218 62 47MB
German Pages 690 [696] Year 1894
Lehrbuch des
Deutschen Strafrechts.
Von
Dr. F r a n z v o n L i s z t , ord. Professor der Rechte in Halle a'S.
Sechste durchgearbeitete
Auflage.
B e r l i n .
J . G u t t e n t a g ' , Verlagsbuchhandlung. 1894.
Den Teilnehmern an den
Kriminalistischen Sommerabenden des Jahres 1894
zugeeignet
vom Verfasser.
Vorwort zur sechsten Auflage. Weniger als anderthalb Jahre waren auch diesmal seit dem Erscheinen der 5. Auflage verstrichen, als der Beginn des Neudrucks des Lehrbuchs notwendig wurde. Unter diesen Umständen konnte an eine vollständige Umarbeitung nicht gedacht werden. Insbesondere mufste ich einstweilen darauf verzichten, das System des besondern Teils in der von mir seit längerer Zeit ins Auge gefafsten Richtung (schärfere Betonung der durch die Strafdrohungen geschützten Interessen) umzugestalten. Die dazu notwendigen weitgreifenden rechtsvergleichenden Untersuchungen werden binnen kurzem für die Fortführung des von der Internationalen kriminalistischen Vereinigung unternommenen grofsen Werkes von mir gemacht werden müssen; sie werden dann auch dem Lehrbuche zu gute kommen. In völliger Neubearbeitung erscheint dagegen der kriminalpolitische (oder wenn man es lieber hört: der rechtsphilosophische) Teil der Einleitung; er soll, vielfach geäufserten Wünschen entsprechend, dem Leser des Buchs einen, wenn auch nur oberflächlichen, Uberblick über die grofse Bewegung geben, die die Lebenswurzeln unsrer Wissenschaft unmittelbar umspült, alles morsch und faul Gewordene losreifsend und wegschwemmend, das Gesunde und Lebenskräftige stärkend und befruchtend. Auch der allgemeine Teil wird dem Kundigen manche Weiterbildung aufweisen. Ich halte ein Vorwort nicht für den richtigen Anlafs, alle einzelnen, noch so wichtigen Abweichungen aufzuzählen. Aber ich möchte denjenigen Kritikern der 5. Auflage, denen ich den meisten Dank für vielfache Anregung schulde, ihn hier auch öffentlich Sagen. Es sind die Herren Dr. L ö f f l e r in Wien, Professor v a n d e r H o e v e n i n Leiden und Dr. R. G r a m in Kopenhagen. Sie mögen es mir verzeihen, wenn ich ihre scharfsinnigen Ausstellungen an den Grundbegriffen meines Systems nicht überall berücksichtigt habe; vorgetragene Lehrmeinungen aufzugeben, rechtfertigt nicht der Zweifel an ihrer Richtigkeit, sondern nur die Überzeuguug von ihrer Unhaltbarkeit Das Streben, den Umfang des Buches womöglich zu ver-
VI
Vorwort zur sechsten Auflage.
kürzen, hat manche äuiserliche Veränderungen mit sich gebracht. Der Paragraph über die aufserdeutsche Gesetzgebung mit seinen auch in den umfangreichsten Handbüchern fehlenden Angaben konnte gestrichen werden, da nunmehr die »Strafgesetzgebung der Gegenwart in rechtsvergleichender Darstellung« alle nötigen Hinweise enthält. Dagegen mufsten die geschichtlichen Einleitungen zu den einzelnen Lehren, die aufjahrelanger Beschäftigung mit den Quellen, besonders den Landesrechten des 17. und 18. Jahrhunderts beruhen, beibehalten werden, da auch auf diesem Gebiete gerade die jüngsten Systeme der »historisch-dogmatischen« Richtung uns im Stiche lassen. Das mustergiltig gearbeitete Generalregister zu den ersten 12 Bänden der »Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft« machte es mir möglich, die Anführung älterer unbedeutenderer Schriften sowie den Hinweis auf die Litteraturberichte der Zeitschrift zu sparen. Der auf diese Weise gewonnene Raum ist teilweise zu sachlichen Ausführungen verwertet worden. Dennoch bleibt, in Folge zweckmäfsigerer typographischer Anordnung, der Gesamtumfang der neuen Auflage um etwa drei Bogen hinter dem der fünften zurück. Von der neugriechischen Ubersetzung des Lehrbuchs, die auf zwei Bände berechnet ist, sind die ersten Lieferungen erschienen ; Übersetzungen in andre Sprachen sind in Vorbereitung. So möge denn auch die neue Auflage unter günstigem Stern die Lebensfahrt antreten und insbesondere die akademische Jugend des In- und Auslandes lehren, dafs es nur einen »gesunden Idealismus« gibt: opferfreudige, hingebende Arbeit im Dienste der Gesamtheit. Den jungen kriminalistischen Freunden aber, die während der letzten Monate ernste Forschung und heiterer Lebensgenufs unter sich und mit mir vereint hat, den Herren Dr. L i e p m a n n aus Danzig,Dr. L ö f f 1 er aus Wien, Dr. R o s e n f e l d aus Halle, cand. jur. S j u n n e s s o n aus Heisingborg und Hilfsrichter U r b y e aus Christiania, möge das Buch eine Erinnerung sein an die gemeinsamen Sonnabendsbesprechungen in meinem Hause. H a l l e a/S., im Juli 1894. Franz v. Liszt.
Inhaltsverzeichnis. Einleitung. Seite
D e r B e g r i f f des S t r a f r e c h t s und die A u f g a b e des L e h r b u c h s . I. Das Strafrecht als die rechtlich begrenzte Strafgewalt des Staates. II. Die Kriminalpolitik. III. Die Quellen des Strafrechts
I
L Die Geschichte des Strafrechts. A l l g e m e i n - g e s c h i c h t l i c h e E i n l e i t u n g . I. Rechtsvergleichung und Kriminalpolitik. II. Der soziale Charakter der ursprünglichen Strafe. III, Die staatliche Strafe. IV. Der Zweckgedanke in der Strafe D a s S t r a f r e c h t d e r R ö m e r . I. Die älteste Zeit. II. Die Zeit des Quästionenprozesses. III. Die Kaiserzeit Das mittelalterlich deutsche Strafrecht. Erster A b schnitt. Das frühere Mittelalter. Bis zum 13. Jahrhundert. I. Ursprünglicher Charakter. II. Das Kompositionensystem. III. Die öffentliche Strafe. IV. Der Zerfall der fränkischen Monarchie. Z w e i t e r A b s c h n i t t . Das spätere Mittelalter. Vom 13. bis ins 16. Jahrhundert D i e p e i n l i c h e G e r i c h t s o r d n u n g K a r l s V . I. Die italienischen Juristen des Mittelalters. II. Die populär-juristische Litteratur Deutschlands. I I I . Deutsche Gesetzgebungen; insbesondere die Schwarzenbergschen Arbeiten. IV. Die Entstehungsgeschichte der PGO. V . Ihre Bedeutung Das gemein-deutsche Strafrecht. L Die Gesetzgebung bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, II. Die gemeinrechtliche Wissenschaft. III. Die Rechtspflege. IV. Die Gesetzgebung seit 1750 D a s Z e i t a l t e r d e r A u f k l ä r u n g . I. Die litterarische Bewegung. II. Anerkennung der neuen Gedanken durch die Gesetzgebung D i e S t r a f g e s e t z g e b u n g d e s 19. J a h r h u n d e r t s . I. Der Code pénal. II. Die deutschen Landesstrafgesetzbücher. HI. Der
3 6
II
17
22 28
Inhaltsverzeichnis.
VIII
Seite
Stand im Jahre 1870. IV. Die aufserdeutsche Gesetzgebung unserer Tage § 9. D i e d e u t s c h e S t r a f r e c h t s w i s s e n s c h a f t i m 19. J a h r h u n d e r t (bis 1870). I. Die Blütezeit der Wissenschaft. II. Die Strafrechtstheorieen. III. Die Zeit des Verfalls . . . § 10. D a s R e i c h s s t r a f g e s e t z b u c h . I. Fehlgeschlagene Versuche. II. Das StGB, für den Norddeutschen Bund. III. Das RStGB. TV. Spätere Abänderungen § II. D i e ü b r i g e n R e i c h s s t r a f g e s e t z e II.
31 37 40 44
Die Grundzüge der Kriminalpolitik.
•§•12. D a s S t r a f r e c h t a l s I n t e r e s s e n s c h u t z . I. Rechtsgut und Norm. II. Der Rechtszwang. III. Die Wirkungen der Strafe im allgemeinen. IV. Die drei Strafzwecke. V. Sekundäre Natur des Strafrechts § 13. D i e U r s a c h e n u n d d i e A r t e n d e r K r i m i n a l i t ä t . I. Der Begriff der Kriminologie. II. Akute und chronische Kriminalität. III. Der „Verbrechertypus". IV. Die Soziologe Auffassung des Verbrechens § 14. D i e F o r d e r u n g e n d e r K r i m i n a l p o l i t i k . I. Der Grundgedanke. II. Seine Einzelanwendung. III. Die Schranken des Zweckgedankens § 15. R e c h t f e r t i g u n g d e r Z w e c k s t r a f e d e n G e g n e r n g e g e n ü b e r . I. In der Notwendigkeit der Strafe liegt ihr Rechtsgrund. I I . Das Problem der Willensfreiheit, m . Die Gerechtigkeit der Strafe. IV. Versuch einer Versöhnung der Gegensätze . .
48
54 58
62
III. Die Quellen des Reichsstrafrechts. § 16.
§ 17.
§ 18.
§ 19.
§ 20.-
§ 21.
Quellenbestand. Litteratur. Herrschaftsgebiet. Q u e l l e n b e s t a n d . I. Das gesetzte Recht als einzige Quelle der Strafrechtssätze. II. Gesetz, Verordnung, Vertrag. III. Begriff des Gesetzes. Druckfehler und Redaktionsversehen. IV. Die gesetzlichen Quellen. V. „Blinde" Strafdrohungen 68 D i e L i t t e r a t u r d e s R e i c h s s t r a f r e c h t s u n d se i n e r H i l f s wissenschaften. I. Textausgaben. II. Systematische Darstellungen. III. Kommentare. IV. Abhandlungen allgemeineren Inhalts. V. Zeitschriften. VI. Spruchsammlungen. VII. Strafrechtsfälle. VIII. Hilfswissenschaften 70 Das z e i t l i c h e G e l t u n g s g e b i e t der S t r a f r e c h t s s ä t z e . A l t e s u n d n e u e s R e c h t . I. Beginn und Ende ihrer Herrschaft. II. Die sogen, rückwirkende Kraft der Strafrechtssätze. III. Anwendung des mildesten Gesetzes 73 Das sachliche G e l t u n g s g e b i e t der Strafrechtssätze. Reichsrecht und Landesrecht. I. Der Grundsatz. II. Die reichsrechtlich nicht geregelten „Materien", in. Weitere Beschränkungen der Landesgesetzgebung. IV. Die Ausführungsgesetze der Einzelstaaten 75 D a s r ä u m l i c h e G e l t u n g s g e b i e t der S t r a f r e c h t s s ä t z e . •Deutsches und a u f s e r d e u t s c h e s Recht. Grundsätzliche Erörterung. I. Begriff des sogen, internationalen Strafrechts. II. Das Strafrecht als Interessenschutz. III. Im Ausland begangene strafbare Handlungen. IV. Internationale Vereinbarungen 79 Fortsetzung. Der Standunkt der Reichsgesetzgebung. I. Der Ausgangspunkt. IL Der strafrechtliche Begriff des In-
Inhaltsverzeichnis.
IX Seite
lands. III. Im Ausland begangene Vergehen. IV. Besondere Bestimmungen § 22. F o r t s e t z u n g . I n t e r n a t i o n a l e R e c h t s h i l f e . I. Die Auslieferung als Akt der internationalen Rechtshilfe. II. Die deutschen Auslieferungsverträge. Das Asylrecht politischer Verbrecher und die belgische Attentatsklausel § 23. D a s p e r s ö n l i c h e G e l t u n g s g e b i e t d e r S t r a f r e c h t s s ä t z e . I. Staatsrechtliche und II. volkerrechtliche Befreiungen. I I I . Die Militärpersonen § 24. F r i e d e n s r e c h t u n d K r i e g s r e c h t . I. § 4 des Einfuhrungsgesetzes zum RStGB. II. Das Militär-StGB. III. § 36 des Prefsgesetzes
82
86 9° 91
Allgemeiner Teil. Erstes
Das
Buch.
Verbrechen.
§ 25. B e g r i f f u n d E i n t e i l u n g d e s V e r b r e c h e n s . I. Begriflsmerkmale und Erscheinungsformen. II. Einteilung der Verbrechen. Geschichtliches. III. Die Dreiteilung des geltenden Rechts. IV. Folgesätze
93
-A. Die Begriffsmerkmale des Verbrechens. I. Das Verbrechen als Handlung. § 26. D a s S u b j e k t d e s V e r b r e c h e n s . I. Die Vergehensfähigkeit der Tiere. II. Die Vergehensfähigkeit der Korperschaft . . 97 § 27. D e r B e g r i f f d e r H a n d l u n g i m a l l g e m e i n e n . I. D e r Thatbestand des Verbrechens. II. Die Handlung, m . Der Erfolg. IV. Die Willkür 99 § 2 8 . I. D i e B e g e h u n g ( d a s T h u n ) . I. Die kausale Körperbewegung. I I . Die Verursachung. III. Einschränkungen und Ausnahmen. . . 102 I V . Geschichte der Frage. V. D e r Stand der Ansichten § 29. " 2 . " D i e U n t e r l a s s u n g . I. Begriff der Unterlasung. II. Die rechtswidrige Unterlassung. I I I . Die Kausalität der Unterlassung 108 § 30. Z e i t u n d O r t d e r H a n d l u n g . I . Die Begehung. II. Die Unterlassung. III. Einzelanwendungen 111
II. Das Verbrechen als rechtswidrige Handlung. § 31. D i e R e c h t s w i d r i g k e i t a l s B e g r i f f s m e r k m a l . I. Verletzung und Gefährdung von Rechtsgütern; Ungehorsamsvergehen. H. Wegfall der Rechtswidrigkeit. III. Geschichtliche Entwicklung § 3 2 . D i e N o t w e h r . I. Geschichte. II. Die Merkmale des Begriffes. III. Überschreitung der Notwehr §33. Der Notstand. I . Geschichte. II. Begriff. III. Das geltende - • Recht
114 118 122
X
Inhaltsverzeichnis. Seit«
§34.
D i e ü b r i g e n F ä l l e . I. Amtspflicht. II. Besondere Berechtigung. III. Ausübung eines anerkannten Berufs. IV. Einwilligung des Verletzten. V . Selbstverletzung. V I . "Wahrheitsgetreue Kammerberichte
126
III. Das Verbrechen als schuldhafte Handlung. § 35. B e g r i f f u n d V o r a u s s e t z u n g e n d e r S c h u l d . I. Schuld als Verantwortlichkeit für den Erfolg, n . Geschichte des Schuldbegriffs. III. Schuldfreies Unrecht 131 § 36. D i e Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t . I. Die Zurechnungsfähigkeit als normaler Zustand. II. Der Begriff der Zurechnungsfahigkeit im RStGB. III. D i e actiones liberae in causa. I V . Mangelnde Zurechnungsfähigkeit und die Teilnahme 135 § 37. D i e F ä l l e d e r Z u r e c h n u n g s u n f ä h i g k e i t . I. Fehlende geistige R e i f e : Jugend und Entwicklungshemmung. II. Fehlende geistige Gesundheit. III. Bewufstseinsstorungen 138 § 38. D e r V o r s a t z . I. Begriff. II. Vorsatz und Absicht. III. Unbe- ' stimmtet" Vorsatz. I V . Bewufstsein der Rechtswidrigkeit . . 142 § 39. F o r t s e t z u n g . Der Irrtum. I. Begriff und Einflufs auf den Vorsatz. II. Beziehung des Irrtums auf den Erfolg. III. Thatund Rechtsirrtum. IV. Aberratio ictus und error in persona . 148 § 4 0 . F o r t s e t z u n g . D a s B e w u f s t s e i n der R e c h t s Widrigkeit. I. Der Grundsatz. II. Ausnahmen. I I I . Folgesätze . . . . 151 §41. Die Fahrlässigkeit. I. Geschichte. II. Begriff. III. Einflufs des Irrtums. IV. Die fahrlässigen Vergehen in der Reichsgesetzgebung. V . Fahrlässigkeit in Bezug auf einzelne Vergehensmerkmale. V I . Grade der Fahrlässigkeit 154 § 42. D i e V e r s c h u l d u n g b e i d e n P r e f s d e l i k t e n . I. Die Unzulänglichkeit der allgemeinen Grundsätze. II. D e r verantwortliche Redakteur als Thäter. III. D i e prefsrechtliche Fahrlässigkeit 158 I V . Das Verbrechen als strafbares Unrecht. § 43. U n r e c h t u n d V e r b r e c h e n . I. Bürgerliches und peinliches Unrecht. II. Strafausschliefsungs- und Strafaufhebungsgründe. III. Bedingungen der Strafbarkeit im eigentlichen Sinne. I V . Prozefsvoraussetzungen § 44. D e r A n t r a g d e s V e r l e t z t e n i n s b e s o n d e r e . I. Geschichte und Stand der Gesetzgebung. II. De lege ferenda. D i e beiden Gruppen der Antragsvergehen. III. Der Antrag im geltenden Reichsrecht
160
166
B. Die Erscheinungsformen des Verbrechens. I. Vollendung und Versuch des Verbrechens. § 45. D e r B e g r i f f d e s V e r s u c h e s i m a l l g e m e i n e n . I. Vollendetes und versuchtes Verbrechen. II. Geschichte des Versuchsbegriffes. III. Arten des Versuches. IV. Das geltende Recht. V . Unmöglichkeit des Versuches 172 46. V o r b e r e i t u n g u n d A u s f ü h r u n g . I. Nähere und entferntere Versuchshandlungen. II. Die Vorbereitungshandlungen des RStGB. III. Ausnahmsweise Strafbarkeit der Vorbereitungshandlungen 178 § 47. D e r u n t a u g l i c h e V e r s u c h . I. Geschichte der Frage. U. D i e Strafbarkeit des fehlgeschlagenen Verbrechens .180
Inhaltsverzeichnis.
XI Seite
§ 48. D e r R u c k t r i t t v o m V e r s u c h . I. Seine Bedeutung. II. Rücktritt beim beendeten und beim nicht beendeten Versuch. HI. Freiwilligkeit des Rücktritts. IV. Der Rücktritt als Strafaufhebungsgrund
185
II. Thäterschaft und Teilnahme. § 49. G e s c h i c h t e u n d S t a n d d e r F r a g e . I. Geschichte. IL Die verschiedenen möglichen Formen, m . Begünstigung; Komplot und Bande. IV. Die notwendige Teilnahme § 50. I . D i e T h ä t e r s c h a f t . I. Begriff. H . Sogenannte mittelbare Thäterschaft. III. Mitthäterschaft. IV. Neben thäterschaft . . § 5 1 . 2. D i e T e i l n a h m e . I. Anstiftung. IL Beihilfe § 52. F o r t s e t z u n g . Folgesätze. I. Vorsätzliche Teilnahme an vorsätzlichem Thun. II. Strafbarkeit der Haupthandlung. H L Unselbständigkeit der Teilnahmehandlung. IV. Mehrfache Beteiligung an demselben Vergehen. V. Einschränkungen des Grundsatzes § 53. F o r t s e t z u n g . Einflufs persönlicher Verhältnisse. I. Folgerung aus der unselbständigen Natur der Teilnahme. II. StGB. § 50. n i . Andre Fälle
188 191 196
199 203
III. Verbrechenseinheit und Verbrechensmehrheit. § 54. H a n d l u n g s e i n h e i t u n d M e h r h e i t d e r H a n d l a n g . I. Der Grundgedanke. II. und III. Die Fälle der Handlungseinheit . § 55. H a n d l u n g s m e h r h e i t u n d V e r b r e c h e n s e i n h e i t . I. Der Begriff. I I . Die Anwendungsfalle. III. Das sog. Kollektivverbrechen § 56. D i e r e c h t l i c h e B e h a n d l u n g d e r V e r b r e c h e n s e i n h e i t . I. Die richtige Auffassung. II. Die unzweifelhafte Gesetzeskonkurrenz. III. Die scheinbare Idealkonkurrenz § 57. D i e V e r b r e c h e n s m e h r h e i t . I . Der Rückfall. II. Zusammentreffen mehrerer Verbrechen
Zweites
Die
208 212 215
Buch.
Strafe.
1. § 58. D e r B e g r i f f d e r S t r a f e . I. Die Begriffsmerkmale. II. Disziplinarstrafen und Prozefsstrafen. III. Ordnungsstrafen. Strafen nach den Gesetzen über Ministerverantwortlichkeit. IV. Polizeistrafen
II. Die Strafarten.
205
218
(Das Strafensystem).
§ 59. D a s S t r a f e n s y s t e m d e r R e i c h s g e s e t z g e b u n g . I . H a u p t und Nebenstrafen. Nachstrafen. IL Das System der Strafmittel § 6 0 . 1. D i e T o d e s s t r a f e . I. Geschichte. II. Anwendungsgebiet. III. Vollzug der Todesstrafe § 6 1 . 2. D i e F r e i h e i t s s t r a f e . I h r e G e s c h i c h t e . I. Die alten
223 224
XII
Inhaltsverzeichnis. Seite
Zuchthäuser. II. Der Beginn der Reform, III. Der Streit der Systeme in Nordamerika. I V . Der Sieg der Einzelhaft. V . Das sogenannte irische System und die bedingte Entlassung. V I . Gegenwärtiger Stand § 62. D i e F r e i h e i t s s t r a f e n d e r R e i c h s g e s e t z g e b u n g . I. D i e Arten. II. Ihre Unterschiede. HI. D i e Einzelhaft. I V . Bedingte Entlassung. V . Jugendliche Verbrecher. V I . Strafvollzug gegen Studierende § 6 3 . 3. D i e G e l d s t r a f e . I. Anwendungsgebiet. II. Reichsstrafgesetzbuch. IIL Nebengesetze § 64. 4. D e r V e r w e i s . I. Anwendungsgebiet. II. Vollstreckung . . § 6 5 . 5 . " N e b e n s t r a f e n a n d e r F r e i h e i t . I.Polizeiaufsicht. II. Überweisung an die Landespolizeibehörde. HI. Ausweisung . . . § 66. 6. N e b e n s t r a f e n a n d e r E h r e . I. Begriff. II. Aberkennung sämtlicher, III. Aberkennung einzelner Ehrenrechte. I V . Nachverfahren
228
231 234 236 236
239
Anhang. § 67. D i e B u f s e .
I. Ihr Anwendungsgebiet.
II. Ihr Wesen . . . .
241
III. Das Strafmafs in Gesetz und Urteil. § 68. D i e r i c h t e r l i c h e S t r a f z u m e s s u n g . I. Absolute und relative Strafdrohungen. II. Die Strafrahmen des heutigen Rechts. IH. D i e Strafzumessung. IV. Strafumwandlung. V . Strafänderung. Strafanrechnung § 6 9 . S t r a f ä n d e r u n g : I . S t r a f s c h ä r f u n g . Insbesondere die Rückfallsschärfung §. 70. S t r a f ä n d e r u n g : 2. S t r a f m i l d e r u n g . I. Allgemeine Milderungsgründe. Jugend, Versuch, Beihilfe. II. Besondere Milderungsgründe. D i e „mildernden Umstände" §. 71. S t r a f u m w a n d l u n g . I. Umwandlung der Geldstrafe in Freiheitsstrafe. II. Umwandlung einer Freiheitsstrafe in eine andre. III. Umwandlung der Einziehung in Geldstrafe §. 72. S t r a f a n r e c h n u n g . I. Anrechnung der Untersuchungshaft. II. Anrechnung des ausländischen Urteils. III. Erwiderung oder Aufrechnung §. 73. B e s t i m m u n g d e r S t r a f e b e i Z u s a m m e n t r e f f e n m e h r e r e r Verbrechen (realer Konkurrenz.) I. Notwendigkeit einer Milderung des Häufungsprinzips. II. D i e Gesamtstrafe. III. und IV. Abweichungen. V . Besondere Bestimmungen der Nebengesetze IV.
243 249 247
249
251
253
Der Wegfall des staatlichen Strafanspruchs.
§. 74. D i e S t r a f a u f h e b u n g s g r ü n d e i m a l l g e m e i n e n . I. Der Begriff. II. Der T o d des Schuldigen. III. D i e thätige Reue . § . 75. D i e B e g n a d i g u n g . I. Begriff, Geschichte und Aufgabe. II. Wirkung. Arten. III. D i e Träger des Begnadigungsrechts. IV. Zusammentreffen landesrechtlicher Begnadigungsansprüche §. 76- D i e V e r j ä h r u n g i m a l l g e m e i n e n . I. Rechtsgrund der V e r jährung. II. Ihre Wirkung. III. Ihre Geschichte §. 77. D i e V e r f o l g u n g s v e r j ä h r u n g . I. D i e Verjährungsfristen. II. Beginn der Verjährung. III. Unterbrechung. I V . Ruhen und V . W i r k u n g der Verjährung §. 78. D i e V o l l s t r e c k u n g s v e r j ä h r u n g . I. D i e Verjährungsfristen.
256
258 261
264
Inhaltsverzeichnis.
XIII Seite
II. Beginn der Verjährung. III. Unterbrechung der Verjährung. I V . Verjährung der Nebenstrafen
267
Besonderer Teil. §. 79. Ü b e r s i c h t d e s S y s t e m s . I. Begriff des Rechtsguts. ILRechtsgiiter des einzelnen. HL Rechtsgüter der Gesamtheit . . . Erstes
269
Buch.
Strafbare Handlungen gegen Rechtsgüter des einzelnen. Erster Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen die körperliche Unversehrtheit. I. Die Tötung. §. 80. B e g r i f f u n d A r t e n d e r T ö t u n g . I. Gegenstand der Tötung. II. Selbstmord. III. D i e Handlung. I V . D i e Arten der Tötung §. 81. D i e g e m e i n e v o r s ä t z l i c h e T ö t u n g . Geschichte. I. Römisches Recht. II. Das deutsche Mittelalter. III. D i e Karolina. IV. Das gemeine Recht. V . Die neuere Gesetzgebung. V I . Das Merkmal der Überlegung §. 82. I. D i e g e m e i n e v o r s ä t z l i c h e T ö t u n g . Das geltende R e c h t . I. Mord und Totschlag. II. Mildere und H I . schwerere Fälle §. 83. 2. D i e K i n d e s t o t u n g . I. Geschichte. II. Begriff. III. Gegenstand und IV. Subjekt der Tötung. V . Strafe §. 84. 3. T ö t u n g a u f V e r l a n g e n . I.Geschichte, n . Geltendes Recht. HL Bestrafung §• 85. 4. D i e f a h r l ä s s i g e T ö t u n g . I. Geschichte. II. Geltendes Recht
272
274 276 278 281 282
II. Die Körperverletzung. §. 86. G e s c h i c h t e u n d B e g r i f f . I. Geschichte. II. Begriff der Korperverletzung. III. Die Widerrechtlichkeit; insbesondere Einwilligung des Verletzten §. 87. D i e A r t e n d e r K ö r p e r v e r l e t z u n g . I. D i e leichte vorsätzliche, II. die gefährliche, III. die schwere Körperverletzung. I V . Die Körperverletzung mit todlichem Ausgange. V . D i e fahrlässige Körperverletzung §. 88. V e r f o l g u n g u n d B e s t r a f u n g . I. Antragserfordernis. II. Antragsberechtigung. I I I . Bufse. I V . Erwiderung (Retorsion) III. Die Gefährdung von Leib und Leben. § . 8 9 . 1. D i e A u s s e t z u n g . I.Geschichte. I I . Begriff. I I I . Bestrafung §. 90. 2. D i e V e r g i f t u n g . I . Geschichte. I I . Begriff. I I I . Bestrafung 91. 3. D i e A b t r e i b u n g . I. Geschichte. I I . Begriff. I I I . Die A r t e n
282
285 289
290 293 295
XIV
Inhaltsverzeichnis. Seite
§. 92. 4. D e r R a u f h a n d e l . I.Geschichte. I I . R S t G B . §.227, I.Absatz. III. RStGB. §. 227, 2. Absatz §. 93. 5. D e r Z w e i k a m p f . I. Geschichte und systematische Stellung. II. Begriff des' Zweikampfes. III. Die Herausforderung zum Zweikampf. IV. Bestrafung
299 301
Zweiter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen unkörperliche Rechtsgüter. I. Strafbare Handlungen gegen die Ehre. §. 94. G e s c h i c h t e u n d B e g r i f f d e r B e l e i d i g u n g . I. Injuria und Beleidigung. I I . Der Begriff der Ehre. I I I . D i e Handlung. I V . Die Rechtswidrigkeit 307 §. 95. D i e A r t e n d e r B e l e i d i g u n g . I. Die einfache Beleidigung. II. Die üble Nachrede. I I I . Die Verleumdung. IV. Die Kreditgefahrdung. V. Die sog. Beleidigung Verstorbener . . 315 §. 96. V e r f o l g u n g u n d B e s t r a f u n g d e r B e l e i d i g u n g . I. Der Wahrheitsbeweis. I I . Das Antragserfordernis. III. Erwiderung. IV. Privatgenugthuung 319
§ § § §
§ § § § § § § §
II. Strafbare Handlungen gegen die persönliche Freiheit. 97. B e g r i f f d e r F r e i h e i t s v e r b r e c h e n . I. Die personliche Freiheit. II. Die Arten ihrer Verletzung. III. Der Träger des Rechtsgutes. IV. Gewalt, Drohung, List 98. G e s c h i c h t e d e r F r e i h e i t s d e l i k t e . I. Das crimen vis. II. Das ALR. HI. S k l a v e n r a u b u n d S k l a v e n h a n d e l . 99. I. D i e N ö t i g u n g . I. Begriff. II. Die Nötigungsmittel. III. Widerrechtlichkeit der Nötigung. I V . Versuch und Vollendung. V. § 153 der Gewerbeordnung IOO. 2. D i e F r e i h e i t s b e r a u b u n g ( o d e r G e f a n g e n h a l t u n g ) . I. Der Begriff. II. Seine Merkmale. III. Bestrafung . . . . 101. 3. D e r M e n s c h e n r a u b . I . Der Begriff im allgemeinen. II. Der eigentliche Menschenraub. III. Der Kinderraub . . . .
322 325 327 329 330
III. Strafbare Handlungen gegen geschlechtliche Freiheit und sittliches GefUhl. 102. Ü b e r s i c h t . I. Das geschützte Rechtsgut. II. D e r Begriff der unzüchtigen Handlung. III. Geschichtliche Ü b e r s i c h t . . . . 332 103. I. D i e E n t f u h r u n g ( o d e r d e r F r a u e n r a u b ) . I.Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten 336 104. 2. D i e N ö t i g u n g z u r U n z u c h t ( i n s b e s o n d e r e d i e N o t z u c h t ) . I. Geschichte. II. Die Fälle des RStGB 339 105. 3. U n z u c h t m i t V e r l e t z u n g e i n e s A b h ä n g i g k e i t s v e r h ä l t n i s s e s . I. Der Begriff. II. Die Arten 343 106. 4. D i e V e r f ü h r u n g z u m B e i s c h l a f . I. Die Erschleichung des Beischlafs. II. Die Verführung eines unbescholtenen jungen Mädchens 344 107. 5. D i e K u p p e l e i . I. Begriff. II. Geschichte. III. Arten . . 345 108. 6. I . E r r e g u n g e i n e s ö f f e n t l i c h e n Ä r g e r n i s s e s . H. V e r b r e i t u n g u n z u c h t i g e r S c h r i f t e n . III. M i t t e i l u n gen aus g e h e i m e n G e r i c h t s v e r h a n d l u n g e n . . . . 349 109. 7. D i e w i d e r n a t ü r l i c h e U n z u c h t . I. Geschichte. II. Geltendes Recht 35'
Inhaltsverzeichnis.
XV Seite
|
HO. 8. D i e B l u t s c h a n d e . des Recht
I. Begriff. II. Geschichte,
in. Gelten-
I V . S t r a f b a r e Handlungen g e g e n Familienrechte. I. D i e V e r l e t z u n g d e s P e r s o n e n s t a n d e s . I. Begriff. IL Die Unterdrückung des Personenstandes. III. § 68 des Personenstandsgesetzes . . • § 112. 2. S t r a f b a r « H a n d l u n g e n b e i S c h l i e f s u n g d e r E h e . I. Die Eheerschleichung. II. Amtsdelikte bei Schliefsung der Ehe. III. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs . § 113. 3. D i e m e h r f a c h e E h e . I. Begriff und Geschichte. II. Das geltende Recht § 114. 4. D e r E h e b r u c h . I. Geschichte. II. Begriff . . . . . .
352
§ III.
V . Strafbare Handlungen gegen die Religionsfreiheit und das religiöse Gefühl. § 115. G e s c h i c h t e u n d B e g r i f f . I. Geschichte der Religionsverbrechen. II. Der Gegenstand des Strafschutzes § 116. D i e e i n z e l n e n R e l i g i o n s v e r b r e c h e n . I. Gotteslästerung. II. Beschimpfung von Religionsgesellschaften. III. Beschimpfender Unfug. IV. Störung des Gottesdienstes. V. Störung des Gräberfriedens V I . Hausfriedensbruch und Verletzung fremder Geheimnisse. § 117. I. D e r H a u s f r i e d e n s b r u c h . I. Geschichte. II. Begriff. in. Die Arten § 118. 2. D i e V e r l e t z u n g f r e m d e r G e h e i m n i s s e . I.Allgemeines. II. Verletzung des Briefgeheimnisses. HI Offenbarung von Privatgeheimnissen. IV. Verletzung von Betriebsgeheimnissen. VII. Strafbare Handlungen g e g e n den Rechtsfrieden. § 119. Ü b e r b l i c k . I. Der Begriff des Rechtsfriedens. n. Geschichte §120. 1. D i e B e d r o h u n g . I. Ihr wesentlicher Inhalt. II. Das geltende Recht § 121. 2. D i e ü b r i g e n F r i e d e n s s t ö r u n g e n . I. Landzwang. H. Landfriedensbruch. HI. Ansammlung von Waffen. IV. Aufreizung zum Klassenkampf. V. Der Kanzelmifsbrauch . . .
354 356 357 359
361
364.
36$ 371
375 3/6
377
Dritter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen Individualrechte. § 122. I. V e r l e t z u n g d e s s c h r i f t s t e i l e r i s c h e n U r h e b e r r e c h ts. I. Begriff und Geschichte. II. Der eigentliche Nachdruck. III. Die übrigen Vergehen gegen das Autorrecht § 123. 2. D i e ü b r i g e n V e r l e t z u n g e n v o n I n d i v i d u a l r e c h t e n . I — I I I . Verletzung des Urheberrechts! an Werken der bildenden Kunst, an Photographieen, an (Geschmacks-) Mustern und Modellen. IV. Verletzung des Rechts auf Warenbezeichnungen V. Verletzung des Patentrechts. V I . Verletzung des Rechts an Gebrauchsmustern
380
38*
XVI
Inhaltsverzeichnis. Seite
Vierter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen Vermögensrechte. I. Strafbare Handlungen gegen Sachenrechte. § 124. I. D e r D i e b s t a h l . G e s c h i c h t e . I. Das römische Recht. II. Das deutsche Mittelalter. III. Die Italiener. IV. Die PGO. V. Das gemeine Recht und die Landesgesetzgebung . . . . § 125. B e g r i f f des D i e b s t a h l s . I. Begriffsbestimmung. II. Die fremde bewegliche Sache. III. Der Gewahrsam. IV. Das Wegnehmen. V. Die Zueignungsabsicht. VI. Versuch und Vollendung. VII. Der Verletzte § 126. Die A r t e n d e s D i e b s t a h l s . I. Der einfache Diebstahl. II. Der schwere Diebstahl. III. Diebstahl im Rückfall. IV. Der räuberische Diebstahl. V. Der Familien- und Hausdiebstahl . §. 127. Dem D i e b s t a h l v e r w a n d t e F ä l l e . I. Gebrauchsanmafsung. H. Besitzentziehung. III. Forst- und Felddiebstahl. IV. Zueignung von Munition. V. und VI. RStGB. §. 370 Ziff. 1 und 2. VII. Der Mundraub. VIII. Der Futterdiebstahl . . . . §. 128. 2. D e r R a u b . I. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten des Raubes. IV. Nebenstrafe §. 129. 3. D i e U n t e r s c h l a g u n g . I. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten der Unterschlagung §. 130. 4. Die S a c h b e s c h ä d i g u n g . I.Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten II. Verletzung von Zueignungsrechten. §. 131. I. Verletzung des Jagdrechts. II. Verletzung des Fischereirechts. III Verletzung des Bergrechts III. Verbrechen gegen Forderungsrechte. §. 132. I. Der V e r t r a g s b r u c h . I. Geschichte. II. Das geltende Recht §. 133. 2. D i e U n t r e u e . I. Geschichte. II. RStGB. §. 266. III. Hilfskassengesetz vom 7. April 1876. IV. Versicherungsgesetze. V. Aktiengesetz vom 18. Juli 1884. VI. Genossenschaftsgesetz vom 1. Mai 1889. VII. Untreue des Sachwalters § . 134. 3. Der B a n k b r u c h . G e s c h i c h t e und B e g r i f f . I. Geschichte. II. Begriff §. 135. 3. D i e A r t e n d e s B a n k b r u c h s . I. Der einfache, II. der betrügerische Bankbruch §. 136. Dem B a n k b r u c h v e r w a n d t e V e r b r e c h e n . I. Die Begünstigung einzelner Gläubiger. II. Teilnahmehandlungen als selbständige Vergehungen. III. Der Stimmenkauf. IV. Unterlassene Beantragung der Konkurseröffnung. V. Unterlassene Anzeige des ehelichen Güterrechts §. 137. 4. D i e V e r e i t e l u n g d e r Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g . . .
389
392 399
405 4°9 4'3 416
420
425
426 429 434
436 438
IV. Strafbare Handlungen gegen das Vermögen überhaupt. §. 138. 1. D e r B e t r u g . G e s c h i c h t e und B e g r i f f . I. Geschichte des Betruges. II. Die Begriffsmerkmale ' . . 439 §. 139. D i e A r t e n d e s B e t r u g e s . I. Einfacher Betrug. II. Betrug im Rückfall. III. Versicherungsbetrug 445
Inhaltsverzeichnis.
XVII Seit«
§ 140. 2. D i e E r p r e s s u n g . I. Geschichte. I I . Begriff. I I I . Die Arten der Erpressung § 141. 3. S t r a f b a r e A u s b e u t u n g a n d r e r . I. Allgemeines. II. Ubervorteilung Minderjähriger § 142. F o r t s e t z u n g . D e r W u c h e r . I. Geschichte. I I . Der Kreditwucher. I I I . Der Geschäftswucher. I V . Mit dem Wuchergesetz zusammenhängende Strafdrohungen § I43. 4. D i e G e f ä h r d u n g d e s V e r m ö g e n s , a. Das Glucksspiel. I. Begriff. II. Die Arten § 144. b. D i e ö f f e n t l i c h e A u s s p i e l u n g ( L o t t e r i e ) . I.Geschichte und systematische Stellung. I I . R S t G B . § 286. I I I . Prämienpapiere: Gesetz vom 8. Juni 1871 § 145. c. G e f ä h r d u n g d u r c h K o n t e r b a n d e § 146. 5. D i e S a c h h e h l e r e i ( P a r t i e r e r e i ) . I . Geschichte. I I . Begriff. I I I . Die Arten
447 449
451 455
457 460 461
Fünfter Abschnitt.
Die durch das Mittel des Angriffes gekennzeichneten Vergehungen. I. Die gemeingefährlichen Verbrechen des Strafgesetzbuches. § 147. A l l g e m e i n e s . I. Die Terminologie des RStGBs. I I . Grundcharakter der Gruppe. I I I . Der Begriff der Gemeingefahr. . § 148. 1. B r a n d s t i f t u n g u n d Ü b e r s c h w e m m u n g . I. Geschichte der Brandstiftung. I I . und I I I . Begriff und Arten der Brandstiftung. I V . Die Überschwemmung § 149. 2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d e n E i s e n b a h n - u n d T e l e g r a p h e n b e t r i e b . I. Gefahrdung des Eisenbahnbetriebes, I I . Gefahrdung des Telegraphenbetriebes. I I I , Nebenstrafen . § 150. 3. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n i n B e z u g auf Wasserb a u t e n ; G e f ä h r d u n g d e r S c h i f f a h r t usw. I. Beschädigung von Wasserbauten. I I . Verbrechen an Schiffahrtszeichen. I I I . Stranden- oder Sinkenmachen eines Schiffes . . § 151. 4. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n i n B e z u g a u f a n s t e c k e n d e Krankheiten. I. Verletzung der Anordnungen bei V o l k s seuchen. II. Verletzung der Anordnungen bei Viehseuchen . § 152. 5. V e r g i f t u n g v o n B r u n n e n u n d G e b r a u c h s m i t t e l n . I. Geschichte und systematische Stellung. I I , Das geltende Recht § 153. 6. N i c h t e r f ü l l u n g v o n L i e f e r u n g s v e r t r ä g e n . I. Geschichte. I I . Begriff § 154. 7. V e r l e t z u n g d e r R e g e l n d e r B a u k u n s t . I. Geschichte. II. Begriff II. Mifsbrauch von Sprengstoffen. § 155. I. Das Gesetz vom 9. Juni 1884 im allgemeinen. I I . Die von ihm bedrohten strafbaren Handlungen. I I I . Nebenstrafen und objektive Mafsregeln
§
III. Die Warenfälschung. 156. I. Systematische Stellung. I I . Geschichte. I I I . Das Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879. I V . Blei- und zinkhaltige Gegenstände: Gesetz vom 25. Juni 1887. V . Gesundheitsschädliche Farben: Gesetz vom 5. Juli 1887. V I . Margarinegesetz vom v o n L i s z t , Strafrecht.
6. Aufl.
II
466
468
473
477 479
480 48i 482
482
XVIII
Inhaltsverzeichnis. Seit»
12. Juli 1887. V I I . Weingesetz vom 20. April 1892. Handfeuerwaffengesetz vom 19. Mai 1891
VIII.
I V . Strafbare Handlungen an Geld. § 157. G e s c h i c h t e und s y s t e m a t i s c h e S t e l l u n g . I. Geschichte der sog. Münzverbrechen. II. Ihre Stellung im System . . . § 158. D i e A r t e n d e r G e l d v e r b r e c h e n . I. Die eigentliche Münzfälschung II. Der Münzbetrug. III. StGB. § 148. I V . Kippen und Wippen. V. Vorbereitungshandlungen. V I . Verwandte Übertretungen. VII. Der Schutz des Reichskassenscheinpapiers: Gesetz vom 26. Mai 1885
486
491
493.
V . Strafbare Handlungen an Urkunden. § 159. A l l g e m e i n e s . I. Geschichte und systematische Stellung der Urkundenverbrechen. II. Begriff der Urkunde 497 § 160. D i e e i g e n t l i c h e U r k u n d e n f ä l s c h u n g . I. Die Handlung. II. Die Absicht. III. Die Arten. IV. Vollendung. V. Bestrafung 500 § 161. D i e F a l s c h b e u r k u n d u n g ( i n t e l l e k t u e l l e U r k u n d e n f ä l s c h u n g ) . I. Legislativer Grundgedanke. II. Das geltende Recht 504 I Urkundenbeseiti§ 162. D i e ü b r i g e n U r k u n d e n v e r b r e c h e n . gung. II. Grenzverrückung. III. Strafbare Handlungen an Stempel-, Post- und Telegraphenwertzeichen. IV. Strafbare Handlungen an Legitimationspapieren. V. Strafbare Handlungen in Bezug auf Gesundheitszeugnisse 506-
Zweites
Buch.
Strafbare Handlungen gegen Rechtsgüter der Gesamtheit. Erster Abschnitt.
Die Verbrechen gegen den Staat. § 163. Ü b e r b l i c k . I. Begriff und Arten der Staatsverbrechen. II. Hoch- und Landesverrat. Majestätsbeleidigung. III. Verletzung staatsbürgerlicher Rechte. I V . Angriffe auf fremde Staaten . § 1 6 4 . I. D e r H o c h v e r r a t . I.Begriff. II. Arten. III. Vorbereitungshandlungen. IV. Beschlagnahme des Vermögens § 165. 2. D e r L a n d e s v e r r a t . I. Der Begriff im allgemeinen. II. Der militärische, III. Der diplomatische Landesverrat. IV. Beschlagnahme des Vermögens. V. Der Kriegsverrat. V I . Gesetz vom 5. April 1888 § 166. 3. A u s s p ä h u n g u n d V e r r a t m i l i t ä r i s c h e r G e h e i m n i s s e . I. Begriff des militärischen Geheimnisses. II. Ausspähung. III. Verrat. IV. Weitere strafbare Handlungen. V. Begehung im Auslande § 167. 4. D i e M a j e s t ä t s b e l e i d i g u n g . I. Begriff. II. Thätlichkeiten. III. Einfache Beleidigung § 168. 5. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e politischen
512 515
520
524 528-
Inhaltsverzeichnis.
XIX Seit«
R e c h t e d e r S t a a t s b u r g e r . I. Gegen gesetzgebende Versammlungen. II. Gegen das politische Wahl- und Stimmrecht . . § 169. 6. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n f r e m d e S t a a t e n . I. Übersicht. II. Die einzelnen Fälle
531 534
Dritter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen die Staatsgewalt. § 170. I. G e w a l t s a m e r E i n g r i f f i n A m t s h a n d l u n g e n . I. Allgemeines. II. Widerstand. III. Thätlicher Angriff. IV. Nötigung. V. Aufruhr. VI. Auflauf § 171. 2. G e w a l t g e g e n F o r s t - u n d J a g d b e a m t e . I. Begriff II. Arten. III. Bestrafung § 1 7 2 . 3. D i e B e f r e i u n g v o n G e f a n g e n e n . I. Begriff und systematische Stellung. II. Geschichte. III. Die Arten . . . . § 173. 4. D i e s t r a f b a r e n A u f f o r d e r u n g e n . I. Begriff und systematische Stellung. " I I . Die strafbaren Aufforderungen imRStGB. III. Die übrigen Falle. IV. Der D u c h e s n e p a r a g r a p h . . . . § 174. 5. M i f s a c h t u n g d e r S t a a t s g e w a l t . I. Verleumdung des Staatswillens. II. Amtsanmafsung. III. Beseitigung amtlicher Urkunden. IV. Beschädigung von Bekanntmachungen. V. Wegnahme von Autoritätszeichen. VI. Siegelbruch. VII. Arrestbruch
536 540 542 544
550
Vierter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen die Staatsgewalt. § 175. U b e r s i c h t . I. Die Aufgaben der Staatsverwaltung. II. Ihr Schutz durch die Strafgesetzgebung. III. Die Einteilung dieser Gruppe I. Strafbare Handlungen im Amte. § 176. G e s c h i c h t e u n d B e g r i f f . I. Begriff der Amtsverbrechen. II. Ihre Geschichte. III. Begriff des Beamten. IV. Einteilung der Amts verbrechen § 177. D i e e i n z e l n e n A m t s v e r b r e c h e n . I. Bestechung. II. Rechtsbeugung. III. Verbrechen bei Trauung und Eheschliefsung. IV. Bedruckung der Staatsbürger. V. Amtsmifsbrauch im Strafverfahren. VI. Urkundenverbrechen. VII. Amtsunterschlagung. VIII. Übermäfsiges Sportulieren. IX. Diplomatenverbrechen. X. Strafbare Handlungen der Post- und Telegraphenbeamten. XI. Die Untreue des Sachwalters. XII. Konnivenz II. Die falsche Aussage (die sog. Eidesverbrechen). § 178. G e s c h i c h t e u n d s y s t e m a t i s c h e S t e l l u n g . I. Geschichte, II. Systematische Stellung der Eidesverbrechen § 179. D a s g e l t e n d e R e c h t . I. Die Arten der Eidesverbrechen. II. Die Bestrafung III. Strafbare Handlungen gegen die Rechtspflege. § 180. 1. D i e f a l s c h e A n s c h u l d i g u n g . I. Systematische Stellung. II. Geschichte. III. Geltendes Recht § 181. 2. B e g ü n s t i g u n g u n d H e h l e r e i . I.Geschichte. II. Begriff
n*
5S4
555
558
567 570
577
XX
Inhaltsverzeichnis. Seite
und Arten. I I I . Die Begünstigung im geltenden Recht. I V . Die Hehlerei §. 182. 3. D i e ü b r i g e n V e r g e h e n g e g e n d i e R e c h t s p f l e g e . I. Eidesbruch. I I . Veröffentlichung der Anklageschrift. I I I . Verletzung der Dingpflicht. I V . Unterlassung der Anzeige. V . Veraltete Strafdrohungen
580
585
IV. Strafbare Handlungen gegen die Verwaltung des Kriegswesens. § . 183. I. Falschwerbung. II. Verleitung zur Fahnenflucht. I I I . Untauglich machung. I V . Betrügliche Umgehung der Wehrpflicht. V. Verletzung der Wehrpflicht durch Auswanderung. V I . Geschäftsmäfsige Verleitung zur Auswanderung. V I I . Verletzung des Kriegsleistungengesetzes. V I I I . Übertretung des Festungsrayongesetzes. I X . Übertretung des Kriegshafengesetzes. X. Aufnehmen von Festungsrissen X I . Veröffentlichungen über Truppenbewegungen. X I I . Nichterfüllung von Lieferungsverträgen. X I I I . Brieftaubenverkehr im K r i e g e
5^7
V . Strafbare Handlungen gegen die staatliche Überwachung des Prefswesens: die Prefspolizeivergehen. § . 184. I. Nichtnennung des Druckers und Verlegers. II. Nichtablieferung der Pflichtexemplare. I I I . Nichtaufnahme amtlicher Bekanntmachungen. I V . Nichtaufnahme von Berichtigungen. V . Verbreitung verbotener ausländischer Druckschriften. V I . Verbreitung mit Beschlag belegter Druckschriften
593
V . Strafbare Überschreitungen des Vereinsrechts. § , 185. I. Geschichte.
I I . Das geltende Recht
594
VII. Strafbare Handlungen gegen die Sicherheitspolizei. §. 186. I. Allgemeines. II. D i e Bestimmungen des R S t G B s
597
VIII. Strafbare Handlungen gegen die Gesundheitspolizei. §. 187. I. Verletzung der Anordnungen bei Volksseuchen. I I . Verletzung der gegen Viehseuchen getroffenen Anordnungen. I I I . Übertretung des Reichsimpfgesetzes. I V . Zuwiderhandlungen gegen das Reblausgesetz. V . Andre Fälle
598
IX. Strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeitspolizei. §. 188. I. Landstreicherei und Bettel. I I . Mufsiggang und Trunkenheit. I I I . Branntweinhandel auf hoher See. I V . Prostitution. V . Tierquälerei. V I . Grober Unfug. V I I . Übertretung der Polizeistunde. V I I I . Verletzung der Sonntagsruhe
600
X. Strafbare Handlungen gegen das Milnz- und Bankwesen des Reichs. §. 189. I. Gegen das Munzwesen.
I I . Gegen das Bankwesen . . . .
XI. Strafbare Handlungen gegen die Gewerbepolizei. §. 190. I. D i e Ü b e r t r e t u n g e n d e r G e w e r b e o r d n u n g . I. einzelnen strafbaren Handlungen. I I . D i e Strafe. I I I . gemeine Bestimmungen §. 191. 2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n auf dem Gebiete Aktienwesens. I. Untreue. I I . Wissentlich falsche
606
Die All608 des An-
Inhaltsverzeichnis.
XXI Seite
gaben bei Eintragung des Gesellschaftsvertrages. I I I . Verschleierung des Standes der Gesellschaftsverhältnisse. I V . Unterlassene Bestellung des Aufsichtsrates und Nichtbeantragung der Konkurseröffnung. V . Betrügerische Täuschung des Publikums. V I . Stimmenkauf. V I I . Wahlfälschung 192. 3. D i e ü b r i g e n F ä l l e . Übertretungen I. des Gesetzes vom 7. April 1876 betreffend die eingeschriebenen Hilfskassen; I I . des Gesetzes vom I. Mai 1889 betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften; I I I . des Gesetzes vom 20. April 1892 betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung; I V . des Gesetzes vom 13. Mai 1884 betreffend die Anfertigung und Verzollung von Zündholzern; V . des Krankenversicherungsgesetzes vom 15. Juni 1883 und V I . des Unfallversicherungsgesetzes vom 6. Juli 1884 sowie der Gesetze vom 5. Mai 1886, I i . und 13. Juli 1887; V I I . des Gesetzes betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 .' . . .
613
617
XII. Strafbare Handlungen in Bezug auf die Mafs- und Gewichts- sowie die Legierungspolizei. §. 193. I. Falsches Mafs und Gewicht. II. Verletzung des Gesetzes vom 20. Juli 1881 betreffend die Bezeichnung des Raumgehalts der Schankgefäfse. I I I . Verletzungen der Schiffsvermessungsordnung vom 20. Juni 1888. I V . Verletzungen des Gesetzes vom 16. Juli 1884 betreffend den Feingehalt der Gold- und Silberwaren
622
XIII. Strafbare Handlungen in Bezug auf das Eisenbahn-, Telegraphen- und Postwesen. §. 194. I. Zuwiderhandlungen gegen das Bahnpolizeireglement. I I . Verletzung der besonderen Vorrechte der Posten. III. Errichtung und Betrieb von Telegraphenanlagen
623
XIV. Strafbare Handlungen in Bezug auf das Schiffahrtswesen. § 195.
I. Gesetz vom 25. Oktober 1867 betreffend die Nationalität der Kauffahrteischiffe. II. Gesetz vom 28. Juni 1873 betreffend die Registrierung der Kauffahrteischiffe. III. Gesetz vom 25. März 1880 betreffend die Schiffsmeldungen bei den deutschen Konsulaten. I V . Verletzungen der Schiffsvermessungsordnung vom 20. Juni 1888. V . S t G B . § 145 und die Kaiserlichen Verordnungen. V I . Gesetz vom 27. Dezember 1872 betreffend die Yerpflichtung zur Mitnahme hilfsbedürftiger Seeleute. VII. Übertretungen der Strandungsordnung vom 17. Mai 1874. V I I I . Übertretungen des Gesetzes vom 21. November 1887 betreffend die unterseeischen Kabel. I X . Übertretungen der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872. X . Verletzung der Bestimmungen über die Küstenschiffahrt
XV. § 196.
§ 197.
624
Strafbare Handlungen in Bezug auf das Finanzwesen des Reichs.
Allgemeines. I. Einteilung der hierher gehörenden Verbrechen. I I . D i e typischen Fälle. I I I . Eigentümlichkeiten der in den Zoll- und Steuergesetzen enthaltenen Strafdrohungen . 1. V e r l e t z u n g d e r G e b ü h r e n p f l i c h t . I. Post- und Portohinterziehung. I I . Erschwerte Hinterziehung der Post- und
629
XXII
Inhaltsverzeichnis. Seit»
Telegraphengebühren. III. Strafbare Handlangen in Bezug auf Telegraphenfreimarken § 198. 2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e Z o l l g e s e t z e . I. Vereinszollgesetz. II. Sicherung der Zollvereinsgrenze. III. Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz vom 23. Juni 1882. IV. Übertretung der österreichisch-ungarischen Zollgesetze . . . § 199. 3. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e S t e u e r g e s e t z e . I. Salzsteuer. II. Tabaksteuer. I I I . Brausteuer. I V . und V. Branntweinsteuer. V I . Zuckersteuer. V I I . Banknotensteuer . § 200. 4. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e S t e m p e l g e s e t z e . I. Die Delikte des RStGBs. II. Der Wechselstempel. III. Der Spielkartenstempel. IV. Der Stempel auf Wertpapiere. V . Die sog. statistische Gebühr
632
633 636
639
XVI. Die Militärverbrechen. § 201. A l l g e m e i n e B e s t i m m u n g e n . I. Geschichte des Militärstrafrechts. II. Begriff der Militärverbrechen. III. Persönliches Geltungsgebiet des Mil.StGBs. IV. Räumliches Geltungsgebiet. V. Das Strafensystem. VI. Abweichungen von den allgemeinen Bestimmungen des bürgerlichen StGBs § 202. D i e e i n z e l n e n m i l i t ä r i s c h e n V e r b r e c h e n u n d V e r gehen. I. Kriegsverrat. II. Gefahrdung der Kriegsmacht im Felde. III. Unerlaubte Entfernung und Fahnenflucht. I V . Selbstbeschädigen und Vorschützen von Gebrechen. V. Feigheit. V I . Strafbare Handlungen gegen die Pflichten der militärischen Unterordnung. V I I . Mifsbrauch der Dienstgewalt. V I I I . Widerrechtliche Handlungen im Felde gegen Personen oder Eigentum. IX. Andre widerrechtliche Handlungen gegen das Eigentum. X. Verletzung von Dienstpflichten bei Ausfuhrung besondrer Dienstverrichtungen. XI. Sonstige Handlungen gegen die militärische Ordnung
641
645
Abkürzungen. ALR.:
Allgemeines preufsisches Landrecht; die beigefügten Ziffern bezeichnen die Paragraphen des 20. Titels des II. Teils. v. B a r : v. Bar Handbuch des deutschen Strafrechts I. Bd. 1882. v. B a r L e h r b u c h : v. Bar Lehrbuch des internationalen Privat- und Strafrechts 1892. B a u m g a r t e n V e r s u c h : Baumgarten Die Lehre vom Versuch des Verbrechens 1888. B e r n er: Berner Lehrbuch 16. Auflage 1891. Bennecke: Bennecke Lehrbuch des Strafprozefsrechts 1889 ff. BGB.: Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs. Bin ding: Binding Handbuch I. Bd. 1885. B i n d i n g N o r m e n : Binding Die Normen und ihre Übertretung I. Bd. 1872 (1890), II. Bd. 1877. B i r k m e y e r T e i l n a h m e : Birkmeyer Die Lehre von der Teilnahme und die Rechtsprechung des deutschen Reichsgerichts 1890. B o r c h e r t V e r a n t w o r t l i c h k e i t : Borchert Über die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Handlungen dritter 1888. Brunner: Brunner Deutsche Rechtsgeschichte II. Bd. 1892. C o h n V e r s u c h : Cohn Zur Lehre vom versuchten und vom unvollendeten Verbrechen I. Bd. 1880. EG.: Einfuhrungsgesetz zum Reichsstrafgesetzbuch. Finger: Finger Das osterr. Strafrecht 1891 ff. Geyer: Geyer Grundrifs 1884/85. GA.: (Goltdammer) Archiv für Strafrecht. Glaser: Glaser Handbuch des Strafprozesses I 1883, I I 1885. G o b e l U n t e r n e h m e n : Gobel Unternehmen und Verleitung nach dem deutschen Reichsstrafrecht 1891. GS.: Gerichtssaal. Gunther: Günther Die Idee der Wiedervergeltung in der Geschichte und Philosophie des Strafrechts I. Bd. 1889. II. Bd. 1891. GVG.: Gerichtsverfassungsgesetz. Grunhut: Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart. Hälschner: Halschner Das gemeine deutsche Strafrecht I 1881, I I 1884 bis 1887. van Hamel: van Hamel Inleiding tot de Studie van het nederlandsche Straf» recht (bisher 2 Lieferungen erschienen).
XXIV Hänel: Hecker: HH.:
Abkürzungen.
Hdnel Staatsrecht. Hecker Lehrbuch des deutschen Militärstrafrechts 1887. v. Holtzendorff Handbuch des deutschen Strafrechts in Einzelbeiträgen I bis I I I 1871/74, I V 1877. HG.: v. Holtzendorff und v. Jagemann Handbuch des Gefängniswesens in Einzelbeiträgen I, I I 1885. H e i n z e E r ö r t e r u n g e n : Heinze Staatsrechtliche und strafrechtliche Erörterungen 1870. HR.: v. Holtzendorff Rechtslexikon 3. Aufl. 1880/81. HSt.: Handwörterbuch der Staatswissenschaften 1890 ff. HV.: Handbuch des Völkerrechts herausgegeben von v. Holtzendorff. I bis I V 1885—1889. Janka: Janka Das österreichische Strafrecht 2. Aufl. 1890 (herausgeg. von Rulf). IKV.: Internationale kriminalistische Vereinigung. John: John Kommentar zur Strafprozefsordnung 1884ff. K l ö p p e l P r e f s r e c h t : Klöppel Das Reichsprefsrecht 1894. K o b n e r E i n z i e h u n g : Kobner Die Mafsregel der Einziehung nach dem RStGB. und der Nachdrucksgesetzgebung 1892. Kohler: Kohler Studien aus dem Strafrecht I. Bd. 1890. v. I C r i e s : v. Kries Lehrbuch des deutschen Strafprozefsrechts 1892. Krohne: Krohne Lehrbuch der Gefängniskunde 1889. Laband: Laband Staatsrecht 2. Aufl. 1888—1890. L a u t e r b u r g E i d e s d e l i k t e : Lauterburg Die Eidesverbrechen 1896 L e n z P f a n d r e c h t : Lenz Der strafrechtliche Schutz des Pfandrechts 1893. v. L i l i e n t h a l : v. Lilienthal Grundrifs 1892. Loning: L'oning Grundrifs 1885. L o o c k S c h u t z d e r E i s e n b a h n e n : Loock "Der strafrechtliche Schutz der Eisenbahnen im Deutschen Reich 1893. L u c a s S u b j e k t i v e V e r s c h u l d u n g : Lucas Die subjektive Verschuldung im heutigen Strafrechte 1883. v. M e y e r : v. Meyer Lehrbuch 4. Aufl. 1888. Merkel: Merkel Lehrbuch des Strafrechts 1889. Mil.StGB.: Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich. NG.: Stenglein (mit Appelius und Kleinfeiler) Die strafrechtlichen Nebengesetze des Deutschen Reichs 1893. Olshausen: Olshausen Kommentar 4. Auf läge 1892. Die kleineren Ziffern bezeichnen die Nummern der angezogenen Note. Oppenhoff: Oppenhoff Kommentar 12. Aufl. 1891. OT.: Entscheidungen des Berliner Obertribunals. P f e n n i n g e r : Pfenninger Strafrecht der Schweiz 1890. R: Entscheidungen des Reichsgerichts; citiert nach Band und Seitenzahl der von den Mitgliedern des Gerichtshofes herausgegebenen Sammlung (die beiden ersten Ziffern der Jahreszahl sind weggelassen worden). RGBl.: Reichsgesetzblatt. RStGB.: Reichsstrafgesetzbuch. R u p p M o d e r n e s R e c h t : Rupp Modernes Recht und Verschuldung 1880. S c h m i d P r ä s u m p t i o n e n : Schmid Die Präsumptionen im deutschen Reichsstrafrecht 1884. Schutze: Schütze Lehrbuch 2. Aug. 1874. Schsp.: Schwabenspiegel. Ausgabe von Lafsberg. S i m o n s o n V o r t e i l : Simonson Der Begriff des Vorteils und seine Stellung im deutschen Strafrecht 1889. v. S p e f s h a r d t V e r s i c h e r u n g s b e t r u g : v. Spefshardt Der Versicherungs-
Abkürzungen.
XXV
betrug im RStGB. unter Berücksichtigung der wichtigsten ausländischen Gesetzgebungen 1885. StG.: Die Strafgesetzgebung der Gegenwart in rechtsvergleichender Darstellung I. Bd. 1894 (herausgegeben von v. Liszf). StPO.: Strafprozefsordnung für das Deutsche Reich. Ssp.: Sachsenspiegel. Ausgabe von Homeyer. StGB.: Strafgesetzbuch. S t o o f s: Stoofs Die Grundzüge des Schweizerischen Strafrechts im AufGrundzüge: trage des Bundesrates vergleichend dargestellt I 1892. S t r e i t W i d e r s e t z u n g : Streit die Widersetzung gegen die Staatsgewalt 1892. v.Wächter: v. Wächter Vorlesungen 1881. Wach: Wach Handbuch des Zivilprozesses I 1885. WV.: Wörterbuch des Verwaltungsrechts. Herausgegeben von v. S t e n g e l 1889/90. Z: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Ziebarth: Zubarth Forstrecht 1887/89 3. Teil. ZPO.: Zivilprozefsordnung für das deutsche Reich.
Nachträge. Zu den S. 48 angeführten Reichsgesetzen sind noch die folgenden seither kundgemachten und in dem Lehrbuch noch verarbeiteten Gesetze hinzuzufügen: 92. Gesetz betreffend die Ausführung des internationalen Vertrags vom Unterdrückung des Branntweinhandels unter den Nord16. November 1887 14. Februar 1893 seefischern auf hoher See vom 4. März 1894. 93. Gesetz betr. die Änderung des Unterstützungswohnsitzes und die Ergänzung des StGBs. vom 12. März 1894. 94. Gesetz betr. die Warenabzahlungsgeschäfte vom 16. Mai 1894. 95. Gesetz zum Schutz der Warenzeichen vom 25. Mai 1894. 96. Gesetz betr. den Schutz der Brieftauben und den Brieftaubenverkehr im Kriege vom 28. Mai 1894.
Einleitung, § i.
Der Begriff des Strafrechts und die A u f g a b e des Lehrbuchs.
I. S t r a f r e c h t ist der Inbegriff derjenigen staatlichen Vorschriften, durch welche an das Verbrechen als Thatbestand die Strafe als Rechtsfolge geknüpft wird.') Als der dem Strafrecht eigenartige Thatbestand bildet das V e r b r e c h e n eine besondere Unterart des Unrechts (des Deliktes), d. h. der schuldhaften rechtswidrigen Handlung (vgl. unten § 25). Und als die dem Strafrecht eigenartige Rechtsfolge unterscheidet sich die S t r a f e von andern Rechtsfolgen des Unrechts dadurch, dafs sie ein vom Staate gegen den Schuldigen verhängtes Übel darstellt (vgl. unten § 58). Verbrechen und Strafe sind demnach die beiden Grundbegriffe des Strafrechts. ') Strafrecht im o b j e k t i v e n Sinn, auch peinliches Recht, Kriminalrecht genannt. In diesem Sinne gebraucht den Ausdruck „Strafrecht" zuerst Engelhard 1756; vgl. Frank Die Wölfische Strafrechtsphilosophie 1887 S. 22. Im s u b j e k t i v e n Sinne bedeutet Strafrecht das Recht zu strafen, das jus puniendi. Zu beachten ist, dafs von einem staatlichen Straf r e c h t im subjektiven Sinne nur unter der Voraussetzung gesprochen werden kann, dafs die an sich schrankenlose, der juristischen Fassung spottende Straf g e w a l t des Staates in kluger Selbstbeschränkung V o r a u s s e t z u n g u n d I n h a l t ihrer Bethätigung (Verbrechen und Strafe) bestimmt hat. Wie überhaupt „das Recht die Politik der Gewalt" ist (v. Ihering Zweck im Recht 1 249 der 2. Aufl.), so ist das staatliche Recht zu strafen die r e c h t l i c h b e g r e n z t e Strafgewalt des Staates. Diese Begrenzung aber wird durch das Strafrecht im objektiven Sinne gebildet. Und daraus erhellt, dafs es sich nur um zwei Seiten desselben Begriffes handelt, dafs Strafrecht im objektiven und subjektiven Sinne bei Lichte betrachtet dasselbe bedeuten. v o n L i s z t , Strafrecht.
6. Aufl.
I
2
§ I.
Der Begriff des Strafrechts und die Aufgabe des Lehrbuchs.
Und es ergibt sich als die nächste Aufgabe der S t r a f r e c h t s w i s s e n s c h a f t : in rein juristisch-technischer Betrachtung, gestützt auf die S t r a f g e s e t z g e b u n g , Verbrechen und Strafe als begriffliche Verallgemeinerungen ins Auge zu fassen; die einzelnen Vorschriften des Gesetzes, bis zu den letzten Grundbegriffen und Grundsätzen aufsteigend, zum geschlossenen Systeme zu entwickeln; im besonderen Teile des Systemes die e i n z e l n e n Verbrechen und die auf diese gesetzten Strafen, im allgemeinen Teile den Begriff d e s Verbrechens, der Strafe überhaupt darzustellen. Als hervorragend p r a k t i s c h e Wissenschaft, stets für die Bedürfnisse der Rechtspflege arbeitend und aus dieser immer neue Befruchtung schöpfend, mufs die Rechtswissenschaft die eigentlich s y s t e m a t i s c h e Wissenschaft sein und bleiben; denn nur die Ordnung der Kenntnisse zum System verbürgt jene sichere, stets bereite Herrschaft über alle Einzelheiten, ohne welche die Rechtsanwendung stets Dilettantismus bleibt, jedem Zufall, jeder Willkür preisgegeben. Das Lehrbuch beschränkt sich auf die Darstellung des i m D e u t s c h e n R e i c h e g e l t e n d e n Strafrechts. Das aufserdeutsche Strafrecht und das Strafrecht der deutschen Einzelstaaten bleibt grundsätzlich aufser Betracht. Auch die G e s c h i c h t e des Strafrechts wird nur soweit herangezogen, als es notwendig ist, um das geltende Recht als ein geschichtlich gewordenes und weiter sich entwickelndes zu begreifen. Ihr Platz ist im e r s t e n A b s c h n i t t e der Einleitung. II. Über das geltende Strafrecht hinaus fuhrt uns die Erkenntnis der Strafe als eines in die Hand des Staates gelegten M i t t e l s z u r B e k ä m p f u n g d e s V e r b r e c h e n s . Diese Erkenntnis legt uns die Frage nach dem Rechtsgrund und den Zielen der staatlichen Strafgewalt, aber auch nach dem Ursprung und der Eigenart des Verbrechens nahe. Die wissenschaftliche Lösung dieser Frage ist Aufgabe der K r i m i n a l p o l i t i k . Sie gibt uns den Mafsstab für die Wertschätzung des Rechtes, welches gilt, und sie deckt uns das Recht auf, welches gelten sollte; aber sie lehrt uns auch, das geltende Recht aus seinem Zweck heraus zu verstehen und seinem Zwecke gemäfs im Einzelfalle anzuwenden. Die leitenden
§ 2.
Allgemein-geschichtliche Einleitung.
3
Grundsätze der Kriminalpolitik durften daher, ebenso wie die G e schichte des Strafrechts, in diesem L e h r b u c h e nicht übergangen, sie mufsten aber, wie diese, in die Einleitung verwiesen werden, deren z w e i t e r A b s c h n i t t ihnen g e w i d m e t ist. III. Nicht in das S y s t e m des Strafrechts, sondern ebenfalls in die Einleitung, gehört die L e h r e v o n den Q u e l l e n des Strafrechts und dem H e r r s c h a f t s g e b i e t e der Strafrechtssätze, die im wesentlichen nicht auf strafrechtlichen, sondern auf staats- und völkerrechtlichen Grundsätzen beruht. Von d e m Herrschaftsgebiete der Quellen handelt der d r i t t e A b s c h n i t t der Einleitung. 2 )
I. Die Geschichte des Strafrechts. Litteratur. Eine zusammenfassende Geschichte des Strafrechts fehlt. Am besten immer noch Geib Lehrb. 1; dazu v. Bar Handbuch 1. Viel Wertvolles bietet Günther Die Idee der Wiedervergeltung in der Geschichte und Philosophie des Strafrechts 1 1889; 2 1891. Pertile Storia del diritto penale 1892 (Z 1 4 236). — Wichtig die Berichte von Löning Z 2 134, 3 471, 5 187, 534, 7 650; von Günther Z 11 126, 12 594, 1 4 100.
§ 2.
Allgemein-geschichtliche Einleitung.
L i t t e r a t u r . v. Liszt Z 3 I. Merkel 199. — Merkel Uber den Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Strafrechts und der Gesamtentwicklung der öffentlichen Zustände und des geistigen Lebens der Volker 1889. Löning Über die Begründung des Strafrechts 1889. Lief mann Die Entstehung des Schuldbegriffs. Diss. 1891. — Post Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend ethnologischer Basis 1880, 1881. Derselbe Die Grundlagen des Rechts und die Grundzüge seiner Entwicklungsgeschichte. Leitfaden für den A u f b a u einer allg Rechtswissenschaft auf soziologischer Basis 1884. Derselbe Über die Aufgaben einer allgemeinen Rechtswissenschaft 1891 (hier S. 93 Note 1 weitere Litteraturangaben). Derselbe Grundrifs der ethnologischen Jurisprudenz I 1894. — Zahlreiche Abhandlgn. von Kohler, Bernhoft u. a. in der Zeitschr. für vergleichende Rechtswissenschaft. — Schulin Lehrbuch der Geschichte des romischen Rechts 1888. Leist Gräko-italische Rechtsgeschichte 1884. Derselbe Alt-arisches Jus gentium 1889. Schräder Sprachvergleichung und Urgeschichte 2. Aufl. 1890 (vielfach gegen Leist). — Miklosich Die Blutrache bei den Slaven 1887. Wesmtsch Die Blutrache bei den Südslaven. Zeitschr. für vergleichende Rechtswissenschaft 8. und 9 . Band. — Foinitzky Die Lehre von der Strafe 1889 (Z 10 447). — V g l . Günther Z 12 594. I. Die Entwicklungsgeschichte der Strafe in den Rechten der verschiedensten Volker zeigt gemeinsame Grundzuge. Die r e c h t s v e r g l e i c h e n d e B e t r a c h t u n g wird daher nicht nur Lucken und Dunkelheiten in der Rechts2 ) Diese Lehre wird meist als Bestandteil des Systems behandelt; so von Bin ding, Geyer, Merkel, Meyer, Birkmeyer, van Hantel und andern.
I*
4
§ 2.
Allgemein-geschichtliche Einleitung.
geschichte eines einzelnen Volkes ausfüllen und aufhellen; sondern, indem sie uns die Bahn weist, welche die Entwicklung der Strafe allezeit und überall genommen hat, uns auch die Richtung zu künden vermögen, in welcher für die Zukunft eine lebenskräftige Umgestaltung der Strafgesetzgebung erhofft werden kann; sie wird die ratende Fuhrerin sein können für eine zielbewufste, aber zugleich vorsichtig an das Gewordene und Gegebene anknüpfende Kriminalpolitik. II. Die Rechtsvergleichung lehrt uns, dafs der Anfangspunkt der Geschichte der Strafe zusammenfallt mit dem Anfangspunkte der Geschichte der Menschheit. In jedem, auch dem entferntesten, geschichtlicher Forschung noch zugänglichen Zeitraum, bei jedem, auch dem rohesten oder entartetsten Volksstamm finden wir die Strafe, als ein malum passionis quod infligitur propter malum actionis, als einen Eingriff in den Willens- und Machtkreis des einzelnen, welcher und weil er die Willens- und Machtkreise der andern gestört hat. Wir sind daher berechtigt, die Strafe als eine u r s p r ü n g l i c h e geschichtliche Thatsache zu bezeichnen. Und wir werden nicht fehlen, wenn wir gerade das Strafrecht als die erste und ursprünglichste Schichte in der Entwicklungsgeschichte des Rechts erblicken, das Unrecht als den Hebel des Rechts wie der Sittlichkeit betrachten. Die der Staatengrundung vorangehende Gliederung in S t a m m e s v e r b ä n d e (Blutsgemeinschaften) zeigt uns zwei gleich ursprüngliche Arten der Strafe 1 ): I. Die Bestrafung des S t a m m e s g e n o s s e n , der innerhalb des Verbandes gegen diesen oder gegen dessen Mitglieder sich versündigt hat; 2. die Bestrafung des S t a m m e s f r e m d e n , der von aufsen her in den Macht- und Willenskreis des Verbandes oder einzelner Glieder desselben eingegriffen hat. Im ersten Fall erscheint die Strafe insbesondere als A u s s t o f s u n g a u s d e r F r i e d e n s g e n o s s e n s c h a f t in ihren verschiedenen Formen, als Friedloslegung. Im zweiten Falle erscheint sie insbesondere als Bekämpfung des Fremden und seines ganzen Stammes, als B l u t r a c h e , geübt von Stamm zu Stamm, bis zum Unterliegen eines der beiden Teile gefuhrt oder mit beiderseitiger Erschöpfung endigend. In beiden Fällen trägt sie ausgeprägt religiöse Zuge ( s a k r a l e n Charakter); wie die Friedensordnung unter dem Schutze der Götter steht, so ruht die Blutrache auf göttlichem Gebot. In dem einen wie in dem andern Falle ist aber die Strafe, von den ersten Stufen ihrer Entwicklung a n , die, wenn auch nicht klar bewufste und nicht klar gewollte, so doch thatsächlich geübte Reaktion der Rechts- und Friedensordnung gegen Verletzung ihrer Interessen; sie ist s o z i a l e R e a k t i o n g e g e n a n t i s o z i a l e H a n d l u n g e n oder, um mit Merkel zu sprechen, s o z i a l e Machtäufserung im Dienste s o z i a l e r Selbstbehauptung. Die weitverbreitete Ansicht, welche die Wurzel der Strafe in dem als Rachetrieb sich äufsernden Selbsterhaltungstrieb des Einzelmenschen erblickt, bedarf mithin der Berichtigung. Ausstofsung aus dem Friedensverbande wie Blutrache sind nicht Reaktion des Einzelmenschen, sondern R e a k t i o n d e s ') Vgl. dazu auch Kulischer Der Dualismus der Ethik bei den primitiven Völkern. Zeitschrift für Ethnologie 1885 S. 205.
§ 2.
Allgemein-geschichtliche Einleitung.
5
S t a m m e s v e r b a n d e s als der Rechts- und Friedensordnung. Und die Handlungen, gegen welche die Reaktion sich wendet, erscheinen stets, sei es unmittelbar, sei es mittelbar, als Verletzung g e m e i n s a m e r I n t e r e s s e n d e s S t a m m e s y e r b a n d e s , als Friedensstörung, als Rechtsbruch. *) III. Die weitere Entwicklung der Strafe zeigt uns d i e M ä f s i g u n g der ursprünglich mafs- und ziellosen, triebartig ungestümen Reaktion. Die Ausstofsung aus der Friedensgenossenschaft schwächt sich ab zur Todesstrafe und zu verstümmelnder Leibesstrafe, zu dauernder oder zeitiger Verbannung und zu Vermögensstrafen aller Art; dem Friedensstörer und seinen Angehörigen wird trotz des Rechtsbruches gegen eine'mehr oder minder bedeutende Leistung an die Gemeinschaft der Rechtsfriede gewahrt. Die zwischen den Stammesverbänden entbrannte Blutrache wird beigelegt; die Versöhnung auf Grund eines dem verletzten Stamme zu entrichtenden Suhnegeldes erst vermittelt, dann erzwungen. Die Rückfälle bleiben nicht aus. Aber die Entwicklung erhält eine mächtige Förderung durch die erstarkende, über den Stammesverbänden sich erhebende S t a a t s g e w a l t , welche die Handhabung der Strafe dem Verletzten entwindet, um sie unbefangenen, ruhig prüfenden Richtern zu übertragen. Die Schwere der von Staats wegen verhängten Strafe wird für die verschiedenen Rechtsbruche verschieden bestimmt, das zu leistende Sühnegeld (compositio, von componere, beilegen) unter den Rechtsgenossen ein für allemal vereinbart und nach der Schwere der Rechtsverletzung abgestuft; der kirchlich religiöse Gedanke der Talion gibt dem Rachetrieb Mafs und Ziel. So gestaltet sich die an sich uneingeschränkte S t r a f g e w a l t des Staates zum staatlichen S t r a f r e c h t (ob. § I Note i). Das S t r a f g e s e t z bestimmt nicht nur Inhalt und Umfang der S t r a f e , sondern auch die Voraussetzungen ihres Eintritts, indem es den Begriff des V e r b r e c h e n s umgrenzt: die Willkür wird ausgeschlossen, der Einzelfall unter feste, bindende Regel gestellt. TV. Aber noch ein Schritt ist zu machen. Der Z w e c k g e d a n k e , die das Recht erzeugende Kraft, wird auch in der Strafe erkannt; und mit dieser Erkenntnis ist die Möglichkeit gegeben, die vielverzweigten Wirkungen der Strafdrohung und des Strafvollzuges dem Schutze menschlicher Lebensinteressen dienstbar zu machen. Wenn auch die Erinnerung an die Vergangenheit der Strafe nicht völlig schwinden will, wenn auch heute noch der Rachetrieb die Theorie der vergeltenden Gerechtigkeit für sich in Anspruch nimmt, so vollzieht sich doch unaufhaltsam in der Geschichte der Strafe die aus der Enta ) Ich glaube, diese Behauptung als eine wissenschaftlich feststehende Thatsache bezeichnen zu dürfen. Fraglich dagegen ist die Erklärung dieser Thatsache. Die Handhabung der Strafe kann stets nur Handlung eines e i n z e l n e n oder mehrerer e i n z e l n e r sein. Wie kommt es, dafs diese triebartige Handlung des einzelnen, ohne dafs er es weifs und will, g e m e i n s a m e Interessen wahrt, s o z i a l e n Charakter trägt? Ich finde die Erklärung in der Hypothese, dafs d e r i n d i v i d u e l l e T r i e b hier wie sonst (man denke an die Fortpflanzung) im u n b e w u f s t e n D i e n s t e d e r A r t e r h a l t u n g s t e h t . Doch würde die Unrichtigkeit dieser Erklärung an der Wahrheit jener Behauptung nichts ändern.
6
§ 3-
D a s Strafrecht der Romer.
w i c k l u n g des Einzelmenschen uns bekannte Umgestaltung: die unbewufst zweckmäfsige, ungezügelte T r i e b handlung verwandelt sich in die durch die Z w e c k vorstellung
bestimmte
und
zielbewufste Kriminalpolitik
gemäfsigte
W i 11 e n s handlung.
Eine ruhige und
ist die unabweisbare Forderung, die sich uns aus
der Entwicklungsgeschichte der Strafe ergibt.
3. Das Strafrecht der Römer. 1 ) Litteratur. Auch hier fehlt eine befriedigende Gesamtdarstellung. Platner Quaestiones de jure criminum romano 1842. Rein D a s Kriminalrecht der Romer 1844. Zumft Das Kriminalrecht der romischen Republik 1865 fr. Mommsen Staatsrecht 3. Aufl. 1, 2, 3. Pernice M. Antistius L a b e o 2. B d . 1878. v. Ihering Geist des rom. Rechts. Voigt D i e 12 T a f e l n 2 Bde. 1883. Leist Gräkoitalische Rechtsgeschichte 1884. Bemh'oft Staat und Recht der römischen Konigszeit 1882. Brunmnmeister D a s Tötungsverbrechen im altromischen Recht 1887 und dazu Loiting Z 7 657 und 696. — D i e Lehrbücher der romischen' Rechtsgeschichte. I. B i s z u m 7. J a h r h u n d e r t d e r
Stadt.
D i e bezeichnendste Eigentümlichkeit des ältesten romischen Strafrechts, zur Zeit
der
germanischen
angeblichen Konigsgesetze,
Entschiedenheit, gesetzte
und
liegt
in
der
—
den übrigen indo-
Rechten auf den Anfangsstufen ihrer E n t w i c k l u n g fremden mit
welcher
gehütete
das Verbrechen als Eingriff in die
Rechtsordnung,
die Strafe als
—
staatlich
staatliche
Reaktion
gegen das Verbrechen betrachtet w i r d . Z w a r fehlt es nicht an zahlreichen und wichtigen Spuren einer Auffassung des Strafrechts,
sakralen
die uns in expiatio und execratio capitis mit con-
secratio bonorum, als Wiederversohnung der Gottheit mit dem reuigen Sunder und als Ausstofsung des Frevlers aus der religiösen Gemeinschaft entgegentritt. S o bei Mifshandlung der Eltern durch die K i n d e r , bei fraus i m Verhältnisse zwischen lassung
Patron
und
Klienten,
bei Verletzung
des
Grenzsteins,
letzung der leges sacratae und der sakrosankten Personen. bei unabsichtlicher T ö t u n g trägt sakrale Eigenart. zieht
bei
Unter-
des Kaiserschnittes, bei T ö t u n g des Ackerrindes, später noch bei V e r -
sich die Scheidung
von jus
und
fas, und
Auch das Sühnopfer
A b e r unaufhaltsam
voll-
mit ihr der S i e g der staat-
lichen Strafe. Auch
die
privat rechtliche
sung v o n Verbrechen
(stammesgenossenschaftliche)
und Strafe kommt nur auf beschränktem
G e l t u n g ; aber um so zäher wird sie festgehalten die
letzten Jahrhunderte
Tötungsrechte Ehebrecher und Sühnevertrag
Auffas-
Gebiete
zur
und weiter entwickelt bis in
des romischen Strafrechts.
Sie
äufsert sich in dem
des Verletzten gegenüber dem auf frischer T h a t ergriffenen
dem
nächtlichen
Diebe;
in
dem
vereinzelt
vorkommenden
(si membrum rupit, ni cum eo pacit, talio esto. F e s t u s ) ;
den festbemessenen B u f s S ä t z e n
in
bei os fractum aut collisum und andern In»
jurien (an deren Stelle später die ästimatorische actio injuriarum trat) und ins-
*) D a s g r i e c h i s c h e Strafrecht kann hier nicht berücksichtigt Über die neueren Forschungen v g l . die Litteraturberichte der Z.
werden.
§ 3-
Das Strafrecht der Romer.
1
besondere bei den zahlreichen P r i v a t d e l i k t e n in der zivilrechtlichen Ponalklage auf das zwei-, drei-, vierfache des Schadens, die wohl überall an die Stelle des aufsergerichtlichen Suhnevertrages getreten ist (jzotvij, poena®) gleich Sühnegeld). Um zwei Verbrechensbegriffe reihen sich die gegen .Rechtsguter der Gesamtheit und des Einzelnen gerichteten Verbrechen: p e r d u e l l i o und p a r i c i d i u m . Perduellio, der arge, schlechte Krieg, der Krieg gegen das eigne Vaterland, modern gesprochen: der Landesverrat, ist der Ausgangspunkt für die Entwicklung der politischen Verbrechen. An das paricidium, 3 ) die Tötung des Stammesgenossen (angebl. Gesetz von Numa bei Festus: si quis hominem liberum dolo sciens morti duit, paricida esto), schliefst sich die grofse Gruppe der gemeinen Verbrechen. Gerade darin, dafs die Tötung als Verletzung der öffentlichen Rechtsordnung angesehen, ihre Bestrafung nicht der Privatwillkur der Angehörigen des Verletzten anheimgestellt wird, liegt der auffallendste Unterschied zwischen romischer und germanischer Rechtsanschauung. Aber auch aufser perduellio und paricidium finden wir mit öffentlicher Strafe bedroht: Brandlegung, falsches Zeugnis, Bestechung des Richters, das Schmähgedicht (occentare et carmen condere, quod infamiam faceret flagitiumve alteri), das furtum manifestum, nächtliche Versammlungen und Zauberei (alíenos fructus excantare; alienam segetem pellicere). Wie in Zahl und Bedeutung der hierher gehörigen Verbrechen tritt die staatliche Auffassung des Strafrechts auch hervor einerseits in der Harte der auf das Verbrechen gesetzten S t r a f e n (die Todesstrafe herrscht vor), anderseits in der Gestaltung des S t r a f v e r f a h r e n s , das noch nicht wie in späterer Zeit die Eigenart des Privatklageprozesses an sich trägt. Mit den XII Tafeln scheint die ernste Entschiedenheit der Strafgesetzgebung erschöpft zu sein. Die alten Strafbestimmungen werden nicht vermehrt; ja sie geraten teilweise, wie die Tötung des falschen Zeugen, in Vergessenheit. Auch von den Privatvergehen erfährt nur die Sachbeschädigung in der lex Aquilia eingehende und bedeutsame Regelung. Der Zug der Zeit, gerichtet auf Beschränkung der magistratischen Rechtsprechung, ist der Forderung des Strafrechts nicht gunstig. Hausväterliche Strafgewalt und zensorische Ruge müssen für Aufrechthaltung von Zucht und Sitte Sorge tragen. Todesstrafe und schwere Leibesstrafe werden beschränkt und beseitigt; die Verbannung wird als aquae et ignis interdictio, verbunden mit dem Verluste der bürgerlichen Rechte, zur regelmäfsigen Folge des Verbrechens. Die Strafrechtspflege hat h o c h p o l i t i s c h e Färbung gewonnen. II. D i e
Zeit des
Quästionen-Prozesses.
Aber gerade in dieser hochpolitischen Eigenart sollte das römische Strafrecht den Quell seiner Wiedergeburt finden. Um das Jahr 606 a. u, s ) poena hängt durch die indogermanische Wurzel tschi (suchen, scheuen, rächen) mit dem griechischen tivofiai, rächen (durch Blut oder Annahme des Wergeides), rían Bufse, Strafe, zusammen. Vgl. dazu Leist 298 Note 1, Günther 1 6, Schräder 581. ' ) von nrjós, gentilis; vgl. Schräder 579.
8
§ 3-
Das Strafrecht der Römer.
war eine zunächst unscheinbare, aber folgenschwere Neuerung ins Leben getreten. Über die Klagen der Provinzialen gegen die Statthalter auf Rückerstattung der Repetunden hatte bisher das senatorische Rekuperatorengericht geurteilt. Jetzt wurde, im Zusammenhange mit der lex Calpurnia de repetundis, ein ständiger Ausschufs des Senates unter dem Vorsitze eines Prätors, die erste sogenannte quaestio perpetua, zur Aburteilung dieser Fälle niedergesetzt. Bald erkannten die Führer der Volkspartei die Bedeutung dieser Einrichtung als einer Waffe im Kampfe gegen den herrschenden Stand. Die lex Sempronia von 632 übertrug den Rittern das Richteramt im Quästionenprozesse und das Recht, nicht blofs auf Ruckerstattung des Erprefsten, sondern auch auf Strafe, und zwar mit Einschlufs der Verbannung, zu erkennen. D a m i t w a r d e r Q u ä s t i o n e n p r o z e f s zum S t r a f v e r f a h r e n g e w o r d e n . Zahlreiche Gesetze beschäftigen sich in den folgenden Jahrzehnten mit ihm, das Verfahren regelnd, seine Zuständigkeit auf andere Verbrechen ausdehnend. Immer aber sind es nur V e r b r e c h e n d e s h e r r s c h e n d e n s e n a t o r i s c h e n S t a n d e s , also Delikte von hervorragend politischer Bedeutung, welche den Gegenstand des neuen Verfahrens ausmachen; die gemeinen Verbrechen bleiben ihm nach wie vor entzogen. Da tritt 672—674 die S u l l a n i s c h e R e f o r m d e r S t r a f g ' e s e t z g e b u n g ein. Der Quästionenprozefs, bisher von der Parteileidenschaft als Parteiwaffe benutzt, wird die Grundlage für die Neubegründung des römischen Strafrechts. Sulla vermehrt in den l e g e s C o r n e l i a e (de sicariis, testamentaria-nummaria, de majestate u. a.) die Zahl der bestehenden Quästionen, überträgt die Gerichtsbarkeit in ihnen wieder den Senatoren und ü b e r w e i s t dem Q u ä s t i o n e n p r o z e s s e auch die g e m e i n e n V e r b r e c h e n , deren Thatbestand eingehend bestimmt wird. Die leges J u l i a e von Cäsar und August bringen diese Entwicklung, durch welche eine der beiden Grundlagen des späteren gemein-deutschen Strafrechts geschaffen wurde, zum vorläufigen Abschlüsse. Dadurch ist neben die — gerade in diesem Zeitabschnitt durch das prätorischeEdikt wesentlich weiter entwickelten — P r i v a t d e l i k t e , welche der Verletzte vor den Zivilgerichten mit einer auf Geldbufse gerichteten zivilen Pönalklage zu verfolgen hatte, eine neue Gruppe von Verbrechen getreten: die c r i m i n a p u b l i c a (legitima, ordinaria). Sie beruhen auf einzelnen leges, welche für jedes Verbrechen den Thatbestand und die poena legitima (meist Interdiktion) festsetzen, das Verfahren regeln und die Aburteilung einer bestehenden oder neu zu errichtenden quaestio zuweisen. Die Anklage steht jedem aus dem Volke zu. Dolus ist erforderlich, Versuch und Teilnahme werden (regelmäfsig) bestraft und zwar so wie Vollendung und Thäterschaft. Die Richter haben mit schuldig oder nichtschuldig zu antworten; unterscheidende Beurteilung des Einzelfalles ist unmöglich. Es gehören in diese Gruppe folgende Verbrechen: die A m t s v e r b r e c h e n , welche ja den Anstofs zu der ganzen Entwicklung gegeben hatten, also die Erpressung (crimen repetundarum), die Amtserschleichung (ambitus
§ 3-
f a s Strafrecht der Römer.
9
und crimen sodaliciorum), Diebstahl und Unterschlagung im Amte (crimen peculatus et de residuis); H o c h v e r r a t (crimen majestatis, allmählich an Stelle der alten perduellio tretend); S t ö r u n g d e s ö f f e n t l i c h e n F r i e d e n s durch Gewaltthat (vis publica et privata mit vorwiegend politischer Färbung); M e n s c h e n r a u b (plagium) und F ä l s c h u n g (falsum); vorsätzliche T ö t u n g (crimen sicariorum et veneficorum; parricidium als Verwandtenmord); K ö r p e r v e r l e t z u n g und H a u s f r i e d e n s b r u c h (injuriae atroces: pulsare, verberare, domum vi introire); endlich die durch die lex Julia de adulteris 736 a. u. zuerst der staatlichen Strafgewalt unterworfenen F l e i s c h e s v e r b r e c h e n , Ehebruch, Unzucht, Kuppelei und blutschänderische Ehe (adulterium, stuprum, lenocinium, incestus). Eine selbständige Mittelgruppe bilden die a c t i o n e s p o p u l ä r e s (Interdikte, prätorische und ädilizische Strafklagen, Klagen aus Kolonial- und Munizipalverhältnissen), deren Erhebung jedem aus dem Volke zusteht, aber nur zur Verhängung einer meist an den Ankläger fallenden Geldbufse führt. III. Z e i t a b s c h n i t t .
Die
ICaiserzeit.
Der Untergang des alten ordo judiciorum publicorum seit dem Anfange des 3. Jahrhunderts nach Christus (wahrscheinlich nach 204*)) läfst zunächst das materielle Strafrecht unberührt. Insbesondere bleibt der Gegensatz der crimina publica und delicta privata bestehen. Freilich bringen es die Zeitverhältnisse mit sich, dafs gerade jene Verbrechensbegriffe, an welche die Neubegrundung des römischen Strafrechts anknüpft, die A m t s v e r b r e c h e n der Republik, aus den Aufzeichnungen der Rechtspflege verschwinden; während andre, wie das crimen majestatis, eine wesentliche inhaltliche Umgestaltung erleiden. Aber im grofsen und ganzen bleiben die leges Corneliae und leges Juliae die feste Grundlage, auf welcher die klassische romische Rechtswissenschaft, ergänzend und umgestaltend, weiter baut. Erst allmählich treten die Folgen der Erstarkung der einheitlichen Staatsgewalt auch auf dem Gebiete des Strafrechts zu Tage. Wie die Verfolgung von Amts wegen in immer weiterem Umfange und mit immer bewufster auftretender Richtung sich Bahn bricht, 5 ) so werden dem privatrechtlichen Delikte immer weitere Gebiete zu Gunsten der peinlichen Strafe abgerungen. Es entsteht die neue, ausgedehnte und für die ganze spätere Entwicklung des Strafrechts hochwichtige Gruppe der c r i m i n a e x t r a o r d i n a r i a , eine Mittelstufe zwischen crimen publicum und delictum privatum, aber jenem näher stehend als diesem. Nicht einem Volksbeschlusse, sondern Kaiserverordnungen und Senatsbeschlussen oder juristischer Auslegungskunst verdanken sie ihre E n t s t e h u n g ; nicht die unabänderliche poena ordinaria, sondern eine nach richterlichem E r m e s s e n der eigenartigen Bedeutung des Einzelfalles angepafste Strafe ist ihre Folge. Dem V e r l e t z t e n steht die Strafklage, gerichtet an die Träger der Strafgerichtsbarkeit, zu; die s u b j e k t i v e S e i t e der That 4 ) Vgl. darüber Menn De interitu quaestionum perpetuarum 1859. Wächter Beilagen zu Vorlesungen über das deutsche Strafrecht 1877 No. 20. 6 ) V g l . Bindittg De natura inquis. process. crim. Roman. 1863.
§ 3-
10
Das Strafrecht der R o m e r .
wird wie bei den criminibus publicis in den Vordergrund gestellt, dolus malus erfordert, Versuch und Teilnahme bestraft.
Innerhalb
der crimina
extraordi-
naria können wir drei Untergruppen unterscheiden. 1.
Aus
den
Privatdelikten
werden
die
herausgehoben und mit peinlicher Strenge bedroht. das Verbrechen der saccularii (Taschendiebe),
schwersten So aus dem
effractores (Einbrecher),
tores (Plünderer), balnearii (Badediebe, oder mit v. Bar: (gewerbsmäfsige V i e h d i e b e : tatis.
Aus der r a p i ñ a :
quasi artem exercentes) A u s der i n j u r i a :
rische Schmähschrift), das Verbrechen
expila-
Paletotmarder), abigei
und die expilatio heredi-
das Verbrechen der latrones
Raubmord) und grassatores.
Falle furtum:
(mit Hinneigung
zum
die libelli famosi (verleumde-
der directarii (Hausfriedensbruch)
und
andere Fälle. 2. Daneben
finden
brechensbegriffe.
wir
eine
grofse
Zahl
So die H e h l e r e i
neugeschaffener
Ver-
(crimen receptatorum); den
Be-
t r u g (stellionatus und als besonderen F a l l die venditio fumi, die Vorspiegelung eines nicht
vorhandenen
Einflusses auf
Verleihung
von
Ämtern);
die
p r e s s u n g (concussio); E n t f u h r u n g (raptus); A b t r e i b u n g d e r f r u c h t (abactio partus); K i n d e s a u s s e t z u n g
Er-
Leibes-
(expositio infantum).
kommen, neben andern, unter dem Einflufs des Christentums
Dazu
die bisher
romischen Rechte unbekannt gebliebenen R e l i g i o n s v e r b r e c h e n :
dem
Gottes-
lästerung, Störung des Gottesdienstes, A b f a l l vom Glauben und Ketzerei, sowie die diesen mehr und mehr sich nähernde 3.
Endlich s c h e i n t e s ,
als ob
Zauberei. die
Entwicklung dahin gefuhrt habe,
dem Verletzten gegen E n d e des Zeitraums b e i d e n m e i s t e n
Privatdelikten
auch ohne besondere gesetzliche Anordnung das Wahlrecht zwischen der
zivil-
rechtlichen actio ex delicto und der strafrechtlichen accusatio extra ordinem einzuräumen (vgl. 1 92 D
47, 2 ; 1 45 D 47, 10).
Eine wesentliche Umgestaltung erfahrt insbesondere auch das S t r a f e n system.
D i e aquae et ignis interdictio hat sich uberlebt; sie hat ihre prak-
tische Bedeutung verloren. insbesondere
An ihre Stelle tritt ein
nach dem Stande des Verurteilten
aber zu übertriebener Strenge
reichgegliedertes,
abgestuftes, im
vielfach
allgemeinen
hinneigendes System von Lebens- und Leibes-
strafen, von Freiheitsstrafen mit und ohne Arbeitszwang, von Strafen an Ehre und Vermögen. Unverändert dagegen bleibt im wesentlichen die j u r i s t i s c h e a r t der Strafbestimmungen des romischen Rechts.
Nach
wie
vor
w i r Klarheit und Bestimmtheit in der Fassung der V e r b r e c h e n s ja, j e mehr der Zeitraum seinem Abschlüsse
sich nähert,
desto
Eigenvermissen
begriffe; verderblicher
wird der Einflufs jener unjuristischen willkürlichen und haltlosen Pseudo-Ethik, welche die späteren Kaisererlasse
kennzeichnet.
E s darf und kann uns
auch nicht w u n d e r n e h m e n , wenn wir sehen, dafs die Ausbildung der meinen Lehren
des Strafrechts, jene höchste
und
daher
allge-
schwerste A u f g a b e
der
kriminalistischen Wissenschaft, über vereinzelte und grundsatzlose Ansätze nicht hinauskommt.
D a s römische Strafrecht wäre
zur A u f n a h m e in
Deutschland
durchaus ungeeignet gewesen, hätte nicht in späteren Jahrhunderten das mittel-
§ 4-
Das mittelalterlich deutsche- Strafrecht.'
II
alterliche Italien die Arbeit auf sich genommen, welche die romischen Juristen ungelöst der Nachwelt hinterlassen hatten. 8 )
§ 4. I.
Das mittelalterlich deutsche Strafrecht.
Das frühere Mittelalter.
B i s z u m 13. J a h r h u n d e r t .
Litteratur. Zusammenfassend und zugleich grundlegend Brunner Deutsche Rechtsgeschichte 2 1892 S. 536—690. — Wilda Das Strafrecht der Germanen 1842. Osenbrtiggen Das Strafrecht der Langobarden 1863. Thonissen L'organisation judiciaire, le droit pénal et la procédure pénale de la loi salique 2. Aufl. 1882. Bethmann-Hollweg Der Zivilprozefs des gem. Rechts in geschichtlicher Entwicklung. IV. bis VI. Bd. 1868 ff. Viel Material in Wmtz Deutsche Verfassungsgeschichte. — Berichte von Loning und Günther in Z 2 ff. I. Ungleich deutlicher als in den romischen , tritt uns in den deutschen Quellen die allmähliche Entwicklung des Strafrechts entgegen. In den Volksrechten hat sich über den Stammesverband allerdings bereits die staatliche Rechtsordnung erhoben. Demgemäfs tritt einerseits die sakrale Auffassung des Strafrechts, anderseits die Friedlosigkeit wie die Blutrache in den Hintergrund. Das Kompositionensystem steht unverkennbar im Mittelpunkte der strafrechtlichen Bestimmungen. Aber innerhalb des Staatsverbandes tritt uns immer noch die auf der Blutsgemeinschaft beruhende S i p p e als öffentlich-rechtliche Korperschaft entgegen ; sie ist es, die ihren Gliedern Schutz und Sühne gewährleistet, die den angegriffenen Genossen verteidigt und den verletzten rächt. Und demgemäfs ragen die Spuren einer älteren Entwicklungsstufe des Strafrechts bis tief in das deutsche Mittelalter hinein. 1. Heidnisch-religiöse Anklänge erinnern an den s a k r a l e n C h a r a k t e r des ursprünglichen Strafrechts; bei Tempelbruch und Zauberei, bei Meineid und Totenraub, bei Leichen- und Graberschandung, bei Blutschande und Verwandtenmord entlehnt die irdische Gerechtigkeit von den Gottern das strafende Schwert ; ') und nur allmählich und mit geschwächter Kraft ruckt die christliche Kirche an die Stelle des verdrängten Heidentums. 2. Von der F r i e d l o s i g k e i t , der kennzeichnenden Strafe der nordgermanischen Rechte fur alle schwereren Verbrechen (Friedensbruche), finden wir in den deutschen Volksrechten allerdings nur vereinzelte Spuren ; 2 ) und w o sie 8 ) Die Hauptmasse der strafrechtlichen Bestimmungen findet sich im 4. Buch, Tit. I—5 und 18 der Instt., im 47. und 48. Buch der Digesten und im 9. Buch des Kodex. ') Vgl. Brunner 2, 684. — Hierher gehört auch die berühmte Stelle des friesischen Volksrechts: Add. 12, I : Qui fanum effregerit et ibi aliquid de sacris tulerit, ducitur ad mare, et in sabulo, quod accessus maris operire solet, finduntur aures ejus et castratur et immolatur diis, quorum templa violavit. — Vgl. auch unten Note 9. *) Sal. em. 55, 2 (Behrend): Si quis corpus j a m sepultum effoderit aut exspoliaverit, w a r g u s s i t , hoc est, expulsus de eodem pago, usque dum parentibus defuncti convenerit, ut et ipsi parentes rogati sint pro e o , ut liceat ei infra patriam esse, et quicumque antea panem aut hospitalitatem ei dederit, etiamsi uxor ejus hoc fecerit, D C den. qui faciunt sol. XV culpabilis judicetur. Rib. 85, 2 (Sohm); hier bereits beim Gräberraub nur mehr an zweiter Stelle.
12
§ 4-
Das mittelalterlich deutsche Strafrecht.
sonst erwähnt wird, erscheint sie nicht als Strafe des begangenen Verbrechens, sondern als Rechtsfolge prozessualischen Ungehorsams gegenüber dem Recht weigernden Beklagten. *) Dennoch darf mit unsern bedeutendsten Rechtshistorikern (Brunner, Schröder) der Schlufs auf ausgedehntere Anwendung auch in geschichtlicher Zeit gezogen werden. 3. Nicht blofs bei Diebstahl und Ehebruch, sondern auch in zahlreichen andern Fällen erwähnen die Volksrechte das Recht des Angegriffenen (und seiner Angehörigen), den Verletzer bufslos zu erschlagen. 4 ) Aber vielfach wird d a s N o t r e c h t d e s A n g e g r i f f e n e n bereits bedingt dadurch, dafs der Verbrecher sich der Fesselung widersetzt; und aus dem Totungsrecht entwickelt sich allmählich das Recht, den auf handhafter That Ergriffenen gebunden vor Gericht zu bringen und seine Verurteilung zu peinlicher Strafe in einem beschleunigten Verfahren zu erwirken: die verstärkte Klage bei unvernachteter That nach der Ausdrucksweise des späteren deutschen Mittelalters. 4. Die B l u t r a c h e ist, wie uns schon Tacitus bezeugt, 6 ) als Stammesrache Recht und Pflicht der gesamten Sippe bei nicht handhafter That. Sie wird abgelöst durch die Zahlung einer Sühnesumme, der compositio. Die verletzte Sippe hat ursprünglich die Wahl zwischen Fehde und Annahme der Lösungssumme; und erst nach hartem K a m p f e , welcher aus den Kapitularien deutlich erkennbar ist, gelingt es der erstarkenden Staatsgewalt, den gerichtlichen Abschlufs des Sühnevertrages zur Rechtspflicht zu machen. Damit ist die Blutrache ersetzt durch das Kompositionensystem. Aber noch die Formen des mittelalterlich deutschen Rechtsganges weisen auf den Ursprung des Rechtes aus der Fehde; an die Stelle der Waffenhilfe ist die Eidhilfe getreten: wie jene, ist diese Recht und Pflicht der Sippegenossen, die in voller Waffenrüstung, durch Handreichung verbunden, mit gesamtem Munde den Eid des Hauptschworenden bekräftigen. II. In der genauen Festsetzung der zu zahlenden Suhnegelder, also in der festen Regelung des K o m p o s i t i o n e n s y s t e m s , liegt, wie bereits erwähnt, die Hauptbedeutung der strafrechtlichen Bestimmungen der Volksrechte. Sein hohes Alter erhellt aus den Mitteilungen bei Tacitus.")
Cap. I zur Sal. : die Frau, die sich mit einem Sklaven verheiratet, wird expellis. *) Sal. 56, I. Si quis ad mallum venire contempserit etc. 2 . . . Tunc rex extra sermonem snum ponat eum. Tunc ipse culpabilis et omnes res erunt suas. *) Bajuv. 9, 5; 8, I ; Sax. 4, 4 ; Rib. 77: Si quis hominem super rebus suis comprehenderit, et eum ligare voluerit, aut super uxorem, aut super filiam, vel his similibus, et non praevaluerit legare, sed colebus ei excesserit, et eum interficerit, coram testibus in quadruvio in dita eum levare debet et sic 40 seu 14 noctes custodire et tunc ante judice in harao coniurit, quod eum de vita forfactum interfecisset. 6 ) Germ. cap. 2 1 : Suscipere tam inimicitias patris seu propinqui quam amicitias necesse est. ' ) Germ. cap. 12. Sed et levioribus delictis pro modo poena; equorum pecorumque numero convicti multantur. Pars multae regi vel civitati, pars ipsi qui vindicatur vel propinquis ejus exsolvitur. C a p . 21. Nec implacabiles
§ 4-
Das mittelalterlich deutsche Strafrecht.
13
In vielfachen Abstufungen werden die verschiedenen Rechtsverletzungen abgeschätzt; für jeden einzelnen Zahn und jeden der verschiedenen Finger, für jedes Schmähwort, für jede unzüchtige Berührung von Frauen oder Mädchen wird die Sühnesumme genau bestimmt. Wir finden in den Kompositionssätzen der einzelnen Volksrechte zwei verschiedene Grundzahlen, eine gröfsere und eine kleinere; jene als W e r g e 1 d (Manngeld) bei Tötung und gleichgestellten Fällen; diese als B u fs e bei geringeren Rechtsverletzungen.') Aber nicht blofs die Schwere des begangenen Verbrechens, auch Stand und Volksangehörigkeit, Alter und Geschlecht des Verletzten sind mafsgebend für die Höhe des Sühnegeldes. Neben dem an den Verletzten und seine Sippe zu bezahlenden Betrage ist an die Gesamtheit, als der Vermittlerin des geschlossenen Sühnevertrages, das F r i e d e n s g e l d (fredus oder fredum) zu entrichten. Auch Suhnevertrag und Sühnegeld ruhen auf der Grundlage des Stammesverbandes, geradeso wie die Blutrache, aus der sie hervorgewachsen. Was Tacitus uns berichtet: recipitque satisfactionem uciversa domus, wird durch andre Quellen glänzend bestätigt. Die T e i l n a h m e der F a m i l i e an der Zahlung wie an dem Empfange der Wergeidsumme, in den deutschen Volksrechten nur in einzelnen Spuren angedeutet, hat sich in den niederdeutschen und nordischen Rechten lange Zeit hindurch, in letzteren teilweise bis ins 16. Jahrhundert, erhalten.8) III. Aber auch die ö f f e n t l i c h e S t r a f e ist schon dem ältesten deutschen Rechte nicht fremd gewesen. Der höhere Friede, dessen das Heer auf dem Kriegszuge, die Volksversammlung auf der Dingstätte, dessen die Tempel und Kirchen bedürfen, drängt dazu, die Strafgewalt in die Hand der Gesamtheit und ihrer Vertreter zu legen.*) So sind es insbesondere Verbrechen p o l i durant (inimicitiae). Luitur enim etiam homicidium certo armentorum ac pecorum numero, recipitque satisfactionem universa domus. ') Das Wergeid beträgt bei den verschiedenen Stämmen 150, 160 und 200, die Bufse 10, 12 und 15 Schillinge. Vgl. dazu Brunner Handbuch 1 226, 2 612. Wie tief diese Summen — man denke an das bei Mord häufig eintretende neunfache Wergeid — in das wirtschaftliche Dasein und damit in die rechtliche Stellung des Betroffenen eingriffen, erhellt daraus, dafs nach gleichzeitigen Quellen ein Rind I—3, ein Pferd 6 — 12 Schillinge kostete. Vgl. die bei Waitz 2 1, 279 angeführten Stellen. Nach Schröder beträgt das Wergeid den Wert eines freien Hofes. 8) Sai. 58, 62: Sic cujuscumque pater occisus fuerit, medietate compositionis filli collegant et alio medietate parentes qui proximiores sunt, tarn de patre quam de matre, inter se dividant (Erbsühne und Magsühne); Sax. 18, 19. Wilda 395. Waitz 1 71 Note 3, 75 Note 3. Brunner, Sippe und Wergeid. Zeitschr. der Savigny-Stiftung 3 I. Heusler 2 541. Günther 1 176 Note 42. Schröder Rechtsgeschichte 77. 9 ) Vgl. schon Tacitus Germ. c. 7. Ceterum neque animadvertere neque vincire ne verberare quidem nisi sacerdotibus permissum: non quasi in poenam nec ducis jussu sed velut deo imperante quem adesse bellantibus credunt (sakraler Charakter). C a p . II. Silentium per sacerdotes, quibus tunc (in der Volksversammlung) et coercendi jus est, imperatur. C a p . 6. Scutum reliquisse praecipuum flagitium. Nec aut sacris adesse aut concilium inire ignominioso fas: multique superstites bellorum infamiam laqueo finierunt. Cap. 12. Licet apud consilium accusare quoque et discrimen capitis intendere. Distinctio poe-
14
§ 4-
Das mittelalterlich deutsche Strafrecht.
t i s c h - m i l i t ä r i s c h e r Natur, etwa Landes- und Kriegsverrat, welche von den ältesten Zeiten an mit öffentlicher Strafe belegt werden. I 0 ) Aber schon in derZeit d e s m e r o v i n g i s c h e n , weit mehr noch d e s k a r o l i n g i s c h e n K ö n i g t u m s treten, mit der klareren Erkenntnis und der schärferen Verfolgung der Staatszwecke, immer neue Verbrechen in das Gebiet der öffentlichen Strafe ein. 1 1 ) Von der Mitte des 6. Jahrhunderts angefangen beschäftigt sich die Kapitulariengesetzgebung mit Strafdrohungen gegen Raub und Diebstahl, Mord und Blutschande, Zauberei und Vergiftung, Meineid und falsches Zeugnis, Fälschung von Münzen und Urkunden. Durch die zunehmende U n g l e i c h h e i t d e s B e s i t z e s wird die Bewegung wesentlich gefordert; wer das Suhnegeld nicht bezahlen kann, bufst mit seinem Leibe, wie von alters her der Unfreie. Insbesondere wird die k ö n i g l i c h e B a n n g e w a l t zu einem mächtigen Faktor der Rechtsbildung; zahlreiche neue Strafdrohungen, nicht blofs zum Schutze von Kirchen und Klöstern, von Witwen, Waisen und Armen, sondern auch zur Wahrung des öffentlichen Friedens gegen Gewaltthaten verschiedenster Art, treten kraft A m t s r e c h t e s neben das Volksrecht. ' 2 ) Endlich darf der Einflufs der K i r c h e nicht aufser acht gelassen werden, welche, auch soweit sie einer eigentlichen Strafgewalt entbehrte, mittelbar durch Bufsbucher und Konzilienbeschlüsse auf die Rechtsanschauungen des Volkes wie auf die königliche Gesetzgebung einwirkte und auf die Ausfullung der Lucken hinarbeitete, welche das weltliche Strafgericht noch immer aufwies. 1 3 ) So hat gegen Ende der karolingischen Periode, zur Blütezeit des fränkischen Königtums, die staatliche Auffassung von Verbrechen und Strafe den narum ex delicto. Proditores et transfugas arboribus suspendunt; ignavos et imbelles et corpore infames coeno ac palude, injecta insuper crate, mergunt. Diversitas supplicii illuc respicit, tamquam scelera ostendi oporteat, dum puniuntur, flagitia abscondi. (Vgl. zu dieser Stelle IVaitz 1 425.) 10 ) R i b . 69, 1: Si quis homo infidelis extiterit, de vita componat et omnes res ejus fisco censeantur. B a j u v . II. I, 2: Ut nullus liber Bajuvarius alodem aut vitam sine capitali crimine perdat, id est si in necem ducis consiliatus fuerit, aut inimicos in provinciam invitaverit aut civitatem capere ab extrañéis machinaverit. Hierher gehören auch die zahlreichen Bestimmungen gegen herisliz. " ) So bedroht die lex Ribuaria mit öffentlicher Strafe das Schelten der Konigsurkunde (60, 6), den handhaften Diebstahl (79), die Bestechung des Richters (88), die Entfuhrung der freien Frau durch den Sklaven (34, 4), die Fälschung der Konigsurkunde (59, 3), Verwandtenmord und Blutschande (66, 2). — Im s ä c h s i s c h e n Volksrechte stand Todesstrafe auf Meineid, Hausfriedensbruch, Mordbrand, Diebstahl im Werte von mehr als 3 Schillingen. Karl der Grofse war bestrebt, diese Bestimmungen zu mildern, bedrohte aber seinerseits Verletzungen des Christenglaubens mit dem Tode. Vgl. IVaitz 3 130. Günther 1 182. Schröder 338. 12 ) Vgl- Waitz 3 3 1 9 ; Brunner 2 34. S u m m u l a d e b a n n i s (Boretius Cap. 224). ls ) Über das kanonische Strafrecht vgl. die Lehrbücher des Kirchenrechts; insbesondre Hinschius 4 691 bis 864 (romisches und merovingisches Recht), 5 1. Abt. (bis zum 14. Jahrhundert). E. Loning Geschichte des Kirchenrechts 1878 ff. Günther I 263. Katz Ein Grundrifs des kanonischen Strafrechts 1881. Die Litteraturberichte der Z. — Aus dem Corpus juris canonici das 5. Büch der Dekretalen.
§ 4-
Das mittelalterlich deutsche Strafrecht.
15
Sieg davongetragen. Weitaus die meisten gegen die Interessen der Gesamtheit gerichteten Verbrechen sind mit öffentlicher Strafe bedroht, werden von Amts wegen verfolgt und bestraft. IV. Mit dem Zerfalle der fränkischen Monarchie beginnt eine allgemeine rückläufige Bewegung, die auch auf dem Gebiete des Strafrechtes die neugeschaffenen , durch eine starke Zentralgewalt gehaltenen, aber lange noch nicht festgewurzelten Einrichtungen der Karolingerzeit zerstörte oder doch in den Hintergrund drängte und auf längere Zeit verdunkelte. So verschwinden die in fremder Sprache geschriebenen Volksrechte und die Kapitulariengesetzgebung gerät in Vergessenheit: es ist die Zeit der Herrschaft des G e w o h n h e i t s r e c h t e s , aus der Rechtsuberzeugung des Volkes geschöpft und in der Rechtweisung der Schöffen sich offenbarend. Damit treten die nationalen, die a l t - d e u t s c h e n R e c h t s a n s c h a u u n g e n , die unter der fränkischen Konigsherrschaft vielfach von fremden, romisch-kanonischen Rechtssätzen verdrängt worden waren, wieder in den Vordergrund. Und sofort macht sich die Eigentümlichkeit des deutschen Volksgeistes geltend: die in reichsten Bildungen sich entfaltende Gestaltungskraft fuhrt, im Gegensatze zu der zentralisierenden und unifizierenden Richtung des abgelaufenen Zeitraums zu steigender Z e r s p l i t t e r u n g des Rechts nach Stammen nicht blofs, sondern selbst nach Gauen und Gemeinden. Hand in Hand damit geht das Wiedererwachen der p r i v a t r e c h t l i c h e n A u f f a s s u n g d e s S t r a f r e c h t s , das Zurückdrängen der staatlichen Strafgewalt, welche ja, bedingt durch eine starke Staatsgewalt, unmöglich ihre Vorherrschaft in den Zeiten behaupten konnte, wo die königliche Macht im Schwinden begriffen und die Ausbildung der Landeshoheit noch nicht abgeschlossen war. So geht denn der Gedanke einer Verfolgung des Verbrechens von Amts wegen beinahe gänzlich verloren; das Suhnegeld erweitert sein Herrschaftsgebiet auf Kosten der öffentlichen Strafe; in dem Belieben des Verletzten steht die Wahl zwischen Erhebung und Durchfuhrung der Klage oder der Abfindung (Ledigung, Taidigung) mit dem Verbrecher, welcher bei einfachem Frevel (im Gegensatz zum Ungerichte) auch ohne weiteres die angedrohte Leibesstrafe —- freilich ohne der Ehrlosigkeit zu entgehen — durch Geldzahlung abwenden kann. Die Unsicherheit der Rechtspflege erzeugt das m i t t e l a l t e r l i c h e F e h d e r e c h t , welches, von der alten Blutrache wesentlich verschieden, als Notrecht, wenn richterliche Hilfe gegen bürgerliche oder peinliche Rechtsverletzungen nicht zu erlangen war, nach vorausgegangener Absage (diffidatio) dem Waffenberechtigten zustand und erst allmählich durch die g e s e t z l i c h e n L a n d f r i e d e n (von 1085 bis ins 16. Jahrhundert) beschränkt, durch die v e r t r a g s m ä f s i g e n vorübergehend aufgehoben und erst durch die e w i g e n L a n d f r i e d e n beseitigt wurde. 1 4 ) ") Bóhlau Nove constitutiones domini Alberti, d. i. der Landfriede v. J. 1235. 1858. Neuere Litt, bei Lóning Z 5 226, Günther Z 11 185 Dazu Huber ti Gottesfrieden und Landfrieden 1 1892. Schröder Rechtsgeschichte 614.
l6
§ 4.
Das mittelalterlich deutsche Strafrecht.
II. D a s s p ä t e r e M i t t e l a l t e r .
V o m 13. b i s i n s 16. J a h r h u n d e r t .
Litteratur. John Strafrecht in Norddeutschland zur Zeit der Rechtsbücher 1858. Osenbrüggen Das alemannische Strafrecht im deutschen Mittelalter 1860. Hälschner Geschichte des brandenburgisch-preufs. Strafrechts 1855. Frauenstädt Blutrache und Totschlagsühne 1881. Gengier Deutsche Stadtrechtsaltertümer 1882. Lindner Die Verne 1888. Thudickum Fehmgericht und Inquisition 1889 (dazu Günther Z 14 257). Frauenstädt Breslaus Strafrechtspflege im 14. bis 16. Jahrhundert Z 10 I. Pfenninger Das Strafrecht der Schweiz 1891 S. 10. Knapp Z 12 200, 473 (Nürnberg). Die Berichte von Löning und Günther in Z 2 ff. — Eine zusammenfassende Arbeit fehlt. Viel wertvolles Material in den österr. Weistümern (gesammelt von der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften 1870 ff.). Cattier Evolution du droit pénal germanique en Hainaut jusqu'au XV e siècle 1893. Caspar Darstellung des strafrechtlichen Inhalts des Schwabenspiegels und des Augsburger Stadtrechts. Diss. 1892. Die Entwicklung des Strafrechts steht im engsten Zusammenhange mit dem Sinken und Steigen der Staatsgewalt. Mit der A u s b i l d u n g der L a n d e s h e r r l i c h k e i t und dem A u f b l ü h e n d e r S t ä d t e nimmt auch die während des vorhergehenden Zeitraumes unterbrochene Erstarkung der öffentlich-rechtlichen Auffassung von Verbrechen und Strafe ihren Fortgang. In zahlreichen Landfrieden und andern Reichsgesetzen, in Stadt-, Land- und Hofrechten, Weistümern und Rechtsbüchern wird das bestehende R e c h t a u f g e z e i c h n e t und das Gewohnheitsrecht in den Hintergrund gedrängt Aus immer zahlreicheren Quellen und in immer rascherem Flusse strömt das f r e m d e R e c h t in die deutschen Gebiete erst des Südens, dann des Nordens und ringt mit den einheimischen Rechtssätzen um die Herrschaft. Die hervorragenderen Rechtsbücher und Stadtrechte erweisen sich als die Kristallisationspunkte, um welche sich, gewissermafsen als Ersatz fur die untergegangenen Stammesrechte, neue Gebiete i n h a l t l i c h g l e i c h e n R e c h t s — trotz aller Verschiedenheit im einzelnen •— anreihen. So sind die Vorbedingungen geschaffen für die Ausbreitung und Erstarkung der ö f f e n t l i c h e n S t r a f e . Wergeid und Bufse erwähnen die Rechtsbüclier als das Recht vergangener Zeiten; das erstere wird mehr und mehr auf die Fälle unbeabsichtigter Tötung beschränkt, die letztere häufig 15 ) als Scheinbufse nur darum angesetzt, damit ihr des Richters Gewette folge: sie verwandelt sich in eine eigentliche Geldstrafe. Aber auch die Strafen an Leib und Leben werden immer zahlreicher. Der Sachsenspiegel (2 13) bedroht den Diebstahl von drei Schillingen und mehr sowie den nächtlichen Diebstahl mit dem S t r a n g ; mit dem R a d e Mord und Diebstahl unter Bruch besonderen Friedens, Verrat, Mordbrand und untreue Botschaft; wer Tötung oder Menschenraub oder Raub oder Brandlegung oder Notzucht oder Friedensbruch oder schweren Ehebruch begeht, dem soll man das H a u p t a b s c h l a g e n ; Abfall vom Christenglauben, Zauberei und Vergiftung wird mit dem S c h e i t e r h a u f e n bestraft. Neben den an Hals und Hand gehenden Strafen für Ungerichte finden sich zahlreiche Strafen an Haut und Haar sowie Geldbufsen für Frevel. " ) So Sachsenspiegel 3 45. Grimm Rechtsaltertümer 679; Osenbrüggen Alam. Strafr. 72. Sehr häufig in den österr. Quellen.
§ 5'
Die peinliche Gerichtsordnung K a r l s V .
17
Insbesondere aber ist es der städtische Verkehr, der mit neuen Lebensverhältnissen auch neue Verbrechen erzeugt und, neben der regelmäfsig tretenden Verfestung, neue Strafbestimmungen notwendig macht.
Die
ein-
Stadt-
rechte, vor allen die Süddeutschlands, zeichnen sich durch strenge, oft grausame Strafdrohungen aus. Ein neuer Umstand, dessen Einflufs auf die Entwicklung des Strafrechts nicht unterschätzt werden darf, tritt hinzu: d e r K a m p f werbsmäfsige durchaus
im
Verbrecher-
Zuge
der
Zeit
und
liegende
gegen
Vagantentum. Verfolgung
Er
das
ge-
fördert
von Amts
die
wegen,
welche, die verschiedensten Formen annehmend, insbesondere aber als R i c h t e n a u f b ö s e n L e u m u n d immer mehr an Entschiedenheit und Ausdehnung gewinnt
und
die
aufsergerichtlich angewendete,
gesetzlich
nicht
geregelte
F o l t e r als kräftiges Mittel zur Herbeiführung der Verurteilung verwertet. A b e r j e entschiedener
der Zweckgedanke Strafrecht und Strafverfahren
seiner Herrschaft unterwirft, desto weniger passen die alten Formen,
desto
dringender wird das Bedürfnis, der inhaltlich längst vollzogenen Umgestaltung g e s e t z l i c h e A n e r k e n n u n g zu verschaffen, den territorialen Mifsbräuchen durch r e i c h s r e c h t l i c h e
Regelung
des Strafverfahrens
entgegenzutreten.
Diese Aufgabe, deren Erfüllung von dem eben erst gegründeten Reichskammergerichte auf dem Reichstage zu Lindau 1496 '•) auf das eindringlichste
ge-
fordert wurde, aber erst nach harten Kämpfen im Jahre 1532 gelang, hatte die gesetzliche
Verschmelzung
Rechte
dem
mit
setzung.
Zahlreiche
Aufgabe
erleichtert;
Mannes: Hans v.
5. I.
Das
der
einheimischen
aufgenommenen deutschen
Rechte
fremden zur Voraus-
Vorarbeiten verschiedenster Art hatten die Losung der dafs sie
gelang,
ist vor allem
das Verdienst
Eines
Schwarzenberg,
Die peinliche Gerichtsordnung Karls V .
fremde Recht, welches Deutschland
aufgenommen
hatte,
insbe-
sondere das Strafrecht mit Einschlufs des Prozesses, war nicht das Recht der romischen Rechtsquellen, sondern ein wesentlich änderten
Rechtsverhältnissen
angepasstes
Recht.
umgestaltetes, Seit
der Rechtsstudien hatten die i t a l i e n i s c h e n J u r i s t e n
dem
den ver-
Wiedererwachen
an der
Fortbildung
des römischen Rechts, wenn auch vielfach unbewufst, ununterbrochen gearbeitet.
Summa zum K o d e x ; die ICanonisten, unter welchen Roffredus Durantis
weiter
Glossatoren und Postglossatoren, insbes. Azo (-J- 1220) mit seiner (-J- 1250) und
(-J- 1296) besonders für das Strafverfahren von Bedeutung geworden
sind; und die sog. „italienischen Praktiker", unter welchen Rolandinus de Romanciis ( f
1284), Albertus
Gandinus ( f um 1300), Jakob de Belvisio ( f
Angelus Arefinus (-¡- nach 1451) und Bonifachis
precht
1335),
de Vitalinis (bald nach Aretinus)
Güterbock in der unten § 5 Note 6 angeführten Schrift 18 (Ilarp2 243).
von L i s z t , Strafrecht. 6. Aufl.
2
18
§ 5-
Die peinliche Gerichtsordnung Karls V.
an diesem Orte zu nennen sind, 1 ) — sie alle stellten das romische Strafrecht dar nach der generalis consuetudo ihrer Tage, wie es sich unter dem Einflüsse deutscher, den langobard¡sehen Quellen entstammender Rechtssätze, praktischer Bedürfnisse und wissenschaftlicher Verallgemeinerungen, der päpstlichen und kaiserlichen Gesetzgebung wie des Gerichtsgebrauches entwickelt hatte. E s ist, können wir sagen, nicht mehr rein römisches, sondern i t a l i e n i s c h e s Recht, das sie in ihren Werken zur Darstellung bringen. Und es bedarf keiner besonderen Betonung, dafs d i e s e s Recht ungleich leichter in Deutschland Eingang finden mufste, als das Recht der Libri terribiles oder auch des Kodex. "Von gröfster Bedeutung aber war es, dafs die mittelalterliche italienischeJurisprudenz auch den allgemeinen Lehren des Strafrechts ihre besondere Aufmerksamkeit gewidmet und damit die erste Grundlage zu wissenschaftlicher Beherrschung des Stoffes gelegt hatte. II. Wie und auf welchen Wegen die Rezeption stattfand, ist hier nicht darzustellen. Nur e i n e s Faktors mufs gedacht werden. In Handschriften und Drucken hatten die Arbeiten der italienischen Juristen in Deutschland Eingang gefunden; aber ausgedehnter und kräftiger war der Einflufs, den sie auf mittelbarem Wege ausübten: i n i h r e r B e a r b e i t u n g d u r c h d i e p o p u l ä r - j u r i s t i s c h e L i t t e r a t u r D e u t s c h l a n d s . 2 ) Aus der grofsen Anzahl der zu diesem eigentumlichen Zweige der deutschen Litteratur gehörenden Schriften ragt durch inneren Wert wie durch seine geschichtliche Bedeutung der K l a g s p i e g e l hervor, der, im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts entstanden, bereits in den siebziger Jahren gedruckt, im Jahre 1516 von Sebastian Brant (•}• 1521) herausgegeben wurde. Azo, Roffredtts, Duranlis, Gandinus sind die Gewährsmänner, aus welchen der Verfasser des Klagspiegels schöpft, ihre Ansichten in bald mehr bald weniger geschickter Weise wiedergebend. III. Die zweite Hälfte des 15. und die erste des 16. Jahrhunderts weist eine nicht unbedeutende Zahl von H a l s g e r i c h t s o r d n u n g e n auf, welche, im wesentlichen auf der alten deutschrechtlichen Grundlage stehend, aber von den fremden Rechten mehr oder minder beeinflufst, in erster Linie das Strafverfahren regeln, daneben jedoch auch eine Reihe von rein strafrechtlichen Bestimmungen enthalten. Als solche sind zu nennen (vgl. überhaupt Stobbe Geschichte der deutschen Rechtsquellen 2 237): I. Das A p p e n z e l l e r Landbuch von 1409; 2. die Reformation des Zentgerichts zu W u r z b u r g von 1447; 3. die N ü r n b e r g e r Halsgerichtsordnungen seit dem Anfange des 14. Jahrhunderts, insbesondere die von 1481 und 1526; 4. das gestrenge Recht zu A l t o r f und 5. eine Z ü r i c h e r Blutgerichtsordnung, beide aus dem 15. Jahrh.; 6. die sog. T i r o l e r Malefizordnung vom 30. Nov. 1499 (nachgebildet in Radolphzell 1506 und Vgl. Seeger Zur Lehre vom Versuch des Verbrechens in der Wissenschaft des Mittelalters 1869 Brusa Prolegomeni al diritto penale 1888 S. 256. 9 ) Stintzing Geschichte der populären Litteratur des romisch-kanonischen Rechts in Deutschland 1867. Derselbe Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I. Bd. 1880. v. Schulte De criminalibus causis 1888.
§ 5-
Die peinliche Gerichtsordnung Karls V.
19
Laibach 1514); 7. die n i e d e r o s t e r r e i c h i s c h e Landgerichtsordnung vom 21. August 1514 (umgestaltet 1540); 8. das S a l z b u r g i s c h e Landtaiding aus dem 15. Jahrh.; 9. die W i t z e n h ä u s e r Halsgerichtsordnung aus dem 15. oder 16. Jahrh.; 10. die b a y r i s c h e n Formulare für den geschworenen Rednet beim endlichen Rechtstage von 1518; in dieselbe Gruppe gehören weiter I i . die reformierte Churgerichtsordnung von A a c h e n von 1577 und 12. das peinliche Halsgericht zu H ö x t e r von 1605. Weit über all diesen zum Teil recht tüchtigen gesetzgeberischen Versuchen steht, durch grundliche Beherrschung und klare Darstellung des umfangreichen und spröden Stoffes sowie durch die Einfachheit und Zweckmäfsigkeit ihrer Grundgedanken hervorragend, für alle Zeiten ein rühmenswertes Denkmal des deutschen Berufes zur Gesetzgebung •— die B a m b e r g e r H a l s g e r i c h t s o r d n u n g (mater Carolinae) von 1507, welche im Jahre 1516 mit geringfügigen Änderungen in den brandenburgischen Fürstentümern Ansbach und Bayreuth (soror Carolinae) eingeführt wurde. 3 ) Verfasser der Bamberger Halsgerichtsordnung war Johann Freiherr zu Schwarzenberg und Hohenlandsberg.4) Geboren im Jahre 1463, ausgezeichnet durch eine ans Märchenhafte grenzende Korperkraft, verbringt er seine Jugend der Standessitte der Zeit gemäfs mit Saufgelagen und Würfelspiel an den rheinischen Herrenhofen, bis ihn ein ernster Mahnbrief seines Vaters zurückruft. Er schliefst sich Max I. an und nimmt ruhmreichen Anteil an dessen Kriegszugen (1485, i486). Bald darauf tritt er in die Dienste des benachbarten Bischofs von Bamberg, und bleibt unter fünf Bischofen von 1501 bis 1522 Hofmeister und Vorsitzender des mit Rechtsgelehrten besetzten Hofgerichts. Im Jahre 1521 bezieht er den Reichstag zu Worms, auf dem er als Mitglied des Reichsregiments (1521 —1524) und vorübergehend (1523) als Vertreter des kaiserlichen Statthalters eine hervorragende Rolle spielt. — Inzwischen hatten sich in Bamberg die Verhältnisse geändert. Seit 1522 regierte der päpstlich gesinnte Bischof Weigand v. Redwitz; und Schwarzenberg, der mit Wort und That für die Reformation Partei ergriffen hatte, sah sich veranlafst, 1524 als Landhofmeister der Markgrafen Kasimir und Georg von Brandenburg in deren Dienst zu treten. Er starb zu Nürnberg am 21. Oktober 1528, in weiten Kreisen betrauert und von Luther noch nach Jahren gerühmt. — Auch als populärer Schriftsteller war Schwarzenberg mit Eifer und Erfolg thätig gewesen; in schlichten, ja nüchternen, aber von tiefsittlichem Pflichtgefühl getragenen Gedichten, in Streitschriften gegen die Unsitten der Zeit, in Übersetzungen Ciceros und in antipäpstlichen Flugblättern suchte er gestaltend einzugreifen in das gesamte geistige Leben seiner Tage. — Kein Jurist, ja überhaupt kein Gelehrter ist es, dem wir die erste umfassende Gesetzgebung für
3 ) Uber die Ausgaben der Bambergensis vgl. Leitschuh im Repertorium für Kunstwissenschaft IX. Bd. 1886 (auch als SA. erschienen). Dafs auch die Breslauer Gerichte nach ihr urteilten, hat Frauenstddt Z 10 3 nachgewiesen. *) Eine genugende Lebensbeschreibung fehlt. Hauptwerk: E. Herrmann Johann Fr. zu Schwarzenberg 1841. Vgl. auch die schone Zusammenfassung bei Stintzing Geschichte der d. Rechtswissenschaft 1 612 ff.
20
§ 5-
Die peinliche Gerichtsordnung Karls V .
das Deutsche Reich verdanken; wohl aber ein kerngesunder, als Krieger und Staatsmann, als Dichter und als Vorkämpfer der Reformation hochbedeutender, echt deutscher Mann. Bei Lösung seiner Aufgabe benutzte Schwarzenberg folgende Quellen: 6 ) I. Das einheimische Bamberger Recht; 2. die suddeutsche, insbesondere die Nürnberger Rechtsprechung; 3. die Wormser Reformation von 1498, vielleicht auch noch die eine oder die andre der übrigen süddeutschen Gesetzgebungen; 4. die populär-juristische Litteratur und somit m i t t e l b a r die Schriften der Italiener (unzweifelhaft ist die Benutzung des Klagspiegels; wahrscheinlich die der Summa Angelica oder einer ihrer Vorgängerinnen); 5. einzelne Reichsgesetze, so den Landfrieden von 1495. IV. Infolge der Klagen des Reichskammergerichtes 0 ) hatte schon der Reichstag zu Freiburg 1498 den Beschlufs gefafst, „eine gemeine Reformation und Ordnung in dem Reich furzunehmen, wie man in criminalibus prozedieren solle". Aber die weiteren Schritte gerieten ins Stocken; und erst auf dem Reichstage zu Worms 1521 wurde die Sache wieder aufgenommen. Ein Ausschufs wurde mit der Ausarbeitung des Entwurfes beauftragt; er legte die Bamberger Halsgerichtsordnung, welche inzwischen insbesondere auch durch Uli-, Tenglcrs (•)• 1510) L a y e n s p i e g e l (1509) weite Verbreitung gefunden hatte, zu Grunde, benutzte aber neben ihr auch das sog. „Bamberger Korrektorium", eine Sammlung von Nachtragsverordnungen zur Bambergensis vou 1507 bis 1516. Aber noch immer traten neue Hindernisse in den Weg Noch dreimal wurde der (I.) Wormser Entwurf (1521) umgearbeitet: auf den Reichstagen zu Nürnberg (1524; II. Entwurf), zu Speier (1529; III. Entwurf) und zu Augsburg (1530; IV. Entwurf). Seit 1529 waren die partikularistischen Bestrebungen in offenen Gegensatz zu dem allgemeinen Verlangen nach einheitlicher Gesetzgebung getreten; insbesondere 1530 hatten Kursachsen, die Rheinpfalz und Kurbrandenburg gegen die Schmälerung ihrer verbrieften Landesrechte Verwahrung eingelegt. Und als im Jahre 1532 auf dem Reichstage zu Regensburg der Entwurf endlich zum Gesetze erhoben wurde, mufste in die Vorrede die sogenannte clausula salvatoria aufgenommen werden: „Doch wollen wir durch diese gnädige Erinnerung Kurfürsten, Fürsten und Ständen an ihren alten, wohlhergebrachten rechtmäfsigen und billigen Gebräuchen nichts benommen haben.') 6) Brunnenmeister Die Quellen der Bambergensis 1879 bemuht sich, im einzelnen den Nachweis für die schon von Stobbe, Stintzing u. a. aufgestellte Behauptung zu erbringen, dafs Schwarzenberg die Schriften der Italiener unmittelbar benutzt habe. Wichtiger ist es, daran festzuhalten, dafs der Inhalt der von Schwarzenberg vorgetragenen Röchtssätze trotz ihrer romanisierenden Einkleidung fast durchweg rein deutsch ist. Vgl. oben S. 17. — Malblanc Geschichte der peinlichen Gerichtsordnung Karls V . 1783. Güterbock Entstehungsgeschichte der Karolina 1876. Stintzing 1 607. ') Die älteste uns bekannte Ausgabe ist von 1533 (editio prineeps?). Die Ausgabe von Z'opfl (die 3. Aufl. 1883 stimmt durchaus mit der 2. von 1876 überein) enthält in synoptischer Darstellung I. Bamberger und Brandenburger P G O . ; 2. den Entwurf von 1521; 3. den von 1529; 4. das Reichsgesetz.
§ 5V.
Die peinliche Gerichtsordnung Karls V .
W i e ihre Vorgängerinnen, deren Einflafs auch
Betrachtung in die Augen springt, legt auf
die Regelung
des Strafverfahrens.
21
bei oberflächlichster
auch die Karolina das Schwergewicht Hier
hat sie jene
Sätze
aufgestellt,
welche, trotz landesrechtlicher Abweichungen in gar manchem Punkte, doch dem gemein-deutschen Strafprozesse seine unverkennbare Eigenart aufgeprägt haben. Das materielle Strafrecht, behandelt den Hintergrund.
in den Art.
104—208, tritt daneben in
E s ist hier eigentlich nur ein einziger Satz ausgesprochen,
der unbedingt zwingendes Recht enthält ( A r t . 104): Keine Handlung darf mit peinlicher
Strafe, also
Leibesstrafe,
belegt
entweder
werden,
mit
dem
Tode
oder
mit
verstümmelnder
wenn nicht das römische Recht diese Handlung
(oder eine ihr gleichwertige, Art. 105) mit peinlicher Strafe belegt hat; Art
der Strafe
dagegen mag
die
nach heimischer Gewohnheit bestimmt werden.
Im übrigen will das Gesetz nichts sein, als eine Darstellung
geltenden Rechts
für die zur Rechtsprechung berufenen, aber der geschriebenen Rechte unkundigen Schöffen.
Und diesem Zweck ist die Karolina in vorzüglichster Weise gerecht
geworden; die einfache und klare, bestimmte und leichtfafsliche Sprache macht sie zu einem für ihre Zeit mustergültigen Werke. und sollte
sie nicht
hinausgehen.
Besserer
Aber über dieses Ziel wollte
Erkenntnis
oder besserer
Stellung des geltenden Rechts wollte sie nicht in den W e g treten. Schwarzenberg
ängstlich bemüht,
Dar
War doch
durch die immer wiederkehrende Vorschrift,
dafs in allen zweifelhaften Fällen bei den Rechtsverständigen Rat geholt werden solle, der Wissenschaft wahren.
ihren
belebenden Einflufs auf die Rechtsprechung zu
Daran mufs festgehalten werden, wollen wir die Bedeutung des G e
setzbuches, wollen wir insbesondere das Verhältnis der Landesgesetzgebung zur Karolina
richtig
würdigen.
Die
wenigen Anordnungen,
welche
zwingendes
Recht enthalten, sind von den übrigen streng zu trennen. Aber
auch wenn
mungen die C C C .
wir
in Bezug
auf diese zweite Gruppe von Bestim-
nicht als Gesetzbuch im heutigen Sinne betrachten dürfen,
sondern etwa nur als ein Rechtsbuch ähnlich den Spiegeln des 13. Jahrhunderts, ist ihr Wert für die Weiterentwicklung
des Strafrechts ein sehr bedeutender.
Es werden nicht nur die einzelnen Verbrechen genauer und zumeist in juristisch scharfer Weise
bestimmt, 8 ) sondern auch die dem allgemeinen Thatbestande
angehörigen Begriffe, w i e Versuch, Notwehr, Fahrlässigkeit u. a., im Anschlufs
Brauchbar für die erste Einführung die Ausgabe von Müller in der Reclamschen Universalbibliothek. — Die lateinischen Ubersetzungen der P G O . von Gobier 1543 und Kemus 1594 hat Ahegg 1837 herausgegeben. 8) D i e von der C C C . behandelten Verbrechen sind die folgenden: 106 Gotteslästerung; 107 Meineid; 108 Urfehdebruch; 109 Zauberei; 110 Schmähschrift; III — 1 1 4 Fälschung von Münzen, Urkunden u. s. w . ; 115 Untreue des Rechtsfreundes; 1 1 6 — 1 2 3 Sittlichkeitsverbrechen (widernatürliche Unzucht, Blutschande, Entführung, Notzucht, Ehebruch, Doppelehe, Kuppelei); 124 V e r rat; 125 Brandstiftung; 126 Raub; 127 Aufruhr; 128 L a n d z w a n g ; 129 Befehdung; 1 3 0 — 1 5 6 Tötungen (Vergiftung, Kindesmord, Aussetzung, A b treibung, Selbstmord, Mord und Totschlag u. s. w . ) ; 1 5 7 — 1 7 5 Diebstahl und Veruntreuung; 180 Entweichenlassen von Gefangnen.
22
§ 6.
Das gemein-deutsche Strafrecht.
an die Italiener in eingehenderer oder kürzerer Darstellung erörtert. So ist die Karolina d u r c h i h r e n i n n e r e n W e r t die Grundlage geworden, auf welcher das gemein-deutsche Strafrecht während dreier Jahrhunderte ruhte.
§ 6.
Das gemein-deutsche Strafrecht.
Litteratnr. Wächter Gemeines Recht Deutschlands, insbes. gemeines deutsches Strafrecht 1844. Hälschner Geschichte des brandenb.-preufs. Strafrechts 1855. Seeger Die strafrechtl. Consilia Tubingensia 1877. Stintzing Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. Stobbe Geschichte, der deutschen Rechtsquellen 2 . Schletter Die Konstitutionen Augusts vön Sachsen v. 1572. 1857. Ge/sler Zeitschr. f. deutsches Recht 20 (Wurttemb. Entw. v. 1609). Oppenhoff Die Strafrechtspflege des Schöffenstuhls zu Aachen seit dem Jahre 1657. f . Maasburg Die Galeerensklaven in den deutschen u. böhmischen Erblanden Österreichs 1885. Nypels Les ordonnances de Philippe II (1579). 1856. Günther Wiedervergeltung 2 mit reichen Angaben. Pfenninger Strafrecht der Schweiz 93. Dargun Die Rezeption der PGO. in Polen Zeitschr. der Savignystiftung 10. — Das gesamte Quellengebiet harrt noch der Durchforschung. I. D i e G e s e t z g e b u n g b i s z u r M i t t e d e s 18. J a h r h u n d e r t s . Da die Thätigkeit der R e i c h s g e s e t z g e b u n g auf dem Gebiete des Strafrechts sich auf die Bedrohung einzelner weniger Handlungen von meist polizeilicher N a t u r b e s c h r ä n k t e und nur in den Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 einen kräftigeren Aufschwung nahm, blieb es den einzelnen Ländern uberlassen, selbständig die Weiterbildung des Strafrechts in die Hand zu nehmen. Und in der That entfaltete die Landes-Strafgesetzgebung in der zweiten Hälfte des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine ungemein lebhafte und fruchtbare Thätigkeit. Osterreich und Bayern, Württemberg und Sachsen, Kurpfalz und Brandenburg wetteiferten untereinander und mit den kleineren Staaten in der Veröffentlichung von umfassenden, teils selbständigen, teils in die Landrechte aufgenommenen Strafgesetzbüchern, welche sich bald wortlich oder doch inhaltlich an die Karolina anschlössen, bald in freierer Weise den vorhandenen Rechtsstoff zur Anwendung brachten, immer aber denjenigen Bestimmungen des Reichsgesetzes Rechnung tragen, welche in Wahrheit zwingendes Recht enthielten. s ) Um die Mitte des 17. Jahrhunderts erlahmt die Thätigkeit der Landesgesetzgebung; an die Stelle umfassender und abschliefsender Strafgesetzbücher tritt eine Anzahl langatmiger und kurzlebiger Kanzleiverordnungen, die den Geist des nicht aufgeklärten Absolutismus nur ausnahmsweise zu verleugnen im stände sind. Eine Reihe von Verbrechensbegriffen verdankt der Landes-
') So Fluchen und Schwören, Zutrinken, Ehebruch und Konkubinat; freilich auch Landfriedensbruch, Wucher, Schmähschriften, Betrügereien und Fälschungen. — Das Gutachten von 1668 gegen den Zweikampf erlangte nicht Gesetzeskraft, gab aber Veranlassung zu zahlreichen landesherrlichen Duellmandaten. — Von den aufserdeutschen Gesetzen verdienen Erwähnung die Kriminalordnungen Franz I. für Frankreich 1539 und Philipps II. für die Niederlande 1570. 2 ) Dagegen v. Kries 35 Note 2.
§ 6.
Das gemein-deutsche Strafrecht.
23
gesetzgebung Entstehung oder Weiterbildung; so Hochverrat, Aufstand und Aufruhr, Widerstand gegen die Obrigkeit, Zweikampf, Selbstmord, Bankbruch, Wilddiebstahl, Körperverletzung, Beleidigung u. a. Nur die wichtigsten gesetzgeberischen Arbeiten können hier zusammengestellt werden. I. Ö s t e r r e i c h . I. In T i r o l wurde die Malefizordnung von 1499 aufgenommen in die Landesordnungen von 1526, 1532 (diese bildet die Grundlage der Henneberger LO. v. 1539) und 1573. Teilweiser Einflufs von CCC. 2. In N i e d e r ö s t e r r e i c h wurde an Stelle der LGO. von 1514 am 30. Dez. 1656 eine ausführliche Peinl. LGO. durch Ferdinand III. erlassen. Spätere Entwürfe (1666, 1721) führten nicht zum Ziel. Wertvoller Kommentar von Bratsch 1751. 3. Die o b e r o s t e r r e i c h i s c h e LGO. v. I. Oktober 1559 ruht auf der niederost. von 1514. Neuer Abdruck (nicht Revision; unrichtig Stobbe 2 409) 1627. Eine neue LGO. (keine blofse Revision), die im wesentlichen mit der niederost. Ferdinandea von 1656 übereinstimmt, erliefs Leopold I. am 14. Aug. 1675. 4. Die LGO. für K r a i n v. 18. Febr. 1535 ruht auf der n.-o. von 1 5 1 4 und der CCC. 5. Dagegen enthält die K ä r n t n e r LGO. von 1577 nur wenige strafrechtliche Bestimmungen. 6. In S t e i e r m a r k führte Karl II. die Land- und PGO. vom 24. Dez. 1574 ein, die vielfach auf der CCC. beruht. Im 17. Jahrhundert galt sicher in Steiermark, wohl auch in Kärnten und Krain, die Ferdinandea von 1656. (Wenn daher die Theresiana von der „Karolina" spricht, ist darunter die PGO. Karls V. zu verstehen und nicht, wie fast allgemein angenommen wird, die steirische PGO.) 7. Für B ö h m e n sind zu erwähnen die Landesordnung Ferdinands I. von 1549, die L O . Ferdinands II. von 1627 und die vernewerte LO. von 1765. 8. Die m ä h r i s c h e LO. vom I. Juli 1628 ruht auf der böhmischen von 1627. 9. In S c h l e s i e n galt seit 1707 die PHGO. Josephs I. II. In S a c h s e n veröffentlichte Kurfurst August am 21. April 1572 die kursächsischen Konstitutionen, deren Einflufs weit über Sachsen hinaus die Entwicklung des Strafrechts bestimmte. Die den Konstitutionen vorangehenden sehr wichtigen Vorarbeiten sind in den mehrfach gedruckten Consultationes constitutionum Saxonicarum enthalten (Ausgabe von Friderus Mindanus 1616). Eine Weiterbildung sind die Decisiones electorales von 1661. III. P r e u f s e n . I. Im preufs. Ordenslande galt vorzugsweise Magdeburger Recht, in der als Jus culmense bekannten Sammlung. Im 16. Jahrh. vielfache Verbesserungsversuche, insbes. 1594 das Jus culmense revisum, „der Danziger Culm", der, ohne Gesetzeskraft zu erlangen, bei den Gerichten Anwendung fand. 2. Auf Verlangen der ostpreufsischen Stände erfolgte eine neue Revision, deren Ergebnis das (von Levin Btichius verfafste) Landrecht des Herzogtums Preufsen von 1620 war (6. Buch Strafrecht. Einflufs der sächsischen Konstitutionen und Damhouders). 3. Weitere Umarbeitungen sind das Brandenb. revidierte Landrecht des Herzogtums Preufsen von 1685 und Friedrich Wilhelms Verbessertes Landrecht des Königr. Preufsen von 1721, gearbeitet von 5. v. Cocceji (6. Buch Strafrecht; Einflufs Carpzovs), Ein 1 7 2 1 vollendeter Entwurf eines StGB, (von Berger) hatte keine weitere Folge. 4. In'
24
§ 6.
Das gemein-deutsche Strafrecht.
der Mark B r a n d e n b u r g sind die Diestelmey ersehen (Vater und Sohn) Entwürfe einer Landesordnung 1572 bis 1594 nicht zum Gesetze geworden, 5- Im J. 1582 wurde die Brandenburger HGO. von 1516 neuerdings mit kleinen Abweichungen veröffentlicht. Nach der Vorrede mufs, im Gegensatze zu der allgemeinen Ansicht, angenommen werden, dafs das Gesetzbuch auch f ü r Preufsen Geltung haben sollte, wie es in Brandenburg höchstwahrscheinlich auch schon vor 1582 Anwendung gefunden hat. Vgl. darüber Günther Z 12 646, 14 269. IV. Aus B a y e r n sind zu erwähnen die Reformation des bayrischen Landrechts von 1518 und das Landrecht von 1616 für Ober- und Niederbayern, welches in seinen strafrechtlichen Bestimmungen den Einflufs der sächsisch. Konstitutionen nicht verleugnet, mehrfach auch die auf Grund der CCC. entstandenen Streitfragen erledigt. V. Das k u r p f ä l z i s c h e Landrecht von 1582 (5. Buch Strafrecht; beruht auf CCC., aber mit Berücksichtigung der sächs. Konst.) wurde 1606 auch in der O b e r p f a l z (Amberg) eingeführt. Als diese an Bayern gekommen war, trat an seine Stelle das dem bayrischen Landrecht von 1616 nachgebildete Landrecht von 1657. VI. In der M a r k g r a f s c h a f t B a d e n wurden Landrechte für BadenBaden 1588 (nachgebildet dem kurpfälzischen) und Baden-Durlach 1654 (gedruckt schon 1622) veröffentlicht. VII. In W ü r t t e m b e r g hatten die Stände bereits 1551 die Ausarbeitung eines StGB, verlangt. Der erst nach 1607 zu Stande gebrachte Entwurf erhielt jedoch niemals Gesetzeskraft. Doch enthalten das Landrecht von 1610 und die Landesordnung von 1621 eine Reihe strafrechtlicher Bestimmungen. VIII. In den übrigen Gebieten begnügte man sich damit, die CCC. einfach abzudrucken oder die Gerichte auf deren Beachtung zu verweiseu. Aber auch wo das nicht geschah, wo vielleicht die Neuausgabe der Gesetzbücher nur altes Recht enthielt, wie z. B. in den Stadtrechtsreformationen von Lübeck 1586 und Hamburg 1603, unterliegt die thatsächliche Geltung der CCC. keinem Zweifel. Über den Einflufs der CCC. in der Schweiz vgl. l'fenninger 80. II. Die W i s s e n s c h a f t . Die deutsche strafrechtliche Litteratur des 16. Jahrhunderts bietet zunächst ein durchaus trostloses Bild. Sie ruht in den Händen geist- und kritikloser Abschreiber, welchen das romische Recht ebenso fremd geblieben ist wie das deutsche. Perneder (f um 154°) beherrscht mit seiner Halsgerichtsordnung (Ausg. 1544 f.) lange Jahre hindurch den Markt, besonders in Bayern und Tirol; ihm folgen Gobier (f 1569 in zahlreichen Schriften), König (f 1526, Practica 1541), Rauchdorn (Practica 1564) Dorneck (Practica 1576), Saivr (Strafbuch 1577)- Ihre geschmacklosen Kompilationen erleben eine Auflage nach der andern (Stintzing 1 630). Inzwischen hatte die aufserdeutsche strafrechtliche Wissenschaft einen raschen und glänzenden Aufschwung genommen. Während die Italiener um die Mitte des Jahrhunderts, nach Hippolyt de Marsiliis ( f 1529) und Aegidius
§ 6.
Das gemein-deutsche Strafrecht.
