d i s c h e n ö f f e n t l i c h e n B e h ö r d e (wenn auch im Auslande, z. B . von dem deutschen Konsul in London) ausgestellt worden ist. Inländischen wie ausländischen Urkunden gewährt das Gesetz den gleichen Rechtsschutz. Auch die öffentliche Urkunde mufs U r k u n d e sein, also der obigen Begriffsbestimmung entsprechen. Damit ist sie aber auch ohne weiteres unter den Schutz des Strafgesetzes gestellt; der Gesetzgeber verlangt hier schlechthin Achtung vor der ') Übereinstimmend B 579, H I I 620, O l 120, Z i e b a r t h 383; auch R 19. Dezember 87 X V I I 103, 25. Oktober 89 X X 6. Dagegen inab. Yer. Strafsenate 6. März 83 V I I I 92; ferner M o m m s e n , R i e d e l , v. K r i e g . Abweichend auch J o h n und v. B u r i .
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§• 162. Die eigentliche Urkundenfälschung.
Urkundenform. Anders bei P r i v a t u r k u n d e n . Diesf geniefsen den vollen Schutz des Gesetzes nur dann, w e n n s i e . sei es allein, sei es in Verbindung mit andern Beweismitteln, z u m B e w e i s e von R e c h t e n o d e r R e c h t s v e r h ä l t n i s s e n v o n E r h e b l i c h k e i t s i n d ; aufser der Beweisbestimmung, aufser der Rechtserheblichkeit ist B e w e i s e r h e b l i c h k e i t erforderlich. Es ist dies kein in dem Begriffe der Urkunde l i e g e n d e s , sondern ein zu den Begriffsmerkmalen h i n z u t r e t e n d e s Merkmal. Ein zur Feststellung einer Thatsache b e s t i m m t e r Gegenstand kann denhoch für den Beweis dieser Thatsache durchaus u n e r h e b l i c h seiu; die heutige Gestaltung des Prozefsverfahrens (insbesondre die freie Beweiswürdigung) kann diesen Gegensatz auf wenige Fälle einschränken, ohne ihn ganz zu beseitigen. Zu beachten ist, dafs die Beweiserh e b l i c h k e i t sich durchaus nicht gerade auf jene Thatsachen zu beziehen braucht, zu deren Beweise die Urkunde b e s t i m m t ist. Die Beweiserheblichkeit der Privaturkunde setzt aber voraus, dafs der A u s s t e l l e r derselben in der Urkunde entweder ausdrücklich genannt oder doch aus derselben, wenn auch nur in Verbindung mit andern Umständen, deutlich erkennbar sei. N a m e n s u n t e r s c h r i f t ist mithin nicht erforderlich; es genügt einerseits Stempelung, mechanische Unterzeichnung jeder Art, anderseits Nennung der Firma, Unterzeichnung durch Beisetzung eines Kreuzes, der Anfangsbuchstaben des Namens; ja es kann von jeder Unterzeichnung gänzlich abgesehen werden (Blechmarken, Waldhammeranschläge, Stempel auf Eisenbahnschienen), wenn über die Person des Ausstellers kein Zweifel besteht. Nicht notwendig ist es, dafs der Aussteller durch die Urkunde verpflichtet werde (Zeugnisse, Gutachten).
§. 162.
Die eigentliche Urkundenfälschung.
I. D i e H a n d l u n g . Nach dem RStGB. setzt sich die Urkundenfälschung aus zwei, zeitlich und räumlich möglicherweise auseinander fallenden Handlungen zusammen: dem F ä l s c h e n und dem G e b r a u c h e n
§. 188. Die eigentliche Urknndenfälschong.
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der Urkunde, wobei jedoch das Schwergewicht auf dem letzteren liegt. Damit ist das Wesen des Fälschungsdeliktes aufgegeben, der Gesichtspunkt des Betruges zum ausschlaggebenden gemacht. 1. Das F ä l s c h e n umfafst: a) D a s N a c h m a c h e n oder F ä l s c h e n im engern Sinne, d. h. die Herstellung einer unechten urkundlichen Beglaubigungsform. U n e c h t aber ist die Urkunde, wenn ihre ausdrückliche oder stillschweigende Angabe in Bezug auf den Aussteller der Urkunde unrichtig ist. Atich die Unterzeichnung des Namens eines verstorbenen oder überhaupt nicht vorhandenen Menschen ist mithin Urkundenfälschung; sie wird auch durch das Einverständnis des dritten, dessen Name unterzeichnet werden soll, nicht ausgeschlossen, soweit nicht etwa infolge des Auftrages usw. die Rechtswidrigkeit entfallt. Dagegen kann Urkundenfälschung nicht mehr angenommen werden, wenn die Unterschrift von dem angeblichen Aussteller thatsächlich herrührt, von diesem aber durch Täuschung oder Drohung erlangt wurde, oder wenn die in der Urkunde von dem angeblichen Aussteller wirklich bestätigte Thatsache unwahr ist. b) D a s V e r f ä l s c h e n einer echten Urkunde, d. h. eine derartige V e r ä n d e r u n g ihres Inhaltes, dafs ihre ursprüngliche Beweiserheblichkeit aufgehoben oder umgestaltet wird. Ob der nunmehrige Inhalt der Urkunde der thatsächlichen Wahrheit entspricht oder nicht, ist begrifflich gleichgültig. Nach dem aus dem französischen R e c h t durch Vermittelung des preufsischen S t G B , herübergenommenen §. 269 S t G B , wird der falschlichen Anfertigung einer Urkunde gleichgeachtet die B l a n k e t t a u s f ü l l u n g , d. h. der Fall, wenn jemand einem mit der Unterschrift eines andern versehenen Papiere ohne dessen Willen oder dessen Anordnungen zuwider durch Ausfüllung einen urkundlichen Inhalt oder, wie wir unzweifelhaft hinzufügen dürfen, einen a n d e r n als den verabredeten Inhalt giebt. 2. Das G e b r a u c h e n zum Zwecke der Täuschung, d. h. die Verwendung der Urkunde im rechtlichen Verkehr als eines in sinnlicher Gestalt sich darstellenden Beweismittels, mit der ausdrücklichen oder stillschweigenden Behauptung ihrer Echt-
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§• 1^2.
Die eigentliche Urkundenfälschung.
heit und Unverfälschtheit. Ob Täuschuiig gerade über jene Thatsachen. zu deren Beweis die Urkunde bestimmt ist, oder über andre Thatsachen erfolgen soll, ist gleichgültig. Ebenso, ob der Zweck, die Täuschung des andern erreicht wurde, oder nicht. Die sinnliche Vorweisung der in den Händen des Thäters befindlichen Urkunde bildet den häufigsten aber nicht den einzigen Fall des Gebrauchens; es genügt jede Veranstaltung, durch welche dem zu Täuschenden die Urkunde zu Gesicht gebracht wird, sei es, dafs sie durch eine Mittelsperson diesem vorgezeigt, sei es, dafs sie auf andre Weise (durch Hineinstecken in die Tasche, Einlegen in ein Buch, in andre Schriften, in den Schrank usw.) ihm in die Hand gespielt wird. Zur Vollendung ist sinnliche Wahrnehmung der Urkunde durch den Getäuschten erforderlich.*) Dagegen ist nicht Gebrauchen die Bezugnahme auf eine Urkunde, das Vorlesen derselben, oder die Behauptung ihrer Echtheit (wenn sie nicht gleichzeitig vorgewiesen wird), die Vorlegung einer Abschrift (falls diese nicht selbst als eine Urkunde sich darstellt). 2 ) Demnach ist die Aufgabe einer mit falschem Namen unterzeichneten Depesche nur ausnahmsweise als Urkundenfälschung zu betrachten. Denn durch die A u f g a b s depesche wird der Telegraphenbeamte nicht getäuscht, und in der A n k u n f t s depesche erhält der Adressat keine Urkunde. 8 ) Anders liegt l ) Dagegen O 1136 (Möglichkeit der Wahrnehmung genügt). Nach W e i s m a n n Z X I 76 jede Handlung, welche bestimmt und geeignet ist, den Andern zur Kenntnisnahme zu veranlassen. ») Viel weiter geht R 10. Dezember 86 X V 110 (Vorlesen genügt), 27. Juni 87 X V I 228 (Abschrift genügt). Nach W e i s m a n n Z X I 31 entscheidet lediglich die Benutzung darüber, was Urschrift was Abschrift ist. ') Die Entsch. der Ver. Senate 6. März 83 V I I I 92 nimmt, wie früher OT., allgemein Urkundenfälschung an, weil die Ankunftsdepesche eine Urkunde sei, welche der Aufgebende durch das Werkzeug des Telegraphenamtes, „also unter Benutzung von Naturkräften". selbst mittelbar angefertigt (wohl auch ausgetragen ?) habe. Ebenso M 932, 0 1139, S c h e r e r GS X X V I I I 605. J o h n I 508ff„ M e r k e l HH IV 449, G II 103, M o m m s e n GS X X V I I I 611, X X X V I 56, H II 546 u. a. Diese Ansicht verkennt das Wesen der Telegraphen, welches in der selbständigen Reproduktion der Mitteilung besteht (vgl. oben §. 151 Note 2). Im Sinne des Textes bezüglich der Ankunftsdepesche D a m b a c h GS X X V I I I 293, Bg Normen I 206 (2. Aufl.). M e v e s HH III 1006. W e i s m a n n (oben Note 2) erklärt das Ankunftstelegramm für die Originalurkunde. — Ubergabe der Aufgabsdepesche erklärt für Gebrauchmachen O r t l o f f GA X X V I I I 203 (Z I 171). Dagegen (also übereinstimmend mit dem
g. 169. Die eigentliche Urkundenfälschung.
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die Sache nur dann, wenn, was nach der Reichstelegraphenordnung vom 13. August 1880 §. 2 allerdings möglich ist. der Aufgeber zum Nachweise der Echtheit seiner Unterschrift angehalten worden ist oder dieselbe freiwillig erbracht hat. In diesem Falle liegt in der Aufgabe der Depesche ein Gebrauchmachen zum Zwecke der Täuschung.4) Dafs der zu Täuschende und der zu Beschädigende nicht dieselbe Person zu sein brauchen, dürfte keinem Zweifel unterliegen. II. D i e A b s i c h t . Fälschen sowohl wie Gebrauchen mufs erfolgen in r e c h t s w i d r i g e r A b s i c h t , d. h. es mufs beim Fälschen die Absicht (gleich Beweggrund), von der Urkunde im rechtlichen Verkehr zum Zwecke der Täuschung als Beweismittel Gebrauch zu machen, beim Gebrauchen selbst aber das Bewufstsein rechtswidrigen Gebrauches vorliegen. Schädigungs a b 8 i c h t hier also nicht erforderlich. III. D i e A r t e n . Nach StGB. §. 267 liegt Urkundenfälschung vor, wenn d e r s e l b e T h ä t e r i n rechtswidriger Absicht eine inländische oder ausländische öffentliche Urkunde oder eine solche Privaturkunde, welche zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit ist, verfälscht oder falschlich anfertigt u n d von derselben zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht. Doch wird es nach StGB. §. 270 der Urkundenfälschung gleichgeachtet, wenn jemand von einer falschen oder verfälschten Urkunde, wissend, dafs sie falsch oder verfälscht ist, zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht. Fälschen o d e r Gebrauchen begründet Thäterechaft (Mitthäterschaft). Bei mehrfachem Gebrauchen derselben falschen Urkunde liegt ebenso wie bei einmaligem Gebrauchen mehrerer gefälschter Urkunden nur e i n e strafbare Handlung vor. Text) die meisten, auch 0 1139. — Tgl. auch M e i l i Die Fälschung einer telegraphisohen Depesche 1889 (Z IX 694). H e u s l e r Archiv für die zivilistiscne Praxis L X I I 286. *) Wenn ein Telegraphenbeamter dem am Apparate sitzenden Kollegen unter falschem Namen telegraphiert, k a n n Fälschung vorliegen, falls der Apparat selbBtthätig auf dem abrollenden Papierstreifen die Zeichen druckt. Anders, wenn der Empfänger die Nachricht nicht abliest, sondern dem arbeitenden Apparate unmittelbar abhört. v o n L l i z t , Strafrecht. 4. Aufl.
35
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§. 16S. Die Falschbeurkundoiig.
IV. D i e V o l l e n d u n g der Urkundenfälschung tritt sowohl im Falle des §. 267. als auch in jenem des §. 270 erst mit dem Gebrauchen der Urkunde ein. Dagegen beginnt der V e r s u c h , welcher allerdings bei der einfachen Urkundenfälschung nicht strafbar ist, im Falle des §. 267 schon mit dem Beginne des Fälschens. 5 ) im Falle des §. 270 erst mit dem Beginne des Gebrauchens. V. Die S t r a f e besteht regelmäßig in Gefängnis (StGB. §. 267). E r h ö h t e Strafe tritt ein (StGB. §. 268), wenn die Fälschung entweder 1. in gewinnsüchtiger Absicht, d. h. in der Absicht sich oder einem andern einen (nicht notwendig rechtswidrigen) 6 ) V e r m ö g e n s v o r t e i l zu verschaffen, oder aber 2. in der Absicht (gleich Beweggrund) begangen wird, sich oder einem andern S c h a d e n (nicht notwendig V e r m ö g e n s schaden) *) zuzufügen. Die erhöhte Strafe beträgt: a) bei Fälschung von P r i v a t u r k u n d e n Zuchthaus bis zu fünf Jahren und daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark; b) bei Fälschung von o f f e n t l i c h e n Urkunden Zuchthaus bis zu zehn Jahren und daneben nach Ermessen Geldstrafe von hundertfÜDfzig bis zu sechstausend Mark. — Bei mildernden Umständen zu a) Gefängnis nicht unter einer Woche, zu b) nicht unter drei Monaten; daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. — Neben Gefängnis Ehrverlust nach Ermessen (§. 280).
§. 163.
Die Falschbeurkundung („intellektuelle Urkundenfälschung").
I. Das Wesen der Urkundenfälschung Gesteht in der Nachmachung oder Veränderung der Beglaubigungsform. Ob ' ) Sehr bestritten. Übereinstimmend B 683, G I I 104, M e r k e l H H I I I 801, I V 448, W e i s m a n n Z X I 78, R 27. Mai 87 X V I 133; dagegen H I I 553, O 1147, S 487, B a u m g a r t e n Versuch 413, C o h n Versuch 640, K ö h l e r Studien 18, R 2. Oktober 82 V I I 54, 17. Dezember 85 X I I I 213. •) Also anders als beim Betrug. Übereinstimmend R wiederholt, zuletzt 16. Oktober 84 X I 165, M e v e s H H I I I 994, F u c h s GA X I X 425, G I I 103, O 1145. Dagegen Bg I 464 Note 24, H I I 551, M 937. S i m o n s o n Vorteil 29, M e r k e l H H I I I 799. Nach der im Text vertretener Ansicht genügt also die Absicht, den Schuldner zur Erfüllung seiner Verpflichtung zu veranlassen. Im übrigen ist das oben §. 140 I I 3 Gesagte zu vergleichen. ') So die meisten, insbes. B 584, G I I 103, M 937, W 468. Richtig auch R 5.12. März 83 V I I I 188. Auch Schädigung der Ehre, Freiheitsberaubung usw. würde mithin als genügend betrachtet werden müssen (nicht aber die Vereitelung eines Vergnügens, eines Balles, einer Gesellschaft). Gegen den Text H I I 552. O 1146, S 488 Note 15, M e r k e l H H I I I 800.
§. 168. Die Falschbeurkiindang.
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der durch Nachmachung oder Veränderung hergestellte I n h a l t der Urkunde mit der Wahrheit übereinstimmt oder nicht, igt begrifflich gleichgültig. Es kann daher trotz Übereinstimmung Urkundenfälschung vorliegen ; so z. B . wenn der Schuldner, welcher die Forderung des Gläubigers befriedigt, aber von diesem keine Quittung erhalten hat, sich eine solche anfertigt. Und es kann trotz Nichtübereinstimmung die Annahme einer Urkundenfälschung ausgeschlossen sein; so z. B . wenn der noch nicht befriedigte Gläubiger durch listige Vorspiegelungen von Seiten des Schuldners zur Ausstellung der Quittung bestimmt wird. Aber diese formell unantastbare, echte und unverfälschte Beglaubigungsform steht hier im Dienste der Unwahrheit; sie ist i n h a l t l i c h f a l s c h . So entsteht der Begriff der — irreleitend — sogenannten m a t e r i e l l e n oder i n t e l l e k t u e l l e n Urkundenfälschung, richtiger der F a l s c h b e u r k u n d u n g , des faux intellectuel des französischen Rechts (C. pénal Art. 147), aus welchem dieses Vergehen in das preufsische (§. 252) und in das deutsche StGB, übergegangen ist. I I . Das R S t G B . bedroht nur die ö f f e n t l i c h e materiell unrichtige Beurkundung oder, genauer (StGB. §. 271), die in ö f f e n t l i c h e n Urkunden, Büchern, Registern erfolgende Beurkundung, dafs Erklärungen, Verhandlungen oder Thatsachen, welche für Rechte oder Rechtsverhältnisse von Erheblichkeit sind, abgegeben worden oder geschehen seien, während sie überhaupt nicht oder in andrer "Weise oder von einer Person in einer ihr nicht zustehenden Eigenschaft oder von einer andern Person abgegeben oder geschehen sind. R e c h t s erheblichkeit, nicht B e w e i s erheblichkeit, der Erklärungen, Verhandlungen, Thatsachen wird gefordert. Wir haben dabei, wie aus dem Zusammenhange sich ergiebt, unter „ ö f f e n t l i c h e n " U r k u n d e n im Sinne dieses Paragraphen diejenigen öffentlichen Urkunden zu verstehen, welche, auf dem Grundsatze der Publizität beruhend, zum Zwecke der beweiskräftigen Feststellung im öffentlichen Interesse, nicht blofs im Interesse des innern Dienstes besimmt sind. E s handelt sich demnach um eine besondre Art der öffentlichen Urkunden, bei welcher die Eigenschaft des Ausstellers allein nicht genügt. Auch die vom Gesetze ausdrücklich erwähnten „öffentlichen Bücher und Register" 35*
548
§. 164.
