Kritische Psychologie als Subjektwissenschaft: Klaus Holzkamp zum 60. Geburtstag 359333853X

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Table of contents :
Vorwort 7
Der Beitrag der Kritischen Psychologie zur Erkennbarkeit und
Emanzipation menschlicher Subjektivität
Wolf gang Maiers, Morus Markard 9
Zum Determinationskonzept in der DDR-Psychologie.
Entwicklung einer Denkweise
Traudl Alberg; Manfred Vorwerg 30
Zur Funktionsbestimmung von Supervision in der therapeutischen
Arbeit. Ein Erfahrungsbericht
Ole Dreier 44
Sprache als Medium sozialer Interaktion
Carl Friedrich Graumann 57
Arbeitsverhältnisse. Eine Frage an Klaus Holzkamp
zum 60. Geburtstag
Frigga Haug 66
Über den Doppelcharakter von Handlungsfähigkeit
Wolfgang Fritz Haug 85
Klaus Holzkamps Beitrag zur Entwicklung
der Gesellschaftswissenschaften
Johannes Henrich von Heiseler 95
Die nomologische Psychologie und das intentionale Denkmuster
Theo Herrmann 106
Bevor die Kritische Psychologie da war,
war die Kritische Psychologie da
Peter Keiler 120
5Existenzformen der Bedeutung. Die Bedeutung als
allgemeinwissenschaftliche Kategorie
Aleksej Alekseevic Leont'ev 128
Die Kunst als Schmuck und Spiegel der Welt. Gedanken zur
Genesis und Funktion der Künste, anläßlich von Holzkamps Essay
»Kunst und Arbeit«
Thomas Metscher 148
Subjektwissenschaft und russische Revolution oder: Der heimliche
Konservatismus der Kritischen Psychologie
Günter Rexilius 163
Personale Kontrolle: Zur Theorie und Empirie eines zentralen
psychologischen Konstrukts
Klaus A. Schneewind 177
»Tätigkeit« oder »Activity«? Zu den Grenzen der sprachlichen
Transformation psychologischer Schlüsselbegriffe
Volker Schurig 192
Zur Bedeutung des Konzepts der Persönlichkeit
Luden Seve 201
Handlungsregulationstheorie und Variablenpsychologie
Michael Stadler 212
Zur Vorgeschichte der historischen Herangehensweise in der
bürgerlichen Psychologie
Charles W. Tolman 228
Verzeichnis der Schriften Klaus Holzkamps 241
Über die Verfasser/innen 252
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Kritische Psychologie als Subjektwissenschaft: Klaus Holzkamp zum 60. Geburtstag
 359333853X

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Wolfgang Maiers, Morus Markard (Hg.)

Kritische Psychologie als Subjektwissenschaft Klaus Holzkamp zum 60. Geburtstag Campus

Die Kritische Psychologie ist in Auseinandersetzung mit der traditionellen Psychologie entstanden. Sie war und ist in vielfältige 4 wissenschaftliche und politische Konflikte involviert. In dieser Festschrift zum 60. Geburtstag Klaus Holzkamps äußern sich Vertreter sehr unterschiedlicher Positionen zu zentralen Problemen und Konzepten des Fachs und zu - von ihnen geteilten oder kritisch beurteilten - Auffassungen der Kritischen Psychologie.

ISBN 3-593-33853-X

Wolfgang Maiers, Morus Markard (Hg.)

Kritische Psychologie als Subjektwissenschaft Klaus Holzkamp zum 60. Geburtstag

Campus Verlag Frankfurt/New York

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Kritische Psychologie als Subjektwissenschaft: Klaus Holzkamp zum 60. Geburtstag / Wolfgang Maiers ; Morus Markard (Hg.). - Frankfurt/Main ; New York : Campus Verlag, 1987. ISBN 3-593-33853-X NE: Maiers, Wolfgang [Hrsg.]; Holzkamp, Klaus: Festschrift

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 1987 Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Umschlaggestaltung: Atelier Warminski, Büdingen Satz: Norbert Czermak, Geisenhausen Druck und Bindung: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Printed in Germany

Inhalt

Vorwort Der Beitrag der Kritischen Psychologie zur Erkennbarkeit und Emanzipation menschlicher Subjektivität Wolf gang Maiers, Morus Markard Zum Determinationskonzept in der DDR-Psychologie. Entwicklung einer Denkweise Traudl Alberg; Manfred Vorwerg Zur Funktionsbestimmung von Supervision in der therapeutischen Arbeit. Ein Erfahrungsbericht Ole Dreier Sprache als Medium sozialer Interaktion Carl Friedrich Graumann Arbeitsverhältnisse. Eine Frage an Klaus Holzkamp zum 60. Geburtstag Frigga Haug Über den Doppelcharakter von Handlungsfähigkeit Wolfgang Fritz Haug Klaus Holzkamps Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaftswissenschaften Johannes Henrich von Heiseler Die nomologische Psychologie und das intentionale Denkmuster Theo Herrmann Bevor die Kritische Psychologie da war, war die Kritische Psychologie da Peter Keiler

7

9

30

44 57

66 85

95 106

120 5

Existenzformen der Bedeutung. Die Bedeutung als allgemeinwissenschaftliche Kategorie Aleksej Alekseevic Leont'ev

128

Die Kunst als Schmuck und Spiegel der Welt. Gedanken zur Genesis und Funktion der Künste, anläßlich von Holzkamps Essay »Kunst und Arbeit« Thomas Metscher

148

Subjektwissenschaft und russische Revolution oder: Der heimliche Konservatismus der Kritischen Psychologie Günter Rexilius

163

Personale Kontrolle: Zur Theorie und Empirie eines zentralen psychologischen Konstrukts Klaus A. Schneewind

177

»Tätigkeit« oder »Activity«? Zu den Grenzen der sprachlichen Transformation psychologischer Schlüsselbegriffe Volker Schurig

192

Zur Bedeutung des Konzepts der Persönlichkeit Luden Seve

201

Handlungsregulationstheorie und Variablenpsychologie Michael Stadler

212

Zur Vorgeschichte der historischen Herangehensweise in der bürgerlichen Psychologie Charles W. Tolman

228

Verzeichnis der Schriften Klaus Holzkamps

241

Über die Verfasser/innen

252

6

Vorwort

Die Kritische Psychologie ist in Auseinandersetzung mit der institutionell dominierenden und ideologisch hegemonialen traditionellen Psychologie entstanden und entsprechend von Anfang an in vielfaltige wissenschaftliche, wissenschaftspolitische und politische Konflikte involviert; ihre kritischen Diagnosen und daraus folgenden Veränderungsperspektiven stehen in noch nicht hinreichend geklärtem Verhältnis zu anderen gegenüber dem »mainstream« kritischen Positionen. Daraus ergab sich für uns die Idee, eine Festschrift herauszugeben, die nicht den engeren oder weiteren Arbeitszusammenhang des »Geehrten« bzw. sein unmittelbares lokales Umfeld personell repräsentieren soll. Statt dessen wollten wir den 60. Geburtstag Klaus Holzkamps zum Anlaß nehmen, vor allem Vertreter dieser sehr unterschiedlichen Bezugspositionen zu zentralen Problemen und Konzepten des Fachs und zu - von ihnen geteilten oder kritisch beurteilten - Auffassungen der Kritischen Psychologie zu Wort kommen zu lassen. Wie weit dies gelungen ist, mögen die Leser selbst beurteilen. Obwohl nicht alle einschlägigen Positionen hier versammelt werden konnten, ist unseres Erachtens ein Band herausgekommen, der die Heterogenität der Diskussion im Fach spiegelt. Dabei ist, so hoffen wir, die Zentrierung auf Kernfragen der Psychologieentwicklung nicht verlorengegangen. Wegen des breiten Spektrums der Positionen haben wir darauf verzichtet, den Band nach inhaltlichen Schwerpunkten zu gliedern oder gar die Autoren nach ihren Ansätzen zu gruppieren. Den Beiträgen vorangestellt haben wir den Versuch einer knappen an den Arbeiten Klaus Holzkamps orientierten Bilanz des Beitrags der Kritischen Psychologie zu der u.E. für die Aussichten der Disziplin grundlegenden Frage nach der Objektivierbarkeit unreduzierter menschlicher Subjektivität. Unser Dank gilt einmal Griseldis Kumm und Erhard Mader, die die Übersetzung der Texte von A.A. Leont'ev und L. Seve besorgten, zum 7

anderen Siegfried Jaeger und Ute Osterkamp, die die im Anhang abgedruckte Bibliographie Klaus Holzkamps zusammenstellten. Nicht zuletzt möchten wir Adalbert Hepp vom Campus Verlag danken, der das Erscheinen dieses Bandes möglich gemacht hat. Wolf gang Maiers, Morus Markard Berlin- West im März 1987

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Der Beitrag der Kritischen Psychologie zur Erkennbarkeit und Emanzipation menschlicher Subjektivität Wolfgang Maiers, Morus Markard

Die bisherige kritisch-psychologische Psychologiekritik - soweit es sich nicht im Sinne marxistischer Ideologiekritik um die abstrahierende Erfassung von konstitutiven Denkformen traditioneller Psychologie als arbeitsteiliger Besonderung »bürgerlicher Wissenschaft« handelte - zielte in erster Linie auf das vorherrschende Selbstverständnis der akademischen Psychologie. Dieses läßt sich prägnant folgender allgemein-methodologischer Kennzeichnung durch Theo Herrmann (1979) entnehmen: »Wissenschaftlich tätige Psychologen formulieren gesetzesförmige Aussagen von hypothetischem Charakter, betten diese Aussagen in theoretische Begründungszusammenhänge ein, arbeiten an der Formalisierung ihrer Theorien und Modelle, prüfen ihre theoretischen Annahmen mit Hilfe von Erwartungen über möglichst objektive und reliable Beobachtungs- und Meßergebnisse, unternehmen Erklärungen und Vorhersagen von Ereignissen mittels deduktiver Erklärungs- und PrognoseModelle oder als induktiv-statistische Ereigniserklärungen und halten das Experiment für ihr wichtigstes Erkenntnismittel.« (S. 17 f.)

Dieser - heute in der ganzen Welt vorherrschenden - Auffassung als »nomologischer« Wissenschaft verdanke die Psychologie ihre, aufs Ganze besehen, Erfolge und Anerkennung (ebd., S. 26; ders., 1974). Solcher Bilanz steht nun freilich gegenüber, daß diese Leitidee seit Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre erheblichen Zweifeln ausgesetzt ist - knappe zwei Jahrzehnte, nachdem im Zuge der als »Methodenstreit« deklarierten Auseinandersetzung um die Erkenntnisaufgabe der westdeutschen Nachkriegspsychologie die Orientierung auf eine pragmatisch-empirische, (sozial-)technologisch anwendungsfahige Psychologie den Sieg über die »geisteswissenschaftliche« Tradition einer philosophisch-anthropologisch fundierten, wertsetzenden Ganzheitspsychologie bzw. charakterologischer und schichtentheoretischer Ansätze zur Persönlichkeitsforschung davongetragen, und nur wenige Jahre, nachdem ihre institutionelle Verankerung im 9

akademischen Forschungs- und Lehrbetrieb ihren Höhepunkt erreicht hatte (vgl. hierzu Maikowski, Mattes & Rott, 1976, insb. S. 23 ff., 123 ff.; ferner Metraux, 1985). Hierin dürfte auch die Wissenschaftskritik der 68er-Bewegung nachwirken, namentlich die Fortführung des zunächst in der westdeutschen Soziologie geführten »Positivismusstreits« auf dem Terrain der Psychologie; in der Hauptsache dürften solche Anzeichen fachwissenschaftlicher Verunsicherung aber der Tatsache geschuldet sein, daß die Etablierung der neopositivistischen Wissenschaftsorientierung bei uns zu einem Zeitpunkt erfolgte, als in den USA das Ende des Interregnums relativer Befriedung der dortigen Psychologieszene durch eine bis dahin nahezu sakrosankte Adaptation des logischen Empirismus/Operationalismus in Gestalt des Neobehaviorismus sich schon abzuzeichnen begann (vgl. Koch, 1959; 1985). Lassen sich also die Kursbestimmung in den 50er Jahren wie die seitherige Entwicklung der westdeutschen mainstream-Psychologie unter der Chiffre »US-Amerikanisierung« beschreiben, so muß es nicht verwundern, daß - wenn auch mit gehöriger Zeitverschiebung und allerlei spezifische Traditionen manifestierenden Brechungen - »Krisendiskussionen« der US-Psychologie assimiliert werden.

Die Problematisierungen setzen an den Erscheinungsformen fehlender Einheitlichkeit (insbesondere: disparate begriffliche Mittel und theoretische Auffassungen bei gleichen Gegenstandsklassen, Uneinigkeit selbst im Hinblick auf die Geltung und Einordnung empirischer Befunde etc.) und Relevanz (d.h.: praktische Bedeutungslosigkeit der Resultate psychologischer Grundlagenforschung infolge trivialer Problemstellungen und trivialisierender Problembearbeitungen) an und führen diese gemeinhin auf eine Verletzung des Regulativs gegenstandsangepaßter methodischer Objektivität zugunsten eines von der Sache abgezogenen Methodenprimats zurück. Der Verzicht auf die Entwicklung einer autochthonen Wissenschafts- bzw. Wissenschaftlichkeitskonzeption für die Psychologie zugunsten einer szientistischen Imitation der analytisch-experimentellen Prozeduren und theoretischen Diskursformen der exakten Naturwissenschaften, namentlich der Physik, impliziere die ubiquitäre Gegenstandsverzerrung oder -Verfehlung in den psychologischen Methoden und Theorien und verhindere - Ironie des Objektivismus - daß die Psychologie je den durch epistemische Einheitlichkeit und techn(olog)ische Relevanz charakterisierten Status ihrer erklärten Lehnwissenschaft erreiche (vgl. z.B. Koch & Leary, 1985). Praktisch sämtliche der in Herrmanns Charakterisierung des dominierenden psychologischen Wissenschaftsverständnisses enthaltenen Bestimmungsmerkmale sind strittig: - der nomologische Anspruch an psychologische Theoriebildung bzw. der damit verbundene deterministische oder stochastische Gesetzesbegriff Damit einhergehend - das Ziel psychologischer (Kausal-)Erklärung und Prognose, wenigstens aber die Unterstellung einer für natur- und sozialwissenschaftliche Erkenntnisgegenstände

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gleichermaßen geltenden Logik (des sog. Hempel-Oppenheim-Schemas) deduktivnomologischer bzw. -statistischer Erklärung respektive (vorgeblich strukturähnlicher) prognostischer Schlüsse; - das Programm der Geltungsbegründung von Theorien durch Prüfung von zugeordneten Hypothesen via experimentell-statistische Bedingungsanalyse: Hierunter fallen die Kritik an der analytisch-wissenschaftstheoretischen Vernachlässigung methodischer Kriterien/Strategien der Genese theoretischer Begriffe/Aussagen zugunsten der Normierung von (forschungslogisch nachgeordneten) Beweissicherungsverfahren, die Problematisierung der Verabsolutierung des empiristischen Beobachtbarkeitskriteriums und der daraus folgenden bzw. damit verbundenen Operationalisierungsvorschriften bzw. Meßansätze, infolgedessen die Infragestellung des Experiments als via regia psychologischen Erkenntnisgewinns etc. Damit verknüpft - die Infragestellung der Leitidee der Formalisierung (Mathematisierung) von Theorien, d.h. der Standardisierung von Theoriesprachen und ihrer Präzisierung als Kalküle (was wiederum zur oben problematisierten Möglichkeit der Vorhersage zurückfuhrt) usw. usf.

Unbeschadet aller Besonderheiten des modernen Diskussionszusammenhangs läßt sich in dessen Problemdimensionen unschwer der Bestand klassischer wissenschaftstheoretisch-methodologischer Kontroversen um das Verhältnis von Nomothetik und Idiographik, Erklären und Verstehen, kurz: um die Stellung der psychologischen Erkenntnisform im Spannungsverhältnis von mathematisch-experimenteller Analytik der Naturwissenschaften und geistes-/kulturwissenschaftlicher Hermeneutik ausmachen. Bekanntlich ist trotz ihrer hegemonialen Dominanz die »naturwissenschaftliche« Psychologiekonzeption (spätestens) seit Diltheys Kritik (1894) aufgefordert, sich hinsichtlich ihrer Gegenstandsangemessenheit zu legitimieren. Diltheys Unterscheidung zweier auf verschiedenartige Gegenstandsbereiche bezogener Wissensstrukturen - der natur- bzw. geisteswissenschaftlichen - führte hinsichtlich der Psychologie zum komplementären Programm einer »erklärenden, konstruktiven Psychologie« neben einer »beschreibenden und zergliedernden Psychologie«, die die Sinnzusammenhänge des Seelenlebens »von innen« verstehe (1894, S. 139 f.). Dieser Dualismus wurde etwa in Sprangers Option einer» Verstehenden (Struktur-)Psychologie« (1922; 1926) im Spannungsverhältnis zur »elementaristischen« Experimentalpsychologie fortgeführt, bildete den Hintergrund der deutschen, »wissenschaftlichen Seelenkunde« in den 30er- bis 50er Jahren - und findet sich (selten erklärtermaßen) als Muster heutiger Kritiken am »Monismus« des Hauptstroms. Bei dieser Antinomie handelt es sich nicht um ein Problem, das im Sinne einer formalen Wissenschaftslogik entscheidbar wäre, sondern in letzter Instanz um die fundamentale Frage nach dem bestimmten Gegenstand und 11

der kategorial- methodologischen Gegenstandsbestimmung der Psychologie als Wissenschaft sui generis. Nimmt man Tatbestand und Inhalt wiederkehrender Krisendiskussionen ernst, so kommt man um die Schlußfolgerung nicht herum, daß - entgegen Bühlers Wertung der »klassischen« Kontroverse als Indizien einer »Aufbaukrise« (1927) - das Problem der gegenstandskonstituierenden »Einheit« des Forschungs- und Theoriebildungsprozesses mit der salvatorischen Formel »Verhalten und Erleben« nur scheinbar gelöst, die Desintegration nur scheinbar aufgehalten werden konnte. Daß über einen entsprechenden aktuellen Lösungsbedarf kein Einvernehmen herrscht, zeigen freilich abweichende Bewertungen der Bedeutung eines einheitlichen Gegenstandsverständnisses für die psychologische Forschung (und, an diesem Kriterium gemessen, der Dignität des erreichten Forschungsstandes: vgl. exemplarisch die diesbezüglich konträren Lagebeurteilungen von Graumann, 1973, spez. S. 21, und Herrmann, 1974, spez. S. 24; ferner die Kontroversen in Eberlein & Pieper, 1976). Indessen: Selbst wenn man sich auf jene metatheoretischen und methodischen Grundsatzdebatten beschränkt, die in der faktischen oder wissenschaftstheoretisch erklärten »Absage an die einheitliche Konzeption der Wissenschaft Psychologie« (Graumann, 1973, S. 22) eine Fortschreibung des krisenhaften Status quo erkennen und diesen in der Perspektive einer verbindenden und verbindlichen Gegenstandsbestimmung überwinden wollen, so scheint es, als werde das Grundlegungsproblem noch heute durch eine dichotomisierende Struktur der Problemformulierung einer verbindlichen Klärung entzogen. Hierzu gehört die nicht nur unter historiographischen Aspekten problematische, sondern auch in systematischer Hinsicht folgenschwere Hypothek unbefragter »historischer Legenden« - etwa der keinerlei Unterschied machenden Rede vom dominant »naturwissenschaftlichen« Selbstverständnis »der« akademischen Psychologie seit ihren Ursprüngen als »klassischer Elementenpsychologie«. Hiermit werden zum einen die interdisziplinäre Differenz und intradisziplinäre Differenziertheit naturwissenschaftlichen Erkennens eingeebnet, zum anderen wird die Möglichkeit eines ganz andersartigen Entwicklungsverlaufs einer konsequent an der (Evolutions-) Biologie als »historisierter« Naturwissenschaft orientierten Psychologie ausgeblendet; schließlich wird so auch die Radikalität des epistemologischen Bruchs zwischen dem Wundtschen und dem funktionalistisch-behavior istischen Gegenstandsverständnis, das methodologisch im »Variablenschema« auf die moderne »nomologische« Psychologie durchschlägt (Holzkamp 1985 a), verkannt. Noch an der (relativ genaueren) kritischen Rede von einer reduktionistischen Psychologie nach Art der Physik wäre die üblicherweise unterlaufende Kontamination der analytisch-experimentellen Erkenntnispraxis und Theorieform der Physik mit deren positivistischem Rationale als (physikalistischem) EinheitsWissenschaftsprogramm zu problematisieren.

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Und es wäre an der (immer noch aktuellen) Kritik dieser (durch ihr wissenschaftstheoretisch längst eingestandenes Scheitern nicht wesentlich geschmälerten) faktischen Basis des Hauptstroms der modernen bürgerlichen Psychologie die Gleichung »Naturwissenschaftsorientierung=Ahistorizität = Einheitswissenschaft=Monismus« als verfehlte Prämisse einer dualistischen Kritikkonsequenz aufzudecken, die im Rahmen der traditionellen Dichotomie von positivistischer Fakten- und hermeneutischer Deutungswissenschaft verbleibt.

Angesichts der Renaissance klassischer bzw. der Persistenz unerledigter Kontroversen gewinnen jedenfalls aus unserer Sicht Versuche an Bedeutung, die die Überwindung der Dichotomie zugunsten eines im inhaltlichen wie methodischen Sinne nicht-reduktionistischen Wissenschaftsverständnisses verfolgen, in welchem die psychologisch unhintergehbare Sinndimension menschlichen Handelns und Erlebens als Schranke eines exklusiv »(fremd-) beobachtungswissenschaftlichen« Empirieverständnisses methodologisch anerkannt würde, ohne daß damit wissenschaftliches Theoretisieren jedweder Erklärungsansprüche enthoben und auf bloße Deskription beschränkt wäre. Die objektive Schwierigkeit solcher wissenschaftstheoretischer Projektierungen besteht darin, daß sie weitgehend wissenschaftliches Neuland betreten müssen: Nicht nur setzen sie sich in Widerspruch zum »einheitswissenschaftlichen« Hauptstrom der Psychologie; mit dem Versuch, Verstehen nicht als bloße Heuristik im Vorfeld der Logik nomologischen Erklärens anzuerkennen, sondern als Erkenntnismethode mit explanativer Funktion, zumindest als nicht im Gegensatz zu Gesetzeserklärungen stehend, zu begründen, »liegen« sie auch »neben« dem szientismus-kritischen handlungstheoretischen Argumentationsgang der analytischen Philosophie wie der hermeneutischen Tradition. Beiderseits dominieren Auffassungen, daß die erklärende Rückführung von Ereignissen auf ursächliche Bedingungen und die verstehende Erfassung von Intentionalität als solche einander ausschlössen. (Man kann sich diese Problemlage exemplarisch an dem jüngst von Groeben [1986] vorgelegten »Programmentwurf zur Integration von Hermeneutik und Empirismus« in einer »hermeneutischen Naturwissenschaft« Psychologie verdeutlichen.) Eine eingehende Erörterung der angeschnittenen Desiderata human wissenschaftstheoretischer Grundlegungen (in der auch zu prüfen wäre, inwieweit Groebens anspruchsvoller Versuch die oben angedeuteten Begründungsschwächen dualistischer Kritiken hinter sich läßt) muß an anderem Ort geschehen. Immerhin soll im weiteren Fortgang dieser Einleitung mit besonderem Augenmerk auf die Beiträge Holzkamps skizziert werden, wie sich die kritisch-psychologische Arbeitsrichtung in den umrissenen Problemhorizont einordnet; dabei soll sich auch verdeutlichen, daß Einschätzungen, wonach »die auf einer dialektischen Variante der Hermeneutik aufbauende >Kritische 13

Psychologie< (vgl. Holzkamp 1972; 1983) . . . eine stark antimonistische Dynamik repräsentiert« (Groeben, 1986, S. 4), auf einem Mißverständnis basieren. Wir werden im folgenden keinen systematischen werkgeschichtlichen Abriß vorlegen können; doch läßt sich bei einer globalen Rückschau unschwer erkennen, daß nicht erst die »kritisch-psychologischen«, sondern schon die vorausliegenden Grundsatzarbeiten Holzkamps von dem Motiv geleitet waren, zur Grundlegung eines wissenschaftlichen Rationales psychologischer Gegenstandsbestimmung beizutragen. 1) Dies trifft auf die »rein konstruktivistischen« Arbeiten zu, die, auch wo sie als Beiträge zu einer allgemeinen Wissenschaftslehre den Rahmen einzelwissenschaftlich-methodologischer Klärungen überschritten, sich aus Aporien der Psychologie-Disziplin begründeten. Der sachliche Inhalt dieser wissenschaftslogischen Reflexionen - der Psychologie-Gegenstand selber - stand freilich noch nicht zur Disposition adäquaterer theoretischer Bestimmung, sondern schien in der »und«Verbindung von »Verhalten und Erleben« der klassischen Kontroverse und damit aller Fraglichkeit entrückt zu sein. Für das Selbstverständnis des konstruktivistischen Kritikers war die Selbstverständlichkeit der bürgerlichen Psychologie hinsichtlich ihres Gegenstandes maßgebend, das Mensch-Welt-Verhältnis (gemäß dem »Postulat der Unmittelbarkeit« [Usnadse]) als ein allein in aktuellen Wechselwirkungen individueller Aktivitäten und Umwelten konstituiertes aufzufassen und hieraus verschiedenartigste Variablen auszusondern. Die ausdrückliche Anerkennung von »Erlebnisdaten«, wie sie Holzkamp gegenüber der behavioristischen Gegenstandsbestimmung geltend machte (vgl. 1964, S. 38 ff.), ändert nichts daran, daß er in seiner Behaviorismus-Kritik selbst der traditionellpsychologischen Befangenheit in der erwähnten » Unm ittelbarkeits« - Ideologie unterlag.

Es ging Holzkamp um eine methodenkritische Analyse des Experimentierens in der Psychologie unter dem Aspekt des Mangels an verbindlichen Kriterien zur Bewertung der Aussagekraft einer bestimmten experimentellen Anordnung und der hierin erhaltenen empirischen Ergebnisse für die jeweils in Frage stehende theoretische Aussage bzw. zur Beurteilung der in Wiederholungsexperimenten üblicherweise erhaltenen Abweichungen. Beide Probleme, so befand Holzkamp, seien als Ausdruck der prinzipiellen Schwächen des empirisch-induktionistischen Grundansatzes nicht durch herkömmliche Verfahren der Methodenkritik und -Verfeinerung zu lösen, sondern führten auf die Notwendigkeit der Grundlegung einer konstruktivistischen Forschungslogik, in der die (auch im kritisch-rationalistischen Fallibilismus nicht konsequent überwundene) Leitvorstellung einer eindeutigen Erfahrungsgeleitetheit bzw. -abhängigkeit wissenschaftlicher Theoriebildung und 14

-geltung zugunsten der Auffassung wissenschaftlichen Handelns als Theorierealisation verbindlich zurückgewiesen wäre. Während aus der konstruktivistischen Sicht auf» Wissenschaft als Handlung« (1968) Kriterien der Planung und Bewertung psychologischer Experimente hergeleitet wurden, war » Theorie und Experiment« (1964) mit der »Repräsentanz«-Frage befaßt. Das Verdienst dieses Buches liegt darin, die Sicherung einer »kategorialen« Entsprechung zwischen den Bestimmungen der theoretischen und der empirischen Sätze überhaupt angesprochen zu haben: eine Problematik, deren Tragweite in der traditionellen Psychologie nach wie vor verkannt wird - und deren Lösungsnotwendigkeit Holzkamp erst jüngst wieder (1986) thematisierte, nachdem er schon 1977 aus kritisch-psychologischer Sicht grundsätzlich Stellung zur Beliebigkeit herkömmlichen Theoretisierens genommen hatte. Die Grenze des Buchs liegt (vgl. Holzkamp aus heutiger Sicht verfaßtes »Nachwort: 17 Jahre später« [1981, S. 276]) in dem positiven Versuch, die »deflatorische Grundvorschrift« zu erfüllen: Die zum Vergleich des Begriffsinhalts der theoretischen und der experimentellen Bestimmungen herangezogenen semantischen Dimensionen waren nicht unabhängig von der Experimentierpraxis begründet, sondern deren immanente Explikationen, die die Beurteilung der Wesentlichkeit der Dimensionen ins Belieben der Experimentatoren stellten. In letzter Instanz verhinderte die agnostizistische Wissenschaftstheorie des Konstruktivismus mit ihrer Hypostasierung des handelnden Forschers als eines isolierten, vom Streben nach systemimmanenter und -transzendenter Eindeutigkeit und nicht nach Wahrheit seiner theoretischen Konstruktion geleiteten, Erkenntnisakteurs vis-ä-vis einer unbestimmten Wirklichkeit die Einsicht, daß die wesentlichen Dimensionen sich weder innerhalb des experimentellen Forschungsrahmens noch als bloße Definitionssache ergäben, sondern nur in einer eigenständigen Rekonstruktion des vor allem wissenschaftlichen Erkenntniszugriff bestehenden naturund gesellschaftshistorisch herausgebildeten Mensch- Welt-Zusammenhangs verbindlich zu machen seien. 2) Das grundlagenkritische Motiv trifft in besonderer Weise aber auf jene Arbeiten seit 1968 zu, in denen Holzkamp die konstruktivistische Erklärung der theoretischen und empirischen Desintegration der nomothetisch-experimentellen Psychologie unter dem Einfluß der zunächst noch durch die Gesellschafts- und Wissenschaftskritik der Kritischen Theorie inspirierten Rezeption marxistischer Theorie - auch in Hinblick auf die Problematik der gesellschaftspraktischen Irrelevanz der Psychologie - zuspitzte. Die Beiträge »Zum Problem der Relevanz psychologischer Forschungfür die Praxis« (1968 a), »Der Rückzug der modernen Wissenschaftslehre« (1970 a) und »Die kritisch-emanzipatorische Wendung des Konstruktivismus« (1970 b) lösten - auch aufgrund von Antinomien und problematischen 15

Folgen der Verklammerung von konstruktivistischer Wissenschaftslogik und neomarxistischer Gesellschaftskritik - einen wissenschaftstheoretisch-methodologischen Disput mit Vertretern des kritischen Rationalismus aus. In seinem Verlauf wurden wesentliche philosophisch-erkenntnistheoretische, gesellschafts-theoretische und fachwissenschaftliche Schritte auf dem Wege zur gegenwärtigen kritisch-psychologischen Auffassung subjektwissenschaftlicher Forschung/Praxis getan. Überall dort, wo der Konstruktivismus als methodologische Explikation des Rationales nomothetischer empirischer Forschung und damit als potentielles Instrument der Kritik der konkreten psychologischen Experimentierpraxis (wenn auch noch unreflektiert) genutzt wurde, gewannen Holzkamps »wissenschaftstheoretische« Erörterungen eine »inhaltliche Dimension«, auf der - zumindest ex negativo aufgewiesener traditionellpsychologischer Gegenstandsverfehlungen - Momente des Gegenstandes und der methodischen Vorgehensweise einer »kritischen Psychologie« erkennbar wurden. Hierzu zählen etwa die Aufdeckung der der Experimentalpsychologie inhärenten naturalistischen Prämisse, d.h. der theoretischen Verkürzung der unter konkreten - historisch geschaffenen und durch Menschen als Subjekten der Geschichte veränderbaren - gesellschaftlichen Klassenverhältnissen lebenden Individuen zu Organismen in einer natürlichdinglichen Umwelt, sowie die Analyse der Immunisierungsfunktion experimentell-psychologischer Methodik gegenüber »widerständiger« Empirie (Holzkamp, 1969); ähnlich der Befund der »Verkehrung von Konkretheit und Abstraktheit menschlicher Verhältnisse«, d.h. der Umdeutung einer von aller gesellschaftlich-historischen Bestimmtheit abstrahierten isolierten Individualität in empirische Konkreta, auf Grund einer als »Introjektion« gekennzeichneten Grunddenkweise bürgerlicher Psychologie (1970 b). Erst später allerdings wurde im Hinblick auf diese »psychologische Illusion« (Wolf, 1976) ein zentraler Befund der Marxschen »Kritik der Politischen Ökonomie« umgesetzt: Das »abstrakt-isolierte Individuum« ist kein Resultat bloßer denkmethodischer Fehler von Psychologen, sondern spiegelt» verkehrte« gesellschaftliche Verhältnisse wider - in den Grenzen des den Bewegungsformen der kapitalistischen Produktionsweise spontan entspringenden, sie verdinglichenden Bewußtseins. Die »organismische Anthropologie« des sich einer naturhaft-unabänderlichen »Umwelt« anpassenden menschlichen Individuums ist somit die in einem spezifischen Reduktionismus realisierte (vgl. Maiers, 1979) »blinde Reproduktion« der Grundsituation des von der bewußten Planung seiner gesellschaftlichen Lebensbedingungen ausgeschlossenen - fremdbestimmten - Individuums in der bürgerlichen Gesellschaft. In »Konventionalismus und Konstruktivismus« (1971 a) und »>Kritischer Rationalismus< als blinder Kritizismus« (1971 b) - Erwiderungen auf Kriti16

ken von Münch & Schmid (1970) und Albert (1971) - trat gegenüber den vorausgegangenen Beiträgen die inhaltliche Dimension zurück, dies aber zugunsten einer wissenschaftstheoretischen Grundsatzklärung; die aus vertiefter Kenntnis der marxistischen Theorie (namentlich auf der erwähnten Grundlage von Marx' »Kapital«) die Grenze immanent-wissenschaftslogischen Argumentierens von einem vermeintlichen »Standort außerhalb« absteckte. Am »Stoff« der analytisch-wissenschaftstheoretischen Einwände wurde hier die (selbst-)kritische Einsicht artikuliert, daß es sich beim logischen Empirismus und kritischen Rationalismus wie beim Konstruktivismus gleichermaßen um ahistorische Methodologie-Rekonstruktionen mit verfehlten epistemologischen Universalansprüchen handle, die unfähig seien, gesellschaftsgeschichtliche Möglichkeitsbedingungen des (wissenschaftlichen) Erkenntnisprozesses zu begreifen: In dieser Hinsicht markiere der konstruktivistische Agnostizismus den vorläufigen Endpunkt des Rückzugs der (i.w.S.) positivistischen Wissenschaftslehre. Zumal mit der Erwiderung auf Albert wurde prinzipielle Klarheit über die (in den vorausgegangenen Arbeiten instrumentalistisch verstellte) Interdependenz zwischen gesellschaftlicher Relevanz, Interessenbezogenheit und Erkenntnisgehalt wissenschaftlicher Forschung; den Zu^mmenhang von subjektiver Parteinahme des Wissenschaftlers und objektiver Parteilichkeit seines wissenschaftlichen Erkenntnisinstrumentariums gewonnen (vgl. auch Holzkamp, 1972 a, S. 282 ff.). Damit bedeuten auch diese, scheinbar »sachenthoben«-weltanschaulichen Vorklärungen einen eminenten Schritt in Richtung auf die Ziel- und Mittelbestimmung »positiver« gegenstandsbezogener Forschung: Die materialistisch-ideologiekritisch begründete Einsicht in die begrenzte Rationalität »bürgerlicher Wissenschaft« implizierte, die tradierten psychologischen Kategorien zu revidieren vermittels einer »kritisch-psychologischen« Untersuchung der Probleme individueller Subjektivität unter den konkrethistorischen Bedingungen unserer Klassenwirklichkeit. Hierbei stellte sich nun in aller Schärfe das Problem, daß die am Modell der Marxschen »Kritik . . . « sich orientierende theorie-/ methodenkritische Aufdeckung der in der traditionellen Psychologie beschlossenen »Verkehrungen« immer nur zur »Wiederentdeckung« der von Marx aufgewiesenen Mystifikationen im konkreten Material verschiedenartiger Denkweisen bürgerlicher Psychologie führen (vgl. Holzkamps kritische Retrospektive 1976) und über deren spezifische Begrenzungen, damit relativen Erkenntnisgehalt, interne Kritikverhältnisse und variable gesellschaftliche Funktionalität nichts aussagen konnte. Namentlich im Hinblick auf den natürlichen Aspekt menschlicher Existenz ließ sich nicht positiv ausmachen, was man bürgerlich-psychologischem Biologismus hätte konkret entgegensetzen können: Die gedankliche Auflösung der in den vorliegenden Begriffen enthalte17

nen anthropologischen Verkehrungen barg die Tendenz in sich, an die Stelle sinnlich-wirklicher Individuen (in Verfälschung der 6. Feuerbachthese) den Menschen als »Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse« treten zu lassen. Andererseits war nicht nur durch die kritisch-theoretische Vermittlung des historischen Materialismus, sondern auch in gewissen Positionen marxistischer Orthodoxie eine »materialistische Geschichtsauffassung« nahegelegt, die die materielle Naturbasis des Gesellschaftsprozesses verachtet. Die Konsequenz vulgärpsychologisch-soziologisierender/ -ökonomisierender Verflüchtigung des psychologischen Gegenstandes oder aber seiner Überantwortung an außermarxistische Ansätze wie die Psychoanalyse wurde gebannt durch die etwa '71 forcierte Rezeption der Naturdialektik; dies markiert eine bedeutsame Entwicklungsdifferenz der Kritischen Psychologie gegenüber manchen anderen kritisch-psychologischen Auffassungen. Diese Rezeption trug zu einem anderen Verständnis von Geschichte und ihrer wissenschaftlichen Erforschung bei - im Sinne des entwicklungstheoretischen Diktums von Marx: »Die Geschichte selbst ist ein wirklicher Teil der Naturgeschichte, des Werdens der Natur zum Menschen« (MEW, Erg. Bd. 1, S. 544). Diese Erkenntnis verband sich mit einer Neubestimmung des im Marxschen »Kapital« am Material gesellschaftlicher Entwicklung durchgeführten logisch-historischen Verfahrens: Es komme darauf an, diese mustergültige Realisation der Prinzipien dialektisch-materialistischer Untersuchung historisch-empirischer Sachverhalte für andere Wissenschafts-Gegenstands-Bezüge eigenständig methodisch zu entwickeln. Resümieren wir: Worum es in den angeführten Arbeiten Holzkamps - de facto - immer gegangen war: das Problem angemessener erkenntnismethodischer Grundlagen psychologischer Wissenschaft, wurde in zunehmender Radikalität daraufhin reflektiert, daß deren genuiner Gegenstand selber - die psychische Individualentwicklung - erst noch näherer Bestimmung im Verhältnis von bzw. zu Natur und Geschichte bedürfe. Arbeiten sowjetischer Psychologen wie Rubinsteins »Sein und Bewußtsein« (1962), insbesondere aber Leont'evs historischer Grundansatz (1973) erwiesen sich als wegweisend bei der Durchdringung des Widerspruchs, daß das offenkundige Thema psychologischer Forschung: die alltägliche Welt- und Selbsterfahrung, psychologiegeschichtlich als Wissenschaftsgegenstand desavouiert wurde: Es ist die Gegebenheitsweise des unmittelbaren Erlebens in der »Innerlichkeit« des je einzelnen, die »Subjektivität«, »individuelles Bewußtsein« als objektiven methodischen Zugriffen entzogen erscheinen ließ und zur Fixierung der Forschung auf Verhaltenssurrogate des »Psychischen« führte. Angesichts ihres Methodologieschemas funktionaler Variablenanalyse läßt sich nicht behaupten, daß die moderne »nomologische« Psychologie - wie sehr ihre Theorien auch »subjektiv gewendet« sein mögen - sich schon zu Konsequenzen aus dem par

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excellence in Tolmans (Selbst-)Kritik des Behaviorismus (1959) eingestandenen Widerspruch seiner »operationistischen Kryptophänomenologie« durchgerungen hätte: Man braucht über den Inhalt des »subjektiven Innenraums« nichts zu wissen, sofern man ihn als vollständig aus Observablen erschließbar, also als deren Epiphänomen betrachtet, während man, sofern ihm eigenständige empirische Merkmale zugestanden werden sollen, unter der Voraussetzung der intersubjektiven Unzugänglichkeit über ihn nichts wissen kann.

Aus dem Festhalten an dieser Voraussetzung erklärt sich dann auch die dauernde Aktualität »subjektpsychologischer« Gegenpositionen, die nur um den Preis des Aufgebens wissenschaftlicher Verallgemeinerungs- und Objektivierungsansprüche das Subjektive als wissenschaftsfahig erklären können. Sollte diese Polarität überwunden werden, so galt es, der hier wie dort vorgenommenen solipsistischen Überhöhung der unmittelbar subjektiven Erlebbarkeit von Bewußtseinsphänomenen zur prinzipiellen Icheingeschlossenheit die Grundlage zu entziehen: durch eine empirisch prüfbare Rekonzeptualisierung der Entwicklung des Psychischen als besonderer »Subjekthaft«-aktiver Widerspiegelungsbeziehung zur gegenständlichen Realität bis hin zu ihrer »vorläufigen Endform« als reflexiver Welt- und Selbsterfahrung vom Standpunkt des in konkreten gesellschaftlichen Lebensverhältnissen engagierten Subjekts. Solche Revisionen der vorfindlichen psychologischen Begriffsinhalte mit dem Anspruch auf einen überprüfbar höheren Erkenntnisgehalt konnten allerdings ohne eine Methodisierung der Begriffsbildung selbst nicht auskommen. 1972 waren die Grundlagen soweit abgeklärt, daß alle Beteiligten die Umsetzung dieses Projekts einer mit dem überkommenen Problemverständnis radikal brechenden psychologischen Gegenstandsauffassung für die vordringliche Aufgabe halten mußten. Holzkamp machte folgerichtig - da eine »von der Sache abgezogene Programmatik... weitgehend unverbindlich bleiben« müßte (1972 a, S. 288) - seine Bereitschaft zur Wiederaufnahme des wissenschaftstheoretischen Meinungsstreits vom »Vorliegen tatsächlich durchgeführter erster Analysen, in denen die Wendung von der Kritik der bürgerlichen Psychologie zur kritischen Psychologie vollzogen sein soll« (ebd., Hervorhebung von uns) abhängig. Die Fortsetzung der wissenschaftslogischen Kritiken an der kritisch-emanzipatorischen Psychologie durch Albert & Keuth (1973) und Brocke, Röhl & Westmeyer (1973) bot daher auch keinen Anlaß, sich weiterhin einzumischen - um so weniger, als nach erfolgter Abgrenzung bzw. selbstkritischer Berücksichtigung für (im Grundsatz) berechtigt erkannter Einwände (z.B. des Insistierens auf gesetzestheoretischem Wissen auch für historische Sachverhalte) in Holzkamps Schlußbetrachtung vom Herbst '71 (1972 a) ein Disput auf der gleichen Argumentationsebene nurmehr

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in der Form wechselseitiger trockener Standpunktversicherungen hätte ausgetragen werden können.