25
Bossius (f 1546), in Julius Clarus (f 1575) den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreichten, von welchem sie allmählich in Tib. Deeianus (j* 1581) und Jacobus Menochius (f 1600) bis auf Prosf er Farinacius (f 1618) herabsanken, gewann in Frankreich und Spanien (Tiraquellus und Covarruvias) die neue juristische Methode der Synthese, der mos gallicus, den Sieg. Der bedeutendste strafrechtliche Vertreter dieser Richtung, Anton Matthäus / / . , dem berühmten hessischen Gelehrtengeschlechte entstammend, aber in Holland thätig, gehört freilich einer spätem Zeit an (er starb 1654, sein Hauptwerk De criminibus erschien zuerst 1644, zuletzt 1803); er hat auch auf die deutsche Litteratur ungleich geringeren Einflufs geübt, als sein der italienischen Schule huldigender Vorgänger Jod. Damhouder -j-1581.®) Dennoch ist auch in Deutschland in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts der Fortschritt unverkennbar. Mehr und mehr gelangt die strafrechtliche Urteilsfindung, insbesondere infolge der Aktenverschickung, an die Juristenfakultäten, welche bald anfingen (zuerst in Tubingen, Jena, Rostock, Ingolstadt), dem Strafrechte besondere Vorlesungen zu widmen; und wieder einmal, wie im mittelalterlichen Italien, erwies sich die Verbindung von Wissenschaft und Rechtspflege als segensreich nach beiden Richtungen. Zahlreiche Sammlungen von Konsilien und Disputationen geben davon Zeugnis. Zu erwähnen sind Bocer Prof. in Tübingen, Disputationes 1596 ff. (classis IV de criminibus); Petrus Theodoricus Prof. in Jena (-{• 1640), Collegium criminale 1618, 1671 ; Hunmus Prof. in Giefsen (-j- 1636), Collegii criminalis disputationes 1621; Theod. Petrejus Marburger Doktor, Thesaurus controversarum conclusionum criminalium 1598; G. D. Lokamer Prof. in Strafsburg (f 1637), Centuria quaestionum criminalium 1523; Ad. Volkmamt Tractatus criminalis 1629 (3. Teil Consilia criminalia). Der erste, welcher in Deutschland die synthetische Methode auf das Strafrecht anwandte, war Nie. Vigelius Prof. in Marburg (f 1600) in seinen Constitutiones Carolinae publicorum judiciorum 1583, in welchen er die Übereinstimmung der PGO. mit dem romischen Rechte nachzuweisen suchte. In gleicher Richtung sind thätig die Tubinger Professoren Val. Volt (•)• 1581) und Joh. Harpprecht (-J- 1639; Tractatus criminalis 1603), sowie der Hesse Gilhausen ( f nach 1642; Arbor judiciaria criminalis 1606). Mehr und mehr tritt die Karolina in den Mittelpunkt der schriftstellerischen Thätigkeit der Kriminalisten. Die Karolinenkommentare von Musculus 1614, Zieritz 1622, Stefani 1626, Bullaus 1631, Manzius i65o, Blumblacher 1670, Clasen 1684, Otto 1685 tragen den Bedürfnissen der Gerichte Rechnung. Ihre Blute verdankt die auf der Karolina fufsende Wissenschaft des gemein-deutschen Strafrechts den s ä c h s i s c h e n J u r i s t e n des 17. Jahrhunderts. Getragen von der in weiten Gebieten Niederdeutschlands tief gewurzelten, durch die fremden Rechte nicht erschütterten, durch den Sachsenspiegel zusammengehaltenen, gemeinsamen Rechtsanschauung; gestützt auf eine zielbewufste, weit und breit angesehene Gesetzgebung; befruchtet durch die stets rege Wechselwirkung von Wissenschaft und Rechtsleben, erringen sie sich die 3 ) Uber Damhouders Verhältnis zu dem Genter Philips IVielant, dessen Werk er abgeschrieben haben soll, vgl. van Haniel 1 51 Note 29.
26
§ 6.
Das gemein-deutsche Strafrecht.
führende Rolle in Gesetzgebung, Litteratur und Rechtspflege. An Matth. Berlich (f 1638, Conclusiones practicabiles 1615—1619) schliefst sich, ihn bedeutend überragend, Benedikt Carpzov (1595—1666), der durch seine Practica nova Imperialis Saxonica rerum criminalium 1635 und andere Schriften der Begründer der empirischen Methode und damit einer neuen deutschen Rechtswissenschaft wurde. Mitglied des Leipziger Schoffenstuhls und Ordinarius der Leipziger Juristenfakultät, ausgezeichnet durch reiche Belesenheit, wissenschaftliche Tüchtigkeit und umfassende praktische Erfahrung, hat er ein Jahrhundert lang der Strafrechtspflege Deutschlands den Stempel seines Geistes aufgedrückt. 4 ) Erst im 18. Jahrhundert gelingt es J. S. F. Böhmer (f 1772, Observationes selectae ad Carpzovii practicam 1759), das Ansehen Carpzovs, welches von dessen Gegnern im 17. Jahrhundert, insbesondere von Oldekof (f 1667, Observationes criminales practicae 1633, 1639, 1654) und Brtmnemami (-[- 1672, Tractatus de inquisitionis processu 1648; Kommentare zum Kodex und zu den Pandekten 1663 und 1670), vergebens angegriffen worden war, zu erschüttern und allmählich zu beseitigen. Die durch die sächsischen Juristen angebahnte Vertiefung der strafrechtlichen Wissenschaft tritt im 18. Jahrhundert deutlich in den Karolinenkommentaren hervor: neben Stefani 1702, Ludovici 1707, Beyer 1714, Meckbach 1756, Scop 1758 u. a. ragen Kre/s (Commentatio succincta 1721) und J. S. F. Böhmer Meditationes 1770) durch treffliche Leistungen hervor. Im Anschlüsse an das aufblühende akademische Studium erscheint in rascher Aufeinanderfolge eine Anzahl von systematischen Darstellungen des Strafrechts auf der Grundlage der Karolina: Kirchge/sner 1706, Frölich v. Frólichsburg 1709 ( k e i n Kommentar, trotz des Titels), Beyer 1711, Gärtner 1729, Kemmerich 1731, J. S. F. Böhmer 1733, Fngau 1738, Meister sen. 1755, Koch 1758, Richter 1763, Quistorp 1770 ff., Püttmann 1779, Müller 1786, Meister jun., 1789, Paalzow 1789, Steher 1793, Stübel 1795, Klein 1796 u. a. verfassen mehr oder weniger ausfuhrliche Lehrbucher, während andere, wie insbesondere Struve (-J- 1692, Dissertationes criminales 1671), Leyser (f 1752, in seinen Meditationes ad Pand. 1717 ff-), Schiller (Exercitationes ad Dig. lib. 47 und 48, 1675 f.) einzelne Fragen des Strafrechts im Anschlüsse an die Libri terribiles in mehr oder minder ausführlichen Untersuchungen behandeln. III. D i e R e c h t s p f l e g e . Wenn auch sowohl die Gesetzgebung im Reich und in den Einzelstaaten als auch die Wissenschaft bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts im a l l g e m e i n e n auf dem Boden der PGO. standen, so führte doch die notwendige Veränderung in den Bedurfnissen wie in den Anschauungen der Zeit zu einer immer tiefer greifenden U m g e s t a l t u n g d e s g e m e i n - d e u ts c h e n S t r a f rechts. Wenn wir von der bereits betonten Aufstellung neuer und der Weiterbildung alter Verbrechensbegriffe absehen, wird durch diese Umgestaltung besonders das S t r a f e n s y s t e m d e r P G O . berührt. Zunächst wird einerseits das Anwendungsgebiet der in der PGO. angedrohten poena ordinaria 4 ) Treffliche Zeichnung Carpzovs bei Stintzing Z 5 579-
2
55, und dazu Loiting
§ 6.
Das gemein-deutsche Strafrecht.
27
durch gekünstelte Verengerung der Verbrechensbegriffe wesentlich eingeschränkt (so wird immissio seminis bei den Fleischesverbrechen, Eintritt des Todes bei der Vergiftung, Lebensfähigkeit des Kindes beim Kindesmorde u. s. w . gefordert), anderseits in fast schrankenloser Weise bei Mangel im Thatbestande von der poena extraordinaria, die freilich nach Claras und Carpzov niemals Todesstrafe sein darf, Gebrauch gemacht. Dann aber werden — und das ist von noch grofserer Wichtigkeit — die Strafmittel der P G O . selbst zum Teil durch andre verdrängt. So werden gewisse Arten der verschärften Todesstrafe und der verstummelnden Leibesstrafen immer seltener angewendet: an ihre Stelle tritt — neben Ausstellung am Pranger, Brandmarkung, körperlicher Züchtigung — die äufserlich auf das romische Recht gestutzte Verurteilung zu öffentlichen Arbeiten, zum Bau von Strafsen und Festungen, zum Kriegsdienste, zu den Galeeren; besonders aber, wenn auch zunächst nur für Polizeivergehen, die Anhaltung in Zucht- und Arbeitshäusern (unten § 61). D a es an jedem festen Mafsstabe fehlte, um das Verhältnis dieser neuen Strafarten zu den alten sowie zum Verbrechen selbst zu bestimmen, wurde die Strafzumessung mehr und mehr zu einem A k t e r i c h t e r l i c h e r W i l l k u r . Und gerade in diesem Punkte trat die Notwendigkeit grundlicher Abhilfe am deutlichsten und unwiderleglichsten hervor. Eine für unsere Periode durchaus kennzeichnende Erscheinung bilden die Hexenverfolgungen.6) Wenn auch Strafbestimmungen gegen Zauberei weder dem romischen noch dem mittelalterlich-deutschen Rechte fremd waren, so wird doch das eigentliche Verbrechen der H e x e r e i , verwandt mit der haeretica pravitas, ausgezeichnet durch Teufelsbundnis und Teufelsbuhlschaft erst seit dem 13. Jahrhundert ausgebildet. Aus einem Verbrechen gegen Leib und Leben wird sie dadurch zum Religionsverbrechen und der Zuständigkeit der Kirche unterstellt. Schon der Sachsenspiegel (2 13, 7) hatte die Zauberei mit Unglauben und Vergiftung zusammengestellt und mit dem Feuertode bedroht. Dennoch entwickelten sich in Deutschland die Hexenverfolgungen nur langsam. Trotz der Bulle „Summis desiderantes" von Innocenz VIII. aus dem J. 1484 und dem von Institor und Sprenger verfafsten, 1489 zuerst erschienenen Malleus maleficarum hält die P G O . im Art. 109 an der Auffassung des weltlichen Rechts fest und bedroht nur die schädliche Zauberei mit dem Feuertode, andere Fälle mit willkürlicher Strafe. 6 ) Aber bald geht die Rechtsprechung weiter: gestutzt auf die verhängnisvolle Lehre von den delictis exceptis setzt sie sich über die gesetzlichen Schranken hinweg; der Hexenhammer wird ihr Leitstern, und die mafslose Anwendung der Folter ermöglicht die grofse Reihe der Hexenbrände, deren Blute in das 17. Jahrhundert fällt. Vergebens hatten ruhige Männer, wie Molitoris 1489, Agrippa von Nettesheim ( f 1535)1 Weyer 1563, 5) V g l . Wächter, Beiträge zur deutschen Geschichte 1845. Soldan-Heppe Geschichte der Hexenprozesse 2. Aufl. 1880. Stintzing t 641. Neuere Litt, bei Löning Z 5 236, 7 689, Günther Z 1t 177, 12 638, 14 263. Über die Stellung des Reichskammergerichts vgl. Z 12 909. °) Die in der Bambergensis Art. 130 und 131 sich findende Zusammenstellung von Ketzerei und Zauberei mufste in der Karolina schon mit dem Wegbleiben des die Ketzerei behandelnden Artikels entfallen.
28
§ 7.
Das Zeitalter der Aufklärung.
der Jesuit Fr. v. Spee 1631 und andere ihre Stimme erhoben; die Gegner, Boitin 1579, del Rio 1599 an der Spitze, behaupteten das Feld. Die sächsischen Konstitutionen 1572 setzten, abweichend von der PGO., Todesstrafe auf alle Fälle der Zauberei ohne Unterschied; ihnen folgte die österreichische Ferdinandea 1656, wie das preufs. Landrecht 1685. Benedikt Carpzovs gewaltiges Ansehen fiel zu Gunsten des Hexenglaubens schwer ins Gewicht, und erst allmählich gelang es den Schriftstellern der Aufklärungszeit, als deren Vorkämpfer auch in dieser Frage Thomasius'') (•}• 1728; De crimine magiae 1701; De origine ac progressu processus inquisitorii contra sagas 1712) auftrat, die Hexenverfolgungen aus der Rechtsprechung zu verdrängen. Längsam folgte die Gesetzgebung. Während das preufs. Landrecht 1721 (6. Buch, Titel 5, Art. 4), weitergehend als das Edikt vom 13. Dezember 1714, die Zauberei in das Gebiet des Wahns verwies, halten noch der Codex crim. bavaricus 1751 und die osterr. Vdg. vom 5. November 1766 (auf welcher Art. 58 der Theresiana 1768 ruht) an dem Verbrechensbegriffe der Zauberei, freilich in durchaus vorsichtiger Skepsis, fest. Die letzte Hinrichtung einer Hexe auf deutschem Boden fand 1749 zu Wurzburg statt. Zu Glarus in der Schweiz wurde die Hexe Anna Goldi 1782 gefoltert und enthauptet. IV. D i e G e s e t z g e b u n g s e i t 1750. Auf dem Boden des gemeinen Rechts, trotz äufserlicher Abschliefsung von diesem, stehend, trägt die Strafgesetzgebung Bayerns und Österreichs um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Zuge eines dem Untergange verfallenen Zeitabschnittes. Wie stolze Zeugen der grofsen Vergangenheit des gemeinen Rechts ragen in das neu aufdämmernde Zeitalter hinüber die bedeutendsten Schöpfungen der bereits in den Grundfesten erschütterten Wissenschaft jener Tage: 1. Der C o d e x j u r i s c r i m i n a l i s B a v a r i c i vom 7. Oktober 1751, verfafst und erläutert von Kreiimayr (f 1790); 2. Die C o n s t i t u t i o c r i m i n a l i s T h e r e s i a n a für die österreichischen Erblande vom 31. Dezember 1768, wesentlich von den Anschauungen J. S. F. Böhmers beherrscht. Vgl. Wahlberg Klein. Schriften 2 H S ; v. Maasburg Zur Entstehungsgeschichte der Theres. HalsGO. 1880. J. L. Banniza Delineatio juris crim. secundum constitutionem Carolinam ac Theresianam 2 Bde. 1773. Berner Die Strafgesetzgebung von 1751 bis zur Gegenwart 1867. § 7. D a s Zeitalter der A u f k l ä r u n g . Litteratur. Loiting Z 3 219. Cantu Beccaria e il diritto penale 1862 (französ. Übersetzung mit Einleitung und Anmerkungen von Lacointa und Delpech 1885). Frank Die Wölfische Strafrechtsphilosophie und ihr Verhältnis zur kriminalpolitischen Aufklärung im 18. Jahrh. 1887. Hertz Voltaire und die franzosische Strafrechtspflege im j8. Jahrh. 1887. Stolzel Karl Gottlieb Suarez. Ein Zeitbild aus der Rechtsverwaltung und Verfassung 2 Bde. 1888. Günther 2 160. ') Über ihn vgl. Nicoladoni Christian Thomasius. Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung. 1888. Schräder Geschichte der Friedrichs-Universität Halle 1, 2. 1894.
§ 7-
Das Zeitalter der Aufklärung.
29
I. Seitdem Carpzovs Ansehen unter den immer heftiger werdenden Angriffen seiner Gegner unterlegen war, hatte die deutsche Strafrechtspflege ihren letzten Halt verloren. Die Reichsgesetzgebung war verstummt, die Landesgesetzgebung erschöpfte sich in einer Unzahl kleiner Verordnungen; und auf die P G O . blickten Gelehrte und Richter mit gleicher Geringschätzung herab. W a r so der Zustand der Strafrechtspflege selbst ein durchaus unhaltbarer geworden, so traten nunmehr noch äufsere Umstände hinzu, um den Untergang des ge mein-deutschen Strafrechts zu beschleunigen. Gestützt auf die grofsartigen E n t deckungen der naturwissenschaftlichen Forschung (' Kopernikus f 1543, Kepler •j- 1630, Galilei -)- 1642), hatte eine neue Weltanschauung ihren siegreichen Einzug in das Reich der Geister gehalten. Seit die Wissenschaft aufgehört hatte, die dienende Magd der Theologie zu sein, wurden auch Staat und Recht vor den Richterstuhl der kritisch-prufenden Menschenvernunft gezogen. Kaum hatte Hugo Grotius (f 1645) das Naturrecht zu dem Range einer selbständigeu Wissenschaft erhoben, so entbrannte der Kampf um die Grundlagen des staatlichen Strafrechts. Hobbes ( f 1679), Spinoza (+ 1677), Locke (f 1704) führten die Strafe, als deren Zweck sie die Besserung oder Vernichtung des Verbrechers und die Abschreckung aller übrigen bezeichneten, auf den Selbsterhaltungstrieb, S. v. Coccefi, der Grofskanzler Preufsens (f 1755), als gerechte Vergeltung auf göttlichen Befehl zurück. 1 ) Die philosophische Erörterung greift bald unmittelbar hinein in das praktische Tagesleben. Die deutschen Aufklärer fufsen auf Pufendorf (f 1694), der den Vergeltungsgedanken ausdrücklich v e r w i r f t ; ihr Wortführer aber wird der streitgewandte Hallische Lehrer Christian Thomasius (siehe oben § 6 Note 7). Im K a m p f e gegen das überlieferte romische und kanonische Recht vertreten sie mehr und mehr den Rationalismus des Polizeistaates, der von Christian Wolff ( t 1 754) zum alles umfassenden System erhoben wird und bestimmenden Einflufs auf die preufsische Gesetzgebung gewinnt. -) Eine schärfere Tonart klang von jenseit des Rheins herüber. Mit feinem Spotte hatte Montesquieu (f 1755) das geltende Strafrecht in seinen Grundlagen angegriffen ; und bald verdrängte er in Friedrichs des Gro/sen beweglichem Geiste die letzten Reste Wolf)sehen Einflusses. Voltaire ( f 1775) u n d 7- JRousseau (•}- 1778) setzten, jener mit der Gewandtheit des Weltmannes, dieser mit den tiefdringenden Worten des begeisterten Denkers, das von dem Politiker Montesquieu begonnene W e r k fort. a ) ') Grotius De jure belli ac pacis 1625. Hobbes De cive 1640; Leviathan 1651. Spinoza Tractatus theologo-politicus 1670. Locke On government 1680. S. v. Cocceji Elementa justitiae naturalis et Romanae 1740; Introductio ad Grotium illustratum 1751. 2 ) Pufendorf De jure naturae et gentium 1672. Thomasius Fundamentum juris naturae et gentium und zahlreiche andere Schriften. D. Fischer De poenarum humanarum abusu 1712. Chr. G. Hoffmann D e insignioribus defectibus jurisprudentiae criminalis Germanicae eorumque emendandorum ratione ac mediis 1731. — Engelhard Versuch eines allgemeinen peinlichen Rechts aus den Grundsätzen der Weltweisheit und besonders des Rechts der Natur hergeleitet 1756 (im engsten Anschlufs an Wolff). ®) Montesquieu Lettres persanes 1721; Esprit des lois 1748. Im engsten
3°
§ 7-
Das Zeitalter der Aufklärung.
Ein äufserer Anlafs setzte das glimmende Gebäude des alten Strafrechts in helle Flammen. 1762 war in Toulouse der protestantische Kaufmann Jean Calas wegen angeblicher Ermordung seines Sohnes unschuldig verurteilt und gerädert worden. Als der greise Voltaire in einer seiner zündendsten Schriften die franzosischen Gerichte des Justizmordes beschuldigte, zog er mit einem Schlage die öffentliche Meinung auf seine Seite. So kam es, dafs Beccarias (f 1794) Schrift: Dei delitti e delle pene 1764 (Übersetzung von Glaser 2. A u f l . 1876), welche die in der Strafrechtspflege herrschenden Mifsstände schonungslos geifselte und in tonenden Worten Reform an Haupt und Gliedern forderte, in allen Ländern lauten Widerhall fand. Die Preisausschreibung der Berner Ökonomischen Gesellschaft 1778 rief eine Flut von Schriften hervor, unter welchen Globigs und Husters Abhandlung von der Kriminalgesetzgebung ( 1 7 8 3 erschienen) gekrönt wurde. Sonnenfels (f 1817) in Osterreich (schon seit 1764), Filangieri (f 1788) in Italien, Hommel, Wieland, v. Soden, Kleinschrod (f 1824) und unzählige andere wetteiferten, insbesondere in den achtziger Jahren, in Verbesserungsvorschlägen. 4 ) II. Gar bald sollten die Grundgedanken der Aufklärungszeit (Schutz der individuellen Freiheit gegen richterliche Willkur, Beseitigung der Folter, Aufhebung oder doch Einschränkung der Todesstrafe, Betonung des staatlichen Strafzweckes mit Verdrängung kirchlicher oder rein sittlicher Forderungen) in der Strafgesetzgebung der wichtigsten Länder folgerichtige Durchfuhrung finden. In Rufsland hatte Katharina II. schon 1767 in ihrer merkwürdigen „Instruktion für die zur Verfertigung des Entwurfs zu einem neuen Gesetzbuche verordnete Kommission" den Versuch gemacht, Montesquieus Esprit des lois in die Sprache des Gesetzgebers zu ubertragen; Leopolds II. StGB, für Toskana von 1786 war von Beccarias Geist erfüllt; in Osterreich trug Sonnenfels nach langen Kämpfen den Sieg davon; und in Preufsen schritt Friedrich der Grofse seit seinem Regierungsantritte auf der Bahn der Neuerungen vorwärts. I. In Österreich verkündete Joseph II. am 2. April 1787 das Gesetz über Verbrechen und deren Bestrafung vom 13. Januar 1787, welches in aller und jeder Beziehung im schärfsten Gegensatze zur Theresiana stand. Uber eine amtliche lateinische und italienische Ubersetzung (mir nicht bekannt) berichtet Eisenmann Z 13 524. Dafs das StGB, nie in K r a f t getreten sei (Eisenmann 523), ist ein Irrtum. Wichtig sind die von Eisenmann gemachten Mitteilungen über die Vorgeschichte des Gesetzbuchs. Kurze, knappe Sprache, aufgeklärter Despotismus, Ersetzung der Todesstrafe durch die grausamsten, bis zu hundert Jahren währenden Freiheitsstrafen, Ausschlufs der Analogie, Anschlufs an ihn Friedrich der Grofse Sur les raisons d'établir ou d'abroger les lois (noch 1748 geschrieben). — Voltaire in zahlreichen Schriften. Rousseau Contrai social 1762. 4 ) Filangieri Scienza délia legislazione 1780 ff. Wieland Geist der peinlichen Gesetze 1 1783, 2 1784. Gmelin Grundsätze der Gesetzgebung über Verbrechen und Strafen 1785. Soden Geist der peinlichen Gesetzgebung Teutschlands 1792. (v. Reder) Das peinliche Recht nach den neuesten Grundsätzen vollständig abgehandelt und meine Gedanken über den Entw. zu einem neuen peinlichen Gesetzbuch 4 Teile 1783/4.
§ 8.
D i e Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts.
31
mangelhafte Begriffsbestimmung sind die Merkmale dieses Gesetzbuches, welches, nachdem die Todesstrafe fur den Hochverrat 1795 w i e d e r eingeführt worden, am 1 7 . Juni 1796 (in K r a f t seit I. Januar 1797) mit manchen in dem eben mit Österreich vereinigten Westgalizien, (in K r a f t seit I. Januar 1804)
wurde
und so, durch Vermitt-
lung der verbesserten A u s g a b e von 1852, die Grundlage v.
Strafrechts
Maasburg
1890. —
Die
Eine
bildet.
Strafe
4 Bde. 1808/15. 1787;
Vgl.
des
Wahlberg
Schiffziehens
tüchtige Bearbeitung
D a s osterr. Krim.-Recht
in
fand das
des geltenden
Kleinere Österreich
StGB,
von
1789. —
Das
S t G B , von
I.
in J e n u l l
Geiste
1787
3
( 1783 — 1790)
1803
nach seinen Gründen und seinem
Leitfaden
oster-
Schriften
D a s Joseph. S t G B , haben dargestellt Sonnleithner
de Luca
1803
für die ganze Monarchie mit zahlreichen und
wesentlichen Verbesserungen neu kundgemacht reichischen
Veränderungen
am 3. September
dargestellt
Anmerkungen
bildete auch
die
Grundlage fur das 1787 in den österreichischen Niederlanden eingeführte R e g lement provisionnel pour la procédure criminelle (Bruxelles 1787) und
wurde
dadurch in manchen wichtigen Punkten bestimmend fur die Gesetzgebung der franzosischen Revolution. 2.
V g l . dazu jetzt auch Eisentnann
Z 13 5 2 3 '
In Preufsen entfaltete Friedrichs des Grofsen Regierung eine lebhafte
T h a t i g k e i t auf
dem Gebiete der Strafgesetzgebung (vgl. Stolzel
Preufsens Rechtsverwaltung 2 229).
Brandenburg-
Sie fand, nach zahlreichen Verbesserungen
im einzelnen, ihren Abschlufs in dem Allgemeinen Landrecht v o n 1794 (kundgemacht 20. März 1 7 9 1 ; suspendiert 18. April Februar 1 7 9 4 ; in K r a f t I.
kundgemacht
5.
Juni 1794), welches im 20. T i t e l des 2 . Teils
in
1577 Paragraphen das Strafrecht behandelte.
1792; wieder Klein
(f
1810) hatte den haupt-
sächlichsten Anteil an der A b f a s s u n g ; die Schrift v o n Globig und Huster nicht ohne Einflufs geblieben.
war
In seiner behaglichen Breite, seinem ängstlichen
W o h l w o l l e n , seiner bis zum Lächerlichen reichenden
Sorge fur Vorbeugungs-
mafsregeln, seinen im ganzen milden Strafbestimmungen und meist brauchbaren Definitionen ist den
die Strafgesetzgebung des A L R .
aufgeklärten Polizeistaat
beherrschenden
ein bezeichnendes Bild
Ansichten.
Wenn
auch
der dem
heutigen Musterbild eines Gesetzbuches w e n i g entsprechend, w a r sie doch eine tüchtige und l e b e n s k r ä f t i g e , der Weiterentwicklung durchaus
§ 8.
fähige Leistung
Die Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts.
Litteratur. Über die G e s e t z g e b u n g : I. D e r deutschen Einzelstaaten : Berner D i e Strafgesetzgebung von 1751 bis zur G e g e n w a r t 1867. Reiches Material in den Kommentaren zu den verschiedenen Strafgesetzbuchern. Kürzere A n g a b e n in Stengleins Sammlung der deutschen Strafgesetzbucher 1857. — 2 D e s Auslandes : D i e Strafgesetzgebung der Gegenwart in rechtsvergleichender Darstellung. Herausgegeben von der Internationalen kriminalistischen V e r einigung. 1. B a n d 1894. — I.
Nachdem
rauscht w a r , Strafrechts
eine
Frankreich wegung
die Sturm- und Drangperiode
brach
fur
neue
die Strafgesetzgebung Zeit
ruhiger
und
der A u f k l ä r u n g
wie
fur
voruberge-
die Wissenschaft des
fruchtbringender
führte die sofort mit der grofsen Revolution
Arbeit
an.
In
einsetzende
Be-
zunächst zum Code pénal von 1791 und dem Code des délits et des
32
§ 8.
Die Strafgesetzgebung des 19. JahçJiunderts.
peines vom 3. Brumaire des Jahres IV, der, von Merlin verfafst, hauptsächlich das Strafverfahren regelte; dann aber zum Napoleonischen C o d e p é n a l von 1810 (Entwurf von 1804, Wiederaufnahme der Arbeiten 1808, in Kraft seit I. Januar 1811), der durch den Vorzug seiner klaren und bestimmten technischen Ausdrucksweise einen tiefgreifenden und weitgehenden, freilich nicht immer günstigen Einflufs auf die aufserfranzosische Gesetzgebung, insbesondere der romanischen, aber auch der übrigen Völker ausgeübt hat. Obwohl die Härte seiner auf dem starrsten Abschreckungsprinzipe beruhenden Strafdrohungen seit 1832 wiederholte und wesentliche Milderungen erfahren hat, ist das feste Gefüge seiner Begriffsbestimmungen doch bis auf den heutigen Tag unerschüttert geblieben. Dieser langen Zeit der Ruhe verdankt die französische Rechtsprechung ihre sichere Klarheit; in ihr aber liegt auch der Grund fur die Erschlaffung der franzosischen Rechtswissenschaft, die seit Jahrzehnten jeder kräftigeren Anregung entbehrt. II. D i e d eu t s c h e n S t r a f g e s e t z b u c h e r d e s 19. J a h r h u n d e r ts. Die Geschichte der deutschen Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts bis 1870 zerfällt in zwei grofse Abschnitte, die durch das Erscheinen des preufs. StGB, von 1851 gebildet werden. Ein reger Wetteifer, wie er auf keinem andern Gebiete der Gesetzgebung in dieser Zeit sich findet, hatte der einzelnen Staaten des deutschen Bundes sich bemächtigt; die durch Jahrhunderte erprobten, unverlierbaren Ergebnisse des gemeinen Rechts und die Forderungen der Aufklàrungszeit sollten mit den aus dem Rechtsleben des neuen Jahrhunderts sich ergebenden Bedürfnissen, mit den Postulaten der spekulativen Philosophie, mit den Forschungen der geschichtlichen Rechtswissenschaft zur Einheit verschmolzen werden. 1. D i e d e u t s c h e n S t r a f g e s e t z b u c h e r v o r 1851. 1. Der Vortritt gebührt B a y e r n . Das erste unter den deutschen Strafgesetzbüchern der Zeit nach ist auch weitaus das bedeutendste nach seinem Inhalte. Trotz mancher Fehler hat es den Ruhm deutscher Gesetzgebungskunst weit über die deutschen Grenzen hinausgetragen und im Wettkampfe mit dem franzosischen Code pénal diesem sieghaft getrotzt. Feuerbachs ') 1804 erschienene Kritik des Kleinschrodschtn Entwurfs von 1802 hatte zur Folge, dafs jener zur Ausarbeitung eines neuen Entwurfs berufen wurde. Seine Arbeit, 1807 vollendet, wurde nach Durchberatung in der Gesetzgebungskommission 1810 gedruckt und nach erneuter Beratung als StGB, vom 16. Mai 1813 kundgemacht. Amtlicher, allein gestatteter Kommentar („Anmerkungen") von Gönner 3 Bde. 1813/14. 1814 Oldenburg eingeführt. Von Einflufs auf die spätere Gesetzgebung in Sachsen, Württemberg, Hannover und Braunschweig. 2. S a c h s e n . 1810 wurden Tittmann und Erhard mit der Ausarbeitung eines StGB, beauftragt. Ihre Entwürfe (7ittmann 1813, Erhard 1816) _ bilden die Grundlage der Beratungen eines Ausschusses, deren Ergebnis ein von Stube1 gearbeiteter Entwurf von 1824 war. Stübels und Tittmanns Tod brachte die weiteren Arbeiten zum Stillstand. Dagegen führte der 1834 und 1835 ver*) Über Feuerbach vgl. unten § 9 Note 1.
§ 8.
Die Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts.
fafste Entwurf von Groß zu dem Kriminalgesetzbuch vom 30. März 1838. Kommentare von Gro/s 1838, IVei/s 1841 ff., Held und Siebdrat 1848.
33 —
3. Dem sachsischen StGB, von 1838 schlössen sich vier von den Thüringischen Staaten an, nämlich Weimar 1839 (Entw. von 1822), Altenburg 1841, Meiningen 1844, Schwarzburg-Sondershausen 1845. Das sächsische StGB, liegt auch dem sog. thüringischen StGB. (Entw. von 1849) zu Grunde, welches 1850 in Weimar, Sondershausen, Rudolstadt, Anhalt, Meiningen und Koburg, 1851 in Gotha, 1852 in Reufs jung. Linie mit Abweichungen im einzelnen eingeführt wurde und nachträglich noch 1864 in Anhalt-Bernburg, wo von 1852 an das preufsische StGB, (von 1851) angenommen worden war, sowie 1868 in Reufs ält. Linie zur Geltung gelangte. Dagegen hielt Altenburg an seinem StGB, von 1841 fest. 4. Württemberg. Die ersten Arbeiten von 1810 bis 1813 (vier Entwürfe) führten nicht zum Ziele. Dasselbe gilt von dem 1823 von v. Weber verfafsten Entwurf. Man behalf sich einstweilen mit dem Edikt vom 17. Juli 1824 über die Strafgattungen und Strafanstalten. Das StGB, vom I. März 1839 beruht auf den Entwürfen von 1832 (als MS. gedruckt), 1835 (Druckausgabe 1835 ; Bericht der Kammerkommission 1837 gedruckt) und 1838 (der letztere nach den Beschlüssen der beiden Kammern). Umgestaltungen erfolgten 1849, 1853 und 1855. Knapp Das wurttembergische Kriminalrecht, dargestellt in Zusätzen zu Feuerbachs Lehrbuch 1828/29. Wächter Die Strafarten und Strafanstalten des Königreichs Württemberg. 1832. Kommentare von Hepp 3 Bde. 1839/42, Hufnagel (f 1848) 2 Bde. 1840/44, kürzere Darstellung 1845. 5. Hannover. Die 1823 begonnenen Arbeiten führten zu dem 1825 veröffentlichten Entwurf (hervorragend beteiligt A. Bauer, der 1826 den Ent-> w u r f m i t Anmerkungen herausgab und weitere Anmerkungen 1828 und 1831 veröffentlichte). 1825 bis 1830 Umarbeitung des Entwurfs, der im letzten Jahre den Ständen vorgelegt wurde. Diese beendeten ihre Arbeiten 1838. Kundmachung des StGB, unter dem 8. August 1840. Zahlreiche Nachtragsgesetze. — Kommentar von Leonhardt 2 Bde. 1846/51, kürzer 1860. 6. Braunschweig. Der von der Regierung 1839 den Ständen vorgelegte Entwurf (besonders thätig v. Schleinitz und Breymar) führte zu dem StGB, vom 10. Juli 1840. Dieses galt von 1843 bis 1870 auch in L i p p e - D e t m o l d . 7. Hessen-Darmstadt. Entwurf von Knapp 1824; auf Grund eines Gutachtens von Mittermaier umgearbeitet 1831. Entwurf von v. Lindelof 1837 (als MS. gedruckt). 1839 Vorlage des abermals umgearbeiteten Entwurfs (Berichterstatter v. Linde und Breidenbacli). Verkündung des StGB, unter dem 18. Oktober 1841. Abgeändert 1849. — Kommentar von Breidenbach 2 Abteilungen 1842/44 (nur der allgemeine Teil). — Das hessische StGB, galt bis zum Jahre 1867 auch in N a s s a u seit 1849, in F r a n k f u r t a/M. seit 1857, in H e s s e n - H o m b u r g seit 1859. 8. Baden. Strafedikt von 1803, welches auf Grandlage des gemeinen Rechts die Einheitlichkeit der Strafrechtspflege herstellen sollte. Seit 1836 arbeitet ein besonderer Ausschufs an der Herstellung eines Entwurfs (der erste von L i s z t , Strafrecht. 6. Aufl. 3
34
§ 8.
Die Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts.
Entwurf ist 1836 gedruckt), welcher 1839 der zweiten Kammer überreicht wurde. Abgeändert 1840 nach den Beschlüssen der zweiten, 1844 nach denjenigen der ersten Kammer. Verkündung des StGB, unter dem 6. März 1845. In Kraft getreten am 1. März 1851. — Kommentare von Thilo 1845, Puchelt 2 Teile 1866/68. 2. Das preufsische Strafgesetzbuch von I85I. Die wichtige Zirkularverordnung vom 26. Februar 1799 über die Bestrafung der Diebstähle und ähnlicher Verbrechen bildete den Abschlufs der von Preufsen seit dem Regierungsantritt Friedrichs des Grofsen zielbewufst und kraftvoll verfolgten Kriminalpolitik. Zögernd und unsicher schreiten seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts die Umgestaltungsarbeiten vorwärts. Durch Kabinettsordre vom 24. Juli 1826 wurde der grofsen Gesetzrevisionskommission (unter dem Versitz des Justizministers Graf Dankelmann) die allgemeine Revision der preufsischen Gesetzgebung übertragen. Für die Beratung des Strafrechts (Pensum I) wurde eine besondere Deputation bestimmt : v. Kamptz (damals Direktor im Justizministerium) Vorsitzender; Sack und Fischenich Mitglieder; Schiller Berichterstatter für die Vermogensverbrechen, Bode für alle übrigen Teile. Ergebnis: Der I. Entwurf (Kommissionsentw.) November 1828 bis Februar 1829 gedruckt vorgelegt; dazu 4 Bde. Motive. Beratung des Entwurfs in der (grofsen) Gesetzrevisionskommission sowie im Staatsministerium. Ergebnis: Der II. Entwurf (I. Teil Kriminalgesetzgebung) 1830. Nachdem v. Kamptz das Justizministerium (1830) übernommen, erfolgte eine neue Beratung. Sie führte zu dem III. (revidierten) Entwurf. I. Teil. Kriminalgesetzbuch und Motive 1833. 2. Teil Polizeistrafgesetze und Motive (als V. Band der oben erwähnten Motive) 1833. Im Jahre 1834 verschiedene Nachträge, besonders zu den Polizeiubertretungen. Hierauf abermalige Beratung. 1836 der IV. (revidierte) Entwurf. Dazu die (von Weil gearbeitete) Zusammenstellung der Strafgesetze auswärtiger Staaten. 5 Teile. 1838—1841. Durch Kabinettsordre vom 4. Februar 1838 wurde die weitere Prüfung einer Immediatkommission aus Mitgliedern des Staatsrates übertragen. Sie beriet vom März 1838 bis zum Dezember 1842. Daneben begann die Beratung der allgemeinen Grundsätze im Plenum des Staatsrates im Dezember 1839 und dauerte bis Januar 1843. Ergebnis: Der V. Entwurf 1843. Dazu die Beratungsprotokolle. 3 Teile. 1839/42. Zusammenstellung der drei Entwürfe (1. Der von 1836; 2. der sonst nicht gedruckte der Immediatkommission; 3. der des Staatsrates von 1843), herausgegeben vom Staatsminister v. Kamptz 1844. Der Entwurf wurde einerseits mit einer 64 Fragen umfassenden Denkschrift im Frühjahr 1843 den acht Landtagen vorgelegt, anderseits einer Reihe von Behörden und Gelehrten ubersandt. Auf Grund der eingelaufenen Gutachten (insbesondere der Provinziallandtage 1844) und Kritiken (der rhei-
§ 8.
Die Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts.
35
nische Landtag hatte einen neuen Entwurf mit Motiven vorgelegt) verfafste, unter dem Justizministerium v. Savigny, Bischoff 1845 die dreibändige Revision des Entwurfes des StGB, von 1843 und auf dieser Grundlage den VI. (revidierten) Entwurf 1845. Die weitere Prufung erfolgte durch die Immediatkommission vom Oktober 1845 bis zum Juli 1846. Dezember 1846 legte die Kommission den VII. Entwurf dem Staatsrat vor. Dazu Verhandlungen der Kommission 1846. Inzwischen regten sich die Sonderbestrebungen der Rheinländer. Eine Denkschrift von Kuppenthal 1846 gab ihnen Ausdruck. Erneute Beratung führte zu dem VIII. Entwurf mit Motiven 1847. Dazu fernere Verhandlungen der Kommission 1847. Dieser Entwurf wurde, mit 19 beigefügten Hauptfragen, dem auf den 3. Dezember 1847 einberufenen Vereinigten ständischen Ausschusse vorgelegt und von diesem sowohl in der vorbereitenden Abteilung als auch im Plenum bis zum 6. März 1848 beraten. Vgl. Bleich Verhandlungen des usw. Ausschusses 4 Bde. 1848. Die weitere Beratung wurde durch die Märzereignisse unterbrochen. Justizminister Simons nahm die Arbeit wieder auf. Am 10. Dezember 1850 legte er den IX. Entwurf mit Motiven (erschienen 1851) der zweiten Kammer vor. Endlich hatten die langjährigen Bemühungen Erfolg. Nach eingehender Beratung in beiden Kammern erfolgte unter dem 14. April 1851 die königliche Sanktion des neuen StGB., das am I. Juli 1851 in Kraft trat. 2 ) Der Einflufs der rheinischen Juristen war deutlich erkennbar : in den Bestimmungen über Versuch und Teilnahme, über Strafensystem und internationales Strafrecht, Dreiteilung und mildernde Umstände u. s. w. steht das preufs. StGB, unter dem Banne des Code pénal. L i t t e r a t u r . Kommentare von Goltdammer Materialien 2 Teile 1851/52, Bestier 1851, Oppenhoff 1856 ff.; Lehrbucher von Temme 1853, Hdlschner 1855/68, Berner 1857 ff. Das preufs. StGB, ward ohne oder mit Veränderungen eingeführt 1852 in Hohenzollern, in Anhalt-Bernburg (bis 1864), 1855 in Waldeck und Pyrmont, 1858 in Oldenburg (wo 1837 das StGB, von 1814, um manche Zusätze vermehrt, neu ausgegeben worden), 1863 in Lübeck. Eine Verordnung vom 12. Dezember 1866 verkündete die beiden ersten Teile des StGB, in Frankfurt a/M. Die Vdg. vom 25. Juni 1867 verfügte, dafs in den neu erworbenen Landesteilen das preufs. StGB, (in Frankfurt a/M. dessen dritter Teil) in der Fassung der dritten amtlichen Ausgabe (von 1859) mit dem I. September 1867 Gesetzeskraft erlangen sollte. Dadurch wurden verdrängt: I. In Nassau, Homburg und Frankfurt a/M. das hessische StGB, von 1841; 2. in Hannover das StGB, von 1840; 3. in Hessen-Kassel und Schleswig-Holstein das gemeine Recht. — Uber K u r h e s s e n , wo ein im Jahre 1849 ausgearbeiteter Entwurf nicht zur Vorlage gelangt w a r , vgl. Kersting Das Strafrecht in Kurhessen in einzelnen Abhandlungen 2 Bde. 1853/54. a ) Gemeines Recht galt damals noch in Vorpommern und im ostrheinischen Teile des Regierungsbezirks Koblenz.
3*
36
§ 8.
Die Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts.
Über S c h l e s w i g - H o l s t e i n (Entw. von Eggers 1808, Entwürfe von 1840, 1849, 1866) vgl. Kramer Versuch einer systematischen Darstellung des peinlichen Rechts 1789; Schirach Handbuch des schleswig-holsteinschen Kriminalrechts 2 Bde. 1828/29. 3. D i e deutsche L a n d e s s t r a f g e s e t z g e b u n g n a c h I85I. 1. S a c h s e n . Die Umgestaltung des StGB, von 1838 war nach den tief eingreifenden Ereignissen des Jahres 1848 unvermeidlich geworden. Ein im Juni 1848 berufener Ausschufs (Berichterstatter Krug) uberreichte im Juli 1850 einen Entwurf, der aber nicht weiter verfolgt wurde. Ein neugearbeiteter Entwurf wurde im April 1853 den ständischen Deputationen uberreicht. Er führte zu dem StGB, vom 13. August 1855, in Kraft seit 1. Oktober 1856. Eine Nachbildung ist das StGB, für R e u f s ä l t e r e L i n i e vom 27. November 1861, in Kraft seit I. Mai 1862. Das sächsische StGB, wurde 1868 einer teilweisen Umarbeitung, insbesondere in Beziehung auf das Strafensystem unterzogen. Kommentare von Krug 2. Auflage, 1861/62, Siebdrat 1862, v. Schwarze 1868. Systematische Darstellung von Wächter 1857/58 (unvollendet). 2. In B a y e r n trat bereits wenige Jahre nach der Einführung des StGB, von 1813 das Bedürfnis nach dessen völliger Umgestaltung zu Tage. Der I. Entwurf von Gönner 1822 begegnete fast allgemeinem Tadel. Ein IL Entwurf von 1827, welcher vorzugsweise das Werk v. Schmidtleins war, hatte kein besseres Schicksal. Ein III. von Sturzer gearbeiteter Entwurf von 1831 wurde nicht weiter verfolgt. Die ins Stocken geratenen Arbeiten wurden erst 1848 wieder aufgenommen. Justizminister v. Kleinschrod legte den Kammern 1851 den ersten allgemeinen Teil eines IV. E n t w u r f s und 1853 einen vollständigen V . Entwurf mit Motiven (Oktavausgabe 1854) vor. Unverändert wurde dieser letztere von Kleinschrods Nachfolger v. Ringelmann 1855 wiedereingebracht. Lebhafte Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Volksvertretung führten im März 1858 zum jähen Abbruch der weiteren Beratungen. Erst im Juni 1860 legte das neue Ministerium den Kammern den umgearbeiteten VI. Entwurf vor. Nunmehr schritten die Arbeiten rasch vorwärts; am I. Juli 1862 trat das dem preufsischen verwandte StGB, vom 10. November 1861 in Kraft. Kommentare von Hocheder 1862, Weis 1863/65, Dollmann (f 1867) und Risch 1862/68, Stenglein 1861/62. 3. In H a m b u r g hielt man es noch 1869 für zeitgemäfs, ein neues StGB, einzuführen, welches vom 1. September 1869 bis I. Januar 1871 in Kraft war. (Ältere Entwürfe: 1848 von Trümmer für die 3 Hansestädte, 1849 und 1851 umgearbeitet; 1862 neuer Entw., veroff. 1864.) III. Demnach war d e r Stan"d d e r d e u t s c h e n S t r a f g e s e t z g e b u n g i m J a h r e 1870 der folgende: G e m e i n e s R e c h t galt nur noch: I. In beiden Mecklenburg (wo ein Entwurf von 1850 keinen Erfolg hatte); 2. in Lauenburg (hier war durch Gesetz vom 4. Dezember 1869 das preufsische StGB, mit Geltung vom
§ 9- Die deutsche Strafrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts (bis 1870).
37
I . A p r i l 1870 eingeführt worden); 3. in Schaumburg-Lippe; und 4. in Bremen (wo die Entwürfe von 1861 und 1868 nicht zum Ziele gefuhrt hatten). Daneben waren z e h n verschiedene Landesstrafgesetzbücher in Geltung und zwar: I. Das braunschweigische von 1840 (auch in Lippe-Detmold), 2. das sächsische von 1838 in S.-Altenburg seit 1841, 3. das hessische von 1841, 4. das thüringische von 1850 fr., 5. das preufsische von 1851, 6. das sächsische von 1868, 7. das hamburgische von 1869; aufserdem in Suddeutschland: 8. das württembergische von 1839, 9. das badische von 1845 und 10. das bayrische von 1861. Die Zersplitterung war grofs, aber nicht so grofs, als es auf den ersten Blick erscheinen mochte. Trotz aller Verschiedenheiten im einzelnen herrschte doch eine gewisse Übereinstimmung in den Grundzügen. Vor allem aber war durch die unmittelbare und mittelbare Ausbreitung des Herrschaftsgebietes des preufs. StGB, die Schaffung eines gemein-deutschen Strafgesetzbuchs wesentlich vorbereitet worden. Auch auf diesem Felde sollte Preufsen die Früchte seiner Politik ernten. s ) IV. D i e a u f s e r d e u t s c h e G e s e t z g e b u n g . 4 ) Seit etwa zwanzig Jahren hat die aufserdeutsche Gesetzgebung aufs neue eine rege und selbständige Thätigkeit entfaltet. Unter den S t r a f g e s e t z b ü c h e r n dieser Zeit sind als die wichtigsten zu nennen: I. Das ungarische von 1878; 2. das niederländische von 1881; 3. das italienische von 1889; 4. das noch nicht bestätigte finländische von demselben Jahre. Daneben kommt eine stattliche Anzahl von E n t w ü r f e n in Betracht; so vor allen die bis 1874 zurückreichenden osterreichischen, der russische, norwegische und der in der Ausarbeitung begriffene Entwurf eines StGB, für die schweizerische Eidgenossenschaft.
§ 9.
Die
deutsche
Strafrechtswissenschaft
des
19. J a h r -
h u n d e r t s ( b i s 1870). Litteratur. v. Liszt in Rechtsforschung und Rechtsunterricht auf den deutschen Universitäten 1893 S. 72 (aus dem für die Weltausstellung in Chicago herausgegebenen Werke: Die deutschen Universitäten). — Uber die sog. S t r a f r e c h t s t h e o r i e e n : Heime HH. 1 239. v. Bar 1 201. Laistner Das Recht in der Strafe 1872. Günther 1 und 2 (fortlaufend). I. Mit dem Ausgange des 18. Jahrhunderts beginnt für die deutsche Wissenschaft eine neue Blutezeit, die bis tief in die fünfziger Jahre des 19. hineinreicht. Die Zeit ungestümen und, trotz aller Aufklärung, unabgeklärten Gärens war vorüber. Die Thätigkeit der Landesgesetzgebung bot nicht nur unerschöpflichen Stoff, sondern zugleich eine neue, grofsartige Doppelaufgabe, an deren Losung die Kraft der Wissenschaft emporwuchs: die einheitliche Zusammenfassung des nach Ländern zersplitterten Rechts und seine geschichtliche Verknüpfung mit der Vergangenheit. 3) Über die Entstehungsgeschichte des Reichsstrafgesetzbuchs unten § 1 0 . 4 ) Vgl. die in dem Vorwort gemachte Bemerkung.
vgl.
3 8 § 9• Die deutsche Strafrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts (bis 1870). Am Anfange dieser neuen Zeit steht P. J. A. Feuerbach, geb. 1775, f 1833. 1 ) Gestählt durch den Geist Äa«/scher Philosophie, die rationalistischen Anschauungen seiner Vorgänger kritisch prüfend, den ungestümen Reformforderungen seine fachwissenschaftliche Bildung und seine praktische Erfahrung entgegensetzend, wurde er einerseits durch sein Lehrbuch (1801) der Neubegründer der deutschen Strafrechtswissenschaft, anderseits durch sein Arbeiten an dem bayrischen Strafgesetzbuche von 1813 der Bahnbrecher der deutschen Strafgesetzgebung. Gleichzeitig mit Feuerbach arbeiteten nicht nur seine Freunde Grolmann (f 1829; Grundsätze 1798) und v. Almendingen (•)• 1827), sondern auch seine Gegner Klein (f 1 8 1 0 ; Grundsätze 1796) und v. Kleinschrod (f 1824; Systematische Entwicklung 1794/96 3. Ausg. 1805) an der Wiedergeburt unsrer Wissenschaft. Zahlreiche andre folgten. Als Verfasser von Lehr- und Handbüchern sind zu nennen: Tittmann (f 1834), Handb. 1806/10, 2. Aufl. 1822/24. Rofshirt (f 1873), Professor in Heidelberg, Lehrb. 1 8 2 1 , Geschichte und System 1838/39. Wirth Handb. 1822. Martin (f 1857) Lehrb. 1820/25. 2. Aufl. 1829. Wächter (f 1880; über ihn Windscheid KG. v. Wächter 1880) Lehrb. 1825/6 •(Grundrifs mit wertvollen geschichtlichen Nachweisungen). Bauer (f 1843) Lehrb. 1827, 2. Aufl. 1833. Henke (f 1869) Handb. 1823/38. Jarcke (f 1852) Handb. 1827/30. Heffter (f 1880), Professor in Bonn, Halle, Berlin. Lehrb. 1833, 6. Aufl. 1857. jKieme (+ 1838) Lehrb. 1833 (Grundrifs). Ahegg (f 1868), Professor in Königsberg und Breslau, System 1826, Lehrb. 1836. Marezoll ( t 1873), Professor in Giefsen und Leipzig, Kriminalrecht 1841» 3* Aufl. 1856. Luden (f 1880), Professor in Jena, Handbuch I 1842. Köstlin (f 1856), Professor in Tübingen, Hegelianer, Neue Revision 1845, System 1855. Haberlin Grundsätze 1845 ff. E. J. Bekker, Professor des romischen Rechts in Heidelberg, Theorie 1859. Geib (f 1864) Lehrb. 1861/62 (trefTlicher Grundrifs). 'Berner Lehrb. 1. Aufl. 1857. Temme (f 1881) Lehrb. des gem.-deutsch. Strafrechts 1876 (ein trauriger Anachronismus). Unter den zahlreichen übrigen Schriftstellern, welche einzelne Abschnitte des Strafrechts behandelten, ragt besonders K. J. A. Mittermaier (f 1867) weniger durch Gründlichkeit und juristische Schärfe als vielmehr durch sein unermüdliches Bestreben hervor, die aufserdeutschen Arbeiten für die deutsche Wissenschaft fruchtbringend zu machen und die sogenannten Hilfswissenschaften des Strafrechts mit diesem zur Einheit zu verschmelzen. Vgl. K. it. F. Mittermaier, Bilder aus dem Leben IC. J. A. Mittermaiers. 1886. Unter den Zeitschriften dieser Zeit nimmt, neben der Bibliothek für peinliche Rechtswissenschaft (1798—1804) von Feuerbach und Grolmann, das A r c h i v d e s K r i m . - R e c h t s (1799—1807), begründet von Klein und v. Klein') L. Feuerbach A. v. Feuerbachs Leben und Wirken 1852. Glaser Ges. kl. Schriften 1 21. Geyer Kl. Schriften 553. Marquardsen Allg. D. Biographie 6 731. — Das Lehrbuch ist in 14. Aufl. von Mittermaier 1847, mit kritischem Kommentar von Mörstadt 1852 und Osenbrüggen 1855 herausgegeben worden. — Von seinen übrigen Schriften bes. zu erwähnen: Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des posit. peinl. Rechts 1799/1800.
§ 9- Die deutsche Strafrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts (bis 1870).
39
schrod, später als N e u e s A r c h i v (1816—1833), endlich als A r c h i v N e u e F o l g e (1834—1857) von v. Kleimchrod, Mittermaier, Ahegg, Hiffter, v. Wächter, Zachariä u. a. herausgegeben, die führende Stelle ein. II. Die r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e n Untersuchungen über Wesen und Aufgabe der Strafe führen die Geistesarbeit des 18. Jahrhunderts weiter. Kants grofsartiger Versuch, die Strafe vom Rechte völlig loszulösen und die Vergeltung, deren Mafs die Talion zu bilden hat, auf den kategorischen Imperativ 2a gründen, blieb ohne wesentlichen Einflufs auf die Entwicklung des Strafrechts. Henke und Zachariä bemühten sich, im Anschlüsse an Kant, das Strafrecht auf dem Talionsgedanken aufzubauen, aber sie scheiterten kläglich, ohne Nachfolger zu finden. 2) Ganz uberwiegend wurde Rechtfertigung und Aufgabe der Strafe in dem Schutze der Rechtsordnung erblickt und damit die sichere Grundlage für den Weiterbau der Wissenschaft wie der Gesetzgebung gewahrt. 8 ) III. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts tritt ein bedauerlicher Wendepunkt in der Entwicklung ein. Verschiedene Ursachen wirkten zusammen, um dieses Ergebnis herbeizuführen. Die erste war die R e z e p t i o n d e s f r a n z o s i s c h e n S t r a f r e c h t s durch die preufsische Gesetzgebung von 1851. Damit scheidet Preufsen aus dem Zusammenhange der gemein-deutschen Überlieferungen aus. Die preufsische Praxis lernt es rasch, auf eigenen Fufsen zu stehen, und übernimmt alsbald die Führung. Goltdammer (•}" 1872, Obertribunalsrat in Berlin) und Oppenhoff {1" 1875, Oberstaatsanwalt in Berlin) erringen ungleich gröfseren Einflufs als alle ihre Zeitgenossen auf den Lehrstühlen des Strafrechts; der Präjudizienkultus verdunkelt den Glanz der Wissenschaft. Ein Praktiker ist es, der das Archiv des preufsischen Strafrechts (1853) gründet und kraftvoll vorwärts steuert; das alte, von Professoren begründete und geleitete Archiv des Kriminalrechts findet 1857 ein stilles ruhmloses Ende. Die Kluft zwischen Theorie und Praxis erweitert sich zusehends, seitdem die Strafrechtswissenschaft in den Bannkreis der Hegel%c\ie.u P h i l o s o p h i e geraten ist. 4 ) Gerade die bedeutendsten unter den preufsischen Kriminalisten, 2 ) Kant f 1804. Kritik der praktischen Vernunft 1788. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre 1799. — Henke Lehrbuch 1815. K. S. Zachariä ( f 1843) Anfangsgrunde des philosophischen Kriminalrechts 1805. *) Vgl. unten § 12. 4 ) Nach Hegel (f 1831) Grundlinien der Philosophie des Rechts 1821 (VIII. Band der £a«.rschen Ausgabe §§ 82, 97) stammt die Strafe aus dem B e g r i f f e , als dem Absoluten. Alles, was ist, ist nur ein Moment in der dialektischen Entwicklung des Begriffs. Ursprünglich sind Denken und Sein, Begriff und Ding, instinktiv eins und ungeschieden; dann treten sie auseinander und werden durch die R e f l e x i o n einander entgegengesetzt, bis die S p e k u l a t i o n sie in der höheren bewufsten Einheit zusammenfafst. So ist auch die Strafe d i e d i a l e k t i s c h e V e r w i r k l i c h u n g d e s R e c h t s b e g r i f f e s , die Vernichtung des Verbrechens durch die begriffliche Macht des Rechts. Das R e c h t ist das verwirklichte Reich der Vernunft, die äufsere Existenz des vernünftigen Wesens des Willens. Im V e r b r e c h e n lehnt sich der Einzelwille gegen den allgemeinen Willen auf, er steht darum im Widerspruch mit sich und ist daher an sich nichtig. Er ist Schein, und das Wesen dieses Scheins
40
§ IO.
Die Entstehung und Weiterbildung des Reichsstrafgesetzbuchs.
Köstlin ( f 1856, Professor in Tubingen), Hälschner (-J- 1889, Professor in Bonn) und Berner (Professor in Berlin), huldigen wenigstens bei ihrem ersten Auftreten dem entschiedensten Hegelianismus. Und wenn wir dieser Richtung auch manchen wertvollen Beitrag zur psychologischen Analyse des Verbrechens verdanken, so mufste doch eben die Hegeische Dialektik, mit der sich alles Gewordene erklären und alles Bestehende rechtfertigen liefs, den Blick für die Bedurfnisse des Rechtslebens wie für die Fordeningen der Kriminalpolitik trüben. Es war ein bitteres, aber teilweise selbstverschuldetes, Verhängnis, dafs die deutsche Wissenschaft, die zur Zeit partikularer Rechtszersplitterung den Schatz gemeinsamer Rechtsuberzeugung gehütet und gemehrt hatte, halt- und kraftlos dastand, als die langersehnte Zeit für die Schaffung eines gemeinsamen Strafgesetzbuchs fur die auf dem Schlachtfelde geeinten deutschen Stämme angebrochen war.
§ 10.
Die Entstehung und Weiterbildung des Reichsstrafgesetzbuchs.
I. Die Bemühungen um ein einheitliches deutsches Strafgesetzbuch reichen weit genug zuruck. Aber alle Anläufe scheiterten an der Ubermacht der politischen Verhältnisse. Die von einzelnen Personen ausgearbeiteten Entwürfe (K. S. Zacharia 1826, v. Strombeck 1829, Krug 1857, v. Kräwel 1862) fanden wenig Beachtung. Die von Württemberg 1847 ausgehende Anregung wurde von den Ereignissen des Jahres 1848 uberholt. Der § 64 der Reichsverfassung vom 28. März 1849 veranlafste das preufsische Justizministerium zur Herstellung eines Entwurfes (1849), der, den rasch sich verschiebenden Zeitverhältnissen zum Opfer fallend, bis auf wenige Stucke, ohne ausgegeben zu Werden, wieder eingestampft -wurde. Auch der von Bayern in Verbindung mit mehreren anderen Regierungen im Jahre 1859 beim Bundestage gestellte Antrag, die Möglichkeit und Nützlichkeit einer gemeinsamen bürgerlichen und Straf-Gesetzgebung zu erörtern, hatte kein andres Ergebnis, als dafs der Ausschufsbericht vom 12. August 1861 das Vorhandensein eines „sehr dringenden Bedürfnisses" nach einem allgemeinen deutschen StGB, in Abrede stellte. Ungefähr gleichzeitig hatte der Antrag Kräwels, der I. deutsche Juristentag (1860) möge die Dringlichkeit einer einheitlichen Strafgesetzgebung aussprechen, zwar einstimmige Annahme, aber nur geringe Teilnahme gefunden. II. Es scheint, dafs dieselbe Ansicht in den mafsgebenden Kreisen noch
ist, dafs er sich selbst aufhebt. Aber in seiner äufseren Existenz bedarf er der Nichtigerklärung, der Konstatierung seines Scheins, und das geschieht durch die Strafe. Die S t r a f e ist die Offenbarung der Nichtigkeit des Verbrechens, die Konstatierung seiner Scheinexistenz; die Strafe ist Negation der Negation des Rechts (als Negation des Verbrechens), mithin die Position, die Wiederherstellung des Rechts. — Die logischen Fehler dieser Schlufsfolgerung liegen klar zu Tage. Es ist nicht wahr, dafs das Verbrechen in sich nichtig ist; und es ist gänzlich unbewiesen und unbeweisbar, dafs die Feststellung des Scheindaseins des Verbrechens gerade durch die Strafe zu erfolgen hat.
§
io.
D i e Entstehung und Weiterbildung des Reichsstrafgesetzbuchs.
herrschte, als der E n t w u r f einer norddeutschen wurde.
Bundesverfassung
41
aufgestellt
D e r Art. 4 Nr. 13, welcher Zivilprozefsordnung und Konkursverfahren,
W e c h s e l - und Handelsrecht wähnte
das
Strafrecht
der gemeinsamen ist
ein
bleibendes
er-
Laskers,
durch einen v o n ihm gestellten, von v. Wächter unterstutzten, v o n v.
Schwarze
Reichstage
Es
Gesetzgebung unterstellte, Verdienst
bekämpften, v o m
nicht.
angenommenen Zusatzantrag
die Aufnahme
des
Strafrechts in das Gebiet der gemeinsamen Gesetzgebung veranlafst zu haben (Art. 4 Nr. 13 der Bundesverfassung v o m 26. Juli 1867). In kurzer Frist kam die Angelegenheit den
Abgeordneten
Wagner
und
Planck
in Flufs.
am
trages beschlofs der Reichstag am 18. A p r i l 1868, fordern, E n t w ü r f e
eines
gemeinsamen
A u f Grund eines
30. März
1868
„den Bundeskanzler
Strafrechtes
und
eines
Strafprozesses, sowie der dadurch bedingten
Vorschriften der
sation baldthunlichst
Reichstage
vorbereiten
und
dem
von
gestellten
An-
aufzu-
gemeinsamen Gerichtsorgani-
vorlegen
zu
lassen".
Nachdem der Bundesrat am 5. Juni 1868 diesem Beschlüsse beigetreten ersuchte
der
Bundeskanzler
in
dem
Schreiben
preufsischen Justizminister Dr. Leonhardt,
vom
17.
Juni
war,
1868
den
die Ausarbeitung des Entwurfs eines
Strafgesetzbuches zu veranlassen. X. D i e Ausarbeitung wurde Friedberg
ubertragen;
dem damaligen Geheimen Oberjustizrate D r .
Gerichtsassessor
wurden als Hilfsarbeiter beigeordnet. Bundesrat
v o m 21.
November
Dr.
Rubo
und
Kreisrichter
1868 entwickelte
das Programm.
gleichzeitig
veröffentlicht werden.
Eine
ausführliche
an
Schon
3 1 . Juli 1869 konnte der E n t w u r f ( E n t w u r f I) dem Bundeskanzler und
Rüdorjf
E i n e D e n k s c h r i f t Friedbergs
den am
uberreicht
Begründung
und
(vier) A n l a g e n (Zusammenstellung strafrechtlicher Bestimmungen aus deutschen und
aufserdeutschen
G e s e t z g e b u n g e n ; T o d e s s t r a f e ; Fragen aus dem
Gebiete
der gerichtlichen Medizin; höchste Dauer der zeitigen Zuchthausstrafe) ihm beigegeben. als V o r b i l d
an,
waren
D e r Entwurf schlofs sich an das preufsische StGB, v o n 1851 aber
nicht
ohne
dieses
in
einigen
wichtigen
Beziehungen
wesentlich zu verbessern. 2. Zur Prüfung des E n t w u r f e s trat ein vom Bundesrate schon am 3. Juli 1869 g e w ä h l t e r Ausschufs von sieben Mitgliedern am I. O k t o b e r 1869 in Berlin zusammen. E r bestand aus D r . Leonhardt
als Vorsitzendem, Dr. Friedberg
richterstatter, Generalstaatsanwalt Dr. v. Schwarze dem Vorsitzenden, Dom
(Berlin),
gerichtsrat Dr.
Senator Dr. Donandt
Appellationsgerichtsrat Budde
(Rostock).
(Dresden) als
als
Be-
stellvertreten-
(Bremen), Rechtsanwalt Justizrat D r . Bürgers
D r . Rubo
(Köln),
und Rüdorff
Oberappellationswaren zu
Schrift-
fuhrern ernannt worden. Die
„Theoretiker",
von
welchen
keiner
dem
Ausschusse
worden war, beteiligten sich durch handschriftlich überreichte oder Gutachten an dem
nationalen W e r k e ;
Mitteilungen), Berner,
Binding,
(gedruckte Gutachten), Merkel,
so Anschütz,
Geyer, Hdberlin,
Beseler
Hdlschner,
beigezogen gedruckte
(handschriftliche Heinze,
H.
Meyer
Ge/sler, Seeger (Verhandlungen des 9. deutschen
¿j.2
§
I0-
Die Entstehung und Weiterbildung des Reichsstrafgesetzbuchs.
Juristentags).
John
seinen Entwurf
hatte schon früher seinen lebhaften Anteil bekundet durch
mit Motiven zu einem StGB. f. d. Norddeutschen Bund 1868.
Nach 43 Sitzungen beendete der Ausschufs seine Beratung am 31. Dezember 1869 und uberreichte am selben Tage den gedruckten Entwurf (Entwurf II) dem Bundeskanzler (ohne Begründung).
Der Entwurf wurde nicht
veröffentlicht, aber einzelnen Fachmännern zugeschickt.
Heime,
Vollert, v. Wäch-
ter schrieben Besprechungen des Entwurfs. 3. Der von dem Ausschusse
festgestellte Entwurf wurde nunmehr vom
Bundesrate in der Zeit vom 4. bis
I I . Februar
unterzogen, aus welcher er, trotz der von gemachten Bedenken, mit
1870 einer kurzen Beratung
Sachsen
und Mecklenburg
wenigen Abänderungen (so erhielt §
geltend
2 Einf.Ges.
seine jetzige Fassung) als Entwurf III hervorging. Am
14. Februar
1870 wurde
der Entwurf
dem Reichstage
D i e 4 Anlagen des Entwurfes I und die von Friedberg weise umgearbeitete Begründung zu diesem waren
vorgelegt.
und v. Schwarze
beigelegt.
teil-
Leonhardt
und
Friedberg wurden von Seiten der Regierungen mit der Vertretung des Entwurfs beauftragt. Die
erste
„Lesung"
fand
am
22.
Februar
statt.
Der
Antrag
v. Schwarze, den Entwurf einem Ausschusse von 21 Mitgliedern zu überweisen, wurde verworfen und auf Antrag des Abgeordneten Albrecht
beschlossen,
den
ersten (allgemeinen) T e i l sowie die Abschnitte I — 7 des zweiten Teils (hauptsächlich die politischen Verbrechen) nur die übrigen Abschnitte 8 — 2 9
durch Plenarberatung
zu erledigen
und
des zweiten Teiles einer kommissioneilen
Vorberatung zu unterziehen. A m 28. Februar begann die z w e i t e
Lesung,
die am 8. April 1870
zu Ende geführt wurde. Hervorzuheben
wäre
die
strafe, deren Beseitigung am
grofse Auseinandersetzung
1. März 1870 mit
über
die
Todes-
118 gegen 81 Stimmen be-
schlossen wurde. Für den Beginn der 3. L e s u n g war der 21. Mai 1870 angesetzt worden. Da erklärte Justizminister Leonhardt
im Auftrage der verbündeten Regierungen,
dafs diese von der Zurücknahme mehrerer der in 2. Lesung gefafsten Beschlüsse das Zustandekommen des Gesetzes abhängig machten.
In erster Linie handelte
es sich um die Wiederherstellung der Todesstrafe.
Der von Planck
einge-
brachte
in welchen die
Todes-
Zusatzantrag: „In denjenigen Bundesstaaten,
strafe gesetzlich bereits abgeschafft i s t , bewendet es hierbei" •— führte zunächst zu einer Vertagung der weiteren Beratung und dann (22. Mai) zu einem Beschlüsse des Bundesrates,
welcher den A n t r a g Planck
als die
einheitliche
Rechtsbildung in einem der wichtigsten Punkte beeinträchtigend für unannehmbar erklärte. A m 23. Mai wurden die Beratungen wieder aufgenommen.
Planck
zog
seinen Antrag zurück; nach einer grofsen R e d e des Bundeskanzlers wurde die Wiederherstellung der Todesstrafe (Antrag v. Litck) men beschlossen.
mit 127 gegen 1 1 9 Stim-
Das Gesetz selbst gelangte mit den vom Bundesrate
ge-
wünschten Abänderungen am 25. Mai zur Annahme, erhielt am selben T a g e die
§ io.
Die Entstehung und Weiterbildung des R,eichsstrafgesetzbuchs.
Genehmigung des Bundesrates, am 31. Mai 1870 mit dem Einfuhrungsgesetze die Ausfertigung des Bundesoberhauptes und wurde in der am 8. Juni 1870 ausgegebenen Nr. 16 des BGBl, als StGB, für den Norddeutschen Bund veröffentlicht. Der Beginn seiner Wirksamkeit wurde auf den I. Januar 1871 festgesetzt. III. Durch die Gründung des Deutschen Reichs wurde die Umwandlung des n o r d d e u t s c h e n in das R e i c h s s t r a f g e s e t z b u c h notwendig gemacht. 1. Nach Art. 80 der zunächst mit Baden und Hessen am 15. November 1870 vereinbarten Verfassung des deutschen Bundes trat das StGB, vom 31. Mai 1870 nebst dem gleichzeitig erlassenen Einfuhrungsgesetz a) in B a d e n am I. Januar 1872; b) in H e s s e n (soweit es nicht zum norddeutschen Bunde gehört hatte) am I. Januar 1871 in Kraft. 2. Nach dem mit W ü r t t e m b e r g am 25. November 1870 abgeschlossenen Vertrage begann die Wirksamkeit des StGB, daselbst mit dem 1. Januar 1872 (Art. 2 Nr. 6). 3. In B a y e r n erfolgte, entsprechend dem Vertrage vom 23. November 1870, die Einführung des StGB., mit Wirkung vom I. Januar 1872, durch das Gesetz vom 22. April 1871, betreffend die Einfuhrung norddeutscher Bundesgesetze in Bayern. Inzwischen hatte § 2 des Gesetzes vom 16. April 1871, die Verfassung des Deutschen Reichs betreffend, das StGB, zum R e i c h s g e s e t z e erklärt. Das Gesetz vom 15. Mai 1871, betreffend die Redaktion des StGB, für den Norddeutschen Bund als StGB. fUr das Deutsche Reich, nahm in dem Texte des StGB, (nicht des Einführungsgesetzes) die durch die Änderung der politischen Verhältnisse notwendig gewordenen Umgestaltungen vor. 4. In E l s a f s - L o t h r i n g e n wurde das StGB, (aber nicht das Einführungsgesetz vom 31. Mai 1870) durch das Gesetz vom 30. August 1871 (abgeändert durch das Gesetz vom 14. Juli 1873) mit Wirkung vom I. Oktober 1871 eingeführt. Demnach begann die Wirksamkeit des RStGB.: 1. Am I. Januar 1871 in den Gebieten des früheren Norddeutschen Bundes und in Hessen südlich des Mains; 2. am I. Oktober 1871 in Elsafs-Lothringen; 3. am I. Januar 1872 in Württemberg, Baden, Bayern. 5. Mit dem 1. April 1891 ist das RStGB. auf H e l g o l a n d in Kraft getreten (Vdg. vom 22. März 1891). IV. Schon durch das Gesetz vom io.'Dezember 1871 erhielt das RStGB. •einen Zuwachs in dem als § 130 a eingefugten sogenannten Kanzelparagraphen. Es folgten die Gesetze vom 23. November 1874 und 6. Februar 1875, durch welche die §§ 287 und 337 StGB, beseitigt wurden. Viel durch das ins Leben zeichneten
tiefer greifend, wenn auch lange nicht d u r c h g r e i f e n d , war die Gesetz vom 26. Februar 1876 geschaffene Umgestaltung des kaum getretenen und doch schon vielfach als verbesserungsbedürftig beGesetzbuchs.
Die wichtigsten Bestimmungen der am 25. November 1875 eingebrachten,
44
§ n .
Die übrigen Reichsstrafgesetze.
nach eingehenden Beratungen (i. Lesung am 3. Dezember 1875; 2. Lesung vom 14. Dezember 1875 bis 29. Januar 1876; 3. Lesung 9. und 10. Februar 1876) mit vielen und wesentlichen Veränderungen angenommenen Vorlage betrafen folgende Punkte: 1. Verschiedene Redaktionsversehen wurden verbessert. 2. In einer Reihe von Fällen (§§ 176, 177, 240, 241, 296, 370 Nr. 4) wurde das Antragserfordernis beseitigt, in andern (§§ 263, 292) beschränkt, und im allgemeinen die Unwiderruflichkeit des Antrags als Regel aufgestellt (§ 64). 3. Die Mindestmafse der Strafe wurden erhöht in den §§ 1 1 3 , 114, 117; der Umfang der Verantwortlichkeit erweitert in (j 4 Nr. I. 4. Neu eingefügt wurden § 49 a („Duchesne-Paragraph"), § 103a, § 223a, § 296a, § 353a („Arnim-Paragraph"), § 366a, § 361 Nr. 9; § 130a, 2. Abs. V. Spätere Abänderungen des Gesetzes betrafen: 1. Die Ersetzung der §§ 281—283 StGB, durch das 3. Buch der Konkursordg. vom 10. Februar 1877. 2. Die Einfügungen der §§ 302 a—302 d durch das sog. Wuchergesetz vom 24. Mai 1880. 3. Die Anfügung eines zweiten Absatzes an den § 184 durch Art. IV des Gesetzes betr. die unter Ausschlufs der Öffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlungen vom 5. April 1888. 4. Die Umgestaltung und Ergänzung der §§ 276, 317, 318, 360 Nr. 4, 364, 367 Nr. 5 durch das Gesetz vom 13. Mai 1891. 5. Abänderung des § 69 durch das Gesetz vom 26. März 1893. 6. Abänderung und Ergänzung der Bestimmungen über den Wucher (§§ 3 ° 3 a ff ) durch Gesetz vom 19. Juni 1893. 7. Abänderung der §§ 89 und 90 StGB, durch das Gesetz vom 3. Juli 1893-
^ 11. Die übrigen Reichsstrafgesetze. Litteratur. — Hellweg und Arndt Die deutsche und preufsische Strafgesetzgebung 1883. Ergänzungsheft 1883 bis 1885. 1886. Brauchbar auch Borchert Kodex des deutsch-preufs. Strafrechts und Strafprozesses 1882. Nachtrag 1887. Werner Sammlung kleinerer strafrechtlicher Reichsgesetze 1890. Olshausen Die Reichs-Straf-Nebengesetze 1893. Stenglein (mit Afpelius und Kleinfeiler) Die strafrechtlichen Nebengesetze des Deutschen Reichs 1893 (Kommentar). Vgl. auch Feilsch Strafrecht und Strafprozefs. Systematisch geordnete Übersicht über die bezuglichen Gesetze und Verordnungen im Deutschen Reich und in Preufsen sowie die Entscheidungen des Reichs- und Kammergerichts (für die Jahre 1891 und 92). Die Strafrechtssätze, deren Inbegriff unser Reichsstrafrecht ausmacht, sind durch die Vorschriften des RStGB. nicht erschöpft. Auch zahlreiche andere Reichsgesetze (vom Standpunkte des Kriminalisten aus unpassend „Nebengesetze" genannt) enthalten wichtige, in keinem Systeme des Strafrechts zu ubergehende, strafrechtliche Bestimmungen. Diese Gesetze folgen hier in zeitlicher Ordnung.
§ II. 1867.
I. tober 2. tober
1868.
Die übrigen Reichsstrafgesetze.
45
Gesetz betr. die Erhebung einer Abgabe von Salz vom 12. Ok1867. Gesetz betr. die Nationalität der Kauffahrteischiffe vom 25. Ok1867.
3. Gesetz betr. die Besteuerung des Branntweins usw. vom 8. Juli 1868.
1869. 4. Gesetz betr. die Wechselstempelsteuer vom 10. Juni 1869, abgeändert durch Gesetz vom 4. Juni 1879. 5. Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 mit zahlreichen Abänderungsgesetzen, zuletzt Gesetz vom 6. Juli 1887 (neue Fassung durch Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 1. Juli 1883). Vgl. Nr. 82. 6. Vereinszollgesetz vom I. Juli 1869. 1870.
7. Gesetz betr. das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken vom 11. Juni 1870.
1871.
8. Reichsverfassung vom 16. April 1871. 9. Gesetz betr. die Inhaberpapiere mit Prämien vom 8. Juni 1871. 10. Gesetz über das Postwesen vom 28. Oktober 1871. 11. Gesetz betr. die Beschrankung des Grundeigentums in der Umgebung von Festungen vom 21. Dezember 1871.
1872.
12. Gesetz wegen Erhebung der Brausteuer vom 31. Mai 1872; nur für einen Teil des Bundesgebietes geltend. 13. Militärstrafgesetzbuch vom 20. Juni 1872. 14. Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872. 15. Gesetz betr. die Verpflichtung deutscher Kauffahrteischiffe zur Mitnahme hilfsbedürftiger Seeleute vom 27. Dezember 1872.
1873.
16. Gesetz über die Kriegsleistungen vom 13. Juni 1873. 17. Gesetz betr. die Registrierung und Bezeichnung der Kauffahrteischiffe vom 28. Juni 1873. 18. Munzgesetz vom 9. Juli 1873. 1874. 19. Impfgesetz vom 8. April 1874. 20. Reichsmilitärgesetz vom 2. Mai 1874. 21. Gesetz über die Presse vom 7. Mai 1874. 22. Strandungsordnung vom 17. Mai 1874. 23. Gesetz über den Markenschutz vom 30. November 1874. 1875. 24. Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschliefsung vom 6. Februar 1875. 25. Bankgesetz vom 14. März 1875. 1876. 26. Gesetz betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste vom 9. Januar 1876. 27. Gesetz betr. den Schutz der Photographieen gegen unbefugte Nachbildung vom 10. Januar 1876. 28. Gesetz betr. das Urheberrecht an Mustern und Modellen vom I I . Jan. 1876. 29. Gesetz betr. die Beseitigung von Ansteckungsstoffen bei Viehbeforderung auf Eisenbahnen vom 25. Februar 1876.
46
§ II.
Die übrigen Reichsstrafgesetze.
30. Die Not- und Lotsensignalordnung für Schiffe auf See und auf den Kustengewässern vom 14. August 1876. 31. Verordnung über das Verhalten der Schiffer nach einem Zusammenstofs vom 15. August 1876. 32. Gesetz betr. die Schonzeit für den Fang von Robben vom 4. Dezember 1876. 1877. 33. Reichskonkursordnung vom 10. Februar 1877. 1878. 34. Gesetz betr. Zuwiderhandlungen gegen die zur Abwehr der Rinderpest erlassenen Vieheinfuhrverbote vom 21. Mai 1878. 35. Gesetz betr. den Spielkartenstempel vom 3. Juli 1878. 1879. 36. Gesetz betr. den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genufsmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 14. Mai 1879. 37. Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. Juli 1879. 38. Gesetz betr. die Besteuerung des Tabaks vom 16. Juli 1879. 39. Gesetz betr. die Steuerfreiheit des Branntweins zu gewerblichen Zwecken vom 19. Juli 1879. 1880. 40. Verordnung zur Verhütung des Zusammenstofsens der Schiffe auf See vom 7. Januar 1880. 41. Gesetz betr. die Schiffsmeldungen bei den Konsulaten des Deutschen Reichs vom 25. März 1880. (Dazu Verordnung vom 28. Juli 1880.) 42. Gesetz betr. den Wucher vom 24. Mai 1880. 43. Gesetz betr. die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen vom 23. Juni 1880. 1881. 44. Gesetz betr. die Küsten frachtfahrt vom 22. Mai 1881. 45. Gesetz betr. die Erhebung von Reichsstempelabgaben vom I. Juli 1881; abgeändert durch Gesetz vom 29. Mai 1885. 46. Gesetz betr. die Bestrafung von Zuwiderhandlungen gegen die österr.-ungar. Zollgesetze vom 17. Juli l88x. 47. Gesetz betr. die Bezeichnung des Raumgehaltes der Schankgefäfse vom 20. Juli 1881. 1882. 48. Gesetz betr. Abänderung des Zolltarifs vom 15. Juli 1879. Vom 23. Juni 1882. 1883. 49. Gesetz betr. die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883; neue Fassung vom 10. April 1892. 50. Gesetz betr. die Reichskriegshäfen vom 19. Juni 1883. 51. Gesetz betr. die Abwehr und Unterdrückung der Reblauskrankheit vom 3. Juli 1883. 1884. 52. Gesetz betr. die Stimmzettel für öffentliche Wahlen vom 12. März 1884. 53. Internationaler Vertrag betr. die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee aufserhalb der Küstengewässer vom 6. Mai 1882 (ratif. am 15. März 1884). 54. Gesetz zur Ausführung der internationalen Konvention vom 6. Mai 1882 betr. die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee vom 30. April 1884.
§ Ii.
Die übrigen Reichsstrafgesetze.
47
55. Gesetz betr. die Anfertigung und Verzollung von Zündholzern vom 1 3 . Mai 1884. 56. Gesetz betr. die Abänderung des Gesetzes über die eingeschriebenen Hilfskassen (7. April 1876) vom 1. Juni 1884. 57. Gesetz gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen brauch von Sprengstoffen vom 9. Juni 1884. 58. Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. 59. Gesetz über den Feingehalt der Gold- und
Silberwaren
Ge-
vom
16. Juli 1884. 60. Gesetz betr. die Kommanditgesellschaften auf Aktien und Aktiengesellschaften vom 18. Juli 1884. 1885. 61. Gesetz betr. den Schutz des zur Anfertigung von Reichskassenscheinen verwendeten Papiers gegen unbefugte Nachahmung vom 26. Mai 1885. 62. Verordnung betr. die Übertragung landesherrlicher Befugnisse auf den Statthalter in Elsafs-Lothringen vom 28. September 1885. 63. Vertrag mit Belgien betr. die Bestrafung der auf den beiderseitigen Gebieten begangenen Forst-, Feld-, Fischerei- und Jagdfrevel vom 29. A p r i l 1885. 1886.
64. Gesetz betr. die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete vom 1 7 . April 1886, abgeändert durch Gesetz vom 1 5 . März 1888 (neue Fassung vom 19. März 1888).
1887. 65. Gesetz betr. die Besteuerung des Branntweins vom 24. Juni 1 8 8 7 ; abgeändert durch Gesetz vom 8. Juni 1 8 9 1 . 66. Gesetz betr. den Verkehr mit blei- und zinkhaltigen Gegenständen vom 25. Juni 1887. 67. Gesetz betr. die Verwendung gesundheitsschädlicher Farben bei der Herstellung von Nahrungsmitteln, Genufsmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 5. Juli 1887. 68. Gesetz betr. den Verkehr mit Ersatzmitteln für Butter vom 1 2 . Juli 1887. 69. Gesetz zur Ausführung des internationalen Vertrages zum Schutze der unterseeischen Telegraphenkabel (vom 14. März 1884) vom 2 1 . November 1887. 70. Gesetz betr. den Schutz von Vögeln vom 22. März 1888. 7 1 . Gesetz über die Auslegung des Art. 2 des Gesetzes vom 30. August 1 8 7 1 betr. die Einfuhrung des StGB, für das Deutsche Reich in ElsafsLothringen vom 29. März 1888. 72. Gesetz betr. die unter Ausschlufs der Öffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlungen vom 5. April 1888.
1888.
73. Bekanntmachung betr. die Schiffsvermessungsordnung vom 20. Juni 1888. 1889.
74. Gesetz betr. die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom I. Mai 1889.
48
§12.
Das Strafrecht als Interessenschutz.
75. Gesetz betr. die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889. 76. Verordnung betr. das Bergwesen im südwestafrikanischen Schutzgebiet vom 15. August 1889. 1891. 77. Verordnung betr. die Einfuhrung von Reichsgesetzen in Helgoland vom 22. März 1891. 78. Patentgesetz vom 7. April 1891 (an Stelle des Gesetzes vom 25. Mai 1877 getreten). 79. Gesetz betr. die Abänderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuchs vom 13. Mai 1891. 80. Gesetz betr. die Prüfung des Verschlusses von Handfeuerwaffen vom 19. Mai 1891. 81. Gesetz betr. die Besteuerung des Zuckers vom 31. Mai 1891. 82. Gesetz betr. Abänderung der Gewerbeordnung vom I. Juni 1891. 1892. 83. Gesetz betr. den Schutz von Gebrauchsmustern vom I. Juni 1891. 84. Gesetz über das Telegraphenwesen des deutschen Reichs vom 6. April 1892. 85. Gesetz betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20. April 1892. 86. Gesetz betr. den Verkehr mit Wein, weinhaltigen und weinähnlichen Getränken vom 20. April 1892. 87. Bekanntmachung betr. die Betriebsordnung für die Haupteisenbahnen Deutschlands vom 5. Juli 1892. — Bekanntmachung betr. die Bahnordnung für die Nebeneisenbahnen Deutschlands vom 5. Juli 1892. 88. Bekanntmachung betr. die Verkehrsordnung für die Eisenbahnen Deutschlands vom 15. November 1892. 1893. 89. Gesetz betr. die Abänderung des § 69 StGB, vom 26. März 1893. 90. Gesetz betr. Ergänzung der Bestimmungen über den Wucher vom 19. Juni 1893. 91. Gesetz gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3. Juli 1893Aufserdem enthalten die internationalen Verträge des Deutschen Reichs (über Rechtshilfe, Auslieferung, Schutz der Urheberrechte, die Freundschafts-, Schiffahrts- und Handelsverträge) manche wichtige strafrechtliche Bestimmungen, die an geeigneter Stelle Erwähnung finden werden.
II. Grundzüge der Kriminalpolitik. § 12. Das Strafrecht als Interessenschutz. Litteratur (insbesondere auch über den Begriff des R e c h t s g u t e s ) : Ahrens Naturrecht 1 338. v. Ihering Der Zweck im Recht 1877 ff. Winding Die Normen und ihre Übertretung 1 1872, 2 1879 (insb. 1. 2. Aufl. 1890 S. 328, 338). Binding Handbuch des Strafrechts 1 1885. Thon Rechtsnorm und sub-
§ 12.
49
Das Strafrecht als Interessensohutz.
jektives Recht 1878. Kohler Deutsches Patentrecht 1878 (bes. S. 500). v. Liszt Z 3 I, 6 673, 8 134. E. Benedikt Z 7 481. Merkel Juristische Encyklopädie 1885. Gareis Encyklopädie und Methodologie der Rechtswissenschaft 1887. Finger GS. 4 0 39. Ziebarth Forstrecht S. I, 321. Merkel Lehrbuch 1889 S. 20. Bünger Z 8 666. Seuffert Gutachten für den 21. deutschen Juristentag. Verhandlungen 1 227. Klöppel Gesetz und Obrigkeit 1892. — Uber die sog. S t r a f r e c h t s t h e o r i e e n vgl. die zu §§ 7 und 9 angeführten Schriften. I. Alles Recht ist um der Menschen willen da. Es bezweckt Schutz menschlicher Lebensinteressen. Interessenschutz ist Wesen des Rechts; der Zweckgedanke die das Recht erzeugende Kraft.
den das
I. Die durch das Recht geschützten Interessen nennen wir Rechtsgüter. R e c h t s g u t i s t a l s o d a s r e c l i t l i c h g e s c h u t z t e l n t e r e s s e . Alle Rechtsguter sind L e b e n s i n t e r e s s e n , Interessen des einzelnen oder der Gemeinschaft. Nicht die Rechtsordnung erzeugt das Interesse, sondern das Leben; aber der Rechtsschutz erhebt das Lebensinteresse zum Rechtsgut. Personliche Freiheit, Hausrecht, Briefgeheimnis waren Lebensinteressen, lang' ehe sie durch die Verfassungsurkunden gegen willkürliche Eingriffe der Staatsgewalt sichergestellt wurden. Das Bedürfnis erzeugt den Schutz, und mit den wechselnden Interessen wechselt Zahl und Art der Rechlsguter.') Die Lebensinteressen aber entstehen durch die L e b e n s b e z i e h u n g e n der einzelnen untereinander, wie der einzelnen zu Staat und Gesellschaft und umgekehrt. Wo Leben ist, da ist Kraft, die nach freier Bethätigung, nach ungehemmter Entfaltung und Gestaltung ringt. In unzählbaren Punkten berühren und durchschneiden sich die Willenskreise, greifen die Machtgebiete ineinander über. Diesen Lebensbeziehungen entspringt das Interesse, welches der eine an dem für seine Bethätigung wichtigen Handeln oder Nichthandeln des andern hat. Der Mieter will die ihm vermietete Wohnung beziehen, der Gläubiger das Darlehn vom Schuldner zuruckcrhalten; was ich durch meine Arbeit mir gewonnen, soll niemand mir nehmen oder beschädigen, meinen guten Namen keiner antasten; der Staat verlangt Steuern und Heerdienste, der Bürger freie Meinungsäufserung in Wort und Schrift. Damit nicht der Krieg aller gegen alle entbrenne, bedarf es einer Friedensordnung, einer Abgrenzung der Machtkreise, des Schutzes dieser und der Zurückweisung jener Interessen. 1. Diese Aufgabe übernimmt der über den einzelnen stehende allgemeine Wille; er lost sie in der R e c h t s o r d n u n g : in der Scheidung der berechtigten von den unberechtigten Interessen. Die Rechtsordnung grenzt die Machtgebiete voneinander ab; sie bestimmt, wie weit der Wille sich frei bethätigen, wie weit er insbesondere fordernd ') Rechtsgut ist nicht ein Gut d e s R e c h t s oder der Rechtsordnung (anders freilich Bindmg und im Anschlufs an ihn Rosin W V 2 275), sondern ein durch das Recht anerkanntes und geschütztes Gut d e r M e n s c h e n . — Der Begriff des Rechtsgutes ist nach meiner Ansicht weiter als der des subjektiven Rechts. Jedenfalls aber widerstrebt es dem Sprachgebrauche, von einem Recht auf Leben, Freiheit, Ehre usw. zu reden, wie z. B. R. Lotung das thut. von L i s z t , Strafrecht. 6. Aufl.
4
§ 12.
D a s Strafrecht als Interessenschutz.
oder versagend in die Willenskreise anderer Rechtssubjekte übergreifen sie gewährleistet die Freiheit, das Wollen-Dürfen
und verbietet die
darf;
Willkur;
sie erhebt die Lebensbeziehungen zu Rechtsbeziehungen, die Lebensinteressen zu Rechtsgütern; sie schafft, Rechte und Pflichten an bestimmte knüpfend, aus dem Lebensverhältnis das Rechtsverhältnis.
Voraussetzungen
Gebietend und ver-
bietend, ein bestimmtes Handeln oder Nicht-Handeln unter bestimmten Voraussetzungen vorzeichnend, sind die N o r m e n der Rechtsordnung der Rechtsgüter.
D e r Rechtsschutz, den die Rechtsordnung
essen gewahrt, ist N o r m e n s c h u t z .
der Schutzwall
den
Lebensinter-
„ R e c h t s g u t " und „ N o r m " sind die bei-
den Grundbegriffe des Rechts. 2 ) II.
A b e r das Recht ist nicht blofs eine F r i e d e n s o r d n u n g ,
zugleich auch, u. z. seinem
innersten W e s e n
nach, eine
sondern
Kampfordnung.
Um seinen Z w e c k zu erfüllen, bedarf es der K r a f t , welche deu widerstrebenden Einzelwillen niederbeugt. steht die Staatsgewalt.
Hinter der Friedensordnung
der Lebensbeziehungen
Sie ist stark genug, ihren Normen Gehorsam zu
er-
zwingen, der logischen V e r k n ü p f u n g von Thatbestand und Rechtsfolge, w o es not thut, thatsächliche Herrschaft zu verschaffen. in den Begriff des Rechts:
der Z w a n g .
So tritt ein neues Moment
In drei Hauptformen erscheint
uns: I. A l s Erzwingung der Erfüllung (Zwangsvollstreckung); 2. als
er
Wieder-
-) Mein Ausgangspunkt in Beziehung auf die allgemeine Rechtslehre ist mithin derselbe w i e derjenige Bindings. A b e r sofort trennen sich unsere W e g e . Binding hat sowohl in seinen „ N o r m e n " als auch in seinem Handbuche 1 1 5 5 , ohne dem Rechtsgute, dessen Schutz zu d i e n e n die Norm berufen ist, weitere Beachtung zu schenken, in durchaus einseitiger und willkürlicher W e i s e den B e g r i f f der Norm zum A n g e l p u n k t e des ganzen strafrechtlichen Systems gemacht. V g l . darüber v. Liszt Z 6 663, 8 134. A u f die v o n Binding aus seiner Grundauffassung gezogenen Folgerungen werden wir wiederholt zurückzukommen Gelegenheit haben. An dieser Stelle sei der K e r n der „ N o r m e n theorie" kurz angedeutet. — D e r Verbrecher ubertritt nicht das Strafgesetz, sondern die Norm, jene Gebote oder Verbote, welche den Thatbeständen d e r Strafgesetze zu Grunde liegen. Die N o r m e n sind selbständige, dem ungesetzten Recht angehörende Rechtssätze; niemals Sätze des Strafrechts, sondern Sätze des öffentlichen Rechts. „ D i e Norm ist ein reiner, unmotivierter, insbesondere nicht durch Strafandrohung motivierter B e f e h l " (Binding 1 164). S t r a f g e s e t z dagegen ist „jeder Rechtssatz, wonach aus bestimmtem D e l i k t ein Strafrecht oder eine Strafpflicht entsteht oder nicht entsteht" (1 175). Die N o r m e n sind primär verpflichtende Rechtssätze (1 183). D e r Pflicht zum Gehorsam steht gegenüber das Recht auf Befolgung der Norm, auf Botmäfsigkeit. Das S t r a f g e s e t z dagegen (1 1 9 1 ) ist kein B e f e h l , sondern ein berechtigender Satz und z w a r Festsetzung und Normierung eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Strafberechtigten und dem Verbrecher. A u f der Unterscheidung von N o r m und Strafgesetz ruht die Unterscheidung von D e l i k t und Verbrechen. D e l i k t ist die schuldhafte Normubertretung, V e r b r e c h e n d e r Thatbestand, an welchen die Strafe geknüpft ist. Mit dieser (dem geltenden Rechte gegenüber zweifellos unhaltbaren Unterscheidung) ist für Bindings Normentheorie die Grundlage für eine Reihe w e i t e r e r , hier noch nicht interessierender Folgerungen gewonnen. — D e r Grundfehler der Normentheorie liegt in der rein formalen Auffassung des Delikts als einer Verletzung der G e horsamspflicht (Normen I § 45), wobei die Richtung des Verbrechens g e g e n die Lebensbedingungen der rechtlich geordneten Menschengemeinschaft völligin den Hintergrund tritt.
§12.
Das Strafrecht als Interessenschutz.
51
herstellung der gestorten Ordnung (Entschädigung); 3 . als Bestrafung des Ungehorsamen. In welchen Fällen diese einschneidendste und doch nur mittelbare Bewährung der Rechtsordnung, die Bestrafung des Übertreters staatlicher Normen, eintritt, wird spätere Untersuchung lehren (unten § 43). Hier handelt es sich darum, die Stellung der Strafe im Rechtssystem und damit die eigenartige Bedeutung des Strafrechts festzustellen. III. Ist die Aufgabe des Rechts überhaupt der Schutz menschlicher Lebensinteressen, so ist die eigenartige Aufgabe des Strafrechts d e r v e r s t ä r k t e Schutz besonders schutzwürdiger und besonders s c h u t z b e d u r f t i g e r Interessen durch A n d r o h u n g und V o l l z u g der S t r a f e als eines den V e r b r e c h e r t r e f f e n d e n Ü b e l s . W a r n e n d und a b s c h r e c k e n d tritt die S t r a f d r o h u n g zu den Geboten und Verboten der Rechtsordnung hinzu. Dem rechtlich gesinnten Burger zeigt sie in eindringlichster Form, welchen Wert der Staat seinem Befehle beilegt; weniger feinfühligen Naturen stellt sie als Folge ihres rechtswidrigen Verhaltens ein Übel in Aussicht, dessen Vorstellung als Gegengewicht den verbrecherischen Hang niederhalten soll. Aber die ganze ihr eigentumliche K r a f t entfaltet die Strafe im S t r a f v o l l z u g e , in der Bewährung des Willens der Rechtsordnung durch den S t r a fz w a n g . Hier scheut der Staat nicht zuruck vor den schwersten thatsächlichsten Eingriffen in Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen der Rechtsgenossen, vor tief einschneidender, nicht nur nach Tagen, Wochen und Monaten, sondern wenn es sein mufs nach Jahren und Jahrzehnten zählender Mafsregelung des Verbrechers. Vielgestaltig und gerade in ihrer Fähigkeit sich zu verbinden oder sich zu vertreten uberaus wertvoll sind die W i r k u n g e n des Strafvollzuges. E r wirkt: 1 . Auf d i e G e s a m t h e i t der Rechtsgenossen, indem er einerseits durch seine a b s c h r e c k e n d e Kraft die verbrecherischen Neigungen im Zaume hält (sog. Generalprävention) und anderseits durch die B e W ä h r u n g d e r R e c h t s o r d n u n g die rechtliche Gesinnung der Staatsburger stärkt und sichert; 2. ebenso auf den V e r l e t z t e n , dem er überdies die G e n u g t h u u n g gewährt, dafs der gegen ihn gerichtete rechtswidrige Übergriff nicht ungeahndet bleibt; 3. ganz besonders aber auf den V e r b r e c h e r selbst. J e nach Inhalt und Umfang des Strafubels kann das Schwergewicht der Wirkung, welche durch den Strafvollzug auf den Verbrecher ausgeübt wird, ein verschiedenes sein. a. Die Aufgabe der Strafe kann dahin gehen, den Verbrecher wieder zu einem brauchbaren Gliede der Gesellschaft zu machen (kunstliche Anpassung, Adaption). J e nachdem es sich dabei in erster Linie um die Kräftigung der erschütterten Hemmungsvorstellungen oder um die umgestaltende Einwirkung auf den Charakter des Thäters handelt, kann man A b s c h r e c k u n g oder B e s s e r u n g als die angestrebte Wirkung der Strafe unterscheiden. b. Die Aufgabe der Strafe kann dahin gehen, dem für die Gesellschaft unbrauchbar gewordenen Verbrecher die physische Möglichkeit zur Begehung 4*
§ 12.
52
D a s Strafrecht als Interessenschutz.
weiterer Verbrechen auf immer oder auf Zeit zu entziehen, ihn aus der Gesellschaft auszuscheiden
(künstliche
schädlichmachung
Selektion).
Man spricht hier von der U n-
des Verbrechers.
I V . Je nachdem im gegebenen F a l l e die eine oder die andre W i r k u n g der Strafe zum Z w e c k
gesetzt wird, gestaltet sich demnach der Vollzug der
Strafe in verschiedener Weise. kung auf den V e r b r e c h e r stimmt.
Insbesondere
wird es die beabsichtigte W i r -
sein, welche Inhalt und Umfang der Strafe be-
D i e Forderung der Kriminalpolitik geht dahin, die E i g n u n g der Strafe
als Mittel zum Z w e c k möglichst vollständig durfnissen des E i n z e l f a l l e s der Strafgesetzgebung wird Wirkungen
zu gestalten.
auch die
über
auszunutzen und sie nach den BeA b e r die a l l g e m e i n e den Verbrecher
Anlage
hinausgreifenden
der Strafdrohung wie des Strafvollzuges nicht aus den A u g e n ver-
lieren dürfen.
Schon diese Betrachtung zeigt uns, dafs
der Widerstreit
der
sogenannten Strafrechtstheorieen, d. h. der Ansichten über W e s e n und Aufgabe der Strafe, zum T e i l e wenigstens, seine L o s u n g
findet.
D i e verschiedenen Strafzwecke, die seit dem Ausgange des 18. Jahrhunderts einseitig zum ausschliefslichen
Prinzip
des Strafrechts gemacht worden
sind,
finden in dieser Auffassung ohne Ausnahme die ihnen gebührende Berücksichtigung.
A b e r die Einseitigkeit wird vermieden und die W i r k u n g des Strafvoll-
zugs auf den Verbrecher in den Vordergrund gestellt. ®) 4 ) b )
*) D i e im T e x t e vertretene Auffassung schliefst folgende Strafrechtstheorieen früherer Schriftsteller in s i c h : i. D i e Abschreckungstheorie (Abschreckung aller durch Strafdrohung). — 2. D i e Theorie des psychischen ZwaDges (Abhaltung des Verbrechers durch das in Aussicht gestellte Strafubel). Weitaus der bedeutendste Vertreter dieser schon v o n Aristoteles angedeuteten, von Hobbes u. a vollständig entwickelten Ansicht, welche Jahrzehnte hindurch Wissenschaft und Gesetzgebung beherrschte, ist ^ä. Feuerbach (•{• 1833). Neben verschiedenen kleineren Schriften v g l . man : Anti-Hobbes 1798. Revision der Grundbegriffe 1799. Uber die Strafe als Sicherheitsmittel 1800. Lehrbuch 1801. Während Hobbes s a g t : Comparantes enim quod in crimine jueundum cum eo quod in poena molestum est (tamquam in bilancio ponderatio heifst es an anderer S t e l l e : „Balanciertheorie"), id quod sibi Optimum esse putant, necessario eligunt, •— soll nach Feuerbach der psychologische Z w a n g neben dem p h y s i s c h e n Z w a n g e dazu dienen, Rechtsverletzungen unmöglich zu machen. „ A l l e Übertretungen" — heifst es in § 13 des Lehrbuchs — „haben ihren psychologischen Entstehungsgrund in der Sinnlichkeit, insofern das Begehrungsvermogen des Menschen durch die Lust an oder aus der Handlung zur Begehung derselben angetrieben wird. Dieser sinnliche Antrieb kann dadurch aufgehoben werden, dafs jeder weifs, a u f s e i n e T h a t w e r d e u n a u s b l e i b l i c h e i n Ü b e l f o l g e n , w e l c h e s g r o f s e r i s t , als d i e U n l u s t , die aus dem n i c h t b e f r i e d i g t e n A n t r i e b z u r T h a t e n t s p r i n g t . " Damit aber diese Uberzeugung allgemein und fest begründet w e r d e , ist einerseits A n d r o h u n g , anderseits V o l l z i e h u n g der (verwirkten) Strafe erforderlich. § 1 4 : , , D i e z u s a m m e n s t i m m e n d e W i r k s a m k e i t d e r v o l l s t r e c k e n d e n und ges e t z g e b e n d e n M a c h t zu d e m Z w e c k e d e r A b s c h r e c k u n g bildet d e n p s y c h o l o g i s c h e n Z w a n g . " — Feuerbachs Ansicht teilt im wesentlichen der tonangebende italienische Kriminalist Romagnosi ( f 1835), während Schopenhauer ( f 1860) W e l t als W i l l e und Vorstellung 1 4 1 8 sie auf metaphysischer Grundlage wiederholt. Eine A b a r t der Feuerbachschen Theorie ist Bauers W a r n u n g s t h e o r i e , Archiv 1826 9 429 (Die Warnungstheorie 1830, A b -
§12.
Das Strafrecht als Interessenschutz.
53
V . In allen seinen Formen aber, trotz seiner Eigenart, ist das Strafrecht R e c h t , das heifst Interessenschutz. Nicht die Art der geschützten Interessen, die den verschiedensten Rechtsgebieten angehören können, sondern die Eigenart des Schutzes macht das Wesen des Strafrechts aus. Vermögens- und Familienrechte, Leben und Staatsgebiet, die Stellung des Staatsoberhauptes wie die politischen Rechte des Bürgers, die Interessen der Staatsverwaltung und die der Aktiengesellschaften, die Geschlechtsehre des Weibes und die Sicherheit des Verkehrs — alle Interessen ohne Ausnahme können des verstärkten Schutzes teilhaftig werden, welchen die Strafe verleiht. Zu allen Rechtsgebieten handlungen 1 1840), nach welcher sich die Strafdrohung nicht nur an die sinnliche, sondern auch an die s i t t l i c h e Natur des Menschen wendet (als „Warnungstafel"). — 3. Die Theorie der Generalprävention (Abschreckung aller durch den Strafvollzug). — 4. Die Theorie der Spezialprävention (Abschreckung des Verbrechers durch den Strafvollzug). — 5. Die für die Entwicklung des Gefängniswesens besonders wichtige und in ihrer Einseitigkeit geradezu verhängnisvolle Besserungstheorie (Besserung des Verbrechers durch den Strafvollzug). Unter den Anhängern sind zu nennen: Steher Kritik über Eggers Strafges.-Entwurf für Schleswig-Holstein 1812. Groos (Determinist) Der Skeptizismus in der Freiheitslehre 1830. Krause (f 1832) System der Rechtsphilosophie herausg. v. Roder 1874. Ahrens ( f 1874) Naturrecht oder Rechtsphilosophie 6. Aufl. 1870 2 453. Schleiermacher ( f 1834) Die christliche Sitte. Köder ( f 1879) in einer Reihe von Schriften, besonders: Zur Rechtsbegrundung der Besserungsstrafe 1846, Besserungsstrafe und Besserungsanstalten als Rechtsforderung 1864. Diese Theorie bezweckt die Verhütung künftiger Verbrechen durch B e s s e r u n g des Verbrechers bei V o l l s t r e c k u n g der Strafe; die erzielte Besserung ergibt das Mafs der Strafe. ') Den Standpunkt des Lehrbuchs teilen im wesentlichen (wobei die aufserdeutsche Litteratur aufser Betracht bleibt): Dankwart Psychologie und Kriminalrecht 1863. Dühring Kursus der Philosophie 1875. E. v. Hartmann Phänomenologie des sittlichen Bewufstseins 1879. Kröpelin Abschaffung des Strafmafses 1880. Mittelstadt Gegen die Freiheitsstrafe 1879, u n d z 2 419. Janka Notstand 1878, Strafrecht 1884 (2. Aufl. 1890), Die Grundlagen der Strafschuld 1885. Lammasch Das Moment objektiver Gefährlichkeit im Begriffe des Verbrechensversuches 1879. Derselbe Z 9 423 und GS 44 170. Jellinek Die sozial-ethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe 1878. Hertz Das Unrecht und die allg. Lehren des Strafrechts 1880. Hrehorowicz Grundfragen und Grundbegriffe des Strafrechts 2. Ausg. 1882. Willert Z 2 473. Seuffert Über einige Grundfragen des Strafrechts 1886. Derselbe Gutachten für den 21. deutschen Juristentag, 1 247. Medem Z 7 135. Sichart Z 10 401, 11 478. Derselbe Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafen 1892. Klippel Z 10 570. Lauterburg Die Eidesdelikte 1886. ICrohne 219. Wahlberg HG. 1 130. v. Holtzendorff HG. 1 134. Appelius Die bedingte Verurteilung 4. Aufl. 1891. Derselbe Z 12 I. Finger Begründung des Strafrechts vom deterministischen Standpunkte 1887 (vgl. auch Z 10 706). Thomsen Kriminalistische Bekämpfungsmethoden 1893. — Ebenso auch die unten § 13 Note 5 angeführten Anhänger der soziologischen Richtung. 6) Meinungsverschiedenheit besteht zwischen den in Note 4 Genannten aber teilweise noch darüber, ob wirklich, wie das Lehrbuch es verlangt, die Wirkung des Strafvollzuges auf den Verbrecher in erster Linie ins Auge zu fassen sei. Gegen mich insbesondere Janka und Lammasch, welch' letzerer die oben unter III I und 2 bezeichneten, von ihm „konstante" genannten Strafzvvecke im Gegensatze zu den „variablen" (oben III, 3) für die allein mit Sicherheit zu erreichenden hält.
§ 13.
54
Die Ursachen und die Arten der Kriminalität.
tritt das Strafrecht ergänzend und sichernd hinzu ( „ s e k u n d ä r e " , m e n t ä r e " , „ s a n k t i o n a t ä r e " Natur der Strafrechtssätze).
§ 13.
„komple-
Die Ursachen und die Arten der Kriminalität.
I. Die zielbewufste Verwertung der Strafe als einer Waffe der Rechtsordnung in ihrem Kampfe gegen das Verbrechen ist unmöglich ohne die wissenschaftliche Erforschung des Verbrechens in seiner thatsächlichen, äufseren E r s c h e i n u n g und in seinen inneren, aus den Thatsachen zu erschliefsenden Ursachen. Fur diese (kausale, naturwissenschaftliche) „Lehre vom Verbrechen" kann der in der romanischen wie in der englischen Wissenschaft bereits eingebürgerte Ausdruck Kriminologie verwertet werden. ') Man konnte versucht sein, innerhalb der Kriminologie als der Lehre vom Verbrechen weiter zu unterscheiden die Kriminal-B i o 1 o g i e (oder - A n t h r o p o l o g i e ) und die K r i m i n a l - S o z i o l o g i e . D i e e r s t e r e hätte das Verbrechen als Ereignis im Leben des E i n z e l m e n s c h e n zu schildern, den Hang zum Verbrechen (penchant au crime) in seiner individuellen Gestaltung und seinen individuellen Bedingungen zu untersuchen. Als Zweige der Kriminal-Biologie oder Kriminal-Anthropologie wurden sich dabei die Kriminal-Somatologie (Anatomie und Physiologie) und die Kriminal-Psychologie ergeben. Aufgabe der K r i m i n a l - S o z i o l o g i e dagegen wäre es, das Verbrechen zu schildern als Ereignis des g e s e l l s c h a f t l i c h e n Lebens, es zu untersuchen in seiner sozialen Gestaltung sowie in seiner sozialen Bedingtheit. Aber diese Unterscheidung ist nur unter einer doppelten Voraussetzung zulässig. 1. Man mufs sich darüber klar bleiben, dafs der G e g e n s t a n d der Untersuchung ein und derselbe und nur die M e t h o d e eine verschiedene ist• dort die systematische E i n z e l b e o b a c h t u n g , hier die systematische M a s s e n beobachtung (die Statistik). Denn das Verbrechen als sozialpathologische Erscheinung setzt sich zusammen aus einer Anzahl von e i n z e 1 n e n Verbrechen ; und j e d e s von diesen ist nur' ein Teil einer g e s e l l s c h a f t l i c h e n Erscheinung. 2. Man darf nicht vergessen, dafs nur die V e r b i n d u n g beider Methoden, sodafs die Ergebnisse der einen durch die der andern gegenseitig ') Es ist der Fehler der älteren, dem 18. Jahrhundert angehörenden Richtung der Kriminalpolitik (vgl. oben S. 29), dafs ihrem stolzen Gebäude der feste Unterbau mangelt. Dieser wurde aber erst möglich mit der naturwissenschaftlichen Erkenntnis des Menschen (Anthropologie im weitesten Sinne) einerseits, einer sicheren Methode (Statistik) fur die Gesellschaftswissenschaft anderseits. Jene ältere, rationalistische Richtung der Kriminalpolitik findet ihren Abschlufs in den Arbeiten von y. Bentkam -¡- 1832. Seine Lehre ist von seinem Freund und Schüler, dem Genfer Etienne Dumont, in ein System gebracht und dieses von Beneke ins Deutsche ubersetzt worden. Grundsätze der Zivil- und Strafgesetzgebung aus den Handschriften J. B.s. 2 Bde. 1830. Gesamtausgabe von Bowring 11 Bde. 1843. Seither ist sie, wenn auch stets von einzelnen weitergepflegt (so von Bérenger und Bonneville de Marsangy in Frankreich, von örsted in Dänemark, von Mittermaier und v. Holtzendorff in Deutschland), ebensosehr durch die Träumereien der philosophischen, wie durch die Selbstgenügsamkeit der geschichtlichen Rechtsschule in den Hintergrund gedrängt worden.
§13.
D i e Ursachen und die Arten der Kriminalität.
geprüft und ergänzt werden, zu richtiger Erkenntnis
des Verbrechens
55 fuhren
"kann. 2 ) -) Aus der Nichtberücksichtigung der im T e x t gemachten Erwägungen erk l ä r t sich die Spaltung der Kriminologie in z w e i einander geradezu feindlich gegenüberstehende Richtungen, die anthropologische einerseits, die soziologische anderseits. Aus der reichen Litteratur können hier nur einzelne bahnweisende Schriften hervorgehoben werden, i. D i e systematische Einzelbeobachtung beginnt mit der p s y c h o l o g i s c h e n Schilderung einzelner merkwürdiger V e r brechen. Hierher gehört der sog. alte Pitaval, 1734/43 Paris von Gayot de Pitaval (•{• 1743) herausgegeben, vielfach nachgeahmt; kürzlich (1885) v o n H. Blum in einem Auszuge bearbeitet. Unter den zahlreichen Arbeiten aus •den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts ist Feuerlachs Aktenmäfsige Darstellung merkwürdiger Verbrechen 1828 f. auch heute noch in vielen Beziehungen mustergültig. D e n Versuch einer systematischen Zusammenfassung der Ergebnisse machte Kraus D i e Psychologie des V e r b r e c h e n s 1884. A u c h die Arbeiten über G e f ä n g n i s w e s e n (unten § 6 1 ) enthalten viel Einschlagendes. — Mit der Geschichte des berufsmäfsigen Verbrechertums beschäftigt sich das grofse W e r k von Ave-Lallemant Das deutsche Gaunertum in seiner sozialpolitischen, litterarischen und linguistischen Ausbildung zu seinem heutigen Bestände 1858/62. Seine heutige Gestalt schildern u a. Valenlini Das V e r brechertum im preufsischen Staate 1869. Schräder D a s Verbrechertum in Hamburg 1879 Starcke Verbrecher und Verbrechen in Preufsen 1874 bis 1878, Byrnes 1884. D i e Verbrecherwelt von Berlin, 1886 (SA aus Z 4, 5, 6). Professional criminals of America (ohne Jahr, w o h l 1886, mit vortrefflichen Abbildungen). Laurent L e s habitués des prisons de Paris 1890. Guillot L e s prisons de P a r i s 1890 (über diese beiden Schriften v g l . Gautier Z 12 400). Sehr wertvoll die Verwaltungsberichte des Berliner Polizeipräsidiums ( 1 8 7 1 bis 1880, 1881 bis 1890) 1882, 1892. Populäre Darstellung bei Lindenberg D i e Berliner Polizei und das Verbrechertum 1892, sowie bei Klausmann und Weien Verbrechen und Verbrecher 1892. V o m praktischen Standpunkte: GroßHandbuch für Untersuchungsrichter 1893. — D i e A n a t o m i e und P h y s i o l o g i e des Verbrechers wurde insbesondere von medizinisch-naturwissenschaftlicher Seite eifrig gepflegt. V g l . die Litt.-Angaben über P s y c h i a t r i e und g e r i c h t l i c h e M e d i z i n (unten § 17 V I I I ) . Aus Untersuchungen über Verbrechergehirne und Morderschadel (Schwekendieck, M, Benedikt u. a ) entwickelt sich in Italien die von dem Mediziner C Lombroso begründete, von den Juristen F. •Ferri und R. Garofalo geführte „kriminal-anthropologische Schule". Hauptw e r k e dieser durch das Festhalten des anthropologischen Verbrechertypus scharf gekennzeichneten Richtung sind: Lombroso L'uomo delinquente 1. A u f l . 1876, 4. Aufl. 1889; übersetzt ins Deutsche von Frankel 1887 ff. Fem I nuovi orizzonti del diritto e della procedura penale 2. Aufl. 1884 ; 3. Aufl. italienisch und franzosisch unter dem T i t e l : Kriminal-Soziologie 1892. Garofalo Criminologia 2. Aufl. 1 8 9 1 ; franzosische Bearbeitung in 2. Aufl. 1891. Lombroso und Lascht II delitto politico e le rivoluzioni 1890 (deutsch von Kitrella 1891). Lombroso und Ferrero Das W e i b als Verbrecherin und Prostituierte. Deutsch von Kurella 1894. V o n deutschen Arbeiten zu nennen: Kurella Naturgeschichte des Verbrechers 1893 (einseitig im Sinne Lombrosos). Bär D e r V e r brecher in anthropologischer Beziehung 1893. Nücke Verbrechen und W a h n sinn beim W e i b e mit Ausblicken auf die Kriminalanthropologie überhaupt I. 1894 (Bar und Nacke gegen Lombroso. V g l . auch Nücke Z 14). — Zeitschriften dieser Richtung: A r c h i v i o dei psichiatria, antropologia criminale e scienze penali per servire allo studio dell' uomo alienato e delinquente, seit 1880 in Turin von Lombroso und seinen Freunden herausgegeben; Archives de l'anthropologie criminelle et des sciences pénales, seit 1886 in L y o n v o n Garraud und Lacassagne, seit 1892 von letzterem und von Tarde heraus-
56
§13.
Die Ursachen und die Arten der Kriminalität.
II. Die Betrachtung lehrt, dafs jedes einzelne Verbrechen durch das Zus a m m e n w i rk en z w e i e r G r u p p e n v o n B e d i n g u n g e n entsteht, d e r i n d i v i d u e l l e n E i g e n a r t des V e r b r e c h e r s e i n e r s e i t s , d e r d i e s e n u m g e b e n d e n ä u f s e r e n , g e s e 11 s c h a f 11 i c h en , i n s b e s o n d e r e w i r t schaftlichen Verhältnisse anderseits. Je nach dem Verhältnisse der beiden Gruppen zu einander ändert sich Erscheinung und Bedeutung des Verbrechens. Zwei Hauptarten treten scharf erkennbar auseinander. 1. D i e ä u f s e r e V e r a n l a s s u n g u b e r w i e g t . In augenblicklicher, leidenschaftlicher E r r e g u n g oder unter dem Einflufs druckender N o t l a g e wird der bisher unbescholtene Thäter zu dem Verbrechen hingerissen, das, seiner dauernden Eigenart fremd, eine vereinzelt bleibende, bitter bereute Episode in seinem Leben bildet (das, nicht sehr glucklich, sogenannte G e l e g e n h e i t s verbrechen; „ a k u t e Kriminalität"). 2. B e i g e r i n g f ü g i g e m a u f s e r e n A n l a f s erwächst das Verbrechen aus d e r d a u e r n d e n E i g e n a r t , der tiefgewurzelten Anlage des Verbrechers, dessen eigenstes Wesen es uns enthüllt. Brutale Roheit, fuhllose Grausamkeit, beschränkter Fanatismus, gedankenloser Leichtsinn, unüberwindliche Arbeitsscheu, geschlechtliche Lasterhaftigkeit fuhren durch zahlreiche Zwischenstufen zu zweifellosen psychopathischen Zuständen. Unmöglich ist es, diese Fälle unter dem Namen des GewohnheitsVerbrechens zusammenzufassen. Richtiger spricht man von Zustandsverbrechen ( „ c h r o n i s c h e Kriminalität"). Als eine besonders häufige und darum besonders gefahrliche Unterart erscheint das g e w e r b s mä fs i g e (berufsmäfsige, professionelle) Verbrechen, das weit über den Kreis der Vermögensdelikte hinausgreift. 3 ) gegeben, wissenschaftlich weit wertvoller als Lombrosos Archiv. Wichtig die Verhandlungen der internationalen kriminal-anthropologischen Kongresse zu Rom 1885, Paris 1889, Brüssel 1892 (dazu Rosenfeld Z 13 164.) — 2. Die Kriminalstatistik hat sich erst allmählich von der Justizstatistik losgelost. Begründer der Belgier Quitelet (f 1874); zunächst 1835 ' n seinem Buche Sur l'homme et le développement de ses facultés ou Essai de physique sociale, dann in einer Reihe vdh Schriften. — Hauptwerk fur Deutschland A. v. Ottingen Die Moralstatistik in ihrer Bedeutung fur eine Sozialethik I. Aufl. 1868,69, 3. Aufl. 1882. — Vgl. auch v. Otlingen Z 1 4 1 4 ; Ferri Z 2 1 1 ; Aschrott Z 5 3371 Beurle Z 8 3 2 5 ; Würzburger Z 8 7 2 3 ; Sichart Z 10 3 6 ; Bennecke Z 10 3 2 1 ; Damme Z 12 657; Kobner Z 13 6 1 5 ; Mischler HG 1 56, 2 473; joly L a France criminelle 1889. — Wertvolles, noch wenig verarbeitetes Material enthalten die amtlichen statistischen Veröffentlichungen, in Frankreich ununterbrochen seit 1827 (fur 1825) erscheinend. Wichtig insbesondere die seit 1870 herausgegebene Statistik der zum Ressort des preufs. Ministeriums des Innern gehörenden Straf- und Gefangenanstalten, sowie die seit 1883 (fur die Jahre 1882 ff.) erscheinende mustergültig gearbeitete Reichskriminalstatistik. 3 ) Die Klarlegung der Verbrechensarten nach ihren Ursachen ist eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben der Kriminologie. Die Unterscheidung der Gelegenheits- und Gewohnheitsverbrecher (bahnbrechend Waklberg in zahlreichen Schriften) ist unzureichend. Die Einteilungen der Italiener haben wenig gefordert. Wertvoll Olrik Z 14 76 (Auszug aus einer grofseren dänischen Arbeit). Die im Text vertretene Ansicht habe ich in meinem Gutachten an den Brüsseler Kriminal-Anthropologen-Kongrefs 1892 ausgeführt.
§13-
Die Ursachen und die Arten der Kriminalität.
57
III. Schon aus dem Gesagten erhellt, dafs jede r e i n b i o l o g i s c h e Auffassung des Verbrechens, d. h. seine ausschliefsliche Ableitung aus der körperlichen und geistigen Eigenart des Verbrechers, verfehlt ist. Und daraus folgt mit zwingender Notwendigkeit die, auch aus anderen Gründen sich ergebende, Unmöglichkeit eines e i n h e i t l i c h e n anthropologischen V e r brechertypus. Soweit es sich nur um das Zustandsverbrecheu handelt, bei dem die äufsere Veranlassung völlig zurucktritt, wäre ein solcher von dem normalen abweichender Typus nicht undenkbar. Aber die strenge wissenschaftliche Forschung hat bisher bei den Zustandsverbrechern zwar zahlreiche A t y p i e e n (Abweichungen vom normalen Typus), insbesondere bei erblich Belasteten, aber keinen Typus des Zustandsverbrechers ergeben. Damit fällt die Lehre L o m b r o s o s und seiner Anhänger in sich zusammen. 4 ) IV. Der Einflufs der gesellschaftlichen Faktoren tritt aber erst durch die Erwägung in das rechte Licht, dafs die im Augenblicke der That vorhandene Eigenart des Verbrechers aus der angebornen Anlage weiter entwickelt und bestimmt worden ist durch die ihn von der Geburt an umgebenden äufseren Verhaltnisse. Mit dieser Erkenntnis eröffnet sich die Möglichkeit einer, wenn auch beschränkten, E i n w i r k u n g auf die in dem heranwachsenden Menschen etwa schlummernden verbrecherischen Neigungen (durch sittliche, geistige und insbesondere auch körperliche Erziehung). Aber viel mehr noch: gerade die mafslos, in Dichtung wie Wissenschaft, uberspannte Lehre von der erblichen Belastung, von den Sunden der Väter, die an den Kindern heimgesucht werden, — erschliefst uns den Blick in eine bessere Zukunft. Wenn Eltern, deren Lebens- und Zeugungskraft durch die s i e umgebenden gesellschaftlichen Verhältnisse erschöpft ist, ihren Kindern die „psychopathische Minderwertigkeit", die geschwächte Widerstandskraft im Kampf ums Dasein, als fluchbringendes Erbteil hinterlassen, dann dürfen wir die wissenschaftlich begründete Uberzeugung hegen, dafs alle unsere sozialpolitischen Mafsregeln in verstärkter Kraft d e n N a c h k o m m e n zu gute kommen werden. Ungleich grofsartiger und ungleich sicherer als die Strafe und jede ihr verwandte Mafsregel wirkt die Sozialpolitik als Mittel zur Bekämpfung des Verbrechens, das, wie Selbstmord, Kindersterblichkeit und alle übrigen sozialpathologischen Erscheinungen, in den die aufeinanderfolgenden Geschlechter bestimmenden gesellschaftlichen Verhältnissen der Gegenwart wie der Vergangenheit seine tiefste Wurzel hat. 6 )
*) Meine Stellung zu Lombroso habe ich schon Z 9 462 bestimmt gekennzeichnet. Die neueren Arbeiten haben die Richtigkeit meiner Auffassung durchweg bestätigt. Vgl. statt aller andern das oben Note I angeführte Buch von Bär. Auf dem Brüsseler Kongresse 1892 hat der „Verbrechertypus" keinen einzigen Vertreter mehr gefunden. 6 ) Diese „soziologische" Auffassung des Verbrechens hat sich im Gegensatze zu rein „biologischen" allmählich, besonders im Auslande, zur Geltung gebracht. Die grofse Masse der deutschen Schriftsteller steht ihr noch heute verständnislos gegenüber und vermag (wie die zu § 15 erwähnten Arbeiten von Merkel und Mittelstadt beweisen) nicht einmal den grundsätzlichen und weittragenden Gegensatz der beiden Richtungen zu erfassen. Vgl. jV. Colajanni
§14. § 14.
Die Forderungen der Kriminalpolitik.
Die Forderungen
der
Kriminalpolitik.
Litteratur. Die Mitteilungen der IKV. 1889. Bisher 4 Bände. Verhandlungen der norwegischen Gruppe der I K V . 1892/93. Im übrigen sei auch hier ausdrucklich auf die in dem Generalregister der Z verzeichnete uberreiche Litteratur verwiesen. — Dazu Friedmann Zur Reform des osterr. Strafrechts 1891. Thomstn Kriminalpolitische Bekämpfungsmethoden 1893. I. Während der Sozialpolitik die Beseitigung oder doch die Beschränkung der gesellschaftlichen Bedingungen des Verbrechens zufällt, hat es die Kriminalpolitik mit d e m e i n z e l n e n V e r b r e c h e r zu thun. Sie verlangt im allgemeinen, d a f s d i e S t r a f e à l s Z w e c k s t r a f e (oben § 1 2 ) s i c h i n A r t u n d M a f s n a c h d e r E i g e n a r t d e s V e r b r e c h e r s r i c h t e , den sie durch Zufugung eines Übels (durch einen Eingriff in seine Rechtsguter, in Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen) von der künftigen Begehung weiterer Verbrechen abhalten will. In dieser Forderung liegt einerseits der sichere Mafsstab für die kritische Wurdigung des geltenden Rechts, anderseits der Ausgangspunkt fur die Entwicklung des Programms einer Gesetzgebung der Zukunft. II- Es ist begreiflich, dafs die kritische Betrachtung des geltenden Rechts zunächst v e r n e i n e n d e Gestalt annahm. Den Beginn der Reformbewegung kennzeichnet der Kampf gegen die, unsere heutige Strafrechtspflege völlig beherrschende, k u r z z e i t i g e F r e i h e i t s s t r a f e , welche in ihrer heutigen Anwendungsweise weder bessert, noch abschreckt, noch unschädlich macht, dafür aber vielfach den Neuling dauernd in die Bahn des Verbrechens weist. Daraus ergibt sich die Forderung, dafs der Gesetzgeber die kurzzeitige Freiheitsstrafe möglichst durch andre geeignete Mafsregeln (Zwangsarbeit ohne Einsperrung, Ehrenhauptstrafen, Wirtshausverbot, Hausarrest, Prügelstrafe) ersetzen oder durch Verschärfungen ihr die abschreckende Kraft zurückgehen solle. ') Socialismo e sociologia criminale 1884 ff. Prins Criminalité et répression 1886. Derselbe Criminalité et l'Etat social 1890. v. Liszt Kriminalpolitische Aufgaben (Z 9 452, 737, 10 51, 12 161). Frank Naturrecht, geschichtliches Recht und soziales Recht 1891. Tallak Penological and preventive principles 1889. IV. D. Morrison Crime and its causes 1891. Tarde Criminalité comparée 1886. Joly La France criminelle 1889. Derselbe Le combat contre le crime (s. a.) Hymans L a lutte contre le crime 1892. Garraud Le problème de la criminalité 1889. Krohne 204. Fuhr Strafrechtspflege und Sozialpolitik 1892. Auch Bar, Gauckler, Zürcher, Foinitzki, Drill u. a. gehören dieser Richtung an. — Von dieser Grundauffassung wird auch die 1889 von v. Liszt, Prins und van Hantel begründete „Internationale kriminalistische Vereinigung" geleitet. Vgl. Z 9 363 und die seit 1889 erscheinenden „Mitteilungen" der Vereinigung. *) Insbesondere : Rosenfeld Welche Strafmittel können an Stelle der kurzzeitigen Freiheitsstrafe gesetzt werden? (Abhandlungen des Kriminalistischen Seminars II 1889.) Verhandlungen des 21. deutschen Juristentags. — Uber die P r ü g e l s t r a f e vgl. Mittelstadt Gegen die Freiheitsstrafe 82. v. Schwarze Für die Freiheitsstrafe 42. Sontag Z 1 501. Lucas GA. 3 2 143. Bennecke Z 7 212. Illing Blätter fur Gefängniskunde 15 93. v. Liszt Z 3 40. IIG. 1 296, 312, 323, 332, 360. — Sie ist als peinliche Strafe in den deutschen Staaten teils vor, teils nach 1848 beseitigt worden, findet sich aber noch als Disziplinarstrafmittel in den Strafanstalten von Preufsen, Sachsen, Hamburg, Lübeck.
§ 14.
Die Forderungen der Kriminalpolitik.
59
Aber auch eine Reihe positiver Vorschläge hat allmählich greifbare Gestalt angenommen. 2 ) Nur die wichtigsten können hier kurze Erwähnung finden. I. In besonders berucksichtigungswerten Fällen soll dem Gelegenheitsverbrecher die Möglichkeit geboten werden, durch einwandfreies Verhalten den Vollzug der erkannten Strafe abzuwenden. Das ist die sog. b e d i n g t e V e r u r t e i l u n g mit oder ohne Friedensbürgschaft, die sich nicht nur im englischamerikanischen Recht seit längerer Zeit findet, sondern auch in Belgien, Frankreich, Neuenburg, Genf eingeführt, in andern Ländern in Aussicht genommen ist. 3 ) 2. Bei j u g e n d l i c h e n V e r b r e c h e r n ist solange als möglich die Freiheitsstrafe durch erziehende Mafsregeln zu ersetzen. Daher die Einzelforderungen : Hinaufrucken der Strafmiindigkeit auf das vollendete 14. Lebensjahr, Beseitigung des discernement (unten § 37 I), reichsrechtliche Regelung der staatlich überwachten Erziehung, Ausdehnung dieser auch auf die Fälle sittlicher Verwahrlosung. 4 ) 3. Gesetzgebung und Rechtsprechung haben mehr als bisher dem M o t i v e des Verbrechens Rechnung zu tragen. Dem „Gelegenheitsverbrecher" gegenüber genügt es, wenn die Hemmungsvorstellung der staatlichen Gebote und Verbote dem Bewufstsein zu lebendiger Erinnerung gebracht wird (Abs c h r e c k u n g ) . Die unbedingte Androhung der Todesstrafe bei Mord ist völlig verkehrt. Erweiterte Anwendung der G e l d strafe verspricht gerade hier Erfolg, wenn sie den Vermogensverhaltnissen des Verurteilten angepafst und Umwandlung in Freiheitsstrafe möglichst ausgeschlossen ist. 6 ) 4. Sobald durch die That des Verbrechers ein festgewurzelter verbrecherischer Hang bekundet wird (,,Zustandsverbrechen"), bedarf es der Sicherung der Rechtsordnung durch U n s c h ä d l i c h m a c h u n g des Verbrechers. Diese Aufgabe hat die Strafe dem geistesgesunden, wie die Irrenanstalt dem geisteskranken Verbrecher gegenüber zu erfüllen. Besondere Schwierigkeit bieten die zahlreichen Ubergangszustände. Man mag hier immerhin von „verminderter Zurechnungsfahigkeit" sprechen und gemilderte Strafe eintreten lassen; die Hauptsache bleibt, die entlassenen Verbrecher in einer besonderen 2 ) Vgl. dazu die beachtenswerten Ausfuhrungen von v. Bar in der N a t i o n 1893. 3 ) Litteratur und Gesetzgebung s. Generalregister S. 135. Eine die Bewegung der letzten Jahre zusammenfassende Darstellung fehlt. — Über die F r i e d e n s b u r g s c h a f t vgl. ScAierhnger Die Friedensburgschaft 1877. v. Holtzendorff HG. 1 404. v. Jagemann HG. 2 124. Pfenninger Strafrecht der Schweiz 1890, insbes. S. 828. Fuhr Strafrechtspflege und Sozialpolitik 1892 (wiederholt). 4 ) Vgl. insbes. Appelms Die Behandlung jugendlicher Verbrecher und verwahrloster Kinder 1892. Verhandlungen der deutschen Landesgruppe der IKV. 1893 in Z 13 741. Münsterberg WV. 2 1003. Muskat Archiv für öffentliches Recht 8 315. Dazu Lenz Die Zwangserziehung in England 1894. 6 ) Die heutige deutsche Wissenschaft schenkt dem Motive keine Beachtung. Vgl. dagegen Gram Om motivets betydning i strafferetlig henseende 1889. Beachtenswert das italienische StGB, und der schweizerische Entwurf. — Über die Geldstrafe vgl. die 3. Hauptversammlung der Intern, krim. Vereinigung 1891. Mitteilungen 3 236. Verhandlungen des 22. deutschen Juristentages 1893.
6o
§14.
Die Forderungen der Kriminalpolitik.
Anstalt oder Anstaltsabteilung für die Rechtsordnung unschädlich zu machen.6) Der eingewurzelte verbrecherische Hang braucht sich nicht in wiederholtem Ruckfall, er kann sich bereits in dem ersten zur Aburteilung kommenden Verbrechen unverkennbaren Ausdruck geben. 7) 5. Wird durch die That ein noch nicht festgewurzelter, sondern noch in der Entwicklung begriffener Hang zum Verbrechen bekundet („angehender Zustandsverbrecher"), so soll durch eine andauernde und eindringliche Strafe die Umgestaltung der verbrecherischen Anlage versucht werden (bürgerliche, nicht notwendig sittliche B e s s e r u n g ) . 6 ) Besonders bei noch jugendlichen ge6 ) Vgl- Sander und Richter Die Beziehungen zwischen Geistesstörung und Verbrechen 1886. Moeli Uber irre Verbrecher 1888. Durch psychiatrische Streitfragen (z. B. über den Begriff des „moralischen Irreseins") darf der notwendige Schutz der Rechtsordnung nicht verkümmert werden. — T r i n k e r sind in besonderen Anstalten zu heilen oder unschädlich zu machen. — Bahnbrechend der Schweizer StGEntwurf. ') Es ist daher zu eng, wenn man die Unschädlichmachung „wiederholt Rückfälliger" oder auch „unverbesserlicher Gewohnheitsverbrecher" verlangt. — Vgl. über den Ruckfall v. Münchhausen Rückfall 1870. Friedländer Der Ruckfall im gem. deutschen Recht I. Die Entwicklung der Lehre mit Einschlufs der Karolina 1872. Olshausen Einflufs von Vorbestrafungen 1876. v. Lilienthal Kollektivdelikte 1879. Sichart Z 10 40. Sacker Der Ruckfall. Abhdlgn. des Kriminalistischen Seminars zu Halle III 1. 1892. Joly Combat contre le crime 336. André La récidive. Théorie d'ensemble et commentaire détaillé des lois préventives ou répressives de la récidive 1892. Über das französische Gesetz vom 26. Marz 1891 vgl. Fetisch Z 12 356. — Zur Feststellung der Ruckfalligkeit dienen die S t r a f r e g i s t e r (casiers judiciaires); vgl. über sie die lehrreiche Abhandlung von //. Seuffert in WV. 2 565. Wichtig ist die Feststellung der Persönlichkeit durch genaue Korpermessungen ( S y s t e m B er tili on). Vgl. Bertillon Das anthropometrische Signalement 1890. Schweizer Zeitschrift 4 88. — Als Mittel der Unschädlichmachung kommt neben der Todesstrafe, deren unbedingt sichernder Wirkung mancherlei Nachteile gegenüberstehen (Litteratur unten zu § 60), und der lebenslangen Freiheitsstrafe insbesondere die D e p o r t a t i o n in Betracht. Vgl. die Litteraturangaben bei v. Holtzendorff HG. 1 427. Dazu v. Jagemann HG. 1 372 Note 5, Fuchs HG. 2 372. Stohel Brandenburg-Preufsens Rechtsverwaltung 2 346, 3 5 1 . Krohne 267. Joly Combat contre le crime 359. Hauptwerk (aber teilweise veraltet) : v. Holtzendorff Die Deportation als Strafmittel in alter und neuer Zeit 1859. — Verschieden von der Deportation ist die Unterstützung der f r e i w i l l i g e n A u s w a n d e r u n g entlassener und gebesserter Sträflinge. — Als Sicherungsmittel nach verbufster Strafe dient die P o l i z e i a u f s i c h t , die aber in ihrer heutigen Gestalt wenig genützt und viel geschadet hat und nur in Verbindung mit einer geregelten Schutzfürsorge wohlthätige Wirkung zu entfalten vermag. Vgl. über sie insbesondere Fuhr Strafrechtspflege und Sozialpolitik. Ein Beitrag zur Reform der Strafgesetzgebung auf Grund rechtsvergleichender und statistischer Erhebungen über die Polizeiaufsicht 81892. ) Der bürgerlichen Besserung durch Erziehung zur Arbeit soll das A r b e i t s h a u s dienen, das aber nur dann seiner Aufgabe genügen kann, wenn die Aufnahme auf besserungsfähige Elemente beschränkt wird. Vgl. Wintzingeroda-Knorr Die deutschen Arbeitshäuser. Ein Beitrag zur Losung der Vagabundenfrage. 1885. Sichart HG. 2 265, 519. v. Jagemann HG. 2 128. v. Hippel Die korrektionelle Nachhaft 1889. Krohne Z i 81 (Lehrbuch 240). Sontag Z 3 505. v. Liszt Z 3 39. Bennecke Z 10 3 2 1 . Mùnsterberg WV.
§ 14.
D i e Forderungen der Kriminalpolitik.
ßi
werbsmäfsigen Verbrechern ist der E r f o l g einer solchen E i n w i r k u n g nicht ausgeschlossen. 6. züge
Feste organische Verbindung der Strafrechtspflege mit dem Strafvoll-
ist unerläfsliche
Voraussetzung
des Erfolges.
Über
die Durchführung
dieses Gedankens gehen die Ansichten noch w e i t auseinander. teidigt und ebenso bestritten teil keine Höchstdes
bestimmte
und
des
unbestimmte
Nordamerikas
Harnet)
(Elmira
Einrichtung
Urteile vorbehalten,
und
Die an
Auch
unbestimmte Strafurteil zur Anwendung einstimmung
erzielt.
stellt, dafs, wie Freiheitsstrafe
Dagegen
der gesamte
in
vorgezeichneter,
andern
Entscheidung wollen.
den
Dienst
genauerer
bemessen
insoweit
Ur-
diese, etwa innerhalb
Orten)
solle
einem
(sog.
vereinigten
bereits
voneinander
eines
Feststellung
werden
Anhänger dieser in den
die andern (v. Lissl)
ubertragen
L e b h a f t ver-
dafs das richterliche
nachheriger
endgültig
weichen
die endgültige
vollzugsamt)
sondern
auf Grund
Verbrechers
Strafurteile.)9)
durchgeführten (van
die Forderung,
Strafe auswerfen,
Mindestmafses,
Charakters
Staaten
wird
mit
Erfolg
ab, als die
späteren
einen
strafrichterlichen
einer besonderen Behörde ( S t r a f über die Fälle,
gelangen
w i r d heute w o h l
in
welchen
das
soll, ist noch keine Ubernicht mehr in Abrede
ge-
Strafvollzug, so insbesondere der Vollzug
der
bestimmter,
kriminalpolitischer
Zwecke
durch Gesetz
und
Richterspruch
gestellt werden mufs, dafs also
die Loslosung des gesamten Gefängniswesens v o n der Strafgesetzgebung (unten § 6 1 ) ein verhängnisvoller Fehler gewesen ist. 7.
D i e zielbewufste Bekämpfung des Verbrechens setzt endlich eine b e -
rufsmä fsige Ausbi ldung
aller an der Strafrechtspflege beteiligten
sonen insbesondere nach der Richtung voraus, dafs diese mit dem
Per-
gesamten
L e b e n und Treiben der Verbrecherwelt nach allen Richtungen hin vollständig vertraut gemacht w e r d e n . 1 0 ) III.
Kur
die folgerichtige Durchfuhrung
der Zweckstrafe ergeben
aus dem Zweckgcdanken selbst und unmittelbar mehrere wichtige
sich
Einschrän-
kungen. ") I.
D e m allgemeinen Interesse darf die F r e i h e i t d e s e i n z e l n e n
schutzlos preisgegeben werden.
nicht
Mag auch immerhin die Grenze dieses Schutzes
j e nach den verschiedenen Ansichten über die Aufgaben von Staat
und Recht
zu verschiedenen Zeiten verschieden gezogen werden, so rechtfertigt sich doch im Rechtsstaate die Verhdngung
des Strafübels nur dann, wenn der
Thäter
seine feindliche Gesinnung durch eine bestimmte, gesetzlich genau umschriebene, T h a t bewiesen hat (vgl. unten § 15 Note 4). 1 842. D i e Verhandlungen der Internat, kriminalist. Vereinigung, deutsche Landesgruppe 1893 (Z 13 7 4 1 ) und 1894. 9 ) „Indeterminate sentences." V g l . besonders die 4. Hauptversammlung der Internat, krimin. Vereinigung 1893. Mitteilungen I V . H i e r weitere Nachweise. D a z u Fuhr Strafrechtspflege und Sozialpolitik 1892. Stemau Gegen die Abschaffung des Strafmafses Z 13 17. V g l . dazu insbesondere Grofs Z 14 I. " ) V g l . dazu v. Liszt Z 13 325. Über den S a t z : Nullum crimen lege vgl. § 16 I. 10 )
sine
02
§ IS-
Rechtfertigung der Zweckstrafe den Gegnern gegenüber.
2. Die Gesetzgebung hat mit dem im Volke lebenden Rechtsanschauungen, den „überlieferten Werturteilen" (Merkel), als einem mächtigen und wertvollen Faktor zu rechnen. Sie mufs sich hüten, plötzlich mit ihnen zu brechen; sie darf aber auch nicht vergessen, dafs sie die Rechtsanschauung des Volkes vorsichtig zu leiten und allmählich zu erziehen im stände und berufen ist. 3. Uber der Wirkung der Strafe auf den Verbrecher dürfen ihre Wirkungen auf die Gesamtheit (siehe oben S. 51] nicht aus den Augen verloren werden. Übertreibung des Besserungsgedankens wird dem Rechtsbewufstsein der Gesamtbevolkerung und damit der Lebenskraft des Staates ebenso verhängnisvoll werden, wie rücksichtslose Härte dem Gelegenheitsverbrecher oder rohe Grausamkeit dem Unverbesserlichen gegenüber. Der Zweckgedanke begrenzt und schützt sich selbst. Das Mittel über den Zweck zu stellen wird niemals als zweckmäfsig erscheinen. 4. Aber auch die Erkenntnis, dafs das Verbrechen in den gesellschaftlichen Verhältnissen seine tiefste Wurzel hat, wird vor Übertreibungen des Zweckgedankens schützen. Die Uberzeugung von der „Kollektivschuld der Gesellschaft" (A. v. Öttingen) wird die strafende Thätigkeit des Staates zügeln. Der Vergehung des Verbrechens vorzubeugen wird wichtiger und wertvoller erscheinen, für den einzelnen wie für die Gesamtheit, als die Bestrafung der begangenen That.
^ 15.
Rechtfertigung der Zweckstrafe den Gegnern gegenüber.
Litteratur. Uber die älteren Strafrechtstheorieen vgl. die zu §§ 7 und 9 angeführten Schriften. Aus der umfangreichen deutschen Litteratur der letzten Jahre sind zu nennen: Kokler Das Wesen der Strafe 1888. Lonmg Uber die Begründung des Strafrechts 1889 Merkel Vergeltungsidee und Zweckgedanke im Strafrecht 1892. Mittelstadt Schuld und Strafe GS 46, 237, 387, 47, 1. Gegen beide v. Liszt Die deterministischen Gegner der Zweckstrafe Z 13 325. Pfenniger Grenzbestimmungen der kriminalistischen Imputationslehre 1892. Herold Bemerkungen über das Prinzip der Zweckstrafe Z 12 573* Sternau Eine Strafrechtstheorie 1893. Seeger Die Strafrechtstheor ie Kants und seiner Nachfolger im Verhältnis zu den allgemeinen Grundsätzen der kritischen Philosophie 1892. I. Die Rechtfertigung der Zweckstrafe liegt in ihrer N o t w e n d i g k e i t für die A u f r e c h t h a l t u n g der R e c h t s o r d n u n g und d a m i t des S t a a t e s . 1 ) Eine weitere Rechtfertigung ist ü b e r f l u s s i g , solange die Daseinsberechtigung des Staates nur von der anarchistischen Theorie angefochten wird. Eine weitere Rechtfertigung ist v e r f e h l t , sobald sie über die Grenzen des wissenschaftlichen Erkennens hinausfuhrt. 2 ) Sie ist n u t z l o s , Es ist eine Verkennung des wahren Sachverhaltes, wenn man, wie das ganz regelmäfsig geschieht, Notwendigkeits- und Zweckmäfsigkeits-Theorieen einander gegenüberstellt. Auch die Zweckstrafe ist stets auf ihre Notwendigkeit, und niemals nur auf ihre Zweckmäfsigkeit, gestutzt worden. 2 ) Unbedingt abzulehnen daher: I. Die Zuruckfuhrung der Strafe auf g o t t l i c h e n B e f e h l . So Protagoras., S. von Cocceji (siehe oben S. 29); von
§15.
Rechtfertigung der Zweckstrafe den Gegnern gegenüber.
solange sie sicli damit begnügt, die Strafe auf einen andern Rechtsbegriff, der ja doch wieder vom Staatsbegriff abhängig ist, zuruckzufuhren®) oder aber sie geschichtlich oder psychologisch zu erklären. 4 ) II. Die Zweckstrafe ist mit der Annahme einer dem Kausalgesetze entrückten Willensfreiheit durchaus vereinbar, aber von der Richtigkeit dieser Annahme völlig unabhängig. 5 ) Sie setzt nicht mehr voraus, als dafs der von den Neueren Jarcke (-J- 1852), Handbuch des gem. deutschen Strafrechts 1 1827. Bekker Theorie des heutigen deutschen Strafrechts 1 1859. Stahl (•}- 1861) Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht 1830 bis 1837. — Das gilt auch von der pantheistischen Einkleidung des Gedankens bei Plato (im Gorgias), Leibniz (-{- 1716 in seiner Theodicee), neuerdings bei Kohler Wesen der Strafe 1888; oder von der angeblich naturwissenschaftlichen Ableitung aus einem tellurisch-kosmischen Gesetz (Post in den zu § 2 angeführten Schriften, z. B. Grundzuge 1 176). — 2. Jede m e t a p h y s i s c h e d. h. über die Erfahrung hinübergreifende, Ableitung. Das gilt von Kants kategorischem Imperativ (oben S. 39) wie von Hegels absolutem Begriff (oben S. 39 Note 4). 3 ) Nutzlos also: 1. Die N o t w e h r - oder V e r t e i d i g u n g s t h e o r i e , soweit sie mehr zu bieten vermeint als die im Texte vertretene Begründung. Durch Servin u. a. mit der naturrechtlichen Schule zusammenhängend, hat diese Ansicht besonders bei den italienischen Schriftstellern als „teoria della tutela giuridica" (wohlgemerkt: nicht „tutela s o c i a l e " ) bedeutende und zahlreiche Anhänger (Rossi, Carmignani, Rotnagnosi, Carrara, Lucchini u. a.) gefunden. Auch einzelne Franzosen (so Franck) und wenige Deutsche huldigen ihr. Von den letzteren wären zu erwähnen Schuhe Leitfaden der Entwicklung der philosophischen Prinzipien des burgerl. und peinl. Rechts 1813, und Martin (-¡- 1857) Lehrbuch des Kriminalrechts 1825. — 2. Die Ableitung aus einem mit dem Verbrecher geschlossenen V e r t r a g e , also aus dem eigensten Willen des Verbrechers. So schon Aristoteles (Eth. Nicom. 2 3 § I ; 10 9 §§ 3, 8, 9); später zahlreiche Vertreter des Naturrechts und der Aufkläruijjg, von Grotius bis auf Rousseau, von Beccarta bis auf Fichte (-J- 1814); in neuerer Zeit (aufser Schopenhauer) Laistner Das Recht in der Strafe 1872. — 3. Die V e r g ü t u n g s o d e r W i e d e r h e r s t e 11 u n g s t h e o r i e Welckers (•}- 1869), Die letzten Grunde von Recht, Staat und Strafe 1813, Encyklopädie 1829. Sie sieht (wie früher v. Cocceji) den Zweck der Strafe in d e r W i e d e r a u f h e b u n g des durch das Verbrechen verursachten i n t e l l e k t u e l l e n S c h a d e n s (sowie der zivilrechtliche Ersatz die Beseitigung des bewirkten m a t e r i e l l e n Schadens bezweckt) und ihren Rechtsgrund in der Verpflichtung jedes Rechtsgenossen, die von ihm bewirkte Rechtsverletzung wiedergutzumachen. Ähnlich Hepps (-¡- 1851) „Theorie der bürgerlichen Gerechtigkeit", Kritische Darstellung der Strafrechtstheorieen 1829, 2. Aufl. 1843/5. In v. Wächters (Beilage 17) und Rindings Ansichten ist der Einflufs Welckers unverkennbar. Auch nach Lonmg ist die Strafe „Wiederherstellung des rechtlichen Gleichgewichts im gesellschaftlichen Körper". Und auch Herold Z 12 573 vertritt den gleichen Grundgedanken. 4 ) Die Zuruckführung der Strafe auf den R a c h e t r i e b als eine Aufserung des S e l b s t e r h a l t u n g s t r i e b e s (oben § 2) kann, mag sie den einzelnen Menschen, mag sie die Entwicklung der Menschheit im Auge haben, stets nur erklären, niemals rechtfertigen. 6 ) Es ist daher methodisch verfehlt, wenn v. Ihering Zweck im Recht I 3, Rütnelm Reden und Aufsätze 1881, Hdlschner, Rinding Nonnen 2 3, v. Holtzendorff, Lammasch GS. 4 4 152, v. Meyer Die Willensfreiheit im Strafrecht 1890, Lonmg, Kohler, Berner, v. Buri zuletzt GS. 4 8 369, Birkmeyer Ursachenbegriff Note 10 bis 12 (gegen ihn Janka Z 9 502) Zitelmann Irrtum
§ 15.
Rechtfertigung der Zweckstrafe den Gegnern gegenüber.
der Strafe Betroffene das in ihr gelegene Übel wie alle andern Menschen emp f i n d e n und dafs er, wie alle andern, sich die V o r s t e l l u n g e n aneigne» kann, welche durch Androhung und Vollzug der Strafe gegeben werden sollen. Voraussetzung der strafrechtlichen Schuld, als der thatsächlich eintretenden Verantwortlichkeit für den Erfolg, ist lediglich die j e d e m g e i s t i g r e i f e n u n d g e i s t i g g e s u n d e n M e n s c h e n zweifellos eigene B e s t i m m b a r k e i t d e s W i l l e n s d u r c h V o r s t e l l u n g e n ü b e r h a u p t , d u r c h d i e unser gesamtes Verhalten regelnden a l l g e m e i n e n V o r s t e l l u n g e n d e r R e l i g i o n , der S i t t l i c h k e i t , des R e c h t s , d e r K l u g h e i t i n s b e s o n d e r e . Aber wenn auch der philosophische Streit um eine jenseit der Erfahrung liegende „Freiheit der Wahl" die Grundlagen des Strafrechts ebensowenig wie und Rechtsgeschäft 153, Wundt Essays 1885 S. 105, Proal Le crime et la peine 1892, Restano L a negazione del libero arbitrio e la responsabilità penale 1 1892; Krohrte 205, Pfenninger {der, bequem genug, die Freiheit der Wahl für eine dem Beweise nicht unterstellte „Prämisse" erklärt), Kuhlenbeck Der Schuldbegriff als Einheit von Wille und Vorstellung 1892, Ortloff Z 14 u. a. das Strafrecht aufbauen wollen auf dem transzendenten Freiheitsbegriff, mithin auf dem schwankenden Grunde metaphysischer Spekulation. Das Strafrecht hat es, wie jede Wissenschaft, nur mit dem empirischen Menschen zu thun, und dieser ist unbedingt u n f r e i , bestimmt (determiniert) durch Vorstellungen (Motive), mithin dem Kausalgesetze unterworfen. Für diese (von Augustin, Calvin, Luther u. a. vertretene) Ansicht neuerdings Merkel 72, Derselbe Z 1 553, Derselbe Vergeltungsidee und Zweckgedanke, Mittelstddt GS. 46 387, Hertz Unrecht 1 119, Haupt Z 2 533, yanka 4, Jelltnek Sozial-ethische Bedeutung von Recht, Unrecht, Strafe 64, Kröpelin Abschaffung des Strafmafses 1, Ilrehorowics Grundbegriffe 17, Bünger Z 7 80, 8 576 (sehr beachtenswert), Tuhr Notstand 4 Note 2, van Houten Das Kausalitätsgesetz in der Sozialwissenschaft 1888, Wallascheg Studien zur Rechtsphilosophie 1889 S. 192, Moriaud Délit nécessaire 1889 S. 150, Appelius Die bedingte Verurteilung 1890 S. 72, Glaser Zurechnungsfähigkeit, Willensfreiheit, Gewissen und Strafe 2. Auflage 1888, Finger Zur Begründung des Strafrechts vom deterministischen Standpunkte 1887, Klippel Z 10 534, Zürcher in der Zeitschrift für Schweizer Strafrecht 5 I, Diefenbach Die Willensfreiheit und die deutsche Rechtswissenschaft, insbesondere die Strafrechtslehre 1889, Kurt Willensfreiheit 1890, Delman Die Wissenschaft und das Strafrecht 1892, Vogt Die Unfreiheit des Willens (der Determinismus) und die Frage der Verantwortlichkeit für unsere Handlungen 1892, Forel Hauptreferat für die Versammlung der Schweizer Schutzaufsichtsvereine 1891, Lotmar Vom Rechte, das mit uns geboren usw. 1893, Leithner Was ist Recht 1893, Biedenkapp Beiträge zu den Problemen des Selbstbewufstseins, der Willensfreiheit und der Gesetzmäfsigkeit des Geistes Diss. 1893 ; die Italiener Fem Z 2 11, Lombroso Z 1 127, wie alle ihre Anhänger, der Russe Foinitzki in seinem Handbuche und zahlreiche andre. Ebenso früher Hobbes, Spinoza, Leibniz, Hume, insbesondere aber Wolff Jus nat. 8 714, der die im Text vertretene Ansicht eine „res satis manifesta" nennt; Hommel (A. v. Joch) Belohnung und Strafe nach türkischen Gesetzen 1770; die franzosischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts (vgl. Hertz Voltaire 126); Feuerbach Revision 1799 und in den ersten Auflagen seines Lehrbuchs, Klein und v. Klemschrod, Thibaut Beiträge zur Kritik der Feuerbachschen Theorie 1802 S. 57 (welcher, wie Moriaud 161 Note I bemerkt, den Begriff der Zurechnungsfähigkeit ganz so bestimmt, wie unser Text), auch Geib 2 57- I Q der neuern Philosophie haben namentlich Kant (den Binding grundlich mifsversteht) und Schopenhauer sich für die ausnahmslose Herrschaft des Kausalgesetzes in der Welt der Erfahrung — und nur diese ist für den Kriminalisten in Frage — ausgesprochen.