Die übrigen Urkundenverbrechen.
fallen unter diesen Begriff, so dafs ihre besondre Anführung überflüssig erscheint. Grund- und Hypothekenbücher. Patentrollen, Handels-, Schiffahrts- und Standesregister gehören hierher; ebenso Listen der Gefängnisse und Strafanstalten über die aufgenommenen Strafgefangenen. Der Beamte, welcher die falsche Beurkundung wissentlich vornimmt, macht sich eines Amtsvergehens ( S t G B . §. 348) schuldig; ') der Nichtbeamte wird, abgesehen von einer etwaigen Teilnahme an dem Amtsvergehen, bestraft, wenn er: a) die falsche Beurkundung b e w i r k t ( S t G B . §. 271), d. h. veranlafst. dafs der eintragende Beamte ohne Kenntnis der Unwahrheit die unwalire Thatsache — z. B . dafs A. der Vater des neugebornen Kindes sei. dafs B . iu die Löschung der zu seinen Gunsten eingetragenen Hypothek eingewilligt halte — in das öffentliche Buch usw. einträgt, oder wenn er b) von einer solchen falschen Beurkundung zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht ( S t G B . 273). Die V o l l e n d u n g tritt im ersten Falle mit dem Eintrag, im zweiten mit dem Gebrauchen ein; der Versuch bleibt straflos. S t r a f e in beiden Fällen: Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu dreihundert Mark ; wenn in Bereioherungs- oder Schädigungsabsicht (oben §. 162 Noten 6 und 7) begangen, Zuchthaus bis zu zehn Jahren und daneben nach Ermessen Geldstrafe von hundertfünfzig bis zu sechstausend Mark, oder bei mildernden Umständen Gefängnis und daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark (StGB. §§. 272 und 273).
§. 164.
Die übrigen Urkundenverbrechen.
I. D i e U r k u n d e n b e s e i t i g u n g ( S t G B . §. 274 Ziff. 1). vom preufsischen S t G B , unrichtig zum Betrüge gestellt, bildet das Gegenstück zur Urkundennacliinachuug. Wie diese Herstellung, so ist jene Beseitigung der Urkunde a l s B e w e i s m i t t e l . Demnach mufs Beweisbestimmung, nicht aber Beweiserheblichkeit auch hier zum Begriffe der Urkunde gefordert werden. 1 ) Als Beseitigungshandlungen nennt das Gesetz : einer') Unten §. 177 VI. — Vgl. Seemannsordg. vom 27. Dezember 1873 §§. 93 Ziff. 1, 99 Ziff. 2. ') Ebenso R 22. Oktober 83 I X 141, G I I 106, H I I 560, M e r k e l H H I I I 8 0 7 ; dagegen J o h n H H I I I 184, 0 1160, welche auch hier §. 267 StGB, für mafsgebend erachten.
§. 164. Die übrigen Urkundenverbrechen.
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seits V e r n i c h t u n g oder B e s c h ä d i g u n g der Urkunde, wobei in erster Linie der Beweismittel-Inhalt und nur mittelbar die Substanz derselben iu Frage kommt; anderseits die Unterd r ü c k u n g der Urkunde, so dafs, da „Unterdrücken" gleichbedeutend ist mit „Beiseiteschaffen",4) Gebrauchsanmafsung nicht genügt. Die Absicht, später selbst von der Urkunde Gebrauch zu machen, schliefst die Anwendung des Gesetzes nicht aus,*) da an der Thatsache, dafs die Urkunde bereits unterdrückt w a r , durch den spätem Gebrauch derselben nichts geändert werden kann. Die Handlung ist nur unter der doppelten Voraussetzung strafbar, dafs 1. die Urkunde dem Thäter nicht oder nicht ausschlieüslich gehört (dingliche Rechte eines dritten genügen nicht), *) und 2. dafs die Beseitigung in der Absicht (gleich Beweggrund)5) erfolgte, einem andern einen Nachteil (nicht notwendig Vermögensnachteil) zuzufügen. S t r a f e : Gefängnis; daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. Ehrverlust nach Ermessen (§. 280).
II. D i e G r e n z v e r r ü c k u n g (StGB. §. 274 Ziff. 2). Der Grenzstein fällt nicht notwendig unter den Begriff der Urkunde. Wenn er auch Beweisbestimmung und Beweiserheblichkeit in sich trägt, so beweist er doch, soweit nicht wortvertretende Zeichen an ihm angebracht sind, nicht durch seinen Inhalt, sondern durch' sein Dasein. Dementsprechend nimmt die Grenzverrückung im römischen wie im mittelalterlich deutschen Recht eine durchaus selbständige Stellung neben der Urkundenfälschung ein; eine Stellung, die sie insbesondre zäh festgehaltenen religiösen Vorstellungen verdankt.') Auch die FGO. bedroht in Art. 114 mit willkürlicher Strafe denjenigen, „welcher böslicher- und gefährlicherweise eine Untermarkung, Rainung, ein Mal oder einen Markstein verrückt, abhaut, abthut oder verändert". Diesen Standpunkt hält auch das g e m e i n e Recht fest. Dennoch ist die Verwandtschaft mit den Urkundenverbrechen eine in die Augen springende. Und da die Grenz' ) Oben §. 139. Übereinstimmend J o h n H H I I I 186, H I I 661; dagegen G I I 106, M 944, O 674, 1161, welche unter dem Beiseiteschaffen ein Fortschaffen von einem Orte zum andern verstehen. ») Ebenso R 26. Januar 83 V I I I 79; dagegen G I I 106, H I I 662,
0 1161. 4
) Ebenso H II 560, M 944, Ml H H H I 807; dagegen O 1160. ") Ebenso R 24. Juni 87 XVI 160; dagegen G I I 106, O 1162. •) Die eigentümliche, von G r i m m Rechtsaltertümer 647 erwähnte Strafe findet sich wiederholt auch in den österr. "Weistümern.
560
§. 164.
Die übrigen Urkundenverbrechen.
verrückung alle llerkmale der Urkundenfälschung aufweiten kann, ist die milde Strafe, welche R S t Q B . androht, gegründeten Bedenken unterworfen.
§. 274 Ziff. 2 bedroht denjenigen, welcher einen Grenzstein oder ein andres zur Bezeichnung einer Grenze oder eines Wasserstandes (durch die Behörde oder durch den Willen der Berechtigten) bestimmtes Merkmal in der Absicht, einem andern Nachteil zuzufügen, 1. wegnimmt oder vernichtet, 2. unkenntlich macht oder verrückt, 3. fälschlich setzt. Diese drei Fälle entsprechen dem Beseitigen. Verfalschen und Nachmachen von Urkunden. In jedem derselben ist vorausgesetzt, dafs dem „Merkmal" die Beweisbestimmung eingeprägt sei; die Beseitigung des Erinnerungszeichens an die Wasserhöhe bei einer besonders denkwürdigen Überschwemmung fällt nicht unter §. 274. S t r a f e : Gefängnis; daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark.
I I I . Strafbare Handlungen au oder mit S t e m p e l w e r t z e i c h e n (Stempel-Papier, -Marken. -Blanketten. -Abdrücken), sowie P o s t - und T e l e g r a p h e n W e r t z e i c h e n (Freimarken, gestempelten Briefumschlägen. Postkarten. Streifbändern). Da die Reichsgesetzgebung die ausländischen Staatseinrichtungen nicht ohne weiteres den inländischen gleichstellt und, wo dies geschehen soll, dies stets ausdrücklich hervorhebt, können die hierher gehörigen Bestimmungen nur auf i n l ä n d i s c h e Wertzeichen bezogen werden.7) Die richtige systematische Stellung dieser Gruppe von strafbaren Handlungen wäre bei den Geldverbrechen ( S t G B . §. 149) beziehungsweise bei den Finanzdelikten (unten §. 197). Das R S t G B . hat sie wenig folgerichtig den Urkundenverbrechen angereiht. Im einzelnen gehören hierher: 1. das N a c h m a c h e n oder V e r f ä l s c h e n in Gebrauchsabsicht, sowie das G e b r a u c h e n von gefälschten Gegenständen dieser Art, mag auch die Fälschung nicht von dem Thäter herrühren (§. 275). „Gebrauchen" umfafst neben der Hinterziehung der Gebühr auch die Veräufserung. Die Vollendung tritt im ersten Falle mit dem Fälschen, im zweiten erst mit dem Gebrauchen ein. S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten, daneben Ehrverlust nach Ermessen (§. 280). 2. Die w i s s e n t l i c h e W i e d e r v e r w e n d u n g verwendeter ') Übereinstimmend H I I 666, O 1167, H e i n z e Staatsrecht. Erörterungen. Dagegen M 942, Ml HH I I I 810, auch R 20. Juni 82 V I 387.
§. 164. Die übrigen Urkundenverbrechen.
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S t e m p e l * ) (von Harken, Blanketten, Papier, Abdrücken) zn stempelpflichtigen Schriftstücken (StGB. §. 876). S t r a f e : Geldstrafe bis zn sechshundert Mark. Abweichend von der Vorschrift des g. 73 StGB, ist diese Strafe n e b e n der HinterziehungBstrafe zn verhängen. 3. Das w i s s e n t l i c h e V e r ä u f s e r n o d e r F e i l h a l t e n von bereits verwendetem Stempelpapier nach Entfernung der darauf gesetzten Schriftzeichen, sowie von bereits verwendeten Stempelmarken, Stempelblanketten, ausgeschnittenen oder sonst abgetrennten Stempelabdrücken (StGB. §. 364). S t r a f e : Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark. 4. A n f e r t i g u n g von Formen, welche zur Erzeugung von Stempelpapier usw. dienen können, ohne schriftlichen Auftrag der Behörde, oder V e r a b f o l g u n g an einen andern als die Behörde (StGB. §.360 Z i £ 4). S t r a f e : Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder Haft. 5. Das unbefugte U n t e r n e h m e n o d e r V e r a b f o l g e n e i n e s A b d r u c k es von den unter 4 genannten Formen (StGB. §. 360 Ziff. 6). S t r a f e : wie zu 4. Einziehung zu 4 und 6, ohne Unterschied, ob die Gegenstände dem Verurteilten gehören oder nicht, nach Ermessen.
IV. An die eben erwähnten Bestimmungen schliefst das Gesetz vom 22. Juni 1889 betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung seine Strafdrohungen zum Schutze der V e r s i c h e rn n g s - M a r k e n (§§. 154, 155). Bedroht wird: 1. Das N a c h m a c h e n oder V e r f ä l s c h e n in Gebrauchsabsicht sowie das G e b r a u c h e n solcher Marken. S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten; daneben Ehrverlust nach Ermessen. 2. Die wissentliche W i e d e r v e r w e n d u n g bereits verwendeter Marken, sowie das wissentliche V e r ä u f s e r n oder F e i l h a l t e n verwendeter Marken nach gänzlicher oder teilweiser Entfernung der darauf gesetzten Entwertungszeichen. S t r a f e : wie zu 1; bei mildernden Umständen kann auf Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder auf Haft erkannt werden. In beiden Fällen (1 und 2) ist auf Einziehung der Marken zu erkennen, ohne Unterschied ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht; und zwar auch dann, wenn die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht stattfindet. 3. a) Die unbefugte H e r s t e l l u n g von F o r m e n , welche zur Anfertigung von Marken dienen können sowie, ihre V e r a b f o l g u n g an andre; •) Wiederverwendung von P o s t - u n d T e l e g r a p h e n z e i c h e n unterliegt infolge eines Redaktioneversehene n u r der Hinterziehungsstrafe; vgl. unten §. 197. Ebenso R 19. April 88 X V I I 396. Ein Regierungsentwurf von 1890 schlägt Einbeziehung in die Strafdrohung des §. 276 vor. Das Gleiche gilt bezüglich der im Text unter 3 und 4 besprochenen Thatbestände.
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§. 164. Die übrigen Urkundenverbrechen.
b) das unbefugte U n t e r n e h m e n eines A b d r u c k e s der genannten Formen sowie die V e r a b f o l g u n g von Abdrücken an andre. S t r a f e : Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder Haft; daneben kann auf Einziehung der Formen erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht.
Y. Strafbare Handlungen an und mit L e g i t i m a t i o n s p a p i e r e n . StGB. §. 363 rechnet zu diesen: Pässe, Militärabschiede, Wanderbücher oder sonstige Legitimationspapiere (wie Taufscheine usw.); Dienst- und Arbeitsbücher oder sonstige auf Grund besondrer Vorschriften auszustellende Zeugnisse; Führungs- und Fähigkeitszeugnisse. Strafbar ist: 1. die Fälschung: 2. der wissentliche Gebrauch derselben; 3. der Gebrauch von echten, aber für einen andern ausgestellten Papieren; 4. das Überlassen solcher Papiere an andre. In allen vier Fällen raufs die Absicht vorliegen. Behörden oder Privatpersonen z u m Z w e c k e e i g n e n o d e r f r e m d e n b e s s e r n F o r t k o m m e n s zu täuschen. Obwohl die genannten Papiere unzweifelhaft Urkunden im Sinne von StGB. §. 267 sind und die in §. 363 StGB, vorausgesetzte Absicht trotz ihrer Unbestimmtheit und Allgemeinheit jedenfalls unter die rechtswidrige Absicht jenes Paragraphen fällt; obwohl mithin eine eigentliche Urkundenfälschung vorliegt, die um so gefährlicher ist, als derartige Fälschung zum Handwerk des gewerbsmäßigen Gaunertums gehören: hat doch die neuere Gesetzgebung unter dem Einflüsse des französischen Rechtes diese Fälle zum Sonderverbrechen gegenüber der Urkundenfälschung erhoben und mit einer ganz ungerechtfertigt milden Strafe (Haft oder Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark) bedroht.
VI. Strafbare Handlungen in B e z u g auf G e s u n d h e i t s z e u g n i s s e . Diese sind nicht notwendig Urkunden, weil nicht notwendig zum Beweise r e c h t l i c h e r h e b l i c h e r Thatsachen bestimmt. Aber auch wenn dies der Fall sein sollte, ist die Anwendung der §§. 267 bis 273 StGB, ausgeschlossen, ohne dafs zwingende Gründe für diese mildere Behandlung geltend gemacht werden können. Es gehören hierher folgende Fälle: 1. Wer unter der ihm nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt oder als eine andre approbierte Medizinalperson') oder unberechtigt unter dem Namen solcher Personen ein Zeugnis über seinen oder eines andern Ge•) O b . . H e b a m m e n dazu gehören, richtet sich nach den Landesgesetzen. Übereinstimmend O 1171. H I I 669 rechnet sie stets, R 27. März 84 X 340 niemals hierher.
§. 166. Der Hochverrat.
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sundheitszustand ausstellt (mag auch der Inhalt mit den Thatsachen übereinstimmen), oder wer ein derartiges echtes Zeugnis verfälscht und davon zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften Gebrauch macht, wird mit Qefängnis bis zo einem Jahre bestraft (StGB. §. 877). 2. Arzte und andre approbierte Medizinalpersonen, welche ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauche bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider bessere« Wissen ausstellen (Falschbeurkundung), werden mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft (StGB. §. 278). 3. Wer, um eine Behörde oder eine Versicherungsgesellschaft über seinen oder eines andern Gesundheitszustand zu täuschen, von einem Zeugnisse der in den §§. 277 und 278 bezeichneten Art Gebrauch macht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft (StGB. §. 279). Neben der Gefängnisstrafe kann in allen drei Fällen auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden (StGB. §. 280).
Zweites Buch.
Die strafbaren Handlungen gegen Rechts guter der Gesamtheit. Erster Abschnitt.
Die Verbrechen gegen den Staat.
§. 165. I. Der Hochverrat. L i t t e r a t n r . F e u e r b a c h Philosophisch-juristische Untersuchung über das Verbrechen des Hochverrats 1798. Z i r k l e r Die gemeinrechtliche Lehre vom Majestätsverbrechen und Hochverrat 1836. W e i s k e Hochverrat und Majestätsverbrechen, das crimen majestatis der Römer 1836. K ö s t l i n Die perduellio unter den römischen Königen 1841. H e p p Politische und unpolitische Staatsverbrechen 1846. v. F e d e r Das Staatsverbrechen des Hochverrates 1860. A b e g g Archiv 1863 S. 206. K n i t s c h k y Das Verbrechen des Hochverrats 1874. J o h n H H I I I 3. H I I 720. Vgl. auch die Lehrbücher des Staatsrechts. — v. B o r c h Einflufs des römischen Strafrechts auf Gefolgschaft und Majestätsverbrechen in Deutschland 1889. I. G e s c h i c h t e . Die r ö m i s c h e perduellio, einer der beiden Grundbegriffe des ältesten römischen Strafrechts (oben S. 31), die Wurzel
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§. 166. Der Hochverrat.
des heutigen Begriffs des Hochverrates, tritt gegen das Ende des römischen Freistaates in den Hintergrund. In den Bedrängnissen der innern Kriege trat allmählich an seine Stelle das crimen majestatis (zuerst lex Appuleja von 662 oder 664 a. u.), unter welches jede Verletzung der amplitudo ac dignitas des populus Romanus fiel. Sulla überwies 673 die Verhandlung und Aburteilung einer neu errichteten quaestio. Daneben sprach man von perduellio, wenn animo hostili eine Handlung vorgenommen wurde, welche das Dasein des Staates bedrohte. Das crimen majestatis überdauerte den Sturz des Freistaates; aber es veränderte seine Eigenart: an die Stelle des Volkes trat die Fülle der auf den princeps vereinigten Herrscherrechte. Der Mifsbrauch, welchen tyrannische Kaiser mit dem schmiegsamen Verbrechensbegriffe trieben (majestatis singulare et unicum crimen eorum qui crimine vacarent sagt Flinius), erlangt gesetzliche Anerkennung in der berüchtigten lex quisquis (1. 5 C. 9, 8), welche Arkadius und Honorius im Jahre 397 erliefsen. Im d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r gestaltet sich der in den Volksrechten sich findende Kriegsverrat gegen die zur Heerfahrt gerüsteten Genossen und ihren Führer zum Treubruch gegen den Lehnsherrn, zur Infidelität (Rib. 69, 1 mit dem Tode bestraft). Der Begriff der V e r r ä t e r e i umfafst aber neben diesem schwersten Fall auch das treulose Handeln gegen andre Personen, welchen der Thäter zur Treue verpflichtet ist: die politische Eigenart der That ist nicht Begriffsmerkmal, sondern erschwerender Umstand. Daneben aber hatte, trotz der hervorragend nationalen Natur der Staatsverbrechen, das römische crimen vis durch die goldne Bulle 1356. sowie früher in das kanonische, nun auch in das deutsche Recht Aufnahme gefunden. Die B a m b e r g e n B i s nahm in Art. 132 (Straf derjenigen, so die römische kaiserliche oder königliche Majestät lestem) das crimen laesae majestatis ausdrücklich auf und stellt ihm in Art. 133 „die Lästerung, die er sonst seinem Herrn thut", an die Seite. Art. 136 behandelt den militärischen Kriegsverrat (die proditio). Daneben wird in Art. 149 die Verräterei ganz in deutschrechtlichem Sinne behandelt (es fehlt nicht die Erwähnung der Bettgenossen und nahe gesippten Freunde) und mit der Vierteilung bedroht. Die PGO. nahm nur die Bestimmungen über Verrat (Art. 124) herüber. Der Grund ihres Schweigens über das Majestätsverbrechen lag wohl in der Zuständigkeit des Reichskaromergerichts; jedenfalls zweifelte niemand an der fortdauernden Geltung der römischrechtlichen Bestimmungen. Das g e m e i n e Recht konnte zu festen Abgrenzungen nicht gelangen. Der Begriff der Verräterei trat mehr und mehr in den Hintergrund. Das crimen laesae majestatis wurde teilweise (so Österreich 1656) auf alle gegen die Staatsverwaltung gerichteten Verbrechen ausgedehnt: auf Aufruhr, Bruch des Geleites, Befehden, drohliches Ausschreiben, Fälschen von Briefen, Münzen, Siegeln, Anmafsung von Regalien, Halten von Privatkerkern usw. Vergeblich bemühte man sich, die perduellio (auch
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proditio) als militärischen Landesverrat besonders hervorzuheben; erfolglos blieb auch C a r p z o v ' s Versuch, gestützt auf 1. an. C. 9, 7, die maledictio in principem als Sonderverbrechen auszuscheiden, bei welohem Verfolgung und Bestrafung in den Händen des Landesherrn liegt. Erst als in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter dem Einflüsse neuer, durch die Schriftsteller der Aufklärungszeit vorbereiteter und ausgebildeter Anschauungen, inbesondre aber infolge kräftigerer Zusammenfassung der gröfsern deutschen Staaten unter hervorragenden Herrschern die Landesgesetzgebung zu frischer, durchgreifender und umfassender Thätigkeit sich aufraffte, gelang die Befreiung von der lähmenden Herrschaft des römischen crimen majestatis. Schon Osterreich 1787 hatte Hochverrat und Landesverrat von einander geschieden. Noch klarer und bestimmter aber erklärte ALB. Angriffe anf die Verfassung, auf Leben and Freiheit des Staatsoberhauptes für Hochverrat, Herbeiführung einer äufsern Gefahr und Unsicherheit gegenüber fremden Mächten für Landesverrat. Daneben wurde die Majestätsbeleidigung schärfer bestimmt. Die Litteratur, F e u e r b a c h auch hier an der Spitze, folgte den so gewiesenen Bahnen.