Das Primat »gegenstandsbezogener historischer Analysen« wurde von Holzkamp in der Monographie »Sinnliche Erkenntnis« (1973) ausfuhrlich begründet (vgl. auch die Replik von Maiers [1979] auf Vorbehalte von Jaeger & Staeuble [1978]) und bildete eine künftig nicht mehr verlassene Leitlinie kritisch-psychologischen Arbeitens. (Bei allen seitherigen Beiträgen zu wissenschaftstheoretisch-methodologischen Grundfragen handelt es sich um episodische Bemühungen, den erreichten Stand bei der Vertiefung inhaltlichen Gegenstandswissens erkenntnismethodisch zu wenden. Von Holzkamp wären hier insbesondere anzuführen: 1974; 1977; 1979; 1983; 1984 und 1986.) Die seither in Angriff genommene psychologische Kategorialbestimmung besteht grundlegend darin, über eine >>funktional-historische Ursprungs-, Differenzierungs- und Qualifizierungsanalyse« des Psychischen dessen phylogenetische Entwicklungslogik in einer Art »genealogischem« System begrifflicher Über- und Unterordnungen abzubilden. Diese historischempirische Rekonstruktion führte zu folgenden kategorialen Unterscheidungen qualitativer Umschläge: (a) Genese psychischer Widerspiegelung aus vorpsychischen Lebensprozessen. Die an Leont'evs Hypothese zur Entstehung von Empfindungen anschließende Heraushebung der Grundform/ -kategorie des »Psychischen« als Signalvermitteltheit der Lebensaktivität gilt in dem Maße als objektiviert, wie ihre Bestimmung im weiteren Gang der Analyse als Basis und allgemeinstes Charakteristikum aller genetischen Differenzierungen (bis zur »bewußten« Endform) nachweisbar ist. (b) Qualifizierung der kognitiven, emotionalen und sozial-kommunikativen Dimensionen und Funktionsaspekte des Psychischen mit der Entstehung individueller Lern- und Entwicklungsfähigkeit. Deren artspezifische Evolution wird bis in die humane Phase der Hominisation verfolgt. Dabei ergibt sich (c) die funktionale Widerspiegelung der Überlagerung (bis hin zur Dominanz) der gesellschaftlich-ökonomischen Lebensgewinnungsform des Menschen über den evolutionsgesetzlich bestimmten Arterhaltungsprozeß auf subhumanem Niveau in der spezifisch-menschlichen »gesellschaftlichen Natur« als psychophysischer Ermöglichungsgrundlage individueller Vergesellschaftung Die Voraussetzung der historisch-empirischen Aufschlüsselung des Zusammenhangs zwischen gesellschaftlicher und individueller Reproduktion des Lebens ist Allgemeingut kritisch-psychologischen Arbeitens seit Holzkamps erwähnter Arbeit »Sinnliche Erkenntnis«. Darin war jedoch das Selbstmißverständnis einer Zäsur zwischen der Analyse der »naturgeschichtlichen Gewordenheit biologisch-organismischer Grundcharakteristika« und 20

der Analyse des »gesellschaftlich-historischen Ursprungs allgemeinster spezifisch menschlicher Charakteristika« des Psychischen (die dann in einem dritten Schritt auf ihre historische Bestimmtheit durch spezifische gesellschaftliche Verhältnisse hin zu konkretisieren seien) enthalten; es wurde auf Basis der systematischen psychophylogenetischen Studien von Schurig (insbesondere 1976) zugunsten einer konsequent /tatarhistorischen Herleitung des menschlich-gesellschaftlichen Typs psychischer Individualentwicklung (aus dem im Verhältnis zu jeweiligen historisch-konkreten gesellschaftlichen Realisierungsbedingungen die Gesetzmäßigkeiten der Subjektentwicklung zu erschließen seien) überwunden (vgl. Holzkamp, 1977 a; explizite 1979). Mit der damit nun vorgenommenen Gleichsetzung der allgemeingesellschaftlichen Bestimmungen des Psychischen und der funktional-historisch analysierten psychischen Aspekte der menschlichen Natur war indessen nicht systematisch vermittelbar, daß die Realisierung der natürlichen Vergesellschaftungspotenzen nach der Dominanz des gesellschaftlichhistorischen Prozesses unter Bedingungen der kontinuierlichen Entwicklung von Produktionsweisen sich vollzieht, an denen sich von den kooperativsozialen Früh- und Übergangsformen unterschiedene Strukturmerkmale einer gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Existenzerhaltung abstrahieren lassen. Diese müssen im Hinblick auf die allen historischen Gesellschaftsformationen gemeinsamen »menschlichen« Züge der psychischen Ontogenese kategorial berücksichtigt werden. Bei Unausgefuhrtheit solcher Vermittlungen werden die gesellschaftliche und die individuelle Reproduktion mit denselben Begriffen charakterisiert, als sei mit ihnen schon die Dimension der subjektiven Welt- und Selbstsicht der Individuen (als unhintergehbares Moment menschlicher Daseinsbewältigung) erreicht. Dies hat die - wegen ihrer normativen Implikationen fatale - Konsequenz, in der unmittelbaren Erfahrung beschlossene Widersprüche zwischen objektiven und subjektiven Notwendigkeiten begrifflich auszublenden. Diese mit der Realisation der historischen Rekonstruktion des Psychischen zutagetretenden Probleme durften, sofern das Programm einer inhaltlichen Refundierung der Psychologie nicht aufgegeben werden sollte, erstens nicht zu einer Ermäßigung des Anspruchs auf eine psychologische Abbildung des Zusammenhangs gesellschaftlicher und individueller Reproduktion fuhren; zweitens waren kategorial und methodologisch inkompatible Anleihen bei anderen Ansätzen auszuschließen, die, wie etwa die Psychoanalyse, zwar subjektive Notwendigkeiten gegenüber gesellschaftlichen Gegebenheiten und Zwängen geltend machen, nicht aber deren allgemeinen Zusammenhangbegrifflich repräsentieren. Die (vor allem durch die in den Motivationsanalysen Ute H.-Osterkamps [1975; 1976] schon enthaltenen Teilbestimmungen menschlicher Subjektivität dringlicher werdende) systematische Lösung des Problems mangelnder kategorialer Diffe21

renzierung zwischen gesellschaftlichen und individuellen Notwendigkeiten mußte vielmehr - auch im Interesse einer subjektive Lebensbewältigung in verallgemeinert objektivierbaren Dimensionen fassenden aktual-empirischen Methodik - im Rahmen und mit den Mitteln der historischempirischen Rekonstruktion des Psychischen erfolgen (vgl. dazu und zum weiteren vor allem Holzkamp, 1983 und 1984). Wesentlich war hier die Einsicht, daß mit der Dominanz gesamtgesellschaftlicher Vermitteltheit individueller Existenz deren psychische Aspekte kategorial nicht mehr bloß als neuerliche Qualifizierungen des Psychischen (»funktional-historisch«) im Resultat eines kumulativen genetischen Differenzierungsprozesses rekonstruiert werden können; vielmehr erfordert der Umstand, daß nunmehr die gegenständlich-soziale Realität als Träger des historischen Prozesses auszumachen ist, einen neuen »Interpretationsrahmen« (Holzkamp, 1983, S. 190): die gesellschaftstheoretische Klärung des Mensch-Welt-Zusammenhangs. Die in der nachgeordneten psychologischen Kategorialanalyse gewonnenen Begriffe müssen sich entsprechend (in Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die theoretische Abbildung der Besonderheit individueller im umfassenden Zusammenhang gesellschaftlicher Reproduktion) als Vermittlungskategorien zwischen der objektiv-ökonomischen und der subjektiv-psychischen Seite des gesellschaftlichen Mensch-WeltZusammenhangs bewähren. Dessen zentraler Aspekt ist die mit zunehmender Arbeitsteilung systematisierte Durchbrechung der Unmittelbarkeit des Zusammenhangs der Schaffung und Nutzung von Lebensmitteln bzw. -bedingungen durch ein und dasselbe Individuum, damit die Entlastetheit des Individuums von der Notwendigkeit, jedes Ereignis unmittelbar auf die eigene Existenz und deren Erhaltung beziehen zu müssen. Dieses »objektive gesamtgesellschaftliche Grundverhältnis des Individuums« (Holzkamp, 1983, S. 193) zu seinen Lebensumständen impliziert eine Veränderung des Charakters von Bedeutungen (als Weltgegebenheiten für das Individuum) derart, daß diese nicht mehr als situativ-unmittelbare Aktivitätsdeterminanten zu fassen, sondern als Handlungsmöglichkeiten zu qualifizieren sind. Insgesamt bilden bei gesamtgesellschaftlich vermittelter Existenz die die gesellschaftlich produzierten Welttatbestände und hiermit verbundenen »Natur«gegebenheiten repräsentierenden Bedeutungen einerseits eine Struktur, über deren Erfassung, Umsetzung und Änderung das Individuum auf den gesellschaftlichen Zusammenhang bezogen ist, und die insgesamt gesehen realisiert werden muß, soll dessen Reproduktion vollziehbar sein. Im Einzelfall jedoch hat andererseits das Individuum die aus den Charakteristika des materiellen Reproduktionsprozesses selber hervorgetriebene, nicht mehr hintergehbare und als Mehrdeutigkeit (und damit besondere Aufklärungsbedürftigkeit) psychischer Erscheinungen imponierende Freiheit 22

zur Alternative, »so oder anders zu handeln«. Die Komplementärkategorien »objektive Lebensbedingungen« und »subjektive Handlungsgründe« sollen diesen Umstand vergegenwärtigen: daß nämlich die Lebensbedingungen des Individuums dessen Handlungen nicht direkt determinieren, sondern im Sinne von Prämissen innerhalb subjektiver Begründungszusammenhänge und Handlungsnotwendigkeiten wirksam werden. Diese das Problem des Verhältnisses von Determination und Freiheit psychologisch neu stellende »Möglichkeits-Beziehung« der reflektierenden Welt- und Selbstbegegnung bedeutet auch eine Veränderung der Beziehungen der Individuen untereinander: Andere Menschen sind Subjekte »gleich mir«, womit bei Kenntnis der Prämissen »mir« im Medium gesellschaftlicher Sprach- und Denkformen die Gründe anderer (jenseits bloßer Einfühlung in Fremdpsychisches) als möglich verständlich werden - Intersubjektivität als unhintergehbares Moment menschlicher Existenz, das auch (und gerade!) nicht in jenem Bereich gesellschaftlicher Praxis suspendierbar ist, der als »psychologische Forschung« in Erscheinung tritt: Psychologische Individualwissenschaft hat sich dezidiert als Subjektwissenschaft zu konstituieren, will sie nicht an der menschlichen Spezifik des Psychischen vorbeigehen (Holzkamp, 1983, S. 236 ff.). Damit würde auch die Konsequenz daraus gezogen, daß sich allen variablenpsychologischen Vorkehrungen zum Trotz - in der traditionellen Psychologie sowohl forschungspraktisch (Markard, 1984) als auch in den theoretischen Zusammenhangsannahmen (Holzkamp, 1986) die theoretisch und methodologisch suspendierte menschliche Subjektivität immer wieder »Zutritt verschafft«. Aus den skizzierten Bestimmungen des Verhältnisses gesellschaftlicher und individueller Reproduktion ist nun die für unsere Fragestellung der Objektivierbarkeit des Psychischen bedeutsame Folgerung zu ziehen, daß die Möglichkeitsbeziehung als wesentliches Moment menschlicher (Inter-)Subjektivität nicht im Gegensatz zur objektiven Charakteristik des Gesellschaftsprozesses steht; vielmehr soll die subjektwissenschaftliche Spezifizierung dieses Verhältnisses im gesellschaftlichen Mensch-Welt-Zusammenhang die Grundlage dafür bieten, die psychischen Aspekte individueller Lebensbewältigung auch aktualempirisch objektivierbar zu machen, also mit einer subjektwissenschaftlichen Wende der Psychologie diese nicht einem methodologischen Subjektivismus zu überlassen, sondern den von der »nomothetischen« Variablenpsychologie usurpierten nomologischen Erkenntnisanspruch zu behaupten. Aus der Begründetheit dieses methodologischen Anspruchs in der historisch-empirischen Kategorialanalyse ergibt sich die Verfehltheit der Ansicht, ihn als ggf. bloß für explorative Vorformen psychologischer Wissenschaft oder einige ihrer Teilbereiche geeignet anzusehen bzw. ihm als erkenntnismethodischer Option - unter der Hegemonie des mainstream - ein rand23

ständiges Dasein zuzugestehen, damit aber jenen Dualismus von erklärender (»naturwissenschaftlich« orientierter) und verstehender (»geisteswissenschaftlich« orientierter) etc. Psychologie zu reproduzieren, deren Überwindung ja gerade Ziel kategorialer Gegenstandskonstitution der Psychologie als Subjektwissenschaft ist. Diese Gegenüberstellung verkennt einmal den wissenschaftssystematischen Ort der Naturwissenschaften, die nur Kausalzusammenhänge erforschen können, die im Rahmen der gesellschaftlichen Denkformen bedeutungsvoll oder problematisch geworden sind; sie übersieht zum anderen, daß Gesetzlichkeit/Allgemeinheit und »historische Einmaligkeit« sich nicht - abhängig vom Gegenstand - ausschließen, sondern sich die Art der Gesetze danach bestimmt, inwieweit in der jeweiligen Disziplin bzw. unter dem jeweiligen Forschungsaspekt die Geschichtlichkeit des zu untersuchenden Gegenstandes thematisiert wird oder inwieweit davon innerhalb gegebener historischer Rahmenbedingungen (verständig) abgesehen werden kann (vgl. Holzkamp, 1985 b, S. 59). Die Zurückweisung der dualistischen (oder pluralistischen?) Vorstellung verschiedener Psychologien bedeutet also keineswegs die Hypostasierung einer neuen, der positivistischen »Einheitswissenschaft« entgegengesetzten Universalmethodologie, sondern die Behauptung der Einheit der Wissenschaften über die jeweils konkrete Entwicklung einer Methodologie gemäß der kategorial erschlossenen Beschaffenheit des Erkenntnisgegenstands, wobei sich methodische Differenzierungen in diesem Rahmen aus unterschiedlichen Fragestellungen und Gegenstandsaspekten (in der Psychologie etwa physiologischen Spezifitätsniveaus) ergeben. Nicht also ist - in antiszientistischer Attitüde und in abstrakter Negation der nomothetischen Orientierung - deren Anspruch auf Objektivierbarkeit und Verallgemeinerbarkeit zu suspendieren; er ist vielmehr erst noch - gegenüber (subjektivistischer) Beschränkung auf Kasuistik wie gegenüber methodologischer Abstraktion von der Spezifik menschlicher Subjektivität - auf eine dem Gegenstand angemessene Weise einzulösen. In diesen beiden sich als alternativ anbietenden Positionen wird, wie gesagt, Subjektivität, »je meine« Erfahrung, Befindlichkeit, gleichermaßen auf bloße Innerlichkeit verkürzt, so daß man auf ihrer Grundlage (mit allerdings unterschiedlichen Konsequenzen) zu der Entgegensetzung von Subjektivität und Objektivierbarkeit kommen muß. Demgegenüber hat sich jedoch aus der kategorialen Analyse ersterer ergeben, »daß >mein< Standpunkt zwar der Ausgangspunkt meiner Welt- und Selbsterfahrung, aber damit keine unhintergehbare bzw.>in sich< selbst genügsame Letztheit«, sondern »gleichzeitig Endpunkt einer phylogenetischen bzw. gesellschaftlichhistorischen J ^ ^ k l u n g ist, durch welchen er selbst als Aspekt des materiellen ^smsCwtftlichen Lebensgewinnungsprozesses erst notwendig und möglich wurde: als Charakteristikum der bewußten >Möglichkeitsbeziehung«< (Holzkamp, 1983, S. 538). 24

Die wissenschaftliche Erkennbarkeit von Subjektivität ist in deren kategorialer Analyse so weit expliziert, daß daraus methodologische Schlußfolgerungen für konkrete empirische Forschung gezogen werden konnten (vgl. Holzkamp, 1983, Kap. 9), deren Umsetzung jedoch noch in den Anfangen steckt und neue Probleme aufwerfen wird (vgl. z.B. Markard, 1985). Diese prinzipielle Möglichkeit der aktual-empirischen Aufschlüsselung menschlicher Subjektivität ergibt sich eben aus dem Umstand, daß der Standpunkt des Subjekts selber objektive Bedingungen notwendig mit einschließt. »Ausgeschlossen ist damit lediglich die Verkürzung meines Realitätsbezuges auf meine >Bedingtheit< unter Absehung von meiner Verfügungsmöglichkeit« (ebd., S. 539). Der systematische theoretische und forschungspraktische Einbezug »je meiner« Verfugungsmöglichkeiten bedeutet mit der Überwindung bloß variablenpsychologisch-bedingungsanalytischer Fragestellungen zugleich die der damit verbundenen Reduzierung der Betroffenen auf »Versuchspersonen«: Aus der eben zitierten Qualifizierung des Standpunktes des Subjekts folgt notwendig die aktive Forschungsbeteiligung der Betroffenen. Ihre realen Lebensprobleme bilden den Ausgangs- und Bezugspunkt subjektwissenschaftlicher Fragestellungen, deren Klärbarkeit an das existentielle Interesse der Betroffenen an der Lösung dieser Probleme gebunden ist; dies schließt ihre - problembezogene - Qualifizierung zu Mitforschern ein, da - von der gesamten Struktur des Forschungsprozesses her - nicht mehr der Forscher über sie wie über »Vpn« verfügen kann, sondern sie selber allein es sind, die kategoriale Aufschlüsselung und theoretische Klärung des Problems vermittelst der damit ermöglichten praktischen Erweiterung der Verfügung über ihre Daseinsumstände und der so erreichbaren Verbesserung ihrer Lebensqualität in ihrer Geltung überprüfen können: Die durch die Klassenrealität der bürgerlichen Gesellschaft strukturierten individuellen Lebenswelten sind dabei so zu konkretisieren, daß die darin gegebenen Handlungsmöglichkeiten und -behinderungen, vermittelt mit den Befindlichkeiten und Bedürftigkeiten der Betroffenen, aufgeschlossen werden können (»Bedingungs-, Bedeutungs- und Begründungsanalyse«). Hierauf gegründete theoretische Annahmen über (die Aufhebung) behindernde(r) Konstellationen im praktischen Lebenszusammenhang sind es dann, in denen konkrete Perspektiven für jene praktischen Veränderungen in der Lebensbewältigung der Betroffenen formuliert werden, die für eine Überwindung der immer naheliegenden, aber eben problemerzeugenden und -verschärfenden Tendenz des Sich-Einrichtens in Abhängigkeiten subjektiv funktional sind. Die ihre Lebensumstände verändernde Praxis der Betroffenen ist dabei nicht, wie in der Handlungsforschung, primär Ziel subjektwissenschaftlicher Aktualempirie, sondern - Einheit von Erkennen und Verändern - deren unvermeidliches Charakteristikum, indem methodologisch im Prinzip der Vorherbestimmung statt Vorhersage der emanzipatorische Impetus der Kritik der 25

Variablenpsychologie an der ihr inhärenten Kontrolle über die Individuen aufgehoben ist. Mit der sowohl variablenpsychologisch-bedingungsanalytische Reduktion als auch methodologischen Subjektivismus vermeidenden Überwindung der Kontamination von subjektiven mit gesellschaftlich-objektiven Notwendigkeiten stellt sich auch das Verallgemeinerungsproblem neu. Denn während bloße Kasuistik das Besondere in einer Weise verabsolutiert, daß das Allgemeine »verschwindet«, impliziert das Aufgeben subjektiver in objektiven Notwendigkeiten nur »Abweichungen« von letzteren - eine Vorstellung, die insofern der variablenpsychologischen Häufigkeitsverallgemeinerung vergleichbar ist, als diese, allein Aussagen über statistische Kennwerte zentraler Tendenzen treffend, die realen Unterschiede der Individuen in die »Varianz« abschiebt. Demgegenüber muß ein subjektwissenschaftlicher Ansatz zur Lösung der (nach dem Gesagten u.E. bislang ungelösten bzw. nur scheinbar gelösten) Problematik der Verallgemeinerung in der Psychologie in der Lage sein, intersubjektiv-allgemeine Aspekte historisch-konkreter Lebensbewältigung der Individuen bei unreduzierter Beibehaltung des subjektiven Gegenstandsniveaus herauszuarbeiten:»>Verallgemeinern< bedeutet hier also nicht Wegabstrahieren, sondern Begreifen von Unterschieden als verschiedenen Erscheinungsformen des gleichen Verhältnisses« (Holzkamp, 1983, S. 549). Ansatzpunkt für eine gegenstandsadäquate psychologische Lösung des Verallgemeinerungsproblems ist die als zentrales Charakteristikum menschlicher Subjektivität herausgearbeitete Möglichkeitsbeziehung. Sie ist in diesem Zusammenhang dahingehend zu explizieren, daß Gegenstand der Verallgemeinerung nicht faktische Merkmale von Individuen sind. Subjektwissenschaftliche Verallgemeinerung bezieht sich vielmehr auf die für gegebene gesellschaftliche und situative Konstellationen herauszuarbeitenden Handlungs- und Verfügungsmöglichkeiten im Spannungsverhältnis von unmittelbarkeitsfixierten Bewältigungsstrategien und deren Durchbrechen und Begreifen in der im subjektwissenschaftlichen Forschungsprozeß unverzichtbaren wie unvermeidbaren »emanzipatorischen« Praxis.

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Zum Determinationskonzept in der DDR-Psychologie Entwicklung einer Denkweise Traudl Alberg, Manfred Vorwerg

Die Psychologie in der DDR war in den fünfziger Jahren in ihren theoretischen Positionen gekennzeichnet durch - den Einfluß der Berliner Schule der Gestaltpsychologie (K. Gottschaidt) und die Auseinandersetzung mit diesen Positionen; - den Einfluß der verstehenden Psychologie (P. Lersch) und die Auseinandersetzung damit; sowie - durch Einflüsse des Personalismus (W. Stern) in Form nativistischer Auffassungen bzw. der Zweikomponententheorie der Entwicklung und die Auseinandersetzung damit. Grundlage der sich entwickelnden Gegenpositionen, die im wesentlichen von einer jungen Generation von Psychologen getragen wurde, waren (mit Hilfe und Orientierung durch sowjetische Psychologen) Versuche, marxistisches Denken in der Psychologie durchzusetzen. Allerdings war dieses Denken seinerzeit recht oberflächlich, und die politisch-ideologischen Bedingungen für die Entwicklung der Psychologie überhaupt waren bekanntlich äußerst schwierig, so daß kaum eine grundlegende Auseinandersetzung zugunsten der Psychologie möglich war. Sofern jedoch für die Psychologie argumentiert wurde, gab es (zunächst) das Bestreben, sie materialistisch zu fundieren. Dazu diente die Theorie der höheren Nerventätigkeit von I.P. Pawlow. Für ein psychologisches Denken, das in den o.g. Konzeptionen befangen war, mußte die Erkenntnis, daß psychische Prozesse auf ihre physiologischen Grundlagen zurückgeführt werden können, als eine »Revolution« erscheinen; und eine Revolution wollten (und mußten) die Psychologen seinerzeit tatsächlich machen. Hier gab es eine einigermaßen geschlossene Theorie, die experimentell belegt - neue Möglichkeiten eröffnete. Im übrigen war dies natürlich auch eine der subjektiven Wurzeln für die Ideologisierung der Lehre Pawlows, die ihrerseits bald zum Hemmnis der Entwicklung der Psychologie 30

werden sollte. Zunächst aber war ein materialistischer Standpunkt gewonnen, der mit Psychologie vereinbar war. Bei genauerer Kenntnis marxistischer Positionen jedoch zeigte sich, daß dies ein sehr verkürzter Materialismus war. In diesem Punkte nun gewannen die Auffassungen von Rubinstein (1958) eine bedeutende Rolle. Psychologisches Denken orientierte sich nun auf die »Tätigkeit« als eine Konzeption, die es ermöglichte, die Aktivität des Menschen zu betonen (die im Physiologismus verloren und in anderen Auffassungen nur idealistisch »geklärt« war) und die trotzdem (weil auf Arbeit bezogen) materialistisch war. Die Vorstellung, daß alle Psychologie des Menschen mit der Arbeit beginnt, also auch die Wissenschaft Psychologie dort zu beginnen habe, war freilich auf dem Hintergrund der herrschenden Auffassungen (auch der Einflüsse, die »aus dem Westen« kamen) ungeheuerlich, und oft war es mehr diese Ungeheuerlichkeit als wirkliche gründliche Kenntnis des Marxismus, die diese Generation der »Beginner« des anderen Denkens motiviert hat. In der Polemik, die Rubinstein gegen den Funktionalismus in der Psychologie (und den damit verbundenen Biologismus) bei der Darstellung des Tätigkeitsprinzips benutzte (vgl. Rubinstein, 1958; S. 235 ff.), lag zugleich eine Aufforderung, sich mit eben errungenen »materialistischen« Positionen in Form der Lehre von der höheren Nerventätigkeit selbst wieder auseinanderzusetzen. Erst später wurde uns mit »Sein und Bewußtsein« (Rubinstein, 1963) und der dort sehr grundlegenden Bestimmung des Psychischen als reflektorischer Hirntätigkeit und der Betonung der selbständigen Fragestellungen der Psychologie auf dieser Grundlage Hilfe zuteil, diesen »Gegensatz« von Physiologie und Materialismus im Tätigkeitsprinzip aufzuheben. Jedoch war auch hier noch eine Einschränkung wirksam: Tätigkeit wurde als die Aktivität des Subjekts verstanden, »die auf die Veränderung der Welt, auf die Erzeugung eines bestimmten objektivierten Produkts der materiellen oder geistigen Kultur gerichtet ist. . . . Jede Tätigkeit besteht in der Regel aus einer Reihe von Akten, also Handlungen oder Taten. Indem sie Akte eines Subjekts sind, haben sie nach ihrem inneren Gehalt eine bestimmte psychologische Struktur; sie gehen von bestimmten Anregungen oder Motiven aus und sind auf ein bestimmtes Ziel gerichtet. Da dieses Ziel unter verschiedenen Bedingungen durch verschiedene Verfahren . . . erreicht werden muß und kann, wird das Handeln zur Lösung einer Aufgabe« (Rubinstein, 1958, S. 236). Die tatsächliche Beziehung menschlichen Handelns zur psychischen Tätigkeit war (zunächst) auf Erkenntnistätigkeit beschränkt (Rubinstein, 1961; 1963), so daß der determinierende Charakter der Tätigkeit für die psychischen Prozesse deutlich wurde. Das Determinationsprinzip, so gewonnen, war eine wichtige Position gegen den idealisti31

sehen Indeterminismus der verstehenden Psychologie, gegen die IsomorphiePosition der Gestaltpsychologie, gegen den Nativismus des (primitiv rezipierten) Personalismus und seine Anlagen/Umwelt-Konzeption. Es war aber auch eine äußerst wichtige Position, daß psychische Prozesse zwar determiniert, aber auch als selbständige interne Vorgänge betrachtet werden konnten, die half, in der Auseinandersetzung wichtige Fortschritte in der Psychologie der DDR in Richtung auf wirkliches materialistisches Denken zu machen. Dabei lag, wie erst später bemerkbar werden konnte, ein einseitiges Determinationskonzept zugrunde. Da die Hauptrichtung der Auseinandersetzung gegen den idealistischen Determinismus, besonders den biologistischen, gerichtet war, gingen wir von einer Position aus, die von Rubinstein bereits 1934 (publiziert bei uns 1963 a) formuliert war. Bei der Analyse der (Früh-)Schriften von Marx formulierte er die folgenden drei Grundsätze: 1. Anerkennung der praktischen (und theoretischen) Tätigkeit des Menschen, der Arbeit, für die Formung des Menschen und seiner Psyche. 2. Die durch die menschliche Tätigkeit entstehende gegenständliche Welt bedingt die Entwicklung der menschlichen Sinne, der menschlichen Psyche, des menschlichen Bewußtseins. 3. Die menschliche Psyche, die menschlichen Sinne sind ein Produkt der Geschichte. Der Standpunkt Rubinsteins hatte sich zwar bezüglich der aktiven Rolle des Subjekts im Erkenntnisprozeß weiter entwickelt (vgl. 1963), der grundlegende Charakter seines Denkens, der danach für die Auseinandersetzung wichtig war, kann heute als deterministischer Reduktionismus gekennzeichnet werden. Reduktionismus deshalb, weil die Determination psychischer Vorgänge auf Außendeterminiertheit beschränkt und innere Bedingungen lediglich als »Brechungsbedingungen« gesehen und damit unterschätzt wurden. Psychisches war als Produkt der Außenwelt, nicht aber auch als Produzent von Lebensbedingungen aufgefaßt worden. Trotz dieser Verkürzung war das ein entscheidender Schritt vorwärts.1 An diesem Punkte nun trat eine Differenzierung der Psychologie in der DDR ein, die wissenschaftsgeschichtlich äußerst interessant sein könnte, jedoch noch nicht untersucht wurde: Die Unvereinbarkeit des determinstischen Reduktionismus mit dem Tätigkeitsprinzip führte damals noch nicht zu einer theoretischen Umstülpung und Neubesinnung, sondern zu einer Auslotung verschiedener Wege. Klix (1971) favorisierte das Determinismus-Konzept und vermied den Reduktionismus außerhalb des Tätigkeitskonzeptes durch Einbindung seiner Konzeption in kybernetisch-systemtheoretisches Denken. Hacker (1973) hat das Tätigkeitskonzept mit der sogenannten kognitiven Wende angereichert zu den äußersten Grenzen des so verstandenen Determinationskonzeptes 32

geführt. Kossakowski (1973) hat das Tätigkeitskonzept als Grundlage für die Ausbildung von psychischen Handlungsbedingungen favorisiert. Hiebsch und Vorwerg (1963; 1979) haben das Determinationskonzept auf interpersonale Probleme menschlicher Kooperation angewendet und schrieben bezüglich dieser Konzeption: »Bei ihr handelt es sich im Grunde um die These von der prinzipiellen Außendeterminiertheit der menschlichen Wesenskräfte und darum, daß das Vehiculum der Determination die Tätigkeit ist. Die menschliche Produktion ist ihrem Wesen nach gesellschaftliche Produktion, und deshalb setzt die menschliche Tätigkeit nicht nur ein Objekt für ihre Aktionen voraus, sondern auch andere Subjekte, die in der Tätigkeit gemeinsam (also gesellschaftlich) wirken. Die spezifische Verschmelzung dieser Einzeltätigkeiten zur gesellschaftlichen geschieht nach Marx im Akt der Kooperation. Im einzelnen Kooperationsakt vollzieht sich demnach die Außendetermination der menschlichen Psyche, und zwar in Form gesellschaftlicher Determination. Zugleich bringt der einzelne Mensch seine bisher erworbenen Wesenskräfte »als eigene« in die gemeinsame Aktion ein. Insofern ist der Kooperationsvorgang eine Begegnung, eine Auseinandersetzung zwischen äußeren und bereits verinnerlichten Lebensbedingungen; er ist der »Ausgangs-« und der »Rückkehrpunkt« der menschlichen Wesenskräfte. Wenn die Tätigkeit das Vehiculum der Determination ist, dann kann man die Kooperation als den Zirkulationsprozeß der Determinanten der menschlichen Tätigkeit bezeichnen« (S. 26 f.).2 Diese Entwicklung führte, was die praktischen Orientierungen betrifft, und hinsichtlich der verwendeten bzw. ausgearbeiteten Begriffe in den einzelnen »Schulen« zu sehr unterschiedlichen Bildern psychologischen Denkens in der DDR. Mit Ausnahme von Klix beziehen sich alle jedoch auf das Tätigkeitskonzept von Rubinstein und die Weiterungen, die Leontjew eingebracht hat. Seltener wurden die weiterführenden Differenzierungen von Ananjew aufgegriffen. Den angeführten Konzeptionen gemeinsam war aber das Verständnis von Determination als außendeterminiert. Die Bedingungen für Determination wurden unterschiedlich gefaßt, entweder im Arbeitsprozeß durch die gestellte Aufgabe (Hacker), in der allgemeinen Psychologie durch die Reizkonfiguration (Klix), im pädagogischen Prozeß durch die Verhaltensnorm (Kossakowski) und in der Sozialpsychologie durch die interpersonalen Verhaltensanforderungen in der kooperativen Tätigkeit (Hiebsch und Vorwerg). Diese Differenzierungen vollzogen sich bis etwa zur Mitte der siebziger Jahre. In dieser Zeit haben wir auch begonnen, durch unsere Arbeit zur Entwicklung von Trainingsprogrammen für die Optimierung von psychischen Regulationsprozessen für die interpersonale Anforderungsbewältigung angeregt, ein persönlichkeitspsychologisches Konzept auszuarbeiten, das auf diesen gemeinsamen Ergebnissen aufbauen konnte und ausdrücklich auch 33

wollte. Es warf das aber eben auch neue Fragen auf und machte Begrenzungen des bisherigen Denkens deutlicher sichtbar (vgl. Vorwerg, 1985; 1986). Inzwischen waren auch bedeutende Arbeiten mit neuartigen Problematisierungen psychologischer Fragen auf der Grundlage des Marxismus vorgelegt worden, wie Leontjew (1979/russ. 1975) und Seve (1972), sowie erste wesentliche Arbeiten zur Kritischen Psychologie. Nachdenklich stimmten uns - nicht nur im Zusammenhang mit den Arbeiten zum sozialpsychologischen Verhaltenstraining - eigene Erfahrungen mit der Begrenztheit der Konzepte unter den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen der DDR selbst, welche mehr Spielraum für den subjektiven Faktor im Gesellschaftsprozeß gewonnen hatte und folglich im Interesse der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft mehr Subjektentwicklung erforderte. Die Arbeitsbedingungen und der Charakter der Anforderungen am Arbeitsplatz verändern sich grundlegend hinsichtlich der Leistungsbedingungen und der sozialen Beziehungen im Arbeitsprozeß. Pädagogische Prozesse müssen diesen Anforderungen bei der Bildung und Erziehung Rechnung tragen und völlig neue Erziehungsstrategien ausarbeiten und anwendbar machen. Das neue Denken in Politik und Leben, ausgelöst durch die Zuspitzungen der globalen Probleme der Menschheit, insbesondere der Friedenserhaltung, erfordert wirklich neue Verantwortung von Einzelmenschen, Kollektiven und Organisationen und damit ein neues Verständnis der Rolle des Menschen gegenüber den von ihm produzierten Lebensbedingungen. Die Entwicklung des psychologischen Denkens kann davon nicht unberührt bleiben. Das neue Denken ist insofern radikal, als es völlig neue Dimensionen für Psychologen und ihre Arbeit eröffnet und so auch neue Konzeptionen für deren Tun erfordert; es ist nicht in dem Sinne radikal, daß es die (als unzureichend erkannten bisherigen Ergebnisse) mißachtet oder als »dümmlich« diffamiert. Ein solcher Standpunkt ist einem marxistischen Verständnis von Wissenschaftsentwicklung fremd, wenngleich es gelegentlich als »besonders marxistisch« deklariert wird (vgl. Thielen, 1984). Das für die DDR-Psychologie gemeinsame tragende Konzept, von dem wir bei der Entwicklung der Persönlichkeitspsychologie ausgehen konnten, war also das Determinationskonzept, das wir in dem dargestellten Zusammenhang noch nicht wirklich dialektisch gefaßt hatten. Offenbar sind wir in Überwindung bürgerlicher subjektivistischer Theorien zu Überziehungen in den entgegengesetzten Standpunkt gelangt (was ja in der Wissenschaftsentwicklung nicht ohne Beispiel ist), nämlich in eine Variante des Sozialdeterminismus. Das scheint auf zwei theoretische Fragen zurückzugehen, die einseitig bzw. verkürzt begriffen waren. Zum einen war der Widerspruch zwischen Wesen und Natur des Menschen nicht dialektisch gefaßt. Wir hatten - Marx' 6. Feuerbachthese

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folgend - angenommen, daß das Wesen des Menschen nicht im Individuum, sondern in den (letztlich von Individuen gesellschaftlich hergestellten) gesellschaftlichen Verhältnissen liegt und vom Individuum im Prozeß der individuellen Vergesellschaftung angeeignet wird (natürlich jeweils partiell unter konkret-historischen Bedingungen der individuellen Teilhabe am gesamtgesellschaftlichen Prozeß). Während dem Gattungswesen Mensch seiner Natur und seinem Wesen nach Gesellschaftlichkeit zugesprochen wurde, war es schwieriger mit der Dialektik von menschlicher Natur und menschlichem Wesen des empirischen Individuums. Das Individuum wurde nicht konsequent als seiner Natur nach gesellschaftlich, sondern als »gesellschaftsfähig« betrachtet. Das bedeutete, daß es auf der Grundlage der biologischen Voraussetzungen möglich und notwendig sei, das Individuum zu »sozialisieren«. Unter dem Druck der gesellschaftlichen Verhältnisse eignet sich das Individuum in gegenständlicher Tätigkeit gesellschaftliche Erfahrungen (also das menschliche Wesen) an, entsprechend läge der grundlegende Widerspruch für Individualentwicklung in der sich ständig neu aufmachenden Diskrepanz zwischen (auf Grund der gesellschaftlichen Stellung des Individuums) gesellschaftlich gefordertem, notwendigem Verhalten und der individuellen (Noch-nicht-)Befahigung, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Das führt zu der paradoxen theoretischen Konsequenz, daß das Individuum von außen, durch die gesellschaftlich gestellten Anforderungen zu seiner Entfaltung gedrängt wird; Selbstentfaltung durch permanentes »den gesellschaftlichen Anforderungen nachlaufen«, durch Anpassen an gesellschaftliche Forderungen. Diese Annahmen liegen psychologischen Theorien auf unterschiedlichen Teilgebieten der Psychologie, so der Sozialpsychologie (vgl. Hiebsch, Vorwerg 1963) und der pädagogischen und Persönlichkeitspsychologie (Hiebsch 1974, Kossakowski 1973, 1980, Neuner 1976) zugrunde (vgl. auch die Einschätzung von Ebert 1978). Auch in dem ersten Entwurf unseres persönlichkeitspsychologischen Konzeptes, das auf die Entwicklung sozialer Kompetenz gerichtet ist (s.u.), greifen wir noch auf die Auffassung über den Grundwiderspruch psychischer Individualentwicklung zurück. So schreibt Vorwerg (1980, S. 16 f.): »Dieser grundlegende Widerspruch realisiert seine entwicklungsfördernde Triebkraft durch den widersprüchlichen Charakter der menschlichen Tätigkeit. In Tätigkeiten lernen Individuen, sich sozial angemessen zu verhalten. Dieser Vorgang, den man mit dem (irreführenden) Begriff >Sozialisation< belegt hat, betrifft einen wichtigen Aspekt menschlicher Tätigkeit. Es beginnt bei den belohnenden, gleichgültigen und bestrafenden Zuwendungen der Erwachsenen auf die Äußerungen des Kleinkindes, setzt sich in den psychologisch bedeutsamen Reinlichkeitsdressuren und anderen Bildungs- und Erziehungsmaßnahmen fort und reicht bis ins hohe Alter, 35

sofern immer wieder neue Anforderungen in Beruf und Freizeitverhalten an den Einzelnen gestellt sind. Der tragende Widerspruch zeigt sich hier zwischen dem bereits erreichten Fähigkeits- und Fertigkeitsniveau einer Person und dem gesellschaftlich geforderten Verhalten. . . . >Sozialisation< ist demnach Überwindung des Widerspruchs zwischen gefordertem und erreichtem Entwicklungsniveau des sozialen Verhaltens, ist Selbstentfaltung unter dem Zwang der gesetzten Anforderungen. Diese Anforderungen entsprechen dem bisher gesellschaftlich gespeicherten Reichtum der menschlichen Wesenskräfte.« Erst die dialektische Erfassung des Verhältnisses Wesen-Natur des Menschen, die konsequente Anwendung der marxistischen Erkenntnis, daß der Mensch seiner Natur nach ein gesellschaftliches Wesen ist, und daß das Individuum in seiner Entwicklung durch Aneignung/Vergegenständlichung zur produktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß drängt, bringt das Individuum aus der Festlegung auf eine Objekt-Position (durch gesellschaftliche Anforderungen zur Vergesellschaftung gedrängt) heraus. In unserem Artikel »Die Subjektfunktion der Persönlichkeit als psychologisches Problem der Widerspiegelungstätigkeit« (Vorwerg, Alberg 1983) haben wir im Rahmen unseres theoretischen Denkens diese Vereinseitigung erstmals konzeptionell überschritten, indem wir die Dialektik von (naturgemäßer) Selbstentwicklung des Systems Individuum in seiner Wechselwirkung zum (letztlich übergeordneten) System Gesellschaft zu fassen versuchen. Die Tatsache, daß Personen als aktive Subjekte selbst ihre Lebensbedingungen herstellen, indem sie ihre Lebensbeziehungen gestalten, also selbst einen determinierenden Einfluß auf ihre Entwicklungsbedingungen haben, kann aber nicht bedeuten, daß das Prinzip der Außendetermination aufgehoben ist (wie auch Holzkamp, 1983, einschätzt). Rubinstein hatte immer kenntlich gemacht, daß die Determination letztlich eine Außendetermination ist. Dies besagt demnach, wie wir heute besser begreifen, daß es sich offenbar um einen systemischen Prozeß von nicht nur reziproker Determination, sondern von grundlegend anderem Charakter handelt. Dieser Determinationsprozeß ist durch Koevolution verschiedener miteinander durch Tätigkeit verschränkter Systeme verbunden und gehorcht den Prinzipien der Selbstorganisation (auf den einzelnen Ebenen) sowie der Autopoiese (des Gesamtsystems). Das ist eine Position, deren Tragweite für die Psychologie noch nicht (auch nicht konzeptionell) ausgeschöpft ist (Jantsch, 1986). Ein zweites theoretisches Problem, auf das Vereinseitigungen des Determinationskonzeptes zurückgehen, ist das des Charakters von relevanten gesellschaftlichen Anforderungen zur individuellen Teilhabe am gesamtgesellschaftlichen Lebensgewinnungsprozeß. Wir sind mit anderen theoretischen Positionen im marxistischen psychologischen Denken darin einig, daß das je konkrete Individuum abhängig von seiner Stellung in konkret36

historischen gesellschaftlichen Verhältnissen sehr unterschiedliche Möglichkeiten und Nötigungen zur effizienten Einflußnahme auf die Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse (und damit der individuellen Lebenssicherung) und der individuell limitierten Aneignung der Totalität des menschlichen Wesens hat. Seve's Konzept der historischen Individualitätsformen, das uns bei der Präzisierung unserer Vorstellungen über arbeitsteilig notwendige Handlungsanforderungen angeregt hat, geht auf Marx zurück; Seve bezieht sich auf einen Brief Marx' an Annenkow, in dem es heißt: »Die soziale Geschichte der Menschen ist stets nur die Geschichte ihrer individuellen Entwicklung, ob sie sich dessen bewußt sind oder nicht. Ihre materiellen Verhältnisse sind die Basis aller ihrer Verhältnisse. Diese materiellen Verhältnisse sind nichts anderes als die notwendigen Formen, in denen ihre materielle und individuelle Tätigkeit sich realisiert.« (Marx 1980, S. 548, Hervorhebung d. Verf.) Letztlich sind diese »notwendigen Formen«, seien sie als historische Individualitätsform (Seve 1972), als gesellschaftliche Individualitätsform und die davon abgeleitete Anforderungsmatrix für Verhalten (Vorwerg 1980) oder als Position (Holzkamp 1983) begriffen, immer aus Entwicklungsnotwendigkeiten der gesellschaftlichen Verhältnisse i.S. des verallgemeinerten Lebensgewinnungsprozesses in seinem dialektischen Wechselverhältnis mit dem je individuellen Lebensgewinnungsprozeß abzuleiten. Es sind »objektive Positionen, die Menschen innerhalb historisch bestimmter, arbeitsteiliger Produktionsverhältnisse notwendig innehaben müssen, wenn die gesamtgesellschaftliche Lebenssicherung gewährleistet sein soll« (Holzkamp-Osterkamp 1975, S. 318), wobei diese objektiven Positionen durch die Widersprüche der gesellschaftlichen Verhältnisse selbst bestimmt sind. Sie werden für das Individuum durch verschiedene Konkretisierungsformen abbildbar und handlungsleitend. Unser Ausgangskonzept enthält in diesem Zusammenhang eine entscheidende Verkürzung in der psychologisch relevanten Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse (vgl. Hiebsch, Vorwerg 1963, G. Vorwerg 1971, auch Kossakowski 1973, 1980). Es wurde unterstellt, daß seitens der Gesellschaft (in der Regel durch Institutionen und Organisationen und zunehmend auf wissenschaftlicher Basis) aus gesellschaftlichen Entwicklungsnotwendigkeiten mehr oder weniger stringent Verhaltensanforderungen, Normen, Verhaltensmuster abgeleitet werden, die dem Individuum als gesellschaftliche Anforderungen entgegentreten. Als Maß für individuelles, auf die Gesellschaft bezogenes Verhalten galt nicht in erster Linie die Effizienz der wirklichen Einflußnahme auf gesellschaftliche Verhältnisse, sondern die »Normgerechtheit« des Verhaltens, die Realisierung gesellschaftlich erwarteter Verhaltensmuster (deren wissenschaftliche Abgeleitetheit aus gesellschaftlichen Verhältnissen unterstellt wurde - zu dieser Ableitung leistet die Psychologie auch ihren spezifischen Beitrag). Wir spitzen diese Auffassung 37

hier bewußt zu, um sie und ihre Überwindung zu verdeutlichen. Diese Verkürzung findet in konkreten psychologischen Arbeiten ihren Niederschlag. So wird beispielsweise bei Kossakowski (1973) das Wechselverhältnis des Schülers mit den gesellschaftlichen Verhältnissen bezogen auf den pädagogischen Prozeß (also in der pädagogisch gestützten individuellen Aneignung gesellschaftlicher Erfahrungen durch den Schüler) nicht etwa durch die Beziehung

konkret-historische gesellschaftliche Verhältnisse

Tätigkeit des Schülers I I

Schüler (mit seinen psychischen Funktionspotenzen)

unterstützende Vermittlung durch den pädagogischen Prozeß sondern durch die Beziehung: Pädagogische Bedingungen

Tätigkeit des Schülers

Schüler

dargestellt. Dabei sind die pädagogischen Bedingungen (in Anlehnung an Galperin) derart organisiert, daß der Schüler Anforderungen erfüllt, die zur Interiorisation normgerechten Verhaltens führen. Die Verkürzung dieser Auffassung wird konzeptionell auch nicht dadurch aufgehoben, daß aktives, kreatives, verantwortungsbewußtes Verhalten gegenüber gesellschaftlichen Verhältnissen als normgerecht abgeleitet wird. Wir wollen das Problem mit anderen Beispielen belegen. G. Vorwerg (1971) entwirft ein Konzept der Führungsfunktion des sozialistischen Leiters, in dem zunächst theoretisch begründet wird, daß sich die Führungsfunktion im Sinne eines Funktionskomplexes aus den konkret-historischen Verhältnissen des arbeitsteiligen, kooperativen Produktionsprozesses ergibt (i.S. der Individualitätsform nach Seve). Beim Übergang zu eigenen Untersuchungen fallt sie jedoch hinter diese eigenen theoretischen Ableitungen zurück in Vereinseitigungen des Rollenkonzeptes i.S. der Erwartungen der Gesellschaft an einen sozialistischen Leiter. Letztlich sind diese Erwartungen das Maß für die Effektivität des Leiters. Entsprechend ging es im sozialpsychologischen Verhaltenstraining (M. Vorwerg 1969, 1971) zunächst darum, effektive Verhaltensmuster zu interiorisieren, ohne Einsicht in deren funktionale Beziehung zu objektiven gesellschaftlichen Verhältnissen zu gewinnen und demzufolge auch ohne zu 38

lernen, wie entsprechende Ableitungen vorzunehmen sind, wie man also objektive Verhaltensanforderungen individuell bestimmen kann. Dem lag die Auffassung zugrunde, derzufolge die »gesellschaftlich gestellte Aufgabe« als eindeutiges Abbild historisch notwendiger Verhältnisse eine direkte und zureichende Bestimmung für die psychische Regulation menschlichen Verhaltens bei der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft sei. Eine solche Position liegt auch der Handlungsregulationstheorie von Hacker (1973) zugrunde, der schreibt: »Die psychischen Komponenten der Arbeitstätigkeit werden bestimmt durch die aus dem Produktionsprozeß sich ergebende Arbeitsaufgabe mit ihrem Sinn. Die Aufgabe erwächst im einzelnen aus dem geforderten Ergebnis, das als Ziel antizipiert werden muß, und den Ausführungsbedingungen. . . . Indem die Aufgabe die Art der beteiligten psychischen Erscheinungen und ihre Wechselbeziehungen bestimmt, bedingt sie die psychische Struktur der Tätigkeit. Die inneren, psychischen Prozesse haben im Prinzip die gleiche Struktur wie das äußere Handeln.« (S. 65) Das ist eine Aussage, die als Teil eines Konzeptes bedeutsam, als das Ganze genommen, wie die anderen aufgeführten, eine verhängnisvolle Verkürzung des tatsächlichen Sachverhaltes darstellt. Vor allem Seve's Theorie der historischen Individualitätsformen3 und deren kritisch-konstruktive Rezeption durch die Kritische Psychologie (Holzkamp-Osterkamp 1975) waren uns theoretische Orientierungshilfen bei der Überwindung dieser Verkürzung. In theoretischen Arbeiten findet das zunächst seinen Niederschlag in dem Konzept der sozialen Kompetenz, in dem die Kompatibilität von gesellschaftlichen Anforderungsmatrizen und individuellen Leistungsmatrizen (i.S. der je individuellen psychischen Voraussetzungen zur Anforderungsbewältigung) als eine Voraussetzung für effizientes Verhalten zu den gesellschaftlichen Verhältnissen angenommen wird (Vorwerg 1980). Dieses Umdenken findet seinen Niederschlag in Arbeiten zum sozialpsychologischen Verhaltenstraining. Hier ging es nicht mehr nur darum, (durch vorangehende Untersuchungen ermittelte, in Form von Orientierungsgrundlagen eingeführte) effektive Verhaltensmuster zu interiorisieren.4 Der Trainingspraxis gehen nun Anforderungsanalysen voraus, in denen das Wesen der jeweiligen Anforderung in ihrer objektiven Bedeutung für gesellschaftliche Entwicklung, hinsichtlich des ihr immanenten Grundwiderspruches untersucht wird (in der Regel handelt es sich um Anforderungen, die sich aus der beruflichen Stellung im arbeitsteiligen gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß ergeben). Von dorther werden theoretisch und empirisch funktionale Bewältigungsstrategien (und denen untergeordnete Verhaltensmuster) und Hypothesen über psychische Voraussetzungen der Anforderungsbewältigung abgeleitet. Im Training gewinnen die Teilnehmer Einsicht in diese Zusammenhänge, indem sie die Schritte der Anforderungsanalyse nachvollziehen, sie für ihren Praxisbereich konkretisie39

ren und es lernen, objektiv funktionale, in ihrer Funktionalität einsichtige Bewältigungsstrategien und Verhaltensmuster zu realisieren (vgl. Alberg 1984, 1985). Damit ist das ursprüngliche Problem der Normorientierung aber noch nicht gelöst. Es war ja keine pure Fiktion (sondern eben eine wenngleich nicht unerhebliche Verkürzung), im Prozeß der individuellen Vergesellschaftung von an das Individuum gestellten Forderungen in Form von Verhaltenserwartungen, gestellten Aufgaben, Normen, Kodizes usw. auszugehen. Die konkret-historischen Entwicklungsnotwendigkeiten werden sowohl gesellschaftlich als auch individuell auf verschiedene Weise reflektiert, und die Gesellschaft als »selbstorganisierendes System« bringt natürlich Instanzen zur Absicherung ihrer Entwicklung hervor, die kontrollierende und stimulierende Wirkung gegenüber den gesellschaftlichen Individuen, Gruppen und Organisationen haben (Überbau i.S. von Ideologie, Kodizes, Normen usw.). Basis und Überbau stehen dabei in einem dialektischen Verhältnis zueinander: Die Funktionen von Forderungen, Normen, Verhaltenserwartungen als Regulative des aktiven Verhältnisses des Individuums zu seinen gesellschaftlichen Verhältnissen ist auch in unserer Gesellschaft bei prinzipieller Übereinstimmung individueller und verallgemeinerter Interessen widersprüchlich. Sie stellen Konkretionen eben dieses Verhältnisses und damit Orientierungen für das Individuum dar. Ähnlich wie in gesellschaftlich hervorgebrachten Gegenständen Bedeutungen akkumuliert sind, die das Individuum in gegenständlicher Tätigkeit aneignet, enthalten die Verhaltensnormen (im weitesten Sinne) gesellschaftlich akkumulierte Erfahrung. Vorausgesetzt, diese Verhaltensnormen sind durch wissenschaftliche Analysen stringent aus historisch-konkreten gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und Entwicklungserfordernissen abgeleitet, kann unter unseren gesellschaftlichen Verhältnissen zunächst davon ausgegangen werden, daß sie (bei prinzipieller Übereinstimmung persönlicher und verallgemeinerter Interessen) für das Individuum eine Orientierungsinstanz bei der Realisierung gesellschaftlich effizienten Verhaltens (i.S. des »Verhaltens-Zu« den gesellschaftlichen Bedingungen, vgl. Holzkamp 1983) sind. Wir denken hier z.B. an die Konkretisierung pädagogischer Grundprinzipien in Bildungs- und Erziehungskonzeptionen, Lehrplänen, Unterrichtshilfen usw. Dieser Vorteil birgt jedoch seinen Nachteil bereits in sich. Einerseits sind also Normen für das Individuum eine Orientierungshilfe bei der Bewältigung objektiv bestehender gesellschaftlicher Erfordernisse. Andererseits begünstigen sie eine Verkürzung der Einsicht in gesellschaftliche Verhältnisse und behindern spätestens dann ein aktiv-schöpferisches Verhalten, weenn sie nicht als Vermittlungsinstanz zwischen objektiven gesellschaftlichen Bedeutungen und personalen Handlungsmöglichkeiten und Handlungsanforderungen verstanden werden, 40

sondern wenn sie für die objektiven Verhältnisse selbst genommen werden, diese quasi »verkörpern«. Obendrein enthalten Normen mit ihrem Entstehen bereits Elemente konservierenden Charakters und können bei dogmatischer Handhabung schnell zu einfacher (anstelle erweiterter) Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse führen. Hinsichtlich eines weiteren Gesichtspunktes sind Normen in ihrer Funktion widersprüchlich. Einerseits fixieren sie Verbindlichkeiten in den Umgangsformen in Kooperationsprozessen, die für deren Absicherung unumgänglich sind. Dadurch ermöglichen sie eine intersubjektive Orientierung und Verhaltenskoordinierung. Wenn sie jedoch (bewußt oder aus Unkenntnis) falsche Konkretionen verallgemeinerter Handlungserfordernisse .darstellen (wenn z.B. ein Fachberater aus allgemeinen Erziehungsplänen falsche Verhaltensanforderungen an Pädagogen ableitet und sie - mit Sanktionskompetenz ausgestattet - als Forderungen an die Pädagogen heranträgt), so behindern sie die Entwicklung von Handlungsfähigkeit (im Beispiel sowohl des Pädagogen als auch der Schüler). Diese widersprüchlichen Funktionen von Normen (im weitesten Sinne) können im Zusammenhang mit der Entwicklung von Handlungsfähigkeit jedoch nicht zu der Konsequenz führen, sie außer Kraft zu setzen. Vielmehr geht es darum, sie in ihren Entstehungs- und Wirkungsbedingungen transparent zu machen, sie hinsichtlich ihrer Funktion bei der Erreichung gesellschaftlicher Ziele zu hinterfragen. So geht es uns in unseren Bemühungen bei der Entwicklung von Handlungsfähigkeit darum, Personen zu befähigen, konstruktiv mit dem widersprüchlichen Verhältnis von gesellschaftlichen Erfordernissen (die immer auf gesellschaftliche Entwicklung gerichtet sind) und darauf bezogenen konkreten gesellschaftlichen Forderungen umzugehen und aus einer Vermittlung dieser Handlungsbedingungen personale Aufgaben abzuleiten (vgl. Alberg - im Druck). Die konstruktive Auseinandersetzung mit diesen Widersprüchen ist eine Voraussetzung für effizientes gesellschaftliches Handeln. Soviel über einige Entwicklungen zur Überwindung ursprünglicher Vereinseitigungen des Determinationskonzeptes, die sich in engem Zusammenhang mit der Überschreitung der ursprünglich angenommenen Unmittelbarkeit von Kooperationsprozessen (aus sozial-psychologischer Sicht, vgl. Hiebsch, Vorwerg 1963,1979) und mit einer auf der Grundlage handlungstopologischer Orientierungen (Busse, Lampe 1987) eingeleiteten Aufklärung des Verhältnisses von aktuellem Handeln und übergreifenden Handlungsbedeutungen vollzogen.