§15.
Rechtfertigung der Zweckstrafe den Gegnern gegenüber.
die irgend eines andern Rechtsgebietes, wie auch immer die Entscheidung fallen mag, zu erschüttern im Stande ist, so kann doch nur eine auf streng deterministischer Anschauung sich aufbauende Schuldlehre einerseits der Strafgesetzgebung unverrückbaren Bestand und ruhige Weiterbildung sichern und anderseits die Wissenschaft vor der Verdunklung durch unklare, halb dem Rechte und halb der Ethik angehörende, Begriffe bewahren. Solange die unbestreitbare Determinierbarkeit des normalen Menschen nicht bestritten werden kann, ebensolange wird die Möglichkeit, den Verbrecher durch die S t r a f e zu determinieren, dem Widerstreit der Ansichten entrückt und die Verantwortlichkeit für den Erfolg, die S c h u l d , unanfechtbar fest begründet sein. Und das Strafrecht wird geläutert durch den Wegfall der Vergeltungsi d e e , die ohne die Annahme der Wahlfreiheit nicht mehr bestehen kann, da sie mit dem: „Du sollst, denn du kannst" in sich zusammenfällt. 6 ) III. Die Strafe ist g e r e c h t , wenn und soweit sie für die Aufrechthaltung der Rechtsordnung n o t w e n d i g ist. Der Zweckgedanke in der Strafe zieht uns nicht nur die vielumstrittene Grenzlinie zwischen dem straflosen und dem strafbaren Unrecht; er gibt uns auch den Mafsstab für die Schwere der Strafe nach Art und Umfang. IV. A b e r selbst wenn man der Zweckstrafe die Vergeltungsstrafe auf indeterministischer Grundlage gegenüberzustellen nicht verzichten wollte, ist die Versöhnung der Gegensätze keineswegs aussichtslos. Die bei weitem gröfste Masse der heutigen Schriftsteller, von denen keiner den Mut findet, den Zweckgedanken in der Strafe zu leugnen, huldigt einer sog. g e m i s c h t e n Theorie; d. h. sie geht aus von der v e r g e l t e n d e n G e r e c h t i g k e i t , gestattet aber den R ü c k s i c h t e n d e r Z w e c k m ä f s i g k e i t einen mehr oder minder grofsen Spielraum. ' ) ®) Anders allerdings Merkel, der, in merkwürdiger Inkonsequenz, die Vergeltungsstrafe mit dem Determinismus für vereinbar hält. ') Eine Aufzähluug der untereinander sehr weit abweichenden Ansichten ist an dieser Stelle überflüssig. E s genügt, auf einige der wichtigsten Schriftsteller zu verweisen. Man vergleiche: Ahegg Die verschiedenen Strafrechtstheorieen in ihrem Verhältnis zu einander 1835 (Anwendung der dialektischen Methode Hegels auf die geschichtliche Entwicklung der Strafe). — Grolmann (•]- 1829) Grundsätze der Kriminalrechtswissenschaft 1798. Uber die Begründung des Strafrechts und der Strafgesetzgebung 1799. Henke (-J- 1869) Über den Streit der Strafrechtstheorieen 1811. Lehrbuch 1815. Handbuch 1823 ff. Trendelenburg ( f 1872) Naturrecht auf dem Grunde der Ethik 2. Aufl. 1868. (Alle drei finden die Wurzel des Unrechts in der Gesinnung des Thäters, in seiner Besserung mithin die Tilgung der Schuld.) — Hierher gehört die gesamte Herbartsciiz Schule. Herbart (-j- 1841) Allgem. prakt. Philosophie 1808 fuhrt die Strafe zuruck auf die I d e e der ausgleichenden Gerechtigkeit, der Vergeltung. Die unvergoltene That mifsfällt; die Strafe wird gefordert als ästhetische Notwendigkeit. Aber da Vergeltung lediglich um der Vergeltung willen der Sphäre des Übelwollens angehört, bedarf die Strafe noch eines Motives, und dieses liefern die ethischen Ideeen des Rechts und des Wohlwollens. Hauptvertreter Herbarts in der strafrechtlichen Fachliteratur sind Geyer (-(• 1885, vgl. insbes. Geyers Geschichte und System der Rechtsphilosophie 1 8 6 3 , seine Einleitung in v. Holtzendorffs Rechtsencyklopädie Ton Liszt, Strafrecht, 6. Aufl. 5
66
§ 'S-
Rechtfertigung der Zweckstrafe den Gegnern gegenüber.
Von meinem Standpunkte aus liefse sich der Versuch einer Versöhnung etwa in folgender Weise durchführen. 8 ) Die vergeltende Gerechtigkeit fordert, dafs jeder leide gemäfs seiner That, dafs das Mafs der Strafe der Schwere der Verschuldung entspreche. Es handelt sich also darum, sich über den Mafsstab zu verständigen, nach welchem die Schwere des Verbrechens bestimmt wird. Die Anhänger der vergeltenden Gerechtigkeit finden den Mafsstab in d e r e i n z e l n e n , dem Richter im gegebenen Falle zur Beurteilung vorliegenden T h a t . Und für diese wieder ist in erster Linie mafsgebend der Wert, den das durch das Verbrechen angegriffene R e c h t s g u t für die Rechtsordnung hat. Die Tötung wiegt schwerer als die Korperverletzung, der Raub schwerer als der Diebstahl. Durch den E r f o l g wird der Wert der Handlung bestimmt. Für die Anhänger des Zweckgedankens dagegen liegt der Mafsstab i n der durch die T h a t bewiesenen v e r b r e c h e r i s c h e n Gesinnung d e s T h ä t e r s . In der Beurteilung des Thäters greifen sie hinaus über die einzelne That, die gerade jetzt den Gegenstand der Anklage bildet; sie erforschen die Vergangenheit des Verbrechers und ziehen daraus ihre Schlüsse für die Zukunft. Wohlgemerkt: nicht die verbrecherische Gesinnung an sich, sondern die durch ein bestimmtes Verbrechen bewiesene Gesinnung steht in Frage. Die Verhängung einer Strafe ist eine so tief in die Freiheit des Einzelnen einschneidende, das Wohl der Gesamtheit so unmittelbar berührende Mafsregel, dafs niemals die Gesinnung allein, d. h. der Verdacht, sondern stets nur die That, d. h. die Wirklichkeit, eine ausreichend gerechtfertigte Grundlage für die strafende Thätigkeit des Staates gewahren kann. 8 )
4. Aufl. 1882, Klein. Schriften 65) und Wahlberg (vgl. insbes. dessen Grundzüge der strafrechtlichen Zurechnungslehre 1857; auch Ges. klein. Schriften 1 1). — Ferner Heffter (-J- 1880) Lehrbuch § 109. Merkel Kriminalistische Abhandlungen 1867. Lehrbuch 1889. Derselbe Über den Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Strafrechts und der Gesamtentwicklung der öffentlichen Zustände und des geistigen Lebens der Volker 1889. Loning Über die Begründung des Strafrechts 1889. Ziebarth Forstrecht 322. — Berner Lehrbuch. V. Meyer Lehrbuch S. 19, 25; GS 3 3 IOI, 161 (gegen ihn v. Liszt Z t 604, 3 29; Merkel Z 1 557; Loning Z 3 3 7 3 ; Geyer Krit. VJSchr. N. F. 5 440). — Hälschner Gem. deutsches Strafrecht 1 558. v. Bar Handbuch 1 3 1 1 (dazu v. Liszt 3 23). — Sonlag Z 1 495 (dazu Mittelstadt Z 2 423, v. Liszt Z 3 27). — Binding in Grünhuts Zeitschrift 4 417, Normen I 2. Aufl. 5. 412 (dazu v. Liszt Z 3 45; Geyer Grundrifs 15; v. Bar 1 308). 8 ) Es kommt mir durchaus nicht darauf an, neben die ungezählten Vereinigungstheorieen eine neue zu stellen. Wer den Wunsch nach Verständigung nicht teilt, der möge die nachstehende Ausführung getrost als ungeschrieben betrachten. In dem Gefüge meiner wissenschaftlichen Gesamtanschauung bildet sie kein wesentliches Glied. Mir hat der Grundsatz: „Zielbewufste Bekämpfung des Verbrechertums" noch niemals und nirgends den Dienst versagt. W e i l verbrochen worden, wird gestraft, d a m i t n i c h t wieder verbrochen werde. Der uralte Schulstreit zwischen dem Punitur quia peccatum est und dem Punitur ne peccetur hat genau denselben wissenschaftlichen und praktischen Wert, als wenn die Ärzte sich darüber streiten wollten, ob sie heilen, d a m i t der Kranke gesund werde oder aber w e i l er krank sei.
§ 15-
Rechtfertigung der Zweckstrafe den Gegnern gegenüber.
Der Gegensatz der beiden Anschauungen greift nicht so tief, als es auf den ersten Blick scheinen mochte. Zunächst ist zu betonen, dafs die Anhänger der vergeltenden Gerechtigkeit selbst den von ihnen eingenommenen Standpunkt in zwei wichtigen Fragen längst aufgegeben haben. Uberall dort, wo das geltende Recht die R ü c k f a l l s s c h ä r f u n g kennt, fällt bei Bemessung der Strafe nicht nur die eben abzuurteilende That, sondern auch ihre Vorgeschichte, fällt nicht nur der äufsere E r f o l g , sondern auch, und in erster Linie, die verbrecherische Gesinnung des Tliäters ins Gewicht. Und wenn bei j u g e n d l i c h e n V e r b r e c h e r n , der Weisung des preufsischen Justizministeriums zufolge, auf eine längere Freiheitsstrafe erkannt wird, als den Erwachsenen im gleichen Falle getroffen haben wurde, so hat die vergeltende Gerechtigkeit im landläufigen Sinne mit diesem Ausmafse der Strafe wahrlich nichts zu schaffen. Aber auch in allen übrigen Fällen (und nach Abzug der Jugendlichen und der Ruckfälligen bleibt kaum mehr die Hälfte aller Verurteilten übrig) erscheint die Bemessung der Strafe nach der durch die That bewiesenen verbrecherischen Gesinnung bei genauerer Betrachtung nicht als eine Ablehnung, sondern als eine tiefere Fassung des Vergeltungsgedankens. Vergolten soll werden nach der S c h u l d des Thäters. Die Schwere der Schuld bestimmt sich aber nicht, wenigstens nicht in erster Linie, nach dem äufseren E r f o l g der That, sondern nach dem Grade der in der That zu Tage tretenden A u f l e h n u n g des E i n z e l w i l l e n s g e g e n die Rechtsordnung. Diesen Satz werden die Anhänger der vergeltenden Gerechtigkeit nicht ohne weiteres ablehnen können. Innerhalb der rechtlichen Verschuldung aber ergibt sich ein grundlegender Unterschied. Die Auflehnung des Einzelwillens gegen die Rechtsordnung kann entweder eine grundsätzliche, zuständliche, der angebornen oder erworbenen Eigenart des Thäters entsprechende, oder aber eine ausnahmsweise, gelegentliche , episodische sein: b e r u f s m ä f s i g e r Kampf gegen die R ec h t s o r d n u ng u n d g e l e g e n t l i e h e A b i r r u n g v o n i h r s i n d d i e b e i d e n durch g r e i fenden G e g e n s ä t z e i n n e r h a l b der sub j e k t i v e n V e r s c h u l d u n g ; ihnen mufs, nach den Forderungen der Gerechtigkeit, das Mafs der Strafe entsprechen; denn sie bestimmen die Schwere des V e r b r e c h e n s . Das ist aber genau dasselbe Ergebnis, zu dem uns oben (§ 14) die von dem Z w e c k g e d a n k e n erfüllte Kriminalpolitik gefuhrt hat. In der V e r t i e f u n g d e s S c h u l d b e g r i f f e s liegt die Versöhnung des Gegensatzes. Der kategorische Imperativ der Vergeltung deckt sich mit den Nutzlichkeitsrücksichten der Politik.
5*
68
§ l6.
Quellenbestand.
III. Die Quellen des Reichsstrafrechts. Ouellenbestand.
Litteratur.
Herrschaftsgebiet.
§ 16. Quellenbestand. I. Nach heutiger Rechtsanschauung ist d a s G e s e t z d i e e i n z i g e Q u e l l e d e r S t r a f r e c h t s s ä t z e . Alle Sätze des Strafrechts gehören mithin dem g e s e t z t e n R e c h t e an. 1 ) Die heutige Strafgesetzgebung geht aus von der Annahme ihrer V o l l s t ä n d i g k e i t und gründet darauf die Forderung ihrer A u s s c h l i e f s l i c h k e i t . Sie kleidet diese Forderung in den seit der Aufklärungszeit (franzosische Verfassung vom 3. September. 1791) regelmäfsig wiederkehrenden, im RStGB. § 2 Abs. I wiederholten Satz: „Eine H a n d l u n g kann nur dann mit einer S t r a f e belegt werden, wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde." Nur die im Gesetze ausdrucklich mit Strafe bedrohten Handlungen sind strafbar, und nur die im Gesetze ausdrucklich festgesetzten Strafrahmen sind anwendbar. Diese Auffassung steht in untrennbarem Zusammenhange mit der Aufgabe, welche das jeweils geltende S t a a t s r e c h t dem Strafrichter zuweist. Und diese wieder wird begrenzt und bestimmt durch das politische Verhältnis der Staatsgewalt zur individuellen Freiheit (vgl. oben § 1 Note 1). Nur wenn und soweit der Strafrichter nicht blofs Organ der Rechtsa n w e n d u n g , sondern auch der R e c h t s s c h o p f u n g ist, gibt es andre als gesetzte Strafrechtssätze. Darum gestattete die römische Kaiserzeit im Gegensätze zum Quästionenprozesse dem Richter die Bestrafung ad exemplum legis (1 7 § 3 D 48, 4 ) ; darum „schöpfte" der mittelalterliche Urteils„findev" die Rechtssätze aus seiner Rechtsuberzeugung; darum mufste das gemeindeutsche Strafrecht, gestutzt auf Art. 105 P G O . , der Gewohnheit und der Wissenschaft die Weiterbildung seiner Sätze überlassen. Noch die Thercsiana hielt an dieser Auffassung fest. Aber seit der Aufklärungszeit (schon Österreich 1787) war der Richter nur mehr der Verkunder des Gesetzes, dessen Wortlaut, nicht dessen Geist ihn bindet. Man ging so weit, wie einst zu Justinians Zeiten, jede Auslegung des Gesetzes verbieten zu wollen. 2 ) W i r sind heute von diesen Übertreibungen zurückgekommen und uberweisen dem Richter die Anwendung des in seinem inneren Zusammenhange, d. h. wissenschaftlich, erkannten Rechts. Daraus folgt immittelbar, dafs dem G e r i c h t s g e b r a u c h (und nur in diesem kann das sog. G e w o h n h e i t s r e c h t sich äufsern) r e c h t s e r z e u g e n d e Kraft nicht zukommen kann, mag es sich darum handeln, neue Rechtssätze in Geltung oder geltende Rechtssätze aufser Geltung zu setzen (sog. desuetudo). ®) J
) Abweichend nur Binding I 197, 201 und Z 1 4. ' ) Vgl. Geib 1 3 2 8 ; Lonnig Z 3 3 2 0 ; Binding 1 23 Note 18; Stohcl Brandenburg-Preufsens Rechtsverwaltung 2 209. 3 ) Die entgegengesetzte Ansicht vertreten auch heute noch einzelne Schriftsteller. So Binding 1 210, Hähchntr 1 82, v. Meyer 139 (aber: „höchstens auf dem Gebiete des Landesstrafrechts"), Olshmtsen § 2 5. — Der Gerichts-
§ l6.
69
Quellenbestand.
Damit ist aber auch der W i s s e n s c h a f t die Recht schaffende K r a f t versagt.
Durch die Kunst der A u s l e g u n g hat sie den Inhalt der
klarzustellen; durch die B e g r i f f s e n t w i c k l u n g
Rechtssätze
kann sie vorhandene, aber
nicht ausdrucklich und nicht unmittelbar ausgesprochene Rechtssätze aufdecken. Niemals aber kann sie aus eigner K r a f t Rechtssätze schaffen oder
vernichten.
N u r dem Gesetze wohnt Recht erzeugende K r a f t bei. II.
Nur die R e i c h s gesetzgebung ist mithin Quelle der Rechtssätze des
Reichsstrafrechts.
In dreifacher Gestalt aber tritt uns der Befehl des Reichs-
gesetzgebers e n t g e g e n : als V e r o r d n u n g ,
I. A l s G e s e t z
im engern, staatsrechtlichen Sinne; 2.
soweit ausnahmsweise
den Organen
des Reichs ein V e r -
ordnungsrecht auf strafrechtlichem Gebiete ausdrücklich eingeräumt i s t ; 4 ) 3. als Staatsvertrag,
sofern
dieser
die
staatsrechtlich
verbindliche
Kraft
er-
langt hat. III. wirken
Gesetz i s t d e r d u r c h d a s v e r f a s s u n g s i n ä f s i g e der
gesetzgebenden
fassung s g e m ä fs en
Form
Faktoren
verkündete
erklärte, Wille
der
Gesetz ist der e r k l ä r t e W i l l e der Gesamtheit;
nicht
Zusammen-
in
der
Ver-
Gesamtheit
( R V e r f . A r t . 2, 5, 17). k l ä r t e W i l l e und
nicht
die n i c h t
gewollte
erfolgt durch die B e s c h l u f s f a s s u n g
Erklärung.
der n i c h t Die
er-
Erklärung
seitens des Reichstags lind Bundes-
rats, durch die A u s f e r t i g u n g und den V e r k u n d u n g s b e f e h l
seitens des
Kaisers. Danach haben w i r urteilen. 6 )
Von
die sogenannten
Redaktionsversehen
selbst auf einem Irrtume beruht.
Redaktionsversehen
spricht
man,
wenn der
zu
erklärte
be-
Wille
D a das Erklärte g e w o l l t und das G e w o l l t e
erklärt ist, liegt ein die Rechtsgenossen bindendes Gesetz vor, das nur durch Gesetz wieder beseitigt werden kann, w i e dies durch das Nachtragsgesetz vom 26. Februar 1876 in einer Reihe von F ä l l e n (nicht in allen) schehen ist.
Verschieden davon ist die Nichtübereinstimmung
thatsächlich
ge-
zwischen
dem
Wortlaut der Kundmachung und jenem der gefafsten Beschlüsse.
D i e irrtüm-
lich kundgemachte Bestimmung ist nicht Gesetz, aber auch nicht der fafste aber nicht kundgemachte Beschlufs.
Daher
zwar ge-
kann nur durch eine
neue
berichtigende Kundmachung diesem Mangel abgeholfen werden. 8 )
gebrauch kann daher jederzeit w i e d e r umgestofsen werden. V g l . auch G V G . § 137. — Verwirrend hat vielfach die v ö l l i g verkehrte Auffassung des richterlichen Urteils als einer lex specialis gewirkt. *) V g l . dazu Laband 1 589, Hänel 1 2 7 1 ; insbes. Seuffert StG. 1 33 (der auf das in den Versicherungsgesetzen eingeräumte weitgehende Strafverorduungsrecht hinweist). — W i c h t i g § 4 des Konsulargerichtsbarkeitsgesetzes vom 10. Juli 1879 sowie insbesondere § 3 des Gesetzes v o m 19. März 1888 betr. die Rechtsverhältnisse in den deutschen Schutzgebieten. ») Schütze G A . 20 3 5 1 ; Sontag D i e Redaktions versehen 1 8 7 4 ; v. Wächter G S . 2 9 3 2 1 ; Merkel H H . 4 7 6 ; Wach 1 2 6 6 ; Binding 1 460. ") Nach Binding 1 460 ist der falsche W o r t l a u t einfach durch die K r i t i k zu berichtigen. Das ist zweifellos ebenso unrichtig, w i e die zur Begründung aufgestellte Behauptung, dafs auch die falsche Veröffentlichung dem formellen Erfordernisse der Kundmachung genüge. — D e r Ausdruck „ D r u c k f e h l e r "
70
§
1 7-
Litteratur des Reichsstrafrechts und seiner Hilfswissenschaften.
Aus dem Gesagten folgt, dafs die sogenannten „Materialien" der Gesetze, insbesondere Begründung und Kammerverhandlungen, nur mit äufserster Vorsicht als Auslegungsmittel verwertet werden können. Sie sind nicht erklärter Wille der Gesamtheit, sondern geben uns im günstigsten Falle die Beweggründe, welche einzelne Mitglieder des einen der gesetzgebenden Faktoren zu i h r e r Willenserklärung bestimmt haben. 7 ) IV.
Die g e s e t z l i c h e n Quellen des Reichsstrafrechts sind:
1. Das S t r a f g e s e t z b u c h (oben § 10); 2. Die sogenannten strafrechtlichen N e b e n g e s e t z e (oben § Ii). V . Eine eigentümliche Erscheinungsform bieten diejenigen Strafrechtssätze, in welchen nur die S t r a f d r o h u n g durch Reichsgesetz bestimmt ist, während die Festsetzung des Thatbestandes andern Gewalten, sei es dem Kaiser, dem Bundesrat, der Justizverwaltung, der Landesgesetzgebung oder der Polizei, vielleicht sogar der aufserdeutschen Gesetzgebung, uberlassen wird. Beispiele bieten StGB. § § 145, 327, 328, 36!«, 3661-'®, 367', 6, 368 2 ; Nahrungsmittelgesetz § § 6 u. 7 und zahlreiche andre Nebengesetze. Besonders lehrreich Gesetz betr. Zuwiderhandlungen gegen die osterr.-ungar. Zollgesetze v. 17. Juli 1881 §§ 2 u. 3. — Man spricht hier wohl von Blankettgesetzen (Binding), „blinden" oder „offenen" Strafdrohungen (Heinzc, Janka). In allen diesen Fallen ruht aber die verbindende Kraft der Verknüpfung von Thatbestand und Rechtsfolge, also des Strafrechtssatzes selbst, auf reichsgesetzlicher Anordnung.
§ 17.
Litteratur des Reichsstrafrechts und seiner Hilfswissenschaften.
Eine vollständige Bibliographie des Strafrechts fehlt. Für die ältere Zeit sind zu empfehlen: G. W. Böhmer Handbuch der Litteratur des Kriminalrechts in seinen allgemeinen Beziehungen mit besonderer Rucksicht auf Kriminalpolitik nebst wissenschaftlichen Bemerkungen 1816. Kuppler Handbuch der Litteratur des Kriminalrechts und dessen philosophischer und medizinischer Hilfswissenschaften 1838. — Für die neuere Zeit bietet möglichste Vollständigkeit das Systematisch-alphabetische Generalregister zu den ersten 12 Bänden der Z., auf das ein für allemal verwiesen wird. — Uber die Nebengesetze vgl. oben zu § I i . Als die bedeutendsten Arbeiten sind an dieser Stelle zu nennen: I. Textausgaben: Rüdorß 17. Aufl. 1894 (von Apptlhis). Olshavsen 5. Aufl. 1893. Daude 5. Aufl. 1893. Dalcke 5. Aufl. 1893. Kuba 4. Aufl. 1893. Staudinger 5. Aufl. 1893. Ist zur Bezeichnung solcher Fälle zu eng. Lehrreiches Beispiel in Mil.StGB. § 141 („Festungss träfe" statt „Freiheitsstrafe"). Vgl. auch zu Mil.StGB. § 95 Heckcr 208. ') So schon v. Wächter Archiv 1839 S. 345. Schaßralh Theorie der Auslegung konstitutioneller Gesetze 1842. Jetzt herrschende Ansicht der Wissenschaft. Vgl. Binding 1 471. Wach 1 282. Glaser 1 317. Das Reichsgericht verwertet freilich noch vielfach in wesentlich weiter gehender Weise die „Entstehungsgeschichte" der strafgesetzlichen Bestimmungen und greift zur Auslegung des StGB, nicht blofs auf die Entwürfe zum preufs. StGB, von 1851, sondern selbst auf das A L R . zurück.
§ 17-
Litteratur des Reichsstrafrechts und seiner Hilfswissenschaften.
Ji
II. Systematische Darstellungen: Lehrbücher von Berner I. Aufl. 1857, 16. Aufl. 1891. Schütze 2. Aufl. 1874. H. v. Meyer 4. Aufl. 1888. v. Holtzendorff (-¡- 1889) Handbuch des deutschen Strafrechts in Einzelbeiträgen von verschiedenen Verfassern. 4 Bde. 1871/77. v. Wächter Deutsches Strafrecht' Vorlesungen herausgegeben von O. v. Wächter 1881. Hälschner Das gemeine dcutsclie Strafrecht, systematisch dargestellt, I. Bd. 1881, II. Bd. I. Teil 1884, 2. Teil 1887. v. Bar Handbuch des deutschen Strafrechts. I. Bd. Geschichte des deutschen Strafrechts und der Strafrechtstheorieen 1882. Binding Handbuch des Strafrechts I. Bd. 1885 (besprochen von Merkel Z 6 496, v. Liszt Z 6 663). Grundrisse von Binding 4. Aufl. 1890, Geyer 1884/85, Löning 1885, Birkmeyer 2. Aufl. 1892, v. Lilienthal 1892. Kurzgefafste Darstellungen von Merkel 1889, Geyer in v. Holtzendorffs Encyklopädie (3. Aufl. 1879, 5. Aufl., bearbeitet von Merkel 1890 f.), Kobner 2. Aufl. 1891, Ziebarth Forstrecht 2. Teil und Olshanscn im 3. Heft seines Grundrisses zu rechtswissenschaftlichen Vorlesungen an der Forstakademie Eberswalde 1891. — Sehr wertvoll die Darstellung von Seuffert in Strafgesetzgebung der Gegenwart I. 1894. III. V o n den Kommentaren sind neben Meyer (Thorn), Kirchmann, Blum, Hahn, Pnchelt, Rubo hervorzuheben: Oppenhoff 12. Aufl. 1891, herausgegeben von Th, F. Oppenhoff. Rüdorff 4. Aufl. herausgegeben von Stenglein 1S92. v. Schwarze 5. Aufl. 1883. Olshausen I. Aufl. 1879 bis 1883, 4. Aufl. (2 Bde) 1882, der umfangreichste, zugleich aber auch wissenschaftlich tüchtigste sämtlicher Kommentare. — Binding Die gemeinen deutschen Strafgesetzbücher. Kommentar. I. Einleitung. 2. Aufl. 1877. IV. Abhandlungen allgemeinem Inhalts : Seeger Abhandlungen aus dem Strafrechte 1858. Kostlin Abhandlungen aus dem Strafrecht. Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben von Ge/sler 1858, Glaser (-|- 1885) Abhandlungen aus dem österreichischen Strafrecht I 1858. Derselbe Kleine Schriften über Strafrecht und Strafprozefs 2. Aufl. 1883. Merkel Kriminalistische Abhandlungen 1867. Wahlberg Gesammelte kleinere Schriften und Bruchstücke über Strafrecht u. s. w . I 1875, II 1877, III 1882. Binding Die Normen und ihre Übertretung. Eine Untersuchung über die rechtmäfsige Handlung und die Arten des Delikts I 1872 (2. Aufl. 1890), II 1877. Hertz Das Unrecht und die allgemeinen Lehren des Strafrechts I 1880. Hrehorowicz Grundbegriffe des Strafrechts 2. Aufl. 1882. Bünger Über Vorstellung, Wille und Handlung als Elemente der Lehre vom Verbrechen und von der Strafe 1888. Geyer Kleinere Schriften strafrechtlichen Inhalts. Herausg. von Harburger 1889. Kohler Studien aus dem Strafrecht I 1890. V . Zeitschriften: A r c h i v d e s p r e u f s i s e h e n S t r a f r e c h t s ; 1853 von Goltdammer begründet, 1872 von Mager, 1873 bis 1880 von Hahn, l 8 8 o b i s 1886 von Backoffner, seither von Meves, vom 37. Bande ab von Meves, Dalcke und Mvgdan geleitet. Titel seit 1871: Archiv für gemeines deutsches und für preufsischcs Strafrecht. D e r G e r i c h t s s a a l ; 1849 von Jagemann begründet, seit 1872 von v. Schwarze, nach dessen 1886 erfolgten Tode von v. Holtzendorff, vom 42. Bande ab von Stenglein herausgegeben. A l l g e m e i n e d e u t s c h e S t r a f r e c h t s z e i t u n g ; herausgegeben von v. Holtzendorff 1861 bis 1873. Seit
72
§ 17-
Litteratur des Reichsstrafrechts und seiner Hilfswissenschaften.
1874 mit dem „Gerichtssaal" verschmolzen. Z e i t s c h r i f t f ü r d i e g e s a m t e S t r a f r e c h t s w i s s e n s c h a f t ; 1881 von Dochow und v. I.iszt begründet, nach des ersteren Tode (1881) von v, Liszt und v. Lilienthal weitergeführt. M i t t e i l u n g e n d e r I n t e r n a t i o n a l e n K r i m i n a l . V e r e i n i g u n g seit 1889. A b h a n d l u n g e n d e s ( p r e u f s . ) k r i m i n a l i s t i s c h e n S e m i n a r s (früher in Marburg, jetzt in Halle a. S.); seit 1888 von v. Lisst herausgegeben. S t r a f r e c h t l i c h e A b h a n d l u n g e n des J u r i s t i s c h e n Seminars der Univ e r s i t ä t B r e s l a u ; herausgegeben von Börnecke I. Serie 1893. VI. Spruchsammlungen: D i e d e u t s c h e S t r a f r e c h t s p r a x i s I. Bd. 1877 von Pezold, Stiegele und Kohn. II. Bd. 1880 von Zimmerle. Eine ubersichtliche Zusammenstellung der Entscheidungen der höchsten deutschen Gerichte zum RStGB. D i e R e c h t s p r e c h u n g d e s d e u t s c h e n R e i c h s g e r i c h t s in Strafsachen, mit Ende 1888 eingegangen, im ganzen 10 Bände. E n t s c h e i d u n g e n d e s R e i c h s g e r i c h t s in Strafsachen. Herausgegeben von den Mitgliedern des RG. Vom 19. Bande ab auch von den Mitgliedern der Reichsanwaltschaft mit herausgegeben. S a m m l u n g d e r E n t s c h e i d u n g e n d e s O L G . M ü n c h e n in G e g e n s t ä n d e n des S t r a f r e c h t s und S t r a f p r o z e s s e s 1881 ff. Franz Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Kolmar in Strafsachen 1886, 1891. Apt Die grundlegenden Entscheidungen des deutschen Reichsgerichts auf dem Gebiete des Strafrechts. Für das Studium und die Praxis bearbeitet 1892. Kritische Überschau über die Rechtsprechung des Reichsgerichts in der Z von Frank. VII. Strafrechtsfälle: Aufser der veralteten Kasuistik des Kriminalrechts von Osenbrüggen (1854): v. Bar Strafrechtsfälle 1875. Dochow Strafrechtsfälle 4. Aufl. herausg. von v. Liszt und Bennecke 1891. Köhler Strafrechtsaufgaben zum Gebrauche bei dem akademischen Strafrechtspraktikum I. Abteiig. 1889. Schnitze Rechtsfälle aus der Praxis der Strafsenate ,des Reichsgerichts als Strafrechtsaufgaben mitgeteilt 1891. Harburger Strafrechtspraktikum. Strafrechtsfälle zum praktischen Gebrauch und zum Selbststudium 1892. VIII. Hilfswissenschaften: 1. Die Arbeiten über K r i m i n a 1 - B i 0 1 o g i e und - S o z i o l o g i e sow i e ü b e r K r i m i n a l p o l i t i k siehe oben § 13, die über G e f ä n g n i s W e s e n unten § 6 l . 2. G e r i c h t l i c h e M e d i z i n und P s y c h i a t r i e : Handb. von C a s p erL i m a n , 2 Bde. 8. Aufl. 1889/90. Maschka Handbuch in Einzelbeiträgen. 4 Bde. 1881 ff. Hoffmann Lehrbuch 5. Aufl. 1890. Vgl. auch Hoffmann Z 2 82. v. Krafft-Ebing Lehrbuch der gerichtlichen Psychopathologie. 5. Aufl. 1893. Derselbe Grundzuge der Kriminalpsychologie für Juristen 2. Aufl. 1882. Derselbe Z 2 358, 4 81, 5 150. Sander und Richter Die Beziehungen zwischen Geistesstörung und Verbrechen 1886. Moeli Über irre Verbrecher 1888. v. Krafft-Ebing Psychopathologia sexualis 8. Aufl. 1893. Moll Die konträre Sexualempfindung 1891. — Forel Hypnotismus 1889. Moll Hypnotismus 2. Aufl. 1890. v. Lilienthal Z 7 281. Rieger Z 8 315. Forel Z 9 131. Die Z 9 725 angeführten Werke von Gilles de la Tourette und Bernheim über Hypnotismus.
§ i8.
Das zeitliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
73
3. K r i m i n a l p o l i z e i Ortloff Lehrbuch der Kriminalpolizei 1881. Ave-Lallemant Physiologie der Polizei 1882. Seuffert W V 1 885. Grofs Handbuch für Untersuchungsrichter 1893.
% 18.
Das zeitliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze. Neues und altes Recht.
L i t t e r a t u r . Bermr W i r k u n g s k r e i s des Strafgesetzes nach Zeit, R a u m , Person 1853. Seeger Über die rückwirkende K r a f t neuer Strafgesetze 1862 (Abhdlgn. 2 1). Schmid Herrschaft d e r Gesetze nach ihren räumlichen und zeitlichen Grenzen 1863. Lassalle System der erworbenen R e c h t e 1861 2. Aufl. 1880. Binditig 1 225, Normen 1 168. I . D e r Zeitpunkt, in welchem das R S t G B . in den verschiedenen Teilen des Deutschen R e i c h s in W i r k s a m k e i t getreten ist, wurde bereits oben S. 43 festgestellt. Bezüglich aller übrigen Rechtssätze des Reichsstrafrechts bestimmt sich Beginn und E n d e ihrer H e r r s c h a f t nach den allgemeinen R e g e l n . Demnach b e g i n n t ihre verbindende K r a f t , sofern nicht in dem Gesetze selbst ein andrer Zeitpunkt bestimmt ist, mit dem 14. Tage nach dem Ablaufe desjenigen Tages, an welchem das betreffende Stück des Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist ( R V e r f . Art. 2). I n den Konsulargerichtsbezirken ist diese Frist auf 4 Monate erweitert (Gesetz vom 10. J u l i 1879 § 47). Dasselbe gilt von den deutschen Schutzgebieten. U n d es e n d e t die Herrschaft der Strafrechtssätze, wenn sie sich nicht selbst die verbindliche K r a f t nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkte oder bis zu dem Eintritte einer Bedingung beilegen, mit ihrer ausdrücklichen oder stillschweigenden A u f h e b u n g durch die gesetzgebende Gewalt. D a s G e s e t z ist die einzige Quelle, wie der Entstehung, so auch des Untergangs der Reichsstrafrechtssätze. Bezüglich der s t i l l s c h w e i g e n d e n A u f h e b u n g ist an dem Satze festzuhalten, dafs das s p ä t e r e Gesetz i n d e n v o n i h m g e r e g e l t e n M a t e r i e n die Bestimmungen des älteren a u f h e b t . D e r Begriff der „ M a t e r i e " bestimmt sich auch hier nach den unten § 19 gegebenen R e g e l n . ' ) Dieser Satz gilt zunächst f ü r das Verhältnis der einzelnen R e i c h s s t r a f g e s e t z e zu einander, ohne R ü c k s i c h t darauf, ob das spätere oder das frühere Gesetz ein sogenanntes Nebengesetz oder das StGB, selbst ist. So ist § 23 des Wechselstempelsteuergesetzes vom 10. J u n i 1869, also eines Nebengesetzes, beseitigt durch §§ 275, 276 R S t G B . ; so ist umgekehrt § 287 StGB, ersetzt w o r d e n durch § 14 des Gesetzes über den Markenschutz vom 30. November 1874. Derselbe Satz gilt ferner für das Verhältnis der R e i c h s Strafgesetze zu den früheren L a n d e s Strafgesetzen (aber nicht umgekehrt). Vgl. darüber unten § 19. E r gilt endlich aber auch f ü r das Verhältnis der verschiedenen Gebiete des Reichsrechts zu einander (vgl. auch § 2 Einf.-Ges. zum StGB.). II.
E i n Rechtssatz herrscht oder gilt, heifst: D i e von ihm an einen
') Sonderbarerweise vgl. unten § 19 N o t e I.
hier
übereinstimmend
Binding
1 334;
dagegen
74
§ i8.
Das zeitliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
Xhatbestand geknüpften Rechtsfolgen treten ein, sobald der Thatbestand gegeben ist. Daraus folgt, dafs jeder Rechtssatz nur auf die während seiner Herrschaft entstandenen Thatbestände angewendet werden kann, soweit er nicht selbst auch die hinter oder vor seiner Geltung liegenden Thatsachen ergreifen zu wollen erklärt. Dies gilt auch für die S t r a f rech tssätze. Auch sie haben w e d e r n a c h w i r k e n d e n o c h r ü c k w i r k e n d e K r a f t , soweit der Gesetzgeber sie ihnen nicht ausdrücklich beilegt. 2 ) Daraus folgt die in StGB. § 2 Abs. i mittelbar anerkannte Regel: D i e S t r a f r e c h t s s ä t z e f i n d e n A n w e n d u n g a u f d i e während, s i e f i n d e n k e i n e A n w e n d u n g a u f d i e vor o d e r nach i h r e r G e l t u n g begangenen Handlungen. Lediglich den Anforderungen einer juristisch nicht zu begründenden, aber dennoch 2u billigenden Milde trägt der Gesetzgeber Rechnung, wenn er von dieser Regel, ohne sie als Regel zu beseitigen, die folgende Ausnahme zuläfst (StGB. § 2 Abs. 2): B e i V e r s c h i e d e n h e i t der G e s e t z e von d e r Zeit der beg a n g e n e n H a n d l u n g b i s zu d e r e n A b u r t e i l u n g i s t d a s m i l d e s t e Gesetz anzuwenden. Damit ist den milderen Strafrechtsätzen rückwirkende Kraft verliehen. Zugleich aber ist damit der Satz anerkannt, dafs nach Ablauf der zeitlichen Herrschaft eines Strafrechtssatzes Verurteilung wegen einer vor diesem Zeitpunkt begangenen Handlung unmöglich ist (Beispiel: Aufhebung des Sozialistengesetzes). 3) Von dem einmal eingenommenen Standpunkte aus war es nur folgerichtig, die Berücksichtigung nicht nur a) des zur Zeit der Begehung und b) die des zur Zeit der Aburteilung geltenden Gesetzes, sondern auch c) der etwaigen Zwischenstrafgesetze vorzuschreiben (man denke an die vorübergehende Abschaffung der Todesstrafe in einigen deutschen Staaten). III. Wenn der Richter aus zwei oder mehr Gesetzen das mildeste auszuwählen berufen wird, so hat er zunächst den ihm vorliegenden Fall nach dem einen der in Frage kommenden Gesetze, dann nach dem andern, dann nach den übrigen etwa noch vorhandenen Gesetzen zu entscheiden, daher den Thatbestand nach jedem dieser Gesetze festzustellen. Jede Verbindung verschiedener Strafgesetze ist unbedingt unzulässig. Das für den Be2 ) Die Frage ist eine sehr bestrittene. Mit dem Texte übereinstimmend (wegen Annahme einer Verbindlichkeit aus Verschuldung) die gem. Meinung. Für Rückwirkung Schmid 190, Binding 1 230, Geyer \ 89, Hiilschncr 1 116, Schutze 48. Andre, wie v. Meyer 150, wollen grundsätzlich immer das mildere Gesetz zur Anwendung bringen. ') Denn die Berücksichtigung, die der weitestgehenden Strafmilderung gewährt wird, kann der nunmehr eintretenden Straflosigkeit umsoweniger versagt werden. Ob das Gesetz ausdrücklich aufgehoben wird oder stillschweigend abläuft, kann dabei keinen Unterschied begründen. Ebenso Hdlschner 1 123. Dagegen Binding 1 237, 258,'f. Meyer 153, Olshausen § 2 16; R 15. Januar 91 21 294.
§19-
Das sachliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
75
schuldigten g ü n s t i g s t e E r g e b n i s ist mafsgebend. Dabei sind nicht nur Umfang und Inhalt der Strafe, sondern a l l e mafsgebenden strafrechtlichen Umstände in Betracht zu ziehen. So Nebenstrafen, der Einflufs erschwerender und mildernder Umstände, Bestimmungen über Rückfall, Teilnahme, Versuch, Bedingungen der Strafbarkeit u. s. w. W e n n s i c h bei dieser Prüfung Straflosigkeit oder mildere Strafe nach einem der in Frage stehenden Gesetze ergibt, weil dieses z. B. den Versuch nicht für strafbar erklärt oder eine RückTallsschärfung nicht kennt, so ist dieses Gesetz als das mildere, bez. als das mildeste ausschliefslich in Anwendung zu bringen. Dasselbe gilt bezüglich der Strafaufhebungsgründe und insbesondere der V e r j ä h r u n g ; ist die Verfolgung der T h a t oder die Vollstreckung des Urteils nach dem einen oder dem andern Gesetze verjährt — wobei als Anfangspunkt des Verjährungslaufes für das frühere wie das spätere Gesetz die Zeit der begangenen That, bez. der rechtskräftigen Urteilsfällung anzunehmen ist —, so mufs Freisprechung erfolgen. 4 ) Dagegen sind etwaige p r o z e s s u a l e Hindernisse, 'welche der Durchführung der Strafklage im W e g e stehen, aufser Betracht zu lassen. D a das Antragserfordernis als Prozefsvoraussetzung aufgefafst weiden mufs (unten § 44), so bleibt seine Einführung oder Beseitigung ohne Einflufs; vgl. aber auch Art. I I I der Novelle vom 26. Februar 1876: „Bei den Handlungen, welche vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen sind, wird das Erfordernis des Antrages auf Verfolgung, sowie die Zulässigkeit der Zurücknahme nach den bisherigen Gesetzen beurteilt." Bei g l e i c h e r Milde der in Vergleich zu ziehenden Gesetze tritt die allgemeine Regel wieder in K r a f t . Dasselbe gilt bei Unvergleichbarkeit der Strafen,
§ 19.
Das sachliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze. Reichsrecht und Landesrecht.
L i t t e r a t u r . Heime Staatsrechtliche und strafrechtliche Erörterungen 1870. Derselbe Das Verhältnis des Reichsstrafrechts zum Landesstrafrecht 1871. Binding Der Antagonismus zwischen dem D. StGB, und dem Entw. des bad. Einf.-Ges. 1871. Hdlschner 1 8g. Binding 1 270. Scherer GS. 39 614. I. Nach Art. 2 der Reichsverfassung übt das R e i c h das R e c h t der Gesetzgebung nach Mafsgabe des Inhaltes der Verfassung und mit der W i r kung aus, dafs die R e i c h s g e s e t z e d e n L a n d e s g e s e t z e n v o r g e h e n . Die Landesgeaetzgebung darf weder zu den Anordnungen der Reichsgesetzgebung, mögen diese ausdrücklich oder stillschweigend gegeben sein, in 4 ) Unbegründet ist die Ansicht, nach welcher der Beginn der Geltung des späteren Gesetzes als Anfangspunkt für den Lauf der nach diesem zu berechnenden Verjährung gilt. Mehrfach wird behauptet, dafs die Vollstreckungsverjährung nach § 70 StGB, auf v o r Geltung des StGB, r e c h t s k r ä f t i g erkannte Strafen keine Anwendung finde (§ 2 Abs. 2 StGB: „Bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung b i s z u d e r e n A b u r t e i l u n g . . . ."). So Hälschner 1 126, Olshausen § 2 Ij» Heinze H H . 2 21. Doch steht einer analogen Anwendung dieses Satzes wohl nichts im W e g e . Richtig Berner 317, Binding \ 266, v. Kisch Z 9 44 Note 50.,
;6
§ 19.
Das sachliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
W i d e r s p r u c h treten, noch hat sie die Kraft, sie zu bestätigen; thut sie es dennoch, so sind ihre angeblichen Gebote ohne gebietende Kraft, sie s i n d n i c h t Gesetz. Es ist daher einerseits die b i s h e r i g e Landesgesetzgebung beseitigt, soweit die Sätze des Reichsrechtes das von ihr geregelte Gebiet, sei es •widersprechend, sei es übereinstimmend, ergreifen, ohne dafs es einer ausdrücklichen Aufhebung bedürfte; und es ist anderseits auch die k ü n f t i g e Landesgesetzgebung unter derselben Voraussetzung und in demselben Umfange wirkungslos. Diesen Grundsatz der Reichsverfassung drückt EG. §§ 2 und 5 wenig glücklich mit den Worten aus, dafs das Landesstrafrecht ausgeschlossen ist, ,,insoweit dasselbe Materien betrifft, welche Gegenstand des StGBs. für das Deutsche Reich sind". „Materie", d, h. G e g e n s t a n d des StGB., aber sind die einzelnen für s t r a f b a r oder für nicht s t r a f b a r e r k l ä r t e n H a n d l u n g e n . 1 ) Die Landesgesetzgebung ist mithin ausgeschlossen: 1. Wenn die Reichsgesetzgebung eine Handlung ausdrücklich für s t r a f b a r erklärt hat; 2. wenn die Reichsgesetzgebung eine Handlung ausdrücklich oder stillschweigend für s t r a f l o s erklärt hat. Da die letztere Erklärung regelmäfsig stillschweigend erfolgt, kann das S c h w e i g e n der Reichsgesetzgebung eine doppelte Bedeutung haben: entweder die einer stillschweigend verneinenden Anordnung (,,qualifiziertes Schweigen") oder die Uberweisung der Regelung an die Landesgesetzgebung. Ob das eine oder das andere der Fall, haben wir nicht nur aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, sondern vor allem a u s d e m G e s e t z e s e l b s t , aus dem Zusammenhange der ausdrücklich ausgesprochenen Rechtssätze untereinander zu beantworten. Die Frage nach dem der Landesgesetzgebung überlassenen Gebiete ist eine Frage der A u s l e g u n g der Reichsgesetzgebung. Dabei werden wir uns wegen Art. 4 Nr. 13 der Reichsverfassung im Z w e i f e 1 für die U n zulässigkeit landesgesetzlicher Regelung entscheiden müssen. Auch die Schwere der der Landesgesetzgebung zu Gebote stehenden Strafmittel (EG. § 5) wird nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. B e i s p i e l e . Aus der bunten, eines leitenden Gedankens entbehrenden Zusammenwürfelung einzelner Übertretungen in dem letzten Abschnitte des RStGB. folgt die Zulässigkeit landesgesetzlicher Thätigkeit auf dem Gebiete der Polizeiübertretungen. 9 ) Daher besteht fort das rheinpreufsische Verbot ' ) Nicht aber die sog. allgemeinen Lehren, die nur in der Beziehung auf einzelne Verbrechen Bedeutung erlangen. Es gibt keinen Verbrechensversuch im allgemeinen, sondern nur einen Versuch des Mordes, des Diebstahls, u. s. w. Auf dem der Landesgesetzgebung überlassenen Gebiete kann diese daher über Versuch, Teilnahme, Zurechnungsfähigkeit, Verjährung u. s. w. Bestimmungen treffen, welche von denen des RStGB. abweichen. Sie hat von dieser Befugnis auch reichlichen Gebrauch gemacht. Vgl. die Forstpolizei- und Forststrafgesetze; Ziegner - Gnüchtel Z 8 232. Ubereinstimmend Olshausen EG. § 2 13 sowie R I. Mai 80 2 34, 19. Mai 84 10 392 und früher das R O H G . ; besonders aber Seuffert StG. 1 86, 87. Abweichend Binding 1 307, Hälschner 1 110, v. Meyer 147, Merkel 7; Ziebarth 328. 8 ) Von den PolizeiStG.Büchern sind als die wichtigsten zu nennen: Das
§ 19-
Das sachliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
77
der öffentl. Ankündigung von Geheimmitteln ( R 25. Mai 82 6 329). Ebenso ist wegen der Systemlosigkeit des 25. Abschnittes des R S t G B . die fortdauernde Geltung des § 270 des preufs. S t G B , und des A r t . 412 Abs. 2 C. pén. betr. die Freiheit des Bietens bei öffentlichen Versteigerungen zu behaupten ( R 27. März 84 10 221, 6. März 8817 203, Olshausen Abschnitt 25 3; dagegen v. Meyer 147, 155 Ziebarth 327, 385). A u c h die landesrechtlichcn Strafbestimmungen gegen Winkeladvokaten sind nicht aufgehoben. Dagegen stehen die landesrechtlichen Verbote des Spielens in auswärtigen Lotterieen in Widerspruch mit dem Reichsrecht. Ebenso ergibt sich aus der eingehenden und abschliefsenden Behandlung des falschen Zeugnisses im StGB, der Rechtssatz, dafs die nicht beeidete falsche Aussage straflos zu lassen sei. Und ganz derselbe Grund entscheidet gegen die landesrechtlichen Vorschriften über die studentischen Schlägermensuren. Siehe über diese drei Fragen den Besondern Teil. Durch Gesetz vom 29. März 1888 wurde die fortdauernde Strafbarkeit der cris séditieux ausdrücklich ausgesprochen, nachdem R wiederholt (17. November 87 16 340, 20. Februar 88 17 134) und mit R e c h t die Geltung des Art. 8 des französ. Prefsgesetzes vom 25. März 1822 verneint hatte. Schwierigkeiten bietet das Verhältnis des Reichsstrafrechtszuden P r i v a t s t r a f e n des bürgerlichen Rechts. Es w i r d a n folgendem Satze festzuhalten sein : Die sogenannten Privatstrafen sind beseitigt, soweit sie wirkliche Strafen sind, d. h. soweit sie über eine in Geld zu leistende E n t s c h ä d i g u n g des Verletzten, mit Einschlufs der G e n u g t h u u n g (in Geld) für die Verletzung anderer als vermögensrechtlicher Interessen, hinausgehen. 8 ) Daher sind beseitigt A b b i t t e , W i d e r r u f , E h r e n e r k l ä r u n g , nicht aber die rein privatrechtliche Injurienklage; beseitigt die, Strafzwecke verfolgende, Berechnung des Schadens nach der lex Aquilia, nicht aber die auf diese gestützte Ersatzklage ; nicht das Schmerzensgeld ; es sind femer beseitigt nicht nur die öffentlichen Strafen der verbotenen Selbsthilfe (Bayern 1813, Württemberg, Braunschweig, Sachsen 1868), sondern auch die über Wiederherstellung und Ersatz hinausgehenden privatrechtlichen Straffolgen (decretum D i v i Marci). II. In den reichsgesetzlich n i c h t g e r e g e l t e n Materien hat die Landesgesetzgebung freien Spielraum. Die bisherigen Landesgesetze bleiben bestehen, neue können gegeben werden. Diesen Satz spricht § 2 Abs. 2 des E G . zum StGB, aus, wenn er auch irreleitend die „ b e s o n d e r e n V o r schriften" dem StGB, gegenüberstellt. Die äufsere Stellung eines Rechtssatzes b a y r i s c h e vom 26. Dezember 1871 (Kommentar von Staudinger 3, Aufl. 1893), das w ü r t t e m b e r g i s c h e vom 27. Dezember 1871 (Schicker 2. Aufl. 1888), das b a d i s c h e v o m 3 1 . Oktober 1863, abgeändert 1871 (Schlusser 1888), das h e s s i s c h e von 1855. Sachsen, Preufsen, Elsafs besitzen keine einheitliche Polizei-Strafgesetzgebung. Vgl. überhaupt Rosin W V 2 273, Seuffert StG. 1 94. Mascher Die preufsisch-deutsche Polizei 4. und 5. Aufl. 1885. S ) Vgl- die Lehrbücher des Privatrechts von IVindscheid, Dernburg, Stobbe, u. a. Mandry Zivilrechtlicher Inhalt der Reichsgesetze 3. Aufl. S. 224, 226, 231. Landsberg Injurien und Beleidigung 1886. Insbesondere aber Seuffert StG. 1 89. Durch die Einräumung eines strafprozessualisch verfolgbaren Bufsanspruches (unten § 67) werden weitergehende privatrechtliche Ansprüche nicht berührt.
78
§ ig.
Das sachliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
in einem allgemeinen StGB., bezw. Polizei-StGB. oder aber in einem sogenannten Nebengesetze, hat für unsre Frage keine Bedeutung. N u r b e i s p i e l s w e i s e nennt der § 2: Prefspolizei-, Post-, Steuer-, Zoll-, Fischerei-, Jagd-, Forst- und Feldpolizeigesetze, Vorschriften über Mifsbrauch des Vereins- und Versammlungsrechtes und über den Holz-(Forst-)Diebstahl. 4 ) I I I . Aber auch auf dem an sich der Landesgesetzgebung überlassenen Gebiet, also in den reichsgesetzlich nicht geregelten Materien, sind jener gewisse Schranken gezogen. 1. W e n n in Landesgesetzen auf strafrechtliche Vorschriften, welche durch das StGB, für das Deutsche Reich aufser K r a f t gesetzt sind, sei es ausdrücklich, sei es stillschweigend verwiesen wird, so treten die entsprechenden Vorschriften des letztern an die Stelle der erstem (EG. § 3). So weiden wir in dem Schweigen der Landesnebenstrafgesetze über die allgemeinen Lehren eine Verweisung auf die StG.Bücher der Einzelstaaten erblicken können und d a r u m die allgemeinen Bestimmungen des RStGB. zur Anwendung zu bringen haben. 2. Vom 1. Januar 1872 ( 1 8 7 1 ) ab darf nur auf die im RStGB. enthaltenen Strafarten erkannt werden. Ausgenommen ist die an Stelle der Gefängnis- oder Geldstrafe angedrohte oder nachgelassene Forst- oder Gemeindearbeit (EG. § 6). 6 ) 3. Während die unter I und 2 angeführten Beschränkungen in gleicher Weise die bisherige wie d i e k ü n f t i g e Landesgesetzgebung treffen, darf, ohne dafs die b e s t e h e n d e n Landesgesetze durch diese Anordnung irgendwie unmittelbar b e r ü h r t werden, 6 ) in k ü n f t i g e n Landesgesetzen nur Gefängnis bis zu zwei Jahren, Haft, Geldstrafe, Einziehung einzelner Gegenstände und die Entziehung öffentlicher Ämter angedroht werden (EG. § 5). I V . Durch ausdrückliche reichsgesetzliche Anordnung (EG. § 8) wurde der Landesgesetzgebung das übrigens selbstverständliche R e c h t vorbehalten, durch Ü b e r g a n g s b e s t i m m u n g e n die in K r a f t bleibenden Landesstrafgesetze, welche als solche durch die Reichsgesetzgebung nicht berührt wurden, ' ) Auch die Anführung des Holzdiebstahls ist eine lediglich beispielsweise; er ist eben — und war von jeher — etwas wesentlich andres als Diebstahl, mit dem er nur den Namen gemein hat, wurde auch niemals zu den „unehrlichen Sachen" gerechnet. Vgl. überhaupt Ziegner-Gnüchtel Z 8 222. Schwappach W V . 1 442. I m Sinne des Textes John Z 1 273, Kommentar 1 97, Kayser H H . 4 46; Glaser 1 289. D a g e g e n die gem. Ansicht, insbes. Olshausen EG. § 2 10, Binding 1 346 Note 9, Normen 1 160 (anders I. Aufl. 1 73), Seuffert StG. 1 86. Die einschlagenden Gesetze (für Preufsen: Forstdiebstahlsges. vom 15. April 1878; Forst- und Feldpolizeiges. vom 1. April 1880; Elsafs-Lothringen: Feldpolizeigesetz vom 9. Juli 1888) sind aufgezählt bei Binding 1 308 Note 3. Vgl. ferner Ziebarth 373. 6 ) Ausgeschlossen ist mithin die körperliche Züchtigung; aber nur als Strafe, nicht als Disziplinarmittel. Abweichend Seuffert StG. 1 89. 6 ) Die Frage ist bestritten. Im Sinne des Textes die gem. Meinung, insb. v. Meyer 146, Olshausen E G . § 5 2. Dagegen Heinze GS. 30 561, Binding 1 298, Hälschner t 103, Kayser HH. 4 52.
§ 20.
Das räumliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
79
mit den Vorschriften des R S t G B . in Übereinstimmung zu bringen. Solche Ausführung'gesetze sind in sämtlichen Bundesstaaten mit Ausnahme von Preufsen nebst Lauenburg und Waldeck erlassen worden. 7 )
¡5 20. Das räumliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze. Grundsätzliche Erörterung. Litteratur. Berner Wirkungskreis 1853. Schmid Herrschaft der Gesetze 1863. v. Bar Lehrbuch des internationalen Privat- und Strafrechts 1892. v. Rohland Das internationale Strafrecht 1877] 1. (Dazu K r i t VJSchr. N . F . 1 453.) v. Liszt Z 2 50. v. Bar GS. 34 481 und 35 561. Geyer Z 3 619. Binding 1 370. Harburger Der strafrechtliche Begriff Inland 1882. Lammasch Auslieferungspflicht und Asylrecht 1887. Derse.be GS. 4-0 I. v. Martitz Internationale Rechtshilfe in Strafsachen 1 1888. I. Unter dem durch Bentham eingebürgerten, in der Uberschrift dieses Paragraphen absichtlich vermiedenen Ausdrucke „ i n t e r n a t i o n a l e s S t r a f r e c h t " pflegt man wesentlich verschiedene Begriffe zu vermengen. Man versteht darunter: 1. Die Rechtsregeln über das r ä u m l i c h e G e l t u n g s g e b i e t der Strafrechtssätze. Diese Rechtsregeln gehören an sich dem n a t i o n a l e n R e c h t e an. Aber mit der Erkenntnis, dafs jede einzelne nationale Gesetzgebung sich bestreben soll, mit den übrigen sich in Einklang zu setzen, Übergriffe zu vermeiden und Lücken auszufüllen, entsteht eine R e i h e von v ö l k e r r e c h t l i c h e n Normen, also von internationalen Anforderungen an den nationalen Gesetzgeber, die ebenfalls, und mit gröfserem Recht, unter jener Bezeichnung zusammengefafst werden. Einen wichtigen Ausschnitt aus ihnen bildet die i n t e r n a t i o n a l e R e c h t s h i l f e , insbesondere in der Gestalt der Auslieferung, mit welcher sich § 22 beschäftigen wird. 2. I n t e r n a t i o n a l e V e r e i n b a r u n g e n über strafrechtlichen Rechtsgüterschutz. Ihre Zahl wie ihre Bedeutung ist gering. Erwähnt seien die Reblauskonvention vom 3. November 1881, der Vertrag zum Schutz der unterseeischen K a b e l vom 14. März 1884 (RGBl. 1888 S. 151), die Brüsseler Generalakte vom 2. Juli 1890 gegen den Sklavenhandel. Solche Verträge begründen für die vertragschliefsenden Staaten die v ö l k e r r e c h t l i c h e Verpflichtung zur Erlassung entsprechender Bestimmungen. So entsteht inhaltlich gleiches R e c h t in verschiedenen Staaten. Aber die Quelle seiner s t a a t s r e c h t l i c h e n Verbindlichkeit ist das nationale Gesetz und nicht der internationale Vertrag. Besondere Behandlung an dieser Stelle entfällt hiermit. W i r haben es in diesem und dem folgenden Paragraphen nur mit der ersten Bedeutung des W o r t e s zu thun. ' ) Von Zusammenstellungen des Landesstrafrechts sind zu erwähnen: Die oben zu § 11 angeführten W e r k e ; ferner: Das StGB, für das Deutsche Reich in seiner Anwendung im Königreich Bayern 5. Aufl. 1889 (Bamberg); Gösch und v. Düring Mecklenburg-Schwerinsches^ Landesstrafrecht 1887; MecklenburgStrelitzsches Landesstrafrecht 1887. Über französisches R e c h t vgl. Scherer GS. 39 621. — Über das mustergiltige bayrische EG. vgl. Seuffert StG. 1 93; über den Inhalt des Landesstrafrechts daselbst 98.
go
§
20-
Das räumliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
II. V o n dem v ö l k e r r e c h t l i c h e n Grundsätze ausgehend, dafs die Staatshoheit räumlich begrenzt wird durch das Staatsgebiet, gelangen wir zu dem Folgesatze, dafs jeder Staat sein heimisches Strafrecht anzuwenden hat auf a l l e auf seinem Gebiete, also i m I n l a n d e , b e g a n g e n e n strafbaren Handlungen. Ob der Thäter, ob der Verletzte ein Inländer oder aber ein Ausländer ist, darf dabei einen Unterschied nicht machen. Verfolgung und Bestrafung der im Auslande begangenen Handlungen ist dem Staate des Begehungsortes zu überlassen (sog. T e r r i t o r i a l p r i n z i p ) . Für diese Regelung spricht nicht nur die Leichtigkeit und Sicherheit einer folgerichtigen Durchführung, sondern vor allem die unbestreitbaren Vorteile, welche Verfolgung und Aburteilung am Thatorte bietet. III. Aber die Annahme und Durchführung des Territorialprinzips ist für den einzelnen Staat nicht möglich ohne eine doppelte Voraussetzung. Zunächst mufs er die Anerkennung des gleichen Grundsatzes von Seiten sämtlicher übrigen Staaten fordern, damit Übergriffe einer einzelnen Staatsgewalt ebenso vermieden werden wie Lücken in der Strafverfolgung. Dann aber mufs jeder Staat sicher sein, dafs Angriffe auf seine Interessen, die auf fremdem Staatsgebiete vorgenommen werden, einer kräftigen A b w e h r durch die Strafgesetzgebung des Begehungsortes begegnen. Beide Voraussetzungen sind heute nicht gegeben und können nur durch internationale Vereinbarungen geschaffen werden. So ist das Strafrecht gezwungen, über die Grenzen des Heimatsstaates hinauszugreifen. A b e r diese Grenzüberschreilung wird, schon wegen der Nachteile, welche mit der Verfolgung und Aburteilung an einem andern Orte als dem der begangenen That untrennbar verbunden sind, nicht weiter gehen dürfen, als unabweisliche Bedürfnisse es erheischen. Ein solches Bedürfnis kann aber nur dann anerkannt weiden, wenn die im A u s l a n d e begangene Handlung gerichtet ist entweder a) gegen das i n l ä n d i s c h e G e m e i n w e s e n selbst und seine Lebensinteressen oder b) gegen R e c h t s g ü t e r der i n l ä n d i s c h e n R e c h t s g e n o s s e n . Diese Erweiterung des räumlichen Geltungsbereiches der Strafrechtssätze pflegt man als „ S c l i u t z p r i n z i p " oder „ P r i n z i p d e r b e t e i l i g t e n R e c h t s o r d n u n g " zu bezeichnen. Früher insbesondere von Fenerbach Lehrbuch §§ 31, 40, Arnold GS. 1857 1 340 u. a. vertreten, ist es in unsern Tagen von Heitize Erörterungen 147, v. Wächter Vorlesungen, Beil. 85, Binding 1 370, v. Meyer 156, v. Rohland 157, van Hamel 142 aufgenommen worden. In den deutschen Einzelstaaten erst durch französisch-preufsische Rechtsanschauungen verdrängt, entspricht es allein den Anforderungen einer von nationalem Geiste erfüllten kräftigen Kriminalpolitik; und wenn auch die ihm huldigenden Gesetzvorschläge (1875 und 1889) den Beifall des Reichstags nicht fanden, so ist diesem Grundsatze doch bis zum Zustandekommen internationaler Vereinbarungen, also für die nächste Zukunft, die Herrschaft gesichert. I V . Der staatsrechtliche Grundsatz, Inländer an das Ausland zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung nicht auszuliefern (unten § 22), zwingt dazu, die I n l ä n d e r wegen der im A u s l a n d e begangenen strafbaren
§ 2o.
Das räumliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
gl
Handlungen auch dann dem inländischen Strafrechte zu unterwerfen, wenn die oben unter I I I aufgestellten Voraussetzungen nicht gegeben sind. Irreführend ist es, diese Erweiterung auf ein strafrechtliches „ N a t i o n a l i t ä t s - " oder S u b j e k t i o n s p r i n z i p " zurückzuführen; und als ein Widerspruch mufs es bezeichnet werden, wenn man die Verfolgung und Bestrafung im Inland unter die Herrschaft ausländischer Rechtsregeln stellen will. V . Die I n t e r e s s e n g e m e i n s c h a f t a l l e r K u l t u r s t a a t e n in Beziehung auf gewisse Lebensbethätigungen führt weiter dazu, e i n z e l n e gegen g e m e i n s a m e I n t e r e s s e n gerichtete Handlungen ohne R ü c k s i c h t a u f d e n B e g e h u n g s o r t nach dem R e c h t e des ergreifenden Staates zu bestrafen. A l s solche gemeinsame Interessen erscheinen: der internationale Handelsverkehr mit seinen Bedürfnissen; die Sicherheit der grofsen Verkehrswege; die Sicherheit des Münz- und Geldverkehrs; die Verteidigung gegen internationale Feinde, die „hostes generis humani", wie Seeräuber, Sklavenhändler, anarchistische Dynamitveibrecher; die Abwehr des Mifsbrauches des roten Kreuzes u. a. m. Noch weiter zu greifen ist weder notwendig noch zweckmäfsig. Wissenschaftlich unhaltbar und praktisch undurchführbar ist mithin der „ G r u n d s a t z d e r a b s o l u t e n E x t ra t er ri t o ria Ii t ä t d e r S t r a f g e s e t z e " oder das „ S y s t e m d e r W e l t r e c h t s p f l e g e " . Seine Anhänger verlangen, untereinander wenig übereinstimmend, dafs jeder Staat, als Vertreter der internationalen Kulturgemeinschaft, bei allen wo immer begangenen Verbrechen wenigstens aushilfsweise die Ausübung der Rechtspflege gegen die von ihm ergriffenen Verbrecher auf sich nehmen soll. Diese Ansicht übersieht die tiefgreifende Verschiedenheit der strafrechtlichen Bestimmungen selbst in den nächstbenachbarten Ländern; sie zwingt den heimischen Richter, fremdes, ihm unbekanntes R e c h t zur Anwendung zu bringen; sie unterschätzt die Schwierigkeiten eines Strafverfahrens, dem die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme mangelt; und sie gewährt der Rechtsordnung trotz alledem keinen wesentlich stärkern Schutz als die Ausweisung des verdächtigen oder überführten Ausländers. Von den Anhängern dieser Ansicht sind aufser Mohl(Staatsrecht 1 637), Schmid, Ortolan, Carrara, Brusa zu nennen: v.Schwarze H H . 2 45, Geyer Z 3 619, Hälschner 1 136, Ulimann GS. 32, Lentner Der schwarze K o d e x 1891 S. 82, insbesondere aber Lammasch Auslieferungspflicht 2 6 ' ) und v. Mörtitz (hier S. 106 weitere Litteratur); in beschränktem Umfange auch v. Bar Lehrbuch 216 und v. Lilienthal 23. — Hinneigung zur Weltrechtspflege weisen auf Sachsen 1855 (1868 Art. 2, 9), Osterreich 1803 (1852 §§ 39, 40), in geringerem Mafse die österreichischen Entwürfe, das ungarische und das italienische StGB, sowie der russische Entwurf (Erläuterung 42). Der grofsen Mehrzahl der Strafgesetzbücher, wie dem Schweizer Entwurf, ist sie fremd geblieben.
' ) Lammasch geht aus von dem „Prinzip der identischen Norm" und verfällt damit in die von ihm sonst so scharf bekämpfte Bindingscht Normenlehre. von L i s z t , Strafrecht.
6. Aufl.
6
82
§ 21.
§ 21.
Fortsetzung.
Der Standpunkt der deutschen Reichsgesetzgebung.
Fortsetzung. D e r Standpunkt der deutschen Reichsgesetzgebung.
I. Das R S t G B . ') stellt in § 3 den Satz an die Spitze: „Die Strafgesetze des Deutschen Reichs finden Anwendung auf alle im Gebiete desselben begangenen strafbaren Handlungen, auch wenn der Thäter ein Ausländer ist." Die S t a a t s a n g e h ö r i g k e i t d e s T h ä t e r s ist demnach im allgemeinen ohne Bedeutung. Allerdings spricht der Wortlaut mancher Bestimmungen nur von dem „Deutschen" (StGB. § § 87, 91, 140, 142, 143, Robbengesetz vom 4. Dezember 1876), derjenige andrer Strafdrohungen nur von dem „ A u s l ä n d e r " (StGB. § 296 a, Gesetz über die Küstenfrachtfahrt vom 22. Mai 1881). Doch kann im ersten Falle der Ausländer, im zweiten der Deutsche als Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) sowie als mittelbarer Thäter (unten § 50), nicht als unmittelbarer Mitthäter zur Verantwortung gezogen werden. Ebenso erleidet die Gleichstellung i n l ä n d i s c h e r u n d a u s l ä n d i s c h e r R e c h t s g u t e r , welche § 3 StGB, stillschweigend ausspricht, gewisse Ausnahmen. So wird nach einer freilich sehr bestrittenen und später (unten Besonderer Teil) zu rechtfertigenden Ansicht bei Angriffen auf die Staatsgewalt nur in einzelnen vom Gesetze besonders hervorgehobenen Fällen die ausländische Staatsgewalt im Inlande überhaupt geschützt, ohne der inländischen j e ganz gleichgestellt zu werden. Und die ausländischen Urheberrechte geniefsen regelmäfsig nicht auf Grund des Strafgesetzbuches, sondern nur infolge besonderer Staatsverträge gleichen oder doch ähnlichen strafrechtlichen Schutz wie die inländischen. Man vergleiche auch noch StGB. § § 112, 141, 144, 275 u. a. II. Der Begriff „ I n l a n d " bedarf aber der näheren Erläuterung. I. Im s t a a t s r e c h t l i c h e n und damit auch im strafrechtlichen Sinne ist Inland das „ B u n d e s g e b i e t " gemäfs Art. I der Reichsverfassung und Gesetz vom 9. Juni 1871 betr. die Vereinigung von Elsafs und Lothringen mit dem Deutschen Reiche. 2 ) A b e r der Zeitpunkt, von welchem ab die einzelnen Teile des jetzigen Deutschen Reiches zur s t r a f r e c h t l i c h e n Einheit verbunden wurden, wird nicht durch die Rechtskraft der Reichsverfassung (4. Mai 1871), sondern durch den Beginn der Geltung des StGB, bestimmt. Daher bildeten das Inland im Sinne des StGB vom I. Januar bis I. Oktober 1871 nur die Länder des ehemaligen Norddeutschen Bundes; an diesem Tage traten Elsafs und Lothringen, am 1. Januar 1872 Bayern, Baden, Württemberg, am I. April 1891 Helgoland hinzu. 3 ) ') Nur das Geltungsgebiet der Reichsstrafgesetze steht in Frage, nicht das der Landesstrafgesetze. V g l . über das letztere John 1 204, Ziebarth 333, Bennecke 83 Note 2, v. Kries 104. 8 ) StGB. § 8: „ A u s l a n d im Sinne dieses Strafgesetzes ist jedes nicht zum Deutschen Reiche gehörige Gebiet." V g l . dazu Gesetz vom 15. Dezember 1890 und Vdg. vom 22. März 1891 (Helgoland). a ) Dagegen die herrschende Ansicht. Nach ihr galten B a y e r n , Württ e m b e r g und B a d e n im ehemaligen norddeutschen Bundesgebiet (einschl. S ü d - H e s s e n ) schon vom 4. Mai 1871, dem T a g e der Rechtskraft des Gesetzes vom 16. A p r i l 1871, — das ehem. norddeutsche Bundesgebiet dagegen in jenen süddeutschen Staaten erst mit dem I. Januar 1872, dem T a g e
§ 21.
Fortsetzung.
Der Standpunkt der deutschen Reichsgesetzgebung.
83
Die deutsche Staatsgewalt herrscht ferner in den d e u t s c h e n S c h u t z g e b i e t e n . Dennoch sind hier die Reichsstrafrechtssätze nach § 3 des Gesetzes vom 19. März 1888 nur für Reichsangehörige und Schutzgenossen unbedingt, für andre Europäer und für die Eingeborenen nur unter der Voraussetzung verbindlich, dafs die deutsche Gerichtsbarkeit durch kaiserliche Verordnung auf sie erstreckt wird. 1 ) 2.
Der staatsrechtliche Begriff „Inland" wird durch v ö l k e r r e c h t Grundsätze teils erweitert, teils eingeengt. a. Zum Inland werden gerechnet die K ü s t e n g e w ä s s e r sowie die L u f t s ä u l e über dem Staatsgebiet; jene wie diese, soweit sie thatsächlich, insbesondere durch Waffengewalt, beherrscht werden (in den Staatsverträgen wird die Grenze der Küstengewässer meist drei Seemeilen vom niedrigsten Wasserstande bestimmt). Jedoch fallen die auf fremden Schiffen in deutschen Küstengewässern begangenen Delikte nur dann unter die deutsche Strafgewalt, wenn deutsche Interessen durch sie berührt werden (in zahlreichen Staatsverträgen ausdrücklich ausgesprochen). b) S c h i f f e auf offener See, Staatsschiffe (nicht blofs Kriegsschiffe) auch in fremden Gewässern, gelten als Inland. c) Nach den mit nichtchristlichen Staaten geschlossenen Staatsverträgen (Kapitulationen) sowie nach § 4 des Gesetzes vom 10. Juli 1879 gilt in den K o n s u l a r g e r i c h t s b e z i r k e n das Reichsstrafrecht für Reichsangehörige und Schutzgenossen. d) Durch Verträge zwischen benachbarten Staaten kann vereinbart werden, dafs bestimmte Strafrechtssätze des einen Staates, z. B. Zoll- und Steuergesetze, auch auf dem angrenzenden Gebiete des andern Staates Geltung haben sollen. Amtsgebäude auf fremdem Gebiete (Zollabfertigungsstellen u. s. w.) können demnach als Inland zu betrachten sein. s ) e) Uber die durch das Mil.-StGB. im Anschlufs an volkerrechtliche Grundsätze für den Kriegsfall angeordneten Erweiterungen des räumlichen Geltungsgebietes der Strafrechtssätze vgl. unten Besonderen Teil. 3. Es ist endlich zu beachten, dafs nicht alle deutschen Strafgesetze in sämtlichen Teilen des Inlandes Anwendung finden, dafs vielmehr die Geltung für bestimmte Teile des Reichs ausgeschlossen oder von vornherein nur für bestimmte Gebiete angeordnet sein kann. So ist § 31 des Prefsgesetzes nicht in liche
der Einführung des StGB, als Reichsgesetz in jene Staaten, s t r a f r e c h t l i c h als Inland. Richtig neuerdings Binding 1 407. 4) Vgl. G. Meyer Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schutzgebiete 1888 S. 103; v. Martitz 63. Gegenüber der äufserlichen Anlehnung unsrer Kolonialgesetzgebung an das Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit mufs betont werden, dafs die Verbindlichkeit des deutschen Strafrechts in den Schutzgebieten auf staatsrechtlicher, in den Konsulargerichtsbezirken auf völkerrechtlicher Grundlage (dort auf der ausschliefslichen Herrschaft der deutschen Staatsgewalt, hier auf der vertragsmäfsigen Einschränkung fremder Staatsgewalt) ruht. 6) R 19. März 86 13 410, 19. November 88 18 242. Vgl. auch den deutsch-österreichischen Vertrag vom 2. Dezember 1890 über die Einbeziehung der vorarlbergischen Gemeinde Mittersil in das Zollsystem des Deutschen Reichs. 6*
84
§ 21.
Fortsetzung. Der Standpunkt der deutschen Reichsgesetzgebung.
Elsafs-Lothringen eingeführt; auf Helgoland sind verschiedene Reichsgesetze nicht in Kraft getreten; über Gewinnung von Edelmetallen sind für die deutschen Schutzgebiete besondere Vorschriften erlassen. III. Der an die Spitze gestellte Grundsatz wird aber durch mehrfache' Ausnahmen durchbrochen. Dabei ist zwischen Verbrechen und Vergehen einerseits und Übertretungen anderseits zu unterscheiden. Im Auslande begangene Ü b e r t r e t u n g e n — soweit diese überhaupt unter die R e i c h s g e s e t z g e b u n g fallen — sind nur dann zu bestrafen, wenn dies durch besondere Gesetze oder durch Verträge von Seiten des Reichs oder eines Einzelstaates angeordnet ist (StGB. § 6). So werden nach dem deutsch-belgischen Vertrage vom 29. April 1885 (RGBl. S. 251) Deutsche, welche auf belgischem Grenzgebiete sich eines Forst-, Feld-, Fischerei- oder Jagdfrevels schuldig gemacht haben, nach deutschem Rechte zur Verantwortung gezogen. Ahnliche Bestimmungen finden sich auch in Verträgen mit andern Staaten. IV. Bezüglich der im Auslande begangenen V e r b r e c h e n o d e r V e r g e h e n unterscheidet das Gesetz weiter, indem es zunächst den Inländer in einer grofseren Zahl von Fällen als den Ausländer dem inländischen Rechte unterwirft; in allen diesen Fällen steht die Verfolgung im pflichtgemäfsen Ermessen (nicht in der Willkür) der Anklagebehorde (StGB. § 4 Abs. 2). 6 ) I. Der I n l ä n d e r kann nach inländischem Rechte verfolgt werden: a) O h n e w e i t e r e B e d i n g u n g , wenn er eine hoch- oder landesverräterische Handlung gegen das Reich oder einen Bundesstaat, oder eine Beleidigung gegen einen Bundesfursten (nicht gegen Mitglieder der landesherrlichen Familien), oder ein Münzverbrechen, oder als Beamter des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaates eine Handlung begangen hat, die nach den Gesetzen des Deutschen Reichs (nicht blofs nach dem StGB.) als Verbrechen oder Vergehen im Amte anzusehen ist (StGB. § 4 Nr. I und 2). Das gleiche gilt bei Mifsbrauch von Sprengstoffen nach § 12 des Gesetzes vom 9. Juni 1884 (für die Verbrechen der §§ 5, 6, 7, 8 und 10 dieses Gesetzes) sowie für den Verrat militärischer Geheimnisse nach §§ I, 3, 5 des Gesetzes vom 3. Juli 1893 (§ IO)b ) i n a n d e r n F ä l l e n dann, wenn die folgenden Voraussetzungen zusammentreffend vorliegen: I. Die begangene Handlung mufs nach den Gesetzen des Deutschen Reichs als Verbrechen oder Vergehen anzusehen sein. — 2. Sie mufs durch die Gesetze des Begehungsortes mit Strafe bedroht sein. Wird die Handlung auf staatslosem Gebiete, etwa auf einer Entdeckungsreise im Innern von Afrika oder auf Nordpolareis, auf offener See aufserhalb des Schiffes (z. B. beim Schwimmen) begangen, so entfällt diese Bedingung mit der Unmöglichkeit ihres Eintrittes.') Mehrfache Ehe, begangen in einem Staate, in welchem Viel6 ) Diese Bestimmung (getadelt von Binding 1 404, Normen 1 33) rechtfertigt sich, selbst wenn man die Überspannung des sogenannten Legalitätsprinzips in unsrer StrPO. für zweckmäfsig erachten sollte, durch den Hinweis auf die Schwierigkeiten, welche der Verfolgung einer im Auslande begangenen That im Einzelfalle entgegenstehen können. ' ) Die Handlung ist also ohne weiteres nach deutschem Rechte strafbar. Die richtige Ansicht vertreten Fuld GS 42 37, 44 248, Binding 1 436, sowie früher Meves Novelle 92, 83. Dagegen, an den Buchstaben des Ge-
§ 21.
Fortsetzung.
Der Standpunkt der deutschen Reichsgesetzgebung.
85
weiberei rechtlich erlaubt ist (abgesehen von den Konsularjurisdiktionsbezirken), kann an dem nach dem Reich zurückgekehrten Deutschen nicht bestraft werden. Gleichgültig ist es dagegen, ob das Recht des Thatortes die Handlung unter demselben oder unter einem andern Gesichtspunkte bedroht, wie das deutsche StGB. — 3. Es darf von den Gerichten des Auslandes n i c h t über die Handlung bereits rechtskräftig erkannt und entweder eine Freisprechung erfolgt oder die ausgesprochene Strafe vollzogen sein. Doch ist in diesem Falle ein besonderes Nachverfahren zum Zwecke der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zulässig (StGB. § 37; vgl. unten § 66 IV). — 4. Es darf n i c h t (bei Einleitung des Verfahrens*)) Strafverfolgung oder Strafvollstreckung nach den Gesetzen des Auslandes verjährt oder die Strafe erlassen sein. — 5. Es mufs der nach den Gesetzen des Auslandes erforderliche Antrag des Verletzten gestellt sein. Nur wenn alle fünf Bedingungen vorliegen, ist die Verfolgung nach inländischem Recht zulässig (StGB. § 4 Nr. 3, § 5). Für die Entscheidung der Frage, ob der Thäter Inländer oder Ausländer ist, kommt ausschliefslich der Augenblick der Begehung der That in Betracht. 2. Der A u s l ä n d e r wird wegen der von ihm im Auslände begangenen Verbrechen und Vergehen a) o h n e w e i t e r e s nach inländischem Rechte verfolgt, wenn es sich um Hochverrat gegen das Deutsche Reich oder einen Bundesstaat oder um ein Münzverbrechen handelt, oder wenn er als Beamter des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaats eine Handlung begangen hat, die nach den Gesetzen des Deutschen Reichs als Verbrechen oder Vergehen im Amte anzusehen ist (StGB. § 4 Nr. I). Ebenso nach § 12 des SprengstofFgesetzes von 1884 (oben S. 84). b) Dagegen ist in allen anderen Fällen, mit e i n e r Ausnahme, die Verfolgung ausgeschlosssen. Ist nämlich der Thäter zwar bei Begehung der Handlung nicht Inländer gewesen, es aber n a c h t r ä g l i c h g e w o r d e n , so kann die Verfolgung gegen ihn eingeleitet werden, wenn die oben unter I, b angeführten Bedingungen vorliegen und überdies die (volkerrechtlich) zuständige Behörde des Landes, in welchem die strafbare Handlung begangen wurde, die Verfolgung beantragt. In diesem Falle ist das ausländische Strafgesetz anzuwenden, wenn und soweit es milder ist (StGB. § 4 Nr. 3 Abs. 2). In allen unter I und 2 besprochenen Fällen mufs eine im Auslande vollzogene Strafe, wenn wegen derselben Handlung im Gebiete des Deutschen Reichs abermals eine Verurteilung erfolgt, auf die zu erkennende Strafe in Anrechnung gebracht werden (StGB. § 7). V. Daneben befinden sich mehrfach besondere , hier der Vollständigkeit wegen anzuführende Bestimmungen. 1. So machen die Gesetze, welche den r e c h t l i c h e n V e r k e h r a u f o f f e n e r S e e und den andern internationalen Wasserstrafsen regeln, vielfach setzes sich haltend, die meisten, so Hälschner 1 167, v. Meyer 161, Olshausen § 4 16, Schütze 59, Geyer 1 96 und Z 3 629, Lammasch Ablieferungspflicht 53, van Hantel 144. Vgl. auch v. Mörtitz 69, 77, sowie den am 17. Mai 1889 dem Reichstage vorgelegten Gesetzentwurf. 8 ) Vgl. Lippmann Zeitschr. fiir internat. Privat- und Strafrecht 2 447.
86
§ 22.
Fortsetzung.
Internationale Rechtshilfe.
keinen Unterschied zwischen Begehung im Inlande und im Auslande. Hierher gehören § 100 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872; das (der englischen Sealfishery act von 1875 nachgebildete) Robbenfanggesetz vom 4. Dezember 1876 (Gegenden zwischen dem 67. und 75. 0 nördlicher Breite und dem 5 . 0 ostlicher und 17. 0 westlicher Länge); der HaagerVertrag betr. die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee aufserhalb der Küstengewässer vom 6. Mai 1882 (RGBl. 1884 Nr. I i ) ; der Vertrag betr. die Lachsfischerei im Stromgebiete des Rheins vom 30. Juni 1885 (RGBl. 1886 Nr. 18). Ebenso der unter dem 14. März 1884 geschlossene (RGBl. 1888 S. 151 veröffentlichte) internationale Vertrag zum S c h u t z d e r u n t e r s e e i s c h e n T e l e g r a p h e n k a b e l , dessen Bestimmmungen teilweise nach Art. 1 des Vertrages aufserhalb der Küstengewässer (nach § 1 des deutschen Ausfuhrungsgesetzes vom 21. November 1887, RGBl. 1888 S. 169 auch innerhalb der deutschen Kustengewässer) Anwendung finden sollen. 2. Man beachte weiter: N a c h d r u c k s g e s e t z vom I i . Juni 1870 § 22 („sobald ein Nachdrucksexemplar, sei es im Gebiete des Norddeutschen Bundes, sei es aufserhalb desselben hergestellt worden ist"), § 25, sowie die drei U r h e b e r r e c h t s g e s e t z e von 1876. StGB. § 102 („Ein Deutscher, welcher im Inlande oder Auslande u. s. w.") ; § 140 („Ein Wehrpflichtiger, welcher . . . sich aufserhalb des Bundesgebietes auf halt"); § 298 („ohne Unterschied, ob das Vergehen im Inlande oder im Auslande begangen worden ist"). Auch die Bestimmungen des Mil.-StGB. greifen vielfach über die durch das RStGB. gezogenen Grenzen hinaus (vgl. unten Besonderen Teil).
§ 22. Fortsetzung.
Internationale Rechtshilfe.
Litteratur. Die älteren Arbeiten sind entbehrlich gemacht durch die zu § 20 angeführten Werke von Lammasch und v. Martitz. Vgl. noch Lammasch HV. 3 454. Delius Die Auslieferung fluchtiger Verbrecher aus fremden Landen nach dem Königreich Preufsen 1890. Derselbe Z U 677, GA. 39 112. v. Kries 180. v. Bar Lehrbuch 277. Seußert StG. 1 59. Jettel Handbuch des internationalen Privat- und Strafrechts mit Rücksicht auf die Gesetzgebungen Österreich-Ungarns, Kroatiens und Bosniens 1893. — Zusammenstellung der sämtlichen Verträge bei Kirchner L'extradition. Recueil renfermant tous les traités jusqu'au I janvier 1883. 1884. Fur das Deutsche Reich: Hetzer Deutsche Auslieferungsverträge 1885 ; Staudinger Sammlung von Staatsverträgen des Deutschen Reichs 1882. 1884. I. Die Lücken, welche durch die Begrenzung des räumlichen Geltungsgebietes der Strafrechtssätze entstehen, ergänzt die i n t e r n a t i o n a l e R e c h t s h i l f e . Ein Akt derselben — nicht der einzige, aber der wichtigste — ist die A u s l i e f e r u n g angeklagter oder verurteilter f l u c h t i g e r Verbrecher.') *) Die Auslieferung ist ein Akt der i n t e r n a t i o n a l e n R e c h t s h i l f e , nicht aber der k o s m o p o l i t i s c h e n R e c h t s p f l e g e . Ü b e r die Tragweite dieses Satzes siehe v. Liszt Z 2 60. E r wird gebilligt von Binding I 397, v. Meyer 166, Martens Völkerrecht 2 392, v. Martitz 440, Harburger K r i tische Vierteljahrsschrift N. F . 13 122, Ullmann daselbst 314, Bernard Traité d e l'extradition 1883 2 209, van Hamel 1 149, v. Kries 182, v. Lilienthal 28:
§ 22.
Fortsetzung.
Internationale Rechtshilfe.
87
Das Auslieferungswesen ist in einzelnen Staaten durch G e s e t z e geregelt, welche die unverrückbare Grundlage der abzuschliefsenden Auslieferungsverträge bilden; in den übrigen Staaten bleibt die Regelung dem Herkommen oder der internationalen Vereinbarung durch S t a a t s v e r t r ä g e überlassen. 8 ) Aber auch wo es an einer derartigen, die Auslieferungspflicht des ersuchten Staates begründenden a l l g e m e i n e n Regelung fehlt, steht (und damit stimmt die Übung der meisten Staaten überein) der Auslieferung im E i n z e l f a l l e nichts im W e g e , soweit nicht besondere Vorschriften (wie riach englisch-amerikanischem Recht) sie unmöglich machen. Das Deutsche Reich hat sich bisher mit dem Abschlüsse einzelner Auslieferungsverträge begnügt. Und zwar mit folgenden Ländern: A m e r i k a vom 22. Februar 1868 (BGBl. 1868 S. 231; Ausdehnung des von Preufsen mit den Vereinigten Staaten am 16. Juni 1852 geschlossenen Vertrages auf alle Staaten des Norddeutschen Bundes); I t a l i e n vom 31. Oktober 1871 (RGBl. S. 446), und dazu: Abkommen zwischen Deutschland und Italien mit der Schweiz vom 25. Juli 1873 (ZB1. S. 271 und Pr.JMBl. vom 15. Januar 1878); G r o f s b r i t a n n i e n vom 14. Mai 1872 (RGBl. S. 229); S c h w e i z vom 24. Januar 1874 (RGBl. S. 113); B e l g i e n vom 24. Dezember 1874 und Bek. vom 29. Dezember 1878 (RGBl. 1875 S. 73 und 1878 S. 79); L u x e m b u r g vom 9. März 1876 (RGBl. S. 223); B r a s i l i e n vom 17. September 1877 (RGBl. 1878 S. 293), S c h w e d e n und N o r w e g e n vom 19. Januar 1878 (RGBl. S. 110); S p a n i e n vom 2. Mai 1878 (RGBl. S. 213); U r u g u a y vom 12. Februar 1880 (RGBl. 1883 S. 287); K o n g o s t a a t vom 25. Juli 1890 (bezuglich der deutschen Schutzgebiete in Afrika; RGBl. 1891 S. 91). Für Elsafs-Lothringen mit F r a n k r e i c h vom 11. Dezember 1871 (RGBl. S. 7). Vgl. weiter Konsularvertrag mit S e r b i e n vom 6. Januar 1883 Art. 25 (RGBl. S. 62), Freundschaftsund Handelsvertrag mit der s ü d a f r i k a n i s c h e n Republik vom 22. Januar 1885 Art. 31 (RGBl. 1886 S. 209). — D i e deutschen E i n z e l s t a a t e n können bekämpft dagegen insb. von Lammasch Auslieferungspflicht 142 und den an Carrara sich anschliefsenden Italienern. Diese Meinungsverschiedenheit wird für die Entscheidung einer ganzen R e i h e -weiterer Fragen von grundlegender Bedeutung. 2 ) Auslieferungsgesetze besitzen B e l g i e n (1874), H o l l a n d (1875), E n g l a n d (1870 und 1873); L u x e m b u r g (1870), C a n a d a (1877), A r g e n t i n i e n (1885), die S c h w e i z (22. Januar 1891); teilweise die V e r e i n i g t e n S t a a t e n sowie der K o n g o s t a a t . v. Bars Anregung im deutschen Reichstage vom 28. Januar 1892 hat nicht die verdiente Beachtung gefunden. (Vgl. dazu Pfizer Zeitschr. f. internat. Privat- und Strafrecht 2 231). — Dafs die einseitige gesetzliche Regelung nicht genügt, wenn sie auch vor dem grundsatzlosen Abschlüsse inhaltlich abweichender Verträge den Vorzug verdient, dafs vielmehr die Vereinbarung eines alle Kulturstaaten umfassenden i n t e r n a t i o n a l e n V e r b a n d e s wünschenswert s e i , ist mehrfach betont worden. Vgl. v. Liszt Z 2 60, Bernard Traité théorique et pratique de l'extradition 2 Bde. 1883, Geyer Z 3 263, Ortloff GA. 32 395, Bulmerincq Handbuch des öffentlichen Rechts I. 2. Hälfte S. 250, Geffcken bei Heffter Völkerrecht 8. Aufl. 145, Seuffert StG. 1 59. Dagegen insb. v. Bar Intern. Privatrecht (2. Aufl.) 2 517, Lammasch 114, Rivier Völkerrecht 200 Note 4.
88
§ 22.
Fortsetzung.
Internationale Rechtshilfe.
Auslieferungsverträge nur abschliefsen, soweit das Reich von seiner Befugnis keinen Gebrauch macht und soweit sie nicht mit den in Gesetzen oder Verträgen des Deutschen Reichs ausgesprochenen Grundsätzen in Widerspruch geraten. Über die Verträge Rufslands mit Preufsen und Bayern vom i. Januar und 12. November 1885 vgl. Lammasch 81, v. Holizendorff HV. 2 144, Gefsner HV. 3 40, V. Martitz 241, v. Kries 185, Seuffert StG. 1 59, Geffcken zu Heffter Völkerrecht 8. Aufl. 190. Die Auslieferung f l u c h t i g e r S e e l e u t e wird geregelt in den Handels-, Schiffahrts- und Konsularverträgeu, die von M i l i t ä r f l ü c h t i g e n in besonderen Kartellen. II. Eine genauere Betrachtung der vom Deutschen Reiche geschlossenen Auslieferungsverträge ergibt eine gewisse Übereinstimmung iii den wesentlicheren Punkten. 1. Auslieferung wird nur gewährt bei strafbaren Handlungen v o n g r ö f s e r e r S c h w e r e , nicht bei geringfügigen Vergehungen. Aufserdem werden wegen ihrer besondern Beschaffenheit in den Verträgen regelmäfsig nicht erwähnt: fahrlässige Vergehen, Zweikampf, leichtere Sittlichkeitsdelikte, Religionsvergehen, Beleidigung, Fahnenflucht, Wucher, Amtsverbrechen, Widerstand gegen die Staatsgewalt. 2. Sie findet nur statt, wenn nach den Gesetzen b e i d e r Staaten (des ersuchenden und des ersuchten) die Handlung strafbar und die Strafbarkeit nicht durch Aufhebungsgrunde beseitigt ist. Auslieferung findet daher nicht statt, wenn auch nur nach dem Rechte des ersuchten Staates die That als verjährt betrachtet werden mufs. 3. Ein D e u t s c h e r darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung nicht überliefert werden (StGB. § 9). Dieser Satz entspricht dem auf dem europäischen Festlande allgemein anerkannten Grundsätze der N i c h t a u s l i e f e r u n g der eigenen Staatsunterthanen, einem Grundsatze, welcher in den letzten Jahren vielfach, von berufenen Vertretern des Volkerrechts, und mit guten Gründen als unhaltbar angegriffen worden ist.') 4. P o l i t i s c h e n V e r b r e c h e r n wird nach einem in dem belgischen Gesetze von 1833 ausgesprochenen4) und seither in beinahe sämtlichen Verträgen wiederkehrenden Grundsatze, dessen innere Berechtigung gegründeten s ) Vgl. Lammasch 396, v. Martitz 305, v. Bar Lehrbuch 311 (mit Litteratur). Gegen die Auslieferung neuerdings Binding 1 400, v. Meyer 167 Note 56, v. Bar GS. 34 492, Geyer Z 3 632, v. Martitz, Geffcken bei Heffter Völkerrecht 145), Lentner Der schwarze Kodex S. 84. Vermittelnd Lammasch HV. 3 515 und van Hamel 1 149. Nach dem deutschen Vertrage mit dem Kongostaate sollen auch die Eingebornen der deutschen Schutzgebiete nicht ausgeliefert werden. Vgl. Mayr Die Auslieferung eigener Unterthanen. Diss. 1891. 4 ) „qu'il sera expressément stipulé que l'étranger ne pourra être poursuivi ou puni pour aucun délit politique antérieur à l'extradition ni pour aucun fait connexe à un semblable délit." — Der Satz fehlt in den russischen Verträgen mit Preufsen und Bayern von 1885, sowie in dem deutschen Vertrag mit dem Kongostaat von 1890. — Vgl. Homberger Der Begriff des politischen Delikts und seine Verwertung im materiellen Strafrecht des Deutschen Reichs 1893. Anderseits etwa Lctband 1 290.
§ 22.
Fortsetzung.
Internationale Rechtshilfe.
89
Bedenken unterliegt, A s y l r e c h t gewährt. Der Begriff des politischen Verbrechens selbst ist jedoch durchaus bestritten und wird daher meist negativ durch Aufzählung der auslieferungsfahigen Delikte umschrieben. Nach dem geltenden Rechte, welches auf den Beweggrund der That keine Rücksicht nimmt, sind als politische Verbrechen aufzufassen alle v o r s ä t z l i c h e n , g e g e n B e s t a n d u n d S i c h e r h e i t d e s S t a a t e s sowie g e g e n das S t a a t s o b e r h a u p t und die p o l i t i s c h e n R e c h t e der Staatsb ü r g e r (nicht gegen die Staatsverwaltung) gerichteten Verbrechen; im Sinne des RStGB. also der 1., 2., 3., 4. und 5. Abschnitt des II. Teils. Das Asylrecht wird meist auf solche Verbrechen ausgedehnt, welche mit politischen „in Verbindung stehen" (sogenanntes délit connexe oder complexe; relativ politische Verbrechen nach Lammasch, welcher hierher diejenigen Verbrechen rechnet, welche in der Absicht vorgenommen werden, ein politisches Verbrechen im eigentlichen Sinne zu verüben). Richtiger wäre es, hier die allgemeinen Grundsätze über Einheit und Mehrheit der Verbrechen (unten § § 54 ff.) entscheiden zu lassen. 5. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben den Nachweis erbracht, dafs die weite Ausdehnung des Asylrechts fur politische Verbrecher dem Rechtsbewufstsein unserer Zeit widerstrebt. Eine an Umfang und Entschiedenheit wachsende Bewegung verlangt Einschränkung des Asylrechts, ohne' freilich bisher eine juristisch brauchbare Fassung fur ihre Forderung gefunden zu haben. Meist wird nur der sog. K o n i g s m o r d ausdrücklich von dem Asylrechte der politischen Verbrecher ausgeschlossen. Die Auslieferungsverträge (die deutschen seit 1874) pflegen sich dabei der vorbildlich gewordenen Fassung des belgischen Gesetzes vom 22. März 1856 (veranlafst durch den Totungsversuch Jacquins gegen Napoleon III. 1853), der sog. b e l g i s c h e n A t t e n t a t s k l a u s e l , zu bedienen, ö ) einer Fassung, welche, obgleich sachlich durchaus gerechtfertigt, durch ihren juristisch ungenauen Ausdruck zu manchen Bedenken Anlafs gibt. Nur Italien, England und die Schweiz haben sich bisher geweigert, die belgische Klausel in die von ihnen abgeschlossenen Verträge aufzunehmen. Die Bemühungen der russischen Regierung 1881, eine internationale Konferenz für ihren viel weiter gehenden Vorschlag zu gewinnen, blieben ohne Erfolg. Auch die Verhandlungen des Instituts für Volkerrecht (Oxford 1880, Genf 1892) haben bisher keine abschliefsenden Ergebnisse geliefert. 6 )
s ) Ne sera pas réputé délit politique, ni fait connexe à un semblable délit, l'attentat contre la personne du chef d'un gouvernement étranger ou contre celle d'un membre de sa famille, lorsque cet attentat constitue le fait, soit de meurtre, soit d'assassinat, soit d'empoisonnement. °) Wichtig die Fassung des Schweizer Auslieferungsgesetzes. Art. 10 sagt: „Die Auslieferung wird bewilligt, obgleich der Thäter einen politischen Beweggrund oder Zweck vorschützt, wenn die Handlung, um deren willen die Auslieferung verlangt wird, vorwiegend den Charakter eines gemeinen Verbrechens oder Vergehens hat. Das Bundesgericht entscheidet im einzelnen Falle nach freiem Ermessen über die Natur der strafbaren Handlung auf Grund des Thatbestandes." — Bedenklich dagegen der Beschlufs des Instituts (1892) : „Nicht als politische Delikte gelten solche Strafthaten, die gegen die Grund-
9o
§ 23.
Das persönliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.
§ 23. Das persönliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze. Litteratur. Binding 1 667. v. Bar Redefreiheit der Mitglieder gesetzgebender Versammlungen 1868. Schleiden Disziplinar- und Strafgewalt parlamentarischer Versammlungen 1879. Heime Straflosigkeit parlamentarischer Rechtsverletzungen 1879. v. Ki/sling Die UnVerantwortlichkeit der Abgeordneten und der Schutz gegen Mifsbrauch derselben. 2. Aufl. 1885. G. Seidler Die Immunität der Mitglieder der Vertretungskörper nach osterreich. Recht 1891. v. Kries Archiv für öffentliches Recht 5 338 und Lehrbuch 84. v. Liszt Reichsprefsrecht §§ 45, 55. Die Lehrbücher des Staatsrechts und des Volkerrechts. Stoerk HV. 2 656, Geffcken HV. 3 646. I. Aus s t a a t s r e c h t l i c h e n Gründen sind von der Herrschaft der Strafgesetze befreit: 1. Das S t a a t s o b e r h a u p t , also der Kaiser, die Landesherren (nicht die Mitglieder der landesherrlichen Familien), der Regent.J) 2. Die V o l k s v e r t r e t e r , und zwar die Mitglieder des deutschen Reichstages nach Art. 30 der Reichsverfassung und die Mitglieder eines Landtages oder einer Kammer eines zum Reich gehörigen Staates nach StGB. § 1 1 , indem sie aufserhalb der Versammlung, zu welcher sie gehören, weder wegen ihrer Abstimmungen noch wegen der in Ausübung ihres Berufes gethanen Aufserungen zur (strafrechtlichen) Verantwortung gezogen werden können. Auch die Mitglieder des Landesausschusses von Elsafs-Lothringen geniefsen diese Befreiung, nicht aber die Mitglieder des Bundesrates sowie die Senate und Bürgerschaften der Hansestädte. In beiden Fällen handelt es sich um personliche Strafausschliefsungsgrunde, während die Rechtswidrigkeit und Strafbarkeit der Handlung nicht berührt wird. Dritte Personen können als Mitthäter, Anstifter oder Gehilfen an der That des Landesherrn oder der Volksvertreter zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden; Notwehr ist gestattet. II. Aus v o l k e r r e c h t l i c h e n Gründen sind befreit: 1. F r e m d e L a n d e s h e r r e n sowie ihre Familie und ihr Gefolge; ebenso die Regenten sowie die Präsidenten fremder Freistaaten *); endlich auch der Papst, obwohl er nicht Landesherr ist. lagen jeder gesellschaftlichen Ordnung, nicht nur gegen einen bestimmten Staat oder eine bestimmte Regierungsform gerichtet sind." *) Die Unverantwortlichkeit des Monarchen, schon im romischen Rechte anerkannt (princeps legibus solutus: 1 31 D 1, 3), gehört seit der Aufnahme der fremden Rechte zu den staatsrechtlichen Grundsätzen des Deutschen Reichs. Anders das deutsche Mittelalter, welches (Ssp. 3 52, 53; Goldene Bulle 1356 c. 5 § 2) den König vor das Kgl. Hofgericht verwies. — Die Unverantwortlichkeit des Regenten ist bestritten. Im Sinne des Textes die Mehrzahl der Kriminalisten. So Binding 1 670, v. Kries 85, v. Meyer 169, Olshausen § 3 19, Schütze 56. Dagegen Merkel 282. Vgl. insbesondere Hancke Regentschaft und Stellvertretung des Landesherrn nach deutschem Staatsrecht 1887 S. 54. — Die Befreiung der Landesherren mufs auch in dem Falle uneingeschränkt angenommen werden, wenn sie sich etwa in einen Hochverrat gegen Kaiser und Reich eingelassen haben sollten. Dagegen John 2 16. Richtig v. Kries Archiv 360, Lehrbuch 85. 2 ) Dagegen Stoerk a. O., Rivier Völkerrecht 242, Zorn WV. 1 372; richtig Gareis Institutionen des Völkerrechts 93.
§ 24.
Friedensrecht und Kriegsrecht.
91
2. F r e m d e T r u p p e n k o r p e r , welche mit Erlaubnis der inländischen Staatsgewalt inländisches Gebiet durchziehen. 3. Die V o r s t ä n d e und M i t g l i e d e r d e r b e i dem D e u t s c h e n R e i c h e oder einem deutschen E i n z e l s t a a t e b e g l a u b i g t e n a u f s e r d e u t s c h e n M i s s i o n e n , i h r e F a m i l i e n g l i e d e r und i h r G e s c h ä f t s p e r s o n a l , sowie ihre B e d i e n s t e t e n , sofern diese nicht Deutsche sind (GVG. §§ 18—21). Die Befreiung bildet in diesem, wie in den beiden vorhergehenden Fällen, einen personlichen Strafausscliliefsungsgrund.3) Dagegen sind die im Deutschen Reiche angestellten K o n s u l n der inländischen Strafgewalt unterworfen, soweit nicht in Verträgen des Deutschen Reichs mit anderen Mächten besondere Vereinbarungen getroffen sind. 4. Die bei einem deutschen Einzelstaate beglaubigten V e r t r e t e r and r e r d e u t s c h e r B u n d e s s t a a t e n sind nur von der Gerichtsbarkeit jenes Staates, nicht von der Herrschaft der deutschen Strafrechtssätze befreit. 5. Die ausländischen A g e n t e n , welche in amtlicher Eigenschaft das Inland betreten, sind während ihres amtlichen Aufenthaltes von der inländischen Gerichtsbarkeit befreit.4) III. Auf deutsche M i l i t a r p e r s o n e n finden die allgemeinen Strafgesetze des Reichs insoweit Anwendung, als nicht die Militärgesetze ein andres bestimmen (StGB. § 10; vgl. unten Besonderen Teil). § 24.
F r i e d e n s r e c h t und K r i e g s r e c h t .
I. Die Strafgesetze, die als allgemeine im Sinne des vorigen Paragraphen den Gegenstand unserer Darstellung bilden, erleiden zum Teil gewisse Veränderungen durch die Herrschaft des Kriegsrechts (EG. § 4). Diese Veränderungen bestehen darin, dafs in gewissen Fällen des Hochund Landesverrates sowie bei einzelnen gemeingefährlichen Verbrechen (§§ 81, 88, 90, 307, 311, 312, 315, 322, 323, 324 StGB.) an Stelle der angedrohten lebenslänglichen Zuchthausstrafe die T o d e s s t r a f e tritt (vgl. unten § 60), wenn die genannten Handlungen in e i n e m T e i l e d e s B u n d e s g e b i e t e s begangen werden, welchen der Kaiser nach Art. 68 der Reichsverfassung — also bis zum Erlafs eines Reichsgesetzes nach den Vorschriften des preufsischen Gesetzes vom 4. Juni 1851 — in K r i e g s z u s t a n d e r k l ä r t hat.') Für Bayern hat diese Bestimmung nach § 7 Abs. 2 des Gesetzes vom 22. April 1871 „bis auf weiteres" keine Geltung. II. Für die w ä h r e n d e i n e s gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen 8) Daher kann der auswärtige Gesandte auch nach Niederlegung seines Amtes wegen einer vorher begangenen strafbaren Handlung nicht im Inlande verfolgt werden. *) Fall Schnäbele. Note des Deutschen Auswärtigen Amts vom 28. April 1887. Vgl. v. Kries Archiv 355 und Lehrbuch 87, Stoerk HV. 2 661, v. Bar Internat. Privatrecht 2 657, Lehrbuch 347, Rivier 296. *) Das preufsische Gesetz vom 4. Juni 1851 mufs, soweit es Todesstrafe in andern als den in § 4 EG. erwähnten Fällen androht, als durch dieses beseitigt angesehen werden. — Vgl. Seuffert StG. 1 82.
92
§ 24.
Friedensrecht und Kriegsrecht.
K r i e g e s a u f d e m K r i e g s s c h a u p l a t z e begangenen Verbrechen der § § 57 bis 59 und 134 des Militär-StGB. ist jetzt § 160 dieses Gesetzes (nicht § 4 EG.) mafsgebend, nach welchem Ausländer wie Deutsche den Bestimmungen des Militärstrafrechts unterliegen. 8 ) Vgl. unten Besonderen Teil. III. Endlich ist auf § 30 Abs. I Prefsgesetzes vom 7. Mai 1874 hinzuweisen, nach welchem die für Zeiten der Kriegsgefahr, des Kriegs, des erklärten Kriegs oder Belagerungszustandes oder innerer Unruhen (Aufruhr) in Bezug auf die Presse bestehenden besondern gesetzlichen Bestimmungen bis auf weiteres in Kraft bleiben. 3 )
2 ) Ebenso Olshausen EG. § 4 8, Hecker 44 gegen die gem. Meinung. In den Fällen der §§ 81, 307, 311, 312, 315, 322, 323, 324 findet also trotz § 4 EG. die Todesstrafe keine Anwendung. 3 ) Vgl. v. Liszt Prefsr. § 12.
Allgemeiner Teil. Erstes Buch.
Das Verbrechen. § 25.
Begriff und Einteilung des Verbrechens.
I. Verbrechen ist das vom Staate mit Strafe bedrohte Unrecht. Unrecht aber ist, mag es sich um kriminelles Unrecht, d. h. Verbrechen, mag es sich um privatrechtliches Delikt handeln, die s c h u l d h a f t e r e c h t s w i d r i g e H a n d l u n g . 1. Daraus ergibt sich unmittelbar der systematische A u f bau der Lehre vom Verbrechen. Wir haben dieses zunächst als Unrecht, also 1. als Handlung, 2. als rechtswidrige und 3. als schuldhafte Handlung zu betrachten. Dazu tritt als 4. die Erörterung des Unterschiedes zwischen dem strafbaren und dem nicht strafbaren Unrecht. 2. Neben den (notwendigen) B e g r i f f s m e r k m a l e n , die bei jedem Verbrechen sich wiederfinden müssen, haben wir aber auch die (zufälligen) E r s c h e i n u n g s f o r m e n , in welchen das einzelne Verbrechen auftreten kann, einer genauen Betrachtung zu unterziehen. Diese sind: 1. Versuch und Vollendung; 2. Thäterschaft und Teilnahme; 3. Einheit und Mehrheit des Verbrechens. II. Das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r hatte die strafbaren Handlungen in causae majores und minores (Ungerichte, Malefiz einerseits, Frevel anderseits) eingeteilt, von welchen jene peinliche Strafen an Hals und Hand, diese nicht peinliche oder bürgerliche Strafen an Haut und Haar nach sich zogen. Auf
94
§ 25.
Begriff und Einteilung des Verbrechens.
demselben Standpunkte steht die P G O . Vielfach findet sich jedoch schon in den mittelalterlichen, aber auch in den spätem Quellen eine Mittelstufe (das „nicht pur-lautere Malefiz" des österreichischen Rechts). Seit dem 17. Jahrhundert wird unter dem Einflüsse der auf yulius Clarus zurückgreifenden sächsischen Juristen, insbesondere Carpzovs, ein Dreiteilung herrschend, welche unter wechselnden Bezeichnungen innerhalb der schweren Verbrechen atrociora und atrocissima crimina unterschied; letztere diejenigen, bei welchen verschärfte Todesstrafe eintrat (bei ihnen ist conatus proximus gleich der Vollendung). Das ist auch der Standpunkt sowohl Österreichs 1768 wie Bayerns 1751. — A u f einer andern Grundlage ruht die Dreiteilung, welche seit dem Beginne der Aufklärungszeit vielfach in der Litteratur vertreten wurde. Danach unterschied man neben den Polizei Ü b e r t r e t u n g e n zwischen V e r b r e c h e n , gerichtet gegen natürliche Rechte wie Leben, Freiheit u. s. w., und V e r g e h e n , welche gegen die erst durch den Staatsvertrag begründeten Rechte, wie Eigentum u. s. w., gerichtet sind. — Fur die Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts wurde von verhängnisvoller Bedeutung die Einteilung des franzosischen Rechts, welches seit 1791 zwischen c r i m e s , d é l i t s und c o n t r a v e n t i o n s , j e n a c h d e r S c h w e r e d e r a u f d i e H a n d l u n g g e s e t z t e n S t r a f e , unterschied. Diese „Trichotomie" des franzosischen Rechts ging in eine Reihe von deutschen Landesstrafgesetzbüchern, so in das preufsische von 1851 über, aus welchem sie trotz des lebhaften Widerspruchs der deutschen Wissenschaft in das RStGB. herubergenommen wurde. Sie wurde ferner beibehalten in dem belgischen StGB, von 1867, dem ungarischen von 1878, in den Entwürfen Österreichs und Rufslands, während das niederländische StGB, von 1881, das italienische StGB. von I009» der norwegische und der schweizerische Entwurf die Dreiteilung durch eine Zweiteilung ersetzt haben. ')
III. Nach RStGB. § 1 die strafbare Handlung (Verbrechen im weiteren Sinne) entweder 1. V e r b r e c h e n (im engeren Sinne): jede mit dem Tode, mit Zuchthaus oder mit Festungshaft von mehr als fünf Jahren ; oder 2. V e r g e h e n : jede mit Festungshaft bis zu fünf Jahren, mit Gefängnis oder mit Geldstrafe von mehr als 150 Mark; oder ') Vgl. O. Meyer Bedeutung und Wert der Dreiteilung der strafbaren Handlungen für das deutsche Reichsstrafrecht. Diss. 1891 (für sie). — Die Verkehrtheit der Dreiteilung ergibt sich einerseits daraus, dafs die im französischen Recht allerdings gewonnene Vereinfachung der Zuständigkeitsabgrenzung im Reichsrecht, wie ein Blick in das G V G . zeigt, nicht eingetreten ist; anderseits daraus, dafs die Vergehen des RStGB. mit den Verbrechen ihrem Wesen nach durchaus gleichartig, innere Gründe also, sie in Bezug auf Versuch, Teilnahme usw. von diesen verschieden zu behandeln, in keiner Weise vorhanden sind.
§ 25.
Begriff und Einteilung des Verbrechens.
95
3. Ü b e r t r e t u n g : jede mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu 150 Mark bedrohte Handlung.2) IV. Für die A n w e n d u n g d e r D r e i t e i l u n g sind folgende Regeln zu merken: 8 ) 1. Mafsgebend ist nicht die zu erkennende (die „verwirkte"), sondern die a n g e d r o h t e Strafe; und zwar bei wahlweiser Strafdrohung die s c h w e r s t e der angedrohten Strafen (eine mit „Gefängnis oder Haft" bedrohte Handlung ist immer Vergehen). Bei den als Vielfaches oder als Teil (unten § 63) eines bestimmten Betrages (insbesondere in den Zoll- und Steuergesetzen) angedrohten Geldstrafen entscheidet das im Einzelfall sich ergebende Höchstmais, soweit nicht durch die Angabe eines Mindestmafses, wie in § 55 des Reichsbankgesetzes, die Einreihung unter die Vergehen bereits entschieden ist.4) 2. Bei Erweiterung des Strafrahmens wegen mildernder oder erschwerender Umstände ist das Höchstmals des e r w e i t e r t e n Strafrahmens für alle — regelgemäfse, leichtere, schwerere — Fälle mafsgebend. Handelt es sich dagegen um s e l b s t ä n d i g e leichtere oder schwerere U n t e r a r t e n derselben strafbaren Handlung, so sind die Strafrahmen sowohl des Regelfalles, wie jene der Unterarten besonders ins Auge zu fassen. Die Grenzlinie ist freilich im Einzelfalle oft schwer zu ziehen. Wichtige Anhaltspunkte für die Selbständigkeit der in Frage stehenden Strafdrohung können die G e s c h i c h t e des bedrohten Verbrechens, seine B e n e n n u n g , seine S t e l l u n g im S y s t e m des Gesetzes uns an die Hand geben. B e i s p i e l e : Totschlag auf „Reizung" (StGB. § 213) bleibt als milderer Fall des Totschlags Verbrechen, Tötung auf Verlangen (StGB. § 216) ist als
s ) Dabei übersieht der Gesetzgeber völlig das von ihm in § 21 aufgestellte Wertverhältnis der einzelnen Freiheitsstrafen. Er ubersieht dabei weiter, dafs in dem Vollzug der Zuchthaus- und der Gefängnisstrafe ein nennenswerter Unterschied nicht besteht. — Das Mil.-StGB. § I kennt nur Verbrechen und Vergehen; die Übertretungen sind der Disziplinarbestrafung überlassen. ®) Der Unterschied der Vergehen von den Verbrechen einerseits, den Übertretungen anderseits kommt in Betracht in StGB. §§ 4, 6, 37, 40; 57 Nr. 4 ; 43, 49, 49a, 257; 27, 29; 6 7 ; 74, 79; 126, 240, 2 4 1 ; 1 5 1 ; 157 Nr. I. 4 ) So die gem. Meinung mit der Rechtsprechung von O T . und R (26. Sept. 81 5 23). Vgl. insb. Olskausen § 1 IO. Dagegen Binding 1 515, nach welchem in jedem Falle Vergehen anzuehmen ist, weil das mögliche Höchstmafs 150 Mark übersteigt, und O. Meyer 43.
§ 25.
96
Begriff und Einteilung des 'Verbrechens.
selbständige Art der Tötung Vergehen; StGB. § 313 Abs. 2 ändert nichts an der Verbrechensnatur der Überschwemmung, sowie die Strafermäfsigung des § 157 StGB, in Bezug auf die Schwere des Meineids durchaus einflufslos bleibt. 3. D i e
herabgesetzten
Strafrahmen
bei Versuch,
Beihilfe,
Jugend sind als Erweiterungen des regelmäfsigen Strafrahmens, nicht aber als selbständige Strafdrohungen zu betrachten. 6 ) 6)
Gemeine Meinung.
Dagegen Olshausen § 1 8, unklar Binding 1 516.
I. Abschnitt.
Die Begriffsmerkmale des Verbrechens. I. Das Verbrechen als Handlung. § 26.
D a s S u b j e k t des V e r b r e c h e n s .
Litteratur, Zu I: Zusammenstellung bei Günther \ 25 Note 12. v. Amira Tierstrafen und Tierprozesse 1891. Brunner Rechtsgeschichte 2 556. — Zu II: Insbesondere Gierke Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung 1887 S. 743. v. Kirchenheim GS. 37 421, 40 251. Jellinek System der subjektiven öffentlichen Rechte 1892 S. 246. I. Nach heutiger Rechtsanschauung kann nur der M e n s c h Thäter eines Verbrechens sein. Dagegen sind T i e r s t r a f e n und T i e r p r o z e s s e nicht nur den älteren Rechten, sondern auch noch dem 13. bis 17. Jahrhunderte bekannt. Zum Teil spielen religiöse Vorstellungen mit herein (Verfall des Ackerrindes; oben S. 6; mosaisches Recht, Exod. 21 28); zum Teil soll in besonderem Verfahren der Thatbestand der durch das Tier bewirkten Beschädigung festgestellt werden, um daran die Haftung des Eigentümers zu knüpfen; zum Teil handelt es sich um kirchliche Beschwörung des bösen Zaubers. Nicht mehr als Strafe erscheint die Tötung des (zu Bestialität usw.) mifsbrauchten Tieres, Tim das Andenken an die That zu vernichten. Von denselben Grundgedanken aus ist auch die Verfolgung l e b l o s e r G e g e n s t ä n d e denkbar und geschichtlich beglaubigt.
II. Nach geltendem Reichsrecht kann, von besonderen Bestimmungen abgesehen, nur der e i n z e l n e M e n s c h , n i c h t d i e K ö r p e r s c h a f t , eine strafbare Handlung begehen und die auf eine solche gesetzte Strafe erleiden. Societas delinquere non potest. Immer können nur die einzelnen handelnden Vertreter, nicht aber der vertretene Gesamtkörper zur Verantwortung gezogen werden. Die nach den strafrechtlichen Nebengesetzen des Reiches auch den Körperschaften vielfach auferlegte von Liszt, Strafrecht. 6. Aufl.
7
9
8
§ 26.
D a s Subjekt des Verbrechens.
aushilfsweise H a f t u n g für die zunächst den Schuldigen treffende Geldstrafe (unten § 58 I) ist keine S t r a f e , wenn sie auch in ihren Wirkungen einer solchen durchaus gleichkommt. Es ist jedoch daran festzuhalten, dafs die Anerkennung des Körperschaftsverbrechens, soweit die Handlungsfähigkeit der Körperschaft reicht, und die Bestrafung der Körperschaft, soweit sie selbständige Trägerin von Rechtsgütern ist, als ebenso möglich wie zweckmäfsig erscheint. Auch finden sich zahlreiche Bestätigungen dieses Satzes in der deutschen wie aufserdeutschen Gesetzgebung. 1 ) *) D i e richtige Auffassung (die in dem v ö l k e r r e c h t l i c h e n D e l i k t , dessen Subjekt nur der Staat sein kann, unbestreitbare Anerkennung gefunden hat) beherrscht nicht nur das deutsche Mittelalter (Bestrafung von Städten, welche Verfestete beherbergen: SSp. 2 7 2 , 1 ; Landfrieden von 1235 § 13), sie ist auch seit Bartolus gemeine Meinung der strafrechtlichen Wissenschaft. So bei Gundling, Engau, Koch, Leyser, J. S. F. Böhmer u. a., welche für den F a l l , dafs commune consilium membrorum vorliegt, ausdrücklich die universitas als Subj e k t des begangenen Verbrechens bezeichnen (vgl. aber schon Bayern 1751). Erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts gewinnt, unter romanisierendem Einflufs (v. Savigny), die entgegengesetzte Ansicht das Ubergewicht, bei den Lehrern des Strafrechts seit Fetterbach für lange Zeit die ausschliefsliche Herrschaft. Doch findet in der heutigen Wissenschaft die Lehre von der V e r brechensfahigkeit der Körperschaften auf privatrechtlichem w i e strafrechtlichem Gebiete, an welcher das englisch-amerikanische, das russische, das französische und spanische Recht festhalten, wachsenden A n k l a n g . — V o n den Germanisten hat sie, aufser Beseler, Bluntschli, Dahn u. a , insbesondere Gier!:: (schon in seinem Genossenschaftsrecht) siegreich vertreten; von den Romanisten stehen Bekker, Dernburgy Windscheid, Ubbelohde mehr oder weniger auf dem gleichen Standpunkt; ebenso als Vertreter des preufsischen Privatrechts ForsterEccius § 282 VIII, und v o n den Kriminalisten v. Kirchenheim sowie Merkel 50, Leverkühn G A . 38 304. D a g e g e n teilen neuerdings die herrschende Ansicht Olshausen Abschnitt 4 6, Janka 51, Bünger Z 8 573, Ziebarth 340, Storch b e i Griinhut 16 323, van Hamel 1 158 (letzterer wenigstens so lange, als der Ausdruck „ S t r a f e " nicht alle gesellschaftlichen Schutzmafsregeln umfafst), W e i s l Heeresstrafrecht 1 1 3 4 , v. Lilienthal Grundrifs 40. yellinek halt nur Polizeiunrecht und Polizeistrafe für möglich, verkennt dabei aber ebensosehr den Begriff des D e l i k t s w i e den der Strafe. A u s der neuesten deutschen Gesetzgebung vgl. man § 79 des Genossenschaftsgesetzes vom I. Mai, 1889: „ W e n n eine G e n o s s e n s c h a f t sich gesetzwidriger Handlungen oder Unterlassungen schuldig macht, durch welche das Gemeinwohl gefährdet w i r d . . . so kann sie aufgelost werden . . . " Ganz ähnlich bezüglich der I n n u n g e n Gewerbeordnung § 103 Ziff. 3, 104 g. — D i e im T e x t vertretene Ansicht stützt sich nicht auf mystische Vorstellungen, sondern auf die Erkenntnis des Lebens. D a s Korperschaftsverbrechen ist r e c h t l i c h m ö g l i c h . D e n n einerseits sind die Voraussetzungen für die Handlungsfähigkeit der Korperschaft auf dem Gebiete des Strafrechts grundsätzlich keine andern als auf jenem des Zivilrechts oder (was regelmäfsig übersehen wird) auf dem des öffentlichen Rechts; w e r Verträge schliefsen kann, der kann auch betrügerische oder wucherische V e r t r ä g e schliefsen oder die geschlossenen Lieferungsverträge (StGB. § 329!) nicht halten, Anderseits ist die Körperschaft auch T r ä g e r i n v o n Rechtsgütern (Vermögensrechten, Wahlrecht, D a s e i n , Ehrenrechten), die strafweise geschmälert
§ 27.
§ 27.
Der Begriff der Handlung im allgemeinen.
99
Der Begriff der Handlung im allgemeinen.
L i t t e r a t u r : Die zu den § § 28, 29 angeführten Schriften.
I. Um den Begriff des U n r e c h t s feststellen zu können, müssen wir die Thatbestände untersuchen, an welche die Unrechtsfolgen durch die Rechtsordnung geknüpft werden. Der Thatbestand, als die Voraussetzung für den Eintritt einer Rechtsfolge, besteht allgemein und ausnahmslos in rechtlich erheblichen T h a t s a c h e n , das heifst in sinnlich wahrnehmbaren Veränderungen der Aufsenwelt. Aber nur an gewisse Thatsachen knüpfen sich die Unrechtsfolgen, knüpft sich auch die Strafe. Nicht E r e i g n i s s e , die vom menschlichen Wollen unabhängig sind, sondern menschliche H a n d l u n g e n bilden den Thatbestand des Unrechts. II. Handlung ist demnach d i e a u f m e n s c h l i c h e m W o l l e n b e r u h e n d e T h a t s a c h e , die auf menschliches Wollen zurückführbare Veränderung der Aufsenwelt. Ohne W i l l e n s b e t h ä t i g u n g keine Handlung, kein Unrecht, kein Verbrechen: cogitationis poenam nemo patitur. Aber auch keine Handlung, kein Unrecht, kein Verbrechen ohne eine Veränderung in der Aufsenwelt, einen E r f o l g . Damit sind die beiden Bestandteile gegeben, aus denen der Begriff der Handlung und damit der des Verbrechens sich zusammensetzt : Willensbethätigung und Erfolg. Aber ein Weiteres mufs hinzutreten, um die Teile zum einheitlichen Ganzen zu verbinden: d i e B e z i e h u n g des E r f o l g s auf die oder vernichtet werden können. Und seine Anerkennung ist e m p f e h 1 e n sw e r t . Denn einerseits gewinnt die Handlung, hinter welcher nicht ein einzelner oder mehrere, sondern die Körperschaft steht, andre und erhöhte Bedeutung; Wahlbeeinflussung, Verbreitung verbotener Schriften, Aufforderung zu strafbaren Handlungen, finanzielle Übervorteilung jeder Art können von Vereinen und Gesellschaften in einer Ausdehnjing und mit einer Kraft getrieben werden, welche zu der Zahl ihrer Mitglieder aufser allem Verhältnisse steht. Anderseits widerspricht es ebenso sehr dem Gefühle der Gerechtigkeit wie den Grundsätzen richtiger Kriminalpolitik, den eigentlich Schuldigen straffrei zu lassen, das Organ fremden Willens aber mit der vollen und ausschliefslichen Verantwortlichkeit zu belegen. — Freilich kann der Begriff der Handlung mit allem, was sich auf ihn bezieht, nur mittelbar auf die Verbrechen der Körperschaft angewendet werden. A b e r an S t e l l e d e s p h y s i s c h e n H a n d e l n s t r i t t e b e n d a s H a n d e l n d u r c h k ü n s t l i c h e O r g a n e ; und sogut dieses kunstliche Handeln auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts und des öffentlichen Lebens Rechtswirkungen für und gegen die Körperschaft zu erzeugen vermag, ebensogut mufs dies auch auf dem Gebiete des Strafrechts möglich sein. 7*
IOO
§ 27.
Der Begriff der Handlung im allgemeinen.
W i l l e n s b e t h ä t i g u n g . In zwei Fällen führen wir die Veränderung der Aufsenwelt zurück auf menschliches Wollen: 1. Wenn sie willkürlich v e r u r s a c h t und 2. wenn sie willkürlich n i c h t g e h i n d e r t worden ist. B e g e h u n g (Thun) und U n t e r l a s s u n g sind mithin die beiden Grundformen der Handlung, und damit des Verbrechens. Sie finden in den beiden folgenden Paragraphen (§§ 28, 29) gesonderte Betrachtung. III. Die verursachte oder nicht gehinderte Veränderung in der Aufsenwelt nennen wir den E r f o l g des Thuns oder Unterlassens. Da aber jede Veränderung der Aufsenwelt weitere Veränderungen mit sich bringt, haben wir n ä h e r e n und e n t f e r n t e r e n Erfolg zu unterscheiden. An die Begriffsbestimmungen des Strafgesetzbuchs haben wir uns zu wenden, um denjenigen Erfolg herauszufinden, der für uns in Betracht kommt, weil an seinen Eintritt der Gesetzgeber die Strafdrohung geknüpft h a t . F ü r den strafrechtlichen Begriff der Tötung ist nur der Tod des Opfers von Bedeutung, nicht die tödliche Verwundung, nicht auch die vielleicht weittragenden Folgen, welche der Tod für die Familie des Getöteten mit sich bringt. Irgend ein sinnlich wahrnehmbarer Erfolg ist aber mit jeder Handlung begriffsnotwendig verbunden, auch wenn scheinbar der Gesetzgeber von dem sonst von ihm geforderten weiteren Erfolge absieht. Das gilt auch von den sogenannten echten Unterlassungsvergehen (unten § 29).2) 1 ) Nur insoweit ist die im übrigen sehr gefährliche Fassung bei Wackenfeld Verbrechenskonkurrenz 19 richtig: Erfolg ist die natürliche Wirkung in ihrer rechtlichen Bedeutung. 2 ) Es ist demnach ganz verkehrt, „materielle" und „formelle" Verbrechen zu unterscheiden und zu den ersteren diejenigen zu rechnen, bei welchen ein äufserer Erfolg eintritt, zu den letzteren diejenigen, bei welchen dies nicht der Fall ist. Richtig Janka 60, Herzog Rücktritt, Bekker System 278, Hermes Teilnahme 8, Baumgarten Versuch 349 Schütze 137, v. Lilienthal 253 (in der zu § 30 verzeichneten Schrift), Birkmeyer Teilnahme 95, van Hamel 1 189. Vgl. v. Liszt Z 1 93. Dagegen neuerdings Borchert Verantwortlichkeit 1 1 7 , Olshausen Abschnitt 3 5 . — Der Irrtum der Gegner erhellt aus einer doppelten Erwägung. I. Bei jedem Begehungsdelikte ist ohne Unterschied der gesetzlichen Begriffsbestimmung die Benutzung eines Menschen als Werkzeuges (unten § 50), und damit die Loslosung des Erfolges, denkbar. Beispiel: Mündliche Beleidigung durch einen dazu beauftragten Geisteskranken. Aber auch abgesehen davon kann stets ein komplizierter Apparat zur Herbeiführung des Erfolges verwendet werden. Beispiel: Meineid durch Übersendung des unterzeichneten Eidessatzes. 2. Bei der echten Unterlassung tritt der Erfolg allerdings zurück. Aber er verschwindet nicht. Die unterlassene Reinigung
§27.
Der Begriff der Handlung im allgemeinen.
JOI
Auch beider strafrechtlich so bedeutsamen G e f ä h r d u n g findet der allgemeine Erfolgsbegrifif Anwendung. Gefährdung aber ist die Herbeiführung einer G e f a h r, d. h. eines Zustandes, in welchem, unter den gegebenen und im Augenblicke der Körperbewegung hervortretenden Umständen, nach unbefangenem Urteile die n a h e M ö g l i c h k e i t und damit die b e g r ü n d e t e B e s o r g n i s gegeben ist, dafs der Eintritt der Verletzung erfolgen werde. Gar manche Verbrechensthatbestände beruhen auf dem Begriff der Gefahr; so die Aussetzung und der Zweikampf als Gefährdung des Lebens, das Glücksspiel als Gefahrdung des Vermögens; die Kreditgefährdung, die Gefährdung des öffentlichen Friedens; die Vergiftung als Gefährdung mit Verletzungsvorsatz; die gemeingefährlichen Verbrechen wie Brandstiftung, Überschwemmung und andre. Die „gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben" wird vom Gesetzgeber vielfach verwertet. Insbesondere ist auch die Eigenart des strafbaren Versuches mit dem Begriffe der Gefahr gekennzeichnet. Die „nahe Möglichkeit" aber, dafs ein Erfolg eintrete, liegt vor, falls sein Eintritt nur durch Umstände abgewendet werden kann, deren Eintritt wir weder in unserer Hand haben noch mit Bestimmtheit erwarten können. 3 ) IV. W i l l k ü r l i c h k e i t der Begehung oder Unterlassung bedeutet nicht Freiheit der Wahl im metaphysischen Sinne (oben § 15 II), sondern Freiheit von mechanischem oder psycho-physischem Zwange. Es liegt keine Handlung vor, wenn jemand in einem Krampfanfalle fremde Gegenstände beschädigt oder wenn er durch eine Ohnmacht an der Erfüllung einer der Senkgrube z. B. hat recht sinnfällige Veränderungen der Aufsenwelt zur Folge. 3) Vgl. auch das unten § 47 Gesagte. Mit dem Text im wesentlichen übereinstimmend R 14. Juni 82 6 396, 11. März 84 10 173, 18. Mai 86 14 135, sowie überhaupt die gemeine Meinung. Dagegen ist die Berechtigung des Begriffs einer thatsächlichen Gefahr gänzlich in Abrede gestellt worden von Hertz Unrecht 73, Janka 59, v. Buri, Lammasch, Finger in den zu § 28 angeführten Schriften. Zuzugeben ist, dafs der Begriff nur durch unsere, in zahlreichen Fällen gegebene, Unfähigkeit entsteht, den Ablauf eines Ereignisses vorherzusagen, da wir die ihn bestimmenden Umstände nicht genau zu berechnen vermögen. Aber die Erkenntnis, dafs wir von Gefahr nie mehr sprechen wurden, wenn wir allwissend wären, darf uns nicht hindern, einstweilen den Begriff, wie im gewohnlichen Leben so auch in der Rechtspflege, zu verwerten. In dem allgemeinen Urteile findet er seine Grundlage, wie seine Begrenzung. Vgl. insbesondere Loock 161 (Litt, zu § 28).
102
§ 28.
i . Die Begehung (Das Thun).
Pflicht gehindert wird; es liegt keine Handlung vor, wenn ihn die physische Gewalt eines andern zu einem Thun oder Unterlassen genötigt hat (StGB. § 52). § 28.
1. Die B e g e h u n g ( D a s T h u n ) .
L i t t e r a t u r . Bekker Theorie des Strafrechts 1 243. Hälschner 1 503. Zitelmann Irrtum und Rechtsgeschäft 1879 S. 25. Pfersche Die Irrtumslehre des österreichischen Privatrechts 1891. Lammasch bei Grunhut 9 90. Billiger Z 6 291, 8 520. v. Liszt Z 6 663. Janka Die Grundlagen der Strafschuld 1885. Derselbe Z 9 510. IVeismann Z 11 80. Ileinemann Die Bindingsche Schuldlehre 1889. Derselbe Die Idealkonkurrenz 1893. Kuhlenbeck Der Schuldbegriff 1892. Wachenfeld Die Verbrechenskonkurrenz 1893. Die Lehr- und Handbücher der Psychologie. — Uber den Begriff der V e r u r s a c h u n g : Geyer Klein. Schriften 108. v. Bar Die Lehre vom Kausalzusammenhange 1 8 7 1 ; bei Griinhut 4 49. v. Buri (aufser zahlreichen kleineren Abhandlungen) insb.: Kausalität 1873; Z 2 232; Die Kausalität und ihre strafrechtlichen Beziehungen 1885. Binding Normen 1 112, 2 224. Birkmeyer Ursachenbegriff und Kausalzusammenhang im Strafrecht 1885, abgedruckt GS. 37 257; derselbe Die Lehre von der Teilnahme 1890. Janka Z 9 499. Merkel 97. Kohler Studien 1 83. Huther Der Kausalzusammenhang als Voraussetzung des Strafrechts 1893. Horn Der Kausalitätsbegriff in der Philosophie und im Strafrecht 1893. Endemann Die Rechtswirkungen der Ablehnung einer Operation seitens des körperlich Verletzten 1893. — Über den Begriff der G e f ä h r d u n g insbesondere: J. v. Kries Die Prinzipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung 1886; Uber den Begriff der objektiven Möglichkeit und einige Anwendungen desselben 1888; Z 9 528. Dazu Binding Normen 1 324 Note 10; Merkel 45. Ferner: Finger Der Begriff der Gefahr und seine Anwendung im Strafrecht 1889 (gegen v. Kries). v. Rohland Die Gefahr im Strafrecht 2. Aufl. 1888 und gegen ihn v. Buri GS. 40 503. van Harnel 1 173. Rotering Fahrlässigkeit und Unfallsgefalir 1892. Loock Der strafrechtliche Schutz der Eisenbahnen im Deutschen Reich (Abhdlgn. des Kriminal. Seminars 3 2) 1893 S. 161.
I. Begehung ist die V e r u r s a c h u n g e i n e s E r f o l g e s d u r c h W i l l e n s b e t h ä t i g u n g . Diese erscheint hier als w i l l k ü r l i c h e K ö r p e r b e w e g u n g , d. h. als Anspannung (Kontraktion) der Muskeln, welche nicht durch mechanischen oder psychophysischen Zwang, sondern durch Vorstellungen bewirkt wird und durch die Innervierung der Bewegungsnerven erfolgt. Körperbewegung und Erfolg bilden demnach (s. oben S. 99) die beiden an sich gleich wichtigen Bestandteile des Begriffs der Handlung als Begehung (als Thun). J ) ') Ubereinstimmend, wenn auch mit Einbeziehung der Unterlassung, R 23. Dezember 89 20 146: Handlung ist die bewufste, willkürliche , durch körperliche Bewegung kraft der Gesetze der Kausalität hervorgerufene Einwirkung auf die Aufsenwelt. Ebenso im wesentlichen v. Lilienthal 33, v. Kries 167. Teilweise abweichend Bünger Z 8 540, welcher auch ein inneres, von keiner Körperbewegung objektiviertes Handeln kennt; ferner Janka Z 9 510, der, wie Schütze 100, Bekker 1 244 u. a., den Erfolg aus dem Begriff der Handlung ausscheiden will.
§ 28.
I. Die Begehung (Das Thun).
103
Die Körperbewegung ist das Ergebnis (die Resultante) der sich kreuzenden, sich hemmenden und unterstützenden V o r stellungen. Die zum Siege gelangte Vorstellung nennen wir B e w e g g r u n d (Motiv). Sobald der Sieg entschieden ist, sprechen wir, das objektive Ergebnis als unsere eigenste That betrachtend, von E n t s c h l u f s . Dieser ist ein ü b e r l e g t e r , wenn die auftauchende Vorstellung des begehrten Erfolges nicht sofort den Willen bestimmte, sondern den übrigen Vorstellungen, insbesondere den allgemeinen, unser gesamtes Verhalten beherrschenden Vorstellungen der Religion, der Sittlichkeit, des Rechts, der Klugheit, Zeit blieb, sich zur Geltung zu bringen. D e r Mangel an Überlegung kann seinen Grund in heftiger Leidenschaft wie in gedankenlosem Stumpfsinn haben. Das StGB, hat den Begriff der Überlegung zur Begriffsbestimmung von Mord und Totschlag (unten Bes. Teil) verwendet und damit dessen allgemeine Bedeutung wenigstens für die Strafzumessung anerkannt. 2 ) D e m Erfolge gegenüber können die Vorstellungen des Thäters, die zur Auslösung der Körperbewegung führten, sich verschieden verhalten. E s kann sein, dafs die Vorstellung des Erfolges überhaupt gar nicht auftauchte oder vom Thäter abgelehnt wurde; es kann aber auch sein, dafs der Thäter den Erfolg vorausgesehen hat oder dafs sogar die Vorstellung des E r folges Beweggrund (treibendes Motiv) der Körperbewegung war. Die Voraussicht des Erfolges ergibt den Begriff des V o r s a t z e s (unten jj 38). In diesem Falle pflegt man wohl auch von dem W o l l e n des Erfolges zu sprechen; doch ist dieser Ausdruck wegen der ihm anhaftenden unsicheren Vieldeutigkeit besser zu vermeiden. 3 ) ") Vgl. IVachenfcld Die Überlegung in unserem heutigen Mordbegriff 1887. Alhnena La premeditazione 1887. Irrefuhrend ist es, von überlegtem V o r s a t z (dolus praemeditatus im Gegensatz zum dolus repentinus) zusprechen. Richtig Binding Normen 2 396, 508, Hàlschner 1 515, Olshaitsen § 211 6, Wachenfeld a. O. 3) Schwankender Sprachgebrauch: bald bedeutet Wollen nur das Beg e h r e n des Erfolges (Vorstellung des Erfolges als Beweggrund); bald auch die blofse V o r a u s s i c h t . Binding hat sogar gemeint, E. v. Hartmanns u n b e w u f s t e s Wollen für die Rechtslehre verwerten zu können, damit aber freilich keine Nachfolger gefunden. Am besten vermeidet man es völlig, von einem Wollen des Erfolges zu sprechen, und bezieht die Ausdrucke „ W i l l e " oder „ W o l l e n " lediglich auf denjenigen psycho - physischen Akt, durch
104
§ 28.
i . Die Begehung (Das Thun).
II. Der Erfolg mufs mithin durch die Körperbewegung bewirkt (oder verursacht) sein; K ö r p e r b e w e g u n g u n d E r f o l g m ü s s e n , wie man gewöhnlich zu sagen pflegt, zu einander in dem Verhältnisse von Ursache und Wirkung, sie müssen im K a u s a l z u s a m m e n h a n g stehen. 4 ) Kausalzusammenhang zwischen Körperbeweg u n g und E r f o l g l i e g t aber dann v o r , w e n n die K ö r p e r b e w e g u n g n i c h t hin w e g g e d a c h t w e r d e n kann, ohne dafs d e r E i n t r i t t des e i n g e t r e t e n e n E r f o l g e s (d. h. so, wie er eben thatsächlich eingetreten ist) e n t fallen müfste. Ist die Verknüpfung zwischen Körperbewegung und Erfolg eine in der angegebenen Weise notwendige, so nennen wir die Körperbewegung U r s a c h e des Erfolges, den Erfolg W i r k u n g der Körperbewegung, d. h. wir wenden auf die Beziehung von Körperbewegung und Erfolg die Kategorie der K a u s a l i t ä t (als eine Form unsres Erkennens) an. Aus dieser Begriffsbestimmung ergeben sich unmittelbar zwei Folgesätze von gröfster praktischer Tragweite. i. Der Erfolg ist auf die Körperbewegung als seine Ursache auch dann zurückzuführen, wenn er ohne die b e s o n d e r e n U m s t ä n d e , unter welchen die Handlung begangen wurde oder welche zu dieser hinzugetreten sind, sich nicht ereignet hätte. Die Verwundung ist Ursache des Todes, auch wenn dieser ohne die allgemeine Körperschwäche des Verletzten nicht eingetreten wäre oder wenn der Spitalbrand zu der an sich nicht tödlichen Verletzung hinzugekommen ist. welchen die Anspannung der Muskeln erfolgt. „Gewollt" ist also im Sinne dieses Sprachgebrauchs nur die Korperbewegung, niemals der Erfolg. Ebenso schon früher Bekker 1 243, neuerdings Zitelmann 1 136, Bünger Z 6 321, 0/shausen § 59 16; dagegen Weismann Z II 85, Enneccerus Rechtsgeschäft 1 12. 4 ) Die Frage nach dem Vorliegen des Kausalzusammenhanges mufs streng getrennt werden von der Frage nach dem Vorliegen einer Verschuldung des Thäters. Vgl. über diese unten § 35. Übereinstimmend die gemeine Meinung, insbes. Birkmeyer, "Janka, Kohler, Endemann, Olshausen Abschnitt 3 I. Dagegen v. Bar (im Anschlüsse an Luden und Krug), Bruck G A . 36 420, Merkel 71, Derselbe Z 1 591. — Es ist ferner unbedingt daran festzuhalten, dafs sich das „Kausalgesetz" nur auf die in Raum und Zeit vor sich gehenden Veränderungen, nicht aber auf die logische Verknüpfung der Begriffe bezieht. Die Verwechslung findet sich in der neuesten Litteratur nur zu o f t ; so bei Cohn (Versuch), Binding, Zitelmann, v. Rohland („rechtlicher Zusammenhang"), y. v. Kries, bei Kohler (Kausalismus der sozialen Ordnung) u. a. Zutreffend Heinemann Die Bindingsche Schuldlehre 3 1 , Landsberg Kommissivdelikte 28. Vgl. auch unten § 29 S. 110 sowie S. 107 a E.
§ 28.
i. Die Begehung (Das Thun).
105
2. Der Erfolg ist auf die Körperbewegung als seine Ursache auch dann zurückzuführen, wenn er ohne das gleichzeitige oder aufeinanderfolgende Zusammenwirken a n d r e r m e n s c h l i c h e r H a n d l u n g e n nicht eingetreten wäre. Insbesondere steht der Annahme des Kausalzusammenhanges die F a h r l ä s s i g k e i t eines d r i t t e n oder die eigne Fahrlässigkeit des V e r l e t z t e n selbst nicht im Wege (Ausschlufs der „Kulpakompensation"). III. Die folgerichtige Durchführung der vorgetragenen Sätze ist dem geltenden Rechte gegenüber nur mit wichtigen Einschränkungen möglich. 1. Wenn zwischen dieThat des einen und den eingetretenen Erfolg die durch den ersten n i c h t b e e i n f l u f s t e Thätigkeit eines zweiten tritt, so ist diese und nicht jene Ursache des Erfolges. Wenn B dem von A tödlich Verwundeten eine zweite tödliche Verletzung beibringt, an der dieser stirbt, so hat B getötet und nicht A. Wenn A den C verwundet, dieser aber, um zu verbluten, den Verband abreifst, so hat er, und nicht A, den Tod verursacht. Das folgt aus dem oben aufgestellten Begriffe der Ursache. Wenn dagegen die That des B durch den A h e r v o r g e r u f e n worden ist, so hat A den eingetretenen Erfolg verursacht. Diese Folgerung hat das geltende Recht jedoch nur in beschränktem Umfange anerkannt. Wer einen Nichtzurechnungsfähigen zur That (etwa Selbstmord) bestimmt; ferner wer durch Zwang (im Sinne des §52 StGB.) oder durch Irrtum (im Sinne des § 39 des Lehrbuchs) die That eines Zurechnungsfähigen veranlafst, der wird allerdings auch im geltenden Recht als Verursacher des Erfolgs verantwortlich gemacht (vgl. unten § 50). Aber die Anstiftung des Z u r e c h n u n g s f ä h i g e n , der o h n e Z w a n g und m i t V o r a u s s i c h t d e s E r f o l g e s handelt, ist nach Auffassung des geltenden Rechts nicht mittelbare Verursachung des Erfolges, sondern Teilnahme an der That des Angestifteten (vgl. unten § 49). Die Hypothese der „Willensfreiheit" (oben § 15 II) veranlafst hier zu der Annahme einer „Unterbrechung des Kausalzusammenhanges", die freilich, streng genommen, zu völliger Straflosigkeit des Anstifters führen müfste. 2. Überall dort, wo der E i n t r i t t e i n e s b e s t i m m t e n
io6
§28.
1. Die Begehung (Das Thun).
E r f o l g e s im Gesetze als Bedingung der Strafbarkeit oder als Bedingung höherer Straibarkeit aufgefafst wird (unten § 3 5 Note 6), ist nach der vorherrschenden Ansicht, die wegen der sonst unerträglichen Folgerungen Zustimmung verdient, ursachlicher Zusammenhang des Erfolges mit der Handlung dann nicht anzunehmen, wenn der Erfolg nur durch eine ganz ausnahmsweise Verkettung von Umständen herbeigeführt wurde (sog. „adäquate Verursachung"; vgl. unten IV 3). IV. Die Untersuchung der Frage, in welchem Falle Verursachung des Erfolges durch die Handlung angenommen werden könne, reicht weit zurück. Während einerseits das romische Recht eine Reihe von freilich widersprechenden Quellenstellen der Erörterung darbot (Permce Labeo 2 36), suchte anderseits das deutsche Mittelalter durch Aufstellung fester äufserer Kennzeichen (so wurde z. B. die Annahme des Totschlages vielfach ausgeschlossen, wenn der Getötete inzwischen zu Markt und Kirchen gegangen war) den Knoten zu durchhauen. In der gemeinrechtlichen Wissenschaft (bei Carpzov und Böhmer wie bei Feuerbach und Stübel") wurde die Frage vielfach besprochen. Und zwar regelmäfsig bei der Lehre vom Totschlag. Man unterschied, ohne besondern Gewinn, letalitas absoluta und relativa, in abstracto und concreto, per se und per accidens. Die Philosophie (insbesondere der Wölfischen Richtung) bemächtigte sich gleichfalls der Frage, und nur vereinzelt erhob man (z. B. Soden) Widerspruch gegen die Schuleinteilungen. Auch in die Gesetzgebung fand die Unterscheidung frühzeitig Eingang. Schon Preufsen legt grofses Gewicht auf sie, und eine Verordnung von 1717 gibt genaue Vorschriften. Auch die Mehrzahl der deutschen Landes-StGBucher des 19. Jahrhunderts (von Bayern 1813 bis Österreich 1852) hielt es für notwendig, in einem besonderen Paragraphen zu betonen, dafs es gleichgültig sei, ob durch rasche und zweckentsprechende Hilfe der Erfolg hätte verhindert werden können, ingleichen ,,ob die Verletzung nur wegen der eigentumlichen Leibesbeschaffenheit des Getöteten oder wegen der zufalligen Umstände, unter welchen sie zugefügt wurde, den tödlichen Erfolg gehabt hat" (vgl. Preufsen § 185). Erst die neueste Gesetzgebung hat auf derartige ebenso überflüssige wie irreleitende Bestimmungen Verzicht geleistet (Begründung zum Entw des RStGB. S. 112), freilich ohne dadurch den Streitfragen ein Ende zu bereiten. V. Nach drei verschiedenen Richtungen hin nimmt die oben vorgetragene Ansicht in dem wissenschaftlichen Streite Stellung. 6 ) 6 ) Die Strafsenate des Reichsgerichts teilen durchaus die im Text vertretene Auffassung. Zusammenstellung bei Birkmeyer Note 57- Hauptvertreter v. Bitri in zahlreichen Schriften. Ihr huldigen aber auch Geyer 1 119, Halsch11er 1 227, Janka 67, Glaser Abhandlungen 297 und später wiederholt, Hertz Unrecht 167, Berger bei Grünhut 9 735, Borchert Verantwortlichkeit für Handlungen Dritter III, Landsberg Kommissivdelikte 41, Lammasch a. O. (auch bei Grünhut 9 221), Finger 22, van Hamel 1 193 (aber nicht bestimmt), Kuhlen-
§28.
i. Die Begehung (Das Thun).
107
1. Wir gebrauchen den Begriff der Ursache nicht in jenem strengen Sinne, nach welchem Ursache jenen Zustand bedeutet, auf den ein anderer Zustand mit unbedingter Notwendigkeit und strenger Allgemeinheit folgt. Denn in diesem Sinne (Ursache gleich Inbegriff aller Bedingungen des Erfolgs) kann die menschliche Handlung überhaupt nicht Ursache sein; immer und ohne Ausnahme ist ihre Wirksamkeit in Bezug auf den Erfolg bedingt durch die Mitwirkung einer ganzen Reihe von äufseren Umständen, die ebenfalls nicht hinweggedacht werden können, ohne dafs der Lauf der Dinge als verändert sich darstellte. Nur in jener bescheidenen und beschränkten Bedeutung können wir die menschliche Handlung als U r s a c h e eines Erfolges bezeichnen, in welcher Ursache nicht mehr sein will als e i n e d e r v i e l e n n o t w e n d i g e n B e d i n g u n g e n des E r f o l g e s . 2. Indem wir Bedingung und Ursache strafrechtlich einander gleichsetzen, treten wir in Widerspruch zu den in den letzten Jahren vielfach gemachten Versuchen, unter den unzähligen Bedingungen des Erfolges e i n e als Ursache im strengsten Sinne auszuzeichnen. Vier verschiedene Fassungen sind hier zu unterscheiden: a) v. Bar nennt, indem er die regelmäfsig vorhandenen Bedingungen als gegeben voraussetzt, Ursache d i e den r e g e l m ä f s i g g e d a c h t e n V e r l a u f a b l e n k e n d e , zum R e g e l w i d r i g e n g e s t a l t e n d e B e d i n g u n g (ähnlich Zitelmann); b) Binding (ebenso Ortmann, Meyer und leider auch Olshausen Abschnitt 3 2) bestimmt, indem er die dem Erfolge gunstigen oder ungunstigen Bedingungen als sich das Gleichgewicht haltend vorstellt, die Ursache als jene Handlung, w e l c h e d e n v o r h a n d e n e n B e d i n g u n g e n d i e e n t s c h e i d e n d e R i c h t u n g auf den E r f o l g g i b t ; c) nach Birkmeyer ist Ursache die „ w i r k s a m s t e " Bedingung (dagegen zutreffend Bennecke Z 5 731, Kuhlenbeck S. 67 Note I); d) Kohler unterscheidet zwischen der T r i e b k r a f t und der A t m o s p h ä r e , in welcher jene zur Geltung kommt. Ähnlich Wachenfeld Verbrechenskonkurrenz 16 Note 4 , Forcke Urheberschaft und Beihilfe 1890, Horn. Das Gefährliche jeder derartigen, eine der Bedingungen zur Ursache stempelnden, Fassung liegt darin, dafs sie, folgerichtig durchgedacht, zur Verwerfung des oben unter II I und 2 verwerteten Begriffes 'der M i t u r s a c h e fuhren mufs; einem Ergebnisse, bei welchem die Strafrechtspflege (anders das Privatrecht) nicht bestehen kann. Die Fassung Kohlers kommt überdies über ein mifsglucktes Bild nicht hinaus. 3. Mafsgebend ist die t h a t s ä c h l i c h e , wenn auch noch so ungewöhnliche, Gestaltung des Verlaufes im Einzelfall. Dagegen J . v. Kries, nach welchem die Korperbewegung a l l g e m e i n geeignet gewesen sein mufs, den eingetretenen Erfolg herbeizufuhren; „adäquate" im Gegensatz zur „zufalligen" Verursachung. Und ähnlich Merkel 99: „Das Strafrecht berücksichtigt nur solche Bedingungsverhältnisse, welchen die Erfahrung eine allgemeinere Bedeutung zuerkennen läfst." Aber die gegnerische Ansicht ist völlig willkürlich. Sie beruht, insbesondere bei Merkel., auf der bereits oben (Note 4) geleek Der Schuldbegriff 1892, Loock 182 u. a. Unter den neueren Gegnern dieser Ansicht zeichnen sich Endemann und Horn durch die unvollständige Berücksichtigung der einschlagenden strafrechtlichen Litteratur besonders aus.
io8
§ 29. Die Unterlassung.
rügten Vermengung von Verursachung und Verschuldung. Nur soweit auch der nicht verschuldete Erfolg zugerechnet wird, ist adäquate Verursachung zu verlangen (oben III 2).
§ 29. Die Unterlassung. Litteratur. v. Rohland Die strafbare Unterlassung 1 1887. Landsberg Die Kommissivdelikte durch Unterlassung im deutschen Strafrecht 1890. Vgl. dazu noch Bänger Z 6 322, Loiting Haftung des Redakteurs 136, Ziebarth 338, Kohler Studien 1 45, van Hamel 1 196, Wachenfeld Verbrechenskonkurrenz 42.