II. B e g r i f f . Hochverrat — im Gegensatze zum Landesverräte — ist der Angriff auf den Staat in seinem i n n e r e n B e s t a n d , mithin auf sein D a s e i n als Einzelwesen. Die hochverräterischen Handlungen würden ihre Eigenart nicht verlieren. auch wenn der Staat, gegen welchen sie gerichtet sind, der einzige auf Erden bestehende wäre. Der Staat als Einzelwesen aber wird hergestellt durch das Staatsgebiet, durch die Verfassung und durch die Person seines Oberhauptes, als des Trägers der Staatshoheit. Danach sind innerhalb des einheitlichen Hochverratsbegriifes drei verschiedene Gruppen von Handlungen zu unterscheiden. Für die deutsche Gesetzgebung ergiebt sich weiter die staatsrechtliche Notwendigkeit, das Verhältnis des Reichs zu den Gliedstaaten und dieser letztern untereinander zu berücksichtigen. Angriffsgegenstand des Hochverrates im eigentlichen Sinne ist das i n l ä n d i s c h e Staatsganze, mithin das Deutsche Reich und jeder einzelne deutsche Bundesstaat. Anderseits kommt dem Hochverrate gegenüber das inländische Strafrecht zur Anwendung, auch wenn die strafbare Handlung im A u s 1 a n d e, sei es von einem Inländer, sei es von einem Ausländer begangen wurde (StGB. §. 4 Ziff. 1; oben §. 19 S. 108, 110). III. Die Reichsgesetzgebung bezeichnet in kasuistischer Weise, mit Ausschlufs aller übrigen etwa gleichwertigen, jene
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Handlungen, in welchen sie einen Angriff auf den inneren Bestand des Staates erblickt. Danach ist Hochverrat im Sinne des positiven Rechtes: 1. M o r d u n d M o r d v e r s u c h au dem Kaiser, an dem eignen Landesherrn oder während des Aufenthaltes in einem Bundesstaate an dem Landesherrn dieses Staates verübt. Mafsgebend ist demnach der Aufenthaltsort des Thäters, nicht der Begehungsort der Tliat (oben §. 29). Auf die republikanischen Gemeinwesen des Deutschen Reichs ist die Bestimmung ebensowenig anwendbar als auf deu Regenten. S t r a f e : der Tod (StGB. §. 80). Diese Bestimmung, welche auf Antrag des Abgeordneten v. Kardorff nach Wiederaufnahme der Todesstrafe (oben §. 13 S. 86) am 24. Mai 1870 dem Gesetze eingefügt wurde, stellt der vorsätzlichen und überlegten Tötung des §. 211 ein neues, selbständiges Verbrechen gegenüber, welches, als schwerster Fall des Hochverrates und nicht als besonders schwer bestrafter Mord, sich von diesem insbesondre durch die hochpolitische Bedeutung seines Angriffsobjektes unterscheidet.1) Auf den teilnehmenden Fremden findet §. 60 StGB. Anwendung. Aus der Gleichstellung von Versuch und Vollendung ergiebt sich : a ) a) die Unmöglichkeit eines straffrei machenden Rücktrittes; b) die Unmöglichkeit einer Herabsetzung der Gehilfenstrafe.
2. Das Unternehmen, einen B u n d es f ü r s t e n (abgesehen von dem Falle unter 1) zu töten, gefangen zu nehmen, in Feindes Gewalt zu liefern oder zur Regierung unfähig zu machen (StGB. §. 81 Ziff. 1). Das „ T ö t e n " umfafst nicht die fahrlässige, wohl aber die überlegte wie die nicht überlegte vorsätzliche Tötung. 3. Das Unternehmen, die V e r f a s s u n g des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaates oder die in demselben bestehende Thronfolge gewaltsam zu ändern (StGB. §. 81 Ziff. 2). Dabei haben wir unter „Verfassung" zu verstehen jene grundsätzlichen Rechtseinrichtungen, auf welchen das staatliche Leben beruht, mögen sie in der Verfassung aufgezählt sein oder nicht; also die Regierungsrechte des Staatsoberhauptes einerseits, die Zusammensetzung und die Befugnisse der gesetzgebenden Körperschaften anderseits. Eine Änderung des Wahlrechtes würde ') Tötung auf Verlangen des Landesherrn würde daher aus §. 80 zu strafen sein. *) Vgl. oben §. 48 IV 4 und §. 52 Note 5.
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demnach hierher gehören, nicht aber die der Prefsfreiheit oder der freien Religion9Übung. Die geplante Änderung mufs eine g e w a l t s a m e sein; damit sind blofse Drohungen ausgeschlossen. 8) 4. Das Unternehmen, das B u n d e s g e b i e t einem fremden Staate oder das G e b i e t e i n e s B u n d e s s t a a t e s einem andern Bundesstaate ganz oder teilweise gewaltsam einzuverleiben ; oder einen Teil des Bundesgebietes oder des Gebietes eines Bundesstaates vom Ganzen loszureifsen (StGB. §. 8t Ziffer 3 und 4).4) S t r a f e zu 2—4: lebenslängliches Zuchthaus oder lebenslängliche Festungshaft, bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter fünf Jahren;") neben Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Amter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden.
IY. V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n . 1. Im Falle 1 unter I I I ist der gemeinrechtlichen Auffassung entsprechend Versuch und Vollendung in der Bestrafung gleichgestellt; in den Fällen 2—4 gilt dasselbe von dem U n t e r n e h m e n . StGB. §. 82 giebt uns eine, nur für das Gebiet des Hochverrates geltende, Begriffsbestimmung dieses Unternehmens: „ j e d e H a n d l u n g , d u r c h w e l c h e d a s V o r h a b e n u n m i t t e l b a r zur A u s f ü h r u n g gebracht werden s o l l " . Also nicht die beginnende A u s f ü h r ungshandlung selbst, sondern die diesen Beginn unmittelbar vorbereitende Handlung. Mit andern Worten: das „Unternehmen" umfafst ein weiteres Gebiet als der V e r s u c h , umschliefst also auch V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n ; aber nur diejenigen, die unmittelbar an das Versuchsgebiet angrenzen. 4 ) ») Ebenso G II 137, H II 737; dagegen B 360, M 797, O 424, S 235 Note 17. 4 ) Das Unternehmen, das ganze Gebiet eines Bundesstaates gewaltsam zum Reichslande zu machen, könnte nur nach Ziff. 2 als Hochverrat betrachtet werden. 5 ) DaB Höchatmafs der Festungshaft beträgt hier wie überall fünfzehn, und nicht zehn Jahre. Dafs wir es mit einem Redaktionsversehen zu thun haben, kann daran nichts ändern. Vgl. oben 12 S. 81. Unrichtig S o n t a g Redaktionsversehen 54, Festungshaft 174, S c h ü t z e GA XX 365, B 354. Im Sinne des Textes die gem. Meinung. •) Die Frage ist sehr bestritten. Die gem. Meinung fafBt das Unternehmen einfach als Versuch auf; so K n i t s c h k y 160, B352, Bg Normen II 454 u. a. Andre sehen in dem Unternehmen den e n g e r n Begriff
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Aua dieser Auffassung folgt, dafs entferntere Vorbereitungshandlungen nicht als Unternehmen des Hochverrates bestraft werden können; dafs das Vorhaben greifbare Gestalt angenommen haben mufs, mögen auch immerhin nicht alle Einzelheiten der Ausführung nach Ort, Zeit und Mitteln beschlossen sein. Versuch des Unternehmens, Rücktritt von demselben, Herabsetzung der Gehilfenstrafe ist auch hier unmöglich (vgl. oben die Note 2). 2. Die §§. 81 und 82 lassen demnach den bei weitem gröfsern Teil der Vorbereitungshandlungen straflos. Diese Lücken füllen die folgenden Paragraphen aus, indem sie a u c h d i e ü b r i g e n Vorbereitungshandlungen zum Hochverrat unter Strafe stellen; und zwar in der "Weise, dafs gewisse besonders gefährliche Vorbereitungshandlungen unter besondre höhere, alle übrigen unter einen gemeinsamen niedern Strafrahmen fallen. In allen Fällen mufs es sich jedoch um die Vorbereitung eines b e s t i m m t e n hochverräterischen Unternehmens handeln. a) Die h o c h v e r r ä t e r i s c h e V e r s c h w ö r u n g ( K o m p l o t t ; S t G B . §. 83) das ist die Verabredung der Ausführung eines hochverräterischen Unternehmens zwischen mehreren (oben §. 49 i n 1).
S t r a f e : Zuchthaus oder Festungshaft nicht unter fünf Jahren, bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter zwei Jahren. Neben Festungshaft ist teilweiser Ehrverlust nach Ermessen zugelassen.
b) Dieselbe Strafe trifft ( S t G B . §. 84) demjenigen, welcher zur Vorbereitung eines Hochverrates a) s i c h m i t e i n e r a u s w ä r t i g e n 7 ) R e g i e r u n g e i n l ä f s t . (Einleitung von Verhandlungen genügt. Abschlufs von Verabredungen ist nicht erforderlich) oder ß) die ihm vom Reiche oder einem Bundesstaate a n v e r t r a u t e M a c h t (über Personen oder Gegenstände) m i f s b r a u c h t , oder y) M a n n s c h a f t e n a n w i r b t o d e r in d e n W a f f e n e i n ü b t . gegenüber dem Versuche; so insbes. G I I 127, H I I 744, O 426, R 13./18. Juni 87 X V I 166. — Die im Text vertretene Ansicht stützt sich auf den Wortlaut des Gesetzes. ' ) Es ist dies auch die Regierung eines d e u t s c h e n Bundesstaates gegenüber der eines andern Bundesstaates. Dagegen nur 0 429.
§. 166. Der Landesverrat.
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c) J e d e a n d r e, ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitende Handlung. (StGB. §. 86.) S t r a f e : Zuchthaas oder Festungshaft bis zu drei Jahren, bei mildernden Umständen Festungshaft von sechs Monaten bis zu drei Jahren.
d) D i e ö f f e n t l i c h e A u f f o r d e r u n g zur Ausführung einer nach §. 82 (also nicht §. 80!) 8 ) strafbaren Handlung (StGB. §. 85) wäre richtiger zu den strafbaren Aufforderungen (unten §. 173) zu stellen, mag aber des Zusammenhanges wegen hier erledigt werden. Auffallend — und sicherlich verkehrt — ist der Hinweis auf §. 82; insbesondre auch darum, weil das eigentümliche Wesen der Aufforderung im Gegensatze zur Anstiftung in der mangelnden Bestimmung derjenigen Handlung liegt, zu welcher aufgefordert wird. Dennoch mufs nach geltendem Recht Aufforderung zu einem gemäfs §. 82 genau b e s t i m m t e n Unternehmen gefordert werden. S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer;') bei mildernden Umständen Festungshaft von einem Jahre bis zu fünf Jahren. Da wir es nach der eben betonten Auffassung mit dem selbständigen Vergehen der öffentlichen Aufforderung, nicht aber wie in den vorhergehenden Paragraphen mit einer Vorbereitungshandlung zum Hochverrate zu thun haben, mufs hier die Möglichkeit eines strafbaren Versuches angenommen werden. V. In den Fällen der §§. 80, 81, 88, 84 StGB. kann bei Eröffnung der Untersuchung das Vermögen, welches der Angeschuldigte besitzt oder welohes ihm später anfällt, bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens mit Beschlag belegt werden (StGB. §. 93; vgl. StPO. §§. 480, 333 ff.).
§ . 166.
2. Oer Landesverrat.
Litteratur. v. E r i e s Z VII 597. M ü l l e r GS XL 204 (Z IX 716). H II 753. v. B a r Nation VI 77 (Z IX 666).
I. Landesverrat ist der Angriff auf die ä u f s e r e S i c h e r h e i t und M a c h t s t e l l u n g des Staates, also auf d e n S t a a t in s e i n e r S t e l l u n g i n n e r h a l b der a n d e r n S t a a t e n . Er wird — im Gegensatze zum Hochverrat — erst möglich •) Ebenso G II 128, H II 760; dagegen 0 430, ß 5. Dezember 81 V 216. *) d. h. von einem bis zu zehn Jahren. So auch die gem. Meinung.
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Der Landesverrat.
durch das Nebeneinanderbestehen mehrerer Gemeinwesen. Die V e r b i n d u n g m i t e i n e m f r e m d e n G e m e i n w e s e n unterscheidet den »Landesverrat vom Hochverrat. Anders als bei diesem wird daher beim Landesverrat das T r e u v e r h ä l t n i s des Staatsbürgers zu seinem Staate von entscheidender Bedeutung werden; ist der eigne Unterthan mit dem Feinde in Verbindung getreten, so erscheint sein Krieg gegen das Vaterland als arger, schlechter Krieg, als perduellio (oben S. 31), als verräterischer Treubruch. Aber auch der A u s l ä n d e r kann sich des Landesverrates schuldig machen. Und zwar in folgenden Fällen: 1. Bei dem sogenannten militärischen Landesverrat ( S t G B . §. 92) ist die Staatsangehörigkeit des Thäters überhaupt gleichgültig. 2. Der Ausländer, welcher eine der in §§. 87, 89, 90 (nicht 8 8 ! ) bedrohten Handlungen begeht, während er sich „unter dem Schutze" (dieser Zusatz ist völlig überflüssig) des Deutschen Reiches oder eines Bundesstaates innerhalb des Bundesgebietes aufhält, wird ebenso bestraft wie der Inländer ( S t G B . §. 91 Abs. 2). 3. Im übrigen ist gegen Ausländer wegen dieser Handlungen nach dem Kriegsgebrauche zu verfahren. J ) (StGB. §. 91 Abs. 1.) Auf der andern Seite ist daran zu erinnern, dafs nicht nur nach S t G B . §. 4 Ziff. 2 (oben S. 108) der D e u t s c h e , auch wenn er im Auslände einen Landesverrat gegen das Deutsche Reich oder einen Bundesstaat 2 ) begeht, ohne weiteres nach inländischem Rechte haftet; sondern dafs, wie bereits oben S. 112 erwähnt, das Mil.-StGB. in den §§. 155, 157 bis 161 die Strafbarkeit der im Auslande begangenen Handlungen überhaupt wesentlich erweitert hat. W i e dem Hochverrate, so gewährt auch dem Landesverrate gegenüber das inländische Recht nur den i n l ä n d i s c h e n Gemeinwesen (dem Reiche und seinen Gliedern) den Schutz
' ) Über die Unklarheit dieser Anordnung vgl. v. K r i e s a. 0 . *) Der militärische Landesverrat kann ausnahmslos nur gegen das Deutsche R e i c h gerichtet sein.
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seiner Strafgewalt. Eine dem §. 102 StGB, (unten §. 169) entsprechende Bestimmung fehlt. Man teilt den Landesverrat ein in den m i l i t ä r i s c h e n und den d i p l o m a t i s c h e n . Ersterer besteht in der kriegerischen, letzterer (unter gesetzlicher Beschränkung der Strafbarkeit auf gewisse Fälle) in jeder anderweitigen Unterstützung einer auswärtigen Macht. Obwohl diese Unterscheidung eine wenig glückliche ist, mag sie doch der Übersichtlichkeit wegen beibehalten werden. I I . D e r m i l i t ä r i s c h e L a n d e s v e r r a t umfafst folgende Fälle: 1. Die V e r b i n d u n g oder „Konspiration" („Sich-Einlassen" StGB. §. 87) m i t e i n e r a u s l ä n d i s c h e n (nicht deutschen) R e g i e r u n g , um d i e s e l b e zu e i n e m K r i e g e g e g e n d a s D e u t s c h e R e i c h zu v e r a n l a s s e n .
Strafe: a) Zuchthaus nicht unter fünf Jahren, bei mildernden Umständen Festungshaft von sechs Monaten bis zu fünf Jahren; b) wenn der Krieg ausgebrochen ist (wenn auch nicht infolge der Umtriebe des Thäters), lebenslängliches Zuchthaus, bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter fünf Jahren. Neben Festungshaft kann auf den Verlust der bekleideten öffentlichen Amter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden.