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Anmerkungen

1 Die später publizierten und von Vorwerg herausgegebenen Arbeiten von Ananjew (1963, 1974), die an diesem Punkte weiter hätten führen können, wurden kaum rezipiert. Das kann als Ausdruck der Argumentationskraft des (reduktionistischen) Determinismus in der geistigen Atmosphäre und ihrer konkreten historischen und politischen Bedingungen gesellschaftlicher Realität der DDR dieser Zeit gewertet werden. 2 Wir erheben hier nicht den Anspruch, alle Psychologie in der DDR damit charakterisiert zu haben. Die Auswahl erfolgte unter dem Gesichtspunkt der Wirkungs- und Verbreitungsmöglichkeiten, die diese Autoren hatten, weil sie in der Ausbildung und damit Vervielfältigung psychologischen Wissens wirksam waren. 3 Das bleibt davon unberüht, daß auch bei Seve das Problem der sozialen Determiniertheit und das Verhältnis menschliches Wesen - menschliche Natur nicht dialektisch gelöst sind und daß wir seiner »Ökonomisierung« der Psychologie nicht folgen können. 4 Insofern ist die Bezeichnung »sozialpsychologisches Verhaltenstraining« spätestens von hier ab irreführend; sie entspricht auf dem gegenwärtigen Entwicklungsstand theoretischer Grundlagen und praktischer Anwendungen nicht mehr dem Wesen der Veränderungsmethode, durch die wir die Entwicklung individueller Handlungsfähigkeit mit psychologischen Mitteln zu unterstützen suchten.

Literatur Alberg, T.: Entwicklungen des sozialpsychologischen Verhaltenstrainings - vom Konzept der sozialen Kompetenz zum Konzept der individuellen Handlungsfähigkeit, in: Psych, f. d. Praxis, im Druck -: Der Anforderungsbezug von sozialpsychologischem Verhaltenstraining - Theoretische Voraussetzungen und methodische Konsequenzen, in: Vorwerg, M. (Hrsg.): Persönlichkeitspsychologische Forschungen zur Regulation und Modifikation individuellen Verhaltens, Leipzig 1984 -: Anforderungsbezogene Entwicklung individueller Handlungsfähigkeit, in: Braun, K.-H. und K. Holzkamp (Hrsg.): Subjektivität als Problem psychologischer Methodik, Frankfurt/M., New York 1985 Ananjew, B.G.: Psychologie der sinnlichen Erkenntnis, Berlin, 1963 Der Mensch als Gegenstand der Erkenntnis Berlin 1974 Busse, S., und R.H. Lampe: Persönlichkeit - Handlung - Umwelt; Probleme und Ergebnisse psychologischer Forschung, 8, Karl-Marx-Universität, Leipzig 1987

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Ebert, J.: Zum Verhältnis von Biologischem und Sozialem als Problem der persönlichkeitstheoretischen Diskussion in der DDR, in: Rückriem, G., F. Tomberg und W. Volpert (Hrsg.): Historischer Materialismus und menschliche Natur, Köln 1978, S. 209-229 Hacker, W.: Allgemeine Arbeits- und Ingenieurpsychologie, Berlin 1973 Hiebsch, H.: Sozialpsychologische Grundlagen der Persönlichkeitsformung, Berlin 1974 Hiebsch, H., und M. Vorwerg: Einfuhrung in die marxistische Sozialpsychologie, Berlin 1963 Hiebsch, H., und M. Vorwerg: (Hrsg.): Sozialpsychologie, Berlin 1979 Holzkamp, K.: Grundlegung der Psychologie, Frankfurt/M. 1983 Holzkamp-Osterkamp, U.: Grundlagen der psychologischen Motivationsforschung, Band 1, Frankfurt/M., New York 1975 Jantsch, E.: Die Selbstorganisation des Universums, München 1986 Klix, F.: Information und Verhalten, Berlin 1971 Kossakowski, A.: Theoretische Voraussetzungen und experimentelle Untersuchungen zur Entwicklung der eigenständigen Handlungsregulation, in: Kossakowski, A., und K.U. Ettrich: Psychologische Untersuchungen zur Entwicklung der eigenständigen Handlungsregulation, Berlin 1973, S. 11-91 -: Handlungspsychologische Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung, Berlin 1980 Leontjew, A.N.: Tätigkeit, Bewußtsein, Persönlichkeit, Berlin 1979 Marx, K.: Brief an P.W. Annenkow, in: MEW Bd. 4, Berlin 1980 Neuner, G.: Sozialistische Persönlichkeit - ihr Werden, ihre Erziehung, Berlin 1976 Rubinstein, S.L.: Grundlagen der Allgemeinen Psychologie, Berlin 1958 -: Das Denken und die Wege seiner Erforschung, Berlin 1961 -: Sein und Bewußtsein, Berlin 1963 -: Prinzipien und Wege der Entwicklung der Psychologie, Berlin 1963 a Seve, L.: Marxismus und Theorie der Persönlichkeit, Berlin 1972 Thielen, M.: Sowjetische Psychologie und Marxismus, Frankfurt/M. 1984 Vorwerg, G.: Führungsfunktion in sozialpsychologischer Sicht, Berlin 1971 -: Sozialpsychologisches Verhaltenstraining für sozialistische Leiter, unveröff. Manuskript, Jena 1969 -: (Hrsg).: Sozialpsychologisches Verhaltenstraining, Wiss. Beiträge der FriedrichSchiller-Universität, Jena 1971 -: Grundlagen einer persönlichkeitspsychologischen Theorie interpersonalen Verhaltens, in: Vorwerg, M., und H. Schröder (Hrsg.): Persönlichkeitspsychologische Grundlagen interpersonalen Verhaltens, Leipzig 1980 -: Wandlungen der Persönlichkeitspsychologie, in: Psych, f.d. Praxis, 3, 1985 -: Realer Humanismus und die Lage der Psychologie, in: Psychologie an der alma mater lipsiensis, Leipzig 1986 Vorwerg, M., und T. Alberg: Die Subjektfunktion der Persönlichkeit als psychologisches Problem der Widerspiegelungstätigkeit, Zschr. f. Psych., Bd. 191, 4, 1983

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Zur Funktionsbestimmung von Supervision in der therapeutischen Arbeit Ein Erfahrungsbericht Ole Dreier

In der Geschichte psychotherapeutischer Arbeit ist Supervision (fast immer und überall) ein hochgerühmtes und - obwohl im Verhältnis zum Ruhm etwas weniger - weit verbreitetes Mittel gewesen. Warum? Welchen Stellenwert hat dieses Mittel in der Entwicklung der Handlungs- und Denkformen dieser Arbeit? Welche Funktionen nimmt es darin wahr, welchen Interessen und Bedürfnissen kommt es entgegen? Sicherlich besteht Konsens, daß der subjektive Grund eines Therapeuten, Supervision für sich als Mittel in Anspruch zu nehmen, vor allem dann vorliegt, wenn Konflikte und Belastungen seiner Arbeit ihn besonders stark betreffen und ihn ohnmächtig zu machen drohen, bzw. wenn er versucht, einer solchen Situation vorzubeugen. Hinzu kommen muß, daß er meint, diese Konflikte und Belastungen nicht ausreichend direkt mit den Klienten (oder anderen Beteiligten) verarbeiten zu können (oder zu wollen), sondern sie eben im interpersonalen Rahmen der Supervision klären zu müssen. Das Bedürfnis eines Therapeuten nach Supervision ist damit einerseits um so stärker, je mehr er den selbstaufopfernden Charakter therapeutischer Dienstleistung betont, gemäß der es vor allem um den Klienten gehen soll, während der Therapeut seine Betroffenheiten außen vor halten müsse, sie also anderswo verarbeiten müsse: dabei mag er sich nach einer kompensierenden Situation sehnen, in der es um ihn (allein) geht (s. Dreier, 1984). Andererseits ist das Bedürfnis nach Supervision um so stärker, je mehr der Therapeut sich in der Weise verantwortlich dafür fühlt, daß gerade er die Kontrolle über den Prozeß und damit die Möglichkeit seiner Vorhersage in der Hand behalten müsse. Dabei mag es ihm um so mehr als ein Bruch mit seiner auftragsgemäßen professionellen Verantwortung oder als therapeutisch kontraindiziert erscheinen, Verfügung und Voraussicht mit dem Klienten zu teilen oder diesem zu überlassen, je weniger es ihm vorkommt, daß der Klient »sich selbst kontrollieren« könne; und je unexplizierter und undurchschaubarer er seine Kontrolle ausübt, um so mehr mag er hoffen, 44

dem Klienten und anderen Betroffenen gegenüber unparteilich zu erscheinen. Es scheint, daß es in nicht geringem Maße dieser Widerspruch therapeutischer Arbeit zwischen Dienstleistung und Kontrolle ist, der in seinen unterschiedlichen Gestalten verschiedene Therapiekonzepte mit schafft und eben auf vielen Ebenen therapeutischer Prozesse Supervisionsbedürfnisse erzeugt. Auf der analytischen Dimension der Arbeit ist Ohnmacht bzw. Kontrolle eine Frage der Aufarbeitung konfliktbezogener Deutungen (s. Dreier, 1985 c, 1986 a). Dieses hypothetische Wissen über einen Fall wird nie vollständig und endgültig (s. Dreier, 1985 a). Erstens weil der Fall vorher längst »zu Ende« wäre; zweitens weil er sich »unterwegs« (sowie nachher) stets ändern mag - und solche Veränderungen ja durchaus gerade angestrebt werden. Der Ein- und Überblick als Grundlage der Voraussicht muß demgemäß stets neu aufgearbeitet, modifiziert und korrigiert werden. Die damit verbundene analytische Ungewißheit und Unsicherheit mag belastend wirken und zu einem Bedürfnis unabschließbaren Nachdenkens führen, das besonders bei drohender Ohnmacht, beim Verlust des bisherigen Überblicks usw. den Therapeuten bewegen kann, in eine Supervision zu gehen. Werden frühere modifizierte oder fallengelassene Deutungen dann aus der impliziten Annahme heraus, der Therapeut hätte dies bzw. alles vorhersagen können müssen, rückblickend als persönliche Deutungsfehler interpretiert, mag er auch deswegen wiederum ein Supervisionsbedürfnis verspüren, um künftig diese bzw. alle solche Fehler dadurch vermeiden zu können, daß er sich einfach »schlau genug« macht. In dieser Hinsicht spielt bei der Selbstbewertung des Therapeuten, der seine Kompetenz oft am Erfolg seiner Vorhersagen mißt, das der therapeutischen Arbeit gegenüber eindeutig inadäquate, jedoch auch dort nicht überwundene »kontrollwissenschaftliche« Paradigma der traditionellen Psychologie (s. Holzkamp, 1983, Kap. 9.3) eine größere Rolle, als allgemein angenommen wird. Damit sind wir an einem Punkt angelangt, an dem die vom Therapeuten übernommene persönliche Verantwortung umschlagen mag in eine Infragestellung seiner individuellen Kompetenz, seiner Eigenschaften und allgemein seiner ganzen Persönlichkeit. In der Geschichte der Denkformen psychotherapeutischer Arbeit spielt die Vorstellung bis heute noch eine große Rolle, daß die Persönlichkeit des Therapeuten den Kern seiner professionellen Kompetenz und sein wichtigstes Arbeitsmittel ausmacht. Diese Personalisierung und Vereigenschaftung (s. Holzkamp, 1983, Kap. 7.5; 1985) in der Auffassung fachlicher Kompetenz ist wegen verschiedener Eigentümlichkeiten therapeutischer Arbeit und der üblichen Verhaltensweisen dazu (s. Dreier, 1985 c) sowie wegen verschiedenen Desiderate ihrer Verwissenschaftlichung (s. Dreier, 1984) sehr zählebig. Daraus folgt u.a., daß Ohnmacht, Fehler oder Mängel des Über- und Einblicks und der Vorhersage bezüglich 45

sogenannter »blinder Flecken« der eigenen Persönlichkeit zurückgeführt werden. Der Therapeut erscheint damit als partiell krankhaft: Er müsse in einem bestimmten Aspekt selbst geheilt sein, bevor er in diesem Aspekt andere heilen könne, usw.. Es ist diese Überhöhung der Bedeutung der eigenen Persönlichkeit, aus der Süpervisionsbedürfnisse entstehen; Supervision erhält so partiell den Stellenwert von Eigentherapie, deren »follow-up« oder Ersatz. Die Personalisierung von Verantwortung und Ohnmacht und die Vereigenschaftung von Kompetenz und Ungewißheit haben einen weiteren praktischen Grund in der üblichen, privat abgeschirmten Form therapeutischer Fallarbeit. Wenn Konflikte und Unsicherheiten dort nicht mit dem Klienten geklärt werden können und »dürfen«, und sonst niemand unmittelbar anwesend ist, mit dem sie verarbeitet werden könnten, müssen sie also anderswo außerhalb der Fallarbeit verarbeitet werden. Supervision ist dann eine mögliche Entlastung von der Alleinverantwortlichkeit isoliert betriebener Fallarbeit sowie eine besondere Möglichkeit, über den eigenen unmittelbaren, problematischen Arbeitszusammenhang hinauszukommen, und ihn, die allgemeine Reflexivität interpersonaler Beziehungen nutzend (s. Holzkamp, 1983, Kap. 6.3 u. 7.3), durch Perspektivenwechsel und Vergleich zu verarbeiten. Damit hängt die mögliche qualifizierende Funktion von Supervision eng zusammen, als ein Mittel nämlich, Konflikte und Belastungen besser bewältigen zu können und somit handlungsfähiger zu werden. In der vorherrschenden Denkform setzt sich die Therapeutenpopulation aus zwei Klassen zusammen: den Könnern und den Nicht-Könnern, den Meistern und den Schülern (s. Dreier, 1984). Erfahrungen, Kenntnisse und Fertigkeiten therapeutischer Arbeit sind nicht ausreichend vereindeutigt und verallgemeinert. Deswegen können sie nicht eindeutig schriftlich weitervermittelt werden, bleiben in den Köpfen und »Fingerspitzen« der Meister stecken und erscheinen als besondere, ungreifbare persönliche Eigenschaften der Mitglieder der Meisterklasse. Davon lernen kann man nur durch mehr unmittelbaren Zugang zur »Supervision« durch die Könner. Derartiges Lernen bleibt untrennbar mit persönlichen Abhängigkeitsbeziehungen verknüpft. Vergegenwärtigen wir uns die Unvollständigkeit und Ungesichertheit therapeutischer Deutungen, leuchtet es ein, daß Therapeuten meistens subjektiv bereit sein müssen, den Deutungsvorschlägen anderer zuzuhören. Ihre praktische Ohnmacht bringt sie leicht dazu, auch unausgewiesene Deutungsvorschläge für »besser« zu halten und zu übernehmen. Berücksichtigen wir die deutende Vorarbeit der Therapeuten sowie die Verbreitetheit rückblickender Umdeutungen, wird ebenso klar, daß die Supervisoren mit dem »second guessing« (Wallerstein, 1986) ein sehr leichtes Spiel haben, was zur scheinhaften Bestätigung ihrer Höherqualifikation führen mag. Jedenfalls ist die Frage des potentiell größeren Wahrheitsgehalts ihrer Deutungen sehr kompliziert. 46

Tragfähige und genaue Kriterien dafür gibt es leider noch nicht; sie bleiben einstweilen beliebig (s. Dreier, 1985 c). Zu fragen ist also, wie und ob die Deutungen von Supervisoren überhaupt geprüft werden. In welcher Weise nehmen die Therapeuten gegenüber den nach Art und Grundlage ihrer Verallgemeinerungen unausgewiesenen Erfahrungen, Kenntnissen und Deutungsvorschlägen der Supervisoren Stellung? Meint ein Therapeut z.B., diese oder jene Supervision »hat ihm sehr viel gebracht«, ist es meistens nicht genau darstellbar, was genau sie ihm »gebracht« hat, und ob dies wohl begründet ist. Gerade dieser Rückfall klinischer Deutungen auf eine Ebene »persönlicher Meinungen« ist der wesentliche Grund dafür, daß Supervision einerseits (wie vermutet) ein wichtiges Moment ideologischer Hegemonie in der klinischen Psychologie ist, gleichzeitig aber zu ihrer Erosion beiträgt. Die Brüchigkeit, Unausgewiesenheit und mangelnde Darstellbarkeit derart beschränkter Kompetenzen hält schließlich in der Therapeutenpopulation ein Gefühl unzulänglicher Qualifikation aufrecht, das sich u.a. in einer Verewigung von Supervisionsbedürfnissen oder einer Beschränkung auf das Vorzeigen »gelungener Fallbeispiele« ausdrücken könnte. Keiner weiß »so richtig«, wann er »genug« kann. Ein Therapeut mag sich zunächst gar als eine Person wähnen, die schon alles kann, weil, wie erwähnt, die Bewertung seiner Persönlichkeit besonders eng mit seinem Können verbunden erscheint. Da er dies aber nicht präzise darstellen und begründen kann, lauert doch (wie erwähnt) hinter diesem Selbstbild - bei defensiver Kompetenzbehauptung - ein Gefühl persönlicher Verunsicherung. Die Privatform von Supervision mystifiziert also ihre qualifizierende Funktion den Teilnehmern gegenüber. Sie hat jedoch auch eine direkt ökonomische Seite: eine massenhafte Umverteilung von Lohnanteilen zwischen »Könnern« und »Nicht-Könnern« - statt daß die ersteren die Aufgabe übernehmen würden, ihre Kenntnisse öffentlich darzustellen. Auf dem Markt ist eine knapp vorliegende und gerühmte Ware natürlich besonders teuer, ihre Aneignung (und damit verbunden die Möglichkeit einer Stellungnahme dazu) entsprechend kostspielig, langsam und unsystematisch, ein Umstand, der die Entwicklungsdynamik des Berufsfelds erheblich einschränkt. Supervision verkörpert auf dem Markt sowohl Gebrauchs- wie Tauschwert, in einer Form, worin die beiden Momente für die Käufer nicht leicht unterscheidbar sind. Ist doch auf dem Arbeitsmarkt Supervisionserfahrung ein Kriterium der Selektion von Arbeitskraft, das bei der gegenwärtigen Arbeitslosigkeit noch stärker durchschlägt, sowie ein Kriterium der Sicherung beruflicher und finanzieller Privilegien von Einzelpersonen und Gruppen, was wiederum besonders bei Arbeitslosigkeit zur Privatisierung von meistens sehr hohen Supervisionskosten und erheblichem Zeitaufwand durch die Therapeuten führen kann. 47

Diese allgemeine Vorklärung zur Funktion vorfindlicher Supervision ist in Entwicklungsstand und Eigenart therapeutischer Arbeit begründet. Deswegen müssen wir jetzt auf der Basis von Supervisionserfahrungen einige Problemschwerpunkte und Zusammenhänge, Widersprüche und Entwicklungsmöglichkeiten therapeutischen Handelns ausführlicher analysieren, um daraus neue Aspekte und Perspektiven bezüglich der konkreten Funktion von Supervision als einem besonderen Mittel der Entwicklung therapeutischer Arbeit zu gewinnen. Der typische Ausgangspunkt einer Supervision ist, wie erwähnt, gegeben, wenn ein Psychologe sich in den Konflikten und Belastungen einer Arbeitsaufgabe akut festzufahren droht oder dem vorbeugen möchte. Gegenstand der Supervision ist m.a.W. nicht der Klient, sondern der Psychologe als Subjekt in den Widersprüchen seiner klientenbezogenen Arbeit; Aufgabe der Supervision muß es also sein, die (drohende) Ohnmacht des Psychologen abzuwenden, am besten, indem Perspektiven der Erweiterung seiner konkreten Handlungsmöglichkeiten geklärt werden. Ausgangsund Fluchtpunkt vorfindlicher Supervision ist die subjektive Handlungsfähigkeit und Befindlichkeit des Psychologen. Sie macht die problematischen und konfliktvollen Schwerpunkte, die der gegenwärtigen negativen Befindlichkeit (als Antizipation künftig bedrohter und eingeschränkter Handlungsmöglichkeiten) zugrundeliegen, zum Thema der Bearbeitung. Bei den vom Psychologen in die Supervision eingebrachten, subjektiv erfahrenen Problemsituationen seiner Arbeit fallt zunächst das hohe Ausmaß an problemzentrierten, deutenden Personalisierungen auf, womit Ereignisse, Handlungen, Konflikte, Stagnationen, Ohnmacht usw. unmittelbar aus den Eigenschaften der teilnehmenden Personen oder aus deren darauf beruhender Interaktion erklärt werden sollen (s. Holzkamp, 1983, Kap. 7.5; 1985). Solche Personalisierungen kommen natürlich in verschiedenen konkreten Gestalten vor, die Schuld und Verantwortung für Rückschläge und Mißerfolge, Belastungen usw. unterschiedlich verteilen. Sie haben jedoch gemeinsam, daß sie die Rationalität subjektiver Handlungsgründe der Beteiligten verkürzt und damit tendenziell irrational und ihrer subjektiven Entwicklungspotenz beraubt erfassen (s. Dreier, 1984); damit legitimieren sie das subjektive Aufgeben der Realisierbarkeit von Möglichkeiten. Sie sind also einerseits ein Ausdruck dafür, daß der Psychologe konkret meint, nicht weiterkommen zu können, andererseits legitimieren sie diese Festgefahrenheit. Deswegen finden wir sie eben besonders ausgeprägt bei erfahrener Ohnmacht vor. Dort sind sie ein Zeichen dafür, daß sich der Psychologe der drohenden Ohnmacht gegenüber in restriktiver Weise verhält, d.h. versucht, sie, konzentriert auf seine Person, ohne Veränderung der Handlungsbedingungen abzuwenden. Damit zeichnen sich für ihn zugleich weitergehende Restriktionen seiner »eigentlich« noch gegebenen Möglichkeiten ab, die sich in seiner negativen Befindlichkeit widerspiegeln. In diesem Sinne ist die Verhaltensweise des 48

Psychologen einerseits subjektiv begründet, andererseits ein problematischer Teil seiner vorliegenden bzw. drohenden Ohnmacht. Dieser subjektive Widerspruch des Psychologen ist für die Verarbeitung seiner Situation in der Supervision zentral. Die skizzierte restriktive Verhaltensweise des Psychologen ist von der Art des Auftrags und der Denkform dessen, was ein Psychologe zu tun habe, objektiv vorstrukturiert. Klienten und andere Auftraggeber erwarten oft, daß der Psychologe Wohlbefinden unter Beibehaltung gegebener (objektiv problematischer) Bedingungen installieren könne, was auf ihrer ähnlich restriktiv personalisierenden Auffassung vorhandener Probleme beruht. Konflikte in den vorhandenen Lebensverhältnissen müssen danach »psychisch« so beeinflußt werden, daß die Betroffenen weniger darunter leiden und keiner »ohnmächtig« wird. Ein weiterer Aspekt der restriktiven Verhaltensweise der Beteiligten ist die Tendenz, den Psychologen für diesen Auftrag allein verantwortlich zu machen. Die Voraussetzung dafür wäre aber, daß der Psychologe auch für die Bedingungen verantwortlich ist, über die er nicht verfügen kann. Der Psychologe muß - so die Erwartung des Klienten bzw. Auftraggebers - »schon eine Möglichkeit finden können«, die Befindlichkeit des Klienten zu verbessern; wenn nötig, indem er sich über die Bedeutung der Bedingungen hinwegsetzt. Versucht der Psychologe, eine derartige Verantwortung zu übernehmen, ist es kein Wunder, daß sich bei ihm ein Bedürfnis nach »Kontrolle« über den n Verlauf der Therapie verselbständigen muß, wodurch er der wegen seiner mangelnden Verfügung über die Lebensbedingungen des Klienten stets drohenden Ohnmacht entgegen zu wirken hat (s. Dreier, 1985 b; H.-Osterkamp, 1985). Die ideologische »Macherrolle« verstrickt ihn in subjektive Bewertungswidersprüche: Er hat nur dann Erfolg, wenn es ihm gelingt, Wohlbefinden zu installieren; und schließlich muß er sich bei dieser Art Verantwortung wohlfühlen. Er soll damit ein »Wunschdenken innerhalb bestehender Verhältnisse« vertreten (s. H.-Osterkamp, 1986). Dem entspricht die ideologische Denkform »richtiger therapeutischer Arbeit«, gemäß der nur das unmittelbare »psychische« Zueinander der Personen im Therapieraum von Bedeutung ist. Unsere bisherigen Ausführungen haben indessen verdeutlicht, daß der Psychologe sich gerade auf diese Weise in Widersprüche und Konflikte verwickelt und von Ohnmacht bedroht wird. Das kommt u.a. in seiner Personalisierung supervisionsbedürftiger Problemsituationen zum Ausdruck. Fragwürdig wäre es deshalb, die Supervision dementsprechend zu funktionalisieren. Ausgangspunkt einer demgegenüber kritischen Position ist, daß bei Therapeuten allgemein durchaus eine Bereitschaft zu finden ist, mit der Personalisierung in ihrer Auffassung vom Klienten zu brechen, d.h. die Bedeutung von dessen vergangenen, gegenwärtigen und antizipierten Lebens49

bedingungen ebenso wie die Bedeutung der in seinem subjektiven Verhalten dazu entwickelten besonderen personalen Funktionsgrundlage als Prämissen seiner problematischen Handlungsgründe und Befindlichkeiten zu berücksichtigen. Weiter sind Therapeuten dazu bereit, die Konflikthaftigkeit der Lebensverhältnisse des Klienten als praktischen Grund seines Leidens anzuerkennen und seine restriktive, personalisierende Verhaltensweise seinerseits als einen veränderungsnotwendigen Teil seiner Problematik anzusehen (s. Dreier, 1985 b, 1985 c, 1986 a). Ferner wird auf allgemeiner Ebene anerkannt, daß sich Klienten in diesen Konflikten verstricken, sich gegenseitig lähmen, von anderen »festgehalten« werden, und daß die Therapeuten von den Konfliktformen und -ebenen mitbetroffen sind. Therapeuten stehen deshalb erstens vor der Aufgabe, im Laufe der Fallarbeit die konkrete gesellschaftliche Vermitteltheit der Problematik und der Entwicklungsmöglichkeiten des Klienten zu erarbeiten, obwohl dies ein Denken über die anschauliche Basis der therapeutischen Beziehung hinaus und einen bewußten Umgang mit der Gefahr der aus den Konflikten fließenden Personalisierungstendenzen erfordert. Zweitens stehen Therapeuten vor der Aufgabe, die subjektive Verhaltensweise des Klienten zu seiner Therapie und zum Therapeuten als Teil seiner gesellschaftlich vermittelten widersprüchlichen Problematik zu erfassen. Der Therapeut muß die (veränderbare) subjektiv funktionale Bedeutung der Therapie im gegenwärtigen Lebenszusammenhang des Klienten, dessen Handlungsgründe und Befindlichkeiten in der Therapie sowie der Therapie und dem Therapeuten gegenüber als derart vermittelt aufschlüsseln. Der Klient verhält sich, in vielfaltigerer und viel umfassenderer Weise als allgemein angenommen, als Subjekt seiner Therapie gegenüber. Dabei verhält er sich auch zum Rahmen der Therapie, zur Einrichtung (Institution) und zu den widersprüchlichen gesellschaftlichen Interessen, die dadurch vertreten werden. Ferner bewertet er die Therapie als subjektiv erfahrenes adäquates oder inadäquates Mittel der Veränderung seiner problematischen Befindlichkeit und Handlungsmöglichkeiten. Er bezieht sich also nicht nur personalisierend auf den Therapeuten, sondern in sich verändernder und oft widersprüchlicher Weise auf die gesamte therapeutische Maßnahme. All diese relevanten Vermittlungen muß der Therapeut durch das Anknüpfen und Entfalten seiner besonderen interpersonalen Beziehung zum Klienten erfassen. Seine Verarbeitung und Einflußnahme läuft im Kern über die Beziehung als »therapeutische Maßnahme«. Er hat nur (oder hauptsächlich) über diese Beziehung einen Zugang zur Klientenproblematik. Bei der Analyse dieser Beziehung wiederholt sich im Prinzip die gleiche Schwierigkeit: Die therapeutische Beziehung kann nicht adäquat als eine unmittelbare, im anschaulichen »Raum« sich vollziehende erfaßt werden: Sie ist eine auf vielen Ebenen gesellschaftlich vermittelte Beziehung. Deuteten wir sie in 50

einer diesen Umstand ausblendenden Unmittelbarkeitsverhaftetheit, würden wir kurzschlüssige, falsche Zusammenhangsannahmen bilden. Wir würden die Beteiligten, Klienten wie Therapeuten, personalisieren. Die üblichen Denkformen über die therapeutische Beziehung sind indessen hauptsächlich in diesem Sinne unmittelbarkeitsverhaftet. Beziehungsbegriffe wie Übertragung, Widerstand, Identifikationsobjekt, usw. greifen viel zu kurz und sind letztlich personalisierend. Besonders die Denkform über den Therapeuten in dieser Beziehung ist viel zu beschränkt und viel beschränkter als die Denkform über den Klienten. Sie bleibt in überraschendem Maße personalisiert. Es wird also zwar (obwohl in unterschiedlichem Maße und in unterschiedlichen Fassungen in den einzelnen therapeutischen Konzepten) anerkannt, daß sich der Therapeut bei der Analyse einer Fallarbeit nicht auf die Analyse des Klienten als »Fall« beschränken kann. Eine Analyse des »Therapeutensubjekts« ist notwendig, um die therapeutische Beziehung begreifen zu können. Jedoch wäre es verkürzt, den Therapeuten, wie üblich, unmittelbar aus seinen Eigenschaften und aus seinen Reaktionen auf die des Klienten zu deuten. Eben dies würde der Denkweise einer restriktiven Verhaltensweise entsprechen, m.a.W. jener immer wieder erfahrenen Situation, in der der Therapeut nicht über seine Bedingungen verfügt, sondern von Ohnmacht bedroht ist und diese nur innerhalb bestehender (personaler wie situationaler, hier also auch interpersonaler) Bedingungen meint, abwenden zu können. Seine Eigenschaften, Befindlichkeiten, Konflikte, Handlungsgründe und -möglichkeiten wären damit als unmittelbar durch ihn und seine Beziehung zum Klienten gegebene und tendenziell unveränderbare erfaßt. Würde er dagegen bewußt versuchen, seinen subjektiven fallbezogenen Handlungsraum im Entwicklungsinteresse des Klienten zu erweitern, müßte er seine konkreten subjektiven Handlungsgründe und seine Befindlichkeit in ihrem Bezug auf seine Bedingungen, seine objektiven Handlungsmöglichkeiten und seine relevanten personalen, biographisch kumulierten Funktionsgrundlagen analysieren. Leider enthalten die üblichen Konzepte über die »Therapeutenpersönlichkeit« und ihre »therapeutischen Verhaltensweisen« diese »zweite Möglichkeit« (s. Holzkamp, 1983, Kap. 7.4) nicht. Ein Therapeut muß sie, ohne Unterstützung durch eine für diesen Bereich herausgearbeitete Theorie als objektive Denkform, für sich alleine leisten. Natürlich passiert das auch, aber eben nicht systematisiert, tradiert und anerkannt als notwendiger Teil der Theorie therapeutischer Arbeit, sondern als eine eher äußerliche Ergänzung abstrakt normierender therapeutischer Konzepte durch Berücksichtigung konkreter Bedingungen. Im Ergebnis muß die Begründetheit seiner Verhaltensweisen, insbesondere bei Versuchen der Erweiterung seines Möglichkeitsraums, brüchig erscheinen, die aus einem weiteren Grund instabil bleibt: wegen des besonderen Gegenstands therapeu51

tischer Arbeit nämlich, der Verarbeitung subjektiver und intersubjektiver Konflikte. Es sind m.a.W. widersprüchliche Begründungsstrukturen und Befindlichkeiten auch des Therapeutensubjekts, die geklärt werden müssen, und zwar, dem therapeutischen Entwicklungsauftrag zufolge, in der Perspektive ihrer Aufhebbarkeit. Schließlich aber bleiben die subjektiven Handlungsgründe und Befindlichkeiten des Therapeuten vieldeutig und unbestimmt; es muß an ihnen so lange beliebig »herumgedeutet« werden, wie sie nicht in ihrer Vermitteltheit durch den Handlungszusammenhang des Klienten wie des Therapeuten begriffen werden. Die Handlungen des Therapeuten erhalten in diesem realen Zusammenhang ihre objektive Bedeutung, und die Bedeutungsstruktur des Handlungszusammenhangs stellt wesentliche Prämissen des therapeutischen Handelns dar. Therapeutisches Handeln muß also im konkreten, gesellschaftlich vermittelten Zusammenhang bestimmt und begründet werden. Ebene und Ort therapeutischer Einflußnahme, Einstiegs- und Bündnismöglichkeiten müssen in ihrem realen Bedeutungszusammenhang bestimmt und bewußt genutzt werden. Natürlich bedingt der institutionelle Arbeitszusammenhang des Therapeuten die Handlungsmöglichkeiten ambulanter wie stationärer Fallarbeit. Wie groß dessen Bedeutung ist, wird spätestens klar, wenn ein Therapeut versucht, seine fallbezogenen Handlungsräume zu erweitern (s. Dreier, 1986 b). Eine der zentralen Entwicklungstendenzen in der Geschichte therapeutischer Arbeit ist die Erweiterung ihrer Handlungsformen, und zwar u.a. aus der Erfahrung realer Handlungsbeschränkung in den engeren Formen und dem Versuch ihrer Überwindung: von vereinzelter Privatpraxis und »geschlossenen« Institutionen über »offene« Institutionen und interinstitutionelle Kooperationsstrukturen bis hin zu sozusagen »außerinstitutionellen« Handlungsformen in den Gemeinden, usw. Natürlich verläuft eine derartige Entwicklung bei unseren gesellschaftlichen Verhältnissen widersprüchlich. Ein zentraler Widerspruch dabei besteht darin, daß die Denkformen der therapeutischen Konzepte, insbesondere über die »Therapeutenpersönlichkeit«, den erweiterten Handlungsformen hinterherhinken, was in Widersprüchen und Krisenerscheinungen der Begründung therapeutischer Kompetenz und Professionalität sowie in Beschränkungen der realen Nutzung erweiterter Möglichkeitsräume zum Ausdruck kommt. Es bleibt z.B. in dem Sinne eine klientenzentrierte und -beschränkende Sicht, daß man sich nur für die Ereignisse im Therapieraum und für den Klienten so, wie er dort erscheint, zu interessieren hat, womit seine wie unsere realen Einflußmöglichkeiten auf seine problematischen Lebensverhältnisse dann ungeklärt und ungenützt bleiben. Will der Therapeut seine subjektiven Handlungsräume in diesen objektiven Handlungsstrukturen erweitern, muß er seine Stellung im - meistens interdisziplinären Team verarbeiten. Er muß seine besonderen Funktionen in 52

objektiven Kooperationsstrukturen, die Verteilung von Aufgaben und Verantwortung und schließlich die damit verbundenen Unterschiede der Arbeitsbedingungen und -möglichkeiten einzelner Gruppen und Personen klären und abgrenzen. All dies ergibt sich natürlich nicht unmittelbar, sondern stellt zunächst ein vieldeutiges Problem für den Psychologen dar; es hat den Charakter von Möglichkeiten, die sich der Psychologe erst aneignen muß. Um die Bedeutung seiner Arbeit zu klären und seine Handlungsgründe zu bestimmen, muß er sich sozusagen in den Zusammenhang »einarbeiten«. Das fordert eine ähnlich offene, interessenklärende und -vertretende Verhaltensweise den Kollegen, der Einrichtung, der Leitung, usw. wie dem Klienten gegenüber. Dies ist wiederum die Voraussetzung dafür, daß der Psychologe seine Arbeitsaufgaben abwägen und entwickeln und sie mit denen anderer verbinden kann. Schließlich kommt in diesem Sachverhalt zum Ausdruck, daß er die Entwicklung seiner Arbeit nicht rein individuell realisieren kann, daß m.a.W. ein rein individuelles Konzept therapeutischer Arbeit falsch ist. Sie kann nur durch die Entwicklung der objektiven Kooperationsstruktur und entsprechenden Gesamtqualifikation entwickelt werden. Ähnlich sind die Mittel und Operationen (d.h. die sogenannten »Verfahren« oder »Techniken«) individuellen therapeutischen Handelns erst aus ihrem überindividuellen Bedeutungsbezug bestimmbar und damit begründet wählbar. Gegenwärtig sind Kompetenzen, Aufgaben und Methoden von Psychologen in den jeweiligen Arbeitszusammenhängen meistens unklar und auf vielen Ebenen (Leitung/Personal, Einrichtung/Betroffene, Psychologen/andere Berufsgruppen, usw.) umstritten. Das gilt auch für die Aufträge, die der Psychologe bekommt: Die Interessen, die er durch seine Arbeit vertritt, und die Interessenwidersprüche, in die er dabei gerät, treten nicht unmittelbar zutage. Lernen Psychologen nicht, die widersprüchlichen Interessen, Bedingungen und möglichen Handlungsgründe anderer Beteiligter zu analysieren und anzusprechen, so personalisieren sie gegebene Möglichkeiten und Beschränkungen der Zusammenarbeit und enden leicht als isolierte Einzelkämpfer, die sich (abwechselnd) nach außen, oben oder unten zurückziehen, resignieren, versuchen, alles individuell zu kontrollieren, usw. Gegenwärtig verläuft Kooperation im Therapiebereich meistens erstaunlich schlecht. Sehr oft ist man auf rein individuelle Bewältigungsstrategien verwiesen, auf die isolierte Arbeit mit »seinen« Fällen. Das beinhaltet eine entscheidende praktische Beschränkung der Handlungsräume therapeutischer Arbeit, die sich auf der subjektiven Ebene in den bekannten unmittelbarkeitsverhafteten, deutenden, personalisierenden Denkweisen, widersprüchlichen Handlungsgründen und problematischen Befindlichkeiten den (gegenwärtigen wie künftigen) unabgesicherten Handlungsmöglichkeiten gegenüber widerspiegelt. Die subjektive Fixiertheit auf unmittelbare Handlungsnöte der Fallarbeit 53

ist durch diese Ohnmacht bedingt und überläßt anderen die Bestimmung darüber, welche Interessen der Psychologe durch seine Arbeit vertreten kann. Aus diesen Ausfuhrungen folgt, daß die konkrete therapeutische Arbeit aus der unterschiedlichen Verbundenheit und Veränderbarkeit der gesellschaftlich vermittelten subjektiven Handlungsräume von Klient und Therapeut bestimmt werden muß. Dies macht die intersubjektive Dimension der therapeutischen Beziehung aus. Darin verhält sich jeder der Beteiligten in klärbarer Weise zum eigenen Handlungsraum, zur Bedeutung der Beziehung und des anderen für ihn, und sie wechseln reflexiv die Perspektive, indem sie sich zur Situation des anderen verhalten. Derart können die persönlichen, subjektiven Aspekte durchaus in nicht personalisierender Weise in dem Zusammenhang verarbeitet werden, worin die Subjekte ihr Leben vermitteln. Anders formuliert: Eine Bereichstheorie von Klientenproblemen, der therapeutischen Arbeit und der Therapeutenpersönlichkeiten läßt sich nur auf der Grundlage einer Erarbeitung des Verhältnisses zu den konkreten gesellschaftlichen Bedingungen, also ihrer gesellschaftlichen Vermitteltheit realisieren. Nur derart vermittelt können Theorie und Praxis verbunden werden, in diesem wie in anderen Bereichen. Demgemäß werden therapeutische Handlungen als konkret gesellschaftlich vermittelte begründet, genau wie ihre Möglichkeiten und Beschränkungen, Kompetenzen, Qualifikationserfordernisse, Mittel, Bewertungskriterien und Entwicklungsperspektiven. Soll Supervision ein adäquates Mittel therapeutischer Arbeit sein, muß sie also thematisch deren Entwicklung folgen. Gegenwärtig muß sie vor allem die Probleme der erweiterten Handlungsformen verarbeiten und vermeintlich absolute und isolierte Einzelprobleme in ihrer Vermitteltheit behandeln. Verbunden mit der Ungewißheit seiner Kompetenz und seiner Deutungen, die zuzugeben leicht dazu führt, daß andere über ihn »herfallen«, mag der Therapeut in einigen Situationen den Schluß ziehen, lieber über die Köpfe der Betroffenen hinweg, z.B. in einer Supervision, seine Betroffenheit und Überlegungen so zu verarbeiten, daß er eine Möglichkeit erblickt, in der eigenen Arbeit damit umzugehen. Er mag also hoffen, durch Supervision sein Verhältnis zu den Handlungs- und Denkformen seiner Arbeit und zu deren Veränderbarkeit zu verarbeiten. Solange keine ausgearbeitete Bereichstheorie dieser Arbeit vorliegt, erhält Supervision in dieser Hinsicht einen sehr wichtigen Stellenwert. Vieles über diese Arbeit ist dann übrigens auch nicht vor der beruflichen Praxis schon an den Hochschulen lehrbar, sondern kann erst nachher, z.B. eben in Supervision, angeeignet werden. Die Erforschung dieser Arbeit mit dem Ziel ihrer Entwicklung als Mittel therapeutischer Arbeit wird dadurch erschwert. Zentraler Aspekt der Supervision muß also gegenwärtig deren eigene Analyse im Sinne expliziter Forschungsvorhaben sein, um dadurch Zugang zu Erfahrungen und Fähigkeiten, Konflikten und Entwicklungsmöglichkei54

ten der therapeutischen Arbeit und ihrer aktualempirischen Verallgemeinerung zu gewinnen. Die Teilnehmer kommen damit über den Druck und oft die Isolation des eigenen unmittelbaren Arbeitszusammenhangs hinaus und erhalten in der Supervision eine institutionalisierte und anerkannte Möglichkeit zu dessen Reflexion. Gegenwärtige konflikthafte Handlungsräume, subjektive Verhaltensweisen, Gründe und Befindlichkeiten können verarbeitet und neu bewertet, neue Perspektiven auf die Veränderbarkeit des Handlungsraums darauf erprobt werden. Eine typisierende Verallgemeinerung über solche konflikthaltigen Handlungsräume und ihre Veränderbarkeit kann erarbeitet werden. Die Ebene bloßen Beispieldenkens und deutendpersonalisierende Denkweisen können in dieser Weise überschritten werden, ohne die Unterschiedlichkeit von Einzelpersonen und -Situationen zu negieren. Ein intersubjektives Lernen durch Perspektivenwechsel und Vergleich kann auf der Grundlage von Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Handlungsräume, Begründungsstrukturen und Verhaltensweisen stattfinden. Die Entwicklung eines derartigen interpersonalen Prozesses, damit die Entwicklung der Supervisionsprozesse selber, bleibt ein zentrales Anliegen der Supervision als »Verarbeitungsmittel«. An dieser Stelle würde es jedoch den Rahmen sprengen, über die Frage der Funktionsbestimmung hinaus auf die der Formen, einzelnen Mittel, Prozesse und Probleme einzugehen. Dies alles gehört zu einer Theorie der Supervision. Die darin enthaltenen typisierenden bereichsspezifischen Theoretisierungen müssen durch die konkret-individuelle Bedeutung derartiger Supervisionsergebnisse im individuellen Arbeitszusammenhang erfaßt werden. Damit erhöhen sie Sicherheit und Überblick, die Analyse dessen, was wann wie »geht«, des eigenen Einstiegs und von Bündnismöglichkeiten bei einer Aufgabe, von Perspektiven und der Ausrichtung eigener Arbeit und damit vom inneren Zusammenhang einzelner Handlungen. Diese Klärung künftiger Möglichkeiten und Perspektiven spiegelt sich in einer veränderten Befindlichkeit wider. Das kognitive und emotionale Gedächtnis der personalen Funktionsgrundlage differenziert sich als subjektive Möglichkeit, künftig bei ähnlichen Problemsituationen adäquater, genauer und schneller einzugreifen. In Wirklichkeit sind dies alles Anzeichen dafür, daß durch Supervision eine Aufgabe der Persönlichkeitsentwicklung von Therapeuten betrieben wird. Supervision kann eine besondere aktualempirische subjektwissenschaftliche Erforschung gegenwärtiger Entwicklungsaufgaben und »Problematiken in und mit dieser Arbeit werden. Sie kann eine Theorie typischer Entwicklungsproblematiken und -prozesse von Therapeutenpersönlichkeiten erarbeiten helfen. Dabei kann sie die konkrete Vermitteltheit gesellschaftlicher und individueller Entwicklungsproblematiken und -möglichkeiten verdeutlichen. Sie kann begreifen helfen, daß sich in den problematischen 55

individuellen Befindlichkeiten und Handlungsgründen gesellschaftliche Rückstände, Probleme und Entwicklungsnotwendigkeiten dieser Arbeit widerspiegeln, und damit die Perspektive auf ihre Überwindbarkeit von verschiedenen angebotenen ideologischen Mitteln weg auf die Entwicklung konkreter Möglichkeitsräume hin orientieren. Supervision wird damit begreifbar als ein besonderes Mittel der Erarbeitung eines bewußten »Verhaltens-zu« den Widersprüchen und Entwicklungsmöglichkeiten einer bestimmten gesellschaftlichen Arbeit, das sich mit dieser Arbeit selbst verändern muß; zugleich wird begreifbar, daß und wie vermittelt die gegenwärtige individuell-subjektive Betroffenheit der Therapeuten eine Strukturkrise ihrer Arbeit widerspiegelt.