I. Unter gewissen Voraussetzungen (unten II) stellt die Rechtsordnung, ganz ebenso wie das L e b e n selbst, der V e r u r s a c h u n g des Erfolges die N i c h t h i n d e r u n g des Erfolges (das u n e c h t e Unterlassungsdelikt) in Beziehung auf die eintretenden Folgen gleich. Diese Gleichstellung bedeutet nicht, dafs auch in der Nichthinderung eine Verursachung des E r folges zu erblicken sei: die Strafbarkeit der Unterlassung ist von der A n n a h m e ihrer Kausalität völlig unabhängig. Die Gleichstellung kann auch eine unvollkommene sein, die Nichthinderung des Erfolges m i l d e r bestraft werden-als seine Verursachung. A u c h ist es durchaus möglich, dafs der Gesetzgeber die Unterlassung an sich, ohne Rücksicht auf den Erfolg, unter Strafe stellt. S o entsteht der Begriff des e c h t e n Unterlassungsdeliktes, ') als der Übertretung eines staatlichen Gebotes. D i e Schwierigkeiten entstehen erst durch das Schweigen des Gesetzgebers. Dieses zwingt uns zu der Durchführung des Satzes: D e r Verursachung eines Erfolges steht dessen Nichthinderung gleich, s o w e i t n i c h t durch besondere Vorschrift des Gesetzes eine abweichende Behandlung der Unterlassung vorgezeichnet ist. Dabei bedarf es nach dem oben § 27 Gesagten nur der Bemerkung, dafs auch die Unterlassung eine w i l l k ü r l i c h e (eine Willensbethätigung) sein mufs, das heifst hier rein negativ (da v o n einer Innervation der Muskeln, wie bei der K ö r p e r b e w e g u n g , keine R e d e ist), dafs sie nicht durch mechanischen oder psycho-physischen Z w a n g herbeigeführt sein darf. II. D e r Begriff der Unterlassung erfordert aber noch eine weitere, wesentliche Einschränkung. *) Beispiele: § 139 Unterlassene Anzeige eines Verbrechens (anders § 160 Mil.StGB.), § 360 Ziff. 10 Unterlassene Rettung eines Menschen.
§ 29. Die Unterlassung.
IO9
Unterlassung im allgemeinen ist die Nichtvornahme eines bestimmten e r w a r t e t e n Thuns. Unterlassen ist ein transitives Zeitwort. Es bedeutet nicht N i c h t s t h u n , sondern etwas n i c h t t h u n . Und zwar das nicht thun, was erwartet wurde. Wir werden von niemand sagen, er habe es unterlassen uns zu grüfsen, zu besuchen, einzuladen, wenn wir Grufs, Besuch, Einladung nicht erwartet haben. Für das Recht kommt nur die rechtswidrige Unterlassung in Frage. Die Unterlassung ist r e c h t s w i d r i g , wenn eine Rechtspflicht zum Handeln bestand. Non facere quod debet facere • so können wir mit 1. 4 Dig. 42, 8 von jedem Unterlassenden sagen. Die Rechtspflicht zum Handeln kann aber verschieden begründet sein. Sie kann sich ergeben: 1. A u s einem ausdrücklichen G e b o t e d e r R e c h t s o r d n u n g , m a g dieses dem Strafrechte angehören (z. B. StGB. §§ 221, 359; Mil.StGB. § 60) oder aber, sei es ausdrücklich, sei es stillschweigend, auf andern Rechtsgebieten ausgesprochen sein (Pflicht der Eltern zur Ernährung der Kinder, vertragsmäfsige Verpflichtung des Krankenwärters, Dienstpflicht des Beamten, des Gefangenaufsehers, des Eisenbahnwächters usw.); 2. aus dem v o r a n g e g a n g e n e n H a n d e l n , welches spätere Thätigkeit als pflichtmäfsig, späteres Fahrenlassen der ergriffenen Zügel als pflichtwidrig erscheinen läfst. Insbesondere begründet die schuldlose Herbeiführung eines rechtswidrigen Erfolges die Verpflichtung, weiteren F o l g e n , solange es noch möglich ist, entgegenzutreten. 2 ) Beispiele: Der gute Schwimmer A hat den schlechten Schwimmer B durch das Versprechen der Nothilfe zu einer Schwimmpartie bestimmt; in dem Augenblicke als Bs Kräfte nachlassen, fafst A den Totungsvorsatz und läfst B untersinken. — Der Kutscher läfst die Pferde über den im Wege liegenden Betrunkenen hinweggehen. — A hat dem B den Giftbecher gemischt. C ergreift ihn in Gegenwart des A . Dieser läfst ihn gewähren. III. Die ältere Wissenschaft hatte an der Gleichstellung der Unterlassung mit dem Thun im allgemeinen niemals Anstois genommen. Während aber die Italiener von der Glosse bis auf Farinacius und ihnen folgend Carpzov mit s ) Gegen diesen fast allgemein anerkannten Satz Landsberg, insbes. S. 257, unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte des preufsischen und des deutschen StGB, sowie auf die Rechtsprechung der höchsten Gerichte in Preufsen und im Reich.
§ 29. Die Unterlassung.
HO
Beyer und andern die Unterlassung im allgemeinen für milder strafbar erklärten als die Begehung, vertrat insbesondere J. S. F. Böhmer die strengere Ansicht, welche wenigstens bei der Tötung gehung verlangte.
gleiche Bestrafung der Unterlassung wie der Be-
Die Gesetzgebungen wollten, ganz so w i e die philosophische
Schule Wolfis, allgemein unter den Handlungen auch die Unterlassungen mitverstanden wissen, stellten aber doch im Einzelfalle für diese teilweise mildere Strafdrohungen auf.
So w i l l das Preufs. L R . 1620 im Anschlüsse an die säch-
sischen Konstitutionen die Krankenwärter, welche die ihrer Pflege anvertrauten Kranken verschmachten lassen, nur willkürlich bestraft wissen; die Theresiana 1768 Art. 87, 5 bestimmt, dafs die Mutter, „welche durch blofse Unterlassung ihrem K i n d
den T o d verursacht hätte" (Nichtunterbinden
der Nabelschnur,
Verblutenlassen, Versagung der Nahrung usw.), mit e i n f a c h e r
Schwertstrafe
ohne Durchpfählung des Korpers zu bestrafen sei; und noch Osterreich
1852
§ 1 3 9 belegt die Kindestotung durch Unterlassung mit milderer Strafe. Erst mit dem 19. Jahrhundert beginnt der wissenschaftliche Streit um die Kausalität
der Unterlassung, einer der unfruchtbarsten, welche die strafrecht-
liche Wissenschaft je gefuhrt hat. Während noch Feuerbach,
Spangenberg, Martin
u. a. die Frage nach der
Kausalität der Unterlassung gar nicht aufgeworfen hatten und nur ihre Rechtswidrigkeit und Strafbarkeit untersuchten, beginnt bei ihren Nachfolgern
die
falsche Fragestellung.
Ge-
„ A u s Nichts kann Nichts w e r d e n " :
danke, von dem man ausging.
Luden
und Zirkler
die Unterlassung für ein „Andershandeln" erklärt.
das war
der
hatten durchgreifend genug Krug,
Glaser, v. Bar
Merkel dagegen erblickten in dem der Unterlassung vorangegangenen
und
Thun
das kausale Moment, gerieten aber dadurch in unlösliche Widerspruche mit dem Hauptgrundsatze der Schuldlehre: bewegung vorliegen. Hälschner,
Janka,
Unterlassung
Schuld mufs im Augenblicke der
Korper-
Wesentlich anders behandeln v. Buri, Ortmann,
Binding,
Bünger
selbst
die Frage.
nachzuweisen.
Sie suchen das kausale Moment in der Die
Fassung
des verbrecherischen
schlusses, die Unterdrückung des Thatigkeitstriebes,
Ent-
vernichtet ein dem Er-
folge entgegenstehendes Hindernis und führt so dessen Eintritt herbei (.,Interferenztheorie").
Ahnlich Berger,
Geyer und Aldosser
(psychische Kausalität).
A u c h Olshausen Abschnitt 3 3 durfte, wenn ich ihn recht verstehe, hierher zu rechnen sein.
A b e r diese Ansicht scheitert an der Thatsache,
rein innere Vorgang bei der
dafs dieser
fahrlässigen Unterlassung zweifellos
nicht
handen, bei der vorsätzlichen schwer, wenn überhaupt, nachweisbar ist. verfehlt war der von v. Rohland u. a. (Haupt Z 2 533, Sigwart des Wollens 1879 S. 33, Zitelmami
Irrtum und Rechtsgeschäft
259) gemachte Versuch, die Kausalität
vor-
Völlig
Der Begriff 1879 S. 200,
der Unterlassung dadurch zu retten,
dafs sie auf ihren „rechtlichen E r f o l g " hinwiesen; denn dieser ist nicht Veränderung in der Aufsenwelt, mithin nicht E r f o l g in dem einzig
zulässigen
Sinne des Wortes (oben § 28 Note 4). So gelangte denn die neueste Richtung unserer Wissenschaft dazu, die verursachende Bedeutung der Unterlassung überhaupt in Abrede zu stellen.
Damit
tritt neben die verursachende Körperbewegung
Unter-
die nichtverursachende
§ 3°-
Zeit und Ort der Handlung.
III
lassung als selbständige Form der verbrecherischen Handlung. So insbesondere Loiting, v. Meyer, Endemann, Horn, aber auch Ötker Jurist. Litteraturblatt 3 96. Und in der That mufs zugegeben werden, dafs, streng genommen, der eingetretene Erfolg niemals durch die Unterlassung an sich, sondern ausnahmslos durch die n e b e n d e m U n t e r l a s s e n t h ä t i g e n N a t u r k r ä f t e verursacht wird. Das Kind, das die Mutter verhungern läfst, stirbt an Entkräftung; der schlechte Schwimmer, dem sein Freund die rettende Hand entzieht, an Erstickung. Die Naturkräfte, denen der zum Handeln Verpflichtete nicht entgegentrat, haben den Erfolg bewirkt, nicht der Unterlassende. Somit beruht es zweifellos auf einem ungenauen Sprachgebrauche, wenn wir von einem Bewirken durch Unterlassung sprechen. Und nur darum kann es sich handeln, ob auch die Strafrechtswissenschaft diesen Sprachgebrauch des Lebens beibehalten solle oder nicht. Für die Bejahung (so die früheren Auflagen dieses Lehrbuchs, J. v. Kries, Kuhlenbeck, Wachenfeld u. a) konnte man geltend machen, dafs es nicht minder ungenau sei, wenn wir die menschliche Korperbewegung als „Ursache" des Erfolges bezeichnen, während sie doch nicht mehr als eine der Bedingungen darstellt, und dafs doch niemand an dieser Ausdrucksweise Anstois nehme (oben § 28 IV 1). Dennoch ist, zur Vermeidung aller Mifsverständnisse, die scharfe Unterscheidung der Begehung und der Unterlassung in der wissenschaftlichen Darstellung vorzuziehen. Ungleich wichtiger aber als diese rein terminologische Streitfrage, entscheidend für die wissenschaftliche wie praktische Behandlung der Unterlassungsdelikte, ist die richtige Fragestellung. Diese lautet aber nicht: Wann ist das Unterlassen k a u s a l ? sondern: Wann ist das Unterlassen r e c h t s w i d r i g ; wann steht die Nichthinderung des Erfolges der Verursachung des Erfolges gleich? Die deutsche Wissenschaft verdankt der unrichtigen Fragestellung ihre unhaltbaren Ergebnisse.
§ 30.
Zeit und Ort der Handlung.
Litteratur. Schneidler Der Ort der begangenen Handlung Diss. 1886. v. Lilienthal Festgabe der Juristischen Fakultät zu Marburg u. s. w. (für Wetzeil) 1890 S. 253. v. Kries 167. v. Bar Lehrbuch 235.
I. D i e B e g e h u n g . Aus zwei Teilen setzt sich der Begriff der Begehung zusammen: aus der Körperbewegung als der Ursache und aus dem Erfolge als der Wirkung. Sobald Ursache und Wirkung, Körperbewegung und Erfolg, örtlich und zeitlich auseinanderfallen (sogenannte „Distanzverbrechen"), entsteht die Doppelfrage: W a n n u n d w o i s t d i e H a n d l u n g (und damit das Verbrechen) b e g a n g e n ? Streng genommen, müfste man die Begehung als ein einheitliches Ganzes betrachten. Nur Körperbewegung und Erfolg zusammen bilden die Handlung. Nur dann wäre die Handlung im Inlande begangen, wenn Körperbewegung u n d Erfolg ins
§ 30.
112
Zeit und Ort der Handlung.
Inland fallen; nur dann steht sie unter der zeitlichen Herrschaft eines Rechtssatzes, w e n n nicht nur die K ö r p e r b e w e g u n g , dern
auch
der E r f o l g
von
dieser erfafst wurden.
K ö r p e r b e w e g u n g im Inland v o r g e n o m m e n
worden,
son-
Ist die
der E r f o l g
aber im Ausland eingetreten (oder umgekehrt), so ist die Handlung, als Einheit betrachtet, weder im Inland noch im Ausland begangen.
G a n z dasselbe gilt, w e n n ein Wechsel der Gesetz-
gebung nach V o r n a h m e der Körperbewegung, aber vor Eintritt des Erfolges stattfindet. Diese Ansicht führt zu völlig unbefriedigenden Ergebnissen. W i r sind daher gezwungen, uns m i t e i n e m T e i l e der Handlung zu begnügen. offen.
Wir
können
Dabei steht uns eine dreifache Möglichkeit entweder
i.
die
Körperbewegung
oder
2. den E r f o l g für ausschlaggebend oder aber 3. beide als gleichberechtigt betrachten. 2 ) Beispiel: Eine am I.Juni von Bremen nach Neuyork verfrachtete Höllenmaschine tötet am 15. Juli den Empfänger. Der Mord ist nach der ersten Ansicht am I. Juni in Bremen; nach der zweiten am 15. Juli in Neuyork; nach der dritten am I.Juni u n d am 15. Juli, in Bremen un d in Neuyork begangen. Bei der Entscheidung zwischen diesen drei Ansichten haben wir von der unbestreitbaren Thatsache
auszugehen,
dafs
nach
dem heute geltenden R e c h t e die Eigenart der Handlung sich be') Vgl. dazu Ullmann Lehrbuch des Strafprozesses 1893 S. 187. j Die K o r p e r b e w e g u n g betrachten als mafsgebend: v. Bar, Btkker, Hdlschner, Hertz, yanka, v. Meyer, v. Rohland, Schütze, v. Wächter; Hanckc Archiv für offentl. Recht 4 460, Planck 1 § 18 Note 27, Seuffert StG. 1 29. — Die Rechtsprechung erklärt zumeist beide Teile der Handlung als gleichberechtigt. So insbesondere das Reichsgericht; zuletzt 17. Juni 1892 23 155 („jeder Ort, an welchem die That, sei es unmittelbar durch die Korperbewegung des Thäters oder durch die von ihm in Bewegung gesetzte Kraft, zur Ausführung gelangt"). Ebenso Berner 248, Binding 1 416, Olshausen § 3 2 bis 6, Wach 1 465, Bennecke 84, v. Lilienthal 270, van Hamel 1 207 u. a. — Die Frage ist für das Strafrecht, wie für das Prozefsrecht einheitlich zu entscheiden: v. Kries 167, v. Lilienthal 257. Anders Binding, Wach, Bennecke, v. Bar 237, 238, — Im Sinne des Textes insbes. Häberlin GA. 35 434, Merkel 276, Neumeyer Strafbarer Bankerott 1891 S. 157. — Man hat auch wohl die gesamte Kausalreihe von der Korperbewegung bis zum Erfolge als eine Einheit betrachten und die Handlung als an allen Orten begangen ansehen wollen, welche die ihre Entwicklung darstellende Linie durchläuft. So R 12./19. Mai 84 10 420. So auch Binding 1 423. Diese Ansicht ist aber sicher unhaltbar. Wenn ein beleidigender Brief von London auf dem Wege Ostende, Frankfurt, Wien, Pest usw. nach Konstantinopel an den Adressaten gelangt, so ist die Beleidigung sicherlich nicht überall unterwegs begangen. Binding 1 423 sieht sich daher gezwungen, bei den von ihm sog. „Transitverbrechen" eine Ausnahme zu machen. 2
§ 30.
Zeit und Ort der Handlung.
113
stimmt nach dem eingetretenen E r f o l g . Nicht die Absendung einer Höllenmaschine, sondern die dadurch bewirkte Veränderung in der Aufsenwelt drückt der Handlung den Stempel eines bestimmten Verbrechens auf. Und unzweifelhaft entspricht dieses Ergebnis auch besser als andere der Aufgabe des Strafrechts: dem Rechtsgüterschutz. So gelangen wir zu dem Satze: G e h a n d e l t h a t der T h ä t e r d o r t , w o , und zu der Z e i t , zu w e l c h e r e r d e n E r f o l g h e r b e i g e f ü h r t hat. Dieser Satz bedarf einer näheren Erläuterung dahin: Mafsgebendist d e r j e n i g e E r f o l g , w e l c h e r b e r e i t s a l s e i n e v o n der K ö r p e r b e w e g u n g und damit v o n dem W o l l e n d e s T h ä t e r s l o s g e l ö s t e , in s i c h s e l b s t ä n d i g e W i r k u n g e r s c h e i n t . Die weiteren aus der Handlung sich entwickelnden Erfolge bleiben aufser Betracht. Mafsgebend ist also Ort und Zeitpunkt der tödlichen Verwundung, nicht des eingetretenen Todes. 3 ) II. Ganz ähnlich verhält es sich mit der U n t e r l a s s u n g . Das u n e c h t e Unterlassungsdelikt ist dann und dort begangen, wann und wo der Erfolg eingetreten ist. Bei dem e c h t e n entscheidet Zeit und Ort, wann und wo das gebotene Thun vorzunehmen war. III. Einzelanwendungen. 4 ) I. A n s t i f t u n g u n d B e i h i l f e betrachtet und behandelt das geltende Recht (unten § 49) als Teilnahme a n d e r T h a t e i n e s a n d e r n , nicht aber als selbständige, wenn auch mittelbare Verursachung oder Nichthinderung des Erfolges. Von diesem Standpunkte aus erscheint als der durch die Anstiftung herbeigeführte Erfolg die Hervorrufung des verbrecherischen Entschlusses im Thäter; als Erfolg der Beihilfe die dem Thäter gewährte Forderung. Und daraus folgt: Dort, wo der Anzustiftende den Rat usw., wo der Thäter die Hilfeleistung empfängt, und in dem Augenblicke, in welchem dies geschieht, dort und dann ist Anstiftung und Beihilfe begangen. B e i s p i e l : A in Paris bestimmt durch einen am 1. Januar 1880 abgeschickten, am 3. Januar 1880 in Berlin eingetroffenen Brief den B zur Ermordung des in London befindlichen C ; wenn die That in London am 1. Februar 1880 ausgeführt wird, so ist die Anstiftung in Berlin am 3. Januar begangen. Es ist mithin die im Inlande gesetzte Beihilfe zu einer von einem Aus3 ) Dagegen Wachenfeld Verbrechenskonkurrenz 32, v. Kries 168. *) In allen diesen Fragen müssen natürlich diejenigen zu andern Ergebnissen kommen, deren grundsätzliche Auffassung von der im Texte unter I vorgetragenen abweicht.
von L i s z t , Strafrecht. 6. Aufl.
8
U4
§ 31.
Die Rechtswidrigkeit als Begriffsmerkmal.
länder begangenen Hauptthat möglicher-, aber nicht notwendigerweise als im A u s l a n d e v e r ü b t anzusehen. 2. Dagegen entscheidet bei Begehung der That d u r c h e i n e n a n d e r n , mag dieser zurechnungsunfähig oder getäuscht oder gezwungen sein, Ort und Zeit der Handlung des Werkzeuges. Wenn ich durch einen Blödsinnigen einen jenseit der Grenze befindlichen Gegenstand wegnehmen lasse, so habe i c h ihn jenseit der Grenze weggenommen. In diesem Falle liegt eben nach Auffassung des geltenden Rechts e i g n e s H a n d e l n des Schuldigen, nicht aber Teilnahme an fremdem Thun vor (unten § 50 II). 3. Bezüglich des strafbaren V e r s u c h e s ist die allgemeine Regel folgerichtig zur Anwendung zu bringen. Da die Eigenart der Versuchshandlung in der Gefährdung besteht (unten § 45), ist die That dort und dann begangen, wo und wann die Gefahr eingetreten ist. 4. Eine als juristische E i n h e i t zu betrachtende Handlungsreihe, z. B. das fortgesetzte oder fortdauernde Verbrechen (unten § 55\ darf auch in Bezug auf unsere Frage nicht in seine unselbständigen Teile auseinandergerissen werden. Es ist uberall dort begangen, wo ein solcher Teil gesetzt worden, und während der ganzen Dauer der Handlungsreihe. Ein dadurch veranlafster Zwiespalt zwischen fremdem und einheimischem Rechte ist zu Gunsten des letzteren, zwischen späterem und früherem Rechte zu Gunsten des milderen zu entscheiden (die mehreren Gerichtsstände sind gleichberechtigt). 5. Uber den Einflufs einer „ B e d i n g u n g d e r S t r a f b a r k e i t " vgl. unten § 43. 6. Bei den P r e f s v e r g e h e n entscheidet Ort und Zeit der Ausgabe der Druckschrift. 6 )
II. Das Verbrechen als rechtswidrige Handlung. § 31. I.
D i e R e c h t s w i d r i g k e i t als B e g r i f f s m e r k m a l .
D a s Verbrechen ist als Unrecht, ebenso wie das privat-
rechtliche Delikt, r e c h t s w i d r i g ,
d. h. die Übertretung einer
staatlichen Norm, eines G e b o t e s oder V e r b o t e s der Rechtsordnung. *) A b e r diese Rechtswidrigkeit kann verschiedene Gestalt annehmen.
') Vgl. v. Liszt Prefsrecht § 41, v. Lilienthal 282, dagegen R 17. Juni 92 2 3 155. *) Das Verbrechen i s t rechtswidrig, nicht aber b e w i r k t es eine Rechtswidrigkeit. Das ist ebenso sicher wie der Satz, dafs die Begriffsmerkmale eines Gegenstandes nicht dessen Wirkungen sind. Dennoch wird dieses ebenso einfache, wie klare Verhältnis vielfach unrichtig aufgefafst. In Bindings Normentheorie bildet diese Verwechslung den Ausgangspunkt für eine Reihe von folgenschweren Irrtümern. Vgl. oben § 28 Note 4.
§ 31. 1.
Die Rechtswidrigkeit als Begriffsmerkmal.
" 5
Indem die Rechtsordnung menschliche Lebensinteressen
zu Rechtsgütern,
d. h. zu rechtlich geschützten
Interessen,
er-
hebt, verbietet sie, ohne dafs es einer ausdrücklichen Erklärung bedarf, 2 ) jede V e r l e t z u n g 3 ) dieser Interessen. 2. Durch besondere Erklärung verbietet die Rechtsordnung, unter
gewissen
Voraussetzungen
Schranken, auch die G e f ä h r d u n g
und
innerhalb
gewisser
(siehe oben § 27 III) recht-
lich geschützter Interessen. 3. durch einer
Sie verbietet (oder gebietet) endlich, und besondere Erklärung, die B e g e h u n g
Handlung,
regelmäfsig
weil
ihre
Vornahme
zwar wieder
(oder Unterlassung)
(oder
Nichtvornahme)
die G e f ä h r d u n g eines Rechtsgutes enthält, ohne
dais es darauf ankommt, ob die Handlung auch im gegebenen Einzelfalle dieser
allgemeinen
Voraussetzung
denke an das V e r b o t des schnellen Fahrens
entspricht. und Reitens,
Man das
G e b o t des Raupens, den I m p f z w a n g und andres. Diese letzte Gruppe bildet das p o l i z e i l i c h e Unrecht im Gegensatze zum peinlichen, den einfachen
Ungehorsam. 4 )
II. Nur a u s b e s o n d e r e n G r ü n d e n kann ausnahmsweise der A n g r i f f
auf
rechtlich geschützte
Interessen
gestattet
sein.
D i e L e h r e von der Rechtswidrigkeit des Verbrechens bedeutet 9 ) Dieser Satz wird im Privatrecht meist verkannt. So auch vom BGB. Vgl. v. Liszt Grenzgebiete 34. Aber auch Bindings Normentheorie beruht auf einer Verkennung dieser einfachen Wahrheit (vgl. oben § 12 Note 2). Das Wesen der Norm ist Zusage des Rechtsschutzes, Anerkennung eines Lebensinteresses als Rechtsgut. ä ) Es ist klar, dafs die Ausdrücke „Verletzung" und „Gefährdung", die sich streng genommen nur auf äufsere Ereignisse beziehen, hier im übertragenen Sinne gebraucht werden. „Rechtsverletzung" ist nur ein Bild. Verletzt und gefährdet werden die Menschen oder Sachen, in welchen sich als Subjekten oder Objekten das Interesse verkörpert. 4 ) Der Unterschied, dessen weitere Durchbildung möglich und wünschenswert wäre, hat strafprozessualisch gröfsere, strafrechtlich im geltenden Recht geringere Bedeutung. — Bezuglich der Abgrenzung stimmen mit dem Texte im wesentlichen uberein Merkel Abhandlungen 1 35, Binding Normen t 179, 204, Hälschner 1 35, Rosin W V . 2 274, Stoofs Grundzuge 1 170. Auch Loock (Litt, zu § 28) 210. Dagegen wird vielfach, wie von Bekker, Geii, Heffter, v. Bar, jeder Unterschied zwischen peinlichem und polizeilichem Unrechte gänzlich in Abrede gestellt; die naturrechtliche Schule — so noch Feuerbach, v. Wächter u. a. — wollte das peinliche Unrecht auf die Verletzung subjektiver Rechte beschränken und die Verletzung allgemeiner Interessen dem polizeilichen zuweisen; andere wieder, wie Grolmann, Kostlin, Seeger, Geyer, rechnen die Verletzung zum peinlichen, die Gefahrdung zum polizeilichen Unrecht; v. Meyer 40 unterscheidet nach der grofsern oder geringem Bedeutung der Handlung. 8*
X
§ 31.
Die Rechtswidrigkeit als Begriffsmerkmal.
die Darstellung derjenigen Gründe, welche a u s n a h m s w e i s e den W e g f a 11 der Rechtswidrigkeit bewirken. Mit ihr beschäftigen sich die folgenden Paragraphen. Hier seien einige allgemeine Sätze vorangeschickt. 1. Die Rechtswidrigkeit des Verbrechens bedarf als selbstverständlich keiner besondern Hervorhebung im Gesetze. Nur in besonderen Fällen hat der Gesetzgeber das Merkmal der Rechtswidrigkeit in den besondern Thatbestand einzelner Verbrechen aufgenommen. 6 ) Hier bedarf es daher auch ausdrücklicher Feststellung der Rechtswidrigkeit im Urteile. Der Grund aber, weshalb nur für diese Verbrechen eine abweichende Behandlung vorgeschrieben ist, kann einmal darin gefunden werden, dafs gerade bei ihnen die Abgrenzung der nicht rechtswidrigen von den rechtswidrigen Fällen ungleich gröfsere Schwierigkeiten bietet als etwa bei der Tötung oder der gewaltsamen Vollziehung des Beischlafes; dann aber auch in der reichsrechtlichen Zulassung einer landesrechtlichen Erlaubnis („Befugnis") zur Vornahme solcher Handlungen (Halten von Glücksspielen usw.) 2. Soweit die Rechtswidrigkeit der Handlung ausgeschlossen ist, kann von einem Verbrechen nicht die Rede sein. Es ist daher auch strafbare Teilnahme an einer solchen Handlung begrifflich unmöglich. 3. Die an sich nicht rechtswidrige Handlung ist, sobald sie über das eng umgrenzte Gebiet des ausnahmsweisen Ausschlusses der Rechtswidrigkeit hinausgreift, bezüglich dieses Übermafses (soweit dieses ausgeschieden werden kann) den allgemeinen Regeln unterworfen. Tötung oder Körperverletzung als Uberschreitung eines Züchtigungsrechtes, mag dieses in seinen Voraussetzungen, seinem Inhalt oder seinem Umfange überschritten sein, können daher als vorsätzlich oder fahrlässig begangen nach den regelmäfsigen Bestimmungen des StGB, bestraft werden. Über die bezüglich der Überschreitung der Notwehr geltende Sondervorschrift vgl. unten § 32 III. 4. Von den unter 1 erwähnten Ausnahmefällen abgesehen, ist die Rechtswidrigkeit der Handlung ohne Rücksicht auf einen 6)
Vgl. StGB. §§ 123, 124, 239, 240, 246, 291, 303, 305, 339, 353 a u. a.
§ 31 •
Die Rechtswidrigkeit als Begriflsmerkmal.
n y
etwaigen Irrtum des Thäters streng objektiv zu prüfen und festzustellen. Vgl. darüber unten § 40. III. Die Anerkennung des Satzes, dafs die Rechtswidrigkeit Begriffsmerkmal des Verbrechens ist, sowie die genauere Erfassung derjenigen Umstände, welche der Handlung die Eigenschaft' der Rechtswidrigkeit ausnahmsweise entziehen, ist das Ergebnis einer langsamen, noch immer nicht abgeschlossenen Entwicklung. Das r o m i s c h e R e c h t kennt eine Reihe von e i n z e l n e n hierher gehörigen Fällen, unter welchen Notwehr, Notstand sowie das Totungsrecht gegenüber dem nächtlichen Dieb und dem auf frischer That ertappten Ehebrecher hervorragen; aber vergebens suchen wir nach einer allgemeinen Regel. Ja, auch die grundsätzliche Auffassung der ausdrücklich behandelten Fälle ist bei den romischen Juristen eine durchaus schwankende, meist sogar geradezu verfehlte: nicht die R e c h t s w i d r i g k e i t , sondern die S t r a f b a r k e i t des Thuns wird als ausgeschlossen betrachtet, weil der erforderliche dolus fehle. Ebenso verhält es sich mit dem m i 1 1 e 1 a l t e r 1 i c h - d e u t s c h e n R e c h t . Neben einer immer eingehenderen Behandlung der Notwehr in den Quellen des späteren Mittelalters und der Hervorhebung einzelner Notstandsfälle spielt insbesondere das im weiten Umfange anerkannte Totungsrecht eine hervorragende Rolle. Dies ist auch der Standpunkt der italienischen Wissenschaft des Mittelalters, der PGO. und des auf dieser sich aufbauenden gemeinen Rechts, wenn auch einzelne Schriftsteller, wie y. S. F. Böhmer, wenigstens beim Totschlag zwischen Ausschlufs der Rechtswidrigkeit und mangelndem Vorsatz unterscheiden. Nur die N o t w e h r wird gegen Ende des vorigen Jahrhunderts aus ihrer Verbindung mit der Tötung gelost, begrifflich genau abgegrenzt und in den allgemeinen Teil des wissenschaftlichen Systems sowie der Gesetzbücher gestellt. Ihr folgt der N o t s t a n d , aber o h n e bisher zu befriedigendem A b schlufs zu gelangen. Die übrigen Ausschliefsungsgrunde harren zum weitaus grofsten Teile der begrifflichen Klarlegung. Die Gesetzbücher verzichten darauf, sie festzustellen, und die Wissenschaft mufs sich gestehen, dafs ihre Ergebnisse nur teilweise reif für gesetzgeberische Verwertung sind. Das unbefriedigende Ergebnis, welches die geschichtliche Entwicklung dieser Lehre uns bietet, spiegelt sich im RStGB. wider. Auch dieses behandelt die Lehre von der Rechtswidrigkeit ohne jede innere Folgerichtigkeit. Es hebt bei einer einzelnen strafbaren Handlung (Beleidigung § 193) eine ganze Reihe von Umständen ausdrücklich hervor, die nicht nur hier, sondern überall die Rechtswidrigkeit ausschliefsen; es nimmt bei einer Anzahl von strafbaren Handlungen das Merkmal der Rechtswidrigkeit in den besondern Thatbestand auf, während es bei der grofsen Mehrzahl von diesem Erfordernisse gänzlich absieht; es regelt endlich in seinem allgemeinen Teile die Behandlung der N o t w e h r und des N o t s t a n d e s , verzichtet aber auf die Regelung der zahlreichen und wichtigen andern Fälle, in welchen die Rechtswidrigkeit des in Frage stehenden Thuns oder Unterlassens als ausgeschlossen erscheint.
§ 32.
118
§ 32.
Die Notwehr.
Die Notwehr.
Litteratur. Levita Recht der Notwehr 1856. Geyer Lehre von der Notwehr 1857, Seeger Abhandlungen 1 1858 S. 173. Janka Der strafrechtliche Notstand 1878. Moriaud Da délit nécessaire 1889. van Calker Z 12 443. Dangelmaier Militärrechtliche und militärethische Abhandlungen 1892 S. 120 (Ehrennotwehr). — Über das römische Recht Pernice Labeo 2 2 1 ; über die Quellen der Bambergensis Brunnenmeister 177; vgl. auch Pfenniger Strafrecht der Schweiz 52 und sonst. — Bezuglich der Schutzvorrichtungen Rot ering GA. 30 415. Sommerlad GS. 39 359. I. Die Notwehr ist zu allen Zeiten und bei allen Volkern, wenn auch in verschiedenem Umfange, als rechtgemäfse, nicht nur als nicht strafbare Handlung anerkannt worden. In diesem Sinne ist es richtig, wenn Cicero von der „non scripta sed nata lex" spricht oder Geib sagt, die Notwehr habe keine Geschichte. Genauere Betrachtung zeigt jedoch, dafs das geschriebene Recht der Notwehr eine ebenso reiche wie beachtenswerte Entwicklungsgeschichte durchgemacht hat. Das romische Recht bietet uns zwar zahlreiche Quellenstellen, welche von der gewaltsamen Zurückweisung gewaltsamen Angriffes handeln, läfst aber den allgemeinen Begriff der Notwehr vermissen. Ebenso ist auch im ältesten deutschen Rechte die Notwehr noch nicht losgelost von Rache und Totungsrecht. Aber dennoch tritt uns bereits im spateren Mittelalter, in der italienischen Wissenschaft wie in der volkstumlichen Rechtslitteratur Deutschlands, in Stadtrechten und Rechtsbuchern, eine so durchgebildete und ausgeführte Darstellung der Notwehr entgegen, wie wir sie in den übrigen allgemeinen Lehren des Strafrechts ohne jede Ausnahme nicht wiederfinden. So konnte Schwarzenberg in den Art. 139—145 und 150 mit lehrbuchartiger Breite und Bestimmtheit nicht nur den Begriff der Notwehr feststellen und die Beweisführung regeln, sondern auch Einzelfragen, wie Notwehr ,.gegen einem Weibsbilde" und Ablenkung des Schlages bei Notwehr (im Anschlüsse an 1. 45 § 4 D. 9, 2), erledigen. Auch er kennt übrigens, wie das gesamte Mittelalter, nur Notwehr zur Rettung von Leib und Leben und behandelt sie als Fall der straflosen Tötung. Das gemeindeutsche Recht dehnt allmählich die Zulässigkeit der Notwehr auf Angriffe gegen andere Rechtsguter, insbesondere gegen Vermögen und Ehre, aus (so ubereinstimmend Böhmer, Engau, Koch u. a.) und arbeitete an der genaueren Feststellung der einzelnen Begriffsmerkmale. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Notwehr, welche bisher stets im Anschlüsse an die Tötung behandelt zu werden pflegte, aus dieser Verbindung gelost und ihr die ihr gebührende Stellung im allgemeinen Teile des Systems angewiesen. So bei Globig und Huster 1783, Erhard 1789, Tittmann 1798. Feuerbachs Ansehen verschaffte dieser Auffassung den Sieg. Auch die Gesetzgebung (mit Ausnahme der franzosischen) schlofs sich ihr an, nachdem bereits ALR. II 20, 517 die Notwehr in die Einleitung zu den „Privatverbrechen" gestellt hatte.
II. N o t w e h r 1 )
(StGB.
§ 53)
ist
die
zur
Abwehr
' ) Der Ausdruck „Notwehr" findet sich nach Geyer zuerst im Wiener Stadtrecht von 1221, ist aber jedenfalls älter. Vgl. auch Landfrieden von 1235: „ . . . nisi in continenti ad tutelam corporis sui vel bonorum suorum vim
§ 32. Die Notwehr.
HQ
eines g e g e n w ä r t i g e n r e c h t s w i d r i g e n A n g r i f f s erforderliche Verteidigung durch Verletzung rechtlicher Interessen des Angreifers. i. D e r A n g r i f f mufs a) ein r e c h t s w i d r i g e r sein. Daher ist Notwehr nicht möglich gegenüber dem in rechtmäfsiger Amtsausübung befindlichen Beamten, gegenüber der A u s ü b u n g eines Zuchtrechts usw.; nicht möglich gegenüber der Notwehrhandlung selbst o d e r der nicht rechtswidrigen Notstandshandlung (vgl. § 33 N o t e 2). W o h l aber wird sie in dem Augenblicke berechtigt, in welchem eine Überschreitung den an sich rechtmälsigen A n griff zu einem rechtswidrigen macht, also auch gegenüber einer Überschreitung der Notwehr. Gestattet ist Notwehr gegenüber rechtswidrigen Angriffen solcher Personen, w e l c h e n , wie dem Staatshaupt, dem Volksvertreter, dem Gesandten (oben § 23), nur ein persönlicher Strafausschliefsungsgrund zur Seite steht. A u c h g e g e n den von einem Tiere oder einem Zurechnungsunfähigen ausgehenden Angriff ist Notwehr möglich; denn dieser Angriff kann zwar nicht ein deliktischer (schuldhafte Rechtswidrigkeit), wohl aber ein nicht berechtigter, d. h. g e g e n ein rechtlich geschütztes Interesse gerichteter (objektive Rechtswidrigkeit), sein. D i e entgegengesetzte Ansicht würde die Verteidigung in einem solchen Falle auf g e g e n Leib und L e b e n (StGB. § 54) gerichtete Angriffe einschränken müssen. 2 ) O b der Angriff ein v o r h e r g e s e h e n e r war oder nicht, ob er von dem Angegriffenen v e r s c h u l d e t w o r d e n oder nicht, ist nach dem heutigen R e c h t e gleichgültig. b) Der A n g r i f f mufs ferner ein g e g e n w ä r t i g e r sein, d. h. unmittelbar bevorstehen o d e r bereits begonnen haben. E s braucht daher einerseits der B e g i n n des Angriffes nicht abgewartet zu werden, 3 ) während anderseits auch der bereits bevi repellat, quod dicitur notwere." — Eine Erweiterung des Begriffs der Notwehr enthält Mil.StGB. § 124. a ) Sehr bestritten. Im Sinne des Textes u. a. Wahlberg Schriften 3 77, v. Buri G S . 3 t 471, Gob G A . 2 8 184, Binding
1 738, Olshausen § 5 3 6, Hubrich
GS. 4 6
220, van Hamel 1 222, besonders Sommerlad GA. 3 4 329; dagegen die über-
w i e g e n d e M e i n u n g , i n s b . Hälschner
1 479, Janka
116, v. Meyer
331,
Schütze
113, Stammler Notstand 2, Ziebartk 348. — Merkel 163 w i l l Notwehr gegen
Wahnsinnige, nicht aber gegen Tiere zulassen. ®) Laesio inchoata nicht erforderlich. PGO. Art. 140: „ist auch mit
120
§ 32-
Die Notwehr.
gonnene, aber noch f o r t g e s e t z t e Angriff abgewehrt werden kann. Ausgeschlossen ist Notwehr dagegen a) gegenüber einem e r s t in d e r Z u k u n f t d r o h e n d e n Angriffe. Schutzmafsregeln gegen künftige Verletzungen, wie Fufsangeln, Selbstgeschosse, Wolfsgruben, sind, w e n n sie erst im Augenblicke des Angriffs thätig werden, gestattet, soweit sie nicht (was allerdings meist der Fall sein wird) d i e G r e n z e n d e r e r f o r d e r l i c h e n V e r t e i d i g u n g überschreiten ; 4 ) ß) gegenüber dem b e e n d e t e n Angriffe, d. h. sobald nach den Bestimmungen des geltenden Rechts die Vollendung des Verbrechens eingetreten ist. Da der Diebstahl nicht schon mit der Ergreifung der Sache, sondern erst mit dem Bruche des Gewahrsams vollendet wird, ist Notwehr gegen den flüchtigen Dieb so lange zulässig, als der Gewahrsam des Innehabers noch nicht völlig gebrochen ist.6) c) Der Angriff mufs gegen irgend ein R e c h t s g u t , d. h. gegen ein rechtlich geschütztes Interesse, gerichtet sein. Das Gesetz macht unter den Rechtsgütern keinen Unterschied. Auch zum Schutze der Ehre, des sittlichen oder religiösen Gefühls, der staatsbürgerlichen Rechte ist Notwehr ebenso zulässig, wie gegen Landesverrat, Münzverbrechen usw. 2. Die V e r t e i d i g u n g mufs a ) g e g e n den A n g r e i f e r selbst, nicht gegen dritte sich richten; vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung dritter zum Zwecke der Verteidigung kann nur als Notstandshandlung straflos sein. c ) seiner Gegenwehr, bis er geschlagen wird, zu warten nicht schuldig." Die Bambergensis fügt (im Anschlüsse an Azo) hinzu: , als etliche unverständige Leut' meinen." *) StGB. § 367 Ziff. 8 bedroht das Anbringen von Selbstgeschossen usw. mit Übertretungsstrafe. 6 ) Ist dieser gebrochen, so kann Selbsthilfe (unten § 34 II I) gestattet sein. Abweichend mit den meisten Lammasch, K. Herzog u. a. (Olshausen § 5 3 9), welche bis zum Eintritte des „Deliktsübels", unabhängig von der Fassung des geltenden Gesetzes, den Angriff als fortdauernd betrachten. J) Störung des Gemeindegottesdienstes ist also nicht mehr Ehrennotwehr gegen den Geistlichen. Dagegen will van Calker die Verteidigungshandlung, d. h. die gegen den Angreifer gerichtete Handlung, auch dann als Notwehr betrachten, wenn sie dritte verletzt. Doch gibt er selbst S. 472 das Bedenk-
§ 32.
Die Notwehr.
121
b) Sie darf die Grenzen des unbedingt N o t w e n d i g e n nicht überschreiten. Das Mafs der „erforderlichen" Verteidigung (moderamen inculpatae tutelae) liegt in der Heftigkeit des Angriffes. Ist die Abwehr des Angriffes auf andere Weise nicht möglich, so kann auch das unbedeutendste Rechtsgut durch Tötung des Angreifers geschützt werden. Die Möglichkeit einer schimpflichen oder gefährlichen Flucht schliefst die Rechtmäfsigkeit der Notwehrhandlung nicht aus, wohl aber die Möglichkeit, dem Angriff ohne Schande oder Gefahr zu entgehen. 7 ) c) Die Notwehr ist nicht nur zum Schutze eigner, sondern als N o t h i 1 f e auch zum Schutze fremder Rechtsgüter gestattpt. Die Beschränkung auf eine Bedrohung der „Angehörigen" (wie beim Notstande, unten £ 33) ist hier unserm Rechte fremd. III. Sobald die Grenzen der erforderlichen Verteidigung überschritten sind, unterliegt die weitere Verletzung des Angreifers als r e c h t s w i d r i g e Handlung den allgemeinen Regeln. D o c h bleibt nach § 53 A b s . 3 StGB, die durch B e s t ü r z u n g , F u r c h t o d e r S c h r e c k e n herbeigeführte Überschreitung (sogenannter Exzefs der Notwehr) straflos; es liegt hier zwar eine an sich strafbare Handlung, zugleich aber auch ein persönlicher Strafausschliefsungsgrund vor. 8 ) A u f andre als die vom Gesetze angeführten Gründe der Überschreitung, insbesondere auf die nicht erwähnten sogenannten positiven oder sthenischen Gemütsbewegungen, wie Zorn, Liebe zu dem A n g e griffenen bei Nothilfe usw., darf die v o m Gesetze gewährte Straflosigkeit nicht ausgedehnt werden. liehe seiner Ansicht zu. Für die richtige Meinung Bauke in der (übrigens völlig verworrenen) Schrift: Die Zulässigkeit der Notwehr gegenüber beleidigenden Aufserungen seitens des Geistlichen während des Gottesdienstes 1894. ') Vgl. PGO. 140. Ebenso (im wesentlichen) im Anschlufs an die preufsische Rechtsprechung R 13. Mai 87 16 69. Gänzlich willkürlich die Behauptung Baukes 32, dafs bei Angriffen, die augenscheinlich nicht absichtlich und offenkundig gegen die Rechtsordnung gerichtet sind, zwischen dem angegriffenen und dem verletzten Rechtsgut kein auffallendes Mifsverhältnis bestehen dürfe. Gegen die uneingeschränkte Anerkennung des Notwehrrechts Geyer 1 82, Getz in der Begründung des norweg. Entwurfs, Lammasch GS. 4 4 191, Stoo/s Grundzuge 1 256, Moriaud. Délit nécessaire 300 u. a. 8 ) Uber irrige Annahme eines rechtswidrigen Angriffes vgl. unten § 40 Note 7.
122
§ 33-
§ 33.
Der Notstand.
Der Notstand.
Litteratur. Geyer Kleine Schriften 297. Stammler Darstellung der strafrechtlichen Bedeutung des Notstandes 1878. Janka Der strafrechtliche Notstand 1878. — Simonsoti Z 5 367 (Mignonettefall) und dazu Z 5 650. G ob GA. 2 8 183. — Pernice Labeo 2 16. Tuhr Der Notstand im Zivilrecht 1888. Moriaud Du délit nécessaire et de l'état de nécessité 1889. I. Die Entwicklung des Notstandsbegriffes ist bis auf den heutigen Tag zurückgeblieben hinter derjenigen der Notwehr. Das r o m i s c h e Recht erw ä h n t einzelne Fälle (lex Rhodia u. a.); die d e u t s c h e n Quellen gedenken des wegfahrenden Mannes und der Bedurfnisse der schwangeren Frau, des Mundraubes und anderer Falle (Ssp. 2 68); und auch das k a n o n i s c h e Recht ist trotz der scheinbar allgemeinen Fassung seiner Vorschriften (Nécessitas non habet legem) über dürftige Einzelbestimmungen nicht hinausgekommen. Die P G O . verweist in Art. 166 vom „Stehlen in rechter Hungersnot", durch welche der Thater, um sich, Weib oder Kinder zu retten, etwas von essenden Dingen zu stehlen geursacht wurde, auf den Rat des Rechtsverständigen (vgl. auch A r t . 175). Das g e m e i n e Recht hat trotz mancher Anläufe zu einer Verallgemeinerung des Begriffes die Frage ebensowenig gefordert wie die Gesetzgebung im Ausgange des 18. und im Anfange des 19. Jahrhunderts. Noch ALR. I I 15 bestimmt, dafs, wenn jemand etwas entwendet, um sich oder andere aus dringender Leibes- oder Lebensgefahr zu retten, der Fall vom Richter höheren Orts zur Begnadigung angezeigt werden solle. Code pénal 1810 Art. 64 und Prcufsen 1851 § 40 kennen nur den psychischen Zwang durch Bedrohung, und ihnen folgt Bayern 1861. Das RStGB. hat neben der „Nötigung" den ,.Notstand im engeren Sinn" anerkannt, zugleich aber den einheitlichen Begriff in zwei wesentlich verschieden behandelte Unterbegriffe zerrissen. Einen neuen W e g haben das niederländische StGB. Art. 40 und der russische wie der norwegische Entwurf eingeschlagen, indem sie den einheitlichen Begriff wiederherstellen, wobei letzterer in beachtenswerter Weise zwischen der Rettung des Lebens einerseits, der Rettung anderer Rechtsguter anderseits unterscheidet. Wichtig die Fassung des osterr. E n t w . : ,,Auf Handlungen, welche jemand in einem auf andere Weise nicht zu beseitigenden Notstande begangen hat, um eine unmittelbar bevorstehende u n v e r h ä l t n i s m ä f s i g e Beschädigung an Leib, F r e i h e i t oder V e r m ö g e n von sich oder a n d e r n abzuwenden, findet das Strafgesetz keine Anwendung." Eine scharfe und den Bedürfnissen des Rechtslebens entsprechende Ausbildung des Begriffes suchen wir in der Wissenschaft ebenso vergeblich wie in der Gesetzgebung. Nachdem die Anschauung der altern naturrechtlichen Schule, nach welcher im Notstande die Rechtsordnung selbst als aufgehoben erscheint (so Grotius, Pufendorf, Wolff, Fichte, Grolmann, v. Wächter), aufgegeben worden war, gewann die im Anschlüsse an Kant von Feuerbach, zahlreichen italienischen und franzosischen Juristen sowie einigen deutschen Schriftstellern 1 ) noch gegenwärtig vertretene Ansicht, dafs der durch den Notstand ' ) Insbesondere Geyer 1 106. Ahnlich Loning Note 118, Ziebarth 341. Dagegen Binding 1 764.
25, Birkmeyer
Kausalität
§ 33-
Der Notstand.
123
verursachte unwiderstehliche Zwang die Zurechnungsfähigkeit ausschliefse, die Herrschaft in Gesetzgebung und Wissenschaft. Heute kann sie zwar im allgemeinen als aufgegeben betrachtet werden. Aber auch der Begriff eines N o t r e c h t e s , wie er insbesondere von den Hegelianern Kostlin, Hälschner, Berner, aber auch von ßinding, v. Meyer u. a. aufgestellt wurde, kann ohne genauere Sonderung der Einzelfälle nicht aufrecht erhalten werden. Die richtige Auffassung hat davon auszugehen, dafs das Wesen des Notstandes in einem Widerstreit berechtigter Interessen besteht, von welchen jedes nur auf Kosten des andern erhalten werden kann. Soweit dem gefährdeten Interesse ein g l e i c h w e r t i g e s Interesse geopfert werden soll (Leben gegen Leben), fehlt der Rechtsordnung einerseits die Macht, anderseits die Veranlassung, strafdrohend und strafvollstreckend einzuschreiten. Sie v e r b i e t e t die Handlung n i c h t , die sie nicht bestrafen will. Sic bescheidet sich, hier wie sonst, den Thatsachen Rechnung zu tragen; sie duldet, was zu ändern sie nicht vermag, und sie regelt, was sie dulden mufs. Sie gibt dem Gefährdeten kein Not r e c h t , aber sie läfst ihn gewähren. Dagegen sollte die Erhaltung des m e h r w e r t i g e n Interesses auf Kosten des m i n d e r w e r t i g e n (Leben gegen Vermögen) als rechtmäfsig, der umgekehrte Fall als rechtswidrig und strafbar anerkannt werden. So lange diese Unterscheidung aber dem geltenden Rechte unbekannt ist, ist auch die Wissenschaft zu einer einheitlichen Auffassung genötigt. II.
Notstand
ist
gegenwartiger dem
es k e i n e
zung
nach
geltendem
Gefahr
für
andre Rettung
berechtigter
Recht
Leib
gibt,
Interessen
ein
Zustand
oder Leben, als die
eines
aus
Verlet-
andern;
mag
dieser Z u s t a n d durch Naturkräfte, m a g er durch das Verhalten eines
andern
handlung mittelbar
herbeigeführt erscheint
worden
demnach
sein.
als
gefährdeter Interessen durch
tigter Interessen anderer Personen.
Die
Notstands-
die W a h r u n g
eigner
die V e r l e t z u n g
un-
berech-
Sie h e b t sich v o n der N o t -
wehr, als dem weiteren B e g r i f f („aufser d e m F a l l e der N o t w e h r " : § 5 4 S t G B . ) nur dadurch ab, rechtswidrig A n g r e i f e n d e n
dafs
sie
sich
selbst w e n d e t
nicht
gegen
den
(oben § 3 2 N o t e 6).
Beispiele: Um das Wasser zum Loschen eines ausgebrochenen Brandes zu holen, eilen die Bedrohten quer über ein fremdes Saatfeld zum Flusse; der von Räubern Überfallene Postillon liefert diesen den Geldbriefbeutel aus; von zwei durch ein Seil verbundenen Bergsteigern hackt der eine, der den abgestürzten, aber noch am Seile hängenden Begleiter nicht länger zu halten vermag, das Seil ab. D e r G e s e t z g e b e r hat die Notstandshandlung für straflos erklärt.
Darin
kann
die E i n r ä u m u n g
los nicht erblickt w e r d e n .
Aber
Notrechts
zweifel-
auch die A n n a h m e ,
eines
dafs die
§33-
124
L ) e r Notstand.
Notstandshandlung zwar straflos, dennoch aber verboten und daher rechtswidrig sei, findet im Gesetze keine Stütze, und sie ist, wenn das Leben eines Menschen durch einen geringfügigen Eingriff in fremdes Vermögen erhalten wird, gewifs unrichtig. Da wir dem geltenden Recht gegenüber auf eine einheitliche Auffassung des Notstandes nicht verzichten können, müssen wir ihn als einen jener Fälle bezeichnen, in welchen die Rechtsordnung weder erlaubt noch verbietet, sondern, ihrer Ohnmacht bewufst, gewähren läfst. Daraus aber ergibt sich mit Notwendigkeit die Einreihung des Notstandes unter jene Umstände, durch welche (nicht etwa nur die Strafbarkeit, sondern) d i e R e c h t s w i d r i g k e i t des Thuns oder Unterlassens a u s g e s c h l o s s e n wird. 2 ) Und daraus folgt, dafs die Notstandshandlung niemals rechtswidriger Angriff sein kann, dafs ihr gegenüber also Notwehr unmöglich ist (oben S. x 19), während sie allerdings auf seiten des durch sie Bedrohten einen zweiten Notstand begründen kann. Ebenso ist damit die Unmöglichkeit strafbarer Teilnahme an der nicht verbotenen Notstandshandlung gegeben, während selbständige Nothilfe als rechtswidrig erscheint (unten I « 3). III. D a s g e l t e n d e R e c h t . 1. Das RStGB. unterscheidet, wie bereits erwähnt, Nötigung und Notstand. Die erstere behandelt Absatz 1 § 52: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter durch u n w i d e r s t e h l i c h e G e w a l t 3 ) oder durch e i n e D r o h u n g , welche mit einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder z
) Die Frage ist sehr bestritten. Im Sinne des Textes Stammler 79, G'ob
185, Moriaud 273. D a g e g e n Rinding 1 766, Geyer 1 7, Halschner 1 492, Janka, 123, v. Meyer 345, Olshausen § 5 4 3, Birkmeyer T e i l n a h m e 1 5 7 ) van Calker
Befehl 18; insb. aber BGB. sowie die Motive zum Schweizer Entwurf. — Der durch den Gefährdeten Angegriffene befindet sich daher nicht in Notwehr, sondern im Notstande. Sehr unklar R 5. Mai 92 2 3 116, das ein besonderes Recht zur „Gegenwehr" anzunehmen scheint, wenn der dem dritten drohende Schaden ein unverhältnismäfsig grofser wäre. 8 ) Über die Begriffe der Gewalt und Drohung vgl. Bes. Teil. „Unwiderstehlich" ist die Gewalt, wenn sie, jeden Widerstand ausschliefsend, unmittelbar auf die Bewegungsmuskeln wirkt, sodafs von einer „Handlung" des Vergewaltigten nicht gesprochen werden kann (oben § 27 IV). Damit ist aber, streng genommen, auch die Annahme eines Notstandes ausgeschlossen.
§ 33eines A n g e h ö r i g e n verbunden
Der Notstand. war,
zu
125 der Handlung genötigt
w o r d e n ist." Den
eigentlichen Notstand bestimmt $ 5 4 dahin:
„Eine Handlung
strafbare Handlung
ist
nicht vorhanden,
wenn die
aufser dem Falle der N o t w e h r " (wir müssen
f ü g e n : „und der
Nötigung") „in
einem
hinzu-
unverschuldeteten,
auf
andere Weise nicht zu beseitigenden Notstande zur R e t t u n g aus einer gegenwärtigen Gefahr für L e i b
oder L e b e n
des Thäters
oder eines Angehörigen begangen worden ist." 2. D a s Gesetz verlangt in beiden Fällen gegenwärtige, auf andere W e i s e nicht abwendbare Gefahr für L e i b o d e r
Leben,
versagt also bei G e f a h r für alle andern Rechtsgüter, z. B. auch für die persönliche Freiheit, die Geschlechtsehre, die wichtigsten staatlichen Interessen, deren Bedrohung doch gewifs von gröfserer Bedeutung ist als eine geringfügige Körperverletzung, dem N o t stande seine Anerkennung, soweit der A n g r i f f nicht zugleich als ein g e g e n die körperliche Unversehrtheit gerichteter betrachtet werden k a n n . 4 ) 3.
Anders
als bei der N o t w e h r ist der e i g n e n
Rettung
nur Rettung der nächsten A n g e h ö r i g e n 5 ) als Nothilfe gleichgestellt. 4 ) Vgl. auch StGB. § 3 1 3 sowie Mil.StGB. § 130 und dazu Hecker 250. Wesentlich weitergehend die Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs (Art. 702 und 708 über die grofse Haverei), der Seemannsordnung (§ 75), des § 17 des Postgesetzes vom 28. Oktober 1871 sowie des § 9 der Strandungsordnung vom 17. Mai 1874. Da hier die Rechtswidrigkeit der Rechtsverletzung ausdrucklich ausgeschlossen ist, kann trotz §§ 5 2 und 54 StGB, von Strafbarkeit keine Rede sein. Dagegen insbes. Merkel 167, Derselbe Z 6 504, Sommerlad GA. 34 357. Übereinstimmend Stammler 64, Binding 1 770, v. Meyer 342, Olshausen §54IO, Moriand 247. — Landesrechtliche Fälle: Betreten von Grundstücken wegen schlechten Weges, Abhauen von Holz bei Radbruch usw. (Ziebarth 349, Seuffert StG. 1 24). — Art. 2 Abs. 2 des Kabelvertrages vom 14. März 1884 (oben S. 86) bestimmt: Ausgenommen von den Strafdrohungen sind „diejenigen Fälle, in welchen die Thäter nur den berechtigten Zweck verfolgt haben, ihr Leben oder die Sicherheit ihrer Fahrzeuge zu schützen, nachdem sie alle Vorkehrungen zur Vermeidung des Zerreifsens oder der Beschädigung des Kabels getroffen hatten". Aber diese Bestimmung ist von der deutschen Gesetzgebung bisher noch nicht aufgenommen worden. 6 ) Der 2. Abs. des § 52 gibt eine für das ganze Geltungsgebiet des StGB, geltende Begriffsbestimmung der Angehörigen: „Als Angehörige im Sinne dieses Strafgesetzes sind anzusehen: Verwandte und Verschwägerte auf- und absteigender Linie, Adoptiv- und Pflege-Eltern und -Kinder, Ehegatten, Geschwister und deren Ehegatten, und Verlobte." V e r w a n d t e sind die von demselben Stammvater abstammenden Personen. Ehelichkeit der Geburt ist nicht erforderlich. V e r s c h w ä g e r t sind der eine Ehegatte einerseits und
I2Ö
§ 344.
Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.
D e r N o t s t a n d im engern Sinne ( S t G B .
unverschuldeter fährdete voraussah
sein.
§ 54)
mufs ein
E r ist „verschuldet", w e n n der G e -
o d e r voraussehen
sollte,
dais
er
im N o t -
slande seine Interessen nur auf K o s t e n fremder w e r d e erhalten können.
D i e V e r s c h u l d u n g mufs sich
handlung
beziehen.
Auch
bei
also auf die Notstands-
der
Nothilfe
ist
das V e r -
schulden des Gefährdeten allein m a f s g e b e n d . 5. von
Die B e r u f u n g auf N o t s t a n d
Fällen
solchen
Personen
ist in
einer Anzahl
beschränkt,
deren
Beruf
gröfsere als die durchschnittliche Standhaftigkeit in L e i b e s - und Lebensgefahr A b s . I vgl. ordnung v o n amten
des
bedingt:
so
mit §§ 8 4 — 8 8 ) , 1872
dem
Soldaten
dem
§ 3 2 ) ; dasselbe
Sicherheitsdienstes,
(Mil.StGB.
Schiffsmann mufs
den
aber
auch
Mitgliedern
§
49
(Seemannsden
der
Be-
Feuer-
w e h r usw. g e g e n ü b e r a n g e n o m m e n werden. § 34.
Die übrigen Fälle
ausgeschlossener
Rechtswidrigkeit. Litteratur. Zu I : Hecker 89. Van Calker Das Recht des Militärs zum administrativen Waffengebrauch 1888. Derselbe Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für auf Befehl begangene Handlungen insbesondere nach Militärstrafrecht 1891. Dangelmaier Militärrechtliche und militärethische Abhandlungen 1892 S. 16, 76. Krohne 335 (Waffengebrauch der Gefängnisbeamten). — Zu II I : R'uletnann Z 11 329. Lauterburg Zeitschr. f. Schweizer Strafrecht 1 97, 2 153. G.Meyer WV. 2 848. Bücking Strafrechtliche Bedeutung der Selbsthilfe Diss. 1893. — Zu II 2: v. Liszt HR. „Ordnungsstrafe". Finger Das Züchtigungsrecht und dessen Mifsbrauch 1888. Kefsler GS. 41 161 und gegen ihn Stenglein GS. 42 I. Orlloff Die Überschreitung des Züchtigungsrechts 1891. Hubrich GS. 46 161. — Zu I I I : Rotering GA. 30 179. Hetmberger Über die Straflosigkeit der Perforation. Diss. 1889. Oppenheim Das ärztliche Recht zum körperlichen Eingriff an Kranken und Gesunden 1892. — Zu I V : Kefsler Die Einwilligung des Verletzten 1884. Derselbe GS. 3 8 531. Rodenbeck Zweikampf 1883. Derselbe GS. 37 124. Vilmann GS. 37 529. Breiihaupt Volenti non fit injuria 1891. Hefs Abhandlungen aus dem Gebiete des Zivil- und Strafrechts 1892. V o n den zahlreichen Fällen,
in
welchen
kraft
ausdrück-
die Verwandten des andern anderseits; das Verhältnis wird nicht durch den Tod eines Ehegatten, wohl aber durch die Scheidung der Ehe dem Bande nach gelost. Die A d o p t i o n ist als rechtliches Verhältnis nach dem Landesrecht zu beurteilen. Ob dagegen das dauernde, durch den Erziehungszweck bedingte, Verhältnis von P f l e g e e l t e r n zu Pflegekindern vorliegt, bestimmt sich nach Lage des thatsächlichen Falles. V e r l o b u n g setzt ein gegenseitiges ernstliches, wenn auch nicht bindendes Eheversprechen voraus. — Die von der Litteratur einstimmig getadelte Beschränkung ist in der neueren aufserdeutschen Gesetzgebung zumeist weggefallen.
§ 34-
Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.
licher oder stillschweigender Anordnung der Rechtsordnung die Rechtswidrigkeit als ausgeschlossen betrachtet werden muis, können hier nur die wichtigsten Erwähnung finden. Bei dem heutigen Stande der Gesetzgebung und Wissenschaft bietet die Abgrenzung fast überall bedeutende Schwierigkeiten, und nur mit vorsichtiger Zurückhaltung kann die Aufstellung allgemeiner Grundsätze erfolgen. I. A m t s p f l i c h t (und D i e n s t p f l i c h t ) schliefst innerhalb der durch sie gezogenen Grenzen die Rechtswidrigkeit des Handelns aus. Man denke an das ganze Gebiet des Erfüllungszwanges, an Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmen, Verhaftungen, Vollstreckung von rechtskräftig erkannten Strafen, an die landesgesetzlich gewährleistete (Preufsen Gesetz vom 20. März 1837), aber reichsrechtlich nicht geregelte Befugnis der Wachen, der Post-, Zoll- und Steuerbeamten zum Waffengebrauche, an Mil.StGB. $ I 2 4 usw. Der B e f e h l d e s V o r g e s e t z t e n an den Untergebenen schliefst die Rechtswidrigkeit der auf Grund des Befehles vorgenommenen Handlung soweit aus, als die Rechtsordnung die unbedingt verbindende Kraft des Befehles a n e r k e n n t , d e n n dann handelt der Untergebene kraft seiner Amts- oder Dienstpflicht. Jedoch kann der Befehlende als mittelbarer Thäter (unten § 50 II) strafbar sein. IL Die Handlung ist keine rechtswidrige, wenn sie kraft einer besondern B e r e c h t i g u n g und innerhalb deren Grenzen vorgenommen wurde. Die verschiedensten Fälle gehören hierher. Zu erwähnen sind: 1. S e l b s t h i l f e in allen ihren Formen (insbesondere die eigenmächtige Pfändung), soweit das geltende Privatrecht sie erlaubt, mag es sich um Abwehr einer drohenden Gefahr, um ') Dies ist teilweise der Fall in Mil.StGB. § 47, Seemannsordnung §§ 30, 32. Vgl. schon Theresiana Art. 11 § 8 und ähnlich Bayern 1 7 5 1 1 I § 32. Fan Calker Befehl 10 nimmt hier wie beim Berufsrecht nur einen „personlichen Schuldausschliefsungsgrund" (unten § 43 II) an, da die Berechtigung nicht allen, sondern nur einzelnen erteilt ist. Demnach erscheint ihm der Befehlende als Anstifter zu strafloser That.
§ 34-
128
Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.
die Wiederherstellung eines gestörten Zustandes oder um die Sicherung oder Durchsetzung eines Anspruchs handeln. 2 ) 2. E r z i e h u n g s - und Z u c h t g e w a l t . Zu beachten ist, dafs die Ausübung dieses Rechts, dauernd oder vorübergehend, von dem Berechtigten dritten Personen (von den Eltern dem Dienstmädchen) übertragen, dafs ferner in manchen Fällen (Züchtigung eines mutwilligen Knaben durch belästigte Vorbeigehende) die Zustimmung des Berechtigten vorausgesetzt werden kann. Soweit diese fehlt, ist die Züchtigung rechtswidrig und strafbar. 3 ) 3. Weiter sei erinnert an das Bergungsrecht nach Strandungsordnung §§ 4 ff.; an das Prisen- und Beuterecht; an die vorläufige Festnahme eines auf frischer That betroffenen oder verfolgten Verbrechers (StPO. § 127) u. a. mehr. 4 ) III. Gleiche Wirkung hat die aus der rechtlich anerkannten A u s ü b u n g e i n e s B e r u f e s sich ergebende Berechtigung zur Vornahme derjenigen Handlungen, welche nach den Regeln der betreffenden Kunst oder Wissenschaft im gegebenen Falle geboten sind. Nach diesem Gesichtspunkte, also nach den Anschauungen der mafsgebenden ärztlichen Kreise, sind chirurgische Operationen überhaupt, die Eingriffe des Zahnarztes oder des Hühneraugenoperateurs, ist insbesondere die vielbesprochene Perforation (Zerstückelung der Frucht im Mutterleibe) zu beur2)
Gemeinrechtlich bei Gefahr unwiderbringlichen Verlustes anerkannt. Dazu Kulemann 342, der auf die unerträglichen Folgen dieses Satzes aufmerksam macht und Abänderung der Gesetzgebung verlangt. — Eine Zuchtgewalt steht in verschiedenem Umfange und mit verschiedenem Inhalt unter anderm zu a) den Eltern gegenüber den Kindern; b) dem Lehrer gegenüber seinen Schulern; c) dem Lehrherrn gegenüber dem Lehrling (Gewerbeordnung § 1 2 7 ) ; d) dem Ehemann nach einzelnen Landesrechten (so in Bayern, nicht aber in Preufsen) gegenüber der Ehefrau; e) dem Schiffer gegenüber der Bemannung des Schiffes (Seemannsordnung § 79 Abs. 1 bis 4 und dazu § 96); f) der Dienstherrschaft gegenüber dem Gesinde; g) der Kirche gegenüber ihren Angehörigen (preufs. Gesetz vom 12. Mai 1873); h) den Gesellschaften und Vereinen gegenüber ihren Mitgliedern; i) den Vorgesetzten gegenüber ihren Untergebenen; k) den staatlich berufenen Organen gegenüber den staatlich Bediensteten (Disziplinarstrafordnung für das deutsche Heer vom 31. Oktober 1872, für die deutsche Marine vom 23. November 1872; Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1873). 4 ) Hierher gehört auch das Tötungsrecht des Ehemannes gegenüber dem auf der That ergriffenen Ehebrecher, welches, in PGO. 121 ausdrucklich anerkannt, noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts wenigstens in den Lehrbüchern eine Rolle spielt. Preufsen 1721 gab auch noch dem Vater das Recht, die unkeusche Tochter und ihren Verführer zu töten. 3)
§ 34-
Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit
teilen. Doch wäre gerade für diese Fälle gesetzliche Abgrenzung der Berechtigung dringend wünschenswert. Insbesondere ist es zweifelhaft, ob und unter welchen Voraussetzungen der Arzt auch ohne die Einwilligung des Kranken (oder seiner Angehörigen ?) vorzugehen berechtigt ist. 6 ) Als Ausübung des rechtlich anerkannten Berufes erscheint auch der Versuch am lebenden Tier, insbesondere die V i v i s e k t i o n zu wissenschaftlichen Zwecken, die Beschneidung der Juden u. a. m. IV. Die von dem Träger eines Rechtsgutes gegebene E i n w i l l i g u n g zu dessen Verletzung schliefst die Rechtswidrigkeit der Verletzung nur dann und nur soweit aus, wenn und soweit die öffentliche Rechtsordnung dem Träger des Rechtsgutes die Verfügungsgewalt über dieses eingeräumt hat und eine ernstliche Verfügung des geistesgesunden Verfügungsberechtigten vorliegt. Die Rechtsordnung wird die Verfügungsgewalt versagen, wenn sie dem betreffenden Rechtsgute eine über die Person seines Trägers hinausreichende Bedeutung beilegt. Ob sie dies gethan, ist aus dem ganzen Zusammenhange der gesetzlichen Bestimmungen, nicht nur aus den Verbrechensthatbeständen zu entnehmen. Völlig verfehlt ist es, hier ohne die genaueste Berücksichtigung des geltenden Rechts allgemeine Grundsätze aufstellen oder privatrechtliche Gesichtspunkte heranziehen zu wollen. 6 ) 6 ) Oppenheim leugnet das Berufsrecht und behauptet gewohnheitsrechtliche Anerkennung der unter gewissen Bedingungen zu ärztlichen Zwecken vorgenommenen Handlungen. Aber die Feststellung dieser Bedingungen stützt e r uberall auf die Übung „besonnener Ärzte". Das ist das Berufsrecht im Sinne des Textes. 6 ) So bleibt die Tötung, auch wenn der Getötete sie ernstlich und ausdrücklich verlangt hat, eine rechtswidrige, wenn auch milder bestrafte, Handlung (StGB. § 216), während Verletzung der weiblichen Geschlechtsehre, Beschränkung der personlichen Freiheit, Eingriffe in fremde Vermögensrechte usw. (unter gewissen Voraussetzungen) durch die Einwilligung des Verletzten die rechtswidrige Eigenart verlieren. Besonders bestritten ist die Frage bezüglich •der Körperverletzung. (Vgl. darüber unten Besond. Teil.) Sicher ist es, dafs die oft herangezogenen Quellenstellen des romischen Rechts (Quia nulla injuria •est, quae in volentem fit: 1. I § 5 D 47, 10) eine durchaus beschränkte Bedeutung haben und dafs der Satz „Volenti non fit injuria" in dieser Allgemeinheit auch für das römische Recht entschieden unhaltbar ist. Die von Hefs -aufgestellte Regel: „S a p i e n t e r volenti non fit injuria" enthält eine Verschiebung, keine Losung des Problems. Die Frage kann nur vom Standpunkte des geltenden Rechts aus befriedigend gelöst werden, und dieses wechselt mit •den Zeitanschauungen. Dem mittelalterlichen Rechtsgefühle widerstrebte die
von L i s z t , Strafrecht. 6. Aufl.
9
130
§ 34V.
selbst
Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.
Die an
von
dem
diesem
Träger
eines
vorgenommene
Rechts gutes
Verletzung
sollte
grundsätzlich ebenso beurteilt w e r d e n , w i e die mit Einwilligung des Verletzten
v o n einem dritten b e g a n g e n e Handlung.
Denn
hier wie dort handelt es sich um die rechtliche Bedeutung der v o n d e m T r ä g e r des Rechtsgutes ausgehenden V e r f ü g u n g über dieses.
Doch
hat
das Gesetz, v o n
punkten geleitet, die Grenzlinie
nebensächlichen
d o r t vielfach
anders
Gesichtsbestimmt
als h i e r . 7 ) VI. Abs. 2
An
dieser
Stelle
sind
der Reichsverfassung
Diese verfügen,
um
die
endlich
auch
sowie S t G B . § 12
uneingeschränkte
parlamentarischen V e r h a n d l u n g e n und damit
noch zu
Art.
22
erwähnen.
Öffentlichkeit
der
die fortwährende
Verpfändung des Leibes, der Freiheit, der Ehre („Schelmenschelten") usw. durchaus nicht. Ältere Gesetze schlössen wohl ausdrücklich die Berücksichtigung der Einwilligung aus; so Theresiana Art. 3 § 16 und ebenso noch Österreich 1852 § 4. ') Das wichtigste Beispiel bietet die heute fast allgemein anerkannte Straflosigkeit des S e l b s t m o r d e s . Das romische Recht bestraft den Selbstmordversuch nur, wenn von Soldaten begangen (1. 6 § 7 D. 49, 16.). Im deutschen Mittelalter ist schimpfliches Begräbnis die regelmäfsige Strafe des Selbstmörders. (So in England noch bis 1882.) Hatte der Selbstmörder sich durch den Tod einer mit Einziehung des Vermögens verbundenen Strafe entziehen wollen, so soll gemeinrechtlich (PGO. Art. 135) die Einziehung auch nach der Entleibung eintreten. Das gemeine Recht hält an dem unehrlichen Begräbnis des Selbstmorders und an der willkürlichen Bestrafung des Selbstmordversuches fest (Preufsen 1620) und wird darin noch im 18. Jahrhundert von den Philosophen der Wolßsehen Schule sowie von Soden, Wieland, Gmeliti, Quistorp u. a. unterstützt. Erst unter dem Einflüsse Montesquieus und Voltaires, Beccarias und Hommels tritt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ein Umschwung der Anschauungen ein Doch läfst noch das Joseph. StGB, den Selbstmörder „durch den Schinder einscharren" und verhängt bei versuchtem Selbstmord Gefängnis bis zur Besserung. In Preufsen wurde trotz der bekannten Ansichten Friedrichs II. der Selbstmordversuch erst 1796 für straflos erklärt (vgl. ALR. 803—805). Seit dem bayerischen StGB. 1813 verschwindet die Strafdrohung gegen Selbstmord allmählich aus den Gesetzbüchern. In Braunschweig wurde noch 1828 die Verscharrung durch den Nachrichter vollzogen (Scholz Merkwürdige Strafrechtsfälle 2 1841 S. 186). — V e r s u c h des Selbstmordes ist noch nach heutigem englisch-amerikanischen Recht strafbar; A n s t i f t u n g u n d B e i h i l f e war vielfach in den deutschen Landes StGBüchern und ist heute in Bern, Ungarn, Holland, Japan sowie im russischen und spanischen Entwurf als selbständiges Vergehen mit Strafe bedroht. Gebilligt wird letzteres von Berner 94, v. Meyer 315, Geyer GS. 3 8 113 ; getadelt ven Binding 1 701, welcher, zweifellos unrichtig, Anstiftung zum Selbstmord als Tötung bestrafen will. Vgl. die Z 12 635 besprochene Abhandlung von Geiger. — Man denke weiter an die S e l b s t v e r s t ü m m e l u n g , die in StGB. § 142 als Vereitelung der Wehrpflicht unter Strafe gestellt ist. Die Beschädigung eigener Sachen kann nach StGB. § 304 strafbar sein. Die Gefährdung des eigenen Lebens ist vielfach polizeilich bedroht.
§ 35-
Begriff und Voraussetzungen der Schuld.
131
Wechselwirkung zwischen der Volksvertretung und der Meinung der Wähler "zu sichern, dafs w a h r h e i t s g e t r e u e (mündliche oder schriftliche) B e r i c h t e a) über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstages, b) über Verhandlungen eines Landtages oder einer Kammer eines zum Reich gehörigen Staates (auch des Landesausschusses von Elsafs-Lothringen) von jeder Verantwortlichkeit frei bleiben, mithin auch der sogenannten objektiven Verfolgung nicht unterzogen werden können. 8 )
III. Das Verbrechen als schuldhafte Handlung. § 35.
Begriff und Voraussetzungen der Schuld.
Litteratur. Brunner Rechtsgeschichte 2 534. Liepmann Die Entstehung des Schuldbegriffes Diss. 1891 Kuhlenbeck Der Schuldbegriff als Einheit von Wille und Vorstellung in ursachlicher Beziehung zum Verantwortlichkeitserfolg 1892. — yanka Die Grundlagen der Strafschuld 1885. Die verschiedenen Arbeiten von Post (oben zu § 2). Huberti Gottesfrieden und Landfrieden 1 131.
I. Wie das privatrechtliche Delikt ist auch das kriminelle Unrecht s c h u l d h a f t e Handlung. Nicht nur objektiv mufs der Erfolg auf die Willensbethätigung des Thäters zurückgeführt werden können; auch subjektiv mufs die Verknüpfung gegeben sein in dem Verschulden des Thäters. S c h u l d i s t d i e V e r a n t w o r t l i c h k e i t für d e n e i n g e t r e t e n e n E r f o l g . Und zwar handelt es sich für das Strafrecht lediglich um die Thatsache, dafs der Thäter zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit g e z o g e n w i r d ; die damit zugleich ausgesprochene Mifsbilligung, das rechtliche oder ethische Unwerturteil über die Handlung (betont von Merkel), ist jener Thatsache und 8 ) Soweit das Recht eine g ä n z l i c h e o d e r t e i l w e i s e R e c h t l o s i g k e i t kennt, ebensoweit schliefst diese die Rechtswidrigkeit aller oder gewisser Verletzungen aus. Dem heutigen Rechte ist eine solche Auffassung völlig fremd. Die unbefugte Tötung des zum Tode verurteilten Verbrechers, welche noch Feuerbach, Grolmann u. a. milder bestraft wissen wollten, unterliegt den allgemeinen Regeln. Anders dachte das ältere Recht; man erinnere sich an die römische sacratio capitis, die germanische Friedlosigkeit, die Oberacht des mittelalterlich-deutschen Rechtes; an die Rechtlosigkeit der Zigeuner nach zahlreichen Reichs- und Landesgesetzen des 16. Jahrhunderts, die Ehrlosigkeit der Gotteslästerer nach den Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 usw. Noch 1804 wurden in Kurbaden alle „Jauner" auf 3 Jahre für rechtlos erklärt. Archiv des Kr.Rechts 6 I. Heft 139.
9*
§ 35-
132
Begriff und Voraussetzungen der Schuld.
damit dem Schuldbegriff selbst gegenüber durchaus nebensächlich.
Nach heutigem Recht setzt, von vereinzelten Ausnahmen
abgesehen, die Schuld ein doppeltes voraus: 1. D i e Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t SS
des T h ä t e r s
(unten
36,37); 2.
aber
die
ist
Zurechenbarkeit
gegeben,
a) wenn
des
Erfolges.1)
der Erfolg
vorausgesehen
Diese war
(Vorsatz, unten §§ 38—40), b) wenn der nicht vorausgesehene Erfolg voraussehbar war (Fahrlässigkeit, unten § 41). II. Der uns heute selbstverständlich klingende Satz, dafs Schuld Begrifismerkmal des Verbrechens, dafs ohne Schuld keine Strafe möglich sei, ist das Ergebnis einer langen, bisher wenig beachteten und auch gegenwärtig nicht abgeschlossenen Entwicklung. Erst allmählich nimmt der Begriff des Unrechts das Merkmal der Verschuldung in sich auf; an der Vertiefung der Schuldlehre bemifst sich der Fortschritt des Strafrechts. Wie es der religiösen Auffassung nicht widerstrebt, dafs die Sunden der Väter heimgesucht werden an Kind und Kindeskindern, wie in den Trauerspielen der Alten das blindwaltende Schicksal und in der Litteratur unsrer Tage das Gesetz der Vererbung die Stelle der Verschuldung vertritt, so kennt auch das älteste Recht aller Völker Strafe ohne Schuld. Nach romischem Sakralrecht erregt die zufällige Rechtsverletzung in gleicher Weise den durch Sühne abzuwendenden Zorn der Gotter wie die vorsätzliche, und noch die deutschen Volksrechte kennen die auf Geschlechter sich vererbende Blutschuld der Familie. 1. Dies zeigt sich zunächst in der Behandlung der Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t . Das ältere romische Recht scheint an der Bestrafung des unmündigen Diebes keinen Anstois genommen zu haben. Das spätere romische und das kanonische Recht halten an der Straflosigkeit des infans (bis zum vollendeten 7. Jahre) fest. Daruber hinaus findet bei Verbrechen der impuberes Prüfung des einzelnen Falles statt. Vgl. Pernice Labeo 1 206. In den deutschen Volksrechten wird bei Rechtsverletzungen Jugendlicher vielfach die Zahlung des Friedensgeldes ausgeschlossen. (Schröder Rechtsgeschichte 345.) Die sächsischen Quellen des spätem Mittelalters lassen Kindern gegenüber wenigstens die peinliche Strafe entfallen (vgl. z. B. Ssp. 2 65, 1). Die PGO. schliefst in Art. 164 gegen junge D i e b e (unter 14 Jahren) nur die Todesstrafe aus, soweit nicht besondere Ursachen vorliegen, und anerkennt den Satz „Malitia supplet aetatem" ; Art. 179 verweist bei Jugend der Ubelthäter ganz allgemein auf den Rat der Rechtsverständigen. Gesetzgebung und Wissenschaft des gemeinen Rechts schwankt, hält aber im allgemeinen an der Straflosigkeit der Kinder fest; dieser Ansicht folgt die grofse Mehrzahl der neueren Gesetzgebungen, aber unter verschiedener Bestimmung der Mindestgrenze. Auf die Aufstellung einer Mindestgrenze verzichtete das franzosische Recht gänzlich, um
') Es gibt daher auch schuldlose Handlungen des Zurechnungsfähigen.
§ 35-
Begriff und Voraussetzungen der Schuld.
133
in jedem Einzelfalle das Unterscheidungsvermögen feststellen zu lassen; ihm folgten Preufsen 1851 und Bayern 1861. Dagegen ist das StGB, wieder zu der Auffassung des romisch-kanonischen und des gemein-deutschen Rechts zurückgekehrt. — Auch die Anerkennung der Geisteskrankheit bricht sich erst allmählich Bahn. Über das romische Recht vgl, Pernice Labeo 1 234. Ssp. 3 3 : „Über rechten Thoren und über sinnenlosen Mann soll man nicht richten." PGO. Art. 179 verweist bezuglich des Thäters, welcher „Jugend oder anderer Gebrechlichkeit halber wissentlich seiner Sinne nicht hätte", auf den Rat der Rechtsverständigen. 2. Noch länger dauerte es, bis die Z u r e c h e n b a r k e i t des Erfolges an das Vorliegen von Vorsatz oder Fahrlässigkeit geknüpft wird. Dem römischen Strafrechte ist auf allen Stufen seiner Geschichte das f a h r l ä s s i g e Verbrechen als solches unbekannt geblieben. Der scharfsinnigen Durchbildung der aquilischen culpa läfst sich auf dem Gebiete des Strafrechts nichts gegenüberstellen, und die seit Hadrian sich mehrenden Versuche, die Strafe der Schuld entsprechend zu bemessen, hindern nicht, dafs culpa und casus einerseits und culpa und impetus anderseits zusammengeworfen werden. 2 ) Im deutschen Mittelalter entfällt bei Fahrlässigkeit („warlose" SSp. 2 38, wenn der Thäter „ane sinen dank" gehandelt hat) die peinliche Strafe. Gestutzt auf die mittelalterlichitalienische Wissenschaft erörtert PGO. in Art. 146 (im Anschlüsse an 1. 9, § 4 und ]. I I pr. D. 9, 2) das "Wesen der fahrlässigen Tötung. Dieser Artikel sowie die Art. 136, 138, 180 bilden die Grundlage, auf welcher das gemeine Recht weiter arbeitet. Zu jedem Verbrechen wird böser Vorsatz, dolus, erfordert. Bei Fahrlässigkeit liegt ein quasi-crimen vor, welches lediglich mit willkürlicher Strafe belegt werden kann. So z. B. Preufsen 1620 und ähnlich noch Bayern 1813. So ist die Culpa zur allgemeinen Schuldform erhoben, ohne aber begriffliche Abgrenzung zu finden. Auch heute noch steht, wie wir sehen werden (unten § 41), der Begriff "des fahrlässigen Verbrechens, der in seiner Allgemeinheit den romanischen Rechten gänzlich fremd geblieben ist, durchaus nicht fest, während anderseits auch die Loslosung des Vorsatzes von dem unbestimmten, auch die subjektive Seite der Rechtswidrigkeit in sich schliefsenden, romischrechtlichen dolus malus nur erst als teilweise gelungen bezeichnet werden kann.
III. Den Satz, dafs nur der zurechenbare Erfolg strafrechtliche Verantwortlichkeit nach sich zieht, hat auch noch das geltende Reichsrecht durch vereinzelte Ausnahmen durchbrochen. 2 ) Pernice Labeo 2 244. — Die herrschende Ansicht nimmt an, das spätere romische Recht habe bei Tötung, Brandstiftung, Entweichenlassen von Gefangenen die fahrlässige Begehung von der vorsätzlichen unterschieden. Doch rechtfertigen die Quellen diese Behauptung nicht. Binding Kulpose Verbrechen im Gem. Rom. Rechte? 1877. Dagegen v. Meyer 218. — Die eigentümliche Ansicht von Binding Normen 2 338, dafs die culpa lata des röm. Rechts Vorsatz mit Abzug des gemeinen Motives sei, wurde von Pernice, Windscheid, Dernbiirg und zahlreichen andern als unrichtig nachgewiesen.
IJ4
§ 35-
Begriff und Voraussetzungen der Schuld.
Allerdings steht fest, dafs die zahlreich in den strafrechtlichen Nebengesetzen sich findenden- P r ä s u m t i o n e n d e r S c h u l d 3 ) zu diesen Ausnahmen nicht gerechnet werden dürfen. Denn wenn das Recht bis zum Beweise des Gegenteils die Schuld — Vorsatz oder Fahrlässigkeit — als erwiesen annimmt, vielleicht auch den Gegenbeweis dem Angeschuldigten aufbürdet, so erkennt es dadurch an, dafs ohne Vorsatz oder Fahrlässigkeit eine Bestrafung n i c h t eintreten kann und soll. Durch die Präsumtion einer Thatsache wird deren rechtliche Bedeutung gerade besonders betont. Dagegen läfst es sich nicht in Abrede stellen, dafs, wenn auch nicht im RStGB. selbst, so doch in einzelnen Nebengesetzen Bestimmungen sich finden, welche, von jedem Verschulden absehend, die Strafe lediglich an das Vorliegen des objektiven Thatbestandes knüpfen. 4 ) Diese Erscheinung (man spricht hier wohl von „Formaldelikten") läfst sich beklagen, aber nicht einfach hinwegleugnen. 5 ) ' ) Vgl* Binding Normen 2 612. Schtnid Die Präsumtionen im deutschen Reichsstrafrecht. Diss. 1884. — Beispiele bieten aufser den Zoll- und Steuergesetzen: Gesetz betr. die Nationalität der Kauffahrteischiffe vom 25. Oktober 1867 § 14; Handelsgesetzbuch (Fassung 1884) § 249c; Rinderpestgesetz vom 21. Mai 1878 § 3 Abs. 2 ; Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878 § 10 Abs. 3; Erwerbsgenossenschaftengesetz vom 1. Mai 1889 §§ 142, 144. Besonders wichtig und interessant Prefsgesetz vom 7. Mai 1874 §§ 20 und 21. Vgl. darüber unten § 42. 4 ) Ein durchaus unzweifelhaftes Beispiel bietet § 137 Abs. I des Vereinszollgesetzes vom 3. Juli 1869: „Das Dasein der in Rede stehenden Vergehen und die Anwendung der Strafe derselben wird in den im § 136 angeführten Fällen l e d i g l i c h d u r c h d i e d a s e l b s t b e z e i c h n e t e n T h a t s a c h e n begründet." Man vgl. ferner § 20 des Gesetzes betr. die Besteuerung des Branntweins vom 24. Juni 1887: „Das Dasein der Defraudation der Verbrauchsabgabe wird in den durch die §§ 18 und 19 angegebenen Fällen durch die daselbst bezeichneten Thatsachen begründet. Wird jedoch in diesen Fällen festgestellt, dafs eine Defraudation der Verbrauchsabgabe nicht hat verübt werden können, oder wird nicht festgestellt, dafs eine solche beabsichtigt gewesen sei, so findet nur eine Ordnungsstrafe nach Mafsgabe des § 26 statt." Ähnlich § 46 des Zuckersteuergesetzes vom 31. Mai 1891. — Das Reichsgericht hat in einer Reihe von Entscheidungen die Möglichkeit schuldfreier Verbrechen anerkannt. So 20. November 82 7 240 (Wechselstempelsteuerges. vom 10. Juni 1869); 17. April 83 8 182 (preufs. Kabinettsordre vom 10. Januar 1824, die Erhebung der Maischbottichsteuer betr.); 4. Juni 83 8 390 und 414 (preufs. Gebäudesteuerges. vom 21. Mai 1861, bayr. Haussteuergesetz vom 15. August 1828 und 19. Mai 1881 und dazu v. Bar GS. 38 276 Note 2); 25. Mai 86 14 145 (Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879); 7. Januar 91 21 259 (Branntweinsteuergesetz vom 8. Juli 1868). 5 ) Abweichend Binding Normen 1 310, 2 616, Lucas (Litt, zu § 38) 134. — Die Kommentatoren wollen, ohne zureichenden Grund, auch im
§ 36-
Die Zurechnungsfähigkeit.
E s tritt ferner nach geltendem R e c h t
135
in einer Reihe von
Fällen schwerere Strafe ein, wenn durch eine an sich schuldhafte
Handlung
ein
herbeigeführt wurde.
unverschuldeter
schwererer
Erfolg
Die schwerere S t r a f e wird hier also ver-
hängt, auch wenn in Beziehung auf den schwereren E r f o l g weder V o r s a t z noch Fahrlässigkeit des Thäters gegeben war. G ) § 36.
Die
Zurechnungsfähigkeit.
Litteratur. Reiner Grundlinien der Imputationslehre 1843. Bruck Zur Lehre von der kriminalistischen Zurechnungsfähigkeit 1878. Wahlberg Gesammelte Schriften 1 I, 3 IOI. I.
Schon in der Einleitung ist hervorgehoben worden, dafs
die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit mit der Willensfreiheit nichts zu thun hat (oben § 1 5 II).
Zurechnungsfähig
j e d e r g e i s t i g r e i f e u n d g e i s t i g g e s u n d e Mensch.
ist Dar-
aus folgt, dafs die L e h r e v o n der strafrechtlichen Schuldfähigkeit ihr S c h w e r g e w i c h t in der Darstellung derjenigen Zustände finden mufs, welche a u s n a h m s w e i s e keit als a u s g e s c h l o s s e n
die
Zurechnungsfähig-
erscheinen lassen.
Zu beachten ist aber, dafs, wie die geistige Reife auf den verschiedenen Gebieten des rechtlich gleichgültigen Handelns-nicht mit demselben Augenblicke eintritt, sondern hier längere dort kürzere Entwicklung vorangehen mufs, so auch die rechtliche Handlungsfähigkeit auf den verschiedenen Rechtsgebieten (öffentliches Recht, bürgerliches Recht, Strafrecht) und deren Untergebieten (Familienrecht, Erbrecht, Forderungsrecht) nicht mit derselben Lebensstufe erworben wird. Sie wird auch auf dem Gebiete des Strafrechts bei demselben RStGB. (bei den Übertretungen sowie bei den Unterlassungen) hierher gehörige Fälle annehmen, — Für die richtige Ansicht Hälschner 1 258, Olshausen 4. Abschnitt 2, Birkmeyer Ursachenbegriff 53. 6 ) Beispiele: StGB. §§ 118, 178, 220, 221, 224, 226, 227, 229, 239, 251, 3°7, 312, 314 — 3161 3-2i — 324, 326—328, 340 u. a. SprengstofTgesetz § 5 Abs. 2 ; Gesetz betr. die Beseitigung von Ansteckungsstoffen vom 25. Februar 1876 § 5; Nahrungsmittelgesetz §§ 12—14; Rinderpestgesetz § 4. — Die im Text vertretene Ansicht ist gemeine Meinung. Für sie in feststehender Rechtsprechung R ; ferner Geyer 2 143, v. Meyer 196, Olshausen 4. Abschnitt 3, Schütze 270 Note 38, Birkmeyer Kausalzusammenhang 8 1 , Wahlberg Z 2 207, v. Rohland Gefahr 55, Landsberg Kommissivdelikte 210, v. Lilienthal 35, Loock (Litt, zu § 28) 194. Dagegen verlangen Fahrlässigkeit des Thäters in Beziehung auf den eingetretenen Erfolg Berner 520, Binding 1 366, Hälschner 1 3 2 6 , 2 2 8 , 8 1 9 , Schütze 396 (sich selbst widersprechend), Baumgarten Versuch 370, 378, Max Berner Ne bis in idem 10; ebenso die Entwürfe von Osterreich, Rufsland, Norwegen. L'oning 46 nimmt eine unwiderlegliche Schuldpräsumtion an; gegen ihn Schmid Präsumptionen 74. — Es bandelt sich in diesen Fällen um eine Nachwirkung der alten Lehre vom dolus indirectus (vgl. unten § 38 Note 7).
§ 36-
136
Die Zurechnungsfähigkeit.
Menschen in demselben Augenblicke bald als vorhanden, bald als fehlend angenommen werden müssen, j e nachdem diese oder jene Gruppe von strafbaren Handlungen in Frage steht (man denke an Tötung einerseits, Staatsverbrechen anderseits). E s mufs weiter beachtet werden, dafs innerhalb der Zurechnungsfähigkeit unendlich viele Abstufungen möglich sind, wie innerhalb der körperlichen Gesundheit. Es fragt sich nun: Soll der Gesetzgeber diese Abstufungen berück • sichtigen, wenn er an den strafbaren Thatbestand die Straffolgen anknüpft? Man hat die Frage verwirrt, indem man die über das Mindestmafs sich erhebende, aber unter dem Durchschnittsmafs zurückbleibende Zurechnungsfähigkeit als v e r m i n d e r t e Zurechnungsfähigkeit bezeichnete und dadurch vielfach den Glauben erweckte, als handle es sich um einen Geisteszustand, der w e n i g e r sei als Zurechnungsfähigkeit. G e g e n die Bejahung der aufgeworfenen Frage spricht die Weite der Strafrahmen der deutschen Strafgesetze, insbesondere ihr äufserst geringes Mindestmafs und das System der „mildernden Umstände"; f ü r sie aber die auf diesem Felde noch weitverbreitete und tiefgewurzelte Verwirrtheit, welche eine gesetzliche Regelung der Frage dringend wünschenswert macht. In e i n e m Falle — bezüglich der jugendlichen Thäter (StGB. § 57) — hat übrigens das S t G B , selbst der „verminderten" Zurechnungsfähigkeit Rechnung getragen. Ebenso läfst sich auch die milde Behandlung des K i n d e s m o r d e s (siehe Besondern Teil) auf einen ähnlichen Gedanken zurückfuhren. *) II.
Unsre
Reichsstrafgesetzgebung
Recht davon abgesehen, keit f e s t z u s t e l l e n ; mühungen
der
den B e g r i f f
sie h a t die L ö s u n g
juristischen
und
hat
daher
der
Zurechnungsfähig-
mit
dieser A u f g a b e
psychologischen
vollem den
Be-
Wissenschaft
ü b e r l a s s e n u n d sich d a m i t b e g n ü g t , d e r R e c h t s p r e c h u n g e i n z e l n e leitende G e s i c h t s p u n k t e
an
die H a n d zu g e b e n .
den B e g r i f f der Zurechnungsfähigkeit
nicht
Sie
u n d will
erschöpft ihn
nicht
e r s c h ö p f e n , w e n n sie h i e r ( S t G B . § 5 1 ) die „freie W i l l e n s b e s t i m mung"
und
dort
( S t G B . §§ 5 6 — 5 8 )
S t r a f b a r k e i t erforderliche E i n s i c h t "
die
„zur Erkenntnis
der
hervorhebt.2)
1 ) Im I. Entw. des R S t G B . hatte die verminderte Zurechnungsfähigkeit ausdrückliche Anerkennung gefunden, wie sie auch in mehrere deutsche LandesStGBücher aufgenommen war. Sie findet sich auch in den StGBuchern für Bern, Zug, sowie Italien. Das wichtigste ist, dafs über der Strafmilderung der Schutz der Gesellschaft nicht ubersehen wird, wenn und soweit es sich um gemeingefährliche Individuen handelt. V g l . oben § 14 II 4. 3 ) Die Zurechnungsfähigkeit mufs, als Voraussetzung der Schuld, wie alle rechtlich erheblichen Umstände v o n A m t s w e g e n festgestellt, ihr Mangel braucht nicht vom Angeklagten bewiesen zu werden. Ausdrücklicher Feststellung im Urteile bedarf es (StPO. § 266), wenn ihr Vorhandensein im L a u f e der Verhandlung bestritten worden war. Eine Ausnahme von dieser Regel tritt nur ein, wenn es sich um einen jugendlichen oder taubstummen T h ä t e r handelt: hier m u f s — gegebenenfalls durch eine an die Geschworenen ge-
§ 36.
D i e Zurechnungsfähigkeit.
137
III. Die Zurechnungsfähigkeit mufs b e i B e g e h u n g der That vorhanden gewesen sein. Später eintretende Zurechnungsunfahigkeit kann nur p r o z e s s u a l e F o l g e n nach sich ziehen. Mafsgebend ist dabei jener Augenblick, in welchem die willkürliche K ö r p e r b e w e g u n g selbst vorgenommen wurde (oder, bei rechtswidriger Unterlassung, vorgenommen werden sollte); gleichgültig der Geisteszustand des Thäters in dem Augenblicke, in welchem der Erfolg eintritt. Wer vorsätzlich einen Brunnen vergiftet und dann sich berauscht, ist verantwortlich, wenn, während er sich im Zustande der Volltrunkenheit befindet, die von seinem Vorsatz umfafsten Personen aus dem vergifteten Brunnen trinken. Wer einen Wahnsinnigen zu einem Verbrechen bestimmt, hat im Zustande der Zurechnungsfähigkeit gehandelt, wenn auch der Wahnsinnige das Verbrechen ausführt, während der geistige Urheber der That im tiefsten Schlafe liegt. W i r haben nur diese
allgemeine
Regel
folgerichtig zur Anwendung
zu
bringen, um die berühmte Schulstreitfrage nach der Beurteilung der sogenannten actiones
l i b e r a e in c a u s a seu ad l i b e r t a t e m
r e 1 a t a e zu entscheiden.
Sie liegen vor, wenn im Zustande der Zurechnungsfähigkeit
durch Thun oder
Unterlassen ein rechtswidriger E r f o l g herbeigeführt, dieses Verhalten aber veranlafst wurde durch eine im Zustande der Zurechnungsunfähigkeit begangene vorsätzliche oder fahrlässige Handlung (oder Unterlassung).
Beispiele: D e r Eisen-
bahnwächter betrinkt sich in der Absicht, beim Herannahen des Eilzuges die Weichen nicht zu stellen; sich unruhig hin und
die Mutter, die wissen
Bett genommen und erdrückt. Unterlassungen, welche
sollte, dafs sie im Schlafe
her wirft, hat fahrlässigerweise
ihr K i n d
zu sich
in dieser Gestalt begangen
fahrlässige Begehungsverbrechen;
werden
am seltensten und
können;
seltener
zweifelhaftesten durften
die Fälle sein, in welchen vorsätzliche Begehung als actio libera in causa scheint.
ins
Insbesondere, aber nicht ausschliefslich, sind es
A b e r unmöglich ist auch das nicht; so gut w i r
oder Trunkenen als Mittel für unsere Zwecke benutzen können, die Bestimmbarkeit durch Vorstellungen schlossen ist, ebensogut können wir
zwar r e g e l w i d r i g ,
im Zustande
er-
den Wahnsinnigen w e i l bei ihm
aber nicht
geistiger
ausge-
Gestortheit
oder
Trunkenheit uns selbst zur Ausfuhrung vorgefafster Pläne benutzen. W e n n Kausalzusammenhang
und Schuld
in Bezug
auf
den E r f o l g
im
Einzelfalle gegeben ist, bietet die juristische Beurteilung keine weitere Schwierigkeit.
Im entscheidenden Augenblicke — und das ist nicht der Eintritt des
richtete Nebenfrage — in allen Fällen ausdrücklich festgestellt werden, ob der Thäter b e i Begehung der T h a t die zur Erkenntnis ihrer .Strafbarkeit erforderliche Einsicht besessen habe ( S t G B . § § 56—58).
§ 37.
Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.
Erfolges, sondern der Anstofs zum Abrollen der Kausalkette — war Zurechnungsfähigkeit vorhanden. Im nüchternen Zustande hat der Wächter, wachend hat die Mutter die Ursache zu dem eingetretenen Erfolge gesetzt. Der Zurechnung desselben steht nichts im Wege. 3 ) IV.
Ohne Zurechnungsfähigkeit ist S c h u l d und damit V e r -
brechen
unmöglich.
E b e n d a r u m ist a u c h
—
und
S a t z e mufs ohne A u s n a h m e festgehalten werden — Teilnahme
dritter Personen
an diesem strafbare
an der v o n einem
Zurech-
nungsunfähigen gesetzten Rechtsverletzung begrifflich unmöglich. W o h l aber können dritte Personen a l s S e l b s t t h ä t e r zur V e r antwortung g e z o g e n werden. 4 ) § 37.
Die Fälle der
Zurechnungsunfähigkeit.
L i t t e r a t u r . Zu I. Baumert Zurechnungsfähigkeit und Bestrafung jugendlicher Personen 1877. Thümmel GS. 4 8 334, 401. Vgl. oben § 14 Note 4. — Zu H . Kim HG. 1 35, 2 209. Die Lehrbucher der gerichtlichen Medizin und der Psychopathologie (oben g 17 VIII 2). — Zu III. Sckivartzer Die Bewufstlosigkeitszustände als Strafausschliefsungsgrunde 1878. •— A l k o h o l i s m u s : Vgl. Besondern Teil (zu StGB. § 361 Ziff. 5). D i e Zurechnungsfähigkeit, als der n o r m a l e Geisteszustand des g e i s t i g r e i f e n und g e i s t i g
gesunden
Menschen, ist
nicht v o r h a n d e n : I. B e i f e h l e n d e r g e i s t i g e r R e i f e . eine doppelte U r s a c h e 1.
Noch
nicht
Diese kann w i e d e r
haben: abgeschlossene
Entwicklung
Strafunmündigkeit des Thäters. ') Die Frage hat schon das gemeine Recht seit Bartolus vielfach beschäftigt. Ganz regelmäfsig wird, weil dolus nicht ausgeschlossen sei, Strafbarkeit angenommen; vgl. z. B. Engau § 41. Die Dissertation von Thomasiiis De jure circa somnum et somnia 1686 ging in genauere Kasuistik ein. Schon Preufsen LR. 1620 droht, wie Damhouder, dem totenden Schlafwandler willkürliche Strafe, wenn er die Gefährlichkeit seines Zustandes kannte. — Die reiche Litteratur der Frage geht aber zumeist an dem entscheidenden Punkte vorüber. Die Annahme des Kausalzusammenhanges berechtigt uns noch immer nicht, den Erfolg zur Schuld zuzurechnen. Meist begnügt man sich aber damit, die Möglichkeit des Kausalzusammenhanges zu erörtern. Im Sinne des Textes Hdlschner 1 212 (aber nur unter besonderen Voraussetzungen), v. Meyer 191, Olshausen § 51 I i , Geyer HH. 4 106, Binding Normen 2 195. Auch R 8. März 92 22 413. Dagegen Schütze 193 u. a. 4 ) Vgl. unten § 50. Das gilt von Strafunmündigen ebensogut wie von Wahnsinnigen. Das Reichsgericht hat den Satz bei letzteren anerkannt (zuletzt 10. Juni 90 21 14), bei Strafunmundigen geleugnet; vgl. unten § 37 Note 2. Olshausen (§§ 51 12, 55 4) will in beiden Fällen unterscheiden, ob der Thäter im stände war, mit strafrechtlichem Vorsatz zu handeln. Aber damit ist die präjudizielle Bedeutung der Zurechnungsfähigkeit verkannt; und die Unterscheidung im Einzelfalle ist bei Geisteskranken dem Gesetze fremd.
§ 37.
Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.
139
Das RStGB. hat für die strafrechtliche Beurteilung eine doppelte Altersgrenze gezogen. a) K i n d h e i t ; bis zum vollendeten 12. Jahre (StGB. § 55). Unbedingte und ausnahmslose Zurechnungsunfähigkeit. Infolge dieses Grundsatzes Ausschlufs jeder strafgerichtlichen Untersuchung. Als Verwaltungsmafsregel ist seit der Novelle von 1876 die Unterbringung in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt zugelassen, wenn die Vormundschaftsbehörde die Begehung einer strafbaren Handlung festgestellt und die Unterbringung für zulässig erklärt hat. ') Die Aufsichtspersonen können als Selbstthäter (ebenso dritte Personen) oder nach StGB. § 361 Ziff. 9 wegen unterlassener Aufsicht, nie aber als Teilnehmer — da ein Verbrechen nicht vorliegt 2 ) — zur Verantwortung gezogen werden. t>) J u g e n d l i c h e s A l t e r vom vollendeten 12. bis zum vollendeten 18. Lebensjahre. Prüfung der Zurechnungsfahigkeit ü b e r h a u p t , der zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen That erforderlichen Einsicht i n s b e s o n d e r e (die letztere mufs ausdrücklich, gegebenenfalls durch die Geschworenen — StPO. § 298 — festgestellt werden) in jedem einzelnen Falle. Festzuhalten ist, dafs nicht Erkenntnis der Strafbarkeit (auch nicht Bewufstsein der Rechtswidrigkeit), sondern die zur Erlangung dieser Erkenntnis erforderliche geistige Reife, das „discernement" des Code penal, das „Unterscheidungsvermögen" des preufs. StGB., vom Gesetz betont wird. Und zwar mufs jene Einsicht vorhanden sein, welche zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen V e r b r e c h e n s a r t erforderlich.ist. 3 ) ') Preufs. Gesetz vom 13. März 1878 betr. die Unterbringung verwahrloster Kinder. 2 ) Übereinstimmend Geyer 1 137, Hälsckner 1 223, v. Meyer 227, Merkel 56, v. Kries Z 5 10, Derselbe Lehrbuch 10, Glaser 2 196 Note 4, Birkmeyer Teilnahme 158, 269, Kohler Studien 1 114, Bennecke 138. Dagegen Schütze GA. 21 164, Herzog wiederholt, zuletzt GS. 38 342, sowie, im Anschlufs an die frühere preufs. Rechtsprechung, R 12. April 82 6 187 und 6. Juni 82 6 336; Ziebarth 341, Borchert Strafrechtliche Verantwortlichkeit für Handlungen dritter S. 24, Bünger Z 8 579, van Calker Befehl 36. Uber Olshausen vgl. oben § 36 Note 4. 3) Nach § 50 des Mil.StGB. ist — mit Rucksicht auf die schon mit dem vollendeten 17. Lebensjahre beginnende Waffenfähigkeit — das Alter des Thäters o h n e Einflufs auf die Bestrafung militärischer Verbrechen und Vergehen. Vgl. Hecker 104.
140
§ 37-
D i e Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.
Sie kann in Bezug auf Eigentumsverbrechen erlangt sein, in Bezug auf politische Verbrechen dagegen fehlen. Trotz vorhandener Einsicht kann die Zurechnungsfähigkeit aus einem andern Grunde, z. B. wegen Trunkenheit, ausgeschlossen sein. a) Fehlt die Fähigkeit, so tritt Freisprechung ein (StGB. ¡5 56). In dem Urteile kann die Unterbringung in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt ausgesprochen werden. Bezüglich dritter Personen gilt das oben unter a Gesagte. ß) Wird die Zurechnungsfähigkeit festgestellt, so tritt in Berücksichtigung der „verminderten" Zurechnungsfähigkeit eine Herabsetzung der regelmäfsigen Strafnahmen ein (StGB. § 57; vgl. unten § 70 I).4) 2. G e h e m m t e E n t w i c k l u n g . Taubstummheit. Auch hier mufs die Zurechnungsfähigkeit überhaupt, die zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen That erforderliche Einsicht insbesondere in jedem einzelnen Falle geprüft und letztere ausdrücklich festgestellt werden (StGB. § 58). Bei Zurechnungsfähigkeit tritt jedoch eine Herabsetzung der Strafrahmen n i c h t ein, obwohl sie auch hier ohne Zweifel angezeigt wäre. 6 ) Da das Gesetz nur von T a u b s t u m m e n ausdrücklich spricht, so sind diese Bestimmungen auf andre Fälle von Entwicklungshemmung nicht anzuwenden (man denke an geringem Blödsinn, an Angehörige wilder Völkerstämme, in völliger A b geschlossenheit aufgewachsene Menschen usw. ); doch kann hier StGB. § 51 gegeben sein. 4 ) Besondere Bestimmung in § 173 (unten § 43 Note 2). Die Eidesunmündigkeit wird durch die Prozefsordnungen bestimmt. — Die M i n d e r j ä h r i g k e i t wird nicht berücksichtigt. Anders im österreichischen und ungarischen Recht, welche bis zum 20. Lebensjahre sowohl Todesstrafe wie lebenslange Freiheitsstrafe ausschliefsen, sowie im russischen Entwurf. — Auch das G r e i s e n a l t e r ist nach geltendem Recht kein Milderungsgrund, während es als solcher im gemeindeutschen Recht des 18. Jahrhunderts sowie neuerdings im russischen Entwurf sich findet. Der letztere hat auch w e i b l i c h e s G e s c h l e c h t unter die Milderungsgrunde aufgenommen. B ) Nur derjenige ist taubstumm im Sinne des Gesetzes, der v o n Geburt oder frühester Kindheit an infolge dieses Gebrechens in seiner Entwicklung gehemmt war. — Japan läfst die Taubstummen straffrei; Italien enthält eingehende Bestimmungen. •) Dagegen Binding 1 221, Hälschner 1 224, v. Meyer 188, v. Wächter 133, v. Lilienthal 41; ubereinstimmend Geyer 1 103, Olskausen § 51 10, Merkel HH. 2 82.
§ 37'
Die Fälle der Zurechnungsunfahigkeit.
141
II. B e i f e h l e n d e r g e i s t i g e r G e s u n d h e i t . Auf Grund der von fachmännischer Seite erstatteten Gutachten erklärt § 51 des RStGB.: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewufstlosigkeit oder k r a n k h a f t e r S t ö r u n g der Geistesthätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen w a r." Der Ausdruck „krankhafte Störung der Geistesthätigkeit" wurde gewählt, um nicht nur die eigentlichen sogenannten Geisteskrankheiten, sondern auch Entwicklungshemmungen (Blödsinn) und geistige Entartungszustände, ferner körperliche Krankheiten im engern Sinne, welche mit geistigen Störungen verbunden sind (Fieberdelirien, Nervenkrankheiten), endlich vorübergehende Störungen der geistigen Thätigkeit (Intoxikationszustände usw.) zu umfassen. Sowie aber nicht jede Störung der vollen körperlichen Gesundheit als Krankheit bezeichnet werden kann, so wird auch nicht durch jede Störung der geistigen Thätigkeit die Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen; das Mindestmafs, mit dem sich das Recht überhaupt begnügen mufs, bildet auch hier die untere Grenze. Darum verlangt StGB. § 51, auch hier lediglich eine Seite in dem Inhalte der Zurechnungsfahigkeit besonders (aber durchaus nicht ausschliefslich) betonend, einen solchen Zustand, durch welchen „ d i e f r e i e W i l l e n s b e s t i m m u n g des Thäters ausgeschlossen" war. Diese bedeutet auch hier nicht mehr als die r e g e l g e m ä f s e Bestimmbarkeit durch Vorstellungen. Die Darstellung der einzelnen Formen „krankhafter Störung der Geistesthätigkeit" gehört nicht mehr zur Aufgabe der Strafrechtswissenschaft, wenn auch die Strafrechtspflege mit ihnen genau vertraut sein mufs, um, wo es not thut, den Rat der Sachverständigen einzuholen. Jedoch sei die aus der E i n h e i t l i c h k e i t u n s e r s g e i s t i g e n L e b e n s sich ergebende doppelte Folgerung erwähnt: e i n e r s e i t s , dafs Störungen nicht blofs des V o r s t e l l u n g s l e b e n s , sondern auch des E m p f i n d u n g s l e b e n s (wie konträre Sexualempfindungen) und des T r i e b l e b e n s (wie die sogenannte Paradoxie des Willens) die Zurechnungsfähigheit aufzuheben geeignet sind; a n d e r s e i t s , dafs jede Störung das gesamte Geistesleben ergreift, dafs also teilweise Störungen bei sonstiger Unversehrtheit des Geistes nicht möglich sind. Die
142
§ 38.
Der Vorsatz.
heutige Wissenschaft hat daher den Begriff der sogenannten M o n o m a n i e e n als Entartungen des Trieblebens bei völliger Klarheit des Verstandes aufgegeben und betrachtet diese nur als Teilerscheinungen allgemeiner Erkrankung des Geistes. Ebenso ist „ m o r a l i s c h e r I r r s i n n " (moral insanity) stets mit einer Trübung des Vorstellungslebens sowie einer Abstumpfung der Gefühle verbunden, mithin richtiger als eine Form des Schwachsinns aufzufassen.
O b durch die von sachverständiger Seite festgestellte geistige Störung die Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen wird oder nicht, hat der Richter, hier w i e sonst, nach eigner Prüfung und unter eigner Verantwortlichkeit zu entscheiden. Das ärztliche Gutachten bindet ihn nicht und deckt ihn nicht. Ist der wegen mangelnder Zurechnungsfähigkeit freigesprochene Geisteskranke gemeingefährlich, so sollte für eine die Gesellschaft sichernde Unterbringung desselben gesorgt werden (vgl. oben § 14 II 4). III. A b e r auch das Seelenleben des geistig reifen und geistig gesunden Menschen unterliegt Schwankungen, welche, wenn auch auf physiologischer Grundlage beruhend, doch die Zurechnungsfähigkeit ausschliefsen können und überdies in unmerklichen Ubergängen auf das pathologische Gebiet hinüberführen. Das R S t G B . bezeichnet sie in § 51 als Zustände von „Bewufstlosigkeit". Genauer sprechen wir von hochgradiger T r ü b u n g o d e r A u f h e b u n g d e s B e w u f s t s e i n s , durch welche die regelmäfsige Bestimmbarkeit durch V o r stellungen als gestört erscheint. Hierher gehören Ohnmacht, Schlaf, Schlaftrunkenheit, hypnotische Suggestion, Trunkenheit. 7 ) § 38.
Der Vorsatz.
Litteratur. Berner Imputationslehre 1843. Derselbe Die Teilnahme und die Kontroversen über Dolus und Culpa 1847. Krug Dolus und Kulpa 1854. Gefsner Begriff und Arten des Dolus 1860. Rufp Modernes Recht und Verschuldung 1880. Lucas Die subjektive Verschuldung im heutigen Strafrechte 1883. Binding Nonnen 2 209, 403. Ortloff GS. 3 4 401. Heiiz Das Wesen des Vorsatzes 1885. Bünger Z 6 293 v. Buri GS. 41 408. Frank Z 10 169 (wichtig) und dazu v. Buri GS. 4 3 241. Havenstein G A . 3 6 37. Luther G A . 3 6 445. Kohler Studien 1 67. Ortloff Z 14 161 (gegen Frank). 7 ) Nach Mil.StGB, § 49 bildet (ganz so wie bereits im gemeinen Recht) bei strafbaren Handlungen gegen die Pflichten der militärischen Unterordnung sowie bei allen in Ausubung des Dienstes begangenen strafbaren Handlungen die selbstverschuldete Trunkenheit des Thäters keinen Strafmilderungsgrund. V g l . dazu Hecker 100, 106.
§ 38.
Der Vorsatz.
143
I. Die Zurechenbarkeit des Erfolges ist zunächst gegeben bei vorsätzlichem Handeln, d. h. dann, wenn der Thäter trotz Voraussicht des Erfolges gehandelt hat. V o r s a t z 1 ) ist demnach die V o r s t e l l u n g v o n d e r v e r u r s a c h e n d e n B e d e u t u n g (der Kausalität) d e r (kausalen) W i l l e n s b e t h ä t i g u n g . *) Der Begriff des Vorsatzes umfafst mithin: 1. D i e V o r s t e l l u n g d e r Willensbethätigung s e l b s t , s o w e i t d i e s e unter den Begriff eines bestimmten Verbrechens, sei es der regelmäfsigen, sei es einer schwerern Erscheinungsform, fallen. 2. D i e V o r a u s s i c h t d e s E r f o l g e s , soweit dieser zu dem Begriffe des Verbrechens erforderlich ist. 3. D i e V o r s t e l l u n g , d a f s d e r E r f o l g W i r k u n g d e r W i l l e n s b e t h ä t i g u n g , diese Ursache des Erfolges s e i n w e r d e , also die Vorstellung von der Kausalität selbst. ') Der Ausdruck „Vorsatz" (mittelhochdeutsch fara, Gefährde) ist sprachlich wenig glucklich gewählt. I. In den norddeutschen Quellen des Mittelalters bis ins 17. Jahrhundert hinein (vgl. z. B. Lübecker Stadtrecht 1586, 4. Buch, 16. Titel; Frensdorff Verfassung von Lübeck 161, aber auch yohn Strafrecht in Norddeutschland 167) bedeutet „vorsate" ein besonderes, schwer zu bestimmendes Vergehen; in Süddeutschland ist „Fursatz" gleich „mit beratenem Mute", also soviel wie Vorbedacht. 2. Der dolus malus des romischen Rechts ist rechtswidrige Absicht und hat gleichfalls mit dem heutigen „Vorsatz" nichts gemein. 3. Auch der Sprachgebrauch unserer Tage schwankt; insbesondere werden einerseits Vorsatz und Absicht, anderseits Wille und Vorsatz vielfach als gleichbedeutend gebraucht. Beweis dafür die sofort im Texte zu erwähnende Unsicherheit in der Ausdrucksweise des RStGB. 4. In § 49 des Mil.StGB. bildet Vorsatz den Gegensatz zu Furcht vor Gefahr (!). — Um so wichtiger ist für die Wissenschaft feste Begriffsbestimmung und gleichbleibender Sprachgebrauch. 2 ) Sog. V o r s t e l l u n g s t h e o r i e . Übereinstimmend im wesentlichen (wie schon früher Bekker Lehrbuch 278) Ziebarth 342, Baumgarten Versuch 193, 349, Lafs Haftpflichtrecht 1890 S. 70, Kohler Studien 1 70, Friedländer Z 11 400, v. Liliinthal 45 ; sehr bestimmt auch R 24. November 87 16 363, 26. Oktober 88 18 167. Vor allen aber Frank. — Dagegen betont die herrschende Ansicht ( W i l l e n s t h e o r i e ) das W o l l e n der Handlung mit Einschlufs des Erfolges. Man vgl. statt andrer v, Meyer 202, Bünger Z 6 339, Weismann Z 11 80; neuerdings Ortloff Z 14 161 (gegen Frank). Das Gefährliche dieser Ansicht liegt in der Unklarheit ihres Willensbegriffes und der damit nahegelegten Verwechslung von Vorsatz und Absicht. Vgl. insbesondere Frank (der auf die Verdienste hinweist, die sich die ÄgWsche Schule durch Aufklärung dieser Begriffe erworben hat). Im Sinne des Lehrbuches bedeutet „ W i l l e " nur die Anspannung der Muskeln, ist stets nur die Körperbewegung gewollt, niemals der Erfolg (s. oben § 28 Note 3). — Übrigens weichen „Vorstellungstheorie" und „Willenstheorie" in ihren praktischen Ergebnissen nicht soweit voneinander ab, als es auf den ersten Blick scheinen möchte.
§ 38.
144
D e r Vorsatz.
Dadurch unterscheidet sich der Vorsatz vom
Wunsch.
Dieser schliefst
die Vorstellung künftiger Veränderungen, aber nicht die Vorstellung der K a u salität der gegenwärtig vorgenommenen Handlung für sie in sich. z. B . wünschen, aber nicht mir vorsetzen, dafs mein G e g n e r
Ich kann
auf einer
Reise
ins Gebirge oder auf einer Eisenbahnfahrt, zu welcher ich ihn bestimmt habe, verunglücke oder vom Blitze unter dem Baume,
unter den er sich auf mein
Anraten gestellt hat, erschlagen w e r d e ; sowie es nur mein Wunsch, nicht meiu Vorsatz ist, durch A n k a u f eines Loses
den Haupttreffer zu gewinnen.
Hier
wird die eigne Handlung nicht als zu den gegebenen Bedingungen hinzutretend, mithin nicht als verursachend vorgestellt, sondern diese selbst werden als möglicherweise eintretend gedacht. Inhaltlich ü b e r e i n s t i m m e n d mit d e r o b e n g e g e b e n e n B e g r i f f s bestimmung, sagen:
aber weit
weniger bezeichnend,
Vorsätzliches
V e r w i r k l i c h u n g
Handeln
kann man
ist die
sämtlicher
daher
wissentliche
V e r b r e c h e n s m e r k -
male.3) II.
V o r s a t z liegt d e m n a c h
vor:
i. W e n n der E r f o l g b e a b s i c h t i g t , Erfolges B e w e g g r u n d um
der
in d e r
durch
die
Handlung
Aufsenwelt w i l l e n
Veränderungen Handelns z w e c k t
das Z i e l ,
bilden
(vgl.
d. h . die V o r a u s s i c h t d e s
des Handelns w a r ; zu
wenn der
bewirkenden
die H a n d l u n g v o r n i m m t ; ihre Herbeiführung
oben
S.
103),
wenn
Thäter
Veränderungen wenn
des
der
be-
Erfolg
war.1)
Vielfach hat die Reichsgesetzgebung das Merkmal der A b s i c h t Thatbestand einzelner Verbrechen aufgenommen. setzes ist in diesen Fällen keine gleichmäfsige. Absicht"
jene
den Z w e c k
oder
„wer
absichtlich...";
Bald bald
Z w e c k e . . . " ; bald auch: „ w e r u m z u . . . " " )
in
den
D i e Ausdrucksweise des Geheifst e s : wieder:
„wer
„wer
in der
zu
dem
In allen diesen Fällen bedarf
es sorgfältiger Prüfung des von dem Gesetzgeber mit diesem Worte verbundenen Absicht
in
unserm Sinne, also Beweggrund des Handelns; häufig aber auch (so z. B .
Sinnes.
Sehr häufig bedeutet die „ A b s i c h t "
des Gesetzgebers:
in
3 ) Das S t G B , verwendet den Ausdruck „wissentlich", bez. „ w i d e r besseres Wissen", zumeist in Beziehung auf einzelne Verbrechensmerkmale. Vgl. S t G B . §§ 144, 1 5 3 , 2 5 7 , 2 7 3 , 2 7 5 , 2 8 7 ; 1 3 1 , 1 7 1 , 3 3 8 ; 164, 1 8 7 , 189, 2 7 8 ; 127, 259, . 3 4 5 . . 3 5 3 *) Ubereinstimmend im allgemeinen das Reichsgericht. Bedenklich jedoch R 22. September 1 8 9 3 24 2 5 5 (Absicht gleich Voraussicht des E r f o l g e s als eines notwendigen),, welches Absicht mit dem im T e x t unter I I 2 a erwähnten F a l l e des Vorsatzes verwechselt. ») V g l . S t G B . §§ 1 2 4 , 1 4 3 , 146, 2 4 2 , 249, 2 6 3 , 265, 266, 267, 268, 2 7 2 , 2 7 4 , 2 8 1 , 307, 346, 349. — S t G B . §§ 1 2 9 , 1 4 7 , 1 5 1 , 1 7 7 , 1 9 1 , 2 3 5 , 267, 270, 2 7 3 . — S t G B . §§ 87, 146, 229, 234, 236, 2 3 7 , 2 5 2 , 2 5 7 , 298, 3 0 7 , 3 3 3 , 3 3 4 , 343. — 81, 105, 1 1 4 , 122, 159.
§ 38.
D e r Vorsatz.
145
S t G B . § 266) nichts weiter als die Voraussicht des Erfolges, mithin V o r s a t z schlechtweg.
Jede allgemeine
Regel
wäre
mithin
irrtümlich; nur für den
Einzelfall läfst sich die Entscheidung der Frage geben, ob Absicht, ob Vorsatz gefordert wird.
Es mufs darum auf den Besondern T e i l unserer Darstellung
verwiesen werden.
2. Vorsatz liegt aber auch dann vor, wenn der Thäter den Eintritt des Erfolges vorausgesehen hat, a u c h w e n n d i e s e V o r a u s s i c h t n i c h t B e w e g g r u n d seines Handelns w a r . Wer weifs, dafs seine Beteiligung an der Kriegsanleihe eines von Deutschland bekämpften Staates dessen Verteidigungskraft erhöhen werde, hat vorsätzlichen Landesverrat begangen, auch wenn es ihm nur um den Gewinn aus der Beteiligung zu thun war; wer sich bewufst ist, dafs die auf ein Schiff verladene Sprengmaschine den Tod von Menschen nach sich ziehen werde, hat diese vorsätzlich getötet, auch wenn er die Handlung cur um der Versicherungssumme willen unternommen hatte; die Frauensperson, welche weifs, dafs sie syphilitisch erkrankt ist, und dennoch aus Gewinnsucht den Beischlaf vollzieht, kann sich der vorsätzlichen Gesundheitsbeschädigung schuldig machen usw. Dabei haben wir jedoch zu unterscheiden: a) Vorsatz ist unbedingt gegeben, wenn der Thäter den Eintritt des Erfolges f ü r s i c h e r (notwendig) hielt; b) bedingt dann, wenn er ihn nur für m ö g 1 i c h hielt, nämlich unter der Voraussetzung, dafs die Uberzeugung von dem sicheren Eintritte des Erfolges den Thäter von der Begehung der Handlung nicht abgehalten hätte, wenn also, wie wir wohl sagen dürfen, der Thäter in den Erfolg e i n g e w i l l i g t hat (sog. event. Vorsatz). 6) III. Schon aus dem zuletzt Gesagten ergibt sich, dafs die Vorstellung des Erfolges der Handlung eine mehr oder weniger bestimmte sein kann, wenn sie auch niemals weder eine ganz 6) Stoo/s Schweizer StRZ. I 526; R . 19. Februar 1891 21 4 1 1 . — Auch der sog. „eventuelle Vorsatz" ist Vorsatz. Das ist auch im wesentlichen der Standpunkt des Reichsgerichts (das aber, wie Olshausen § 164 Note 7, dort eventuellen Vorsatz verwirft, wo das Gesetz verlangt, dafs der Thäter wider besseres Wissen gehandelt habe; vgl. unten bei der Verleumdung). Gegen die Neigung zu noch weiterer Anspannung des Begriffes vgl. Frank a. O . (auch Seuffert Ital. Entw. 146). V ö l l i g verworren Horn Kausalitätsbegriff 39 ff., •der eventuellen Vorsatz und culpa nicht auseinander zu halten vermag.
Ton L i s z t , Strafrecht. 6. Aufl.
lO
146
§ 38.
Der Vorsatz.
unbestimmte sein darf, noch sämtliche Einzelheiten zu umfassen vermag.') Der Thäter mufs die Glieder der durch seine Willensbethätigung angeregten oder nicht gehemmten Kausalkette im a l l g e m e i n e n kennen, ihren Verlauf übersehen, ihre Wirkung sich vorstellen. Die Vorstellung des Erfolges mufs in den wesentlichen Hauptzügen b e s t i m m t sein, um als solche sich von Wünschen und Hoffnungen zu unterscheiden. Aber diese Bestimmtheit, deren Mindestgrenze sich durch eine allgemeine Formel nicht unverrückbar feststellen läfst, kann mehr oder weniger genau sein; alle Menschen, die aus diesem Brunnen trinken, der mir unbekannte Einsender einer mich beleidigenden Zeitungsnachricht, der eben des Weges daherkommende Wandersmann, die in dem zu erbrechenden Schranke befindlichen, mir nicht näher bekannten Gegenstände: sie alle sind genügend bestimmte Gegenstände meines Vorsatzes. Man bezeichnet wohl den nicht in allen Einzelheiten bestimmten (aber niemals ganz unbestimmten) Vorsatz als dolus indeterminatus. Dagegen ist die Annahme eines i n d i r e k t e n V o r s a t z es entschieden zu verwerfen. Dolus indirectus soll nach gemeinrechtlicher Auffassung vorliegen, wenn der Thäter bei Begehung eines Verbrechens andre, von ihm nicht vorhergesehene, aber aus der That entsprungene und vielleicht auch leicht aus ihr entspringende Folgen herbeigeführt hat (so wäre Körperverletzung mit tödlichem Ausgang als vorsätzliche Tötung zu bestrafen). Diese Annahme fällt mit der Erwägung, dafs ein nicht vorgestellter Erfolg auch durch das versari in re illicita niemals zu einem vorgestellten werden kann. 8 ) ^ Vgl. Binding Normen 2 4 1 2 ; Zitelmann Irrtum und Rechtsgeschäft 433, 524; Sigwart Begriff des Wollens 194; Hälschner 1 285 ff".; R 29. März 1882 6 146. 8 ) Der dolus indirectus verdankt seine Entstehung den Bedurfnissen der Rechtspflege, welchen die sog. Willenstheorie (ob. Note 2) niemals zu genügen im Stande war. Schon von Carpzov und Leyser vertreten, durch v. NettelbladtGlänzers Diss. de homicidio ex intentione indirecta commisso (1756, 3. Aufl. 1772) zur Herrschaft gebracht, von Böhmer vergeblich bekämpft, findet er sich in Wissenschaft und Gesetzgebung des 18. Jahrhunderts bald als eine gesetzliche B e w e i s r e g e l (soBayern 1751, ALR. 27), bald als selbständige S c h u l d a r t (Sodens ,,einwilligende Schuld", Feuerbachs culpa dolo determinata) und hat sich noch im geltenden Rechte Rufslands und Österreichs (vgl. Z 8 348) erhalten. Sein letzter Ausläufer in der deutschen Strafgesetzgebung ist der Erfolg als Bedingung schwerer Strafbarkeit (vgl. oben § 35 Note 6, sowie Wachenfeld Mord und Totschlag S. 24). — Alle übrigen, aus der gemeinrecht-
§ 38.
Der Vorsatz.
147
IV. Der Vorsatz bezieht sich auf die Handlung als die Herbeiführung oder das Geschehenlassen einer Veränderung in der Auisenwelt, als eines s i n n f ä l l i g e n E r e i g n i s s e s ; nicht aber auf die r e c h t l i c h e B e d e u t u n g der Handlung. E r umfafst den besondern, nicht aber den allgemeinen Thatbestand des Verbrechens; aber auch den erstem nicht, soweit es sich um aufserhalb der Handlung liegende Bedingungen der Strafbarkeit oder um Prozefsvoraussetzungen (unten § 43) handelt. Mit dem Geltungsgebiet der Strafrechtssätze, mit der Zurechnungsfähigkeit, mit Vorsatz und Fahrlässigkeit selbst, mit Versuch und Vollendung, mit Thäterschaft und Teilnahme, mit Einheit und Mehrheit des Verbrechens hat der Vorsatz nichts zu thun. Insbesondere aber umfafst der Vorsatz n i c h t d a s B e w u f s t s e i n d e r R e c h t s w i d r i g k e i t ; und völlig verkehrt ist es, in diesem gerade das Wesen des Vorsatzeserblicken zu wollen. °) Dieser Satz wird demnächst nähere Erörterung finden (unten § 40). liehen Wissenschaft herubergenommenen „Arten des dolus" sind im besten Falle unbrauchbare, meist aber, ebenso wie der dolus indirectus, irreführende Überspannungen des Vorsatzbegriffs. So ist die Annahme eines sogenannten d o l u s s u b s e q u e n s , d. h. eines dem schuldlosen Handeln nachfolgenden und dieses nachträglich ergreifenden Vorsatzes, durchaus unzulässig. Und dasselbe gilt von dem sogenannten Haderschen d o l u s g e n e r a l i s (1825), einer Art von d o l u s a n t e c e d e n s . E r soll vorliegen, wenn der Thäter in der irrigen Voraussetzung, das Verbrechen bereits vollendet zu haben, eine weitere Handlung vornimmt, um die Spuren der That zu verdecken usw., und d a d u r c h erst den von ihm ursprunglich vorgesetzten E r f o l g herbeiführt. Hier fragt es sich, ob die sämtlichen Teilakte als eine einzige Handlung aufzufassen sind, deren Ablauf von der Vorstellung des Thäters nur in für diesen unwesentlichen Punkten abweicht. Ist dies der Fall, so bedarf es zur Zurechenbarkeit des Erfolges der Annahme einer besondern Dolusart nicht; ist es nicht der Fall, so vermag auch diese Annahme die einzelnen selbständigen Akte nicht zur Einheit zu verknüpfen. ' ) Somit erscheint uns der bereits oben § 3 1 II 4 angedeutete Satz, dafs die Rechtswidrigkeit der Handlung l e d i g l i c h o b j e k t i v zu beurteilen sei, als Ausflufs eines allgemeinen Grundsatzes und damit zugleich in neuer und schärferer Beleuchtung. Die zahlreichen Mifsverständnisse, welche in der heutigen Litteraturan die Erörterung jenes Satzes sich knüpfen, hätten vermieden werden können, wenn man diesen Zusammenhang im Auge behalten hätte. Entscheidend ist die Erkenntnis, dafs bei den beiden Schuldarten Vorsatz und Fahrlässigkeit lediglich die Beziehung zwischen dem Vorstellungsleben des Thäters und dem V e r b r e c h e n a l s H a n d l u n g , d. h. a l s H e r b e i f ü h r u n g e i n e r V e r ä n d e r u n g i n d e r A u f s e n w e l t , in Frage steht. Das wird noch einleuchtender, wenn man im Auge behält, dafs Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht nur auf dem Gebiete des rechtswidrigen, sondern auch auf dem des rechtlich gleichgültigen Handelns in der gleichen Weise wiederkehren. Nicht nur der Wild10*
148
§ 39-
§ 39.
Fortsetzung.
Fortsetzung.
Der Irrtum.
Der Irrtum.
Litteratur. Aufser den zum vorigen Paragraphen angeführten Schriften: Pfotenhauer De delicto per errorem in persona commisso 1828. Derselbe Der Einflufs des Irrtums auf die Strafbarkeit 1838/39. Luden Abhandlungen 2. Stockar Die Lehre von der Aberration 1864.
I. Irrtum ist N i c h t ü b e r e i n s t i m m u n g zwischen der Vorstellung und der Wirklichkeit, also für das Strafrecht zwischen der V o r s t e l l u n g d e s T h ä t e r s über die den Erfolg verursachende oder nichthindernde Bedeutung der Willensbethätigung u n d d e m t h a t s ä c h l i c h e n V e r l a u f . Der Irrtum s c h l i e f s t mithin, soweit er reicht, d i e Z u r e c h e n b a r keit der W i l l e n s b e t h ä t i g u n g sowie des E r f o l g e s z u m V o r s a t z des Thäters aus. A b e r wie sich der Vorsatz nicht auf die sämtlichen Einzelheiten in dem Verlauf der Kausalreihe zu erstrecken braucht (oben S. 146), so bedarf es auch, damit der eingetretene Erfolg zum Vorsatze zugerechnet werden kann, keiner v o l l k o m menen, alle Einzelheiten umfassenden Übereinstimmung zwischen dem vorgestellten und dem eingetretenen Verlauf. Die V o r s t e l l u n g von den durch die Willensbethätigung zu verursachenden oder nicht gehinderten Veränderungen und diese V e r ä n d e r u n g e n selbst müssen sich decken; aber nicht in allen, wenn auch unwesentlichen Einzelheiten, sondern in allen w e s e n t l i c h e n Punkten. N u r d e r I r r t u m i n B e z u g a u f e i n e n wesentlichen P u n k t s c h l i e f s t d e n V o r s a t z a u s . Die Nichtübereinstimmung zwischen dem vorgestellten und dem thatsächlich eingetretenen Verlaufe der Handlung schliefst mithin die Zurechenbarkeit des Erfolges zum Vorsatze dann n i c h t aus, wenn die Abweichung nur e i n z e l n e und gegenüber dem Gesamtbilde der Handlung nur u n w e s e n t l i c h e Punkte betrifft So wäre meines Erachtens vorsätzliche Tötung in folgenden Fällen anzunehmen: Der Angeklagte dringt mit geladenem Revolver auf seine Geliebte ein, in der eingestandenen Absicht, sie zu erschiefsen; im Ringen berührt die dieb, sondern auch der Jagdberechtigte kann ein Stück Wild vorsätzlich oder fahrlässig t o t e n ; und nicht nur eine fremde, sondern auch meine eigne bewegliche Sache kann ich vorsätzlich oder fahrlässig zertrümmern. Sehr bezeichnend HandelsGB. Art 702 (dazu Binding Normen 1 309). Gerade deshalb pflegte man früher die nähere Bestimmung beizufügen : dolus m a l u s , b ö s e r Vorsatz. Vgl. die folgenden Paragraphen.
§ 39-
Fortsetzung.
Der Irrtum.
149
Bedtohte selbst den gespannten Hahn und wird tödlich getroffen. — A wirft den B über die Brücke, um ihn zu ersäufen; B schlägt auf den Brückenpfeiler auf und zerschmettert sich die Schädeldecke. — Der Wildschütze legt auf den Jäger an, um ihn zu erschiefsen; dieser macht unwillkürlich einen Seitensprung und stürzt dabei in den A b g r u n d . ' ) — Vollendeter schwerer Diebstahl ist ausgeschlossen, wenn der Dieb, in dem verschlossenen Kästchen eine bestimmte Urkunde suchend, in demselben 10000 Mk. findet, und diese nunmehr mit sich nimmt. Dagegen kann ein Umstand dadurch zu einem w e s e n t l i c h e n werden, dafs er, u n t e r A u s s c h l u f s a l l e r a n d e r n e n t s p r e c h e n d e n U m s t ä n d e a u s d e r V o r s t e l l u n g , mit vollster Bestimmtheit von dem Vorsatze umfafst wurde. (A, der durch das Telephon dem B eine Beleidigung zurückgeben will, wird aus Versehen mit C verbunden und beschimpft diesen.) Dies trifft nicht nur dann zu, wenn der Thäter die Bedeutung der Handlung in Bezug auf jenen Umstand für ganz ausgeschlossen erachtete, sondern auch dannj wenn er die Abwendung dieses Erfolges jederzeit in seiner Hand zu haben vermeinte, wenn also die Voraussicht des Eintritts des Erfolges ihn von der Vornahme der Handlung abgehalten hätte.
II. Unkenntnis eines Verbrechensmerkmales schliefst mithin (oben S. 144, Text zu Note 3) den Vorsatz unbedingt aus. Mit aller Deutlichkeit bestimmt § 59 Abs. 1 StGB.: „Wenn jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vorhandensein von Thatumständen nicht kannte, welche zum gesetzlichen Thatbestande gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, so sind ihm diese Umstände nicht zuzurechnen." E s liegt also vorsätzlicher Diebstahl nicht vor, wenn ich die Eigenschaft der Sache als einer fremden; es liegt Aszendententotschlag nicht vor, wenn ich die Eigenschaft des E r schlagenen als meines Aszendenten nicht kannte. Dagegen bleibt Irrtum in Bezug auf eins der übrigen Verbrechensmerkmale, insbesondere in Bezug auf die Rechtswidrigkeit der Handlung (vgl. unten § 40) grundsätzlich aufser Betracht. Dagegen kann die irrtümliche Annahme eines nicht vorhandenen Verbrechensmerkmales das Vorliegen eines untauglichen Versuches begründen. Beispiel: Ich halte meine eigene Sache für die eines Andern, einen Fremden für meinen Aszendenten (vgl. unten § 47). 2 ) ') In diesem letzten Falle, welcher hart an der Grenze steht, sind a. A . : 34, v. Meyer 205, v. Rohland Gefahr 72 Note 2. ) Unrichtig ist es, hier, mit Olshauscn § 59 25, ein sog. Putativdelikt (unten § 40 Note 6), also ausnahmslose Straflosigkeit, anzunehmen. Löning
!
§ 39-
Fortsetzung.
Der Irrtum.
III. In allen Fällen des Irrtums macht es keinen Unterschied, ob dieser auf einer unrichtigen Beurteilung der T h a t s a c h e n oder auf einer irrigen Auffassung der in Frage kommenden R e c h t s s ä t z e oder endlich auf einer irrtümlichen Anwendung dieser auf jene, einer irrigen S u b s u m t i o n der Thatsachen unter das Gesetz, beruhte. Die U n t e r s c h e i d u n g v o n T h a t - u n d R e c h t s i r r t u m hat im StGB, aus guten Gründen keine Anerkennung gefunden. Damit entfällt auch die Unterscheidung des S t r a f r e c h t s i r r t u m s von den übrigen Fällen des Rechtsirrtums. 3 ) IV. Die aufgestellten Grundsätze reichen völlig aus, um alle Fälle des Irrtums über die verursachende Bedeutung der Handlung zu erledigen. Es liegt durchaus kein Grund vor, die dem gemeinen Rechte in diesem Gegensatze fremden, erst im 19. Jahrhunderte (durch Pfotenhauer) eingebürgerten Schulbegriffe der aberratio ictus und des error in objecto oder in persona weiter beizubehalten. 1. Im Sinne der herrschenden Ansicht liegt a b e r r a t i o i c t u s vor, wenn ein andrer als der vorgestellte Erfolg eintritt und diese Abirrung des Erfolges zurückzufuhren i s t a u f ä u f s e r e U m s t ä n d e . Hier soll die Zurechnung des eingetretenen Erfolges stets ausgeschlossen sein, vielmehr Zusammentreffen eines versuchten vorsätzlichen mit einem vollendeten fahrlässigen Verbrechen angenommen werden. Das ist falsch. Auch hier entscheidet vielmehr lediglich der oben aufgestellte Grundsatz, dafs nur die w e s e n t l i c h e Nichtübereinstimmung zwischen Vorstellung und Erfolg zu berücksichtigen ist, sodafs die Zurechnung zum Vorsatze bald als ausgeschlossen, bald als unvermeidlich betrachtet werden mufs. Wenn ein Wildschütze auf den schönsten Bock in einem Rudel Gemsen anlegt und infolge des „Abirrens" seines Schusses den zweitbesten trifft, so kann diese Nichtubereinstimmung zwischen Vorstellung und Erfolg doch sicherlich nicht als eine wesentliche bezeichnet werden. Und dasselbe wird angenommen werden müssen, wenn bei einer allgemeinen Wirtshausbalgerei eine „Ablenkung" des Schlages auf einen andern als den ursprünglich ins Auge gefafsten Gegner stattfindet. 2. E r r o r gegen an, wenn stellten Objekte des Thäters.
i n p e r s o n a (in objecto) nimmt die herrschende Ansicht dader Eintritt des Erfolges bei einem andern als dem vorgezurückzufuhren ist a u f e i n e n I r r t u m (eine Verwechselung) Hier soll der Irrtum stets als unwesentlich betrachtet, die Zu-
*) Ebenso im wesentlichen Binding Normen 2 607, Loning 36, Ötker 83, besonders aber v. Bar GS. 3 8 270 und Ortloff Strafbarkeitserkenntnis 16 Note 2. Dagegen nimmt R in einer Reihe von Entscheidungen mit der gemeinen Meinung an, dafs Irrtum in Bezug auf das Strafgesetz einflufslos bleibe, jeder andere Rechtsirrtum aber ebenso wie der Thatirrtum entschuldige. Der Wortlaut des § 59 („Thatumstände . . . gesetzlicher Thatbestand") beweist jedoch, dafs insbesondere auch die Subsumtion mit umfafst werden soll.
§ 40
Das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit.
151
rechnung des Erfolges zum Vorsatze stets gegeben sein, vorausgesetzt, dafs die beiden Objekte dem in Frage stehenden Verbrechensbegriffe gegenüber von gleicher strafrechtlicher Bedeutung sind. Diese Auffassung unterliegt geringem Bedenken als die zu I erwähnte. Man denke jedoch an den Fall, dafs der Thäter ein Kästchen mit für ihn wichtigen Urkunden entwenden will und statt dessen ein ganz ähnliches Kästchen mit Wertpapieren mit sich •nimmt. Jedenfalls aber entbehrt die grundsätzliche Unterscheidung dieser Fälle von denjenigen der Abirrung jeder innern Berechtigung.')
§ 40.
Das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit.
Litteratur. Ötker Einflufs des Rechtsirrtums 1876. Binding Normen 2 60, 310. Zitelmann Irrtum und Rechtsgeschäft 1879. v. Bar GS. 3 8 252. Hälschner 1 250. Heinemann Die Bindingsche Schuldlehre 1889. Derselbe Zur Dogmengeschichte des Rechtsirrtums Z 13 371. OrtloffTAe. Strafbarkeitserkenntnis als Schuldvoraussetzung 1891.
I. Der Begriff des Vorsatzes schliefst nach dem Gesagten ganz zweifellos das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit n i c h t in sich. 3 ) Aber auch n e b e n dem Vorsatze, als etwas zu diesem selbständig H i n z u tretendes, darf das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit im allgemeinen n i c h t gefordert werden. Eine solche Forderung, die allerdings vom Stande der Theorie des psychologischen Zwanges (siehe oben § 12 Note 3) gestellt werden muis, würde — und das ist der ausschlaggebende Grund — die Rechtspflege geradezu lahmlegen, indem sie ihr den Nachweis in jedem einzelnen Fall aufbürdet, dafs der Thäter die von ihm übertretene Vorschrift gekannt habe. Sie darf daher um so "weniger gestellt werden, als sie im Gesetze keinerlei Stütze findet2) 4 ) R steht auf dem Standpunkte der herrschenden Ansicht. Vgl. zuletzt R 25. April 89 19 179. — D a s gemeine Recht hat, wie Volksrechte und Rechtsbücher, die Abirrung stets ebenso wie den Irrtum in der Person behandelt (z. B. Preufsen 1721) und regelmäfsig in beiden Fällen, gestutzt auf Clarus und Carpzov (Sächsische Konstit. IV 6), vollendetes vorsätzliches Verbrechen angenommen (milder freilich Damhouder u. a.). Noch Österreich 1852 § 134 stellt beide Fälle, welche auch die französische Wissenschaft nicht unterscheidet, ausdrucklich einander gleich. Über die ungarische Rechtsprechung vgl. Z 9 554.. ') Dagegen insbesondere Binding, welcher (Normen 2 403) den Vorsatz geradezu als d e n b e w u f s t r e c h t s w i d r i g e n W i l l e n bestimmt. Ihm folgen Ötker, Olshausen; auch Hammer er Der Einflufs des Rechtsirrtums auf die Bestrafung 1890; sowie, ohne jede Begründung, Eisenmann Z 13 459. 8 ) Dafs § 59 nicht hierhergezogen werden kann, wie Binding, Ortmann, Ötker u. a. behaupten, ergibt sich unzweifelhaft aus dem Wortlaute des Gesetzes („Thatumstände") und wird auch von Olshausen § 59 30 wie von Hammerer 30 ausdrücklich zugegeben. Vgl. Heinemann 122, sowie R 31. Jannar 90 2 0 198, und dazu Frank Z 12 281.
§ 4°-
152 und
zu
Das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit.
der gemeinen
Meinung
aller Zeiten in den schärfsten
W i d e r s p r u c h tritt. 3 ) II.
D i e eben
tige A u s n a h m e .
aufgestellte R e g e l erleidet j e d o c h eine w i c h Uberall dort, w o das Gesetz das M e r k m a l d e r
Rechtswidrigkeit in den T h a t b e s t a n d
eines V e r b r e c h e n s a u f g e -
n o m m e n hat, mufs Bewufstsein der Rechtswidrigkeit auf Seiten des T h ä t e r s g e f o r d e r t w e r d e n . 4 ) von
den unter III 2
zu
Hier wird daher, abweichend
entwickelnden Grundsätzen,
die
irrige
A n n a h m e des T h ä t e r s , dafs die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen sei, Berücksichtigung finden müssen.
Es
zuweisen, dafs einzelne Nebengesetze
besondere B e s t i m m u n g e n
über
ist ferner darauf hin-
den Einflufs des sogenannten Rechtsirrtums III.
enthalten. 6 )
N u n m e h r tritt der bereits oben § 3 1 II 4 aufgestellte Satz,
dafs, soweit nicht eine der unter II erwähnten A u s n a h m e n liegt,
das Merkmal
der Rechtswidrigkeit
ohne
Rücksicht
vorauf
®) Der im Texte vertretenen Ansicht folgt auch das Reichsgericht mit steigender Entschiedenheit. Man vgl. z. B R 19. Febr. 85 12 275, 17. Jan. 87 15 158, 28. Mai 89 19 252. Sehr bestimmt R 13. Mai 90 20 393. (Bedenklich dagegen R 30. Januar 91 21 3 1 3 vorletzter Absatz.) Ebenso Berner 243, Geyer 1 I I I , v. Meyer 198, v. Wächter 146 und GS. 16 56, Lucas Subjektive Verschuldung 66, Kohler Patentrecht 531, Markenschutz 356 (in seinen Studien wird „rechtliche Apathie" als genügend erklärt), Bruck Fahrlässigkeit 22, Heitz Vorsatz 16, Simon GS. 32 425, v. Bar GS. 38 252, Weismann Z 11 Note 196, Stoofs Grundzuge 1 202, van Calker Befehl 24, insbesondere aber Heinemann HO, der die Frage durch alle Abschnitte der dogmengeschichtlichen Entwicklung hindurch verfolgt. — Die Gegner, unter sich uneins, verlangen Bewufstsein bald der Rechtswidrigkeit, bald der Strafbarkeit, bald der Staatswidrigkeit, bald der Gesellschaftswidrigkeit, bald der Pflichtwidrigkeit, bald der Normwidrigkeit, bald der Strafwurdigkeit; AFerkel 68 will Möglichkeit des Bewufstseins der Pflichtwidrigkeit, Janka 106 Bewufstsein der Möglichkeit der Rechtswidrigkeit. Man vgl. Hälschner 1 198, 253, Löning 3 1 , 35, Binding Normen 2 403, Olshausen § 69 16 und 30, Bünger Z 6 340, v. Buri Kausalität 36, Ortlojf GS. 24 410 (sowie in der oben angeführten Schrift), Seuffert Italien. Entw. 144 und StG. 1 78. 4 ) Vgl. oben § 31 Note 5. In dem dort Gesagten liegt auch die gesetzgeberische Rechtfertigung dieser Ausnahme. Ebenso das Reichsgericht. So zuletzt R 26. März 89 19 209. Ebenso Borchert Verantwortlichkeit 28, Friedländer Z 11 400, van Calker Befehl 24, v. Lilienthal 46. Vgl. insbes. Heinemann. Dagegen neuerdings Kronecker GS. 38 495, Lucas Verschuldung 60, Stoofs Zeitschr. für Schweizer Strafrecht 1 524. 6 ) Vereinszollgesetz § 163: „Unbekanntschaft mit den Vorschriften dieses Gesetzes und der infolge desselben gehörig bekannt gemachten Verwaltungsvorschriften soll niemand, auch nicht den Ausländern, zur Entschuldigung gereichen." — Nachdrucksgesetz § 18 Abs. 2: „Die Bestrafung des Nachdrucks bleibt ausgeschlossen, wenn der Veranstalter desselben auf Grund entschuldbaren, thatsächlichen oder rechtlichen Irrtums in gutem Glauben gehandelt hat." Ebenso in den Urheberrechtsgesetzen vom 9., 10. und I i . Januar 1876. Über StGB. § 193 vgl. unten Besondern Teil.
§
Das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit.
153
den guten oder schlechten Glauben des Thäters streng objektiv zu prüfen sei, in das richtige Licht.
N a c h zwei verschiedenen
Richtungen wird er v o n Bedeutung. 1.
Irrige
Annahme,
dafs
die
an
sich
r e c h t s w i d r i g e H a n d l u n g r e c h t s w i d r i g sei, dem Thäter tivdelikt
nicht.
Das W a h n v e r b r e c h e n
ist nicht Verbrechen,
suchtes (fehlgeschlagenes)
insbesondere
nicht schadet
oder
auch
Puta-
nicht
ver-
Verbrechen. 6 )
Zwei Fälle sind hier möglich, aber in gleicher Weise zu erledigen. a) Der Thäter nimmt irrigerweise die Rechtswidrigkeit einer ü b e r h a u p t nicht rechtswidrigen Handlung an. Die Frauensperson, welche mit Angehörigen ihres Geschlechts widernatürliche Unzucht treibt, ist uberzeugt, sich einer rechtswidrigen und strafbaren Sodomiterei schuldig zu machen; der Viehzwischenhändler, welcher unter Ausbeutung der Notlage des Kleinbauern diesem das Jungvieh um einen Sundenpreis abnimmt, glaubt, dadurch gegen das Wuchergesetz zu verstofsen. In allen diesen Fällen liegt ein Verbrechen nicht vor. b) Der Thäter nimmt irrigerweise an, dafs ein Umstand, w e l c h e r d i e R e c h t s w i d r i g k e i t einer im allgemeinen rechtswidrigen Handlung a u s s c h l i e f s t , nicht vorliege, obwohl er im gegebenen Falle thatsächlich vorhanden ist. Die Wache, welche von der Waffe Gebrauch gemacht hat, ist der irrigen Ansicht, dazu nicht berechtigt gewesen zu sein; der Lehrherr nimmt irrtümlich an, die Grenzen des ihm zustehenden Zuchtrechts überschritten zu haben. Auch hier kann von einem Verbrechen keine Rede sein. 2. I r r i g e widrige dem
Annahme,
Handlung
Thäter
nicht;
nicht
dafs
die
objektiv
rechtswidrig
der Irrtum
sei,
rechtsnützt
über die dem Strafgesetze
zu Grunde liegenden G e b o t e und V e r b o t e bleibt einflufslos. Auch hier aber sind zwei gleich zu behandelnde Fälle zu unterscheiden. a) Der Thäter nimmt irrigerweise an, dafs eine im allgemeinen rechtswidrige Handlung ü b e r h a u p t nicht rechtswidrig sei. Der Wucherer weifs nicht, dafs das Wuchergesetz seine Handlungsweise unter Strafe gestellt hat; der Bordellwirt meint, durch die polizeiliche Genehmigung geschützt zu sein. •) Das Wahnverbrechen wird vielfach mit dem untauglichen Versuch verwechselt; so von Berner 87, Merkel 130, Schaper HH. 2 121; vgl. oben § 39 Note 2. Richtig Binding 1 692, Loiting 19, Schütze 99, Häberlin GA. 13 237, Baumgarten 359, Kohler Studien 1 14, van Hamel\ 164. Verschieden von dem Wahnverbrechen ist der V e r b r e c h e r w a h n , bei welchem der Thäter die Rechtswidrigkeit seiner Handlung kennt, aber, vermeintlich höheren Pflichten gehorchend, sich bewufst über die Rechtsordnung hinwegsetzt. Auch der Verbrecherwahn bleibt, aber aus andern Gründen, ohne Einflufs auf die Beurteilung der That. Vgl. Mil.StGB. § 48: „Die Strafbarkeit . . . ist dadurch nicht ausgeschlossen, dafs der Thäter nach seinem Gewissen oder den Vorschriften seiner Religion sein Verhalten für geboten erachtet hat."
154
§ 41-
Die Fahrlässigkeit.