2. D a s D i e n s t e n e h m e n in d e r feindlichen K r i e g s m a c h t (sei es als Kombattant oder in andrer Stellung, als Beamter, Arzt, Prediger usw.) während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges, oder das W a f f e n t r a g e n gegen das Deutsche Reich oder dessen Bundesgenossen (StGB. §. 88). Strafe: a) wenn der Thäter schon vor Ausbruch des Krieges in fremden Kriegsdiensten stand, Zuchthaus von zwei bis zu zehn Jahren, oder Festungshaft von gleicher Dauer; bei mildernden Umständen Festungshaft bis zu zehn Jahren; b) wenn dies nicht der Fall, lebenslängliches Zuchthaus oder lebenslängliche Festungshaft, bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter fünf Jahren. Neben Festungshaft ist Aberkennung der bekleideten öffentlichen Amter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte zulässig.
TOD Liszt Strafrecht. 4. Aufl.
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§. 166. Der Landesverrat
3. Die vorsätzliche B e g ü n s t i g u n g ( „ w e r . . . Vorschub leistet" StGB. §. 89) e i n e r f e i n d l i c h e n M a c h t während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges, oder B e n a c h t e i l i g u n g der T r u p p e n d e s Deutschen R e i c h s oder der Bundesgenossen desselben. Der V o r s a t z besteht hier wie überall in dem Bewufstsein von der verursachenden Bedeutung des Thuns. Eine darüber hinausgehende Absicht, ein besondrer animus hostilis, kann nicht gefordert werden. Beteiligung an einer Kriegsanleihe des Gegners, Beförderung der Entweichung von Kriegsgefangenen kann daher Landesverrat sein, wenn auch vielleicht jene Handlung lediglich der Gewinnsucht, diese lediglich der Gutmütigkeit des Thäters entsprungen ist. V o l l e n d u n g tritt ein, sobald die kriegerische Lage des Gegners eine günstigere, die der Deutschen Kriegsmacht eine ungünstigere geworden ist. S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer, ®) bei mildernden Umständen Festungshaft bis zu zehn Jahren. Teilweiser Ehrverlust wie oben zu 2.
4. Aus dem in §. 89 StGB, (oben 3) aufgestellten Begriffe hebt §. 90 gewisse besonders schwere Fälle hervor, um sie einer vorschärften Strafe zu unterwerfen. Lebenslängliches Zuchthaus, bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter fünf Jahren (teilweiser Ehrverlust wie oben zu 2) trifft den Deutschen, welcher während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges vorsätzlich a) Festungen, Pässe, besetzte Plätze oder andre Yerteidigungspostcn, ingleichen deutsche oder verbündete Truppen oder einzelne Offiziere oder Soldaten in feindliche Gewalt bringt; b) Festungswerke, Schiffe oder andre Fahrzeuge der Kriegsmarine, Kassen, Zeughäuser, Magazine oder andre Vorräte von Waffen, Schiefsbedarf oder andern Kriegsbedürfnissen in feindliche Gewalt bringt oder dieselben, sowie Brücken und Eisenbahnen (oben §. 128 Note 3) zum Vorteile des Feindes zerstört oder unbrauchbar maoht; c) dem Feinde Mannschaften zuführt oder Soldaten des deutschen oder verbündeten Heeres verleitet, zum Feinde überzugehen; d) Operationspläne oder Pläne von Festungen oder festen Stellungen dem Feinde mitteilt; ') Oben §. 165 Note 9.
§. IM.
Der Lande«verrat
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e) dem Feinde als Spion 4 ) dient oder feindliche Spione aufnimmt, •erbirgt oder ihnen Beistand leistet; oder f) einen Aufstand unter den deutschen oder verbündeten Truppen erregt
EH. D e r d i p l o m a t i s c h e Landesverrat; nach StGB. §. 92 vorliegend, wenn jemand (sei es ein Deutscher oder ein Ausländer) vorsätzlich (Fahrlässigkeit genügt nicht) 1. Staatsgeheimnisse oder Festungspläne, oder solche Urkunden (hier nicht im technischen Sinne zu nehmen, umfasst z. B. auch Modelle von Gewehren), Aktenstücke oder Nachrichten, von denen er weifs, dafs ihre Geheimhaltung einer andern (sei es auch deutschen) Regierung gegenüber für das Wohl des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaates erforderlich ist, dieser Regierung mitteilt oder öffentlich bekannt macht; 2. zur Gefahrdung der Rechte des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaates im Verhältnis zu einer andern Regierung die über solche Rechte sprechenden Urkunden oder Beweismittel vernichtet, verfälscht oder unterdrückt; 3. ein ihm von seiten des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaates aufgetragenes Staatsgeschäft mit einer andern Regierung zum Nachteil dessen führt, der ihm den Auftrag erteilt hat. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter sechs Monaten. IV. In allen Fällen des Landesverrates kann (StGB. §. 93) B e s c h l a g n a h m e d e s V e r m ö g e n s des Beschuldigten in der oben §. 166 V angegebenen Weise stattfinden. V. Den im F e l d e b e g a n g e n e n L a n d e s v e r r a t bezeichnet MiL-StGB. §. 67 als K r i e g s v e r r a t . Vgl. darüber unten §. 909 L
VI. Es gehören hierher ferner zwei neue, durch das Gesetz vom 6. April 1888 (vgl. oben S. 395) geschaffene Vergehen. 1. Wenn die Öffentlichkeit einer Gerichtsverhandlung wegen G e f ä h r d u n g d e r S t a a t s s i c h e r h e i t ausgeschlossen ist, so kann das Gericht den anwesenden Personen die G e h e i m h a l t u n g von T h a t s a c h e n , welche durch die Verhandlung, durch die Anklageschrift oder durch andre amtliche SchriftM Das französische Gesetz vom 18./19. April 1886 siehe Z VII 468. Dazu M ü l l e r a. 0., sowie H a n k e Archiv für öffentliches Recht IV. 36*
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§. 167.
Die Majestätabeleidigung.
stücke des Prozesses zu ihrer Kenntnis gelangen, zur Pflicht machen. Wer diese Pflicht durch unbefugte Mitteilung verletzt, wird mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft (Art. I I des Gesetzes). 2. Unter der gleichen Voraussetzung dürfen B e r i c h t e ü b e r d i e V e r h a n d l u n g durch die Presse nicht veröffentlicht werden. Das Gleiche gilt auch nach der Beendigung des Verfahrens in Betreff der V e r ö f f e n t l i c h u n g d e r A n k l a g e s c h r i f t o d e r a n d r e r a m t l i c h e r S c h r i f t s t ü c k e des Prozesses. Zuwiderhandlungen unterliegen der zu 1 angegebenen Strafe (Art. I I I des Gesetzes).
§. 167. 337).
3. Die Majestätsbeleidigung.
Litteratur. H II 764. Z i m m e r m a n n G e r t s c h e n G A XXXII 53 (Z V 394).
GA XXXI 193 (Z IV
I. D e r B e g r i f f . Die Ehre des Trägers der staatlichen Souveränität ist b e g r i f f l i c h keine andre als die des Privatmannes; der Ehrbegriff selbst, richtig gefafst (oben §. 96 II), ist dehnbar genug, um sich jeder Lebensstellung des Individuums anzupassen. Wir bewegen uns innerhalb der allgemeinen Begriffsbestimmung der Beleidigung, wenn wir die Majestätsbeleidigung bestimmen als d i e V e r l e t z u n g d e r d e m H e r r s c h e r (nicht als Menschen, sondern als dem Träger der Staatshoheit) g e s c h u l d e t e n A c h t u n g ; und es bedarf nach dem seinerzeit Gesagten keiner weitern Ausführung darüber, dafs diese Achtung nach Inhalt und Umfang die dem Privatmanne geschuldete ebenso weit überragt, als die Stellung des Herrschers im staatlichen Leben die des Privatmannes. Die Aufstellung des besondern Verbrechens der Majestätsbeleidigung in der neueren Gesetzgebung hat demnach, wenn wir von dem veränderten, der Schwere wie der politischen Natur des Verbrechens rechnungtragenden Strafrahmen absehen, j u r i s t i s c h e Bedeutung nur nach der Richtung hin, als die für die gewöhnliche Beleidigung gegebenen besondern (also nicht aus dein Begriffe des Verbrechens folgenden) Bestimmungen, so jene
§. 167. Die Majestätsbeleidigung.
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über Antragserfordernis, Privatklage, Bufse, Erwiderung usw., auf die Majestätsbeleidigung keine Anwendung finden. Alle Sätze dagegen, welche sei es aus dem Begriffe der Beleidigung, sei es aus den allgemeinen Begriffen des Strafrechtes sich ergeben, müssen uneingeschränkt auch der Majestätsbeleidigung gegenüber zur Anwendung gebracht werden, mögen sie auch zufällig in dem 14. Abschnitte des StGB. Aufnahme gefunden haben. So ist §. 193 StGB, zwar nicht a l s s o l c h e r , wohl aber in seinem aus allgemeinen Grundsätzen Bich ergebenden I n h a l t e 1 ) auch für die Beurteilung der Majestätsbeleidigung mafsgebend; dasselbe gilt von dem Wahrheitsbeweise U8W.
S
)
Nur der m o n a r c h i s c h e Träger der Staatshoheit, sowie die Mitglieder seiner Familie und sein Stellvertreter (der Regent) können nach heutigem deutschen Rechte Gegenstand der Majestätsbeleidigung sein; die Träger der Staatshoheit in den freistaatlichen Gemeinwesen Deutschlands entbehren des erhöhten strafrechtlichen Schutzes ihrer Ehre. Der staatsrechtlichen Gestaltung des Deutschen Reiches entsprechend, hebt das Gesetz den K a i s e r , den Landesherrn des H e i m a t s s t a a t e s und jenen des A u f e n t h a l t s s t a a t e s des Thäters aus den übrigen Bundesfürsten hervor, obwohl der Kaiser in staatsrechtlicher Beziehung nicht als Souverän erscheint. Da es eine „kaiserliche Familie" staatsrechtlich nicht giebt, kommen die Familienangehörigen des Kaisers, insbesondre der „Kronprinz des Deutschen Reichs" nur als landesherrliche Familie (bez. Kronprinz von Preufsen) in Betracht; ein Ergebnis, das ohne Zweifel den thatsächlichen Verhältnissen in keiner Weise entspricht. 8 ) Die Strafen stufen sich ab, je nachdem es sich um eine T h ä t l i c h k e i t oder eine B e l e i d i g u n g i. e. S. handelt. ') Vgl. oben 96 IV. Ebenso im wesentlichen H I I 768, Ml 383, 0 448, R 31. Mai 83 V m 338. 2 ) Übereinstimmend H I I 768, G I I 131, J o h n HH I I I 69, Z i m m e r mann GA X X X I 193. Dagegen insbesondre H 809, Ml 383, O 448, G e r t s c h e n GA X X X I I 63, R 93. Juni 80 I I 213. ') Die Unklarheit der gesetzgeberischen Grundgedanken bei Regelang der MajeBtätsbeleidigung erhellt auch aus den durchaus unzutreffenden Überschriften der betreffenden Abschnitte des StGB. („Beleidigung des Landesherrn"; „Beleidigung von Bundesfiirsten".)
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§. 167. Die Msjestätabeleidigung.
„Thätlichkeit" bezeichnet auch hier (ygl. oben §. 97 Note 1) den unmittelbar gegen den Körper de9 zu Verletzenden gerichteten, wenn auch fehlgeschlagenen Angriff (die thätliche Beleidigung.)4) „Beleidigung" umfafat sowohl die V e r l e t z u n g als auch die sei es bewufste, sei es unbewufste G e f ä h r d u n g der Ehre (StGB. §§. 185, 186, 187). Verletzung der Familienehre durch Beleidigung verstorbener Herrscher ist nur nach StGB. §. 189 strafbar. Ob sich die Beleidigung auf Begierungshandlungen des Herrschers oder auf Handlungen seines Privatlebens bezieht, ist gleichgültig. Auch Äußerungen in Beziehung auf Regierungshandlungen, welche unter Gegenzeichnung des verantwortlichen Ministers erfolgten, können ab Majestätsbeleidigung erscheinen, wenn und soweit sie ein die Achtung verletzendes Urteil über den Monarchen enthalten oder ermöglichen; dasselbe gilt von nach dem Begierungsantritte gemacht« Aufserungen über solche Ereignisse, welche vor dem Begierungsantritte des angegriffenen Monarchen stattgefunden haben. Von einem Deutschen im A u s l a n d e gegen einen Bundesf ü r s t e n (nicht gegen eine landesherrliche Familie oder gegen den Regenten eines Bundesstaates) begangene Beleidigungen sind ohne weiteres nach inländischem Strafrechte zu bestrafen (StGB. §. 4 Ziff. 2; oben S. 108). II. Bestrafung von T h ä t l i c h k e i t e n . 1. Gegen den K a i s e r , gegen den L a n d e s h e r r n des T h ä t e r s o d e r w ä h r e n d d e s s e n A u f e n t h a l t s in e i n e m B u n d e s s t a a t e g e g e n den L a n d e s h e r r n d i e s e s S t a a t e s : lebenslängliches Zuchthaas oder lebenslängliche Festungshaft, in minder schweren Fällen Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer; neben Festunghaft teilweiser Ehrverlust zulässig; bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter fünf Jahren (StGB. §. 94). 3. Segen ein M i t g l i e d des l a n d e s h e r r l i c h e n Hauses 1 ) oder d e n R e g e n t e n des H e i m a t s - oder A u f e n t h a l t s s t a a t e s : Zuchthaus nicht unter fünf Jähren oder Festungshaft von gleicher Dauer; in minder schweren Fällen Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Festungshaft *) Es ist zu beachten, dafs j e d e (rechtswidrige) Thätlichkeit gegenüber dem Herrscher wohl ausnahmslos zugleich als Beleidigung erscheint. •) In Elsafs-Lothringen erscheint der Kaiser nicht als Landesherr; die Mitglieder der kaiserlichen Familie sind daher auch nicht als Mitglieder des landesherrlichen Hauses anzusehen. Vgl. L a b and I 716. Dasselbe gilt von den deutschen Schutzgebieten.
§. 188. Strafbare Handlungen gegen die politisches Recht«.
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von gleicher Daner; bei mildernden Umständen Festangshaft yon einem Jahre bis zu fünf Jahren (StGB. §. 96). 3. Gegen einen a n d e r n B n n d e s f ä r s t e n : Zachthaos von zwei bis zu zehn Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer; bei mildernden Umständen Festungshaft von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (StGB. §. 96). 4. Gegen ein M i t g l i e d e i n e s b u n d e s f f i r B t l i c h e n H a u s e s o d e r d e n K e g e n t e n e i n e s B u n d e s s t a a t s : Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer; bei mildernden Umständen Festungshaft von einem Monate bis zu drei Jahren (StGB. §. 100). TTT. Bestrafung der e i n f a c h e n B e l e i d i g u n g . 1. G e g e n d i e o b e n II, 1 g e n a n n t e n P e r s o n e n : Gefängnis nicht unter zwei Monaten oder Festungshaft von zwei Monaten bis zu fünf Jahren; neben Gefängnis teilweiser Ehrverlust zulässig (StGB. §. 96). 2. G e g e n d i e o b e n II, 8 g e n a n n t e n P e r s o n e n : Gefängnis von einem Monate bis zu drei Jahren oder Festungshaft von gleioher Dauer (StGB. §. 97). 8. G e g e n d i e o b e n II, 3 g e n a n n t e n P e r s o n e n : Gefängnis von einem Monate bis zu drei Jahren oder Festungshaft von gleioher Dauer; Verfolgung nur mit Ermächtigung des Beleidigten (StGB. §. 99). 4. G e g e n d i e R e g e n t e n (nicht gegen die Mitglieder des landesherrlichen Hauses) d e r o b e n II, 4 g e n a n n t e n S t a a t e n : Gefängnis von einer Woche bis zu swei Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer; Verfolgung nur mit Ermächtigung des Beleidigten (StGB. §. 101).
§. 168. 4. Strafbare Handlungen gegen die politischen Rechte der Staatsbürger. Littoratur. H I I 778 , 783. D r e n k m a n n GA XVII 168. S c h n e i d l e r GS XL 1 (Z VIII 86). D o c h o w HR „Wahlvergehen«. I. Seit der Heranziehung des Volkes zur Teilnahme an den Geschäften der Regierung bildet der 8ohutz der politischen Rechte der Staatsbürger eine wichtige Aufgabe der Strafgesetzgebung. Wenn auoh manche der in den Verfassungsurkunden gewährleisteten „politischen Rechte", wie Hausreoht und Briefgeheimnis oder die persönliche Freiheit bei ruhigerer Betrachtung später als nichtpolitische Rechtsgüter erkannt und die gegen sie gerichteten Handlungen teils dem gemeinen Reohte, teils auch den Amtsvergehen zugewiesen, andre aber wie die Prefsfreiheit oder das Vereins- und Versammlungsrecht durch eine Reihe von Strafdrohungen nicht sowohl in ihrem Dasein geschützt als vielmehr in die gesetzlich bestimmten Schranken eingegrenzt wurden — so fanden doch die Verbrechen und Vergehen gegen „ s t a a t s b ü r g e r l i c h e R e c h t e " (droits civiques) fortan dauernde Aufnahme in die deutschen Strafgesetzbücher. Das RStGB., welches auch in diesem Punkte unter
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§• 166. Strafbare Handlungen gegen die politischen Rechte.
dem Einflüsse des durch das preufsische StGB, vermittelten französischen Rechtes (c. pénal Art. 109 bis 113) steht, umfafst unter dieser Bezeichnung zwei wesentlich verschiedene Gruppen von strafbaren Handlungen. Es schützt durch seine Strafdrohungen: 1. die g e s e t z g e b e n d e n V e r s a m m l u n g e n des Reichs oder eines Bundesstaates (neben Senat und Bürgerschaft der freien Hansestädte) als Träger der dem Volke mitübertragenen gesetzgebenden Gewalt, und 2. das p o l i t i s c h e W a h l - und S t i m m r e c h t des deutschen Bürgers.