Literatur Dreier, O.: Probleme der Entwicklung psychotherapeutischer Arbeit, in: Braun, K.H. & Gekeler, G. (Hrsg.): Objektive und subjektive Widersprüche in der Sozialarbeit/Sozialpädagogik, Marburg 1984, 137-50 -: Zum Verhältnis psychologischer Therapie und Diagnostik: Objektive Lebensbedingungen, Eigenschaftsproblematik und Persönlichkeitsentwicklung, in: Braun, K.-H. & Holzkamp, K. (Hrsg.): Subjektivität als Problem psychologischer Methodik, Frankfurt/M. 1985 a, 2 3 2 ^ 6 -: Psychotherapy on the Basis of Critical Psychology, in: J.J. Sanchez-Sosa (ed.): Health and Clinical Psychology, Amsterdam 1985 b, 549-56 -: Grundfragen der Psychotherapie in der Psychoanalyse und in der Kritischen Psychologie, in: Braun, K.-H. u.a.: Geschichte und Kritik der Psychoanalyse, Marburg 1985 c, 127-52 -: Persönlichkeit und Individualität in psychologischer Theorie und klinischer Praxis, in: Flessner, H. u. a. (Red.): Marxistische Persönlichkeitstheorie, Frankfurt/M. 1986 a, 256-77 -: Alltag der Therapeuten - Widersprüche und Entwicklungsmöglichkeiten, Verhaltenstherapie u. psychosoziale Praxis, 1986 b, 4, 491-97 Holzkamp, K.: Grundlegung der Psychologie, Frankfurt/M. 1983 -: »Persönlichkeit« - Zur Funktionskritik eines Begriffs, in: Herrmann, Th. & Lantermann, E.D. (Hrsg.): Persönlichkeitspsychologie, München 1985, 92-101 H.-Osterkamp, U.: Kontrollbedürfnis, in: Forum Kritische Psychologie 16, 1986, 145-49 -: »Persönlichkeit« - Selbstverwirklichung in gesellschaftlichen Freiräumen oder gesamtgesellschaftliche Verantwortungsübernahme des Subjekts?, in: Flessner, H. u. a. (Red.) 1986, 69-92 Wallerstein, R.S.: Forty-two Lives in Treatment, New York 1986

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Sprache als Medium sozialer Interaktion1 Carl Friedrich Graumann

1. Zur Sprachlosigkeit der Sozialpsychologie Wer sich als Novize oder als außenstehender Interessent der Sozialpsychologie nähert, wird - zumindest in von Psychologen verfaßten Lehrbüchern Hinweise darauf erhalten, daß diese Disziplin soziales Verhalten oder soziale Interaktion zum Thema hat. Wer an dieser Stelle innehält und nachdenkt, statt weiterzulesen, könnte sich folgendes denken: Soziales Verhalten oder soziale Interaktion seien Begriffe, die bezeichnen sollen, daß unser Verhalten (unsere Tätigkeit, unser Handeln), zumindest in beachtlichem Maße, (a) auf andere bezogen ist, (b) von anderen beeinflußt wird, (c) im alltäglichen Mitund Gegeneinander allererst hervorgerufen wird und in diesem sozialen Kontext seinen Sinn findet. Man könnte sich denken, daß solches SichZueinander-Verhalten, das man Interaktion nennt, in der Regel identisch sei mit dem, was man Kommunikation nennt, und da Menschen, sofern sie nicht als Fremde oder als anonymi aneinander vorbeileben, viel miteinander reden, sollte sprachliche Kommunikation ein wichtiges, wenn nicht gar ausgezeichnetes Forschungsthema einer Sozialpsychologie sein. Diese Erwartung würde noch gesteigert, wenn der Außenstehende erfahrt, welches tatsächlich die bevorzugten Forschungsgebiete der Sozialpsychologie sind. Um nur die wichtigsten zu nennen: Einstellungen, Vorurteile, Urteile über andere (Personen und Gruppen), Verhandlungen, Kooperation und Wettbewerb in und zwischen Gruppen, Macht und Führung und natürlich: interpersonale und Massenkommunikation. Jedes dieser exemplarischen Themen ist aber so eng an Sprache, an das Reden wie das Sprachverstehen, gebunden, daß man sich kaum Beispiele dafür denken kann, die nicht ganz wesentlich Sprache und Sprechen involvieren. Ohne Zweifel gibt es Einstellungen, die einer für sich behält, stumme Vorurteile, unausgesprochene Kompetition und Kooperation, lautlose Machtausübung, aber sie würden uns, gerade weil sie stumm bleiben, ein besonderes Interesse abnötigen; denn die Regel ist, daß wir von 57

den Gedanken, den Vor- und Einstellungen der anderen zu uns und Dritten gesprächsweise erfahren, sei es von ihnen selbst oder von Dritten über sie. Und unsere eigenen Vorstellungen, Überzeugungen und Meinungen bilden wir in einem nicht unwesentlichen Ausmaße anhand von Texten, mit denen wir täglich konfrontiert sind, ohne daß wir deren Autoren zu kennen brauchen. Unser Wissen über Politik, Wirtschaft, Kultur ist vor allem deswegen soziales Wissen, weil es uns weitgehend (und für viele Bereiche ausschließlich) sprachlich vermittelt worden ist. Schließlich ist es die (gesprochene oder geschriebene) Sprache, an der ich erkenne, ob der andere ein Mitglied unserer Sprachgemeinschaft ist, unter Umständen bis hin zur regionalen oder sonstigen Gruppenzugehörigkeit. So etwa könnte der »gesunde Menschenverstand« sich denken, was soziale Interaktion oder soziales Verhalten sei; doch sei dieses Spiel mit der Naivität abgebrochen. Wir wissen, daß die Sozialpsychologie - die psychologische ausgeprägter als die soziologische Spielart - zwar alles dieses voraussetzen mag, vielleicht sogar muß, es aber nicht zu ihrem eigenen Forschungsgegenstand erhoben hat. Sie hat es verstanden, Einstellungen, Vorurteile und Urteile, ja selbst Verhandlungen zu untersuchen, ohne in der Regel ihre »Versuchspersonen« reden zu lassen. Was die Forschung betrifft, ist die Sozialpsychologie in weiten Bereichen sprachlos (sieht man von den Versuchsleitern und den Verfassern von Forschungsberichten und Lehrbüchern ab). Die Beschäftigung mit der Sprache bzw. dem Sprachgebrauch wird der Linguistik bzw. der Sprachpsychologie überlassen. Es ist nun die erste These dieses Beitrags, daß eine Sozialpsychologie, die ihren Namen zu Recht verdient, sich ohne Not um eine wesentliche Dimension menschlicher Sozialität verkürzt, wenn sie die Tatsache, daß Menschen »auch« sprachlich miteinander (inter)agieren, ignoriert und sich schon damit aus dem Verband der Sozial- und Gesellschaftswissenschaften löst. Tatsächlich ist die Sozialpsychologie insofern eine reine Teildisziplin der Psychologie, als sie ihr Forschungsinteresse rein auf das Individuum konzentriert, wenn auch mit dem Zusatz: sofern es durch das Verhalten anderer (Individuen) affiziert wird. Selbst die gelegentlich angetroffene Formel vom »Individuum im sozialen Kontext« meint mit »sozial« nichts anderes als den Einfluß anderer Individuen. Dieser »Individualismus« der psychologischen Sozialpsychologie ist keineswegs auf das Methodologische beschränkt; die favorisierten Theorien und Modelle sind fast alle individuum-zentriert. Der Prototyp der sozialen Beziehung ist die Dyade, wobei nicht selten der andere nur dessen Repräsentation im einen ist: der andere als »Kognition«. Eine Beziehung zwischen Individuum und was immer man »Gesellschaft« nennt, ist aus dieser Sichtweise kein (psychologisches) Thema. Auch aus diesem Grunde kann aus dem Selbstverständnis der anderen Sozialwissenschaften die (psychologische) Sozialpsychologie nicht als Sozial58

Wissenschaft gelten. Doch bedarf diese Behauptung der Qualifizierung, die sich schon wissenschaftshistorisch anbietet. Zuvor eine kurze begriffliche Klärung. »Individuum« und »Gesellschaft« einander gegenüberzustellen, ist immer dann problematisch, wenn sie als disjunkte Kategorien aufgefaßt werden können, was völlig sinnfrei wäre. Wenn hier zur Charakterisierung des theoretischen und methodologischen Individualismus und der Individuenzentriertheit der Sozialpsychologie vom »Individuum« die Rede ist, dann ist akzentuierend der einzelne Mensch gemeint in weitgehender Absehung von seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Kategorie, Klasse oder Gruppe. Da dieses Absehen problematisch (und in der Regel ideologisch) ist, heiße »Individuum« im Rahmen der folgenden Argumentation der für sich genommene, von den anderen abgehobene Angehörige einer sozialen Klasse oder Gruppe. Komplementär kann man für psychologische Zwecke jede Gruppe oder sonstige Pluralität von Personen, die von sich selbst oder von denen andere der Auffassung sind, daß sie eine Gemeinschaft bilden und gemäß gemeinsamen Interessen, Verhaltensnormen und -regeln in einem gemeinsamen kulturellen Habitat leben, als »Gesellschaft« bezeichnen. Beide Bestimmungen werden hier weder als Definitionen angeboten noch als Summe aus den unüberschaubar vielen Definitionen sozialwissenschaftlicher Literatur. Vielmehr handelt es sich um Akzentuierungen, die dem Zweck genügen, die Bedeutung der Sprache für die Sozialpsychologie zu klären. Denn - und damit komme ich zur zweiten These dieses Beitrags - Sprache ist gerade in ihrer Dualität von Sprache (langue) und Sprechen (parole) das wesentliche Medium der Interaktion von Individuum und Gemeinschaft. Bevor dies expliziert werden kann, sei fairerweise erwähnt, daß das Sprachdefizit der Sozialpsychologie schon seit geraumer Zeit erkannt und beklagt worden ist. Moscovici (1967, 225) hat schon in den sechziger Jahren die kritische Formel gefunden »Sprache ohne Kommunikation und Kommunikation ohne Sprache« und zwar in einem kritischen Rückblick auf zwei Nachkriegsjahrzehnte einer rasch wachsenden Sozialpsychologie. Wir erinnern uns, wie seit etwa 1950, zum Teil unter dem Einfluß Kurt Lewins, im Rahmen der Kleingruppenforschung Formen und Funktionen der Kommunikation Interesse fanden. Aber in keinem Kommunikationsmodell war das Miteinanderreden der »Kommunikatoren« als explanandum vorgesehen. Anfang der siebziger Jahre, als so viel Theorie und Empirie zu dem Thema Interaktion und Kommunikation zusammengekommen war, daß diesem Autor die Zeit für eine Handbuchdarstellung gekommen schien (Graumann 1972), war sprachliche Kommunikation immer noch das Stiefkind sozialpsychologischer Forschung. Als dann Anfang der achtziger Jahre »Language in Society« schließlich Thema einer Buchreihe (Giles & St. Clair 1979) und einer eigenen Fachzeitschrift, »Language and Social Psychology«, geworden 59

war, konnten Smith, Giles und Hewstone (1980,287) immer noch beklagen, daß »die Sozialpsychologie sprachliche Prozesse genau so vernachlässigt habe wie die... Linguistik die sozialpsychologischen«. Tatsächlich hat, wie schon Moscovicis Formel erkennen läßt, das sprachpsychologische Defizit der Sozialpsychologie sein Komplement in der Linguistik. Selbst die Psycholinguistik, ein Produkt aus cartesischer Linguistik, Informationstheorie und Lerntheorie, wie sie in den fünfziger Jahren entstanden ist, war ja »Sozialwissenschaft« auch nur in dem Grade, wie man bereit wäre, das Sender-Empfanger-Modell der Kommunikation oder das ideale SprecherHörer-Modell der Sprachproduktion und -rezeption als »sozial« figurieren zu lassen. Nimmt man die gegenwärtige Tendenz hinzu, Psychologie wie Sozialpsychologie als Wissenschaft von der (menschlichen) Informationsverarbeitung zu betreiben und sich primär den Prozessen zwischen dem input und dem output von informationsverarbeitenden Systemen zu widmen, dann schwinden im Rahmen der immer mehr kognitivierten Sozialpsychologie bis auf weiteres die Chancen für eine angemessene Berücksichtigung des Sozialen wie der Sprache.

2. Sprache als soziales Medium: die Anfänge der Sozialpsychologie In einer Situation, in der Sprach- und Sozialpsychologie so säuberlich getrennt sind, lohnt es sich, auf die Epoche zurückzublicken, wo diese Trennung, aber auch die modernen Formen beider Disziplinen, noch nicht denkbar waren. Wenn ich dabei bis zu Wundts Völkerpsychologie zurückgehe, dann nicht in historischer Absicht, sondern, weil wir hier eine ProtoSozialpsychologie vor uns haben (vgl. Danziger 1980; Farr 1983), die weder das soziale noch das sprachliche Defizit aufwies. Schon die Grundthematik dieser Forschungsrichtung zeigt das an. Sie war der Mensch »in allen den Beziehungen, die über die Grenzen des Einzeldaseins hinausreichen und auf die geistige Wechselwirkung als ihre allgemeine Bedingung zurückführen« (Wundt 1921,1), und damit das soziale Komplement der »Individualpsychologie«. Entsprechend war auch das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft aufzuklären. Über letztere stand für Wundt fest, daß sie nicht »eine bloße Addition und Verstärkung der Eigenschaften und Tätigkeiten des Einzelnen« ist (a.a.O., 20). »Vielmehr ist es die Verbindung und Wechselwirkung der Individuen, welche die Gemeinschaft als solche hinzubringt, und durch die sie auch in dem Einzelnen neue, dem gemeinsamen Leben spezifisch angehorige Leistungen weckt« (ebd.). Das wichtigste Medium aber 60

der »Verbindung und Wechselwirkung« war für Wundt die Sprache, die ihrerseits als ein aus der Wechselwirkung vieler hervorgegangenes »gemeinsames geistiges Ereignis« anzusehen ist. Als Produkt und Bedingung zeigt die Sprache, wie Wundt sie charakterisiert, einen Januskopf. Das eine Gesicht ist den Einzelnen zugewandt, die sie immer wieder neu hervorbringen, im Hervorbringen sie auch immer wieder verändern und sich auch untereinander durch Reden beeinflussen. Das andere Gesicht ist der Gemeinschaft zugewandt, für die diese Produkte relativ unabhängige Gebilde im Sinne kultureller Objektivationen geworden sind. Entindividualisiert nehmen sie, etwa in Syntax und Semantik, den Charakter »sozialer Tatsachen« (Dürkheim 1976) an, mehr oder minder zwingenden Charakters für den Einzelnen, der sie, ohne Sanktionen erleiden zu müssen, benutzen will. Aber in einer Sprache aufzuwachsen, heißt nicht nur richtig sprechen, sondern auch denken zu lernen und herauszufinden, in welchen sozialen Situationen welche Rede angemessen ist. Zumindest wird Sprache, vom Einzelnen in stetiger Wechselwirkung mit anderen hervorgebracht, zur unabtrennbaren Randbedingung für das Denken und Handeln des Einzelnen. Deshalb sah Wundt ja auch keine Möglichkeit, höhere geistige Prozesse wie das Denken mit dem isolierenden Verfahren des Experiments zu untersuchen und hielt die entsprechenden denkpsychologischen Experimente der Würzburger Schule für zum Scheitern verurteilte Scheinexperimente (zu dieser Kontroverse mit Karl Bühler vgl. Holzkamp 1980). Es ist fast eine historische Ironie, daß derselbe Bühler, der 1907/08 als Denkpsychologe gegen Wundts Verdikt aufgestanden war, etwa ein Vierteljahrhundert später als Sprachtheoretiker Wundt wegen dessen individualistischer Sprachpsychologie kritisierte (Bühler 1965b). Ihr setzte er - wenigstens in seiner ersten Axiomatik der »Krise« (Bühler 1965 a) - eine soziale Fundierung der Sprache entgegen, indem er den Ursprung der Semantik in ihrer konstitutiven Funktion für die wechselseitige Steuerung des Gemeinschaftslebens sah (vgl. hierzu Graumann 1984). Aus der Erkenntnis, »daß das sinnvolle Benehmen der Gemeinschaftsmitglieder einer gegenseitigen Steuerung unterliegt« (1965 a, 39) und solche Steuerung nur in »gemeinsamen Wahrnehmungssituationen« sprachlos und gestenlos erfolgreich sein kann, postuliert Bühler für alle anderen Situationen einen »Kontakt höherer Ordnung« (a.a.O., 41), und den gewährleisten Zeichensysteme, deren vollkommenste Form die Sprache ist. Wenn aus dieser Sicht Gemeinschaftsleben als »semantisch konstituiert« aufgefaßt wird, dann wird nicht nur die Sprachpsychologie zu einem (wesentlichen) Teil der Sozialpsychologie, wie es schon de Saussure (1967, 19) ganz allgemein für die »Semeologie« forderte, in der es eben um das »Leben der Zeichen im Rahmen des sozialen Lebens« gehen sollte. Ebenso deutlich wird in diesem Ansatz, 61

daß es eine Sozialpsychologie ohne Berücksichtigung der »Semantik« oder der Semiotik nicht geben kann. Bei aller Kritik an Wundt hatte Bühler mit dessen Sprachpsychologie ein Problem gemeinsam, das er jedoch zu einer weiterführenden Lösung brachte: Die Relation von Prozeß und Produkt. Sie stellt ganz allgemein ein psychologisches Problem dar, dessen doppelte Grundfrage lautet: Kann ich aus der Kenntnis eines Verlaufs (Prozeß, Tätigkeit, Verhalten) auf das aus diesem Verlauf resultierende Ergebnis (Produkt, Gebilde) schließen, bzw. kann ich aus Produkten, die oft nur geronnene Spuren sind, auf die zu ihnen führenden Prozesse schlußfolgern? Es sind darauf viele und meist skeptische Antworten gegeben worden, die hier nicht diskutiert zu werden brauchen. Für unser Thema, die Rolle der Sprache als Medium der Interaktion zwischen Individuum und Gesellschaft, ist von Bedeutung, daß Prozeß und Produkt als zwei Aspekte derselben Sache, desselben Sachverhalts, aufgefaßt werden können. Die Sprachwissenschaft hat hier ihre eigene Tradition. Deren wichtigste historische Marken sind von Humboldts (1949) Untersuchung von Sprache als ergon und als energeia, de Saussures (1967) Differenzierung der Sprache nach langue und parole, schließlich Bühlers (1965 b) Gegenüberstellung von Sprache als Handlung und als Werk. Der entscheidende Schritt war, Sprache überhaupt als menschliche Handlung zu konzipieren: »Denn jedes konkrete Sprechen steht im Lebensverbande mit dem übrigen sinnvollen Verhalten eines Menschen; es steht unter Handlungen und ist selbst eine Handlung« (a.a.O., 52), gehört also zu den »zielgesteuerten Tätigkeiten des ganzen Menschen...«(ebd.). Hierzu nun folgende Überlegungen: Zuerst einmal ist Handeln im »Lebensverband« im Regelfall soziales Handeln in dem strengen Weberschen Sinn desjenigen Handelns, »welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist« (Weber 1966, 5). Die Sprechhandlung ist, von Ausnahmen abgesehen, hörerorientiert und am jeweiligen Hörer sicher auch in ihrem Ablauf orientiert. Das gilt nicht nur für direkte Appelle, sondern auch für Darstellungen (im Sinne Bühlers). Die Sprechhandlung ist in ihrer vorwiegend kommunikativen Funktion der Prototyp eines sozialen Handelns. Sie bleibt aber auch als Handeln, solange sie währt, »subjektbezogene« Tätigkeit des jeweiligen ganzen Menschen, Teil von ihm, untrennbar, insofern der Mensch in seinem Handeln ist oder sich durch sein Handeln bindet wie durch das Setzen seines Namens unter einen Vertrag oder durch das Sprechen des Ja-Worts. Als Prozeß hat die Sprechhandlung ihre Dauer und ihr Ende. Anders das Produkt, das Bühler als »Werk« und - auf einer höheren Formalisierungsstufe - als »Gebilde« bezeichnet.2 »Das Produkt als Werk des Menschen will stets 62

seiner Creszenz enthoben und verselbständigt sein« (1965 b, 54); diese Produkte sind, einmal entstanden, »subjektentbunden«, aber dafür intersubjektiv fixiert. Als Gebilde gewinnen Sprachprodukte mit ihrer Unabhängigkeit vom Einzelnen eine intersubjektive Verbindlichkeit und Dauer. Bühlers Beispiel, Luthers Satz »Hier stehe ich, ich kann nicht anders« war, wenn er denn je in Worms gesprochen worden ist, während er gesprochen wurde, Luthers Sprechhandlung, Teil von ihm und ihn bindend. Seitdem aber ist dieser Satz eine allgemein verfügbare Formel geworden, ein »geflügeltes« Wort (a.a.O., 51), dessen sich jeder bedienen kann, wenn er meint, die Situation sei danach, daß »es mal wieder gesagt wird«. Und so ist prinzipiell jeder Satz (als abgeschlossene Handlung) subjektentbunden und, einmal entäußert, jedem Zugriff, Gebrauch, Mißbrauch, Verfremdung ausgesetzt. Andere lernen und erinnern, was wir geäußert haben, reproduzieren es usw. Noch allgemeiner gilt dieses Wechselspiel von Internalisierung und Externalisierung für die Sprachgebilde, deren Inbegriff die für alle Angehörigen einer Sprachgemeinschaft verbindliche (idealisierte) »langue« ist. Ohne uns in ihr zu bewegen, vermögen wir als Individuen nicht miteinander zu kommunizieren. In diesem Sinne sind wir ihr wie einer »sozialen Tatsache« unterworfen. Wir müssen damit rechnen, daß Verstöße gegen sie durch Tadel, Kritik, Lächerlichkeit oder Unverständnis geahndet werden. Andererseits birgt jede Sprechhandlung, jedes Sprachwerk die (geringe) Chance, daß wir das eben doch »nur« ideale Gebilde innovativ verändern, vor allem in Wechselwirkung mit anderen, die unser Wort aufgreifen, unsere Änderung übernehmen. Was sich dann ändert, sind Konventionen, womit wir die sozialpsychologische Relevanz des Januskopfes der Sprache erneut verdeutlichen können, subjektgebunden, wie sie dem einzelnen Handelnden zugehört, subjektentbunden, wie sie intersubjektive Gültigkeit innerhalb einer (Sprach-)Gemeinschaft hat - Prototyp eines Mediums der Interaktion zwischen Individuen untereinander und zwischen dem Einzelnen und dem, was er als seine Gemeinschaft erlebt, Prototyp oder Modellfall auch für eine Sozialpsychologie der Interaktion. Demgegenüber ist die real existierende Sozialpsychologie ziemlich frei von sprechenden Versuchspersonen und Probanden. Der aktive Sprachschatz einer experimentellen Vp. ist restringierter als was sich Bernstein (1965) unter diesem Code vorgestellt hat. Besser sieht es mit dem passiven Wortschatz aus: Sozialpsychologische Versuchspersonen sollen die ihnen von ihren Versuchsleitern präsentierten Texte lesen und verstehen. Immerhin sollen sie Sätze oder auch nur Wörter - meist entlang Skalen - anhaken, oft sogar nur die schon vorgegebenen Ja/Nein/Weißnicht-Antworten abticken. Manchmal kreuzen sie Wahrscheinlichkeiten an. Aber oft genug wird (außer dem Instruktionsverständnis) keinerlei sprachliche Leistung verlangt. 63

Nun wird niemand ernstlich behaupten wollen, daß dieses verbale Knopfdrücken und Hebelziehen für menschliche Rede repräsentativ sei, was es ja auch nicht soll. Denn das Interesse vor allem der kognitiven Sozialpsychologie ist ja auf die hinter allem Reden und Verhalten angenommenen Kognitionen (Einstellungen, Überzeugungen, Schemata, Inferenzen, implizite Theorien) gerichtet, nicht aber auf die Sprache der Diskriminierung, des Vorurteils, der Aggression, der Macht, der Beeinflussung usw. Daß wir mit Worten Konflikte schaffen wie beilegen, Menschen zu Feinden, Partner zu Gegnern, Gegner zu Partnern machen, ganz allgemein mit Worten handeln, ist trotz Bühler und Austin (1975) in der psychologischen Sozialpsychologie nicht als zentrales Forschungsthema erkannt bzw. anerkannt worden. Doch an den Rändern des nach wie vor sprachfreien »mainstream« beginnt man hinzuhören.3 Ich nehme das als ein ermutigendes Zeichen dafür, daß der homo psychologies der Sozialpsychologie, nachdem er seine Einstellungen zu ändern, seine Dissonanzen zu reduzieren und auf Personen und Umwelten zu attribuieren gelernt hat, jetzt auch sprechen lernen darf. Da Miteinander-Reden eine wesentliche Manifestation und ein Konstituens unserer Sozialität ist, muß die Sozialpsychologie, die die Sprache nicht mehr ausspart, auch sozialer werden, als sie zur Zeit ist.

Anmerkungen 1 Überarbeitete Fassung der Henri Tajfel Memorial Lecture, Cambridge 1985. Die ursprüngliche Fassung in Newsletter No. 15 der Social Psychology Section, British Psychological Society (Spring 1986). 2 Auf die volle Differenzierung im Sinne des Bühlerschen Vierfelderschemas von Handlung, Akt, Werk, Gebilde (Bühler 1965 b, § 4) wird hier verzichtet; vgl. hierzu die Beiträge von Herrmann und von Wintermantel in Graumann und Herrmann (1984). 3 Als Beleg kann das beim Schreiben dieses Beitrags eintreffende Dezemberheft 1986 des »Journal of Personality and Social Psychology« dienen, in dem sich gleich zwei Beiträge von Untersuchungen mit linguistischen Perspektiven finden.

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Literatur

Austin, J.L. (1975). How to do things with words. 2nd ed. Cambridge, Mass.: Harvard University Press. Bernstein, B. (1965). A sociolinguistic approach to social learning. Social Science Survey. Hammondsworth: Penguin. Bühler, K. (1965 a). Die Krise der Psychologie. Stuttgart: Gustav Fischer. - (1965 b). Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Stuttgart: Gustav Fischer. Danziger, K. (1983). Origins and basic principles of Wundt's Völkerpsychologie. British Journal of Social Psychology, 22, 303-313. Dürkheim, E. (1976). Regeln der soziologischen Methode (hg. v. R. König). 5. Aufl. Neuwied: Luchterhand. Farr, R.M. (1983). The impact of Wundt on the development of social psychology. In: G. Eckardt & L. Sprung (eds.). Advances in the Historiography of Psychology, (pp. 85-91). Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften. Giles, H. & St.Clair R.N. (eds.) (1979). Language and social psychology, (pp. 1-20). Oxford: Blackwell. Graumann, C.F. (1972). Interaktion und Kommunikation. In: C.F. Graumann (ed.) Sozialpsychologie. (Handbuch der Psychologie, Vol. 7-2, pp. 1109-1262). Göttingen: Hogrefe. - (1984) Wundt-Mead-Bühler. Zur Sozialität und Sprachlichkeit menschlichen Handelns. In: C.F. Graumann & Th. Herrmann (eds.). Karl Bühlers Axiomatik. (pp. 217-247). Frankfurt: Klostermann. Graumann, C.F. & Herrmann, Th. (Hg.) (1984). Karl Bühlers Axiomatik. Frankfurt: Klostermann. Holzkamp, K. (1980). Zu Wundts Kritik an der experimentellen Erforschung des Denkens. In: Wilhelm Wundt - Progressives Erbe, Wissenschaftsentwicklung und Gegenwart, (pp. 147-152). Leipzig: Karl-Marx-Universität. Humboldt, W.v. (1949). Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Saussure, F. de (1967). Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. 2. Aufl. Berlin: de Gruyter. Weber, M. (1966). Soziologische Grundbegriffe. 2. Aufl. Tübingen: Mohr (Siebeck). Wundt, W. (1921). Völkerpsychologie: Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythus und Sitte. Erster Band: Die Sprache. 4. Aufl. Stuttgart: Kröner.

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Arbeitsverhältnisse Eine Frage an Klaus Holzkamp zum 60. Geburtstag Frigga Haug

Die zeitgemäße Verwirrung um die Bedeutung von Arbeit für sozialwissenschaftliche Theorie und gesellschaftliche Praxis erfahre ich als persönliche Verunsicherung. Denn Arbeit erinnere ich als fast magisches Zentrum meines Lebens von klein an.

Arbeitsbiographie Da war zunächst das Milchholen beim Bauern. Meine um zwei Jahre ältere Schwester durfte das, ich nicht. Milchholen war Arbeit. Vor mir ein abenteuerliches Leben voller Bedeutung und Wichtigkeit. Ich würde eine halbe Stunde früher aufstehen müssen, weil ich etwas vorhatte; ich würde einen weiten Weg alleine gehen, auf dem ich Gänse passieren mußte, vor denen ich mich fürchtete; ich würde die Milch nach Hause bringen, die nötig war und gut schmeckte, und ich würde mich weder verlaufen, noch etwas verschütten, noch zu lange brauchen. Dann würde ich wesentlich älter sein als mein zwei Jahre jüngerer Bruder. Milch holen - die Worten verbanden sich mit Gefühlen von Wildheit, Unabhängigkeit, Größe und Welt und mit einer Unsicherheit, die ich unbedingt wollte. Endlich. Das Hochgefühl hielt einige Wochen an. Ich entdeckte Abkürzungen mit anderen Gefahren. Die schreienden Gänse mit vorgestreckten Hälsen ließen sich umgehen, wenn ich so schnell lief, daß der Bauer mit dem Stock mich nicht erreichte. Er verfolgte mich, weil ich sein Feld durchquerte. Beim Klettern über Zäune verschüttete ich oft Milch, aber ich brauchte fast 5 Minuten weniger Zeit. Wenn ich hinfiel, kam Dreck in die Kanne. Langsam wurde das Milchholen zu einer lästigen Aufgabe, der ich mich so dringlich zu entledigen suchte, wie ich sie damals gewünscht hatte. Glücklicherweise hatte mein Bruder das gleiche Verlangen nach Größe. Die Pflicht ließ sich abgeben. Aber das Milchholen 66

war ja nur ein Anfang gewesen. Ich war jetzt groß genug, andere häusliche Aufgaben zu übernehmen. Die Enttäuschung über die vergangene Lust spornte mich an, frühzeitig auf Abhilfe zu sinnen. Ich verschwand, wenn es ans Abwaschen ging; ich wurde krank, wenn der Frühjahrsputz nahte; kurz, ich verwendete all meine Energie auf die Vermeidung von Arbeit. Für die Schule entwickelte ich Rationalisierungsstrategien. Alle Fächer wurden von mir so gelebt, daß ich ohne Hausarbeit durchrutschen konnte. Wenn irgendeine Note sich in den Gefahrenbereich »4« begab, war ich untröstlich, denn das bedeutete: ich mußte arbeiten. Ich verbannte solche Hausaufgaben in die Zeit im Zug und in die Pausen, so daß alle übrige Zeit »frei« war zum Lesen, Träumen und durch die Wälder streifen. Hier arbeiteten wir schwer, indem wir Hütten bauten, Stollen gruben, ja, Bäume fällten und Zweige flochten. In dieser Zeit nannte man mich zuweilen »Schneckchen«, weil ich herausgefunden hatte, daß Arbeiten im Hause weniger werden, wenn man sich ihnen so widerwillig und langsam nähert, daß ein anderer sie statt dessen ergreift. Meine gesamte Lebensorganisation war bestimmt durch Arbeit, bzw. ihre Vermeidung. Ja, meine Moral wurde durch sie zersetzt, weil ich häufig ihretwegen lügen mußte. Das Gefühl vom ersten Milchholen wiederholte sich, als ich an die Universität kam. Mein größtes Unglück war, daß in den ersten zwei Wochen fast nichts los war. Aber dann warf ich mich in den Rausch des Lernens. Ich belegte zwanzig Seminare und Vorlesungen, übernahm sieben Vorträge im ersten Semester. Die Universität betrat ich um acht Uhr und verließ sie abends um zehn Uhr, um dann noch tanzen oder schwimmen zu gehen und endlos zu diskutieren. Meine Nahrung war Schokolade. Ich war begeistert. In den folgenden Semestern verschob ich die Lernstunden nur wenig; mehr Zeit für die Bibliotheken ergab sich durch ein kritischeres Urteil über einige Veranstaltungen, die ich darum aus dem Stundenplan strich. Nur in zwei Semestern änderte ich meine Lebensorganisation: einmal, weil ich zu verliebt war, um überhaupt in die Universität zu gehen; ein andermal, weil ich in zuviele politische Veranstaltungen und Demonstrationen verwickelt war, um die davon noch unberührten Seminare bei den Historikern besuchen zu können. Mein Studium wurde lediglich dadurch gestört, daß ich arbeiten mußte, um Geld zu verdienen. Aber auch dieses konnte ich durch Erlangen einer der so begehrten »Hilfswissenschaftlerstellen« schon im dritten Semester regeln. Ach, wenn es ewig so bleiben könnte! Nach dem zehnten Semester mehrten sich Fragen nach dem Studienabschluß; viele, mit denen ich begonnen hatte, schrieben an ihren Examensarbeiten oder hatten die Universität ohne Abschluß verlassen. Der Gedanke an eine Dissertation machte mich krank. Ich schrieb mehr und mehr Referate, um das große Referat nicht schreiben zu müssen. Da plötzlich erfuhr ich in 67

einer ansonsten langweiligen Vorlesung etwas Aufregendes: in der frühen Sowjetunion hatte es »Arbeitseinsätze« gegeben, in denen große Menschengruppen unentgeltlich ihre Sonntage damit verbrachten, einen Beitrag für den gesellschaftlichen Aufbau zu leisten. Sie wurden Subbotniks genannt. Lenin selbst beteiligte sich an ihnen. Er, den ich mir als Tag und Nacht arbeitend, schreibend, bedenkend und aufrüttelnde Reden haltend, als ständig überarbeitet und müde dachte. In die Lethargie des drohenden Examens kam die Lust des frühen Milchholens, bereichert um den Hüttenbau der Schulzeit und die Ausdehnung der Universitätsjahre. Hier war in meiner Vorstellung ein ganzes Volk gemeinsam unterwegs in dieser begeisterten Lust, zusammen lebendig zu sein in der Arbeit. Arbeit, so hatte ich zunächst geglaubt, das ist das Glück des Lebens. Arbeit ist Langeweile, Mühsal, ja Elend und tritt an die Stelle des Lebens dies waren die Erfahrungen und Lehren aus meiner Schulzeit. Der Stachel blieb. Arbeit, so empfand ich jetzt wieder, das ist Zukünftiges und schon wirklich heute. In kühnem Schwung verband ich die Mühseligkeit der Arbeit mit der Entwicklung der Theorie von Aristoteles bis Hegel und ihre Lust mit der Wirklichkeit der Subbotniks und der Theorie des Marxismus. In diesen Rahmen spannte ich mein Dissertationsprojekt. Es scheiterte nicht daran, daß ich zu wenig arbeitete. In stummem Vorwurf stehen vor mir noch die vielen Bücher, die das Feuer der Subbotniks ebenso erstickten wie meine Lust am Arbeitsvorhaben und damit meine Möglichkeit, diesen Text überhaupt zu schreiben. »Die Erziehung zur Liebe zur Arbeit« - das war der Tenor der Schriften aus der Sowjetunion und aus der DDR, die ich mit soviel Hoffnung aufgeschlagen hatte. Übrig blieb der staubige Geruch aus dem Schulzimmer, der Geist jener Arbeiten, denen ich in meiner Kindheit so erfolgreich aus dem Wege gegangen war. Eine Moral sollte installiert werden; gegen einen angenommenen Sinn für Faulheit sollte die Formierung zur Arbeitsamkeit treten. Disziplin, Pflicht, Gehorsam, Ordnung hatten die Plätze der freudigen schöpferischen, neuen, lebendigen Freiwilligkeit eingenommen. Ein nützliches Glied der Gesellschaft zu sein, das war nicht mehr Geheimnis, Aufbruch, Lust und Gemeinsamkeit - das war individuelle Pflichtübung, gefordert von anderen Lehrern, die darüber ebenso lustlos schrieben wie die Schüler sich offenbar dazu verhielten - will man den Büchern Glauben schenken. Aus dem Frühlingssturm des lebendigen Wollens war der eisige Wind von Arbeitspflicht geworden. Aus der Lust, ein Mensch sein zu wollen, wurde die Not eines Zöglings in einer Besserungsanstalt. Ich gab auf. Mein Projekt schob ich ins Vergessen. An seine Stelle rückte eine Tochter. Die Unruhe trieb mich zurück in die Universität. Acht Jahre später gründete ich das Projekt Automation und Qualifikation (vgl. zuletzt PAQ, 68

1987). Hinter dem eher selbstverständlichen Namen suchte ich erneut jenem Geheimnis des frühen Milchholens auf die Spur zu kommen. War es nicht möglich, daß die Entwicklung der Technologie die Arbeit soweit von aller Last, von Monotonie und Dummheit befreien konnte, daß die Arbeitenden endlich anfingen, ihre lebendige Tätigkeit wie Menschen schöpferisch und lustvoll zu leben? Könnte jetzt ein Arbeitsarrangement geschaffen werden, das lebenslanges Lernen zur Gewohnheit machte? Zusammenarbeit zur wechselseitigen Stärkung? Phantasie zur Notwendigkeit? Und müßte nicht eine solche Technologie aus den privaten Verwertungszwecken ganz unabdingbar zurückgeholt werden ins Gesellschaftliche? Natürlich dachten wir solche Möglichkeiten weder harmonisch noch als automatische Folge der Entwicklung der Technologie. Vielmehr folgten wir auch hier Marx, der solche Zusammenstöße von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen als Katastrophe - als Fragen von Leben und Tod annahm. Wir versuchten, uns ein solches Individuum vorzustellen, welches lernend arbeitet und arbeitend vornehmlich seinen Kopf betätigt, in dieser Weise verbunden mit anderen. Wir suchten das »total entwickelte Individuum« und Elemente seines Möglichseins hier und heute. Unversehens stellten wir uns die kommenden Arbeiter als Wissenschaftler vor - eigentlich als Mitglieder unseres Forschungsprojekts. Ungleich uns selber hatten sie jedoch keine Körper - zumindest keine Arbeitskörper. Solch einseitige Betrachtung der Menschen schien uns jedoch auch in eine Perspektive zu verweisen, in der die Kultur der Körper gesellschaftliche Tat wird und an die Stelle des einfachen Verbrauchs von Arbeitskraft treten kann. Klaus Holzkamp war so etwas wie ein Ehrenmitglied unseres Projekts. Wir nannten ihn nach dem damaligen erfolgreichen Radsportler den Eddie Märx der Psychologie - ein Name, der zugleich auf das Marxsche Erbe wie auf den unendlichen Arbeitseifer verwies, mit dem Klaus die Kritische Psychologie Stein um Stein aufbaute. Eigentümlicherweise hatten wir für diese geistige Arbeit eine Figur gewählt, die ausdrücklich körperliche Arbeit in physikalisch meßbarem Umfang leistete - bis zur Erschöpfung. Nur dies schien uns angemessen, um diese Verwandlung von Lebenskraft in Energie der Veränderung zu kennzeichnen. Zum damaligen Zeitpunkt meinten wir das durchaus nicht kritisch. Vielleicht ist es notwendig, selbst praktisch eine solche Verwandlung von Lebenszeit in selbstgewählte Arbeitszeit zu leben, um schließlich doch - wie Klaus dies schließlich in der »Grundlegung« (1984) tat - die Botschaft von der Identität von gesellschaftlicher Reproduktion und der der Individuen zu hinterfragen. Wenngleich die Einzelnen Gesellschaft wiederherstellen müssen, indem sie ihr Leben erhalten - überlebt doch Gesellschaft, wenn Menschen sich selbst vergessen, zu wenig schlafen, essen, lieben und genießen und schließlich krank werden und sterben und sie überlebt selbst dann, wenn einzelne sich parasitär verhalten. Gebraucht wird 69

eine Kultur des individuellen Lebens, gerade, weil der Mensch ein gesellschaftliches Wesen ist. Welche Rolle spielt eigentlich Arbeit in der Psychologie allgemein und welche in der Kritischen Psychologie? Der erste Teil der Frage ist schnell beantwortet: in den verschiedenen Abteilungen herkömmlicher Psychologie hat Arbeit solange keinen Ort, wie sie nicht durch ihr praktisches Fehlen in Gestalt von Arbeitslosigkeit - als Ursache psychischer Störungen behauptet werden kann. Daneben gibt es eine Spezialdisziplin: die Arbeitspsychologie - ihre Domäne sind die psychophysischen Vernutzungen durch den Gebrauch menschlicher Sinne, Muskeln und Nerven. Arbeit selbst aber als spezifisch menschlich zu sehen und von daher als grundlegende Dimension jeder Subjekttheorie zu begreifen, dies ist spezifisch für die Kritische Psychologie. In diesem Selbstverständnis fühlten wir uns als Automationsprojekt im Psychologischen Institut wie die Fische im Wasser. Unsere Hoffnungen auf menschliche Entwicklung in der Automationsarbeit sahen wir gestärkt durch das von Ute H. Osterkamp formulierte Konzept der »produktiven Bedürfnisse« (1975, S. 76). Gehört es nicht zur menschlichen Natur, eingreifen, gestalten und verändern zu wollen, sich die Welt anzueignen, um sie zum Wohle aller bewohnbar zu machen? Unser ungebrochener Optimismus in dieser Frage entstand zwar vor der Zeit, da die Meldung von Umweltkatastrophen fast täglich demonstriert, daß die Menschen ausgezogen zu sein scheinen, die Welt unbewohnbar zu machen. Jedoch wird unter diesen Verhältnissen der Einsatz für die Verwirklichung eines Menschseins um so dringlicher, welches zugleich die Bewahrung und Befriedung der Welt und die Entfaltung der individuellen Kräfte auf die Tagesordnung setzt. »Das produktive Leben ist aber das Gattungsleben. Es ist das Leben erzeugende Leben. In der Art der Lebenstätigkeit liegt der ganze Charakter einer Species, ihr Gattungscharakter, und die freie bewußte Tätigkeit ist der Gattungscharakter des Menschen« (MEW EB 1, S. 516). In diesen Worten des jungen Marx fühlten wir uns aufgehoben, einig in der Kritischen Psychologie und wohlgerüstet für unser Automationsprojekt. In Ute H. Osterkamps Entwurf schließen die »produktiven Bedürfnisse« das Verlangen nach der Verfügung über die gesellschaftlichen Lebensbedingungen ein; der Protest gegen fremdbestimmte Produktionsverhältnisse kann mitgedacht werden. Die Vorstellung, daß der Mensch mit einem Verlangen nach produktivem Tun ausgestattet sein könnte, gab den in Sozialarbeit und Kindererziehung tätigen Psychologen unmittelbar Auftrieb. Sie übertrugen die kategoriale Form umstandslos auf die Wirklichkeit in Kindergarten und Schule - heraus kam eine neuerliche »Erziehung zur Liebe zur Arbeit«. Die einschnürende Kälte aus den alten Büchern meines früheren Dissertationsprojekts wurde 70

gelockert durch die warme Fröhlichkeit der Erzieher. Die Umklammerung blieb. Vergeblich versuchten wir auf der methodischen Ebene den Status der Kategorie einzuklagen. Zu verführerisch war es, die alten Erziehungsziele von Fleiß, Disziplin, Ordnung usw. durch die neue Kritische Psychologie nicht nur zu legitimieren, sondern sogar mit dem Atem des Revolutionären zu beseelen. Wir vom Forschungsprojekt zur Automationsarbeit wußten natürlich, daß der Begriff der »produktiven Bedürfnisse« nicht unmittelbar empirisch verwandt werden konnte. Aber konnten nicht »Ansätze«, »Triebkräfte«, »Formen« dieser menschlichen Ausstattung hier und heute gefunden werden? Das unlösbare Problem, mit dem wir uns herumschlugen war, kurz gesagt, dieses: die Vorstellung, daß dem Menschen ein Bedürfnis nach Produktion innewohne, ja, daß er so sein Menschsein verwirkliche, verengte unseren Blick auf die Entwicklung einzelner Individuen in bezug auf ihre Fähigkeiten zur Produktion im Denken, Planen, Können und Wollen. Dies trotz besseren Wissens um die Gesellschaftlichkeit des Menschen. Fragen der Zusammenarbeit mußten wir zusätzlich anfügen; gesellschaftliche Fremdbestimmung war für uns der beengende Rahmen, der das übergreifende Wollen behinderte, nicht selbst eine Form des Denkens und Handelns. Die einzelnen Menschen gerieten uns zu bewußt tätigen Wesen; aber ihr Bewußtsein kreiste in unserem Entwurf nicht allein ausschließlich um Arbeit, es hatte ihr Sein aufgeschluckt. Wie erleichtert waren wir, als Klaus Holzkamp in der »Grundlegung« nicht nur die »produktiven Bedürfnisse« ohne weitere Auseinandersetzung als zentrale Kategorie wieder verschwinden ließ (bzw. ersetzte durch die Wendung »produktiver Aspekt menschlicher Bedürfnis-Verhältnisse« (S. 242)), sondern sich sogar an den Hauptbrocken wagte: Marx und die Arbeit. Ohne große Umstände wird jener Kronzeuge der vielen Bücher, die zur Liebe zur Arbeit erziehen wollten, jener historisch belastete Satz von »der Arbeit als erstem Lebensbedürfnis« aus Standpunkt und sozialistischer Perspektive entfernt: »Nicht die »Arbeit« als solche ist erstes Lebensbedürfnis, sondern »Arbeit« nur soweit, wie sie dem Einzelnen die Teilhabe an der Verfügung über den gesellschaftlichen Prozeß erlaubt, ihn also »handlungsfähig« macht. Mithin ist nicht »Arbeit«, sondern »Handlungsfähigkeit« das erste menschliche Lebensbedürfnis-dies deswegen, weil Handlungsfähigkeit die allgemeinste Rahmenqualität eines menschlichen und menschenwürdigen Daseins ist, und Handlungsunfähigkeit die allgemeinste Qualität menschlichen Elends der Ausgeliefertheit an die Verhältnisse, Angst, Unfreiheit und Erniedrigung« (S. 243). Endlich vorbei mit der Drohung von Arbeitserziehungslagern, der fröhlichen Unterwerfung im Kindergarten, der Lähmung durch die Schule, der puritanischen Ethik und dem Geist des Kapitalismus, dem arbeitenden Gott? 71

Im Begriff der Handlungsfähigkeit sind die gesellschaftlichen Verhältnisse aufjeden Fall mitgedacht und einklagbar. Der Begriff hat zudem den Vorteil, Bewegung einzubeziehen. Es gibt Stufen von Handlungsfähigkeit, gab es Stufen von Arbeit? Arbeit konnte zum bloßen Produktivismus geraten; der gesellschaftliche Bezug konnte verloren gehen. Im Begriff der Handlungsfähigkeit dagegen denken wir den Kampf um die Balance in Gesellschaft, die Bewegung zu immer größeren Fähigkeiten des Handelns, den Erwerb dieser Fähigkeiten und die Verfügung über die Bedingungen, die beides umfassen. Ja, dies ist das erste menschliche Lebensbedürfnis ohne Zweifel. Die Befriedigung über diese Wendung wird kleiner durch zuviel Beifall. Da sind zunächst die vielfaltigen Stimmen aus der Frauenbewegung. Der Marxsche Arbeitsbegriff taugt nicht für die Frauenbefreiung; schlimmer, er ist eigens erfunden, um die Frauenarbeiten verschwinden zu lassen. Arbeit bei Marx, das ist männliches Tun, Eingriff in die Natur bis zu ihrer Zerstörung, Produktion um der Produktion willen, Entwicklung der Technik bis zur Atombombe, Herrschaft des Geistes, der Rationalität über das Leben. Die Befreiung der Arbeit aus kapitalistischen Zwangsverhältnissen wurde als Befreiung des Arbeiters gedacht, nicht als die der Hausfrau. Überwinden wir auch dieses Problem mit dem Begriff der Handlungsfähigkeit? Zweifellos eröffnet er ein Feld, in dem Frauenunterdrückung und -befreiung artikulierbar werden. Er ist praktikabel; nützt hier und heute, ja selbst seine Perspektive ist aus den unendlichen Weiten frühmarxscher Utopie ins Machbare gerückt. Hat er jetzt wirklich das einstmals Gewollte eingeholt? Als ich vor Jahren »arbeitslos« war, gab es in einer Arbeitsgruppe Kritischer Psychologen einen heftigen Streit um meine Behauptung, daß mein politisches Engagement, meine vielfaltigen Aufgaben zuhause und in Verlag und Redaktion der Zeitschrift Das Argument aus mir eine Person machten, die durch Arbeit mit der Gesellschaft verbunden war. Selbstredend dachte keiner daran, als Arbeit nur entlohnte Arbeit anzuerkennen; jedoch war klar, daß die gesellschaftliche Anerkennung und Einbindung ein wesentlicher Faktor der Menschwerdung war und vor allem, daß jede Änderung der Verhältnisse von innen aus den Erwerbsarbeitsprozessen kommen müsse, nicht von außen, von den Marginalisierten - Arbeitslosen, Hausfrauen, Subkulturen aller Art. Die Polemik ging so weit, daß die Möglichkeit von Persönlichkeitsentwicklung für Arbeitslose bestritten werden konnte. Damals - in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre - war das Phänomen der Arbeitslosigkeit noch nicht so allgemein. Heute bei der Perspektive einer Abnahme »produktiver Arbeit« (Arbeit im industriellen Sektor) auf zehn Prozent bis zum Ende dieses Jahrhunderts und einer strukturellen Arbeitslosigkeit, die jedes Jahr zunimmt, sind die Sozial Wissenschaftler herausgefordert, den Zusammenhang von Arbeit und Leben zunächst einmal wenigstens neu zu denken. Die Bewegung macht vor der 72

Kritischen Psychologie nicht halt. Hier hatten sich über die Jahre in ihrem Umfeld jene kritischen Geister gesammelt, die aus dem Phänomen der Arbeitslosigkeit eine glückliche Synthese von Psychologie und Gesellschaftskritik machen wollten. Zeitnah hieß schon der zweite Kongreß der Kritischen Psychologen »Arbeit und Arbeitslosigkeit in Kritisch-Psychologischer Sicht« (1979). Die Positionen reichen bis heute von einer Behauptung psychischer Verelendung bei Arbeitslosigkeit bis hin zur umgekehrten Behauptung einer ungeahnten Möglichkeit für schöpferische Befreiung von den Zwängen fremdbestimmter Arbeit. In seinem vor allem methodisch verdienstvollen Beitrag zur Arbeitslosigkeit (1986) kann Klaus Holzkamp vom Standpunkt der Handlungsfähigkeit der Menschen, ihre Erfahrungen mit der Kategorie der »subjektiven Handlungsgründe« »psychologisch« erarbeiten. Arbeitslosigkeit rückt in den Rang einer Rahmenbedingung unter anderen, deren Verarbeitungsform überhaupt nicht notwendig ein Problem für Psychologen wird, sondern nur dann, wenn die Betroffenen nicht wissen, wie sie ihre Reaktionen auf das unmittelbar Erfahrene selbst handhaben können. Gegenstand der Psychologie ist hier nicht die Arbeitslosigkeit oder die Arbeit, sondern die Erfahrung der Individuen mit Arbeitslosigkeit. Arbeit ist dabei nicht nur die Form der gesellschaftlichen Tätigkeit, welche gesellschaftliche Integration gewährt, sie ist zudem ein Feld der Bedeutungen und von daher auch Gegenstand der ideologischen Kämpfe und der Ideologieforschung. Diese Verschiebung des Gegenstandes der Psychologie von der Vorstellung, Arbeit sei Wesensmerkmal des Menschen, primäres Bedürfnis, hin zu dem Vorschlag, die Erfahrungen der Individuen und damit das Verhältnis von »unmittelbarem« zu »unmittelbarkeitsüberschreitendem« Weltbezug als Rahmen für individuelle Handlungsfähigkeit zu behaupten, löst das Problem des normativen Umgangs mit Menschen, verneint die »Erziehung zur Liebe zur Arbeit«. Veränderungen werden im Rahmen des Möglichen machbar. Wo aber blieb dabei die Hoffnung, die an der Wiege jener erstarrten Konzepte von der Entwicklung durch Arbeit stand? Welche Dimensionen büßten wir ein, als wir die Identität von individueller Entfaltung und Arbeit aufgaben zugunsten der ökonomisch-politischen Rahmensetzung von Arbeitsplatzsicherheit oder Arbeitslosigkeit und der ideologischen Besetzung dieses Feldes von Arbeit, welches die Erfahrungen der einzelnen mitbestimmt? Gehört am Ende unsere anfangliche Sehnsucht nach Sinnesentfaltung, Lust und Schaffensfreude, Neugier, Mühe und Wetteifer ebenfalls in den Bereich des Ideologischen?