Diese Handlungen sind trotz dieses Irrtums Verbrechen, wie sie es ohne diesen Irrtum wären. b) Der Thäter nimmt irrigerweise an, dafs die von ihm als im allgemeinen rechtswidrig erkannte Handlung unter eine jener A u s n a h m e n falle, in welchen die Rechlswidrigkeit ausgeschlossen ist. Der Thäter glaubt sich in Notstand oder einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffe gegenüber zu befinden oder Träger eines Zuchtigungsrechts zu sein. Es liegt kein Grund vor, diese Fälle anders zu behandeln als die unter a besprochenen. 7 ) Auch hier also mufs der Irrtum einflufslos bleiben.
§ 41.
Die Fahrlässigkeit.
L i t t e r a t u r . v. Bar bei Griinhut 3 21. v. Prittwitz GA. 30 145. Wahlberg Klein. Schriften 3 268. Bruck Zur Lehre von der Fahrlässigkeit im heutigen deutschen Strafrecht 1885 ; dazu Birkmeyer Krit. VJSchrift Neue Folge 10 587 und dagegen wieder Bruck GA. 36 420. — Kühner Die Kunstfehler der Ärzte vor dem Forum der Juristen 1886. Ortlojf Die strafbare Fahrlässigkeit bei Ausubung der Heilkunst 1888. Moreau La responsabilité médicale 1891. I. Der Begriff der Fahrlässigkeit hat sich als a l l g e m e i n e r Begriff auf dem Gebiete des Strafrechts erst allmählich und langsam entwickelt. E i n z e l n e fahrlässige Verbrechen sind es gewesen — so die fahrlässige Tötung —, welche Wissenschaft und Rechtsprechung zumeist beschäftigten. So kann es uns nicht wunder ' nehmen, dass die Entwicklung noch immer nicht abgeschlossen ist, dafs der einheitliche Begriff den romanischen Rechten fremd geblieben ist und dafs noch in unserm geltenden Rechte sich verschiedene Entwicklungsstufen nebeneinander vertreten finden. Wenn z. B. § 17 des Impfgesetzes vom 8. April 1874 sagt: „Wer bei Ausführung einer Impfung fahrlässig handelt, wird usw.", so handelt es sich um einen durchaus andern Begriff der Fahrlässigkeit als bei der fahrlässigen Tötung. Bei dieser mufs nicht nur das Verhalten , sondern auch der durch dieses herbeigeführte Erfolg von der Schuld umfafst sein. Mit andern Worten : Der heutige Begriff des fahrlässigen Vergehens (der aber auch in der Reichsgesetzgebung noch nicht vollständig durchgeführt erscheint) beruht darauf, dafs der eingetretene Erfolg nicht als Bedingung der Strafbarkeit (unten § 43), sondern als Teil der Handlung selbst aufgefafst wird. Erst damit tritt die Fahrlässigkeit als zweite Schuldart 7 ) Dagegen die gemeine Meinung. Insbesondere Bindtng 1 751, Normen 2 69, janka 120, v. Meyer 197, 221, v. Wächter 179, Ziebarth 343; richtig v. Bar GS. 3 8 257, Heitz Vorsatz 38. Das Reichsgericht will zum Teil, entgegen der sonst von ihm grundsätzlich festgehaltenen Auffassung (oben Note 3), auch hier zwischen That- und Rechtsirrtum unterscheiden (oben § 39 Note 3). Ähnlich der beachtenswerte Lösungsversuch Lojflers bei Grunhut 20 774 (ebenso Frank Z 14), der die Vorstellung des Thäters über die thatsächliche Sachlage (irrige Annahme eines gegenwärtigen Angriffs) für mafsgebend erklärt. Aber, ganz abgesehen von der Undurchfuhrbarkeit dieses Satzes, vermag ich mich von der Anschauung nicht loszusagen, dafs, wer in vermeintlicher Notwehr einen Menschen tötet, für die Folgen seines Irrtums aufzukommen hat.
§ 41-
D i e Fahrlässigkeit.
neben den Vorsatz. Dieser entwickelte Begriff des heutigen Rechts wird im folgenden zu Grunde gelegt.
II. F a h r l ä s s i g k e i t ist die p f l i c h t w i d r i g e N i c h t kenntnis der verursachenden Bedeutung des T h u n s o d e r U n t e r l a s s e n s . Pflichtwidrig ist die Nichtkenntnis, wenn der Thäter sie hätte erlangen s o l l e n und können. Fahrlässige Handlung ist mithin die Verursachung oder N i c h t h i n d e r u n g eines nicht vorausgesehenen," aber voraussehbaren E r f o l g e s durch willkürliche YVillensbethätigung.]) Zum Begriff der Fahrlässigkeit gehört mithin ein doppeltes: 1. M a n g e l an V o r s i c h t bei der YVillensbet h ä t i g u n g , d. h. Aufserachtlassung der durch die Rechtsordnung gebotenen und nach L a g e der Umstände erforderlichen Sorgfalt. Das Mafs der Sorgfalt bestimmt sich dabei a l l g e m e i n nach der o b j e k t i v e n Natur der vorgenommenen Handlung, nicht nach der besondern Eigenart des Handelnden. Die Nichtanspannung der Aufmerksamkeit, die Nichterfüllung des Sollen, erscheint als eine W i l l e n s schuld. 2. M a n g e l a n V o r a u s s i c h t , d. h. es mufs dem Handelnden möglich gewesen sein, den E r f o l g als W i r k u n g der Körperbewegung (wenn auch nur in allgemeinen Umrissen) 2) vorherzusehen. Bei der Beurteilung dieser Frage sind die geistigen Fähigkeiten des H a n d e l n d e n , ist sein gröfserer oder geringerer Scharfblick zu Grunde zu legen. Der Mafsstab ist hier ein subjektiver, b e s o n d e r e r . Das geistige Können des einzelnen Thäters steht in Frage. Wird es bejaht, •dann erscheint der Mangel der Voraussicht als eine V e r s t a n d e s schuld. 3 ) ') Abweichend auch hier Binding Normen 2 115, welcher die Fahrlässigkeit bestimmt als den unbewufst rechtswidrigen W i l l e n . Vgl. oben § 40 Note I. — Es ist dabei vor einem naheliegenden Mifsverständnis zu warnen. W e n n der Gesetzgeber das Merkmal der Rechtswidrigkeit in den Begriff eines Verbrechens aufnimmt (oben § 40 Note 2), so kann nicht etwa bei schuldhafter Nichtkenntnis der Rechtswidrigkeit fahrläsige Begehung des Deliktes angenommen werden (wie das Olshausen und andre thun). Durch das ausnahmsweise im Einzelfall erforderliche Bewufstsein der Rechtswidrigkeit werden die Begriffe weder des Vorsatzes noch der Fahrlässigkeit berührt. Anders natürlich vom Standpunkte Bindings. Vgl. auch Frank Z 14. a ) R 18. Februar 89 19 51.
I56
§ 41-
Die Fahrlässigkeit.
III. Die Fahrlässigkeit beruht mithin auf einem Irrtum über die den Erfolg verursachende oder nichthindernde Bedeutung der Willensbethätigung. Darin liegt ihr Unterschied vom Vorsatze. Aber jener Irrtum und dieser Mangel begründen die Annahme der Fahrlässigkeit nur dann, wenn sie hätten vermieden werden können und sollen. Darin liegt der Unterschied der Fahrlässigkeit vom Zufall. Der I r r t u m wird mithin die Fahrlässigkeit nur dann ausschliefsen, wenn er ein unvermeidbarer war, wenn es dem Thäter nach seiner Veranlagung unmöglich war, die Vorstellung von der Bedeutung seiner Willensbethätigung zu gewinnen. Nicht mehr als diesen aus dem Wesen der Fahrlässigkeit folgenden Satz enthält der § 59 Abs. 2 StGB., nach welchem „Thatumstände, welche der Thäter nicht kannte, ihm bei Bestrafung fahrlässig begangener Handlungen insoweit nicht zugerechnet werden sollen, als die Unkenntnis selbst n i c h t durch Fahrlässigkeit verschuldet ist". IV. Alle Vorschriften der Rechtsordnung sind an sich der fahrlässigen Übertretung fähig. Aber nicht jede fahrlässige Übertretung wird von dem geltenden Rechte mit Strafe belegt. Es bildet im Gegenteile nach Reichsrecht die Bestrafung fahrlässiger Vergehen eine A u s n a h m e , die nur dann als gegeben anzunehmen ist, wenn der Wille, auch die fahrlässige Übertretung zu bestrafen, ausdrücklich im Gesetze ausgesprochen oder aus dem Zusammenhange der gesetzlichen Bestimmungen mit Sicherheit zu entnehmen ist. V. Zum Vorsatz ist Vorstellung s ä m t l i c h e r unter den 5 ) Mit dem unter I und 2 Gesagten erledigt sich die alte Streitfrage, ob der Mafsstab für die Fahrlässigkeit ein allgemeiner oder besonderer, ein objektiver oder subjektiver, ob die Fahrlässigkeit ein Willensfehler oder ein Verstandesfehler sei, durch den Hinweis auf die beiden gleichwertigen Elemente des Begriffs. Die im Text vertretene Ansicht (Unterscheidung von „Vorsicht" und „Voraussicht") teilt auch R in einer Reihe von Entscheidungen, zuletzt 14. Februar 87 15 345. Ebenso auch Olshausen § 59 17, Schmidt Strafbarer Bankbruch 1893 S. 192. *) Vgl. R 11. Juni 91 22 43. Das StGB, bedroht die fahrlässige Begehung mit Strafe a u s d r ü c k l i c h in folgenden Fällen: StGB. §§ 220 und 230 Tötung und Körperverletzung; §§ 121 und 347 Entweichenlassen von Gefangenen; § 163 Falscheid; § 259 Partiererei; §§ 309, 3 1 1 , 314, 316, 318, 326, 329 Gemeingefährliche Verbrechen; § 345 Vollstreckung einer nicht zu vollstreckenden Strafe. Dazu treten verschiedene Nebengesetze. Über das Militärstrafrecht vgl. Hecker 96.
§ 41 • Die Fahrlässigkeit.
157
Verbrechensbegriff fallender Thatumstände (mit Einschlufs des Erfolges) erforderlich. Fehlt auch nur eins dieser Begriffsmerkmale in der Vorstellung, so ist der Vorsatz ausgeschlossen und es kann Fahrlässigkeit vorliegen. Genan betrachtet würden .daher jedem e i n z e l n e n vorsätzlichen Verbrechen begrifflich ebensoviele fahrlässige Vergehen entsprechen, als jenes Verbrechen Begriffsmerkmale hat; und nichts würde den Gesetzgeber hindern, nur eins oder das andre der fahrlässigen Vergehen mit Strafe zu belegen, die übrigen aber straffrei zu lassen. So würden der vorsätzlichen Tötung eines Menschen zwei Fälle des fahrlässigen Vergehens entsprechen: 1. Der Thäter weifs, dais er tötet; aber nicht, dafs er einen Menschen yor sich hat. 2. Er weifs, dafs er gegen einen Menschen handelt, aber nicht, dafs er tötet. Die Gesetzgebung hat von der Möglichkeit dieser Unterscheidung im allgemeinen keinen Gebrauch gemacht. Die fahrlässige Tötung des RStGB. umfafst beide Fälle. Wohl aber ist es geschehen bezüglich der Sachhehlerei in § 259 StGB, (siehe Besondern Teil). VI. G r a d e d e r F a h r l ä s s i g k e i t . Das geltende Recht hat in zwei Fällen die Fahrlässigkeit als eine schwere dann behandelt, wenn der l'hâter zu der von ihm aufser acht gelassenenen Sorgfalt „vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet war" (StGB. §§ 222 und 230 Tötung und Körperververletzung). Hierher würden die sogenannten „ ä r z t l i c h e n K u n s t f e h l e r " zu rechnen sein, deren Beurteilung durchaus nach den allgemeinen Grundsätzen zu erfolgen hat. 6 ) 6 ) Durchaus unhaltbar ist die Einteilung in b e w u f s t e und u n b e w u f s t e Fahrlässigkeit, wie diese von der herrschenden Ansicht seit Feuerbach (besonders durch Berner) vertreten wird. Danach wäre b e w u f s t e Fahrlässigkeit (luxuria, Geilheit) als schwererer Fall anzunehmen, wenn der Thäter trotz der Vorstellung von der Möglichkeit des Erfolges (siehedagegen obenS. 145) handelte; u n b e w u f s t e Fahrlässigkeit als leichterer Fall, wenn er die Vorstellung von der Möglichkeit des Erfolges nicht hatte. Vgl zuletzt v. Meyer 224. Danach würde also der umsichtige Thäter, welcher die entfernten Folgen ängstlich zuvor erwägt und nach sorgfältiger Prüfung die Kausalität ablehnt, ungleich strenger behandelt als der gedankenlose Bummler Richtig Rinding Normen 2 121, v. Buri Teilnahme 27, Bruck 16, Wahlberg 283, Hälschner 1 317, Löning 44.
§ 42.
IS«
§ 42.
Die Verschuldung bei Prefsvergehen.
Die Verschuldung bei Prefsvergehen.
Litteratur. v. Liszt Das deutsche Reichsprefsrecht §§ 47—52. Derselbe HR. „Prefsstrafrecht" und „Redakteur", v. Schwarze Kommentar 2. Aufl. 1885. Berner Lehrbuch des deutschen Prefsrechts 1876. Honigtnann Die Verantwortlichkeit des Redakteurs nach dem Reichsgesetz über die Presse 1885. Baumgarten Z 5 491. L'oning Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs 1889. Ötker Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs 1893. Rehm HSt. 5 266. v. Bülow GA. 40 241. Jolly WV. 2 299, 301. I. Die in den vorhergehenden Paragraphen entwickelten Grundsätze finden zunächst auch auf P r e f s v e r g e h e n Anwendung, d. h. auf diejenigen strafbaren Handlungen, deren Wesen in dem Mifsbrauche des Rechts der freien Meinungsäufserung durch Verbreitung von Druckschriften besteht. Demgemäfs bestimmt § 20 Abs. I des Prefsgesetzes vom 7. Mai 1 8 7 4 : ' ) „Die Verantwortlichkeit für Handlungen, deren Strafbarkeit durch den Inhalt einer Druckschrift begründet wird, bestimmt sich nach den bestehenden allgemeinen Strafgesetzen." Aber diese allgemeinen Grundsatze reichen den Prefsvergehen gegenüber nicht aus. Abgesehen von andern Gründen (man denke z. B. an die Anonymität der Presse) bewirkt die Umgestaltung, welche der Gedanke durch seine Drucklegung erfahrt, und das damit gegebene eigenartige Zusammenwirken einer Reihe von Personen (Verfasser, Herausgeber, Redakteur, Verleger, Drucker, Verbreiter), dafs den Prefsvergehen gegenüber eine E r g ä n z u n g d e r a l l gemeinen Grundsätze über Verschuldung durch Sonderbestimm u n g e n unerläfslich wird, soll nicht die Strafverfolgung in den meisten und wichtigsten Fällen an juristischen Schwierigkeiten scheitern. Die Gesetzgebung aller Länder ist daher seit langem bemuht, derartige Sonderbestimmungen aufzustellen, welche eine rasche und entschiedene Strafverfolgung sichern, ohne den thatsächlichen Verhältnissen Zwang anzuthun. Das Reichsprefsgesetz hat diesen Bestrebungen Rechnung getragen, indem es die allgemeinen Grundsätze nach zwei Richtungen hin durch Bestimmungen ergänzt, welche jedoch, obwohl gut gemeint, an einer bedenklichen, die Sicherheit der Rechtsprechung arg gefährdenden Unklarheit leiden. II. Von dem Gedanken ausgehend, dafs die Persönlichkeit des Redakteurs der von diesem geleiteten Druckschrift ihr eigenartiges Wesen erteilt, ergänzt das Reichsprefsgesetz nach dem Vorbilde anderer Gesetzgebungen die ') Das Reichsprefsgesetz gilt nicht in Elsafs-Lothringen. — Den Begriff der D r u c k s c h r i f t bestimmt § 2. Es gehören hierher „alle Erzeugnisse der Buchdruckerpresse, sowie alle anderen, durch mechanische oder chemische Mittel bewirkten, zur Verbreitung bestimmten Vervielfältigungen von Schriften und bildlichen Darstellungen mit oder ohne Schrift, und von Musikalien mit Text oder Erläuterungen". Dazu Gesetz vom 12. März 1884: „Stimmzettel, welche im Wege der Vervielfältigung hergestellt sind und nur die Bezeichnung der zu wählenden Personen enthalten, gelten nicht als Druckschriften im Sinne der Reichs- und Landesgesetze." — P e r i o d i s c h e Druckschriften sind nach § 7 solche Zeitungen oder Zeitschriften, welche in monatlichen oder kürzeren, wenn auch unregelmäfsigen Fristen erscheinen.
§ 42-
Die Verschuldung bei Prefsvergehen.
159
allgemeinen Grundsätze über Verschuldung zunächst durch die A u f n a h m e d e r H a f t u n g d e s R e d a k t e u r s . § 20 Abs. 2 bestimmt: „Ist die Druckschrift eine periodische, so ist der verantwortliche Redakteur als Thäter zu bestrafen, wenn nicht durch besondere Umstände die Annahme seiner Thaterschaft ausgeschlossen wird." 5 ) V e r a n t w o r t l i c h e r R e d a k t e u r aber ist diejenige Person, welche I. auf der betreffenden Nummer der Zeitung oder Zeitschrift als solcher genannt ist und 2. zur Oberaufsicht über den Gesamtgang der Redaktionsgeschäfte in Bezug auf die etwaige strafrechtliche Bedeutung des Inhaltes der betreffenden Nummer bestellt war. § 20 Abs. 2 kann demnach keine Anwendung finden, wenn eines dieser beiden Erfordernisse fehlt; wenn also entwederderthatsächlichdie Oberaufsicht in der angegebenen Richtung fuhrende Redakteur auf der betreffenden Nummer als solcher n i c h t b e z e i c h n e t ist, oder aber wenn die als verantwortlicher Redakteur bezeichnete Person thatsächlich d i e O b e r a u f s i c h t in der angegebenen Richtung bezüglich der betreffenden Nummer n i c h t g e h a b t hat. 3 ) Es kann in beiden Fällen nur wegen Nichtbefolgung des § 7 Prefsgesetzes nach §§ 18 und 19 Bestrafung eintreten. Dem verantwortlichen Redakteur gegenüber stellt nun das Gesetz die V e r m u t u n g s e i n e r T h a t e r s c h a f t bezüglich der durch den Inhalt der Druckschrift begangenen strafbaren Handlungen auf. Diese Vermutung kann nur widerlegt werden durch den vom Angeklagten erbrachten Nachweis oder die vom Gericht von Amts wegen erfolgte Feststellung, dafs „besondere Umstände" vorliegen, durch „welche die Annahme der Thaterschaft ausgeschlossen wird". Solche besonderen Umstände sind nur dann anzuerkennen, wenn auch bei pflichtgetreuer Anwendung der erforderlichen Aufmerksamkeit dem Redakteur die Strafbarkeit des Inhaltes der Druckschrift entgehen konnte; z. B. weil die in der Druckschrift enthaltene Beleidigung nur bei Kenntnis besonderer thatsächlicher Verhältnisse erkennbar war oder weil der Setzer oder sonst jemand willkürliche Veränderungen in dem redigierten Artikel vorgenommen hat.4) III. Das Reichsprefsgesetz hat aber weiter das S y s t e m d e r F a h r lässigkeitsstrafen, verbunden mit dem sogenannten b e l g i s c h e n 2 ) Vgl. Prefsgesetz § 8 über die vom Gesetze geforderten Eigenschaften des verantwortlichen Redakteurs. Dafs der Grundgedanke des Gesetzes gröfsern Zeitungen gegenüber nicht zutrifft, wird heute wohl allgemein zugegeben. — Die Anwendbarkeit des § 20 Abs. 2 des Prefsgesetzes ist ausgeschlossen in dem Falle des § 24g d Abs. 4 Handelsgesetzbuch (Fassung vom 18. Juli 1884). 3 ) Die Ansichten gehen weit auseinander. Vgl. die Übersicht bei Frank ^ ' 2 353. I. Nach Schwarze und Loning entscheidet die Benennung; 2. nach Ilonigmann die thatsächliche Oberaufsicht; 3. nach R, insbes. 22 April 87 16 16, 24. Juni 90 21 23, genügt das eine oder das andre; 4. meiner Ansicht nähern sich Ötker und v. Bülow, nur dafs sie die Oberaufsicht gerade über die betreffende Nummer nicht verlangen. Die Ansichten unter I und 3 fuhren zur rechtlichen Anerkennung der beliebten Einrichtung der „Sitzredakteure". 4 ) Übereinstimmend im wesentlichen der Beschlufs der ver. Strafsenate 6. Juni 91 22 65. Ferner R 17. November 91 22 221. — Eigenartig, aber nicht überzeugend, Ötker: es liege ein Fall der von ihm sog. „Garantenhaftung" vor, also nicht blofse Schuldvermutung.
i6o
§ 43.
Unrecht und Verbrechen.
S y s t e m d e r s t u f e n w e i s e n V e r a n t w o r t l i c h k e i t , zur Ergänzung der allgemeinen Grundsätze herangezogen. Wenn die bei der Herstellung und Verbreitung einer Druckschrift strafbaren Inhaltes beteiligten Personen deren Inhalt nicht mit der erforderlichen Aufmerksamkeit geprüft haben oder nicht wenigstens durch die Nennung ihres Vormannes den Nachweis mangelnden eignen Verschuldens erbringen können, so werden sie w e g e n d i e s e r i h r e r F a h r l ä s s i g k e i t zur Verantwortung gezogen. 4 ) Von diesem Gedanken geht § 21 aus, indem er bestimmt: „Begründet der Inhalt einer Druckschrift den Thatbestand einer strafbaren Handlung, so sind 1. der verantwortliche Redakteur; 2. der Verleger; 3. der Drucker; 4. derjenige, welcher die Druckschrift gewerbsmäfsig vertrieben oder sonst öffentlich verbreitet hat (Verbreiter), soweit sie nicht nach § 20 als Thäter oder Teilnehmer zu bestrafen sind, wegen Fahrlässigkeit mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Haft oder mit Festungshaft oder Gefängnis bis zu.einem Jahre zu belegen, wenn sie nicht die Anwendung der pflichtgemäfsen Sorgfalt oder Umstände nachweisen, welche diese Anwendung unmöglich gemacht haben. Die Bestrafung bleibt jedoch für jede der benannten Personen ausgeschlossen, wenn sie als den Verfasser oder den Einsender, mit dessen Einwilligung die Veröffentlichung geschehen ist, oder, wenn es sich um eine nicht periodische Druckschrift handelt, als den Herausgeber derselben, oder als einen der in obiger Reihenfolge vor ihr Benannten, eine Person bis zur Verkündung des ersten Urteils nachweist, welche in dem Bereich der richterlichen Gewalt eines deutschen Bundesstaats sich befindet, oder, falls sie verstorben ist, sich zur Zeit der Veröffentlichung befunden hat; hinsichtlich des Verbreiters ausländischer Druckschriften aufserdem, wenn ihm dieselben im Wege des Buchhandels zugekommen sind."
IV. Das Verbrechen als strafbares Unrecht. § 43.
Unrecht und Verbrechen.
Litteratur. Ü b e r b ü r g e r l i c h e s u n d p e i n l i c h e s U n r e c h t : Merkel Kriminalistische Abhandlungen 1 1867. v. Ihering Das Schuldmoment im römischen Privatrecht 1867. Derselbe Der Zweck im Recht 1 (2. Aufl.) 490. v. Bar Die Grundlagen des Strafrechts 1869. Heinze HH. 1 321. Binding Normen 1 255, 426. Hälschner 1 15. v. Liszt Die Grenzgebiete zwischen Privatrecht und Strafrecht 1889 (insbes. S. 25). Heinemann Die Bindingsche Schulde ) In Wirklichkeit handelt es sich mithin nach der Auffassung des Gesetzes um die f a h r l ä s s i g e B e g e h u n g d e r d u r c h d e n I n h a l t d e r D r u c k s c h r i f t b e g r ü n d e t e n s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n ; v.Liszt Prefsrecht § 47 in, § 52. Meiner Ansicht haben sich angeschlossen Honigmann, Bruck Fahrlässigkeit 59, v. Kries 203. Dagegen Thomsen Bekämpfungsmethoden 1893 S. 13, Löning Haftung des Redakteurs 270 und R 2. Februar 86 t3 319; insbesondere aber Ötker (Haftung für fremdes Delikt, „Deliktsgarantie", nicht, wie im belgischen Recht, Strafgarantie).
§ 43-
Unrecht und Verbrechen.
161
lehre 1889, insbes. S. 15. — Ü b e r d i e B e d i n g u n g e n d e r S t r a f b a r k e i t : Francke GA. 20 33. Binding 1 588. v. Meyer 348. Merkel 236. John 1 127. Glaser 2 46. Bennecke 9. v. Kries 463. Heltweg Strafprozefs 249. Eisler bei Grünhut 17 592. Niemeyer Strafbarer Bankerott 1892 S. 126. Hausmann Die Beleidigung gesetzgebender Versammlungen und politischer Körperschaften und die rechtliche Natur der Ermächtigung 1892.
I. Die bisher entwickelte Begriffsbestimmung des Unrechts als der schuldhaften rechtswidrigen Handlung beansprucht Geltung für die sämtlichen Rechtsgebiete. Aber von allen anderen Arten des Unrechts hebt sich das p e i n l i c h e Unrecht, das Verbrechen, scharf ab durch seine eigenartige Rechtsfolge, die Strafe. Es fragt sich, worin dieser Unterschied von den übrigen Unrechtsarten, diese Eigenart des Verbrechens begründet sei. Fast könnte es scheinen, als ob eine bestimmte und grundsätzliche Antwort auf diese Frage unmöglich wäre, wenn wir uns erinnern, dafs die Grenzlinie nach Zeit und Ort wechselt, dafs jedes Volk sie anders zieht, dafs jede Stufe in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit neue Verbrechen schafft und alte verschwinden läfst. Genauerer Betrachtung enthüllt sich aber in der Flucht der Erscheinungen der gemeinsame und bleibende Grundgedanke. Gerade in der Auszeichnung des peinlichen Unrechts offenbart sich die k r i m i n a l p o l i t i s c h e A u f f a s s u n g , der mehr oder weniger klar erkannte, mit gröfserer oder geringerer Folgerichtigkeit durchgeführte Z w e c k g e d a n k e in der Strafe. Als Mittel im staatlichen Kampfe gegen das Verbrechen wird die Strafe überall da, aber auch nur da, zur Anwendung gebracht, wo es dem Staate notwendig zu sein scheint. Und wenn auch sonst die herrschende wissenschaftliche Richtung der kriminalpolitischen Auffassung verständnislos gegenüber steht, hier hat sich ihr seit Jahren die Macht der Thatsachen aufgedrängt. Ich spreche eine heute landläufige Meinung aus, wenn ich den Unterschied des peinlichen Unrechts von dem Privatdelikte dahin bestimme: V e r b r e c h e n ist d e r f ü r d i e g e g e b e n e R e c h t s o r d n u n g , nach Ansicht des Gesetzgebers, b e s o n d e r s g e f ä h r l i c h e A n g r i f f auf r e c h t l i c h g e s c h ü t z t e I n t e r e s s e n . ' ) ') Mit der heute gemeinen Meinung ist also daran festzuhalten, dafs das Verbrechen mit dem Privatdelikt alle Merkmale teilt, sich von diesem aber durch ein weiteres Merkmal unterscheidet. Abzulehnen ist mithin jeder Versuch, von L i s z t , Strafrecht. 6. Aufl.
II
162
§ 43.
Unrecht und Verbrechen.
Die Gefährlichkeit des Angriffes aber kan n liegen: 1. In d e m W e r t d e s a n g e g r i f f e n e n R e c h t s g u t e s . Dabei ist aber einerseits zu beachten, dafs der Wert desselben Rechtsgutes für verschiedene Gemeinwesen (Priesterstaat, Handelsstaat, unumschränkte Monarchie, demokratischer Freistaat usw.) ein sehr verschiedener sein kann; anderseits, dafs dort, wo wegen der Unersetzlichkeit des Rechtsgutes (Leben, Geschlechtsehre des Weibes usw.) die Rechtsfolgen des Privatrechts nicht ausreichen, die Bestrafung des Angriffes auch verschiedenen Zeiten und Völkern mit einer gewissen Gleichmäfsigkeit sich aufdrängen wird. Vor allem aber darf nicht vergessen werden, dafs der Kreis der rechtlich geschützten Interessen selbst (s. oben S. 49) in steter Entwicklung begriffen ist. 2. In d e r A r t d e s A n g r i f f e s . Zunächst kann die H ä u f i g k e i t des Angriffes, das Überhandnehmen gewisser Verbrechen (Fälschung von Nahrungsmitteln, Umsturzbewegungen, Wucher usw.), die Gesetzgebung veranlassen, in ihren mehr oder weniger strengen Strafdrohungen ein genügendes Gegengewicht zu schaffen. Dann aber kann das M i t t e l des Angriffes, insbesondere der M i f s b r a u c h s t a a t l i c h e r E i n richtungen sowie menschlicher Entdeckungen u n d E r f i n d u n g e n zur Bekämpfung staatlicher und gesellschaftlicher Zwecke, die Strafgesetzgebung des Staates wachrufen. Hierher gehören die wichtigsten und schwierigsten Verbrechensgruppen: die sog. Fälschungsverbrechen, bei welchen die staatlichen Geld- und Wertzeichen oder die von der Rechtseinen tiefer greifenden, die Einheit des Unrechtsbegriffes selbst aufhebenden, Unterschied aufstellen zu wollen. Unter diesen Versuchen nehmen diejenigen Hegels und seiner Schule den ersten Platz ein. Hegel bestimmt das peinliche Unrecht als das b e w u f s t e , das bürgerliche als das u n b e w u f s t e . Die von ihm weiter angenommene Mittelstufe des B e t r u g e s mufste als durchaus unhaltbar schon von seinen Anhängern aufgegeben werden. Aber auch jene Zweiteilung widerspricht, wie namentlich Merkel schlagend nachgewiesen hat, unleugbaren Thatsachen des Rechtslebens: dem kulposen Verbrechen einerseits, dem zivilrechtlichen Dolus anderseits. Auch die fortgesetzten Bemühungen Hälschners, vom Hegelschen Standpunkte aus zu einer haltbaren Fassung des Unterschiedes zu gelangen, müssen als gescheitert betrachtet werden. — Neuerdings ist Binding (vgl. oben § 12 Note 2) durch seine rein aprioristische Auffassung der „Norm" dazu gedrängt worden, den „einheitlichen Unrechtsthatbestand" zu leugnen. Nach ihm ist der Kern des Verbrechens das Delikt und dieses als „Verletzung' des Rechts auf Botmäfsigkeit" eine Unterart des „öffentlichen Unrechts".
§ 43-
Unrecht und Verbrechen.
i63
Ordnung mit Beweiskraft ausgestatteten Beglaubigungsformen zu rechtswidrigen Zwecken mifsbräuchlich verwendet werden, ebensogut wie die gemeingefährliche Entfesselung der Naturkräfte, von der schon von den Römern bedrohten Durchstechung der Nildämme angefangen bis zur verbrecherischen Verwertung von Dynamit und Nitroglycerin. II. Als allgemeine Voraussetzung fiir die Entstehung des staatlichen Strafanspruchs ist mithin unbedingt erforderlich, aber meist auch genügend, d i e B e g e h u n g d e r m i t S t r a f e b e drohten, schuldhaften, rechtswidrigen Handlung. Fehlt die Rechtswidrigkeit der That oder die Zurechnungsfähigkeit des Thäters oder die Zurechenbarkeit des Erfolgs, so gelangt ein staatlicher Strafanspruch überhaupt nicht zur Entstehung. Man spricht in diesen Fällen, wenig bezeichnend, von dem Vorliegen eines S t r a f a u s s c h l i e f s u n g s g r u n d e s . Verschieden von diesen sind jene Fälle, in welchen der Gesetzgeber wegen der Persönlichkeit des Thäters d i e s e m gegenüber, aber auch n u r i h m gegenüber, von der Bestrafung absieht, während er die That im übrigen als strafbar betrachtet. Ich nenne sie „ p e r s ö n l i c h e Strafausschliefsungsg r ü n d e " . Hierher gehören StGB. §§ 173 (Blutschande: Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie, welche das 18. Lebensjahr nicht erreicht haben), 2 ) 257 (Persönliche Begünstigung, gewährt von einem Angehörigen), 247 (Diebstahl oder Unterschlagung, begangen von Verwandten aufsteigender Linie oder von Ehegatten), 209 (Kartellträger usw. beim Zweikampf). Und völlig abweichende Bedeutung haben die S t r a f a u f h e b u n g s g r ü n d e , d. h. diejenigen Umstände, welche, n a c h begangener That eintretend, den entstandenen Strafanspruch wiederbeseitigen (unten § 74). Dennoch fafst die StPO. (§ 262) alle diese verschiedenen Fälle, mit Ausnahme der Verjährung, unter der völlig irreleitenden Bezeichnung „Umstände, w e l c h e die S t r a f b a r k e i t a u s s c h l i e f s e n , " zusammen. III. In einer Reihe von Fällen hat aber der Gesetzgeber s ) Ebenso Olshatisen § 173 5. Abweichend R 23. September 89 19 391. Danach wäre, im Gegensatze zur herrschenden Ansicht, der Jugendliche nicht strafloser Teilnehmer, sondern Objekt der Handlung. Vgl. Frank Z 12 303. II*
164
§ 43- Unrecht und Verbrechen.
den Eintritt seiner Strafdrohung abhängig gemacht von dem Vorliegen ä u f s e r e r , v o n der r e c h t s w i d r i g e n H a n d l u n g s e l b s t u n a b h ä n g i g e r , zu i h r h i n z u t r e t e n d e r U m s t ä n d e . Ich bezeichne diese Umstände als B e d i n g u n g e n der S t r a f b a r k e i t im engeren Sinn.3) So ist die Strafbarkeit feindlicher Handlungen gegen befreundete Staaten bedingt durch die Verbürgung der Gegenseitigkeit (§§ 102 und 103); unterlassene Anzeige eines Verbrechens unterliegt der Strafe des § 139 nur dann, wenn das Verbrechen oder dessen strafbarer Versuch begangen worden ist; Aufreizung zum Zweikampf fallt unter § 210 nur, falls der Zweikampf stattgefunden hat; zur Strafbarkeit des Raufhandels ist erforderlich, dafs durch ihn der Tod eines Menschen oder eine schwere Korperverletzung verursacht worden ist (§ 227); die Zahlungseinstellung ist Bedingung der Strafbarkeit beim Bankbruch (§§ 209 ff. KO.); der Ehebruch ist nur strafbar, wenn wegen desselben die Ehe geschieden ist (§ 172); die Strafbarkeit des Ehebetruges ist bedingt durch die Auflosung der Ehe (§ 170).4) In allen diesen Fällen ist daran festzuhalten, dafs die Bedingungen der Strafbarkeit ä u f s e r e Umstände sind, die mit der verbrecherischen Handlung selbst und deren einzelnen Bestandteilen n i c h t s zu t h u n h a b e n , vielmehr durchaus g e t r e n n t von dieser ins Auge gefafst werden müssen. Aus diesem Grundsatze ergiebt sich eine Reihe wichtiger Folgesätze. 1. Da die Schuld als Vorsatz wie als Fahrlässigkeit lediglich in der Beziehung des Vorstellungslebens zum Erfolg d e r H a n d l u n g besteht, umfafst sie nicht die a u f s e r h a l b der Handlung liegenden Bedingungen der Strafbarkeit. 2. Wenn und solange die vom Gesetz aufgestellte Bedingung der Strafbarkeit fehlt, kann weder von Vollendung noch auch von V e r s u c h des betreffenden Verbrechens die Rede sein. Wohl aber ist Versuch dann anzunehmen und nach dem herabgesetzten Strafrahmen des § 44 StGB, zu bestrafen, wenn die Bedingung der Strafbarkeit vorliegt, die Handlung selbst aber nicht bis zur Vollendung gediehen oder fehlgeschlagen ist. 3. Wenn und solange die Bedingung der Strafbarkeit fehlt, i s t a u c h die E n t s t e h u n g des s t a a t l i c h e n S t r a f a n s p r u c h e s u n m ö g l i c h , ist die Handlung eben k e i n e s t r a f b a r e im Sinne des Gesetzes. a) Daher kann auch vor Eintritt der Bedingung (z. B. der rechtskräftigen Scheidung der Ehe im Falle des § 172 StGB.) weder die Verfolgung einges ) Vgl. Binding Normen 1 232, v. Meyer 305 Note II, van Hamel 1 202. Verschieden von diesen Fällen sind diejenigen, in welchen der Eintritt eines schweren Erfolges Voraussetzung für die Verhängung einer strengeren Strafe ist. Vgl. oben § 35 Note 6. Hier ist die Handlung strafbar, auch wenn der schwerere Erfolg nicht eintritt. Die unter III im Texte aufgestellten Sätze finden daher hier nur eingeschränkte Anwendung. 4 ) Die letzten drei Beispiele sind bestritten. Binding 1 591 rechnet überhaupt nur 3 Fälle hierher: StGB. § 4 Ziff. 3, § 4 letzter Absatz, §§ 102 und 103.
§ 43-
Unrecht und Verbrechen.
leitet, noch auch nur der Antrag auf deren Einleitung mit rechtlicher Wirkung gestellt werden. Die Antragsfrist beginnt vielmehr beim Ehebruch erst mit der Kenntnis des Verletzten von der Rechtskraft des Scheidungsurteils zu laufen.5) b) Teilnahme an der Handlung und deren Begünstigung bleiben straflos, wenn die Bedingung der Strafbarkeit nicht eintritt. c) Falsche Anschuldigung liegt nicht vor, wenn nach Inhalt der Anzeige die nach dem Gesetze erforderliche Bedingung der Strafbarkeit fehlt. d) Polizeiliche Mafsregeln, wie Einziehung, Vernichtung, Unbrauchbarmachung von Gegenständen, sind unter der gleichen Voraussetzung unzulässig. Wenn aber die Bedingung eintritt, dann wird ihre Wirkung zurückbezogen auf den Zeitpunkt der Begehung der Handlung; der Anspruch gilt als entstanden in dem Augenblicke der begangenen Handlung. Daher ist die Vornahme v o r b e r e i t e n d e r gerichtlicher oder polizeilicher Schritte auch vor Eintritt der Bedingung rechtlich durchaus möglich. 4. Soweit lediglich die B e g e h u n g d e r v e r b r e c h e r i s c h e n H a n d l u n g s e l b s t in Frage steht, bleiben die Bedingungen der Strafbarkeit aufser Betracht, da sie ja nicht als zu dieser gehörig betrachtet werden sollen. a) Für die Beurteilung des Z e i t p u n k t e s der Begehung sowie des T h a t o r t e s ist Zeit und Ort des Eintritts der Bedingung gleichgültig. b) Die V e r j ä h r u n g des Verbrechens beginnt ihren Lauf ohne Rücksicht auf den Eintritt der Bedingung.") c) B e g ü n s t i g u n g und nicht Teilnahme liegt vor, wenn dem Thäter vor Eintritt der Bedingung, aber nach Begehung der Handlung, Beistand geleistet wurde. 5. Zur urteilsmäfsigen Annahme einer Bedingung der Strafbarkeit ist nach § 262 StPO. Zweidrittelmehrheit erforderlich.
IV. Von den Bedingungen der Strafbarkeit sind nach Begriff und Wirkung streng zu scheiden die sogenannten P r o zefs Voraussetzungen (Strafklagevoraussetzungen nach Binding), d. h. die Voraussetzungen für die rechtliche Wirksamkeit der prozessualischen Handlungen überhaupt, insbesondere aber für die Geltendmachung des Anspruches. Dieser Begriff gehört ausschliefslich dem Strafprozefsrechte an. Er umfafst aufser Zuständigkeit des Gerichtes usw.: die Zurech') Ebenso auch, trotz der Annahme einer Prozefsvoraussetzung, die gemeine Meinung. So R 3. Januar 80 1 44, 23. März 80 2 62; Binding 1 643, Geyer 2 86, Olshausen § 172 9, Schütze 327. Dagegen u. a. Hälschner 1 719, 2 469, 473, v. Meyer 364, 983, Heinze HH. 2 629, Dochow HH. • 274, Fischer GS. 31 56, 32 496, Conrad GA. 35 17. Vgl. Besondern Teil (Ehebruch und Ehebetrug). 4 ) Dagegen R wiederholt; zuletzt 26. Juni 82 7 392. Dagegen auch Binding 1 838, Olskausen § 67 I I . Doch kann unter Umständen nach StGB. § 69 ein Ruhen der Verjährung eintreten (z. B. im Falle des § 172 StGB.).
§ 44.
i66
Der Antrag des Verletzten.
nungsfähigkeit des Beschuldigten nach der That (Prozefsfähigkeit); den Vorentscheid der Behörden oder Gerichte bei Verfolgung von Beamten (EG. zum G V G . § x i ) ; die Voraussetzungen, unter welchen gegen Mitglieder einer gesetzgebenden Versammlung während der Dauer einer Sitzungsperiode eine Strafverfolgung eingeleitet werden kann 7 ) (RVerf. Art. 3 1 ; EG. zur StPO. § 6 Ziff. 1) u. a. Ferner sind hierher 8 ) auch die sogenannten E r m ä c h t i g u n g s v e r g e h e n (StGB. §§ 99, 101, 197) zu rechnen. Die wichtigste Folgerung aus dieser Unterscheidung auf dem Gebiete des Strafprozefsrechtes besteht darin, dafs bei Mangel einer Bedingung der Strafbarkeit A b weisung des A n s p r u c h e s (Freisprechung mit anspruchvernichtender Wirkung), bei Mangel einer Prozefsyoraussetzung dagegen Abweisung der K l a g e (Einstellung ohne Vernichtung des Anspruches) einzutreten hat. § 44.
Der Antrag des Verletzten.
Litteratur. Fuchs Anklage und Antragsdelikte 1873. Reber Antragsdelikte 1873. Nessel Antragsberechtigungen 1873. v. Liszt GS. 29 187. v. Kirchenheim Die rechtliche Natur der Antragsdelikte 1877. Samuely GS. 32 1. Lehmann Zur Lehre vom Strafantrage 1881. — Über die Stellvertretung beim Strafantrage Bolze GS. 32 433. Herzog GS. 33 389. Holzapfel GA. 30 428. I. Während die PGO. nur in vier Fällen: Ehebruch, Entführung, Notzucht und Familiendiebstahl, die Verfolgung von Amts wegen ausschlofs und das gemeine Recht nur noch Beleidigung und Kindesunterschiebung hinzufügte, hat die neuere Gesetzgebung in einer rasch anschwellenden Zahl von Fällen die Strafverfolgung von dem Antrag des Verletzten abhängig gemacht. Auf die Reichsgesetzgebung übte auch hier das sächsische StGB, von 1868 einen bestimmenden Einflufs. Eine wesentliche, wenn auch noch nicht genügende, Einengung der Antragsberechtigung trat durch die Novelle vom 26. Februar 1876 ein 1 ) (oben § 10 IV). Die Antragsfälle des RStGB. sind: §§ 102, 103, 104 (Strafbare Handlungen gegen befreundete Staaten), 123 (Hausfriedensbruch), 170, 172, 179, 182 "*) Übereinstimmend v. A'ries Z 5 9; dagegen Weismann Z 9 414. Ebenso Bennecke 14, Birkmeyer Teilnahme 157, Hausmann 34 (mit Litt.); dagegen Binding 1 614, v. Meyer 351, Olshausen § 99 3, v. Risch GS. 36 252 Note 10. — Die Ermächtigung kann, im Unterschiede vom Antrage, niemals zurückgenommen werden. Im übrigen hat die Unterscheidung geringe praktische Bedeutung. ') Zu weit geht Binding 1 604, welcher die gänzliche Beseitigung des Antragserfordernisses verlangt. Gegen ihn mit Recht v. Meyer 353, Merkel 240. Der Fehler des Gesetzgebers liegt darin, dafs er die beiden Arten der Antragsvergehen nicht unterscheidet. Diesen Fehler hat aber auch Binding nicht vermieden. 6)
§ 44-
Der Antrag des Verletzten.
167
(Eheerschleichung, Ehebruch, Erschleichung des Beischlafs, Verführung eines jungen Mädchens), 189, 194—196, 232 (Beleidigung und Körperverletzung), 2361 237 (Entführung), 247, 263 (Diebstahl, Unterschlagung, Betrug gegen Angehörige), 288, 289, 292, 299, 300—303 (Fälle „strafbaren Eigennutzes" und Sachbeschädigung), 370 Ziff. 5 und 6 (Genufsmittel- und Futterdiebstahl). Dazu kommen noch zahlreiche Fälle in den Nebengesetzen. — Dagegen ist nach § 51 (127) Mil.StGB. die Verfolgung eines militärischen Verbrechens oder Vergehens unabhängig von dem Antrage des Verletzten oder einer andern zum Antrage berechtigten Person. II. Bei genauerer Betrachtung müfsten die Antragsvergehen in zwei nach Inhalt und Behandlung wesentlich voneinander verschiedene Gruppen zerlegt werden. ä ) 1. Gewisse Rechtsgüterverletzungen erscheinen nur dann als solche, sind nur dann für die öffentliche Rechtsordnung von Bedeutung, wenn der Verletzte sie als Verletzung empfindet und, dafs er dies thut, in vorgeschriebener bestimmter Form (durch den „Antrag" auf Verfolgung) erklärt. Die unzuchtige Berührung eines Mädchens kann von der Berührten als Liebkosung oder als tiefste Entehrung empfunden werden. Hier ist die Stellung des Antrages B e d i n g u n g d e r S t r a f b a r k e i t ; die Befristung des Antrages hat guten Grund; die Rücknahme müfste (etwa bis zu Beginn der Hauptverhandlung) gestattet, die Teilbarkeit ausgeschlossen sein; Fehlen des Antrages müfste Freisprechung mit endgültiger Erledigung der Strafsache zur Folge haben; die Berechtigungen mehrerer Verletzten wären voneinander unabhängig zu betrachten; bei Idealkonkurrenz mit einem von Amts wegen zu verfolgenden Verbrechen könnte dieses auch trotz mangelnden Antrages verfolgt werden usw. 2. Bei der zweiten Gruppe der Antragsfälle liegt die Sache durchaus anders. Man denke an die Notzucht, die bis zur Novelle von 1876 Antragsverbrechen war, oder an die Verführung eines bisher unbescholtenen, noch nicht sechzehnjährigen Mädchens (StGB. § 182). Hier ist das Interesse des Staates an der Verfolgung vom Anfange an gegeben; aber ihm steht das Interesse des Verletzten an der Nichtverfolgung (da die Untersuchung und Verhandlung der Sache, der ,,strepitus fori", für ihn nur eine neue und vielleicht die erste an Schwere übertreffende Verletzung wäre) schroff gegenüber. Und der Staat verzichtet dem Verletzten zuliebe auf die Geltendmachung seines Strafanspruches, solange der Verletzte nicht durch die Stellung des „Antrages" erklärt, dafs das bei ihm vom Staate vorausgesetzte Interesse im Einzelfalle nicht vorliege. Hier ist der Antrag nicht Bedingung der Strafbarkeit der That, sondern Voraussetzung der Geltendmachung des staatlichen Strafanspruches, mithin P r o z e f s 4 ) Im wesentlichen übereinstimmend Berner 320 Note I, v. Meyer 354, Merkel 239, Geyer Z 4 241 und bei Grünhut 2 378, Dochmv H H . 4 239, Holzapfel 433, Stoofs Grundzüge 1 278, Schmidt Staatsanwalt und Privatkläger 1 8 9 1 S. 42 Note I (mit Litt.). — Der Reichsgesetzgebung ist diese Unterscheidung (abgesehen von StPO. § 414) fremd geblieben; dagegen unterscheidet der ö s t e r r e i c h i s c h e StGEntwurf grundsätzlich richtig, wenn auch in wenig gelungener Durchführung, die beiden Gruppen. Ebenso der r u s s i s c h e Entwurf.
i68
§ 44.
Der Antrag des Verletzten.
T o r a u s s e t z u n g ; sein Mangel nicht Strafausschliefsungsgrund, sondern Hindernis der Strafverfolgung in dem eben (§ 43 IV).besprochenen Sinne; und die ganze Lehre von diesen Antragsvergehen würde gar nicht ins Strafrecht, sondern in das Strafprozefsrecht gehören. Die verschiedene grundsätzliche Auffassung würde dann auch bezüglich der oben unter I besprochenen Folgerungen in weitaus den meisten Punkten zu ganz anderen Ergebnissen führen.
III. N a c h g e l t e n d e m R e i c h s r e c h t mufs die S t e l l u n g d e s A n t r a g e s in allen Fällen als eine Bedingung der Strafverfolgung, nicht aber der Bestrafung, mithin als P r o z e f s v o r a u s s e t z u n g a u f g e f a f s t w e r d e n . 3 ) Mangel des Antrages hat Einstellung des Verfahrens, nicht Freisprechung des Angeklagten zur Folge. Die Lehre vom Antrage gehört mithin streng genommen ausschliefslich dem Prozefsrecht an. Das R S t G B . regelt das Antragserfordernis in folgender Weise: 1. B e r e c h t i g t z u r A n t r a g s t e l l u n g ist: a) In Ermangelung besonderer gesetzlicher Anordnung 4 ) der durch das Verbrechen V e r l e t z t e , genauer gesprochen: der Träger des durch die strafbare Handlung unmittelbar angegriffenen Rechtsgutes, so der Eigentümer bei der Sachbeischädigung, der Inhaber der befriedeten Räume beim Hausfriedensbruch usw. Doch mufs der Verletzte, um antragsberechtigt zu sein, das achtzehnte Lebensjahr zurückgelegt haben (StGB. S 65 Abs. 1). b) D e r g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r (bez. Vormund) s t a t t des Verletzten, wenn dieser noch nicht achtzehn Jahre alt, geisteskrank oder taubstumm ist, oder aber wenn eine Körperschaft verletzt wurde. (StGB. § 65 Abs. 2 und 3, StPO.
S 4I4-)
c) N e b e n dem Verletzten der g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r , wenn ersterer über achtzehn Jahre alt, aber noch minderjährig 3 ) Übereinstimmend das Reichsgericht; ferner Nessel 9, Samuely 19, v. Kries 10, Lehmann 16, Binding 1 610. — Als Bedingung der Strafbarkeit, mithin dem materiellen Recht angehörig, fassen den Antrag auf: Reber 57, Kohler Patentrecht 510, v. Kirchenheim 65, Geyer 1 205. — E i n e mittlere, sehr wenig klare Ansicht vertreten Hälschner\ 7 1 1 , Löning 69, v. Meyer 3 5 1 , 352, Olshausen § 61 I, Schütze 168 Note 6, Fuchs 33, Dochow H H . 4 2 4 2 , v. Risch Verjährung 11. *) StGB. § § 102, 103, 104, 170, 182, 189, 196, 288 usw.; § 28 Nachdrucksgesetz.
§ 44-
Der Antrag des Verletzten.
169
ist (StGB. § 65 Abs. 2), der G a t t e u n d V a t e r nach § 195 (232I, der a m t l i c h e V o r g e s e t z t e nach § 196 (232).®) Ist der gesetzliche Vertreter selbst der Thäter oder Teilnehmer, oder unterläfst er es in pflichtwidriger Weise, den Strafantrag zu stellen, so hat die Bestellung eines besondern Vertreters, also eines Vertreters zum Zwecke der Antragsstellung, zu erfolgen. 9 ) Mehrere Antragsberechtigungen, mögen diese mehreren Verletzten (so, wenn e i n Wort mehrere Personen beleidigt hat) oder aber dem Verletzten und den Nebenberechtigten zukommen, sind voneinander unabhängig. Wenn daher von den mehreren zum Antrage Berechtigten einer die dreimonatliche Frist versäumt oder den Antrag zurücknimmt, so wird hierdurch das Recht der übrigen nicht ausgeschlossen (StGB. $ 62). Ebenso sind auch mehrere wegen derselben strafbaren Handlung zur Erhebung der Privatklage berechtigte Personen bei Ausübung dieses Rechts voneinander unabhängig (StPO. § 415). Die Stellung des Antrages, d. h. die E r k l ä r u n g , die Verfolgung zu beantragen, kann auch im Auftrage des Berechtigten durch einen im Einzelfalle dazu bevollmächtigten S t e l l v e r t r e t e r erfolgen. Verschieden von der Vertretung in der E r k l ä r u n g ist die Vertretung im W i l l e n , d. h. in der Entschliefsung über die Stellung des Antrages. Auch diese mufs für zulässig erachtet werden, soweit die Wahrnehmung der durch das Antragsvergehen verletzten Interessen (insbesondere die Vermögensverwaltung) einem dritten übertragen worden ist.') 4 ) Zu beachten ist — besonders in prozessualischer Beziehung —, dafs auch bei mehrfacher Antragsberechtigung wegen derselben Rechtsverletzung es sich immer nur um e i n e strafbare Handlung, mithin auch nur um e i n e n Strafanspruch handelt, als dessen Träger ausnahmslos der Staat erscheint. 6 ) Die aufserdeutschen Gesetzgebungen haben hier in durchaus zweckmäfsiger Weise vielfach besondere Bestimmungen gegeben. — Die Antragsfrist des § 61 beginnt dann mit dem Tage, an welchem der Kurator in seiner amtlichen Stellung von der H a n d l u n g und der Person des Thäters Kenntnis erhält. Übereinstimmend Binding 1 630. Dagegen v. Meyer 364, Olshausen § 6 5 20. — Ebenso dann, wenn der von einem dritten Beleidigte geisteskrank, aber noch nicht entmündigt ist. ') Ebenso R, zuletzt 22. Februar 89 19 6, 8. Dezember 90 21 231, mit der gemeinen Meinung. Vgl. Olshausen § 61 17. Dagegen Binding 1 652, v. Meyer 369, Holzapfel 428, Herzog 408.
170
§ 44-
Der Antrag des Verletzten.
2. Das Antragsrecht ist b e f r i s t e t . Es erlischt (StGB. § 61), wenn der zum Antrage Berechtigte den Antrag nicht binnen drei Monaten stellt. Die Rügefrist läuft unabhängig von etwaiger thatsächlicher Verhinderung des Berechtigten an der Antragsstellung; 8 ) ihr Lauf beginnt mit dem Tage, an welchem der zum Antrage Berechtigte von der Handlung und von der Person des Thäters, bez. der Person auch nur e i n e s an der That beteiligten Thäters, 9 ) Kenntnis gehabt hat. Ebenso nach § 3 5 Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870. Die Frist ist demnach, wenn die Kenntnis z. B. am 12. Februar erlangt worden, mit Beginn des 12. Mai abgelaufen. Ist die Strafbarkeit der That von einer zu der Handlung hinzutretenden Bedingung abhängig, so beginnt die Antragsfrist erst mit dem Eintritte der Bedingung zu laufen (oben § 43 Note 6). 10 ) 3. Der Antrag ist u n t e i l b a r . Die Verfolgung findet nach StGB. § 63 gegen sämtliche an der Handlung Beteiligte (Thäter, Teilnehmer) sowie gegen den Begünstiger (StGB. § 257) statt, auch wenn nur gegen eine dieser Personen auf Bestrafung angetragen wurde; und die Rücknahme des Antrags gegen den einen hat Einstellung des Verfahrens überhaupt zur Folge (StGB. § 64 Abs. 2). Daher ist die Beschränkung des Antrages auf einzelne der beteiligten Personen ausgeschlossen; und wenn diese dennoch vorkommt, so mufs, je nach der mutmafslichen Willensrichtung des Antragsberechtigten, der Antrag entweder als rechtsunwirksam oder als gegen alle, auch gegen die nicht genannten Beteiligten, gerichtet betrachtet werden. Eine scheinbare Ausnahme von der Unteilbarkeit des Antrages findet sich bei den sog. r e l a t i v e n A n t r a g s v e r 9 8
) Ebenso die gem. Meinung.
Dagegen Olshausen § 61 50.
) V e r . S e n . 2. J a n u a r 84 9 390; Geyer 1 210, Olshausen § 6 3 2, chert V e r a n t w o r t l i c h k e i t 13. D a g e g e n Binding t 640, v. Meyer 363. 10
Bor-
) Eine wesentliche Veränderung erleidet diese Frist in dem Falle wechselseitiger Beleidigungen und Körperverletzungen (StGB. §§ 198, 232; StPO. § 426), indem hier der Beklagte einerseits bei Verlust seines Rechtes verpflichtet ist, den Antrag auf Bestrafung spätestens bis zur Beendigung der Schlufsvorträge in erster Instanz zu stellen, hierzu aber auch dann berechtigt bleibt, wenn zu jenem Zeitpunkte die dreimonatliche Frist bereits abgelaufen ist. Eine besondere Bestimmung der Frist findet sich in § 84 der Seemannsordnung vom Vj. Dezember 1872 (bis zur Abmusterung). Neben der Rügefrist läuft die Verjährung des Verbrechens durchaus selbständig.
§ 44-
Der Antrag des Verletzten.
I7X
g e h e n , deren Verfolgung nur, wenn und soweit der Thäter zur Zeit der That in einem gewissen persönlichen Verhältnisse zum Verletzten stand, durch die Stellung des Strafantrages bedingt i s t . " ) In diesen Fällen hat Stellung wie Zurücknahme des Antrages eben nur denjenigen Beteiligten gegenüber rechtliche Bedeutung, welchen gegenüber die Handlung zum Antragsvergehen gemacht ist; innerhalb des Kreises dieser Personen greift wieder die allgemeine Regel von der Unteilbarkeit des Antrages ein. 4. Die Z u r ü c k n a h m e des Antrages ist seit dem Gesetz vom 26. Februar 1876 nur mehr in den gesetzlich besonders vorgesehenen Fällen und nur bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Urteils zulässig (StGB. § 64). 12 ) 5. Der Antrag mufs die A b s i c h t , d i e V e r f o l g u n g h e r b e i z u f ü h r e n , bestimmt zum Ausdrucke bringen (StPO. § 156). Daher ist bedingte Antragstellung, falls es sich um eine echte Bedingung, nicht nur um einen einschränkenden Vorbehalt handelt, ausgeschlossen. Verzicht auf den Antrag ist rechtlich ohne Bedeutung; Widerruf der Rücknahme des gestellten Antrages unzulässig. 6. Das Antragsrecht ist h ö c h s t p e r s ö n l i c h e r N a t u r und geht daher auf den Rechtsnachfolger des Verletzten nicht über. ») StGB. § § 247, 263, 289, 292, 303. ) Diese besonders vorgesehenen Fälle sind: StGB. § § 102—104, 194, 247, 263, 292, 370; §§ 232 und 303, wenn gegen einen Angehörigen verübt; Nachdrucksgesetz vom I i . Juni 1870 § 27; Urhebergesetze vom 9., 10. und 11. Januar 1876; Patentgesetz vom 7. April 1891, Gebrauchsmustergesetz vom I. Juni 1891. — Der Minderjährige kann den von seinem Vormunde gestellten Antrag nach erreichter Volljährigkeit zurücknehmen; R 19. November 91 22 256. — Nach StPO. § 431 ist die Zurücknahme der P r i v a t k l a g e bis zur Verkündung des Urteils zweiter Instanz gestattet. Sie ist nicht notwendig Zurücknahme des Antrages; amtliche Verfolgung bleibt daher möglich. la
II. Abschnitt.
Die Erscheinungsformen des Verbrechens. I. Vollendung und Versuch des Verbrechens. § 45.
Der Begriff des V e r s u c h e s im allgemeinen.
Litteratur. Zacharid D i e Lehre v o m Versuch 2 B d e . 1836/39. v. Bar Zur L e h r e von Versuch und Teilnahme 1859. L. Cohn Zur L e h r e vom versuchten und unvollendeten Verbrechen 1 1880 (dazu v. Liszt Z 1 93). Cohn D i e Grundsätze über den Thatbestand der Verbrechen und der heutige Gattungsbegriff des Versuchs 1889. Baumgarten D i e Lehre v o m Versuch des Verbrechens 1888. Herzog Rücktritt vom Versuch und thätige Reue 1889. Kroschel G S . 41 273. Köhler Studien 1 20. — D i e Geschichte der Versuchslehre behandeln : Pernice L a b e o 2 40. Seeger Versuch des Verbrechens nach römischem Recht 1879. Derselbe Ausbildung der L e h r e v o m Versuch in der Wissenschaft des Mittelalters 1869. Baumgarten und Herzog a. O. Pfenninger Strafrecht der Schweiz. Eisenmann Z 13 454 (Code penal).
I. Das Verbrechen ist vollendet, s o b a l d d i e d u r c h das Gesetz bedrohte Handlung b e g a n g e n , insbes o n d e r e der d u r c h das G e s e t z zum B e g r i f f e dieses V e r b r e c h e n s g e f o r d e r t e E r f o l g e i n g e t r e t e n ist. Der Zeitpunkt der Vollendung wird demnach für jedes Verbrechen nur durch das geltende Recht bestimmt, welches nicht immer den Eintritt des eigentlichen Deliktsübels für mafsgebend erachtet und vielfach Klarheit wie Folgerichtigkeit vermissen läfst. So ist der Augenblick der Vollendung ein andrer beim Diebstahl (StGB. § 242) als bei der Unterschlagung (StGB. § 246), ein andrer bei der Münzfälschung (StGB. § 146) als bei der Urkundenfälschung (StGB. § 267). Das Verbrechen ist versucht, w e n n d i e a u f d e n g e -
§ 45-
Der Begriff des Versuches im allgemeinen.
j
setzlich bedrohten Erfolg gerichtete,1) Willensb e t h ä t i g u n g e r f o l g t ist, ohne den E r f o l g herbeiz u f ü h r e n . Das Wesen des Versuches im Sinne unserer heutigen Auffassung besteht demnach in der Richtung der Willensbethätigung auf einen nicht eingetretenen, aber vorgestellten Erfolg'; nicht an sich, sondern durch diese ihre Richtung erscheint uns die Handlung als strafwürdig. Der Grund für die Strafbarkeit des Versuchs liegt demnach in der G e f ä h r l i c h k e i t der That, welche, obwohl der vom Gesetze nicht gewollte Erfolg nicht eingetreten ist, doch die Möglichkeit seines Eintritts erzeugt hat. 2 ) II. Der Versuchsbegriff verdankt seine Entstehung der m i t t e l a l t e r l i c h e n R e c h t s w i s s e n s c h a f t Italiens. Das r ö m i s c h e R e c h t ist zu feststehenden allgemeinen Grundsätzen nicht gelangt. Während bei den Privatdelikten wirkliche Herbeiführung einer Rechtsverletzung auch noch im Justinianeischen Rechte gefordert wird, sind schon in den Leges Corneliae e i n . z e l n e Versuchs- und Vorbereitungshandlungen mit der Strafe des vollendeten Verbrechens bedroht. Unter dem Einflüsse der schongeistigen und philosophierenden Rhetorik wird, insbesondere seit Hadrian, die subjektive Seite des Verbrechens, die voluntas, im Gegensatze zum exitus, mehr und mehr in den Vordergrund gestellt, wohl auch dem flagitium imperfectum überhaupt mildere Strafe angedroht (1. I § 2 D. 47, Ii). Aber einen allgemeinen Begriff des Versuches hat das romische Recht nicht gewonnen. Ebensowenig das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r . Vielfach werden zwar schon in den Volksrechten Allgriffe auf Leib und Leben, auch wenn sie ohne Erfolg geblieben, so Messerzücken, Wegesperre, Anlaufen, Wassertauchc usw., unter Strafe gestellt (vgl. Brunner 2 558), aber, wie wir aus dem angedrohten Bufssatze mit Sicherheit entnehmen können, nicht als Versuchshandlungen, sondern als selbständige Verbrechen, etwa als Lebensgefährdung (seolandefa in der Salica), insbesondere aber unter dem Gesichtspunkte der F r i e d e n s g e f ä h r d u n g (wie noch im ') Die Vorstellung des Erfolges braucht auch hier nicht treibendes Motiv zu sein. Zum Versuche ist V o r s a t z genügend, A b s i c h t , trotz des Wortlauts des § 43, nicht erforderlich, soweit sie nicht auch zur Vollendung notwendig ist. Unklar R 18. Oktober 82 7 119. Jedenfalls ist aber auch hier unbestimmter (eventueller) Vorsatz genügend; so auch R. 15./22. Dezember 84 12 64, 29. März 89 19 90. s ) Ahnlich Merkel 132, Kohler Studien 1 20 (aber mit Betonung der allgemeinen Gefahr). Italiener und Franzosen betonen die durch den Versuch bewirkte Verminderung des Gefühls der Sicherheit, die Störung des Rechtsfriedens. Die Auffassung wird wichtig für die Beurteilung des untauglichen Versuchs. Vgl. unten § 47. — Abgelehnt werden mufs die schon früher von Rossi% Lammasch u. a. angedeutete, neuerdings von Herzog folgerichtig durchgeführte Ansicht, welche den Grund für die Strafbarkeit des Versuchs in der V e r m u t u n g findet, dafe der Thäter die begonnene That fortsetzen und vollenden werde (Präsumtion der Perfektionskraft).
174
§ 45-
Der Begriff des Versuches im allgemeinen.
heutigen Schweizer Recht, z. B . im Aargauischen Entwurf von 1892). Auch die Stadt- und Landrechte weisen keinen Fortschritt auf, wenn auch die Rechtsprechung sich nicht scheute, etwa den mit falschen Schlüsseln betretenen Übelthäter ohne weiteres zu hängen. Dagegen arbeiten die i t a l i e n i s c h e n Schriftsteller mit Eifer und Erfolg an der Verallgemeinerung des Begriffes. Sie bestimmen den Versuch als ein „cogitare, agere, sed non perficere" und verlangen, deutscher Rechtsanschauung gemäfs, im Gegensatze zu den Römern mildere Bestrafung des Versuchs. Ihnen folgen Klagspiegel und Bambergensis. Die PGO. gibt im Art. 178 eine durchaus gelungene und ganz allgemeine Begriffsbestimmung: „Item so sich jemand einer Missethat mit etlichen scheinlichen Werken, die zur Vollbringung der Missethat dienstlich sein mögen, untersteht, und doch an Vollbringung derselben Missethat durch andere Mittel wider seinen Willen verhindert würde, solcher böse Will, daraus etlich Werk, als obsteht, folgen, ist peinlich zu strafen. Aber in einem Fall härter denn in dem andern " Die Anordnungen der Carolina bilden die Grundlage des gemeinen Rechts und der auf diesem beruhenden Landesstrafgesetzbücher. Dabei bemühte man sich, die verschieden schwer zu bestrafenden Fälle genauer zu bestimmen, und unterschied zumeist conatus remotus (Vorbereitungshandlungen), propinquus (Ausfuhrungshandlungen) und proximus (den beendeten Versuch in der Gestalt des fehlgeschlagenen Verbrechens). ®) An der milderen Bestrafung des Versuches wird im allgemeinen festgehalten. Auch die ausnahmsweise Gleichstellung des beendeten Versuchs mit der Vollendung welche von Böhmer, Leyser u. a. für die schwersten Verbrechen gefordert und z. B. von Bayern 1751 und Österreich 1768 ausgesprochen wird, findet bei Koch u. a. Widerspruch und wird z . B . von Preufsen 1721 abgelehnt. Für die deutschen Gesetzbucher des 19. Jahrhunderts werden die aus dem Gesetz vom 22. Prairial Jahr IV herübergenommenen, auf das Josephinische StGB, von 1787 zurückfuhrenden, 1 ) Bestimmungen des Code pénal vorbildlich; der Versuch wird meist als „commencement d'exécution" bestimmt, die Gleichstellung von Versuch und Vollendung („Toute tentative est le crime même"), z. B. von Preufsen 1851 und Bayern 1861, aufgenommen. Die Scheindefinition des C o d e p é n a l geht aus dem p r e u f s i s c h e n auch in das R e i c h s s t r a f g e s e t z b u c h über und verdrängt die alte deutschrechtliche Fassung.
III. Innerhalb des einheitlichen Versuchsbegriffs haben wir zwei A r t e n d e s V e r s u c h s zu unterscheiden. 1. B e e n d e t e r Versuch liegt vor, wenn äje auf den Erfolg gerichtete Willensbethätigung abgeschlossen istpöhne dafs der Erfolg eingetreten wäre: hierher gehört (neben den Fällen, in welchen der Eintritt des Erfolges noch zweifelhaft oder aber *) So sagt y. S. F. Böhmer, conatus proximus liege vor, wenn der Thäter alles gethan habe, quantum in ipso fuit et ad consummandum delictum necessa-rium putavit. *) Vgl. Eisenmann 523 (und oben S. 31), dessen Behauptung, das Josephin. StGB, sei niemals in Kraft getreten, aber völlig irrtümlich ist.
§ 45- Der Begriff des Versuches im allgemeinen.
175
sicher ist) das f e h l g e s c h l a g e n e Verbrechen (bei Sicherheit des Nichteintritts) als Unterart des unten § 4 7 zu besprechenden untauglichen Versuchs. 2. N i c h t b e e n d e t e r Versuch liegt v o r , wenn die auf den Erfolg gerichtete Willensbethätigung noch nicht abgeschlossen ist. 5 ) I V . Das R S t G B . bestimmt in § 4 3 : „Wer den Entschlufs, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch Handlungen, welche einen A n f a n g d e r A u s f ü h r u n g dieses Verbrechens oder Vergehens enthalten, bethätigt hat, ist, wenn das beabsichtigte Verbrechen oder Vergehen nicht zur Vollendung gekommen ist, wegen Versuchs zu bestrafen. Der Versuch eines Vergehens wird jedoch nur in den Fällen bestraft, in welchen das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt." Das R S t G B . nimmt mithin, wie das preufsische S t G B , von 1 8 5 1 , die f r a n z ö s i s c h e Fassung, das „commencement d'exécution" auf. E s bestraft ferner, ebenfalls im Anschlüsse an das französische Recht, den V e r s u c h e i n e s Verbrechens i m m e r , d e n e i n e s V e r g e h e n s a u s n a h m s w e i s e in den besonders ausgezeichneten Fällen, 6 ) den e i n e r Ü b e r t r e t u n g niemals. 5 ) Die Unterscheidung des Textes, entsprechend der zwischen délit manqué (frustrado) und délit tenté in den romanischen Rechten, ist wichtig füi den Rücktritt vom Versuch. StGB. § 46, unten § 48. Sie lehrt ferner, dais mit dem „Anfang der Ausfuhrung" nicht der Versuch überhaupt, sondern nur der unbeendete Versuch bestimmt wird, aus diesen "Worten also keinerlei Schlufsfolgerungen für das fehlgeschlagene Verbrechen gezogen werden dürfen, wie dies nur zur häufig geschieht. — Über den Unterschied vgl. Berner GS. 17 ; die Gutachten zum 18. deutschen Juristentag von Berner, Lamm, Leuthold v. Liszt Z 1 94, Janka 139, Stoofs Zeitschr. fur Schweizer Strafrecht 1 528 Gegen die Unterscheidung Baumgarten 442 (bei ihm 164 und 215 über die französische und italienische Auffassung), Pfenninger Strafrecht der Schweb 789 u. a. — Bei mittelbarer Thäterschaft (unten § 50 II) ist für unsere Frag« die Willensbethätigung des Bestimmenden, nicht die des Bestimmten, maisgebend 6 ) Es sind dies §§ 107, 120, 140, 141, 148, 150, 160, 169, 240, 242, 246 253, 263. 289, 303—305, 339, 350, 352 StGB.; Nahrungsmittelgesetz voir 14. Mai 1879 § 12, Gesetz gegen die Rinderpest vom 21. Mai 1878 § 1, Bank gesetz vom 14. März 1875 § 57 2, Spionagegesetz vom 3. Juli 1893 §§ s und 4. Über das Mil.StGB. vgl. Hecker 81. — Richtiger wäre es, den Versucl eines Vergehens nur ausnahmsweise n i c h t zu bestrafen, wie dies das nieder ländische StGB, und der österreichische Entwurf thun. Übereinstimmend Hälsch ner 1 466; dagegen v. Meyer 250. — Auf landesrechtlichem Gebiete kani auch der Versuch einer Übertretung bestraft werden.
176
§ 45-
Der Begriff des Versuches im allgemeinen.
Die Reichsgesetzgebung ist, im Gegensatze zum französischpreufsischen Recht, ebenso wie die StG.Bücher für Ungarn und Holland zu der, kriminalpolitisch sehr bedenklichen, gemeinrechtlichen Auffassung zurückgekehrt, nach welcher der V e r s u c h m i l d e r zu b e s t r a f e n i s t a l s d a s v o l l e n d e t e V e r b r e c h e n ; und es hat die Durchführung dieses Grundsatzes sowohl durch dessen ausdrückliche Anerkennung, als insbesondere durch die Aufstellung eines h e r a b g e s e t z t e n S t r a f r a h m e n s für den Versuch gewährleistet (StGB. § 44; unten $ 70 I). Nur ausnahmsweise wird dieser Grundsatz verlassen: 1. § 80 StGB, bestraft den hochverräterischen Mordversuch wie den Mord selbst mit dem T o d e ; auch § 153 Gew.Ordg. stellt Versuch und Vollendung in der Strafe einander gleich.') 2. In einer Reihe von Fällen ist das „ U n t e r n e h m e n " einer strafbaren Handlung in der Bestrafung ihrer Vollendung gleichgestellt. Vgl. StGB. § § 8l, 82, 105, 114, 122 Abs. 1, 159, 357; Sprengstoffgesetz vom 9. Juni 1884 § 9 ; Salzsteuergesetz vom 12. Oktober 1867 § 11, Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 § § 134 und 135, Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879 § § 32 und 38, Branntweinsteuergesetz vom 24. Juni 1887 § 1 7 , Zuckersteuergesetz vom 31. Mai 1891 § 40 usw. 3 Soweit Vorbereitungshandlungen als selbständige Verbrechen bestraft werden, fallen sie nicht unter den herabgesetzten, sondern unter einen besondern Strafrahmen. StGB. § § 83—86, 151, 201, teilweise 49a. V . An unserer begrifflichen Auffassung des Versuches und seiner beiden Unterarten haben wir festzuhalten bei Entscheidung der vielbesprochenen und lebhaft bestrittenen Frage, ob und in welchen Fällen die M ö g l i c h k e i t d e s V e r s u c h e s aus logischen Gründen als ausgeschlossen betrachtet werden müsse. I. Der V e r s u c h e i n e s f a h r l ä s s i g e n V e r b r e c h e n s (die culpa attentata des gemeinen Rechts) i s t nach unserer, dem geltenden Recht entnommenen, Begriffsbestimmung u n m ö g 1 i c h. Diese Einschränkung ist aber auch kriminalpolitisch gerechtfertigt. Gerade die V o r s t e l l u n g des Erfolges berechtigt und befähigt uns, das Geschehene als versuchte Herbeiführung eines gar nicht eingetretenen Erfolgs überhaupt aufzufassen. Beim fahrlässigen Verbrechen wird diese subjektive und nur in der Vorstellung enthaltene Beziehung der Handlung auf den Erfolg äufserst bedenklich (der Thäter hat in ' ) Auch § 4 des preufsischen Forstdiebstahlsgesetzes vom 15. April 1878 und § 8 des preufsischen Feld- und Forstpolizeigesetzes vom I. April 1880 bedrohen den Versuch mit der Strafe der Vollendung. Die Landesgesetzgebung ist überhaupt auf dem ihr überwiesenen Gebiete an den reichsrechtlichen Grundsatz nicht gebunden (vgl. oben § 19 Note 1). Über das Mil Strafrecht vgl. Hccker 82.
§ 45-
Der Begriff des Versuches im allgemeinen.
177
fahrlässiger Unkenntnis ein geladenes Gewehr auf einen andern abgeschossen, o h n e diesen zu treffen). 2. B e i u n b e s t i m m t e m V o r s a t z e i s t V e r s u c h m ö g l i c h . Da jeder der vorgestellten Erfolge vom Vorsatze umfafst wird, mufs deren schwerster, ob eingetreten oder nicht, als für die strafrechtliche Beurteilung des Thäters mafsgebend betrachtet werden. Wer also als Erfolg seiner Handlung Verwundung o d e r Tötung seines Gegners voraussieht, ist der versuchten Tötung schuldig, wenn auch seine Handlung nur eine Verwundung des Gegners zur Folge gehabt hat oder gänzlich erfolglos verlaufen ist. 3. W e n n d i e S t r a f b a r k e i t d e r H a n d l u n g v o n e i n e r o b j e k t i v e n B e d i n g u n g a b h ä n g t , i s t V e r s u c h m ö g l i c h , f a l l s die Bedingung von Anfang an gegeben oder später eingetreten, die Handlung aber entweder unvollendet geblieben oder mifsluDgen ist (oben § 43 III 2). Dieser Satz findet entsprechende Anwendung, wenn es sich um den schwereren Erfolg als Bedingung höherer Strafbarkeit handelt (oben § 35 Note 6). 8 ) 4. B e i d e n (eigentlichen wie uneigentlichen) U n t e r l a s s u n g s v e r g e h e n ist im allgemeinen zwar fehlgeschlagenes Verbrechen, nicht aber nichtbeendeter Versuch möglich. — Beispiel: Der Eisenbahnwärter läfst vorsätzlich, um die Entgleisung des Personenzuges zu bewirken, ein auf den Bahnkörper gerolltes Felsstück liegen: wird das Hindernis von einem andern rechtzeitig entfernt, so liegt strafbare Unterlassung überhaupt nicht vor, da auch für den Wärter die Möglichkeit der Erfolgsverhinderung noch nicht ausgeschlossen w a r ; fährt der Zug über das Hindernis, ohne zu entgleisen, so ist fehlgeschlagenes Verbrechen gegeben. 5. Dasselbe gilt aus gleichem Grunde i n a l l e n d e n j e n i g e n F ä l l e n , in welchen die A u s f ü h r u n g s h a n d l u n g a l s e i n e d u r c h a u s e i n h e i t l i c h e schon im ersten wie in jedem folgenden Zeitteilchen ihrer Verwirklichung dem gesetzlichen Thatbestande voll und ganz entspricht. Rasches Fahren in belebten Strafsen, Rauchen an feuergefährlichen Stellen, Betreten eines fremden Grundstückes und ähnliche Begriffe gestatten für ihre regelmäfsige Begehungsweise die Annahme einer begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Thätigkeit nicht. Ein andres Beispiel bieten die durch Verbreitung von Druckschriften begangenen strafbaren Handlungen. Doch ist in allen diesen, wie in den unter 4 erwähnten Fällen, zu beachten, dafs bei Anwendung eines grofseren Apparates zur Herbeiführung des Erfolges (oben § 27 Note 2) die Möglichkeit unvollendeter Thätigkeit sich ergibt. 6. Wenn das Gesetz ausnahmsweise V e r s u c h s - o d e r V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n , insbesondere auch das U n t e r n e h m e n einer strafbaren Handlung, mit der Strafe der Vollendung belegt oder a l s s e l b s t ä n d i g e V e r b r e c h e n unter besondere Strafe stellt (oben S. 176), so ist Versuch w e d e r ') Beispiel: Die versuchte Notzucht hat den Tod der Genotzüchtigten zur Folge (StGB. § 178). Olshausen hat sich im allgemeinen meiner Auffassung angeschlossen (vgl. z. B. § 178 3; dagegen § 43 5). Dagegen insbesondere ßinding 1 589, Baumgarten 370, 378. v o n Li s z t , Strafrecht 6. Aufl.
12
§ 46.
I78
Vorbereitung und Ausführung.
als f e h l g e s c h l a g e n e s V e r b r e c h e n n o c h als u n b e e n d e t e r mögf l i e h . Denn die Annahme eines V e r s u c h e s d e s V e r s u c h e s oder eines Versuches der Vorbereitung würde nicht nur zu unlöslichen logischen Schwierigkeiten führen, sondern auch die durch jene Ausnahmen bereits gestörte Gleichmäfsigkeit der gesetzlichen Strafbestimmungen doppelt erschüttern.8)
§ 46.
Vorbereitung und Ausführung.
Litteratur. Vgl. die Angaben zu § 45. Aufserdem Rosenblatt GA. 36 67. v. Meyer Der Anfang der Ausfuhrung. Festgabe für Berner 1892.
I. Der Grund für die Strafbarkeit des Versuchs liegt in der Gefährlichkeit der Willensbethätigung. W ir beurteilen diese Gefährlichkeit nach dem lediglich in der Vors tellung des Thäters enthaltenen, thatsächlich gar nicht eingetretenen Erfolge. Das Wesen des Versuchs besteht mithin in der Beziehung des Geschehenen auf einen nicht eingetretenen Erfolg. Diese Beziehung m u fs deutlich erkennbar gegeben sein, dam it von Versuch gesprochen werden kann. Je entfernter aber das Geschehene von der Vollendung geblieben, auf einer je früheren Stufe die Handlung unterbrochen wurde: desto schwieriger, desto unsicherer ist der Nachweis jener Beziehung; ob die verbrecherische Entschiedenheit des Thäters ausgereicht haben würde, um die Ausfuhrung bis ans Ziel zu bringen, und ob die Handlung die Richtung auf den behaupteten Erfolg thatsächlich gehabt habe oder nicht — ist schwer zu entscheiden, wenn die Handlung über die ersten Anläufe zur Verwirklichung des Entschlusses nicht hinausgekommen ist. Der Ankauf eines Revolvers kann zu verschiedenen Zwecken erfolgen; wer sagt uns, dafs er zum Werkzeuge eines Mordes bestimmt war; wer sagt uns, selbst wenn der Zweck des Ankaufes aufser Zweifel gestellt sein sollte, dafs der Käufer den Mut gehabt hätte, es bis zum Äufsersten kommen zu lassen? Aus dem Gesagten ergibt sich die Notwendigkeit, die e n t f e r n t e r e n V e r s u c h s h a n d l u n g e n s t r a f l o s zu l a s s e n . So gelangen wir zu einer Unterscheidung innerhalb der Versuchshandlungen, und wir können die entfernteren Versuchshandlungen als straflose V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n den *) Ebenso Berner 354, v. Wächter 200, Baumgarten 401. Dagegen v. Meyer 253, Olskausen § 4 3 28, Cohn 383 für den Fall, dafs es sich um Schaffung „selbständiger Verbrechen" (delicta sui generis) handelt.
§ 40-
Vorbereitung und Ausführung.
179
näheren, strafbaren V e r s u c h s h a n d l u n g e n im engeren Sinne gegenüberstellen. II. Statt nun, wie es am zweckmäfsigsten wäre, die Zuteilung einer in Frage stehenden gegebenen Handlung in die eine oder die andre Gruppe dem Ermessen der Rechtsprechung im Einzelfalle zu überlassen, hat die Reichsgesetzgebung im Anschlüsse an das französische Recht es unternommen, die Grenzlinie ein für allemal zu ziehen. Diesem Bestreben verdanken wir die Bestimmung im StGB. § 43: „Versuch ist Bet ä t i g u n g des Entschlusses, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch H a n d l u n g e n , w e l c h e e i n e n A n f a n g d e r Ausführung dieses V e r b r e c h e n s oder Vergehens e n t h a l t e n . " Die Grenzlinie zwischen Vorbereitung und Versuch im engern Sinne (strafbarem Versuch) bildet demnach d e r A n f a n g d e r A u s f ü h r u n g , das „commencement d'exécution" des französischen Rechts. Aber mit dieser Fassung ist für die Rechtsprechung wenig gewonnen. Alle Versuche, den „Anfang der Ausführung" näher zu bestimmen, führen zu wertlosen Umschreibungen. Nur soviel geht aus StGB. § 43 hervor, dafs nach Absicht des Gesetzgebers einmal Vorbereitung und Versuch überhaupt auseinandergehalten und weiter nur n a h e an die Vollendung heranreichende Handlungen als Versuch gestraft werden sollen. Anfang der Ausführung bedeutet also nichts anderes als den Gegensatz zu denjenigen Handlungen, welche die Begehung vorbereiten oder befördern, oder, wie wir, ebenfalls umschreibend, sagen können, diejenige Willensbethätigung, welche bereits einen wirklichen Bestandteil des im Gesetze mit Strafe bedrohten Thatbestandes bilden. Es beginnt demnach der strafbare Versuch der Doppelehe erst mit der (zweiten) Eheschliefsung, der Versuch des Meineids erst mit dem Beginne des Schwurakts; der Versuch der Entfuhrung, des Diebstahls erst in dem Augenblicke, in welchem die Schutzgewalt, der Gewahrsam des Machthabers gestört wird ; bei den sogenannten zusammengesetzten Verbrechen, wie Raub, Notzucht u. a., ist strafbarer Versuch anzunehmen, sobald mit der Gewaltanwendung begonnen wurde, usw. 1 ) ') Übereinstimmend im wesentlichen (wie schon früher Zacharia) Merkel
12*
i8o
§ 47.
Der untaugliche Versuch.
III. Von der grundsätzlichen Straflosigkeit der Vorbereitungshandlungen hat die Gesetzgebung einzelne Ausnahmen gemacht. Es gehören hierher alle diejenigen Fälle, in welchen entweder e i n e V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g unter besondere Strafe gestellt oder schon das U n t e r n e h m e n einer strafbaren Handlung mit der Strafe des vollendeten Verbrechens bedroht wird (oben S. 176). Denn „Unternehmen" ist ein weiterer Begriff als das in § 43 StGB, eng begrenzte „Versuchen". Ersteres umfafst auch solche Handlungen, welche als Vorbereitungshandlungen noch nicht in das Gebiet des strafbaren Versuches hineinfallen w u r d e n . 2 )
§ 47.
Der untaugliche Versuch.
Litteratur. Aufser den zu § 45 genannten Schriften: Hertz Versuch mit untauglichen Mitteln 1874. Lammasch Das Moment objektiver Gefährlichkeit im Begriffe des Verbrechensversuches 1878. Cohn GA. 2 8 3 6 1 . Geyer Z 1 30; 128, Olshattsen § 4 3 4, Stoo/s Grundzüge 1 2 1 4 ; insbes. aber das Reichsgericht, zuletzt R 20. November 86 15 56. Ahnlich auch Baumgarten, welcher direkte Beziehung zwischen der Angriffshandlung und dem Angriffsobjekt (dem „leidenden Subjekt", wie er im Anschlüsse an Carrara sagt) verlangt. Unbrauchbar ist die Fassung bei Loiting Haftung des Redakteurs 152 wie bei v. Meyer a. O. Nach diesem liegt Ausfuhrung im Gegensatze zur Vorbereitung vor, wenn der Thäter eine Bedingung des Erfolgs in seiner abstrakten Bedeutung, nicht nur in seiner konkreten Erscheinung gesetzt h a t ; Totungsversuch also, wenn der Thäter etwas thut, was sich als ein irgendwie gearteter Angriff auf das Leben eines andern darstellt. Aber damit gibt v. Meyer nur eine völlig nichtssagende Umschreibung. Dafs der Totungsversuch einen Angriff auf das Leben enthalten mufs, ist unbestritten; aber wann das der Fall ist, mochten wir wissen; und wir bedauern, auch bei v. Meyer keine Auskunft zu erhalten, v. Meyer glaubt freilich diese Einwendung mit der Behauptung zurückweisen zu können (S. 24 Note 2), dafs „lebhafter kriminalpolitischer Eifer gegen den W e r t juristischer Konstruktionen blind mache". E r übersieht dabei, dafs die Gegner, die er im Auge hat, lediglich den juristischen W e r t s e i n e r „Konstruktion" angezweifelt haben. Vgl. gegen v. Meyer auch v. Buri GS. 4 8 67. — Ganz unrichtig ist es, die gesetzliche Bestimmung völlig aufser acht zu lassen und mit Hälschner 1 336, 342, der frühern sächsischen Rechtsprechung u. a. Strafbarkeit anzunehmen, sobald die A b s i c h t in der That zum unzweideutigen Ausdrucke gelangt ist. Gegen diese, auch vom Osterr. Obersten Gerichtshof angenommene, Ansicht vgl. Rosenblatt. ä ) Die Frage ist sehr bestritten. Die herrschende Ansicht fafst das Unternehmen einfach als Versuch auf. Ich habe meine Auffassung eingehend begründet in meiner „Falschen Aussage" S. 175 ff. — Gegen sie läfst sich insbesondere n i c h t ins Feld fuhren die Begriffsbestimmung des StGB. § 82: „Als ein Unternehmen, durch welches das Verbrechen des Hochverrats vollendet wird, ist jede Handlung anzusehen, durch welche das Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebracht werden soll." Denn 1. ist die hier gegebene Begriffsbestimmung nicht ohne weiteres über das Gebiet des Hochverrats auszudehnen (R 9. November 80 3 26); 2. enthält § 82 in dem W o r t e „unmittelbar" eine positivrechtliche, dem Begriffe des Unternehmens im gewöhnlichen wie juristischen Sprachgebrauche nicht angehörende Beschränkung auf die an den Versuch angrenzenden Vorbereitungshandlungen (R 4. Juni 83 8 354); 3. greift trotz dieser Beschränkung auch das Unternehmen des § 82 über den Umfang des Versuchsbegriffes hinaus. Vgl. Besondern Teil (Hochverrat, Verleitung zum Meineid). Für die richtige Ansicht Hälschner 2 926.
§ 47-
Der untaugliche Versuch.
l8l
V. Buri Z I 1 8 5 ; V. Liszt Z 1 9 3 ; Bünger Z 6 3 5 2 . Goldfeld Über den Versuch mit untauglichen Mitteln und an untauglichen Objekten 1882. G A . 3 6 3 3 ( H a v e n s t e i n ) . Zucker GA. 3 6 3 7 0 und wieder Ravenstein GA. 37 1 3 0 Zucker G A . 3 7 274. Huther G A . 3 6 433. Kroschel G S . 4 3 2 1 6 . Kohler S t a dien 1 7. Vgl. auch die zu § 28 angeführten Schriften von J . v. Kries. I. Schon bei den romischen Juristen, von Neratius und Pomponius bis auf Ulpian und Paulus scheint die Strafbarkeit des untauglichen Versuches, wenn auch allerdings nur in Beziehung auf einzelne strafbare Handlungen, zu den vielbesprochenen Streitfragen gehört zu haben. Die späteren von ihnen bemühen sich, strafbare und straffreie Fälle zu unterscheiden, ohne aber zur Aufstellung eines allgemeinen Grundsatzes zu gelangen. D a s gemeindeutsche Recht und die auf ihm beruhende Gesetzgebung erwähnte den fehlgeschlagenen Versuch bei einzelnen Verbrechen, wie Vergiftung, Abtreibung u. a., und behandelte ihn zumeist als einen die ordentliche Strafe des vollendeten Verbrechens ausschliefsenden Milderungsgrund. In unseren Tagen hat Feuerbach (Lehrbuch 4. Aufl. 1808) die F r a g e in allgemeiner Fassung aufgestellt und damit den Streit über die Strafbarkeit des mifslungenen Verbrechens lebhaft entfacht. Feuerbach will nur die g e f ä h r l i c h e Versuchshandlung bestraft wissen und verlangt daher, dafs die Handlung ihrer äufsern Beschaffenheit nach mit dem beabsichtigten Erfolge in ursachlichem Zusammenhange stehe. Diese Forderung fuhrt zur Unterscheidung von M i t t e 1 und O b j e k t der mifslungenen Handlung und weiter ( Mittermaier 1816) zur Unterscheidung v o n a b s o l u t e r und r e l a t i v e r U111 a u g l i c h k e i t des Mittels oder Objektes. Rasch wurde diese Ansicht, trotz der von manchen, wie Köstlin, Hdlschner, v. Schwarze u. a., gegen sie erhobenen Bedenken, zur herrschenden und blieb es bis in die jüngste Zeit. Danach sprach man von a b s o l u t untauglichem Versuche, wenn die Handlung mit den angewendeten Mitteln und gegenüber dem angegriffenen Objekte i n k e i n e m F a l l e zum Ziele führen konnte (Mordversuch mit einer ungeladenen Pistole; gegen einen bereits Verstorbenen); von r e l a t i v untauglichem Versuche, wenn das gewählte Mittel oder das angegriffene Objekt zwar im allgemeinen geeignet waren, im E i n z e l f a l l e aber, wegen der besondern Gestaltung der Verhältnisse, sich als ungeeignet herausstellten (Mordversuch mit einer im Augenblicke des Abdrückens zerspringenden Pistole; gegen jemand, der sich durch ein Panzerhemd geschützt hat). In der Behandlung der beiden Fälle gingen die Ansichten weit auseinander. D i e einen (so auch die Rechtsprechung in Preufsen, Bayern, Österreich , ferner in den romanischen L ä n d e r n ) straften den relativ untauglichen Versuch, liefsen den absolut untauglichen dagegen straflos; die anderen (und ihnen folgte die württembergische und sächsische Praxis) verlangten Bestrafung nicht blofs des relativ, sondern auch des absolut untauglichen Versuches. Nur einzelne, wie v. Bar, wollten die Untauglichkeit des Mittels anders behandeln wie die des Objekts. War diese letzere Ansicht an sich schon gegen die Mittermaiersche Unterscheidung gerichtet, so begann nun auch bald die kritische Prufung und Bekämpfung derselben. Man schlofs etwa folgendermafsen: D e r Versuch beruhe i m m e r auf einem Irrtume über die Folgen des Thuns, d. h, auf der (irrigen) Annahme, dafs eine zur Herbeiführung des vor-
§ 47-
Der untaugliche Versuch.
gestellten Erfolges untaugliche Handlung zur Herbeiführung tauglich sei. Nur die Tauglichkeit der H a n d l u n g , als des Mittels zum Zwecke, stehe mithin zur Frage. E i n e bestimmte vorgenommene Handlung aber könne zur Herbeiführung e i n e s bestimmten vorgestellten Erfolges immer nur tauglich oder nichttauglich, d. h. kausal oder nichtkausal, sein, nicht aber mehr oder weniger nichtkausal; die Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Untauglichkeit des Mittels (oder des Objekts) sei daher eine grobe Verkennung des Ursachenbegriffes. Das Wesen des Versuches bestehe in der Kundgebung eines auf Verletzung gerichteten Willens; diese Kundgebung finde sich aber in durchaus gleicher Weise auch bei dem sogenannten untauglichen Versuche. Und wenn jeder Versuch in einem Irrtume über die Kausalität des Thuns bestehe, so könne dieser Irrtum keinen Grund abgeben, um einzelne Versuchsfalle nicht strafen zu wollen. Die Ansicht hat die rückhaltlose Billigung des R e i c h s g e r i c h t s gefunden. Mit aller Entschiedenheit hat sich dieses auf den insbesondere von v. Buri wiederholt vertretenen Standpunkt gestellt und in einer Reihe von Entscheidungen, vor allen aber in der vielbesprochenen Entscheidung der vereinigten Strafsenate vom 24. Mai 1880 l ), die Strafbarkeit auch des absolut untauglichen Versuches ausgesprochen, ohne vor irgend einer der aus diesem Grundsatze sich ergebenden Folgerungen zurückzuscheuen.
IL U n t a u g l i c h e r Versuch liegt vor, wenn die auf den Erfolg gerichtete Willensbethätigung u n g e e i g n e t war, den Erfolg herbeizuführen. Der untaugliche Versuch tritt uns nicht ausschliefslich, wenn auch vorwiegend, ab f e h l g e s c h l a g e n e s Verbrechen, mithin als beendeter Versuch, sondern auch als n i c h t b e e n d e t e r Versuch entgegen. Es ist ebensogut möglich, dafs der Thäter eben die ersten Anstrengungen 1 ) ' 439- Ferner R 10. Juni 80 1 451 (Totungsversuch an einem totgebornen Kinde); 30. März 83 8 198 (Abtreibungsversuch von Seiten einer nicht schwangeren Frauensperson); 1. Juni 1883 8 3 5 1 ; 27. Februar 88 17 158 (untaugliches Mittel). Für das Reichsgericht v. Wächter 210, Hälschner 1 349, v. Schwaney Hertz 66 Lammasch 63, Seuffert Italien. Entwurf 167, Stengleiti GS. 4 3 228, und von den Ausländern Garofalo Criminologie 318. — G e g e n die Plenarentscheidung und für Straflosigkeit des absolut untauglichen Versuchs: Geyer 1 132, Merkel 136, 132, Löning 50, Wahlberg Z 2 194, Binding 1 693, Kotering GA. 31 266, Bünger Z 6 352, v. Rohland Gefahr 78, Baumgarten 358, Borchcrt Verantwortlichkeit für Handlungen dritter 69, Goldschmidt Kritische Beleuchtung der Übergriffe der historischen Schule und der Philosophie in der Rechtswissenschaft 1887, Wehrli Kindesmord 81 , Pfenninger Strafrecht der Schweiz 776, Berner 140, v. Meyer 261, Post Grundlagen des Rechts 363, v. Kries Preufsische Jahrbücher 75 124 u. a. — Daneben hat es auch nicht an vermittelnden Ansichten gefehlt; bald sollte der Versuch vom Mangel im Thatbestande, bald die Untauglichkeit der Handlung von dem Fehlen des Objekts (aber auch des Subjekts sowie der im Gesetze etwa besonders genannten Mittel) unterschieden werden (vgl. insbesondere die Abhandlungen von Kroschel• aber auch Olshausen § 43 20, 23).
§ 47-
Der untaugliche Versuch.
1B3
machte, um mit dem gänzlich untauglichen Brechwerkzeuge den Verschlufs zu öffnen, als dafs er mit seinen vergeblichen Bemühungen zu Ende gelangt ist. In dem einen wie dem andern Falle sind die Merkmale des Versuchsbegriffs unzweifelhaft gegeben. Bei der Beantwortung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der untaugliche Versuch nach deutschem Reichsrecht strafbar sei, mufs unbedingt festgehalten werden, dafs § 43 StGB, die Frage weder, wie sein Wortlaut zeigt, entschieden hat, noch auch, wie die Begründung zu § 43 ergibt, hat entscheiden wollen. Vielmehr sollte die Entscheidung dieser alten und schwierigen Streitfrage, zu deren Lösung der Gesetzgeber sich nicht berufen fühlte, nach wie vor der Wissenschaft und der Rechtsprechung überlassen bleiben. Als zweifellos unrichtig ergibt sich hiermit die Schlufsfolgerung des Reichsgerichts: J e d e r Versuch ist strafbar; der untaugliche Versuch ist Versuch; folglich ist der untaugliche Versuch strafbar. Diese Schlufsfolgerung ist unrichtig, weil der Obersatz weder im Gesetze begründet ist, noch aus allgemeinen Erwägungen sich ergibt. 2 ) Auf diese aber müssen wir mangels einer gesetzlichen Regelung der Frage zurückgreifen. Nun liegt der Grund für die Strafbarkeit des Versuches, wie wir gesehen haben, in der G e f ä h r l i c h k e i t der Handlung. Die Strafbarkeit des Versuches kann daher nur dort entfallen, wo diese ausgeschlossen ist. So gewinnen wir die Regel: S t r a f b a r ist der g e f ä h r l i c h e , s t r a f l o s bleibt der u n g e f ä h r l i c h e V e r s u c h . Dieses Ergebnis wird durch die unbestreitbare Thatsache unterstützt, dafs unser Rechtsbewufstsein je nach der Gefährlichkeit der Versuchshandlung in verschiedener Weise gegen *) Verfehlt ist es, die Fassung des § 43 StGB, verwerten zu wollen; denn hier soll nur die Vorbereitungshandlung von der Versuchshandlung i. e. S. abgegrenzt werden. Auf den Gegensatz von gelungenem und fehlgeschlagenem Verbrechen bezieht sich § 43 StGB, überhaupt nicht. Es ist demnach ganz verkehrt, bei der Frage nach der Strafbarkeit des untauglichen Versuches den „Anfang der Ausführung" verwerten zu wollen und etwa zu sagen: „Wenn die Ausführung nicht vollendet werden kann, dann kann sie auch nicht angefangen werden." Richtig Köhler Studien 1 9. — Damit entfallt auch Geyers Schlufsfolgerung: „Der Versuch ist teilweise Verwirklichung des Vorsatzes; folglich ist der untaugliche Versuch nicht Versuch." Dies wird neuerdings auch von den Anhängern des Reichsgerichts zugegeben (Stenglein GS. 4 3 228).
184
§ 47.
D e r untaugliche Versuch.
diese reagiert, dem u n g e f ä h r l i c h e n V e r s u c h e gegenüber aber eine Reaktion unseres Rechtsbewufstseins unmittelbar gar nicht, sondern erst mittelbar auf dem Wege einer Schlufsfolgerung eintritt; der wesentlichen Verschiedenheit in der objektiven Bedeutung der Versuchshandlung entspricht mithin die wesentliche Ungleichartigkeit des psychologischen Eindrucks, welchen die Handlung in dem Bedrohten wie bei den übrigen Rechtsgenossen hervorruft. 3 ) Der Versuch ist gefahrlich, wenn und soweit durch die Versuchshandlung die nahe Möglichkeit für den Eintritt des Erfolges (und damit die begründete Besorgnis dieses Eintritts) gegeben war (oben S. 191). Dieser Satz bedarf der näheren Erläuterung. 1. Bei der Beurteilung ist die Handlung nicht in willkürlicher Verallgemeinerung, sondern u n t e r B e r ü c k s i c h t i g u n g a l l e r sie begleitenden b e s o n d e r e n U m s t ä n d e ins Auge zu fassen. 2. Die Beurteilung mufs als nachträgliche P r o g n o s e die im A u g e n b l i c k e d e s H a n d e l n s , in welchen der Urteilende sich z u r ü c k z u v e r s e t z e n hat, h e r v o r t r e t e n d e n oder dem Thäter bekannten, nicht aber die erst durch den weitern Verlauf aufgedeckten Umstände berücksichtigen. 3. Nur wenn unter Berücksichtigung der im Augenblicke der Handlung hervortretenden oder dem Thäter bekannten Umstände die H a n d l u n g a l s v ö l l i g u n g e e i g n e t e r s c h e i n t , den Erfolg herbeizuführen, ist der Versuch als ein ungefährlicher straflos. Demnach kann z. B. der Versuch der Abtreibung von Seiten einer gar nicht schwangern Frauensperson ganz w o h l straibar sein, wenn das Vorhandensein einer Schwangerschaft als nicht völlig ausgeschlossen erscheint; strafbarer Tötungsversuch an einem totgeborenen Kinde ist durchaus möglich, wenn T o d nicht völlig zweifellos ist.
Anders in den viel mifsbrauchten
spielen: beim Totbeten (welches zuerst Feuerbach
der
Schulbei-
1808 verwertet hat), Nestel-
knüpfen, Verhexen; bei dem Versuche, den auf Kanonenschufsweite
in
einem
K a h n befindlichen B durch einen Pistolenschufs zu töten usw. *) 3 ) Ähnlich Lammasch a. O., Baumgarten 248, Bünger Z 6 361, J. v. Krics Z 9 534. Abweichend Kohler Studien 1 20, welcher die Gefährlichkeit für die R e c h t s o r d n u n g als mafsgebend bezeichnet. *) Meine Ansicht teilt mit der herrschenden Lehre von der Straflosigkeit des „absolut untauglichen" Versuches die Ausgangspunkte. Sie unter-
§ 48.
§ 48.
Der Rücktritt vom Versuch.
Der Rücktritt v o m Versuch.
Litteratur. Herzog Rücktritt vom Versuch und thätige Reue 1889. Heins Der Rücktritt des Mitthäters. Diss. 1890.
I. Wenn wir den Grund für die Strafbarkeit des Versuchs in der Gefährlichkeit der That erblicken, so ist die Strafbarkeit gegeben, sobald diese Gefährlichkeit, sobald mithin die Beziehung zwischen der That und dem vorgestellten Erfolge erkennbar vorhanden ist. In dem Augenblicke, in welchem die Grenzlinie zwischen den straflosen Vorbereitungshandlungen und der strafbaren Ausführung überschritten wird, ist auch die auf den Versuch gesetzte Strafe verwirkt. Diese Thatsache kann nicht mehr geändert, nicht „nach rückwärts annulliert", nicht aus der Welt geschafft werden. Wohl aber kann die Gesetzgebung aus kriminalpolitischen Gründen dem bereits straffällig gewordenen Thäter eine goldene Brücke zum Rückzüge bauen. Sie hat es gethan, indem sie den f r e i w i l l i g e n R ü c k t r i t t zum S t r a f a u f h e b u n g s g r ü n d e machte (StGB. §
46).')
Das romische Recht hatte in vereinzelten Quellenstellen die Bedeutung des freiwilligen Rucktrittes ausdrücklich anerkannt. Vgl. insbesondere 1. 19 prooem. D. 48, 10: Qui falsam monetam percusserint, si id totum formare noluerunt, suffragio justae poenitentiae absolvuntur. — Art. 178 PGO. verlangte zur scheidet sich aber von ihr ganz wesentlich durch die Betonung der „nachträglichen Prognose" bei der Anwendung des Gefahrbegriffs. Übereinstimmend Loock Schutz der Eisenbahnen 179. Bei dem Zwiespalt der Ansichten, insbesondere bei dem Widerspruch, welchen der Standpunkt des Reichsgerichts gefunden hat, erschiene g e s e t z l i c h e Regelung der Frage wünschenswert. Eine solche enthielten nicht nur ältere deutsche Landesgesetzbücher, sondern sie findet sich auch neuerdings wieder in den Enwürfen von England, Rufsland, Spanien, Schweiz (Mil.StGB.) sowie im italien. StGB. Empfohlen wird sie auch von v. Rohland und v. Meyer. ') Ähnlich R 20. März 88 17 244. — Man hat früher vielfach die straffreimachende Wirkung des Rücktritts auf R e c h t s g r ü n d e zurückzufuhren versucht, indem man behauptete, dafs durch den Rücktritt der verbrecherische Wille vernichtet werde, oder dafs im Falle des Rücktritts der Wille von Anfang an gar nicht oder nicht in der erforderlichen Festigkeit vorhanden gewesen sei. Die Unhaltbarkeit dieser Ansichten hat Herzog schlagend nachgewiesen. Aber auch der Ansicht dieses Schriftstellers, dafs nur die Herbeiführung des Deliktübels verboten sei, dafs die Strafbarkeit des Versuchs daher auf der Vermutung des Ausfuhrungswillens beruhe (oben § 45 Note 2) und diese durch den Rücktritt widerlegt werde, kann nicht beigetreten werden, da sie den Grund für die Strafbarkeit des Versuches unrichtig bestimmt. — Vereinzelt wird die Straflosigkeit überhaupt mifsbilligt; so, aufser von John und Schütze, insbes. von Cohn 1 556, v. Buri Kausalität 1885 S. 141. Geyer Kleine Schriften 292 will nur Strafmilderung.
§ 48.
Der Rücktritt vom Versuch.
Strafbarkeit des Versuches, dafs der Thäter „durch andre Mittel wider seinen Willen" an der Vollbringung der Missethat verhindert worden sei. Das gemeine Recht gewährte teils Straflosigkeit, teils Strafmilderung. Die erstere Ansicht gelangte zur Herrschaft in den deutschen LandesStGBüchern. Doch machten diese teilweise ( n i c h t Preufsen 1851 und Bayern 1861, die sich an das französische Recht anschliefsen) den freiwilligen Rucktritt zum Strafaufhebungsgründe, statt die Nichtfreiwilligkeit als Begriffsmerkmal des Versuches hinzustellen. Diesem Beispiele folgte auch § 46 RStGB.
II. Der freiwillige Rücktritt ist unmöglich, wenn die Herrschaft über die That und ihre Folgen bereits dem Thäter entrissen ist, mag der Eintritt oder der Nichteintritt des Erfolges gewifs sein, also insbesondere beim mifslungenen Verbrechen. Er ist dagegen möglich: 1. Bei dem n i c h t b e e n d e t e n V e r s u c h e durch Nichtvollendung der körperlichen Bewegung: „wenn der Thäter die Ausführung der beabsichtigten Handlung aufgegeben hat" (StGB. § 46 Nr. 1). Der Thäter läfst den zum Schlage erhobenen Arm sinken; die nach dem Giftbecher ausgestreckte Hand zieht sich zurück. Mit der Beendigung der auf den Erfolg gerichteten Handlung entfällt mithin auch die Anwendbarkeit der Ziffer 1 des § 46. 2. Bei dem beendeten Versuche, solange der Eintritt des Erfolges noch zweifelhaft ist, durch „Abwenden des Erfolges" (StGB. § 46 Nr. 2), also durch unmittelbares Eingreifen in das bereits rollende Rad des Kausalzusammenhanges: der abgesendete Brief wird während des Postlaufes zurückverlangt, die Wirkung des Giftes durch Gegengift beseitigt. III. In beiden Fällen verlangt das Gesetz F r e i w i l l i g k e i t des Rücktritts: indem § 46 Nr. 1 die Straffreiheit nur gewährt, wenn der Thäter an der Ausführung nicht durch „Umstände gehindert worden ist, welche von seinem Willen unabhängig waren", während Nummer 2 Anwendung des Erfolges „durch eigne Thätigkeit" des Thäters verlangt. Die Freiwilligkeit wird am besten bestimmt durch ihren Gegensatz: die thatsächliche H i n d e r u n g an der Vollendung des Verbrechens. Der Rücktritt darf nicht in äufseren Umständen, er mufs in einem freigefafsten Entschlüsse des Thäters seinen Grund haben, mag dieser aus Furcht oder Reue, mag er vielleicht auch aus den niedrigsten Beweggründen, etwa der
§ 48.
Der Rücktritt vom Versach.
187
Enttäuschung über den geringen Wert der zu stehlenden Gegenstände, entspringen. Der t h a t s ä c h l i c h e n Hinderung mufs aber die A n n a h m e der Hinderung gleichgestellt werden.2) E n d g ü l t i g e s Aufgeben des verbrecherischen Entschlusses kann nicht gefordert werden. Im zweiten Falle ist die strafaufhebende Wirkung des Rücktrittes an die weitere Bedingung geknüpft, dafs die Handlung noch nicht entdeckt, d. h. noch niemand aufser den an der That strafbar beteiligten Personen oder dem durch die Handlung Verletzten3) bekannt war. I V . Die Auffassung, nach welcher der freiwillige Rucktritt S t r a f a u f h e b u n g s g r u n d ist, also zwar von der bereits verwirkten Strafe befreit, aber au dem Verbrechenscharakter der Versuchshandlung nichts ändert, wird nach den verschiedensten Richtungen hin von Bedeutung. Insbesondere folgt aus ihr: 1. Der Rücktritt des Thäters macht weder den Mitthäter noch den Antifter oder Gehilfen straffrei; denn die Thatsache, dafs sie sich an einer strafbaren Handlung beteiligt haben, bleibt bestehen. Aber Mitthäter wie Teilnehmer können sich selbst der Wohlthat des Gesetzes teilhaft machen: Anstifter und Gehilfe allerdings nicht durch NichtVollendung der Handlung nach § 46 Nr. I, denn hatten sie ihre Handlung noch nicht beendet, so waren sie überhaupt noch nicht strafbar geworden; wohl aber durch selbständige Abwendung des Erfolgs nach § 46 Nr. 2. 4 ) 2. Nur die Strafe der versuchten Handlung entfallt ( § 46: „Der Versuch als s o l c h e r bleibt straflos"), nicht aber die Strafbarkeit des etwa in der Versuchshandlung gelegenen vollendeten anderweitigen Verbrechens. Man spricht hier wohl, wenig bezeichnend, von „qualifiziertem" Versuch. 3. Wenn Vorbereitungs- oder Versuchshandlungen
mit besonderer Strafe
8 ) Ebenso Herbst GA. 3 2 130, Baumgarten 460. Dagegen Herzog 243, Olshausen § 4 6 I I (der mich irrtümlich für seine Ansicht anfuhrt). *) Dagegen R 12. März 80 1 307. Nach Ansicht des Reichsgerichts wäre mithin bei denjenigen Verbrechen, bei welchen die Kenntnisnahme des Verletzten zu den Begriffsmerkmalen gehört, wie z. B. bei der Erpressung, § 46 Ziff. 2 überhaupt nicht anwendbar. Aber auch bei anderen Verbrechen führt diese Ansicht zu unbrauchbaren, ja geradezu gefährlichen Ergebnissen. Wenn A dem B Gift gegeben hat, würde er diesen nicht warnen dürfen, ohne sich straffällig zu machen. Mit R einverstanden Geyer 1 134, Olshausen § 4 6 20, Baumgarten 464. 4 ) Ebenso Geyer 1 134, Hälschner t 362, Janka 152, Birkmeyer Teilnahme 156, Merkel 134; insbesondere aber R 15. März 86 14 19; 25. November 87 16 347. Dagegen Berner 160, v. Meyer 279, Olshausen § 4 6 7, Schütze 141, Baumgarten 457, Herzog 260 (von seinem Standpunkte aus durchaus folgerichtig), Thomsen Bekämpfungsmethoden 47, Meves GA. 3 7 397. Meist übersieht man, dafs Strafaufhebungsgründe s t e t s nur demjenigen zu gute kommen, in dessen Person sie sich ereignet haben.
i88
§ 49.
Teilnahme.
Geschichte und Stand der Frage.
bedroht sind oder das unternommene dem vollendeten Verbrechen in der Bestrafung gleichgestellt ist (ob. S. 176), so entfällt, mangels einer besonderen positivrechtlichen Bestimmung, die strafaufhebende Wirkung des Rücktrittes.*)
II. Thäterschaft und Teilnahme. § 49.
Geschichte und Stand der Frage.
Litteratur. Berner Teilnahme 1847. v. Bar Zur Lehre von Versuch und Teilnahme 1859. v. Bitri Zur Lehre von der Teilnahme 1860 (Durchführung der subjektiven Theorie). Langenbeck Teilnahme 1867/68. Schütze Notwendige Teilnahme 1869. Geyer HH. 2 319, 4 141, Klein. Schriften 161. v. Kries Z 7 521. Hirsch Über den Unterschied zwischen Mitthäterschaft und Beihilfe 1881. Schmidt Mitthäterschaft 1882. Borchert Über die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Handlungen dritter, insbesondere über Teilnahme und mittelbare Thäterschaft 1888. Hermes Zur Lehre von der Teilnahme am Verbrechen 1878. Birkmeyer Die Lehre von der Teilnahme und die Rechtsprechung des deutschen Reichsgerichts 1890. Gegen ihn insbes. Loffler bei Grünhut 19 511, sowie v. Buri GS. 45 1. Foinitzky Z 12 54, Kohler Studien 1 92, 106. Stutte Komplott und Bande. Diss. 1887. Forke Die begriffliche Unterscheidung zwischen Urheberschaft und Beihilfe 1890. Mintz Die Lehre von der Beihilfe 1892. Mofsmer Die mittelbare Thäterschaft in gleichzeitiger Berücksichtigung des Hypnotismus im Strafrecht 1892. — Über das deutsche Recht Brunner 2 565. I. Der aus dem Begriff der Ursache (ob. § 28) sich ergebende Satz, dafs nicht blofs der Alleinthäter, sondern dafs alle, welche sich an der Begehung einer strafbaren Handlung beteiligt haben, für den durch diese bewirkten Erfolg zur Verantwortung zu ziehen sind, ist in allen Rechtssystemen und zu allen Zeiten anerkannt worden. Aber ob und wie die v e r s c h i e d e n e n F o r m e n der Beteiligung begrifflich unterschieden, ob und wie S c h u l d - und T h a t a n t e i l eines jeden verschieden bestimmt und demgemäfs die S t r a f e bemessen werden solle, darüber gehen die Ansichten bis auf den heutigen Tag auseinander. Das r o m i s c h e R e c h t hatte nicht nur durch die regelmäfsige Formel der leges aus der Zeit des Quästionenprozesses: Cujus ope consilio dolo malo id factum erit quive id fieri jusserit faciendumve curaverit — sondern auch vorher wie nachher die Beteiligten, die auctores, socii, ministri, fautores, participes, mit Strafe belegt. Aber erst die freiere Stellung des Richters im Verfahren extra ordinem ermöglichte jene unterscheidende Beurteilung, welche die Vor-
') Für die im Text vertretene Ansicht sehr bestimmt R 29. April 84 10 324; ferner v. Lilienthal 53, v. Meyer 267, Merkel 376, Hecker 209, Baumgarten 470, Zicbarth 352. Dagegen Berner 352, Geyer 2 127, Hälschner 2 735, 927, v. Meyer 796, Schütze 233, v. Wächter 205, Herzog 230. Nach Olshausen 6 46 5 ist Rücktritt nur dann ausgeschlossen, wenn es sich nicht um Gleichstellung in der Bestrafung, sondern um Aufstellung eines selbständigen Vergehens handelt.
§ 49-
Teilnahme.
Geschichte und Stand der Frage.
189
bedingung für die weitere Entwicklung der Lehre war. Doch ist auch das spätrömische Recht zur Ausbildung allgemeiner Grundsätze nicht gelangt. Im m i t t e l a l t e r l i c h e n D e u t s c h l a n d wurde der Anstifter dem Thäter, wenigstens bei einer Reihe von Verbrechen, in der Bestrafung gleichgestellt. Dagegen war bezüglich der Strafbarkeit des Gehilfen die Enwicklung bei den einzelnen Verbrechen eine ganz verschiedene; bald wird (wie im Landfrieden von 1235) die Gewährung von Rat und That mit der Thäterschaft auf eine Stufe gestellt, bald (Ssp. II 25, 1; II 13, 6) nur der „rechte Volleist", ohne dessen Mitwirkung die Begehung nicht «möglich gewesen wäre, dem Thäter gleich bestraft, während die übrigen Beteiligten mit geringerer Strafe davon kommen. Den Anstifter trifft dieselbe, wenn nicht härtere, Strafe wie den Thäter. Auf dem letzteren Standpunkte stand auch die m i t t e l a l t e r l i c h e R e c h t s w i s s e n s c h a f t I t a l i e n s , wenn sie consilium (Rat), auxilium (That) und mandatum von der Thäterschaft unterschied und den mandans wie den socius principalis, qui causum dat delicto, dem Thäter in der Bestrafung gleichstellte. Aber auch sie gelangte nicht zu abschliefsenden, allgemein anerkannten Ergebnissen. So sah sich denn auch die PGO. gezwungen, in Art. 177 von einer Begriffsbestimmung abzusehen und einfach auf den Rat der Rechtsverständigen zu verweisen: „Item so jemand einem Missethäter zu Übung einer Missethat wissentlich und gefährlicher Weise einicherlei H i 1 f e , B e i s t a n d o d e r F ö r d e r u n g , wie das alles Namen hat, thut, ist peinlich zu strafen, als aber vorsteht in einem Fall anders, denn in dem andern; darum sollen in diesen Fällen die Urteiler . . . Rates pflegen." — Der A n s t i f t e r wird in Art. 107 (Meineid) besonders erwähnt. Auch der g e m e i n r e c h t l i c h e n Wissenschaft und Gesetzgebung gelang es nicht, feste Begriffe zu gewinnen ; die von ihr aufgestellten Unterscheidungen — Teilnahme vor, während und nach der That (letztere zumeist als besonderes Verbrechen betrachtet), allgemeine und besondere, hauptsächliche und nebensächliche, physische und psychische, positive und negative Teilnahme —• entbehren ebensosehr der begrifflichen Schärfe wie der praktischen Brauchbarkeit. II. Die Entwicklung der Lehre in der Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts wird zunächst bestimmt durch die verschiedene Beantwortung zweier grundlegender Fragen. I. Der Begriff der A n s t i f t u n g gestattet eine doppelte Auffassung. Man kann entweder die Anstiftung ansehen als mittelbare Herbeiführung des Erfolges, als ein Verursachen, bei welchem die Beeinflussung des Handelnden nur ein Glied in der Kette von Ursache und Wirkung ist. Dann ist die Anstiftung m i t t e l b a r e T h ä t e r s c h a f t (intellektuelle Urheberschaft). Gegen diese Auffassung, welche allein wissenschaftlich begründet ist l ) und in der ') Sie war die alleinherrschende von den mittelalterlichen Italienern bis ins 19. Jahrhundert. Von Neueren vertreten sie u. a. Ortolan, Garraud, Bindtng, Jankay Köhler, Foinitzky. Vgl. neuerdings Stoofs Grundzüge 1 226, Seufftrt StG. 1 23. — Die gegenteilige Ansicht ist in unsern Tagen am glänzendsten und bis zu den unerträglichsten Folgerungen von Birkmeyer durchgeführt worden.
190
§ 49- Teilnahme.
Geschichte und Stand der Frage.
Rechtsprechung zu brauchbaren Ergebnissen führt, hat man eingewendet, dafs dann der Thäter als Werkzeug in der Hand des Anstifters erscheine, was mit der Annahme der Willensfreiheit unvereinbar sei. Damit wäre, bei strenger Folgerichtigkeit, die völlige Straflosigkeit des aufser allem Kausalzusammenhange stehenden Anstifters gegeben gewesen. Aber niemand hatte den Mut, diese unvermeidliche Folgerung zu ziehen. So gelangte man dazu, einerseits eine „Unterbrechung des Kausalzusammenhanges" zwischen der Handlung des Anstifters und dem Erfolge durch die freie und vorsätzliche Handlung des zurechnungsfähigen Thäters anzunehmen (oben S. 105) und die Auffassung der Anstiftung als mittelbarer Selbstherbeiführung des Erfolges abzulehnen, anderseits aber sie als T e i l n a h m e an der v o n dem T h ä t e r begangenen That zu betrachten. Dies ist der Standpunkt des geltenden Rechts, Damit erhält die Anstiftung unselbständiges Wesen, ihre Strafbarkeit wird abhängig von der Strafbarkeit der vom Thäter begangenen Handlung. 2. Wer eine Bedingung zu dem Erfolge gesetzt hat, ist für diesen verantwortlich. Die herrschende Ansicht will aber gerade bei der Beteiligung mehrerer an demselben Verbrechen die Verursachung von dem Setzen einer blofsen Bedingung unterscheiden. Wer verursacht, ist T h ä t e r ; und wenn er gemeinsam mit anderen verursacht, M i t t h ä t e r . Wer nur eine Bedingung setzt, ist G e h i l f e . So wird auch die Beihilfe zur u n s e l b s t ä n d i g e n T e i l n a h m e an d e r T h a t e i n e s a n d e r n . Da aber die Unterscheidung von Ursache und Bedingung unhaltbar ist (oben S. 107), fehlt es auch dem Unterschiede von Thäterschaft und Beihilfe an der festen objektiven Grundlage. Es kann uns daher nicht wunder nehmen, dafs Wissenschaft und Rechtsprechung, um die Unterscheidung halten zu können, auf die Irrwege einer rein subjektiven Theorie gedrängt werden (vgl. unten § 50 Note 5). 2) Die neueste ausländische Gesetzgebung gelangt daher dazu, entweder die Unterscheidung gänzlich aufzugeben (norwegischer Entw.) oder ihre Schroffheit zu mildern (italienisches StGB, und russischer Entw.) oder doch wenigstens die bindende Herabsetzung des Strafrahmens für den Gehilfen zu beseitigen (österreichischer Entw.). III. Glücklichern Erfolg hatte die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, indem sie die Ausscheidung des Komplotts und der Bande einerseits, der Begünstigung anderseits aus den Arten der Beteiligung mehrerer an demselben Verbrechen in der Gesetzgebung durchsetzte und damit die Einfachheit und Klarheit dieses Begriffes wesentlich förderte. 1. K o m p l o t t ist die Verabredung mehrerer zur Begehung eines oder mehrerer bestimmter Verbrechen; B a n d e die auf Begehung mehrerer noch nicht einzeln bestimmter Verbrechen gerichtete Verbindung. Die ältere Ansicht hatte entweder alle Mitglieder als „gegenseitige Anstifter" für den gesamten Erfolg verantwortlich gemacht oder aber die Verabredung selbst als Versuch des Verbrechens gestraft. Die heutige Wissenschaft dagegen hält an dem Grundsatze fest, dafs den einzelnen das begangene Verbrechen nur insoweit zugerechnet werden kann, als eben die Begriffe der ') Sehr bezeichnend die Äufserungen von v. Buri GS. 45 35.
§ 50.
I. Die Täterschaft.
191
Thäterschaft, Anstiftung, Beihilfe im gegebenen Falle thatsächlich durch das Verhalten der einzelnen verwirklicht worden sind; dafs ferner von Versuch nicht gesprochen werden kann, solange kein Anfang der Ausführung vorliegt. Der Gesetzgebung aber bleibt es unbenommen, Verabredung und Verbindung als selbständige Verbrechen unter Strafe zu stellen oder aber sie als Schärfungsgründe zu verwenden. Die Reichsgesetzgebung hat das erstere bezüglich des Komplotts gethan in StGB. § 83, Spionagegesetz vom 3. Juli 1893 § 5, Mil.StGB. § § 59, 72, 100, 103, sowie bezüglich des Komplotts und der Bande in § 6 des Sprengstoffgeseties vom 9. Juli 1884. Dagegen ist in § § 146 und 147 des Vereinszollgesetzes vom 1. Juli 1869 und in §§ 87 und 91 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 das Komplott, in StGB. §§ 243 Nr. 6, 250 Nr. 2, Mil.StGB. § 135, Vereinszollgesetz § 146 die bandenmäfsige Begehung lediglich als Strafschärfungsgrund behandelt. 2. Die B e g ü n s t i g u n g ist keine Form der Beteiligung mehrerer andern Verbrechen, Denn es fehlt ihr, da sie erst n a c h Begehung der That möglich ist, das einzige allen Formen der Beteiligung gemeinsame Merkmal: das Setzen einer Bedingung zu dem eingetretenen Erfolg. Sie ist mithin selbständiges Verbrechen und gehört als solches in den besondern Teil. Dieser, in der Wissenschaft nur mehr von einzelnen (so v. Meyer 301, Merkel 153, Köhler Studien 1 115, 118, welch' letzterer „indirekte Teilnahme" annimmt) widersprochenen, Auffassung folgt, im Gegensatze zum Code penal, nicht nur das RStGB., sondern auch die Mehrzahl der aufserdeutschen Gesetze (so Italien) und Entwürfe (so der russische, österreichische usw.). IV. Ganz verunglückt war die Aufstellung des Begriffs des concursus necessarius oder der n o t w e n d i g e n T e i l n a h m e [Schütze). Sie soll dann vorliegen, wenn zur Begehung eines Verbrechens, wie bei Ehebruch, Blutschande, Zweikampf einerseits, bei Aufstand, Aufruhr, Meuterei anderseits, das Zusammenwirken mehrerer Personen begrifflich notwendig ist. Dabei ist aber übersehen, dafs auch hier die allgemeinen Regeln über Beteiligung uneingeschränkte Anwendung finden, insbesondere die Strafbarkeit des einen Beteiligten durch die Straflosigkeit des andern (vielleicht gutgläubigen oder zurechnungsfähigen) Genossen nicht berührt wird, dafs mithin die Aufstellung eines besondern Begriffs überflüssig ist und nur irreleitend wirken kann.
s 50.
1. D i e
Thäterschaft.
Thäterschaft ist, im Unterschiede v o n
der Teilnahme,
V e r u r s a c h u n g oder N i c h t h i n d e r u n g des lich relevanten
Erfolges.
Dabei sind
die
strafrecht-
mehrere Fälle
zu
unterscheiden. I.
Thäter
ist
zunächst derjenige, der d i e g a n z e
brechenshandlung
allein
ausführt,
den
Ver-
gesetzlichen
Thatbestand des Verbrechens allein verwirklicht: Notzüchter also z. B. derjenige, der nötigt u n d geschlechtlich mifsbraucht; Räuber
192
§ 5°-
I- Die Thäterschaft.
derjenige, der Gewalt anwendet und die Sache wegnimmt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Erfolg lediglich durch eigene körperliche Thätigkeit oder durch Benutzung der Naturkräfte, eines Werkzeuges oder eines Tieres herbeigeführt wurde. Derjenige also, der durch seinen Hund ein Stück Fleisch aus dem Metzgerladen wegholen läfst oder den Hund auf einen Menschen hetzt, ist als T h ä t e r des Diebstahls oder der Körperverletzung gerade so gut schuldig, wie derjenige, der sich die Wurst vom Fenster der Speisekammer mittels einer Stange herabholt oder der mit der Faust oder durch einen unglücklichen Schrotschufs das Auge des andern beschädigt. Thäter ist aber auch derjenige, der sich eines a n d e r n M e n s c h e n als Werkzeug bedient. 1 ) Dieser Satz erleidet eine wichtige Einschränkung durch den positivrechtlichen Begriff der Teilnahme (unten § 51). Soweit dieser aber nicht eingreift, kommt die allgemeine Regel zur uneingeschränkten Anwendung.2) II. Thäterschaft liegt daher auch in folgenden Fällen vor (sog. i n t e l l e k t u e l l e U r h e b e r s c h a f t , f i n g i e r t e oder m i t t e l b a r e Thäterschaft):3) 1. Wenn der vom Thäter Benutzte n i c h t z u r e c h n u n g s f ä h i g war. Wer etwa dem Tobsüchtigen ein Messer in die Hand gibt, damit dieser einen andern ersteche, ist als Thäter des Mordes schuldig. Dem Wahnsinnigen steht aber nicht ') Über die Benutzung des e i g e n e n Körpers vgl. ob. § 36 III. ' ) Irrtum darüber, ob man Thäter oder Theilnehmer ist, bleibt einflufsIos (oben § 38 IV). Wer nicht weifs, dafs der von ihm Bestimmte oder Unterstützte geisteskrank ist, wird dennoch als Thäter bestraft. Dagegen (wie Birkmeyer) R 9./16. Juni 1884 11 56. *) Der Begriff der mittelbaren Thäterschaft wird im allgemeinen von Wissenschaft und Rechtsprechung anerkannt. So von Hälschner 1 368, 398, Janka 148, v. Meyer 228, 297, v. Spefshardt Versicherungsbetrug 74, insbes. auch von Birkmeyer; auch R 17. Januar 80 1 146; 8. Dezember 80 3 96; 14. Juni 81 4 256; 13. Februar 85 12 6 7 ; 28. Januar 89 18 419. Doch glaubt man vielfach (vgl. Olshausen 3. Abschnitt 5, Borchert 99, 106, Löning Haftung des Redakteurs 149, 150) ihn dort ausschliefsen zu müssen, wo das Gesetz körperliche Begehung erfordere. So soll die Haftung einer Frauensperson für Notzucht, eines Nichtverwandten für Blutschande, eines Nichtbeamten für ein reines Amtsdelikt ausgeschlossen sein, wenn sie zur Herbeiführung des Erfolges einen Wahnsinnigen bestimmt oder einen Zurechnungsfähigen gezwungen haben. Dafs die Rechtspflege bei dieser Ansicht nicht bestehen kann, bedarf keines Nachweises. Dennoch verdankt ihr StGB. § 160 (Verleitung zum Falscheid) sein wenig erfreuliches Dasein (vgl. Besondern Teil). Ganz verfehlt ist es, die mittelbare Selbstbegehung als strafrechtliche Verantwortlichkeit für Handlungen dritter aufzufassen, wie Borchert dies thut.
§50.
I. Die Thäterschaft.
193
nur das K i n d , sondern auch der S t r a f u n m ü n d i g e durchaus gleich (oben § 37 Note 2). Denn Anstiftung, als unselbständige Teilnahme an der strafbaren Handlung eines andern, ist unmöglich, wenn auf Seiten des zur That Benutzten eine strafbare Handlung nicht vorliegt. 2. Wenn der Benutzte u n f r e i , d. h. g e n ö t i g t , gehandelt hat; genauer: wenn die Voraussetzungen des § 52 StGB, gegegeben waren. Denn in diesem Falle entfällt mit der Rechtswidrigkeit auch die Strafbarkeit des Thuns; und damit ist die Unmöglichkeit strafbarer Teilnahme gegeben. 3. Wenn der Benutzte n i c h t v o r s ä t z l i c h , d. h. nicht in der Voraussicht der Folgen seines Thuns gehandelt hat. Wer die Krankenpflegerin durch Täuschung bestimmt, statt des vom Arzte verordneten Chinins Arsenik zu geben, ist nicht Anstifter zu einem von der Pflegerin überhaupt nicht begangenen Morde, sondern selbst Mörder. 4 ) In denjenigen Fällen, in welchen Bewufstsein der Rechtswidrigkeit zum Thatbestande gehört, steht dessen Mangel dem Fehlen des Vorsatzes gleich4. Wenn das Verbrechen eine b e s t i m m t e A b s i c h t fordert (z. B. Aneignungsabsicht beim Diebstahl), diese Absicht aber dem zu der That benutzten Thäter mangelt, während sie bei dem Anstifter vorliegt. In allen vier 5 ) Fällen ist für die Beurteilung des Thäters das Verhalten seines Werkzeuges allein mafsgebend. 8 ) III. Aber auch, wenn m e h r e r e nur d u r c h ihr Z u s a m m e n w i r k e n den gesetzlichen Thatbestand verwirklicht haben, ist jeder von ihnen als Thäter zu bestrafen. Das Gesetz *) § 20 Nachdrucksgesetz siehe unten § 51 Note I. ö ) Ein weiterer, ganz vereinzelter, Fall ist oben § 34 I erwähnt worden (der befehlende Vorgesetzte). °) Also: i. Hat der Thäter, wenn auch durch ein Wort, mehrere Werkzeuge erfolgreich bestimmt, so liegen für ihn ebensoviele Verbrechen vor. Ebenso, wenn er das eine Werkzeug zu mehreren Verbrechen bestimmt. — 2. Der Versuch beginnt für den Thäter erst mit der Ausfuhrungshandlung des Werkzeugs. — 3. Der Thäter bleibt Thäter, auch wenn er nur eine Beihilfehandlung setzt. Beispiel: Der Erwachsene A hält das Opfer, während der Knabe B den Dolchstofs führt. — 4. Erfordert das Gesetz eine bestimmte körperliche. Thätigkeit (z. B. das Einsteigen nach § 243 Ziff. 2), so mufs diese von dem Werkzeug vorgenommen werden, um dem Thäter zugerechnet werden zu können Ebenso im Ergebnis R 21. März 93 2 4 86. S. auch Note 3. v o n L i s z t , Strafrecht.
6. Aufl.
13
194
§ 50.
Die Thäterschaft.
hat diesen Satz für den Fall der M i t t h ä t e r s c h a f t ausdrücklich anerkannt und diese in § 47 als die „ g e m e i n s c h a f t l i c h e A u s f ü h r u n g " einer strafbaren Handlung bestimmt. Daraus folgt: i. M i t t h ä t e r ist derjenige, w e l c h e r an d e r A u s f ü h r u n g s h a n d l u n g , d. h. an einer bereits in den T h a t b e s t a n d des Verbrechens hineinfallenden Handlung, t e i l g e n o m m e n h a t (oben §4611). Damit ist der Unterschied von der Beihilfe o b j e k t i v bestimmt. So ist Mitthäter beim Morde derjenige, der eine todliche Verletzung beigebracht; beim Diebstahl, wer die Sache weggenommen; beim Betrüge, wer an der Täuschung sich ^beteiligt hat. Bei den sogenannten z u s a m m e n g e s e t z t e n Verbrechen ist Mitthäter derjenige, welcher auch nur eine der das Verbrechen bildenden Ausführungshandlungen begangen hat. So sind A und B Mitthäter, wenn A die Frauensperson C vergewaltigt oder den D mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben bedroht und B die C mifsbraucht oder dem D die Brieftasche wegnimmt: denn Gewalt und Drohung sind Thatbestandsmerkmale für Notzucht und Raub. Wenn aber A Wache stand, während B einen Einbruchsdiebstahl verübte, so ist A niemals Mitthäter, sondern Gehilfe; denn das Wachestehen ist nicht Ausführungsbandlung beim Diebstahl.')
) Abweichend das Reichsgericht. Dieses hat, gestützt auf die ausdrückD g d e r M o t i v e > i n e i n e r Reih R 29. September 83 9 131. Dagegen verlangen den Austritt irgend eines Körperteils aus dem Mutterleibe Dinding 1 220 Note 6, Merkel 308, Olshausen § 211 I , v. Holtzendorff HH. 3 4 5 1 , Finger I I , Horch Abtreibung 45, R 8. Juni 80 1 446. Vgl. Ortloff Kind oder Fötus? 1887. Derselbe Physiologische Kennzeichen für Beginn und Ende der Rechtsfähigkeit 1890. 2 ) Die Frage war schon im gem. Recht bestritten; überwiegend wurde bei „tierischer Gestalt" Tötung nicht angenommen (so im Anschlufs an das romische Recht von Damhouder und JSF. Böhmer). Preufsen 1721 gestattet die Tötung, wenn feststeht, dafs die Geburt mit keinem Verstände begabt sei. von Liszt, Strafrecht. 6. Aufl. 18
¿74
§ 8l.
Die vorsätzliche gemeine Tötung.
Geschichte.
wenn die Mutter durch Nichtunterbindung der Nabelschnur oder durch Unterlassung der Ernährung den Tod des Neugebornen veranlafst, so ist sie der Kindestötung schuldig. IV. Das RStGB. unterscheidet zunächst vorsätzliche und fahrlässige Tötung; innerhalb der ersteren tritt neben die gemeine Tötung die Tötung auf Verlangen und die Kindestötung. § 81.
Die vorsätzliche gemeine Tötung.
Geschichte.
Litteratur. Brunnenmeister Das Tötungsverbrechen im altrömischen Recht 1887. — Allfeld Die Entwicklung des Begriffes Mord bis zur Karolina 1887. Frauenstädt Blutrache und Totschlagsuhne 1881. Brunner 2 627. — Wachenfeld Die Begriffe von Mord und Totschlag sowie Körper Verletzung mit tödlichem Ausgang in der Gesetzgebung seit der Mitte des 18. Jahrhunderts 1890. I. Schon das älteste römische Strafrecht fafst abweichend von den übrigen indogermanischen Rechten die Tötung auf als ein gegen die öffentliche Rechtsordnung gerichtetes Verbrechen, dessen Verfolgung und Bestrafung der privaten Willkür entzogen wird (oben S. 7); der unmittelbaren körperlichen Tötung, dem caedere, stellt es schon in dem angeblichen Gesetze Numas die mittelbare Herbeiführung des Todes, das morti dare oder mortis causam praebere, in der Bestrafung gleich (vgl. aber auch Pernice Sachbeschädigung 148). Seit Sulla ruht das römische Recht über Tötungen auf der allerdings nach und nach sehr erweiterten Lex Cornelia de sicariis et veneficis (D. 48, 8; C. 9, 16), welche den Banditenmord sowie das Auflauern in mörderischer Absicht, die Vergiftung (mit ihren Vorbereitungshandlungen), die mörderische Brandstiftung, die Bestechung eines Richters oder eines Zeugen in einem Kapitalprozesse und zahlreiche andre'Fälle mit der Interdiktion bedrohte. Später wurden die Vornehmen mit Deportation UDd Verlust ihres Vermögens, die Geringeren mit dem Tode bestraft. Als besonders schwerer Fall trat das parricidium in veränderter Bedeutung als Tötung der nächsten Verwandten hervor (Lex Pompeja von 699 a. u.; D. 48, 9; C. g, 17), deren eigentümliche Strafen, seitdem Konstantin die Sitte der Vorfahren erneuert hatte, die Säckung mit Schlange, Affe, Hund und Hahn, der culeus bildete. Seit Hadrian wird in der Bestrafung zwischen dem überlegten Vorsatze und dem impetus zu unterscheiden versucht. Dafs die fahrlässige Tötung als solche bestraft worden sei, ist unrichtig (oben § 35 Note 2). II. Das frühere d e u t s c h e M i t t e l a l t e r legt — ganz abweichend vom römischen Recht — das Hauptgewicht auf die Unterscheidung innerhalb der Tötungsfalle. So wird neben dem Verwandtenmord (Lex Rib. 69, 2) und der Tötung mit Bruch eines besondern Treuverhältnisses (petit treason des englischen Rechts) besonders der Unterschied von M o r d und T o t s c h l a g betont. Mord ist die heimliche, hinterlistige, auf diebische Art (furtivo modo) vollführte Tötung, gekennzeichnet durch die Verbergung des Leichnams ; Totschlag die Tötung im offenen, ehrlichen Kampf, für welche einzustehen der Thäter sich
§ 8l.
Die vorsätzliche gemeine Tötung.
Geschichte.
2/5
nicht scheut. Mord wird mit wesentlich strengerer Strafe belegt als Totschlag. 1 ) Die Strafverfolgung des T o t s c h l ä g e r s liegt in den Händen der Sippe des Verletzten, wie früher die Blutrache; und bis tief in die Neuzeit hinein steht die Ledigung (Totschlagsühne) in dem Ermessen des Verfolgungsberechtigten, während gegen den fluchtigen M ö r d e r im Mordachtsprozefs d i e V e r f e s t u n g ausgesprochen wird. 3 ) Die Landfrieden haben vielfach den Totschlag ohne weitere Abstufung mit dem Tode bedroht. Aber noch in der zweiten Hälfte des Mittelalters findet sich vielfach die alte Auffassung wieder (Schsp. 174). Daneben aber dringt bereits die von den italienischen Juristen ausgebildete Unterscheidung von dolus praemeditatus und impetus in die deutschen Rechtsaufzeichnungen ein, mit dem deutschrechtlichen Unterschied sich verbindend und verschmelzend. 3 ) Im allgemeinen werden Mord und Totschlag auch in der Bestrafung unterschieden: für jenen das Rad, für diesen das Schwert (vgl. Ssp. II 13). III. Auf deutscher Rechtsanschauung beruht P G O . 137: . . . . „Und also, dafs der Gewohnheit nach ein f ü r s e t z l i e h e r m u t w i l l i g e r M ö r d e r mit dem Rade, und ein ander, d e r e i n T o t s c h l a g a u s G ä h h e i t u n d Z o r n g e t h a n , . . . mit dem Schwert vom Leben zum Tode gestraft werden sollen. Und man mag in fürgesetztem Mord, so der an hohen trefflichen Personen, des Thäters eigenen Herrn, zwischen Eheleuten oder nahe gesippten Freunden geschieht, durch etlich Leibstraf, als mit Zangen reifsen oder Ausschleiffung vor der endlichen Tötung um grofserer Furcht willen die Strafe mehren." 4 ) Die Vergiftung wird in Art. 130 besonders erwähnt. IV. Die gemeinrechtliche Wissenschaft pflegte, ohne sich viel um PGO. 137 zu kummern, innerhalb des homicidium dolosum eine Anzahl ven besonders schwer zu strafenden Mordfällen hervorzuheben. Regelmäfsig unterschied man: a) P a r r i c i d i u m , Verwandtenmord mit vielfachen Abstufungen in der Bestrafung (schon in Sachsen 1572 IV 3, ebenso Preufsen 1620 eingehend behandelt); b) h o m i c i d i u m p r o d i t o r i u m , Meuchelmord (bei Engau, Böhmer u. a.); c) l a t r o c i n i u m , Strafsenraub (nach Carpzov) oder Raubmord (lucri faciendi causa nach Koch, Engau, Böhmer); d ) a s s a s s i n i u m , Banditenmord (nach der politisch-religiösen Sekte der schiitischen Mohammedaner, 1090 gestiftet, wird der Ausdruck seit dem 12. Jahrhundert gebräuchlich; assassinator ist der Auftraggeber, assassinus der Mörder; die einfache Zusage straft Preufsen 1620 als Totschlag); e) v e n e f i c i u m , der Giftmord. Daneben J) Dreifaches Wergeid bei den Franken; neunfaches bei Alemannen, Friesen, Bayern, Sachsen; bald auch, bes. in den Kapitularien, der Tod. Cap, 596 (Boretius 16). Vgl. Günther 1 182. 2 ) Noch in der Bambergensis, nicht in der P G O . Erhält sich dennoch landesrechtlich über das 17. Jahrhundert hinaus. Ausdrücklich noch Hamburg 1603. 8) Im Anschlufs an 1. I i § 2 D. 48, 19. Vgl. Glosse zum Sachsenspiegel, Stadtrechte von Strafsburg 1249, Frankfurt 1297. — Einteilung bei Clarus: 1. Homicidium simplex: a necessarium, b casuale, c culposum, ¡/dolosum. 2. Homicidium deliberatum: a ex proposito, b ex insidiis, c proditorie, d per assassinium. 4 ) Uber die streitige Auslegung dieses Axt. vgl. Wachenfeld. 18*
§ 82.
Die vorsätzliche gemeine Tötung.
Das geltende Recht.
wurde noch das p r o p r i c i d i u m , der Selbstmord, besonders hervorgehoben (oben § 34 Note 7). Frühzeitig beginnen die gesetzlichen Bestimmungen über das Vorliegen der Verursachung. Schon die sächsischen Konstitutionen 4 6 erwähnen den Irrtum in der Person. Auch die Tötung durch Unterlassung wird ausdrucklich geregelt. Der Begriff des Totschlages wurde unter Verwertung des dolus iudirectus (oben 38 Note 8) auf diejenigen Fälle erweitert, in welchen nicht Totungsvorsatz, sondern lediglich feindselige Absicht (der pravus animus Carpzovs) vorlag. So schon in Preufsen 1721 sowie in den StGBüchern fur Österreich ^87 bis 1852 und im ALR. 806. V. Preufsen ALR. bedroht als Mörder mit der Strafe des Rades von oben herab denjenigen, der mit vorher überlegtem Vorsatz zu toten einen Totschlag wirklich begeht. Daneben werden besonders erwähnt der verabredete und der befohlene Mord (839, 849), Banditenmord (854), Raubmord (855), Vergiftung (856), Verwandtenmord (873). Neue Bahnen schlugen der Code pénal sowie das bayrische StGB, von 1813 ein. Der erstere nennt Mord (meurtre) jede vorsätzliche Tötung; Meuchelmord (assassinat) den Mord mit Vorbedacht oder Hinterhalt (avec préméditation ou guet-apens). Bayern 1813 stellt Mord und Totschlag scharf gegenüber ; ersteren kennzeichnet Vorbedacht beim Entschlufs und Überlegung bei der Ausführung, letzteren die aufwallende Hitze des Zorns. Das englische Recht verwendet nach wie vor den vorbedachten Vorsatz (malice aforethought) zur Unterscheidung von murder und manslaughter. VI. Für die heutige Gesetzgebung ist die Unterscheidung von Mord und Totschlag nur darum von Wert, weil sie ermöglicht, die Todesstrafe auf ein kleines Gebiet der Tötungen zu beschränken. Dabei wird regelmäfsig der Unterschied zwischen ü b e r l e g t e m und n i c h t ü b e r l e g t e m Tötungsvorsatz verwendet. So auch das RStGB. im Anschlufs an Frankreich 1810, Preufsen 1851. Doch haben die Entwürfe für Österreich, Rufsland, der Schweiz dieses von Haus, v. Holtzendorff, Berner, Meyer, Hälschner, Wachenfeld u. a. lebhaft bekämpfte Unterscheidungsmerkmal mit Recht ganz aufgegeben und dem Regelfalle der vorsätzlichen Tötung einerseits eine Reihe von erschwerten Fällen, anderseits die in heftiger Gemütsbewegung ausgeführte Tötung (Totschlag) gegenübergestellt.
^ 82.
Die vorsätzliche gemeine Tötung. D a s geltende Recht.
Litteratur. Kräwel GS. 3 8 177. lnserm heutigen MordbegrifT. Diss. 1887.
Wachenfeld
Die
Überlegung
in
I. Nach dem RStGB. liegt M o r d v o r (§ 211), wenn der Thäter die vorsätzliche Tötung mit Ü b e r l e g u n g ; Totschlag 212), wenn er sie n i c h t m i t Ü b e r l e g u n g a u s g e f ü h r t hat. Durch diese von dem preußischen StGB, abweichende ind an das sächsische sich anschliefsende Fassung wollte der Gesetzgeber betonen, dafs das Schwergewicht auf der A u s -
§ 82.
Die vorsätzliche gemeine Tötung. Das geltende Recht.
f ü h r u n g liege und dafs eine Tötung, welche mit Überlegung beschlossen, aber ohne Überlegung ausgeführt wurde, nicht als Mord, sondern als Totschlag aufzufassen und zu bestrafen sei. Allein bei näherer Betrachtung stellt sich die Abweichung als durchaus unwesentlich dar. Überlegung ist ein Merkmal des Entschlusses, nicht aber des Vorsatzes (§ 28 Note 2). in dem angenommenen Falle ist die Ausführung des frühern Entschlusses unterblieben, und die Tötung beruht in der That auf einem n e u e n , nicht überlegten Entschlüsse. Wir können demnach bestimmen: M o r d ist d i e v o r s ä t z l i c h e ü b e r l e g t e , T o t s c h l a g die v o r s ä t z l i c h e n i c h t ü b e r l e g t e Tötung.1) Die S t r a f e des Mordes ist der Tod; die des Totschlages Zuchthaus nicht unter fünf Jahren. Wenn von mehreren Beteiligten der eine mit, der andre ohne Überlegung gehandelt hat, so ist der erste des Mordes, der andre des Totschlages schuldig. Anstiftung zum Mord kann als Totschlag strafbar sein und umgekehrt.2) II. M i l d e r b e s t r a f t wird der Totschlag (StGB. S 213), wenn der Thäter ohne eigne Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen (oben § 33 Note 5) zugefügte Mifshandlung oder schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur That hingerissen worden ist oder wenn andere mildernde Umstände vorhanden sind. S t r a f e : Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Auch hier bleibt der Totschlag V e r b r e c h e n ; der Versuch ist daher strafbar (oben § 25 IV). „Mifshandlung und schwere Beleidigung" sind nicht im technischen Sinne zu nehmen, auch Ehebruch würde z. B. hierher gehören. — «Auf der Stelle" ist nicht ortlich oder zeitig aufzufassen, sondern bedeutet die Fortdauer der durch die Kränkung hervorgerufenen heftigen Gemütsbewegung. — StGB. § 213 stammt aus Code pénal Art. 321. Das übertriebene milde Mindestmafs von sechs Monaten Gefängnis ist erst während der parlamentarischen Beratung des ') Preufsisches StGB. § 175: „Wer vorsätzlich und mit Überlegung tötet" . . . Ebenso die Mehrzahl der übrigen deutschen StG Bücher. Dafs die Fassung des RStGB. eine sachliche Änderung nicht bedeute, wird von R mit der gem. Meinung bestritten. Richtig besonders Hälschner 2 52 Note 1. — Doch bleibt der Wortlaut des RStGB. selbstverständlich für die Fragestellung im schwurgerichtlichen Verfahren sowie überhaupt für die Feststellung im Urteile mafsgebend. 2 ) Ebenso Berner 280, 503, Hälschner 1 439, v. Meyer 2 8 1 ; dagegen Geyer HH. 4 162, Merkel 307, Olshausen § 50 5.
278
§ 83. Die Kindestötung.
RStGB. aufgenommen worden. Dadurch entsteht ein unlöslicher Widerspruch zu §§ 216 und 217, welche beide höhere Mindestmafse haben.
III. S c h w e r e r b e s t r a f t e Fälle (unter Ausschlufs der Strafmilderung des § 213). 1. Tötung b e i U n t e r n e h m u n g e i n e r s t r a f b a r e n H a n d l u n g (StGB. § 214), um ein ihrer Ausführung entgegentretendes Hindernis zu beseitigen oder um sich der Ergreifung auf frischer That zu entziehen. 2. Tötung eines V e r w a n d t e n a u f s t e i g e n d e r Linie (StGB. § 215). Beide Bestimmungen sind dem Code pénal (Art. 304 und 302) entlehnt. — Die Strafe ist Zuchthaus von zehn bis zu fünfzehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Noch Preufsen 1851 hatte die Todesstrafe angedroht. — „Unternehmen" umfafst auch die Vorbereitungshandlungen (oben § 47 Note 2).') — Die unternommene Handlung mufs nach deutschem Recht, wenn auch nicht nach Reichsrecht, „strafbar" sein. — Das „um . . . zu" bezeichnet die Absicht als Beweggrund. — Den nicht verwandten Mitthäter oder Teilnehmer trifft die schwere Strafe des § 215 nicht.
§ 83.
D i e Kindestötung.
Litteratur. Jordan Begriff und Strafe des Kindesmordes 1844. Kunze Der Kindesmord 1860. v. Kleist Das Verbrechen der Kindestötung 1862. v. Fabrice Lehre von der Kindesabtreibung und vom Kindesmord 1868. Wehrli Der Kindesmord 1889. Clostnann Die Kindestötung 1889 (unbedeutend). — Vgl. Dorfler in Friedreichs Blättern für gerichtliche Medizin 44 269. I. Die K i n d e s t ö t u n g , vom römischen Recht zu keiner Zeit besonders hervorgehoben, wird unter dem Einflüsse der Kirche im deutschen Rechte zu einem besondern, aber im Gegensatze zu den milden Bestimmungen der Bufsbiicher (welche bereits die Schande als den Beweggrund der unehelich Gebärenden bezeichnen und den Kindesmord bei den Fleischesverbrechen behandeln) mit erschwerter Todesstrafe (Lebendigbegraben und Pfählen) bedrohten Verbrechen. Dies ist auch der Standpunkt der PGO. In Art. 131 bestimmte sie: „Welches Weib ihr Kind, das Leben und Gliedmafs empfangen hätte, heimlicher, boshaftiger, williger Weise ertötet, die werden gewohnlich lebendig begraben und gepfählt. Aber darinnen Verzweiflung zu verhüten, mögen dieselben Übelthäterinnen, in welchem Gericht die Bequemlichkeit des Wassers dazu vorhanden ist, e r t r ä n k t werden. Wo aber solche Übel oft geschehen, wollen wir die gemeldete Gewohnheit des V e r g r a b e n s und P f ä h l e n s um mehrerer Furcht willen solcher boshafter Weiber auch zulassen oder aber dafs vor dem Ertränken die Übelthäterin mit glühenden Zangen ge' ) Ebenso Geyer 2 6, Hälschner 2 45, v. Holtzendorff HH. 3 441, Olsh aus en § 214 2. Dagegen v. Meyer 518 u. a.
§ 83.
Die Kindestötung.
279
rissen werde." In der Rechtsprechung begnügte man sich in Oberdeutschland (wo vielfach, wie in Osterreich, das Ertränken überhaupt nicht Sitte war) meist mit dem Schwert; anderswo, wie in Breslau (Z 10 13) vollzog man die Pfählung bis ins 17. Jahrhundert thatsächlich, später bildlich (Günther, 1 262, 2 68). Sachsen wandte dagegen den culeus an (Const. Sax. 4 3 ; noch 1734), welcher 1714 auch in Preufsen eingeführt, hier aber 1740 wieder beseitigt wurde. Frühzeitig aber (schon im Anfange des 18. Jahrhunderts) 1 ) bemächtigt sich die naturrechtliche Litteratur der Untersuchung des Kindesmordes; sie macht eine Reihe von Milderungsumständen geltend, welche die Todesstrafe als ungerecht erscheinen lassen, und legt das Hauptgewicht auf die Vorbeugungsmittel. Rasch folgt die Gesetzgebung; schon ein die Todesstrafe einengendes preufsisches Edikt von 1765, dann die Theresiana von 1768, welche zwar noch Pfählung des Leichnams vorschreibt, aber das Schwergewicht doch schon auf die Verhütung des Kindesmordes legt; in völlig bezeichnender Weise aber das ALR. von 1794, nach welchem (2 20, 902) die Mutter verpflichtet wird, ihre vierzehnjährige Tochter über die Kennzeichen der Schwangerschaft und die Unterbindung der Nabelschnur zu belehren. Doch finden wir hier noch immer die Todesstrafe, die erst Österreich 1803 und Bayern 1813 beseitigen. Seither behauptet die Kindestötung in der deutschen Gesetzgebung (anders in England und Frankreich) ihre bevorzugte Stellung, wobei eine Minderzahl von Gesetzgebungen (auch Österreich und die Niederlande sowie die französisch-schweizerischen Gesetzbücher) die eheliche Mutter der unehelich Gebärenden grundsätzlich gleichstellt.