II. Es gehören hierher die folgenden strafbaren Handlungen : 1. Das Unternehmen, den Senat oder die Bürgerschaft einer der freien Hansestädte, oder eine gesetzgebende Versammlung des Reiches oder eines Bundesstaates 1. a u s e i n a n d e r z u s p r e n g e n ; 2. z u r F a s s u n g o d e r U n t e r l a s s u n g v o n B e s c h l ü s s e n zu n ö t i g e n ; 3. M i t g l i e d e r a u s i h n e n g e w a l t s a m zu e n t f e r n e n (StGB. §. 105). Geschützt sind demnach auch der Reichstag und der Bundesrat, sowie der Landesausschufs von Elsafs-Lothringen ; niemals aber ausländische Versammlungen. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder Festungshaft von gleicher Bauer; bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter einem Jahre.
2. Die durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer strafbaren Handlung begangene V e r h i n d e r u n g eines Mitgliedes einer der unter I bezeichneten Versammlungen, 1. sich an den Ort der Versammlung zu begeben, oder 2. zu stimmen (StGB. §. 106). Über die Begriffe Gewalt und Drohung vgl. oben §. 99 IV. Kach StGB. §. 339 Abs. 3 steht diesen Mitteln der Mifsbrauch der Amtsgewalt oder die Androhung eines bestimmten Mifsbrauchs derselben völlig gleich. Positiver Zwang, insbesondre zur Abgabe der Stimme gehört nicht hierher, kann aber nach StGB. §. 240 strafbar werden. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer; bei mildernden Umständen Festungshaft bis zu zwei Jahren.
3. D i e W a h l - u n d S t i m m v e r h i n d e r u n g , d. h. die durch Gewalt oder Bedrohung mit einer strafbaren Handlung begangene V e r h i n d e r u n g e i n e s D e u t s c h e n (nicht des Ausländers), in Ausübung seiner staatsbürgerlichen Rechte zu wählen oder zu stimmen (StGB. §. 107). Geschützt ist das p o l i t i s c h e Wahl- und Stimmrecht, also die Beteiligung an
§. 168. Strafbare Handlangen gegen die politischen Rechte. 569 allen öffentlichen Angelegenheiten in Staat (Provinz, Kreis) und Gemeinde durch Abgabe der Stimme überhaupt, durch Wahl von Vertretern insbesondre. Die Ausdrücke „in Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte" und „in öffentlichen Angelegenheiten^ (StGB. §§. 108 und 109) erscheinen mithin als gleichbedeutend. Kirchliche "Wahlen sind ebenso ausgeschlossen, wie Handelskammerwahlen, Wahlen auf Grund der Versicherungsgesetze usw.1) Der „Verhinderung" steht zwar nicht die N ö t i g u n g zur Ausübung des Wahl- und Stimmrechtes überhaupt, wohl aber die Nötigung zur Ausübung desselben nach einer andern als der dem Willen des Genötigten entsprechenden Richtung gleich. (StGB. §. 339 Abs. 3 findet auch hier Anwendung.) S t r a f e : Gefängnis nicht unter sechs Monaten oder Festungshaft (von einem Tag) bis zu fünf Jahren. Versuch strafbar.
4. D i e W a h l f ä l s c h u n g . Sie umfafst (StGB. §. 108) 1. d i e F ä l s c h u n g i. e. S., oder die H e r b e i f ü h r u n g eines unrichtigen Ergebnisses bei Wahlhandlungen (nicht andern Abstimmungen) in öffentlichen Angelegenheiten; und 2. die V e r f ä l s c h u n g eines solchen Wahlergebnisses. Dabei haben wir unter „Wahlergebnis" nicht das Gewähltsein dieses oder jenes Bewerbers zu verstehen, auch nicht etwa das Wahlprotokoll, sondern die dem Gesetze entsprechende thatsächliche A u s ü b u n g des W a h l r e c h t e s . Die Wahlfälschung ist mithin kein Fälschungsverbrecben im eigentlichen Sinne, also nicht Mifsbrauch einer Beglaubigungsform. Das Wahlergebnis ist g e f ä l s c h t , wenn die thatsächliche Ausübung dem Gesetze nicht entspricht, mithin z. B. ein Unberechtigter zur Wahl oder ein Berechtigter zu mehrfacher Abgabe der Stimme zugelassen wurde;2) es ist v e r f ä l s c h t , wenn seine Feststellung der thatsächlichen Ausübung nicht entspricht, also z. B. die abgegebenen Stimmzettel unrichtig gezählt und eingetragen werden. V o r s a t z ist in beiden Fällen erforderlich. Dafs es sich nur um i n l ä n d i s c h e Wahlen handelt, sollte keinem Zweifel unterliegen. ') Die Frage ist sehr bestritten. Im wesentlichen übereinstimmend R 9. November 82 VII 223, ß 372, G II 133, H II 784, M 829, D o c h o w , S c h n e i d l e r a. O. Dagegen insbes. O 466. ») Ebenso G II 133, M 830 Note 10, S c h n e i d l e r GS XL 14; dagegen 0 467.
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§•
Strafbare Handlungen gegen das Völkerrecht.
Strafe: 1. Wenn der Thäter mit der Sammlung von Wahl- oder Stimmzetteln oder -Zeichen oder mit der Führung der Beurkundungsverhandlung beauftragt war, Gefängnis von einer Woche bis zu drei Jahren; 2. wenn dies nicht der Fall, Gefängnis bis zu zwei Jahren. In beiden Fällen kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.
5. D e r S t i m m e n k a u f oder die W a h l b e s t e c h u n g , d. i. der Kauf oder Verkauf von Walilstimmen in einer öffentlichen (inländischen) Angelegenheit (StGB. §. 109). Der zivilrechtliche Begriff des Kaufes findet dabei keine Anwendung; wohl aber ist eine, wenn auch nicht ausdrückliche Vereinbarung über Abgabe der Stimme in einem bestimmten Sinne einerseits und über die Gegenleistung anderseits erforderlich. Mit dieser Vereinbarung ist das Vergehen vollendet, mag es auch gar nicht zur Abgabe der Stimme gekommen oder diese nicht der Verabredung gemäfs erfolgt sein. Einseitiges Versprechen, sei es der Stimme, sei es des Gegenwertes, bleibt als Versuch straflos. Bestechung zum Zweck der W a h l e n t h a l t u n g gehört nicht hierher. Ebensowenig eine s c h e i n b a r e Vereinbarung, während der Stimmberechtigte sich im Innern die Verfügung über seine Stimme vorbehält. Als Gegenwert für die Wahlstimme genügen Vorteile irgendwelcher Art; Vermögensvorteil ist nicht erforderlich. S t r a f e : Gefängnis von einem Uonate bis zu zwei Jahren; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.
Zweiter Abschnitt. §. 169.
Strafbare Handlungen gegen das Völkerrecht.
Lltteratur. L a m m a s c h Z III 396. v. M a r t i t z Internationale Rechtshilfe I 60, 71. E. C l u n e t Offences et actes hostiles commis par des particuliers contre un Etat étranger 1887. — S t o o f s und M o r e l Schweizer Zeitschrift I 149, 304. I. Die Verletzung der durch das Völkerrecht dem Einzelstaate und seinen Angehörigen auferlegten Verpflichtungen hat bisher noch nicht
§. 169. Strafbare Handlangen gegen d u Völkerrecht
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die gebührende Beachtung von seiten des Strafgesetzgebers gefunden. Der Nentralitätsbruch wird nur von einzelnen StGBüchern (Japan, österreioh. Entwurf) unter Strafe gestellt. Angriffe auf das fremde Staatewesen, auf Herrscher und Volk, auf Staatsgewalt und Einrichtungen eine« fremden Landes werden nur ausnahmsweise mit Strafe bedroht. Und znmeist wird der Eintritt des auch inhaltlich vielfach geringeren Strafschutzes noch von besonderen Bedingungen, wie der Verbürgung der Gegenseitigkeit abhängig gemacht. Und doch wSrde der täglich wachsende Verkehr zwischen den verschiedensten, weit entlegenen Staaten die Verfolgung von Handlungen wünschenswert erscheinen lassen, welche, wenn auch zunächst gegen ein ausländisches Gemeinwesen gerichtet, doch in ihren Rückwirkungen die inländischen Interessen empfindlich zu berühren vermögen.
EL Nach deutschem Reichsrecht fallen Handlangen, welche gegen einen aufserdeutechen S t a a t , gegen fremde S t a a t s g e w a l t oder S t a a t s v e r w a l t u n g gerichtet sind, nur dann unter inländische Strafdrohungen, wenn diese ausdrücklich auf jene erstreckt sind. Dies ist nur in den §§. 102 bis 104 RStGB. geschehen'). Als „ f e i n d l i c h e H a n d l u n g e n g e g e n b e f r e u n d e t e ( ? ) S t a a t e n " bedroht das RStGB. folgende Fälle. 1. D i e V o r n a h m e e i n e r H a n d l u n g gegen einen aufserdeutschen Staat oder dessen Landesherrn, welche, wenn gegen einen Bundesstaat oder einen Bundesfursten begangen, als H o c h v e r r a t nach StGB. §§. 81 bis 86 zu bestrafen sein würde (StGB. §. 102). Als objektive Bedingung der Strafbarkeit verlangt §. 102 V e r b ü r g u n g d e r G e g e n s e i t i g k e i t , d . h. der entsprechend schweren Bestrafung dieser Handlungen nach dem ausländischen Recht, wenn sie gegen das Deutsche Reich oder einen deutschen Einzelstaat gerichtet sind. Die „Verbürgung" braucht nicht durch Gesetz oder Staatsvertrag, sie kann auch durch einen die Gewähr künftiger Festhaltung bietenden Gerichtsgebrauch gegeben sein. Während der d e u t s c h e U n t e r t h a n sowohl im Inlande wie im Auslande und hier ohne die Beschränkungen der §§. 4, 5 StGB, (oben S. 109) für die Begehung derartiger Handlungen verantwortlich gemacht wird, haftet der A u s ') Vgl. unten §. 170 Note 1.
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§• 169. Strafbare Handlungen gegen das Völkerrecht.
l ä n d e r nur w ä h r e n d s e i n e s A u f e n t h a l t e s i m l n l a i i d e . A u c h hier ist der Aufenthaltsort, nicht der Begehungsort mafagebend. Die Verfolgung tritt nur a u f A n t r a g d e r a u s w ä r t i g e n R e g i e r u n g e i n ; der Antrag ist rücknehmbar. Die S t r a f e beträgt a) in den Fällen der §§. 81 bis 84 StGB. Festungshaft von einem bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren; b) in den Fällen der §§. 85 und 86 StGB. Festungshaft von einem Honat bis zu drei Jahren. 2. D i e t h ä t l i c h e o d e r n i c h t t h ä t l i c h e Beleid i g u n g des L a n d e s h e r r n o d e r R e g e n t e n e i n e s nicht z u m D e u t s c h e n R e i c h e g e h ö r e n d e n S t a a t e s (StGB. §• 103). Gegenseitigkeit mufs verbürgt sein. Der Präsident eines fremden Freistaates wird ebensowenig geschützt wie ein fremdes Volk. Auch nicht der Papst, da dieser zwar Souverän, nicht aber Landesherr ist. S t r a f e : Gefängnis von einer Woche bis zu zwei Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer. Antrag erforderlich; antrageberechtigt die auswärtige Regierung; Antrag rücknehmbar. 3. D i e t h ä t l i c h e o d e r n i c h t t h ä t l i c h e B e l e i d i g u n g e i n e s bei dem R e i c h , einem bundesfürstlichen H o f e oder bei dem Senate einer der freien Hansestädte beglaubigten G e s a n d t e n o d e r G e s c h ä f t s t r ä g e r s ( S t G B . §. 103).*) S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre oder Festungshaft von gleicher Dauer. Verfolgung nur auf Antrag des Beleidigten; Antrag rücknehmbar. 4. Strafbare H a n d l u n g e n an A u t o r i t ä t s oder H o h e i t s z e i c h e n eines aufserdeutschen Staates ( S t G B . §. 103a). Thatbestand und Strafe entsprechen dem §. 135 S t G B . Vgl. darüber unten §. 174 V . ' ) Die §§. 185 ff. StGB, sind anzuwenden, soweit sie strenger sind.
§. 170. Gewaltsamer Eingriff in Amtshandlungen.
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Dritter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen die Staatsgewalt. §. 170.
I. Gewaltsamer Eingriff in Amtshandlungen.
L i t t e r a t n r . J o h n H H I I I 116, 129. S c h u l t z Der Widerstand gegen die auswärtige Staatsgewalt 1881 (Z I 619). H i l l e r Die Rechtmäßigkeit der Ausübung im Begriffe des Vergehens der Widersetzlichkeit 1873. D e r s e l b e GS XXVII. B o l z e GA XXIII. v. K i r c h e n h e i m GS XXX. G u g g e n h e i m e r Der Irrtum des Thäters in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung 1883 (Z I V 386). F r e u n d Archiv für öffentl. Recht I 108, 366. v a n H a m e l Holländische Zeitschrift I 19. Die Begründung des italienischen StGB. I I 91. S c h ü t z e Notwendige Teilnahme §. 62. H I I 789.
I. Mit erhöhtem Strafschutze umkleidet das heimische Recht die Thätigkeit seiner B e a m t e n , als der Vollstrecker des Staatswillens. Und zwar nur s e i n e r Beamten. Sowenig unsre Gesetzgebung den ausländischen Staat und seine Vertreter dem Inlande gleichstellt, selbst wo sie durch ausdrückliche Bestimmung Strafdrohungen gegen den Angriff auf da8 Ausland richtet, ebensowenig oder richtiger noch weniger Veranlassung hat sie zur Gleichstellung der inländischen und der ausländischen Staatsbeamten. Und da besondre und ausdrückliche Bestimmungen fehlen, müssen wir mithin die in diesem Paragraphen zu erörternden Strafdrohungen auf die Gewalt gegen i n l ä n d i s c h e Staatsbeamte beschränken.1) Im Anschlufs an die römischen Bestimmungen über seditio und tumultus bedroht PGO. 127 denjenigen, welcher „gefährliche, fürsetzliche und boshaftige A u f r u h r e n des gemeinen Volkes wider die Obrigkeit ') Vgl. oben §. 169. Die Frage ist gerade hier lebhaft bestritten. Im Sinne des Textes: H e i n z e GA X V I I 737, J o h n H H I I I 91, G I I 137, H I I 794 (der sich auf StGB. 6. 369 stützt), Ml 388, 0 470, van H a m e l W 506, insbes. auch S c h u l t z a. 0. Dagegen B 374, M 789, S 260. auch R 16. Februar 83 V I I I 53, 14. Januar 87 X V 221. — Das entscheidende Gewicht lege ich auf StGB. §§. 102 bis 104. Nach der gegnerischen Ansicht wären diese Paragraphen unbegreifliche Folgewidrigkeiten. Dazu tritt als neuer und schlagender Beweisgrund §. 32 des intern. Vertrages betr. die Nordseefischerei vom 6. Mai 1882, nach welchem der Widerstand gegen die mit der Polizei beauftragten Kreuzer „wie der Widerstand gegen die Staatsgewalt der Nation des Fischerfahrzeuges angesehen werden soll", eine Bestimmung, die nur dann begreiflich ist, wenn diese Gleichstellung eben n i c h t aus allgemeinen Grundsätzen folgt.
574
§• 170. Gewaltsamer Eingriff in Amtshandlangen.
macht", mit der Schwertstrafe, in mildern Fällen mit körperlicher Züchtigung und Landesverweisung. Daran hielt das gemeine Recht fest, soweit es sich um die seditio siraplex handelte (Preufsen 1620 hebt schon die „Rädleinführer" besonders hervor), während die schwerern Fälle zum Hochverrat gerechnet wurden. Daneben aber hatten Bchon die Stadtrechte des deutschen Hittelalters die Vergewaltigung von Stadtdienern, Wachen, Richtern, Beamten mit schweren Strafen belegt und das gemeine Recht betrachtete die violatio personarum publicarum als besondern Fall der vis publica. In der neueren Gesetzgebung entwickeln sich daraus, allerdings unter fortwährendem Schwanken , die besondern Vergehungen des Auflaufs und Aufruhrs einerseits, des „Widerstands gegen die Staatsgewalt" anderseits.
II. D e r W i d e r s t a n d g e g e n d i e S t a a t s g e w a l t . StGB. §. 113 bestimmt denselben dahin, dafs einem Beamten, welcher zur Vollstreckung von Gesetzen, von Befehlen und Anordnungen der Verwaltungsbehörden oder von Urteilen und Verfügungen der Gerichte berufen ist, in der rechtmäfsigen Ausübung seines Amtes durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt Widerstand geleistet wird. Der Begriff des Beamten ist aus StGB. §. 359 zu entnehmen (vgl. unten §. 176 III); doch stellt das Gesetz (StGB. §. 113 Abs. 3) den Beamten gleich: jene Personen, welche zur Unterstützung des Beamten zugezogen waren; Mannschaften der bewaffneten Macht; endlich Mannschaften einer Gemeinde-, Schutz- oder Bürgerwehr.2) Die Amtsausübung mufs, wie das schon das gemeine Recht (Leyser, Engau u. a.) forderte, eine r e c h t m ä f s i g e sein; Bie ist es, wenn nicht nur die Amtshandlung innerhalb der Grenzen der allgemeinen Zuständigkeit des Beamten sich bewegt, sondern auch im Einzelfalle ihre Vornahme bei pflichtgemäfser Berücksichtigung der dem Beamten im Augenblicke vorliegenden Umstände als geboten erscheint, mag sie sich auch nachträglich, bei Klärung der Sachlage, als überflüssig oder sogar ungerechtfertigt darstellen. Irrige Annahme der Rechtmäfsigkeit von seiten des Be») Gleichgestellt sind gegenüber StGB. §§. 113, 114 durch Gesetz vom 21. November 1887 die Befehlshaber der zum Schutze der unterseeischen Telegraphenkabel berufenen Schiffe; vgl. oben §.19 Note 6. — Gleichzustellen sind ferner die Beamten der deutschen Kolonialgesellschaften; M e y e r Schutzgebiete 166.
§. 170. Gewaltsamer Eingriff in Amtshandlungen.