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Marx und die Arbeit Nicht nur die FAZ und die Unternehmerverbände haben sich Arbeit als Feld ideologischer Bedeutungskämpfe erkoren. Der »Wertwandel« um Arbeit hat auch die Sozialwissenschaften, allen voran die Soziologie erschüttert. Die Bedeutung, die Arbeit für den einzelnen hat, soll gesellschaftlich ermäßigt werden. Das erlaubt mehr psychische Stabilität bei Arbeitslosigkeit, weniger Marginalisierung jener, die keine Arbeit haben, wenn diese ohnehin nicht so zentral mehr ist wie etwa eine Familie. Das Umfrageinstitut INFAS versorgt die Öffentlichkeit regelmäßig mit den neuesten Nachrichten über die Abnahme des Stellenwerts, den Arbeit für die einzelnen Gesellschaftsmitglieder - insbesondere die Jüngeren hat. Die Gesellschaft wandelt sich auf kluge Weise: in dem Maße wie industriell weniger Arbeitskräfte gebraucht werden, da die Produktivitätssteigerung nicht durch Wachstum für gleichbleibenden Arbeitseinsatz in den gleichen Industriezweigen beantwortet wird, in dem Maße verlieren auch die Arbeitenden den Wunsch nach Arbeit. Sie streifen ihre protestantische Arbeitshaut ab und entwickeln zugleich Neigungen, die nicht notwendig das Arbeitslosengeld überschreiten: z.B. ein Bedürfnis nach Kommunikation, nach Freundschaft und Nähe, Nachbarschaftlichkeit und ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Altenpflege, der Behindertenfürsorge. In »nicht-entfremdeter« Gestalt - in Freizeit und Hobby oder in alternativen Projekten - entfalten sie genau die Hoffnungen, die am Anfang unserer Arbeitsdiskussion standen: »Selbsttätigkeit«, »freie Tätigkeit«, »Sinnengenuß«, »Aufhebung der Verkehrung von Mittel und Zweck«. Folgen wir zum Beispiel Dahrendorfs »Ende der Arbeitsgesellschaft«, so sind die Menschen heute in den Genuß der Aufhebung der entfremdeten Arbeit (also in den Bereich des Kommunismus) gekommen, ohne irgendeine gesellschaftliche Revolution gemacht zu haben. Auch die »Verwandlung der Arbeit in Selbstbetätigung und die Verwandlung des bisherigen bedingten Verkehrs in den Verkehr der Individuen als solcher« (MEW 3, S. 68) hatte sich Marx nur durch eine Revolution herbeiführbar gedacht; genau diese Dimensionen aber sind es auch, die in der Soziologie - etwa von Habermas - an die Stelle des Arbeitsbegriffs treten sollen: Selbsttätigkeit und Kommunkatives Handeln. Habermas spricht von der »Erschöpfung utopischer Energien« und meint die Projekte, die die Emanzipation der Arbeit von Fremdbestimmung erstreiten wollten: vornehmlich Marx und die Arbeiterbewegung. »Das politische Anregungspotential der arbeitsgesellschaftlichen Utopie« sei erschöpft; Widerstandspotentiale sammelten sich »im Sog einer fortschreitenden bürokratischen Erosion der aus naturwüchsigen Zusammenhängen freigesetzten, kommunikativ strukturierten Lebenswelten« an (Habermas 1985, S. 141 ff.). 74

Es ist hier nicht der Ort, ausführlich mit Habermas zu streiten. Ich benutze vielmehr seine exponierte Behauptung eines Endes der Zentralität des Arbeitsbegriffs für Gesellschaftstheorie (unter Bezug auf wirkliche Umstrukturierungen im Arbeitsfeld und in der staatlichen Lenkung kapitalistischer Gesellschaften) und seine Verschiebung auf »kommunikatives Handeln« als »Anregung«, um mir die Bedeutung der Holzkampschen Verschiebung von Arbeit auf Handlungsfähigkeit als erstes Lebensbedürfnis klarer zu machen. Habermas empfiehlt, die Hoffnung auf revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft durch die Arbeiterbewegung aufzugeben. Ebenso sei nicht auf den Wohlfahrtsstaat mit Vollbeschäftigungspolitik als Befriedigung der Klassen zu setzen. Widerstand käme aus den neuen sozialen Bewegungen; demnach sei die Lebensweise (nicht die Arbeitsweise) Ferment für Umwälzungen. Es geht ihm um die Ersetzung der im Märxschen Arbeitskonzept angelegten Revolutionstheorie. Aber reduzierte denn Marx sein Befreiungsprojekt auf die Aufhebung der entfremdeten Arbeit und die Emanzipation der (vermutlich männlichen) Arbeiter? Oder anders: wie wäre denn mit Marx über die neuen sozialen Bewegungen zu denken und über die Befreiung der Lebensweise? Holzkamp bezieht sich ebenso auf ein Handlungs- (und Handlungsfahigkeits-)Konzept. Für ihn steht allerdings die Zentralität einer auf die Arbeiterbewegung zählenden Revolutions- oder auch Gesellschaftsveränderungstheorie außer Frage. »Bewußtes Handeln auf klassenspezifische Lebensbedingungen« ist ein tragendes Element seiner Theoriebildung. Wie aber kommen bei ihm Selbsttätigkeit, Genuß und Selbstverwirklichung, kurz, wie kommt die Hoffnung vor, die Habermas als »utopische Stärke« bezeichnete? Verunsichert durch die vielen bis hierher aufgeworfenen Fragen scheint es mir an der Zeit, Marx noch einmal neu zu lesen. Das Gelände ist vermint. Verschiedene Richtungen beziehen sich auf Marx und sprechen dabei höchst gegensätzlich über seinen Arbeitsbegriff. Sie schlagen aufeinander ein mit Behauptungen, Marx wäre der Theoretiker der Abschaffung der Arbeit oder umgekehrt, er habe ihre Ewigkeit begründen wollen. Arbeit stehe bei ihm im Zentrum von individueller und von Menschheitsentwicklung. Sie begründe Gesellschaftstheorie recht eigentlich und sie sei ein bloßes Synonym für Herrschaft und Sklaverei. Die so sprechen, haben ihren Marx gelesen. Wie ausgerupfte Federn hängen Marxzitate als schmückendes Belegwerk in ihren Texten. Legt man die Beweisstücke nebeneinander, so kommt man unweigerlich zu dem Resultat: Marx hat seine Auffassungen geändert wie eine Wetterfahne die Richtung. Er hat alles zu Arbeit gesagt, als wäre sie nichts Ernstzunehmendes. Wie nun mit Marx verfahren, wenn wir die dogmatische Lesweise vermeiden wollen, die aus einem Zitat eine Theorie von ewiger Beständigkeit entwickelt, um in 75

kirchlicher Manier dieselbe als wahr und einzig richtig zu verkünden? Verfahren wir nicht ebenso rechthaberisch, wenn wir die unterschiedlichen Verwendungen in einen Zusammenhang bringen wollen? Oder können wir uns damit zufriedengeben, Marx sei eben widersprüchlich; er wechsle die Paradigmen, wie dies heute modern ist, oder er habe nur in seinen Frühschriften Wahres verkündet und sei eben einer der mit dem Alter nicht klüger wurde, sondern dümmer? Trotz der vielfaltigen Gefahren und Rechthabereien versuche ich im folgenden dennoch eine Vorstellung von Marx' Arbeitskonzept zu geben, das einigermaßen konsistent ist. Meine Textvorführung wird dabei von zwei methodischen Richtlinien geleitet: ich versuche den Kontext, in dem Marx schrieb, zu berücksichtigen, und ich versuche den Nutzen seiner Überlegungen für unsere Probleme heute zu rekonstruieren. In der philosophischen Tradition und in der neueren Nationalökonomie (Smith, Ricardo) fand Marx einen Arbeitsbegriff in einem bedeutungsvoll umstrittenen Feld: Arbeit war Tätigkeit der Armen; sie war Mühsal und Plage, erschöpfte die Lebensgeister, ja, sie war an die Stelle des Lebens für viele getreten. Aber Arbeit war auch Quelle des Reichtums und aller Werte. »Es ist das Interesse aller reichen Nationen, daß der größte Teil der Armen nie untätig sei und sie dennoch stets verausgeben, was sie einnehmen. . . . Diejenigen, die ihr Leben durch die tägliche Arbeit gewinnen, haben nichts, was sie anstachelt, dienstlich zu sein außer ihren Bedürfnissen, welche es Klugheit ist zu lindern, aber Narrheit wäre zu kurieren . . . folgt, daß in einer freien Nation... der sicherste Reichtum aus einer Menge arbeitsamer Armen besteht« (B. Mandeville, Die Bienenfabel, S. 173, S.269; zit.n. MEW 23, S. 643). Arbeit als Bindeglied zwischen Armut und Reichtum, als widersprüchliche Voraussetzung für beides - zunächst arbeitet Marx die Position von Arbeit in diesem provozierenden Gegensatz als Dimension von Herrschaft aus. In der politischen Form der Arbeiteremanzipation sei die allgemein menschliche Emanzipation enthalten, weil »die ganze menschliche Knechtschaft in dem Verhältnis des Arbeiters zur Produktion involviert ist, und alle Knechtschaftsverhältnisse nur Modifikationen und Konsequenzen dieses Verhältnisses sind« (MEW EB 1, S. 521). In seinen frühen Schriften finden wir eine Reihe von Sätzen, die im Sprachmaterial der Zeit Arbeit als Entfremdung fassen. »Denn erstens erscheint dem Menschen die Arbeit, die Lebenstätigkeit, das produktive Leben selbst nur als ein Mittel zur Befriedigung eines Bedürfnisses, des Bedürfnisses der Erhaltung der physischen Existenz. Das produktive Leben ist aber das Gattungsleben. Es ist das Leben erzeugende Leben. In der Art der Lebenstätigkeit liegt der ganze Charakter einer Species, ihr Gattungscharakter, und die freie bewußte Tätigkeit ist der Gattungscharakter des Menschen. 76

. . . Die entfremdete Arbeit kehrt das Verhältnis dahin um, daß der Mensch, eben weil er ein bewußtes Wesen ist, seine Lebenstätigkeit, sein Wesen nur zu einem Mittel für seine Existenz macht« (MEW EB 1, S. 516). Arbeit selbst wird zum Formbegriff. Alle »menschliche Tätigkeit (war) bisher Arbeit, also Industrie, sich selbst entfremdete Tätigkeit« (MEW EB 1, S. 542 f.). Diese Auffassung, daß Arbeit selber die Form ist, in der Herrschaft sich äußert und keineswegs etwa »erstes Lebensbedürfnis« findet seinen konsequenten Ausdruck in der Schlußfolgerung, es sei die Arbeit, die abgeschafft gehöre: »Es ist eines der größten Mißverständnisse, von freier, gesellschaftlicher, menschlicher Arbeit, von Arbeit ohne Privateigentum zu sprechen. Die »Arbeit« ist ihrem Wesen nach die unfreie, unmenschliche, ungesellschaftliche, vom Privateigentum bedingte und das Privateigentum schaffende Tätigkeit. Die Aufhebung des Privateigentums wird also erst zu einer Wirklichkeit, wenn sie als Aufhebung der Arbeit gefaßt wird, eine Aufhebung, die natürlich erst durch die Arbeit selbst möglich geworden ist d.h. durch die materielle Tätigkeit der Gesellschaft möglich geworden und keineswegs durch die Vertauschung einer Kategorie mit einer anderen zu fassen ist« (Marx, 1845, S. 25). »Schließlich erhalten wir noch folgende Resultate aus den entwickelten Geschichtsauffassungen: . . . 3. daß in allen bisherigen Revolutionen die Art der Tätigkeit stets unangetastet blieb und es sich nur um eine andere Distribution dieser Tätigkeit, um eine neue Verteilung der Arbeit an andere Personen handelte, während die kommunistische Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt... « (MEW 3, S. 69 f.). Wir wollen nicht so weit gehen anzunehmen, daß Marx hier tatsächlich daran dachte, Arbeit als Stoffwechsel des Menschen mit der Natur aufhebbar zu denken, daß er ewige Muße versprach oder die Abschaffung der Industrie mit dem Überleben der Menschheit für vereinbar hielt. Arbeit als Formbegriff zu denken zwingt uns vielmehr dazu, zu rekonstruieren, was eigentlich in die Form der Arbeit verkehrt wurde, welche »Substanz« also hier zu befreien ist. In der entfremdeten Form finden sich: freie Lebensäußerung; Genuß des Lebens; die Betätigung des menschlichen Gemeinwesens; Selbstbetätigung; Bewußtsein, ein menschliches Bedürfnis befriedigt zu haben; in der Liebe sich bestätigt wissen (EB 1,462 f.); die Entwicklung der Individuen zu totalen Individuen; der Verkehr der Individuen als solcher (MEW 3, S. 68); bewußte, freie Lebenstätigkeit als Gattungswesen, (EB 1, 516 f.) u.v.m. Die Betonung liegt auf der »freien Tätigkeit« oder »Selbsttätigkeit« - diese ist immer im Verhältnis zur Gattung gedacht, als gattungsspezifisches Merkmal. Die Menschen sind als Gattungswesen produktiv füreinander tätig, dies bestimmt ihren Verkehr untereinander, das Gemeinwesen und die Entwicklung der Individuen. Diese Selbsttätigkeit ist Genuß. Das Leben selbst ist lustvolle Produktion. Von solchen Marxschen Sätzen ausgehend könnten wir 77

»Selbsttätigkeit als erstes Lebensbedürfnis« formulieren, das Gemeinwesen als produktiven Zusammenhang denken und Entwicklung der Individuen durch freie Lebenstätigkeit - aber wir kämen niemals auf die sozialwissenschaftlich moderne Abwehr: nicht Arbeit dürfe ferner im Zentrum von Gesellschaftstheorie stehen (wie angeblich bei Marx), sondern Kommunikation oder Lebensweise (Lebenswelt). Es ist ganz offensichtlich, daß Marx diesen Unterschied zwischen Arbeits- und Lebenswelt nicht machte, bzw. daß es ihm um die Revolutionierung dessen ging, was heute »Lebensweise« genannt wird. Diese begriff er als den gemeinschaftlichen genußvollen, tätigen Zusammenhang der Individuen eines Gemeinwesens. Inbegriffen sind die Verkehrsformen, die Liebe, das Leben selbst. Leben ist ihm allerdings in jedem Fall tätiges Leben. Die Lebensweise wird verkehrt durch die Produktionsverhältnisse, die Art und Weise, wie die Menschen ihr materielles Leben produzieren. Vereinfacht gesprochen tun sie dies im Laufe der Geschichte zunächst so, daß die einen der Selbstbetätigung frönen, während die anderen das materielle Leben erzeugen. »Der einzige Zusammenhang, in dem sie noch mit den Produktivkräften und mit ihrer eigenen Existenz stehen, die Arbeit, hat bei ihnen allen Schein der Selbstbetätigung verloren und erhält ihr Leben nur, indem sie es verkümmert. Während in den früheren Perioden Selbstbetätigung und Erzeugung des materiellen Lebens dadurch getrennt waren, daß sie an verschiedene Personen fielen und die Erzeugung des materiellen Lebens wegen der Borniertheit der Individuen selbst noch als eine untergeordnete Art der Selbstbetätigung galt, fallen sie jetzt so auseinander, daß überhaupt das materielle Leben als Zweck, die Erzeugung dieses materiellen Lebens, die Arbeit (welche die jetzt einzig mögliche, aber wie wir sehen, negative Form der Selbstbetätigung ist) als Mittel erscheint« (MEW 3, 67 f.). Selbstbetätigung als Spezifikum des Menschseins und Perspektive der Befreiung bezieht sich auf die Erzeugung des materiellen Lebens - dieser Bezug ist notwendig, um Leben ohne Herrschaft überhaupt denken zu können. Die Erzeugung des materiellen Lebens durchläuft so verschiedene Entwicklungsstufen - eine Form ist die Arbeit. Sie ist die unmittelbarste Verkehrung, negative Form der Selbstbetätigung. Das Leben selbst gerät mit sich in Entzweiung. In dieser Negation entfaltet Marx analytische Bestimmungen, die auch im späteren »Kapital« erhalten bleiben: »Also durch die entfremdete entäußerte Arbeit erzeugt der Arbeiter das Verhältnis eines der Arbeit fremden und außer ihr stehenden Menschen zu dieser Arbeit. Das Verhältnis des Arbeiters zur Arbeit erzeugt das Verhältnis des Kapitalisten zu derselben, oder wie man sonst den Arbeitsherrn nennen will. Das Privateigentum ist also das Produkt, das Resultat, die notwendige Konsequenz der entäußerten Arbeit, des äußerlichen Verhältnisses des Arbeiters zu der Natur und zu sich selbst« (MEW, EB 1, S. 519 f.). Und hier ist auch der spätere 78

Sprachgebrauch schon vorfindbar. Nicht Arbeit selbst ist in den späteren Schriften Formbegriff, an diese Stelle tritt die »entfremdete Arbeit«. Zur Arbeit dagegen sagt Marx: »Als zweckmäßige Tätigkeit zur Aneignung des Natürlichen in einer oder der anderen Form ist die Arbeit Naturbedingung der menschlichen Existenz, eine von allen sozialen Formen unabhängige Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur« (MEW 13, S. 23 f.). - Und im »Kapital« heißt es fast gleichlautend: »Als nützliche Arbeit ist die Arbeit daher eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also des menschlichen Lebens zu vermitteln« (MEW 23, S. 57). Arbeit ist in entfremdeter Gestalt ein Doppeltes, Bildnerin von Gebrauchswerten, zweckmäßig und in dieser Weise unabhängig von den Gesellschaftsformationen, und Tauschwerte produzierend oder setzend, Reichtum schaffend; solches ist sie nur unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen. Die damit zusammenhängenden Verkehrungen/Entfremdungen werden im »Kapital« ausführlich analysiert. Die Erkenntnis vom Doppelcharakter der Arbeit ist elementar für die Analyse des Kapitalismus als warenproduzierender Gesellschaft. Aber die Erzeugung des materiellen Lebens als Selbsttätigkeit - dies bleibt die Perspektive. Sie umfaßt die Herrschaftslosigkeit in der Produktionsweise und damit die Beseitigung des Privateigentums (der Tauschwertakkumulation) als gesellschaftliches Regelungsprinzip und die Aussöhnung mit der Natur, indem ihre Gesetze begriffen werden. Die Perspektive der »freien Tätigkeit« wird als Prozeß gefaßt: es geht um das Verhältnis von Notwendigkeit und Freiheit. Das Moment der Notwendigkeit in der materiellen Produktion soll so immer weiter zurückgedrängt werden zugunsten des freiheitlichen Moments von Selbsttätigkeit. Im Reich der Notwendigkeit wird Arbeit ein Verteilungsproblem - alle sollen Arbeit aus Not zu gleichen Teilen bewältigen; im Reich der Freiheit geht es um eine andere Art von Tätigkeit, in der die herkömmliche Arbeitsteilung insbesondere die von Kopf- und Handarbeit nicht gilt. Der Weg geht über die Entwicklung der Produktivkräfte, die den Notwendigkeitscharakter bei der Erzeugung des materiellen Lebens ermäßigen; und er geht über die Entzweiung der menschlichen Arbeit, ihre Entfremdung. Die entfremdete Arbeit muß gewaltsam aufgehoben werden, dadurch daß der Mensch sich die von ihm geschaffenen Produktivkräfte schließlich aneignet. Umgewälzt werden müssen die gesamten Produktionsverhältnisse, die die Verkehrung der menschlichen Gattung so weit trieben, daß alle Entwicklung, aller Reichtum, Kultur, die gegenständlichen Arbeitsbedingungen sich gegen die Arbeitenden versachlichten und zur Macht über sie wurden. Dieser Widerspruch kann nur durch einen Bruch in eine neue Form gebracht werden. In der Kritik des Gothaer Programms skizziert Marx die Stufe der 79

genossenschaftlichen (gesellschaftlicher Besitz der Produktionsmittel) Gesellschaft, die-eben weil sie aus der kapitalistischen hervorgeht, die Muttermale dieser Gesellschaft trägt: »in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig«. Dann entwirft er als höhere »kommunistische Gesellschaft« ein Gemeinwesen, welches die Verkehrungen der Arbeit überwunden hat und in diesem Zusammenhang fallt die Äußerung von der »Arbeit als erstem Lebensbedürfnis«. » . . . nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!« (MEW 19, S.21). Diese Äußerung hat zu vielerlei Einseitigkeiten beigetragen. Neben der Vorstellung, Individuen, denen eine »arbeitsscheue« Haltung attestiert wird, könnten unter Berufung auf Marx zu solchen, denen »Arbeit zum ersten Lebensbedürfnis« wird, erzogen werden, war es auch gerade der Schlußaufruf »jeder nach seinen Bedürfnissen«, der Hoffnung und Befürchtung hervorbrachte: Marx könne eine Gesellschaft herbeigesehnt haben, in der die Bedürfnisse, die durch Kapitalismus und Überflußproduktion auf der einen Seite, Armut auf der anderen formiert sind, zum Maßstab gesellschaftlicher Regelung genommen würden. Dabei ist der Kontext eindeutig: wenn es den Menschen gelingt, sich aus materieller Not und Herrschaft zu befreien, dann ist die Erzeugung des materiellen Lebens ihnen produktiver Genuß und Entfaltung ihrer Fähigkeiten. Dieses Bedürfnis werden sie leben können und insofern ihr Menschsein verwirklichen. Das schließt die Aufhebung jener Arbeitsteilungen ein, die die Entzweiung der menschlichen Arbeit als Grundlage von Gesellschaftsformationen hervorbrachten: die Teilung in Hand- und Kopfarbeit; in Männer- und Frauenarbeit; in Arbeit - und Nichtarbeit. Beziehen wir das bis hierher Entwickelte auf die im ersten Teil entstandenen Fragen:

Der Arheitsbegrijf Das Selbstverständliche und beim Reden über Arbeit zugleich immerfort Vergessene scheint mir, ihren Formcharakter zu beachten. Die unterschiedslose Weise, in der über Arbeit gesprochen und gedacht wird, ist Quelle der meisten Mißverständnisse. Wir sprechen über Lohnarbeit, nennen sie Arbeit und kritisieren die Rede von der Arbeit als erstem Lebensbedürfnis. Und 80

umgekehrt: die Erziehung zu diesem ersten Lebensbedürfnis ist nicht nur in sich widersinnig, sondern zumeist auch nur Erziehung zur Lohnarbeit in den verschiedenen Ausprägungen, ununterscheidbar von einem Unterwerfungskonzept in Industriebetrieben. Wenn wir die »Substanz« meinen, die in unserer heutigen Gesellschaft hauptsächlich die Gestalt der arbeitsteiligen Lohnarbeit angenommen hat, sollten wir vorläufig umständlich sprechen von der »Selbstbetätigung in der Erzeugung des materiellen Lebens«.

Die Frauenfrage Die feministischen Zweifel, Marx habe ein Arbeitskonzept entwickelt, das die Frauen ausschloß, laufen hier ins Leere. Umgekehrt ist aus seiner perspektivischen Formulierung für die Frauenfrage noch vieles zu gewinnen. Tatsächlich stellt er selbst Frauenunterdrückung genau in den Kontext von entfremdeter Arbeit: »Die freilich noch sehr rohe, latente Sklaverei in der Familie ist das erste Eigentum, das übrigens hier schon der Definition der modernen Ökonomie entspricht, nach der es die Verfügung über fremde Arbeit ist« (MEW 3, S. 32). Selbst die angeblich ganz und gar vernachlässigte Arbeit im Hause bei der Reproduktion der Ware Arbeitskraft faßt Marx an einer Stelle - wenn auch nur in einer Fußnote - begrifflich als »die für die Konsumtion nötige Familienarbeit« (MEW 23, S. 417, Fn. 20). Ist nicht der Rahmen, den Marx für die menschliche Gesellschaft und die in ihr lebenden Individuen skizzierte, weit genug, daß die besondere Unterdrückung der Frauen mit ihren naturwüchsigen Momenten ebenso wie mit den Ergebnissen sozialer Herrschaft darin fruchtbar erörtert werden kann, und ist nicht die Perspektive der »freien gemeinschaftlichen Tätigkeit« als Verwirklichung des Menschseins allgemein genug für beide Geschlechter? Die Mißachtung der Frauen wäre so nicht Resultat Marxscher Theoriebildung, sondern der Entwicklung der Gesellschaften. Freilich hat Marx sich nicht vorgestellt, daß diejenigen, die nicht der gesellschaftlich vorherrschenden entfremdeten Gestalt der Selbstbetätigung unterworfen sind, die also im Kapitalismus nicht Lohnarbeiter sind, zu sozialen Subjekten der Veränderung werden könnten. Entsprechend schenkte er ihrer Analyse als sozialer Kraft keine Aufmerksamkeit. Dieses wäre von uns nachzuholen.

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Arbeit als Systembegriff? Die Versuche, insbesondere von Offe (1984) und Habermas (1985), Arbeit aus dem Zentrum von Gesellschaftstheorie zu rücken, werden verständlicher, wenn man zuvor unterstellt, Marx habe eine Gesellschaftstheorie Hegelscher Art entworfen, in der er an die Stelle des Geistes die Arbeit setzte (so etwa Rüddenklau, 1982, aber auch Bischof, 1973, S. 323: »In der Entwicklungsgeschichte der Arbeit liegt der Schlüssel zum Verständnis der gesamten Geschichte der Gesellschaft«). Marx schrieb dagegen über die Verhältnisse, durch die die Selbstbetätigung der Menschen verschiedene Formen annimmt: solche der Verkümmerung der Individuen, ihrer äußersten Entfremdung in der Arbeit, ihrer Verkehrung in Negativität. Wesentlich ist dabei die Arbeitsteilung. In der Herrschaftsanordnung wird solche Teilung naturwüchsig, heftet sich an zufallige körperliche Eigenarten. D.h. sie verbindet sich mit den Personen ein Leben lang, gehört ihnen an wie eine Sache, so daß selbst das Bewußtsein einer »freien Tätigkeit« verschwindet. Die Arbeitsutopie habe keine Kraft mehr, sagt Habermas, ins Zentrum rücke die Lebensweise. In allen Marxschen Schriften wird deutlich, daß es Marx um die Revolutionierung der Lebensweise ging, die er allerdings durch die Produktionsweise bestimmt sah. Ersetzt man den schillernden Arbeitsbegriff durch seine »Substanz«, so hören sich solche Marx-Verabschiedungen so seltsam an wie sie sind. Es ginge jetzt nämlich darum, die Erzeugung des materiellen Lebens, also des Lebens selbst und der Lebensmittel nicht mehr so wichtig zu nehmen, daß Gesellschaftstheorie von dieser Grundlage ausgehe. Hinter den Verabschiedungen steckt die Frage, ob die Erzeugung des materiellen Lebens u.U. herrschaftsförmig geregelt bleiben könnte und gleichwohl menschliche Entwicklung und menschliches Glück möglich wären, Befreiung also auf Lebensausschnitte beschränkt bleiben könne. Ein Problem, auf das so geantwortet wird, ist die Schwierigkeit, in unseren kapitalistischen Gesellschaften revolutionäre Umgestaltung für möglich zu halten und horizontale Vergesellschaftung für machbar. Die Wirklichkeit von neuen sozialen Bewegungen mit Alternativprojekten hier und heute scheint den AusschnittLösungen recht zu geben. Die sich stets zuspitzende Katastrophenlogik kapitalistischer Gesellschaften im Weltmaßstab zerschlägt aber die Illusion, eine lebenswerte Zukunft ohne Einfluß auf die Rahmenbedingungen des Handelns im Großen zu haben.

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Die Frage an die Kritische Psychologie Es bleibt die Frage des frühen Milchholens. Aus meinen arbeitsbiographischen Notizen wie aus meinen theoretischen Studien bin ich zu dem Resultat gekommen, daß die Lust zur Arbeit ebenso wie ihre Meidung, daß die Subbotniks und die Drückebergerei aus dem gleichen Stoff gemacht sind. In den Strukturen des gesellschaftlichen Lebens entwickelt sich eine blinde Dialektik. Unversehens und unkontrolliert schlägt die Begeisterung für die Arbeit um in ihr Gegenteil. Die praktische Lösung, das Leben außerhalb der Arbeit zu suchen, stößt allenthalben an Grenzen und ebenso an Überschreitungen. Die theoretische Lösung, Arbeit und Lebensweise getrennt zu denken, verrät die Perspektive der freien Selbstbetätigung, indem sie sie außerhalb der entfremdeten Arbeit einzulösen verspricht. Der Begriff der (verallgemeinerten) Handlungsfähigkeit in der Holzkampschen Wendung könnte eine Bewegungsform für die blinde Dialektik von Arbeit und Faulheit sein, in der eine bewußte Entwicklung gedacht werden kann; das Auseinanderfallen von Arbeit und Lebensweise kann hier als historisches Produkt mit der Perspektive seiner Überwindung gefaßt werden. Voraussetzung dafür wäre allerdings, die Dimensionen aufzunehmen, die Marx mit »Arbeit als erstem Lebensbedürfnis« vortrug. Die Erweiterung der Handlungsfähigkeit ist sicher Vorbedingung dafür, daß »freie Tätigkeit« möglich wird. Aber wie und unter welchen Verhältnissen können die Menschen ihr materielles Leben so gewinnen, daß sie es nicht zugleich verlieren, sondern daß es Genuß, Lust, Liebe, Entwicklung, Gemeinwesen ist? Arbeit und Genuß sind durch Arbeitsteilung auseinandergetreten, heißt es in der Deutschen Ideologie (MEW 3, S. 32). Sie wieder zusammenzubringen war Befreiungsperspektive. Die Frage an die Kritische Psychologie und an Holzkamp lautet also nicht, wie überhaupt die Arbeit in den Grundlagen der Psychologie verankert werden kann, sondern ob diese Seite der Sinnlichkeit in der Entwicklung, des Genusses im materiellen Tun, der Selbstbetätigung bei der Gewinnung des Lebens nicht in die »Entwicklung des Psychischen in menschlich-gesellschaftlicher Spezifik« anders aufgenommen gehörte denn als bloße Frage des Bewußtseins im Sinne der bewußten Verfügung.

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Literaturhinweise Bischoff, Joachim, 1973: Gesellschaftliche Arbeit als Systembegriff. Berlin/West Dahrendorf, Ralf, 1980: Im Entschwinden der Arbeitsgesellschaft. Wandlungen der sozialen Konstruktion des Lebens. In Merkur 34 Habermas, Jürgen, 1985: Die neue Unübersichtlichkeit. Frankfurt Holzkamp, Klaus, 1984: Grundlegung der Psychologie. Frankfurt - 1986: »Wirkung« oder Erfahrung von Arbeitslosigkeit? Berlin/West H.-Osterkamp, Ute, 1975, 1976: Grundlagen der psychologischen Motivationsforschung. Frankfurt Mandeville, Bernard de, 1714: The fable of the bees; or private vices, public benefits. London Marx, Karl, 1845: Über F. Lists Buch »das nationale System der politischen Ökonomie«. In: Marx/Engels, Kritik der bürgerlichen Ökonomie, 1972, Berlin/ West Offe, Claus, 1984: Arbeitsgesellschaft - Strukturprobleme und Zukunftsperspektiven. Frankfurt Projekt Automation und Qualifikation, 1987: Widersprüche der Automationsarbeit. Ein Handbuch. Berlin/West Rüddenklau, Eberhard, 1982: Gesellschaftliche Arbeit oder Arbeit und Interaktion? Frankfurt

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Über den Doppelcharakter von Handlungsfähigkeit Klaus Holzkamp zum sechzigsten Geburtstag Wolf gang Fritz Hang

1. Die Frage nach der Handlungsföhigkeit im Rahmen des historisch-materialistischen Praxisbegriffs Es glich einem Schritt ins Freie, aus der Subjektkategorie herauszugehen in die gesellschaftliche Praxis und die Handlungsfähigkeit zur Leitfrage zu erheben. Das war der Weg aus dem philosophischen, moralischen, rechtlichen usw. »Subjekt« ins historisch-materialistisch einzig tragfahig Subjektive, die gesellschaftliche Praxis der Individuen in bestimmten Produktionsverhältnissen (nebst den darauf aufbauenden ideologischen Verhältnissen). So stellen sich die Fragen ausgehend von dem schöpferischen Bruch mit Idealismus und bisherigem Materialismus, den Marx in den FeuerbachThesen vollzogen hat. Jene kopernikanische Wende verlagerte die menschliche Wesenswirklichkeit aus dem Innern der Individuen hinaus ins Gesamt der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das bedeutete keine Entwertung oder Entwirklichung der Individuen. Marx wetterte gegen den Rückfall in die alte ideologische Bahn, außerhalb der lebendigen Individuen, ihrer Aktionen, Produktivkräfte und Verhältnisse ein apartes »eigentliches« Wesen anzunehmen, trage es auch auf den ersten Blick unverdächtige Namen wie »die Geschichte«, »die Gesellschaft« (welche Namen heute?). Hineingeboren in die soziale Welt, sind die Individuen von ihrer Gattungsnatur dazu befähigt, sich die menschlichen Wesenskräfte anzueignen, spielend tun, gebrauchen und sprechen zu lernen, welch letzteres mehr als nur kommunikative Kompetenz bedeutet: Erschließungen und Betätigungen im System der Gebrauchswerte, der kulturellen Gebrauchsweisen, Bräuche und Ausdrucksmöglichkeiten, der formellen und informellen ideologischen Ordnungen, ausschnitthaft sich spezialisierende Befähigungen in den manuellen und intellektuellen Techniken der Produktion, schließlich 85

der Eintritt ins Arbeitsleben, in den Militärdienst, in die familiale Reproduktion, in die politischen Kämpfe kollektiver Akteure Zu Handeln, Praxis werden Tätigkeiten, indem sie sich in diesen Verweisungszusammenhang einschreiben. »Praxis« bildet einen sozialen Block, der die auseinandergelegten Praktiken unterschiedlicher Logik durchgreift und zusammenfaßt. Als Praxis betätigen die Individuen ihre Gesellschaftlichkeit. Fähigkeit zur Praxis, zum Handeln, ist in diesem Sinn die Kompetenz fürs Soziale schlechthin. So allgemein, so gut. In der konkreten Analyse konkreter Zusammenhänge wirft der Umgang mit diesen Begriffen Probleme auf. Eines davon soll hier - an zwei denkbar ungleichen Beispielen - besichtigt werden: das Verhältnis von Handlungsfähigkeit und ideologischer Subjektion, worunter das SichHineinstellen eines Individuums in eine Herrschaftsordnung bei Hereinnahme derselben ins eigne »Innere« verstanden sei (siehe Pluraler Marxismus, Bd. 2, Teil I: »Theorie des Ideologischen«).

2. Ideologische Subjektion und Handlungsfähigkeit am Beispiel der Faschisierung der Subjekte Die Ausgangsfrage lautet: Kriegt man ideologische Subjektion und Handlungsßhigkeit in der konkreten Forschung auseinander? Die Antwort ist grob gesagt die, daß dies nur analytisch, etwa der von Marx in der Einleitung von 1857 skizzierten Art folgend geschehen kann: als Zusammenfassung vieler, auch gegensätzlicher Bestimmungen, als theoretische Rekonstruktion also, die analytische und genetische Dimensionen verbindet, wie wir uns eben im Denken das Konkrete aneignen. Keinesfalls läßt jener Unterschied sich unmittelbar sinnlich oder »empirisch« machen. Nicht daß solche kategorialen Unterscheidungen in historisch-empirischer Forschung keine Rolle spielten, im Gegenteil, die Forschung würde verdummen ohne sie. Wie nun aber konkret? Vor allem: Ist es der Handlungsfähigkeit äußerlich, von der ideologischen Subjektion unterschieden zu werden oder fallt diese Unterscheidung in ihre Bestimmung? Bei meinen historischen Materialanalysen zur Faschisierung des bürgerlichen Subjekts (Argument-Sonderband AS 80, 1986) erwies sich die Orientierung auf die Konstitution von Handlungsfähigkeit als enorm fruchtbar, sobald ich aufhörte, »Handlungsfähigkeit« als etwas eindeutig »Positives« zu unterstellen. Die Frage nach ihr führte sogar direkt an die sozialen Orte von Handlungen, die uns entweder als Verbrechen oder als ideologische Dichtepunkte ihrer Konzipierung oder als die entscheidenden 86

Auftreffstrukturen der Ideologie im Alltag geläufig sind. Nehmen wir den Schock vorweg: Beim staatlich betriebenen Massenmord an Patienten der Psychiatrie, sowie bei der Vernichtung der sogenannten »Asozialen« ging es um flankierende Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von . . . »Handlungsfähigkeit«! Auch die Ausrottung der Behinderten sollte die Träger spezifischer Handlungsunfähigkeiten beseitigen. - Wechselt man die Szene und blickt auf die Tätigkeitsfelder der verschiedenen Ideologen, sieht man sie eifrig mit der theoretisch-praktischen Ausformung von »Handlungsfähigkeit« beschäftigt. Über den diesbezüglichen Fleiß etwa eines Arnold Gehlen werden wir uns demnächst an anderer Stelle äußern (Deutsche Philosophen 1933, ArgumentSonderband AS 165). Auch die Psychotherapeuten formierten sich zur Wiederherstellung von Handlungsfähigkeiten. »Unterhalb« dieser institutionalisierten Diskurse, auf der Ebene alltäglicher informeller Normalisierungspraxen, ging es ums Trainieren und Aufrechterhalten einer gemäß den jeweiligen Verhältnissen »normalen« Handlungsfähigkeit durch die Individuen selbst, in entfremdeter Selbsttätigkeit, sei es im stillen Kämmerlein, sei es in privat-öffentlichen Vereinigungen. Die Befunde deuteten daraufhin, daß diese vielförmigen und oft verschwiegenen Praktiken und die ihnen zugrundeliegenden, durch Ehrgeiz und Begierde vor einem Hintergrund von Not und Angst bestimmten Anstrengungen die entscheidende Auftreffstruktur und den für die Konstitution ideologischer Macht im NS unentbehrlichen Resonanzkörper für die institutionellen Diskurse bildeten. Kurz, dies war die Ebene des Do it yourself der Ideologie. An diese Ebene hatten sich seit Generationen die »Ratgeber« herangedrängt, das klassische Konkurrentenpaar von Priester und Arzt, dazu seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer mächtiger das Heer der ideologischen Warenproduzenten, die oft eine Art völkischer Gurus darstellten. Sie lieferten Rezepte für Erfolge am Arbeitsmarkt, in der Karriere, in der Liebe. Sie machten sich anheischig, durch eine komplexe und vielgliedrige Diätetik den Zugang zur Trinität von Leistungsfähigkeit, Gesundheit und Schönheit zu verschaffen. Ihr Adressat war vor allem der aufstiegswillige (oder dem Abstieg wehrende) Einzelne, den sie im günstigen Erscheinen und im Durchschauen fremden Scheins schulten. Auf den ersten Blick sieht man, daß es hierbei natürlich nicht um Handlungsfähigkeit in der Perspektive ihrer Verallgemeinerung geht. Der Käufer dieser Rezepte kauft damit einen Vorsprung vor seinen Konkurrenten. Was da gehandelt wird, sind Waffen im Kampf der Subalternen gegeneinander um knappe Ressourcen. Sie sind Bestandteile antagonistischer Handlungsfähigkeit auf einem Feld, das von Interessengegensätzen (der Klassen, wie auch der Konkurrenten aus ein und derselben Klasse) strukturiert ist und jedes Handeln als Handeln-gegen-andere oder Gegenhandeln bestimmt. Das Feld, in dem da gekämpft wird, ist zudem geprägt durch 87

den krisenhaften Vergesellschaftungszusammenhang des vom Profit angetriebenen (und mit ihm erlahmenden) Marktgeschehens. Im Vorfaschismus war das Niveau der nachgefragten Handlungsfähigkeit geprägt durch die fordistische Umgestaltung von Arbeitsweise und Lebensweise, überdeterminiert durch die Besonderheiten des verspäteten Imperialismus des deutschen Kapitals (vgl. dazu Die Faschisierung ..Kap. 3.3, »Amerikanismus der Armen?« und 7.23, »Fordismus in den Farben des Deutschen Reiches«). Die unzähligen Ratgeberbroschüren, ihre vielen und hohen Auflagen deuten auf massenhafte Bedürfnisse. Über die Benutzung wissen wir naturgemäß wenig. Anzunehmen ist, daß Atomisierung von Privatleuten den Adressatenkreis bestimmte, sei es auch, daß sie sich hier ihre paradoxe Gemeinschaft der Jeder-für-sich bildeten. Wer an Solidarverbänden und einer praktizierten Alternativkultur »von unten« teilhatte, mochte auf jene Dienste nicht angewiesen sein, oder doch nur in Bereichen, in die jene Solidarkulturen nicht hineinreichten. Die Ratgeberliteratur wendet sich an die Privatindividuen. Was sie ihnen bietet, ist eine komplexe und komplette Lebensführung zur Handlungsfähigkeit. Man muß das Material sichten, um jenes geradezu totalitäre Netz von Disziplinen und Regulierungen zu würdigen, das da über das Alltagsleben noch in seinen verschwiegensten Einzelzügen geworfen wird. Dieses Netz stellt zugleich den Bedeutungszusammenhang her, durch den im Einzelnen das »Ganze« erlebt wird. So schaffte sich z.B. die völkische Ideologie ihre Lebensweise. Angesichts solcher Alltagskulturen des Ideologischen ist es verständlich, daß Althusser zu der verhängnisvollen Gleichsetzung des Kulturellen mit dem Ideologischen kam: »le culturel, c'est-ä-dire Pideologique«. Zunächst hatte ich gedacht, einen Begriff von Handlungsfähigkeit an das Material anlegen zu können wie eine Meßlatte. Daran gemessen würden faschistisch geprägte Formen sich als defizitär und restringiert, als Formen der Vorenthaltung von Handlungsfähigkeit erweisen. Im Laufe der Forschung stellt sich diese Voraussetzung als eine Art normativer Illusion heraus. Zum Ausgangspunkt der Darstellung wurde deshalb der bescheidenere Vorsatz, »grundlegend-allgemeine Formen und Bedingungen von Handlungsfähigkeit zu unterscheiden von ideologischer Subjektion und diese wiederum von ihrer faschistischen Modifikation, usw.« (Die Faschisierung ... , 72). An dieser Unterscheidung hängt der emanzipatorische Nutzen der Untersuchung. Wer aber glauben sollte, zwischen Formen von Handlungsfähigkeit eindeutig unterscheiden zu können wie zwischen Böcken und Schafen, sähe sich enttäuscht. Die Handlungsmöglichkeiten tragen den Charakter von Vexierbildern. Das heißt aber gerade nicht, daß Kritik und politische Praxis ihr Recht verloren hätten. Gerade die Zweideutigkeit der empirischen Formen von Handlungsfähigkeit stellt die Aufgabe. »Ein einfaches Bild für das 88

Grundgesetz, dem sie unterworfen sind, ist das vom Tauziehen, bei dem die Antagonisten miteinander verbunden sind« (Die Faschisierung..., 9). Hat man jene Zweideutigkeit erst einmal in den empirischen Begriff von Handlungsfähigkeit aufgenommen, wird auch eine verhängnisvolle Produktivität der Faschisierung für die Individuen denkbar. Die Nazis treten den Individuen ja nicht nur restringierend gegenüber; eher überwiegt das Gegenteil, eine massenhaft wirksame, freilich nur partielle Entfesselung bislang unzugänglicher Dimensionen oder Intensitäten von Handlungsfähigkeit, man denke nur an den Typ des »Sonderführers«, der im »Wiederaufbau« noch einmal reüssierte. Auch in anderen als faschistischen Verhältnissen ist es überhaupt kennzeichnend für das Do it yourself der Ideologie im Alltag, »daß.sich in der Form der »Selbsttätigkeit« die Individuen auf unterschiedliche, ja gegensätzliche Weisen der Vergesellschaftung einlassen. . . . Die Analyse muß jeweils versuchen, das schillernde Ineinander der Gegensätze zu lesen« (Die Faschisierung..71). Mit Adorno läßt sich sagen: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen.« Dieser Sachverhalt bringt das Komplementärproblem mit sich, daß die einfache Umkehrung der nazistischen Wertungen und Maßnahmen, in der ein Teil der kritischen Literatur sein Heil sucht, nicht besser sein muß als diese. Das Ineinander führte im Falle meiner Untersuchung zu progressiver Problemverschiebung. Die Anlage der Forschung veränderte sich strukturell, und schließlich wurde das »Artikulationsgeflecht ideologischer Macht« zum expliziten Untersuchungsobjekt. Das schillernde Ineinander der Gegensätze in der Bestimmung von Handlungsfähigkeit ereignet sich in diesem Geflecht. Seine Analyse kann versuchen, zur Auflösung einer Faszination beizutragen. Was folgt? Jede empirische Handlungsfähigkeit muß sich zunächst darin bewähren, in die vorgefundenen Kräfteverhältnisse einzugreifen, das »Tauziehen« aufzunehmen. Auch wenn es somit keinen von der Berührung mit Herrschaft, Unterdrückung und ideologischer Subjektion ausgesparten Raum gibt, ist die analytische Unterscheidung, eingebettet in einen sozialwissenschaftlichen Rahmen, die Kompaßnadel der Theorie. Orientierend wirkt dabei der Sachverhalt, daß »jede anspruchsvollere Gestalt gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit »von unten« in eine Richtung ausgreift, deren Grenzwert sich als Selbstvergesellschaftung im Gegensatz zur Fremdvergesellschaftung fassen läßt« (Die Faschisierung..71). Das Begriffspaar »restringierte vs. verallgemeinerte Handlungsfähigkeit« in Klaus Holzkamps Grundlegung der Psychologie verweist auf diese Unterscheidung. Freilich muß man sich hüten, aus den extrapolierten Grenzwerten empirische Phänomene zu machen. Zur Erkenntnisbarriere würde es vollends, diese polaren Grenzwerte die gesamte Begrifflichkeit zur Analyse von Handlungsfähigkeit strukturieren zu lassen. Drei Gründe lassen sich anführen. Zum einen verführt das polare Schema zum Gradualismus, 89

d.h. zur Abbildung der Unterschiede auf einer quantitativen Skala zwischen beiden Extremen. Zum anderen werden damit die antagonistischen Bestimmungen von Handlungsfähigkeit verwischt, bei denen es um Fähigkeiten zum Gegenhandeln geht. Nicht anders ergeht es schließlich den spezifischen Qualitäten der im Kontext bestehender Herrschaftsverhältnisse und im Rahmen der Institutionen ideologischer Reproduktion derselben konstituierten Handlungsfähigkeiten. Zum Beispiel werden hier restringierende Handlungsfähigkeiten relevant, und das ist nichts, was sich ohne Verflachung auf der Skala zwischen restringierter und verallgemeinerter Handlungsfähigkeit einordnen ließe. Um den Doppelcharakter von Handlungsfähigkeit zu analysieren, einerseits mehr oder weniger ausgedehnte, verallgemeinerte, entgrenzte Teilhabe an der Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse und der in ihnen beschlossenen Verfügung über die Lebensbedingungen zu sein, andererseits mehr oder weniger sub- oder supra-alternes Sicheinrichten in den Herrschaftsverhältnissen, mit Introjektion derselben in Gestalt subjekthafter Verantwortung für das eigene Un/Glück in ihnen, bleibt es unerläßlich, die komplexe gesellschaftliche In/Kompetenzen-Anordnung der Herrschaftsverhältnisse zu analysieren, in die sich die Individuen mehr oder weniger zustimmend oder widerständig »hineinentwickeln«. Diese zweite Dimension von Handlungsfähigkeit bezeichne ich als ideologische Subjektion, und sie kommt gewiß nicht ohne die erste Dimension der tendenziellen Mitgestaltung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen vor. Wie der Gebrauchswert Träger (und Gefangener) der Wertform sein kann, so die »horizontale« Handlungsfähigkeit Träger (und Gefangene) der Herrschaftsreproduktion oder Selbsttätigkeit zur Trägerin entfremdeter Arbeit (vgl. dazu Frigga Haug in diesem Band). Ideologische Subjektion ist vertrackter, als der Begriff »restringierte Handlungsfähigkeit« ahnen läßt. Diese vorschnell und allzu zu direkt vom Konzept der »Selbstfeindschaft« her zu denken, bringt die Analyse in Teufels Küche, denn wer will schon von außen die wahre Selbstfreundschaft festlegen, deren Negation jener Begriff darstellen soll. Vor allem kann ideologische Subjektion »produktiv« sein und »produktive Bedürfnisse« sowohl umformen wie frei- und ans Werk setzen. Was mehr ist: Formen ideologischer Subjektion können bis zu einem gewissen Grad Widerstandspositionen werden, wo unideologische plebejische Wurstigkeit versagt (diese und angrenzende Widersprüche habe ich in »Antagonistische Reklamation des Gemeinwesens« analysiert, vgl. Pluraler Marxismus II). Endlich sind spezifische ideologische Handlungsfähigkeiten i.e.S. zu analysieren, Ideologenkompetenzen im Unterschied zu ideologischen Laienkompetenzen oder, in der Sprache der Umrisse zu einer Theorie des Ideologischen, primäre vs. sekundäre ideologische Kompetenzen. Gewiß reicht diese Begrifflichkeit für die Analyse des Doppelcharakters von Handlungsfähigkeit nicht aus. Vor allem sind wir noch nicht viel weiter 90

gekommen in der Analyse der psychischen Auftreffstrukturen als Bedingungen ideologischer Subjektion. Allerdings hat Klaus Holzkamp in der Grundlegung Qinen Schritt in diese ideologietheoretische Richtung getan, wo er die »Psychisierung« der Verhältnisse weiterdenkt, also den Sachverhalt, »daß die äußeren Zwänge in ihrer Verinnerlichung« nicht mehr von eigenen Motiven zu unterscheiden sind. »Der so als Moment des »Unbewußten« sich herausbildende »innere Zwang« bewirkt fürs ideologische Subjekt die »Freiwilligkeit seiner »Unterwerfung« unter die herrschenden Verhältnisse« (GDP, 413). Für die Analyse der paradoxen Erscheinung subalternen Herrenmenschentums im NS sind diese wichtigen Gesichtspunkte künftig zu spezifizieren. Wir wechseln nun radikal den gesellschaftlichen Bezug und die Betrachtungsebene, um einen programmatischen Text der sowjetischen Umgestaltung für unsere Frage auszuwerten.