II. Kindestötung ist die v o r s ä t z l i c h e , sei es überlegte, sei es nicht überlegte T ö t u n g d e s u n e h e l i c h e n K i n d e s d u r c h d i e M u t t e r in o d e r g l e i c h nach der Geburt (StGB. § 217). Der Ausdruck umfafst mithin sowohl den Kindesmord, wie den Kindestotschlag. Fahrlässige Tötung ist nach StGB. § 2 2 2 zu bestrafen. III. Gegenstand der Tötung ist das Kind, nicht die Leibesfrucht (oben § 80 Note 1). Und zwar das Kind entweder in der Geburt, d. h. von dem Aufhören der Plazentaratmung bis l ) Schon in Leysers Meditationen. Serviti u. a. verlangen sogar völlige Straflosigkeit. Die 1780 von Dalberg und Michaelis gestellte Preisfrage nach den besten Mitteln zur Verhütung des Kindesmordes rief dann eine ganze Flut von mehr oder weniger seichten Schriften hervor. Man vgl. insbes. die 1783 anonym erschienene Schrift von Pestalozzi: Über Gesetzgebung und Kindesmord. Wahrheiten und Träume. Nachforschungen und Bilder. — Der Kindesmord ist zugleich Lieblingsvorwurf der schönen Litteratur jener Zeit. Über die siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts (insb. Schillers Kindesmörderin) vgl. Max Koch Helferich Peter Sturz 1879 S. 210. Auf der gegnerischen Seite stand J. Moser (Abeken 1 368, 2 164), welcher die Milde der neaern Gesetzgebung tadelte.
28o
§ 83.
Die Kindestötung.
zur Lösung der physiologischen Verbindung mit der Mutter (Nabelschnur) oder g l e i c h n a c h der Geburt Die mildere Behandlung der Kindestötung findet in diesem letztern Falle ihre zeitliche Grenze, sobald die Voraussetzungen wegfallen, von welchen der Gesetzgeber ausgegangen ist, sobald also der Zustand sein Ende findet, durch welchen die günstigere Stellung der Kindesmörderin bedingt ist.2) Der Grund für die mildere Behandlung der Kindestötung liegt aber einerseits in der Stärke der die unehelich Gebärende zur Tötung treibenden Beweggründe, anderseits in der durch den Gebärakt hervorgerufenen Verminderung der Zurechnungsfähigkeit (oben § 36 Note 1). Ob diese Gründe-eine soweit gehende Berücksichtigung verdienten, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist anzunehmen, dafs der Gesetzgeber den ersten dieser beiden Gesichtspunkte als den entscheidenden betrachtet, da der zweite in gleicher Weise auch bei der e h e l i c h Gebärenden zutreffen kann. Lebensfähigkeit des Kindes ist nicht erforderlich. Die Ehelichkeit des Kindes ist ohne jede Rücksicht auf zivilrechtliche Präsumtionen zu bestimmen. Der Irrtum der Kindesmutter über die Ehelichkeit bleibt einflufslos.3) IV. T h ä t e r kann nur die Mutter selbst sein. Aber nicht nur die unverheiratete, sondern auch die verheiratete Frau, wenn sie unehelich gebiert. Die mildere Behandlung der Kindestötung tritt ein, mag die Kindesmutter in der Form der Thäterschaft, mag sie in der Form der Teilnahme zu dem Eintritte des Erfolges mitwirken, während etwa beteiligte dritte (Thäter oder Teilnehmer) wegen gemeiner Tötung zu bestrafen sind (oben S 53 II). V. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter drei Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter zwei Jahren.*) 2) Von der in der früheren Gesetzgebung sich findenden ziffermäfsigen Begrenzung hat das RStGB. mit Recht abgesehen. Vgl. auch die Bemerkungen zu Bayern 1813. 8) Ebenso Binding Normen 2 513. Dagegen Geyer 2 8, Hälschner 2 60, v. Meyer 197, Olshausen § 217 5, Kefsler Einwilligung 103, Wehrli 70. Die richtige Ansicht ergibt sich aus der Erwägung, täafs sich der Irrtum der Thäterin nicht auf den Erfolg der Handlung, sondern auf das juristische Verhältnis zum Kinde bezieht. *) Zu beachten ist, dafs nach StGB. § 367 1 die Beerdigung oder Bei-
§ 84.
§ 84.
Die Tötung auf Verlangen.
281
Die Tötung auf Verlangen.
L i t t e r a t u r . Bohlau GA. 5 489. Mittermaier GA. 9 433. 13 387. Ortmann GA. 2 5 104, 26 195. v. Wächter G S . 2 0 5.
Ahegg G A .
I. Die Tötung des Verlangenden wird schon von der gemeinrechtlichen Wissenschaft des 18. Jahrhunderts lebhaft besprochen. Krefs, Böhmer, Engelhard, später Soden u. a. verlangen mildere Bestrafung gegen Carpzov, Mathäus, Leyser, Willenberg. Preufsen 1721 läfst die volle Strafe des Totschlages eintreten. A L R . 834 dagegen bestraft sie wie Beihilfe zum Selbstmord, also wesentlich milder als die vorsätzliche Tötung. Die Mehrzahl der LandesS t G B u c h e r (nicht aber Preufsen 1851, Österreich 1852, Bayern 1861) folgt diesem Beispiele, wobei die Schwierigkeit, vielleicht Unmöglichkeit der Abgrenzung von der Beihilfe zum Selbstmord den Ausschlag gab. Die Bestimmung des R S t G B . ist dem sächsischen Recht (schon 1855) entnommen. Ähnlich Ungarn, Holland sowie die meisten neueren Entwürfe. Die franzosische Rechtsprechung nimmt gemeine Tötung an (dagegen Chauveazi).
II. Nach RStGB. § 2 1 6 gehört hierher die vorsätzliche (überlegte oder nicht überlegte) Tötung, zu welcher der Thäter d u r c h das a u s d r ü c k l i c h e und e r n s t l i c h e V e r l a n g e n d e s G e t ö t e t e n b e s t i m m t w o r d e n ist. Erforderlich ist das freie und bewufste Verlangen eines zurechnungsfähigen Erwachsenen. Der Entschlufs zur That mufs durch den Getöteten in dem Thäter hervorgerufen sein; Einwilligung genügt mithin nicht. Die That mufs daher auch, wie bei der Anstiftung, dem Willen des Verlangenden entsprechen. Irrige Annahme des Verlangens kann dessen Fehlen nicht ersetzen.1) III. S t r a f e : Gefängnis von drei bis zu fünf Jahren. D a es sich nicht um einen milder bestraften Fall des Mordes oder Totschlages, sondern um ein selbständiges Delikt handelt, ist dieses als V e r g e h e n zu betrachten. 8 ) Der Versuch bleibt mithin nach § 2 1 6 straflos, kann aber als Korperverletzung strafbar sein.*)
Seiteschaffung der Leiche eines neugebornen Kindes als Übertretung strafbar sein kann. Dagegen kennt das R S t G B . das im s p ä t e m gemeinen Recht sich findende Vergehen der Verheimlichung der Schwangerschaft oder der Niederkunft nicht mehr. Ebenso Binding 1 721. Dagegen mit andern Geyer 2 7» v- Holtzendorff H H . 3 447, v. Meyer 5 1 2 , Olshausen § 216 4. 2 ) Dagegen Hälschner 2 58, Köhler Studien 1 128. ') Ebenso R 15. November 80 2 442, 4. November 93 2 4 369; v. Holtzendorff H H . 3 447 u. a. Dagegen Baumgarten Versuch 354, Binding 1 7 2 1 , Geyer 2 7 , Hälschner 2 58 Note 3 , Olshausen § 216 5 , auch alle diejenigen, welche bei körperlicher Verletzung des Einwilligenden Straflosigkeit annehmen. Vgl. unten § 86 Note 4.
§ 85.
282
Die fahrlässige Tötung.
Da mildernde Umstände nicht vorgesehen sind, kann unter das Mindestmafs von drei Jahren in keinem Falle herabgegangen werden.4) § 85.
D i e fahrlässige T ö t u n g .
I. Die f a h r l ä s s i g e T ö t u n g , dem römischen Strafrechte auch nach Hadrian fremd, wird in den Quellen des deutschen Mittelalters und von den Italienern vielfach erörtert. So bringt Art. 146 PGO., mit seiner freien Übersetzung von 1. 9 § 4 und 1. 11 prooem. D. 9, 2, deutsche Rechtsanschauungen im romischen Gewände.1)
II. StGB. § 222 setzt auf die fahrlässige Tötung Gefängnis bis zu drei Jahren; Gefängnis "bis zu 5 Jahren trifft den Thäter, wenn er zu der von ihm aus den Augen gesetzten Aufmerksamkeit vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet war. Nach allgemeinen Grundsätzen (oben § 28 II 2) wird die Zurechenbarkeit des Erfolges durch die mitwirkende Fahrlässigkeit eines Dritten oder des Getöteten selbst nicht berührt. Wohl aber hebt das freie und vorsätzliche Handeln eines Zurechnungsfähigen die Verantwortlichkeit für den Erfolg auf. Beihilfe zum Selbstmord kann daher nicht als mittelbare Tötung aufgefafst werden.
II. § 86.
Die Körperverletzung. G e s c h i c h t e und Begriff.
Litteratur. Geyer HH. 2 517, 4 363; Hälschner 2 83; Berner GS. 18, 19, GA 14-; Verhandlungen des 12. d. Juristentages (Gutachten von Thomstn); Hecker GA. 33 70; auch selbständig 1885). Günther Über die Hauptstadien der geschichtlichen Entwicklung des Verbrechens der Korperverletzung und seiner Bestrafung. Diss. 1884. Schmidt GS. 42 57. Scheitlin Die Ausscheidung des Verbrechens der schweren Körperverletzung usw. Diss. 1890. — Über die Einwilligung des Verletzten vgl. oben zu § 34 IV. I. Der Begriff der Körperverletzung als eines selbständigen Vergehens ist dem r ö m i s c h e n Rechte fremd geblieben. Die Körperverletzung geht hier völlig auf in dem unbestimmten und zunächst nur dem Gebiete des zivil*) So v. Meyer 521, Olshausen § 216 6 mit der gemeinen Meinung. Dagegen Binding 1 468, Hälschner 2 58, v. Holtzendorff HH. 3 447 u. a., welche hier das Mindestmafs des § 213 anwenden wollen. *) In Sachsen wird noch im 18. Jahrhundert im Anschlufs an Ssp. 2 14, 1, 2 38, 2 40, 1, 2 65 und an die Sächsischen Konstitutionen 4 II bei fahrlässiger Tötung, wenn keine Verurteilung zu Leibesstrafe stattfindet, den verfolgenden Verwandten das W e r g e i d gezahlt (20 Thaler für den Mann, 10 für die Frau). In den übrigen Teilen Deutschlands wird wohl auch eine actio legis Aquiliae utilis gegeben.
§ 86.
Geschichte und Begriff der Körperverletzung.
283
rechtlichen Verbrechens angehörigen Begriffe der injuria. Zwar hatten die X I I Tafeln bei membrum ruptura Talion angedroht, wenn ein Vergleich nicht zustande kommen sollte (ni cum eo pacit). Aber schon bei os fractum aut collisum trat Geldstrafe ein (300 bez. 150 As) und ebenso bei allen übrigen Injurien (25 As). Das prätorische Recht setzte an die Stelle dieser festen Bufssätze die civilrechtliche actio injuriarum aestimatoria. Auch kann unter Umständen das crimen vis gegeben sein. Zur Zeit des Quästionenprozesses werden drei Fälle der injuria als injuriae atroces mit peinlicher Strafe bedroht: das pulsare, verberare und domum vi introire, von welchen nur die beiden ersten unter den heutigen Begriff der Körperverletzung fallen würden. Auch den i t a l i e n i s c h e n Praktikern ist infolgedessen das selbständige Vergehen der Körperverletzung fremd. Anders das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r . Schon die Volksrechte widmen der Korperverletzung die gröfste Aufmerksamkeit (oben S. 13). Ihnen folgen die Quellen des späteren Mittelalters. Im allgemeinen unterschied man die einfachen Schläge (der romischen Realinjurie entsprechend) einerseits, Blutwunden und Verstümmlungen (Lähmungen, debilitationes) anderseits. Die ersteren wurden niedergerichtlich, die letzteren (auch im SSp. und in den Landfrieden) mit dem Verlust der Hand bedroht. Daneben waren das Messerzücken usw. besonders hervorgehoben. Trotz des Schweigens der PGO. erhielt sich die deutschrechtliche Auffassung, welche die Körperverletzung als selbständiges Vergehen betrachtete und wenigstens in den schwereren Fällen mit peinlicher Strafe belegte, auch zur Zeit des gemeinen Rechts. Die Wissenschaft hält an dem Vergehen der violatio corporis oder laesa sanitas fest, auch nachdem die Landesgesetzgebung (so schon Bayern 1616, Preufsen 1620) begonnen hatte, die romanistische Anschauung zur Geltung zu bringen. Während noch im A L R . die Grenzlinie zwischen Beleidigung und Korperverletzung fast völlig verwischt war, fand letztere selbständige Behandlung im österr. StGB, von 1803, im Code pénal und im bayrischen StGB, von 1 8 1 3 . Auch die neuere Gesetzgebung steht auf diesem Standpunkte, ist aber wenig glucklich in ihrem Bestreben, den Begriff der Körperverletzung schärfer zu fassen und die Strafbarkeit der unter ihn fallenden Verletzungen abzustufen, wobei die Schwere des Erfolges, häufig (auch Ungarn 1878, Italien 1889) gemessen an der Dauer der verursachten Krankheit oder Berufsunfähigkeit, neben der Art der Verubung regelmäfsig als ausschlaggebend erachtet wurde.
II. i. Körperverletzung ist d i e (widerrechtliche) S t ö r u n g der k ö r p e r l i c h e n U n v e r s e h r t h e i t e i n e s andern. Sie liegt vor, sobald in den regelmäfsigen Verlauf der Körperthätigkeit, soweit dieser im Augenblicke des Handelns gegeben ist, eingegriffen wird. Doch mufs ein gewisser, grundsätzlich nicht näher zu bestimmender, Grad der Störung verlangt werden. Als Körperverletzung erscheinen mithin: das Stofsen und Schlagen (das
§ 86.
284
Geschichte und Begriff der Korperverletzung.
pulsare und verberare der Römer), Verwundungen (die coups et blessures des C. pénal), Verstümmelung, Lähmung; das Abschneiden von Haaren, Ausbrechen von Zähnen; Verursachung einer körperlichen oder geistigen Krankheit; Herbeiführen von Erbrechen, Durchfall, Samenergufs; das Berauschen, Betäuben, Hypnotisieren; Erregung von Schmerz; von Unbehagen, Ekel, Abscheu, Furcht, Schrecken nur dann, wenn die Störung keine ganz unbedeutende war; unter derselben Voraussetzung störende Einwirkung auf die Sinne (Katzenmusik, blendendes Licht, Gestank, Kitzeln, Kratzen, unzüchtige Beruhrung); Verursachung von Hunger und Durst.
Der Erfolg kann unmittelbar durch die eigene Körperbewegung des Thäters oder mittelbar durch Benutzung eines Werkzeuges (Hetzen eines Hundes) herbeigeführt sein. Dem Thun steht das Unterlassen (Entziehung der Nahrung) unter den bekannten Voraussetzungen gleich. S c h m e r z e m p f i n d u n g ist in keinem Falle nötig. 1 ) 2. Das RStGB. hat den einheitlichen Begriff der Körperverletzung gespalten in zwei schwer auseinander zu haltende Unterbegriffe: k ö r p e r l i c h e M i f s h a n d l u n g und Bes c h ä d i g u n g an d e r G e s u n d h e i t . Erstere liegt vor bei Schlagen, Stofsen und andern unmittelbaren oder mittelbaren äufseren Einwirkungen auf den Körper des andern; letztere dagegen bei Störung innerer körperlicher Funktionen (auch Entziehung der Nahrung, Erregung von Ekel, Schrecken usw.). Beide Arten treffen häufig in derselben Handlung zusammen.2) 3. Die Körperverletzung erscheint zugleich als Beleidigung (Thätlichkeit), wenn sie bewufster Ausdruck der Nichtachtung ist. In diesem Falle findet § 73 StGB. Anwendung. 4. Der Vorsatz der Körperverletzung kann sich mit unbestimmtem (eventuellem) Tötungsvorsatz verbinden; in dem Vorsatz der Tötung wird jener der eventuellen Verletzung meist mit enthalten sein.8) III. Die allgemeinen Grundsätze über die Widerrechtlich') Richtig R 16. April 89 19 136. Die Ansichten gehen weit auseinander. Man vgl.Bertur 516, Halschner 2 84, v. Meyer 530, Olshausen § 2 2 3 3—6, v. Wächter 341. Nac^ Olshausen ist körperliche Mifshandlung: das Zufügen von Mifsbehagen oder Störung des Wohlbefindens sowie die entstellende Beeinträchtigung der Unversehrtheit; Gesundheitsbeschädigung: das Verursachen einer Krankheit. Diese Ansicht führt in den meisten Fällen, insbesondere bei dem vielbesprochenen. „Zopfabschneiden", zu ganz unbefriedigenden Ergebnissen. 8) Dagegen insbes. Olshausen § 223 15. Wichtig bei Rücktritt vom. Tötungsversuch. 2)
§ 87.
Die Arten der Korperverletzung.
285
keit der Handlung und über die Gründe, welche diese ausschliefsen (oben § 34), findet auch auf die Körperverletzung uneingeschränkte Anwendung. Dies gilt aber auch von jeder Überschreitung der Berechtigung (der Zuchtgewalt, des Berufsrechts usw.). Schwierigkeiten bietet die Einwilligung des Verletzten (oben § 34 Note 6). Die Bestimmung des StGB, geben keinen Anhalt für die (wenigstens in Bezug auf schwere Fälle) unserm Rechtsbewufstsein entschieden widerstreitende Annahme, dafs das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit dem Belieben des einzelnen habe preisgegeben werden sollen. Die Einwilligung mufs mithin als gleichgültig erklärt werden. Dafs bei der Tötung die Einwilligung Einflufs auf die Strafbarkeit der Handlung ausubt, ist ein Beweis nicht gegen, sondern für die aufgestellte Behauptung. Denn aus StGB. § 216 müssen wir entnehmen, dafs es ausdrücklicher Anordnung bedurfte, um der Einwilligung diesen Einflufs zu sichern, und dafs dieser trotzdem nur bis zur Strafmilderung, nicht aber bis zum Ausschlüsse der Rechtswidrigkeit reicht. Überdies läfst sich ohne Übertreibung die Verstümmelung eines Einwilligenden als das schwerere Verbrechen gegenüber seiner Tötung bezeichnen. Der Hinweis aber auf unbedeutende Korperverletzungen erledigt sich durch die Erwägung, dafs leichte vorsätzliche Körperverletzungen nur auf Antrag verfolgt werden können, bei Stellung des Antrages trotz Einwilligung aber bis auf einen T a g Gefängnis oder drei Mark Geldstrafe herabgegangen werden kann. 4 )
§ 87.
Die Arten der Körperverletzung.
Litteratur. Zu II: v. Buri GS. 34 342. — Über den Begriff der W a f f e : v. Kries G A . 25. — Zu III: die Lehrbücher der gerichtlichen Medizin.
Nach den durch das Gesetz von 1876 abgeänderten Bestimmungen unsres R S t G B . haben wir zu unterscheiden: I. Die l e i c h t e v o r s ä t z l i c h e Körperverletzung (StGB. § 223). Sie ist Vergehen; der Versuch daher straflos (anders österr. Entw.), während er bei der Sachbeschädigung strafbar ist._ Die leichte Körperverletzung zerfallt in die e i n f a c h e und die e r s c h w e r t e ; letztere liegt vor, wenn die Verletzung gegen Verwandte aufsteigender Linie begangen wurde. 4 ) Übereinstimmend R 15. November 80 2 442, 22. Februar 82 6 61, Hälschner 1 471, 2 91, Breithaupt Volenti non fit injuria S. 56. — Dagegen Binding 1 722, 724, Olshausen § 223 9, v. Wächter 190, v. Hippel Z 12 917, Ortmann GA. 25 119, Zimmermann GA. 29 441, Kronecker GS. 35 219, Kefsler Einwilligung 7 3 , Rödenbeck Zweikampf 38, 47 und GS. 37 140. — Geyer 2 17, Merkel 170, v. Meyer 319 nehmen Straflosigkeit bei leichten Körperverletzungen an. — Das Joseph. StGB. 1787 § 121 erklärte die Einwilligung ausdrücklich für gleichgültig. Gesetzliche Regelung wäre wünschenswert.
286
§ 87.
Die Arten der Körperverletzung.
S t r a f e : im einfachen Fall Gefängnis bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bis zu tausend Mark; im erschwerten Fall Gefängnis nicht unter einem Monat, doch tritt hier bei mildernden Umständen der regelmäfsige Strafansatz wieder ein (StGB. § 228). II.
Die
gefährliche
letzung
( S t G B . § 2 2 3 a).
begangen
wurde
1.
vorsätzliche
S i e liegt vor,
Körperver-
w e n n die Verletzung
mittels einer W a f f e , insbesondere eines Messers oder
eines andern gefährlichen W e r k z e u g e s ; 2.
mittels
eines
hinterlistigen
Überfalles
(ins-
besondere mittels Autlauern oder eines andern unvorhergesehenen A n g r i f f s aus g e d e c k t e r Stellung); 3.
von
mehreren
gemeinschaftlich
(oben
§
50
Note 9); 4. denden
mittels
einer d a s
Leben
(im
Einzelfalle)
gefähr-
Behandlung.
W a f f e ist hier nicht im technischen Sinne (unten § 93 II) zu nehmen und bedeutet daher jedes zur angriffe- oder verteidigungsweisen Zufügung von Verletzungen auf mechanischem Wege, und zwar in der i m E i n z e l f a l l gewählten Anwendung, g e e i g n e t e Werkzeug, ohne Rücksicht auf Bestimmung und gewohnliche Verwendung, sodafs z. B. ein Schlagring, ein schwerer Hausschlüssel, ein Bierglas usw. hierher gehören. Als Arten der Waffe in diesem Sinne führt das Gesetz beispielsweise an: „Messer und andre gefährliche Werkzeuge". W e r k z e u g ist jeder bewegliche Gegenstand der Sinnenwelt, welcher durch menschliche Körperkraft in Bewegung gesetzt w i r d ; auch der Stein, nicht der gehetzte Hund (wohl aber die geschleuderte Katze), nicht der angetriebene Geisteskranke. Auch hier mufs die Gefährlichkeit, d. h. die Möglichkeit einer Verletzung, im Einzelfall gegeben sein.1) In allen vier Fällen mufs der Thäter das Bewufstsein gehabt haben, dafs einer der erschwerenden Umstände vorliege, dafs also seine Handlung das Leben des andern gefährde, dafs er eine Waffe gebrauche usw. s ) S t r a f e : Gefängnis nicht unter zwei Monaten; bei mildernden. Umständen (StGB. § 228) Gefängnis bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bis zu tausend Mark. ') Sehr bestritten. Schwankend, im Anschlufs an R, Olshausen § 223 a 5. StGB. § 367 Ziff. 10 bedroht mit Übertretungsstrafe denjenigen, welcher bei einer Schlägerei, in die er nicht ohne sein Verschulden hineingezogen worden ist, oder bei einem (auch nur von ihm selbst, nicht von mehreren, ausgehenden) Angriffe sich einer Waffe, insbes. eines Messers oder eines andern gefährlichen Werkzeuges, bedient. 2 ) Übereinstimmend im Ergebnis Hälschner 2 95, Merkel 298, v. Meyer 536, Olshausen § 223 a 12, Lucas Subjektive Verschuldung 27; dagegen mit der überw. Meinung R, zuletzt 14. Februar 84 10 101. Sehr unklar R 12. März 88 17 279.
§ 87.
Die Arten der Körperverletzung.
287
III. D i e s c h w e r e v o r s ä t z l i c h e K ö r p e r v e r l e t z ü n g (StGB. § 224). Sie liegt vor, wenn die Handlung zur Folge hatte 1. den V e r l u s t , sei es a) eines (im Verhältnis zum Gesamtorganismus) w i c h , tigen Gliedes, sogenannte Verstümmelung (Gebrauchsunfahigkeit genügt mithin nicht, während Wiederherstellbarkeit durch ärztliche Kunst, z. B. durch Rhinoplastik, die Anwendung des § nicht ausschliefst) ; oder b) des S e h v e r m ö g e n s auf einem oder beiden Augen, d. h. den (dauernden) Verlust der Fähigkeit, Gegenstände zu erkennen, mag auch Lichtempfindung geblieben sein; c) des G e h ö r s , u. z. auf beiden Ohren, d. h. den (dauernden) Verlust der Fähigkeit, artikulierte Laute zu verstehen, mag auch die Schallempfindung geblieben sein; d) der S p r a c h e , d. h. der Fähigkeit, Gedanken durch Worte auszudrücken; e) der Z e u g u n g s f ä h i g k e i t , d. h. nicht der Begattungs-, sondern der Fortpflanzungsfähigkeit (Zeugungs- und Gebärfähigkeit). Das römische Recht hatte die Entmannung unter die lex Cornelia de sicariis gestellt (das spadones aut thlibias facere) und bestrafte auch den, der sich dazu hergab (Kastraten als Sklaven, Sänger usw.). Justinian bedrohte 558 die That mit Wiedervergeltung. Die Beschneidung war nur den Juden gestattet und wurde im übrigen als Entmannung behandelt (1. I I D . 48, 8 ; Nov. 142). Das fränkische Recht bestrafte mit Auferlegung des vollen Wergeids. PGO. Art. 1 3 3 fafste die Bewirkung von Zeugungsunfähigkeit (Unfruchtbarkeit) als Fall der Tötung (homicidium conditionale) neben der Abtreibung auf. Dagegen behandelte die spätere gemeinrechtliche Wissenschaft die procuratio sterilitatis als besondres Verbrechen und bedrohte sie mit willkürlicher Strafe. Auch die Rechtsprechung hielt an der Todesstrafe nicht fest. In der neuern Gesetzgebung (abweichend Code pénal 3 1 6 ) ist die Kastration als besondres Verbrechen aufgegeben worden. Bewirkung einer Fruhgeburt (unten § 9 1 ) ist in § 224 ebensowenig erwähnt, wie der Verlust des Geruchs oder Geschmacks.
2. E r h e b l i c h e d a u e r n d e E n t s t e l l u n g , d. h. eine die äufsere Gesamterscheinung verändernde, aber nicht notwendig auffallende Verunstaltung, auch wenn sie durch Toilettenkünste
§ 87.
288
Die Arten der Korperverletzung.
verborgen werden kann (Perücke, falsche Zähne, Glasauge) oder durch die Kleidung verborgen wird. 3) 3. S c h w e r e G e s u n d h e i t s s c h ä d i g u n g , und zwar V e r f a l l in a) S i e c h t u m , d.h. schwere chronische Erkrankung ohne bestimmte Hoffnung auf Heilung; oder b) L ä h m u n g , d. h. eine mindestens mittelbar den ganzen Menschen ergreifende Beeinträchtigung der Fähigkeit, die Muskeln (auch die Schliefsmuskeln des Afters oder der Blase) willkürlich anzuspannen, daher besonders der Fähigkeit zur Bewegung im Raum (auch hier ohne bestimmte Hoffnung auf Heilung); oder c) G e i s t e s k r a n k h e i t in dem oben § 37 erörterten Sinne, also auch Bewufstlosigkeits- und Entartungszustände umfassend. Dagegen ist vorübergehende Geistesstörung kein „Verfallen" in eine solche; dasselbe Ergebnis folgt aus der Gleichstellung mit „Siechtum" und „Lähmung". S t r a f e: Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis nicht unter einem Jahre; bei mildernden Umständen (StGB. § 228) Gefängnis nicht unter einem Monate. Die Strafe tritt ein, auch wenn in Bezug auf den schweren Erfolg weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit auf Seiten des Thäters vorliegt (oben § 35 Note 6). — Versuch ist möglich (oben § 45 Note 8), wenn durch die unvollendete Handlung der schwere Erfolg verursacht worden ist. Ist der eingetretene Erfolg beabsichtigt (also bezweckt) worden, so ist auf Zuchthaus von zwei bis zu zehn Jahren zu erkennen. War der Erfolg beabsichtigt, aber nicht eingetreten, so ist der Strafrahmen des § 225 nach StGB. § 44. zu ermäfsigen. Mildernde Umstände sind (aus Versehen) im Gegensatz zu dem unter IV behandelten Falle nicht zugelassen.
IV. Die vorsätzliche Körperverletzung m i t t ö d l i c h e m A u s g a n g (StGB. § 226). Versuch ist auch hier bei unvollendeter Handlung möglich. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter drei Jahren oder Gefängnis nicht unter drei Jahren; bei mildernden Umständen (StGB. § 228) Gefängnis nicht unter drei Monaten.
V.
Die f a h r l ä s s i g e Körperverletzung (StGB. § 230);
®) Übereinstimmend bezuglich des ersten, abweichend bezüglich des zweiten Falls Olshausen § 224 6 und R 1. Oktober 86 14 344.
§ 88.
Verfolgung und Bestrafung der Körperverletzung.
289
als Gesundheitsbeschädigung, wie als körperliche Mifshandlung denkbar.4) S t r a f e : Geld bis zu neunhundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren; bei Verletzung einer besondern Amts-, Berufs- oder Gewerbspflicht kann die Strafe auf drei Jahre Gefängnis erhöht werden.
§ 88. Litteratur.
Verfolgung und Bestrafung.
Zu III: oben bei § 67.
Zu I V : oben bei § 72 m .
I. Die Strafverfolgung tritt nur auf A n t r a g ein (StGB. § 232), wenn es sich um l e i c h t e v o r s ä t z l i c h e (nicht § 223a) oder um f a h r l ä s s i g e Körperverletzung handelt; aber nur dann, wenn die Körperverletzung nicht mit Ubertretung einer Amts-, Berufs- oder Gewerbspflicht begangen worden ist. Rücknahme des Antrages ist zulässig, wenn das Vergehen gegen einen Angehörigen (StGB. § 52 Absatz 2) verübt worden ist. II. A n t r a g s b e r e c h t i g t ist der Verletzte bez. dessen Vertreter (oben § 44). Eine Ausnahme enthalten- die auch hier (nach StGB. § 232) anwendbaren §§ 195 und 196 StGB., nach welchen auch der Ehemann und der Vater sowie der amtlich Vorgesetzte des Verletzten neben diesem und unabhängig von ihm zur Antragstellung berechtigt sind (vgl. unten § 96 II). Eine Erweiterung, bez. Beschränkung der Antragsfrist tritt bei w e c h s e l s e i t i g e n Körperverletzungen ein. Der Begriff der Wechselseitigkeit erfordert weder thatsächlichen, noch ursächlichen Zusammenhang; es genügt, wenn der klagende Verletzte den beklagten Verletzer ebenfalls verletzt hat.1) In diesem Falle ist, wenn von einem Teile auf Bestrafung angetragen worden, der andre Teil bei Verlust seines Rechtes verpflichtet, den Antrag auf Bestrafung spätestens bis zur Beendigung der Schlufsvorträge in 1. Instanz (StPO. § 428) zu stellen, hierzu aber auch dann berechtigt, wenn zu jenem Zeitpunkte die *) Übereinstimmend Olshausen § 230 I mit der gem. Meinung. Dagegen nehmen Berner 5 1 6 , Hälschner 2 i n , Geyer HH. 3 534 u. a. an, dafs die „körperliche Mifshandlung" nur vorsätzlich begangen werden könne. ') Übereinstimmend R 4. Juni 80 2 87; Gabler Üble Nachrede S. 85, Geyer 2 39, Glaser 2 23, Hälschner 2 209, Kronecker GS. 3 3 21, v. Meyer 531 u. a. Dagegen Berner 477, Olshausen § 198 I, Schütze 366. von L i s z t , Strafrecht
6. Aufl.
I?
290
§89.
i. Die Aussetzung.
dreimonatliche Frist bereits abgelaufen ist (StGB. § 232 mit § 198). Auf den Fall, dais Körperverletzung und Beleidigung einander gegenüberstehen, ist diese Bestimmung nicht anzuwenden.2) III. In allen Fällen der Körperverletzung 8) kann auf Verlangen des Verletzten neben der Strafe auf eine an ihn zu erlegende B u f s e bis zum Betrage von sechstausend Mark erkannt werden. Die Zuerkennung der Bufse schliefst die Geltendmachung eines weitern Entschädigungsanspruchs aus. Für diese Bufse haften die dazu Verurteilten als Gesamtschuldner (StGB. § 231). IV. E r w i d e r u n g (Retorsion) (StGB. § 233). Wenn leichte Körperverletzungen 4 ) mit solchen, Beleidigungen mit leichten Körperverletzungen oder letztere mit ersteren auf der Stelle erwidert werden, so kann der Richter für beide Angeschuldigte oder für einen von ihnen eine der Art oder dem Mafse nach mildere oder überhaupt keine Strafe eintreten lassen.
HI. Die Gefährdung von Leib und Leben. § 89.
1. Die Aussetzung.
Litteratur. v. Holtzendorjf HH. 3 463. Platz Geschichte des Verbrechens der Aussetzung 1876. v. Schwarze GS. 14 52. v. Buri GS. 27 517. Hdlschner 2 76. Elster HSt. 1 993. I. G e s c h i c h t e . Während das Recht des frühern deutschen Mittelalters ebenso wie das Recht des romischen Freistaates Strafdrohungen gegen Aussetzungen nicht enthält, finden wir in der romischen Kaiserzeit, und zwar seit der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts, oft wiederholte Bestimmungen gegen die expositio infantium (C. 8, 52), die aber nicht als besonderes selbständiges Verbrechen betrachtet, sondern als Fall der Tötung behandelt wird. So auch von Justinian in der Novelle 153. Erst das kanonische Recht fafst die Aussetzung als G e f ä h r d u n g von a)
Bestritten. Übereinstimmend Olshausen § 198 7. In allen Fällen, in welchen eine vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführte Korperverletzung im Sinne des § 223 vorliegt, mag sie auch nach einem a n d e r n A b s c h n i t t e des StGB, strafbar sein, kann auf die Bufse erkannt werden. Dagegen die gem. Mein., auch Olshausen § 231 54 ) Umfafst sowohl § 223, als auch § 230, wenn kein schwerer Erfolg im Sinne der § § 224 und 226 eingetreten ist. 8)
§89.
I. Die Aussetzung.
29I
Leib und Leben auf und hebt sie als selbständiges Verbrechen hervor. Dieselbe Auffassung vertritt, trotz des Schwankens der italienischen Juristen, auch die PGO. im Art. 132. Sie straft das Weib, welches „ihr Kind, damit sie dessen abkomme, von sich legt", an Leib und Leben, wenn das Kind stirbt; Die Verdagegen mit aufserordentlicher Strafe, wenn es am Leben bleibt. weisung auf die Strafe des Kindesmordes, welche noch in der Bambergensis sich findet, hat die PGO. gestrichen. Das gemeine Recht (Preufsen 1620, Österreich 1656 bis 1768) unterschied dagegen zwei Fälle, einen schwereren, wenn Totungsvorsatz vorlag, und einen leichteren, wenn dies nicht der Fall war; dort trat die Strafe des Kindesmordes, hier mildere Strafe ein. Erst Österreich 1787 scheidet die Aussetzung scharf von der Tötung, während A L R . die gemeinrechtliche Auffassung beibehält. Die heutige Gesetzgebung (schon Bayern 1813 Art. 174) erweitert, im Anschlüsse an das kanonische Recht und einzelne gemeinrechtliche Schriftsteller (so JSF. Böhmer), die Strafbarkeit auf die Aussetzung von Hilfsbedürftigen (languidi) überhaupt.
II. B e g r i f f . Nach dem RStGB. (§ 221) umfafst die Aussetzung folgende Begriffsmerkmale: 1. Als G e g e n s t a n d eine wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflose Person. Bezüglich des j u g e n d l i c h e n A l t e r s ist die feste Altersgrenze des preufs. StGB. (7 Jahre) mit Recht beseitigt; es wird also hier wie in den andern Fällen darauf ankommen, ob Hilflosigkeit vorliegt oder nicht, ob also das ausgesetzte Kind bereits genügend entwickelt ist, um durch eigene Kraft oder durch Anrufung fremder Unterstützung sich aus der hilflosen Lage zu befreien. Die G e b r e c h l i c h k e i t kann, mufs aber nicht durch Altersschwäche hervorgerufen sein. Als K r a n k h e i t sind auch Geistesstörungen (nicht aber eine in regelmäfsigen körperlichen Zuständen begründete Bewufstlosigkeit, wie tiefer Schlaf u. dgl.), insbesondere Betäubungs- und Rauschzustände anzusehen; auch chloroformierte oder hypnotisierte Personen gehören, ebenso wie blödsinnige, hierher. Dagegen liegt Aussetzung nicht vor, wenn die Hilflosigkeit andre als die im Gesetze genannten Ursachen hatte (z. B. Fesselung, Knebelung, Erschöpfung, Taubstummheit). 2. Als H a n d l u n g entweder a) ein A u s s e t z e n im engern Sinn, das V e r s e t z e n a u s dem bisherigen Zustande in e i n e n a n d e r n ; vollendet mithin, sobald jene Beziehungen zur Aufsenwelt, in welchen der Ver19*
292
§ 8g.
I. Die Aussetzung.
letzte sich bisher befunden, gelöst worden sind. Und zwar ein Aussetzen in h i l f l o s e r L a g e , d. h. das Versetzen in einen Zustand, in welchem die körperliche Unversehrtheit des Ausgesetzten g e f ä h r d e t ist. Aussetzung liegt daher nicht vor, wenn der Thäter hilfsbereit in der Nähe wartet, bis der Ausgesetzte durch dritte Personen aufgenommen wird; doch ist die blofse Möglichkeit einer Errettung durch dritte nicht ausreichend. Oder b) ein V e r l a s s e n in hilfloser L a g e ; strafbar nur dann, wenn der Verlassene unter der Obhut des Thäters stand, oder wenn dieser für die Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme des Verlassenen zu sorgen hatte. Die Verpflichtung kann hier wie überall (oben § 29), begründet sein durch Gesetz, Vertrag, aber auch durch vorangegangenes Thun, z. B. durch das Aufnehmen eines ausgesetzten Kindes von seiten eines unbeteiligten dritten. 1 ) Ein V e r s e t z e n in a n d r e Lage ist hier nicht erforderlich; wohl aber mufs eine r ä u m l i c h e T r e n n u n g , durch Sichentfernen des Thäters oder aber auch durch Verschliefsen des Einganges usw., stattgefunden haben. Einfache Vernachlässigung der pflichtgemäfsen Obsorge genügt nicht.2) 3. Als V o r s a t z das Bewufstsein von der g e f ä h r d e n d e n Bedeutung der Handlung. Der Gefährdungsvorsatz schliefst den Verletzungsvorsatz ebensowenig begrifflich aus wie dieser jenen.8) IH. S t r a f e . Die Aussetzung ist regelmäfsig V e r g e h e n : der Strafsatz beträgt Gefängnis von drei Monaten bis zu fünf Jahren; wenn von den leiblichen Eltern 4) gegen ihr Kind begangen, Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Die Schwere des (wenn auch weder vorsätzlich noch fahrlässig herbeigeführten) Übereinstimmend, Hälschner 2 79, Merkel 302, v. Meyer 547, Schütze 393 Note 1 5 , R 21. März 88 17 260; dagegen Geyer 2 12, Olshausen
§ 221 6.
2 ) Übereinstimmend R 12. Juni 83 8 343, 21. Februar 84 10 183; Geyer 2 12, Landsberg Kommissivdelikte 204. Dagegen Hälschner 2 77> v - Meyer 547, Olshausen § 221 7. — Eine Erweiterung des Gesetzes auf Zurucklassung von Kindern in nichthilfloser Lage, z. B. im Eisenbahnwartesaal, wäre wünschenswert. 8 ) Ebenso v. Meyer 491 Note 26, Schütze 394 Note 16. Dagegen Binding 1 359, Hälschner 2 81, Olshausen § 221 13. Wichtig bei Rücktritt vom Versuch. Eigentümliche Folgerungen ergeben sich daraus, dafs § 217 mildernde Umstände zuläfst, § 221 Abs. 3 aber nicht. *) Nicht Stief-, Schwieger-, Pflege-, Grofseltern.
§ 90.
2. D i e Vergiftung.
293
Erfolges macht die Aussetzung zum V e r b r e c h e n : ist eine schwere Körperverletzung (StGB. § 224) der ausgesetzten oder verlassenen Person verursacht worden, so tritt Zuchthaus bis zu zehn Jahren und, wenn der T o d verursacht •worden, Zuchthaus von drei bis zu fünfzehn Jahren ein. Der Versuch ist nur strafbar, wenn die Aussetzung Verbrechen ist; er ist hier möglich, wenn die versuchte Handlung
eine der schweren Folgen nach
sich gezogen hat (oben § 45 Note 8).
§ 90.
2. Die Vergiftung.
Litteratur. Gengier Verbrechen der Vergiftung 1842. Mittermaier 4 und 5. Berner GS. 19 7. Geyer H H . 3 557. Hdlschner 2 103. I. G e s c h i c h t e .
GA.
Die V e r g i f t u n g ist erst im heutigen Recht, und zwar
als in Verletzungsabsicht mit gewissen Mitteln
begangene G e f ä h r d u n g
L e i b und Leben, wieder zum selbständigen Verbrechen geworden.
Die
von Sul-
lanische Gesetzgebung stellte das Geben, Zubereiten, Ankaufen, Verkaufen von G i f t unter die 1. Cornelia de sicariis et veneficis.
D i e römischen Kaiser da-
gegen brachten, unter dem Einflufs kirchlicher Anschauungen, die Vergiftung als maleficium mit der Zauberei in engste Berührung (C. 9, 18). das deutsche Mittelalter; so auch SSp. 2 13, Feuertodes verhängt. denjenigen, welcher
Ganz ebenso
7 welcher daher die Strafe des
Die P G O . droht in Art. 130 die Strafe des Rades gegen „jemanden
durch G i f t oder Venen an L e i b oder Leben
beschädigt"; Totungsvorsatz und Totungserfolg wird vorausgesetzt, aber nicht verlangt, die Vergiftung mithin als selbständiges Verbrechen anerkannt. gemeine Recht und
die ihm
folgende Gesetzgebung
an die Sächsischen Konstitutionen 4 18 die
Das
sondert im Anschlüsse
gemeingefährliche Vergiftung von
Brunnen und Weiden a b ; die Vergiftung aber wird zumeist (nicht Österreich 1656 und 1768, wohl aber Österreich 1787 und 1803, sowie A L R . ) als Fall des Meuchelmordes aufgefafst und damit ihrer selbständigen Bedeutung entkleidet.
Dagegen macht, den spätem gemeinrechtlichen Schriftstellern ( G r o l -
m a n n , F e u e r b a c h , M a r t i n u. a.) folgend, Preufsen 1851 die Vergiftung wieder zum selbständigen Verbrechen, und ihm schliefst sich das R S t G B . an, individuelle und gemeine Gefährdung (Vergiftung von Brunnen usw.) streng voneinander trennend.
II. B e g r i f f . Nach § 229 StGB, kennzeichnet sich die Vergiftung durch folgende Begriffsmerkmale : 1. Als M i t t e l fordert das Gesetz entweder G i f t , d. h. einen Stoff, der auch in kleinen Gaben auf chemischem Wege die Gesundheit zu zerstören geeignet ist, oder aber a n d r e S t o f f e , welche geeignet sind, die Gesundheit, sei es auf chemischem, sei es auf mechanischem Wege (z. B. gestofsenes Glas) zu zerstören, also, wie Code pénal 301 sagt, mehr oder weniger rasch den Tod herbeizuführen. Unter den Begriff des Giftes fallen auch die von Körper zu Körper Übertrag-
294
§
2-
Die Vergiftung.
baren Ansteckungsstoffe, wie bei Cholera, Syphilis, Tuberkulose u. a. 2. Die H a n d l u n g besteht in dem B e i b r i n g e n der genannten Stoffe, d. h. bei Verwendung von Gift im engern Sinn in dessen Einführung in den Organismus, also in das Blut des Verletzten. Ob diese Einführung durch Gewalt oder Täuschung bewirkt wird, ob sie durch die Verdauungs- oder durch die Atmungsorgane (Narkotisierung), durch Einspritzung unter die Haut oder auf andre Weise erfolgt, ist durchaus gleichgültig. Mit dem Beibringen ist das Verbrechen vollendet; etwaige Anwendung von Gegengiften schliefst daher die Bestrafung aus § 229 StGB, nicht aus. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuches (Zucker statt Arsenik usw.) richtet sich nach den allgemeinen, oben § 47 erörterten Grundsätzen. 3. Der V o r s a t z mufs die Vorstellung umfassen, dafs die beigebrachten Stoffe die Gesundheit zu zerstören g e e i g n e t sind. Die Vorstellung, dafs die Handlung die Gesundheit zerstören w e r d e , ist nicht erforderlich, es genügt mithin Gefährdungsvorsatz. Es mufs aber weiter als Beweggrund des Handelns hinzutreten: die A b s i c h t , die Gesundheit eines andern zu beschädigen oben § 86 II. Die Vergiftung ist mithin Gefahrdungsverbrechen in Verletzungsabsicht. Ging der Vorsatz des Thäters dahin, durch das Gift zu töten, so liegt scheinbares Zusammentreffen von §§ 211 ff einerseits, §229 anderseits vor, da der Verletzungsvorsatz ganz wohl den Gefährdungsvorsatz (alternativ oder eventuell) in sich schliefsen kann.1) III. S t r a f e : regelmäfsig Zuchthaus bis zu zehn Jahren; wenn durch die Handlung eine schwere Korperverletzung (StGB. § 224) verursacht worden, Zuchthaus nicht unter fünf Jahren; wenn der Tod verursacht worden, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Auch hier ist der höhere Strafsatz lediglich durch den Eintritt der, wenn auch weder vorsätzlich noch fahrlässig, herbeigeführten schweren Erfolge bedingt. Dennoch ist Versuch möglich, wenn einer der genannten Erfolge durch die unvollendete oder an sich fehlgeschlagene Handlung verursacht wurde; wenn also etwa der Versuch, eine vergiftende Einspritzung vorzunehmen, zwar mifslingt, aber einen Herzschlag des zu Vergiftenden oder den Verlust des Sehvermögens Ebenso v. Meyer 552, Herzog Versuch 235; dagegen Binding Normen 2 520, Hälschner 2 104, Olshausen § 229 9. Es kann daher bei Rücktritt vom Totungsversuch strafbare Vergiftung vorliegen.
tj 91.
3. Die Abtreibung.
295
(beim Ringen dringt die Spitze des Instruments ins Auge) zur Folge hat (oben § 4 S Note 8). Neben der Vergiftung kann auf Bufse erkannt werden, da jene ausnahmslos als sei es vollendete, sei es versuchte Körperverletzung erscheint.8)
§ 91.
3. Die Abtreibung.
Litteratur. Hrehorowicz Das Verbrechen der Abtreibung der Leibesfrucht 1876. v. Fabrice Kindesabtreibung und Kindesmord 1868. v. Holtzendorjf HH. 3 455. v. Wächter GS. 29 1. Horch Abtreibung 1878. Hälschner GS. 32 583. Derselbe 2 64. Jungmann Das Verbrechen der Abtreibung 1893 (wertlos). Elster HSt. 1 13. — Vgl. die Lehrbüchcr der gerichtlichen Medizin. I. G e s c h i c h t e . Das ältere r ö m i s c h e Recht hatte die Ahndung der Abtreibung (abactio partus, procuratio abortus) der zensorischen Rüge und der hausväterlichen Gewalt uberlassen. Staatliche Strafdrohungen finden wir erst seit Septimius Severus (1. 4 D. 47, I I ; 1. 8 D. 48, 8). Die Zerrüttung des Familienlebens, welche die Folge der bei den romischen Frauen weitverbreiteten Abneigung gegen die Übernahme der mutterlichen Pflichten war, sollte hintangehalten werden; unwurdig erschien es dem Kaiser, dafs der Gatte, welcher um der Zeugung von Kindern willen die Ehe geschlossen hatte, durch die Frau um seine Hoffnungen betrogen wurde. Dem Embryo selbständigen Schutz zu verleihen, widersprach der stoizistischen Auffassung der romischen Juristen, welche die Leibesfrucht als mulieris portio vel viscerum betrachteten. Anders das k a n o n i s c h e und das in dieser Frage unter seinem Einflüsse stehende mi t t e l a l t er 1 i c h - d e u ts c h e "Recht. Die Tötung der belebten Frucht erscheint als homicidium. Belebt aber ist nach der bei den kirchlichen Schriftstellern vertretenen, vom weltlichen Recht aufgenommenen, auf das zweite Buch Mosis gestützten Ansicht der Embryo erst, wenn die anima rationalis in ihn eingegangen ist, also erst sechs bis zehn Wochen nach der Empfängnis. Vor diesem Zeitpunkte wird die Abtreibung nur willkürlich gestraft. Denselben Standpunkt nimmt auch PGO. ein. Art. 1 1 3 sagt: „Wer einem Weibsbild durch Bezwang, Essen oder Trinken ein l e b e n d i g e s Kind abtreibt, so solch Übel fürsätzlicher und boshaftiger Weise geschieht, soll der Mann mit dem Schwert, a l s e i n T o t s c h l ä g e r , und die Frau, so sie es auch an ihr selbst thäte, ertränkt oder sonst zum Tode gestraft werden. So aber ein Kind, das noch n i c h t l e b e n d i g wäre, von einem Weibsbild getrieben würde, soll der Rat Rechtsverständiger eingeholt werden." Obwohl die Überzeugung von der Unrichtigkeit jener Unterscheidung zwischen belebter und nichtbelebter Frucht in medizinischen Kreisen bald allgemein Eingang fand, hielt doch Gesetzgebung, Rechtsprechung und bis tief ins 18. Jahrhundert hinein auch die Wissenschaft des gemeinen Rechts an der Unterscheidung, wenn auch auf veränderter Grundlage fest. Die Sächsischen Konstitutionen 4 4 (ebenso Österreich 1656) unterschieden zwischen der ersten a ) Dagegen Geyer 2 22, Hälschner 2 112, Merkel 302, Olshausen § 231 4, Schütze 404.
296
§ gl.
3, Die Abtreibung.
und der zweiten Hälfte der Schwangerschaft (Anklänge noch ALR. 986); die Rechtsprechung betrachtete zumeist das Auftreten der Kindesbewegungen als ausschlaggebend (so noch das heutige englische Recht). Von den Juristen war Leyser (•}• I75 2 ) der erste, welcher die Unterscheidung grundsätzlich verwarf. Aber nur allmählich gelangte seine Ansicht zur Anerkennung. I?ür die heutige Gesetzgebung handelt es sich darum, einerseits die Leibesfrucht, anderseits aber auch Leben und Gesundheit der Schwangern selbst gegen gefährdende Eingriffe sicher zu stellen. Aus diesen Erwägungen ergibt sich die Doppelstellung der Abtreibung in den Gesetzbüchern: sie ist einerseits Tötung oder Gefährdung der Frucht, anderseits Gefahrdung der Schwangern. Den Bestimmungen des RStGB. (§§ 218—220) kann der Vorwurf nicht erspart bleiben, dafs sie durch ihre unklare und fehlerhafte Fassung den Anlafs zu zahlreichen und schwierigen Streitfragen gegeben haben. IL B e g r i f f . 1. G e g e n s t a n d ist die noch nicht geborene, d. h. die noch nicht zu selbständigem Leben aufserhalb des Mutterleibes (oben § 90 Note 1) gelangte Leibesfrucht, das lebende befruchtete Ei, auf allen Stufen der Entwickelung. 2. Die Handlung ist entweder a) A b t r e i b u n g i m e n g e r n S i n n , nämlich das (rechtswidrige) Bewirken einer Frühgeburt, mag auch der Vorsatz des Thäters nicht auf Tötung der Leibesfrucht gerichtet gewesen und dieser Erfolg auch nicht eingetreten sein. 1 ) E s wäre mithin strafbare Abtreibung anzunehmen, wenn die bald nach dem T o d e ihres Mannes von einem andern geschwängerte Witwe im achten Monate ihrer Schwangerschaft eine Frühgeburt bewirkt, um das Kind als ein ehelich erzeugtes erscheinen zu lassen. Oder b) T ö t u n g der Frucht im Mutterleibe. Durch welche Mittel die Abtreibung bewirkt wird, ob durch „Anwendung" äufserlicher oder mechanischer, ob durch „Beibringung" innerlicher oder dynamischer Mittel (Abortiv') Sehr bestritten. Im Sinne des Textes Janka 215, Merkel 309, v. Meyer 540, Ortloff GS. 34 445, v. Wächter 336 und GS. 29 10, Wehrli Kindestötung 96 (wie früher schon Martin und andre gemeinrechtliche Schriftsteller); dagegen aufser Berner, Binding, Geyer, Hälschner, v. Holtzendorff, Sontag, Schütze insbes. Olshausen § 218 I (auch Jungmann 18), sowie auch R 9. Juli 81 4 380, überhaupt die gem. Meinung, welche stets Tötung der Frucht verlangt, sei es durch ihre vorzeitige Ausstofsung, sei es durch Einwirkung auf sie im Mutterleibe, sodafs die bereits getötete Frucht ausgestofsen wird. Doch sind die Grunde der Gegner, insbes. die Entstehungsgeschichte der §§ 218 bis 220 StGB., dem klaren Wortlaute dieser §§ gegenüber, welche „abtreiben" und „töten" überall einander entgegensetzen, nicht beweisend.
§ 91-
3- Die Abtreibung.
2 97
mittel im engern Sinne), oder vielleicht durch psychische Einwirkung — ist für den Begriff des Verbrechens gleichgültig. Selbstmordversuch der Schwangern ist in keinem Falle als vollendete oder versuchte Abtreibung strafbar. 2 ) III. D i e A r t d e r A b t r e i b u n g . 1. Der e i n f a c h e Fall (StGB. § 218) umfafst sowohl die von der Schwangern selbst, als auch die von einem dritten mit Einwilligung der Schwangern an dieser bewirkte Abtreibung. „Einwilligung" ist dasselbe wie das „mit Wissen und Willen" in StGB. § 220; sie setzt hier wie überall Zurechnungsfähigkeit der Einwilligenden voraus. 3 ) Die Handlung des dritten mufs jedoch, damit sie unter den gleichen Strafrahmen wie die Abtreibung durch die Schwangere selbst fällt, nach den allgemeinen Grundsätzen als Thäterschaft oder Mitthäterschaft erscheinen (das Gesetz verlangt, dafs er „die Mittel zur Abtreibung bei der Schwangern äufserlich a n g e w e n d e t oder ihr innerlich b e i g e b r a c h t hat"); blofses V e r s c h a f f e n der Mittel würde als Beihilfe unter den herabgesetzten Strafrahmen fallen. Die Schwangere kann in Bezug auf die Handlung des dritten als Mitthäterin oder aber auch als Teilnehmerin nach den allgemeinen Grundsätzen erscheinen. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Zu den mildernden Umständen wird der Richter wegen StGB. § 217 jedenfalls die Unehelichkeit der Empfängnis zu rechnen haben, wie dies einige neuere Gesetze (Ungarn und der russische Entwurf) ausdrücklich vorschreiben. Aus der Wortfassung des 3. Abs. des § 218: „angewendet oder beigebracht h a t " ergibt sich, dafs von Strafbarkeit des dritten keine Rede sein kann, wenn er nur versucht hat, die Mittel anzuwenden oder beizubringen, ohne dafs ihm dies gelang (die Schwangere ist z. B. nicht im stände, den übelriechenden Trank zu sich zu nehmen). Dagegen liegt strafbarer Versuch vor, wenn die thatsächlich angewandten oder beigebrachten Mittel erfolglos geblieben sind, d. h. die Abtreibung, bez. Tötung nicht herbeigeführt haben. 4 )
2. Die L o h n a b t r e i b u n g (StGB. § 219). Sie liegt vor, wenn jemand einer Schwangern, welche ihre Frucht abgetrieben s ) E b e n s o v. Holtzendorff Olshausen § 218 5.
3
H H . 3 459, Finger
142. D a g e g e n v. Meyer 543,
) Ebenso Geyer 2 10, wohl auch R 13. Juli 87 16 184, 10. Juni 90 21
14; d a g e g e n Hälschner
2
70, Olshausen
§ 2 1 8 7.
) So die gemeine Meinung, inbes. Olshawen § 218 9. Dagegen R wiederholt, zuletzt 10. Juni 90 21 14; auch Baumgarten Versuch 434. 4
298
§ 91-
3- Die Abtreibung.
oder getötet hat, gegen E n t g e l t die Mittel hierzu verschafft, bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat. Entgelt ist gleichbedeutend mit Vermögensvorteil, umfafst also nicht Vorteile andrer A r t (unten § 1 0 7 III i). 8 ) S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren; die Bedeutung dieser dem preufsischen StGB, unbekannten Bestimmung liegt in der wesentlichen Erhöhung des Strafrahmens gegenüber der, so häufig gewerbsmäfsig betriebenen, entgeltlichen Thätigkeit dritter. Ebendarum wird nicht nur das Beibringen oder Anwenden von Abtreibungsmitteln, also eine als Thäterschaft oder Mittäterschaft erscheinende Mitwirkung, sondern auch das V e r s c h a f f e n der Mittel, also eine B e i h i 1 fe handlung, von dieser strengern Strafdrohung getroffen, während alle a n d e r n Beihilfehandlungen (insbesondere Beihilfe durch Rat, Aufmunterung usw.) ebenso wie die A n s t i f t u n g nur nach dem mildern Strafsatze des § 218 zu beurteilen sind. Dieser Grundgedanke des Gesetzgebers zwingt aber zu der Folgerung, dafs die Mitwirkung der Schwangern selbst unter gar keinen Umständen nach § 219, sondern nur nach § 218 Abs. I oder 3 gestraft werden kann. 8 ) Dafs die Frucht abgetrieben oder getötet w o r d e n , ist nach der Fassung des Gesetzes B e d i n g u n g der S t r a f b a r k e i t . Strafbarer Versuch nach § 219 könnte daher nur dann angenommen werden, weun, obwohl die Handlung des Lohnabtreibens fehlschlug oder unvollendet blieb, doch — infolge anderweitiger Thätigkeit — die Abtreibung erfolgte.7) Abgesehen von diesem Falle, würde der Versuch nach § 218 gestraft werden können. 3. Abtreibung durch einen dritten o h n e W i s s e n o d e r W i l l e n d e r S c h w ä n g e r n (StGB. § 220). Mangel der Einwilligung begründet ebenso die Strafbarkeit des Thäters, welcher mit Wissen der Schwangern (etwa gewaltsam) handelt, wie Mangel des Wissens bei erfolgter Einwilligung. — Tötung der Schwangern ist niemals zugleich als Abtreibung strafbar, da die Frucht kein von dem mütterlichen Leben trennbares Dasein hat. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter zwei Jahren; ist durch die Handlung der Tod der Schwangern verursacht worden, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. S c h u l d in Bezug auf den schweren Erfolg ist nicht erforderlich, da er auch hier Bedingung der Strafbarkeit ist. V e r s u c h des schwerern Falles ist 6)
So die gem. Meinung. Dagegen Olshausen § 319 I. •) Dagegen R 10. April 80 1 350, 13. Juli 87 16 184; Hälschner 2 71, v. Meyer 542, 545, Olshausen § 219 2, Schütze 391 Note 9; übereinstimmend mit dem Text Geyer 2 10, v. Kries Z 7 537. Vgl. auch oben § 52 V. ') Im wesentlichen übereinstimmend die gem. Meinung, insbes., im Anschlüsse an OT., R in einer Anzahl von Entscheidungen. Dagegen Geyer 2 10, Hälschner 2 73, v. Meyer 545, Olshausen § 219 3.
§ 92. 4- Der Raufhandel.
299
möglich, wenn durch die Versuchshandlung der schwerere Erfolg verursacht wurde, die Abtreibungsmittel also zwar nicht die Ausstofsung oder den Tod der Leibesfrucht, wohl aber den Tod der Schwangern (etwa durch Blutvergiftung) herbeigeführt haben. § 92.
4. D e r R a u f h a n d e l .
Litteratur. Berner GS. 18. Geyer HH. 3 551. Hälschner 2 107. Marti Der Raufhandel mit Berücksichtigung des franzosischen und schweizerischen Rechts. Diss. 1891. I. G e s c h i c h t e . Verletzungen und Tötungen im Raufhandel bieten der rechtlichen Beurteilung in doppelter Beziehung besondere Schwierigkeiten. Einmal ist es in zahlreichen Fällen unmöglich, mit einiger Sicherheit festzustellen, wer von den Beteiligten den Tod oder die Korperverletzung verursacht hat. Ferner kann aber auch der Fall sich ereignen, dafs der eingetretene Erfolg nur durch das Zusammenwirken mehrerer Verletzungen entstanden ist. Wie die deutschen Quellen, so beschäftigte sich auch die italienische Wissenschaft des späteren Mittelalters vielfach mit diesen Schwierigeiten, für welche das romische Recht (1. 11 § 3 D. 9, 2 vgl. mit 1. 51 eod.) widersprechende Entscheidungen getroffen hatte, ohne dafs sie jedoch über die Aufstellung gewaltsamer Fiktionen hinwegzukommen vermocht hätte. Auch die PGO. begnügt sich mit einer solchen, wenn sie in Art. 148 bestimmt: „Wäre aber der Entleibte durch mehr denn einen, die man wüfste, gefahrlicherweise todlich geschlagen . . . worden und man könnte nicht beweislich machen, von welcher sonderlichen Hand und That er gestorben wäre, so sind dieselben, so die Verletzung wie obsteht gethan haben, alle als T o t s c h l ä g e r zum Tod zu strafen." Die Landesgesetzgebung aus der Zeit des gemeinen Rechts ist trotz aller Anläufe zu sachgemäfser Regelung (vgl. z. B. Sächsische Konstitutionen 4 7) nicht glucklicher gewesen. Noch ALR. 844 bestimmt, dafs derjenige als Totschläger anzusehen sei, welcher zuerst von einer tödlichen Waffe Gebrauch gemacht habe. Die heutige Gesetzgebung bemuht sich, seit den Gesetzbüchern für Braunschweig und Preufsen, alle willkürlichen Annahmen zu vermeiden und die Strafe nach dem Verschulden zu bemessen, hat aber mit diesen Bemühungen einen nur teilweisen Erfolg erzielt. Dies gilt auch von § 227 RStGB., welcher zwei wesentlich voneinander verschiedene Fälle umfafst und in deren zweitem gänzlich ungerechtfertigte Bestimmungen trifft. Das einzig richtige wäre (ähnlich wie dies der russische Entwurf gethan hat), die Beteiligung an einem Raufhandel als Vergehen gegen die öffentliche Ordnung mit möglichst strengen Strafen zu belegen. II. D e r e r s t e F a l l . Nach dem 1. Abs. des § 2 2 7 ist. wenn durch eine Schlägerei oder durch einen von mehreren gemachten Angriff der T o d eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 2 2 4 ) verursacht worden, jeder, welcher sich an der Schlägerei oder dem Angriffe beteiligt hat, schon
30o
§ g2.
4- Der Raufhandel.
w e g e n d i e s e r B e t e i l i g u n g zu bestrafen, falls er nicht ohne sein Verschulden hineingezogen worden ist. Demnach ist die B e t e i l i g u n g a l s s o l c h e , wenn die übrigen Voraussetzungen zutreffen, strafbar; die Beteiligung am Raufhandel ist in durchaus zutreffender Weise zum selbständigen Vergehen erhoben, der Eintritt des Todes oder der schweren Körperverletzung zur Bedingung der Strafbarkeit gemacht. S c h l ä g e r e i ist der in Thätlichkeiten ausgeartete Streit zwischen mehr als zwei Personen. A n g r i f f ist gleichbedeutend mit „thätlichem Angriff" oder „Thätlichkeit" in dem unten § 95 Note 2 erörterten Sinn. Beteiligt aber ist jeder, welcher an dem Orte und zur Zeit des Raufhandels persönlich anwesend ist und sei es psychisch (wie durch Aufreizung usw.), sei es physisch mitwirkt. Dabei macht es, vorausgesetzt, dafs sich der Raufhandel als einheitlicher Vorgang darstellt, keinen Unterschied, ob die Mitwirkung vor oder nach jenem Zeitpunkte stattfand, in welchem Tod oder Körperverletzung verursacht wurden. Ist der Urheber der todlichen oder schweren Verletzung bekannt, so kann dieser nach §§ 211 ff., bezw. 224 ff. StGB, bestraft werden, während die übrigen Beteiligten nach § 227 haften. Die S t r a f e ist Gefängnis bis zu 3 Jahren. Auf Bufse ist nicht zu erkennen, da der Schuldige nicht wegen Verursachung des Erfolges, sondern wegen des Sondervergehens der Beteiligung am Raufhandel bestraft wird.1)
IE. Wesentlich andere Bedeutung hat die Bestimmung im 2. Abs. des § 227 StGB. Ist nämlich durch eine Schlägerei oder durch einen von mehreren gemachten Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung [(§ 224) verursacht worden, diese Folge aber mehreren (vorsätzlichen, nicht fahrlässigen)2) V e r l e t z u n g e n zuzuschreiben, welche sie nicht einzeln, sondern n u r d u r c h i h r Z u s a m m e n t r e f f e n verursacht haben, so wäre nach den allgemeinen Grundsätzen jede derjenigen Personen, welcher eine diese Verletzungen zur Last fällt, mit der Strafe der §§ 224—226 zu belegen. In ganz ungerechtfertigter und nur aus geschichtlichen Nachklängen erklärbarer Weise stellt der Gesetzgeber für diesen Fall einen b e s o n d e r n S t a f r a h m e n auf, welcher im Vergleiche mit den angeführten Paragraphen einerseits als unverhältnismäfsig mild, anderseits als ungerechtfertigt streng erscheint.
50.
*) Übereinstimmend v. Hälschner 2 112, v. Meyer 568, Wächter Bufse Dagegen Olshausen § 231 4 mit der gem. Meinung. 2 ) Übereinstimmend Hälschner 2 110 u. a. Dagegen Olshatisen § 227 17.
§ 93-
5- D e r Zweikampf.
301
Die Streichung des ganzen Absatzes ist demnach dringend wünschenswert. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen ( § 228) Gefängnis nicht unter einem Monat. Auf B u f s e ist zu erkennen, wenn eine Körperverletzung vorliegt.
§ 93.
5. Der Zweikampf.
L i t t e r a t u r . Wertvolle Darstellung in- der Begründung des preufs. Entw. von 1833 (S- IOI ff.). Teichmann H H . 3 381, 4 354. Rödenbeck D e r Zweik a m p f im Verhältnis zur Tötung und Körperverletzung 1883. Hälschner 2 933 und GS. 3 4 1, 35 161. Zucker bei Grunhut 15 760. Levi Zur Lehre vom Zweikampfverbrechen 1889. Bodenheimer Die geschichtliche Genesis der strafrechtlichen Bedrohung der VorbereitUDgshandlungen zum Zweikampf im StGB, für das Deutsche Reich. Diss. 1891. — Über studentische Schlägermensuren insbesondere Sontag Z 2 1. v. Buri GS. 3 4 354. Zimmermann GS. 3 4 379. Kronecker GS. 35 201. Martin Die juristische Behandlung des studentischen Schlägerduells 1887. Berger Das sogenannte amerikanische Duell und die studentische Schlägermensur. 1892. — Vgl. auch Croabbon L a science du point d'honneur 1894. I. G e s c h i c h t e u n d s y s t e m a t i s c h e S t e l l u n g . Die Strafbestimmungen gegen die Herausforderung, das „Ausheischen" oder „Ausladen" zum Kampf, finden sich seit der zweiten H ä l f t e des Mittelalters. 1 ) Sie knüpfen sich einerseits an den Schutz des Hausrechtes, anderseits an das Verbot des gerichtlichen Zweikampfes. Bis in den Anfang des 17. Jahrhunderts wird, unter dem Einflufs der Sächsischen Konstitutionen ( 4 10), der Herausgeforderte, selbst wenn er seinen Gegner tötet, nur willkürlich bestraft. Bald aber treten strenge Duellmandate in den verschiedenen Ländern (in Reufs schon 1613, in Österreich 1624) gegen die aus romanischen Ländern in neuer Gestalt herüberdringende Unsitte auf. Das Reichsgutachten von 1668, das allerdings niemals gesetzliche K r a f t erlangte, drohte dem im Zweikampf Gebliebenen schimpfliches Begräbnis, dem Uberlebenden entehrende Todesstrafe. Die Schriftsteller der Aufklärungszeit sind auch hier geteilter Ansicht. Während Beccaria, Soden u. a. den Zweikampf überhaupt oder doch auf' Seiten des Geforderten straflos lassen wollen, verlangen Friedrich II und Joseph II strengste Bestrafung. Das A L R . 667 fafst den Zweikampf als Standesdelikt, u. z. als eigenmächtige Selbsthilfe für erlittene Beleidigung a u f , straft Tötung des Gegners als Mord oder Totschlag, droht beiden Teilen Adels- und Ehrverlust und läfst das Bild des flüchtigen Thäters an den öffentlichen Schandpfahl schlagen. Noch v. Savigny hielt (wie früher Michaelis, Sonnenfels u. a.) entehrende Strafen f ü r angezeigt. Erst allmählich überzeugt sich die Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts, dafs der Widerspruch zwischen dem Verbot der Strafgesetzgebung und dem Gebot der Sitte eine, wenn auch ernste, so doch ') Zahlreich in den österreichischen Weistümern. Vgl. auch Osenbrüggen Alamannisches Strafrecht 212, 364. Bennecke Zur Geschichte des deutschen Strafprozesses (1886) 65. Bayern 1616 spricht noch von dem „Heimsuchen mit Scheltworten". Von den neueren Schriftstellern w i r d dieser Zusammenhang meist übersehen und einseitig der Einflufs des französischen Rechts betont.
302
§ 93-
S- Der Zweikampf.
nicht entehrende Strafe dringend verlange; und so verwendet auch im Anschlufs an Preufsen 1851 unser RStGB. (von den Fällen in §§ 207 und 210 abgesehen) die Festungshaft als custodia honesta zur Bestrafung des Zweikampfes. Der Grund für die Strafbarkeit des Zweikampfs liegt aber nicht darin, dafs er als Krieg zweier Menschen (duellum) eine Störung des öffentlichen Friedens enthielte: denn der Zweikampf geht heutzutage meist in stiller Abgeschiedenheit vor sich; auch nicht darin, dafs er als ungerechte Selbsthilfe den Gang der Rechtspflege durch -eigenmächtigen Eingriff störte: denn diese wird einfach beiseite gelassen und niemand Gewalt angethan ; sondern nur darin, dafs er ein Spiel um Leib und Leben, eine G e f ä h r d u n g eignen und fremden Daseins ist, wie sie der Staat nicht ruhig mit ansehen zu können glaubt. In systematischer Beziehung nimmt der Zweikampf unter den Verbrechen gegen Leib und Leben dieselbe Stellung ein, wie das Gluckspiel unter den strafbaren Handlungen gegen das Vermögen.2)
II. D e r B e g r i f f des Zweikampfes wird im StGB, nicht bestimmt, sondern als durch die Sitte vorgezeichnet vorausgesetzt. Das ist für eine Reihe von Einzelfragen von Bedeutung. Im allgemeinen können wir sagen: Zweikampf ist d e r v e r a b redete, den hergebrachten oder vereinbarten Reg e l n e n t s p r e c h e n d e K a m p f mit gleichwertigen W a f f e n z w i s c h e n z w e i P e r s o n e n . Die T ö d l i c h k e i t der Waffe gehört nicht zum Begriffe des Zweikampfs, aber unser geltendes Recht b e s t r a f t nur den Zweikampf mit tödlichen Waffen. Der B e w e g g r u n d des Zweikampfes ist begrifflich gleichgültig; es ist unrichtig (mit Berner, Hälschner u. a.), nur den E h r e n z w e i k a m p f oder nur diesen und den R a c h e z w e i k a m p f als Zweikampf im Sinne des Gesetzes gelten lassen zu wollen. Der Begriff des K a m p f e s erfordert gegenseitiges Einsetzen von Kraft und Gewandtheit. Es ist kein Zweikampf, wenn etwa die beiden Gegner das (ausdrückliche oder stills ) Derselben Ansicht Finger 158, Geyer 2 14, v. Meyer 448, Olshausen § 201 II, v. Rohland Gefahr 6, Sontag Z 2 3, Stoo/s Grundzuge 2 31, v. Wächter 352. Dagegen hält Hälschner 2 939 an der Auffassung des Zweikampfes als eines gegen die Rechtspflege gerichteten Verbrechens fest. — Bei Nichterwähnung des Zweikampfes im Gesetz (so Code pénal, Bayern 1813, Norwegen seit 29. Juni 1889, anders Belgien und die grofse Mehrzahl der übrigen Staaten) würde die Frage, ob der Zweikampf überhaupt strafbar sei, wegen seiner durchaus eigenartigen Bedeutung sehr schwierig zu entscheiden und am richtigsten zu verneinen sein. Vgl. die französische Rechtsprechung.
§ 93-
5-
Zweikampf.
303
schweigende) Übereinkommen getroffen haben, den Gesetzen der Ehre scheinbar Genüge zu leisten, aber beiderseits in die Luft zu schiefsen. Aber auch das sogenannte a m e r i k a n i s c h e D u e l l (besser: die Losung ums Leben) ist kein Zweikampf. Will man es überhaupt mit Strafe bedrohen, so bedarf es, da auch alle übrigen strafrechtlichen Gesichtspunkte versagen, der Aufstellung eines neuen selbständigen, am besten dem Zweikampfe einzureihenden Verbrechensbegriffes. 3 ) Der Kampf mufs v e r a b r e d e t sein. Ob der Vereinbarung eine längere oder kürzere Überlegung vorhergegangen, ist gleichgültig. Daher ist auch das sog. R e n c o n t r e wahrer Zweikampf, nicht aber die A t t a c k e , bei welcher der Angegriffene in Notwehr handelt. Der Begriff der W a f f e ist hier im engern (technischen) Sinne zu nehmen: er umfafst alle zur angriffs- oder verteidigungsweisen Zufügung von Verletzungen bestimmten und bei bestimmungsgemäfser Anwendung geeigneten Werkzeuge. Ein Faustkampf ist mithin ebensowenig Zweikampf wie das englische Boxen oder das „Hackein" oder „Hosenlupfen" der Alpenbewohner. Die Waffe mufs aber der hergebrachten Sitte entsprechen, „Duellwaffe" in diesem Sinne sein; Stöcke und Knüttel sind ebenso ausgeschlossen wie Messer und Dolch oder Streitkolben und Schleuder. G l e i c h h e i t der Waffen ist nicht erforderlich, auch nicht Gleichheit der Art nach, soweit diese nicht durch die Sitte gefordert wird.1) Wohl aber ist, wie das schon aus dem Begriffe des „Kampfes" hervorgeht, G l e i c h w e r t i g k e i t der Waffen er3 ) Im Sinne des Textes jetzt die meisten; insbesondere Berger 14. Besondere Bestimmungen finden sich denn auch im ungarischen StGB. § 283, in dem österreichischen und im russischen Entwurf. Vgl. Antrag Reichensperger beim Deutschen Reichstag 1886. Wichtigste abweichende Ansichten: 1. Das amerik. Duell ist Zweikampf; so Neubauer Allg. osterr. Gerichtszeitung 1865 Nr. 5, 19; Lüder GA. 13 540, Schütze 293 Note 7 (dagegen aber Schütze selbst GS. 38 121). 2. Es ist Teilnahme am Selbstmord; so v. Meyer 556, Schaper HH. 2 1 1 7 , Teichmann HH. 3 395, Ortloff 152, Villntnu 617. 3. Es ist Tötung des Einwilligenden; so Kohler Studien 1 144. 4. Es ist Mord (!); so Binding 1 702. — Richtig hebt Berger 10 hervor, dafs auch Pistolenduelle über das Taschentuch usw. aus dem Begriffe des Zweikampfes auszuscheiden wären. 4 ) Da das Gesetz den Begriff des Zweikampfes als durch die Sitte gegeben voraussetzt, mufs der Kampf zwischen Frauen aus dem gesetzlichen Begriffe ausgeschlossen werden.
3°4
§ 93.
5. Der Zweikampf.
forderlich, sodafs nicht von vornherein der Sieg unzweifelhaft entschieden ist Aus dem gleichen Grunde mufs aber auch eine g e w i s s e Gleichwertigkeit der G e g n e r , welche auch dem Schwächern eine, wenn auch noch so geringe Hoffnung auf den Sieg gewährt, gefordert werden. Wenn in einem Pistolenduell ein Sehender seinen blinden Gegner erschiefst, so liegt für die rechtliche wie für die sittliche Beurteilung gemeiner Mord vor. Das Gesetz verlangt aber weiter t ö d l i c h e Waffen, also Waffen von einer gewissen Eigenschaft. Eine tödliche Waffe aber ist diejenige, welche zur angriffs- oder verteidigungsweisen Zufügung von t ö d l i c h e n Verletzungen bestimmt und bei bestimmungsgemäfser Anwendung geeignet ist. Ein „Kampf mit tödlichen Waffen" liegt nicht vor, wenn die Waffe zür Zufügung tödlicher Verletzungen nicht bestimmt oder ihre Eignung dazu durch besondre Schutzvorrichtungen aufgehoben ist. Nicht nur eine bestimmte Eigenschaft der Waffen, sondern auch eine dieser Eigenschaft entsprechende Verwendung im Kampfe ist erforderlich. Pistolen dürfen nicht auf Flintenschufsweite verwendet werden, und ausgestattet mit Doweschen Panzern kann man keinen Zweikampf ausfechten. Der Kampf selbst muís l e b e n s g e f ä h r l i c h sein. Demnach erscheinen die gewöhnlichen studentischen S c h l ä g e r m e n s u r e n zwar als ein vielleicht strafwürdiges (positivrechtlich strafloser) Zweikampf, nicht aber als strafbarer Zweikampf im Sinne des RStGB. 5 ) Die Anwendung der strafgesetzlichen Bestimmungen über Körperverletzung und Raufhandel ist ausgeschlossen, weil die im Zweikampf vorkommenden Verletzungen zum Zweikampf selbst gehören und nicht getrennt von diesem zur Strafe gezogen
s ) Die Ansichten und deren Begründung gehen weit auseinander. Im Ergebnisse, wenn auch nur teilweise in der Begründung übereinstimmend: Geyer 2 15, Hälschner 2 948, Merkel 305, v. Meyer 558, Olshausen § 201 13, 14, Binding Normen 1 392 Note 40, Levi 110, Balan Duell und Ehre 1890 S. 6 Note, Kronecker GS. 35 214, Teichmann HH. 3 394, Kejsler Einwilligung 95, v. Buri GS. 34 355, Rödenbeck GS. 37 144, Sontag Z. 2 5, Villnow GS. 37 165, v. Jagemann HG. 2 108, Berger 36. Vgl. auch Z. 8 352. — Dagegen hat R. nach öfterm Schwanken durch Entsch. der Ver. Str.-Senate vom 6. März 83 8 87 die Schlägermensur für strafbaren Zweikampf im Sinne des Gesetzes erklärt.
§ 93-
5- Der Zweikampf.
305
6
werden können. ) Die a k a d e m i s c h e n V o r s c h r i f t e n über Studentenduelle sind durch das RStGB. als Straf- nicht als Disziplinargesetze beseitigt worden.7) Der Zweikampf ist v o l l e n d e t , sobald auch nur einer der beiden Gegner den Kampf begonnen, d. h. von seiner Waffe zum Angriff Gebrauch gemacht hat, auch wenn die Waffe (Pistole) versagt haben sollte, oder wenn der Duellant absichtlich, aber ohne Einverständnis mit seinem Gegner, in die Luft geschossen hat.8) Der Versuch (Zielen mit der Pistole, Ausholung zum Schlag) ist nicht strafbar. III. Der Gesetzgeber hat sich aber nicht damit begnügt, den Zweikampf selbst unter Strafe zu stellen, sondern bedroht auch im Anschlüsse an die geschichtliche Entwickelung des Verbrechens gewisse V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n , nämlich die H e r a u s f o r d e r u n g 9 ) zum Zweikampf und die A n n a h m e einer Herausforderung. S t r a f e : regelmäfsig (StGB. § 201) Festungshaft bis zu sechs Monaten; wenn aber bei der Herausforderung die Absicht (gleich Vorsatz), dafs einer von beiden Teilen das Leben verlieren soll, entweder ausgesprochen ist oder aus der gewählten Art des Zweikampfes erhellt (StGB. § 202), Festungshaft von zwei Monaten bis zu zwei Jahren. Der V e r s u c h ist wegen der Vergehensnatur dieses Deliktes nicht strafbar. T e i l n a h m e ist nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Einen Fall der Beihilfe hebt der Gesetzgeber besonders hervor, indem er (in § 203) diejenigen, welche den Auftrag zu einer Herausforderung (nicht den Auftrag zur Annahme) übernehmen und ausrichten (die Kartellträger), mit Festungshaft bis zu drei Monaten bedroht. 6 ) Ebenso Binding 1 368, 724, Geyer 2 15, Olshausen 15. Abschn. 3, Sontag Z 2 7 u ' a - i insbesondere auch alle diejenigen, welche die körperliche Verletzung des Einwilligenden straflos lassen (oben § 86 Note 4). Dagegen Hälschner 2 951, Merkel 305, v. Meyer 559. Die gegenteilige Ansicht zwingt dazu, gerade den ungefährlichen Zweikampf härter zu bestrafen als den gefährlichen. 7 ) Ebenso Berner 492, Binding 1 316, 3 2 1 , Geyer 2 15, Hälschner 2 944, v. Meyer 564, Olshausen 15. Abschn. 2 ; dagegen Schütze 292 Note 3, Teichmann HH. 3 392, Sontag Z 2 6, Kronecker GS. 35 233, Villnow GS. 37 629, Kefsler Einwilligung 96 ; ferner die frühere preufs. Rechtsprechung, sowie das badische Einf.-Ges. vom 23. Dezember 1871, welches in Art. 8 die Schlägermensur mit Haft bedroht. Jedenfalls wiirde sich gesetzliche Regelung der ganzen Frage, u. z. durch ausdruckliche Uberweisung der studentischen Schlägermensur an die Disziplinargerichtsbarkeit der Universitäten, empfehlen. 8 ) Ebenso Olshausen § 205 I, R I I . November 90 21 146. 9 ) Sie mufs ernstlich gemeint sein; vgl. Frank Z 14 gegen R 13. Januar 9 1 21 381.
v o n L i s z t , Strafrecht. 6. Aufl.
20
306
§ 93-
5- Der Zweikampf.
Die Strafe der Herausforderung und deren Annahme, sowie die Strafe der Kartellträger f ä l l t w e g ( S t G B . § . 204), wenn die Parteien den Zweikampf vor dessen Beginn freiwillig aufgegeben haben. 1 0 ) E n t g e g e n der allgemeinen R e g e l (oben § 74 I), dafs Strafaufhebungsgründe nur demjenigen zu gute kommen, in dessen Person sie sich ereignen, wirkt hier die „thätige R e u e " der Hauptthäter zu gunsten aller Beteiligten. Kommt der Zweikampf wirklich zu Stande, so wird dadurch die Strafbarkeit der Vorbereitungshandlungen für die beiden Parteien beseitigt (oben § 56 H ) ; die übrigen Beteiligten, auch die Kartellträger (StGB. § 209), haften nach den allgemeinen Grundsätzen über Teilnahme ; aber nunmehr wegen ihrer Beteiligung am Zweikampfe selbst. 1 1 ) IV. D i e S t r a f e des Zweikampfes ist im Gesetze verschieden abgestuft. 1. Regelmäfsiger Strafrahmen ( S t G B . § 205): Festungshaft von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Bufse ausgeschlossen. 2. W e r seinen Gegner im Zweikampf (durch eine vorsätzlich zugefügte Verletzung) tötet (StGB. § 206), wird mit Festungshaft nicht unter zwei Jahren, und wenn der Zweikampf ein solcher w a r , welcher d e n T o d des einen von beiden herbeifuhren sollte, mit Festungshaft nicht unter drei Jahren bestraft. Der schwere Strafrahmen ist ausgeschlossen, wenn der T o d aus einer nicht vorsätzlichen Verletzung hervorging, z. B. durch Abspringen der Klinge, oder wenn der Getötete durch einen Sturz sich die Klinge des Gegners in den L e i b stiefs; sowie dann, wenn er überhaupt nicht die F o l g e einer im K a m p f e erlittenen Verwundung, sondern z. B. des durch die Bandagierung bewirkten Blutandranges zum K o p f e war. Dagegen ist im übrigen d e r regelmäfsige Ursachenbegriff (oben § 28) uneingeschränkt zur Anwendung zu bringen. 3. Ist eine Tötung oder Körperverletzung mittels vorsätzlicher Übertretung der vereinbarten oder hergebrachten Regeln des Zweikampfes bewirkt worden, so ist der Übertreter (StGB. § 207), sofern nicht nach den oben erwähnten Bestimmungen eine härtere Strafe verwirkt (nicht: „angedroht") ist, nach den allgemeinen Vorschriften über Tötung oder Körperverletzung zu bestrafen. Das Besondere dieser im übrigen selbstverständlichen Anordnung liegt darin, dafs die Zweikampfstrafen, wenn hoher, eintreten sollen, obwohl der Zweikampf in dem Augenblick aufgehört hat, Zweikampf zu sein, in welchem Überschreitung der Kampfesregeln eingetreten ist. Hat der Zweikampf ohne Sekundanten stattgefunden, so kann die nach §§ 205, 206 verwirkte Strafe bis um die Hälfte, jedoch nicht über fünfzehn Jahre erhöht werden (StGB. § 208). Die Behandlung der T e i l n e h m e r richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Insbesondere können auch die Mitglieder des Ehrengerichts, welches 1 0 ) Rücktritt beider Parteien ist erforderlich. Ebenso v. Meyer 562, Levi 122. Dagegen Olshausen § 2 0 4 5 u. a. — Straflosigkeit tritt auch dann ein, wenn der Herausforderer nach Ablehnung seiner Forderung durch den Gegner den Zweikampf aufgibt. Dagegen Hälschner 2 957, Olshausen § 2 0 4 5, Levi 122 und R 28. April 8l 4 1 1 4 . u ) Übereinstimmend Geyer 2 15, v. Meyer 563 Note 54, Olshausen § 2 0 5 4. Dagegen Hälschner 2 958, Levi 127, Schütze 296, R 4. Dezember 84 11 279.
§ 94-
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
307
den Zweikampf anordnet, sich der Teilnahme schuldig machen, wenn ihr Spruch auf den Entschlufs der Gegner, sich zu schlagen, bestimmend eingewirkt hat. Einen Fall hat auch hier der Gesetzgeber als selbständiges Vergehen besonders hervorgehoben (StGB. § 210) und damit für unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen der Teilnahme erklärt. Wer nämlich einen andern zum Zweikampf mit einem dritten absichtlich (gleich vorsätzlich), insbesondere durch Bezeigung oder Androhung von Verachtung, anreizt (oben § 5 ' Note 3), wird, falls der Zweikampf (wenn auch nicht infolge seiner Anreizung) stattgefunden hat, statt mit Festungshaft, der regelmäfsigen Strafe des Zweikampfes, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. S t r a f l o s bleiben (StGB. § 209) Kartellträger, welche ernstlich bemüht gewesen sind, den Zweikampf (nicht blofs seine Fortsetzung) zu verhindern, Sekundanten, 18 ) sowie zum Zweikampf zugezogene Zeugen, Ärzte und Wundärzte.
Zweiter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen unkörperliche Rechtsgüter. I. Strafbare Handlungen gegen die Ehre. § 94.
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
Litteratur. Brunner 2 671. Weber Injurien und Schmähschriften (1793) 4. Aufl. 1820. Kostlin Abhandlungen 1858. v. Buri Abhandlungen 1862. Dochow HH. 3 337. John Z 1 277 und gegen ihn v. Buri GS. 3 3 409. Binding Die Ehre und ihre Verletzbarkeit 1892. He/s Die Ehre und die Beleidigung des § 185. Ein psychologisch-juristischer Versuch 1891. Kratz Der strafrechtliche Begriff und das passive Subjekt der Ehrverletzung 1891. Gabler Das Vergehen der üblen Nachrede 1892. Pfenninger Strafrecht der Schweiz, insbes. 808. Lammasch Diebstahl und Beleidigung 1893. Hälschner 2 157. Frank GA. 35 36. Kronecker GS. 38 481. Stenglein GS. 4 2 79. Rump GA. 35 370. Wilhelm GS. 45 161 (aus: Das Moment der Rechtswidrigkeit bei der Beleidigung. Diss. 1890). v. Bülow GS. 46 260, 4 8 I. Landsberg Injurien und Beleidigung 1886. I. Kaum tritt auf einem andern Gebiete des Strafrechts der Wechsel der Anschauungen, welcher nicht nur neue Interessen zu Rechtsgütern stempelt, sondern auch anerkannte Rechtsgüter innerlich umgestaltet, so deutlich zu Tage wie auf dem Gebiete der gegen die Ehre gerichteten Vergehen. 12 ) Der Begriff des Sekundanten mufs wegen der Entgegenstellung des Kartellträgers auf den Beistand beim Kampfe selbst beschränkt werden. R 16. Januar 94 25 81. 20*
§ 94.
3o8
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
W a s w i r heute Ehre nennen und was der Germane von j e her sogenannt hat, ist dem r ö m i s c h e n R e c h t e stets fremd geblieben. Vollgenufs
der römischen Bürgerrechte (dignitatls
moribus comprobatus),
deren Besitz
wie Verlust
Ihm war Ehre der
illaesae
status legibus ac
durch festbestimmte V o r -
schriften genau geregelt und damit dem verletzenden Angriffe dritter so gut w i e entzogen war.
Den heutigen Begriff der Beleidigung würden w i r im rö-
mischen R e c h t e vergeblich suchen. von der Körperverletzung aus.
D i e privatrechtliche actio injuriarum geht
In ihrer weitern Entwicklung umfafst sie jeden
übermütigen E i n g r i f f in fremden Rechtskreis. mum v i introire dem Umfang des
der lex Cornelia
Das pulsare, verberare und do-
de injuriis (oben S. 9)
Beleidigungsbegriffes heraus.
fällt
gänzlich aus
Es ist daher für unsre Lehre
ohne wesentliche Bedeutung, dafs nach spätrömischem Recht (1. 10 J. 4, 4 ; 1. ult. D . 47, 10) bei injuria dem Verletzten die W a h l zwischen der actio injuriarum und der strafrechtlichen Verfolgung offen stand. Nur in e i n e m Punkte war das romische Recht von j e her empfindlich gewesen.
Schon die X I I Tafeln
(oben S. 7) bedrohten es mit kapitaler Strafe,
si quis occentasset sive Carmen condidisset, quod infamiam faceret alteri.
Und in der Kaiserzeit waren die l i b e l l i
famosi,
flagitiumve
die anonymen
Schmähschriften, mit strenger Strafe bedroht (C. 9, 36). Anders das d e u t s c h e R e c h t .
Für den Germanen
wurzelt die Ehre in
der Person und mit dieser in der Anerkennung von Seiten der Genossen. kann durch jedes Wort verletzt, aber sie kann
auch wie
durch das
Sie
Schwert,
so durch den Spruch der Genossen und die Ehrenerklärung des Gegners wiederhergestellt werden.
D i e Volksrechte zählen uns die Scheit- und Schimpfwörter
mit den auf sie gesetzten Bufsen auf; sie schildern uns die verschiedenen thätlichen Angriffe und ergehen sich in behaglicher Breite in den Strafen, welche
über die Unterschiede
die unzuchtigen Beruhrungen einer Frau oder eines
Mädchens nach sich zogen.
Die
Quellen des s p ä t e m M i t t e l a l t e r s , ins-
besondre die Stadtrechte, stehen auf dem gleichen Standpunkte; Widerruf, Abbitte und Ehrenerklärung, 1 ) neben die Zahlung der Geldsumme oder an ihre Stelle tretend, sollen dem Verletzten Genugthuung gewähren.
In schwerern
Fällen werden aber auch (nichtverstummelnde) Leibesstrafen, Ausstellung am Pranger,
gegen Frauen
das Lastersteintragen oder
ahnliche
Übel
verhängt.
Peinliche Strafe (an Hals und Hand) ist ausgeschlossen. Die P G O . , welche die Regelung der niedern Gerichtsbarkeit sich nicht zur Aufgabe gestellt hatte, erwähnt im Art. 107 (vgl. aber auch Art. 216) nur die S c h m ä h s c h r i f t (Vorwurf eines Verbrechens) und bedroht .diese mit der Talion.
Das g e m e i n e R e c h t entwickelt, gestützt auf die Reichspolizeiord-
nungen, die Lehre vom Pasquill (dem das Schandgemälde,
die pictura famosa,
gleichgestellt wird) weiter, setzt aber an Stelle der Talion willkürliche Strafe, welche in schwereren Fällen bis zur Todesstrafe sich steigern kann. D i e Landesgesetzgebung des (abweichend Preufsen
16. bis 18. Jahrhunderts uberläfst zumeist
1620) die Beleidigung demjPrivatrecht
und
betrachtet
') Teilweise noch in der Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts sich (Oldenburg, Hannover u. a.).
findend
§ 94-
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
309
nur die schwersten Fälle als landgerichtlich. Die Sächsischen Konstitutionen, auch hier vielfach vorbildlich, heben die Berühmung, mit einer Frau oder Jungfrau geschlafen zu haben, besonders hervor (4 45) und gewähren im übrigen dem Beleidigten das Recht (4- 42), auf öffentlichen Widerruf vor Gericht und daneben auf willkürliche Strafe bis zur ewigen Landesverweisung zu klagen, wenn er sich nicht bei der bürgerlichen Klage beruhigen will. Vielfach (besonders in den Duellmandaten) wird die peinliche Privatklage durch amtliche Verfolgung verdrängt; wo jene fortbesteht, verjährt sie (in leichteren Fällen) in einem Jahr. Die neuere Gesetzgebung ist in der Behandlung der Beleidigung wenig glücklich gewesen. Sie hat es nicht verstanden, dem Verletzten eine unserem, vielleicht überspannten, Ehrgefühl entsprechende Sühne zu sichern. Dies gilt auch von unserm RStGB., welches den schwierigen Begriff der einfachen Beleidigung unbestimmt läfst, den Beleidigten auf den dornenvollen ,Weg der Privatklage verweist, den Wahrheitsbeweis (anders die österr. Entwürfe und das franzosische Recht) uneingeschränkt auch dann zuläfst, wenn Thatsachen des Familienlebens durch die Tagespresse in die Öffentlichkeit gezerrt wurden, und in seinen Strafdrohungen bis zu dem äufsersten Mindestmafs hinabgeht. Iu der Unausrottbarkeit des Zweikampfes liegt der unwiderlegliche Beweis für die Unzulänglichkeit unserer Gesetzgebung.
II. D e r Begriff der Ehre. 1. Ehre ist d i e d e r S t e l l u n g i m K r e i s e d e r R e c h t s g e n o s s e n e n t s p r e c h e n d e persönliche Geltung.2) Ehre ist also zunächst eine Thatsache: die durch die Lebensführung erworbene Achtung. Ehre bedeutet aber weiter das Interesse des einzelnen, seiner Lebensführung gemäfs geachtet zu werden. Diesem Interesse entspricht die Rechtsordnung nur negativ: durch das V e r b o t e i n e r d i e N i c h t a c h t u n g z u m A u s d r u c k e b r i n g e n d e n B e h a n d l u n g . Damit ist der Begriff der Beleidigung gegeben (unten III). Die Achtung setzt zunächst den s i t t l i c h e n W e r t voraus. Sie verlangt aber weiter die Erfüllung der durch die S t e l l u n g a u f e r l e g t e n P f l i c h t e n (den s o z i a l e n Wert). Das ist für seine Anwendung von gröfster Bedeutung. Aus dieser Auffassung erklärt sich uns die besondere Bedeutung der s ) Diese Auffassung wird insbesondere vertreten von v. yehringZwck im Recht 1 143, 2 545 (auch von Sohm Institutionen); Janka 232, Kronecker 484, Merkel 287, Olshausen § 185 2; Gabler, Kratz, Wilhelm. Verwandt die Fassung bei Dochow HH. 3 337, Stenglein GS. 42 83 (Ehre gleich äufsere Achtung). Abweicheniv.Meyer 589(Achtungswürdigkeit); Hähchner2 164(sittlicher Wert); Binding (Beleidigung ist nicht Ehr- sondern Willensverletzung; anders 1 726); Hefs (Ehrgefühl; Beleidigung daher Erregung des Gefühls der Unlust durch Erregung der Vorstellung, dafs der Beleidiger sich für überlegen hält).
JIO
§ 94-
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
Majestätsbeleidigung; gegen den Monarchen, und nicht gegen den Menschen schlechtweg gerichtet, überragt sie an Umfang die gemeine Beleidigung um ebensoviel, als die Stellung des Herrschers eine andere ist, wie die seiner Unterthanen (s. unten § 167). Diese Auffassung erklärt es uns weiter, dafs nicht nur das Absprechen des sittlichen Wertes, sondern auch der Eigenschaften und Fähigkeiten, welche zur Ausfüllung der Stellung notwendig sind, als Beleidigung erscheint. Es gibt eine S t a n d e s - und B e r u f s e h r e , weil und soweit es Standes- und Berufspflichten gibt. Es ist Beleidigung, wenn der Arzt ein Stümper, der Künstler ein guter Mensch aber schlechter Musikant genannt wird; wenn von dem Reichskanzler gesagt wird, er spreche wie ein Schornsteinfeger; von dem Richter, er urteile wie ein Rechtskandidat; wenn der Leiter eines Opernhauses als Zirkusdirigent oder der Prediger als Schauspieler bezeichnet wird. Demnach gehört zur Ehre auch der K r e d i t (die wirtschaftliche Seite der Ehre), d. h. das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit des Kreditnehmenden, soweit die Berufsstellung auf die Beanspruchung des Kredits verweist. 3 ) Den Kredit im Gesetze besonders zu erwähnen, ist mithin ebenso uberflüssig und verwirrend, wie die ausdrückliche Betonung des sog. Berufskredits, d. h. des Vertrauens in die zur Ausubung des Berufs (als Arzt, Erzieherin u. s, w.) erforderlichen Eigenschaften und Fähigkeiten.
2. T r ä g e r des Rechtsgutes der Ehre kann nur der l e b e n d e Mensch sein. Der Verstorbene ist nicht mehr Rechtssubjekt. Die sog. Beleidigung Verstorbener ist mithin in Wahrheit stets Beleidigung der Überlebenden; und zwar nicht der e i n z e l n e n , etwa antragsberechtigten F a m i l i e n g l i e d e r , sondern der F a m i l i e selbst als Gesamtpersönlichkeit.4) Ebensowenig kann auch im allgemeinen das K i n d — wobei freilich die Grenzlinie schwer zu ziehen ist — in seiner „Ehre" verletzt werden; doch werden wir dem Kinde gegenüber die Möglichkeit einer Beleidigung annehmen müssen, sobald es in irgend einen Pflichtenkreis, etwa in der Schule, ein3 ) Der Kredit ist mithin kein besonderes Rechtsgut, wie Binding 1 169, Olshausen § 187 5, v. Rohland Gefahr annehmen. Noch unrichtiger ist es freilich, ihn mit Geyer 2 38, Hälschner 2 198, Lammasch 65, v. Meyer 590 zu den Vermögensinteressen zu stellen. Richtig im wesentlichen He/s 28. Vgl, unten § 95 IV. 4 ) Beleidigung des Verstorbenen nehmen an Amsler Die Möglichkeit einer Injurie an Verstorbenen 1871 und v. Meyer 594. Nach der uberwiegenden Ansicht soll StGB. § 189 das „religiöse Gefühl" der Angehörigen schützen. Diese, auch in der Begründung des StGB, vertretene, Ansicht wird durch die Stellung des § 189 widerlegt. Mit dem Text übereinstimmend Hälschner 2 199, 458, Kratz, sowie Mainzer Die Ehe nach deutschem Reichsstrafrecht
J894
S.
56.
§ 94-
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
3"
tritt und das Bewufstsein dieser Pflichten besitzt. Anders steht es mit dem G e i s t e s k r a n k e n ; einerseits im Hinblick auf den früheren Zustand geistiger Gesundheit (Behauptung ehrenrühriger Thatsachen aus seiner Vergangenheit), anderseits wegen der vielleicht nur teilweisen Umnachtung des Geistes.5) Ebenso ergibt sich aber aus dem Begriffe der Ehre auch mit Notwendigkeit die, auch von der gesamten altern Litteratur gezogene Folgerung, dafs nicht nur der einzelne, sondern auch die Individuengruppen, soweit sie als G e s a m t p e r s ö n l i c h k e i t innerhalb des gesellschaftlichen Körpers anerkannt sind, Träger des Rechtsgutes „Ehre" und als solche Gegenstand der „Beleidigung" sein können. Das Reichsstrafrecht hat freilich diese Folgerung nicht gezogen. Von besonderer Anordnung abgesehen, schützt es nur die Ehre des e i n z e l n e n , nicht die der Körperschaft. 6 ) Ausnahmen enthalten: a) StGB. §§ 196, 197 Beleidigung von B e h ö r d e n und p o l i t i s c h e n K ö r p e r s c h a f t e n ; b) StGB. § 187 Gefahrdung des Kredits von H a n d e l s g e s e l l s c h a f t e n ; c) StGB. § 1 8 9 Schutz der F a m i l i e n ehre. Dazu käme noch d) § 166: Beschimpfung von R e l i g i o n s g e s e l l s c h a f t e n (darüber unten § 116 II). Mit der Frage nach der Möglichkeit einer Beleidigung von G e s a m t p e r s ö n l i c h k e i t e n ist die andre Frage nicht zu verwechseln, ob und inwieweit Einzelpersonen durch G e s a m t b e z e i c h n u n g beleidigt werden können. Eine derartige Bezeichnung, wie „die Geistlichkeit Berlins" oder „die braunschwei» s ) Regelmäfsig wird die Frage sowohl bezüglich des Kindes wie auch des Geisteskranken in gleicher Weise entschieden. Dies gilt sowohl von der gemeinen Meinung, welche die Möglichkeit einer Beleidigung des Kindes wie des Geisteskranken annimmt (auch R 2. Mai 84 10 372 sowie Olshausen § 185 7), als auch von v. Buri 8 und John HR., welche sie für beide in Abrede stellen. W i r d die Handlung (auch die Thätlichkeit) nur in Gegenwart des Betroffenen selbst vorgenommen, so kann von Beleidigung hier wie stets nur dann die Rede s e i n , wenn der Ausdruck der Nichtachtung von dem Betroffenen verstanden werden kann. D e r Satz „Pati quis injuriam etiamsi non sentiat potest" (1. 3 § 2 D. 47, 10) ist mithin zweifellos einseitig. Sehr interessant gestaltet sich diese Frage bei der Majestätsbeleidigung, wenn ein Kind oder ein Geisteskranker die Krone trägt. 6 ) So die gem. Meinimg, auch R 12. April 81 4 75; vgl. insbesondere Olshausen § 185 12. Dagegen Merkel 290, Schütze 355, Stenglein G S . 4 2 84, v. Wächter 388, welche die Beleidigungsfähigkeit in weiterem Umfange annehmen, während andere sie ganz verneinen. Vgl. Hausmann in der zu § 43 angef. Schrift sowie Gierke Genossenschaftstheorie 147.
§ 94-
312
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
gischen Leutnants" muls als genügend erachtet werden, s o b a l d durch sie einzelne Personen in erkennbarer Weise bezeichnet sind, m a g es auch zweifelhaft bleiben, w e l c h e einzelne Person gemeint ist.') D a g e g e n würden a l l g e m e i n e Bezeichnungen wie „die Juden", „die Deutschfreisinnigen", „die Börsianer", „die Professoren", nicht geeignet sein, eine Beleidigung zu begründen. III. D i e Handlung. Beleidigung ist 1. als Ehrverletzung der A u s d r u c k d e r N i c h t a c h t u n g durch Wort oder Zeichen. Sie umfafst nicht nur das A b sprechen a) des sittlichen Werts; b) der zur Ausübung des Berufs erforderlichen Eigenschaften und Fähigkeiten (ob. S. 310), sondern auch c) jedes die Nichtachtung zum Ausdrucke bringende Benehmen, so Schimpfworte und Thätlichkeiten, den Vorwurf geistiger Schwäche oder körperlicher Gebrechen, grobe Scherze oder schwere Unhöflichkeiten. Innerhalb der Ehrverletzung tritt die B e s c h i m p f u n g , gekennzeichnet durch die Roheit der Form, besonders hervor. 2. A l s Ehrgefährdung die B e h a u p t u n g unwahrer ehrenrühriger Thatsachen. D e m Thun steht die U n t e r l a s s u n g (Nichtannahme der dargebotenen Hand, Nichterwiderung des Grufses) gleich, soweit das Handeln als geboten (oben § 29) erwartet werden durfte. Der durch die Handlung bewirkte E r f o l g besteht darin, dafs ein anderer, sei es der Beleidigte, sei es ein dritter, von dem Ausdruck der Nichtachtung oder der ehrenrührigen Behauptung Kenntnis nimmt. In diesem Augenblicke tritt die V o l l e n d u n g ein. Bei Übergabe eines Schriftstückes an die Post oder die Telegraphenanstalt oder an den Setzer darf weder ohne weiteres angenommen werden, dafs diese Personen den Inhalt des Schriftstücks zur Kenntnis genommen haben, noch darf die thatsächlich erfolgte Kenntnisnahme als gleichgültig behandelt werden. Der V e r s u c h der Beleidigung ist denkbar, aber nicht strafbar. War der gewählte Ausdruck nicht geeignet, die Nicht7
) R 30. September 93 23 247.
§ 94-
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
313
achtüng zur Kenntnis anderer zu bringen, so würde untauglicher Versuch vorliegen. Die Beleidigung ist nur als vorsätzlich begangene nach geltendem Rechte strafbar. D e r V o r s a t z besteht aber auch hier lediglich in der Voraussicht des Erfolges, also in der Kenntnis von der beleidigenden Bedeutung der Handlung. Eine darüber hinausgehende A b s i c h t (sogenannter animus injuriandi) ist nicht erforderlich. IV. Die allgemeinen Grundsätze über Rechtswidrigkeit und deren Wegfall (oben § § 3 1 ff.) beanspruchen uneingeschränkte Geltung auch auf dem Gebiete der Beleidigungen. Insbesondere wird durch die E i n w i l l i g u n g des Verletzten nicht die Rechtswidrigkeit der Beleidigung ausgeschlossen, da die Ehre kein verzichtbares oder veräufserliches Recht ist; 8 ) wohl aber wird es in diesem Falle zumeist an dem erforderlichen Vorsatze fehlen. War dagegen der Thäter zur Vornahme der Handlung berechtigt, so entfallt damit die Rechtswidrigkeit der Beleidigung. Der Gesetzgeber wollte in § 193 diese allgemeine Regel dem Richter gerade hier ins Gedächtnis rufen und zugleich durch Beispiele erläutern, hat aber eben dadurch die Rechtsprechung vielfach irregeführt. Sachlich hat die Sondervorschrift des § 193 die gleiche Wirkung, als wenn das Merkmal der Rechtswidrigkeit in den Thatbestand der Beleidigung ausdrücklich, und zwar schlechthin, aufgenommen worden wäre. (Vgl. oben § 40 Note 4). § 193 bestimmt: „Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, ingleichen Äufserungen, welche zur Ausfuhrung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von Seiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind n u r i n s o f e r n s t r a f b a r , als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äufserung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht". 9 )
s)
Dagegen Binding 1 725, Hälschner 1 472, v. Meyer 349. •) Schon das gemeine Recht hat eine Reihe von Fällen hervorgehoben, in welchen der animus injuriandi entfallt (so Stryck, Koch, Engau). — Gegen die im Text vertretene Ansicht von der rein deklaratorischen Bedeutung des § 193 neuerdings v. Bülow 2 7 1 , Kronecker 495, 499, Merkel 294, Wilhelm. Richtig dagegen insbesondere Hälschner 2 184, v. Meyer 606, Olshausen § 193 I sowie Rump.
314
§ 94-
Geschichte und Begriff der Beleidigung.
Zu den im Gesetz erwähnten „andern Fällen" werden beispielsweise zu rechnen sein: die Erfüllung der Zeugenpflicht; die Ausstellung eines Dienstzeugnisses ; eine im guten Glauben erfolgende Anzeige bei der Behörde; tadelnde Urteile über militärische oder amtliche Leistungen, soweit diese öffentlich stattfinden (Truppenschau, Schwurgerichtssitzung, Geschäftsführung der verantwortlichen Minister); Mitteilungen des Arztes an das Familienhaupt über Krankheiten der Familienmitglieder; kaufmännische Auskünfte überhaupt und insbesondere Mitteilungen der sog. „Auskunftsbureaus" oder „Schutzgenossenschaften" an ihre Mitglieder über zahlungsunfähige oder säumige Schuldner 10 ) u. s. w. Hervorzuheben wäre, dafs die „Wahrnehmung berechtigter Interessen" d r i t t e r Personen unter § 193 StGB, fällt, wenn und soweit der Handelnde zu der Wahrnehmung b e r u f e n w a r , wenn auch nicht gerade durch Rechtspflicht (sondern als Freund, Kollege u. s. w.), und wenn er die Äufserung zum Zwecke der Wahrnehmung dieser Interessen gemacht hat. Ein besonderer Beruf der P r e s s e , fremde Interessen wahrzunehmen, kann nicht zugegeben werden; auch der Redakteur mufs durch personliche Beziehungen zur Wahrnehmung legitimiert werden. 11 ) Durch die Schlufsworte des § 193 wird der ebenfalls selbstverständliche Grundsatz zum Ausdrucke gebracht, dafs mit jeder Überschreitung der Berechtigung nach Inhalt oder Form (wozu auch der Ton der Äufserung gehört) das Gebiet des rechtswidrigen Handelns wiederbetreten wird. Von der „Absicht zu beleidigen" ist aber auch in diesen Worten nicht die Rede; das Bewufstsein der Überschreitung genügt. 12 ) Selbstverständlich sollte es endlich sein, dafs § 193, welcher überhaupt keinen neuen Rechtssatz ausspricht, auf a l l e Arten der Beleidigung, insbesondere auch auf die V e r l e u m d u n g Anwendung findet. Wenn auch eine B e r e c h t i g u n g zur Verleumdung nur ganz ausnahmsweise gedacht werden kann, so darf doch die Möglichkeit einer solchen grundsätzlich (man denke an einen Fall der Notwehr oder des Notstandes) nicht geleugnet werden. 1 3 )
10 ) Übereinstimmend R 30. Juni 82 6 406, 20. März 84 10 361, Cordes GA. 2 8 416, Ehrenberg HSt. 1 983, Gerlach in Conrads Jahrbuchern N. F. 20 129, Olshausen § 193 6. n ) Übereinstimmend im allgemeinen R , zuletzt 16. Januar 94 25 67, sowie v. Bülow. Weitergehend Kronecker 5 1 2 ; es genügt, wenn die Äufserung w i r k l i c h z u m Z w e c k e der Wahrnehmung berechtigter Interessen vorgenommen wurde. Ihm folgen Olshausen § 193 2 und Wilhelm. Es ist jedoch (im Gegensatze zu R) daran zu erinnern: I. Dafs auch der Redakteur, wie jeder Staatsbürger, zur Wahrnehmung allgemeiner Interessen personlich berufen ist; 2. dafs der allgemeine Zusatz „andre Fälle" auch dort zutreffen kann, wo eine „Wahrnehmung berechtigter Interessen" geleugnet werden mufs. la ) Dagegen R 5. Dezember 89 20 100, 5. April 92 2 3 40 und dazu Frank Z 12 308. la ) Übereinstimmend R 7. Juni 87 16 139; jetzt auch Olshausen § 193 2 mit den meisten.
§ 95-
§ 95.
Die Arten der Beleidigung.
315
Die Arten der Beleidigung.
I. E h r v e r l e t z u n g (StGB. § 185) oder Beleidigung im eigentlichen Sinne ist d e r A u s d r u c k e i g e n e r N i c h t a c h t u n g , mag er in der Form eines Urteils oder in der Form einer das Urteil in sich schliefsenden Thatsachenbehauptung erfolgen.') Die Äufserungen: „Er ist ein Betrüger" und „Er hat mich betrogen" sind strafrechtlich von durchaus gleicher Bedeutung. Immer aber mufs es sich um e i n U r t e i l d e s B e l e i d i g e n d e n s e l b s t , nicht nur um die Herbeischaffung der Grundlage für das Urteil andrer handeln. Darin liegt der Unterschied der Beleidigung im engern Sinn von der Verleumdung wie von der üblen Nachrede. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Ausdruck der Nichtachtung vorliege, ist die Anschauungsweise der betreffenden Kreise, nicht etwa ein objektiver Mafstab zu Grunde zu legen: die Bezeichnung eines Katholiken als Hugenotten , eines Protestanten als Papisten kann eine Beleidigung enthalten. Strafe: a) Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Haft oder Gefängnis bis .zu einem Jahre; b) wenn mittels einer T h ä t l i c h k e i t , d. h. mittels eines unmittelbar gegen den Körper des zu Beleidigenden gerichteten, wenn auch fehlgeschlagenen Angriffes 2 ) begangen, Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Gefängnis fcis zu zwei Jahren. Der verschiedene Vorsatz scheidet thätliche Beleidigung und Körperverletzung; ist (was wohl in der Regel der Fall sein durfte) das Bewufstsein vorhanden, dafs die Handlung nach b e i d e n Richtungen hin von Erfolg sein werde, so gibt nach allgemeinen Grundsätzen (StGB. § 73) der höhere Strafsatz den Ausschlag.
II. Die G e f ä h r d u n g der Ehre durch ü b l e N a c h r e d e (StGB. § 186) oder das Behaupten oder Verbreiten von nicht erweislich wahren Thatsachen in Beziehung auf einen andern, "welche diesen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen *) Die sog. bedingte Beleidigung („Wenn du das thust, bist du ein Schurke") ist entweder gegenwärtige unbedingte Ehrverletzung (Ausdruck des Mifstrauens in die Ehrenhaftigkeit) oder überhaupt nicht Beleidigung. Denn es ist fraglich, ob der heute Urteilende auch nach Eintritt der Bedingung an seinem Urteile noch festhält. s ) Also gleichbedeutend mit dem „thätlichen Angriff". Dagegen die gem. Meinung; insbesondere Streit Widersetzung 79, Olshausen § 94 2 ; übereinstimmend Baumgarten Versuch 411 Note 81, v. Meyer 604. Der fehlgehende Peitschenhieb ist vollendete thätliche Beleidigung,
316
§ 95.
Die Arten der Beleidigung.
Meinung herabzuwürdigen geeignet sind. Den Gegensatz bildet das Aussprechen des eignen, wenn auch auf Thatsachen gestützten Urteils. Die üble Nachrede ist mithin nicht Verletzung, sondern Gefährdung der Ehre; nicht Ausdruck der Nichtachtung, sondern Mitteilung der Grundlage, welche a n d r e zur Nichtachtung veranlassen kann. 3 ) Sie kann daher nicht g e g e n ü b e r dem Betroffenen, 4 ) sondern nur in B e z u g auf ihn dritten Personen gegenüber begangen werden; und sie ist v o l l e n d e t mit der Behauptung oder Verbreitung der Thatsachen, d. h. sobald die Thatsache zur Kenntnis einer dritten Person gebracht ist. Daher ist ferner — im Gegensatze zu dem oben unter I Gesagten — nicht die Anschauung derjenigen Kreise, für welche die Äufserung zunächst berechnet ist, sondern die des unbefangen urteilenden Publikums mafsgebend. T h a t s a c h e ist hier wie beim Betrug (unten § 1 3 8 Note 1) alles, was der Gegenwart oder der Vergangenheit, nicht aber was der Zukunft angehört. Dabei sind die Behauptungen des Beleidigers mafsgebend; auch etwas Unmögliches kann als Thatsache hingestellt werden. Vorgänge der Aufsenwelt wie im Innern des Beleidigten gehören hierher; den physischen Thatsachen stehen psychische, wie Eigenschaften, Ansichten und Absichen (z. B. gewinnsüchtige Absicht) des Beleidigten, durchaus gleich.5) Die Thatsache ist b e h a u p t e t , wenn sie als -Gegenstand eignen Wissens hingestellt wird; sie ist v e r b r e i t e t , wenn sie sonst einem andern mitgeteilt wird. Der Ausdruck „Verbreitung" bedeutet also hier nicht wie sonst (unten § 108 II) Zugänglichmachen an einen nicht begrenzten Personenkreis, sondern schliefst auch die ohne den Vorsatz der Weiterverbreitung gemachte, ja selbst die streng vertrauliche Mitteilung in sich. Die Thatsache mufs geeignet sein, den andern, wenn auch nur bei e i n z e l n e n , v e r ä c h t l i c h zu m a c h e n , d. h. ihm die Achtung gänzlich zu entziehen; oder aber, ihn i n d e r ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g (bei einem nicht begrenzten Per3 ) Ebenso Merkel 287, 290. Dagegen Gabler 32, Geyer 2 37, Kronecker GS. 38 488, v. Meyer 590, Olshausen § 186 1. 4 ) Ebenso R, insbesondere 30. November 82 7 285. 6 j Dagegen Hälschner 2 191, Merkel 292. Übereinstimmend Geyer 2 37, v. Meyer 608, Olshausen § 186 2 ; R, zuletzt 9. Oktober 93 24 300 (für StGB.
§ I3l).
§ 95- Die Arien der Beleidigung.
317
sonenkreis) h e r a b z u w ü r d i g e n , d. h. die Achtung vor ihm zu schmälern. Dafs diese Wirkung thatsächlich erfolgt sei, ist nicht erforderlich. Der V o r s a t z des Thäters mufs diese Eignung, sowie die Beziehung der Thatsache auf den andern umfassen. Durch die Fassung des Nebensatzes: „wenn nicht diese Thatsachen erweislich wahr sind" hat der Gesetzgeber in möglichst deutlicher Weise zum Ausdrucke gebracht, dafs die Nichterweislichkeit der Thatsachen eine aufserhalb der verbrecherischen Handlung liegende Bedingung der Strafbarkeit (oben § 4 3 III) ist. Daraus folgt, dafs der Vorsatz des Thäters sich nicht auf die „Nichterweislichkeit" zu erstrecken braucht, dafs mithin, trotz irriger Annahme der Erweislichkeit oder trotz einer ohne alles Verschulden des Thäters infolge äufserer U m stände, z. B. des Todes der Augenzeugen, eingetretenen Nichterweislichkeit — der Thatbestand des § 186 gegeben sein kann. ' ) Strafe: a) Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu einem Jahre; b) wenn a) ö f f e n t l i c h , d. h. so, dafs die Behauptung einem individuell nicht bestimmten und begrenzten Kreise von Personen zugänglich war, oder ß) durch V e r b r e i t u n g v o n S c h r i f t e n , Abbildungen oder Darstellungen begangen, Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Der Begriff der Verbreitung ist hier im technischen Sinne (unten § 108 II) zu nehmen. III. Die G e f ä h r d u n g der Ehre durch V e r l e u m d u n g ' ) (StGB. § 187) unterscheidet sich von der üblen Nachrede zu6 ) So die gem. Meinung, wenn auch mit unsicherer Begründung. Ubereinstimmend insbes. R zuletzt 23. September 89 19 386. Abweichend Binding Nonnen 2 611. Ganz verfehlt ist es, hier Fahrlässigkeit anzunehmen (so Löning 30) oder von einer Präsumtion zu sprechen (so Schmid Präsumtionen 67, Kupp Modernes Recht 56). 1 ) Seit Feuerbach und Grolmann als Verletzung des ,,Rechts auf den guten Namen" (so wieder He/s) von der Beleidigung als der Verletzung der „bürgerlichen Ehre" unterschieden und als Vorwurf rechtswidriger, bezw. in der Meinung des Publikums herabsetzender, H a n d l u n g e n bestimmt. Meine Auffassung der Verleumdung als Gefährdung der Ehre ist lebhaft angefochten worden von Geyer 2 37, Kronecker 488, Olshausen § 186 I, 187 I, Stoofs Grundzuge 2 298. Doch haben mich die Gründe der Gegner in keiner Weise uberzeugt. Das Untergraben der Ehre ist noch keine Verletzung der Ehre, wenn auch (was ich stets betont habe) verwerflicher und strafbarer als diese. Der Ausdruck „Kreditgefahrdung" spricht gewifs nicht für die Gegner.
318
§ 95-
D i e Arten der Beleidigung.
nächst dadurch, dafs an die Stelle der „nicht erweislich wahren" Thatsachen „ u n w a h r e Thatsachen" treten; weiter aber dadurch, dafs der Thäter „wider besseres Wissen" gehandelt haben mufs. Dies ist aber auch dann der Fall, wenn er eine Thatsache bestimmt behauptet oder verbreitet, deren Richtigkeit ihm zweifelhaft erscheint. Unbestimmter Vorsatz genügt mithin hier wie überall.8) Im übrigen deckt sich der Thatbestand der Verleumdung mit jenem der üblen Nachrede. S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren; wenn die oben zu II b angeführten erschwerenden Umstände vorliegen, Gefängnis nicht unter einem Monate. Bei mildernden Umständen kann entweder die Strafe bis auf einen Tag Gefängnis ermäfsigt oder auf Geldstrafe bis zu neunhundert Mark erkannt werden.
IV. G e f ä h r d u n g d e s K r e d i t s d u r c h V e r l e u m d u n g (§ 187) ist die wider besseres Wissen in Bezug auf einen andern erfolgende Behauptung oder Verbreitung von Thatsachen, welche dessen Kredit (oben S. 310) zu gefährden geeignet sind. Dafs durch diese, dem sächsischen StGB, von 1868 entnommene, Bestimmung der Kredit auch von Handelsgesellschaften, obwohl sie Gesamtpersönlichkeiten sind, geschützt werden soll, wird allgemein zugegeben. Strafe wie zu III.
V. G e f ä h r d u n g d e r F a m i l i e n e h r e d u r c h V e r leumdung Verstorbener (StGB. § 189), 9 ) d. h. Beschimpfung des Andenkens eines Verstorbenen durch wider besseres Wissen erfolgende Behauptung oder Verbreitung von Thatsachen, welche ihn bei seinen Lebzeiten verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet gewesen wären. Dabei ist der Ausdruck „beschimpfen" nicht im technischen Sinn (oben S. 312) zu nehmen, vielmehr völlig bedeutungslos. Antragsberechtigt sind nur die nächsten Angehörigen: leibliche Eltern und Kinder (oben § 91 Note 4) sowie der Ehegatte; der strafrechtliche Schutz ist beschränkt auf jene wenigen Familienglieder, die als im unmittelbaren Zu8 ) Ebenso v. Meyer 611. Dagegen Halschner 2 197, Lucas Subjektive Verschuldung 45, Olshausen § 187 3, sowie R (vgl. oben § 38 Note 6). Uber das Verhältnis der Verleumdung zur falschen Anschuldigung siehe bei dieser unten § 180 I. •) Mumm GS. 4 8 197.
§ 96.
Verfolgung und Bestrafung der Beleidigung.
319
sammenhange mit dem Verstorbenen stehend und daher als durch das Urteil über den Verstorbenen mit berührt betrachtet werden können. (Vgl. oben § 94 Note 4.) S t r a f e : Gefängnis bis zu sechs Monaten; bei mildernden Umständen Geldstrafe bis zu neunhundert Mark.
§ 96.
V e r f o l g u n g und B e s t r a f u n g der Beleidigung.
I. Mit dem B e w e i s e d e r W a h r h e i t entfallt ohne weiteres die Annahme der in den §§ 186, 187, 189 RStGB. enthaltenen Vergehen, welche begrifflich U n w a h r h e i t oder wenigstens N i c h t b e w e i s b a r k e i t der behaupteten oder verbreiteten Thatsachen erfordern. Aber auch im Falle des § 185 RStGB. schliefst die Wahrheit der Thatsachen (soweit solche überhaupt in Frage stehen) die Rechtswidrigkeit aus; es sei denn, dafs die durch das Recht, die Wahrheit zu sagen, gezogenen G r e n z e n überschritten wurden und der Thäter dem Vorbringen der Thatsachen etwas Weiteres, eine Beleidigung Enthaltendes, hinzugefügt hat (StGB. § 192). Ist die Thatsache eine kriminell (wenn auch cur nach deutschem Landesrecht) strafbare Handlung, so ist (§ 19O StGB.) der Wahrheitsbeweis a) a l s e r b r a c h t a n z u s e h e n , wenn der Beleidigte wegen dieser Handlung rechtskräftig verurteilt worden; b) a u s g e s c h l o s s e n , wenn er wegen ihr v o r der Behauptung oder Verbreitung rechtskräftig freigesprochen worden ist, sei es wegen eines Schuldausschliefsungs-, sei es wegen eines Strafaufhebungsgrundes. 1 ) Nicht hierher gehört dagegen das „für straffrei Erklären" nach § 199 usw. Ist wegen der strafbaren Handlung zum Zwecke der Herbeiführung eines Strafverfahrens bei der Behörde Anzeige gemacht, so ist (nach StGB. § 191) bis zu dem Beschlüsse, dafs die Eröffnung der Untersuchung nicht stattfinde, oder bis zur Beendigung der eingeleiteten Untersuchung, mit dem Verfahren und *) Mithin auch dann , wenn Verjährung angenommen wird (oben § 76 Note 3). Ebenso Binding 1 826 Note 7. Dagegen Heinze HH. 2 625, Olshausen § 190 3. — Dafs § 190 auch auf § 185 Anwendung findet, scheint mir zweifellos. Dagegen Olshausen § 190 4, für die richtige Ansicht Hälschner 2 204, v. Wächter 392 Note 13.
320
§ 96.
Verfolgung und Bestrafung der Beleidigung.
der Entscheidung über die Beleidigung innezuhalten. Inzwischen ruht die Verjährung nach StGB. § 69. II. Die Verfolgung einer Beleidigung tritt nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des Antrages ist in allen Fällen zulässig (StGB. § 1 9 4 ; oben § 44 Note 12). In Bezug auf die Berechtigung zur Antragstellung gelten zunächst die allgemeinen Grundsätze (oben § 44). Ist eine Mehrzahl von Personen durch eine G e s a m t b e z e i c h n u n g verletzt worden, so ist jede der erkenntlich bezeichneten Personen antragsberechtigt. Anders liegt die Sache bei Beleidigung einer K ö r p e r s c h a f t . D a für zwei der hierher gehörigen Fälle (§§ 189 und 196) im Gesetze besondere Vorschriften ausdrücklich gegeben sind, bleibt nur noch die Gefährdung des Kredits einer Handelsgesellschaft zu erwähnen. Für diesen Fall ist daran festzuhalten, dafs die Stellung des Antrages (wie die Erhebung der Privatklage) nur von den überhaupt zur Vertretung berufenen Personen ausgehen kann. Sind Ehefrauen oder unter väterlicher Gewalt stehende Kinder beleidigt worden, so haben sowohl die Beleidigten als deren Ehemänner und Väter das Recht, auf Bestrafung anzutragen (StGB. § 195). 2 ) Wenn die Beleidigung gegen eine Behörde, einen Beamten, einen Religionsdiener oder ein Mitglied der bewaffneten Macht, während sie in der Ausübung ihres Berufes begriffen sind, oder in Beziehung auf ihren Beruf begangen ist, so haben aufser den unmittelbar Beteiligten auch deren amtliche Vorgesetzte das Recht, den Strafantrag zu stellen (StGB. § 196). 3 ) Dagegen kennt die Reichsgesetzgebung das noch im preufs. StGB, sich findende, aus dem gemeinen Recht stammende Vergehen der Verletzung der „Amtsehre" nicht mehr. Nicht Antrags-,sondern E r m ä c h t i g u n g s d e l i k t (oben§Note43) ist die Beleidigung (StGB. § 197), wenn sie begangen worden ist gegen eine gesetzgebende Versammlung des Reichs oder eines Bundesstaats *) oder gegen eine andre politische Körperschaft. Veränderungen der Antragsfrist ergeben sich bei w e c h s e l s e i t i g e n B e l e i d i g u n g e n nach § 198 StGB. Ist nämlich bei wechselseitigen Belei2 ) Dafs es sich nicht um einen Fall der sog. „mittelbaren Injurie", der injuria mediata oder obliqua des gemeinen Rechts, handelt, wird heute allgemein zugegeben. — Für den Fall des § 189 ist § 195 nicht anwendbar. 3 ) Uber den Begriff der Behörde vgl. unten § 170; über den des Beamten StGB. § 159, über den des Religionsdieners unten § 121. — Im Falle des § 195 wie in jenem des § 196 ist für die Eigenschaft des Beleidigten der Zeitpunkt der Beleidigung, für die des Antragsberechtigten der Zeitpunkt der Antragstellung mafsgebend; teilweise abweichend Olshausen § 196 5> Stenglein GS. 42 79, sowie R 18./25. Februar 89 19 23. — Mehrere, sei es gleichgeordnete , sei es ubergeordnete, Vorgesetzte sind nebeneinander selbständig antragsberechtigt. *) Hierher gehören nicht blofs Reichstag und Bundesrat, sondern auch der Landesausschufs von Elsafs-Lothringen, sowie die Senate und Bürgerschaften der Hansestädte.
§ g6.
321
Verfolgung und Bestrafung der Beleidigung.
digungen (oben § 90 Note 1) von einem Teile auf Bestrafung angetragen worden, so ist der andre Teil bei Verlust seines Rechts verpflichtet, den Antrag auf Bestrafung spätestens vor Schlufs der Verhandlung in erster Instanz zu stellen, hierzu aber auch dann berechtigt, wenn zu jenem Zeitpunkte die dreimonatliche Frist bereits abgelaufen ist.
III. E r w i d e r u n g (§ 199 StGB.). Wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, so kann der Richter beide Beleidiger oder einen von ihnen für straffrei erklären (oben § 72 III). IV. Auf Bufse bis zu sechstausend Mark kann (StGB. § 188) auf Verlangen der Beteiligten in den Fällen der §§ 186 und 187 (nicht des § 185) erkannt werden, wenn die Beleidigung nachteilige Folgen für die Vermögensverhältnisse, den Erwerb oder das Fortkommen des Beleidigten mit sich bringt. Damit ist die Geltendmachung eines weitern Entschädigungsanspruches ausgeschlossen. Neben der Bufse kennt das Gesetz (StGB. § 200) bei der Beleidigung noch zwei andre Formen der P r i v a t g e n u g t h u u n g (oben g 58 I 1): 1. D i e A u s f e r t i g u n g d e s S c h u l d u r t e i l e s an den Beleidigten auf Kosten des Verurteilten (vorgeschrieben in allen5) Fällen). 2. Die Befugnis der B e l e i d i g t e n , d. h. derjenigen, welche wegen der Beleidigung Strafantrag gestellt oder Privatklage erhoben haben, 5 ) zur ö f f e n t l i c h e n B e k a n n t m a c h u n g d e r V e r u r t e i l u n g (nicht notwendig blofs des verfugenden Teils) auf Kosten des Verurteilten. Diese ist zuzusprechen bei öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Darstellungen oder Abbildungen begangenen Beleidigungen ohne Rücksicht auf die Art der Beleidigung. Die Art der Bekanntmachung sowie die Frist dazu ist in dem Urteile zu bestimmen. Erfolgte die Beleidigung in einer Z e i t u n g o d e r Z e i t s c h r i f t , so ist der verfugende Teil des Urteils auf Antrag des Beleidigten durch die öffentlichen Blätter bekannt zu machen, und zwar wenn möglich durch dieselbe Zeitung oder Zeitschrift und in demselben Teile und mit derselben Schrift, wie der Abdruck der Beleidigung geschehen. s ) Beide Fragen sind sehr bestritten. 5, 14 sowie R 24. September 86 14 327.
v o n L i s z t , Strafrecht.
6. Aufl.
Übereinstimmend Olshausen § 200
21
§ 97- begriff der Freiheitsverbrechen.
322
II. Strafbare Handlungen gegen die persönliche Freiheit. § 97.
Begriff der Freiheitsverbrechen.
Litteratur. Bruck Zur Lehre von den Verbrechen gegen die Willensfreiheit 1875. KÖstlin Abhandlungen (1858) 417. Villnow GA. 24 104. Geyer HH. 3 557. Hälschner 2 117. Schnabel Über die nötigende Gewalt. Diss. 1889. Knitschky GS. 4 4 249.
I. P e r s ö n l i c h e F r e i h e i t im Sinne des Strafrechts ist das rechtlich geschützte Interesse des einzelnen an u n g e s t ö r t e r B e t h ä t i g u n g d e s W i l l e n s . Sie i s t H a n d l u n g s freiheit, nicht Willensfreiheit; auch die Nötigung zur Duldung jst Verletzung der Freiheit. Verletzung der personlichen Freiheit ist in ebensovielen selbständigen Gestalten möglich, als es besondere Richtungen ihrer Bethätigung gibt. Aber nur dann sprechen wir von einem Freiheitsverbrechen im engeren Sinne des Worts, wenn die Beschränkung oder Entziehung der personlichen Freiheit nicht das Mittel zur Verletzung andrer Rechtsgüter darstellt. So erscheint der R a u b wie die E r p r e s s u n g als Vermögens verbrechen; die E r z w i n g u n g e i n e r A m t s h a n d l u n g als Widerstand gegen die Staatsgewalt; die E n t f u h r u n g ihrem Wesen wie ihrer geschichtlichen Entwicklung entsprechend trotz der entgegenstehenden Auffassung unsres RStGBs. als Vergehen gegen die Sittlichkeit. Die Nötigung zur U n t e r l a s s u n g r e l i g i ö s e r H a n d l u n g e n ist ein Vergehen, „welches sich auf die Religion bezieht"; die V e r h i n d e r u n g a n d e r A u s u b u n g d e s ö f f e n t l i c h e n W a h l - u n d S t i m m r e c h t s Verbrechen „in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte". Somit kennzeichnet sich strafrechtlich die Verletzung der personlichen Freiheit durch ihre ergänzende, aushilfsweise Bedeutung. Dagegen sind die Störung des R e c h t s f r i e d e n s (die Bedrohung) sowie der H a u s f r i e d e n s b r u c h von vornherein gegen Rechtsguter gerichtet, deren Unterscheidung von der personlichen Freiheit für Wissenschaft wie Rechtspflege gleich wünschenswert erscheint.
II. Die Verletzung der Freiheit als der ungestörten -Willensbethätigung kann entweder sein: 1. Verhinderung der Willensbethätigung nach einer bestimmten Richtung hin oder Zwang zur Bethätigung in einer bestimmten Richtung: die „ N ö t i g u n g " ; 2. Verhinderung der freien Bewegung im Räume: die „ F r e i h e i t s b e r a u b u n g " ; 3. die Begründung eigner körperlicher Gewalt über einen andern: der „ M e n s c h e n r a u b " , als dessen Unterart der S k l a v e n h a n d e l erscheint. III. Die Möglichkeit einer strafbaren Handlung entfällt
§ 97-
Begriff der Freiheitsverbrechen.
323.
(von dem untauglichen Versuch abgesehen), wenn der A n g e griffene aus rechtlichen oder thatsächlichen Gründen des zu verletzenden Rechtsgutes nicht teilhaftig ist S o wenig der Blinde des Augenlichts beraubt, der Habenichts bestohlen werden kann, ebensowenig kann g e n ö t i g t werden, wer der Willensbethätigung überhaupt oder nach der bestimmten, in Frage kommenden Richtung hin unfähig ist. V o n freier Bethätigung der religiösen Überzeugung, von freier Ausübung des politischen Wahl- und Stimmrechts, mithin auch von einer Verletzung dieser Rechtsgüter ist dem Wickelkinde gegenüber keine Rede. Ebenso setzt die F r e i h e i t s b e r a u b u n g voraus, dafs der Angegriffene die Fähigkeit besitzt, selbst oder durch Anrufung anderer sich im Räume zu b e w e g e n ; ein vom Starrkrampf Befallener, ein im tiefsten Rausche Dahinliegender, ein stumm geborenes Kind, das sich durch Gebärden nicht zu verständigen vermag, kann seiner Freiheit nicht beraubt werden. Anders liegt die Sache beim M e n s c h e n r a u b . IV. Die Mittel der Freiheitsverletzung sind: 1. G e w a l t , d. h. die Anwendung körperlicher Kraft zur Uberwindung eines erheblichen Widerstandes, mag dieser durch den Körper eines Menschen, mag er durch einen Gegenstand geleistet werden. Sie ist stets gewaltthätige Einwirkung auf die Substanz, stets Gewaltthätigkeit, niemals a n s i c h Einwirkung auf den Willen oder Zwang. Allerdings mufs die Gewalt Mittel zum Zwecke sein, sie mufs dazu dienen, die Willensbethätigung des zu Überwältigenden zu beeinflussen. A b e r sie hört darum nicht auf, rohe körperliche Kraft zu sein. Ebendarum kann zwar die Gewalt sich u n m i t t e l b a r gegen den Körper des zu Vergewaltigenden wenden (Gewalt an der Person); sie kann aber auch auf m i t t e l b a r e m W e g e ihr Ziel erstreben (Gewalt g e g e n die Person). Dieses ist möglich 1. durch Gewalt a n d r i t t e n P e r s o n e n , z. B. an dem Führer des Blinden; 2. durch G e w a l t a n S a c h e n , z. B. Zerstörung eines Steges, Zertrümmerung eines Reisewagens, Wegnehmen der Ruder, Aushängen von Fenstern und Thüren, um das Verlassen einer Wohnung zu erzwingen. ') Die Gewalt ist eine u n w i d e r ') Aber auch in diesen beiden Fällen mufs sie physisch von dem Genötigten empfunden werden; R 9. April 90 2 0 354. 21*
324
§ 97-
Begriff der Freiheitsverbrechen.
s t e h l i c h e (StGB. § 52), wenn Widerstandsleistung unmöglich ist. 2. D r o h u n g , d. i. das Inaussichtstellen eines die freie Willensbethätigung ausschliefsenden oder doch einengenden Nachteils. Hierher kann gehören: Einklagung einer Forderung, Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, Mitteilung an Verwandte, Veröffentlichung in der Presse usw. Die Zufiigung des Nachteils kann an sich berechtigt oder rechtswidrig sein; die Androhung strafbarer Handlungen bildet nur eine besondere Art der Drohungen. Als schwerste Art erscheint die Bedrohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Die Drohung braucht keine ernstlich gemeinte, d. h. ihre Ausführung braucht weder beabsichtigt noch möglich zu sein (Drohung mit Verhexung, mit einem ungeladenen Gewehr). Wohl aber muís sie dem Bedrohten als eine ernstliche erscheinen, sodafs sie geeignet ist, auf seine Willensentschliefsung einzuwirken, und der Drohende mufs das Bewufstsein dieser Eigenschaft seiner Drohung haben. Auch die Drohung mufs stets gegen den in seiner Freiheit zu Verletzenden gerichtet, zur Beeinflussung s e i n e r Willensbethätigung bestimmt und geeignet sein. Aber das Übel, welches seine Willensbethätigung beeinflussen soll, braucht nicht unmittelbar ihm selbst, es kann auch gegen andere Personen sowie gegen Sachen in Aussicht gestellt werden. Die Drohung kann ausdrücklich ausgesprochen oder durch Handlungen (Erheben der Faust, Anlegung des Gewehrs usw.) angedeutet sein, Die Möglichkeit der Flucht oder des Widerstandes schliefst den Begriff der Drohung nicht aus.2) 3. L i s t , 3 ) d. h. Täuschung des Handelnden über die verursachende Bedeutung seines Thuns, also die Erregung oder Unterhaltung eines Irrtums, durch Vorspiegelung, Entstellung oder Unterdrückung von Thatsachen. Auch die List kann gegen dritte Personen sich richten und z. B. als Irreführung eines Beamten oder des Leiters einer Irrenanstalt Mittel der Freiheitsberaubung sein.4) 2 ) Zu beachten ist, dafs Gewalt, soweit ihre Fortdauer in Aussicht steht, stets zugleich als Drohung erscheint. *) Von A r g l i s t und H i n t e r l i s t nicht wesentlich verschieden. Dagegen Olshausen § 2 3 4 5. *) Schwierigkeiten bieten B e t ä u b u n g , B e r a u s c h u n g , N a r k o t i s i e -
§ 98.
5 98.
Geschichte der Freiheitsverbrechen.
325
Geschichte der Freiheitsverbrechen.
Litteratur des Sklavenhandels: Gareis HV. 2 553. Fuld GS. 4 2 35. •v. Mörtitz Archiv für öffentl. Recht 1 3. Lentnir Der schwarze Kodex. Der afrikanische Sklavenhandel, die Brüsseler Generalakte vom 2. Juli 1890 und ihre einheitlichen Mafsnahmen zur Bekämpfung der verbrecherischen Gewerbsmäfsigkeit 1891. I. Die vorgetragene Auffassung der Freiheitsverbrechen, insbesondere die scharfe Betonung der persönlichen Freiheit als eines Rechtsgutes des e i n z e l n e n Rechtsgenossen, ist wesentlich neueren Ursprungs. Das römische c r i m e n v i s , seit dem Ende des Freistaates durch die innern Unruhen entwickelt (lex Plotia 665 a. u., leges von Pompejus, Cäsar, August), trägt trotz der schwankenden Scheidung von vis publica und privata stets politische Eigenart. Störung des ö f f e n t l i c h e n Friedens, wenn auch durch Angriffe auf Private, macht sein innerstes Wesen aus. Das gleiche gilt von dem deutschrechtlichen L a n d f r i e d e n s b r u c h , der violatio pacis publicae. Der PGO. ist der Begriff des Freiheitsverbrechens fremd, und das gemeine Recht ist über eine sehr unsichere, und unklare Verwertung des crimen vis nicht hinausgekommen. Auch die E i n s p e r r u n g hat das spätromische Recht (C. 9, 5 De privatis carceribus inhibendis; Zeno 486) nur als Verletzung staatlicher Hoheitsrechte betrachtet und damit die Auffassung der deutschen Landesrechte bis tief ins 19. Jahrhundert hinein (noch die Theresiana spricht von den Privatkerkern) beherrscht. Selbständige Bedeutung gewinnt im romischen Recht nur der M e n s c h e n r a u b (plagium) , nachdem eine nach dem Bundesgenossenkriege erlassene lex Fabia (D. 48, 1 5 ; C. 9, 20) die Versetzung eines Freien in den Zustand der Sklaverei oder die eines Unfreien in Abhängigkeit von dem Verbrecher unter selbständige Strafe gestellt hatte. Spätere Kaiserverordnungen verschärften die anfangs milden Strafen, bis Konstantin sogar die Todesstrafe androhte. Das deutsche Mittelalter bestrafte den Menschenraub schon in den Volksrechten (z. B. lex Rib. 16 das Verkaufen über die Grenze) mit dem vollen oder sogar mit mehrfachem Wergeide, später auch mit dem Tode, indem die Quellen das Fangen des Mannes bald (Ssp. II 13, 5) dem Totschlage gleichstellten, bald (Schsp. 227) unter dem Einflüsse des kanonischen Rechts als schwersten Diebstahl bezeichneten und behandelten. Das gemeine Recht mufste bei dem Schweigen der PGO. auf das romische Recht zurückgreifen, hob aber einerseits den K i n d e r r a u b , anderseits die F a l s c h w e r b u n g (das plagium militare, das „Leuleauffangen") als ausgezeichnete, meist mit der Schwertstrafe bedrohte Falle hervor. An klarer grundsätzlicher Auffassung fehlte es aber bis tief ins r u n g , H y p n o t i s i e r u n g usw. Sie werden stets als „List" aufgefafst von Hälschner 2 243, Olshausen § 2 3 4 5, Schütze 417 Note 9 ; stets als Gewalt von Binding Normen 2 526 Note 755, Herbst GA. 26 49, v. Lilienthal Z 7 373, v. Meyer 584 Note 18. Richtig ist allein, zu unterscheiden, ob der Zus t a n d der Betäubung d u r c h Gewalt (Schlag auf denKopf), Drohung (Zwang zum Einatmen von Chloroform) oder List (Täuschung über die Wirkung) herbeigeführt worden ist. So auch Schnabel 30.
326
§ 98.
Geschichte der Freiheitsverbrechen.
18. Jahrhundert; noch ySF. Böhmer Menschenraub als Fall des Diebstahls.
(ebenso Bayern
1751) behandelt
den
II. Bahnbrechend wurde die Bestimmung des A L R . 1677: „wer einen Menschen . . . mit Gewalt f e s t h ä l t , e i n s p e r r t oder wider seinen Willen zu etwas n ö t i g t u. s. w." Damit war nicht nur der Auffassung des frühern deutschen Mittelalters entsprechend (das ligare der Volksrechte) das Festhalten und ähnliches als Angriff auf die persönliche Freiheit des e i n z e l n e n erfafst (13. Abschnitt: „Von den Beleidigungen der Freiheit"), sondern auch zuerst der Begriff der N ö t i g u n g klar hingestellt. Die wissenschaftliche Bewegung (Groltnann, Feuerbach, Tittmann) folgte dieser Anregung, und damit war für die heutige Gesetzgebung die Abtrennung des Rechtsgutes der „persönlichen Freiheit" von dem des „öffentlichen Friedens" fortan als unverlierbarer Gewinn gegeben. III. Der Kampf gegen den H a n d e l m i t N e g e r s k l a v e n auf offener See (la traite des noirs) begann mit dem Ausgange des vorigen Jahrhunderts (Wilberforce 1759—1833) und wurde zunächst von England durch Verträge und Gesetze (Aufhebung des Sklavenhandels I807, der Sklaverei durch Gesetz von 1833 mit Wirkung von 1843) eröffnet. Auf den Kongressen zu Wien 1814/15 und Verona 1822 erklärten die Mächte den Sklavenhandel für eine Verletzung des europäischen Volkerrechts. Aber nur einzelne Staaten gaben dieser Erklärung durch Strafbestimmungen den nötigen Nachdruck; so Osterreich durch ein Hofdekret von 1826 (§ 95 des StGB, von 1852), Frankreich durch Gesetz vom 4. März 1831. Neuen Anstofs gab der zwischen England, Frankreich, Rufsland, Österreich, Preufsen geschlossene, von Frankreich aber nicht ratifizierte Quintupelvertrag vom 20. Dezember 1841, in welchen das Deutsche Reich an Stelle Preufsens durch den mit England geschlossenen Vertrag vom 20. März 1877 eintrat. Nunmehr trat auch die Gesetzgebung der deutschen Einzelstaaten in Thätigkeit; die preufsische Verordnung vom 8. Juli 1844, Gesetze in Bremen, Hamburg und Lübeck (1837), Mecklenburg-Schwerin (1846), Oldenburg (1876) bedrohen den Sklavenhandel mit teilweise recht strengen Strafen. Durch die Berliner Kongoakte vom 26. Februar 1885, ins.besondere aber durch die Brüsseler Generalakte vom 2. Juli 1890 (RGBl. 1892 S. 605) wurde der Kampf von der offenen See auf das Festland ausgedehnt, um den Sklavenhandel in seiner Wurzel, der Sklavenjagd, zu treffen. Das heute geltende deutsche Recht 1 ) bietet keine genügende Handhabe zur Bekämpfung des Sklavenhandels. Die oben erwähntenLandesgesetze finden in den deutschen Schutzgebieten keine Anwendung. Die selbständige Strafgewalt, welche hier dem Kaiser und dem Reichskanzler zusteht (oben § 16 Note 4) ist gänzlich unzureichend. StGB. § 235 aber trifft gerade den Thatbestand des S k l a v e n h a n d e l s nicht. Vor allem aber wird die strafrechtliche Verfolgung der im Innern Afrikas sich abspielenden S k l a v e n j a g d e n dadurch gehemmt, dafs diese im Auslande begangen und daher nur unter bestimmten Voraus') Über die aufserdeutsche Gesetzgebung vgl. die in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts ausgearbeitete Zusammenstellung (1891). Dazu türkisches Gesetz vom 4./16. Dezember 1889; belgisches Gesetz vom 3. Juli 1893.
§ 99-
Die Nötigung,
32 7
Setzungen (oben § 21 IV) im Inlande strafbar sind. Damit ist nicht nur die Notwendigkeit eines besonderen Reichsgesetzes dargethan, sondern diesem zugleich auch der Inhalt vorgezeichnet. Es ist daher zu bedauern, dafs der Regierungsentwurf von 1890/91, der freilich an schweren technischen Mängeln litt, nicht zum Gesetze geworden ist.
§ 99. 1. Die Nötigung. L i t t e r a t u r . Geyer HH. 3 567. Hälschner 2 118. — Zu V : Hilse GA. 3 7 277. Meves GA. 4 0 265. Stieda HSt. 4 690. Boninger Die Bestrafung des Arbeitsvertragsbruchs 1891 S. 27. L'owenfeld Archiv für soziale Gesetzgebung 3 383. Appelius NG. 886.
I. Nötigung ist nach § 240 StGB, die V e r l e t z u n g d e r p e r s ö n l i c h e n F r e i h e i t in e i n e r b e s t i m m t e n R i c h t u n g i h r e r B e t h ä t i g u n g ; also die E r z w i n g u n g e i n z e l n e r Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen. Die Duldung ist eine Unterart des Unterlassens; sie unterscheidet sich aber innerhalb dieses Gattungsbegriffes von dem Unterlassen im e. S. dadurch, dafs dieses auf einem Wollen, das Dulden auf einem Müssen beruht, dafs das Unterlassen, nicht aber das Dulden, einen wenn auch erzwungenen Entschlufs voraussetzt (Zwang zum Anhören unzüchtiger Reden). Das A n t r a g s e r f o r d e r n i s wurde durch die Novelle von 1876 gestrichen. II. Die M i t t e l der Nötigung sind nach dem Gesetze: 1. G e w a l t (oben S. 323); 2. D r o h u n g (oben S. 324) und zwar Bedrohung m i t einem Verbrechen oder Vergehen. Neben Gewalt und Drohung ist die L i s t als Mittel der Nötigung im Gesetze nicht erwähnt, mithin auch nicht als genügend zu erachten. Der Beugung des Willens steht die Erschleichung der Einwilligung, der Überwältigung die Täuschung nicht ohne weiteres gleich. III. Die Nötigung ist nur strafbar, wenn sie w i d e r r e c h t l i c h erfolgt; wenn also etweder der Nötigungszweck oder das Nötigungsmittel oder beides widerrechtlich ist. Die Widerrechtlichkeit der Nötigung entfällt also nur dann, wenn der Thäter nicht nur 1. berechtigt ist, die fragliche Handlung, Duldung oder Unterlassung zu fordern, sondern wenn er a u f s e r d e m auch noch 2. zur Anwendung der von ihm angewendeten Nötigungs-
328
§99-
Die Nötigung.
mittel berechtigt ist, also berechtigt, Gewalt anzuwenden oder aber Handlungen anzudrohen, welche, ohne besondere Berechtigung vorgenommen, als Verbrechen oder Vergehen sich darstellen würden. 1 ) Auch die Nötigung zur Unterlassung einer unsittlichen, ja selbst einer strafbaren Handlung kann danach strafbar sein. Da die Widerrechtlichkeit in § 240 ausnahmsweise vom Gesetzgeber zum Begriffsmerkmal erhoben ist, wird durch die irrige Annahme ihres Wegfalls die Strafbarkeit ausgeschlossen (oben § 40 Note 4). Dagegen ist nicht nötig die Kenntnis des Thäters, dafs die von ihm angedrohten Handlungen als Verbrechen oder Vergehen strafbar seien. IV. Die V o l l e n d u n g der Nötigung tritt nach dem RStGB. (die Landes-StGBücher schwankten) erst mit der erzwungenen Handlung, Duldung, Unterlassung ein; der (strafbare) V e r s u c h beginnt schon mit der Anwendung von Gewalt oder Drohung, als der Mittel zur Herbeiführung der Handlung, Duldung, Unterlassung. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geld bis zu sechshundert Mark.
V. Die A r b e i t s f r e i h e i t , als die Befugnis zur selbständigen Schliefsung und Lösung des Arbeitsvertrages, begreift die F r e i h e i t d e r V e r a b r e d u n g m i t a n d e r n z u g e m e i n s a m e m V o r g e h e n in sich. Daher hat die Gesetzgebung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Gewerbeordnung § 152) die „Koalitionsfreiheit der gewerblichen (nicht der ländlichen) Arbeiter" anerkannt und die früher auf solche Verabredungen gesetzte Strafe beseitigt. Anderseits wird der Z w a n g zur Teilnahme an einer Verabredung (nicht die Hinderung), sowie die H i n d e r u n g des Rücktritts (nicht seine Erzwingung) unter besondere Strafe gestellt. § 153 der Gewerbeordnung bestimmt:
„Wer andre durch Anwendung
') Übereinstimmend die gem. Meinung, z. B. Olskausen § 240 I i , sowie die feststehende Rechtsprechung des R ; aber auch im wesentlichen Kronecker GS. 32 60 und Z 3 638. Dagegen Bruck 57, John Z 1 222, welche das „widerrechtlich" lediglich mit den Notigungszwecken in Verbindung setzen. — Die Sache liegt bei der Nötigung eben wesentlich anders als bei der Erpressung StGB. § 253, unten § 140), bei welcher j e d e Drohung genügt, also auch die Androhung von Nachteilen, zu deren Zufugung der Drohende berechtigt ist.
§ ioo.
2. Die Freiheitsberaubung (oder Einsperrung).
körperlichen Zwanges, durch D r o h u n g e n , § § 285—287) stimmen
oder
durch
versucht,
stigerer Lohn-
durch E h r v e r l e t z u n g
Verrufserklärung
an Verabredungen
und Arbeitsbedingungen,
oder
(StGB zu
be-
zum Behufe der Erlangung
gün-
insbesondere
bestimmt
mittels Einstellung der
Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, teilzunehmen oder ihnen Folge zu leisten, oder andere durch gleiche Mittel hindert oder zu h i n d e r n v e r s u c h t ,
von
solchen Verabredungen zuruckzutreten, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetz nicht eine härtere Strafe eintritt." Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind mithin formell gleichgestellt.
Körper-
licher Zwang ist erforderlich, Gewalt an Sachen, z. B . Zertrümmern der Werkzeuge, Zuschutten des Schachtes u s w . , genügt nicht.
Der K r e i s der strafbar
machenden Notigungsmittel ist im übrigen erweitert.
F r e i w i l l i g von den Be-
troffenen vereinbarte Mittel, z. B. Geldbufsen, Verlust der Mitgliedschaft usw., gehören nicht hierher.
Den Versuch trifft dieselbe Strafe w i e die Vollendung.
Die wesentlich härteren, einseitig gegen die Arbeitnehmer gerichteten,
Straf-
drohungen des Entwurfs von 1890 sind mit Recht vom Reichstage abgelehnt worden.
§ 100.
2. Die Freiheitsberaubung (oder Einsperrung).
Litteratur.
Geyer H H . 3 587.
Halschner
2 133.
I. Freiheitsberaubung ist die g a n z l i c h e , wenn auch vorübergehende, V e r h i n d e r u n g d e r f r e i e n B e w e g u n g Im R ä u m e , also der freien Wahl des Aufenthaltes; sie setzt mithin Bewegungsmöglichkeit voraus (oben S. 323). Die Freiheitsberaubung unterscheidet sich von der Nötigung dadurch, dafs sie nicht Z w a n g zu e i n e r e i n z e l n e n bestimmten Handlung, Duldung, Unterlassung ist. Der geschichtlichen Entwickelung des Vergehens sich anschliefsend, hebt das Gesetz (§ 239) als Hauptfall die E i n s p e r r u n g hervor, d. h. die Festhaltung in einem umschlossenen Räume, sei es durch mechanische Gewalt, sei es durch Erregung oder Benutzung von Hemmungsvorstellungen (Furcht, Scham, hypnotische Suggestion). Dafs der Raum einen oder mehrere Ausgänge hat, hindert die Anwendung des Begriffes nicht, wenn diese (wie der Thäter weifs) dem Eingesperrten unbekannt sind oder vom Thäter oder dessen Gehilfen bewacht werden. Als einzelne Fälle der Freiheitsberaubung wären das Einsperren in eine Irrenanstalt, in ein Kloster, in ein Bordell, ferner das Binden und Fesseln, das Wegnehmen der Leiter, auf welcher jemand in eine tiefe Grube gestiegen ist, das Versetzen in Starrkrampf, Hypnose usw. hervorzuheben. Widerrechtlichkeit des Handelns
33°
§ IOI.