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amten kann den Mangel derselben nicht ersetzen. Mit der Überschreitung der Grenzen der Rechtmäfsigkeit beginnt hier wie sonst die Berechtigung des Widerstandes. Der Widerstand mufs „in der Ausübung des Amtes" geleistet, mithin gegen die Amtshandlung selbst als solche gerichtet sein. Die Weigerung, den Namen zu nennen, eine Sache herauszugeben, die Thüre zu öffnen, sich verhaften zu lassen usw. bleibt straflos als sog. „passiver Widerstand"; das Gesetz verlangt, dafs der Widerstand „durch Gewalt oder Bedrohung mit Gewalt" (oben §. 99 IV) geleistet wird. V o r s a t z ist erforderlich. Er umfafst auch hier alle Teile der Verbrechenshandlung. Fraglich und lebhaft bestritten int es aber, ob die Rechtmäfsigkeit der Amtsausübung zu den Begriffsmerkmalen gehört, oder aber eine objektive Bedingung der Strafbarkeit ist; ob also der Irrtum des Thäters über diesen Punkt den Vorsatz ausschliefst oder nicht. Nicht nur die Wortfassung des Paragraphen, sondern auch Entstehungsgeschichte und Bedeutung desselben entscheiden zu gunsten der erstem Annahme. Irriger Glaube des Thäters, dafs die Amtsausübung eine unrechtmäfsige sei, schliefst mithin die Strafbarkeit des Widerstandes aus.8) S t r a f e : Gefängnis von vierzehn Tagen bis zu zwei Jahren; bei mildernden Umständen Gefängnis bis zu einem Jabre oder Geldstrafe bis zu tausend Mark*).
II. T h ä t l i c h e r A n g r i f f auf eine der unter I genannten Personen, während sie in der rechtmäfsigen Ausübung ihres Amtes oder Dienstes begriffen ist (StGB. §. 113). „Thätlicher Angriff" ist gleichbedeutend mit „Thätlichkeit" (oben §. 97 Note 1). Derselbe braucht nicht die Vereitelung der Zwangsvollstreckung zum Zwecke zu haben. Strafe wie unter I. ') Ebenso Bg Normen I I 669, G I I 139, H I I 815, M 818, Hl 391, 0 601, K o h l e r Studien 73, G u g g e n h e i m e r 38. Dagegen J o h n H H I I I 118, H i 11 e r Rechtmäfsigkeit 73, L u c a s Verschuldung 26, Z i e b a r t h 366; sowie R wiederholt, zuletzt 10. Februar 85 X I I 6 *) Besondre Bestimmungen vielfach in den Nebengesetzen; so Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§. 148, 161; Salzsteuergesetz vom 12. Oktober 1867 17; Brau- und Branntweinsteuergesetz vom 4. und 8. Juli 1868 §§. 37 und 68; Braumalzsteuergesetz vom 31. Mai 1872 §. 36; Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879 §. 41. Häufig sind insbes. ergänzende Ordnungsstrafen angedroht. Besonders wichtig sind die Vorschriften der Seemannsordnung; vgl. dieselben unten §. 195 VIII.
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§• 170. Gewaltsamer Eingriff in Amtshandlungen.
III. Das Unternehmen, durch Gewalt oder Drohung eine Behörde "") oder einen Beamten zur V o r n a h m e o d e r U n t e r l a s s u n g e i n e r A m t s h a n d l u n g z u n ö t i g e n (StGB. §. 114). S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten; bei mildernden Umständen Gefängnis bis zu zwei Jahren. Wenn die Handlung im Einzelfalle sowohl den Thatbestand des §. 113 als auch den des §. 114 enthält, ist die strengere Bestimmung anzuwenden.8)
IV. A u f r u h r ist die Teilnahme an einer öffentlichen Zusammenrottung (oben § . 1 1 9 I I I 3), bei welcher eine der unter I bis I I I bezeichneten Handlungen mit vereinten Kräften begangen wird (StGB. §. 115). ,,Teilnahme" setzt vorsätzliche, d. h. mit dem Bewufstsein der Zusammenrottung wie der dabei begangenen Handlung verbundene, Beteiligung voraus. S t r a f e : Gefängnis nichi unter sechs Monaten (Vergehen; gegen die R ä d e l s f ü h r e r (oben 52 Note 3) sowie diejenigen Personen, welche eine der unter 1—III bezeichneten Handlungen begangen haben, Zuchthaus bis zu zehn Jahren, neben welchem auf Polizeiaufsicht erkannt werden kann, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten (Verbrechen). ')
Y. A u f 1 a u f ist zunächst die Versammlung einer Menschenmenge auf öffentlichen Wegen, Strafsen oder Plätzen. Der Auflauf wird aber nach StGB. §. 116 strafbar erst dadurch, dafs die Versammelten, wenn die Menschenmenge von dem zuständigen Beamten oder (dem zuständigen) Befehlshaber der bewaffneten Macht aufgefordert wurde, sich zu entfernen, nach der dritten Aufforderung sich nicht zerstreuen. Vorsatz ist erforderlich; derselbe ist ausgeschlossen, wenn dem Thäter die dreimalige Aufforderung unbekannt geblieben ist. S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Monaten oder Geldstrafe biB zu fünfzehnhundert Mark. Ist bei einem Auflaufe gegen die Beamten oder die bewaffnete Macht mit vereinten Kräften thätlicher Widerstand geleistet oder Gewalt ver®) Der Begriff der B e h ö r d e unterscheidet sich von dem des Beamten durch die selbständige, dauernd geregelte Eingliederung in den Zusammenhang der Staatsverwaltung. Beschlufs der vereinigten Strafsenate vom 14. November 88 X V I I I 246. 6 ) Die gem. Meinung betrachtet §. 113 als den engern gegenüber §. 114; so auch 0 605, welcher aber zugiebt, dafs diese Ansicht zu sehr wenig befriedigenden Ergebnissen führt. 7 ) Über militärischen Aufruhr vgl. Mil.StGB. §§. 106 bis 110 (unten §. 202).
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§. 171. Gewalt gegen Forst- oder Jagdbeamte.
übt worden, so treten gegen diejenigen, welche an diesen Handlungen teilgenommen, die Strafen des Aufruhrs ein.
§.171.
2. Gewalt gegen Forst- oder iagdbeamte.
I. Dem preufsischen Gesetze vom 31. März 1837 folgend, hat das RStGB. die Gewalt gegeD Forst- oder Jagdbeamte, Waldeigentümer, Forst- oder Jagdberechtigte oder gegen einen von diesen bestellten Aufseher mit strengen Strafen bedroht (§§. 117 bis 119), sie dem „Widerstande gegen die Staatsgewalt" angereiht und so diese Personen, welche meist Privatpersonen sein werden oder doch Staatsbeamte nicht zu sein brauchen, wegen des Bedürfnisses derselben nach kräftigerem strafrechtlichen Schutze gegen rechtswidrige Angriffe, den Vertretern der Staatsgewalt gleichgestellt.1) II. Es gehören hierher zwei Fälle, welche den im vorhergehenden Paragraphen unter I und II behandelten entsprechen: 1. der durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt geleistete W i d e r s t a n d gegen die genannten Personen, wenn sie in der rechtmäfsigen Ausübung ihres Amtes oder Rechtes begriffen sind; 2) der t h ä t l i c h e A n g r i f f gegen dieselben während der (rechtmäfsigen) Ausübung ihres Amtes oder Rechtes. Der Vorsatz mufs auch hier (oben §. 170 Note 3) das Bewußtsein umfassen, dafs der Gregner in rechtmässiger Ausübung handle.*) Dafs die rechtswidrige Handlung i n n e r h a l b des betreffenden Revieres oder zwar aufserhalb desselben, aber in unmittelbarem Zusammenhange mit einer innerhalb des Revieres vorgenommenen Amtshandlung oder Rechtsausübung stattgefunden habe, ist zum Thatbestande des Vergehens nicht erforderlich; es genügt die Richtung der Handlung gegen die genannten, eines höhern strafrechtlichen Schutzes bedürftigen Personen. Ebensowenig läfet sich bei dem klaren Wortlaute des Gesetzes die Ansicht rechtfertigen, dafs nicht die Ausübung des Jagdrechtes oder andrer den angeführten Privatpersonen zustehender Rechte, sondern nur ') Eben deshalb beschränkt sich der Schutz auf Inländer. 0 617. ») Ebenso hier R 7. Januar 90 XX 156. v o n L i i z t , Strafrecht. 4. Aufl.
37
Dagegen
578
§. 172. Die Befreiung von Gefangenen.
die zum Schutze der Waldungen und Jagden in Ausübung der Forst- und Jagdpolizei g e g e n F o r s t - u n d J a g d f r e v l e r vorgenommenen Handlungen in § 117 gemeint seien. 3 ) III. Die S t r a f e ist vielfach abgestuft. a) Regelmäßiger Strafrahmen: Gefängnis von vierzehn Tagen bis zu drei Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis bis zu einem Jahre (StGB. §. 117). b) Wenn der Widerstand oder Angriff uuter Drohung mit Schiefsgewehr, Äxten oder andern gefährlichen Werkzeugen erfolgt oder mit Gewalt an der Person (des Beamten oder Berechtigten) begangen worden ist: Gefängnis nicht unter drei Monaten, bei mildernden Umständen nicht unter einem Monate (StGB. §. 117).4) c) Wenn durch den Widerstand oder den Angriff eine Körperverletzung dessen, gegen welchen die Handlung begangen ist, verursacht worden: Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten (StGB. §. 118). d) Wenn eine der Handlungen von mehreren gemeinschaftlich (oben §. 51 Note 3) begangen worden ist, so kann die Strafe (a bis c) bis um die Hälfte des angedrohten Höchstbetrages, die Gefängnisstrafe jedoch nicht über fünf Jahre erhöht werden (StGB. §. 119).
§. 172. Litteratnr.
3. Die Befreiung von Gefangenen.
J o h n HH I I I 142. H I I 960.
S t e n g l e i n Z IV 487.
1. Die Befreiung von Gefangenen erscheint als Eingriff in die o b r i g k e i t l i c h e G e w a l t , unter welcher der Gefangene sich befindet. Darnach bestimmt sich ihre Stellung im System des besondern Teils. Dabei haben wir unter „Gefangenen" zu verstehen Untersuchungs- und Strafgefangene, in zivilprozessualer wie in polizeilicher Haft Befindliche; auch wer im Arbeitshaus nach StGB. §. 362, nicht aber wer in der Zwangserziehungsanstalt nach StGB. §§. 55, 56 oder im Irrenhause angehalten wird, gehört hierher. Gestellung auf Grund eines Vorführungsbefehls genügt; nicht aber Festnahme durch einen Privaten nach StPO. §. 127. Der auf Ehrenwort internierte Kriegsgefangene ist durch die Anweisung eines bestimmten Aufenthaltsortes nicht nur mora') D a g e g e n die gem. Meinung, insbes. OT. in 34 jähriger Rechtsprechung, sowie R wiederholt, zuletzt 7. Januar 90 XX 156. Mit dem Texte übereinstimmend M 821. 4 ) Die Begriffe „Drohung" und „Gewalt" sind dieselben wie oben §• 99.
§. 172.
Die Befreiung von Gefangenen.
579
lisch, sondern thatsächlich in die Macht der Obrigkeit gebracht, mithin „Gefangener" im Sinne des Gesetzes.1) I I . Die gemeinrechtliche Auffassung der Befreiung von Gefangenen (effractio carceris) ruht auf dem römischen Hechte. Dieses bedroht seit der Kaiserzeit nicht nur die — eventuell als laesa majestas zu bestrafende — Befreiung durch dritte, sondern auch die Selbstentweichung des Gefangenen. Insbesondre aber -wird das Entweichenlassen durch den Gefangenen-Aufseher, den commentariensis, bestraft und dabei, wenn auch in ganz ungenügender Weise, zwischen Vorsatz, Fahrlässigkeit und Zufall zu unterscheiden versucht; im schwersten Falle trifft den Aufseher die Talion. 3 ) Ebenso bestimmt die PGO. in Art. 180: „So ein Hüter der peinlichen Gefängnisse einem . . . aushilft, der hat dieselbe peinliche Strafe anstatt des Ubelthäters, den er also ausgelassen, verwirkt. Kam' aber der Gefangene durch bemeld'ten Hüters U n f l e i f s aus Gefängnis, solcher Unfleifs ist nach Gestalt der Sachen zu strafen". Das gemeine Recht setzt an die Stelle der Talion (die sich noch Kurpfalz 1582, Hamburg 1603, Preufsen 1685 findet) willkürliche Strafe, und hält im Gegensatze zu den römischen Quellen an der Uberzeugung fest, dafs die Bestrafung der Selbstbefreiung dem ebenso natürlichen wie mächtigen Triebe nach Freiheit zuwiderläuft, mithin unnütz und darum verwerflich ist.
III. Das RStGB. unterscheidet drei Fälle.») 1. Die S e l b s t b e f r e i u n g , regelmäfsig straflos, ist nach dem RStGB. § 122 nur strafbar als M e u t e r e i und zwar: a) als Meuterei gegen P e r s o n e n , wenn die Gefangenen sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften a) die Anstaltsbeamten oder die mit der Beaufsichtigung Beauftragten ang r e i f e n , oder ß ) denselben W i d e r s t a n d l e i s t e n , oder y) es unternehmen, sie zu Handlungen oder Unterlassungen zu n ö t i g e n , oder b) als Meuterei gegen S a c h e n , wenn Gefangene sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften einen gewaltsamen Ausbruch unternehmen. S t r a f e : Gefängnis nicht unter sechB Monaten; gegen diejenigen Meuterer, welche Gewaltthätigkeiten gegen die Anstaltsbeamten oder gegen die mit der Beaufsichtigung Beauftragten verüben, Zuchthaus bis zu zehn Jahren, neben welchem Polizeiaufsicht zulässig ist. I m übrigen genügt zur Bestrafung die Beteiligung an der Zusammenrottung mit dem ') I m Einzelnen vielfach bestritten. Vgl. M 848, 0 529. *) G ü n t h e r Wiedervergeltung 150. ») Vgl. auch Militär-StGB. §§. 58 Ziff. 11, 79, 80, 144, 159 (unten §. 202). 37*
580
§. 173. Die strafbaren Aufforderungen.
Bewufstsein, dafs von einem oder mehreren der Beteiligten eine der genannten Handlungen begangen werde (vgl. oben 170 IV). 2. D i e v o r s ä t z l i c h e B e f r e i u n g eines Gefangenen aus der Gefangenanstalt oder aus der Gewalt der bewaffneten Jlacht. des Beamten oder desjenigen. 4 ) unter dessen Beaufsichtigung. Begleitung oder Bewachung er sich befindet ( S t G B . §. 120). Gleichgestellt ist die vorsätzliche Beihilfe zu der, wenn auch an sich straflosen Selbstbefreiung, während die Anstiftung zu derselben straflos bleibt. Anstiftung zu einer der in §. 120 erwähnten strafbaren Handlungen sowie Beihilfe zu derselben ist nach allgemeinen Grundsätzen strafbar. Doch kann der Gefangene selbst nach dem oben §. 53 V 2 Gesagten nicht wegen Anstiftung oder Beihilfe zu dem Vergehen des § 120 gestraft werden. 5 ) S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren. Der Versuch — auch derjenige der Beihilfe zur Selbstbefreiung — ist strafbar. Beamte werden nach StGB. §. 347 (unten §. 177 V B) gestraft. 3. D a s vorsätzliche (nicht fahrlässige) Entweichenlassen eines Gefangenen sowie die vorsätzliche oder fahrlässige Beförderung der Befreiung des Gefangenen (mag es sich um Befreiung durch einen dritten, mag es sich um Selbstbefreiung durch den Gefangenen selbst handeln) v o n S e i t e n e i n e r m i t d e r B e a u f s i c h t i g u n g (Bewachung) o d e r B e g l e i t u n g d e s G e f a n g e n e n b e a u f t r a g t e n P e r s o n ( S t G B . §. 121). S t r a f e : a) bei vorsätzlichem Handeln Gefängnis bis zu drei Jahren; b) bei fahrlässiger Beförderung der Befreiung Gefängnis bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu dreihundert Mark.
§. 173.
4. Die strafbaren Aufforderungen.
L i t t e r a t n r . H I I 796. — Zu I V : Gey er H H IV 143. S t e m a n n GS XXVIII. M e v e s Strafgesetznovelle S. 328. H I 407. R e i f fei GS X L I I 175. W i t t e Erörterungen über den §. 49 a des Strafgesetzbuches für das deutsche Reich 1888 (Breslauer Diss.). Z VI 721 (Dänisches Gesetz von 1885). 4 ) Es kommen hier insbes. auch diejenigen Privatpersonen in Betracht, welchen die Beaufsichtigung der Sträflinge während der Aufsenarbeit übertragen ist. ft ) Übereinstimmend G e y e r Z I I 315, H e r z o g GS XXXIV 81 (Z I I I 180), K r ä w e l GS XXXIV 505, v. K r i e s Z VII 522, 536, B o r c h e r t Verantwortlichkeit 16, G I I 145, M 851, Ml 394. Dagegen R 29. November 80 I I I 140, H I I 960, O 530.
§. 173.
Die strafbaren Aufforderungen.
581
I . Begriff. Die Aufforderung 1 ) zur Begehung einer strafbaren oder doch wenigstens rechtswidrigen Handlung erscheint, soweit sie positivrechtlich unter Strafe gestellt ist, als selbständiges Verbrechen. Sie kann als versuchte Anstiftung nicht betrachtet und behandelt werden, so lange in der Gesetzgebung die Anstiftung als Teilnahme an dem Thun eiues andern aufgefasst wird: denn ein solches liegt nicht vor oder braucht doch nicht vorzuliegen. Eben darum ist aber für die grundsätzliche Auffassung wie für die systematische Stellung der strafbaren Aufforderung die Eigenart jene Handlung, zu welcher aufgefordert wurde, durchaus gleichgültig. Die Aufforderung trägt den Grund ihrer Strafbarkeit in sich s e l b s t : sie ist V e r a c h t u n g , demonstrative Verhöhnung der Gesetze des Staates und des in ihnen ausgesprochenen Willens d e r S t a a t s g e w a l t , Am deutlichsten tritt diese Richtung in §. 16 Prefsgesetz hervor (unten I I I 1), welcher die Aufforderung zu einer nicht einmal immer rechtswidrigen Handlung unter Strafe stellt. Daher ist Teilnahme (Anstiftung wie Beihilfe) an den strafbaren Aufforderungen durchaus möglich; auch V e r s u c h ist nicht ausgeschlossen, freilich aber nur dann strafbar, wenn die Aufforderung selbst als Verbrechen erscheint. Aus demselben Grunde liegt endlich auf seiten des Auffordernden immer nur e i n V e r g e h e n vor, auch wenn die Aufforderung mehrere strafbare Handlungen zur Folge gehabt haben sollte (vgl. dagegen oben §. 53 Note 6). Wenn wir von §. 112 S t G B , sowie von dem eigenartigen Falle des §. 49a S t G B . , teilweise auch von der unter I I I , 2 angeführten Bestimmung des Sprengstoffgesetzes absehen, bedroht unser Recht nur die ö f f e n t l i c h e Aufforderung. Darin liegt eben das Gemeingefährliche dieser Vergehen, dafs die Wirkung der Handlung nicht übersehen und beherrscht, dafs in keiner Weise berechnet werden kann, ob und wie der in die Menge geschleuderte Funke zünden, ob er einen verheerenden ') Die einfache Billigung oder Anpreisung einer strafbaren Handlung ist nicht unter Strafe gestellt. Anaers Frankreich, Ungarn, Italien, der Entwurf des norddeutschen StGBs. und des Nachtragsgesetzes von 1876. — Über das „Anreizen" vgl. oben §. 95 S. 350. 3 ) Die Aufforderung braucht nicht an die Menge gerichtet zu sein. Ver. I I . und I I I . S. 10.,'21. Oktober 81 V 60.