3. Beobachtungen an Gorbatschows Erneuerung politischer Handlungsfähigkeit Die Prosa gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit produziert mitunter ihr eigenes Pathos. So in der berühmten Rede Michail Gorbatschows am 27. Januar 1987 vor dem Zentralkomitee der sowjetischen KP. Infrage steht die »Handlungsfähigkeit« der aggregierten Akteuere von Partei und Staat. Sie wird zum Thema angesichts drohenden Verfalls. Das Unglück von Tschernobyl erscheint in einer Reihe mit anderen technosozialen Katastrophen als Quittung für den Niedergang eines Handlungszusammenhangs. Der Hauptgrund wird gesehen im Versäumen fälliger Erneuerungen durch »die führenden Organe der Partei und des Staates«. Ein Generalnenner der Führungsfehler der »letzten Jahre« ist »der technokratische, durch administrativen Druck gekennzeichnete Arbeitsstil«. In der Führung »überwogen konservative Haltungen, Trägheit, das Bestreben, alles vom Tisch zu wischen, was nicht in die gewohnten Schemata paßte . . . «. Das waren »subjektive Gründe« des Niedergangs. Sie waren die Schattenseite des Administrierens von allem und jedem, dessen vorerst weiterwirkende »objektive Ursachen« wiederum darin zu begreifen sind, daß »ein effektiver Wirtschaftsmechanismus fehlt«. Der noch fortgeschleppte Mechanismus entstammt u.a. einem niedrigeren Niveau der Produktivkräfte. Das heißt nicht, daß auf jenem Niveau kein besserer Modus als der stalinistische möglich gewesen wäre. Aber hatte dieser despotische Modus sich mit der primären Akkumulation des sowjetischen Sozialismus und mit den Erforder91

nissen der extensiven Reproduktion zur Not vereinbaren lassen, so wurde er inzwischen längst allseitig kontraproduktiv. Der Übergang zu einer durch EDV, Automation, Kernenergie und Biotechnologien bestimmten Produktionsweise hat den entsprechenden Umbau aller politischen, kulturellen und ideologischen Verhältnisse zu einer Frage der historischen Überlebensfähigkeit der Sowjetgesellschaft gemacht. Dieser Umbau war über Gebühr verschleppt worden. Eine deprimierende Kombination von Stagnation und Korruption war die Folge, Stagruption, wenn man so will, und sie drohte bereits einer ganzen Epoche das vermeintliche Wesensmerkmal des Sozialismus vor Augen zu stellen. Unter anderem kam es »zu einer gewissen Deformierung... im Bestand unserer Kader«, aus denen sich die Akteure politischer Vergesellschaftung zusammensetzen. Die zur Erneuerung unfähigen Instanzen waren zunächst unfähig zur Selbsterneuerung. Folglich ist das eine der Stellen, wo die Erneuerung ansetzen muß. Von der Zusammensetzung der kollektiven Akteure hängt zum Teil deren Handlungsfähigkeit ab. »Viele Fehlschläge hätten vermieden werden können«, wenn im Kontext einer guten Kaderpolitik »eine hohe Handlungsfähigkeit . . . der Parteiführung wie auch der wirtschaftsleitenden Organe gewährleistet worden wäre«. Es bedarf der ständigen Erneuerung bei Wahrung der Kontinuität. »Die Verletzung dieses natürlichen Prozesses schwächte in irgendeiner Etappe die Handlungsfähigkeit des Politbüros und des Sekretariats und insgesamt die des ZKs... sowie auch die der Regierung.« Im Kontext geht es um eine Reihe anderer Bedingungen aggregierter gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit. Die Diskussionsstruktur im ZK etwa passivierte viele Mitglieder. Eine Art struktureller Generalnenner der Übel aber ist, wie mit Lenin gesagt wird, die Unterordnung der Politik unter den Apparat. Das Prinzip Zentralismus unterwarf sich das Prinzip Demokratie. »Die Rolle der Exekutivorgane gewann gegenüber den gewählten Organen in unzulässiger Weise die Oberhand.« Gorbatschows Rede antwortet auf die Erfahrung, daß der Griff des Apparats nach absoluter Übermacht in unfreiwilliger Dialektik die Macht aushöhlt. Das zeigt sich, wenn man Staats- und Führungsmacht in Begriffen der Handlungsfähigkeit ausdrückt, wodurch zugleich indirekt die staatlichorganisatorischen Rahmenbedingungen von innergesellschaftlicher Handlungsfähigkeit angeleuchtet werden. Die Handlungsfähigkeit der führenden Akteure verwirklicht sich nur als komplementäres Gegenstück zu den vielen auseinandergelegten Handlungsfähigkeiten in der Gesellschaft. Gorbatschow hat die entscheidenden Schaltstellen dieses Bedingungsgefüges zu einem Projekt verknüpft, dem er die Namen »Umgestaltung« und »Erneuerung« gibt. Er verbindet Kaderpolitik mit Kontrolle von unten und einer verbesserten Ökonomik der Handlungsfolgen-Zurechnung, also auch der 92

Bemessung der Einkommen nach den Leistungen. Die neue Produktionsweise verlangt die Umgestaltung des gesellschaftlichen Gefüges, und die Umgestaltung »erfordert von den Arbeitern Kompetenz und großes Können«, und zwar neuartige politische und kulturelle Kompetenzen. Neue Kompetenzen wiederum verlangen kompatible Leistungsmethoden. Die Umgestaltung würde scheitern ohne »die Erziehung der Massen zu politischer Kultur«. »Erziehung« wird, wie der Kontext zeigt, nicht schon wieder staatsabsolutistisch verstanden, sondern als Effekt des Spiels der Praktiken und Instanzen einer entscheidend weiter ausdifferenzierten Kulturgesellschaft. Erst so taucht politische Kultur auf, wo es früher nur »Bewußtsein« plus materielle Hebel und/oder Repression gab. Politische Kultur erfordert übergreifende Haltungen bei Freistellung von Übergriffen. Gefragt ist nach der »organischen Verbindung von Demokratie und Disziplin«. Denn »bei aller Bedeutung der Kontrolle von oben hat die Erhöhung des Niveaus und der Effektivität der Kontrolle von unten . . . prinzipielle Bedeutung«. Verwaltungsübermacht produziert massenhafte Verantwortungslosigkeit, wie sie auch der AKW-Katastrophe von Tschernobyl zugrunde lag. »Organisiertheit und Disziplin« aber werden gerade durch individuelle wie publizistische Kritik unter Bedingungen der Informationsfreiheit gewährleistet. Die funktionale Hierarchie (der Kompetenzen und effektiven Beiträge zum Gesamtnutzen) muß von lähmenden Übergriffen der skalaren Hierarchie (mit ihrer formellen Überordnung von Leitern über Untergebenen) befreit werden. Ein Mittel ist der Wahlmodus bei der Bestellung der Leiter. Das allein genügt nicht, wenn nicht reale Kritikmöglichkeiten ständig gewährleistet bleiben. Wie aber läßt sich eine Art allgemeines aktives und passives Kritikrecht als Bedingung (und Betätigungsform) gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit durchsetzen unter Verhältnissen, bei denen die Oberen sich durch Verfügung über Chancen, Ressourcen und Repression von Kritik freikaufen oder -pressen können? Hier bilden die Öffentlichkeit und ihre Medien und Akteure das fehlende Kettenglied. Damit diese wiederum gegenüber Staatsgewalt und Wirtschaftsmacht vor Pressionen zumindest formell freigestellt sind, bedarf es eines entsprechend umgeformten Rechts bei neuartiger Unabhängigkeit der Gerichte. Die »weitere Demokratisierung der sowjetischen Gesellschaft« kann die Geschlechterverhältnisse in der politischen oder staatlichen Führungsstruktur nicht aussparen. Trotz weitgehender Integration der Frauen ins gesellschaftliche System der konkret nützlichen Arbeiten sind sie in den höheren Etagen abwesend. Nichts zeigt die Führung als Herrschaftsfunktion so sinnfällig wie ihre männerbündische Zusammensetzung. Gorbatschow schreibt nun die »stärkere Einbeziehung der Frauen in die Leitungstätigkeit« ins Projekt der Umgestaltung ein. »Im Gang ist die Arbeit zur Bildung von Frauenräten.« 93

Wenn die Teilnahme der Frauen an der Kontrolle der gesellschaftlichen Lebensbedingungen bislang zum Blockierten gehörte, so der Zustand der marxistisch-leninistischen Philosophie zum Blockierenden. Zu den neu zu positionierenden und den Notwendigkeiten der Umgestaltung entsprechend zu bewegenden Instanzen gehört »die Atmosphäre an der theoretischen Front.« »Es ist doch Tatsache, Genossen, daß bei uns nicht selten allerlei Art scholastischen Theoretisierens gefordert wurde. . . . Die Lage an der theoretischen Front hatte negativen Einfluß auf die Lösung praktischer Fragen.« Kurz, eine komplexe Erneuerung zeichnet sich ab. Gorbatschows Diskurs durchläuft ein ganzes Netzwerk von Praxisbereichen, Akteuren und Institutionen, deren Zusammenwirken wie deren Abtrennung voneinander umzugestalten ist. Eine neuartige Frage von Gewaltenteilung taucht am Horizont auf. Entscheidend dabei ist, daß Wirtschaftsentwicklung und Demokratisierung miteinander verknüpft werden. Es bleibt eben nicht bei der »Frage der beschleunigten sozial-ökonomischen Entwicklung des Landes«, die freilich grundlegend ist, sondern geht »um eine Wendung und um Maßnahmen revolutionären Charakters . . . einer tiefgreifenden Demokratisierung der Gesellschaft«, und die Reformatoren »haben wirklich revolutionäre sowie allseitige Veränderungen in der Gesellschaft vor«. Was die »tiefgreifenden, ihrem Wesen nach revolutionären Umgestaltungen« determinieren soll, ist die Gestaltung von »Demokratisierung« und »Selbstverwaltung« zu politisch revolutionierenden Bewegungsformen der Revolutionierung der Produktionsweise. Man sieht: Auch in der Perspektive revolutionärer Umgestaltung von oben geht es um Handlungsfähigkeit, unmittelbar derjenigen staatlicher Leitungsorganismen. Dabei wird eine bestimmte herrschaftliche Fassung staatlicher Handlungsfähigkeit als ihre eigene Schranke spürbar. Ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Ebenen und Akteure, auch Praxisformen und Institutionen taucht auf beim Versuch, neue Handlungsfähigkeit von oben zu gewinnen. Letztlich entscheidet sich die Frage der Handlungsfähigkeit von oben als die nach der Freisetzung und produktiven Aggregierung von Handlungsfähigkeiten von unten. Eine neue politische Kultur zeichnet sich ab. Unterschiedliche Positionierungen und Qualifizierungen in der Sozialstruktur, sowie deren eigene Ausdifferenzierung in von einander un/abhängig fungierende Bereiche sind konkrete Formen, in denen die Frage der Handlungsfähigkeit sich stellt. Die Reformierung von Handlungsfähigkeit drängt zur revolutionären Umgestaltung im Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.

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Klaus Holzkamps Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaftswissenschaften Johannes Henrich von Heiseler

Es ist ein gewagtes Unternehmen für einen Fachfremden zu versuchen, die wissenschaftliche Leistung Klaus Holzkamps, seinen Beitrag für die Entwicklung der Gesellschaftswissenschaften insgesamt einzuschätzen. Ich glaube, daß das Ergebnis der Überlegungen eines Soziologen dennoch auch für den, der die Entwicklung der Psychologie als die Entwicklung seines eigenen Gebiets »von innen« kennt, anregend sein kann. Klaus Holzkamps Arbeiten jedenfalls fand ich umgekehrt anregend auch für die Soziologie; und das gilt keineswegs nur für Fragen, bei denen sich von dem Gegenstand her unmittelbar Übergänge zwischen beiden Wissenschaften ergeben. Vielmehr denke ich, daß sein wichtigster Beitrag für die Gesellschaftswissenschaften insgesamt über den Rahmen der Psychologie hinaus bei der Untersuchung der Kategorien liegt. Es ist notwendig, einige Worte zur allgemeinen Entwicklung der Wissenschaften, insbesondere der Wissenschaften, die die menschliche Geschichte und die menschliche Gesellschaft betreffen, zu sagen, bevor es möglich ist, den Beitrag Holzkamps zu benennen. Erst vor dem Hintergrund einer bestimmten, katastrophisch endenden Linie in der Wissenschaftsentwicklung wird Holzkamps über sein eigenes Fach hinausgehende Leistung deutlich erkennbar. Die bürgerliche Wissenschaft beginnt in der Renaissance ihre Erkundungsreisen. Sie beginnt mit dem, was Jacob Burckhardt später die Entdeckung der Welt und des Menschen genannt hat. Die Entdeckung der Welt und des Menschen als eine einheitliche, wenn auch gegliederte Aufgabe, das drückt den neuen und ungeheuren Anspruch aus, der mit der entstehenden bürgerlichen Wissenschaft verbunden ist. Für eine lange Periode, für den Zeitraum bis hinein in das vorige Jahrhundert läßt sich dieser Anspruch bürgerlicher Wissenschaft spüren. Die Beziehung auf die menschliche Gattung, deren Wissenschaft sie ist, stärker 95

bei den Humaniora, aber fühlbar auch bei den Realia ist ein hervorragendes Kennzeichen dieser WissenschaftsaufFassung. Ein zweites Moment ist das Streben nach Universalität. Ohne dies Streben wäre auch der Zusammenhang mancher Wissenschaftszweige mit dem Menschen nur noch rein technisch herzustellen. Der erste Moment, die Beziehung auf den Menschen, und das zweite, die unablässig neuen Anläufe zur Überwindung des Spezialismus, in den die Arbeitsgliederung immer wieder umzuschlagen droht, hängen daher eng miteinander zusammen. Der uomo universale der Renaissance faßt die Wissenschaftsvorstellung als Bildungsvorstellung zusammen. Die Zuwendung zur Wirklichkeit und Wirksamkeit, zum praktischen Leben, das macht das dritte die bürgerlichen Wissenschaften in ihrer Jugendperiode kennzeichnende Moment aus. Der theoretische Eifer und Einsatz läßt diese Beziehung zur menschlichen Praxis in dieser Phase nicht untergehen. Auch dieser Anspruch, der an die Wissenschaften gestellt wurde, hatte seine Entsprechung in einem Anspruch an das Verhalten der Wissenschaftler und Nichtwissenschaftler, »es galt für ungebildet und geschmacklos, über der Theorie die Praxis zu vergessen.«1 Die bürgerlichen Wissenschaften in ihrer Jugendphase werden von diesen drei wesentlichen Momenten gekennzeichnet: Der Tendenz zur Universalität und zur Überwindung der sich immer wieder arbeitsteilig bildenden Spezialismen, der damit verbundenen Tendenz, die Wissenschaften immer wieder auf die Menschen zu beziehen, selbst bei Gebieten, die weit von den Humaniora entfernt sind, und schließlich der wiederum mit diesen beiden verbundenen Tendenz der Beziehung auf menschliche Praxis. Das hat ein Ende im vorigen Jahrhundert. Die bürgerlichen Wissenschaften verlieren den Bezug auf den Menschen: Zwar beschäftigt man sich in mehr als einer mit menschlichen Tätigkeiten, menschlichem Verhalten, menschlichen Ordnungen und Konflikten - aber diese werden als immer abgelöster werdende Gegenstände der Forschung genommen; der Spezialismus triumphiert. Die Beziehung auf die menschliche Praxis wird zerschnitten und taucht am anderen Ende als platte Anwendungsfrage (Was bringt's?) wieder auf. Es ist behauptet und vielfach wiederholt worden, die verbindende Klammer, die die sich arbeitsteilig entwickelnden Wissenschaften untereinander und mit dem Menschen und seiner Praxis zusammenhielt, sei die christlich-theologische Auffassung vom Menschen gewesen.2 Diese Klammer sei dann im neunzehnten Jahrhundert zerbrochen und damit habe auch die Universalität des wissenschaftlichen Anspruchs, der Bezug der Wissenschaften auf den Menschen und menschliche Praxis keine Grundlage mehr gehabt. Auf das erste klingt das einleuchtend. Sieht man jedoch genau hin, stellt man fest: Viele Denker der Traditionslinie der Universalität der Wissenschaft und des systematischen Bezugs der Wissenschaften zum Menschen und seiner 96

Praxis drückten sich zwar (wie könnte es anders sein) in theologischen Formeln aus; sie gehören jedoch inhaltlich gerade in die Geschichte der aufklärerischen Auseinandersetzung mit Religion und Theologie.3 Hier gibt es eine Tradition von dem stolzen Satz des großen arabischen Philosophen des Mittelalters Averroes (Ibn Ruschd), der den Intellectus in allen Menschen als einen und denselben ansieht4 über Giovanni Pico della Mirandola, der im fünfzehnten Jahrhundert nach der Würde des Menschen fragt und die Frage mit dem Hinweis beantwortet, daß der Mensch nicht einer ein für allemal festgelegten göttlich normierten Form entspricht, sondern zu fassen sei als ein sich selbst gestaltender Bildhauer seiner selbst5 bis hin zu dem für die Wissenschaftsentwicklung der Psychologie bedeutsamen Hermann Samuel Reimarus, dem Hamburger Freund Lessings. Die verbindende Klammer der Wissenschaften, die diese auch mit dem Menschen und seiner Praxis verband, lag nicht in christlicher Theologie und Metaphysik. Die Klammer war begründet in der Verbindung bürgerlichen Denkens in seinen Vorformen und Frühformen mit dem Kampf gegen unvernünftige und unvernünftig gewordene Unterdrückung und Herrschaft. Der Bruch in der Entwicklung bürgerlichen Denkens im neunzehnten Jahrhundert hängt damit zusammen, daß die Sache der Befreiung der Unterdrückten und Ausgebeuteten und der Kampf für die Interessen des Bürgertums auseinanderreißen. Sie reißen auseinander, nachdem in den heroischen Phasen der bürgerlichen Revolutionen der Weg für das Großbürgertum von den feudalen Hindernissen und Blockaden freigeräumt wurde, der Weg zur kapitalistischen Umgestaltung der politischen Gesellschaft und zur freien Entfaltung kapitalistischer Ordnung und Herrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung. Bürgerliche Intellektuelle, lange Zeit Mitstreiter auf dem revolutionären Weg des Bürgertums, ja Vorläufer, Vorboten und Wegweiser, können sich in der Etappe nach dem Zeitalter der bürgerlichen Revolutionen anpassen; sie können sich verwandeln in Intellektuelle im Elfenbeinturm und in »Vermieter des Intellekts«.6 Die Auflösung der Klammer unter den Wissenschaften und zwischen den Wissenschaften und der menschlichen Praxis ist dafür eine »innere« Voraussetzung. Es kommt so weit, daß die Abschottungen gegeneinander, die Vernichtung des systematischen Bezugs zur menschlichen Praxis, der Fachidiotismus als elegant und gebildet gelten. Gerade in den Wissenschaften von der Gesellschaft und vom Menschen schlägt dies besonders durch. Im Bereich der Psychologie wird die Parzellierung eine Stufe gesteigert: Psychologie als naturwissenschaftliche und Psychologie als geisteswissenschaftliche Disziplin verselbständigen sich gegeneinander.

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Die Arbeit Klaus Holzkamps ist auf Grund der Wissenschaftssituation in der bürgerlichen Gesellschaft, die den allgemeinen Hintergrund bildete, nicht nur für den Fachgenossen von Interesse. Holzkamp, der mit zunächst wenigen, dann mit einer wachsenden Zahl von Mitstreitern eine neue Grundlegung für die Psychologie zu errichten sucht, hat seine Position »Kritische Psychologie« genannt. Das Subjekt dieser Wissenschaft liegt auf der Grenze zwischen Natur und Gesellschaft. Die Konsequenz kann für Holzkamp nicht die Trennung zwischen der Forschung diesseits und jenseits dieser Linie sein. Seine Folgerung besteht darin, die Lage des Gegenstandes dieser Wissenschaft, diese eigentümliche Lage auf der Grenze zwischen Natur und Gesellschaft selbst zum Forschungsthema zu machen. Kritische Psychologie wird als Subjektwissenschaft verstanden. Gerade das verhindert das Abdriften psychologischer Forschung in die Philosophie und/oder in die Soziologie (was nicht ausschließt, daß einzelne Kritische Psychologen Arbeiten auf den Nachbarfeldern leisten). Eine der Leistungen von Klaus Holzkamp und seinen Freunden war es, die vielleicht einigen Fachgelehrten bekannten, aber dem gebildeten Laien bei uns völlig unbekannten Kontinente der sowjetischen psychologischen Forschung zugänglich zu machen. Vor allem die Arbeiten von Alexejew Nikolajew Leontjew brachten hier besonders wichtige Anstöße für die Entwicklung der Psychologie. Ein Hauptwerk A.N. Leontjews, die Arbeit »Probleme der Entwicklung des Psychischen« wurde von Klaus Holzkamp zusammen mit Volker Schurig 1973 in Frankfurt herausgegeben und eingeleitet. Der einleitende Kommentar weist auf die Bedeutung einer Rezeption A.N. Leontjews für die Analyse der Grundkategorien der Psychologie hin.7 Die Vermittlung der Leistungen der sowjetischen Psychologie ist kein Monopol Klaus Holzkamps und seiner ihm eng verbundenen Kolleginnen und Kollegen geblieben. Es ist aber kein Zufall, daß die Fragestellung Holzkamps angesichts der allgemeinen Wissenschaftssituation in der bürgerlichen Gesellschaft und die »Entdeckung« der sowjetischen Psychologie in die gleiche Richtung drängten. Die Richtung war die Frage nach den Kategorien, die den Gegenstand der Psychologie und seine Eigentümlichkeit erfassen. Die kategoriale Analyse ist nicht ein Vorspiel der wissenschaftlichen Arbeit, das genau so gut auch weggelassen werden kann, sondern der Anfang der Wissenschaft. In diesem Anfang klingen auch schon alle Einzelthemen in ihren Grundstrukturen, die dann empirisch und theoretisch entfaltet werden müssen. Man hat Klaus Holzkamp einen Vorwurf dadurch zu machen gesucht, daß man darauf verwiesen hat, seine Arbeiten enthielten in großen Teilen ein Forschungsprogramm. Als Fachfremdem ist es mir selbstverständlich unmöglich, die Spezialarbeiten, die von Klaus Holzkamp vorgelegt und von 98

ihm angeregt worden sind, in ihrem Wert für die Fortentwicklung der psychologischen Disziplin zu beurteilen. Unübersehbar ist, daß ein Fülle von, so viel ich davon kenne, anregenden Arbeiten auf Einzelgebieten der Psychologie von Holzkamp und seiner Schule stammt. Die Kritische Psychologie ist also nicht bei einem Programm stehen geblieben. Dennoch ist der Eindruck, daß hier vor allem ein Forschungsprogramm vorliegt, nicht falsch. Falsch wäre es, darin einen Mangel zu sehen. Es ist ein Vorzug der Arbeiten von Klaus Holzkamp und der Kritischen Psychologie, erst einmal einen solchen Grundriß entworfen zu haben. Dieser Grundriß zeigt die von Holzkamp entwickelten Kategorien »bei der Arbeit«. Er stellt die nächste Stufe der Entfaltung der Kategorien dar. Die kategoriale Analyse und der derauf aufbauende Grundriß war aber eine zwingende Notwendigkeit angesichts der allgemeinen Wissenschaftssituation in der bürgerlichen Gesellschaft, von der die Psychologie in besonderem Maße betroffen war. Es ist kein Zufall, sagten wir, daß die Fragestellung Holzkamps und die Entdeckung der sowjetischen Psychologie in die gleiche Richtung drängten. Im klassischen, im streitbaren Marxismus ließ sich die in der bürgerlichen Gesellschaft verloren gegangene Vorstellung von der Wissenschaft wieder finden: Die von vorbürgerlicher und bürgerlichen Denkern der kritischen Traditionslinie entwickelte Vorstellung von der Wissenschaft als menschlich, als universell und als praktisch. Diese Vorstellung fand sich im streitbaren Marxismus wieder, allerdings in grundlegend verwandelter Gestalt. Der Bruch in der Entwicklung der Wissenschaften am Ende des Zeitalters der bürgerlichen Revolutionen ist nicht mit Klebstoff zu beseitigen. In den Wissenschaften, die sich mit der Gesellschaft, der Geschichte, dem Menschen beschäftigen, kann niemand so weiter reden, wie vor dem Zeitalter der bürgerlichen Revolutionen. Es ist nicht mehr möglich, sobald man die allgemeinste Ebene verläßt, vom Menschen zu sprechen, ohne die Produktionsverhältnisse zu nennen. Selbst wenn man noch auf der allgemeinsten Ebene bleibt, muß der systematische Platz deutlich werden, an dem von den Produktionsverhältnissen die Rede ist.8 Menschliche Handlungsfähigkeit wird untersucht bis hin zur Untersuchung der subjektiven Handlungsfähigkeit unter den Lebensbedingungen der konkreten Gesellschaftsformation, hier unter den Lebensbedingungen der heutigen bürgerlichen Gesellschaft. Ein Problem liegt darin, daß einerseits die Lage des Forschungsgegenstands auf der Grenzlinie von Natur und Gesellschaft vorausgesetzt werden muß, daß andererseits der systematische Platz schon auf der allerallgemeinsten Ebene deutlich werden muß, an dem von den Produktionsverhältnissen zu sprechen sein wird. 99

Im Mittelpunkt steht bei Holzkamp die Untersuchung des Umschlags der Dominanz des Gesamtprozesses, wenn von Naturgeschichte und Geschichte die Rede ist. Der Weg geht von der Dominanz der phylogenetischen Entwicklung zur Dominanz der gesellschaftlich-geschichtlichen Entwicklung.9 Holzkamp fragt hier nach der naturgeschichtlichen Herausbildung der gesellschaftlichen Natur des Menschen. In der Untersuchung dieses Prozesses und seines dialektischen Umschlags werden die für die Psychologie grundlegenden Kategorien entfaltet. Es ist zu fragen, ob nicht andere Gesellschaftswissenschaften von diesem Vorgehen lernend Wichtiges für ihr Feld gewinnen können. Für die Psychologie hat Holzkamp jedenfalls neue Möglichkeiten wissenschaftlicher Erfahrung erschlossen. Viele Wege wissenschaftlicher Erfahrung waren in diesem Feld durch die Spaltung der bürgerlichen Psychologie in geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Psychologie verschüttet; die Überwindung dieser Spaltung war nur in einem Vorgehen möglich, das Rückgriff und Vorgriff zugleich war. Die psychologische Wissenschaft hat durch Holzkamp wieder einen empirischen Rang gewonnen. Diese Seite ist vielleicht oft weniger sichtbar als der Gewinn an theoretischem Gehalt. Allerdings kann ich an dieser Stelle nicht anders, als in einem Punkt meine Differenz zu einer von Holzkamp und seinen Freunden vertretenen Schlußfolgerung (oder ist sie gar keine wirkliche Schlußfolgerung?) zu vermerken. Es geht um die gängigen Methoden und Techniken empirischer Sozialforschung mit Hilfe der Operationalisierung von Hypothesen, die den Einsatz von Stichprobenuntersuchungen und die statistische Analyse von Beziehungen zwischen als unabhängige und als abhängige begriffene (oder hier erfragte) Variablen zur Weiterentwicklung der vorgängigen Hypothesen erlauben. Es ist gewiß richtig, daß der oft anzutreffende Hochmut, mit der diese Art von Erfahrung als einzig mögliche wissenschaftliche Empirie betrachtet wird, uns ebenso wie Holzkamp oft ein wenig lächerlich vorkommt. Aber ich fürchte Holzkamp war dabei, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Man kann dieser Art Forschung oft zu Recht vorwerfen, daß sie die Bedingungen ihrer konkreten Forschungsfragen zu den Schranken wissenschaftlicher Fragestellung überhaupt hypostasiert; daß diese Hypostasierung zu einer erschreckenden Verarmung an Theorie und Empirie führt. Man kann auch darauf hinweisen, daß unter diesem Vorgehen die Fragestellung stets die nach den Bedingungen ist, unter denen die Subjekte, die man erforscht, etwas tun oder geschehen lassen; man kann auch darauf hinweisen, daß das meist hinausläuft auf die Untersuchung der Wirkung von Bedingungen, die aus dem Blickwinkel des untersuchten Subjekts fremdgesetzt sind. Aber all das erledigt nicht die einfache Tatsache, daß das ein Ausschnitt, und oft ein wichtiger Ausschnitt der Wirklichkeit ist, die hier wissenschaftlich gefaßt, untersucht, bearbeitet wird. 100

Man kann weitergehen und zeigen, daß die Einschränkung auf fremdgesetzte Bedingungen (so wichtig ihre Erforschung ist) nicht in der Logik dieser Art Forschung liegen muß.10 Aber es ist ein grundsätzlicherer Einwand gegen die Holzkampsche Verbotstafel möglich. Holzkamp hat eingehend gezeigt, daß zur gesellschaftlichen Natur des Menschen das bewußte Verhalten zur eigenen Bedürftigkeit gehört.11 Gerade hieraus ergibt sich die reale Möglichkeit, Handlungsfähigkeit als gesamtgesellschaftliche Verfugung über die eigenen Lebensbedingungen zu fassen. Letzten Endes ist es diese Tatsache der menschlichen Natur, die Tatsache des bewußten Verhaltens zur eigenen Bedürftigkeit, die in der Menschheitsgeschichte es später erlaubt, daß forschende Menschen, die den Menschen und die menschliche Gesellschaft untersuchen, einen Standpunkt »außerhalb« einnehmen können. Die Tatsache, daß der Wissenschaftler im Forschungsprozeß insofern »außerhalb« steht, heißt eben gerade nicht, daß er als kleiner Demiurg außerhalb der Solidarität und Kooperation mit seinen Mitarbeitern am Bau einer anderen Welt steht. Die wissenschaftliche Unbefangenheit und Offenheit, die ein so verstandener Standpunkt »außerhalb« während des Untersuchungsprozesses erfordert, ist freilich auf dem Gebiet der Wissenschaften, die einen Bezug zur Gesellschaft haben, in der bürgerlichen Gesellschaft unserer Tage selten anzutreffen. Denn mit der Position der theoretischen Verallgemeinerung der Interessen des Monopolkapitals ist ein Standpunkt »außerhalb« nicht mehr vereinbar. Für die frühbürgerlichen Wissenschaftler paßte die Einnahme eines Standpunkts »außerhalb« im Wissensprozeß und der bürgerliche Interessenstandpunkt noch zueinander. Für die heutige bürgerliche Gesellschaft kann das aus Gründen, die wir eingangs besprochen hatten, nicht mehr gelten. Der Interessenstandpunkt des Monopolkapitals erlaubt bestenfalls einen wissenschaftlichen Standort, der sich in der Soziologie der der »kritischen Immanenz« nennt. Wissenschaftliche Unbefangenheit und wissenschaftliche Freiheit ist heute und hier nur noch mit dem Interesse der Arbeiterklasse (ihrem geschichtlichen Interesse) vereinbar. Das erlaubt auch eine genauere, nicht mehr nur entwerfend-utopische, sondern praktischprokinetische Bestimmung des »außerhalb«: Auf der Grundlage der tatsächlichen, auffindbaren, lebendigen Widersprüche des Heute die reale Möglichkeit eines grundlegend anderen Morgen. Mit dieser Argumentation glaube ich mich dem Holzkampschen Ansatz nicht fern. Fern bin ich aber damit der Verdammung eines Teils unserer möglichen Erfahrung als stets mystifikatorisch im Interesse der Herrschenden.12 Klaus Holzkamp hat durch seine Arbeiten wichtige Erfahrungen aufgeschlossen. Seine Anstöße haben sich in Arbeitern seiner Kolleginnen und Kollegen, seiner Schülerinnen und Schüler von seiner Person abgelöst.13 101

Es ist unvermeidlich, das ist meine Überzeugung, daß auch Psychologen, die durch seine Schule gegangen sind, sich solcher Möglichkeiten wissenschaftlicher Erfahrungen bedienen, die er jetzt noch ausschließen will. In vielen Fragen, die Klaus Holzkamp untersucht hat, gibt es Berührungen mit anderen Gesellschaftswissenschaften. Aber, und das mag auch ein Stück Selbstkritik sein, die Diskussion über die Fachgrenzen hinweg ist noch nicht so recht in Gang gekommen. Ich möchte dies an einem Beispiel verdeutlichen. Holzkamp stellt die Frage, in welcher Form der Verzicht auf die Erweiterung der Verfugung über die eigenen Lebensbedingungen, der Verzicht darauf, erweiterte gemeinsame Handlungsmöglichkeiten zu erkämpfen, subjektiv funktional sein kann.14 Er legt dar, daß die Tätigkeit, die auf Verfügungserweiterung, auf Erweiterung des Handlungsraumes gerichtet ist, in einer antagonistischen Klassengesellschaft mit Bedrohung und Gefahrdung auch des erreichten relativen Niveaus von Handlungsfähigkeit beantwortet wird. Er zeigt, daß sich daraus eine doppelte Möglichkeit ergibt: Einerseits ist es möglich, durch Zusammenschluß, Kooperation, Entwicklung von Gegenmacht die Gefährdung aufzuheben und erfolgreich den Handlungsraum zu erweitern. Das setzt voraus, daß die Möglichkeit unmittelbarer Kooperation, die Entwicklung »intersubjektiver« Beziehungen erfahrbar wird. Auf der anderen Seite ist es möglich, durch Verfolgung der eigenen Partialinteressen, durch Gruppenabschließung, durch Teilhabe an der Machtausübung der in ihrer Macht unangefochtenen Herrschenden unter Vermeidung von Gefahrdung und Bedrohung den eigenen Handlungsraum »nach unten« zu erweitern. Dies setzt voraus, daß die Möglichkeit unmittelbarer Kooperation nicht erfahren wird, daß Beziehungen zu anderen in gleicher Lage entwickelt werden, die auf eine wechselseitige »Instrumentalisierung« hinauslaufen. Holzkamps Auffassung versetzt uns in die Lage, die subjektive Funktionalität sowohl von »intersubjektiven« wie von »instrumentalisierenden« Handlungs- und Anschauungsweisen zu begründen. Es wird einerseits deutlich, wie diejenigen ideologischen Formen, die dem gegenwärtigen Herrschaftssystem funktional entsprechen, auch subjektiv funktional werden können; wie ohne Rückgriff auf Zauberkunststücke angeblicher »Manipulation« durch die Herrschenden erklärt werden kann, daß die gemeinsamen Interessen der hier und heute Unterdrückten, Abhängigen und Ausgebeuteten nicht schon von selbst unmittelbar zum Motor des Massenhandelns werden. Andererseits wird klar, welche allgemeinen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um die gemeinsamen Kräfte produktiv und kämpferisch freizusetzen. 102

Mit dem gleichen Problem habe ich mich seit 1973 immer wieder einmal beschäftigt.15 Für mich stellte sich die Frage so: Wie kommt es, daß die kapitalistische Wirklichkeit sowohl die Elemente und Ansätze von für die Entwicklung von Klassenbewußtsein und Klassenhandeln der Arbeiterklasse hervorbringt, als auch zugleich mit Notwendigkeit einen objektiven Schein produziert, nämlich ideologische Formen und Verhaltensweisen, die die Entwicklung von Klassenhandeln hemmen? Die Antwort fand ich allerdings nicht in der allgemeinen Struktur der antagonistischen Klassengesellschaften überhaupt. Die bürgerliche Klasse im Feudalismus konnte ihre geschichtlichen Interessen durch die Verallgemeinerung ihrer augenblicklichen Daseinsweise durchsetzen. Für das revolutionäre Bürgertum gab es kein notwendigerweise widersprüchliches Bewußtsein und Handeln. In Holzkamps Sprache: Für das revolutionäre Bürgertum fielen intersubjektive und instrumentalisierende Verhaltensweisen nicht als Gegensätze auseinander. Im Unterschied dazu ist für die Arbeiterklasse im Kapitalismus notwendigerweise (notwendig infolge ihrer der Spezifik ihrer Beziehungen zu ihrer augenblicklichen Lage und zu ihren geschichtlichen Interessen16) einerseits objektive Konkurrenz zwischen jedem Lohnarbeiter und den anderen Lohnarbeitern, andererseits objektives Angewiesensein auf Solidarität und gemeinsame Aktion gegeben. Der Widerstreit zwischen der Tendenz zur Konkurrenz und der Tendenz zur Solidarität ist im subjektiven Bewußtsein der Lohnarbeiter nach meiner Auffassung ein notwendigerweise und objektiv produzierter Widerstreit. Insofern und in der Ablehnung der Manipulationstheorien bin ich mit Klaus Holzkamp einig. Aber meiner Ansicht nach findet sich die Grundlage hierfür in der Spezifik der kapitalistischen Gesellschaftsformation; Holzkamp sucht dagegen die Grundlage im Klassenantagonismus überhaupt zu finden. Am konkreten Beispiel zeigen sich die Möglichkeiten und die Notwendigkeit einer Diskussion der von Klaus Holzkamp angesprochenen Fragen über die Fachgrenzen hinweg. Ich möchte zwei weitere Problemkreise, für die eine solche Diskussion notwendig ist (aber wohl noch nicht geführt wurde) wenigstens benennen: Da ist einmal die Frage, ob es prinzipielle (nicht nur tatsächliche) Unterschiede im Maße der Bewußtheit bei den Handelnden nach Gesellschaftsformation und Klassenlage gibt. Es wird die These vertreten, daß nach der Art von Bewußtheit (oder Nicht-Bewußtheit) mit der die Handelnden handeln, sich zwei gegensätzliche Typen gesellschaftlicher Gesetze ausprägen: Solcher Gesetze, die sich für die Handelnden hinterrücks und solcher Gesetze, die sich gerade aus den Notwendigkeiten gemeinsamer Planung ergeben. Wie läßt sich dies mit Holzkamps Arbeiten verbinden? Da ist zum anderen die Frage, wie sich die Tatsache der gesellschaftlichen Natur des Menschen mit der Tatsache, daß die menschliche Geschichte 103

zugleich »gerichtet« und zugleich »nach vorne offen« ist, zusammenfugt. Auf der Seite der Subjektwissenschaft ist auch zu dieser Frage möglicherweise ein Beitrag, der für den historischen Materialismus insgesamt bedeutsam ist, zu erwarten. Es zeigt sich, daß wir alle (das muß ich selbstkritisch sagen) noch zu wenig die Fragen wahrnehmen, die jenseits unserer eigenen Fächer gestellt werden, noch zu wenig wissenschaftliche Erfahrungen über die Fachgrenzen hinweg austauschen, und das trotz Klaus Holzkamps bahnbrechender Versuche, den Spezialismus der Disziplinen zu überwinden. Klaus Holzkamp hat den Kampf gegen den Spezialismus der Fächer auf Grund der Lage seines eigenen Faches aufgenommen. Der Fachidiotismus hatte in der Psychologie eine ungewöhnliche Steigerung dadurch erfahren, daß sich die »geisteswissenschaftliche« und die »naturwissenschaftliche Psychologie« gegeneinander verselbständigt hatten. Holzkamp, der hier ansetzte, die Lage des Forschungsgegenstandes, des Subjekts auf der Grenze von Naturgeschichte und Gesellschaftsgeschichte selbst zum Thema zu machen, hat folgerichtig vor allem kategoriale Untersuchungen vorgelegt, die sich als theoretisch wie empirisch gleichermaßen ertragreich erwiesen. Er steht damit in einer Traditionslinie, die in der Geschichte der Wissenschaften durch die Beziehung auf die Menschen, das Streben nach Universalität und den Bezug zur menschlichen Praxis gekennzeichnet ist. In diese jahrhundertalte Traditionslinie konnte Holzkamp sich heute nur dadurch stellen, daß er seine Fragestellung auf dem Boden der marxistischen Theorie entwickelte. Daraus ergeben sich Möglichkeiten, seine Anregungen für die Arbeit und Weiterarbeit in marxistischen Gesellschaftswissenschaften anderer Fachrichtungen zu nutzen, aufzugreifen, zu diskutieren. Ich nehme an, eine solche Ehrung wäre am meisten im Sinne des Gelehrten.

Anmerkungen 1 Helmuth Plessner, Groninger Antrittsvorlesung 1936. In: Zwischen Philosophie und Gesellschaft Bern 1958. 117 f. 2 Wilhelm Dilthey: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Leipzig 1883. S. 453 3 Bloch hat versucht, diese Tradition zu verfolgen und hat sie die »Aristotelische Linke« genannt. (Ernst Bloch: Avicenna und die Aristotelische Linke. Frankfurt 1963) Klarer hat Ley vermocht, die dialektische Entwicklung dieser Grundlinie

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zu entfalten. Hermann Ley: Geschichte der Aufklärung und des Atheismus, bisher 5 Bde. Berlin 1966 ff. Der Satz, quod intellectus omnium hominum est unus et idem numero, gehört nicht zufallig an erster Stelle zu den 1270 von der Kirche verurteilten Thesen. Vgl. Heinrich Suso Denifle, A. Chatelain (Ed.): Chartularium Universitatis Parisiensis. T. 1. Paris 1889. p. 487 Giovanni Pico della Mirandola: Über die Würde des Menschen. Fribourg. Frankfurt. Wien. o.J. Ein drohendes Inquisitionsverfahren gegen den Grafen della Mirandola wurde von Lorenzo de Medici verhindert. Bertolt Brecht: Der Tui-Roman. 1973. S. 29 Vgl. auch Klaus Holzkamp: Grundlegung der Psychologie. Frankfurt 1983, S. 46 ff. Holzkamp, S. 356 ff. Holzkamp, S. 159 ff., S. 185 ff. Vgl. dazu meine Beiträge in Marxistische Studien 1 (Jahrbuch des IMSF 1978), 273 ff. (291) und Marxistische Studien 2, Jahrbuch des IMSF 1979, 370 ff. (274) Aufschlußreich sind die Beziehungen zur »Außermittigkeit« von Seve (Luden Seve: Marxismus und Theorie der Persönlichkeit. Frankfurt 1972. S. 156) und zur »Exzentrizität« von Plessner (Helmuth Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Berlin 1928(bzw.2.A. 1965bzw.3.A. 1975) S. 288 ff.,291 ff.,309 ff.) Holzkamp S. 530 f. Man denke nur an die Reihen »Texte zur Kritischen Psychologie« (Frankfurt), »Studien zur Kritischen Psychologie« (Köln), »Forum Kritische Psychologie« (Westberlin) Dazu und zum folgenden: Holzkamp S. 370-376 Vgl.: IMSF (Hrsg.): Klassenstruktur und Klassenbewußtsein in der BRD. Frankfurt 1974. S. 48. IMSF (Hrsg.): Arbeiterjugend - Bewußtsein und Aktion. Dortmund 1976. S.20f., 27 f.J.H.v. Heiseler: Jugendliche im Großbetrieb. Frankfurt 1978. S. 225 ff. Marxistische Studien 2. Jahrbuch des IMSF 1979. S. 370 ff. Luc van Langenhove et alii (Ed.): Individual Persons and Their Actions: Brüssel 1986. p. 291 ss. Die geschichtliche Befreiung der Arbeiterklasse kann eben nicht in der Verallgemeinerung der Daseinsweisen bestehen, die sie im Kapitalismus hat. Darin liegt die Schwierigkeit jeder sozialistischen Revolution verglichen mit früheren Revolutionen. Darin liegt aber auch ihre Neuartigkeit und ihre einzigartige weltgeschichtliche Chance.