3. Der Menschenraub.
ist auch bei der Freiheitsberaubung Begriffsmerkmal, mithin Bewufstsein derselben erforderlich (oben § 40 Note 4). IL Abweichend von der Begriffsbestimmung der Nötigung zählt das RStGB. in § 239 die M i t t e l der Freiheitsberaubung nicht auf. Daraus folgt, dafs nicht blofs Gewalt oder Drohung mit einem Verbrechen oder Vergehen, sondern a l l e Mittel, welche überhaupt geeignet sind, die Handlungsfreiheit eines andern zu beeinflussen, taugliche Mittel der Freiheitsberaubung sind. Dies gilt insbesondre auch von der L i s t (oben S. 324). Nur wenn das Verhalten des der Freiheit Beraubten als dessen freies und vorsätzliches Thun erscheint, kann von einem Vergehen keine Rede mehr sein. Die V o l l e n d u n g tritt mit der Entziehung der Freiheit ein; länger dauernde Freiheitsentziehung begründet ein fortdauerndes Verbrechen. Die Verjährung kann daher nicht beginnen, ehe nicht dieser Zustand ein Ende gefunden hat (oben § 77 Note 4). III. S t r a f e : a) Für den einfachen Fall: Gefängnis von einem Tage bis zu fünf Jahren. b) Wenn die Freiheitsentziehung über eine Woche gedauert hat, oder wenn eine schwere Körperverletzung (StGB. § 224) des der Freiheit Beraubten durch die Freiheitsentziehung oder die ihm während dieser widerfahrene Behandlung verursacht worden ist: Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Monat. c) Ist auf die zu b) angegebene Weise der Tod des der Freiheit Beraubten verursacht worden, Zuchthaus nicht unter drei Jahren, bei mildernden Umständen nicht unter drei Monaten. Versuch ist in den unter b) und c) genannten Fällen möglich, wenn der Erfolg (Tod oder Korperverletzung) aus der versuchten Handlung hervorgegangen ist (oben § 45 Note 8).
§ 101. Litteratur. Knitschky GS.
3. D e r Menschenraub.
Dobbelmann De crimine plagii 249.
1866.
Hälschner
2
137.
I. Menschenraub ist die A n m a f s u n g u n m i t t e l b a r e r körperlicher Herrschaft über einen Menschen. Darin, dafs der Thäter eines Menschen s i c h b e m ä c h t i g t , liegt der Unterschied des Menschenraubes von der Aussetzung (oben § 91); jener ist Verletzung der Freiheit, diese Gefahrdung von Leib und Leben. Der Menschenraub im weitern Sinne
§ IOI.
3. Der Menschenraub.
331
umfafst zwei Fälle: 1. Den eigentlichen Menschenraub; 2. den Kinderraub. II. E i g e n t l i c h e r M e n s c h e n r a u b (StGB. § 234) liegt vor, wenn jemand sich eines Menschen durch List, Drohung oder Gewalt bemächtigt, um ihn in hilfloser Lage (oben § 91) auszusetzen oder in Sklaverei, Leibeigenschaft oder in auswärtige Kriegs- oder Schiffsdienste zu bringen. Die im Gesetze bezeichnete A b s i c h t (gleich Beweggrund)*) ist Begriffsmerkmal. Gleichwertige Zwecke, z. B. Auslieferung an eine Zigeunerbande oder Gauklergesellschaft, genügen nicht. Das Verbrechen ist v o l l e n d e t mit der (positiven) Erlangung der Herrschaft; der V e r s u c h beginnt mit dem (negativen) Eingriff in die persönliche Freiheit. Der Menschenraub ist Dauerverbrechen solange die erlangte Herrschaft währt; danach bestimmt sich der Beginn der Verjährung. S t r a f e : Zuchthaus von einem bis zu fünfzehn Jahren.
III. Der K i n d e r r a u b (StGB. § 235) wird begangen dadurch, dafs eine m i n d e r j ä h r i g e P e r s o n ihren Eltern 2) oder ihrem Vormund durch Gewalt, Drohung, List entzogen wird. Angegriffen ist die persönliche Freiheit des Minderjährigen; aber die Verfüigungsbefugnis über dieses Rechtsgut steht nicht ihm, sondern den Eltern oder dem Vormunde zu. Darum schliefst die Einwilligung der letztgenannten Personen die Rechtswidrigkeit des Thuns aus, während die des Minderjährigen selbst gleichgültig ist. Entläuft der Minderjährige selbst, so kann von Raub nicht gesprochen werden. Die Minderjährigkeit ist nach der Staatsangehörigkeit des Geraubten zu bestimmen, gegebenenfalls das Privatfürstenrecht anzuwenden. T h ä t e r können auch die leiblichen Eltern oder der Vormund des Kindes sein, wenn ihnen die Aufsicht über dieses entzogen ist oder nicht allein zusteht. V o l l e n d e t ist der Kinderraub, sobald die Gewalt der Machthaber gebrochen u n d eine fremde Gewalt begründet ist;3) ') Dagegen Binding Normen 2 602 Note 894, Olshauseti § 234 6. Hier auch Adoptiv- oder Pflegeeltern, nicht aber Grofseltern oder Schwiegereltern. s ) G e g e n die Forderung, dafs die Gewalt des Thäters begründet sei, mjt Unrecht R 27/30. November 88 18 273; Merkel 313, Olshausen § 235 x. 2)
332
§ I02.
Sittlichkeitsverbrechen.
Übersicht.
der V e r s u c h beginnt mit der ersten dieser beiden Entwickelungsstufen. S t r a f e : regelmäfsig G e f ä n g n i s ; wenn die Handlung in der
Absicht
(gleich Beweggrund) geschieht, die Person zum Betteln oder zu gewinnsüchtigen (d. h. auf Erlangung
eines Vermögensvorteils
Z w e c k e n oder Beschäftigungen zu gebrauchen, D e r Minderjährige kann
gerichteten)
oder
unsittlichen
Zuchthaus b i s zu zehn Jahren.
nicht selbst als Teilnehmer
gestraft w e r d e n ;
daher
bleibt auch Beihilfe zur Selbstentziehung straflos.
III. Strafbare Handlungen gegen geschlechtliche Freiheit und sittliches Gefühl. § 102.
Obersicht.
Litteratur. Brunner 2 6 5 8 . v. Wächter Abhandlungen 1835. Dinding Z 2 450 und Nonnen 1 196. Kohler Z 7 47. Hälsehner 2 220, 683. Gernertk Z 11 315. Weisbrod D i e Sittlichkeitsverbrechen vor dem Gesetz. Historisch und kritisch beleuchtet 1891. Precone D e i reati contro il buon costume 1892. Porret L e s écrits contre les moeurs 1891. Schauer Zum Begriff der unzüchtigen Schrift. E i n Beitrag zur Erläuterung des § 184 StGB. 1893. Stoo/s Grundzüge 2 209. Mainzer D i e E h e im deutschen Reichsstrafrecht 1894. — U b e r K o n k u b i n a t Harburger Z 4 499 und dazu Rosenblatt Z 5 272.
I. Die g e s c h l e c h t l i c h e S i t t l i c h k e i t , d. h. die Einhaltung der durch die jeweilige Sitte dem geschlechtlichen Verkehr gezogenen Schranken, ist kein R e c h t s g u t , kein um seiner selbst willen geschütztes rechtliches Interesse der G e s a m t h e i t . Wenigstens nicht nach unsrer heutigen Auffassung. Der christliche Staat hat in dem Rechtsinstitute der Ehe dem Geschlechtsleben seine Bahnen gewiesen und damit den mächtigsten aller Naturtriebe in den Dienst der gesellschaftlichen Zwecke gestellt; dem aufserehelichen Geschlechtsleben widmet er seine Aufmerksamkeit nur, wenn und insoweit es in den Rechtskreis e i n z e l n e r verletzend oder gefährdend eingreift.1) F ü r jene FordernDg spricht die Gleichstellung mit der Entführung (unten § 103). D a f ü r auch die überwiegende Meinung. ] ) Allerdings ist der Gesetzgeber mehrfach, so insbesondere gegenüber der widernatürlichen Unzucht, über diesen Standpunkt hinausgegangen. Aber diese bedenklichen Übergriffe in ein dem Rechte fremdes Gebiet vermögen di& R i c h t i g k e i t der im T e x t e vertretenen Auffassung nicht zu erschüttern. Für s i e insbesondere Precone sowie Mainzer 37. — D i e „öffentliche" Sittlichkeit (Hälsehner 2 683) ist nichts als das sittliche G e f ü h l einer unbestimmten Mehrheit einzelner (mifsverständlich i>. Meyer 974).
§ 102.
Sittlichkeitsverbrechen.
Übersicht.
333
Nach zwei Richtungen hin kann dies der Fall sein. 1. Zunächst verlangt die f r e i e S e l b s t b e s t i m m u n g über den geschlechtlichen Verkehr rechtlichen Schutz; ein durchaus eigenartiges, mit dem Rechtsgute der Freiheit nahe verwandtes Interesse, welches aber wegen der sozialen Bedeutung des Geschlechtslebens auch mit der Ehre, wegen dessen physiologischer Wichtigkeit (insbesondere für das Weib, weit weniger für den Mann) auch mit der körperlichen Unversehrtheit in nächsten Beziehungen steht. Den Übergang von den Freiheits- zu den Sittlichkeitsverbrechen bildet die E n t f ü h r u n g. Musterfall für die gewaltsame Verletzung der geschlechtlichen Freiheit ist die N o t z u c h t . Der Gewalt aber steht der Mi f s b r a u c h des in besondern Verhältnissen begründeten E i n f l u s s e s , sowie die Benutzung des I r r t u m s oder der U n e r f a h r e n h e i t des zu mifsbrauchenden Opfers (die Verführung) gleich. 2. Neben der geschlechtlichen Freiheit schützt der Gesetzgeber das s i t t l i c h e G e f ü h l des einzelnen, d.h. die gemütlich betonten sittlichen Vorstellungen, gegen Verletzung durch Ärgernis erregende unzüchtige Handlungen andrer.2) II. Die nahe Verwandtschaft der beiden Rechtsgüter „geschlechtliche Freiheit" und „sittliches Gefühl" zu einander und die Gleichartigkeit der die beiden Rechtsgüter verletzenden Handlungen rechtfertigen es, die sämtlichen S i t t l i c h k e i t s v e r b r e c h e n zu einer einheitlichen Gruppe zusammenzufassen. Die gemeinsame Grundlage dieser Gruppe bildet die Vornahme einer u n z ü c h t i g e n H a n d l u n g . Als solche erscheint aber jede Handlung, welche den sittlichen Anstanden geschlechtlicher Beziehung, die durch die jeweilige Sitte dem Geschlechtsleben gezogenen Schranken, gröblich verletzt. Als Unterart der unzüchtigen Handlungen können erscheinen einerseits d e r B e i s c h l a f , d. i. die naturgemäfse Vereinigung der Geschlechtsteile, anderseits b e i s c h l a f s ä h n l i c h e , d. h. solche Handlungen, welche auf die Befriedigung des Geschlechtstriebes in einer dem naturgemäfsen Beischlaf ähnlichen Weise gerichtet 2)
Dagegen (mifsverständlich) Scholl Z 13 279.
§ io2.
334 sind.
Sittlichkeitsverbrechen.
Übersicht.
F e h l t es d a g e g e n der H a n d l u n g an der geschlechtlichen
Beziehung, so kann Anstandes zeichnet
(des
werden;
Schamteile
sie
trotz g r o b e r Verletzung des sittlichen
„ S c h a m g e f ü h l s " ) ' nicht als eine unzüchtige be-
zum
man
denke
Zwecke
der
z.
B.
an
die E n t b l ö f s u n g
Verrichtung
der
Notdurft,
der an
körperliche Z ü c h t i g u n g auf den entblöfsten Unterleib, an B a d e n in völlig unbekleidetem Zustand usw. wissenschaftlichen
Darstellungen,
O b in künstlerischen und
Beschreibungen
usw.
eine
unzüchtige Handlung erblickt werden kann, h ä n g t davon ab, ob die objektiven und die
subjektiven M e r k m a l e
des Begriffes zu-
treffen; bei der wahren Kunst, bei der echten Wissenschaft ist das niemals der Fall, m a g auch Prüderie an ihr A n s t o f s nehmen oder Lüsternheit sie für ihre (unten §
gemeinen
Zwecke
mifsbrauchen
108).
III. Die Anschauungen über die Stellung der staatlichen Strafgewalt zu den Verletzungen der Sittlichkeit haben in verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Völkern vielfache Wandlungen durchgemacht. Das r ö m i s c h e R e c h t hat, von vereinzelten Bestimmungen abgesehen, bis in das 8. Jahrhundert der Stadt hinein die Ahndung der Vergehen gegen die Sittlichkeit der Strafgewalt des Hausvaters sowie der zensorischen Rüge uberlassen. Erst als die allenthalben im Gefolge von Ehelosigkeit und Kinderscheu eingerissene Verwilderung der Sitten die Grundlagen des Staates zu zerstören drohte, stellte die wesentlich im ö f f e n t l i c h e n Interesse erlassene lex Julia de adulteriis coercendis vom Jahre 736 a. u. (D. 48, 5> C. 9, 9) eine Anzahl von Sittlichkeitsvergehen, und zwar adulterium, stuprum, lenocinium, incestus, unter öffentliche Strafe. Als stuprum wurde der nicht gewaltsame Beischlaf des Mannes mit einer virgo vel vidua honeste vivens, nicht aber der Konkubinat oder der Verkehr mit einer meretrix, erklärt. Dem frühern d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r ist der öffentliche Gesichtspunkt bei Bestrafung der Sittlichkeitsvergehen im wesentlichen fremd. Das einfache stuprum wird als Eingriff in die Mundschaft mit einer Bufse an die Gewalthaber gesühnt; Todesstrafe dagegen trifft die freie Frau, die bei ihrem Knechte schläft. Auch die Auffassung des k a n o n i s c h e n R e c h t s , welches die Unsittlichkeit als Sunde betrachtete und in weitestem Umfange bis zu den Gedanken und Wünschen herab unter Strafe stellte, war nicht im stände, den thatsächlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen und Klarheit über das rechtliche Wesen der Sittlichkeitsvergehen zu verbreiten. So erklären sich die Zustände des s p ä t e m M i t t e l a l t e r s mit seinen nicht blofs gedulteten, sondern anerkannten und vielfach mit besonderen Rechten ausgestatteten städtischen Frauenhäusern. Die PGO. bedroht, der deutschrechtlich-kanonischen Auffassung folgend, unter den Sittlichkeitsverbrechen in den Artikeln I l 6 — 1 2 3 Sodomie, Blut-
§ 102.
Sittlichkeitsverbrechen.
Übersicht.
335
schände, Entführung, Notzucht, Ehebruch, Doppelehe und Kuppelei. Ergänzend griffen die Reichsgesetze des 16. Jahrhunderts, besonders die RPolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577 ein. Sie bestrafen stuprum voluntarium, fomicatio (cum meretrice), Konkubinat (zur Unehe sitzen), Halten von Bordellen usw. mit Geldstrafe oder Gefängnis; daneben war bis ins 18. Jahrhundert hinein öffentliche Kirchenbufse für gefallene Mädchen üblich. Auch der geschlechtliche Verkehr zwischen Christen und Juden wurde, wie im spätem Mittelalter 3 ), noch zur Zeit des gemeinen Rechts (so von Fr'olicH) „interpretative" als ein Fall der widernatürlichen Unzucht behandelt; doch geriet nach dem Zeugnisse von Koch, Böhmer u. a. die Kapitalstrafe für dieses Vergehen schon im 17. Jahrhundert in Vergessenheit. Anderseits verhängt noch Toskana 1786 harte Strafe. Die Landesgesetzgebung des 17. und 18. Jahrhunderts erschöpft sich in zahlreichen, meist vergeblichen Strafdrohungen gegen Unsittlichkeit, während die Rechtsprechung die strengen Strafen der P G O . durch weitgehende Einschränkungen des Thatbestandes wesentlich zu mildern bestrebt ist. So wird (vgl. oben S. 27) zur Vollendung bei strafbarem Beischlaf immissio, bei andern unzuchtigen Handlungen emissio seminis verlangt (bekämpft von Soden u. andern). Gegenuber der mafslosen Erweiterung der staatlichen Strafdrohungen trat ein Ruckschlag im Laufe des 18. Jahrhunderts unter dem Einflüsse der Aufklarungslitteratur ein, welche, hauptsächlich vertreten von Voltaire, Hommcl, Cella, Soden, Michaelis, aber unter dem Widerspruche von Gmelin, Filangieri u. a., für die Sittlichkeitsvergehen möglichst geringe Strafen verlangte, da durch sie niemand beleidigt und auch der Staat nicht in Gefahr gebracht werde; dabei machte sich vielfach die, allerdings erfahrungsgemäfs wenig zutreffende Ansicht geltend, dafs die durch den aufserehelichen Geschlechtsverkehr erzielte Kachkommenschaft an körperlicher und geistiger Tüchtigkeit die im Ehebette erzeugten „blöden und dummen Pflanzen" weit übertreffe. 4 ) Erst allmählich und nur unter fortwahrenden Schwankungen gelang es Wissenschaft und Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts, den richtigen Standpunkt für Auffassung und Behandlung der Sittlichkeitsvergehen zu finden. Doch ist diese Bewegung noch keineswegs abgeschlossen und insbesondere die Behandlung sowohl der widernatürlichen Unzucht als auch der Kuppelei in dem RStGB. eine sehr wenig befriedigende. Der leitende Gesichtspunkt mufs bleiben: dafs nur Verletzungen der g e s c h l e c h t l i c h e n F r e i h e i t oder des s i t t l i c h e n G e f ü h l s Anlafs zu strafrechtlichem Einschreiten geben können. Das einfache stuprum, d. h. der nicht erschwerte aufsereheliche Geschlechtsverkehr, bleibt heute allgemein straflos. Die in § 361 Ziff. 6 RStGB. enthaltene Strafdrohung gegen g e w e r b s m ä f s i g e U n z u c h t verfolgt lediglich sitten- und gesundheitspolizeiliche Zwecke. Dagegen ist der K o n k u b i n a t
3)
Schsp. 322 (L), Augsburger Stadtrecht (Osenbrüggen Alam. Strafr. 279). ) Vgl- Hommel Philosophische Gedanken über das Krim. Recht 1784 S. 121 ff.
§103.
336
Die Entfahrung (oder der Frauenraub).
zwar nicht reichsrechtlich, wohl aber nach mehreren Landesrechten 5 ) unter der Voraussetzung strafbar, dafs durch fortgesetztes häusliches Zusammenleben zu öffentlichem Ärgernis Anlafs gegeben werde. Doch ist die rechtliche Zulässigkeit derartiger landesrechtlicher Strafdrohungen gegenüber der reichsrechtlichen Regelung der „Materie" der Sittlichkeitsverbrechen mindestens zweifelhaft und richtiger zu verneinen.6)
§ 103.
1. Die Entführung (oder der Frauenraub).
Litteratur. Brunncr 2 666. Tittmann Beiträge zur Lehre von den Verbrechen gegen die Freiheit 1806. Wächter Abhandlungen 1835. Geyer HH. 3 607. Villnow G A . 2 4 118. Hdlschner 2 241. I. Während das r o m i s c h e R e c h t noch zurZeit der klassischen Juristen die Entführung lediglich als vis bestrafte, bedrohte Konstantin unter dem Einflüsse christlicher Anschauungen den raptus virginum, viduarum vel uxorum, welchen schon von Konstantes die sanctimoniales gleichgestellt wurden, mit schwerer Todesstrafe (C. 9, 10). Das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r unterschied zwei Fälle: I. Den F r a u e n r a u b , d. h. die Entführung wider Willen der Entführten, welcher mit der Notzucht zusammengestellt wurde (daher auch das Erfordernis der Unbescholtenheit) ; und 2. die e i g e n t l i c h e E n t f ü h r u n g zum Zwecke der Ehe, welche als Eingriff in die Mundschaft trotz der Einwilligung der unselbständigen Entführten an dem Entfuhrer wie an der Entführten selbst bestraft wurde. Ergänzend treten zu diesem zweiten Fall die Strafdrohungen gegen B e f ö r d e r u n g v o n W i n k e l e h e n hinzu (unten § 107). An der Gleichstellung von Frauenraub und Notzucht hält trotz des Schweigens der PGO. das gemeine Recht zunächst fest; so noch ausdrucklich Lübeck 1586 4 7 und Hamburg 1603 4 26. Strafe war allgemein das Schwert. Dagegen schwanken Gesetzgebung und Wissenschaft bezüglich der eigentlichen Entfuhrung. Während Bambergensis 143 ausdrucklich das Schwert angedroht hatte, begnügt sich PGO. in Art. 118: „Wer einem andern sein Eheweib oder eine unverleumdete Jungfrau gegen des Ehemannes oder des Vaters Willen einer unehrlichen Weise entführt, darum kann der Gatte oder Vater, unangesehen ob die Frau oder Jungfrau ihren Willen dazu gibt, klagen usw." — damit, die Verfolgung von Amts wegen auszuschliefsen, und verweist im übrigen auf den Rat der Rechtsverständigen. So fehlte dem gemeinen Recht die feste Grundlage. Im allgemeinen hielt man daran fest, dafs nur eine persona honesta Gegenstand des Verbrechens sein könne (so Engau, Böhmer u. a.), erklärte aber die Einwilligung der Entführten für gleichgültig und drohte bei Einwilligung dieser selbst willkürliche Strafe (so schon Kurpfalz 1582 und Preufsen 1620 bis A L R . 1103). Damit war der wesentliche Unterschied der beiden Fälle verwischt. ' ) So in Württemberg, Baden, Hessen, Braunschweig; ebenso in Bayern nach dem Ges. vom 20. März 1882. ") Ebenso v. Meyer 989, Olskausen 13. Abschn. 2, Seuffert StG. 1 101, v. Wächter 507; dagegen (für die Freiheit der Landesgesetzgebung) Harburger Z 4 499.
§ 103-
I. Die Entführung (oder der Frauenraub).
337
Weitere Verwirrungen brachte ALR. 1095, welches die Entfuhrung nicht mehr zu den Fleischesverbrechen, wie das gesamte gemeine Recht, sondern zu den F r e i h e i t s v e r b r e c h e n rechnete. - Ihm folgen Kleinschrod, Stüisl, Grolmann, Tittmann u. a. Damit war die Gesetzgebung auf die seither nicht mehr verlassene falsche Bahn gedrängt Statt die beiden schon im deutschen Rechte geschiedenen Fälle auseinanderzuhalten, und den einen zu den Familien•verbrechen, den andern neben die Notzucht zu den Sittlichkeitsvergehen zu stellen, pflegt sie beide Fälle mehr oder weniger zusammenzufassen und sie trotz ihrer hervorragend geschlechtlichen Bedeutung den Freiheitsverbrechen anzureihen. Dies thut auch — im Anschlüsse an Preufsen — das RStGB. in den §§ 236—238.
II. Entführung (oder Frauenraub) ist d i e A n m a f s u n g k ö r p e r l i c h e r H e r r s c h a f t über eine F r a u e n s p e r s o n zu g e s c h l e c h t l i c h e n Z w e c k e n . Sie kennzeichnet sich: 1. Durch den G e g e n s t a n d . Nach § 236 kann jede, nach § 237 nur die minderjährige unverehelichte Frauensperson Gegenstand der Entführung sein. Da der Zweck der Entführung Unzucht in der Bedeutung von Beischlaf oder Ehe ist, so mufs Mannbarkeit der entführten Minderjährigen gefordert werden. Fehlt es an dieser, so kann §235 StGB, gegeben sein. 1 ) Dagegen ist in Bezug auf die T h ä t e r der Entführung keinerlei Beschränkung aufzustellen. Da die Entführung auch im Interesse eines dritten möglich ist, kann insbesondere auch eine Frauensperson sich als Thäterin dieses Verbrechens schuldig machen. 2. Durch die A b s i c h t (gleich Beweggrund). Diese mufs auf Unzucht oder Ehe gerichtet sein, also geschlechtlichen Inhalt haben. „Unzucht" ist hier, u. z. wegen der Gleichstellung mit der Ehe, als aufserehelicher Beischlaf aufzufassen. Entführung zum Zwecke widernatürlicher Unzucht kann daher nicht nach §§ 236 oder 237 gestraft werden. Anders nach der Auffassung des gemeinen Rechts {Böhmer). 3. Durch die H a n d l u n g . Das Gesetz verlangt „Entführung", also Erlangung unmittelbarer körperlicher Herrschaft. *) Gegen die Gleichstellung von Unzucht und Beischlaf, mithin gegen das Erfordernis der Mannbarkeit, v. Meyer 1005, Olshausen § 236 3. —• Das gemeine Recht (so schon Decianus und noch Theresiana) kannte auch eine Entfuhrung des Mannes durch die Frau. v o n L i s z t , Strafrecht.
6. Aufl.
22
§ 103.
i. D i e Entführung (oder der Frauenraub).
Ausübung eines Druckes auf die Eltern, damit diese ihre Einwilligung zur Ehe geben, kann nicht genügen.2) Das wesentliche Merkmal der Entführung ist der Bruch des Schutz- und Herrschaftsverhältnisses, unter welchem die Entführte bisher stand, und die Begründung eines neuen Abhängigkeitsverhältnisses. Der Hinweis auf das „Wegnehmen" beim Diebstahl liegt nahe. Auf räumliche Entfernung kann entscheidendes Gewicht nicht gelegt werden; 3 ) Entführung würde vielmehr vorliegen, wenn etwa dem Gewalthaber der Eintritt in seine eignen Räume verwehrt würde, oder wenn der Thäter durch Täuschung die Eltern zur Abseise bestimmt und mit dem Mädchen zurückbleibt. Der Bruch des bisherigen Schutz- und Herrschaftsverhältnisses mufs durch die Thätigkeit des Entführers erfolgen. Diese wird durch eine Mitwirkung der Entführten nicht ausgeschlossen; dagegen kann von Entführung allerdings keine Rede mehr sein, wenn die „Entführte" das Haus ihrer Eltern allein verläfst und sich in die Wohnung des „Entführers" begibt. Die V o l l e n d u n g tritt in beiden Fällen mit der Begründung der Herrschaft des Entführers ein. Erreichung des Zweckes ist nicht erforderlich. Erst mit dem Ende dieser Herrschaft beginnt die V e r j ä h r u n g s f r i s t zu laufen (Dauerverbrechen). III. Der Frauenraub des RStGB. umfafst zwei Fälle: 1. Entführung der Frauensperson g e g e n i h r e n W i l l e n (StGB. § 236) durch List, Drohung oder Gewalt (oben § 97 III), um sie entweder zur Unzucht oder zur Ehe zu bringen. Die Mittel müssen unmittelbar gegenüber der Entführten zur A n wendung gebracht werden. Einwilligung der Geisteskranken bleibt rechtlich bedeutungslos. S t r a f e : im erstem Fall Zuchthaus bis zu zehn Jahren, fängnis.
Verfolgung nur auf Antrag.
Antragsberechtigt
im zweiten
die Entführte,
Ge-
bezw.
der gesetzliche Vertreter (StGB. § 65).
2. Entführung einer m i n d e r j ä h r i g e n , unverehel i c h t e n Frauensperson m i t i h r e m W i l l e n , a b e r o h n e E i n w i l l i g u n g d e r E l t e r n o d e r d e s V o r m u n d e s , um Bedenklich R 6. Mai 89 19 159. Dagegen Ohhansen § 2 3 6 I mit der gem. Mein. Übereinstimmend v. Meyer 1005. Die gemeinrechtliche Wissenschaft hatte allerdings im A n schlüsse an die Italiener eine deductio de loco ad locum gefordert. 2)
3)
§ 104.
2. Die Nötigung zur Unzucht (insbesondere die Notzucht).
339
sie zur Unzucht oder zur E h e zu bringen (StGB. § 237). Entführung einer einwilligenden Ehefrau, ebenso aber auch einer Wittwe oder einer geschiedenen Ehefrau, fällt mithin nicht unter § 237. A u c h hier ist nach Auffassung des Gesetzes die persönliche Freiheit der Entführten in B e z u g auf ihren geschlechtlichen V e r k e h r das angegriffene R e c h t s g u t ; daran wird durch den Umstand nichtts geändert, dafs die V e r f ü g u n g über das Rechtsg u t einer andern Person als seiner Trägerin zusteht. Die M i t t e l sind im Gesetze nicht bezeichnet. E s ist daher ausdrückliche Feststellung, dafs die Entführung „durch List, Drohung oder Gewalt" stattgefunden habe, nicht erforderlich; doch wird wohl jedes Mittel, durch welches das Herrschafts- und Schutzverhältnis der Eltern oder des V o r m u n d e s gebrochen wird, unter einen dieser Begriffe fallen. W a r jenes rechtliche Verhältnis thatsächlich bereits gelöst, so kann v o n Entführung keine R e d e sein. D i e E n t f ü h r t e selbst kann nach der oben § 52 V aufgestellten R e g e l nicht als Mitthäterin oder Teilnehmerin an der Entführung gestraft werden. Ebensowenig ist Teilnahme an Selbstentfernung s t r a f b a r . S t r a f e : Gefängnis. Verfolgung nur auf Antrag. Antragsberechtigt hier nur der Gewalthaber; denn nur ihm, nicht der Entführten, steht die Verfügung über das angegriffene Rechtsgut zu. 4 ) Hat der Entfuhrer die Entführte geheiratet, so findet die Verfolgung nur statt (StGB. § 238), nachdem die Ehe, wenn auch nicht wegen der Entfuhrung, für ungültig erklärt worden ist. Diese Erklärung ist Bedingung der Strafbarkeit in dem uns bekannten Sinne (vgl. unten § 116 Note 4). Hat nicht der Entführer selbst, sondern der dritte, in dessen Interesse die Entfuhrung erfolgte, die Entführte geheiratet, so bleibt § 238 anwendbar, vorausgesetzt, dafs der dritte (was wohl fast ausnahmslos der Fall sein wird) als Mitthäter oder Teilnehmer, also als „Entfuhrer" im rechtlichen Sinne des Wortes, erscheint.
§ 104.
2. Die Nötigung zur Unzucht (insbesondere die Notzucht).
I. Für die Geschichte dieses Begriffes ist in erster Linie die eigentliche N o t z u c h t von Bedeutung. Diese geht zwar im r ö m i s c h e n R e c h t , wie die meisten Freiheitsvergehen, in dem weiten Begriffe der vis unter, sodafs sie, in gleicher Weise wie an der Frau, auch an dem Manne (etwa als gewalt*) Ebenso Geyer 2 29, v. Wächter 375 u. a. Dagegen Olshausen § 2 3 7 7, der meine Ansicht zu Unrecht als inkonsequent bezeichnet: die Sache liegt hier nicht anders als bei der Verführung, siehe unten § 106 II. 22*
§ 104.
2
- Die Nötigung zur Unzucht (insbesondere die Notzucht).
same Päderastie) begangen werden kann (1. 5 § 4 ; D . 48, 6), erscheint aber nach d e u t s c h r e c h t l i c h e r A u f f a s s u n g von j e h e r als ein durchaus selbständiges , gegen die weibliche Geschlechtsehre gerichtetes Verbrechen („Notnunft").
Ebendarum ist zumeist Unbescholtenheit der Frauensperson erforder-
lich, während fahrende Weiber (und die „amie", Schsp. 3 1 1 ) sich auch gewaltsame Umarmungen
gefallen lassen
von Ssp. I I I 46, I, welche
müssen; die entgegengesetzte Auffassung
allerdings
teilweise
auch
in
den
Quellen wiederkehrt, ist im wesentlichen vereinzelt geblieben. Grunde liegt ferner die Klage Hand der Gezwungenen, unverletzt
bezeichnet
alamannischen Aus demselben
und wohl auch die Urteilsvollstreckung in der
deren Ehre hier und da ausdrücklich im Urteil als
wird.
Die Strafe
der Notzucht ist nach Ssp. und den
Landfrieden das Schwert, nach den oberdeutschen Quellen auch das Lebendigbegraben mit und ohne Pfählen, v. Schwarzenberg steht auch hier auf deutschem Boden.
P G O . Art. 1 1 9
droht die Schwertstrafe demjenigen,
welcher „einer
unverleumdeten Ehefrau, Witwe oder Jungfrau mit Gewalt und wider ihren Willen ihre jungfräuliche oder fräuliche Ehre nehme"; bei versuchter Notzucht tritt willkürliche Strafe
ein;
Verfolgung von Amts wegen ist ausgeschlossen.
Das g e m e i n e Recht hält trotz des Widerspruches der von Carpzov geführten sächsischen Schriftsteller an der Auffassung fest, dafs nur an einer unverleumdeten Person Notzucht (stuprum violentum im Gegensatz zu fornicatio violenta cum meretrice) begangen werden kann; so noch Preufsen 1 7 2 1 , Bayern
1751
und Osterreich 1768, während A L R . 1 0 5 8 wenigstens mildere Strafe eintreten läfst, wenn die Person „schon vorher in dem Rufe einer schlechten und liederlichen
Lebensart
Recht,
gestanden hat".
Neben
der
Notzucht hebt das
gemeine
im Anschlufs an die Sächsischen Konstitutionen 4 26 und 3 1 den Bei-
schlaf mit einer geistesgestörten Person oder einem Mädchen unter 1 2 Jahren als S c h ä n d u n g
(stuprum nec voluntarium nec violentum) besonders hervor.
Die A u f k l ä r u n g s z e i t zweifelt vielfach (Voltaire, Reder u . a . )
an der
Möglichkeit einer Notzucht bei ernstlichem Widerstreben des Weibes und straft daher, wie Österreich 1 7 8 7 § 1 3 0 ,
nur, wenn die That mit Fesselung, vor-
gezeigten mörderischen Waffen oder von mehreren gemeinschaftlich begangen worden ist.
Erst die Gesetzgebung seit A L R . hat auf diese Beschränkung ver-
zichtet.
II. Nach dem R S t G B . haben wir folgende Fälle zu unterscheiden : 1. N ö t i g u n g e i n e r F r a u e n s p e r s o n zur D u l d u n g u n z ü c h t i g e r H a n d l u n g e n d u r c h G e w a l t o d e r durch D r o h u n g mit g e g e n w ä r t i g e r G e f a h r für L e i b oder L e b e n . (StGB. § 1 7 6 Ziff. 1.) Nötigung einer Mannsperson, z. B. gewaltsame Manustupration, Erzwingung widernatürlicher Unzucht, kann nur nach § 240 S t G B , bestraft werden; anders noch Preufsen § 144, sowie das gemeine Recht, welches in diesem Falle allerdings
§ 104.
2. Die Nötigung zur Unzucht (insbesondere die Notzucht).
341
nur willkürliche Strafe eintreten liefs. Unbescholtenheit der Frauensperson ist nicht erforderlich. Dafs die Ehefrau der Roheit des Gatten (gewaltsame Vornahme widernatürlich unzüchtiger Handlungen) schutzlos preisgegeben sei, darf nicht behauptet werden; jede Berechtigung ist an gewisse Schranken gebunden, deren Überschreitung das Recht zum Unrecht stempelt. Anders bei der eigentlichen Notzucht, bei welcher das Gesetz ausdrücklich aufserehelichen Beischlaf verlangt; doch kann auch hier immer noch strafbare Nötigung vorliegen. „Unzüchtige Handlungen" sind hier im weitern Sinn zu nehmen (oben S. 333). „Gewalt" bedeutet Gewalt an der Person der Uberwältigten selbst (oben S. 323). Gewalt und Drohung müssen das Mittel zur Überwältigung des Widerstandes gewesen sein; vis haud ingrata genügt nicht. Der Vorsatz des Thäters mufs das Bewufstsein umfassen, dafs ihm Widerstand geleistet und dieser durch die Gewalt bez. Drohung gebrochen werde. Thäter kann zweifelsohne, und zwar aus allgemeinen Gründen, nicht nur wegen der Wortfassung des ¡5, auch eine Frauensperson sein (oben § 50 Note 3). Als besonderen Verbrechensbegriff hebt das Gesetz (§ 177) die auf die angegebene Art bewirkte Nötigung zur D u l d u n g d e s a u f s e r e h e l i c h e n B e i s c h l a f s oder die N o t z u c h t hervor. Da Beischlaf gefordert wird, mufs Mannbarkeit der Genotzüchtigten vorliegen.') S t r a f e : a) Für den e i n f a c h e n F a l l : Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. b) Für N o t z u c h t Zuchthaus, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Jahre. c) Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus tritt (StGB. § 178) in den Fällen a wie b ein, wenn durch die Handlung der Tod der verletzten Person verursacht worden ist. In betreff des ursachlichen Zusammenhangs gelten die allgemeinen Grundsätze, sodafs auch dann dem Thäter der Tod zugerechnet wird, wenn dieser infolge Niederkunft der durch die Notzucht Geschwängerten eintritt; durch freies, vorsätzliches Handeln, z. B. Selbstmord der Genötigten, wird auch hier der Zusammenhang unterbrochen. Versuch ist möglich (oben § 45 Note 8), da ja auch die unvollendete oder fehlgeschlagene Handlung die genannten Folgen nach sich ziehen kann.
*) Dagegen R 17. März 81 4 23, sowie Geyer 2 30, v. Meyer 896, Olshausen § 176 2. Dafür Hälschner 2 227 Note 1, 230, sowie das gemeine Recht. — Bei Rücktritt von versuchter Notzucht kann § 176 Ziff. I übrig bleiben, R 25. August 93 23 225.
342
§
io
4-
2
- Die Nötigung zur Unzucht (insbesondere die Notzucht).
2. Die sogenannte u n f r e i w i l l i g e S c h w ä c h u n g o d e r S c h ä n d u n g , d. h. d e r M i f s b r a u c h e i n e r in w i l l e n losem oder bewufstlosem Zustande befindlichen (nicht einer gefesselten) o d e r e i n e r g e i s t e s k r a n k e n F r a u e n s p e r s o n zum a u f s e r e h e l i c h e . n B e i s c h l a f . (StGB. § 176 Z i f f . 2.)
Hier fehlt das die Nötigung kennzeichnende Merkmal, das Brechen der fremden Widerstandskraft. Aber dennoch ist dieser Fall mit der Nötigung nahe verwandt; dem Brechen des Widerstandes steht das Benutzen des Umstandes gleich, dafs der Widerstand bereits gebrochen ist. Die Einwilligung der mifsbrauchten Frauensperson ist rechtlich gleichgültig, auch wenn sie vom Thäter (der an seiner betrunkenen Zuhälterin den Beischlaf vollzieht) vorausgesetzt werden konnte. Zu beachten ist, dafs das Gesetz nur von aufserehelichem Beischlaf, nicht von andern unzüchtigen Handlungen spricht. S t r a f e : a) Für den einfachen Fall: wie oben I a. b) Wenn der Thäter die Frauensperson mifsbraucht, nachdem er sie zu d i e s e m Z w e c k e , etwa durch Hypnotisierung, in einen willenlosen oder bewufstlosen Zustand v e r s e t z t h a t , so tritt die Strafe der Notzucht ein (StGB.
§ 177). c) E r s c h w e r t e r Fall wie oben I c.
3. V o r n a h m e u n z ü c h t i g e r H a n d l u n g e n m i t P e r s o n e n (männlichen oder weiblichen Geschlechtes) u n t e r v i e r zehn J a h r e n (an deren Körper) o d e r d e r e n V e r l e i t u n g zur V e r ü b u n g o d e r D u l d u n g s o l c h e r H a n d l u n g e n (StGB. § 176 Ziff. 3); wegen des vom Gesetze angenommenen Mangels der Verfügungsfähigkeit dieser Personen den Nötigungsfallen gleichgestellt. Ebendarum aber können Kinder unter vierzehn Jahren nicht selbst als Thäter oder Teilnehmer zur Bestrafung gezogen werden.2) Der Thäter mufs das Alter des Mifsbrauchten gekannt haben; doch genügt hier wie überall un2 ) Die entgegengesetzte Ansicht des R, z u l e t z t 23. Januar 90 20 181 (ebenso v. Kries Z 7 529), wurde dahin fuhren, dafs gegenseitige Onanie zwischen dreizehnjährigen Knaben strafbar, zwischen fünfzehnjährigen aber straflos wäre. Übereinstimmend mit dem Text Berner 451, Geyer 231, Hälschner 2 228, v. Meyer 994 (aber 187), Olshausen § 176 16, Villnow GS. 37 152. — Verleitung durch den Thäter liegt auch dann vor, wenn die unzüchtige Handlung durch einen dritten vorgenommen werden soll; R 21. Oktober 1889 2 0 30 gegen die frühere Rechtsprechung von OT.
§ 105.
3- Unzucht und Verletzung eines Abhängigkeitsverhältnisses,
bestimmter Vorsatz. Das Geschlecht des Thäters ist ebenso gleichgültig wie das des Verletzten. Thäter können auch die leiblichen Eltern sein. Dafs das Kind die Handlung als eine unzüchtige erkannt habe, ist nicht erforderlich. S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten; im erschwerten Falle wie oben I c. s )
^ 105.
3. Unzucht und Verletzung eines Abhängigkeitsverhältnisses.
I. Der Gewalt stellt der Gesetzgeber hier wie sonst (z. B. bei den Amts"verbrechen) den Mifsbrauch eines besonderen Vertrauens- oder Gewaltverhältnisses gleich, welches die Freiheit der Willensentschliefsung beeinträchtigt. An geschichtlichen Vorbildern fehlt es trotz des Schweigens der PGO. nicht. Schon das spätrömische Recht hatte den Vormund bestraft (C. 9, 10), welcher seine Mündel verführte; dieselbe Bestimmung findet sich in Schsp. 349 sowie in der deutschen Gesetzgebung aus der Zeit des gemeinen Rechts. Auch die Strafdrohung der Sächsischen Konstitutionen 4- 25 gegen den Gefängniswärter, welcher die ihm befohlene Gefangene beschläft, fand vielfache Nachahmung. ALR. 1028 hebt daneben noch die Hausbediensteten besonders hervor.
II. Das R S t G B . (§ 174) rechnet hierher: 1. Unzüchtige Handlungen von V o r m ü n d e r n mit ihren Pflegebefohlenen, A d o p t i v - u n d P f l e g e e l t e r n mit ihren Kindern, G e i s t l i c h e n , L e h r e r n (ohne Unterschied, ob öffentliche oder Privatlehrer), E r z i e h e r n mit ihren minderjährigen Schülern oder Zöglingen (Beichtkinder sind nicht genannt). Die unzüchtigen Handlungen müssen m i t den genannten Personen {nicht blofs in ihrer Gegenwart), d. h. a n d e r e n K ö r p e r (wenn auch nicht an ihren Geschlechtsteilen), vorgenommen werd e n ; daher genügen unzüchtige Aufserungen nicht. Das Geschlecht des Thäters ist gleichgültig. 2. gegen welche 3.
Unzüchtige Handlungen von B e a m t e n 1 ) mit Personen, welche sie eine Untersuchung zu führen haben oder ihrer Obhut anvertraut sind; von B e a m t e n 1 ) , Ä r z t e n o d e r a n d e r n M e d i z i n a l -
3 ) Doch ist zu beachten, dafs als „verletzt" nicht blofs der verleitete Minderjährige, sondern auch diejenige Person in Frage kommen kann, mit (oder an) welcher dieser die unzüchtige Handlung verübt hat. ') § 359 StGB, ist hier n i c h t mafsgebend. Ebenso Geyer 2 32, Hälschner 2 237, 1028 u. a.; dagegen v. Meyer 992 Note 31, Olshausen § 174 15 sowie R 22. Dezember 81 5 418.
§ lo6.
344 personen,
welche
4. Die Verführung zum Beischlaf. in Gefängnissen
(über
den B e g r i f f
unten
§ 172) oder in öffentlichen (d. h. aus öffentlichen Geldern unterhaltenen), zur Pflege von Kranken, A r m e n oder andern Hilflosen bestimmten Anstalten beschäftigt oder angestellt sind, mit
den
in das Gefängnis oder die Anstalt aufgenommenen Personen. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Die in dem Abhängigkeitsverhältnis stehenden Personen können nicht als Teilnehmer zur Strafe gezogen werdeD. § 106. I.
4. D i e V e r f ü h r u n g z u m
D a s R S t G B . hat in § 1 7 9 einen Fall der E r s c h l e i c h u n g
des Beischlafes Recht,
Beischlaf.
durch Täuschung (der schon im
z. B. Preufsen 1620,
besonders
hervorgehoben:
eine gewisse Rolle die Verleitung
gemeinen
gespielt
hatte)
einer Frauensperson
zur Gestattung des Beischlafes durch Vorspiegelung einer T r a u u n g oder durch E r r e g u n g oder Benutzung eines andern I r r t u m s , in w e l c h e m
sie
den
Beischlaf
für
einen
ehelichen
hielt. Von den beiden Möglichkeiten ist nur die zweite für den Begriff des Verbrechens wesentlich. Ebendarum ist unter „Trauung" der nach dem geltenden Recht erforderliche Eheschliefsungsakt, nicht aber die kirchliche Trauung, zu verstehen. Vorspiegelung der letztern würde nur dann genügen, wenn damit auch der Thatbestand der zweiten Möglichkeit gegeben ist. Das Schulbeispiel für diese letztere ist der Fremde, welcher nächtlicherweise, von der Ehefrau für den Gatten gehalten, dessen Stelle vertritt. Der Irrtum braucht nicht von dem beischlafenden Mann, er kann auch von einer Frauensperson erregt sein. Vollendet ist das Verbrechen mit dem Beischlaf, nicht mit der ihm etwa zeitlich vorangehenden „Gestattung". Antragsvergehen. Antragsberechtigt die Verleitete. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. II.
Dem
unten § 141).
Irrtum
steht
die
Unerfahrenheit zur Seite (vgl.
Darum bedroht § 182 R S t G B . die V e r f ü h r u n g
e i n e s u n b e s c h o l t e n e n M ä d c h e n s , welches das sechzehnte Lebensjahr nicht vollendet hat, zum Beischlafe. Unbescholtenheit darf dabei nicht als gleichbedeutend mit Jungfräulichkeit genommen werden; diese kann vorhanden sein, während jene, etwa infolge einer Notzucht oder ähnlicher Fälle, fehlt, und umgekehrt (das Mädchen liefs sich z. B. widernatürlich mifsbrauchen). Verführung setzt voraus, dafs die geschlechtliche Unerfahrenheit und geringere sittliche Widerstandskraft des Mädchens mifsbraucht und dadurch eine Einwilligung in die Vollziehung des
§ 107.
5- Die Kuppelei.
345
Beischlafs erreicht wurde. Der Beischlaf mufs mit dem Verfuhrenden selbst (mittelbare Thäterschaft genügt auch hier) vollzogen werden; Verführung zum Beischlaf mit einem andern fällt nicht unter § 182, kann aber als Kuppelei erscheinen. Fehlt es an der Verfuhrung, oder war die erste Anregung sogar von der Seite des Mädchens ausgegangen, so kann von der Anwendung des § 182 keine Rede sein. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern *) oder des Vormundes der Verführten ein; denn ihnen, und nicht dem Mädchen, das j a vom Gesetzgeber noch nicht als reif und erfahren genug betrachtet wird, um frei über seine geschlechtliche Ehre verfügen zu können, ist die Wahrnehmung des verletzten Interesses anvertraut. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre.
§ 107.
5. Die Kuppelei.
Litteratur. Hdlschner 2 685. Engels Die Kontroverse über die Vollendung des Delikts bei der Kuppelei 1884. Schmolder Z 13 537. Stoofs Grundzuge 2 238. Vgl. unten § 188 die Litteratur über Prostitution. I. G e s c h i c h t e . Der Begriff der Kuppelei, d. h. der selbständig strafbaren Unterstützung fremder Unzucht, ist erst seit der Gesetzgebung des 16. Jahrhunderts zur Anerkennung, aber auch im heutigen Rechte noch nicht zur volligen Abklärung gelangt. Das r o m i s c h e R e c h t der spätem Kaiserzeit bedrohte zwar (insbesondere Novelle 14) die gewerbsmäfsige Kuppelei, das Halten von Bordellen, als selbständiges Vergehen, behandelt aber das einfache lenocinium lediglich als Beihilfe zu adulterium und stuprum nach den für diese Handlungen geltenden Bestimmungen, wobei der kuppelnde Ehegatte oder Vater mit besonders schwerer Strafe bedroht wurde. Dem d e u t s c h e n R e c h t des Mittelalters ist der Begriff der Kuppelei im allgemeinen fremd geblieben; wir finden, soweit nicht die Auffassung des spätem romischen Rechts zur Anwendung kommt, lediglich polizeiliche Anordnungen in betreff der im übrigen anerkannten und geregelten Hurenwirtschaft; daneben ist vielfach d i e B e r e d u n g U n m ü n d i g e r zur Eheschliefsung gegen den Willen der Gewalthaber, die W i n k e l h e i r a t , welche zumeist (so Österreich 1656 Art. 78, 79, 80, Verordnungen im Codex Austriacus von 1550 bis 1703) mit dem zweiten Falle der Entfuhrung (oben § 103 I) auf eine Stufe gestellt w i r d , als Eingriff in die Mundschaft, mithin als Familienverbrechen unter Strafe gestellt. Auch finden wir, so in den Eintragungen des Berliner Stadtbuchs (Festausgabe 1883 S. 201 und 204), dafs die Verkuppelung der eignen Tochter als V e r r a t mit der Todesstrafe, und zwar mit dem Feuertode, belegt wurde. Die PGO, unterscheidet einen schwerern und einen leichtern Fall (das lenocinium qualificatum und simplex des gemeinen Rechts). Nach Art. 122 trifft denjenigen, welcher „sein Eheweib oder Kinder um einicherlei Genufs willen, wie der Namen hätte, williglich zu unkäuschen und schändlichen Werken gebrauchen läfst", Infamie und Bestrafung „vermöge gemeiner Rechten". ') D. h. des Vaters o d e r der Mutter.
346
§ 107.
5- Die Kuppelei.
U n d in Art. 123 wird die einfache Kuppelei mit Leibesstrafe b e d r o h t . D a s g e m e i n e R e c h t blieb bei dieser Auffassung stehen. D i e n e u e r e G e s e t z g e b u n g teilt sich in zwei Lager. W ä h r e n d die romanischen Rechte (Frankreich, Belgien, Spanien, Italien) nur die Verleitung M i n d e r j ä h r i g e r bedrohen, bieten die deutschen StGBucher ein buntes Gemisch der verschiedenartigsten, meist kasuistisch gefafsten Bestimmungen, von welchen die des preufs. StGB., obwohl sie sich nicht gerade durch besondere Klarheit auszeichneten, mit geringfügigen A b ä n d e r u n g e n in das Reichsrecht ubergegangen sind und Veranlassung zu einer ganzen Reihe der schwierigsten Streitfragen gegeben h a b e n . Auch durch den Entwurf von 1892 wären diese nur teilweise beseitigt w o r d e n . D e r sogenannte Mädchenhandel ist an sich nicht unter Strafe gestellt.
II. B e g r i f f . Das Reichsstrafgesetzbuch bestimmt in § 180 die Kuppelei als die V o r s c h u b l e i s t u n g z u r U n z u c h t d u r c h V e r mittelung o d e r d u r c h Gewährung oder Vers c h a f f u n g von G e l e g e n h e i t . Dabei haben wir als Unzucht nicht nur den a u f s e r e h e l i c h e n B e i s c h l a f überhaupt, sondern auch die strafbare widernatürliche Unzucht zwischen Männern zu verstehen. 1 ) Die Kuppelei ist nach der heute feststehenden Ansicht nicht als Teilnahme im Sinne des Strafrechts, sondern als s e l b s t ä n d i g e s V e r b r e c h e n aufzufassen. Daraus folgt: 1. Sie setzt keine strafbare Handlung, zu welcher Hilfe geleistet wird, voraus; ja gerade in weitaus der gröfsten Mehrzahl der Fälle handelt es sich nur um Beförderung des einfachen, straflosen, aufserehelichen Beischlafs. Bei Vorschubleistung zu strafbarer Unzucht entscheidet daher StGB. § 73 zwischen Teilnahme an dieser und Kuppelei. 2. Die Strafbarkeit der Kuppelei ist, auch wenn die unterstützte Unzuchtshandlung selbst vom Gesetze mit Strafe bedroht sein sollte, durchaus unabhängig von dem Vorliegen einer Schuld auf Seiten derjenigen, welche diese Unzuchtshandlung vorgenommen haben. 3. Nicht jede Vorschubleistung (thatsächlich erfolgte, nicht blofs beabsichtigte Herstellung günstigerer Bedingungen zur ') D a g e g e n 1 0 0 3 , Olshausen auch auf a n d r e , der K u p p e l e i ist sätzen s t r a f b a r .
erstreckt die gemeine Meinung, so Halschner 2 687, v. Meyer § 180 2 und R 29. Mai 84 11 4, den Begriff der „ U n z u c h t " selbst auf nicht s t r a f b a r e , unzuchtige Handlungen. — N e b e n Teilnahme an Sittlichkeitsverbrechen nach allgemeinen G r u n d -
§ 107.
5- Die Kuppelei.
347
Unzucht) ist Kuppelei, sondern nur a) die Vermittelung, d. h. das Zusammenbringen der Personen (Angabe der Wohnung Zuführen, Bereithalten von Mädchen in Bordellen usw.), sowie b) die Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit, d. h. der Räumlichkeit zur Ausübung der Unzucht. Diese k a n n mithin liegen in dem Vermieten von Wohnungen an Prostituierte sowie in Unterlassung der Wohnungskündigung 2). der Hinderung, der Überwachung, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für die Strafbarkeit der Unterlassung (oben § 29) gegeben sind 3 ); sie l i e g t zweifellos in dem Halten von Bordellen, auch wenn diese p o l i z e i l i c h g e n e h m i g t sind.4) 4. Einmalige gleichzeitige Förderung mehrerer fremder Unzuchtsakte begründet immer nur eine Handlung, mithin e i n Verbrechen. In der mehrmaligen Beförderung der Unzucht derselben Personen kann ein fortgesetztes Verbrechen liegen. 5. Diejenigen Personen, deren Unzucht befördert werden soll, können nach der oben § 52 V aufgestellten Regel sich der Anstiftung oder Beihilfe zur Kuppelei n i c h t schuldig machen. 5 ) III. D i e A r t e n d e r K u p p e l e i . Der Gesetzgeber hat nicht die einfache Beförderung fremder Unzucht, sondern nur gewisse schwerere Fälle der Kuppelei mit Strafe bedroht. Diese Fälle sind: 1. Die g e w o h n h e i t s m ä f s i g (oben § 55 III 3) oder aus E i g e n n u t z betriebene Kuppelei (StGB. § 180). Eigennutz ist gleichbedeutend mit gewinnsüchtiger Absicht, d. h. mit der Absicht, sich oder einem andern einen rechtswidrigen V e r m ö g e n s v o r t e i l zu verschaffen (vgl. über diesen Begriff unten a)
3)
22 332.
Vgl. dazu R 8 Mai 93 24- 165. Daher Strafbarkeit des nicht hindernden Ehemanns; R 9. Februar 92
4 ) Material über diese heute nicht mehr bestrittene Frage (insbesondere zehn Gutachten deutscher Juristenfakultaten) in: Das deutsche StGB, und die polizeilich konzessionierten Bordelle 1877. Dazu etwa O. Mayer WV. 2 456. Der Mangel des Bewufstseins der Rechtswidrigkeit ist hier sowenig wie sonst von Belang. — Beschränkt sich der Z u h ä l t e r auf Schutz und Begleitung der Dirne, ohne Kunden zuzuführen, so ist er nicht Kuppler. Dagegen R 17. Okt. 84 11 149 sowie Olshaasen § 180 7. 5 ) Ebenso die gem. Meinung. Vgl, Olshausen § 180 14. Dagegen R 13. April 92 23 69.
§ I07-
343
5- Die Kuppelei.
§ 138 II beim Betrug). Es genügen also nicht Vorteile andrer A r t , wie Unterlassung oder Abwendung einer Strafanzeige, Heiratsversprechen, Gewährung des Beischlafs, Bewirtungen usw.6) Die Vollendung tritt mit dem Vorschubleisten ein, ohne dafs es zur Unzucht gekommen zu sein braucht. S t r a f e : Gefängnis; Ehrverlust und Polizeiaufsicht nach Ermessen.
2. Die e r s c h w e r t e K u p p e l e i und zwar (StGB. § 181): a) Die A n w e n d u n g h i n t e r l i s t i g e r 7 ) K u n s t g r i f f e , um der Unzucht Vorschub zu leisten; also die Erregung oder Unterhaltung eines Irrtums durch Vorspiegelung falscher, Unterdrückung oder Entstellung wahrer Thatsachen, z. B. Versetzung in Trunkenheit, Verlockung unter dem Vorwand, der Frauensperson eine Anstellung oder einen Dienstplatz zu verschaffen. Mit der Vorschubleistung (meist mit dem Kunstgriff) vollendet. b) Der Fall, wenn E l t e r n ihre Kinder, V o r m ü n d e r ihre Pflegebefohlenen, G e i s t l i c h e , L e h r e r , E r z i e h e r die von ihnen zu unterrichtenden oder zu erziehenden Personen verkuppeln. Zu den Eltern gehören auch die Adoptiv- und Pflegeeltern sowie die Stiefeltern, nicht aber Grofseltern und Schwiegereltern. Ob die Kinder oder Pflegebefohlenen thätig oder leidend beteiligt sind, ob sie „mit" andern oder andere „mit ihnen" Unzucht treiben, ist ebenso gleichgültig wie ihr Geschlecht. Die Verkuppelung der Ehefrau durch den Ehemann ist, abweichend vom gemeinen Recht, nicht besonders hervorgehoben. Vollendung tritt hier („Personen, mit welchen die Unzucht g e t r i e b e n w o r d e n ist") erst mit der Vornahme des Unzuchtsaktes ein. Der Vorsatz des Thäters mufs auch seine Stellung zu der verkuppelten Person umfassen. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren; Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte hier ausnahmsweise bindend vorgeschrieben; Polizeiaufsicht nach Ermessen.
6)
Übereinstimmend Berner 485 Note 1, Hälschner 2 690 Note 2 ; da-
gegen Geyer 2 35, v. Meyer
1002 Note 93, Ohhausert § 1 8 0 1 1 , R 3. Mai 87
16 56. Vgl. auch Simonson Der Begriff des Vorteils und seine Stellung im deutschen Strafrecht 1889. ') Vgl. oben § 97 Note 3.
§ IO8. 6. Erregung offentl. Ärgernisses u. Verbreitung unzüchtiger Schriften.
§ 108.
349
6. Erregung eines öffentlichen Ärgernisses und Verbreitung unzüchtiger Schriften.
Litteratur. Halschner 2 694. Die oben zu § 102 angeführten Abhandlungen von Bmding, Kohler, Schauer. Reiffei GA. 29 I und 39 6. Scholl Z 13 279. —• Zu III vgl. insbesondere die Erlauterungen des Gesetzes von Kleinfeiler, Klemm 1888 (Z 9 563). Hier sowie Z 8 376 und 386 weitere Angaben.
I. Im Anschlufs an Code pénal Art. 330 und Preufsen § 150 bedroht R S t G B . § 183 denjenigen, w e l c h e r d u r c h eine u n z ü c h t i g e H a n d l u n g ö f f e n t l i c h ein Ä r g e r n i s g i b t . Der Begriff der unzüchtigen Handlung ist im weitern Sinn zu nehmen (oben S. 333) ; auch die öffentliche Vollziehung des Beischlafes zwischen Ehegatten würde hierher gehören. A u c h m ü n d l i c h e Äufserungen sind ebenso wie Unterlassungen zu den „Handlungen" zu rechnen. 1 ) Ä r g e r n i s ist die Verletzung des sittlichen Gefühls. 2 ) Die Handlung, u. z. diese selbst, nicht etwa nur ihr Bekanntwerden, mufs Ärgernis g e g e b e n , d. h. es mufs thatsächlich irgend jemand Ärgernis genommen haben, mag dies auch ausschliefslich derjenige sein, gegen welchen die unzüchtige Handlung gerichtet war ; es genügt mithin nicht, wenn die Handlung nur g e e i g n e t war, Ärgernis zu erregen, dies aber nicht gethan hat. Öffentliches Ärgernis ist nicht erforderlich, wohl aber dafs das Ärgernis öffentlich gegeben wurde; die unzüchtige Handlung mufs also ö f f e n t l i c h , d. h. so vorgenommen worden sein, dafs sie von unbestimmt vielen Personen, nicht nur von einem geschlossenen Kreise bestimmter Personen wahrgenommen werden konnte. 3 ) S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark ; neben Gefängnis nach Ermessen Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte
II. D i e V e r b r e i t u n g unzüchtiger Schriften, Abbildungen, Darstellungen (StGB, g 184) ; ein Vergehen, mit welchem schon die Gesetzgebung zur Zeit des gemeinen Rechts sich vielfach beschäftigte. Straffrei bleibt Herstellung, Ankünx ) Übereinstimmend jetzt die gem. Dagegen v. Meyer iooo. a ) Nicht die sittliche Gefährdung Scholl, 3) Nicht hierher gehören mithin fahrenden Eisenbahnzuges (etwa überdies werden.
Mein.; insbesondere Olshausen § 183 2. oder Schädigung.
Anders Berner und
Handlungen, die in dem Abteil eines bei verhängten Fenstern) vorgenommen
2JO
§ io8. 6. Erregung öffentl. Ärgernisses u. Verbreitung unzüchtiger Schriften
digung, Feilhalten. Das „Verbreiten", als dessen Unterfälle das Gesetz das „Verkaufen" und „Verteilen" hervorhebt, setzt (anders das „Mitteilen") Zugänglichmachen für das Publikum voraus, also für einen nicht geschlossenen Kreis bestimmter Personen. 4 ) Verbreitet ist die Schrift, sobald die Kenntnisnahme e r m ö g l i c h t ist; noch nicht, wenn diese erst vorbereitet wird, nicht erst, wenn sie erfolgt. Und zwar mufs die Schrift usw. selbst verbreitet, d. h. das gedruckte Wort, die bildliche Darstellung als solche zugänglich gemacht werden; das Vorlesen, Nacherzählen usw. genügt nicht. Dem Verbreiten stellt das Gesetz gleich das „Ausstellen oder Anschlagen an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind". Wer ein Bild an die Wand malt oder zeichnet, stellt es aus. Jedenfalls aber mufs auch der I n h a l t der Schrift usw. der Wahrnehmung des Publikums zugänglich gemacht werden, und es genügt z. B. nicht, wenn der Buchhändler in seinen Schaufenstern ein unzüchtiges Buch zugeklappt aufstellt, sodafs nur der. Titel gelesen werden kann. U n z ü c h t i g aber ist die Schrift, wenn die Behandlung ihres Gegenstandes den Anstand in den geschlechtlichen Beziehungen gröblich verletzt. Ein rein wissenschaftliches oder künstlerisches Werk fallt an sich niemals unter diesen Begriff (oben S. 334)-5) S t r a f e : Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten.
III. Durch Art. IV des Gesetzes vom 5. April 1888, betr. die unter Ausschlufs der Öffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlungen, wurde dem § 184 StGB, der folgende 2. Absatz beigefügt: „Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher aus Gerichtsverhandlungen, für welche wegen Gefahrdung der Sittlichkeit 4 ) Beweis die im § 184 selbst gegebene Gegenüberstellung mit dem Ausstellen an „Orten, welche dem P u b l i k u m zugänglich sind". Das Nähere bei v. Liszt Prefsrecht § 42. Sehr unsicher R. Einerseits betonen vielfache Entscheidungen, dafs das Gesetz ö f f e n t l i c h e Verbreitung nicht fordre, anderseits schliefst aber doch R vertrauliche Mitteilungen aus und verlangt Verbreitung „auf breiterer Grundlage". V g l . auch unten § 118 Note 2. Olshausen § 110 10 schliefst sich dem R an. 6 ) Da die Grenzlinie sehr schwer zu ziehen ist, bedarf es besonders vorsichtiger Fassung des Gesetzes. Am richtigsten wäre es, nur die a u s G e w i n n s u c h t unternommene Behandlung des Geschlechtslebens unter Strafe zu stellen. Bedenklich der Entw. von 1892.
§ 109-
7- Die widernatürliche Unzucht.
3Si
die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, oder aus den diesen Verhandlungen zu Grunde liegenden amtlichen Schriftstücken öffentlich Mitteilungen macht, welche geeignet sind, Ärgernis zu erregen." Besonderes Schweiggebot wird nicht vorausgesetzt. Die Mitteilung kann mündlich oder schriftlich erfolgen. Nur vorsätzliche Mitteilung macht strafbar; der Vorsatz mufs die Öffentlichkeit der Mitteilung sowie ihre Eignung, Ärgernis zu erregen, umfassen. Dafs Ärgernis thatsächlich erregt worden sei, ist nicht erforderlich. § 109.
7.
Die widernatürliche Unzucht.
Litteratur. Halschncr System 2 313. Dalcke GA. 17 88. John EntHalschner wurf 400. Anlagen zum Entwurf des norddeutschen StGB. 1 21. 2 238. Anonym. Z 12 34. Die oben S. 72 angeg. Werke. Dazu v. Kr ä f f t Ebing Der Konträrsexuale vor dem Strafrichter 1894. I. Schon in der Zeit des Freistaates beschäftigte sich die r ö m i s c h e Gesetzgebung mit der wohl aus Griechenland herubergedrungenen Monstrosa Venus (lex Scatinia von unbekanntem Datum). In der lex Julia wurde sie zum stuprum gerechnet, und die Kaiser drohen Todesstrafe, ubi sexus perdit locum, ubi Venus mutatur in aliam formam. Auch dem älteren d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r ist die widernatürliche Unzucht nicht fremd geblieben, wie die corpore infames bei Tacitus, Hinweisungen in den Volksrechten und Bestimmungen der Kapitularien bezeugen; später wird sie vielfach der Ketzerei gleichgestellt. Seiner ubertreibenden Strenge gegen die Fleischesvergehen getreu, erklärte das k a n o n i s c h e Recht, dessen Schriftsteller sich mit einem gewissen Behagen in die Erörterung der einschlagenden Einzelfragen vertiefen, jede gegen die Regeln der Natur erfolgende Befriedigung des Geschlechtstriebes für verboten. Die PGO. droht in § 116 den Feuertod, „so ein Mensch mit einem Viehe, Mann mit Mann, Weib mit Weib Unkäusch treiben". Das g e m e i n e R e c h t beschränkt die Feuerstrafe auf die eigentliche Bestialität (so Osterreich 1656, anders freilich Preufsen 1620 und 1721), erweitert aber den Thatbestand der strafbaren widernatürlichen Unzucht auf die sodomia contra ordinem naturae, also auf jeden naturwidrigen Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Weib, die Onanie, die Befriedigung an Leichen usw. Die Litteratur der Aufklärungszeit verlangt, teilweise wenigstens (Montesquieu, Homtnel gegen Soden, Gmelin), Einschränkung der Bestrafung. In dem Josephinischen StGB. 1787 ist Bestialität und Unzucht mit dem eignen Geschlecht unter die „politischen Verbrechen" verwiesen. Dagegen erfordert noch ALR. 1069 bei „Sodomiterei und andern dergleichen unnaturlichen Sünden, welche wegen ihrer Abscheulichkeit hier gar nicht genannt werden können, gänzliche Vertilgung des Andenkens"; daher wird Verbannung des Thäters, bezw. Vernichtung des Tieres angeordnet. In der n e u e r e n Wissenschaft und Gesetzgebung zeigt sich das teilweise erfolgreiche Bestreben, die widernatürliche Unzucht ganz aus dem StGB, zu
§ Iio.
352
8. Die Blutschande.
verweisen oder doch den Begriff wesentlich einzuschränken. Auch das Gutachten der preufs. Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen hatte sich vor der Ausarbeitung des norddeutschen Entwurfes für die Streichung des Verbrechens ausgesprochen.1) Und gewifs mit Recht. Krankhafte Störung („Urningsliebe") liegt in zahlreichen, erst in den letzten Jahren richtig gewürdigten Fällen vor. Die Feststellung (Unzucht zwischen Weibern) bietet kaum uberwindliche Schwierigkeiten. Die gröbsten Ausschreitungen zwischen Mann und Weib bleiben straflos. Die geschlechtliche Freiheit wird nicht verletzt, und die Erregung von Ärgernis ist ohnehin strafbar. Die g e w e r b s m ä f s i g e männliche Unzucht aber, die einzige, welche Gefahren bietet, könnte durch eine geänderte Fassung des § 361 6 unschädlich gemacht werden.
II. N a c h geltendem Rechte ist bedroht (§ 1 7 5 S t G B . )
die
widernatürliche Unzucht 1.
zwischen
Personen
des
männlichen Geschlechts
(sog.
sodomia ratione sexus, Päderastie); 2.
zwischen
Mensch
und
Tier
(sodomia ratione
generis,
Bestialität). Dabei haben wir unter Unzucht nur Beischlaf und beischlafsähnliche Handlungen (coitus per anum) zu verstehen. 2 ) S t r a f e : Gefängnis; daneben nach Ermessen Verlust der Ehrenrechte.
§ 110.
8. Die Blutschande.
I. Die B l u t s c h a n d e (Inzest) bildet den Übergang zu den strafbaren Handlungen gegen die Familienrechte. Ihre Strafbarkeit vom rechtlichen Standpunkte aus ist zweifellos, soweit es sich um den Mifsbrauch des dem Aszendenten gegenüber dem Abkömmling zustehenden Einflusses handelt (oben S. 333)- Aber diesen Standpunkt hat das RStGB. selbst aufgegeben, indem es einerseits nur den Beischlaf bestraft und die schwersten sonstigen Unsittlichkeiten (abgesehen von § 1 7 6 3 ) ungeahndet läfst, anderseits aber auch den Beischlaf zwischen erwachsenen Geschwistern bedroht. XI. Das r o m i s c h e R e c h t , welches nicht den geschlechtlichen Verkehr zwischen Verwandten als solchen, sondern nur den Abschlufs der auf ihn abzielenden Ehe unter Strafe stellte, unterschied zwischen incestus juris gentium und juris civilis und rechnete zu ersterm die Ehe zwischen Verwandten aufund absteigender Linie. Ähnlich stellte das k a n o n i s c h e Recht dem incestus juris divini die Blutschande nach Menschensatzung gegenüber; zugleich erwei-
*) Ebenso Hdlschner 2 239, Sontag GA. 18 15, Stoo/s Grundzüge 2 265. s ) Viel weiter geht R 3. Februar 90 2 0 225 (Einführung der Rute eines Schlafenden in den Mund des Thäters). Dagegen mit Recht Frank Z 12 304 (der aber unrichtig den umgekehrten Fall für strafbar hält). Richtig R 15. November 92 2 3 289. Straflos bleibt aber auch nach R die wechselseitige Befleckung.
§ no.
8. Die Blutschande.
353
terte es den Begriff ins Mafslose (erst Innozenz HI beschränkte 1215 das Eheverbot wieder auf den vierten Grad kanonischer Berechnung) und fügte überdies noch die cognalio spiritualis zur Blutsverwandtschaft hinzu. Frühzeitig findet die kirchliche Anschauung Eingang in das Recht des d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r s . Rib. 69, 2 droht der blutschänderischen Ehe Verbannung und Vermogensverlust; zahlreiche Kapitularien schärfen die Eheverbote ein; auf die schwersten Fälle setzen sie die Todesstrafe. Die Bambergensis hatte in Art. 142 die Strafe des Ehebruches (das Schwert, unter Umständen mit Schärfung) angedroht. Dagegen bestimmte PGO. 1 1 7 : „Item so einer Unkäusch mit seiner Stieftochter, mit seines Sohnes Eheweib oder mit seiner Stiefmutter treibt, i n s o l c h e n u n d n o c h n ä h e r e n S i p p s c h a f t e n " soll die Strafe nach den geschriebenen Rechten bestimmt und deshalb bei den Rechtsverständigen angefragt werden. Durch diese Fas» sung wurde zu mancher langwierigen Streitfrage Anlafs gegeben. Nicht blofs, ob auch Unzucht unter Geschwistern hierher gehöre, sondern insbesondere auch Art und Höhe der Strafe war und blieb gemeinrechtlich bestritten. Die Sächsischen Konstitutionen (4 22) bestraften Verwandte auf- und absteigender Linie mit dem Schwert, Seitenverwandte mit Staupenschlägen und ewiger Landesverweisung. Diese auch von Carpzov vertretene Ansicht fand überwiegende Billigung (so Hamburg 1603, Preufsen 1620, Österreich 1656), doch gingen einzelne Gesetzgebungen (wie Kurpfalz 1582) bis zur Strafe des Feuertodes. Die Aufklärungszeit zweifelte vielfach an der Strafbarkeit der Blutschande. Die neuere deutsche und die ihr folgende ausländische Gesetzgebung hat sie beibehalten, wahrend die romanischen Rechte, ebenso wie das niederländische StGB., die Blutschande als besonderes Verbrechen gestrichen haben. III.
Nach
schlaf,
StGB.
§
173
ist
Blutschande
nur
der
Bei-
d. h. die naturgemäfse Vereinigung der Geschlechts-
teile (nicht
aber eine andre
unsittliche,
selbst
widernatürliche
Handlung) 1. zwischen ehelichen oder unehelichen V e r w a n d t e n und absteigender 2.
zwischen
auf-
Linie; Verschwägerten
auf- und
absteigender
Linie (mag auch die das Schwägerschaftsverhältnis begründende E h e durch den T o d
gelöst sein);
3. zwischen (vollbürtigenwie halbbürtigen) G e s c h w i s t e r n . S t r a f e : Zu I : ein Jahr Zuchthaus bis zu fünf Jahren gegen Aszendenten, Gefängnis bis zu zwei Jahren gegen Deszendenten; zu 2 und 3 : Gefängnis bis zu zwei Jahren. In allen Fällen Ehrverlust nach Ermessen. Verwandte absteigender Linie bleiben (wie im gemeinen Recht) straflos, wenn sie das 18. Lebensjahr nicht vollendet haben (oben § 43 Note 2), während der Teilnehmer nach allgemeinen Grundsätzen strafbar ist.
v o n L i s z t , Strafrecht.
6. Aufl.
23
§ III.
354
IV.
I.
Die Verletzung des Personenstandes.
Strafbare Handlungen gegen Familienrechte. § in.
i. Die Verletzung des Personenstandes.
Litteratur. Hälschner 2 459. Reis Die Unterdrückung und Veränderung des Personenstandes. Diss. 1888. Hinschius Personenstandsgesetz 3. Aufl. 1890. v. Sicherer W V . 2 529. Stenglein NG. 532.
I. Der P e r s o n e n s t a n d ist Voraussetzung wie Inbegriff der Familienrechte; er bedeutet die rechtliche Stellung, welche durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie sowohl den Familiengliedern wie allen andern Menschen gegenüber begründet wird. Der Personenstand entsteht durch Geburt; er endigt durch den T o d ; er wird geändert durch Annahme an Kindesstatt (landesrechtlich auch durch die Anerkennung der aufserehelichen Vaterschaft), Legitimation, Schliefsung und Lösung der Ehe. Die Verletzung des Personenstandes bildet ein besonderes, in dieser weiten Bedeutung erst durch die neuere Gesetzgebung anerkanntes Vergehen. Das römische Recht hatte allerdings nicht nur die Kindesunterschiebung (suppositio partus als unverjährbares Delikt) sondern auch die Anmafsung eines falschen Namens (asseveratio falsi nominis vel cognominis: 1. 13 D. 48, 10) als quasi falsa unter Strafe gestellt. Dabei überwog jedoch das öffentliche Interesse: Publice interest, partus non subjici, ut ordinum dignitas familiarumque salva sit. Dagegen schweigen die Quellen des deutschen Mittelalters und dasselbe thut die PGO. Das gemeine Recht (z. B. Preufsen 1721) halt sich an die romischen Bestimmungen; Osterreich 1707 bedroht das „Unterstofsen fremder Kinder" mit dem Schwert und noch A L R . 1436 rechnet, wie die Mehrzahl der deutschen Landesstrafgesetzbucher, die Veränderung des Personenstandes zum Betrug. Diese Auffassung ist weniger unrichtig, wie die neuerdings von Reis und Olshausen § 169 2 vertretene Einreihung unter die Fälschungsvergehen. Denn das Mittel zur Entziehung der mit dem Personenstande gegebenen Familienrechte ist nicht der Mifsbrauch einer Beglaubigungsform, sondern die Vorspiegelung oder Unterdrückung von Thatsachen, mag entweder die Zugehörigkeit des Verletzten zu einer bestimmten Familie dauernd der Kenntnis dritter entzogen ( U n t e r d r ü c k u n g des Personenstandes) oder die irrige Annahme hervorgerufen werden, der Verletzte gehöre einer Familie an, deren Glied er in Wahrheit nicht ist ( V e r ä n d e r u n g des Personenstandes). In der That aber haben wir es mit einem durchaus eigenartigen Vergehen zu thun.
II. Verletzung des Personenstandes ist die E n t z i e h u n g der mit d e r Z u g e h ö r i g k e i t zu e i n e r b e s t i m m t e n Familie g e g e b e n e n F a m i l i e n r e c h t e durch die E r regung eines dauernden Irrtums über diese Zug e h ö r i g k e i t (StGB. § 169). Zwischen Veränderung und
§ III.
I. Die Verletzung des Personenstandes.
355
Unterdrückung (Verheimlichung des wahren Personenstandes) besteht kein wesentlicher Unterschied. Jedenfalls aber mufs die Herbeiführung eines Z u s t a n d e s gefordert werden. Es genügt nicht, wenn jemand sich in einem Einzelfalle für einen andern ausgibt (StGB. § 369 Ziff. 8) oder den Tod eines andern oder dessen Verheiratung verheimlicht. Dagegen fällt unter das Gesetz sowohl die Unterdrückung des Personenstandes eines V e r s t o r b e n e n oder T o t g e b o r e n e n als auch die Veränderung des e i g n e n Personenstandes, wenn und soweit dadurch der Personenstand andrer lebender Menschen berührt wird. Durch Einwilligung des Betroffenen wird die Strafbarkeit nicht berührt, weil der Personenstand der freien Verfügung seines Trägers nicht untersteht. Als besonders wichtigen Fall hebt der Gesetzgeber, der geschichtlichen Überlieferung folgend, die U n t e r s c h i e b u n g oder vorsätzliche V e r w e c h s e l u n g eines Kindes hervor, d. h. einer jugendlichen Person, welche wegen ihres Alters noch keine klare Kenntnis ihrer eignen Familienangehörigkeit hat und daher die Pläne des Thäters zu zerstören nicht im stände ist (vgl. auch oben S. 291). 3 ) S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren; wenn in gewinnsüchtiger Absicht (vgl. unten § 138 II 3) begangen, Zuchthaus bis zu zehn Jahren. V e r s u c h strafbar. Die Verjährung beginnt, soweit nicht etwa ein Dauerverbrechen vorliegt, mit der Handlung selbst, durch welche die Veränderung oder Unterdrückung des Personenstandes erfolgt.
HI. Durch das Gesetz vom 6. Februar 1875 über die B e u r k u n d u n g des P e r s o n e n s t a n d e s und die E h e s c h l i e f s u n g wurden mehrere neue strafbare Handlungen geschaffen. So bedroht § 68 des Gesetzes mit einer Übertretungsstrafe (Geldstrafe bis zu hundertfiinfzig Mark oder Haft) die V e r l e t z u n g der in den §§ 17—20, 22—24, 56 — 58 dieses Gesetzes begründeten Anzeigepflichten. Doch tritt die Strafverfolgung nicht ein, wenn die Anzeige, o b w o h l n i c h t v o n d e n z u n ä c h s t V e r p f l i c h t e t e n , doch rechtzeitig gemacht worden ist: ein ganz eigenartiger Strafaufhebungsgrund. ') Dagegen Olshausen § 169 8, Reis 77; übereinstimmend Berner 435, Hälschner 2 464, v. Meyer 766. 23*
§112.
§ 112.
2. Strafbare Handlungen bei Schließung der Ehe.
2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n
L i t t e r a t u r . Hälschner 2 466. deutschen Strafrecht I894.
bei
Schliefsung
der
Ehe.
Stenglein N G . 533. Mainzer D i e E h e im
I. Die E h e e r s c h l e i c h u n g , auch Ehebetrug genannt, (schon Österreich 1787 und A L R . 1068 sowie in zahreichen LandesStGBüchern, nicht aber Preufsen 1851 besonders hervorgehoben), ist insofern mit der Verletzung des Personenstandes verwandt, als sie die Herstellung eines der Rechtsordnung nicht entsprechenden Personenstandes zum Ziele hat. StGB. § 1 7 0 unterscheidet zwei Fälle. 1. Die arglistige Verschweigung eines gesetzlichen (und zwar trennenden) Ehehindernisses bei Eingehung der Ehe dem andern Teile gegenüber. „Arglist" ist anzunehmen, wenn, wie dem Thäter bekannt, bei Kenntnis des Hindernisses der andre Teil die Ehe nicht eingegangen wäre, mithin Benutzung der Unkenntnis des andern, dessen Täuschung durch Vorspiegelung, Unterdrückung oder Entstellung von Thatsachen vorliegt. Der Begriff der Arglist deckt sich also mit dem der List (oben § 97 Note 3).!) 2. Die arglistige Verleitung des andern Teiles zur Eheschliefsung mittels einer solchen Täuschung, welche den Getäuschten berechtigt, die Gültigkeit der Ehe anzufechten. S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten. Auflosung der E h e aus einem dieser Grunde ist B e d i n g u n g d e r S t r a f b a r k e i t (oben § 43 III) 8 ). A n t r a g s v e r g e h e n ; ®) die A n t r a g s f r i s t beginnt zu laufen erst mit der Kenntnis des Berechtigten von dem die Ehe losenden rechtskräftigen Erkenntnisse (oben § 43 Note 5). Dagegen läuft die V e r j ä h r u n g s f r i s t schon von ') Ebenso Hälschner 2 467, v Meyer 986, Schütze 322. Dagegen verlangen Berner 437, Binding Normen 2 605, Olshausen § 1 7 0 3 die Absicht, d e n andern Teil zu schädigen. 2 ) Die Streitfrage ist dieselbe wie beim Ehebruch (unten § 114 Note 5 \ Ubereinstimmend Binding Normen 1 130, v. Meyer 350, Reber Antragsdelikte 204; dagegen Bennecke 12 Note io, Binding 1 601, Elsas Begnadigungsrecht 45, Hälschner 2 468, 474, Hellweg Strafprozefs 252, v. Kries Z 5 12, Mainzer 7, Olshausen § 170 6, 172 6, v. Risch GS. 3 6 252, R wiederholt, zuletzt 8 Februar 87 15 261, welche hierin nur eine Bedingung der Strafverfolgung erblicken. Doch dürfte einleuchten, dafs bei Nichtanfechtung der E h e durch den Getäuschten eine strafbare Handlung im Sinne des Gesetzes überhaupt nicht vorliegt. Noch weiter gehend Berner 441 u. a . , welche die Auflosung der E h e zum Thatbestande rechnen. ' ) Das „nur" im 2. Abs. des § 170 hat keine weitere Bedeutung; StGB. § 65 2 bleibt anwendbar.
§112.
2. Strafbare Handlungen bei Schliefsung der Ehe.
dem T a g e , an welchem die Handlung begangen ist, also von dem Tage der Eheschliefsung (obeh § 43 Note 6).
II. Es gehören weiter hierher drei Amtsverbrechen, von welchen die beiden letzteren später noch in anderm Zusammenhange zu erwähnen sind: 1. Des Standesbeamten, der unter Aufserachtlassung der „in diesem Gesetze" gegebenen Vorschriften eine Eheschliefsung vollzieht 4 ) (§ 69 des Personenstandsgesetzes v o m 6. Febr. 1 8 7 5 ; Geldstrafe bis zu sechshundert Mark). 2. des Geistlichen oder Religionsdieners (Begriff unten § 121 V), welcher zur Trauung schreitet, bevor ihm nachgewiesen worden ist, dafs die Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen sei (§ 67 Personenstandsgesetz; an Stelle des § 337 StGB, getreten); 3. des Religionsdieners oder Personenstandsbeamten, welcher, wissend dafs eine Person verheiratet ist, deren neue E h e schliefst (StGB. § 338). In allen drei Fällen kann überdies Beihilfe zur Doppelehe in Frage kommen. S t r a f e : Zu I : Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten. Zu 2: Zuchthaus bis zu fünf Jahren. III. Es sei endlich erwähnt, dafs in das EG. zu dem Bürgerlichen Gesetzbuch (vgl. Note zu § 1250 des ersten Entwurfs) folgende Strafdrohung aufgenommen werden soll: „Mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre wird bestraft: 1. Wer gegen das Verbot des § 1237 eine Ehe schliefst; 2. die Frau, welche gegen das Verbot des § 1241 eine Ehe schliefst, sowie derjenige, welcher mit ihr die Ehe schliefst, wenn er bei der Eheschliefsung von dem Hindernisse Kenntnis hatte." 5 )
§ 113.
3. Die mehrfache Ehe.
Litteratur. v. Wächter Abhandlungen 144. Hälschner GS. 2 2 424. Villnow GS. 3 0 123. Hälschner 2 474. Stange Beiträge zur Lehre von der Bigamie. Diss. 1893. Bennecke Die strafrechtliche Lehre vom Ehebruch 1884. Mainzer Die Ehe im deutschen Strafrecht I894. ') Vorsatz erforderlich R 27. Mai 81 4 234. Dagegen (unklar) Stenglein 536. 6 ) § 1237 verbietet die Ehe zwischen demjenigen, dessen Ehe wegen Ehebruches geschieden ist, und demjenigen, mit welchem er des Ehebruches sich schuldig gemacht hat, sofern dieser Ehebruch in dem Scheidungsurteile als Grund der Scheidung festgestellt ist. Dispensation ist zulässig. § 1241 untersagt der Frau die Schliefsung einer neuen Ehe vor Ablauf von zehn Monaten von dem Zeitpunkte an, in welchem ihre frühere Ehe aufgelost oder für ungultig erklärt ist.
§ 113-
358
3- Die mehrfache Ehe.
I. Die m e h r f a c h e E h e , regelmäfsig, aber ungenau, Doppelehe oder Bigamie genannt, erscheint als Verletzung des Ehebandes durch M i f s b r a u c h d e r E h e s c h l i e f s u n g s f o r m . Im romischen Recht lediglich als stuprum betrachtet (1. 18 C. 9, 9), ist sie der Auffassung des frühern deutschen Mittelalters als besonderes Vergehen fremd und nur als Ehebruch oder Entführung strafbar (Frauenstädt Z 10 234). Erst die späteren Quellen, z. B. das Stadtrecht von Ripen 1269 (Löning Z 5 224, vgl. auch Osenbrüggen Alemannisches Strafrecht 282, Knapp Z 12 236) oder die Tiroler Malefizordnung 1499, erwähnen die Doppelehe als selbständig strafbare Handlung. Während Bambergensis 146 die Todesstrafe als den kaiserlichen Rechten zuwiderlaufend ausdrucklich ausschlofs, bestimmt die PGO. in Art. 121, dafs die der Doppelehe Schuldigen, „wie wohl die kaiserlichen Rechte auf solche Ubelthat keine Strafe am Leben setzen . . . nicht weniger als die Ehebruchigen peinlich gestraft werden sollen". Das gemeine Recht verhängte demgemäfs die Strafe des Schwertes (so Kurpfalz 1582, Hamburg 1603, Bayern 1616, Preufsen 1620, Osterreich 1656), verlangte aber, eben wegen der Gleichstellung mit dem Ehebruch, zur Vollendung Vollziehung des Beischlafs, copula carnalis (so noch Bayern 1751, Osterreich 1786). Auch die gemeinrechtliche Litteratur (Koch, Krefs, Böhmer u. a.) hielt an dieser Auffassung fest, verlangte aber auch Bestrafung des crimen binorum sponsaliorum, bis die Aufklärungszeit (von Thomasius bis auf Soden) die Strafbarkeit überhaupt in Frage stellte. Erst mit dem Siege des Grundsatzes der staatlichen Eheschliefsung ist die Stellung der mehrfachen Ehe im Systeme bestimmt und gesichert. IL D i e
Doppelehe
wird
nach
§ 1 7 1 ) b e g a n g e n durch Schliefsung
geltendem
Rechte
(StGB.
einer E h e v o n einem oder
mit einem Ehegatten, b e v o r die frühere E h e aufgelöst, für ungültig
oder
nichtig
erklärt
worden ist.
Vorausgesetzt ist eine
den gesetzlichen Vorschriften über die F o r m der Eheschliefsung entsprechende E h e , m a g diese auch ungültig oder nichtig sein. Nicht
nur
der
verheiratete,
sondern
auch
der
unverheiratete
T e i l ist nach dem einheitlichen Strafrahmen des Gesetzes strafbar.
U b e r den die E h e schliefsenden Religionsdiener oder Per-
sonenstandsbeamten vergl. oben § 1 1 2 II. Vorsatz Der V e r s u c h handlung
(also
ist
erforderlich;
mit
der F r a g e
Verlobung, Aufgebot, Fahrt dung
Vorsatz
genügt.
ist mit der
durch
Eheschliefsung
des Standesbeamten),
zum Standesbeamten
straflose Vorbereitungshandlungen vollendeten
eventueller
beginnt mit d e m A n f a n g e der Eheschliefsungs-
erscheinen.
sodafs
u. s. w.,
Die
als
Vollen-
den A u s s p r u c h des Standesbeamten gegeben;
Geschlechtsgemeinschaft
§ 114-
4- Der Ehebruch.
359
ist nicht erforderlich. Die Doppelehe ist mithin kein D a u e r verbrechen, sondern ein Zustandsverbrechen. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf J a h r e n , bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Die V e r j ä h r u n g beginnt, kraft besonderer, aus allgemeinen Grundsätzen nicht abzuleitender, daher auf andre Fälle nicht auszudehnender Vorschrift des Gesetzes, erst mit dem Tage , an welchem eine der beiden Ehen aufgelost, für ungültig oder nichtig erklärt worden ist.
§ 114.
4. Der Ehebruch.
L i t t e r a t u r . v. Wächter Abhandlungen 162. Hdlschner 2 469 und GS. 22 401. Itosenthal Die Rechtsfolgen des Ehebruchs nach kanonischem und deutschem Recht 1880 Bennecke Die strafrechtliche Lehre vom Ehebruch 1884. Mainzer Die Ehe nach deutschem Reichsstrafrecht 1894. I. G e s c h i c h t e . Erst durch die lex Julia de adulteriis vom Jahre 736 oder 737 a. u. wurde der Ehebruch dem Kreise der vom r ö m i s c h e n R e c h t e mit öffentlicher Strafe belegten Verbrechen eingefugt (D. 48, 5 ; C. 9, 9). Im übrigen blieb der Gesetzgeber den aus der hausherrlichen Gewalt des Mannes erklärlichen Volksanschauungen treu: nur der Bruch der ehelichen Treue durch die Frau und die Störung fremder Ehe durch den Mann (temerator alienarum nuptiarum wird der Ehebrecher in den Quellen genannt), nicht aber der geschlechtliche Verkehr des verheirateten Mannes mit einer unverheirateten Frauensperson erschien als adulterium. Die uralte Totungsbefugnis blieb, wenn auch nur innerhalb enger Grenzen, dem Vater sowohl als auch dem Gatten erhalten. Nach Justinianischem Recht trifft den Ehebrecher das Schwert; die Ehebrecherin kommt ins Kloster, aus welchem sie ihr Gatte nach Ablauf von zwei Jahren befreien kann (Novelle 134). Seit Konstantin ist das Anklagerecht auf die nächsten Verwandten beschränkt. Auch nach der Auffassung des d e u t s c h e n Rechts kann der Ehebruch nur von der verheirateten Frau und ihrem Mitschuldigen begangen werden. Von der Strafgewalt des Ehemannes berichtet uns Tacitus Germ. 19. Die Unzucht der Braut mit einem andern steht dem Ehebruche der Frau gleich. 1 ) Die Auffassung der K i r c h e , welche, von der Bedeutung der Ehe als Sakrament ausgehend, von dem Manne dieselbe Keuschheit forderte wie von der Frau (c. 4 C. 32 qu. 4), vermochte dem weltlichen Rechte gegenüber nicht durchzudringen, obwohl der Ehebruch zumeist zur kirchlichen Gerichtsbarkeit gezogen wurde. Ssp. II 13, 5 setzt wie Schsp. 174 III auf die „overhure" das Schwert; meist aber begnügte sich die Rechtsprechung mit willkürlicher Strafe. Die Bambergensis 145 hatte die verschiedenen Fälle noch genau zu trennen versucht; der Mann, der mit einer Ehefrau die Ehe brach, sollte mit dem Schwert, dagegen der Ehebruch „mit einem ledigen Weibsbild" nur willkürlich gestraft werden, Verfolgung von Amts wegen nur bei „öffentlichem, unzweifelhaftem, *) Sohn Das Recht der Eheschliefsung 76. deutschen Privatrechts 2 283.
Hetisler Institutionen
des
§114.
360
4. Der Ehebruch.
ärgerlichem Ehebruche" stattfinden. PGO. 120 begnügt sich mit der Verweisung auf „die Sage unserer Vorfahren und unsre kaiserlichen Rechte". Damit war der Landesgesetzgebung freier Spielraum gelassen. Vielfach bemühte sich diese, Mann und Weib gleichzustellen, und bedrohte auch den Ehemann, der sich mit einem Mädchen verging, mit dem Schwert (Z 10 235); so Sächsische Konstitutionen 4 18 (dazu Distel Z 10 431), Preufsen 1620, wiederholte österreichische Verordnungen im 16. und 17. Jahrhundert. Sachsen hat erst 1783 die Todesstrafe beseitigt. Dennoch war die Rechtsprechung eine sehr schwankende (praxis incertissima, klagt Böhmer), und die Todesstrafe wurde wohl nur selten verhängt. Öffentliche Verfolgung blieb ausgeschlossen; nur bei öffentlichem Ärgernis (durch Zusammenwohnen mit der Beischläferin) wurde nach den RPolizeiordnungen von Amts wegen eingeschritten. Noch milder war die Zeit der Aufklärung; sah sie doch in dem Ehebruch nur die Verletzung des aus dem Ehevertrage entspringenden rein privatrechtlichen Anspruches auf Leistung der ehelichen Pflicht und auf ausschliefslichen geschlechtlichen Verkehr. Osterreich 1787 verwies den Ehebruch unter die „politischen Verbrechen"; auch A L R . 1062 ist nur gegen die ehebrecherische Frau streng. Die neuere Gesetzgebung hat, von wenigen Ausnahmen (so, aufser England, Genf usw., insbesondere Hamburg 1869) abgesehen, an der Strafbarkeit des Ehebruches festgehalten (indem sie die Ehe als Grundlage der staatlichen Ordnung betrachtet), diese aber mannigfach eingeschränkt. Dabei ist insbesondere auf deutschem Boden (anders die romanischen Rechte, Japan, russischer Entwurf) zumeist übersehen worden, dafs die grofsere Strafwurdigkeit der Frau , dem Ehemanne, gegenüber, in der perturbatio sanguinis physiologisch begründet ist. II. D a s g e l t e n d e griff des Ehebruches
Recht.
§ 1 7 2 R S t G B . setzt den B e -
als gegeben
voraus.
Nach
Sprachgebrauch wird der Ehebruch nur b e g a n g e n schlaf,
d. h. durch
schlechtsteile, während
die
allgemeinem durch
naturgemäfse Vereinigung
j'eder
andersartige,
wenn
der
auch
BeiGe-
sittlich
noch so verwerfliche geschlechtliche Verkehr mit Personen des andern oder
auch desselben Geschlechtes
nicht
als
Ehebruch
betrachtet werden darf. 2 ) A u c h der verheiratete Mann, der eine Frauensperson zum Beischlaf nötigt (§ 177) oder verleitet (§ 179), macht sich des Ehebruchs schuldig; nicht aber der unverheiratete, der sich in dieser Weise g e g e n eine Ehefrau vergeht: denn in diesem Falle ist die Scheidung der E h e (s. unten) ausgeschlossen. Voraussetzung
des Ehebruchs
ist
das
Gegebensein
einer
2 ) Anders das ALR., welches „Sodomiterei und andere unnaturliche Laster" ausdrücklich gleichgestellt hatte. Übereinstimmend mit dem Text die gemeine Meinung, auch Olshausen § 172 I, R 8. Oktober 86 14 352. Violenta et certa suspicio fornicationis (c. 12 X de praes.) genügt nicht.
§ 115-
Geschichte und Begriff.
materiell bestehenden (also nicht nichtigen),3) wenn auch anfechtbaren (ungültigen) Ehe. Einwilligung des verletzten Ehegatten in den Ehebruch schliefst dessen Strafbarkeit nicht aus. *) Doch erscheint der Ehebruch nur dann als strafbar, wenn w e g e n d i e s e s E h e b r u c h e s die Ehe geschieden und damit festgestellt ist, dafs er das eheliche Zusammenleben unmöglich gemacht habe. 5 ) Die Vollendung tritt mit der Vereinigung der Geschlechtsteile ein; Samenergufs ist nicht erforderlich. Der Ehebruch ist A n t r a g s v e r g e h e n . Der Lauf der A n t r a g s f r i s t beginnt mit der Rechtskraft des Scheidungsurteils (oben § 43 Note 5), während die V e r j ä h r u n g der Strafverfolgung nach allgemeiner Regel schon mit der Begehung des Ehebruches beginnt, allerdings aber nach § 69 StGB, während der Dauer des Scheidungsverfahrens r u h t . Die S t r a f e des Ehebruchs beträgt Gefängnis bis zu sechs Monaten.
V.
Strafbare Handlungen g e g e n die Religionsfreiheit und das religiöse Gefühl. § 115.
Geschichte und Begriff.
Litteratur. Wahlberg HH. 3 263. Villnow GS. 31 509, 579. Hager Beiträge zur Lehre von den Religionsvergehen. 1874. Zur Lehre von den Religionsvergehen. Diss. 1890. Kohler 1 160. Fuld G A . 39 142. Wach Deutsche Zeitschrift für Kirchenrecht 2 2, 261. Crusen Der strafrechtliche Schutz des Rechtsgutes der Pietät 1890 (Abhandlungen des Kriminalist. Seminars 2 1). Stoofs Grundzuge 2 182. Hmschius Kirchenrecht 4 790. Th, Mommsen in v. Sybels Historischer Zeitschrift 4 4 389. I. Wenige Vergehen bieten der richtigen grundsätzlichen Auffassung und der durch diese bedingten Einreihung in das System grofsere Schwierigkeiten 3 ) Ebenso Berner 442, Geyer 2 89, Hälschner 2 470, Olshausen § 172 2, v. Wächter 484. Dagegen v. Meyer 982, Schütze 325. 4 ) Übereinstimmend Geyer 2 89, Hälschner 2 473, v. Meyer 320, 981, R 7. Juni 86 14 202, 6. Februar 94 25 119. Dagegen Binding 1 715, Kefsler GS. 3 8 571, v. Kries Z 7 532, Mainzer 25, Olshausen § 172 1, Anders stellt sich die Sache nach § 1441 BGB., welcher das Scheidungsrecht des verletzten Ehegatten ausschliefst, wenn dieser dem Ehebruch zugestimmt hat. Vgl. Note 5* 5 ) Scheidung wegen e i n e s Ehebruchs bedeutet daher Straflosigkeit aller andern. Ebenso rechtliche Unmöglichkeit der Scheidung, z. B. bei Aufrechnung der Ehebruche nach gemeinem Kirchenrecht. — Die Scheidung ist Bedingung der Strafbarkeit; vgl. oben § 1 1 2 Note 2. Völlig willkürlich die Unterscheidung bei Stein Das private Wissen des Richters 1893 Note 55. — Schwierigkeiten entstehen, wenn Doppelehebruch vorliegt. Hier kann der verheiratete Mitschuldige gestraft werden, auch wenn s e i n e Ehe nicht gelost ist und s e i n Gatte keinen Strafantrag stellt.
§ n 5-
Geschichte und Begriff der Religionsvergehen.
als die Religionsvergehen; wenige Vergehen haben im Laufe der Jahrhunderte öfter und rascher ihre Eigenart verändert, Umfang und Inhalt gewechselt. 1. Den Lehren des J u d e n t u m s entstammt die Auffassung, dafs die weltliche Rechtsordnung die Aufgabe habe, die rachsüchtige G o t t h e i t selbst zu schützen gegen frevelnde Beleidigung. Damit ist Gott zum Menschen herabgewürdigt; und um die G o t t e s l ä s t e r u n g (Blasphemie) schliefsen sich eine Anzahl andrer Religionsverbrechen zusammen zum c r i m e n l a e s a e m a j e s t a t i s d i v i n a e , dem ersten und schwersten aller Verbrechen, in seinem Thatbestande dem bürgerlichen Majestätsverbrechen nachgebildet, wie der Begriff des göttlichen Herrschers dem des irdischen Landesherrn. Das ist der Standpunkt des spätromischen Rechts, welches in Novelle 77 die Gotteslästerung mit der Todesstrafe belegte, damit das Land nicht vom Zorne der unversöhnten Gottheit heimgesucht werde. Auf ihr beruht der Wormser Reichsabschied von 1495, auf welchem Art. 106 der PGO. fufst. Dieser bedroht mit Strafe an L e i b , Leben oder Gliedern (Verlust der Zunge: Sächsische Konstitutionen 4 I, Josephina 1707; vgl. Günther 2 62, aber auch Z 9 210) denjenigen, „welcher Gott zumifst, was Gott nicht bequem ist, oder mit seinen Worten Gott, was ihm zusteht, abschneidet, die Allmächtigkeit Gottes, seine heilige Mutter, die Jungfrau Maria schändet". Das gemeine Recht weist manche Schwankungen auf. Zumeist unterschied man unmittelbare und mittelbare Lästerung Gottes und bestrafte die erstere mit dem Tode. Daneben finden sich auch, insbesondere in den RPOrdnungen von 1548 und 1577, zahlreiche Bestimmungen gegen das F l u c h e n u n d S c h w o r e n . Auch die unterlassene Anzeige wurde unter Strafe gestellt. Vergebens traten die Schriftsteller der Aufklarungszeit (Montesquieu, Quistorp u. a.) für die Straflosigkeit ein. Joseph II. drohte 1787 (nachdem Vorschlage Martinis) mit Einsperrung ins Tollhaus. Erst im A L R . 217 („Wer durch öffentlich ausgestofsene grobe Gotteslästerungen zu einem gemeinen Ärgernis Anlafs gibt") finden wir einen neuen und brauchbaren Gesichtspunkt. 2. Seitdem das Christentum im Römischen Reiche zur S t a a t s r e l i g i o n erklärt worden, wird diese durch strenge Strafdrohungen geschützt. A p o s t a s i e und H ä r e s i e erscheinen als politische Verbrechen, wie seit dem Jahre 425 (Valentinian III) das B e k e n n t n i s z u m H e i d e n t u m . Im deutschen Mittelalter zur kirchlichen Gerichtsbarkeit gehörend, wird die Ketzerei in den weltlichen Quellen meist mit dem Feuertode bedroht (Ssp. 2 13, 7). Auf alamannischem Boden fand die erste Ketzerverbrennung 1229 statt (Osenbrüggen 90). Auf dem gleichen Standpunkte steht Bambergensis 130. Das Schweigen der PGO. läfst der Landesgesetzgebung freien Spielraum. Brandenburg 1582, die Tiroler Landesordnungen, zahlreiche österreichische Verordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts halten an der Todesstrafe fest. Dagegen will Carfzov nur Landesverweisung. Thomasius bekämpft schon 1697 die Strafbarkeit der Häresie. Doch finden sich beide Verbrechen noch Bayern 1751 und Österreich 1768. Aber auch das Zeitalter der Aufklärung hat, freilich von anderm Standpunkte aus, an dieser Auffassung festgehalten. Ihm ist die Religion der „Leitriemen", mit welchem der Staat seine Unterthanen lenkt
§ 115-
Geschichte und Begriff der Religions vergehen.
(Sonnenfels). Verbreitung von Irrlehren, Verleitung zum Abfall vom christlichen Glauben werden daher Österreich 1787, das Sektenstiften in Preufsen 1794 unter Strafe gestellt. Portugal schützt noch heute die Staatsreligion. Österreich hat erst durch das Gesetz vom 25. Mai 1868 Wandel geschafft; aber auch die neusten osterr. Entwürfe bedrohen mit Strafe denjenigen, welcher öffentlich den Glauben an Gott zu zerstören sucht. Und dieselbe Auffassung, wenn auch in veränderter Gestalt, kehrt in unsern Tagen wieder bei denjenigen Schriftstellern, welche die Religion an sich als „eine der Grundlagen unsres Volkslebens" unter strafrechtlichen Schutz gestellt wissen wollen ( Wahlberg, Kohler, Bott u. a.). 3. Die richtige Auffassung beruht auf der Erkenntnis, dafs die Aufgabe des Staates sich darauf zu beschränken hat, d i e F r e i h e i t d e r r e l i g i ö s e n Ü b e r z e u g u n g gegen rechtswidrige Verletzung zu schützen. Damit erscheint die schon im Justinianischen Recht (Novelle 123 c. 3 1 ) mit kapitaler Strafe bedrohte S t ö r u n g d e s G o t t e s d i e n s t e s , die turbatio sacrorum, als der Kernpunkt der Religionsverbrechen. A L R . 2 1 4 steht bereits teilweise auf diesem Standpunkte Mit voller Bestimmtheit vertritt ihn der Code pénal. In der Gesetzgebung und in der Wissenschaft unseres Jahrhunderts tritt die F r i e d e n s s t ö r u n g mehr und mehr in den Vordergrund. So insbesondere in den StGBuchern von Holland und Italien (Begründung des letzteren 2 43, 47). Aber auch das RStGtB. spricht im I i . Abschnitte nicht mehr von Religionsverbrechen, sondern von Vergehen, „welche sich auf die Religion beziehen" (vgl. Olshausen 11. Abschn. 1). II. Die
Bestimmungen
G r u p p e n bringen, der
unseres S t G B ,
i. Der
lassen
strafrechtliche S c h u t z
Religionsfreiheit,
d.
h. der
sich in
zwei
gilt zunächst
freien B e t h ä t i g u n g
der
religiösen U b e r z e u g u n g innerhalb der bestehenden R e l i g i o n s gesellschaften;
Hinderung
ihres
Gottesdienstes
§ 1 6 7 ) , B e s c h i m p f u n g der Gesellschaft, ihrer L e h r e n richtungen
( S t G B . § 1 6 6 2. Satz), U n f u g in
(StGB. und E i n -
den zu religiösen
V e r s a m m l u n g e n bestimmten Orten ( S t G B . § 1 6 6 3. Satz) werden unter S t r a f e gestellt. höhten Schutzes. die
dem
von
Gegenständen
als
wenn
D i e Religionsdiener
geniefsen keines e r -
D i e W e g n a h m e oder B e s c h ä d i g u n g v o n S a c h e n ,
Gottesdienste andere
gewidmet
der
sind,
Verehrung
Sachen
in
die
werden
Frage
Beschädigung
strenger
stehen
(StGB.
bestraft, §§
243,
Ziff. 1 , 304). 2.
Aber
auch
unabhängig
konfessionellen G r u n d l a g e einzelnen, einer
über
d.
h. die
von das
gemütlich
d e m Menschen
S t G B . § 166,
wird
j'eder
genossenschaftlich-
religiöse betonte
Gefühl
des
Uberzeugung
von
stehenden W e l t o r d n u n g ,
1 . S a t z bedroht
die Gotteslästerung,
geschützt; § 168
die
§ II6.
Die einzelnen Religionsvergehen.
Verletzung des Toten- und Gräberfriedens, § 304 die Beschädigung von Grabmälern; auch § 189 (Beschimpfung des Andenkens eines Verstorbenen) wird von manchen hierher gerechnet. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die Erörterung der im 11. Abschnitt des RStGB. zusammengefafsten Vergehen. III. Die reichsrechtliche Regelung der sog. Religionsvergehen ist eine ausschliefsliche; landesrechtliche Ergänzungen sind rechtsunwirksam. *) § 116.
D i e einzelnen
Religionsvergehen.
I. D i e G o t t e s l ä s t e r u n g . Sie besteht nach StGB. § 116 in der E r r e g u n g e i n e s Ä r g e r n i s s e s d u r c h ö f f e n t l i c h u n d in b e s c h i m p f e n d e n Ä u f s e r u n g e n e r f o l g e n d e L ä s t e r u n g Gottes. Der Gottesbegriff ist nicht etwa im Sinne einer philosophischen über Zeit und Raum sich erhebenden Verallgemeinerung oder im Sinne des allen christlichen Bekenntnissen gemeinsamen Monotheismus, sondern so aufzufassen, wie er von den Gottesgläubigen in und aufser den anerkannten Religionsgesellschaften thatsächlich gefafst wird; 1 ) daher fällt auch die Lästerung Jesu oder des heiligen Geistes wie des jüdischen Jehovah unter den Begriff der Gotteslästerung. Die Lästerung, d. h. (wie bei der Beleidigung) die Kundgebung der Nichtachtung, mufs ö f f e n t l i c h erfolgen, d. h. einem nicht geschlossenen Kreise bestimmter Personen zugänglich sein; 2 ) in b es c h i m p f e n d e n , d. h. in solchen mündlichen oder schriftlichen Kundgebungen, welche die Roheit des Ausdruckes mit dem lästernden Inhalt verbinden (oben S. 312). Andre Handlungen (vgl. StGB. § 183), insbesondere bildliche Darstellungen, gehören nicht hierher. • *) Dagegen Binding 1 322, Olshausen 11. Abschn. 1. Richtig Kohler 1 224. ') Übereinstimmend (aber mit der aus dem 2. Satze des § 166 herübergenommenen Einschränkung auf die a n e r k a n n t e n Gesellschaften) R 3. März 82 6 77, Bott 22, Geyer 2 90, Janka 311, Olshausen § 166 2, Schütze 347; dagegen Hälschner 2 704, Kohler 1 165, Merkel 371, v. Meyer ioio, Villnow 527. s ) Bedenklich R 5. Januar 91 21 254, 23. November 91 22 241, welches wechselseitige p e r s ö n l i c h e Beziehungen, „ein zur Einheit zusammenfassendes Band" verlangt, um einen „geschlossenen Kreis" anzunehmen. Vgl. oben § 108 Note 4.
§ II6.
Die einzelnen Religionsvergehen.
365
Die Lästerung an sich genügt aber nicht; es mufs durch sie vielmehr Ä r g e r n i s e r r e g t , d. h. das religiöse Gefühl, wenn auch nur eines andern, verletzt werden (vgl. oben S. 349). S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren.
II. Ö f f e n t l i c h e B e s c h i m p f u n g e i n e r (der christlichen Kirchen oder einer andern) m i t K o r p o r a t i o n s r e c h t e n i n n e r h a l b d e s B u n d e s g e b i e t e s (nicht der deutschen Schutzgebiete) b e s t e h e n d e n R e l i g i o n s g e s e l l s c h a f t a . a l s solcher, b. sowie ihrer Einrichtungen oder c. ihrer Gebräuche (StGB. § 166). Die A l t k a t h o l i k e n sind sowohl als Zweig der katholischen Kirche wie auch infolge besonderer staatlicher Anerkennung (Bayern) durch § 166 geschützt. B e s c h i m p f u n g ist auch hier Ausdruck der Mifsachtung in roher, daher zugleich das Gefühl verletzender Form, gleichgültig ob durch Aufserungen oder andre Handlungen. Von den E i n r i c h t u n g e n und G e b r ä u c h e n (Sakramente, Ablafs, Marienkultus, Mönchswesen, Heiligen- find Reliquienverehrung') sind die G l a u b e n s s ä t z e (Dreifaltigkeit, Menschwerdung Christi, unbefleckte Empfängnis, päpstliche Unfehlbarkeit), die einzelnen thatsächlichen- E r e i g n i s s e (Reformation, vatikanisches Konzil, Abschliefsung eines Konkordats), ferner die G e g e n s t ä n d e der Verehrung (der „heilige Rock" zu Trier 8 ), die heiligen S c h r i f t e n , die verehrten P e r s o n e n zu unterscheiden. D o c h k a n n deren Beschimpfung eine mittelbare Beschimpfung der Religionsgesellschaft selbst enthalten.4) Vorsatz genügt, eine besondere Absicht ist nicht erforderlich. S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren.
III. D i e V e r ü b u n g b e s c h i m p f e n d e n U n f u g s i n K i r c h e n oder in einem andern zu religiösen Versammlungen (nicht notwendig zum Gottesdienste; nicht nur der anerkannten, sondern aller thatsächlich bestehenden Religionsgesellschaften) bestimmten Orte (StGB. § 166). B e s c h i m p f e n d e r U n f u g ist jedes rohe, der Zweck8 ) Soweit hier nicht die Reliquienverehrung als solche angegriffen wird: R 13./20. Februar 93 24 12. 4) Die sich befehdenden Religionsgesellschaften haben die im Interesse des staatlichen Friedens gezogenen Schranken zu beobachten, selbst wenn dies sie in dem freien Bekenntnisse ihrer Lehre beschränken sollte. Abweichend Wach.
366
§ II6.
Die einzelnen Religionsvergehen.
bestimmung des Ortes widersprechende Betragen. Er muls „in einem" umgrenzten „Orte" (also nicht auf freiem Felde, auf offener Strafse), wenn auch von aufsen her, verübt sein. Dem Thun steht auch hier das rechtswidrige Unterlassen gleich. — F r i e d h ö f e gehören zu den vom Gesetze geschützten Orten, wenn und soweit sie zu religiösen Versammlungen bestimmt sind, mögen sie auch im Eigentum politischer Gemeinden stehen. Unter dieser Voraussetzung sind auch zur Feuerbestattung, nicht aber zu konfessionsloser Beerdigung bestimmte Orte hierher zu rechnen. S t r a f e : wie zu II.
IV. D i e S t ö r u n g d e s G o t t e s d i e n s t e « (StGB. § 167). Strafbar ist 1. die durch Thätlichkeit (hier gleich Gewalt; oben S. 323) oder Drohung (oben S. 324) begangene H i n d e r u n g (Verhinderung oder Störung) e i n e s a n d e r n an d e r A u s ü b u n g d e s G o t t e s d i e n s t e s (gemeinsamer Gottesverehrung) einer im Staate („innerhalb des Bundesgebietes") thatsächlich bestehenden Religionsgesellschaft. Zwang zur Ausübung des Gottesdienstes kann nur als Nötigung strafbar sein. 2. D i e v o r s ä t z l i c h e V e r h i n d e r u n g o d e r S t ö r u n g d e s G o t t e s d i e n s t e s oder einzelner gottesdienstlicher Verrichtungen einer solchen Religionsgesellschaft d u r c h E r r e g u n g v o n L ä r m o d e r U n o r d n u n g in einer Kirche oder in einem andern zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte. Über den Ausschlufs der Rechtswidrigkeit gelten die allgemeinen Grundsätze. Daher ist Ehrennotwehr auch gegenüber beleidigenden Äufserungen des Religionsdieners zulässig.6) S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren.
V. D i e S t ö r u n g d e r T o t e n r u h e und d e s G r ä b e r friedens. Sie wird gerade in den Jugendjahren der Völker mit besonders strengen Strafen belegt. Das r ö m i s c h e Recht hat die sepulcri violatio zum selbständigen Vergehen gemacht (D. 47, 12; C. 9, 19). Zahlreiche Stellen der d e u t s c h e n Volksrechte beschäftigen sich mit der Störung der Totenruhe; das fränkische Recht droht dem Leichenschänder die Friedlosigkeit (wargus sit; oben § 4 Note 2). Das spätere M i t t e l a l t e r erwähnt die Beraubung des 6
) R 24. November 90 21 168; vgl. aber oben § 32 Note 6.
§ II6.
Die einzelnen Religionsvergehen.
Toten (den Reraub, reroup) besonders. Schweigens der PGO.,
367
Das g e m e i n e R e c h t hält, trotz des
an der deutschen Auffassung fest und verhängt unter
Umständen sogar Todesstrafe (so Preufsen 1 6 2 0 ) .
Die n e u e r e Gesetzgebung
stellt die „Störung der Totenruhe" (R 12. März 85 12 168) zu den Religionsvergehen.
Verletzt ist in Wahrheit das r e l i g i ö s e G e f ü h l (als dessen Unter-
art das Pietätsgefuhl erscheint), u. z. nicht blofs der Hinterbliebenen. ist religiöse Weihe des Grabes gleichgültig.
Daher
Die F r i e d h o f e werden überdies
durch § § 166, 167 geschützt.
Das RStGB. dedroht in § 168: 1. Die unbefugte W e g n a h m e e i n e r L e i c h e aus dem Gewahrsam der dazu berechtigten Person. 6 ) L e i c h e ist die entseelte Hülle eines Menschen, solange der Zusammenhang zwischen den Teilen des Körpers nicht völlig aufgehoben ist, also auch die Mumie, nicht die Asche des Verbrannten. Die Leibesfrucht ist niemals Menschenleib (oben § 80 Note i). Die Leiche wird zur S a c h e , an der Diebstahl, Unterschlagung, Sachbeschädigung, aber nicht mehr das Vergehen des § 168 möglich ist, sobald sie durch Verkauf an Anatomieen u. s. w. Gegenstand des Handelsverkehrs geworden ist. Die Wegnahme') mufs aus d e m G e w a h r s a m des dazu B e r e c h t i g t e n stattgefunden haben; fehlt es an einem solchen, wie bei Leichen, welche im Walde unbeerdigt vermodern oder welche der Flufs mit sich hinweggeschwemmt hat oder welche in Hünengräbern und Totenstädten gefunden werden, so ist Leichenfrevel unmöglich. Wer Mitgewahrsam hat (z. B. der Totengräber), kann alleinigen Gewahrsam sich anmafsen, also „wegnehmen" (unten § 125 III). 2. Unbefugte Z e r s t ö r u n g o d e r B e s c h ä d i g u n g v o n G r ä b e r n , d. h. denjenigen Orten, an welchen in kenntlicher Weise die Leiche zur Ruhe bestattet ist. Zu dem Grabe gehören auch der Grabhügel, die Einfriedigung, die Anpflanzung 8) (nicht auf das Grab gelegte Kränze), der Sarg mit dem ®) v g l - § 367 Ziff. 1 : Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder H a f t trifft denjenigen, welcher ohne Vorwissen der Behörde einen Leichnam beerdigt oder beiseite schafft oder unbefugt einen T e i l e i n e r L e i c h e aus dem Gewahrsam der dazu berechtigten Personen wegnimmt. ' ) Nur das Wegnehmen, nicht das Beschimpfen, Verletzen usw. der Leiche ist strafbar. 8 ) Abpflücken von Blumen ist nur als Beschädigung der Pflanze zugleich Beschädigung des Grabes.
§ 117.
368 Leichnam,
Der Hausfriedensbruch.
an sich auch die Grabdenkmäler;
d o c h ist die B e -
schädigung dieser letztern nach S t G B . § 304 strafbar. 3. V e r ü b u n g unter III)
an
beschimpfenden
(nicht notwendig
auf)
Unfuges einem
(siehe
Grabe
oben (dieses
selbst muls Gegenstand des Angriffes sein). Strafe: verlust.
Gefängnis b^s zu zwei Jahren; daneben nach Ermessen Ehr-
VI. Hausfriedensbruch und Verletzung fremder Geheimnisse. § 117.
x. D e r
Hausfriedensbruch.
Litteratur. Brunner 2 651. Osenbrüggen Die Lehre vom Hausfrieden 1857. Jäger Der Hausfriedensbruch. Diss. 1885. Glaser Abhandlungen 1858. John HH. 3 154. Hälschner 2 144. I. H a u s r e c h t
ist das rechtlich
geschützte
Interesse
an
ungestörter Bethätigung des eignen Willens in der eignen W o h nung,
an
dem
freien Schalten
und Walten
in Haus und H o f ;
ein der persönlichen Freiheit verwandtes, aber doch eigenartiges Rechtsgut.1) Dem r o m i s c h e n Recht ist der Hausfriedensbruch als selbständiges Vergehen fremd geblieben, obwohl sich mehrfache Ansätze zu einer Auszeichnung finden. So hatte die angebliche Lex Cornelia (oben S. 9) zu den injuriae atroces neben dem pulsare und verberare auch das d o m u m v i i n t r o i r e gezählt. Und das spätere Recht hatte ein besonderes Delikt, das der directarii, ausgebildet, qui in aliena coenacula se dirigunt furandi animo (1. 7 D. 47, Ii), ohne freilich zu einer bestimmten und klaren Auffassung dieses eigentümlich erschwerten D i e b s t a h l Versuches zu gelangen. Dagegen trägt in den Quellen des d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r s die Störung des Burg- und Hausfriedens (die Heimsuchung) von allem Anfange an die Kennzeichen eines durchaus eigenartigen, gegen ein selbständiges Rechtsgut gerichteten Vergehens. Mag wie im frühern Recht der gewaltsame Überfall mit bewaffnetem Gefolge (hariraida), mag wie im spätem Mittelalter das Eindringen des einzelnen besonders hervorgehoben werden, immer ist es die Herrschaft in Haus und Hof, die als Angriffsgegenstand des Vergehens erscheint. „Wir wollen, dafs einem jeglichen Bürger sein Haus seine Feste sei", heifst es in zahlreichen Stadtrechten. Bayern 1616 spricht (wie Schsp.) von der Wahrung der „Hausehre". Der Hausfriedensbruch wird jedoch, wenn keine be-
368
') Zustimmend Ohhausen § 123 I. Verwandt ist der F e l d frieden (StGB. preufs. Feld- und Forst-Pol.G. § 9).
§117.
i . Der Hausfriedensbruch.
369
sondere Erschwerung vorliegt, stets nur bürgerlich gestraft und zu der niedern Gerichtsbarkeit gerechnet. Das Schweigen der p e i n l i c h e n H a l s g e r i c h t s , o r d n u n g h a t daher guten Grund. Im g e m e i n e n Recht tritt der Hausfriedensbruch in den Hintergrund, ohne jedoch völlig zu verschwinden. Meist fafste man die violatio securitatis domesticae als besonders benannten Fall der vis publica auf {Koch, Engau u. a.; Theresiana). ALR. 525 behandelt den Hausfriedensbruch im unmittelbaren Anschlufs an Notwehr und Selbsthilfe. Gesetzgebung und Wissenschaft stellten ihn teils zu den Freiheitsverbrechen (John, Schütze, Hälschner; Preufsen 1851), teils zu den strafbaren Handlungen gegen die öffentliche Ordnung. Letztern, zweifellos unrichtigen, Standpunkt nimmt auch RStGB. leider ein. II. R S t G B . Wohnung. zur
§123
schützt
zunächst
das Hausrecht
in
der
Wohnung aber sind jene Räume, welche Menschen
ordnungsmäfsigen
Nachtruhe
dienen. 2 )
Ein
„Gebäude"
( S t G B . § 243 Ziff. 2) ist nicht erforderlich; auch Schiffe, Künstlerwagen, Schäferkarren usw. gehören hierher.
D a s Gesetz
weiter der Wohnung gleich: G e s c h ä f t s r ä u m e , in welchen jemand übt;
seine
regelmäfsige
das b e f r i e d e t e , d. h.
Hausrechte
ergriffen b e z e i c h n e t e ,
schlossenen
Räume,
welche
Erwerbsthätigkeit
durch Einhegung
räumlich getrennte B e s i t z t u m
stellt
d. h. Räume,
wenn
einzelner 3 );
als
aus-
von
auch v o m
dem Hause
ferner jene a b g e -
zum ö f f e n t l i c h e n D i e n s t
be-
stimmt sind. D a s Hausrecht seinen
steht
Stellvertretern, zu;
dem
Inhaber
wenn
der W o h n u n g ,
bestimmte
Räume
bez.
einzelnen
Personen zugewiesen sind, haben diese (Hauslehrer, Dienstmädchen, Gäste);
bei Räumen, welche, wie Fluren, T r e p p e n , V o r -
räume u. dgl., zur Benutzung der Inhaber mehrerer W o h n u n g e n bestimmt sind, hat jeder von diesen das (durch die andern b e schränkte)
Hausrecht;
bezüglich
der
öffentlichen R ä u m e
der-
jenige, der über diese zu verfügen berechtigt ist. 4 ) III. D i e F ä l l e
des Hausfriedensbruches.
2 ) Abweichend R 16. April 85 12 132, v. Meyer 7 7 1 , Olskausen § 123 3 ; richtig Jäger 25. StGB. § 306 3 stellt den „Aufenthalt" der „Wohnung" in § 306 * entgegen. s ) Dagegen R 28. November/3. Dezember 89 20 150 (Einhegung bei erkennbarem Zusammenhange nicht erforderlich); vgl. Frank Z 12 295. *) Wird ein Raum zur Abhaltung von Versammlungen, Vergnügungen usw. uberlassen, so haben Einberufer und Leiter das Hausrecht. R 19. Mai 93 2 4 195.
von Liszt, Strafrecht. 6. Aufl.
24
370
§117-
I. Der Hausfriedensbrach.
1. Der e i n f a c h e Hausfriedensbruch (StGB . § 123 1. Abs.) begangen entweder a) durch widerrechtliches E i n d r i n g e n in die genannten Räume; d. h. durch ein Eingehen mit Überwindung eines entgegenstehenden Hindernisses, mag dieses auch nur in dem ausgesprochenen oder zu vermutenden Verbote, also in dem entgegenstehenden Willen des Berechtigten liegen ; b) dadurch, dafs derjenige, der in solchen Räumen ohne Befugnis verweilt, sich trotz Aufforderung des Berechtigten n i c h t e n t f e r n t (gegen den Verweilenden ist Notwehr, z. B. durch Hinauswerfen, zulässig). A n t r a g s v e r g e h e n . Antragsberechtigt ist der Träger des Hausrechts; und zwar auch dann, wenn er in der Person seines Stellv ertreters in seinem Hausrechte verletzt worden ist. S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Monaten oder Geldstraf e bis zu dreihundert Mark. Vgl. auch StGB. § 342.
2. E r s c h w e r t e r F a l l (StGB. § 123 3. A b s . ) ; vorliegend, wenn eine der unter I angeführten Handlungen von einer mit W a f f e n versehenenPersonodervon mehreren g e m e i n s c h a f t l i c h (oben § 50 Note 9) begangen wird. Das Wort „Waffe" ist im technischen Sinne (oben S. 303) zu nehmen; 5) bei dem Falle unter b genügt es, wenn die Waffe erst nach dem Eintreten ergriffen wurde. Der Thäter mufs wissen, dafs er eine Waffe bei sich trägt; weitergehende Absicht ist nicht erforderlich. "Von Amts wegen zu verfolgen. zu einem Jahre.
S t r a f e : Gefängnis von einer Woche bis
3. S c h w e r s t e r F a l l (StGB. § 124). Er liegt vor, wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammenrottet und in der Absicht (gleich Beweggrund), Gewaltthätigkeiten gegen Personen oder Sachen mit vereinten Kräften zu begehen, in die oben genannten Räume widerrechtlich eindringt. — Menschenm e n g e fordert eine ungeordnete Mehrheit, nicht eine ungemessene Vielheit von Personen; die Umstände des Einzelfalles müssen entscheiden, und jeder Versuch einer ziffermäfsigen 6 ) Ebenso Hälschner 2 154, v. Kries GA. 2 5 4 7 ; d a g e g e n die gem. Meinung; auch R 18. Januar 83 8 4 5 , Geyer 2 2 6 , v. Meyer 773 , Olshausen § 123 25.
§ Ii8.
2. Die Verletzung fremder Geheimnisse.
371
Abgrenzung ist verfehlt. Z u s a m m e n r o t t u n g ist die durch gemeinsame rechtswidrige Absicht zusammengehaltene, nach aufsen als geschlossene Gruppe hervortretende, räumliche Vereinigung mehrerer Menschen. Ö f f e n t l i c h erfolgt die Zusammenrottung, wenn der Anschlufs dem Publikum, also nicht einem geschlossenen Kreise bestimmter Personen, freisteht. Der Vorsatz mufs das Bewufstsein umfassen, Teil einer die genannten Zwecke verfolgenden Zusammenrottung zu sein. Die Absicht, selbst Gewaltthätigkeiten zu begehen, ist nicht erforderlich. S t r a f e : Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren. Sie trifft jeden, welcher an den bezeichneten Handlungen „teilnimmt" (nicht im technischen Sinn der Teilnahme).
§ 118.
2. Die Verletzung fremder Geheimnisse.
Litteratur. Sydow W V . 1 245. Kohler Das Recht an Briefen 1893. Hälschner 2 215. — Liebmann Die Pflicht des Arztes zur Bewahrung anvertrauter Geheimnisse 1886. Placzek Das Berufsgeheimnis des Arztes 1893. — Brunstein Der Schutz des Fabrik- und Geschäftsgeheimnisses 1887. Verhandlungen des 19. deutschen Juristentages 1 71, 3 239. Stoo/s Grundzuge 2 169. I. Das Rechtsgut, gegen welches sich die Verletzung fremder Geheimnisse richtet, ist das rechtlich geschützte Interesse an der Wahrung des personlichen uiid geschäftlichen Lebens vor unberufenem Eindringen; also ein eigenartiges, dem Hausrechte verwandtes Rechtsgut. Die freie Bethätigung des eignen Willens wird gehemmt und gefährdet, wenn jedem dritten der Einblick offen steht. Dieses Rechtsgut hat auch in der neuesten deutschen Gesetzgebung nur in der Gestalt des sogenannten B r i e f g e h e i m n i s s e s , als das Interesse an ausschliefslicher Kenntnisnahme von Schriftstucken, ausreichenden Schutz gefunden. Dagegen ist die Verletzung fremder F a m i l i e n g e h e i m n i s s e nur gewissen Personen gegenüber mit Strafe bedroht, und die Verletzung fremder F a b r i k s - und G e s c h ä f t s g e h e i m n i s s e ermangelt bisher (von den Bestimmungen der Patent- und Versicherungsgesetzgebung abgesehen) gänzlich der strafrechtlichen Ahndung. II. Die strafbare Verletzung des B r i e f g e h e i m n i s s e s 1 ) ist schon dem romischen Recht nicht völlig fremd geblieben (I. I § 38 D. 16, 3; I. 41 prooem. D . 9, 2). Gemeinrechtlich wird das Erbrechen von Briefen und Urkunden, die resignatio, zum falsum gerechnet und mit willkürlicher Strafe belegt (Tirol 1532 und 1573, Preufsen 1620 und 1721). Auf demselben Standpunkte steht noch A L R . 1370. Im 19. Jahrhundert gewinnt der Schutz des Briefgeheimnisses politische Färbung; sorgfältig werden die Fälle gesetzlich bestimmt, in ') Postgesetz vom 28. Oktober 1871 § 5. Telegraphengesetz vom 6. April 1892 § 8. StPO. § § 99—101. Konkursordnung § I i i . Laband 2 60. Zu beachten, dafs der staatsrechtliche und der strafrechtliche Begriff des Briefgeheimnisses sich n i c h t d e c k e n . 24*
§ 118.
2. Die Verletzung fremder Geheimnisse.
welchen der Staatsgewalt der Eingriff in das durch die Verfassungsurkunden für unverletzlich erklärte Briefgeheimnis offen stehen soll, und Übergriffe der Post- und Telegraphenbeamten als besondere Amtsvergehen (StGB. §§ 354 und 355) unter strenge Strafe gestellt.
RStGB. § 299, welcher unmittelbar Preufsen § 280, mittelbar A L R . 1370 entnommen ist, bedroht die vorsätzliche und unbefugte E r ö f f n u n g eines verschlossenen Schriftstücks („Brief oder andere Urkunde"; letztere nicht im technischen Sinne des § 267 StGB.), das nicht zu seiner Kenntnisnahme bestimmt ist Demnach besteht die Handlung in der Beseitigung (nicht notwendig Verletzung) des Verschlusses; erfolgte oder auch nur beabsichtigte Kenntnisnahme ist nicht erforderlich. V e r s c h l o s s e n ist das Schriftstück, wenn die Einsichtnahme nur nach Überwindung gewisser Hemmnisse möglich ist. Die Art des Verschlusses (Kleben, Siegeln, Nähen, Plombieren) ist gleichgültig; dagegen genügt blofses Zusammenfalten, Einschlagen in Papier, Umwickeln mit Bindfaden nicht; auch würden unverschlossene, aber in verschlossenem Schranke befindliche Urkunden sicher nicht hierher gehören. Die Eröffnung mufs „unbefiigterweise", d. h. r e c h t s w i d r i g , erfolgen; daher ist Bewußtsein der Widerrechtlichkeit auf Seiten des Thäters erforderlich (oben § 40 Note 4). Über den Wegfall der Rechtswidrigkeit gelten die allgemeinen Grundsätze (oben § § 3 1 ff.). Insbesondere kann ein Erziehungsrecht die Berechtigung zur Eröffnung verleihen. Die Stellung des Ehemannes zur Ehefrau bestimmt sich nach dem geltenden bürgerlichen Recht. B e i h i l f e von Post- und Telegraphenbeamten ist als selbständiges Amtsvergehen nach StGB. §§ 354 und 355 strafbar. G e w i n n s ü c h t i g e A b s i c h t (z. B. bei Eröffnung von Kursdepeschen) ist n i c h t als Erschwerungsumstand anerkannt. Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. Antragsberechtigt ist der E i g e n t ü m e r der verschlossenen Urkunde; bei Sendungen der Absender, so lange bis das Eigentum auf den Adressaten übergeht, also bei Postsendungen bis zur erfolgten Bestellung; später der Adressat.2) S t r a f e : Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten. s ) Übereinstimmend Geyer 2 39, Hälschner 2 217, v. Meyer 779, Ophausen § 299 8; dagegen Berner 610, Merkel 349 und HH. 3 844 u. a., welche sowohl den Absender als auch den Adressaten für antragsberechtigt erklären. Willkürliche Unterscheidungen bei Binding 1 625.
§ Il8.
2. Die Verletzung fremder Geheimnisse.
III. D i e O f f e n b a r u n g f r e m d e r G e h e i m n i s s e . Das RStGB. bedroht in § 300 lediglich die unbefugte Offenbarung von Privatgeheimnissen durch R e c h t s a n w ä l t e , A d v o k a t e n , Notare, V e r t e i d i g e r in S t r a f s a c h e n , Ärzte, Wundärzte, Hebammen, Apotheker, sowie d i e G e h i l f e n d i e s e r P e r s o n e n , wenn ihnen die Geheimnisse kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes anvertraut sind. P r i v a t g e h e i m n i s s e sind jene Thatsachen des Privatlebens, an deren Geheimhaltung derjenige, den sie betreffen, Interesse hat. Diese Thatsachen sind a n v e r t r a u t : 1. wenn sie mit der ausdrücklichen oder stillschweigenden Auflage der Geheimhaltung mitgeteilt sind; 2. wenn der Thäter ihre Kenntnis in Ausübung des Amtes, Berufes, Gewerbes erlangt hat. Was der Arzt, der Verteidiger, die Hebamme in dieser ihrer Berufstätigkeit wahrnehmen, i s t ihnen anvertraut, braucht ihnen nicht anvertraut zu w e r d e n . O f f e n b a r u n g ist Mitteilung an andre. Sie mufs unbefugt, d. h. w i d e r r e c h t l i c h , erfolgen. Nach allgemeinen Regeln wird durch Erfüllung der Berufspflicht (Mitteilung an das Familienhaupt von der venerischen Erkrankung des Sohnes, der Schwangerschaft des Dienstmädchens), Anzeige bei der Behörde usw. die Widerrechtlichkeit ausgeschlossen. Verfolgung wissenschaftlicher Interessen (Veröffentlichung von Krankengeschichten) schliefst an sich die Widerrechtlichkeit nicht aus. Dritte Personen können sich als Teilnehmer schuldig machen. V o r s a t z ist erforderlich; aufserdem Bewufstsein der Widerrechtlichkeit. Die Verfolgung tritt nur auf A n t r a g ein; antragsberechtigt ist der, d e s s e n Geheimnis in Frage steht, dessen Interessen also durch die Offenbarung verletzt werden.8) S t r a f e : Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten.
IV. StGB. § der Geheimnisse Weise geregelt. wertung fremder
300 hat die Strafbarkeit der Verletzung fremin einer die Landesgesetzgebung bindenden Diese ist daher nicht in der Lage, die VerGeheimnisse oder die Verletzung öffentlicher
8) Ebenso Liebmann 49, v. Meyer 781; dagegen R 22. Oktober 85 1$ 60, Binding 1 626, Merkel 350, Olshausen § 300 11.
§ Il8.
2, Die Verletzung fremder Geheimnisse.
und gesetzlich anerkannter Verpflichtung zur Verschwiegenheit (z. B. der Handelsmäkler, der Fabrikinspektoren usw.) unter Strafe zu stellen,4) Nur in Bezug auf die Betriebsgeheimnisse hat die neuere Reichsgesetzgebung eine Ergänzung des § 300 StGB, gebracht. Das Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 kennt einen leichtern und einen schwerern Fall der Verletzung fremder Geheimnisse von Seiten der Mitglieder der Genossenschaftsvorstände, deren Beauftragten (§§ 82 und 83) und der nach § 83 ernannten Sachverständigen. Übereinstimmend die Gesetze vom 6. Mai 1886 (§§ 127, 128) und 11. Juli 1887 (§ 49), sowie das Gesetz vom 22. Juni 1889 (§§ 152, 153). a) L e i c h t e r e r F a l l (§ 107). Die genannten Personen werden mit Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft, wenn sie u n b e f u g t B e t r i e b s g e h e i m n i s s e o f f e n b a r e n , welche kraft ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis gelangt sind. Vorsatz ist erforderlich.6) Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Betriebsunternehmers ein. b) S c h w e r e r F a l l (§ 108). Dagegen ist Gefängnis, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, angedroht, wenn die genannten Personen a b s i c h t l i c h (soviel wie vorsätzlich) zum N a c h t e i l e d e r B e t r i e b s u n t e r n e h m e r Betriebsgeheimnisse, welche kraft ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis gelangt sind, offenbaren, oder geheimgehaltene Betriebseinrichtungen oder Betriebsweisen, welche kraft ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis gelangt sind, nacha h m e n , solange als diese noch Betriebsgeheimnisse sind. Thun sie dies, um sich oder einem andern einen (nicht notwendig rechtswidrigen) Vermogensvorteil zu verschaffen, so kann neben der Gefängnisstrafe auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden.
*) Ebenso Hdlschner 2 217. Daher kann die hier einschlagende Bestimmung des Art. 418 c. pénal nicht als fortbestehend betrachtet werden. Andrer Ansicht R 3. Januar 87 15 141, sowie Olshausen § 300 1. 6 ) Dagegen Appelius NG. 915, der die gleiche Fassung des § 300 StGB, übersehen hat.
§ 119.
Störung des Rechtsfriedens,
Überblick.
375
VII. Strafbare Handlungen gegen den Rechtsfrieden. § 119.
Überblick.
Litteratur. yohn Landzwang und widerrechtliche Drohungen 1852. Glaser Abhandlungen 1858. Geyer HH. 3 582. Bruck Verbrechen gegen die Willensfreiheit 1875. Hälschner 2 129, 487. I. R e c h t s f r i e d e n ist das Bewufstsein der Rechtssicherheit, das Vertrauen auf die schützende Macht der Rechtsordnung. Der Rechtsfrieden ist v e r l e t z t , s obald dieses Vertrauen, wenn auch nur vorübergehend, durch die Besorgnis vor rechtswidriger Gewalt gestört w i r d ; er ist g e f ä h r d e t , wenn die nahe Möglichkeit einer Störung jenes Vertrauens gegeben ist. Es ist durchaus zulässig, dem Rechtsfrieden des e i n z e l n e n den ö f f e n t l i c h e n Frieden, als das der Gesellschaft innewohnende Bewufstsein der Rechtssicherheit, entgegenzustellen und die B e d r o h u n g d e s e i n z e l n e n von der Störung des ö f f e n t l i c h e n Friedens zu sondern. Allein diese Unterscheidung ist weder notwendig noch zweckmäfsig. Denn der Inhalt des rechtlich geschützten Interesses ist hier wie dort der gleiche, wie j a auch die Gesellschaft im Gegensatz zur s t a a t l i c h geordneten Gemeinschaft nur als die unbestimmte Vielheit der einzelnen erscheint. II. Im römischen Recht trägt das c r i m e n v i s , trotz der stets zweifelhaften und schwankenden Unterscheidung von vis publica und privata, in allen seinen Erscheinungsformen die Eigenart einer Störung des öffentlichen Friedens. Nur dieser legislative Grundgedanke verbindet die verschiedenartigen Einzelfälle: Das Tragen von Waffen, Aufstand und Aufruhr, Plünderung von Häusern, Einfall in unbewegliches Gut, gewaltsames stuprum, Brandstiftung, Einsperrung, Erpressung, Entführung, Übergriffe der Beamten, Störung der gerichtlichen Thätigkeit. Nur örtliche Bedeutung hat der S k o p e l i s m u s (1. 9 D. 47, I i ) , der dem gemeinrechtlichen Landzwang verwandt ist. Dieser weitumfassende, wenig klare Begriff begegnet sich mit den F r i e d e n s s t ö r u n g e n des deutschen Mittelalters, dem Bruch der vereinbarten und gesetzlichen Landfrieden (oben § 4 Note 14), des Stadtfriedens, des Gerichts-, Heeres-, Kirchen-, Marktfriedens, des gelobten und gebotenen Friedens (der noch heute im Rechte der Schweizerkantone seine Rolle spielt). Daneben treten als besonders benannte hierher gehörige Vergehungen das nur willkürlich bestrafte F u r w a r t e n („Verwegwarten" im Frankfurter Stadtrecht 1578) und die mit der Schwertstrafe bedrohte W e g e l a g e r u n g (via lacina im fränkischen Recht, obsessio viarum bei Engau und Böhmer), beide bis ins gemeine Recht erhalten, hervor. P G O . bedroht in Art. 128 den L a n d z w a n g , das bösliche Austreten, verwandt mit Raub, Erpressung, Brandschatzung, und in Art. 129 die b ö s l i c h e B e f e h d u n g (diffidatio; noch Österreich 1768) mit dem Schwert. Daneben beschäftigt sich noch die Reichsgesetzgebung des 16. Jahrhunders (Landfrieden von 1548, Reichsabschied von 1594) mit dem L a n d f r i e d e n s b r u c h , zu welchem auch die Störung des Religionsfriedens gerechnet wird, und bedroht ihn mit der Reichsacht. Das
376
§ I20.
I. Die Bedrohung.
gemeine Recht bemüht sich vergebens, den allgemeinen Begriff der vis zu bestimmen, und hebt neben ihm, welcher aushilfsweise Anwendung findet, eine ganze Reihe von „benannten Fällen" der öffentlichen Gewalttätigkeit (wie noch das geltende österreichische Recht) hervor. Auch werden die nicht gegen einzelne, sondern gegen die S t a a t s g e w a l t selbst gerichteten Fälle allmählich ausgeschieden. Bei B e d r o h u n g des einzelnen durch Personen, „von denen man sich aus erzeigten Ursachen Übels oder Missethat warten mufs", kennt PGO. 176 nur Sicherungsmafsregeln („Dräubürgen", security for keeping the peace, Friedensbürgschaft), nicht Strafe (ähnlich noch ALR. 44). Auch die h e u t i g e G e s e t z g e b u n g ist zu bestimmten und klaren Begriffen nicht gelangt und sieht sich daher gezwungen, die Lücken des gemeinen Rechts durch Ausnahmebestimmungen von zweifelhaftem Werte zu ergänzen, um diese alsbald wieder als wirkungslos zu beseitigen. 1 )
§ 120.
1. Die Bedrohung.
Die B e d r o h u n g erscheint, von positivrechtlichen Beschränkungen abgesehen, als die Störung des Rechtsfriedens durch Androhung rechtswidriger Zufügung eines Nachteils. *) Das RStGB. verlangt in § 241 d i e B e d r o h u n g e i n e s a n d e r n mit d e r B e g e h u n g e i n e s V e r b r e c h e n s . An Stelle der „Störung des Rechtsfriedens" hat es einen engern, vielleicht zu engen, aber praktisch leicht handbaren Begriff gesetzt. Und daraus folgt, dafs zur Vollendung zwar Kenntnisnahme des Bedrohten (und zwar mit Willen des Drohenden) von der gegen ihn gerichteten Drohung,2) n i c h t aber thatsächlich erfolgte Störung in seiner Rechtssicherheit erforderlich ist. Die angedrohte Handlung mufs sich objektiv (also nach StGB. § 1) als ein Verbrechen darstellen; ein Irrtum desThäters über diese ihre Eigenschaft ist einflufslos. Persönliche Eigenschaften und Verhältnisse des Thäters bleiben aulser Betracht. Es genügt, wenn das Verbrechen nur mittelbar den Angegriffenen berührt (z. B. Drohung mit der Ermordung eines Angehörigen), ' ) Das Reichsgesetz vom 21. Oktober 1878 gegen sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische, auf den Umsturz der bestehenden Staatsoder Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen ist nicht wieder erneuert worden. Aus der reichen Litteratur der Frage vgl. insbesondere: Kulemann Die Sozialdemokratie und deren Bekämpfung 1890. Stengel WV. 2 458. J ) Es ist daher ebenso unrichtig, die Bedrohung in den Freiheitsverbrechen aufgehen zu lassen, wie Geyer 2 22, Hälschner 2 129, Schütze 411 dies thun, als sie lediglich, wie Binding Normen 2 523, L'oning 107, v. Rohland Gefahr S. 7, als Gefährdungsvergehen aufzufassen. Für die richtige Ansicht v. Meyer 768; auch Stoofs Grundzüge 2 176 („Gefühl" der Rechtssicherheit). *) Über diesen Begriff vgl. oben § 97.
§ Iii.
2. Die übrigen Friedensstörungen.
377
vorausgesetzt, dafs die Handlung, wenn auch nur vermöge dieser mittelbaren Beziehungen, für den Angegriffenen selbst als eine Störung seines Rechtsfriedens sich darstellt. Mark.
S t r a f e : Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu dreihundert Antragserfordernis 1876 beseitigt.
§ 121.
2. Die übrigen Friedensstörungen.
I. D e r L a n d z w a n g , d. h. die Störung des öffentlichen Friedens durch gefährliche Bedrohung; nach StGB. § 126 durch Bedrohung mit einem gemeingefährlichen Verbrechen (StGB. 27. Abschnitt). Das Vergehen ist vollendet, sobald die Bedrohung zu öffentlicher Kenntnis gelangt Der Vorsatz mufs sämtliche Begriffsmerkmale umfassen. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre.
II. D e r L a n d f r i e d e n s b r u c h . Nach § 125 StGB, ist Landfriedensbruch: die Teilnahme an einer öffentlichen Zusammenrottung, wenn von der zusammengerotteten Menschenmengemit vereinten Kräften Gewalttätigkeiten an Personen oder Sachen begangen werden. Die T e i l n a h m e an einer Zusammenrottung setzt nicht nur körperlichen Anschlufs an diese, sondern auch das Bewufstsein voraus, Teil einer strafbare Zwecke verfolgenden Rotte zu sein. Zur Strafbarkeit nach § 125 ist aber weiter die Kenntnis erforderlich, dafs von der Rotte mit vereinten Kräften Gewaltthätigkeiten begangen werden. 2 ) Die V o l l e n d u n g tritt mit der Begehung der Gewaltthätigkeiten für alle an der Zusammenrottung beteiligten Personen ein. S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten; die R ä d e l s f ü h r e r (ob. § 5 1 Note 3) sowie diejenigen, welche Gewaltthätigkeiten gegen Personen begangen oder Sachen geplündert ( p l ü n d e r n heifst hier unter Benutzung des durch den Landfriedensbruch verursachten Schreckens wegnehmen; vgl. MiLStGB § 129), vernichtet oder zerstört haben, trifft Zuchthaus bis zu zehn Jahren, nach Ermessen mit Stellung unter Polizeiaufsicht, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten.
HL A n s a m m e l n v o n W a f f e n u n d S t r e i t k r ä f t e n . Strafbar ist: ') Vgl. über die einzelnen Begriffsmerkmale oben S. 370. — Begehung durch einzelne genügt nicht. Dagegen R 6. März 90 2 0 303. 2 ) Ebenso R 16. Mai, 20. Mai 90 20 403, 405; vgl. dazu Frank Z 12 296.
37»
§121.
2. Die übrigen Friedensstörungen.
1. Wer unbefugterweise einen bewaffneten Haufen bildet oder befehligt oder eine Mannschaft, von der er weifs, dafs sie ohne gesetzliche Befugnis gesammelt ist, mit Waffen oder Kriegsbedürfnissen versieht (StGB. § 127 A b s . 1). Die „Mannschaft" unterscheidet sich durch die bereits vorhandene Mannszucht von dem „Haufen". „Waffe" ist im technischen Sinne zu nehmen (oben S. 303). Gestattete Aufzüge von Schützenvereinen, Jagdgesellschaften, Maskengruppen erscheinen nicht als „unbefugte". 2. Wer sich einem solchen bewaffneten Haufen (oder einer gesammelten Mannschaft) anschliefst (StGB. § 127 Abs. 2). S t r a f e : im ersten Falle Gefängnis bis zu zwei Jahren, im zweiten bis zu einem Jahre. ¡J
3. Wer aufserhalb eines Gewerbebetriebes heimlich oder wider das Verbot der Behörde Vorräte von Waffen oder Schiefsbedarf aufsammelt (StGB. § 360 Ziff. 2). S t r a f e : Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder Haft. E i n z i e h u n g zulässig, ohne Rücksicht darauf, ob die Gegenstände dem Verurteilten gehören oder nicht.
IV. Gefahrdung des öffentlichen Friedens durch ö f f e n t l i c h e A n r e i z u n g verschiedener Klassen der Bevölkerung zu G e w a l t t h ä t i g k e i t e n gegeneinander (StGB. § 130). Die Fassung des aus dem französischen Rechte in das Preufs. StGB. (§ 100, sog. „Hafs- und Verachtungsparagraph") und aus diesem in das RStGB. übergegangenen Paragraphen ergibt (durch die W o r t e : „Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise . . . . anreizt") deutlich, dafs erfolgte Gefahrdung des öffentlichen Friedens im technischen Sinne des Wortes erforderlich und erst mit ihrem Eintritte das Vergehen vollendet ist. A b e r wohlgemerkt: nicht V e r l e t z u n g , sondern G e f ä h r d u n g wird erfordert; thatsächliche S t ö r u n g des Bewufstseins der Rechtssicherheit ist begrifflich gleichgültig. Der Frieden ist gefährdet, sobald die nahe Möglichkeit und damit die gegründete Besorgnis gegeben ist, dafs es bei nächstem Anlasse zu Gewaltthätigkeiten kommen werde. Der Vorsatz mufs die Gefährdung mitumfassen; dafs die Absicht auf diese gerichtet sei, ist nicht erforderlich. „ K l a s s e n d e r B e v ö l k e rung" sind verschiedene durch gemeinsame Anschauungen und
§121.
2. Die übrigen Friedensstörungen.
379
Interessen miteinander verbundene und dadurch von andern abgegrenzte Personenkreise;s) z. B. die Bourgeoisie, die Arbeiter, die Fabriksbesitzer, die Agrarier; Deutsche, Polen, Franzosen; Juden, Katholiken, Freimaurer usw. Uber den Begriff „ A n r e i z e n " vgl. oben § 51 Note 3. Strafe: zwei Jahren.
Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu
V . Gefährdung des öffentlichen Friedens durch Mi f s b r a u c h d e r g e i s t l i c h e n S t e l l u n g . StGB. § 130a, der sogenannte Kanzelparagraph,4) bedroht den Geistlichen oder jeden anderen Religionsdiener, welcher in Ausübung (während dieser) oder in Veranlassung der Ausübung (innerer Zusammenhang erforderlich) seines Berufes 1. öffentlich vor einer Menschenmenge oder in einer Kirche oder einem andern zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte vor mehreren Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung macht; oder 2. Schriftstücke ausgibt oder verbreitet, in welchen Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung gemacht sind. R e l i g i o n s d i e n e r ist jeder, welcher zur Vornahme gottesdienstlicher Handlungen berufen ist. G e i s t l i c h e sind die Religionsdiener der christlichen Bekenntnisse. A n g e l e g e n h e i t e n d e s S t a a t e s stehen im Gegensatze zu privaten Angelegenheiten einerseits, rein kirchlichen anderseits; Anordnungen einzelner Behörden oder Beamten sind nicht ausgeschlossen. Auch hier ist thatsächlich erfolgte G e f ä h r d u n g (also die nahe Möglichkeit der Störung) des öffentlichen Friedens, wenn auch nicht durch Gewaltthätigkeiten, im Einzelfalle *) Etwas zu eng R 4. Januar 92 22 293, wo die gesellschaftliche Gliederung einseitig betont wird. *) Der erste Absatz des sogen. Kanzelparagraphen wurde aufgenommen durch Ges. vom 10. Dezember 1 8 7 1 . Ähnliche Bestimmungen fanden sich bereits in mehreren Landes-StGBiichern, wie in c. pénal 199 bis 208 (troubles apportés à l'ordre public par les ministres des cultes dans l'exercice de leur ministère). Auch gemeinrechtlich als proditio strafbar. — Der zweite Abs. wurde aufgenommen durch die Novelle vom 26. Februar 1876.
§122.
i . Die Verletzung des schriftstellerischen Urheberrechts.
erforderlich-
D e r Vorsatz
mithin
die Gefahrdung des öffentlichen Friedens.
auch
umfafst sämtliche Begriffsmerkmale, Dritte
Personen können sich an diesem, wie an j e d e m Standesvergehen, als mittelbare Thäter, sowie als Anstifter oder Gehilfen beteiligen. S t r a f e : Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren.
Dritter Absehnitt.
Strafbare Handlungen gegen Urheberrechte (Individualrechte).1} § 122.
i. D i e V e r l e t z u n g des s c h r i f t s t e l l e r i s c h e n Urheberrechts.
Litteratur. Klostermann Das Urheberrecht an Schrift- und Kunstwerken 1876. 0. v. Wächter Das Autorrecht 1875. Daude Lehrbuch des deutschen Urheberrechts 1888. v. Bar Internationales Privatrecht 2 233. Schuster Das Urheberrecht an Werken der Tonkunst 1891. Dambach Fünfzig Gutachten 1891. Köhler Das litterarische und ästhetische Kunstwerk und sein Autorschutz 1892. Osterrieth Neues und Altes vom Urheberrecht 1892. Scheele Das deutsche Urheberrecht an litterarischen, künstlerischen und photographischen Werken 1892. Allfeld Die Reichsgesetze betr. das litterarische und artistische Urheberrecht 1893. — Seuffert StG. 1 49. Stenglein NG. I. v. Calker Delikte gegen die Urheberrechte 1894. — Gesetze über das Urheberrecht im In- und Ausland nebst den internationalen Litteraturverträgen, 1890. I.
Begriff
Urheberrecht
ist
und das
Geschichte. rechtlich
Das
geschützte
schriftstellerische
Interesse
des
Ver-
fassers eines Schriftwerkes, einer Abbildung, einer musikalischen Komposition oder eines dramatischen Werkes, also des Schriftstellers, Zeichners
und Komponisten,
seine geistige S c h ö p f u n g
durch Veröffentlichung ausschliefslich zu verwerten. Der rechtliche Schutz des Urheberrechts ist ebenso neuern Ursprungs wie seine richtige wissenschaftliche Auffassung. Dem römischen und mittelalterlich deutschen wie auch dem altern gemeinen Recht unbekannt, entwickelt sich das Urheberrecht allmählich aus den Druckerprivilegien, welche landesrechtlich seit dem 15. Jahrhundert sich finden, aber nur für das betreffende Land Wirk' ) Vgl. oben § 79 Note I.