582
§. 173.
D i e strafbaren Aufforderungen.
Brand entfachen oder aber spurlos und unschädlich verglimmen wird. Durch diese Gemeingelahrlichkeit wird der Umstand reichlich aufgewogen, dafs die öffentliche Aufforderung in Bezug auf die Bestimmtheit des Zieles und der Mittel zu seiner Erreichung hinter der Anstiftung zurückbleibt. Die strafbaren Aufforderungen sind nur zum Teil im StGB, selbst. zum andern in verschiedenen Nebengesetzen enthalten. I I . D i e s t r a f b a r e n A u f f o r d e r u n g e n im R S t G B . 1. Die öffentliche Aufforderung zu e i n e m h o c h v e r r ä t e r i s c h e n U n t e r n e h m e n (StGB. §. 85) wurde bereits oben §. 165 I I I 2 d behandelt. 2. Die öffentliche A u f f o r d e r u n g zum (wenn auch passiven) U n g e h o r s a m gegen Gesetze oder rechtsgültige Verordnungen oder gegen die von der Obrigkeit innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffenen Anordnungen (StGB. §. 110) (auch wenn letztere nicht allgemeine, sondern für den Einzelfall erlassene sind). Der Ungehorsam darf Mich aber nicht gegen die einzelne Amtshandlung auf Grund der Gesetze, Verordnungen, er mul's sich vielmehr gegen die in diesen ruhenden unpersönlichen Grundlagen der bestehenden Rechtsordnung richten. Ohne G e h o r s a m s p f l i c h t ist Ungehorsam nicht denkbar. Da die bindende K r a f t des Vertrages auf den Willen der Vertragschliefsenden. nicht auf dem Befehle der Staatsgewalt beruht. kann die Aufforderung zum Vertragsbruch (zur Arbeitseinstellung) niemals unter §. 110 fallen. 8 ) Der Vorsatz mufs auch das Bewufstsein umfassen, dafs die Verordnung rechtsgültig, dafs die Anordnung innerhalb der Zuständigkeit der Obrigkeit getroffen sei. 4 ) S t r a f e : Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren.
3. Die öffentliche A u f f o r d e r u n g zu e i n e r (peinlich, wenn auch nur landesrechtlich) s t r a f b a r e n H a n d 1 u n g (StGB. §. 111), mag dieselbe sich auch nur als Übertretung darstellen. ») Abweichend R 28. November, 3. Dezember 1890 X X 150, 542. Ubereinstimmend L ö n i n g Handwörterbuch der Staats Wissenschaften I 751. Der Entw. der Novelle zur Gewerbeordnung bedroht daher ausdrücklich die öffentliche Aufforderung zu widerrechtlicher Arbeitseinstellung oder Arbeiterentlassung. MarkenachaUge». 242 438 243 444 288 482 244 448 289 460 246 448 290 460 246 468 291 461 247 449,461 292 466 248 444,461 293 466 249 464 294 466 260 466 296 466 261 466 296 467 262 469 296a 468 263 491 297 603 264 493 298 479 418 266 466 299 266 493 300 419 267 616 301 494 268 618 802 496 269 604 802a-- d 496 260 608 303 462 261 608 304 463 464 262 608,619 306 263 484 806 613 264 489 807 613 266 490 308 614 616 266 471 309 267 640 310 612 268 646 311 615 269 643 812 616 616 270 646 318 271 647 814 616 616 272 648 316 278 648 816 617 274 648 317 618 276 660 318 619 619 276 660 319 277 663 820 619 619 278 668 321
620 822 328 621 522 324 516 ff. 326 326 520 ff. 327 521 328 522 523 329 330 524 694 331 695 332 333 595 884 696 596 386 596 336 337 408 403 838 596 389 596 840 697 341 697 842 597 843 598 344 598 346 598 346 699 347 599 348 599 349 600 360 600 361 600 362 601 363 601 353a 601 364 602 355 602 356 602 357 594 868 692 359 360 Ziff. 1626 „ 2426 „ 3625
360 Ziff. 6638 651 „ 7401 » 8401 * «642 „ 10139 „ 11688 „ 12498 „ 18637 „ 14600 361 Ziff. 1276 . 2276 . 8-8 636 „ 9166 681 362 276 368 652 864 661 865 638 866 Ziff. 1638 » 2-10 631 366a 631 367 Ziff. 1412 n 2-6 631 . 7682 „ 8 u.9 681 „ 10828 . "-15 631 368 Ziff. 1—9 681 .10467 369 Ziff. 1681 „ 2636 . 8681 870 Ziff. 1462 „ 2462 n 8608 „ 4467 651 . »462 „ 5538 „ 6463 551
. 4588
Register der Nebengesetze. Seile
12. Oktober 25. Oktober 8. Juli 10. Juni 21. „ 1. Juli 11. Juni 8. „ 28. Oktober 21. Dezember 31. Mai 20. Juni 27. Dezember 27. „ 13. Juni 28. „ 9. Juli 8. April 7. Mai 17. „ 30. November 6. Februar 14. März 9., 10., 11. Jan. 25. Februar 7. April 14. August 16. „ 4. Dezember 10. Februar 24. Mai 21. „ 3. Juli 21. Oktober 14. Mai 16. Juli 19. „ 20. „ 7. Januar 26. März 24. Mai
1867 1867 1868 1869 1869 1869 1870 1871 1871 1871 1872 1872 1872 1872 1873 1873 1873 1874 1874 1874 1874 1875 1875 1876 1876 1876 1876 1876 1876 1877 1877 1878 1878 1878 1879 1879 1879 1879 1880 1880 1880
(Snlzsteuer) 666 (Nationalität der Schifl'e; 655 (Branntweinsteuer) 667 (Wechselstempel) 670 (Gewerbeordnung) 641 (Vereinszollgesetz) 664 (Urheberrecht) 428 (Prämienpapiere i 502 (Postgesetz) 655. 663 (Festungsrayongesetz) 626 (Brausteuer) 667 (Militär-StftB.) 672 (Seemannsordnung §. 81) 657 (Mitnahme von Seeleuten) 657 (Kriegsleistungen) 626 (Registrierung der Schiffe) 666 (Münzgesetz) 639 (Impfgesetz) 634 (Preisgesetz) 59, 627, 626 (Strandungsordnung) 667 (Markenschutz) 433 (Personenstand) 401 (Bankgesetz) 639 (Urheberrechte) 481 (Desinfektion bei Viehtransporten) . . . . 633 (Eingeschriebene Hilfskassen) . . . . 472, 649 (Signalordnung) 657 (Zusammenstoß auf See) 666 (Robbenschonzeit) 468 (Konkursordnung) 475 (Patentgesetz) 434 (Rinderpest) 632 (Spielkartenstempel) . . 670 (Sozialistengesetz) 422 Note 1 (Nahrungsmittelgesetz) 529 (Tabaksteuer) 667 (Steuerfreiheit des Branntweins) . . . . 668 (Statistik des Warenverkehrs) 671 (Zusammenstofs auf See) 666 (Schiffsmeldung bei den Konsulaten) . . 656 (Wuchergesetz) 496
Register der Nebengesetze. 33. Juni 99. Mai 1. Juli 17. „ 90. „ 16. Juni 19. „ 3. Juli 19. Harz 30. April 13. Hai 9. Juni 6. Juli 16. „ 18. „ 26. Hai 99. „ 98. September 99. April 30. November 17. April 94 Juni 96. „ 6. Juli 9. „ 19. „ 91. November 99. März 99. „ 6. April 90. Juni 1. Hai 99. Juni
683 Seit«
1880 (Viehseuchengesetz) 683 1881 (Kästenfrachtfahrt) «6» 1881 (Wertpapierstempel) 671 1881 (Verletzung der österr.-ung. Zollgesetze) . . 666 1881 (Raumgehalt der Schankgeiäfse) 663 1888 (Krankenversicherung) 478, 660 1888 (Reichskriegshäfen) 696 1883 (Reblausgesetz) 634 1884 (Stimmzettel) 627 Kote 1 1884 (Nordseefischerei) 468 1884 (Zündhölzer) 660 1884 (Sprengstoflgesetz) 526 1884 (Unfallversicherung) 490, 478, 661 1884 (Feingehalt) 668 1884 (Aktiengesetznovelle) 646 1886 (Reichskassenscheine) 689 1886 (Stempelabgaben) 671 1886 (Begnadigung in EUafc-Lothringen) . 800 Note 4 1886 (Deutsch.-Belg. Vertrag) 108 1886 (Bahnpolizeireglement) 664 1886 (Schutzgebiete) 107 1887 (Branntweinsteuer) 668 1887 (Blei- und zinkhaltige Gegenstände) . . . . 689 1887 (Gesundheitsschädliche Farben) 688 1887 (Zuckersteuer) 669 1887 (Hargarine) 688 1887 (Unterseeische Kabel) . . . . 111 Note 6, 667 1888 (Vogelschutz) 687 1888 (Kinffihrungsgesetz in Elsafs-Lothringen) . . 97 1888 (Ausschlufs der Öffentlichkeit) . . . . 896, 668 1888 (Schiffsvermessungsordg.) 668, 666 1889 (Erwerbs- u. Wirtsohaftsgenosaenschaften) 478, 649 1889 (Invaliditäts- u. Altersversicherung) . . 473, 661
Sachregister. (Die Ziffern bei eute» die Seiten.)
A. Abbitte 100 und 351. Aberkennung der Ehrenrechte 277. aberratio ictus 184. Abgeordnete, Immunität derselben 116. Abhängigkeitsverhältnis,Mifsbrauch desselben zur Unzucht 387. Abirrnng 184. Ablltlonstheorie beim Diebstahl 442 Note 8. Abolition 299. Absicht 129 Note und 174. Vgl. Vorsatz. Absolut bestimmte Strafdrohuneren 8 282. — untauglicher Versuch 211. Abtreibug 337. actio iijnriarom 100 Note 2. actioaes liberae in causa 163. Uilterium 406. OBts provocateurs 232. tienstrafrecht 473, Alkoholismus 636. Alleinthitenchaft 222. Altersversicherung 473. Altkathollken 410. Amerikanisches Duell 346. Amt, öffentliches 277 Note 1. Amtsanmafsung 686. Amtsausibung. rechtmäfsige 674. Amtsdelikte 591. Amtspflicht beseitigt die Rechtswidrigkeit 166. Aneignung 442, 469. Anfang der Ausführung 209. Alflhrer 228 Note 3. Angehörige 154 Note 4.
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Anhang 275. animns injuriandi 356. Anrechnung der Strafe 290. Anreisen, Aufreizen, Verhältnis zur Anstiftung 350. Anreiznng als Milderungsgrund 287, 318. Anreiinng zum Klassenkampf 425. Ansammeln von Waffen 424. Anschuldigung, falsche 612. Ansichbrinren 506. Ansteckende Krankheiten 521, Anstiftung 227. Antrarsdelikte 196. Anvertrauen von Geheimnissen 419, von Sachen 461. Apostasle 408. Apprehensionstheorie beim Diebstahl 442 Note 8. Arbeit ohne Einsperrung 258. Arbeitseinstellung, Nötigung zu derselben 371; Aufforderung dazu 682. Arbeitshaus 275. Arbeltsscheu 636. Arbeitsvertragsbruch 469. Arbeitsswang 269. Ärgernis durch Gotteslästerung 410, durch unzüchtige Handlungen 394. Arglist. Begriff 402. Arglistige Täuschung 484. Arnimparacraph 601. Arrestanten 588. Ärztliche Kunatfehler 188. assassinium 316. Asylrecht für politische Verbreoher 114. Attacke 346. Auburnsches Schweigsystem 266.
685
Sachregister.
Aufenthaltsbeschrinkung 276.
Beftrderungsgegenstinde 446.
Aufklirungsieit, 60. Auflauf 678. Aufrechnung 290. Aufrnhr 676. Ausbeutung 497.
Befreundete Staaten 671.
Aufforderungen. strafbare 680.
Befreiung von Gefangenen 678. Befristung des Antragsrechtes 200.
Begnadigung 297. Begriffcentincklung 80.
nicht Teilnahme
Begflnstlgung
Ausfertigung des Schuldurteils 261.
Ausfnhrungsgesetxe 99. Auslihrungshandlung 209. AuskunftsDflreaus 367.
222.
— als selbständiges Vergehen 616. - eines Gläubigers 480. Beihilfe, Begriff 229; als Strafmilderungsgrund 287.
Ausland, Betriff, siehe Inland; im — begangene Verbrechen 108.
Beiseiteschaffen 483.
Auslieferung 112.
Belagerungszustand 118. Beleidigung 360.
Ausländische Staatsgewalt 673. Auslegung der Rechtsquellen 80.
Aussage, falsche 606. Aufserdeutsche Strafgesetzgebang
72. Aussetzung 332. Aasspielaug 600. Ausübung eines Berufs schliefst die Hechts Widrigkeit aus 166.
Auswanderung des Wehrpflichtigen
624.
Antorititsrerhiltnls,
Belgische Attentatsklausel 116. Belgisches System der Verantwortlichkeit in Frefssachen 191.
Berechtigung
zur Antragsstellung
198. Bereicherungsabsicht 486. Bergrecht 469.
Berichte über Kammerverhandlungen, Straffreiheit derselben
169.
— Verleitung zur 626.
Auveisoag 276.
Bekanntmachung des Strafurteils 261.
Mifsbrauch
desselben zur Unzucht 387.
Autoritätsxeichen 688. Aotorrecht 427.
grund der Rechtswidrigkeit 166.
Beschimpfende Äusserungen 410.
Beschimpfender Unfug 411, 413. . Beschimpftang von Religionsgesell-
B. Bahnpolizeireglement 664.
schaften 410.
Beseitigen 483. Besltsentsiehung 460.
Bande, Begriff 221.
Besserungsanstalten
Bandendiebstahl 447. Banditenmord 816. Bankbruch, Bankrott 474. Bankgesets 689.
liche 166.
für
Jagend-
Bestechung 694. Betäubung 368.
Banngewalt des Königs 42.
Baukunst, Verletzung der Kegeln der — 524.
Banverk 464.
Beamter, Begriff 692.
Bedingt« Entlassung 267, 270.
Bedingte Verurteilung 14 Note 6. Bedingung, Unterschied von Ursache 161.
Beding«Igen der Strafbarkeit 192.
Bedronnng als Mittel der Nötigung
3t>7.
— als selbständiges Vergehen 422.
Beendeter Versuch 204.
Befehdung 422.
Befehl der Vorgesetzten als Ausschliefsungsgrund der widrigkeit 166 und 676.
Bernstein 469 Note 4. Berufsausübung als Ausschliefsangs-
Rechts-
Betriebsgeheimnisse, Offenbarung derselben 420.
Betrug 483.
Betrügerische Absicht, Begriff 4 M ; beim Versicherungsbetrug 490.
Bettel 636. Bettelbetrug 48a
Beugung des Reohts 696. Beurlaubung der Strafgefangenen
267. 270.
Bevollmächtigung bei Antragstell e r 199. Bevafneter Diebstahl 446.
Bewegliche Sache, Begriff 489. Beweggrund des Handelns 129 Note. Bewohntes Gebäude, Begriff 447. Bewufste Fahrlässigkeit 89 Note 4.
Bewußtlosigkeit 170.
686
Sachregister.
Bewußtsein der Rechtswidrigkeit 178. Bigamie 408. Blankettstrafgesetze 82. Blasphemie 409. Bleihaltige Gegenstände 632. Blutrache 3». Blutschande 398. Bordelle 391 Note 2. Böswilligkeit, Begriff 587. Brandstiftung 511. Briefgeheimnis, Verletzung desselben 418. Brunenvergiftung 622. Buchmacher 499. Bnise 279. Bntter-Ersatimittel 533. C. calnmnla 613. circonstances attenuantes 287. concursusaddelictum, s. Teilnahme. — creditorum, siehe Bankbruch. — delictorum, siehe Konkurrenz, concussio 491. culpa, siehe Fahrlässigkeit. — dolo determinata 178 Note 8. — lata, siehe Fahrlässigkeit. D. Defraudation 660. Depeschenfälschung 544. Deportation 257. Desertion 622. Desertionsbegfinstigung 622. Desinfektion der Viehtransporte «33. Determinismus, siehe Willensfreiheit. Diebstahl 435. difldatio 422. Diarpflicht, einfache Verletzung derselben 254; — durch Vorschützen falscher Thatsachen 620. Diplomaten-Delikte 601. Diplomatischer Landesverrat 661. directarli 414. Disziplinargewalt schliefst die Rechtswidrigkeit aus 156. Dissiplinarstrafe 263. dolus, siehe Vorsatz. — eventualis 177 Note 6. — indeterminatuB 178. — indirectus 178, — praemeditatus und repentinus 129 Note.
I [ | ; ; ! i ' |
dolus, subsequens und antecedens 165. Doppelehe 403. Dreiteilung der Verbrechen 123. Drohung 3t>7. Druckfehler 81 Note 6. Druckschrift, Begriff 627 Note. Duchesne-Paragraph 584. Duell 344. Duldung. Verhältnis zur Unterlas! sung 370. | Dynamit, siehe Sprengstoffe. E. Ehebetrug 402. Ehebruch 405. Eheerschleichung 402. Ehre, Begriff 352. Ehrenhauptstrafe 258. Ehrenerklärung 100, 351. Ehrenrechte, Aberkennung der — 277. Ehrenstrafe 258. EhrVerletzung 358. Eidesbruch «19. Eidesdelikte 603. Eigennutz, siehe StGB. §§284 ff. Einbrechen 444. Einbruchsdiebstahl 445. Eingriff im Amtshandlungen 573. Einheit der Handlung 237, des Verbrechens 239. Einsatzstrafe 293. Einschleichen 448. Einsteigen 445. Einwilligung des Verletzten im allgemeinen 157; bei Tötung 322; bei Körperverletzung 326; bei Beleidigung 356; bei £hebruch 406; bei Entführung 381. Einzelhaft 265, 270. Einziehung der instrumenta und producta sceleris 252. Eisenbahn, Begriff 446. Eisenbahn-Polizeireglement 664. Eisenbahntransporte, Gefährdung ders. 616. Eltern, Begriff 372 Note 2. Empfangen (beim Münzbetrug) 637. Entartungszustände 168. Entführung 379. Entlassung auf Widerruf 267, 270. Entschluss, Begriff 117. Entstehungsgeschichte des RStGB.s 82. Entwicklungshemmung 167. Erbrechen von Behältnissen 446.