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Die nomologische Psychologie und das intentionale Denkmuster* Theo Herrmann

1) Reflexion ist angesagt. Wir haben seit den Siebzigern sogar eine »reflexive Wende« (Zimmerli) - und wasfindenwir beim Reflektieren? Wir finden uns, das (reflexive) Subjekt, das Individuum, den Handelnden, und auch die Intentionalität, die Konstitution von Wirklichkeit, unsere Selbstentfaltung, die Autonomie, die Verantwortlichkeit, die Authentizität und vieles andere, was die Freunde der gegenwärtigen Verhältnisse ebenso erfreut wie ihre Gegner und Verächter. Natürlich gibt es bei alledem wesentliche Unterschiede. Die einen sonnen sich wohlgemut im als unangreifbar verstandenen Persönlichen, die anderen verstecken sich verschreckt in »privacy« und wieder andere haben es mit der Dialektik von Individuum und Gesellschaft. Alle aber - die aktiven Alternativen, die Passiven, die Angepaßten und die Vorwärtstreiber des Bestehenden - sind zumindest sehr gern Handlungssubjekte mit einem Schuß beglückt zur Kenntnis genommener oder aber durch äußere und innere Umstände bedroht geglaubter Autonomie, Freiheit und Authentizität. Über alle ideologischen Gräben hinweg sind wir - mit wenigen Ausnahmen - wenigstens im Denkmuster des intentionalen Subjekts vereint. Uns (auch) als jemanden zu verstehen, der als Akteur/Subjekt »wissentlich und willentlich« handelt, der in begrenztem Maße immer auch anders wollen kann und somit - und wenn auch nur aus Einsicht in die Notwendigkeit - frei ist oder doch frei sein könnte, ist ein Interpretationsschema von ehrwürdigem Alter. Es ist das dominante alltagspsychologische Muster der Fremd- und Selbsterkenntnis. Die »reflexive Wende« kennzeichnet nur eine zeitbedingte Hochstilisierung des Ubiquitären (Herrmann, 1985, 1986). Wahrscheinlich haben viele von uns die akzentuierte Besinnung auf Subjektivität heute in hohem Maße nötig, und immer mehr Leute haben von

* Klaus Holzkamp mit guten Wünschen zum 60. Geburtstag

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anderen Leuten, die Bücher lesen und gut argumentieren können, gelernt, das zuvor Selbstverständliche in unterschiedlichster Weise zu bereden. Es wäre doch wohl seltsam, wenn das auf das in Grenzen autonome Subjekt bezogene Denkmuster - ganz »undialektisch« - lediglich deshalb bestünde, weil eben der Mensch ein autonomes Subjekt ist. Wir sollten fragen: Wozu brauchen wir dieses Denkmuster? Wofür ist es funktional? Weshalb hat es sich eingebürgert? Ich werde einen, wie ich betone: partiellen Antwortvorschlag (neben anderen möglichen Deutungen) dazu benutzen, um ein Grundproblem der nomologischen Psychologie zu explizieren. 2) Ferdinand Tönnies - soll ich den Verfasser von »Gemeinschaft und Gesellschaft« (1887), trotz dessen freundlicher Bezugnahmen auf Marx, in diesem Band zitieren? - berichtet in seiner Preisschrift »Philosophische Terminologie in psychologisch-soziologischer Ansicht« (1906, S. 75 f.) von einer Begebenheit beim 3. Internationalen Kongreß für Psychologie in München (1896). Der Kgl. bayerische Staatsminister des Inneren, für Kirchen- und Schulangelegenheiten verwies dort auf die Gefahr, die von »gewissen psychologischen Lehren« für das »öffentliche Leben der Kulturvölker« ausgehe, und drückte die Hoffnung aus, daß auch die Psychologen-Kongresse »... den alten Glauben an die Verantwortlichkeit des Menschen für seine Handlungen nicht erschüttern, sondern festigen werden.« Tönnies (1906, S. 76) kommentiert dies wie folgt: »Man denke sich einen Kongreß von Astronomen, dem ans Herz gelegt und die Zuversicht ausgesprochen würde, daß er die altehrwürdige Lehre von den Cycloiden und den überlieferten Glauben an die Bewegung der Sonne um die Erde, nicht erschüttern, sondern festigen werde Und doch wären vor nur 300 Jahren solche Reden durchaus möglich, ja, wenn astronomische Kongresse stattgefunden hätten, so wären sie unvermeidlich gewesen.« Gegen die Auffassungen des Verfassers der »Philosophischen Terminologie« habe ich manche Einwände, meine aber, daß er mit seinem Kommentar soweit nicht unrecht hat: Etwa im Elisabethanischen Zeitalter (Tillyard, 1968) wäre es den Teilnehmern eines Astronomen-Kongresses von der jeweiligen Obrigkeit wohl sogar mehr als nur »ans Herz gelegt« worden, den alten Glauben an den Geozentrismus unangetastet zu lassen. Und ein damaliger Psychologen-Kongreß hätte durchaus damit rechnen müssen, gemahnt zu werden, die ehrwürdige Lehre von den Körpersäften (Blut, Schleim, gelbe Galle, schwarze Galle) und deren optimaler Verteilung, welche uns körperliche und seelische Gesundheit verheißt, unangetastet zu lassen. (Daß zum Beispiel ein Übermaß an gelber Galle die Neigung zum cholerischen Aufbrausen hinreichend erklärt, war bei den damaligen »Kulturvölkern« eine kollektive Selbstverständlichkeit.) 107

So betrachtet, hat sich für die Astronomen und fur die Psychologen innerhalb der letzten 300 Jahre gewiß einiges verändert. Zum anderen aber weiß jeder, der die Grußadressen von Politikern an Psychologen-Kongresse kennt, daß auch heutzutage, schon beim nächsten Kongreß, durchaus damit zu rechnen ist, daß die Mahnung eines »bayerischen Staatsministers« oder irgendeines anderen politischen Würdenträgers, irgendwo in Ost und West, ähnlich ausfällt wie diejenige von 1896. Vielleicht geht es dabei wiederum um die Verantwortlichkeit des Menschen für seine Handlungen, der »gewisse psychologische Lehren« nicht hinreichend Rechnung tragen. Oder es geht vielleicht um andere Gravamina, wie etwa um die Gefahr, die von der Psychologenvorstellung ausgeht, der Mensch sei »meßbar«. Oder die dialektische Einheit von X und Y oder die Rolle, die die Psychologie beim »Aufbau des Sozialismus« einzunehmen hat, werde nicht hinreichend beachtet. Usf. 3) Die Mahnungen, die der psychologischen Wissenschaft in unterschiedlichen historischen Augenblicken zuteil werden, sind Abbilder der jeweiligen disparaten gesellschaftlichen Verhältnisse, wie auch die psychologische Wissenschaft selbst einen recht diffizilen Abbildcharakter hat. (Auch die Kritische Psychologie und nicht zuletzt Klaus Holzkamps Arbeiten sind ohne große Schwierigkeiten als insoweit kontextabhängig zu erkennen.) Und die Reaktionen von Psychologen und anderen Wissenschaftlern auf die Hoffnungen, Mahnungen und Forderungen, die in jedem historischen Augenblick an sie gerichtet werden, sind selbst wiederum im besagten Sinne kontextabhängig. Das alles zusammen ergibt ein außerordentliches komplexes Netzwerk von Einflüssen und Interaktionen, denen die fachbezogene Geschichtsschreibung noch längst nicht gerecht geworden ist. Die variable Nachdrücklichkeit - von der freundlichen Mahnung bis zu brutalen Zwangsmaßnahmen - mit der die Psychologie und ihre Arbeitsresultate an das (wie jener Staatsminister sich im Jahr 1896 ausdrückte) »öffentliche Leben der Kulturvölker« angeschlossen werden sollen, ist ersichtlich in erster Linie eine Frage der politischen Verhältnisse: In Rumänien ist die wissenschaftliche Institution der Psychologie aus ideologischen Gründen vor einigen Jahren fast ganz vernichtet worden. In so manchem College der USA, aber auch in den Psychologischen Instituten der DDR sind den Studierenden nicht alle Erkenntnisresultate der Psychologie frei zugänglich. Usf. Auch so mancher milde Hinweis hierzulande geriete wohl sogleich zur harten Sanktion, wenn einige Vertreter unserer diversen Machteliten so könnten, wie sie wollen. (Doch die Verhältnisse, die sind nicht so: Auch diese Festschrift für Klaus Holzkamp kann so erscheinen, wie sie ist.) Immerhin muß die Psychologie in ihren verschiedenen Facetten, nicht nur eigenwillige Entwicklungen von der Art der Kritischen Psychologie, 108

sondern auch der manchem so harmlos erscheinende »Hauptstrom« unserer Wissenschaft, stets damit rechnen, am Maße sozusagen des gesunden Volksempfindens, an den herrschenden Meinungen und daran gemessen zu werden, wie diese herrschende Meinung von den jeweils Einflußreichen zum Teil erzeugt und zum Teil artikuliert wird. Freilich wird mir mancher Leser gerade dieses Bandes vorhalten, daß ich wieder einmal alles in einen Topf werfe: Die Kontrolle der Wissenschaft durch die »Gesellschaft« sei doch unter bürgerlichen Bedingungen ganz anders als unter sozialistischen (- oder dergleichen). Es fragt sich nur, was hierbei »anders« bedeutet. Und ich meine auch, daß es (auch) ubiquitäre Probleme gibt, die die wissenschaftliche Psychologie mit ihrem »gesellschaftlichen Kontext« hat. Ich beziehe mich dabei im folgenden ausschließlich auf psychologische Forschungsprogramme, die Daten erheben, experimentell arbeiten, deren Proponenten theoretisch begründete Verhaltensvorhersagen treffen wollen, die - grob gesprochen - wissen wollen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten der Mensch funktioniert. Und dies charakterisiert zumindest den derzeitigen wissenschaftlichen Mainstream der Psychologie von Klix über Bruner und Heckhausen bis zu Tversky. (Ob meine Überlegungen insofern für die Kritische Psychologie von Belang sind, lasse ich hier unentschieden.) 4) Kommen wir aufjenen Staatsminister im Fin de siecle zurück. Diesem lag es am Herzen, die wissenschaftliche Psychologie möge doch bitte nicht den Glauben an die Verantwortlichkeit des Menschen für seine Handlungen erschüttern. Tönnies vermerkt dazu (1906, S. 76), es gehe beim Reden von der Verantwortlichkeit meist um das »Verantwortlich-Machen«. Das menschliche Zusammenleben in Gesellschaften erfordert die Handlungsnormierung und die Sanktionierbarkeit von Normabweichungen. Und seit den griechischen Stadtstaaten und davor gibt es juridische Systeme, die die Aufrechterhaltung von Verhaltensnormierungen unter dem Schema einklagen, daß der Mensch »wissentlich und willentlich« zu handeln in der Lage ist. Unser traditionelles Rechts- und Sittensystem bräche zusammen, wenn man Menschen nicht mehr für ihr Wollen und Handeln verantwortlich machen könnte, weil die Wissentlichkeit und Willentlichkeit dieses Handeln als unverbrüchliche kollektive Selbstverständlichkeit nicht mehr voraussetzbar wären. Unsere Rechts- und Sittentradition braucht den Glauben daran, daß Menschen Willensalternativen haben, zwischen denen sie frei wählen können, daß sie also Subjekte sind, die etwas wissen und wollen können und deren Handeln mit ihrem Wissen und partiell freien Wollen begründbar und zu rechtfertigen ist. Man nennt dieses Denkmuster auch das Voraussetzen von Intentionalität. (Vgl. auch Stich, 1983.) Die Wissentlichkeit und die Willentlichkeit des Handlungssubjekts, die die »Ordnungshüter« jeder Art zu 109

ihrer Geschäftsgrundlage gemacht haben, wäre zum Beispiel nicht als Denkmuster beizubehalten, wenn Einvernehmen darüber hergestellt würde, daß der Mensch nichts als eine »Maschine« sei. Gerade wer auf Recht und Ordnung aus ist, ist so der natürliche Feind des »L'homme machine« (vgl. La Mettrie, 1747/1984). Nehmen wir an, der Mensch könne »in Wahrheit« nie außerhalb kausaler Bestimmtheit und in diesem Sinne nie frei wollen und handeln, er funktioniere tatsächlich lediglich in vollständiger kausaler Determination; dann müßten die Garanten von Recht und Ordnung die somit vorliegende Fiktion der partiellen Indeterminiertheit dennoch mit allen Mitteln aufrechterhalten, um den Menschen im tradierten Sinne verantwortlich machen zu können. Die »Willensfreiheitsproblematik« ist gewiß außerordentlich komplex. Eine hinreichende Explikation der Klasse von vorliegenden, untereinander sehr verschiedenen Interpretationsvarianten, soweit diese für die Psychologie einschlägig sind, muß hier unterbleiben. Ich beziehe mich im gegenwärtigen Zusammenhang lediglich auf die folgende Version: Das Wollen von menschlichen Subjekten ist frei bzw. indeterminiert, insofern diese Subjekte nach ihrer ontologischen Verfassung so zwischen Wollens- und Handlungsalternativen wählen (können), daß diese Wahl nicht restlos durch Naturtatsachen bedingt ist; das jeweilige Ergebnis des Wollens ist nicht vollständig von Naturtatsachen abhängig, welche das Wollen mitbestimmen. Danach ist das theoretische Schema der (durchgängigen) Kausalität und der (deterministischen und statistischen) Naturgesetze auf diese Sachverhalte nicht anwendbar. Nicht nur aus Gründen begrenzter menschlicher Erkenntnis ist das insofern freie - Wollen und Handeln nicht (auch nicht lediglich statistisch) vorhersagbar. Es erscheint mir im gegenwärtigen Zusammenhang unerheblich, daß ich mir eine auch nur partielle Entbindung des menschlichen Wollens und Handelns von der kausalen Determination (und damit vom Grundsatz nomologischer Erklärbarkeit (s. auch unten)) nicht vorstellen kann. Ich weiß auch nicht, ob ein Rechtssystem denkbar ist, das unter einem radikalen L'homme machine-Modell funktioniert. Unsere traditionellen Rechts- und Sittensysteme jedenfalls arbeiten nun einmal mit dem Denkmuster der Subjektivität und Intentionalität, das zumindest für soviel Indeterminiertheit Raum läßt, daß man den Normabweichler zur Verantwortung ziehen kann. Darin sind sich, soviel ich sehe, fast alle sich sonst leidenschaftlich bekämpfenden Weltbildbauer einig. - Eine Erweiterung dieser Überlegungen auf Religion, Theologie und Kirche muß ich hier aus Raumgründen unterlassen. Übrigens gibt Immanuel Kants »Kritik der praktischen Vernunft« (1788) ein berühmtes Beispiel dafür, wie die menschliche Willensfreiheit ohne eine direkte Bezugnahme auf die kollektiven Sanktionsbedürfnisse in Gesellschaf110

ten philosophisch begründet wird: Die individuelle Sittlichkeit als das Handeln nach »selbstgegebenen« Maximen verlangt als ihre Voraussetzung ein »freies Wollen«, das nicht nach dem Schema der Kausalität bestimmt ist. Dabei ist diese Willensfreiheit kein Gegenstand des (theoretischen) Wissens, sondern eines Glaubens, der indes allgemein und notwendig ist. Willensfreiheit ist eine notwendige »regulative Idee«, ein »Postulat«. 5) Es kann ersichtlich nicht in Frage gestellt werden, daß das Denk- und Redemuster der Intentionalität und insbesondere der intentionalen Handlungsbegründung seit jeher eine kaum einmal hinterfragte Alltäglichkeit ist: »Warum ist Fritz aus dem Fenster gesprungen? - Er wußte, daß er nur so den Raum verlassen konnte, und er wollte hinaus.« Mit Erklärungen dieser Art agiert jeder von uns ständig. Auch die indogermanischen Sprachsysteme stellen so etwas wie die Versteinerung solcher Denk- und Redemuster dar; der Akteur, das Handeln und das Handlungsobjekt spiegeln sich in der Syntax unserer einfachen Deklarativsätze wider. Freilich argumentieren wir, wenn wir das Verhalten und Erleben von Menschen begründen wollen, auch im Sinne von Handlungsmustern wie: »Warum hast du das nicht gesagt? - Es fiel mir nicht ein.« Ebenso basal wie unsere Selbstinterpretation als Handlungssubjekt ist unsere Alltagsvorstellung, daß uns Psychisches widerfahrt, daß wir - im mythologischen Bilde gesprochen - nicht nur der Reiter sind, sondern auch das Roß, das wir reiten. Trotz dieser Relativierung (vgl. auch Herrmann, 1986) muß aber beachtet werden, daß sich die erörterte gesellschaftliche Funktionalität des Intentionalen mit dessen unproblematischer Alltäglichkeit verschwistert. Es ist gerade das subjekt- und handlungsbezogene Reden und Denken, nicht aber das Denk- und Redemuster der Widerfahrnisse und des Funktionierens, das u.a. für juridische Zwecke beständig instrumentalisiert wird. 6) Die nomologische Psychologie - und das ist zur Zeit ihr Hauptstrom bemüht sich, in der Regel probabilistische und ganz selten i.e.S. deterministische Kausalerklärungen des beobachtbaren menschlichen Verhaltens zu finden (s. unten). Die potentielle Gefahr, die von diesem Unternehmen für die gesellschaftliche Sicherung der Sanktionierbarkeit bei individuellen Normabweichungen ausgeht, hat jener »bayerische Staatsminister« schon damals schlau erkannt. Dabei war die Lage seinerzeit noch nicht so ernst wie heute: Die Wundtsche Psychologie (vgl. 1896, S. 14 ff., S. 246 ff.) und andere damalige Psychologen-Schulen (vgl. etwa v. Meinong, 1894) beschränkten ihre mechanistisch-deterministischen Vorstellungen fast ganz auf das »niedere Seelenleben« von der Art der Empfindungen, der »elementaren« Gefühle und der Motorik. Die Vorgänge im »Bewußtsein«, vor allem aber alle Willensentscheidungen, waren für Wundt echte »Wahlhandlungen«, für 111

deren Erklärung er sich die Reduktion auf eine »psychische Mechanik« streng verbat. Sein psychologisches Modell vom Menschen kann als ein mechanismengestützter Voluntarismus bezeichnet werden. Ernste Schwierigkeiten ergaben (und ergeben!) sich in meiner Sicht, wenn man den Menschen einerseits als nach Naturgesetzen funktionierendes System und ihn andererseits zugleich als ein in Grenzen freies Handlungssubjekt verstehen will - und dies in homogener Begrifflichkeit, wie sie nach meinem Dafürhalten einer guten wissenschaftlichen Theoriebildung entspricht. Auch Wundt ist insofern letztlich gescheitert (Herrmann, 1986). Immerhin konnte er sein theoretisches System noch recht gut mit dem alltäglichen Denkmuster der individuellen Verantwortlichkeit für das eigene Handeln vermitteln. Bekanntlich änderte sich dies in der Epoche des Behaviorismus. Und auch das heutige Zeitalter des psychologischen Kognitivismus, der Kognitiven Wissenschaft und auch der Neuropsychologic würde unseren »bayerischen Staatsminister« in tiefe Unruhe stürzen. Etwa Paul Churchland (1981) rät den Humanwissenschaftlern, alles Intentionale als bloßes Relikt einer obsoleten »Volkspsychologie« aus ihren Theoriebildungen zu verbannen. Eine Psychologie, die mit den (übrigen!) Naturwissenschaften erfolgreich konkurrieren kann, hat keinen Platz für das in Grenzen frei entscheidende Subjekt. Es ist schon so, daß die Forschungstradition, nach der man das Verhalten des Menschen kausal aus gegebenen Bedingungen vorhersagen will, aus Gründen der Widerspruchsfreiheit nicht zugleich ohne Schwierigkeiten deklarieren kann, der Mensch sei ein Handelnder, und er sei - wenn auch nur tentativ in seinem Wollen und Handeln frei und somit auch umorhersagbar, Soll der Handelnde aber nicht in dieser Art als frei beurteilt werden, so steht es mit der Möglichkeit schlecht, zugleich das Denkmuster zu verwenden, er sei für sein Verhalten verantwortlich, und er sei dafür verantwortlich zu machen. 7) Die »bloß« probabilistischen Bedingungs-Verhaltenszusammenhänge, die man in psychologischen Arbeiten zu finden pflegt, so zu interpretieren, daß im nicht aufgeklärten Varianzrest das Surplus der individuellen Willens- und Handlungsfreiheit liege, ist ersichtlich inakzeptabel (vgl. auch Groeben, 1986, S. 305 ff.). Soweit man sagt, daß der Mensch nach »bloßen« Wahrscheinlichkeitsgesetzen funktioniert, so wie auch andere Naturphänomene lediglich stochastisch determiniert sein können, impliziert dies keineswegs per se die Möglichkeit, ihn als einen in Grenzen frei Handelnden zu begreifen. (Auch die oft zitierten Elementarteilchen sind derart keine Subjekte, die über ihr Handeln frei bestimmen.) Und psychologische Handlungstheorien, die zum Beispiel das singuläre Tun aus dem jeweiligen Wissen und aus Zielsetzungen erklären und vorhersagen wollen, bleiben Unternehmungen, die de facto nach dem nomologischen Grundsatz der Naturerklärung 112

arbeiten. Auch ihre empirischen Vorhersagen setzen zumindest eine stochastische Determination voraus. Falls gilt: »Das Handlungsereignis X tritt ein, nur wenn das Wollensereignis (oder auch das >ZielKenntnis des Mittelskritisch< gegenüber der bürgerlichen Psychologie, sie verhält sich auch > kritisch gegenüber den Forschungsgegenständen der Psychologie, indem sie diese in ihrer historischen Bestimmtheit durch die bürgerliche Gesellschaft erneut aufgreift« (SE 47). Das Wörtchen »kritisch« wird gänsefüßchenförmig entschärft; Klasseninteressen und -herrschaft, kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung werden eher zurückhaltend durch »die bürgerliche Gesellschaft« ersetzt. Was ist passiert? Aus einer Bewegung, an der viele Psychologen Studenten, Hochschullehrer, Praktiker - mit vielen unterschiedlichen Ideen, Vorstellungen, Meinungen und Zielen beteiligt waren, klinkte sich die Kps aus und begann, ihre »kritisch-psychologische Forschung... als eine Schule oder Richtung der Psychologie anzusehen, die in Konkurrenz mit anderen psychologischen Grundauffassungen ihren größeren wissenschaftlichen Wert aufzuweisen bestrebt ist« (SE 15). Mit dieser »Schulengründung« verband 164

sich »eine angemessene Kritik der bestehenden Psychologie«, die »gleichbedeutend mit ihrer Weiterentwicklung als Wissenschaft« ist - es geht um Aufweis ihres »mangelnden Erkenntniswertes« und darum, daß »der relative Erkenntnisgehalt der überwundenen Positionen differenziert bestimmt und in den neuen wissenschaftlichen Konzeptionen bewahrt werden« kann (SE 15). Die Kps hat ihre kritische Substanz zugedeckt und sich auf das Spiel »wer ist der bessere Zar« eingelassen. Ihre Analyse der konkreten Situation vernachlässigt die Tatsache, daß traditionelle Psychologie herrschende ist, im doppelten Sinne: Sie beherrscht das Feld der Psychologie und sie ist Ausdruck und Teil herrschender Interessen. Wer die Aufforderung an traditionelle Psychologen liest, sie sollten sich doch endlich »neue Sichtweisen aneignen und einen Lernprozeß durchmachen« (EF 82), dem stellen sich drängende Fragen: Wo ist das Wissen um den weltanschaulich-prinzipiellen Widerspruch zwischen traditioneller und kritischer Psychologie geblieben? Wo die Gewißheit, daß sie als behavioristische und positivistische Wissenschaft affirmativ und bürgerlich ist? Daß sie Ausdruck idealistischer, also die objektiv-materiellen Grundlagen menschlicher Existenz leugnender Vorstellung von Welt und Mensch ist? Wohin hat sich die Einsicht verflüchtigt, daß diese traditionelle Wissenschaft dienstbar und ihre Vertreter klassengebundene »Techniker praktischen Wissens« (Gramsci) sind? Und wohin die Erfahrung, daß kein Vertreter herrschender Klassen, sei er Kapitalist, Politiker oder Wissenschaftler, per Appell oder Aufklärung dazu zu bringen ist, herrschaftliche Positionen aufzugeben? Die Kritische Psychologie hat sich der traditionellen Psychologie angeboten. Um ihr weiterhin mit gründlicher Kritik zu begegnen wäre es hilfreich gewesen, Analysen zur gesellschaftlichen Funktion der Intellektuellen, die sie als »Zustimmungsfunktionäre«, »Befriedungsverbrecher« und Planer von »Entmündigungs- und Domestizierungsprojekten« mit »Definitionsgewalt und Kontrollkompetenz« (Basaglia 1975, 15, 20) ausweisen, aufzugreifen. Ihre Distanz zur wissenschafts-kritischen Bewegung, deren Vertreter, etwa Chomsky (1969), Jervis (1969), Fanon (1969), aber auch Brückner (1983) und viele andere, zumindest das konsequente Denken zu bewahren suchten, wenn die politische Aktion schon nicht zum Erfolg führte, hat dazu beigetragen, daß Kps ihren eigenen Anspruch »links liegen gelassen« hat. Während sie ursprünglich den »Schein einer neutralen Wissenschaft notwendigerweise und radikal« aufgeben (KPs 119) und psychologisches Wissen als »Waffe der Kritik« auch anwenden wollte, stehen »Kritik und Selbstkritik« (KPs 119) später im Hintergrund; die Einsicht, daß »wirkliche Gesellschaftserkenntnis immer auch Selbsterkenntnis impliziert und umgekehrt« (SE 369) verflüchtigt sich zu einem Anspruch, dessen Einlösung nicht mehr dringlich zu sein scheint. »Kritisch-emanzipatorische Psychologie hat sich . . . - in der Anwendung der ihr eigenen kritisch-historischen Methode 165

permanent in ihrer Authentizität in Frage zu stellen« (KPs 122), hieß es programmatisch, sie ist »permanent auf ihre Entstehungsbedingungen innerhalb der bürgerlichen Klassengesellschaft hin zu reflektieren« (KPs 121). Nach der Wende hin zur besseren traditionellen Psychologie ist dieser Reflexionsprozeß ruhiggestellt worden. Als Folge ihres »Gleichschritts« forscht KPs nicht länger nach der eigenen »Verhaftetheit in Klasseninteressen«, sondern beschwert sich bei der traditionellen Psychologie »über ein vermeintliches Vorwissen . . . über unsere Grundauffassungen und Methoden«, denn »unsere wirkliche Argumentations- und Vorgehensweise fallt dabei praktisch restlos heraus. Ich wäre sehr froh darüber, wenn . . . man die Konzeptionen und Resultate der Kritischen Psychologie genau zur Kenntnis nehmen« würde (EF 82). Selbst die »schlecht gerechnet 2600 Druckseiten« sind als Argument gut genug, um die traditionellen Psychologen aufzufordern, doch endlich die Kritische als die bessere traditionelle Psychologie, als ihre »Weiterentwicklung« anzuerkennen. Nein, die Kritik ist auf den Hund gekommen, keine Frage, wenn das eigene Froh-Sein von anderen erbeten und nicht durch das »Gefecht« mit ihnen erreicht wird. Aus Kritischer Psychologie ist dort, wo sie sich mit dem menschlichen Individuum befaßt, »Subjektwissenschaft« als kritischer Ansatz einer historisch-materialistischen Psychologie geworden, auf dem künftige Psychologie aufbauen kann. Es handelt sich um ein sehr komplexes und theoretisch reichhaltiges, an Leontjews Theorie der »Entwicklung des Psychischen« orientiertes allgemeines Modell des menschlichen Subjekts, das gelegentlich auch historisch-konkret auf das hier und heute lebende Individuum bezogen wird. Dem Verständnis des subjektwissenschaftlichen Menschenbildes soll die Zusammenstellung einiger pointierter Formulierungen dienen. Grob vereinfacht ist der Zusammenhang zwischen objektiven Lebensbedingungen, »Zustand des Organismus/Individuums« und menschlicher Tätigkeit »eine aus evolutionären Prozessen hervorgegangene und sich mit diesen verändernde objektive Gesetzmäßigkeit« (G98). In der organismisch/individuellen Aktivität werden die »Welteigenschaften . . . im Organismus funktional widergespiegelt«, vor allem wenn sie »zu objektiven Lebensbedingungen im Sinne von Überlebensbedingungen« geworden sind (BT 14). Die objektive Gesetzmäßigkeit der aktiven funktionalen Widerspiegelung ist, menschlich gesehen, »Optimierung des Verhältnisses zwischen dem Individuum und seinen historisch bestimmten Lebensbedingungen«, die sich als Ergebnis der »funktional-historischen Analyse«, der subjektwissenschaftlichen Theoriebildungsmethode, herauskristallisiert hat (BT 94). Optimierung in diesem Sinne führt zur »subjektiven Handlungsfähigkeit«, die wiederum, als »bewußtes Verhalten zur gesellschaftlichen Realität« verstanden, aus dem Individuum ein »individuelles Subjekt« werden läßt (ME 53). 166

Das begrifflich-objektiv eingekreiste Subjekt tritt bis dahin selbst noch nicht in Erscheinung, doch findet in der »Kategorie der subjektiven Handlungsgründe als Vermittlungsebene zwischen gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten . . . und individueller Subjektivität« eine weitere Annäherung statt: Für den Subjektwissenschaftler ist mit ihr »der psychische Aspekt des materiellen Lebens- und Reproduktionsprozesses in seiner menschlichgesellschaftlichen Spezifik getroffen« (TE 217), denn wo ein »psychischer Aspekt« sichtbar wird, kann der Mensch nicht weit sein. Der ist jedoch erst er selbst, wenn er sich »in verallgemeinerter Weise als Ursprung der Schaffung und Veränderung der gesellchaftlichen Verhältnisse gemäß seinen Lebensinteressen erfahren kann« (ME 53). Seiner Subjekthaftigkeit fehlt abschließend noch eine menschlich-sinnstiftende Lebensschiene, die letztlich seine Existenz sichert: »Die Voraussetzung, daß niemand bewußt seinen eigenen Interessen zuwiderhandelt, oder - in anderer Wendung - daß niemand sich bewußt selbst schadet, ist nämlich... die einzige Begründungsprämisse, die als selbstevident keiner weiteren Begründung mehr bedürftig und fähig ist« (TE 218). Der Mensch ist Produkt seiner Lebensverhältnisse; er denkt und hat Bewußtsein seiner selbst und seiner »Herkunft«, also ist er. Nun wirft diese kognitive Fixierung des Subjekts wenigstens zwei Fragen auf. Eine richtet sich auf die »Prämisse«, denn das menschliche Bewußtsein ist bewußtes Sein, »wirklicher Lebensprozeß« (Marx), in dem das Subjekt sich und seine Lebensverhältnisse beherrscht, also mit ihnen selbst-bestimmt umgeht. Zu dieser Souveränität gehört »selbstevident« die Möglichkeit, sich selbst bewußt zu schaden; ein solcher Akt mag als absurd, krank oder »unmenschlich« bewertet werden - er ist dem bewußten Sein als Möglichkeit immanent. Es ist keineswegs zufallig, daß sie subjektwissenschaftlich in eine »Prämisse« ein- und vom bewußten Lebensprozeß ausgeschlossen wird. Zweitens fragt das objekt-kognitive Subjekt nach dem Nicht-Kognitiven, nach den Gefühlen, die ja auch noch irgendwie und irgendwo in ihm stecken. Emotionen versteht die Subjektwissenschaft »als qualitative Bewertung von Umweltgegebenheiten am Maßstab des jeweiligen eigenen Zustandes« (G98), als »emotionale Bedarfsdimensionen«, die »ein Teilaspekt der inhaltlichen Differenzierung der Bedeutungsdimensionen« sind (G 100). Was heißt Teilaspekt? Sind sie objektiv und kognitiv, also auf widergespiegelte Gegenstands-Bedeutungen zu reduzieren, oder sind sie doch mehr? Mit der »kooperativ-gesellschaftlich entwickelten emotionalen Zuständlichkeit« (G297) werden die Emotionen den gesellschaftlichen Strukturen und Verhältnissen angekoppelt; die »emotionale Befindlichkeit, in welcher das Subjekt . . . seine eigene Bedürftigkeit, emotionale Handlungsbereitschaft, Betroffenheit etc. zunächst bewußt in gnostischer Beziehung erfahrt« (G244f.), bindet sie an das kognitiv-bewußte psychische Geschehen. 167

»Objektiv veränderte Aktivitätsnotwendigkeiten der Lebenserhaltung« (G 98) fuhren zu veränderten emotionalen Wertungen, pointierter formuliert: »Der Mensch kann sich . . . in die automatische Verrechnung der verschiedenen emotionalen Handlungsimpulse bewußt einschalten, indem er seine emotionale Gesamtbefindlichkeit analysiert Eine solche Analyse als aktive kognitive Neustrukturierung« (G319) stellt klar, daß »der Mensch« das bewußte Psychische ist, während die Emotionen als »Handlungsimpulse«, deren »Quelle« im unklaren bleibt, in ihm wirken, indem sie bewußt verrechnet werden. Für die Subjektwissenschaft ist der Mensch das automatisch verrechnende, analysierende, denkende, funktional widerspiegelnde und seine objektiven Gesetzmäßigkeiten folgenden Aktivitäten bewußt gestaltende Subjekt. Ist das Leben so bewußt und so funktional? In der Prämisse des »Nichtsich-selbst-Schadens« und in der objektiv-kognitiven Bindung der Emotionen verdeutlicht sich das spezifisch subjektwissenschaftliche Menschenbild. »Wo Essen, Trinken und sexuelles Spiel den Mittelpunkt des Lebens bilden; wo Arbeit, selbst Schwerarbeit, selten von Rhythmus, Gesang, menschlicher Kameradschaft und ästhetischem Genuß getrennt ist; wo vitale Aktivität ebenso als Lohn der Arbeit betrachtet wird wie das Produkt« (Mumford 1977) - ist dort die Welt des Menschen, von dem die Subjektwissenschaft redet? Nein, es ist die andere, von der sie nicht redet, sondern die sie aus- oder in Prämissen einschließt, die lustvolle, sinnliche, genußvolle - die in einem ganz anderen Sinne menschliche. Die Subjektwissenschaft übersieht, daß mit der Entstehung des Menschen auch qualitativ neue Emotionen, die Gefühle, entstehen müssen: Ohne Gefühle wie Vertrauen sind kollektives Handeln und Bewußtsein nicht vorstellbar, wie die erfolgreiche gemeinsame Jagd nicht ohne Freude, Lachen, sinnlichen Genuß. Mit dem Bewußtsein als Ausdruck der kollektiv-rationalen Lebenssicherung und -gestaltung entwickelt sich phylogenetisch genauso fundamental - ein »irrationales« Gefühlsleben, das der bewußten Steuerung und Kontrolle zugänglich aber nicht unterworfen ist. Lust und Sinnlichkeit stellen menschliche »Gefühlsqualitäten« dar, die nicht irgendwie »dazwischengeschaltet« und dem bewußten Sein Untertan, sondern letztlich die »subjektiven Handlungsgründe« sind. Dem irrational-fühlenden Subjekt nähert sich die Subjektwissenschaft nur zaghaft. Deshalb sind für sie etwa »sexuelle Aktivitäten . . . natürliche Aktivitäten bloß sozialer Art« (G 219) die »mit individueller Existenzerhaltung nichts zu tun haben, in den Prozeß der gesellschaftlichen Spezifizierung des Psychischen« nicht einbezogen und »auf dem Spezifitätsniveau biosozialer Bedeutungs-Bedürfnis-Beziehungen des Organismus/Individuums zur Umwelt/Welt« stehengeblieben (G 220). Sexualität als orgiastisches Erleben, als Erotik, als Sinnenfreude und Wollust - als nicht existenzerhaltend aber existenzbereichernd, Lust, Vergnügen und ihre nichtrationalen Ausschwei168

fangen führen in der Subjektwissenschaft ein »Mauerblümchendasein« - wie auch die Liebe. So überrascht nicht, daß Holzkamp Marx korrigieren will: »Nicht die Arbeit als solche ist erstes Lebensbedürfnis, sondern Arbeit nur insoweit, wie sie dem einzelnen Teilhabe an der Verfügung über den gesellschaftlichen Prozeß erlaubt.... Mithin i s t . . . Handlungsfähigkeit das erste menschliche Lebensbedürfnis« (G 243). Marx wußte das besser, und Mumford auch: Der »reiche Mensch« ist der genießende, der Zeit zur Entfaltung seiner Sinne und Lüste hat, dem Arbeit Erschließung des Reichtums und damit erstes Lebensbedürfnis in einem zutiefst menschlichen Sinne ist - die »Grundrisse« sind streckenweise eine emphatische Schilderung dieses arbeitenden Genießers. Der Mensch in seiner anderen, nichtobjektiven, nicht-kognitiven und nicht-rationalen Existenz wird zwischen subjektwissenschaftlicher Begrifflichkeit eingeklemmt. In der Analyse seines konkreten psychischen Geschehens verkürzt sie ihn um seine »bessere Hälfte«. Die objektiv-kognitivistische Einseitigkeit wäre weniger drastisch ausgefallen, wenn die Subjektwissenschaft mit der Psychoanalyse nicht »abgerechnet« hätte, sondern sie kritisch abwägend aufgenommen und ihr zumindest heuristisch wertvolles Wissen um psychische Dynamik und deren »innere« Grundlagen genutzt hätte - sie wäre nicht in ein »Erkenntnis-black out« geraten, das ihr den Zugang zu der »anderen Seite« des Psychischen erschwert. Dabei ist das Irrationale in Form »menschlicher Natur« nicht einmal marxistisch ausgegrenzt: In seinen Feuerbachthesen spricht Marx zwar vom Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse als wesentlich für den Menschen, behauptet aber keineswegs, das Unwesentliche sei zu vernachlässigen; die Tatsache, daß menschliche Natur immer schon sozialisierte, also »2. Natur« ist, spricht eher dafür, sich um das Freilegen der »1.« als genuin Menschliches zu bemühen. Rubinstein, idealistischer Entgleisungen unverdächtig, scheut sich nicht festzustellen: »Zu unterschätzen, was uns die Natur selbst gibt, bedeutet auch, den Menschen selbst zu unterschätzen Er darf nicht vergessen, daß er selbst ein Naturwesen, ein Produkt ihrer Entwicklung ist« (1971, 276). Als ein solches wird er vergesellschaftet, und diese Seite seiner Existenz bewahrt er sehr wohl. Der Subjektwissenschaft gilt sie nur in »primitiver Form«, sozusagen als das »Archaische« am Menschen: Da alles Menschliche gesellschaftlich determiniert ist, muß für sie auch die »menschliche Natur« in der »gesellschaftlichen« aufgehen. Deren »Entwicklungspotenzen . . . können . . . nur in gesellschaftlich-historischer Konkretion in Erscheinung treten.... Gerade darin liegt ja ihre »artspezifische«, nur dem Menschen zukommende Eigenart als Entwicklungspotenzen der gesellschaftlichen Natur« (G 432 f.). Die gesellschaftliche Form, in der diese »Potenzen« sich äußern, und der Inhalt, als der sie in Erscheinung treten, sind hier getroffen; zugleich aber wird »das Kind mit dem Bade« ausgeschüttet und 169

ihre natürliche Substanz abgeschafft. Auch menschliches Leben ist auf Lustgewinn angelegt, auf lustmachende Gedanken und Gefühle - menschliche Natur widersetzt sich subjektwissenschaftlicher Askese. Diese ihre Zähigkeit zeigt sich, wenn das »andere« Subjekt sich in die »rationale« Theorie einschleicht und sich dort bemerkbar macht - in Form theoretischer, »kategoriale Strukturen« vermenschlichender Unschärfe. Wenn »meine subjektive Erfahrung« (G539) ganz plötzlich den Subjektwissenschaftler interessiert, obwohl sie in keinem Stockwerk des theoretischen Gebäudes ein Zuhause hat, werde ich als fühlend-irrationales Subjekt neugierig. Bei genauerem Hinsehen erblicke ich das Subjekt in bunter Verkleidung, wie es Unordnung in die sensible begriffliche Architektur bringt: In den »Potenzen zur Individualentwicklung« (G 432) tritt es noch zaghaft auf, aber wenn von »wirklicher menschlicher Daseinserfüllung« die Rede ist, davon, daß »jeder Lebensgenuß eingetrübt, grau eingefärbt, zersetzt wird«, wenn mir die »emotionale Spontaneität, Intensität etc.« (G 407) begegnet, dann übt das Subjekt den »aufrechten Gang« und behauptet sein Existenzrecht, indem es dem Subjektwissenschaftler ins theoretische Handwerk pfuscht; als »elementare Lebensfreude«, die das Kind bei der Onanie empfindet (G 463) wie als »negative, aggressive o.ä. Impulse« (G 465) geistert die Seite des menschlichen Subjekts, die sich seinem Zugriff dank ihrer nicht-objektiven und nichtkognitiven »Zuständlichkeit« entzieht, durch die Sätze und Kapitel. Hintergründig versteckt es sich in der »vitalen Intensität«, die eine »freie Entwicklung des Individuums zur Menschlichkeit ermöglichen« könnte (G410): Von ihr angesteckt könnte auch die Subjektwissenschaft einen größeren Beitrag zur Verwirklichung dieser Hoffnung leisten; davon aber ist sie zur Zeit so weit entfernt wie irrationales Gefühl und menschliche Natur von Denken und Bewußtsein. »Cogito ergo sum« - zwar trennt Subjektwissenschaft nicht, wie Descartes, die Seele vom Körper, aber sie spaltet die Seele. Als Folge der Spaltung des menschlichen »Kerns« ersetzt sie die überwundene »Verkehrung von Konkretheit in Abstraktheit« durch eine neue: Von dem »ganzen« bewußten und fühlenden Menschen abstrahiert sie den irrationalen, den allein dem Individuum gehörigen Teil. Dem »anderen« Subjekt, das dem Einfluß des »Wesentlichen« und »Objektiven« nicht »Untertan« ist, sich im Zweifelsfall keiner äußeren gesellschaftlichen Rationalität beugt, begegnet sie zu reserviert. Subjektwissenschaft läuft Gefahr, in den Sog eines neukartesianischen Idialismus zu geraten. Als Teil der Studentenbewegung war die Kps »naturgemäß« gesellschaftskritisch, sie stand »im Zusammenhang mit konkreter gesellschaftlicher Praxis, in der durch aktiv veränderndes Tun« (KPs 120) unterdrückerische und ausbeuterische Lebensverhältnisse verändert werden sollten. »Die Hinwen170

dung auf den lebendigen Menschen in konkreter gesellschaftlich-historischer Lage« (KPs 113), die »auf eine je bestimmte Weise im individuellen Menschen sich konkret« manifestiert (SE xxxviii), war anfangs ernst gemeint. Da »keinesfalls von vornherein ausgemacht« ist, »was die konkrete gesellschaftlich- historische Situation des Menschen sei« (KPs III), ergibt sich als Untersuchungsprogramm: Wissenschaft muß vorrangig - darauf verpflichtet sie sich mit ihrer marxistischen bzw. politökonomischen Anbindung ohnehin - dem »Wesentlichen«, dem Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse, auf den Grund gehen, seinen Strukturen, Gesetzmäßigkeiten, Funktionsmechanismen, Verkehrsformen usw. Gesellschaft erscheint im kritischen Ansatz der Subjektwissenschaft als »Bedeutungsstrukturen« oder »Umweltgegebenheiten«, als »Umwelt/Welt« oder »objektive ökologische Lebensbedingungen«, als »gesellschaftliche Handlungsmöglichkeiten« oder »gesellschaftliche Realität«. Eine solche begriffliche Vielfalt kann je besondere Seiten gesellschaftlicher Wirklichkeit erklären oder doch wenigstens für ihr Verständnis heuristischen Wert haben. Diese Konkretisierung aber, die mit der Kritik an der »Verkehrung von Konkretheit in Abstraktheit« in der traditionellen Psychologie noch vermißt und als Aufgabe einer kritischen - und auch einer Kritischen - Psychologie formuliert worden war, ist nicht leicht zu finden. Die gesellschaftliche Realität des Überwachungs- und Sicherheitsstaates, die Entwicklung zu einer »Zweidrittelgesellschaft«, die Ausbeutung der Entwicklungsländer als Voraussetzung für hiesigen Wohlstand, die Unterdrückung von Frauen und die Gewalt gegen sie, sind höchstens am Rande Thema für die Subjektwissenschaft. Es geht bei dieser »Verlustmeldung« nicht darum, daß »analytische Bestimmungen... auf die Erscheinungsebene herunterkonkretisiert« werden sollen (G 516), sondern um den Anspruch der Kps, dem historisch besonderen gegenwärtigen Subjekt zu dienen. Gesellschaftsanalyse und Gesellschaftskritik, die Voraussetzung für seine Einlösung wären, also die theoretische Erkundung und Durchdringung des gesellschaftlichen Ensembles mithilfe der »funktional-historischen Methode«, schrumpfen zu »aktualempirischen« Details. Das Kind hat, so hören wir etwa, die Unterdrückung seiner »Sexualität... seiner elementaren Lebensäußerungen und Interessen blind, ohne einen Mucks hinzunehmen«, was zum »Hinnehmen der Ohnmacht gegenüber der Kapitalherrschaft als zentralen Grundzug der geschilderten Selbstfeindschaft restriktiver Handlungsfähigkeit« (G 470) fuhren soll. Warum ist gerade die Sexualität, die doch so »archaisch« und »bio-sozial« ist, Vehikel für Herrschaft? Wie kommt es zur unterdrückerischen Dramatik? Wie ist die begriffliche Lücke von der Kapitalherrschaft zur kindlichen Sexualität zu überbrücken? Gesellschaftstheoretischen Überlegungen in der Subjektwissenschaft fehlt häufig die analytische und kritische Penetranz im Umgang mit den »gesellschaftlich-historischen« Bedingungen hier und heute. Ihr »Heraufab171

strahieren« auf das Niveau allgemeinster politökonomischer Begriffe wurzelt einmal in der »Entladungs- und Wettbewerbsstrategie«, deren Ergebnis die parallele Gangart anstelle des diametralen Vorstoßes auf gesellschaftliche Verhältnisse ist; zum anderen hängt es am Verzicht, kritisches Wissen aufzunehmen und es - und mit ihm seinen analytischen Durchblick und seine praktische Durchschlagskraft - als »Munition« anzueignen. Begreifen und Handeln setzen den produktiven Erwerb vorliegender Erkenntnisse und Einsichten voraus; auf diesen »Zwischenschritt« auf dem Wege zu einer anderen Psychologie hat die Kps selbstbewußt aber auch naiv verzichtet. Sie war - beispielsweise - an wissenschaftskritischen Ergebnissen der Kritischen Theorie, wie sie im »Positivismusstreit« (Adorno 1969) zusammengefaßt und etwa in der »Dialektik der Aufklärung« (Horkheimer & Adorno 1947) historisch entwickelt wurden, wenig interessiert; die gesellschaftskritischen Analysen der Kritischen Theorie, aber auch der kPs (etwa Brückner, 1983) und anderer kritischer Sozialwissenschaftler (etwa Gorz 1980) hat sie nicht zur Kenntnis genommen; historisch-gesellschaftliche Materialanalysen wie etwa von Foucault (1977), Elias (1979) und Mumford (1977), aber auch solchen fundamentalen Analysen gesellschaftlicher Verkehrsformen wie die von Goffman (1967) waren ihr nicht wichtig, so wenig wie historischkonkrete Untersuchungen zur Staatsentwicklung (etwa Hirsch 1980); und so überrascht es nicht, daß sie zu den radikalen Veränderungen in Psychiatrie und psychosozialer Versorgung (etwa Jervis 1978), die vielen ausgestoßenen, krank gemachten, verkrüppelten Menschen theoretisch und praktisch neue Hoffnungen gegeben haben, keine Verbindung gefunden hat (Kappeler et al. 1979, Haselmann 1984 usw. werden in dieser Argumentation nicht berücksichtigt, weil sie in die subjektwissenschaftliche Entwicklung nur begrenzt integriert sind). Wichtigste Folge des verkürzten Gesellschaftsbegriffs: KPs oder Subjektwissenschaft ist in ihrer »gesellschaftskritischen Bescheidenheit« tendenziell affirmativ geworden; sie benennt gesellschaftliche Wirklichkeit zwar noch mit Worten wie »restriktiv« und »Kapitalherrschaft«, aber sie stellt sie nicht mehr unnachgiebig infrage . KPs hat sich »ökonomistisch« weitgehend auf die »Kritik der Politischen Ökonomie« als Mittel der Gesellschaftsanalyse beschränkt; sie hat damit die Möglichkeiten verringert, ihren Ansprüchen gemäß in den Zustand der Lebensverhältnisse fragend und bohrend einzudringen. Zwangsläufig ist ihr der an und in den Verhältnissen leidende - also der fühlende - Mensch verloren gegangen, er irrt verbiestert und heimatlos in der subjektwissenschaftlichen Theorie umher. Kritische Psychologie wollte von ihrem Ansatz her mehr sein als akademische Veranstaltung; sie entwickelte Vorstellungen vom verändernden Engagement des Wissenschaftlers: »Psychologie wirkt insoweit emanzipatorisch, 172

als sie ihre kritisch gewonnenen Einsichten aufklärerisch anderem zugänglich machen kann«, wozu die »aufklärerische Aktivität . . . der gemeinsamen Anstrengung der psychologisch Forschenden« bedarf (KPs 119). Kritischaufklärerisches Handeln muß über den Hochschul- oder Forschungsrahmen hinausreichen, hat sich also »auch an die Menschen dieser Gesellschaft, die nicht Subjekte psychologischer Forschung sind, zu richten und diesen Menschen dabei zu helfen, in jeweils sehr unterschiedlichen konkreten Fällen zum Bewußtsein ihrer Klassenlage zu kommen« (KPs 119). Zwar bleibt sie beim Bewußtsein stehen - die Zurückhaltung gegenüber der praktischen Veränderung kann in der Frühphase noch als ein Ernstnehmen »dieser Menschen« als Subjekte ihrer eigenen Lebensverhältnisse gelesen werden und entspricht insofern durchaus der aufklärerischen Bescheidenheit der meisten studentenbewegten Intellektuellen. Die erste Rückzugsposition aus der Absicht, zur menschengerechten Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse beizutragen, äußert sich als »reformerische Bemühungen im Zusammenhang mit kritischer Praxis« (SE 396); übrigbleiben schließlich die forschungspraktischen »Zusammenschlüsse von Gleichbetroffenen im Forschungsprozeß«, die gemeinsam in »kontrolliert-exemplarischer Praxis« (G 563) sich um eine »Erweiterung der Verfügung über gesellschaftliche Lebensbedingungen« bemühen, die »von den Betroffenen in der exemplarischen Praxis des Forschungsprozesses auch tatsächlich erreicht werden kann« (G 564). Dem Rückzug in die - dennoch außerordentlich wichtige - forschungspraktische Aufklärung entspricht die oberlehrerhafte Analyse der konkreten Situation. Versuche wirklicher Veränderung, die sich nicht unter subjektwissenschaftlicher Aufsicht, also »kontrolliert-exemplarisch« ereignen, werden im verbalen Husarenritt überrannt: Wenn sie durch »direkte Bezogenheit auf die eigene Emotionalität« charakterisiert ist, kann die »emotionale Spontaneität, Intensität etc. nichts weiter sein als... Unechtheit, Zurückgenommenheit, Kleinlichkeit« (G407). Da sie nicht bewußt kontrolliert ist und funktional-historisch unbegreifbar bleibt, ist »die etwa im Protest gegen die bestehenden Verhältnisse vollzogene Berufung auf Emotionalität, Sensibilität, Spontaneität etc. . . . nichts weiter als ein Rückzug in die eigene Innerlichkeit, des scheinhaft handlungsentbundenen Fühlens, also gerade eine Befestigung der Ohnmacht gegenüber den Verhältnissen, denen der Protest gilt« (G 405). Weil sie die vielfaltigen und subtilen gesellschaftlichen Repressionsmechanismen, Einübungsrituale und Disziplinierungstaktiken in Randnotizen abschiebt und die potentielle Schärfe ihrer analytischen Instrumente dort nicht nutzt, wo sie sich dem leidenden, funktionierenden, dem entmündigten aber auch wütenden und haßerfüllten Menschen in seinen »kolonialisierten« Lebensbedingungen nähert, hat die KPs nur verengten Zugang zur emanzipatorischen Dialektik der Emotionen, zu der gerade auch ihre subversive und 173

systemsprengende Brisanz gehört. Erst das Wissen um die Verfeinerung von Überwachungsstrategien macht ihre Notwendigkeit deutlich: Sie richten sich nicht zuletzt gegen das »Irrationale« und seine stillen und lauten Formen des Widerstands, also auch gegen die »archaische menschliche Natur«. Statt das emotionale Protestpotential produktiv - dialektisch aufhebend - zu wenden, beschwört die Subjektwissenschaft den »revolutionären Kampf der Arbeiterklasse« (ME 54), ein - jedenfalls wenn es ohne weiteren Kommentar stehenbleibt - historisch enteiltes Abstraktum. KPs unterläßt es, vorhandene Erkenntnisse und wirkliche Ereignisse aufzugreifen. Aufklärung bedeutet erst einmal selbst zu wissen und begriffen zu haben, worüber aufgeklärt werden soll. Sie besteht aber auch in der immanenten Distanzierung vom Aufklärungsgedanken, wie sie etwa in der »Grundlegung« deutlich wird. Deren erkenntniskritischer und theoretischer Reichtum ist in einen Begriffsapparat, eine sprachliche Kompliziertheit und eine inhaltliche Redundanz gekleidet, die sich nicht mit dem lapidaren Hinweis, »daß es auch Mühe gemacht hat, das Buch zu schreiben« (S. 21) rechtfertigen läßt. Die Distanz zum Leser und zum »Betroffenen«, von dem so viel und so gerne in diesem Buch die Rede ist, findet auch in der Sprache ihren Ausdruck. Aufklärung bedarf der Mühe des Aufklärenden, sich seinen Adressaten verständlich zu machen; scheut er sie, übt er Verzicht auf Verbreitung seiner An- und Einsichten über Menschen in einer »bürgerlichen Klassenwirklichkeit« (a.a.O.). Dann aber entfernt er sich von seinem Gegenstand, den in dieser Wirklichkeit lebenden Menschen, weil er mit ihnen nicht mehr in einen erkenntnisfördernden Dialog treten oder sich in praktisch-verändernder Tätigkeit mit ihnen treffen kann. Er nähert sich der Attitüde des räsonierenden Wissenschaftlers und ist dabei, die Wende zur traditionellen Psychologie trotz aller fortschrittlichen Inhalte und gegenteiligen Beteuerungen auch ganz praktisch zu vollziehen. Indem sie in funktionalhistorischer Perspektive der historisch besonderen Situation die besondere Aufmerksamkeit versagt, büßt die KPs auf dem Wege zur Subjektwissenschaft viel von ihrem kämpferischen Potential ein. Eher indirekter Beleg für diesen Verlust ist das Fehlen utopischer Freiräume, die sich nur aus der Anerkennung des Irrationalen - das sich auch in Phantasie und Traum die Kraft für den Kampf um Veränderung und seine Ziele holt - und aus der Kenntnis der gesellschaftlich-historischen Wirklichkeit, deren Negation sie schließlich sind, speisen können. »Die Herausbildung von Lebensansprüchen unter sozialistischer Perspektive« (SE 396) bleibt eine blasse Parole. Zurück zur Analogie: KPs hat ihre Waffen entladen, aber nicht eingemottet. Mit der Absage an radikale Psychologiekritik hat sie sich im Wettbewerb mit der traditionellen Psychologie selbst Fesseln angelegegt; sie hat das Subjekt in kartesianischer Trennung von rationalen und irrationalen, von bewußten 174

und gefühlsmäßigen Anteilen, von konkret in abstrakt verkehrt; und sie hat die Gesellschaft »aus der Schußlinie« von Kritik und Veränderung genommen: Auf allen drei Ebenen hat sie einen ausgeprägten Konservatismus entwickelt. Was wäre möglich? Kps und kPs stellen zusammen ein kräftiges Fundament einer wirklich anderen Psychologie dar. Wenn die »Grabenkriege« aufhören würden, könnte sich in einer fruchtbaren Diskussion das Potential einer kritischen Psychologie inhaltlich und politisch vielleicht voll entfalten. Esfindenseit kürzester Zeit zaghafte Annäherungen - etwa in Form gemeinsamer Publikationen - statt, die ein Anfang sein könnten. Wiener Psychologen haben eine »österreichische Gesellschaft Kritischer Psychologinnen und Psychologen« gegründet, die kritische und Kritische Psychologie integriert - sie könnte Beispiel für eine Lösung sein, die verhindert, daß die außerordentlich umfangreiche und noch immer potentiell radikale und kämpferische Substanz der Kps nicht von herrschender Psychologie vereinnahmt wird oder irgendwann verpufft. Der Schritt ginge in eine andere Richtung: Von der »Subjektwissenschaft« zur »Psychologie als Gesellschaftswissenschaft«. Es wäre auch der Weg, der kritischer Psychologie - als wissenschaftliche Alternative, nicht als diese oder jene Richtung verstanden - inhaltlich, organisatorisch und wissenschaftspolitisch zu der Bedeutung führen könnte, die sie von ihrem Erkenntnisstand bezüglich Mensch, Gesellschaft und der Verbindung beider längst haben müßte.