§ 122.
i . Die Verletzung des schriftstellerischen Urheberrechtes.
381
samkeit haben. Nur mühsam bricht sich, insbesondere im 18. Jahrhundert, die Erkenntnis Bahn, dafs der von zahlreichen Schriftstellern von Luther bis auf Kant gebrandmarkte Nachdruck als Eingriff in den Rechtskreis des Verfassers ein staatlich zu ahndendes Vergehen darstelle. Die gemeinrechtlichen Schriftsteller behandeln das plagium litterarium als einen Fall des Diebstahls (Kock unter Berufung auf Thomasius) oder des Betruges (Gmelin). Noch ALR. 1294 hält an der vermögensrechtlichen Auffassung des Büchernachdruckes fest, den es als strafbaren Eigennutz zwischen der Überschreitung der Taxen beim Verkauf von Lebensmitteln und dem Glückspiel behandelt, und schützt nur die „Königlichen Unterthanen". Erst die Gesetzgebung des deutschen Bundes (1837 und später) stellt einheitliche Grundsätze über die Voraussetzungen und •die Bestrafung des Nachdruckes auf. Die Wissenschaft arbeitet gleichzeitig an der richtigen Auffassung des geschützten Rechtsgutes; sie verwirft den durchaus unbrauchbaren Gedanken eines „geistigen Eigentums"; sie erkennt allmählich, dafs dem Urheberrecht, trotz seiner vermögensrechtlichen Seite, wegen seines Zusammenhanges mit der individuellen Schaffenskraft, ein Platz aufserhalb der Vermögensvergehen gebührt, freilich ohne dafs bisher eine Einigung über die richtige Bestimmung dieses Platzes erzielt werden konnte. Unter dem Einflüsse der Wissenschaft nimmt die Gesetzgebung unsrer Tage einen kräftigen Aufschwung, wobei sie freilich, wie sonst, die strafrechtliche Seite des Rechtsschutzes über Gebühr betont. Nur in einem Punkte bedarf sie noch weitrer Entwicklung: um der Gegenseitigkeit willen mufs die Gleichstellung inländischer und ausländischer Rechtsgüter, sei es auf dem Wege einzelner Staatsverträge, sei es durch Gründung eines internationalen Vereins, angestrebt werden. Aber auch hier sind durch die Berner Übereinkunft vom 9. September 1886 (RGBl. 1887 S. 493), betreffend die Bildung eines internationalen Verbandes zum Schutze von Werken der Litteratur und Kunst, geschlossen zwischen Deutschland, Belgien, Spanien, Frankreich, Grofsbritannien, Italien, der Schweiz und einigen kleinern Staaten, die Grundlagen geschaffen, auf welchen eine weitre Ausgestaltung des Rechtsschutzes in gedeihlicher Weise erfolgen kann. Das Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken vom 1 1 . Juni 1870 (nachgebildet dem preufsischen Gesetz vom I i . Juni 1837) findet Anwendung (§ 6 1 ) : 1. Auf alle Werke i n l ä n d i s c h e r Urheber, mögen sie im Inlande oder Auslande erschienen oder überhaupt noch nicht veröffentlicht sein; 2. auf Werke a u s l ä n d i s c h e r Urheber, wenn sie bei Verlegern erscheinen, welche im Gebiete des Deutschen Reiches ihre Handelsniederlassung haben. E r s c h e i n e n ist soviel wie ausgegeben werden. ') Vgl, v. Liszt Prefsrecht § 42 5. — Über die Strafbarkeit der im Auslande begangenen Handlungen vgl. oben S. 82.
§ 122.
I. Die Verletzung des schriftstellerischen Urheberrechts.
IL D e r e i g e n t l i c h e N a c h d r u c k . 1. Nachdruck ist die m e c h a n i s c h e V e r v i e l f ä l t i g u n g a) e i n e s S c h r i f t w e r k e s ; b) geographischer,topographischer, naturwissenschaftlicher, architektonischer, technischer und ähnlicher Z e i c h n u n g e n u n d A b b i l d u n g e n , welche nach ihrem Hauptzwecke nicht als Kunstwerke zu betrachten sind; c) m u s i k a l i s c h e r K o m p o s i t i o n e n ; —und zwar o h n e G e n e h m i g u n g d e s B e r e c h t i g t e n u n d in d e r A b s i c h t (gleich Beweggrund), den Nachdruck innerhalb oder aufserhalb des Deutschen Reiches zu v e r b r e i t e n (§§ 4 —7, 18, 43 f., 45 ff.). Die Ü b e r s e t z u n g gilt unter gewissen Voraussetzungen (§ 6) als Nachdruck, wird aber umgekehrt, wenn rechtmäfsig, ebenso wie das Original geschützt. Als Nachdruck erscheinen auch Umgestaltungen, wie die Dramatisierung eines Romans, die Übertragung für ein anderes Instrument usw., vorausgesetzt, dafs dabei keine selbständige Neuschöpfung stattfindet. Über den Begriff der Verbreitung vgl. oben § 108 Note 4. Dem Nachdrucke steht gleich die u n b e f u g t e ö f f e n t l i c h e (d. h. nicht vor geschlossenem Kreise erfolgende) A u f führung eines dramatischen, musikalischen oder d r a m a t i s c h - m u s i k a l i s c h e n W e r k e s , mag die Aufführung eine vollständige sein oder mit unwesentlichen Änderungen vor sich gehen 50 und 54). 2. Strafbar ist die v o r s ä t z l i c h e o d e r f a h r l ä s s i g e V e r a n s t a l t u n g eines Nachdrucks, sowie die v o r s ä t z l i c h e o d e r f a h r l ä s s i g e V e r a n l a s s u n g eines andern zur Veranstaltung eines Nachdrucks (§§ 8, 20, 54). V e r a n s t a l t u n g ist gleichbedeutend mit Thäterschaft. Regelmäfsig wird der Verleger als Thäter erscheinen, der Drucker dann, wenn er weifs, dafs es sich um einen Nachdruck handelt.2) Im übrigen sind die allgemeinen Grundsätze über Thäterschaft und Teilnahme anzuwenden. V e r a n l a s s u n g ist Bestimmung eines andern, also im wesentlichen gleich Anstiftung, umfafst aber hier ausnahmsweise auch fahrlässige Bestimmung sowie vorsätzliche Bestimmung zu fahrlässigem Thun (oben § 51 Note 1). 2 ) Ebenso die gem. Meinung. Dagegen (sicher unrichtig) Stenglein NG. 19, der nur eine physische Thäterschaft anerkennen will. Vgl. dazu oben § 5° H.
§ 122.
I. Die Verletzung des schriftstellerischen Urheberrechts.
3. S t r a f e für Veranstaltung wie Veranlassung: Geldstrafe bis zu dreitausend Mark, die im Falle der Uneinbringlichkeit nach Mafegabe der allgemeinen Strafgesetze in eine entsprechende Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten umzuwandeln ist. Rückfallsschärfung ist ausgeschlossen (§ 23). 4. Der Veranstalter bleibt straffrei, wenn er auf Grund entschuldbaren, thatsächlichen oder rechtlichen Irrtums in gutem Glauben gehandelt hat ( § 1 8 Abs. 2). Somit schliefst auch der Mangel des Bewufstseins der Rechtswidrigkeit, wenn er auf einem entschuldbaren Irrtume beruht, die Strafbarkeit aus (oben § 40 Note 5). 5. Statt der Entschädigung kann neben der Strafe auf Verlangen des Beschädigten auf eine an diesen zu erlegende G e l d b u f s e bis zum Betrage von sechstausend Mark erkannt werden. Die dazu Verurteilten haften als Gesamtschuldner. Zuerkennung der Bufse schliefst die Geltendmachung eines weitern Entschädigungsanspruches aus (§§ 18 und 54). 6. Die vorrätigen N a c h d r u c k s e x e m p l a r e und die zur widerrechtlichen Vervielfältigung ausschliefslich bestimmten V o r r i c h t u n g e n unterliegen der E i n z i e h u n g (¡5 21) und sind, nachdem auf diese rechtskräftig erkannt worden ist, entweder zu vernichten oder ihrer gefährdenden Form zu entkleiden und alsdann dem Eigentümer zurückzugeben. Die Einziehung erstreckt sich auf alle Exemplare und Vorrichtungen, die sich im Eigentume des Veranstalters des Nachdruckes, des Druckers, der Sortimentsbuchhändler, der gewerbsmäfsigen Verbreiter und desjenigen, der den Nachdruck veranlafst hat, befinden. Die Einziehung tritt auch dann ein, wenn der Veranstalter oder Veranlasser des Nachdruckes weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt hat. Sie erfolgt auch gegen deren Erben. Der Antrag auf Einziehung ist so lange zulässig (§ 36), als solche Exemplare oder Vorrichtungen vorhanden sind.J 7. Das Vergehen des Nachdruckes ist v o l l e n d e t , sobald ein Nachdrucksexemplar, sei es im Gebiete, sei es aufserhalb des Deutschen Reichs, hergestellt worden ist, mag auch mit der Verbreitung noch nicht einmal begonnen worden sein (§ 22). Im Falle des V e r s u c h e s tritt weder Bestrafung noch Entschädigungsverbindlichkeit ein. Die Einziehung der Vorrichtungen erfolgt jedoch auch in diesem Falle. 8. Der Nachdruck ist A n t r a g s v e r g e h e n . Antrag rücknehmbar bis zur Verkundung eines auf Strafe lautenden Erkenntnisses (§ 27). Antragsberechtigt ist jeder in seinem Urheber- oder Verlagsrechte Beeinträchtigte (§ 28). Das Antragsrecht entfällt, wenn der Antrag nicht binnen drei Monaten nach erlangter Kenntnis von dem begangenen Vergehen und von der Person des Thäters gestellt wird (§ 36). 9. Das Vergehen des Nachdruckes v e r j ä h r t in drei Jahren, von dem Tage, an welchem die Verbreitung der Nachdruckexemplare zuerst stattgefunden hat, also nicht schon mit der bereits durch Herstellung eines Exemplars gegebenen Vollendung (§ 33).
2
§ 123.
384
HI. D i e lerischen 1.
- Die übrigen Verletzungen von Urheberrechten,
übrigen Verletzungen
Vorsätzliche
Quellenangabe stattetem
des
schriftstel-
Urheberrechts. oder
fahrlässige
(das Plagiat:
Abdrucke
bereits
§ 24),
Unterlassung soweit
veröffentlichter
diese
der
bei
Schriften
ge-
vorge-
schrieben ist (§ 7a). S t r a f e gegen den Veranstalter und Veranlasser des Abdruckes: Geldstrafe bis zu sechzig Mark. Umwandlung in Freiheitsstrafe ist ausgeschlossen. Eine Entschädigungspflicht tritt nicht ein. A n t r a g s v e r g e h e n ; das oben II 8 Gesagte findet auch hier Anwendung. Das Vergehen v e r j ä h r t in drei Monaten von dem Tage, an welchem der Abdruck zuerst verbreitet worden ¡st (§ 37)2. D a s v o r s ä t z l i c h e V e r b r e i t e n v o n exemplaren
Nachdrucks-
(das g e w e r b s m ä f s i g e Feilhalten, V e r k a u f e n usw.;
§ 25). S t r a f e : wie oben I I 3 ; G e l d b u f s e : wie oben II 5. Einziehung findet auch dann statt, wenn der Verbreiter nicht vorsätzlich gehandelt hat. Veranstalter und Veranlasser des Nachdrucks trifft Entschädigungspflicht und Strafe, wenn sie nicht schon als solche entschädigungspflichtig und strafbar sind ( § 25). A n t r a g s v e r g e h e n wie oben II 8. Die V e r j ä h r u n g tritt in drei Jahren ein. Sie beginnt mit dem Tage, an welchem die Verbreitung zuletzt stattgefunden hat. § 123.
2. D i e
übrigen Verletzungen
von
Urheberrechten.
L i t t e r a t u r . Aufser den zu § 122 angeführten Schriften: Lastig Markenrecht und Zeichenregister 1890. Dambach Musterschutzgesetz 1876. O.v. Wächter Das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste, Photographieen und gewerblichen Mustern 1877. Köhler Patentrecht 1878 und Das Recht des Markenschutzes 1884. Meili Das Markenstrafrecht 1888. La/s Das Urheberrecht an Gebrauchsmustern 1892. Robolski HSt. 5 125. Stcnglein NG. 46. Appclius NG. 112. I. V e r l e t z u n g der bildenden
des
Künste,
Urheberrechtes nach
an
Werken
dem Gesetze v o m 9. Januar
1 8 7 6 § 5 b e g a n g e n durch unbefugte Nachbildung eines solchen W e r k e s , in der A b s i c h t , sie zu verbreiten. 2 — 9 , III 1 und 2 G e s a g t e Es
handelt sich
um
Der
D a s oben § 1 2 2 II
auch hier A n w e n d u n g (§ 16).
ein, dem schriftstellerischen Urheberrecht
durchaus gleichstehendes, Rechtsgut.
findet
v o n diesem nur äufserlich getrenntes
internationale
Rechtsschutz
umfafst
dieses
wie jenes. Auf die Baukunst findet das Gesetz keine Anwendung ( § 3); es bezieht sich also nur auf die zeichnenden und malenden Künste einerseits, die Plastik
§ 123.
2. Die übrigen Verletzungen von Urheberrechten.
anderseits. Bei Porträts und Porträtbusten geht das Nachbildungsrecht auf den Besteller über (§ 8). Auf Einzelkopieen darf Name oder Monogramm des Urhebers bei Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark nicht angebracht werden (§ 6 Ziff. 1). Durch Verwendung zu gewerblichen Zwecken wird der Schutz des Gesetzes ausgeschlossen.
II. V e r l e t z u n g d e s U r h e b e r r e c h t s a n P h o t o g r a p h i e e n , nach dem Gesetz vom 10. Januar 1876 ^ 3 begangen durch unbefugte mechanische Nachbildung eines photographischen Werkes in Verbreitungsabsicht. Auch hier gelten die oben § 122 II 2—9, III 1 und 2 angeführten Grundsätze (§ 9). Auch hier geht bei Bildnissen (Porträts) das Recht der Vervielfältigung auch ohne Vertrag von selbst auf den Besteller über 7). — Besondere Bestimmungen über den Schutz der Photographieen waren notwendig, da sie nicht ohne weiteres als Werke der „bildenden Kunst" betrachtet werden können. EI. V e r l e t z u n g d e s U r h e b e r r e c h t s a n n e u e n und e i g e n t ü m l i c h e n Geschmacksmustern und M o d e l l e n , d. h. an solchen Vorbildern für Gebrauchsgegenstände, deren Verwendung eine den Geschmack befriedigende Wirkung zu erzielen bestimmt ist, nach dem Gesetz vom 11. Januar 1876 § 5 begangen durch unbefugte Nachbildung eines Flachmusters oder Modelles in Verbreitungsabsicht. Das oben § 122 II 2—9, III 2 Gesagte ist auch hier anzuwenden (S 14). In England und Frankreich seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts anerkannt, war dem deutschen Rechte der M u s t e r s c h u t z , mit Ausnahme der Länder des franzosischen Rechts, bis in die letzten Jahre fremd geblieben. Erst seit der Vereinigung von Elsafs-Lothringen mit dem Mutterlande führten die lebhaften Bestrebungen der dortigen Industrie zur Erfassung des Reichsgesetzes von 1876. Dieses steht auf streng nationalem Standpunkte und schützt nur die Muster und Modelle inländischer Urheber. Eine Erweiterung ist durch Staatsverträge mit auswärtigen Staaten geschaffen worden; dagegen hat das Deutsche Reich den Beitritt zum Pariser Vertrag vom 20. März 1883, betreffend den Schutz des gewerblichen Eigentums, abgelehnt. Nur g e w e r b l i c h e Muster und Modelle (Geschmacksmuster) werden geschützt, wenn sie neue und eigentumliche Erzeugnisse sind; nicht aber künstlerische oder technische ErDoch werden die Nachbildungen usw. nicht vernichtet, sondern auf Kosten und nach Wahl des Eigentümers entweder i]irer gefährdenden Form entkleidet oder bis zum Ablauf der Schutzfrist amtlich aufbewahrt. v o n L i s z t , Strafrecht.
6. Aufl.
25
386
§ 123-
2. Die übrigen Verletzungen von Urheberrechten.
findungen. Uber die Person des Berechtigten enthält § 2, über Nachbildungen und Vervielfältigungsvorrichtungen § 14 eigenartige Bestimmungen. Die Rechtsvermutung des § 13 hat für das Strafrecht keine Bedeutung.
IV. V e r l e t z u n g d e s R e c h t s a u f W a r e n b e z e i c h nungen (Markenrecht). Die gemeinrechtlichen Bestimmungen, welche § 287 RStGB. zum Schutze von F i r m e n und N a m e n getroffen hatte, erwiesen sich bald als unzureichend. Die allseitig verlangte und vor 1870 in mehreren Einzelstaaten schon vorhanden gewesene Ausdehnung auf F a b r i k - und W a r e n z e i c h e n ist durch das Reichsgesetz vom 30. November 1874, in weiterem Umfang durch das an dessen Stelle getretene G e s e t z z u m S c h u t z d e r W a r e n b e z e i c h n u n g e n vom 12. Mai 1894, gewährt worden. Auch hier handelt es sich um den Schutz eines Individualrechts; wie die Schöpfungen der Kunst und Wissenschaft, sollen die Erzeugnisse des Handels und Gewerbes gegen unbefugte Nachbildung geschützt werden. Ganz unrichtig ist es daher (mit Merkel, v. Meyer u. a.), die Verletzung der öffentlichen Treue als ausschlaggebend zu erachten und den strafbaren Eingriff in das Markenrecht unter die Fälschungsverbrechen einzureihen. Ist doch auch nicht der Käufer, sondern der Produzent oder Handeltreibende als Verletzter antragsberechtigt. Nach § 1 dieses Gesetzes kann, wer in seinem Geschäftsbetrieb (wenn auch nicht als Vollkaufmann) zur Unterscheidung seiner Waren von den Waren andrer sich eines Warenzeichens bedienen will, dieses Zeichen zur Eintragung in die (bei dem Patentamt geführte) Zeichenrolle anmelden. Die Eintragung hat (§ 12) die Wirkung, dafs dem Eingetragenen ausschliefslich das Recht zusteht, Waren der angemeldeten Art oder deren Verpackung oder Umhüllung m i t d e m W a r e n z e i c h e n z u v e r s e h e n , d i e s o b e z e i c h n e t e n W a r e n in V e r k e h r zu s e t z e n , s o w i e a u f A n k ü n d i g u n g e n , Preislisten, Geschäftsbriefen, Empfehlungen, Rechnungen o d e r d e r g l e i c h e n d a s Zeichen anzubringen. Wegen Verletzung dieses Rechts macht sich strafbar: 1. Wer wissentlich Waren oder deren Verpackung oder Umhüllung oder Ankündigungen, Preislisten, Geschäftsbriefe, Empfehlungen, Rechnungen oder dergleichen a) mit dem Na-
§ 123.
2. D i e übrigen Verletzungen v o n Urheberrechten.
men oder der Firma eines andern oder mit einem nach Mafsgabe dieses Gesetzes geschützten Warenzeichen widerrechtlich versieht oder b) dergleichen widerrechtlich gekennzeichnete Waren in Verkehr bringt oder feilhält 2 ) (§ 14). Strafe:
Geldstrafe von hundertfunfzig bis
fängnis bis zu sechs Monaten.
fünftausend Mark oder G e -
V e r f o l g u n g nur auf Antrag. Dieser rucknehmbar.
2. Wer zum Zweck der Täuschung in Handel und Verkehr a) die unter 1 genannten Gegenstände mit einer Ausstattung, welche innerhalb beteiligter Verkehrskreise als Kennzeichen gleichartiger Waren eines andern gilt, ohne dessen Genehmigung versieht, oder b) wer zu dem gleichen Zweck derartig gekennzeichnete Waren in Verkehr bringt oder feilhält (§ 15). S t r a f e : Geldstrafe von hundert bis bis zu drei Monaten.
dreitausend Mark
Verfolgung nur auf A n t r a g .
oder
Gefängnis
Dieser rucknehmbar.
3. Wer die unter 1 genannten Gegenstände a) mit einem Staatswappen oder mit dem Namen oder Wappen eines Ortes, eines Gemeinde- oder weiteren Kommunalverbandes zu dem Zweck versieht, über Beschaffenheit und Wert der Waren einen Irrtum zu erregen, oder wer b) zu dem gleichen Zweck derartig bezeichnete Waren in Verkehr bringt oder feilhält. S t r a f e : w i e zu i .
V e r f o l g u n g v o m Amtswegen.
Statt der Entschädigung Verlangen
des Beschädigten
kann in allen drei Fällen neben der Strafe auf
auf eine an diesen
Betrage v o n zehntausend Mark haften als Gesamtschuldner.
erkannt werden.
zu erlegende Bufse bis zum Die
zu dieser
D i e Zuerkennung schliefst die
Verurteilten
Geltendmachung
eines weitern Entschädigungsanspruches aus ( § 18). "In dem verurteilenden Erkenntnisse ist ( § 19) auf A n t r a g des Verletzten bezüglich der im Besitze des Verurteilten befindlichen seitigung der widerrechtlichen Kennzeichnung andrer W e i s e nicht möglich
ist,
Gegenstände
auf
oder, wenn die Beseitigung
auf V e r n i c h t u n g
der
damit
Bein
versehenen
Gegenstände zu erkennen. Ferner urteilung
ist
(§ 19)
auf Kosten
(oben § 58 N o t e 3).
dem Verletzten
des Verurteilten
die Befugnis
öffentlich
D i e A r t der Bekanntmachung
zuzusprechen, bekannt
zu
die V e r machen
und die Frist dazu ist in
dem Urteil zu bestimmen.
V. D i e V e r l e t z u n g des P a t e n t r e c h t s . des Erfinderrechts 3 ) reiht sich an den Schutz 2)
Der Schutz des schrift-
Uber diese Begriffe siehe unten § 156. *) Zu Unrecht behauptet Appelius N G . 1 2 3 , dafs das Patentrecht reines Vermögensrecht sei. E s hängt dies mit der ebenfalls unhaltbaren Auffassung 2S*
§ 123-
388
2. Die übrigen Verletzungen von Urheberrechten.
stellerischen, künstlerischen und gewerblichen Urheberrechts sowie des Markenrechts. Seit dem vorigen Jahrhundert in den meisten deutschen Staaten, wenn auch vielfach nur auf dem Wege der Verwaltungsrechtspflege, anerkannt, ist er durch das Reichsgesetz vom 25. Mai 1877, ersetzt durch das Gesetz vom 7. April 1891, gewährleistet worden, nachdem eine weitverbreitete, von freihändlerischen Grundsätzen ausgegangene, gegnerische Strömung durch den raschen und kräftigen Umschwung der öffentlichen Meinung seit dem Beginne der sechziger Jahre in den Hintergrund gedrängt worden war. 1. Die Erteilung eines Patentes (sie findet nach § 1 statt für neue Erfindungen, welche eine gewerbliche Verwertung gestatten) hat die Wirkung, dais niemand befugt ist, ohne Erlaubnis des Patentinhabers den Gegenstand der Erfindung gewerbsmäfsig herzustellen, in Verkehr zu bringen, feilzuhalten oder zu gebrauchen (§ 4). W e r wissentlich Geldstrafe bestraft.
bis zu
eine Erfindung
fünftausend Mark
Antragsvergehen.
in Benutzung nimmt,
wird ( § 36) mit
oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre
Rücknahme zulässig.
Uber die Bestrafung der im
Auslande begangenen Handlungen gelten die allgemeinen Grundsätze. Öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung (§ 36) wie oben unter IV. Statt der Entschädigung
kann ( § 37)
auf Bufse
bis zu zehntausend Mark er-
kannt werden. Weiterer Entschädigungsanspruch in diesem Falle ausgeschlossen. Mehrere Verurteilte haften als Gemeinschuldner. Die Klagen wegen Verletzung des Patentrechts v e r j ä h r e n (§39) rucksichtlich jeder einzelnen diese begründenden Handlung in drei Jahren.
2. Nicht als die Verletzung eines Individualrechts, sondern als eine G e f ä h r d u n g d e r I n t e r e s s e n d e s P u b l i k u i ä s * ) haben wir die — nur des Zusammenhanges wegen an dieser Stelle behandelte — V o r s p i e g e l u n g d e s P a t e n t s c h u t z e s (§ 40) zu betrachten. Sie liegt vor, wenn jemand a) Gegenstände oder deren Verpackung mit einer Bezeichnung versieht, welche geeignet ist, den Irrtum zu erregen, dafs die Gegenstände durch ein Patent geschützt seien; oder b) in öffentlichen Anzeigen, auf Aushängeschildern, auf Empfehlungskarten oder in ähnlichen Kundgebungen eine Bezeichnung anwendet, welche geeignet ist, den gleichen Irrtum zu erregen. zusammen, das Patent solle nicht den (wirklichen oder vermutlichen) Erfinder, sondern den „ersten A n m e l d e r " schützen. 4 ) Richtig v. Meyer 784.
§124.
i . Der Diebstahl.
Geschichte.
S t r a f e : Geldstrafe bis zu eintausend Mark. Strafbarkeit. 5 )
389
Fahrlässigkeit genügt zur
VI. D e m Patentgesetz nachgebildet ist das Gesetz, betr. den Schutz von G e b r a u c h s m u s t e r n vom 1. Juni 1891. A l s Gebrauchsmuster, im Gegensatze zu den Geschmacksmustern (oben III) erscheinen gemäfs § 1: Modelle (nicht Flachmuster) von Arbeitsgerätschaften oder Gebrauchsgegenständen oder v o n deren Teilen, insoweit sie dem Arbeits- oder Gebrauchszweck durch eine neue Gestaltung, A n o r d n u n g oder Vorrichtung dienen sollen. Wer wissentlich ein (eingetragenes) Gebrauchsmuster in Benutzung nimmt (d. h. das Muster gewerbsmafsig nachbildet oder die durch die Nachbildung hervorgebrachten Gerätschaften und Gegenstande in Verkehr bringt, feilhält oder gebraucht) wird mit Geldstrafe bis zu 5000 Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft (§ 10). Verfolgung nur auf Antrag. Zurücknahme zulässig. Wird auf Strafe erkannt, so ist zugleich dem Verletzten die Befugnis zuzusprechen, die Verurteilung auf Kosten des Verurteilten öffentlich bekannt zu machen. Die Art der Bekanntmachung sowie die Frist dazu ist im Urteil zu bestimmen. Statt jeder Entschädigung kann auf Verlangen des Beschädigten neben der Strafe auf Bufse bis zu 10 000 Mark erkannt werden. Für diese Bufse haften die zu ihr Verurteilten als Gesamtschuldner (§ I i ) . Eine erkannte Bufse schliefst die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruchs aus.
Vierter Abschnitt.
Strafbare Handlungen gegen Vermögensrechte. I. Strafbare Handlungen gegen Sachenrechte, g 124.
1. Der Diebstahl.
Geschichte.
Litteratur. Rosenberger Uber das furtum nach klassischem römischen Recht, insbes. über den animuslucri faciendi. Diss. 1879. Bachem Unterschied zwischen dem furtum des römischen Rechts und dem deutschen RStGB. 1880. Cropp in Hudtwalcker und Trümmer Krimin. Beitrage 2 3, 234. Kostlin Krit. Überschau 3 149, 334, Abhandlungen 1858. — Brunner 2 637. I. Der Diebstahl war im klassischen römischen Recht lediglich Privatdelikt. Zwar hatten die XII Tafeln das furtum manifestum, wohl anknüpfend 5)
R 23. November 93 2 4 399.
39°
§124-
I. Der Diebstahl.
Geschichte.
an den indogermanischen Unterschied zwischen handhafter und nichthandhafter That, mit kapitaler Strafe belegt 1 ), während das furtum nec manifestum mit der poena dupli bedroht war. Auch war das Totungsrecht des Angegriffenen dem nächtlichen Diebe gegenüber unbedingt, dem Tagesdiebe gegenüber, „si telo se defendit", anerkannt. Aber schon das prätorische Recht kannte nur mehr die Geldbufse für den Diebstahl: das Vierfache bei f. manifestum und prohibitum, das Zweifache bei f. nec manifestum, das Dreifache bei f. conceptum et oblatum. Das Recht der Kaiserzeit hob einzelne Fälle des Diebstahls (oben S. Io) als crimina extraordinaria hervor und bedrohte sie mit peinlicher Strafe. Aber im grofsen und ganzen wurde dadurch nicht viel geändert, wenn nicht die zweifelhafte Überlieferung richtig ist (oben S. i o ) , nach welcher zu Justinians Zeiten bei jedem Diebstahle (rei ipsius) die Wahl zwischen ziviler Klage (actio) und Verfolgung (crimen) offen stand. Bekannt ist die Begriffsbestimmung, welche Paullus in 1. I § 3 D. 47, 2 gibt: „Furtum est contrectatio rei fraudulosa lucri faciendi gratia vel ipsius rei vel usus ejus possessionisve." Danach ist Diebstahl jede widerrechtliche, gewinnsüchtige Zueignung einer fremden beweglichen Sache (Dernburg); und der Begriff des furtum umfafst daher nicht blofs den heutigen Diebstahl, sondern auch den Raub, die Unterschlagung, den sogenannten Funddiebstahl, die Besitzentziehung, die Gebrauchsanmafsung, sowie einzelne Betrugsfälle. Dem Eigentumer steht die condictio furtiva auf Ruckerstattung der Sache, jedem Verletzten die infamierende actio furti zu. Diese letztere wurde versagt: 1) gegen den Ehegatten (in honorem matrimonii); 2) gegen Hauskinder (wegen der unitas personarum); 3) gegen Sklaven (wegen der Strafgewalt des Hausvaters). II. Wesentlich anders behandelt das m i t t e l a l t e r l i c h deutsche R e c h t den Diebstahl. Dieser erscheint hier als h e i m l i c h e W e g n a h m e aus fremder Gewere und hebt sich dadurch scharf ab von dem Raube als der o f f e n e n Wegnahme einerseits und der Unterschlagung als dem dieblichen B e h a l t e n gefundener oder sonst an den Thäter gelangter Sachen anderseits, während die Veruntreuung von zu treuer Hand gegebenen Sachen meist dem Diebstahl gleichgeachtet wird. Frühzeitig finden w i r , insbesondere in den Kapitularien, strenge öffentliche Strafen gegen den Diebstahl angedroht (oben S. 14). Schon Rib. 79, I läfst den auf der That ergriffenen Dieb aufknupfen. Wichtig ist insbesondere ein Kapitular von 779, welches den dritten Diebstahl mit dem Strange bedroht. Zahlreich sind die Unterscheidungen innerhalb des Diebstahls und die Abstufungen in der Bestrafung. So ist erschwert der Diebstahl an gewissen eines höheren Friedens bedürftigen Gegenständen (Pflug auf dem Felde, Vieh, Getreide) oder an befriedeten Orten (Königliche Pfalzen, Kirchen, Mühlen, Schmieden), zu gewissen Zeiten (während des Heerfriedens, insbesondere aber nächtlicher Diebstahl), der Diebstahl mit Einbrechen usw. Daneben spielt die allgemeine Unterscheidung von handhafter und nichthandhafter That auch J ) Über den altarischen Sakralakt der Haussuchung (lance et licio quaerere, ransake, tpoioa) vgl. Leist Gräko-italische Rechtsgeschichte 246, Schröder Deutsche Rechtsgeschichte 348.
§124-
I. Der Diebstahl.
Geschichte.
391
hier eine entscheidende Rolle, und auch der wiederholte Rückfall wird besonders streng gestraft. V o n grofster Bedeutung aber ist die das ganze Mittelalter beherrschende Einteilung des Diebstahls nach dem Werte des Gestohlenen in einen grofsen an Hals und Hand und einen kleinen an Haut und Haar gehenden, wobei die vielfach schwankende Grenze am häufigsten (so im Schsp., wie in den Reichsgesetzen) fünf Schillinge betrug. Soweit Todesstrafe eintritt, wird sie mit dem Strang vollzogen. III. Die i t a l i e n i s c h e Rechtswissenschaft des Mittelalters begnügte sich auch hier im allgemeinen damit, für die von dem deutschen (langobardischen) Rechte beherrschte Rechtsprechung nach Anknüpfungspunkten im romischen Rechte zu suchen. In der Sache ist es deutsches Recht, was sie entwickelt. IV. So steht denn auch die P G O . in dieser wie in den meisten andern Fragen durchaus auf dem Boden deutschrechtlicher Auffassung. Sie behandelt den Diebstahl und die verwandten Vergehungen mit grofster Ausführlichkeit in den Artikeln 157—175. Und zwar in folgender Reihenfolge. A r t . 1 5 7 : der allerschlechteste heimliche Diebstahl unter fünf Gulden (Zwispiel, event. Kerker). A r t . 158: der erste öffentliche Diebstahl unter fünf Gulden (Landesverweisung, bei Besserungsfahigkeit das Vierfache). A r t . 159: der erste gefährliche Diebstahl (auch unter fünf Gulden) durch Einsteigen oder Brechen „oder mit Waffen, damit er jemand, der ihm Widersand thun wollt', verletzen mocht'" (Todes- oder schwere Leibesstrafe). A r t . 160: der erste grofse Diebstahl im Werte von fünf Gulden (von der Rechtsprechung wird der Gulden gleich einem ungarischen Dukaten gerechnet) und darüber (Strafe an Leib oder Leben). A r t . 1 6 1 : der zweite einfache Diebstahl (Landesverweisung). A r t . 162: der dritte Diebstahl (ohne dafs zwischen Ruckfall und Zusammentreffen unterschieden worden wäre), „das ist ein mehrer verleumdeter Dieb und einem Vergewaltiger gleich geachtet" (Todesstrafe). A r t . 164: Junge Diebe unter 14 Jahren sollen ohne besondere Ursache nicht am Leben bestraft werden. A r t . 165: Diebstahl an Gutern, deren nächster Erbe der Thäter ist, oder zwischen Mann und Frau (Ausschlufs der amtlichen Verfolgung). A r t . 166: Stehlen in echter Hungersnot. Die folgenden A r t i k e l 167—169 behandeln den Diebstahl an Fruchten auf dem Felde, an Holz und Fischen, und unterscheiden ihn von einfachen Entwendungen. A r t . 170: die Veruntreuung. A r t . 171 bestimmt den Kirchendiebstahl (an: res sacrae e loco sacro, res sacrae e loco non sacro, res non sacrae e loco sacro), und A r t i k e l 172fr. stufen die Strafe für ihn ab, indem sie mit dem Feuertode beginnen. V . Diese Bestimmungen bilden die Grundlage des g e m e i n e n R e c h t s . Dieses läfst im allgemeinen Todesstrafe eintreten I. bei schwerem Diebstahl; 2. bei grofsem Diebstahl; 3. bei Diebstahl im zweiten Ruckfall. Seit dem 18. Jahrhundert wird die Todesstrafe bekämpft und erst beschränkt, dann beseitigt (Friedrich der Große 1743). Auch die n e u e r e G e s e t z g e b u n g hat den gemeinrechtlichen Begriff festgehalten, ohne sich durch die romischen Quellen irreführen zu lassen. Bedenkliches Schwanken herrscht eigentlich nur in Bezug auf die Frage, ob zum Begriff des Diebstahls gewinnsuchtige Absicht des Thäters gefordert werden soll oder nicht, ob also der Diebstahl als Bereicherungsvergehen oder lediglich als Verletzung des Eigentums aufzufassen ist.
392
§ 125$ 125.
Der Begriff des Diebstahls.
D e r B e g r i f f des Diebstahls.
Litteratur. Klien Revision der Grundsätze über das Verbrechen des Diebstahls 1806. Dollmann Die Entwendung nach den Quellen des gemeinen Rechts 1834. JDH. Timme Die Lehre vom Diebstahl nach preufs. Recht 1840. Kostlin Abhandlungen 1858 S. 192. Egidy Das Verbrechen des Diebstahls 1859. Dickel Thatbestand des Diebstahls nach deutschem Recht. Diss. 1877. Merkel HH. 3 618, 4 405. Hälschner 2 281. Ruhstrat Z 1 383. John Z 1 245. Kotering GS. 35 350, 36 520, 561, 38 290. Hilse GA. 39 409. — Ulimann Der dolus beim Diebstahl 1870. Geyer Kl. Schriften 327 (diebische Absicht). Lammasch Beleidigung und Diebstahl 1893. Tobler Diebstahl an Erbschaftssachen. Diss. 1893. Rompier Der Begriff des Gewahrsams in Zivilund Strafrecht. Diss. 1894. — Gebauer Der strafrechtliche Schutz wertloser Gegenstände 1893.
I. Diebstahl (StGB. § 242) ist Eigentumsverletzung durch rechtswidrige A n e i g n u n g einer fremden bewegl i c h e n S a c h e , w e l c h e zu d i e s e m Z w e c k e e r s t d u r c h W e g n ä h m e in d e n G e w a h r s a m d e s T h ä t e r s g e b r a c h t w e r d e n m u fs. Das letzterwähnte Moment unterscheidet Diebstahl und Unterschlagung. Nach dieser Begriffsbestimmung wären Diebstahl wie Unterschlagung erst mit der Aneignung vollendet. Das geltende Recht läfst aber die Vollendung schon mit der Wegnahme eintreten; Diebstahl ist demnach (StGB. einer fremden beweglichen § 242): W e g n a h m e S a c h e in d e r A b s i c h t r e c h t s w i d r i g e r A n e i g n u n g . II. G e g e n s t a n d des Diebstahls ist eine fremde bewegliche Sache. 1. Eine k ö r p e r l i c h e S a c h e , nicht also ein Mensch (oben S. 325), wohl aber abgetrennte natürliche Körperteile (Zahne, Gallensteine usw.), nicht Forderungen *); auch tropfbarflüssige oder gasförmige Körper wie Wasser, Gas, warme Luft, soweit sie in fremdem Gewahrsam sich befinden, nicht aber Kräfte, wie die Elektrizität; auch künstliche Körperteile, soweit sie nicht (wie die künstliche Nase) untrennbar mit dem Körper verbunden sind. Ob • die Sache einen Tauschwert hat oder nicht, ist gleichgültig. 2) ') Das Sparkassenbuch kann also nur als Buch gestohlen werden; Behebung des Betrages ist nicht Diebstahl. Siehe unten Note 8. So heute die gem. Mein. Eingehend begründet von Gebauer (dem zuzugeben ist, dafs insoweit der Diebstahl nicht als V e r m o g e n s d e l i k t erscheint). Dagegen v. Bar Magazin für deutsches Recht 4 18, John Z 1 267; wohl auch Hälschner 2 281, v. Ihermg Dogmatische Jahrbücher 23 240. Sehr bedenklich (vgl. Olshausen ij 303 1) R 14. Februar 84 10 120 (bezüglich der Sachbeschädigung).
§ 125.
Der Begriff des Diebstahls.
393
2. Eine f r e m d e , d. h. in dem Eigentume eines andern stehende Sache. An Sachen, die in niemandes Eigentum stehen, ist Diebstahl unmöglich. So an herrenlosen, aufgegebenen (derelinquierten) usw. Sachen; an wilden Tieren in ihrer natürlichen Freiheit (anders an Tieren in eingehegten Tiergärten, Fischen in geschlossenen Privatgewässern); an einem ausgezogenen und nicht verfolgten Bienenschwarm. Weiter ist Diebstahl ausgeschlossen an verscharrten Tierkörpern, an den der Leiche ins Grab mitgegebenen Gegenständen, soweit hier nicht fortdauerndes Eigentum der Rechtsnachfolger anzunehmen ist. Auch an Leichen und Leichenteilen wird Diebstahl aus diesem Grunde regelmäfsig unmöglich sein, soweit sie nicht zum Gegenstande des Handelsverkehrs geworden sind (oben S. 367); er ist immer unmöglich an res extra commercium, sowie an res communes omnium, soweit nicht etwa eine Ausscheidung und Ergreifung bereits stattgefunden hat. Auch die Verletzung eines ausschliefslichen Ergreifungsrechts ist mithin nicht Diebstahl. Sachen, welche im Eigentume des Staates, der politischen und kirchlichen Gemeinden usw. stehen, können Gegenstand eines Diebstahls sein. Ebenso Nachlafssachen vor der Erbschaftsantretung, wenn erst durch diese Eigentum erworben wird. Die Aufgabe des Eigentums durch den Eigentümer ohne dessen Übertragung an einen dritten oder die Übertragung des Eigentums an den Thäter schliefst, da sie der Sache die Eigenschaft einer fremden benimmt, den Diebstahlsbegriff aus; damit ist jedoch die Einwilligung des Eigentümers in die Wegnahme oder in die Ergreifung der Sache nicht zu verwechseln. 8 ) Irrige Annahme der Aufgabe, bez. Übertragung des Eigentums, ist Irrtum in Bezug auf ein Thatbestandsmerkmal („fremd") und schliefst mithin den Vorsatz aus. Irrige Nichtannahme würde als untauglicher Versuch erscheinen und als solcher zu beurteilen sein. Der Eigentümer selbst kann sich des (vollendeten) Diebstahls an der eigenen Sache nicht schuldig machen, wohl aber der Miteigentümer an der ihm nicht ausschliefslich gehörenden. 3. Eine b e w e g l i c h e Sache. Ihr steht die vom Thäter s ) Vgl. unten Text zu Note 5. Die Frage ist seit den Römern bestritten, hauptsächlich, weil man sich nicht bemüht hat, den Inhalt der „Einwilligung" des Eigentümers näher zu bestimmen.
394
§ 125.
Der Begriff des Diebstahls.
— vielleicht gerade zum Zwecke des Diebstahls — beweglich gemachte Sache, z. B. Bäume, Früchte, Gebäudeteile usw., aber auch der abgeschnittene Zopf, durchaus gleich. Entziehung des Besitzes unbeweglicher Sachen ist thatsächlich und rechtlich möglich, aber nicht Diebstahl im Sinne des Gesetzes. HI. Die Sache darf sich nicht in dem Gewahrsam des Diebes, sie mufs sich im G e w a h r s a m e i n e s a n d e r n befunden haben. Gewahrsam (nicht gleich Besitz im zivilrechtlichen Sinne) ist die t h a t s ä c h l i c h e H e r r s c h a f t über die Sache (die Möglichkeit, mit Ausschlufs anderer auf sie einzuwirken, die Verfügungsgewalt), verbunden mit dem erkennbar gemachten W i l l e n , die eigne Herrschaft unter Ausschlufs andrer geltend zu machen (dem „Herrscherwillen"). Wille und Gewalt müssen nebeneinander vorhanden sein, jener in dieser zu Tage treten. Ein Wissen um die einzelnen, vom Herrscherwillen allgemein umfafsten (also etwa in meiner Stube befindlichen) Gegenstände ist nicht erforderlich. Der einmal begründete Gewahrsam dauert fort bis zum Eintritte eines ihn in erkennbarer Weise beseitigenden Ereignisses. Er kann in der verschiedensten Gestalt und in den mannigfachsten Abstufungen sich zeigen; die Uhr in meiner Tasche ist ebenso in meinem Gewahrsam wie das Buch im Schranke, dessen Schlüssel ich während einer Ferienreise zu mir gesteckt habe, oder der Geldtopf, der an einem nur mir bekannten Orte im Walde von mir vergraben wurde, oder der Familienschmuck, den ich einem nahen Angehörigen in die Familiengruft mitgegeben habe. Auch der Wahnsinnige, auch das Kind kann den Gewahrsam an einer Sache haben; ebenso aber Angehörige oder andre Personen durch jene. 4 ) Diebstahl kann demnach nicht begangen werden an Sachen, die in keines Menschen Gewahrsam stehen, wie an vom Hochwasser fortgeschwemmten und in keiner Weise kenntlich bezeichneten Bretterbalken; auch nicht an verlornen, wohl aber an vergessenen (etwa im Wagen zurückgelassenen), versteckten oder verlegten Sachen. Ob Gegenstände, welche sich auf einem *) Der Wahnsinnige, das Kind kann den Gewahrsam aufgeben, nicht aber auf einen andern übertragen. Der Empfänger ist daher Dieb. Ebenso im wesentlichen Olshausm § 243 22; dagegen Binding 1 714, R 19. Juni 80 2 332.
§ 125.
Der Begriff des Diebstahls.
395
gestrandeten Schiffe befinden oder im Seesturm ausgeworfen wurden, noch im Gewahrsam der Schiffsmannschaft stehen, mufs als Thatfrage bezeichnet werden. Irrtümliche Annahme, dafs die Sache sich in niemandes Gewahrsam befinde, begründet untauglichen Versuch der Unterschlagung. Durch Aufgeben des Gewahrsams von Seiten des Gewahrsamsinhabers wird die Möglichkeit des Diebstahls ausgeschlossen; nicht notwendig aber schon durch Einwilligung in die Ergreifung der Sache. Wer ruhig zuwartet, bis der ins Zimmer eingedrungene Bettler einen Wertgegenstand an sich nimmt, um den Dieb festhalten zu können, hat nur in die Ergreifung, nicht in die Wegnahme der Sache eingewilligt.5) Irrige Annahme der Einwilligung schliefst den Vorsatz aus; irrige Nichtannahme begründet untauglichen Versuch. Bei Erschleichung der Einwilligung durch Täuschung ist Betrug anzunehmen. Der Gewahrsamsinhaber selbst kann sich des Diebstahle nicht (wohl aber der Unterschlagung) schuldig machen; der M i t gewahrsamsinhaber begeht Diebstahl, wenn er sich rechtswidrig die ausschliefsliche Verfügungsgewalt verschafft. Der letzte Satz ist von grofser praktischer Bedeutung, da in zahlreichen Fällen mehrfacher Gewahrsam an derselben Sache — sei es gleichgestellten, sei es einander untergeordneten Personen zustehend — vorkommt. Demnach kann nicht nur die Entwendung von Ladenvorräten durch einen im Geschäft angestellten Verkäufer, von Silberzeug durch das Dienstmädchen, der Kleidungsstücke durch den Sträfling usw., sondern auch die Aneignung mitvermieteter Sachen durch den Mieter eines (nicht etwa völlig abgesonderten) möblierten Zimmers als Diebstahl betrachtet werden, wenn der Thäter nur Mitgewahrsamsinhaber ist.6) IV. Die Handlung besteht in dem W e g n e h m e n , d. h. 5
) Vgl. oben Note 3. ") Übereinstimmend Berner 542, Merkel 319, Olshausen § 242 19. Dagegen Halschner 2 289, v. Meyer 636, R 18. Februar 81 3 358, 1. Oktober &I 5 43. Auch der Dieb selbst kann sich durch Wegnahme der gestohlenen Sache aus dem Mitgewahrsam seines Diebsgenossen eines zweiten Diebstahls schuldig machen. Abweichend R 2. Februar 85 11 439, Olshausen § 242 33 (es handelt sich n i c h t um Verwirklichung der u r s p r ü n g l i c h e n Absicht g e t e i l t e r Aneignung).
396
§ 125.
Der Begriff des Diebstahls.
in dem Brechen des fremden u n d der Begründung des eignen Gewahrsams. In welcher Weise und durch welche Mittel die Wegnahme erfolgt, ist gleichgültig. Wer sich ein Stück Fleisch durch den Hund aus dem Metzgerladen holen oder seine Kühe auf fremder Weide grasen läfst, wer durch Offnen des Hahnes das fremde Gas aus dem Gasrohr ableitet oder ein Kind oder einen Geisteskranken bestimmt, ihm eine bewegliche Sache zu überlassen, hat „weggenommen" im Sinne des Gesetzes. Heimlichkeit der Wegnahme ist schon seit der PGO. nicht Erfordernis des Diebstahls; anderseits ist Mangel von Gewalt und gefährlicher Drohung notwendig, damit der Diebstahl nicht in Raub übergehe. V . Die Wegnahme mufs in der A b s i c h t r e c h t s w i d r i g e r Z u e i g n u n g erfolgen. Der in der gemeinrechtlichen Rechtsprechung und vielfach auch in der deutschen Landesgesetzgebung (nicht aber Preufsen 1851) geforderte animus lucri faciendi, die „gewinnsüchtige Absicht", ist vom RStGB. im Anschlüsse an das preufsische aufgegeben worden. D e r D i e b s t a h l i s t im h e u t i gen R e c h t e kein Bereicherungsvergehen. Daher wird durch Hinterlegung des Wertes der weggenommenen Sache der Begriff des Diebstahls nicht ausgeschlossen.7) A n e i g n u n g aber ist Herstellung eines Verhältnisses zur Sache, welchem nur die rechtliche Anerkennung fehlt, um Eigentum zu sein, also eines Verhältnisses, in welchem die Sache, als wäre sie Eigentum, den Zwecken des Thäters dienstbar gemacht wird (die Ausübung des Eigentumsinhalts, das „se ut dominum gerere"). Aneignung setzt mithin die v ö l l i g e eigentumsgleiche Beherrschung der Sache voraus. Verfügung über die Sache nach einer e i n z e l n e n bestimmten Richtung genügt nicht, soweit sich nicht darin die Absicht völliger Beherrschung kundgibt. Also nicht der vorübergehende G e b r a u c h der Sache (unten S. 405), mithin auch nicht an sich das Beheben 1 ) Ubereinstimmend die gem. Mein. Dagegen insbesondere v. Bar 16, Dickel 60, Hälschncr 2 293, 300. Von Binding, Halschner, Merkel u. a., neuerdings von Latnmasch 14 und Stoofs Grundzüge, ist die Beschränkung des Diebstahlsbegriffes auf den Fall der Bereicherung de lege ferenda empfohlen worden.
§ 125.
Der Begriff des Diebstahls.
397
eines Sparkassenbuches, soweit dieses nicht in die völlige Herrschaft des Thäters gebracht wird, sondern zurückgestellt werden soll; 8 ) wohl aber der allmähliche V e r b r a u c h der Sache. Bei Geld und geldvertretenden Wertzeichen genügt dagegen der bestimmungsgemäfse Gebrauch. 9 ) Nicht ist Aneignung die sofortige Vernichtung der Sache, 1 0 ) wohl aber das (wenn auch sofortige) entgeltliche oder unentgeltliche Uberlassen der in den eigenen Gewahrsam gebrachten Sache an einen andern; ebenso das Verstecken oder Beiseiteschaffen, die Vermischung fremden Geldes mit dem eigenen, die Teilung einer gemeinsamen Sache. Die V e r p f ä n d u n g ist dann, aber auch nur dann, nicht Aneignung, wenn die A b s i c h t und zugleich die gegründete A u s s i c h t rechtzeitiger Wiedereinlösung besteht. 11 ) Die Aneignung mufs eine r e c h t s w i d r i g e sein. Diebstahl liegt also nicht vor, wenn ein Anspruch auf Übertragung des Eigentums an der Sache selbst besteht oder berechtigte Selbsthilfe vorliegt, wohl aber dann, wenn ein andrer Anspruch durch die weggenommene Sache gesichert werden soll; Wegnahme von Geld, um sich für eine begründete Geldforderung bezahlt zu machen, ist demnach nur dann nicht Diebstahl, wenn, was zu den seltensten Fällen gehören dürfte, ein Anspruch auf Übertragung gerade der weggenommenen Geldstücke bestand. Irrige Annahme der Rechtmäfsigkeit schliefst hier als Irrtum über ein Thatbestandsmerkmal den Vorsatz aus. Das Gesetz verlangt A b s i c h t rechtswidriger Zueignung im Sinne eines über den Vorsatz hinausreichenden Beweggrundes. 12 ) Und zwar mufs der Thäter die Absicht haben, zunächst wenigstens s i c h , nicht aber unmittelbar e i n e m d r i t 8 ) Vgl. Note I. Abweichend R I. Mai 84 10 369 (Diebstahl); ähnlich Frank Z 14 390 (ökonomische Entwertung), Hartmann GA. 4 0 259 (Substanzveränderung). Dagegen Brücke (richtig Bauke) GA. 4 0 I I I (Betrug); Olshausen § 2 4 2 29, 2 4 6 2 (wie der Text); Schneider Z 14 36 (Unterschlagung). Unverständlich Binding 1 220 Note 6 („Analogie"). 9 ) Bedenklich daher R 23. Februar 93 2 4 22 (Biermarken). 10 ) So die gem. Meinung, auch R 1 1 . Februar 84 11 239. Dagegen Bachem 26, Hälschner 2 299, Olshausen § 2 4 2 30, IJllmann 70. 11 ) Schon das gemeine Recht (Engau) verlangte animus und facultas restituendi: so wiederholt auch R, zuletzt 12. Februar 91 21 364, auch Merkel 318. Dagegen genügt die Absicht nach Geyer 2 51, Hdlschner 2 3 5 2 , Olshausen § 2 4 2 30. 12 ) Oben § 38 Note 4. Ebenso Friedländer Z 11 401. Dagegen Binding Nonnen 2 558, 597, Hdlschner 2 292, Olshausen § 2 4 2 27.
398
§ 125.
Der Begriff des Diebstahls.
t e n , die Sache anzueignen. Mit dieser Absicht mufs und wird das B e w u f s t s e i n der Rechtswidrigkeit verbunden sein. VI. Der Diebstahl ist v o l l e n d e t mit der vollendeten Wegnahme, also sobald der eigne Gewahrsam an der Sache durch den Thäter begründet ist. 13 ) Der V e r s u c h — strafbar, auch wenn der Diebstahl Vergehen ist — beginnt mit dem Brechen des fremden Gewahrsams; daher in verschiedenen Zeitpunkten je nach der verschiedenen Erscheinung und Sicherung dieses Gewahrsams; mit dem Einbrechen, Einsteigen, Einschleichen bei Sachen, die sich in umschlossenen Räumen befinden; erst mit der Ergreifung von Vieh auf der Weide, geschlagenem Holz im Forste; mit dem Ausstrecken der Hand, wenn damit schon die Herrschaft des Eigentümers beeinträchtigt wird, usw. VII. Beim Diebstahl bildet die Verletzung des einen Rechtsgutes — des Gewahrsams — das Mittel zur Verletzung des andern: des Eigentums. Halten wir an dem wissenschaftlichen Begriffe des Diebstahls fest, so erscheinen Eigentümer wie Gewahrsamsinhaber als Verletzte im Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs. Verletzter im technischen Sinne des Wortes aber ist (oben S. 168) nur der Träger des unmittelbar angegriffenen Rechtsgutes: mithin der G e w a h r s a m s i n h a b e r . Noch sicherer ist dieses Ergebnis von dem Standpunkte des geltenden Rechts aus, welches die Verletzung des Gewahrsams so sehr in den Vordergrund stellt, dafs es sogar die blofs beabsichtigte Eigentumsverletzung zum Begriffe des Diebstahls genügen läfst. Dennoch wird von der herrschenden Meinung, welche dem Begriffe „Verletzter" überhaupt eine ungebührlich weite Ausdehnung gibt, angenommen, dafs sowohl der Eigentümer als auch der Gewahrsamsinhaber als durch den Diebstahl verletzt zu betrachten seien.14) Wichtig wird die Frage 13 ) Es genügt mithin einerseits nicht, dafs der Thäter die Sache ergriffen habe (Kontrektationstheorie), und es ist anderseits nicht erforderlich, dafs er sie von dem bisherigen Aufbewahrungsorte weg oder gar in Sicherheit gebracht habe (Ablations- bezw. Illationstheorie). Am nächsten steht die Auffassung des heutigen Rechts vielmehr der sogenannten A p p r e h e n s i o n s theorie. " ) Diese Ansicht vertritt insbes., wi« früher das Berliner OT., R , zuletzt 20. März 84 10 210; ferner Birkmeyer Mecklenb. Zeitschrift 6 171, Geyer 1 208, 2 50, Hähchntr 2 306, v. Meyer 358, Olshausen § 247 3. Auch Dinding
§ 126.
Die Arten des Diebstahls.
i n s b e s o n d e r e bezüglich des m i l d e r
S
399
b e s t r a f t e n D i e b s t a h l s (unten
126 V). § 126.
Die Arten
des
Diebstahls.
Litteratur. v. Schwarze Die Lehre vom ausgezeichneten Diebstahl 1863. Hager GS. 30. R. Temme Über den Betrag des Diebstahls 1867. I. D e r
einfache Diebstahl
( S t G B . § 242).
S t r a f e : Gefängnis. Daneben kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden (StGB. § 248). II. D e r s c h w e r e D i e b s t a h l ( S t G B . § 2 4 3 ) . S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten. Neben der Gefängnisstrafe kann auf V e r l u s t d e r b ü r g e r l i c h e n E h r e n r e c h t e , neben der Zuchthausstrafe auf Z u l ä s s i g k e i t v o n P o l i z e i a u f s i c h t erkannt werden (StGB. § 248). Das Reichsstrafgesetzbuch hat ohne irgendwelche ins Gewicht fallende Grunde die altdeutsche, dem Werte der gestohlenen Sache entnommene Unterscheidung in einen grofsen und einen kleinen Diebstahl, welche von P G O . festgehalten wurde und sich auch in zahlreichen Landesgesetzgebungen fand, völlig aufgegeben. Ebenso fehlen dem RStGB. die dem älteren deutschen Recht nachgebildeten, in den Landes-StGBuchern (auch Preufsen) vielfach sich findenden Bestimmungen, nach welchen der Diebstahl an ungeschützten und darum eines hohem Friedens bedürftigen Gegenständen mit erschwerter Strafe bedroht wird. Auch der Diebstahl an Sachen, welche Kinder oder Geisteskranke bei sich fuhren, sowie der Diebstahl zur Zeit einer Feuers- oder Wassersnot, ist zwar im preufsischen, nicht aber im RStGB. zu den schwerern Fällen gerechnet. N a c h d e m R S t G B . sind f o l g e n d e F ä l l e als s c h w e r e r
Dieb-
stahl zu b e h a n d e l n : 1. D e r a l t e K i r c h e n d i e b s t a h l Sinne):
begangen,
wenn
aus
einem
(sacrilegium i m zum
engern
Gottesdienste
(oben S . 3 6 6 ) b e s t i m m t e n G e b ä u d e (siehe unten S . 4 0 0 ) G e g e n stände gestohlen w e r d e n , w e l c h e d e m G o t t e s d i e n s t e g e w i d m e t sind, ihnen
also
Gegenstände,
oder m i t
nommen werden. her.
Ob
ihnen
w e l c h e dazu b e s t i m m t
sind,
dafs
gottesdienstliche V e r r i c h t u n g e n
an
vorge-
S a m m e l s t ö c k e g e h ö r e n d e m n a c h nicht hier-
die G e g e n s t ä n d e im kirchlichen S i n n e
geweiht
oder
g e s e g n e t sind, ist g l e i c h g ü l t i g . 1 6 2 2 , der aber merkwürdigerweise nur den Eigentümer für „ b e s t o h l e n " hält. Die Mehrzahl der Schriftsteller nimmt an, dafs nur der Eigentümer verletzt sei; so V. Bar GA. 19 649, Dochow H H . 4 262, Herzog GS. 2 6 209, Merkel 322 und H H . 3 7 1 2 , Ruhstrat GS. 2 4 1 4 4 , v. Schwarze GS. 25 183. Im Sinne des Textes Schütze 446.
4oo
§ 126.
D i e Arten des Diebstahls.
2. Der sog. E i n b r u c h s d i e b s t a h l (gewaltsamer Diebstahl), erschwert einerseits wegen der höhera Befriedung der angegriffenen Räume, anderseits mit Rücksicht auf die Kraft des verbrecherischen Entschlusses. Er liegt vor, wenn aus einem Gebäude oder umschlossenen Räume mittels Einbruchs, Einsteigens oder Erbrechens von Behältnissen gestohlen wird. „ G e b ä u d e " ist der durch Wände und Dach umgrenzte, mit der Erdoberfläche fest (unbeweglich), wenn auch nur durch die eigne Schwere verbundene Raum, so z. B. Zirkusgebäude, Hütten, Ställe, Zelte, Marktbuden, Trinkhallen von einer gewissen Schwere, nicht aber Schäferkarren, Schiffe, Künstlerwagen, Schlitten, Luftballons einerseits, unterirdische Räume wie Bergwerksschachte anderseits. Dem Gebäude ist gleichgestellt der „ u m s c h l o s s e n e R a u m " , d. h. ein Teil der Erdoberfläche, welcher durch gewisse, wenn auch nicht bedeutende Hindernisse gegen das Eindringen Unberufener geschützt ist; also auch der Wildpark, der Ziehbrunnen, der Bergwerksschacht. „ E i n b r u c h " ist die gewaltsame, mit Verletzung der Sachsubstanz') verbundene Überwältigung der Hindernisse, sodafs z. B. das Auseinanderbiegen der Thorflügel, das Ausziehen eines Nagels nicht hierher gerechnet werden kann. „ E i n s t e i g e n " ist das Umgehen der Hindernisse durch Eindringen auf einem dazu nicht bestimmten und nur bei erhöhter Anstrengung zugänglichen Wege. Auch das Einkriechen ist mithin hierher zu rechnen.2) „ E r b r e c h e n v o n B e h ä l t n i s s e n " ist die gewaltsame, mit Verletzung der Sachsubstanz verbundene Eröffnung von verschlossenen, zur Aufbewahrung von Sachen verwendeten Räumlichkeiten (nicht von blofsen Umhüllungen), also von Wandschränken, Warenballen, Kisten, Koffern, Säcken; die Entfernung der Verlötung einer Gasleitung usw.; aber auch die Eröffnung verschlossener Gebäudeteile. Die Eröffnung mufs innerhalb des Gebäudes stattfinden. 3. Der schon in den deutschen Volksrechten erwähnte Ebenso Mtrkel HH. 3 675, Olshausen § 2 4 3 19. Dagegen begnügt sich die gem. Meinung mit der Gewalt (auch R 5. Juli 81 4 353, Geyer 2 46, v. Meyer 665). 2 ) Dagegen R 12. April 82 6 187, Geyer 2 47, Hdlschner 2 320. Übereinstimmend Olshausen § 2 4 3 19.
§ 126.
Die Arten des Diebstahls.
40I
D i e b s t a h l m i t f a l s c h e n S c h l ü s s e l n ; vorliegend, wenn zur Eröffnung eines Gebäudes oder der Zugänge eines umschlossenen Raumes oder zur Eröffnung der im Innern befindlichen Thüren oder Behältnisse f a l s c h e S c h l ü s s e l oder andre zur ordnungsmäfsigen Eröffnung nicht bestimmte Werkzeuge (Haken, Messer; Bleistücke, die statt Münzen in die Öffnung eines Automaten 3 ) eingeworfen werden) angewendet werden. E s handelt sich dabei, im Gegensatze zu den Brechwerkzeugen, um solche Werkzeuge, durch welche der eigentümliche Mechanismus der Verschlufsvorrichtung in Bewegung gesetzt wird. Falscher Schlüssel ist auch der verloren gegangene, entwendete, zurückbehaltene frühere e c h t e Schlüssel, sobald er durch einen andern ersetzt, also nicht mehr zur ordnungsmäfsigen Eröffnung bestimmt ist. 4. Der schon Osterreich 1768 und A L R . erwähnte Diebstahl an G e g e n s t ä n d e n d e r B e f ö r d e r u n g („Postdiebstahl") liegt vor, wenn auf einem öffentlichen (d. h. dem Gebrauche des Publikums offenen, wenn auch im Privateigentume stehenden) Wege, einer Strafse, einem öffentlichen Platze, einer Wasserstraße oder einer Eisenbahn oder in einem Postgebäude oder dem dazu gehörigen Hofraume oder auf einem Eisenbahnhofe eine zum Reisegepäck oder zu andern Gegenständen der Beförderung gehörende Sache mittels Abschneidens oder Ablösens der Befestigungs- oder Verwahrungsmittel oder durch Anwendung falscher Schlüssel oder andrer zur ordnungsmäfsigen Eröffnung nicht bestimmter Werkzeuge gestohlen wird. „Abschneiden" und „Ablösen" sind im weitern Sinne zu nehmen; auch das Anbohren von Fässern, das A b streifen des Bindfadens würde hierher gehören. „ E i s e n b a h n " umfafst nur die mit toten (mechanischen) Naturkräften (Dampf, Elektrizität, Schwerkraft usw.) betriebenen, mit festen Geleisen versehenen Bahnen, nicht aber Pferdebahnen.4) Privatbahnen (in Fabriken, Bergwerken usw.) können 3)
Vgl- Auwers Der Rechtsschutz der Automaten nach gem. Recht. Diss. Günther Das Automatenrecht. Diss. 1892. *) Ebenso (für StGB. § 315) R 19. Mai 85 12 205, 17. September 85 12 371. Gegen den einheitlichen Begriff der Eisenbahn im strafrechtlichen Sinn Olshausen § 2 4 3 17 und in eingehender Darstellung Loock Der strafrechtliche Ton L i s z t , Strafrecht. 6. Aufl. 26 1891.
402
§ 126.
Die Arten des Diebstahls.
mit Rücksicht auf den Zweck der Strafdrohung nicht hierher gerechnet werden, wohl aber schmalspurige Nebenbahnen oder städtische Dampftrambahnen. „ G e g e n s t ä n d e d e r B e f ö r d e r u n g " sind die zur Beförderung b e s t i m m t e n Gegenstände, sobald sie an den bezeichneten Orten sich befinden, mögen sie auch der Transportgesellschaft noch nicht zur Beförderung übergeben worden sein. 5. D e r b e w a f f n e t e D i e b s t a h l : wefin der Dieb oder einer der Teilnehmer bei Begehung der That Waffen bei sich führt. „ W a f f e " ist hier im technischen Sinne zu nehmen.5) Da, — abweichend von der PGO., welche den E n t s c h l u f s , von der Waffe allenfalls Gebrauch zu machen, als erschwerend betrachtete (die gemeinrechtliche Wissenschaft verlangte den animus laedendi), — der Grund der höhern Strafbarkeit des bewaffneten Diebstahls in seiner gröfsern o b j e k t i v e n (durch die Möglichkeit des Gebrauchs bedingten) Gefährlichkeit liegt, ist es gleichgültig, einerseits ob der Dieb die Absicht hatte, die Waffe nötigenfalls zu gebrauchen, anderseits ob infolge des äufserlich sichtbaren Tragens der Waffe der Bestohlene sich in seiner persönlichen Sicherheit bedroht fühlte. Daher ist der erschwerende Umstand gegeben, wenn der Soldat das gewöhnliche Seitengewehr trägt, nicht aber, wenn er seine Kanone begleitet oder wenn das Dienstmädchen den Degen ihres Herrn zum Schwertfeger trägt. Wer eine nicht geladene Schufswaffe bei sich trägt, ist dagegen bewaffnet, falls es ihm nicht an der erforderlichen Munition fehlt. Der Vorsatz des Thäters mufs auch den Besitz der Waffe mit umfassen. 6. Der B a n d e n d i e b s t a h l : wenn zu dem Diebstahle mehrere mitwirken, welche sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden haben (oben S. 190). Die Form Schutz der Eisenbahnen 1893 S. 155. Nach ersterem kommt es hier lediglich d a r a u f an, ob die „Eisenbahn" „Reisegepäck" befordert oder nicht; und letzterer versagt daher allen „Nebenbahnen" den Schutz des § 243 Ziff. 4. 5 ) Vgl. oben S. 303. Ebenso Geyer 2 48, Hälschner 2 329 , v. Kries GA. 25 33, 48; dagegen Berner 551', Merkel 3 2 1 , v. Meyer 670, Olshause» § 2 4 3 46, Schulze 435.
§ 126.
Die Arten des Diebstahls.
403
der „Mitwirkung" (Thäterschaft, Mittäterschaft, Teilnahme) ist gleichgültig.6) 7. D e r n ä c h t l i c h e D i e b s t a h l : vorliegend, wenn der Diebstahl z u r N a c h t z e i t in einem bewohnten Gebäude, in welches sich der Thäter in diebischer Absicht e i n g e s c h l i c h e n oder in welchem er sich in gleicher Absicht verborgen hatte, begangen wird, auch wenn zur Zeit des Diebstahls Bewohner in dem Gebäude nicht anwesend sind. Einem bewohnten Gebäude werden der zu einem solchen gehörende umschlossene Raum und die in einem solchen befindlichen Gebäude jeder Art, sowie Schiffe, welche bewohnt werden, gleich geachtet. Ein „ b e w o h n t e s G e b ä u d e " ist dasjenige Gebäude (oben S. 400), welches Menschen zur ordnungsmäfsigen Nachtruhe dient. „ N a c h t z e i t " ist, wie aus dem Zwecke der Bestimmung hervorgeht, nicht die Zeit der Dunkelheit, sondern die ortsübliche Zeit der Nachtruhe.') „ E i n s c h l e i c h e n " ist das heimliche, sich der Wahrnehmung durch andre absichtlich entziehende Eintreten. Vornächtliches Einschleichen ist nicht erforderlich. III. D i e b s t a h l im z w e i t e n R ü c k f a l l e (StGB. §§ 244 und 245; oben § 69). Voraussetzung: zweimalige frühere Bestrafung im I n l a n d e wegen Diebstahls, Raubes, räuberischen Diebstahls, räuberischer Erpressung oder Hehlerei. Ob die Vorstrafe durch Zivil- oder Militärgerichte oder durch Polizeibehörden ausgesprochen worden, ist gleichgültig, sobald es sich nur um eine eigentlich peinliche Strafe handelt; auch der Verweis genügt als Vorstrafe, nicht aber eine Nebenstrafe, wie die Aberkennung der Ehrenrechte nach StGB. § 37.®) Die technische Bezeichnung der Vorverbrechen bleibt aufser Betracht, doch mufs innere Gleichartigkeit mit den in § 244 StGB, genannten Verbrechen gegeben sein. Daher begründen Vorstrafen wegen Entwendungen, welche das geltende Recht vom Diebstahl trennt (wie Mundraub, Entwendungen im Sinne der Forst6) Ebenso Hälschner 1 557, 2 330 Note 1, Merkel HH. 3 638, Olshausen § 243 48; dagegen v. Meyer 672, Schütze 435. ') Übereinstimmend Berner 551, Geyer 2 48, Hälschner 2 332, v. Meyer 667; dagegen Merkel 321, Olshausen § 243 5z, R 23. Dezember 80 3 209. 8) Ebenso R 7. Juli 90 21 35; jetzt auch Olshausen § 244 6.
26*
404
§ 126.
Die Arten des Diebstahls.
uqd Feldpolizeigesetze usw.), die Anwendung der Rückfallsschärfung nicht. Der Thäterschaft bez. der Vollendung stehen in Bezug auf erste, zweite und dritte Begehung Teilnahme bez. Versuch durchaus gleich. Ebenso genügt Vorb^strafung aus § 257 Abs. 3 StGB, (oben § 52 Note 9). Die Vorbestrafung ist „im Inlande" erfolgt, wenn das Gericht, welches sie ausgesprochen, nach h e u t i g e m Rechte zum Inlande gehört, mag es auch zur Zeit der Aburteilung dem Auslande angehört haben. Die Vorstrafen müssen ganz oder teilweise verbüfst oder erlassen sein. Ein zehnjähriger Zeitraum von Verbüfsung oder Erlafs der l e t z t e n S t r a f e bis zur Begehung des neuen Diebstahls schützt vor der Rückfallsstrafe (sog. R ü c k f a l l s v e r j ä h rung). Dagegen kommt der zwischen der ersten und der zweiten Verurteilung verstrichene Zeitraum nicht in Betracht. Die S t r a f e beträgt: a) für einfachen Diebstahl (StGB. § 2 4 2 ) Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten; b ) für schweren Diebstahl (StGB. § 2 4 3 ) Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Jahre.
StGB.
§ 248 gilt auch hier.
IV. Der r ä u b e r i s c h e (raubähnliche) Diebstahl (StGB. § 252), vorliegend, .wenn der Dieb, auf frischer That, also nach Vollendung der Wegnahme, betroffen, gegen eine Person Gewalt verübt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben anwendet, um sich im Besitze des gestohlenen Gutes zu erhalten, wenn also Gewalt und Drohung (oben § 97 IV) nicht Mittel der Wegnahme sind. Strafe: die des Raubes. V. M i l d e r b e s t r a f t e F ä l l e (StGB. § 247, der sog. F a m i l i e n - und Hausdiebstahl): 1. Diebstahl von Verwandten aufsteigender Linie gegen Verwandte absteigender Linie oder zwischen Ehegatten begangen (§ 247 Abs. 2) bleibt straflos (oben S. 163). 2. Als relatives Antragsvergehen (oben § 44 Note 1 1 ) behandelt das RStGB. zwei Fälle (StGB. § 247 Abs. 1): a) Ohne weitre Bedingung den Diebstahl gegen Angehörige» Vormünder oder Erzieher (StGB. § 52 Abs. 2) („Familiendiebstahl");
§ 127.
Dem Diebstahl verwandte Fälle.
4P5
b) wenn es sich um Sachen von unbedeutendem Werte handelt, den Diebstahl gegen Personen, zu welchen der Thäter im Lehrlingsverhältnisse steht oder in deren häuslicher Gemeinschaft er als Gesinde sich befindet (der freie Zutritt zu den Räumlichkeiten entscheidet). Mafsgebend ist nach dem oben § 125 VII Gesagten die Beziehung des Thäters zum Gewahrsamsinhaber. Der Diebstahl ist Antragsvergehen, wenn die vom Sohne bei seinem Vater gestohlenen Gegenstände Eigentum eines dritten sind; nicht aber, wenn die bei einem dritten gestohlene Sache Eigentum des Vaters ist. Der Antrag ist rucknehmbar. Beide Bestimmungen (1 und 2) finden auf Teilnehmer oder Begünstiger, Wfelche nicht in einem der vorbezeichneten Verhältnisse stehen, keine Anwendung (StGB. § 247 Abs. 3).
§ 127.
D e m Diebstahl verwandte Fälle.
Litteratur. Lenz Der strafrechtliche Schutz des Pfandrechts. Ein Beitrag zur Geschichte und Dogmatik des Schuldrechts 1893 S- 95- Friedländer 2 11 369 (Mundraub). Schwarze Der Futterdiebstahl (Abhandlungen des Kriminalist. Seminars 3 3) 1893. Aus dem Begriffe des Diebstahls (und —• teilweise wenigstens — der Unterschlagung) haben sich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung eine Reihe von Vergehungen losgelost und selbständige Bedeutung erlangt, die hier der bessern Übersicht wegen zusammengestellt und dem Diebstahle angeschlossen werden sollen, wenn sie auch, einzeln betrachtet, eine andre Stellung im Systeme des besonderen Teiles beanspruchen könnten. Es sei betont, dafs wir es hier mit s e l b s t ä n d i g e n Verbrechensbegriffen zu thun haben, auf welche daher das über den Diebstahl Gesagte n i c h t ohne weiteres Anwendung findet.
I. D i e G e b r a u c h s a n m a f s u n g . Das furtum usus war im r ö m i s c h e n R e c h t e ausdrücklich zum furtum "gerechnet worden (oben § 124 I). Das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r dagegen behandelte einzelne hierher gehörige Fälle, wie den Raubritt (Ribuaria, Schsp.), die Benutzung eines fremden Kahnes, das Bebauen eines fremden Grundstuckes, als besondere, mit Bufse zu belegende Vergehen. Die g e m e i n r e c h t l i c h e Wissenschaft und Rechtspflege griff auf die Auffassung des romischen Rechts vielfach zuruck. Je mehr aber der heutige Diebstahlsbegriff sich entwickelte, desto weniger wollte die Gebrauchsanmafsung unter ihn passen, da es ja an der Aneignungsabsicht bei ihr ganzlich mangelt. Daher sahen sich mehrere Landes-StGBücher, so z. B. Sachsen, veranlafst, der Gebrauchsanmafsung eine selbständige, allgemein gehaltene Strafdrohung zu widmen.
Nach Reichsrecht ist einen, besondern, durch trauens erschwerten Falle liche Pfandleiher die von
die Gebrauchsanmafsung nur in dem den Mifsbrauch des öffentlichen Ver(StGB. § 290) strafbar, wenn öffentihnen in Pfand genommenen Gegen-
406
§ 127.
Dem Diebstahl verwandte Fälle.
stände unbefugt in Gebrauch nehmen. Ö f f e n t l i c h e Pfandleiher sind diejenigen, deren Geschäft dem Publikum offen steht. Andre Arten der Gebrauchsanmafsung, wie das Tragen fremder Kleider und Wäsche, das Benutzen eines fremden Eisenbahnoder Theaterbillets, das Lesen fremder Zeitungen und Bücher, das Benutzen eines fremden Regenschirms oder Pelzes usw., erscheinen, soweit nicht Betrug vorliegt, nicht als strafbar. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre, das nach Ermessen mit Geldstrafe bis neunhundert Mark verbunden werden kann.
II. D i e B e s i t z e n t z i e h u n g (die Pfandkehrung). Sie ist nach § 289 StGB. W e g n a h m e 1 ) einer beweglichen Sache; aber, im Unterschiede vom Diebstahl, Wegnahme der eignen Sache durch den Eigentümer oder die Wegnahme einer fremden Sache zu gunsten ihres Eigentümers durch einen dritten. Sie wendet sich gegen den Nutzniefser, Pfandgläubiger oder Gebrauchs- oder Zurückbehaltungsberechtigten; sie gefährdet zugleich meist (nicht notwendig) auch die Befriedigung des Anspruchs, den der Gewahrsam zu sichern berufen ist. Thäter kann auch ein Mitberechtigter sein. Wegnahme durch den Nichteigentümer im eigenen Interesse kann nur als Diebstahl strafbar sein. Hierher gehört insbesondere die Ausräumung der eingebrachten Sachen des Mieters gegen den ausdrücklich oder stillschweigend erklärten Willen des Vermieters (das „Rücken"); nicht aber deren Zerstörung.2) Die Wegnahme mufs in „ r e c h t sw i d r i g e r A b s i c h t " , d. h. zu dem Zwecke 3 ) erfolgen, das Recht des Berechtigten zu verletzen. Der Vorsatz mufs das Recht des Gewahrsamsinhabers mitumfassen. S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren (daneben nach Ermessen Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte) oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. V e r s u c h strafbar. Antragsvergehen. StGB. § 2 4 7 Abs. 2 und 3 (oben § 126 V) finden auch hier Anwendung; nicht aber die Erschwerungen des § 243 StGB.
III. Der F o r s t - u n d F e l d d i e b s t a h l , im deutschen Rechte von je her vom gemeinen Diebstahl unterschieden, ist *) Der Begriff ist weiter als beim Diebstahl, da Gewahrsam des Berechtigten nicht erforderlich ist. Vgl. Lenz 113. s ) Vgl. oben § 125 Note 10. Ebenso R 29. März 87 15 434; anders in StGB. § 137. Dagegen Olshausen § 289 7.' 3 ) Ebenso mit der gem. Mein. R 2. März 94 25 155. Dagegen Binding Normen 2 597.
§ 127-
Dem Diebstahl verwandte Fälle.
407
durch Einführungsgesetz § 2 der Landesgesetzgebung überlassen worden.4) Es ist mithin nicht als .„Diebstahl" im technischen Sinne des RStGB. zu betrachten. IV. Die widerrechtliche Zueignung von bei den Übungen der Artillerie verschossener M u n i t i o n oder von Bleikugeln aus den Kugelfängen der Truppenschiefsstände (StGB. § 291). Die Bestimmung ist aus der preufsischen Kabinettsordre vom 23. Juli 1833 in das preufsische StGB. § 349 Ziff. 5 als Übertretung übergegangen, im RStGB. aber im Hinblick auf den erhöhten Wert der Geschosse zum Vergehen erhoben worden. Das kennzeichnende Merkmal, welches (abgesehen von dem engbegrenzten Gegenstande) dieses Vergehen von dem Diebstahl unterscheidet, liegt in der eigentümlichen Gestaltung der Verfügungsgewalt, welche den Truppen über die im § 291 genannten Gegenstände zusteht. Von einem Aufgeben des Eigentums verbunden mit einem staatlichen Wiederergreifungsrechte kann nicht die Rede sein. Wohl aber wird der Gewahrsam bis zur äufsersten Grenze g e l o c k e r t , ohne gänzlich verloren zu gehen, solange die Artilleriemunition nicht über die Grenzen des Ubungsfeldes hinausfliegt und die Kugeln in den offenen Kugelfängen sich befinden. Ebendarum ist nicht § 291, sondern § 242 anzunehmen, sobald der Gewahrsam, wie etwa bei dem in geschlossenen Schiefsplätzen oder Kugelfängen befindlichen Material, völlig erhalten bleibt; und auch § 291 entfallt, wenn der Gewahrsam völlig verloren geht, wie bei Übungen auf offenem Wasser.5) S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. V. Unbefugte Verringerung eines fremden Grundstucks, eines öffentlichen oder Privatweges oder eines Grenzrains durch Abgraben oder Abpflugen (StGB. § 370 Ziff. 1). S t r a f e : Geldstrafe bis zu hundertundfunfzig Mark oder Haft. 4) Vgl. oben § 19 Note 4. F o r s t d i e b s t a h l ist die Entwendung von Walderzeugnissen (insbesondere Holz), solange sie noch nicht gewonnen sind; F e l d d i e b s t a h l ist die Entwendung von Feldfruchten vom Felde. Die Landesgesetze enthalten aber meist noch weitere Einschränkungen. Reichsrechtliche Regelung wünschenswert. ®) Sehr bestritten. Die uberwiegende Meinung betrachtet § 291 als die engere Bestimmung; so Binding Normen 1 21 Note 10, 2 485, Hälschner 2 311, Merkel 319, v. Meyer 693. Olshausen § 291 3 nimmt Idealkonkurrenz an. Nach meiner Meinung schliefsen sich die §§ 242 und 291 gegenseitig aus.
408
§
I27-
Dem Diebstahl verwandte Fälle.
VI. Unbefugte Wegnahme von Erde, Steinen, Rasen aus öffentlichen oder Privatwegen; Graben von Erde, Lehm, Sand, Grand, Mergel aus fremden Grundstücken; Hauen von Plaggen oder Bülten; Wegnahme von Rasen, Steinen, Mineralien aus fremden Grundstücken, zu deren Gewinnung es einer Verleihung, einer Konzession oder einer Erlaubnis einer Behörde nicht bedarf, oder von ähnlichen Gegenständen (StGB. § 370 Ziff. 2). S t r a f e : wie zu V.
VII. Der M u n d r a u b , d. i. die Entwendung von N a h r u n g s - o d e r G e n u f s m i t t e l n von unbedeutendem Werte oder in geringer Menge zum alsbaldigen Gebrauche (StGB. § 370 Ziff. 5). Er unterscheidet sich vom Diebstahl wie von der Unterschlagung einerseits durch den geringen Vermögenswert des Gegenstandes, anderseits durch die bestimmter bezeichnete Absicht: nicht jede Zueignung, sondern alsbaldiger Verbrauch ist der Zweck der Entwendung. Die Notwendigkeit vorhergehender Zubereitung schliefst diesen Begriff ebensowenig aus wie der Mitgenufs andrer Menschen; wohl aber Verkauf, Verschenkung oder Aufsammlung der entwendeten Gegenstände. „Nahrungsmittel" sind die zur Ernährung des menschlichen Körpers bestimmten Efswaren und Getränke; „Genufsmittel" andere Stoffe, die dem Körper zugeführt und von diesem aufgenommen werden (mit Ausschlufs der Heilmittel). Zu den Genufsmitteln sind auch Tabak, Zigarren, Parfüms, nicht aber Brennmaterialien, Beleuchtungsgegenstände zu rechnen; Blumen gehören hierher, wenn sie zum Riechen, nicht wenn sie als Schmuck verwendet werden sollen. Wegen ihrer durchaus selbständigen Natur darf diese „Entwendung" in keiner Beziehung, insbesondere nicht in Bezug auf die Strafschärfungen der §§243, 244, 252 als eigentlicher Diebstahl betrachtet werden, während bei Anwendung von Gewalt oder Drohung Raub oder Erpressung angenommen werden müfste.7) S t r a f e : wie zu V.
Antragsvergehen; Rücknahme zulässig. Entwendun-
•) Er tritt daher b e i d e n gegenüber. So die überwiegende Meinung, insbes. Olskausen § 370 Ziff. 5 a. Dagegen entspricht er nach R 7. März 93 2 4 38 nur dem Diebstahl. ' ) Die Frage ist sehr bestritten. Der Beschlufs der Verein. Strafsenate vom 7. Juli 86 14 313 erklärt den Mundraub mit der gem. Mein, für Diebstahl, will aber trotzdem (folgewidrig) die Erschwerungen des § 243 StGB, nicht anwenden. — Durch fortgesetzte Begehung kann die Eigenart der Entwendung nicht geändert werden; richtig Friedländer 412, dagegen R 26. April 88 17 332, Olskausen § 3 7 0 Z i f f . 5 f.
§ 128.
2. Der Raub.
409
gen von Verwandten aufsteigender gegen Verwandte absteigender Linie und zwischen Ehegatten bleiben straflos.
VIII. Der sogenannte F u t t e r d i e b s t a h l (StGB. § 370 Ziff. 6) 8 ) besteht in der Wegnahme (nicht im technischen Sinne, sondern soviel wie oben das „Entwenden" beim Mundraub) 9 ) von Getreide oder andern zur Fütterung des Viehs bestimmten oder geeigneten Gegenstanden wider Willen 10) des Eigentümers, um dessen Vieh damit zu füttern. Auch der Futterdiebstahl darf — und zwar wegen der Verwendung der weggenommenen Gegenstände im Interesse des Eigentümers — nicht als Diebstahl oder Unterschlagung im technischen Sinne der Reichsgesetzgebung betrachtet werden. ") § 128.
2. D e r Raub.
Litteratur. Breidenbach Verbrechen des Raubes nach rom. Recht 1839. Kostlin Abhandlungen 1858 S. 389. Merkel HH. 3 714. Villnow Raub und Erpressung 1875. v. Buri GS. 2 9 Beilageheft. Wanjek GA. 2 7 194. Hälschner 2 364. — Über den S e e r a u b vgl. die Darstellungen des Völkerrechts. I. G e s c h i c h t e . Der Raub als selbständiger Verbrechensbegriff ist deutschrechtlichen Ursprunges. Im altern r ö m i s c h e n Rechte lediglich als „schlechter Diebstahl" bezeichnet (Gaius 3 209), durch die vom Prätor Lucullus 677 oder 678 a. u. für den Fall gewaltsamer Entwendung durch eine bewaffnete Rotte eingeführte actio vi bonorum raptorum (D. 47, 8) mit der Privatstrafe des quadruplum bedroht, wurden später gewisse Fälle des Raubes allerdings bald als vis (cum armis, ex incendio, naufragio; 1. 3 D. 48, 6), bald als crimen extraordinarium (latrones, grassatores; 1. 28 § 10 D. 48, 19) mit öffentlicher Strafe belegt; aber der allgemeine Begriff des Raubes bleibt dem romischen Rechte verschlossen. Dagegen hat das m i t t e l a l t e r l i c h d e u t s c h e R e c h t den Raub als die o f f e n e Wegnahme einer fremden Sache von je her scharf von der dieblichen Wegnahme geschieden; und auch, nachdem im Laufe des Mittelalters, insbesondere in Landfrieden und Rechtsbüchern, das Merkmal der G e w a l t in den Begriff des Raubes aufgenommen und damit seine Strafbarkeit bedeutend erhöht worden war, wurden Diebstahl und Raub immer als wesentlich verschiedene Verbrechen behandelt, jener mit dem Strang, dieser als Friedensbruch mit dem Schwert bestraft. Dagegen trifft den „rechten Strafsenraub", an 8 ) In der deutschen Landesgesetzgebung seit dem 18. Jahrhundert hervorgehoben (Hannover 1710, 1736, 1772, Preufs. Entwürfe seit 1827, Mecklenburg 1847, Sachsen 1855). Rechtsprechung und Wissenschaft schwanken. Das geltende Recht beruht auf einer preufs. Verordnung vom 30. Mai 1859. 9 ) Dagegen Schwarze 270. , 0 ) Eventueller Vorsatz genügt auch hier; dagegen Schwarze 276 (wegen der Worte „ w i d e r Willen"). n ) Es fehlt also die Aneignungsabsicht; vgl. Schwarze 235.
§ 128.
2. Der Raub.
Pfaffen, Pilgern, Kaufleuten auf des Königs Heerstrafse begangen, der Galgen. So finden wir auch in der PGO. die Strafdrohung gegen den „boshaft überwundenen Räuber" (Art. 126) nicht unter den zahlreichen den Diebstahl behandelnden Artikeln, sondern weitab von diesen zwischen Brandstiftung und Aufruhr, sodafs die Richtung gegen die allgemeine Sicherheit unzweideutig hervortritt. Im g e m e i n e n R e c h t machen sich zwei Strömungen geltend. Die eine, besonders von Carpzov vertreten, nimmt Raub als Strafsenraub, latrocinium (so Österreich 1656 und 1768, Bayern 1751); die andern, so Böhmer, Meister, Engau sehen das Wesen der robbaria, depraedatio, grassatio in der Gewalt gegen Personen (ihnen folgen Preufsen 1620 und 1794). Auch die deutsche L a n d e s g e s e t z g e b u n g d e s 19. Jahrhunderts schwankt, insbesondere in Bezug auf den Zeitpunkt der Vollendung, und ist in ihrem Bemuhen, den Raub vom Diebstahl einerseits, von der Erpressung anderseits zu unterscheiden, nur teilweise glücklich gewesen. Das RStGB. hat, im Anschlüsse an das p r e u f s i s c h e , Raub und Erpressung in demselben Abschnitt zusammengestellt und dadurch den erstem sowohl von der Nötigung als auch vom Diebstahl schon äufserlich gesondert, sodafs, trotz der Aufnahme sämtlicher Merkmale des Diebstahls in den Begriff des Raubes, dieser im heutigen Rechte als selbständiges Verbrechen betrachtet werden mufs. II. D e r B e g r i f f .
N a c h § 2 4 9 S t G B , ist des Raubes schul-
dig, „wer m i t G e w a l t Anwendung Gefahr Sache
für
einem
von
gegen
eine Person
Drohungen
Leib
oder
andern
in
Leben
der
mit eine
Absicht
oder
unter
gegenwärtiger fremde
bewegliche
w e g n i m m t , sich
diese
rechtswidrig zuzueignen". 1. Kennzeichnend für den R a u b Mittel
sind
mithin
wahrsams auf seiten des T h ä t e r s : D r o h u n g Gefahr
zunächst
der Wegnahme, d. h. der Begründung des eignen für L e i b
und L e b e n
oder Gewalt
mit gegen
die Ge-
gegenwärtiger eine Person.
D i e letztere ist (oben S. 323) stets Gewalt an der Person, 1 ) d. h. an
dem
thatsächlichen
Inhaber
der
wegzunehmenden
Sache.
E s genügt weder G e w a l t an Sachen (Wegreifsen der Uhrkette), noch Gewalt an andern Personen (z. B. an dem Kinde, um die Mutter zur Herausgabe der Sache zu veranlassen).
Die A n w e n -
dung dieser Mittel unterscheidet den Raub einerseits v o m Diebstahl,
mit welchem
*) Will bleibt nichts StGB. § 255 unternehmen
man die übrig, als einerseits, Binding 1
er im
übrigen
alle Merkmale gemein hat,
im Texte angenommene Deutung nicht billigen, dann die Behauptung einer „unlösbaren Antinomie" zwischen §§ 249 und 253 anderseits. Diesen Verzweiflungsschritt 462, Geyer 2 58, v. Meyer 717, 720 Note 18.
§ 128.
2. Der Raub.
411
anderseits von der Erpressung (unten § 140). Daraus ergibt sich, dafs die sogenannte „räuberische Erpressung" (StGB. §255) nicht Erpressung sein kann. 2. Aber auch noch ein andres Merkmal unterscheidet den Raub von der Erpressung. Jener ist W e g n e h m e n einer fremden beweglichen S a c h e , mithin gerichtet unmittelbar gegen den G e w a h r s a m , mittelbar gegen das Eigentum, diese gegen das V e r m ö g e n überhaupt. Die sogenannte „räuberische Erpressung" kann auch darum nicht R a u b sein; sie ist vielmehr, wie der Name es ausdrückt, ein eigenartiges Verbrechen ^ welches durch Verbindung der M i t t e l des Raubes mit den G e g e n s t ä n d e n der Erpressung gebildet und am besten als eine Erweiterung des Raubes vom S a c h v e r b r e c h e n zum V e r m ö g e n s v e r b r e c h e n aufgefafst, mithin im Anschlüsse an den Raub behandelt wird (unten III 4). 3. Der Raub ist vollendet (wie der Diebstahl) mit der vollendeten Wegnahme der Sache, ohne dafs erfolgte Zueignung erforderlich wäre; der strafbare V e r s u c h beginnt bereits mit der Anwendung von Gewalt oder Drohung. III. F ä l l e d e s R a u b e s . 1. E i n f a c h e r R a u b (StGB. § 249). S t r a f e : Zuchthaus; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten.
2. S c h w e r e r R a u b (StGB. § 250). Die erschwerenden Umstände sind teilweise dieselben wie beim Diebstahl, sodafs hier das oben § 126 Gesagte zu vergleichen ist. Schwerer Raub liegt vor: a) Wenn der Räuber oder einer der Teilnehmer am Raube bei Begehung der That Waffen bei sich fuhrt. b) Wenn zu dem Raube mehrere mitwirken, welche sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden haben (Bande). c) Wenn der Raub auf einem öffentlichen Wege, einer Strafse, einer Eisenbahn, einem öffentlichen Platze, auf offener See oder einer Wasserstrafse begangen wird. ( S t r a f s e n r aub, S e e r a u b , Piraterie, gemeinrechtlich mit dem Schwert bestraft.) Der Begriff der „offenen See" bestimmt sich nach völkerrechtlichen Grundsätzen; StGB. §§ 3—5 finden auch hier Anwendung.
412
§ 128.
2. Der Raub.
Diö „Wasserstrafse" braucht nicht als s o l c h e benutzt zu sein; auch die Beraubung badender oder fischender Personen gehört hierher. d) Wenn der Raub zur Nachtzeit in einem bewohnten Gebäude (oben S. 403) begangen wird, in welches der Thäter zu,r Begehung eines Raubes oder Diebstahls sich eingeschlichen oder gewaltsam (durch Gewalt gegen Personen oder Sachen) sich Eingang verschafft oder in welchem er sich in gleicher Absicht verborgen hatte. e) Wenn der Räuber bereits einmal als Räuber oder wegen räuberischen Diebstahls (StGB. § 252) oder räuberischer Erpressung (StGB. § 255) im Inlande bestraft worden ist (Raub im ersten Rückfall). StGB. $ 245 findet auch hier Anwendung. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter fünf Jahren;
bei mildernden Umständeil
Gefängnis nicht unter einem Jahre.
3. S c h w e r s t e r F a l l (StGB. § 251): Raub, bei dem ein Mensch gemartert oder bei dem durch die verübte Gewalt eine schwere Körperverletzung (StGB. § 224) oder der Tod eines Menschen verursacht worden ist; gleichgültig, ob die gemarterte, verletzte, getötete Person der Beraubte selbst oder ein dritter ist. „Marterung" (verwandt mit dem „Quälen" in § 360 Ziff. 13) erfordert länger andauernde Zufügung körperlicher Schmerzen von einer bestimmten Heftigkeit. Die schwerere Strafe trifft jeden, welcher sich an dem Raube in Kenntnis der marternden oder gewaltsamen Handlung beteiligt hat, mag er auch an dieser Handlung selbst keinen Anteil genommen haben. Strafe:
Zuchthaus
nicht
unter
zehn
Jahren
oder
lebenslängliches
Zuchthaus.
4. D i e r ä u b e r i s c h e E r p r e s s u n g (StGB. § 255). Sie liegt vor, wenn j'emand, um s i c h o d e r e i n e m d r i t t e n e i n e n r e c h t s w i d r i g e n V e r m ö g e n s v o r t e i l zu v e r s c h a f f e n , einen andern durch Gewalt an der Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zu e i n e r H a n d l u n g , D u l d u n g o d e r U n t e r l a s s u n g nötigt.2) S t r a f e : die des Raubes.
Über die einzelnen Begriffsmerkmale vgl. unten § 1 4 0 (Erpressung).
§ 129-
3- Die Unterschlagung.
413
5. Der sog. r ä u b e r i s c h e D i e b s t a h l (StGB. § 252) ist, •wie bereits oben § 126 IV hervorgehoben, nicht Raub, sondern Diebstahl. IV. Neben der Zuchthausstrafe kann in allen Fällen auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB. § 256).
§ 129. 3. Die Unterschlagung. Litteratur. Schütze GS. 21 115. v. Stemann Das Vergehen der Unter' schlagung und Untreue 1870. Merkel H H . 3 689. Huber Unterschlagung 1875. Kaff Die Unterschlagung 1879. Hdlschner GA. 15 I. Walther Die Lehre •vom Funddiebstahl 1849. Rotering GS. 36 520, 561. Fuchs G A . 32 161. Uälschner 2 345. I. G e s c h i c h t e . Während das r ö m i s c h e R e c h t die Unterschlagung ohne weitere Unterscheidung mit dem Diebstahl in dem weiten Begriffe des furtum zusammenfafste, wurde im d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r zumeist zwischen •dem dieblichen Behalten von zu treuer Hand ubergebenen Sachen einerseits und dem einfachen Behalten von gefundenen oder auf andre Weise zufallig «rlangten Sachen unterschieden, der erste Fall als Veruntreuung dem Diebstahl gleichgestellt, der zweite als Unterschlagung nur willkürlich bestraft. Demgemäfs bestimmt PGO. 170: „welcher mit eines andern Gutern, die ihm in gutem Glauben zu behalten und verwahren gegeben sind, williger- und gefahrlicherweise dem Gläubiger zu Schaden handelt, solche Missethat ist einem Diebstahl gleich zu strafen" — und stellt so die Veruntreuung als selbständige Vergehung in der Bestrafung dem Diebstahl gleich. Gemeinrechtlich war die Stellung sowohl der Veruntreuung als auch besonders der einfachen Unterschlagung eine sehr bestrittene. Carpzov, Krefs, Koch, Engau u. a. hielten a n der deutschrechtlichen Auffassung fest, stellten die Unterschlagung als furtum improprium (contrectatio ficta) n e b e n den Diebstahl und begnügten sich meist mit geringerer Strafe (so Kurpfalz 1582, Frankfurt 1578, Preufsen 1620). Die andern liefsen, wie Böhmer (auch Bayern 1751, Österreich 1768 und 1787) die Unterschlagung ganz im Diebstahl aufgehen. Erst allmählich gewinnt die Unterschlagung in der n e u e r e n Gesetzgebung ausgeprägtere Gestalt: die vielfach sich findende Beschränkung auf anvertraute Sachen („Veruntreuung") wird aufgegeben, die U n t e r s c h l a g u n g als Sachvergehen von der U n t r e u e als Verletzung von Forderungsrechten und von dem gegen das Vermögen überhaupt gerichteten B e t r u g gesondert, der Begriff seiner kasuistischen Fassung entkleidet. Während noch P r e u f s e n 1851 von „mit der Verpflichtung zur Ruckgabe, Verwahrung, Verwaltung oder Ablieferung erlangtem Gute" gesprochen und die durch Finden oder zufallig erlangten Sachen gleichgestellt hatte, bestimmt das RStGB. in § 246 ganz allgemein die Unterschlagung a l s die r e c h t s w i d r i g e Zueignung einer fremden beweglichen S a c h e , w e l c h e d e r T h ä t e r b e r e i t s in s e i n e m G e w a h r s a m e hat. Mit dieser allgemeinen Fassung entfiel die Notwendigkeit, die F u n d v e r h e h l u n g , welche wohl auch als F u n d d i e b s t a h l bezeichnet und teilweise (so Österreich) als B e t r u g behandelt wurde, besonders auszuzeichnen.
414
§
I 2 9-
3- Die Unterschlagung.
II. B e g r i f f . 1. G e g e n s t a n d der Unterschlagung ist wie beim Diebstahl eine f r e m d e b e w e g l i c h e S a c h e . Mithin kann an R e c h t e n überhaupt, an F o r d e r u n g s r e c h t e n insbesondere Unterschlagung ebensowenig wie Diebstahl begangen werden, während die das Recht beweisende oder begründende Urkunde als Sache Gegenstand des einen wie des andern Verbrechens sein kann. Daher wird weiter durch den Ubergang des Eigentums an den Gewahrsamsinhaber die Möglichkeit einer Unterschlagung unbedingt ausgeschlossen, mag auch eine persönliche Verpflichtung zur Rückgabe oder zur Verwendung nach einer ganz bestimmten Richtung hin bestehen. Ob der Eigentumsübergang stattgefunden hat oder nicht, ist lediglich nach den Grundsätzen des mafsgebenden bürgerlichen Rechts zu entscheiden; und die, insbesondre in der preufsischen Rechtsprechung, beliebte Aufstellung des Begriffes eines „strafrechtlichen Eigentums" kann heute als von allen Seiten aufgegeben betrachtet werden. Wichtig und schwierig gestaltet sich diese Frage bei der praktisch häufigen Übergabe von regelmäfsig v e r t r e t b a r e n Sachen. Hier ist es stets nach den genau ins Auge zu fassenden Umständen des Einzelfalles zu beurteilen, ob jene regelmäfsige Eigenschaft auch den im Einzelfall übergebenen Gegenständen zukommt; ob die Rückgabe in genere oder in specie zu leisten, ob also das Eigentum an den einzelnen Stücken auf den Empfanger übergegangen ist oder nicht. Nicht nur die unterscheidende Bezeichnung der hingegebenen Stücke (z. B. Versiegelung des die Banknoten enthaltenden Briefumschlags), sondern auch die Vermögensverhältnisse des Empfängers und seine Beziehungen zu dem Ubergebenden, insbesondere aber Vereinbarungen wie Geschäftsgebrauch werden für die Entscheidung der Frage mafsgebend sein.1) An einem S c h a t z e ist Unterschlagung durch den Finder dann möglich, wenn nach dem mafsgebenden bürgerlichen Rechte durch das Finden selbst einem dritten (dem Eigentümer ' ) Danach beantwortet sich im Einzelfalle die Frage, ob der Bankier an den ihm zu „offenem Depot" übergebenen Wertpapieren eine Unterschlagung begehen kann. Anders bei Amtsgeldern; vgl. unten § 177 VII.
§ 12g.
3. Die Unterschlagung.
4X5
des Grundstückes oder dem Staate) sofort E i g e n t u m an einem Teile des Schatzes, nicht blofs ein Anspruch auf Herausgabe erworben wird. 2. Nach ausdrücklicher Vorschrift des Gesetzes mufs der Thäter die Sache bereits in s e i n e m G e w a h r s a m haben. Darin liegt der Unterschied der Unterschlagung vom Diebstahle. Streng genommen wäre die Abgrenzung nur dann eine durchgreifende, wenn der Unterschied rein negativ etwa dahin gefafst worden wäre: „eine Sache, die der Thäter zu diesem Zwecke nicht erst aus dem Gewahrsame eines andern weggenommen hat. . . ." Aber auch die gegenwärtige Fassung des Gesetzes bietet einer verständigen Rechtsprechung keine ernstliche Schwierigkeit. Auf welche Weise der Unterschlagende den Gewahrsam erlangt hat, ob durch Zufall, durch Irrtum, durch ein Anvertrauen von Seiten des bisherigen Gewahrsamsinhabers oder endlich durch eine strafbare Handlung, ist gleichgültig. Doch wird in dem letzten dieser Fälle die Aneignung regelmäfsig hinter dem strafbaren Wegnehmen zurücktreten (oben § 55 Note 4). Insbesondere ist Aneignung einer gefundenen (von einem andern „verlornen") Sache unzweifelhaft als Unterschlagung zu betrachten.2) 3. Die H a n d l u n g besteht in der Z u e i g n u n g der fremden beweglichen Sache. Der Begriff ist derselbe wie beim Diebstahle. Vgl. oben § 125 V. Doch ist hier thatsächliche Begründung der eigentumsgleichen Herrschaft durch irgend eine den Herrschaftswillen bethätigende Handlung oder Unterlassung erforderlich. 4. Die W i d e r r e c h t l i c h k e i t der Zueignung ist zum Begriffsmerkmal erhoben; der Irrtum über sie mithin bedeutsam. Es schliefst daher die irrige Annahme, dafs der bisherige Eigentümer in die Aneignung willige, den Begriff der Unterschlagung aus; während bei Unkenntnis der thatsächlich erfolgten Einwilligung untauglicher Versuch anzunehmen ist. Beispiel: Ich rauche die Zigarren meines verreisten Stuben2 ) Auch wenn der Fund in Aneignungsabsicht aufgenommen wird. Dens auch dann geht die Begründung des Gewahrsams der Aneignung voraus. Unklar Olshausen § 246 9 im Anschlufs an die Motive.
§ 130.
4i6
4. Die Sachbeschädigung.
genossen oder benutze den Vorrat seines Weinkellers, um einen gemeinsamen Freund zu bewirten. 5. Die V o l l e n d u n g
tritt ein mit der geschehenen A n -
eignung (anders beim Diebstahl). Vergehensnatur strafbar —
beginnt
Der Versuch —
trotz der
mit der beginnenden A n -
eignung. 6. Verletzt ist der Eigentümer, und nur er, nicht derjenige, der die Sache dem Thäter übergeben
etwa
(anvertraut)
hatte. III. A r t e n d e r U n t e r s c h l a g u n g : 1. E i n f a c h e U n t e r s c h l a g u n g (StGB. § 246). S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren; bei mildernden Umständen nach Ermessen Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. 2. Die V e r u n t r e u u n g oder Unterschlagung a n v e r t r a u t e r , d. h. auf Grund eines Rechtsgeschäftes mit der Verpflichtung zur Ruckgabe oder Ablieferung übernommener Sachen. S t r a f e : Gefängnis bis zu fünf Jahren; bei mildernden Umständen Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. 3. Milder bestrafte Fälle (StGB. § 247); dieselben wie beim Diebstahl (oben § 126 V); entscheidend hier immer die Stellung des verletzten Eigentumers. Neben Gefängnis kann in allen Fällen auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden (StGB. § 248). § 130.
4. D i e
Sachbeschädigung.
Litteratur. Köstlin Abhandlungen 1858 S. 169. Lüder Die Vermogensbeschädigung 1867. Pernice Die Sachbeschädigung nach röm. Recht 1867. Merkel HH. 3 848, 4 455. Hälschner 2 386. Rotering GS. 47 211. I. G e s c h i c h t e . Die Sachbeschädigung verdankt erst der neueren Gesetzgebung ihre selbständige Stellung. Das r ö m i s c h e Recht hatte neben dem damnum injuria datum der lex Aquilia nur eine Anzahl von einzelnen Fällen, so die Beschädigung von Bäumen, Saaten und Weinbergen, von Mauern, Thoren und Strafsen, und zwar wegen ihrer Richtung gegen allgemeine Interessen, extra ordinem bestraft. Auch im m i t t e l a l t e r l i c h d e u t s c h e n Recht finden wir zwar eine Reihe von einzelnen Strafdrohungen, so gegen Beschädigung von Tieren, von Zäunen und Hecken, von Feldern und Wiesen, von Gärten und Wäldern, vermissen aber den allgemeinen Begriff der Sachbeschädigung. Ebenso bot auch die PGO. (trotz der Art. 167 und 168) der Entwicklung des Vergehensbegriffes keine irgendwie genügende Grundlage. Erst die n e u e s t e G e s e t z g e b u n g war bemüht, die fühlbare Lücke auszufüllen. Es gelang, nachdem die Gruppe der Feld-, Forst- und Flurfrevel ausgeschieden und der Sondergesetzgebung überwiesen und nachdem die irreleitende Bezeichnung „Vermogensbeschädigung" aufgegeben worden war, dem RStGB., den Begriff
§ 130.
4- D i e Sachbeschädigung.
in § 303 mit annähernder Genauigkeit zu bestimmen.
Doch
417 w i r d durch d i e
Fassung des § 304 und durch die Einfügung des gar nicht hierher gehörenden § 305 die Klarheit des kaum gewonnenen Begriffes wieder wesentlich getrübt; während
anderseits
in
der Wissenschaft das Streben zu T a g e getreten i s t , 1 )
Jas Vergehen durch seine Erweiterung
zur V e r m ö g e n s b e s c h ä d i g u n g
seiner
festausgeprägten Gestalt zu berauben.
II. D e r B e g r i f f u n d s e i n e M e r k m a l e . Sachbeschädigung ist E i g e n t u m s v e r l e t z u n g d u r c h eine r e c h t s w i d r i g e , die B r a u c h b a r k e i t der S a c h e beeinträchtigende oder aufhebende Verletzung der S a c h s u b s t a n z . 1. G e g e n s t a n d ist auch hier eine f r e m d e Sache, und zwar, im Gegensatze zu allen übrigen Vergehen gegen dingliche Rechte, nicht nur bewegliche, sondern auch unbewegliche Sachen. Insbesondere gehören auch Tiere hierher. Vermögenswert braucht die Sache auch hier nicht zu besitzen (oben § 125 Note 2). Nur fremde, bereits im Eigentum eines andern stehende Sachen werden durch StGB. § 303 geschützt; die Vergiftung noch herrenloser, wenn auch jagdbarer Tiere erscheint demnach nicht als Sachbeschädigung (vgl. aber unten S. 421). 2. Die H a n d l u n g bezeichnet das Gesetz als „Beschädigung oder Zerstörung" der Sache. Durch die B e s c h ä d i g u n g wird die Brauchbarkeit der Sache beeinträchtigt; durch die Z e r s t ö r u n g wird die Sache für ihre Zweckbestimmung ganz oder teilweise unbrauchbar gemacht. Stets aber ist Verletzungder Sachsubstanz unerläfslich. Gebrauchsentziehung — selbst dauernde — gehört daher nicht hierher (Ausfliegenlassen eines Vogels, Versenken in die See), solange die Sachsubstanz unverletzt bleibt.2) Verbrauch einer Sache (z. B. Abbrennen von Feuerwerkskörpern) ist nicht Sachbeschädigung, sondern Aneignung. Gegenstand der Sachbeschädigung ist auch die Sache als natürliches oder künstliches Sachganzes. Beispiele: Zerlegen einer Maschine, Auseinanderwerfen des druckfertigen Satzes, *) Insbesondere bei Lüder. Gegen ihn Dochow, Hälschner, Glaser, Merkel. D o c h geht auch Hälschner in seinen Vorschlägen noch viel zu weit. 2 ) Ebenso R 19. Oktober 85 13 27, R 31. März 90 2 0 353; Geyer 2 41, Hälschner 2 387, Merkel 316 und H H . 3 853, v. Meyer 625, Olshausen § 3 0 3 4; dagegen nehmen auch hier Sachbeschädigung an Berner 613, Lüder 76, Schütze 499, Ziebarth 389. von L i s z t , Strafrecht. 6. Aufl.
27
418
§ 130.
4. Die Sachbeschädigung.
Fliegenlassen eines Bienenschwarmes, Ausströmenlassen von Gas, Unbrauchbarmachen einer Brücke durch Abheben von Balken. Doch mufs in diesen Fällen stets eine völlige oder teilweise Aufhebung des Zusammenhanges, der Verletzung der Sachsubstanz bei einer einzelnen Sache entsprechend, gegeben sein. Fehlt es daran, so ist trotz Beeinträchtigung der Brauchbarkeit keine Sachbeschädigung gegeben, mag auch Vermögensbeschädigung vorliegen.8) Wertverminderung ist nicht erforderlich. Herstellung einer neuen Sache durch Verarbeiten von Metall, Bemalen von Holz oder Leinwand usw., ist nicht Sachbeschädigung, mag auch die Sachsubstanz dadurch verletzt werden. Ebenso würde zwar auch das Beschmieren von Büchern, nicht aber etwa das Ausbessern von Druckfehlern, hierher gehören. Billiges Ermessen des Richters mufs hier die Grenzlinie ziehen. 3. Die R e c h t s w i d r i g k e i t ist bei allen Arten der Sachbeschädigung Begriffsmerkmal, Bewufstsein derselben daher zur Strafbarkeit erforderlich. Ihr Wegfall richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen. So wird z. B. die Berechtigung von Jagdinhabern zur Tötung frei umherlaufender Hunde nach den bestehenden landesrechtlichen Vorschriften zu beurteilen sein. 4. Die V o l l e n d u n g tritt mit der erfolgten Beschädigung oder Zerstörung der Sache ein; der Versuch ist strafbar. 5. V e r l e t z t im technischen Sinne des Wortes, mithin antragsberechtigt, ist immer nur der E i g e n t ü m e r der beschädigten Sache.4) III. A r t e n . 1. Die e i n f a c h e Sachbeschädigung (StGB. § 303). 8 ) Weiter geht Olshausen § 303 4 im Anschlufs an R 17. Januar 90 20 182 (durch Einfügen eines Fremdkörpers wird eine Maschine zum Stillstand gebracht). 4 ) Übereinstimmend Binding 1 620, Geyer 2 42, Hälschncr 2 389, Merkel 317, v. Meyer 628, Olshausen § 3 0 3 13. Dagegen halten 11. Bar GA. 19 648, Schütze 498 u. a. mit der frühem preufs. Rechtsprechung und dem Reichsgericht (R 12. März 80 1 306, 22. Juni 81 4 326, 18. Juni 83 8 399) jeden für antragsberechtigt, welcher, mag er dinglich oder personlich an der Sache berechtigt sein, durch deren Beschädigung u n m i t t e l b a r verletzt wurde. Die Ansicht widerlegt sich durch die Erwägung, dafs nach ihr auch der Eigentümer Thäter nach StGB. § 303 sein könnte.
§ 130.
4- Die Sachbeschädigung.
419
S t r a f e : Geldstrafe bis zu tausend Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Antragsvergehen. Antrag rücknehmbar, wenn gegen Angehörige (StGB. § 52 Abs. 2) verübt.
2. B e s c h ä d i g u n g oder Zerstörung von res s a c r a e r e l i g i o s a e p u b l i c a e (StGB. § 304). Das Gesetz nennt: Gegenstände der Verehrung einer im Staate bestehenden Religionsgesellschaft; Sachen, die dem Gottesdienste (oben S. 366) gewidmet sind; Grabmäler (oben S. 367), öffentliche Denkmäler; Gegenstände der Kunst, Wissenschaft, des Gewerbes, welche in öffentlichen (d. h. dem Publikum offenstehenden) Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich ausgestellt sind; Gegenstände, welche (auch Bäume und Sträucher) zum öffentlichen Nutzen oder zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen d i e n e n , mögen sie auch nicht gerade zu diesem Zwecke bestimmt sein. S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark. Neben Gefängnis kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Nur des Zusammenhanges wegen — es sei dies ausdrücklich betont — ist dieser Fall mit der einfachen Sachbeschädigung unter den Eigentumsverbrechen zu behandeln ; die Richtung gegen den einzelnen tritt völlig, die gegen das Eigentum (auch der Eigentümer kann Thäter sein) hinter der Verletzung des öffentlichen Gebrauchsrechtes zuruck.
3. G ä n z l i c h e o d e r t e i l w e i s e Z e r s t ö r u n g (nicht Beschädigung) v o n in fremdem Eigentum stehenden Gebäuden, Schiffen, Brücken, Dämmen, gebauten Strafsen, Eisenbahnen oder andern B a u w e r k e n (StGB. § 305). Unter „Bauwerk" ist jedes von Menschenhand hergestellte, mit dem Grund und Boden (wenn auch nur durch die eigene Schwere) in feste Verbindung gebrachte, selbständige, dauernde Werk zu verstehen.6) „ G e b a u t e S t r a f s e n " umfafst Land- wie Wasserstrafsen, wenn diese von Menschenhand angelegt sind. Der Begriff der „ E i s e n b a h n " ist derselbe wie oben § 126 Note 4.®) 5 ) Also unbewegliche Sachen. Übereinstimmend R n . Februar 87 15 263; weiter gehend Olshausen § 305 2 (auch versetzbare Mühlen). Nur in Beziehung auf die „Schiffe" ist das Gesetz darüber hinausgegangen. Diese, wie die „Brücken", müssen „von einiger Erheblichkeit" sein (nicht Kähne, Stege aus losen Brettern); R 27. Februar 93 24 26. Das „Gebäude", ausgezeichnet durch Wand und Dach (oben S. 400), ist eine Art des „Bauwerks". 6) Loock Schutz der Eisenbahnen S. 148 bezieht § 305 auf die dem 27*
§ 131.
Verletzung von Zueignungsrechten.
S t r a f e : Gefängnis nicht unter einem Monat. — In § 305 ist die Eigenart der einfachen Sachbeschädigung als eines gegen den einzelnen gerichteten Eigentumsvergehens vollständig gewahrt; zugleich aber bildet dieser dem Code p£n. Art. 437 entnommene Fall den Übergang von der Sachbeschädigung zu den gemeingefährlichen Verbrechen. 4. Über die Beschädigung von u n t e r s e e i s c h e n Telegraphenl e i t u n g e n vgl. unten § 149. 5. In einer ganzen Reihe von Fällen tritt die Bedeutung der Sachbeschädigung als eines Eigentumsverbrechens so sehr in den Hintergrund , dafs die Einreihung dieser Fälle unter andre Verbrechensbegriffe oder ihre selbständige Behandlung angezeigt erscheint. V g l . StGB. §§ 90 Ziff. 2 , 133 ff, 168, 265, 274, 306 ff, 315 fr.; Forst- und Feldfrevel usw.
II. Verletzung von Zueignungsrechten. § 131Litteratur. Zu I : Distel Z 13 259. v. Wächter Jagdrecht und Jagdvergehen 1870. Wagner Die preufsische Jagdgesetzgebung 2. Aufl. 1889. Dalcke Das preufsische Jagdrecht 2. Aufl. 1888. Kotering GA. 32 340. Vollert Das Jagdrecht des Grofsherzogtums Sachsen 1887. Hdlschner 2 338. v. Brünneck HSt. 4 545- — Zu I I : v. Staudinger Der Fischereischutz durch die Strafgesetzgebung 1881 und WV. 1 408. Buchenberger HSt. 3 516. Stenglein NG. 654, 672.
I. V e r l e t z u n g des J a g d r e c h t s . 1. Die G e s c h i c h t e dieses Vergehens beginnt erst mit dem Ausgange des Mittelalters. Während die gemeinrechtliche Rechtsprechung zumeist den Art. 169 der PGO. (Fischdiebstahl) analog zur Anwendung brachte, schritt die Landesgesetzgebung seit dem 16. Jahrhundert mit zahlreichen und zum Teil grausamen, aber zumeist vergeblichen Strafdrohungen gegen die „Wilddieberei" ein. Die wissenschaftlichen Zweifel an der wahren Natur des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes hemmten jedoch bis in die neueste Zeit eine allgemeine Übereinstimmung in Bezug auf die systematische Stellung und die grundsätzliche Auffassung des Vergehens, welches vom RStGB. in dem Sammelabschnitt „Strafbarer Eigennutz" schlecht und recht untergebracht ist. 1 )
2. B e g r i f f . Jagdrecht ist das ausschliefsliche Recht auf Zueignung j a g d b a r e r Tiere (Vierfiifsler und Vögel; nicht der Eier dieser).2) öffentlichen Verkehr dienenden Lokomotivbahnen (nicht Lokalbahnen, private Industriebahnen). *) Über den Schutz der Forst- und Jagdberechtigten vgl. unten § 171. *) Wesentlich weiter Ziebarth 387 (das ausschliefsliche Recht an dem Wildstande als solchem).
§ 131.
Verletzung von Zueignungsrechten.
Welche Tiere „jagdbar" sind, ist nach dem am Thatorte geltenden Landesrechte zu beurteilen. Nichtjagdbare Tiere unterliegen (soweit sie nicht „fischbar" sind) dem freien Tierfang. Irrtum über die Jagdbarkeit würde den Vorsatz ausschliefsen. Verletzung des Jagdrechts ist daher unmöglich, wenn die Zueignung bereits erfolgt war. A n Wild in umschlossenem Gehege, an gezähmten jagdbaren Tieren usw. ist nur Diebstahl, nicht aber das Vergehen des § 292 StGB, möglich. Die Verletzung des Jagdrechts besteht in der A u s ü b u n g d e r J a g d an s o l c h e n O r t e n , an w e l c h e n zu j a g e n d e r T h ä t e r n i c h t b e r e c h t i g t ist. Mafsgebend ist dabei der Standort des Wildes, nicht derjenige des Jägers. Ich jage auf meinem Jagdgebiet, wenn ich das auf diesem sich aufhaltende Wild von dem Gebiete meines Nachbarn aus beschleiche. Dagegen ist die Verfolgung des angeschossenen Wildes auf fremBedes Gebiet rechtswidrige und strafbare J a g d f o l g e . 8 ) wufstsein der Widerrechtlichkeit ist erforderlich. „Ausübung der Jagd" begreift ein doppeltes: a) Schon das A u f s u c h e n u n d V e r f o l g e n des Wildes, also das Nachstellen, Anschleichen, den Anstand, das Schlingenlegen und Fallenstellen, als vollendetes Vergehen. Aneignungsabsicht ist nicht erforderlich. b) Die wirkliche Z u e i g n u n g jagdbarer Tiere, mag diese auf weidmännische Art erfolgen oder nicht (Vergiftung). Hierher gehört auch das Ansichbringen von Fallwild (auch wenn es erst tot in das Revier gebracht worden ist).4) Ob auch die Zueignung von Hirschstangen usw., richtet sich nach dem geltenden Landesrechte. V e r l e t z t ist in allen Fällen der Jagdberechtigte. 3. Die A r t e n . a) E i n f a c h e r Fall (StGB. § 292). S t r a f e : Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten. Antragsvergehen, wenn gegen einen Angehörigen (StGB. § 52 Abs. 2) begangen. Antrag rücknehmbar. *) Durch Landesrecht kann der Zeitpunkt der erfolgten Aneignung bestimmt, nicht aber die Jagdfolge an sich gestattet werden. Vielfach abweichend Olshausen § 2 9 2 8. 4 ) Abweichende Bestimmungen der Landesrechte sind damit beseitigt. Ebenso Olshausen § 2 9 2 2 und 7. Dagegen Dalcke 174.
§ 131. b) S c h w e r e r
Verletzung von Zueignungsrechten. F a l l ( S t G B . § 2 9 3 ) , w e n n d e m Wilde nicht
mit S c h i e f s g e w e h r o d e r Hunden, sondern mit Schlingen, Netzen, Fallen oder andern V o r r i c h t u n g e n nachgestellt Vergehen
während
zur Nachtzeit
oder
der
gesetzlichen Schonzeit,
oder w e n n das in Wäldern, 6 )
gemeinschaftlich v o n mehreren (oben § 5 0
N o t e 9 ) b e g a n g e n wird. „ N a c h t z e i t " bedeutet hier (anders beim Diebstahl, siehe oben
§ 1 2 6 N o t e 7 ) die Z e i t der Dunkelheit,
also v o n S o n n e n u n t e r g a n g
bis S o n n e n a u f g a n g
mit
Einschlufs
der D ä m m e r u n g , nicht aber die ortsübliche Z e i t der Nachtruhe. S t r a f e : Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Antrag ist hier nicht erforderlich. 6 ) c) W i l d d i e b e r e i
(StGB. § 2 9 4 ) : gewerbsmäfsiges
(oben
S . 2 1 1 ) Betreiben des unberechtigten J a g e n s . S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden kann. In allen drei Fällen ist (StGB. § 295) auf Einziehung des Gewehrs, des Jagdgerätes und der Hunde, welche der Thäter bei dem unberechtigten Jagen bei sich geführt hat, ingleichen der Schlingen, Netze, Fallen und andrer Vorrichtungen zu erkennen, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht, und ohne Unterschied ferner, ob diese Gegenstände zur Jagdausübung bestimmt waren oder nicht.') d) Hierher gehören endlich noch, wenigstens teilweise, StGB. § 368 Ziff. 10 und 11: Geldstrafe bis zu sechzig Mark oder Haft bis zu vierzehn Tagen trifft denjenigen, welcher a) ohne Genehmigung des Jagdberechtigten oder ohne sonstige Befugnis 8 ) auf einem fremden Jagdgebiete aufserhalb des öffentlichen, zum gemeinen Gebrauche bestimmten Weges, wenn auch nicht jagend, doch zur Jagd ausgerüstet, betroffen w i r d ; ß ) unbefugt Eier oder Junge von jagdbarem Federwild (oder von Singvögeln) ausnimmt. 6 ) 6
) Mafsgebend auch hier der Standort des Jägers; R 8. Februar 94 25 120. •) Übereinstimmend wie früher OT. in feststehender Rechtsprechung so R 23. Juni 81 4 330; ebenso Berner 603, Binding\ 608 Note 2, Olshausen § 2 9 3 5; dagegen Geyer 1 207, 2 53, Merkel 335 und H H . 3 840, v. Meyer 688, Schütze 505 Note 11 u. a. Auch dann, wenn Gewehr usw. dem Eigentümer durch eine strafbare Handlung entzogen worden; dagegen R 2. Juli 88 18 43, Kobner Einziehung 35 Note I, Olshausen § 295 4. — Die Einziehung des erlegten Wildes ist im Hinblick auf die privatrechtlichen Grundsätze nicht besonders erwähnt. 8 ) Bewufstsein der Widerrechtlichkeit erforderlich. So die gem. Mein. Dagegen Olshausen § 368 Ziff. 10 a. •) Die eingeklammerten Worte sind durch das Vogelschutzgesetz vom 22. März 1888 (unten § 188) ersetzt.
§ 131.
Verletzung von Zueignungsrechten.
423
IL V e r l e t z u n g d e s R e c h t s a u f Z u e i g n u n g v o n F i s c h e n u n d K r e b s e n , sowie von Austern und Perlmuscheln sowie andern, nach Landesrecht „fischbaren" Wassertieren. Auch hier handelt es sich um die Verletzung eines ausschliefslichen Zueignungsrechts, während der Eingriff in fremdes Eigentum als Diebstahl erscheint. So hatte schon PGO. (Art. 169) im Anschlüsse an die Auffassung des deutschen Mittelalters (Ssp. II 28, 1) das Wegnehmen von Fischen „aus Weihern oder Behältnissen" als Diebstahl erklärt und davon den Fall unterschieden, wenn jemand „aus einem iliefsenden, ungefangenen Wasser Fische finge, das einem andern zustände". Auch nach geltendem Rechte mufs, abweichend vom preufsischen StGB., das Schwergewicht darauf gelegt werden, ob nicht die Zueignung bereits stattgefunden hat; Fische in geschlossenen Teichen sind Gegenstand des Diebstahls.
Das RStGB. unterscheidet: 1. E i n f a c h e s unberechtigtes (StGB. § 370 Ziff. 4).
Fischen
oder
Krebsen
S t r a f e : Geld bis zu einhundertfünfzig Mark oder Haft.
2. Unberechtigtes Fischen oder Krebsen zur N a c h t z e i t , bei F a c k e l l i c h t oder unter Anwendung s c h ä d l i c h e r oder e x p l o d i e r e n d e r S t o f f e (StGB. § 296). Hierher gehören nach dem preufsischen Fischereigesetz vom 30. Mai 1874 „giftiger Köder oder Mittel zur Betäubung oder Vernichtung der Fische, Sprengpatronen oder andre Sprengmittel". S t r a f e : Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. Bewufstsein der Widerrechtlichkeit hier wie in Fall 1 erforderlich. Über den Begriff des Sprengstoffes vgl. unten § 155.
3. A u s l ä n d e r , welche in den deutschen Küstengewässern unbefugt fischen,10) trifft die unter 2 angegebene Strafe, auch wenn keiner der erschwerenden Umstände des § 296 vorliegt (StGB. § 296a). Über die Beteiligung von I n l ä n d e r n vgL oben S. 82. Dagegen kann sich der Ausländer an der von einem Inländer begangenen That nur als Mitthäter beteiligen. Mafsgebend ist in jedem Falle die Staatsangehörigkeit des Unternehmers; der Ausländer im Dienste eines Inländers bleibt straflos. Durch diesen von der Novelle von 1876 eingefügten Paragraphen wird, ubereinstimmend mit den Grundsätzen des heutigen Völkerrechts, die Fischerei 10 ) Auch Wassertiere.
hier wie oben bestimmt das Landesrecht die „fischbaren"
§ 131.
Verletzung von Zueignungsrechten.
in den deutschen Küstengewässern (oben S . 8 3 ) den Inländern
vorbehalten
und zugleich der Strafschutz für das so geschaffene Rechtsgut bestimmt. Neben
der Geld-
oder Gefängnisstrafe ist auf Einziehung der
Fang-
g e r a t e , welche der Thäter bei dem unbefugten Fischen bei sich geführt hat, ingleichen der in dem Fahrzeuge enthaltenen F i s c h e (im w . S.) zuerkennen, ohne Unterschied,
ob die Fanggeräte und Fische dem Verurteilten
gehören
oder nicht.
4. Die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee a u f s e r h a l b d e r K ü s t e n g e w ä s s e r erfolgte durch den Haager Vertrag, geschlossen am 6. Mai 1882 zwischen Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, England, Holland. Das deutsche Ausfuhrungsgesetz vom 30. April 1884 dehnt die Bestimmungen der §§ 6—23 dieser Vereinbarung für die zur Seefischerei bestimmten Fahrzeuge auch für die Zeit aus, während welcher sich diese in den zur Nordsee gehörigen deutschen Küstengewässern aufhalten. Zuwiderhandlungen (auch gegen die vom Kaiser erlassenen Ausfuhrungsverordnungen) werden, soweit nicht nach allgemeinen Strafgesetzen eine höhere Strafe verwirkt ist, mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Im Falle des Fuhrens oder Gebrauchs verbotener "Werkzeuge oder Geräte ist aufserdem auf deren Einziehung zu erkennen, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht.
Ist die Verfolgung
oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausfuhrbar, so kann auf
die
Einziehung s e l b s t ä n d i g erkannt werden.
5. Das Gesetz vom 4. Dezember 1876 bedroht mit Geldstrafe bis zu fünftausend Mark Deutsche und zur Besatzung eines deutschen Schiffes gehörige Ausländer, welche den vom Kaiser mit Zustimmung des Bundesrates erlassenen Verordnungen zuwiderhandeln, durch welche der F a n g (nicht schon die Jagd) v o n R o b b e n in den Gegenden zwischen dem 67. und 75. Grad nördlicher Breite und dem 5. Grade östlicher und 17. Grade westlicher Länge, vom Meridian von Greenwich aus gerechnet, für bestimmte Zeiten des Jahres (Schonzeit; nach der Vdg. vom 30. März 1877 vom 1. Januar bis 3. April jeden Jahres) beschränkt oder verboten wird. III. D i e V e r l e t z u n g d e s B e r g r e c h t s ist für das Staatsgebiet des Deutschen Reichs gar nicht (anders in den Schutzgebieten), landesgesetzlich nur teilweise behandelt.
§132.
i. Der Vertragsbruch.
425
III. Strafbare Handlungen gegen Forderungsrechte. § 132. i. Der Vertragsbruch. Litteratur. G e s c h i c h t e : R. Lötiing Der Vertragsbruch und seine Rechtsfolgen: I. Der Vertragsbruch im deutschen Recht 1876. Sickel Die Bestrafung des Vertragsbruches und analoger Rechtsverletzungen in Deutschland 1876. A r b e i t e r v e r t r a g s b r u c h : R. L'oning HSt. 1 751. Dietz Vertragsbruch im Arbeits- und Dienstverhältnis 1890. Böninger Die Bestrafung des Arbeitsvertragsbruchs der Arbeiter, insbesondere der gewerblichen Arbeiter 1891. Vgl. auch oben zu § 99 V und unten zu § 173. I. Im r ö m i s c h e n R e c h t e bei den contractus famosi (Mandat, Depositum, Sozietät, Tutel) mit der Infamie belegt, im m i t t e l a l t e r l i c h d e u t s c h e n R e c h t e vielfach mit Bufssätzen bedroht, bleibt der Vertragsbruch sowohl im g e m e i n e n R e c h t als auch in der h e u t i g e n G e s e t z g e b u n g im allgemeinen straflos. Landesrechtlich finden sich zwar in Dienstboten- und Handwerksordnungen sowie auf verwandten Gebieten Strafdrohungen gegen einzelne Arten des mehrfach als Auflehnung gegen die Obrigkeit aufgefafsten Vertragsbruches; aber der allgemeine Begriff fehlt. Besondere Bedeutung hat im letzten Jahrzehnt der Vertragsbruch der Lohnarbeiter gewonnen. Die Frage kann nur vom sozialpolitischen Standpunkte aus gelöst werden. II. Die Reichsgesetzgebung bedroht den Vertragsbruch nur in wenigen vereinzelten Fällen, deren Strafbarkeit aber auf einem andern Gesichtspunkte als dem der Nichterfüllung des geschlossenen Vertrages beruht. E s gehören hierher: 1. Die N i c h t e r f ü l l u n g von gewissen mit einer Behörde geschlossenen L i e f e r u n g s v e r t r a g e n ( S t G B . § 329); v o m Gesetze als gemeingefährliches Verbrechen behandelt (unten § 153). 2. D e r B r u c h d e s H e u e r v e r t r a g s , der einzige Fall des Vertragsbruchs, der als solcher mit Strafe bedroht ist. D a s Gesetz unterscheidet zwei Fälle des Bruches des Heuervertrags. a) Den e r s t e n - F a l l behandelt S t G B . § 298. E r liegt vor, wenn die Heuer bereits gegeben war und der Schiffsmann m i t i h r entläuft oder mit ihr sich verborgen hält, um sich dem *) Da aber die hier gegebene Bestimmung in den § § 81 Abs. 3 und 100 Abs. I der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 inhaltlich wiederholt ist, mufs § 298 als aufgehoben betrachtet werden. Ebenso Ophausen ij 298 I. Dagegen Bmding 1 349, 355 Note 15, Damme GA. 46 310, Geyer 2 63. — StGB. § 298 entstammt dem § 279 des preufs. StGB., bez. den §§ 1542 ff. des ALR. 2 8.
426
§ 133-
2- Die Untreue.
übernommenen Dienste zu entziehen, und zwar ohne Unterschied, ob das Vergehen im Inlande oder im Auslande, von Inländern oder von Ausländern begangen ist Durch diesen Zusatz wird der Eintritt der Strafe unabhängig gemacht von der sonst nach § 4 StGB, erforderlichen Strafbarkeit der Handlung am Orte der That. Der gesetzgeberische Grund liegt in der Straflosigkeit dieses Vergehens nach englischem und amerikanischem Recht. b) Die andern Fälle bedroht § 81 Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872. S t r a f e : Zu a: Gefängnis bis zu einem Jahr. Zu b: Auf Antrag des Schiffers Geldstrafe bis zu dreihundert Mark (bez. sechzig Mark) oder Gefängnis bis zu drei Monaten.
§ 133.
2. D i e Untreue.
Litteratur. v. Stemann Unterschlagung und Untreue 1870. Wahlberg Ges. kl. Schriften 2 183. Kronecker GA. 3Ï 402. Katz Die strafrechtlichen Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs 1885 S. 90. Hdlschner 2 391. HA. in GA. 36 346. Kleinfeiler NG. 168. I. G e s c h i c h t e . Die geschichtliche Entwicklung der Untreue knüpft einerseits an den Vertragsbruch, anderseits an die Unterschlagung an. Der die „Veruntreuung" behandelnde Art. 170 der PGO. enthielt ungeschieden Unterschlagung und Untreue in sich, während die RPolizeiordnungen (wie früher der Schsp.) den ungetreuen oder fahrlässigen Vormund mit Strafe bedrohten. Im 17. und 18. Jahrhundert vielfach als erschwerter Fall des erweiterten Betrugsbegriffes aufgefafst (so auch im preufsischen Landrecht), gewinnt die Untreue allmählich im 19. Jahrhundert unter dem Einflüsse des Code pénal (Art. 408 : abus de confiance) selbständige Stellung. Das RStGB. (§ 266) schliefst sich zum Teil an das preufsische, zum Teil aber auch an das sächsische StGB. (Art. 287 Abs. 2) an. Die U n t r e u e des S a c h w a l t e r s (die praevaricatio des römischen Rechts) ist im Gesetz in durchaus verkehrter Weise zu den Amtsverbrechen gestellt, richtig aber als ein Fall der Untreue zu behandeln. Die gewerblichen H i l f s k a s s e n und die V e r s i c h e r u n g s k a s s e n sowie die A k t i e n - und K o m m a n d i t g e s e l l s c h a f t e n a u f A k t i e n bieten in ihren vielgestaltigen und vielverschlungenen Verhältnissen reichliche Gelegenheit zur Vernachlässigung anvertrauter Interessen. Die heutige Gesetzgebung knüpft daher vielfach ihre Strafdrohungen, deren Zweck Schutz dieser Interessen ist, an den Begriff der Untreue an.
II. D i e U n t r e u e im e i g e n t l i c h e n S i n n e behandelt StGB. § 266. Sie erscheint als die V e r l e t z u n g d e r a u s Verträgen oder vertragsähnlichen Verhältnissen
§ 133.
2
-
Untreue.
427
e n t s p r i n g e n d e n P f l i c h t zur W a h r n e h m u n g a n v e r trauter fremder Vermögensinteressen. Sie unterscheidet sich von dem V e r t r a g s b r u c h , der als einfache Nichterfüllung erscheinen kann, durch ihre p o s i t i v e Richtung gegen fremde Interessen; von der U n t e r s c h l a g u n g , welche Eigentumsverletzung ist, durch ihre Richtung gegen fremde F o r d e r u n g s r e c h t e . Die Untreue ist gerichtet gegen die Ansprüche andrer auf Wahrnehmung ihrer Vermögensinteressen. Nur solche, nicht aber etwa die Interessen an sittlich ernster Erziehung, an tiefer Bildung von Geist und Gemüt, an Stählung der Gesundheit und Entwicklung der Körperkraft, sind Angriffsgegenstand der Untreue, die ebendarum V e r m ö g e n s verbrechen ist. Und da diese Ansprüche aus Verträgen oder vertragsähnlichen Verhältnissen entspringen, sind wir berechtigt, die Untreue innerhalb der Vermögensverbrechen im unmittelbaren Anschlüsse an den Vertragsbruch unter die strafbaren Handlungen gegen Forderungsrechte einzureihen. Zur Vollendung ist mithin Verm ö g e n s b e s c h ä d i g u n g (wie beim Betrug; unten § 138) erforderlich. StGB. § 266 bedroht: a) Vormünder, Kuratoren, Güterpfleger, Sequester, Massenvervvalter, Vollstrecker letztwilliger Verfügungen und Verwalter von Stiftungen, wenn sie absichtlich zum Nachteile der ihrer Aufsicht anvertrauten Personen oder Sachen (hier Vermögensgegenstände aller Art, auch Forderungen) handeln. Das Handeln umfafst auch die rechtswidrige Unterlassung (Unterlassung der Klagerhebung usw.); rechtsgeschäftliches Handeln ist nicht erforderlich (auch Unterdrückung von Urkunden usw. gehört hierher). b) Bevollmächtigte, welche über Forderungen oder andre Vermögensstücke (bewegliche, unbewegliche Sachen; Rechte) des Auftraggebers absichtlich zu dessen Nachteile verfugen. Ob die Vermögensstücke solche des Auftraggebers sind, bestimmt sich nach den einschlagenden privatrechtlichen Grundsätzen. Die Verfügung kann auch durch Unterlassung (Nichtunterbrechung der Verjährung, Nichteinlegung eines Rechtsmittels usw.) begangen werden.
428
§ 133-
2
- Die Untreue.
c) Feldmesser, Versteigerer, Mäkler, Güterbestätiger, Schaffner, Wäger, Messer, Bracker, Schauer, Stauer und andre zur Betreibung ihres Gewerbes von der Obrigkeit verpflichtete Personen, wenn sie bei den ihnen übertragenen Geschäften absichtlich diejenigen benachteiligen, deren Geschäfte sie besorgen. In allen drei Fällen ist das „absichtlich", welches an Stelle des „vorsätzlich" in § 246 des preufsischen StGB, getreten ist, eben einfach als „vorsätzlich" aufzufassen; Eintritt des Nachteils braucht nicht Beweggrund des Handelns zu sein. S t r a f e : Gefängnis; Ehrverlust nach Ermessen. Die Untreue ist erschwert, wenn der Thäter sie begangen hat, um sich oder einem andern einen (nicht notwendig rechtswidrigen) Vermögensvorteil (unten § 1 3 8 ) zu verschaffen (Beweggrund).
In diesem Fall kann neben der Gefängnisstrafe auf Geldstrafe bis
zu dreitausend Mark erkannt werden.
Der Strafausschliefsungsgrund des § 247
Abs, 2 S t G B , findet auf die Untreue keine Anwendung.
III. Die Bestimmungen des § 266 StGB, haben ein wesentlich erweitertes Anwendungsgebiet erhalten durch die Reichsversicherungsgesetzgebung. Hierher gehören: 1. Gesetz über e i n g e s c h r i e b e n e H i l f s k a s s e n vom 7. April 1876, abgeändert 1. Juni 1884, § 34; 2. Gesetz betreffend die K r a n k e n v e r s i c h e r u n g der Arbeiter vom 15. Juni 1883, abgeändert 10. April 1892 und I. Januar 1893, g 42; 3. U n f a l l v e r s i c h e r u n g s g e s e t z vom 6. Juli 1884, § 26, ausgedehnt auf die Unfall- und Krankenversicherung der in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben ( § 3 1 des Gesetzes vom 5. Mai 1886), ferner auf die Unfallversicherung der bei Bauten beschäftigten Personen ( § 1 2 des Gesetzes vom II. Juli 1887), sowie der Seeleute (§ 32 des Gesetzes vom 13. Juli 1887); 4. §59 des Gesetzes betr. die I n v a l i d i t ä t s - u n d A l t e r s v e r s i c h e r u n g vom 22. Juni 1889. HI. Eine wesentlich strengere Strafe droht Art. 249 des Gesetzes betr. die K o m m a n d i t g e s e l l s c h a f t e n auf Aktien und die Aktiengesellschaften in der Fassung von 1884 den persönlich haftenden Gesellschaftern, den Mitgliedern des Aufsichtsrats und Liquidatoren einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, sowie den Mitgliedern des Vorstandes und des Aufsichtsrats
§ 134-
3- Der Bankbruch.
Geschichte und Begriff.
429
und den Liquidatoren einer Aktiengesellschaft, welche absichtlich zum Nachteile der Gesellschaft handeln. S t r a f e : Gefängnis und zugleich Geldstrafe bis zu zwanzigtausend Mark. Ehrverlust nach Ermessen.
IV. Etwas milder ist nach § 140 des Gesetzes vom I. Mai 1889 betr. die E r w e r b s - u n d W i r t s c h a f t s g e n o s s e n s c h a f t e n die Strafe gegen Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates und gegen Liquidatoren, welche absichtlich zum Nachteile der Genossenschaft handeln.1) S t r a f e : Gefängnis und zugleich Geldstrafe bis Ehrverlust nach Ermessen.
zu dreitausend Mark.
V. D i e U n t r e u e d e s S a c h w a l t e r s . D a s römische Recht hat zwei Fälle unterschieden: die praevaricatio propria oder die Bestechung des Anklägers in einem Judicium publicum, und die praevaricatio impropria oder die ungetreue Sachwaltung des advocatus oder patronus. Die P G O . behandelt in Art. 115 nur den zweiten dieser Fälle, und zwar im Zusammenhange mit den Fälschungsverbrechen (wie das auch schon d i e Italiener gethan hatten). Auch gemeinrechtlich pflegte man die Untreue des Sachwalters als falsum zu behandeln. Die neuere Gesetzgebung rechnet zumeist die Prävarikation wegen der amtlichen Stellung des Anwaltes zu den Amtsverbrechen. Das R S t G B . hat diese Stellung beibehalten, obwohl ihr Grund hinweggefallen ist.
§ 356 bedroht den Advokaten, Anwalt oder andern Rechtsbeistand, der bei den ihm vermöge seiner amtlichen (?) Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient. S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten; wenn der Thäter im Einverständnisse mit der Gegenpartei zum Nachteil seiner Partei gehandelt hat, Zuchthaus bis zu fünf Jahren. Auf das Strafverfahren ist § 356 nur soweit anwendbar, als sich hier ..Parteien" gegenüber stehen (Privatklage); ausgeschlossen also für das Verhältnis des Verteidigers gegenüber dem Staatsanwalt.
§ J 34-
3- Der Bankbruch.
Geschichte und Begriff.
L i t t e r a t u r . Kohler Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz 1884. v. Hoitlingen gen. Hüne Beiträge zur geschichtlichen Entwicklung des strafbaren Bankrotts in Deutschland 1878. Hälschner 2 398. Meves GA. 36 377 und gegen ihn Kleinfeller G S . 4 3 161. Cohn G A . 41 198. Neumeyer Historische und dogmatische Darstellung des strafbaren Bankrotts unter besonders eingehender Untersuchung der Schuldfrage Gekrönte Preisschrift 1 8 9 1 . Schmidt D e r strafbare Bankbruch in historisch-dogmatischer Entwickelung mit besonJ ) D a s Gesetz vom 20. April 1892 betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung enthält keine besondere Strafdrohung gegen Untreue.
43°
§ 134-
3- Der Bankbruch.
Geschichte und Begriff.
derer Berücksichtigung der Schuldfrage 1893 (hervorragend tüchtige Arbeit). Reichart GS. 49 81. Kleinfeiler NG. 681. — Die Kommentare zur Konk.-O. Insbesondere Petersen und Kleinfeiler 3. Aufl. 1892. I. Die strafrechtliche Haftbarkeit des flüchtigen zahlungsunfähigen Schuldners tritt erst seit dem Ausgange des Mittelalters zunächst in den Stadtrechten neben die allmählich immer mehr gemilderte zivilrechtliche Personalexekution. Die RPolizeiordnungen von 1548 und 1577 bilden die Grundlage für zahlreiche Bankrottedikte und -mandate in den verschiedenen deutschen Ländern und Städten (besonders wichtig das Mandat der Hansestädte 1620), während der Reichsschlufs von 1670/71 nicht Gesetzeskraft erlangte und das gemeine Recht die decoctores, bancoruptores oder falliti nach den Bestimmungen über falsum behandelte. Die neuere Gesetzgebung steht vorzugsweise unter dem Einflüsse des französischen Rechts (Code de comm. Art. 586 ff., C. pénal Art. 402 ff). Diesem entstammt auch die in das preufs. StGB, von 1851 und in das RStGB. übergegangene Beschränkung der Strafbestimmungen auf den kaufmännischen Bankbruch. Erst die RKonk.O. vom 10. Februar 1877, deren §§ 209—212 an Stelle der §§ 281—283 des RStGB. getreten sind, kehrte zurück zu der schon im preufs. ALR. sich findenden Gleichstellung des Nichtkaufmannes mit dem Kaufmann, welche um so notwendiger geworden, seitdem durch das Gesetz vom 29. Mai 1868 die Schuldhaft für das ganze Reichsgebiet aufgehoben worden. war.
II. Der Bankbruch gehört zu denjenigen Vergehungen, deren begriffliche Entwicklung noch im Flusse begriffen ist, ohne dafs Gesetzgebung und Wissenschaft zu abschliefsenden Ergebnissen gelangt wären. Gerade darum bietet die juristische Auffassung wie die praktische Anwendung der hierher gehörenden gesetzlichen Bestimmungen gröfsere Schwierigkeiten als bei andern, zu endgültiger Gestaltung gelangten Verbrechensbegriffen. 1. Bankbruch ist — wenn wir vom geltenden Rechte absehen — V e r l e t z u n g d e r F o r d e r u n g s r e c h t e der G l ä u b i g e r v o n s e i t e n des S c h u l d n e r s d u r c h v o r sätzliche oder fahrlässige V e r m i n d e r u n g des eign e n V e r m ö g e n s oder durch Verschleierung des Vermögensstandes. Die Forderungen der Gläubiger sind der eigentliche Angriffsgegenstand des Bankbruches; sie werden getroffen in dem schuldnerischen Vermögen selbst, als dem Mittel ihrer Befriedigung. 1 ) Der Bankbruch ist mithin unzweifelhaft Ver*) Kann jetzt als die herrschende, insbes. auch vom R vertretene, Ansicht bezeichnet werden; so R 1. April 81 4 41, 17. März 82 6 94. Als Vermögens-
§ 134-
3- Der Bankbruch.
Geschichte und Begriff.
431
letzung des V e r m ö g e n s , und zwar gerichtet gegen F o r d e r u n g s r e c h t e ; mag er auch in seinen Folgewirkungen, über die Vermögensinteressen der Nächstbeteiligten hinausgreifend, eine Erschütterung von Treu' und Glauben, der Sicherheit des Kreditwesens in weitern, nicht abgegrenzten und nicht abzugrenzenden Kreisen herbeiführen. Je nachdem die Verminderung des eignen Vermögens zu dem Zwecke erfolgt, um die Ansprüche der Gläubiger zu schädigen, oder ohne diese Absicht aus UnWirtschaftlichkeit, würden wir zwei Arten des Bankbruches, einen erschwerten und einen einfachen Fall, zu unterscheiden haben. 2. Das geltende Recht hat den Begriff des Bankbruches in teilweise abweichender Weise gestaltet. Danach liegt strafbarer Bankbruch vor, w e n n S c h u l d n e r , w e l c h e i h r e Z a h l u n g e n e i n g e s t e l l t h a b e n o d e r über deren Verm ö g e n d a s K o n k u r s v e r f a h r e n e r ö f f n e t w o r d e n ist, g e w i s s e (im Gesetze genau bezeichnete) H a n d l u n g e n b e g a n g e n h a b e n . Eine Vergleichung dieser gesetzlichen Begriffsbestimmung mit der wissenschaftlichen ergibt folgende Abweichungen. a) An Stelle unsres allgemeinen Erfordernisses: „ V e r l e t z u n g d e r F o r d e r u n g s r e c h t e " setzt das geltende Recht eine bestimmt bezeichnete Thatsache: „Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung". Das heifst: Der Gesetzgeber schneidet die Erörterung der Frage, ob im Einzelfalle eine Verletzung der Ansprüche der Gläubiger stattgefunden hat, ein für allemal ab. jEr nimmt die Verletzung ohne weiteres als gegeben an, wenn ene Thatsache eingetreten ist; er betrachtet sie ohne weiteres, als ausgeschlossen, wenn jene Thatsache nicht eingetreten ist. Der praktische Wert dieser Annahme dürfte ebenso klar sein wie ihre wissenschaftliche Bedenklichkeit. Die vom Gesetzgeber geforderte Thatsache umschliefst zwei Fälle: a) Die K o n k u r s e r ö f f n u n g , welche nach §94Konk.O. durch Z a h l u n g s u n f ä h i g k e i t des Schuldners bedingt ist gefährdung betrachten v. Rohland Gefahr 30.
den Bankbruch KUinfeller
NG.
682 sowie teilweise
432
§ 134-
3- D e r Bankbruch.
Geschichte und Begriff.
d. h. durch die (thatsächlich vorhandene) Unfähigkeit, die Mittel zur Bezahlung fälliger Geldschulden herbeizuschaffen. ß) Die Z a h l u n g s e i n s t e l l u n g , das ist die Nichterfüllung einer fälligen Verpflichtung auf Grund wirklicher, vermeintlicher oder vorgeschützter Zahlungsunfähigkeit, daher zu unterscheiden einerseits von der wirklichen U n f ä h i g k e i t zur Erfüllung der schwebenden Verbindlichkeiten, anderseits von der Ü b e r s c h u l d u n g , dem Überwiegen der Schulden über die Forderungen. b) An Stelle unsres allgemeinen Erfordernisses: „ d u r c h vorsätzliche o d e r fahrlässige V e r m i n d e r u n g des e i g n e n V e r m ö g e n s " setzt das geltende Recht eine ganze Reihe einzelner, genau bezeichneter Handlungen, welche regelmäfsig, wenn auch nicht immer, eine Verschlechterung oder doch eine Gefährdung der Vermögenslage herbeiführen. Die Folge dieser kasuistischen Fassung ist der Ausschlufs aller andern, wenn auch durchaus gleichwertigen Handlungen. 3. Aus dem so festgestellten Begriffe des Bankbruches ergibt sich: a) Zahlungseinstellung, bezw. Konkurseröffnung, ist B e d i n g u n g d e r S t r a f b a r k e i t (oben g 43III).2) Die Gesamtheit der an derselben Zahlungseinstellung (oder Konkurseröffnung) beteiligten Gläubiger ist Trägerin des angegriffenen Rechtsgutes. b) Durch diese einheitliche Bedingung der Strafbarkeit werden die sämtlichen etwa vom Gemeinschuldner begangenen Einzelhandlungen zu einer j u r i s t i s c h e n H a n d l u n g s e i n h e i t (oben § 55 Note 3) zusammengefafst. Und daraus folgt weiter: a) Wenn ein Schuldner m i t R ü c k s i c h t a u f d i e s e l b e Z a h l u n g s e i n s t e l l u n g (Konkurseröffnung) m e h r e r e der vom Gesetze in demselben Paragraphen bezeichneten Hands ) Diese Ansicht ist gerade in jüngster Zeit lebhaft bestritten worden. Meist wird die Zahlungseinstellung als Thatbestandsmerkmal aufgefafst. So von Kleinftller NG. 682, Neumeyer 128, 178, Schmidt 130; von Cohn 204, 216 wenigstens bez. des §210; auch von R, zuletzt 20. September 87 16 188. Unklar Reichart 256 (Vermutung der Zahlungsunfähigkeit). F ü r meine Ansicht spricht entscheidend, dafs, w i e allgemein zugegeben, weder vorsätzliche noch fahrlässige Herbeiführung der Zahlungseinstellung gefordert werden darf.
§ 134-
3- Der Bankbruch.
Geschichte und Begriff.
lungen begangen hat (z. B. Differenzspiel u n d Vernichtung der Handelsbücher), so liegt nur e i n e strafbare Handlung, nicht Zusammentreffen mehrerer, vor. ß) Solange es sich um d i e s e l b e Z a h l u n g s e i n s t e l l u n g (Konkurseröffnung) handelt, können nicht z w e i Bankbrüche angenommen werden, mag auch der Thatbestand des einfachen wie der des erschwerten Falles vorliegen; der Schuldner hat sich vielmehr nur e i n e s Bankbruches, und zwar des schwerern Falles, schuldig gemacht. c) K a u s a l z u s a m m e n h a n g zwischen den Einzelhandlungen des Schuldners und der Zahlungseinstellung (oder Konkurseröffnung) braucht nicht zu bestehen. d) S c h u l d in Bezug auf die eingetretene Zahlungseinstellung (oder Konkurseröffnung) ist weder als Vorsatz noch als Fahrlässigkeit erforderlich. e) Die vom Gesetze bezeichneten Handlungen können der Zahlungseinstellung (Konkurseröffnung) zeitlich vorangehen oder ihr nachfolgen; im ersten Falle ist das Vergehen mit der Zahlungseinstellung, im letztern mit der Vornahme der betreffenden Handlung v o l l e n d e t . Versuch ist nach allgemeinen Grundsätzen (oben § 45 Note 8) anzunehmen, wenn die Bedingung der Strafbarkeit eingetreten ist, die Einzelhandlung aber unvollendet blieb oder fehlschlug. Dagegen kann von strafbarem Versuch keine Rede sein, wenn es zur Zahlungseinstelllung (Konkurseröffnung) überhaupt nicht gekommen ist.3) 4. T h ä t e r ist nach der Konk.O. jeder Schuldner, nicht blofs der Kaufmann. Auch Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft, sowie die Liquidatoren einer Handelsgesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft, welche ihre Zahlungen eingestellt hat oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, können sich des Bankbruches schuldig machen, wenn sie in dieser Eigenschaft die mit Strafe bedrohten Handlungen begangen haben (Konk.O. § 214). Die Strafvorschriften der ') Abweichend R 9. November 85 13 4 1 , Baumgarten Versuch 367, Kleinfeiler N G . 688, v. Meyer 739, Mez