687
Sachregister. Erfolg der Handlung, Begriff 188; schwerer Erfolg als Strafschärfungsgrund 173 Note 5.
Ermlcktigungsverbreehen 196. Erpressung 491. eiTOr, siehe Irrtum
error in persona 185.
— juris, siehe Irrtum.
Ersatz, im Unterschiede von der
.Strafe 250. Erscheinen eines litterarischen Werkes 4-28.
Erschleichung des Beischlafs 388.
— der E h e 402. — einer Zoll- oder Steuerrückvergütung 662.
Erwerbs- und Wirtschafte-Genossenpchaften 473, 649.
Erwiderung, siehe Retorsion.
Erziehungsanstalten 166. frzlehunxsgewalt 156. Eventueller Torutz 177 Note 6. excessu mandati 331.
Exekutlonivereiteluig 482. Ixekutivstrafen 254. Izemptionen von der Herrschaft der Strafgesetze 116.
Explodierende Stoffe 625. eXMSltio infantium 332.
Exterritoriale Personen 116. Exse«8 der Notwehr 150.
F. Fahriksgeheimnisse,
derselben 417. I l k i u l i c h t 622.
Offenbarung
Fahrlässigkeit 185; in Prefssachen 191.
FahrwuserstSrung 519. Falschbemrkudi^; 646, 599. Falsche Anschuldigung 612.
— Aussage 606. — Sohlüssel, Begriff 446. flM(lM. Verleitung zu demselben 3. Gesetsllche Einheit 239. Hochverräterisches Komplott 558. Gestndediebstahl 449. Hoheitsxeichen 588. Gesnndheitsbeschidignng 325. Holxdlebstahl 97 Note 3. Gesnndheitspoliiei 632. Hypnotisierung 368, 370. Gesandheitsseagnisse, Fälschung derselben 552. I. Gewahrsam, Begriff 440. Gewalt als Mittel der Nötigung 366. 1 Idealkonkurreux 246. Gewerbebeftacnis, Entziehung der- i ignorantia, siehe Irrtum. selben als Nebenstrafe 260 Note 5. Hlationstheorie beim Diebstahl 442 Note 8. Gewerbeordnung, Vergehen gegen ! ! Immunität der Kammerberichte 159, dieselbe 641. des Staatsoberhauptes 116, der Gewerbepolllei 641. Volksvertreter 116. Gewerbsm&fsiges Verbrechen 242. Gewinnsfichtige Absicht, Begriff486. Impfgesetx 634. Individualrechte 310. Gewohnheitsmäfsiges Verbrechen Inhaberpapiere mit Prämien 502. 242. injuria 352. Gewohnheitsrecht 80. Inland, Begriff 106. Gewohnheitsverbrecher 13 Note 5.
689 Intellektuelle Urheberschaft 220. Intellektuelle OrknndenfUschung 649, 599. Interesse, siehe Reohtsgut.
Internationale kriminalistische Yera l l l l U I 6 Note. Internationale Rechtshilfe 112. Internationales Strafrecht 1(3. Interpretation, siehe Auslegung.
Intraauranhinrlchtung 263. Invalidititsversicherung 473. In Terkehr bringen 63«. Inieft 398. Irisches System 266. Irrtum 182.
Jagdbeamte, Widerstand gegen 677.
Jagdrecht 466.
Jugendliches Alter 167; als Strafmilderungsgrund 286. Jnristlscbe Einheit derHandlung289. Juristische Person, siehe Körperschaft. K. Kabel unterirdische 111 Note.
Kabotage 659. Kanmerberichte, Immunität derselben 159.
Bestimmung der Strafe bei realer Konkurrenz mehrerer Verbrechen
292.
Konkurrenz der Strafgesetze, siehe . Gesetzeskonkurrenz.
KonkurserMfeung, siehe Bankbruch. Konnivenz des Amtsvorgesetzten 602. Konspiration 561. Konsulargerichtsbezirke als Inland
107. Konterbande, Mitnahme derselben auf Schiffe 603; als selbständige« Delikt 661. Kontrektationstheorie beim Diebstahl 449 Note &
Körperliche Sache, Begriff 488. Körperschaften, politische 668; Beleidigung von — 864; Körperschaftsdelikt 126.
Körperverletzung 324. KorrektionelleNachhaft 276. Korrektionshaus 276. Kraakenversicherungsgasetz 478, Krebsrecht 467. Kreditbetrug 486. Kredltverleumdnag 361. Kriegsleistungen 626. Kriegsrecht 117. Kriegsverrat 676. Kriegszustand 118. Kriminalanthropologie 8. Krimiaalbiolode 3 Kriminalpolitik 2. Kriminalsoziologle 3. Kriminalstatistik 6 Note. Kriminologie 3.
Kanonisches Strafrecht 42 Note 12. Kanzelmlssbrauch 426. Kartelltriger 348, 360. Kansallttt der Unterlassung 139. Kausalzusammenhang 132. Kind, Begriff 333, 401. Kinderraab 374. Kindestttung 320. Kindesunterschiebung 401. Kindheit 166. Kirchenamtsverbrechen 693. Kirchendiebstahl 444. Klassenkampf, Anreizung zu dem-
Kumnlationsprinzlp 292. Kunstfehler der Aerzte 188. Kuppelei 889. Klstenfrachtfhhrt 669.
Koalitionsfreiheit 871. Kollektivdelikt 242.
LandespolizeibehOrde, Überweisung
selben 426.
Kosunlsslvdellkte, durch Unterlassung begangen 139. Kompensation der Strafen, siehe Betorsion.
Komplott, Begriff 221.
— hochverräterisches 668.
Kompositioaensystem 39. Kompromisseid 606. Konlskation des Vermögens 268. Kfinlgsmord im internationalen Strafrecht 115.
Konkubinat 379. Konkurrenz der Verbrechen 244; • o n L i a z t , Strafrecht 4. Aufl.
Kriminelles und ziviles Unrecht 121.
L an dieselbe 276. Landesrecht, gegenüber dem Beicharecht 96.
landestrafgesetzgebung 66. Landesverrat 559. Landfrieden 44. Landfriedensbruch 422. Landstreicherei 636. Landzwang 423. latrocinium 316. Legierungspolizei 663. Legitimanonspapiere, Fälschung derselben 662.
44
690
Sachregister.
Lehrer, Bwriff 387.
Mitorsache 136. Modellschnti 432.
Leibe«träfe 368.
Leiche Begriff 413.
Lelcke, der — mitgegebene Gegenstände, Diebstahl an denselben 439.
LeicheifreTel 413. Lelchtsim 494. lenodninm 389.
moderamen inculpatae tutelae 149. • o l e als Objekt der Abtreibung338.
•onomanieen l«9.
I m o u t r n m als Gegenstand der Tötung ] 313.
; Moralisches Irresein (moral insanity) Lieferngsrertrige, Nichterfüllung | 169. derselben 623.
Lift 366.
: Mord 317.
| Motiv des Handelns 129 Note.
Littarator des Beichsstrafrechts 99. ! Mundraub 462.
Lohubtreibnng 340.
U m i ami Leben 346.
Lotterie 600.
M. •idchefthmdel, siehe Kuppelei,
•ajegtätsbeleidipiiig 666. Margarine 633. Markeuchntx 432. •artern 466.
I t M - und Gewichtspolizei 663.
Monitionsaneignnng 461. , Münsbetrag 537. Mtniverbrechen 533. Mtnxfälschang 536. | Mfinxverringenwg 637. 1
i löniwegen, strafbare Handlungen gegen dasselbe 638.
Mfissiggang 636. Mnsterschnts 432.
i Mntwillig, Begriff 688. N.
Materialien als Auslegungsmittel 89.
Materie 95. Mehrfache Ehe 403
Mehrheit der Verbrechen 247.
Mehrthäterschaft 224. Meineid 603.
Mensch, Begriff 312. •euchenmenge, Begriff 416.
Meuchenraab 373.
Methode der Strafrechtswissenschaft 7.
Meschelmord 316.
• e l t e r e i der Gefangenen 679. • e l t e r e i der Soldaten 677. Bildende Umstände 287. Militärischer Landesverrat 661.
MUitirpersonen 673. Milltärstrafrecht 679.
•inderjährife, Übervorteilung der-
Hachdruck 428.
Hachhaft, korrektionelle 276. : Nachrede, üble 368.
Rachstrafen 258.
Richtlicher Diebstahl 447. |
liachtseit, Begriff 447 (Diebstahl), 466 (Jagdausübung).
Hahrangsmitteldlebstahl 462. Rahrungsmlttelfilschnng 628. Hamenrecht 432. Rarkotlsierang 368, 370.
Rationalität der Kauffahrteischiffe 665.
Rationalitätsprinxip 104.
Ratftrliche Handlungseinheit 237.
Rebengesetse 88.
Rebenstrafen an der Freiheit 973;
an der Ehre 276 ; überhaupt 258.
Miaderjlhrlgkelt, Einflute auf die
Rebenthäterschaft 224. Rentralltätsbrnch 671.
•iaaachtnng der Staatsgewalt 686. Missbranch der Amtsgewalt 696.
Riedenchlagnng der Strafverfolgung
selben 493.
Bestrafung 167 Note 6.
— von Sprengstoffen 626.
• i u r e b u r t 313. Mlsshandlung 326.
•lailnngene Anstiftung 231. •lulnngenei Verbrechen 206.
Mitnahme hilfsbedürftiger Seeleute 667.
Mittel des Verbrechens 129. Mittelbare Thäterschaft 294.
Mltthitenchaft 994.
Richterfüllnng von Lieferungsverträgen 523.
299.
Rormeuchnts 10.
Rormentheorle 10 Note 2.
Rothilfe 150.
Rötignng als Vergehen 369; als Auascnliessungsgrund der flechtewidrigkeit 153. — zur Unzucht 383. — zu Amtshandlungen 676.
Rotlage 497.
Sachregister. lotstand 160. lotwehr 146. l a t v e i d i r e Teilnahme 938. l e t m c h t 388. U l l U crimen »ine lege 79. O. Objektives Unrecht 130 Note 3. Ofenbamg fremder Geheimnisse a 419. Öffentliche Aufforderungen 681. Öffentliches Amt, siehe Amt. Ointlichkelt, Begriff, siehe die betreffenden Delikte. Okknpationsrechte 464. OwauulTdelikte 139. O u i l t i wechselseitige 397 Note 3. Ordnungsstrafe 364. Ort der begangenen That 136. P. Plderastie 396. f l l i t r e der Reichs kassenscheine 639. »ärrtcidiui 81, 816. Partiererei 608. PartikalAr-Strifgesetxgebang 66. Patentschnts 484. Peinliche Gerichtsordnung Karls V. 47. Pennsylvanisches System 366. Perdnelllo 81, 663. Perforation 67. Personenstand, Unterdrückung desselben 400. Personenstandsgesets 401. Persönliche Verhältnisse der Teilnehmer, Einfluss derselben auf die Strafbarkeit 334. Persönliches Geltungsgebiet 116. Pfandleiher 460. Photographleen-Schnts 433. Piraterie 466. Vlaglnm 378. — militare 636. Politische Körperschaften 668. Politische Verbrechen, Begriff. 114. Politisches Wahl- und Stimmrecht 667. Polixeiaifsicht 373. Poliieidelikt, Unterschied vom kriminellen Unrecht 136. PolixeI m * (regeln im Gegensatz zur Strafe 360. PoUzeigträfe 364. Pollieistrafgesetxgebug 96 Note 3. Poliieistonde 638. Polygamie 403.
691
POnltentiar-lysteni 365. Pönologie 8. Postbeaatendelikto 601. Postdietatahl 446. Postgeblhr 668. Postgesets 666. Postwertselchen 660. Primienpapiere 603. Prisutttonen der Schuld 173. praevaricatio 474. Prävention 4. Prersdelikte, Verantwortlichkeit für dieselben 189. Prefspolixeivergehen 637. Privatgehelnnisso, Offenbarung derselben 419. Privatgenogthwing bei Beleidigung 364. Privatstrafen, römische, beseitigt 100. Progressivsystem 366. Promessengeschift 601. Prostitution 686. Provokation beim Totschlag387,818. Proiefsdelikte 691. Proiefutrafen 868. Prosefsvoraussetrangen 196. Prtgeistrafe 368. Pntatlvdelikt 180. fllnllen von Tieren 687. anailflsierter Versnch 918. B. Ridelsflhrer 938 Note 3. Sank 463. R&nberlsche Erpressung 466. R&nherischer Diebstahl 449. Banhnerd 316. Ranfhandel 841. Ranmcehalt der Sohankgefäfse 668. Riiafiches Geltungsgebiet der Straf« gesetze 108. Realkonknrrenx 948. ReMaas 634. receptatores, siehe Partiererei Rechtlosigkeit des Verletzten 169 Note 8. Rechtshengug 696. RechtsMeden, Begriff 491. Rechtsgnt, Begriff 8. — Einteilung 308. Rechtsirrtnm, siehe Irrtum. Rechtsverwirknng 968 Note 6. Rechtswidrige Zueignung 441. 44*
Sachregister.
692 Rechtswidriger Begriff 486.
Vermögensvorteil,
Rechtswidrigkeit, als Begriffsmerkmal 143; Bewufstsein derselben 178.
Redakteur, verantwortlicher 190. RedaktiOMver&ehen 81. Redefreiheit der Volksvertreter 116. Registrierung der Kauffahrteischiffe 656.
Rehabilitation 279 Note 3. Reichskassenscheine. Papier 539. Relchikriegshäfen 626.
ReUtW bestimmte Strafgesetze 282. Relativ untauglicher Versuch 211.
Religionsdelikte 407. Relative Antragsdelikte 201. Religionsdiener, Begriff 426. Religionsdiener-Delikte 593. Reli£ions*esellschaften, Beschimpfung derselben 410.
Renkontre 346 Retorsion, Begriff 291; bei Be-
leidigungen 364; bei Körperverletzungen 332. Rene, thätige, als Strafaufhebungsgrund 296.
Rinderpest 632. Rohrpost 518.
Rückfall, Begriff 248; Strafschärfungsgrund 286.
Rickfallsdiebstahl 448. Rückfallsverjährnng 286. Rückkehr Verwiesener 276. Rücktritt vom Versuch 216.
Rickwirkende Kraft der Strafgesetze 101.
Rnhen der Verjährung 306. 8. Sachbeschädigung 461. Sache, Begriff 438. Sachhehlerei 603. Sachliches Geltungsgebiet 96. sacrilegium 444. Schaden im Unterschiede vom Vermögensschaden 546.
Schändung 386.
Schaikgellue, Kaumgehalt derselben 563.
Schatznnterschlarung 459. Schiffahrt, Gefährdung 619.
derselben
Schifthrtsdelikte 665. Schiffuneldungen 666. Schifsvermessangsordnung 663. Schlaftastinde 170.
Schlägerei 343. Schligermensnr 347. Schlüssel, falsche 446. Schmähschrift 361. Schmähung von Staatseinrichtungen 586.
Schmerzensgeld aufgehoben l o o . Schmuggel 661. Schuld, Begriff 170. Schuldfähigkeit 159. Schuldloses Unrecht 120 Note 2. Schutzgebiete als Inland 107. Schutigenossenschaften 367. Schutzprinzip 104. Schutzvorrichtungen 149. Schwächung, unfreiwillige 386. Schwarzenberg 43. Schweigsystem, Auburnsches 265. Seemannsordnung 657. Seerauh 456. Selbstbefreinng 579. Selbstbegünstigung 617. Selbsthilfe als Ausichliefsungsgrund
der KechtsWidrigkeit 156; Straffolgen der Selbsthilfe beseitigt 100 Note 2.
Selbstmord 158 Note 6. Selbstverletzung 168. Selbstverstümmelung 623. Sicherheitspolizei 631. Siegelbruch 588. Signalordnung für Schiffe auf See 657.
Sittlichkeitsvergehen 375. Sittlichkeitspolfzei 634. Sklavenhandel 369 Note 1. Skopelismus 423.
S0Cieta8 delinquendi s. Teilnahme; — delinquere non potest 126.
Sodomie 396. Sonntagsheiligung 638. Spionage 563. Sportulieren, übermäfsiges 600.
Sprengstoffe, Mifsbrauch derselben 625.
Staatsbürgerliche Rechte 567. Staatseinrichtungen 586. Staatsoberhaupt, Befreiung von der
Herrschaft der Strafgesetze 116.
Staatsverbrechen 653.
Staatsverwaltung,Verbrechen gegen dieselbe 589.
Statistische Gebühr 671. Stelllonat 483. Stellvertretung bei der Antragsstellung 199.
Stempeldelikte 670.
693 Stempelvertxelchea 660. Steterrergehen 666.
SÜBUBeiUaf im Konkursverfahren 481: bei politischen Wahlen 670; in Aktiengesellschaften 648.
Stimmzettel 627 Note. StBrug des Gottesdienstes 411. — des Gräberfriedens 412.
Strafindernng 286. Strafanrechnung 990. Strafaufhebuagsgrfnde 295. Strafauschliefsugsgrtnde 297. Strafbare Aufforderungen 680.
termlus motos 649.
Territorialprinxip 104. Thlterschaft 222.
Tbitige Äeue als Strafaufhebungsgrund 296. Thattrrtnm, siehe Irrtum. Thätiieher Angriff auf Beamte 676.
Thitlichelt, Begriff 368.
— gegen Monarchen 666.
Thatsache, Begriff 369, 486.
Tiere als Subjekt des Verbreohens 126.
Strafe, Begriff derselben 260.
Tierquilerei 687. Tierschau 637.
des RStGB. 269. Straffreiheit, siehe Immanität.
Todesstrafe, Würdigung 267; Ge-
Strafensystem im allgemeinen 266;
Strafgrfissen 283. Strafinass '