Literatur Adorno, Theodor W. 1969. (Hg.), Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie. Darmstadt/Neuwied: Luchterhand Basaglia, Franco 1975. Befriedungsverbrechen. Über die Dienstbarkeit der Intellektuellen. Frankfurt/M.: EVA Brückner, Peter 1979. Über die Gewalt. Sechs Aufsätze zur Rolle der Gewalt in der Entstehung und Zerstörung sozialer Systeme. Berlin/West: Wagenbach Chomsky, Noam 1969. Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen. Frankfurt/M.: Suhrkamp Elias, Norbert 1979. Über den Prozeß der Zivilisation. Frankfurt/M.: Suhrkamp Fanon, Frantz 1969. Die Verdammten dieser Erde. Reinbek: Rohwohlt Foucault, Michel 1977. Überwachen und Strafen. Frankfurt: Suhrkamp Goffman, Erving 1967. Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität. Frankfurt/M.: Suhrkamp Gorz, Andre 1980. Abschied vom Proletariat. Jenseits des Sozialismus. Frankfurt/M.

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Haselmann, Sigrid 1984. Gesellschaftliche Beziehungsformen und psychosoziale Kränkungen. Eine tätigkeitspsychologische Grundlegung. Frankfurt/M.: Campus Hirsch, Joachim 1980. Der Sicherheitsstaat. Frankfurt/M.: EVA Holzkamp, Klaus 1972. Kritische Psychologie. Vorbereitende Arbeiten. Frankfurt/M.: Fischer (KB) - 1973. Sinnliche Erkenntnis. Frankfurt/M.: Fischer-Athenäum (SE) - 1977. Die Überwindung der wissenschaftlichen Beliebigkeit psychologischer Theorien durch die Kritische Psychologie. Zeitschrift für Sozialpsychologie, 8, S. 1-22 u. 78-97. (BT) -1978. Empirische Forschung in der Psychologie als historische Rekonstruktion und experimentelle Reduktion. Z.f. Sozialpsychologie, 9, S. 78-83. (EF) - 1983. Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/M.: Campus. (G) - 1983 b. Was kann man von Karl Marx über Erziehung lernen? Oder: Über die Widersprüchlichkeit fortschrittlicher Erziehung in der bürgerlichen Gesellschaft. Demokratische Erziehung, (H. 1), S. 52-59. (ME) - 1986. Wieweit können sozialpsychologische Theorien experimentell geprüft werden? Z.f. Sozialpsychologie, 17 (4), S. 216-236. (TE) Horkheimer, M. & Th.W. Adorno 1947. Dialektik der Aufklärung. Amsterdam: Querido Jervis, Giovanni 1969. Rückblick auf einen Kongreß. In: Carmichael, S. et al., Dialektik der Befreiung. (Auch in: Kursbuch, 16, 1969). Reinbek: Rowohlt - 1978. Kritisches Handbuch der Psychiatrie. Frankfurt/M.: Syndikat Kappeler, Manfred et al. 1977. Psychologische Therapie und politisches Handeln. Frankfurt/M.: Campus Mattes, Peter 1977. Kritische Psychologie - akademisch erstarrter marxismus. Hinweise auf ihre Entstehungsgeschichte. Psychologie & Gesellschfat, 1 (H. 3/4), S. 13-30. - 1985. Die Psychologiekritik der Studentenbewegung. In: Ash, M.G. & U. Geuter, Geschichte der Psychologie im 20. Jahrhundert. Opladen: Westdeutscher Verlag Mumford, Lewis 1977. Mythos der Maschine. Frankfurt/M.: Fischer Rubinstein, S.L. 1971. Sein und Bewußtsein. s'Gravenhage: rotdruck

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Personale Kontrolle: Zur Theorie und Empirie eines zentralen psychologischen Konstrukts* Klaus A. Schneewind

1. Einleitende Bemerkungen »Handlungsfähigkeit ist das erste menschliche Lebensbedürfnis - dies deswegen, weil Handlungsfähigkeit die allgemeinste Rahmenqualität eines menschlichen und menschenwürdigen Daseins ist, und Handlungsunfähigkeit die allgemeinste Qualität menschlichen Elends der Ausgeliefertheit an die Verhältnisse, Angst, Unfreiheit und Erniedrigung.« Mit diesen Worten markiert Holzkamp (1983, S. 243, Hervorhebung im Original) die Bedeutung eines zentralen psychologischen Konstrukts, das zugleich als Kulminationspunkt seiner kategorialanalytischen »Grundlegung der Psychologie« angesehen werden kann. Dabei handelt es sich bei Holzkamp zweifelsohne um eine subjektive Kategorie, so etwa wenn an einer Stelle auf die »subjektive Erfahrung der Einschränkung der Handlungsfähigkeit« Bezug genommen wird (vgl. Holzkamp 1983, S. 241). Dabei muß man sich freilich eines anderen zentralen Diktums der Holzkampschen Psychologie bewußt sein, wonach »die subjektive Bestimmung und objektive Bestimmtheit . . . beide notwendige, miteinander zusammenhängende Grundzüge jeder menschlichen, d.h. gesellschaftlichen Lebenstätigkeit« sind (vgl. Holzkamp 1978, S. 213). Mit Blick auf das psychologische Konstrukt »Handlungsfähigkeit« heißt dies, daß neben dem subjektiven Erleben von Handlungsfähigkeit stets auch die für ihre Entstehung und Aktualisierung notwendigen objektiven Lebensumstände zu beachten sind. Ergänzend kann hinzugefügt werden, daß

* Die in diesem Beitrag mitgeteilten empirischen Befunde stammen zum größten Teil aus einem DFG-geförderten Forschungsprojekt (Az.: Sehn 111/10-2). Ich danke Frau Dipl.-Psych. P. Wünsche sowie Herrn Dipl.-Psych. H.-P. Pausch und Herrn Dipl.-Psych. P. Wiblishauser für ihre engagierte Mitarbeit in diesem Projekt.

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subjektiv erlebte Handlungsvoraussetzungen, wie sie sich etwa in den subjektiven Repräsentationen objektiver Lebensumstände äußern, als weitere Bestimmungsgrößen individueller Handlungsfähigkeit anzusehen sind. Das Gewordensein subjektiv erlebter Handlungsfähigkeit sowie deren objektive und subjektive Voraussetzungen kann dabei in unterschiedlichen Perspektiven zum Thema werden: zum einen in einer sich langfristig erstreckenden phylogenetischen Perspektive, in der die Herausbildung individueller Handlungsfähigkeit als Besonderheit menschlicher Lebenstätigkeit erkennbar wird - dies ist ein wesentliches Anliegen des Holzkampschen Rekonstruktionsversuchs der Anthropogenese auf materialistischer Basis (vgl. Holzkamp 1983). Unterstellt man, daß im »Hier und Jetzt« die prinzipielle Befähigung zu individueller Handlungsfähigkeit als ein zentrales Merkmal der Spezies Mensch vorausgesetzt werden kann, so stellt sich zum anderen die Frage, welche Bedingungen sich in der Ontogenese einzelner Personen auf die Ausgestaltung individueller Handlungsfähigkeit bzw. -Unfähigkeit auswirken. Dies setzt zuallererst eine theoretische Präzisierung des psychologischen Konstrukts »Handlungsfähigkeit« voraus. Im folgenden soll zunächst ein theoretisches Modell für ein psychologisches Konstrukt skizziert werden, das eine gewisse Affinität zum Holzkampschen Konzept der »Handlungsfähigkeit« besitzt. Gemeint ist das Konstrukt »personale Kontrolle«, das - wenn auch in unterschiedlicher begrifflicher Aufmachung - eine immense Forschungsaktivität erzeugt hat (vgl. Krampen 1986). Nach der Darlegung des theoretischen Modells personaler Kontrolle soll kurz über die Umsetzung dieses theoretischen Konzepts in ein handhabbares diagnostisches Instrument berichtet werden. Es folgt die Darstellung einiger empirischer Untersuchungsbefunde, die auf der Basis des theoretischen Modells personaler Kontrolle gewonnen wurden. Abschließend wird dann noch einmal die Frage nach dem Bezug »personaler Kontrolle« zu Holzkamps Konzept der »Handlungsfähigkeit« gestellt.

2. Ein handlungstheoretisches Modell personaler Kontrolle In handlungstheoretischen Ansätzen ist Handlung definiert als potentiell bewußt zielgerichtetes Verhalten. Das Ziel ist hierbei die Wirkung, die der Handelnde durch sein Handeln intendiert, da sie für ihn einen bestimmten Wert hat. Es wird also eine Erwartung gebildet, ob das Handeln die gewollte Wirkung, d.h. die gewollten Folgen erbringt. Eine grundlegende Unterscheidung, die nun in diesen Handlungstheorien getroffen wird, ist die zwischen Handlungsergebnis und den Folgen einer 178

Handlung: nach von Wright (1974) ist das Handlungsergebnis Bestandteil der Handlung selbst, da jedem Handlungsvollzug eine Situationsveränderung zugeordnet werden kann. Diese Situationsveränderung ist das Ergebnis einer Handlung. Die Folgen einer Handlung hingegen sind das, was durch die Situationsveränderung bewirkt wird. Das Handlungsergebnis ist die Ursache der Wirkung. Der Zusammenhang zwischen Handlung und ihrem Ergebnis ist nach von Wright (1974) ein logischer, kein kausaler. Dagegen besteht zwischen dem Handlungsergebnis und seinen Folgen ein kausaler Zusammenhang, wobei diese Kausalität nicht durch Handlungen beeinflußt oder hergestellt wird. Sie wird vom Handelnden lediglich angenommen oder vermutet. Auf dieser Unterscheidung beruht nun z.B. die Differenzierung der Erwartungen, die Heckhausen (1980) in seinem »Erweiterten ErwartungsWert-Modell der Handlungsmotivation« vornimmt: Er unterscheidet zwischen (1) den Handlungs-Ergebnis-Erwartungen als die Erwartung, durch Handeln eine erwünschte Situationsveränderung (= Ergebnis) herbeiführen zu können, und (2) den Ergebnis-Folge-Erwartungen, die die Instrumentalität eines Ergebnisses für die intendierten Folgen betreffen. Es geht hier also darum, ob eine bestimmte Person zum einen Annahmen darüber hat, welche Situationsbedingungen ursächlich mit dem von ihr angestrebten Ziel (Folgen) zusammenhängen und zum anderen, ob ihr Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um diese Bedingungen herzustellen. Auch Bandura (1979) zerlegt in seiner sozial-kognitiven Lerntheorie das Erwartungskonstrukt in zwei vergleichbare Teilkomponenten: Er spricht (1) von »outcome-expectancies« für die Erwartung, daß ein gegebenes Verhalten die gewünschten Folgen hat, d.h. zum Ziel führt und (2) von »efficacyexpectancies«, die die Ausführbarkeit des für die Zielerreichung notwendigen Verhaltens betreffen. Nach Krampen (1984) resultiert Einfluß-Erwartung aus (1) Kontrollüberzeugungen im Sinne des »locus of control« nach Rotter (1966) und (2) Kompetenz-Erwartungen (Selbstkonzepte eigener Fähigkeiten). Diese Differenzierung des Erwartungskonstrukts hat bereits in mehreren Konzeptualisierungen kontrollbezogener Überzeugungen Bedeutung gewonnen, wie bei Skinner; Chapman und Baltes (1985) ausführlich dokumentiert wird. Skinner und Chapman (1984) gelangen zu einem ähnlichen Kontrollkonstrukt bei ihren Überlegungen zu einer handlungstheoretischen Sicht von »control beliefs«: Sie sehen »control beliefs« als ein Resultat aus (1) der Überzeugung, daß bestimmte Mittel zu dem erwünschten Ziel führen (causality) und (2) der Verfügbarkeit und/oder Herstellbarkeit notwendiger, antezedenter Bedingungen (agency). Faßt man also personale Kontrolle als Resultat der zwei beschriebenen Erwartungstypen auf, so wird deutlich, daß in dieses Konzept zwar Erwartungen im Sinne von Kontrollüberzeugungen integriert sind. Das 179

Ausmaß an personaler Kontrolle, über die eine Person verfügt, wird aber aus anderen Größen hergeleitet als dem »locus of control« im Sinne Rotters (1966). Im folgenden wird für Erwartungen über den regelhaften, instrumentellen Zusammenhang zwischen Bedingungen und Ziel der Ausdruck »Zielkontrolle« verwendet; für die Erwartungen hinsichtlich der Verfügbarkeit zielführender Bedingungen wird von »Bedingungskontrolle« gesprochen (vgl. Schneewind & Wünsche 1985). Wenn im Zusammenhang mit »personaler Kontrolle« von Zielen die Rede ist, so lassen sich diese theoretisch u.a. nach drei Gesichtspunkten differenzieren, nämlich (a) nach ihrer Inhaltsspezifität, d.h. zum einen dem Lebensbereich, dem sie zugeordnet sind, und zum anderen der Konkretheit, mit der sie sich dem einzelnen präsentieren; (b) nach ihrem Niveau, d.h. nach ihrer Einordnung in eine Rangfolge schwierigkeitsgestufter Kriterien der Zielerreichung; (c) nach ihrer Wertigkeit, d.h. der subjektiven Bedeutsamkeit, die unterschiedliche Ziele für den einzelnen haben. Abgesehen vom Aspekt der Inhaltsspezifität wird im folgenden auf das Niveau und die Wertigkeit von Zielen nicht weiter eingegangen. Statt dessen richtet sich die Aufmerksamkeit auf die beiden bereits genannten, kontrolltheoretisch besonders bedeutsamen Aspekte der Ziel- und Bedingungskontrolle. Eine schematische Übersicht über das grundlegende kontrolltheoretische Modell bietet Abb. 1. Ziel parameter: -Inhaltsspezifität -Niveau -Wertigkeit

Zielkontrolle: - Postuliertheit - Substituierbarkeit

Bedingungswissen

Bedingungskontrolle: - Realisiertheit -Beeinflußbarkeit

Abbildung 1: Modell zur theoretischen Rekonstruktion personaler Kontrolle 180

Wir gehen davon aus, daß eine Person P bei einem gegebenen Ziel Z die Bedingungen Bj bis Bk für mehr oder minder zielführend hält. Dabei kann grob zwischen internen (personabhängigen) und externen (personunabhängigen) Bedingungen unterschieden werden (in Abb. 1 sind dies die Bedingungen Bli? B2i, . . . Bki bzw. B le , B2e, . . . Bke). Das Insgesamt aller zielbezogenen internen und externen Bedingungen stellt das aktuell verfügbare Bedingungswissen einer Person P für die Erreichung eines Ziels Z dar. Auf der Basis des zielrelevanten Bedingungswissens einer Person kann für jede einzelne Bedingung ihre Postuliertheil d.h. das Ausmaß ihrer subjektiven Wichtigkeit für die Zielerreichung, als ein erster kontrolltheoretisch bedeutsamer Parameter angenommen werden. Ein zweiter für die Erreichung eines gegebenen Ziels wichtiger Parameter bezieht sich auf die Ersetzbarkeit, Austauschbarkeit oder Kompensierbarkeit einzelner Bedingungen. Gemeint ist damit das Wissen darum, in welchem Maße beim Ausfall einer bestimmten zielbezogenen Bedingung die Zielerreichung behindert wird oder aber kompensatorisch dennoch möglich ist. Dieser Parameter wird als Substituierbarkeit bezeichnet. Der Substituierbarkeitsparameter bringt insbesondere für Bedingungen, die für die Zielerreichung als hoch wichtig postuliert werden, zum Ausdruck, wie flexibel eine Person mit ihrem Bedingungswissen umzugehen vermag. Es wird unterstellt, daß für eine Person Zielkontrolle dann gegeben ist, wenn sie für ein gegebenes Ziel Bedingungen kennt, die für die Zielerreichung wichtig sind (hohe Postuliertheit) und wenn jede einzelne dieser Bedingungen als anderweitig kompensierbar erlebt wird (hohe Substituierbarkeit). Freilich ist eine solchermaßen definitorisch eingeführte Zielkontrolle lediglich eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung für personale Kontrolle. An dieser Stelle bietet sich eine Verknüpfung mit dem theoretischen Konzept der Bedingungskontrolle an. Die Bedingungskontrolle läßt sich theoretisch in zwei Parameter zerlegen. Zum einen stellt sich die Frage, inwieweit eine Person der Meinung ist, daß die zur Zielerreichung als wichtig erachteten Bedingungen bei ihr selbst auch tatsächlich gegeben sind. Dieser Parameter wird als die Realisiertheit der Bedingungen bezeichnet. Zum anderen spielt eine Rolle, inwieweit eine Person davon überzeugt ist, daß sie auf die Herstellung der zielrelevanten Bedingungen selbst Einfluß nehmen kann. Für diesen Parameter wird der Terminus Beeinflußbarkeit der Bedingungen eingeführt. Es wird unterstellt, daß für eine Person ein hohes Maß an Bedingungskontrolle dann gegeben ist, wenn sie die als wichtig postulierten Bedingungen bei sich selbst als realisiert betrachtet (hohe Realisiertheit) und zugleich diese Bedingungen in hohem Maße für beeinflußbar hält (hohe Beeinflußbarkeit). Es wird nunmehr behauptet, daß auf der Basis des Bedingungswissens, das einer Person aktuell zur Verfügung steht, personale Kontrolle theoretisch 181

rekonstruiert werden kann als die multiplikative Verknüpfung von Bedingungskontrolle und Zielkontrolle. Dabei wird angenommen, daß sowohl die Bedingungskontrolle als auch die Zielkontrolle notwendige und hinreichende Bedingungen für eine theoretische Rekonstruktion subjektiver personaler Kontrolle sind (und nicht etwa Bedingungskontrolle und/oder Zielkontrolle, was einer additiven Verknüpfung entspräche). Hingegen wird davon ausgegangen, daß die Parameter Realisiertheit und Beeinflußbarkeit bzw. Postuliertheit und Substituierbarkeit die Konzepte Bedingungskontrolle bzw. Zielkontrolle theoretisch angemessen abbilden, mithin also eine additive Verknüpfung der für die Bedingungs- und Zielkontrolle indikativen Kontrollparameter zugrunde gelegt werden kann. Diese Überlegungen erlauben eine eindeutige Formalisierung und damit auch Quantifizierung des Konstrukts »personale Kontrolle« für ein gegebenes Ziel (vgl. Schneewind & Wünsche 1985, 1987).

3. Umsetzung des handlungstheoretischen Modells in ein diagnostisches Instrument Die Umsetzung des theoretischen Modells personaler Kontrolle erfolgte mit Blick auf die Zielgruppe 9- bis 14-jähriger Kinder und Jugendlicher, für die ein entsprechendes Verfahren entwickelt werden sollte. Diesem Instrument wurde die Bezeichnung DPK (für Diagnostik Personaler Kontrolle) gegeben. Zu diesem Zweck wurden zunächst in einer Reihe von Vorversuchen Kinder und Jugendliche dieser Altersgruppe gebeten, ihnen wichtig erscheinende Ziele sowie Voraussetzungen, die das Erreichen dieser Ziele begünstigen bzw. behindern, zu nennen. Sodann erfolgte eine Eingrenzung der genannten Ziele auf drei Zielbereiche sowie eine Gruppierung der Bedingungen in fünf über die Zielbereiche gleichbleibende Bedingungskategorien. Die drei ausgewählten Ziele beziehen sich auf den sozialen, schulischen und physischen Lebensbereich, und wurden konkret in folgender Formulierung vorgegeben: (1) »Freunde gewinnen«, (2) »In der Schule gut mitkommen«, (3) »Körperlich fit sein«. Die fünf Bedingungskategorien sind (I) dispositionelle Bedingungen, (II) motivationale Bedingungen, (III) soziale Bedingungen, (IV) ökologische Bedingungen und (V) Zufallsbedingungen. Die beiden ersten Bedingungskategorien (dispositionelle und motivationale Bedingungen) können als interne Bedingungen zusammengefaßt werden. Die drei zuletzt genannten Bedingungskategorien (soziale, Ökologie und Zufallsbedingungen) sind unter die Klasse der externen Bedingungen subsumierbar. 182

Abb. 2 vermittelt einen Eindruck von der Grundstruktur des DPK. Dabei wird deutlich, daß je nach Aggregationsniveau zwischen einer generellen, zielübergreifenden personalen Kontrolle und einer spezifischen, einen inhaltlichen Zielbereich betreffenden personalen Kontrolle unterschieden werden kann.

Abbildung 2: Grundstruktur des DPK

Zur weiteren Veranschaulichung des DPK-Konzepts soll exemplarisch das Ziel »in der Schule gut mitkommen« herausgegriffen werden. Das Schema in Abb. 3 zeigt für dieses Ziel die fünf Bedingungskategorien und gibt jeweils ein Beispiel für die einzelnen Bedingungskategorien. Sämtliche Bedingungen sollen nun, wie in Abb. 3 ersichtlich, entsprechend dem dargestellten Modell nach den vier Kontrollparametern »Postulierbarkeit«, »Substituierbarkeit«, »Realisiertheit« und »Beeinflußbarkeit« beurteilt werden. 183

Ziel

(in der Schule gut mitkommen)

Kontrollparameter - Postuliertheit - Substituierbarkeit - Realisiertheit - Beeinflußbarkeit

Bedingjungen

][

]a

iII

IV

>/

Zufallsbedingunsen (z.B. Glück bei Klassenarbeiten) ökologische Bedingungen (z.B. daheim ungestört lernen können) soziale Bedingungen (z.B. Eltern, die einem helfen, in der Schule gut zurecht zu kommen) motivational Bedingungen (z.B. bei schwierigen Aufgaben nicht so schnell aufgeben) dispositionelle Bedingungen (z.B. schnell verstehen, worum es geht)

Abbildung 3: Verdeutlichung des DPK - Konzepts für das Ziel »In der Schule gut mitkommen« In einem nächsten Schritt erfolgte nun die konkrete Umsetzung des DPKKonzepts in ein diagnostisches Instrument. Hierzu wurde eine Spiel- und eine Fragebogenversion des DPK entwickelt, über deren Aufbau und psychometrische Eigenschaften an anderer Stelle ausführlich berichtet wird (vgl. Schneewind & Wünsche 1987).

184

4. Empirische Befunde zum Konstrukt »Personale Kontrolle« Nach der Darlegung des theoretischen Modells personaler Kontrolle und seiner Umsetzung in ein diagnostisches Instrument sollen nun einige ausgewählte empirische Befunde, die mit diesem Instrument gewonnen wurden, kurz vorgestellt werden. Es handelt sich dabei um drei Untersuchungsaspekte, nämlich (a) den Zusammenhang zwischen personaler Kontrolle und perzipierter Kompetenz, (b) den Zusammenhang zwischen personaler Kontrolle und Motivation sowie (c) den Zusammenhang zwischen personaler Kontrolle und Familienklima. Was die Beziehungen zwischen den eher zukunftsorientierten Kontrollerwartungen und dem eher gegenwartsorientierten Kompetenzerleben anbelangt, läßt sich vermuten, daß zwischen diesen beiden Variablen ein positiver Zusammenhang besteht. Dabei interessiert u.a. auch die Frage, ob die jeweiligen subjektiven Kompetenz- bzw. Fähigkeitskonzepte im sozialen, schulischen und körperlichen Bereich mit den entsprechenden bereichsspezifischen Kontrollerwartungen verknüpft sind. Um diese Frage zu überprüfen, wurde die von Harter (1979) entwickelte »Perceived Competence Scale for Children« für deutschsprachige Verhältnisse adaptiert (vgl. Wünsche & Schneewind 1986 a). Die für die drei Zielbereiche des DPK charakteristischen Kompetenzmaße wurden für eine Stichprobe von N = 246 Kinder und Jugendliche im Alter von 9 bis 14 Jahren mit den entsprechenden personalen Kontrollkennwerten für die Zielbereiche »Freunde«, »Schule« und »Körper« korreliert. Dabei wurden die Kontrollkennwerte über die jeweils fünf Bedingungskategorien zusammengefaßt. Einen Überblick über die Ergebnisse bietet Tabelle 1. Tabelle 1: Korrelationen zwischen personaler Kontrolle und perzipierter Kompetenz (N-246) Perzipierte Kompetenz Zielbereiche

Soziale Akzeptanz

Schulische Kompetenz

Sportliche Kompetenz

Freunde

.43**

.27**

.25**

Schule

.28**

.37**

.22**

Körper

.27**

.20**

.45**

**: P < .01

185

Die in Tabelle 1 wiedergegebenen Korrelationen machen zunächst einmal deutlich, daß - unabhängig vom Inhalt der einzelnen Zielbereiche - zwischen allen Kompetenz- und Kontrollkennwerten signifikante positive Zusammenhänge bestehen. Dieser Befund ist insofern nicht verwunderlich, als sich bei einer methodenkritischen Überprüfung des DPK deutliche Beziehungen zwischen den aggregierten Kontrollkennwerten der einzelnen Zielbereiche ergeben hatten, was für eine einigermaßen kohärente und zielbereichsübergreifende globale Kontrollerwartungshaltung spricht (vgl. Schneewind & Wünsche 1985, 1987). Ein weiterer Blick auf Tabelle 1 läßt aber auch erkennen, daß die korrelativen Beziehungen zwischen Kontrollerwartungen und Kompetenzüberzeugungen für die inhaltlich kongruenten Zielbereiche deutlich höher ausfallen als für die inhaltlich nicht übereinstimmenden Zielbereiche. Dies kann als ein Beleg dafür gewertet werden, daß es sinnvoll erscheint, nach zielbereichsspezifischen Zusammenhangsmustern zwischen personaler Kontrolle und perzipierter Kompetenz zu fahnden. Diese Überlegung läßt sich auch auf den Zusammenhang von personaler Kontrolle und Motivation übertragen. Dabei kann grundsätzlich unterstellt werden, daß - eine hinreichend hohe Zielwertigkeit vorausgesetzt - ein positiver Zusammenhang zwischen Kontrollerwartungen und der erlebten zielbezogenen Motivationsintensität besteht. Um diese Hypothese zu überprüfen, wurden für die drei Zielbereiche des DPK entsprechende Motivationsindikatoren konzipiert. Eine genauere Darstellung dieser Motivationsvariablen findet sich an anderer Stelle (vgl. Wünsche & Schneewind 1986 b, Schneewind & Wünsche 1987). Im gegebenen Kontext muß es genügen, die Zusammenhänge zwischen den diversen Motivationsvariablen und den zielbereichsspezifischen Kontrollerwartungen überblickmäßig darzustellen. Tabelle 2 informiert über die Ergebnisse einer Studie, die auf einer Stichprobe von N = 234 Kindern und Jugendlichen im Alter von 9 bis 14 Jahren beruht. Aus Tabelle 2 wird erkennbar, daß sich für die drei Zielbereiche erwartungskonforme Befunde ergeben. Dies trifft auch für die beiden Motivationsindikatoren »Bedürfnis nach Eigenständigkeit« und »Furcht vor Zurückweisung« zu, die im Zielbereich »Freunde« erwartungsgemäß einen negativen, wenn auch nur relativ schwachen Zusammenhang mit den bereichsspezifischen Kontrollerwartungen aufweisen, dafür aber mit den anderen Zielbereichen vernachlässigenswert gering korrelieren. Auch die übrigen, im Schnitt höher korrelierenden Motivationsvariablen sprechen in ihren Zusammenhängen mit den jeweiligen Kontrollerwartungswerten für eine erkennbare diskriminative Validität zwischen den Zielbereichen. Auf ein weiterführendes theoretisches Modell und dessen empirischer Überprüfung zur Verknüpfung von perzipierten Kompetenz-, Kontrollerwartungs- und Motivationsvariablen mit faktischer Kompetenz kann an 186

Tabelle 2: Korrelationen zwischen personaler Kontrolle und den Motivationsvariablen (N-234) DPK-Zielbereiche Motivation

Affiliation

Freunde

Schule

Körper

.51**

.42**

.35**

Bedürfnis nach Eigenständigkeit

-.21**

-.02

-.13*

Furcht vor Zurückweisung

-.17**

.01

.01

Positive schulische Anstrengungsmotivation

.22**

.43**

.21**

Schulische Anstrengung (Verhalten)

.29**

.46**

.27**

Positive sportliche Anstrengungsmotivation

.22**

.26**

.59**

Sportliche Anstrengung (Verhalten)

.30**

.34**

.65**

*: p < .05 **: p < .01

dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden (vgl. hierzu Wünsche & Schneewind 1986 b). Stattdessen sollen noch einige Überlegungen und Befunde zu den möglichen Entstehungsbedingungen personaler Kontrolle kurz vorgestellt werden. Dabei erfolgt eine Konzentration auf das perzipierte Familienklima als einer sozialisationsrelevanten Kontextgröße, die sich in einer Reihe von Studien als fruchtbares Konstrukt zur Bedingungsanalyse personaler Kontrolle erwiesen hat. Zur Erfassung des Familienklimas diente die von Moos und Moos (1981) entwickelte »Family Environment Scale«, die von uns für den deutschen Sprachraum entsprechend adaptiert wurde (vgl. Schneewind, Beckmann & Hecht-Jackl 1985, Schneewind 1987 a). Bei früheren Untersuchungen (vgl. Nowicki & Schneewind 1982, Schneewind 1982) hatte sich im Zusammenhang mit Rotters Konstrukt einer »internalen vs. externalen Kontrollüberzeugung« gezeigt, daß Kinder und Jugendliche eine eher internale Kontrollorientierung entwickeln, wenn 187

folgende familiären Sozialisationsbedingungen gegeben sind: (a) ein hohes Maß an positiver Emotionalität in der Familie, (b) eine große Vielfalt familiär vermittelter Anregungen, (c) ein hoher Grad an familiärer Toleranz für individuelle Handlungsspielräume, (d) ein mittleres Maß an Organisiertheit und Vorhersagbarkeit alltäglicher Familienabläufe sowie (e) eine geringe Ausprägung an wechselseitiger familiärer Kontrolle und Überwachung. Diese Befunde konnten im wesentlichen auch in einer Studie bestätigt werden, in der personale Kontrolle nach dem hier vorgestellten handlungstheoretischen Modell erfaßt worden war (vgl. Schneewind 1985). Die spezifische Konfiguration eines emotional befriedigenden, anregenden, zu eigenständigem Handeln ermutigenden und wenig kontrollierenden Familienklimas hat sich in anderen Untersuchungen, in denen auch Kennwerte zur Erfassung der materiellen und sozialen Lebenslage von Familien in die Analyse einbezogen wurden, als wichtige »Scharniervariable« erwiesen. So zeigte sich, daß Indikatoren, die für einen restriktiven sozioökologischen Lebenskontext sprechen, mit einem einschränkenden familiären Beziehungsklima einhergehen und zusammen mit einer auch bei den Eltern nachweisbaren niedrigen globalen Kontrollerwartung zur Reproduktion einer entsprechend niedrigen personalen Kontrolle auf Seiten der Kinder führen (vgl. Schneewind 1982, 1987 b, Schneewind, Beckmann & Engfer 1983). Auf dem Hintergrund derartiger Befunde liegt es nahe, bei weiteren und differenzierteren empirischen Analysen des Entwicklungskontexts personaler Kontrolle nicht nur nach den intern repräsentierten Bedingungen einer Ermöglichung personaler Kontrolle, sondern auch nach deren objektiven materiell-sozialen Voraussetzungen Ausschau zu halten.

5. Abschließende Bemerkungen Eingangs zu diesem Beitrag wurde behauptet, daß eine gewisse Affinität zwischen dem Holzkampschen Begriff der »Handlungsfähigkeit« und dem Konstrukt »personale Kontrolle« bestehe. Die theoretische Explikation und empirische Umsetzung des Konstrukts »personale Kontrolle« wird deutlich gemacht haben, daß es sich dabei in der Tat eher um eine begriffliche Ähnlichkeit, nicht aber um eine deckungsgleiche Begriffsbedeutung handelt. Zwei Argumente lassen sich hierfür anführen. Zum einen spricht Holzkamp (1983) im Zusammenhang mit »Handlungsfähigkeit« von einem »Lebensbedürfnis« (vgl. Eingangszitat zu diesem Beitrag; Hervorhebung vom Autor) und hebt damit primär auf den motivationalen Charakter von »Handlungsfähigkeit« ab. Hingegen wurde »personale Kontrolle« hier als ein mehrparametriges Erwartungskonstrukt 188

eingeführt, das in erwartungs-wert-theoretischer Sicht erst durch eine Verknüpfung mit handlungsbegleitenden bzw. zielbezogenen Valenzen den Status einer Motivationsvariable erhielte. Im übrigen wäre es wünschenswert, die auf handlungstheoretischen Überlegungen aufbauenden Kontrollkognitionen, die den Kern des Konstrukts »personale Kontrolle« ausmachen, in einen umfassenderen kontrolltheoretischen Rahmen zu stellen, in dem strukturelle Aspekte wie »Kontrollbedürfnis«, »Kontrollerwartung« und »Kontrollerleben« gleichermaßen Berücksichtigung finden wie die für ihre Herausbildung unerläßlichen Entstehungs- und Veränderungsbedingungen. Der Holzkampsche Begriff der »Handlungsfähigkeit« legt nahe, daß in ihm all diese hier nur angedeuteten Differenzierungen eines umfassenden kontrolltheoretischen Ansatzes aufgehoben sind - so etwa wenn Holzkamp (1983, S. 241) »personale Handlungsfähigkeit« als »die Verfügung des Individuums über seine eigenen Lebensbedingungen in Teilhabe an der Verfügung über den gesellschaftlichen Prozeß« definiert. An dieser Stelle wird ein zweiter wesentlicher Unterschied zwischen »Handlungsfähigkeit« und »personaler Kontrolle« deutlich. Während Holzkamp mit seiner Definition von Handlungsfähigkeit eine zumindest globale inhaltliche Zielbestimmung vornimmt, bleibt das Konstrukt »personale Kontrolle« hinsichtlich der Inhaltsspezifität zielbezogener Kontrollerwartungen zunächst unbestimmt. Allerdings kann sich auch bei Holzkamp das in der »gesellschaftlichen Natur« des Menschen begründete Merkmal der prinzipiellen Hmdlunfßmöglichkeit in unterschiedlicher Weise äußern. Holzkamp (1983, S. 378 f.) spricht in diesem Zusammenhang von einer letztlich »Selbstfeindschaft« erzeugenden »restriktiven Handlungsfähigkeit« im Gegensatz zur »verallgemeinerten Handlungsfähigkeit«, die er (Holzkamp 1983, S. 385) »als Verfügung über die gesellschaftlichen Bedingungen der allgemein/individuellen Handlungsmöglichkeiten« verstanden wissen will und deren Entwicklung nach Holzkamp (1983, S.402) »jenseits der Strukturen bürgerlicher Lebensverhältnisse liegt und auf die Entwicklungsmöglichkeiten/ -notwendigkeiten der sozialistischen Gesellschaften verweist.« Mit anderen Worten: die in jedem Menschen angelegte Handlungsmöglichkeit soll sich im Holzkampschen Sinne zu »verallgemeinerter Handlungsfähigkeit« entwickeln. »Handlungsfähigkeit« wird somit zu einem normativen Begriff. Holzkamps Verdienst ist es, damit zugleich auch das normative Fundament seiner »Grundlegung der Psychologie« explizit gemacht zu haben. »Personale Kontrolle« ist hingegen zunächst ein theoretisch-analytischer Begriff ohne normativen Gehalt. Erst in Verbindung mit inhaltsspezifischen Zielen, die als allgemein verbindliche Sollsetzungen menschlichen Handelns formuliert sind, wird auch für »personale Kontrolle« ein normativer Bezug hergestellt. Dies ist in der hier vorgestellten Umsetzung des theoretischen 189

Modells personaler Kontrolle allerdings nicht geschehen, da die empirischen Untersuchungen zur Funktion von Kontrollerwartungen sich auf im Prinzip austauschbare Ziele bezogen. Damit soll jedoch nicht suggeriert werden, daß sich die psychologische Kontrollforschung auf diesen Typus rekonstruktiv ausgerichteter Forschungsanliegen zu beschränken hat. Im Gegenteil: an anderer Stelle (vgl. Schneewind 1984, S. 315 f.) habe ich ausfuhrlicher dargestellt, daß die Psychologie einer anthropologischen Fundierung bedarf und sich dabei an den beiden aufeinander bezogenen Leitnormen einer sozialverträglichen Selbstentwicklung und einer entwicklungsfördernden Ökologie orientieren sollte. Im Prinzip läßt sich eine Konkretisierung dieser beiden Leitziele für unterschiedliche Lebenskontexte wie Familie, Schule, Beruf und Politik vornehmen. Dies würde zu kontextbezogenen normativen Entwürfen menschlicher Entwicklungsziele führen, an denen auch »personale Kontrolle« als wesentliches Bestimmungsstück zielgeleiteten Handelns ihre inhaltliche Ausrichtung erfahren könnte.

Literatur

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190

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»Tätigkeit« oder »Activity?« Zu den Grenzen der sprachlichen Transformation psychologischer Schlüsselbegriffe Volker Schurig

In German and Russian the words Tätigkeit and dejatelnost have different meanings from the words Aktivität and aktivnost. The English word activity does not mean what Tätigkeit or dejatelnost mean in Marxist psychology. (The Encyclopedic Dictionary of Psychology, 1983)

Ein verbreiteter Mechanismus der Theorienbildung besteht darin, daß ein unscharfer, aber hinreichend allgemeiner Begriff durch weitere Zusatznamen und Erschließung neuer Ideenassoziationen soweit aufgeladen wird, bis sich für diese Gedankenkomplexität die Bezeichnung »Theorie« anbietet. Diesen Weg sind z.B. der Gestalt- und eben auch der Tätigkeitsbegriff gegangen. Der Übergang von einem singulären, meist bereits hochgradig theoretischen Begriff zu einer expliziten Theorie erfolgte in beiden Fällen allerdings weniger aufgrund einer allmählichen empirisch-induktiven Verallgemeinerung, sondern vielmehr durch Versuche einer experimentellen Untersetzung, terminologischen Präzisierung und gezielten Ausschöpfung des Erklärungsgehaltes. Ein im modernen Wissenschaftsbetrieb wohl unvermeidliches Ereignis auf diesem Weg vom Begriff zur expliziten Theorie ist die Durchführung eines wissenschaftlichen Kongresses über eben diesen Begriff, auf dem dann, wie im Falle des 1. Internationalen Kongresses für Tätigkeitstheorie (1986), das gesamte Spektrum möglicher Übergänge und unterschiedlicher Systematisierungsformen zwischen singulärem Begriff und Einzelwissenschaft durchgespielt wird. Von einigen Kongreßteilnehmern (z.B. Aebli, v. Cranach) wurde in eher vorsichtigen Stellungnahmen lediglich von einem »heuristischen« Konzept gesprochen, dessen Ideenreichtum man überprüfen und bei Brauchbarkeit zumindest partiell übernehmen könne. Ein weiteres wichtiges Aufstiegsmoment ist zweifellos die empirisch-experimentelle Umsetzung von Annahmen des Tätigkeitsbegriffs, zumal der Praxisbegriff zu den zentralen theoretischen Annahmen des Tätigkeitskonzeptes gehört und sein Fehlen oder das 192

prinzipielle Scheitern experimenteller Überprüfungsmöglichkeiten das Tätigkeitsprinzip selbst aufheben würden. Psychologen, die in dieser Phase experimenteller Anwendung stehen, sehen in dem Tätigkeitsbegriff bereits einen höheren Systematisierungs- und Verbindlichkeitsgrad, der in der Bezeichnung »Tätigkeitskonzept« (Lompscher, Kossakowski) ausgedrückt wird. Als besonders produktiv hat sich dabei die Arbeitspsychologie erwiesen, wo der Tätigkeitsbegriff - z.B. von Hacker, Volpert, Stadler u.a. erfolgreich angewandt wird, aber auch eher klassische Teilgebiete wie die Persönlichkeitspsychologie haben etwa durch Seves Analysen eine Renaissance unter tätigkeitspsychologischen Gesichtspunkten erfahren. Schließlich existierte noch ein Unterschied zwischen der Funktion des Tätigkeitsbegriffs als »theoretischer Rahmenbedingung«, etwa wenn Bergold eine Umsetzung in Bereiche der klinischen Psychologie an Fallbeispielen vornimmt, und der Position einer bereits expliziten Theorie (z.B. Oerter), eine Position, die auch die Veranstalter in der Kongreßbezeichnung selbst vertraten. Wohl unabweislich, in gewisser Weise auch konsequent, ist schließlich die von dem polnischen Psychologen Tomaszewski bereits früher formulierte Position, nach der »Tätigkeit« der Grundbegriff der Psychologie überhaupt ist, da menschliches Verhalten überwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, Tätigkeit sei. Entsprechend ist »Psychologie . . . die Wissenschaft von der menschlichen Tätigkeit und vom Menschen als deren Subjekt«. Diese Auffassung geht auf die These Rubinsteins zurück, nach der »die grundlegende Daseinsweise des Psychischen seine Existenz als Prozeß, als Tätigkeit ist«. Entsprechend sind nach Rubinstein die Einheit von Tätigkeit und Bewußtsein das wichtigste methodologische Prinzip der psychologischen Forschung. Auffallend bleibt dabei nur, daß eine präzisere inhaltliche Definition des Tätigkeitsbegriffs, durch die es gelingen würde, von einem philosophischen Prinzip zu einem einzelwissenschaftlichen Forschungsprogramm überzugehen, merkwürdig inhaltsleer bleibt. »Tätigkeit« wird bei Tomaszewski ein quasi kybernetisches Organisationsprinzip mit Soll- und Ist-Werten, die sich einander angleichen. Rubinsteins These von der Tätigkeit als »Daseinsweise des Psychischen«, von Engels' problematischem Satz des Lebens als Daseinsweise der Eiweisse abgeschrieben und in gleicher Weise ungenau, marschiert deshalb direkt wieder zurück in die Metaphysik, die immer dann hervorbricht, wenn alles auf einen Begriff fokussiert wird, anstatt diesen in ein System differenzierter Bestimmungen aufzulösen. Mit der Etikettierung des Tätigkeitsbegriffs als Grundbegriff der Psychologie allein ist also wenig gewonnen, sondern derartige formale Postulierungen wirken eher abstoßend, vor allem, wenn die speziell psychologische Gegenstandsbestimmung nur unzureichend durchdacht wird. Die hier fragmentarisch, aus einem begrenzten Diskussionszusammenhang angeführten möglichen Positionen dienen zunächst nur dem Nachweis, 193

daß »Tätigkeit« tatsächlich ein Schlüsselbegriff der aktuellen psychologischen Theorienbildung ist. Dieser Anspruch kann nämlich bei einem Blick etwa in psychologische Fachlexika nicht ohne weiteres gewonnen werden, die diesen Begriff mit wenigen Ausnahmen (z.B. Rexilius & Grubitzsch 1986) nicht kennen. Dies hat zweifellos etwas mit der häufig beanspruchten, meist aber verfehlten Grundsätzlichkeit zu tun, aber auch der banaleren Tatsache, daß bei der kontinuierlichen Fortschreibung eingeführter Kategorien wenig Raum für wirklich Neues bleibt. Tatsächlich ist die Genese des einzelwissenschaftlichen Tätigkeitsbegriffs in der deutschsprachigen Psychologie ein vergleichsweise neues Ereignis, das sich gewissermaßen »aktuell« vollzieht. Ein wichtiges Datum in diesem Prozeß ist zweifellos die Herausgabe von Leontjews, erstmals 1959 im Russischen erschienenen Buch »Probleme der Entwicklung des Psychischen« in der Bundesrepublik (1973), das seitdem in mehreren Auflagen erschien, was ein weiteres Indiz für die progressive Durchsetzung des Tätigkeitskonzeptes ist. Seitdem besteht zwischen der Kritischen Psychologie, deren Vertreter die Herausgabe Leontjews voranbrachten und mit einem Vorwort versahen, und der Tätigkeitstheorie ein vielschichtiger, teilweise kritisch geführter Diskussionszusammenhang, der aber zu unterscheiden ist von der unmittelbar sowohl gegen Leontjew wie die Tätigkeitsvorstellung gerichteten Polemik. Dieser Seitenzweig, eröffnet z.B. mit »Leontjews Begründung einer materialistischen Psychologie« (1974) und seitdem mehrfach in verschiedenen Versionen wiederholt, konnte die vielseitige Weiterentwicklung des Aneignungs- und Tätigkeitskonzeptes zu einer kritischen und zugleich den einzelwissenschaftlichen Forschungskriterien genügenden Konzeption nicht aufhalten, wobei vor allem die damit eng verbundene Kritische Psychologie verständlicherweise ihren Blick mit besonderem Interesse auf das weitere Schicksal des Schlüsselbegriffs »Tätigkeit« selbst richtet. So ist die Ausbreitung des Tätigkeitsbegriffs leider auch von der Entstehung eines vor allem bürokratisch funktionierenden Organisationsverständnisses von Wissenschaft begleitet, dessen Formalismen dann ein gewisses Eigenleben entfalten können. Zu ihnen gehört z.B., daß gegenüber einer immer weiteren Expansion des Tätigkeitsbegriffs in neue psychologische Teilbereiche die inhaltliche Reflexion über die Bedingung dieser Ausbreitung in den Hintergrund tritt. Ein spezifischer, scheinbar nebensächlicher Faktor, der das widersprüchliche Verhältnis von »Internationalität« und damit einhergehender theoretischer Entleerung in aller Schärfe zeigt, ist z.B. die unreflektierte Übersetzung des Tätigkeitsbegriffs mit »activity« z.B. auch auf dem 1. Internationalen Kongreß zur Tätigkeitstheorie, der als »schlechter Fehler« im Sinne Köhlers bereits aus gängiger Praxis übernommen wurde. Ebenso wie die Frage bleibt, ob mit der Durchführung eines Kongresses ein Begriff gewissermaßen zwangsläufig auch zur »Theorie« aufgewertet wird, so ist mit dem Englischen 194

als Kongreßsprache und internationalem Anspruch gar nicht entschieden, ob der Tätigkeitsbegriff tatsächlich in das Englische übersetzbar ist oder ob damit nicht vielmehr auch umgekehrt eine nicht mehr vertretbare theoretische Reduktion eingeleitet wird. Dazu gehört auch eine kritische Analyse der bisher üblichen Übersetzungspraxis, in der neben qualifizierten englischen Fachlexika vor allem skandinavische und russischsprachige Autoren eine direkte Übernahme des Tätigkeitsbegriffs einer Übersetzung als »activity« vorziehen. Semantisch ist die Situation des Begriffs »Tätigkeit« z.B. gegenüber dem unübersetzbaren Gestaltbegriff insofern komplizierter, da er in einigen Merkmalskomplexen dem activity-Begriff ähnlich, wenn dann auch wieder in bestimmter Weise von ihm unterschieden ist. 1. Beide Begriffe werden bevorzugt auf Systeme höheren Ordnungsgrades, also alle Lebewesen einschließlich des Menschen angewendet. Sekundär besteht aber eine deutliche Präferenz des activity-Begriffs für elementare physiologische und psycho-physische Sachverhalte, während der Tätigkeitsbegriff sich primär auf menschliches Verhalten bezieht, so daß eine organismische Reduktion nicht ausgeschlossen werden kann. 2. Beide Begriffe reflektieren ein interaktionistisches Abhängigkeitsverhältnis von System und Umwelt. Mit »Aktivität« wird in der Physiologie häufig das ungerichtete Aktiv-Sein bzw. das Eintreten eines höheren Erregungsgrades im Nervensystem bezeichnet, während Tätigkeiten zielbewußte, praktisch orientierte Handlungsabläufe sind. Entsprechend ist der activity-Begriff mit zahlreichen speziellen energetischen Antriebsvorstellungen behaftet, die dem Tätigkeitsbegriff vollständig fehlen, da in ihm das System-UmweltVerhältnis über die Vergegenständlichung des Bewußtseins definiert ist, deren Problematik wiederum dem activity-Begriff völlig fremd ist. 3. Dem activity-Begriff ist eine rhythmische Organisationskomponente eigen, die dem Tätigkeitsbegriff fehlt, so daß er z.B. zugleich die Existenz von Ruhe-, Regenerations- oder Erholungsphasen impliziert. Aktivität ist nur eine hervorgehobene Seite der Selbstorganisation der Materie, deren Definition von dem Verständnis von Passivität abhängt, ebenso wie Aktionen letztlich nur mit dem Reaktionsbegriff definiert werden können. Lebewesen besitzen eine periodisch wechselnde Aktivität mit kurz- und langfristigen Änderungen, während die menschliche Tätigkeit keinen Gegenbegriff in diesem Sinn kennt; sondern sie enthält in sich als Problemebenen z.B. das Verhältnis von Subjektivem und Objektivem bzw. Materiellem und Ideellem eben als »Tätigkeit«. Von den Argumenten, die deutlich gegen eine Übersetzung des Begriffs »Tätigkeit« als »activity« sprechen, sollen hier zwei Positionen genauer ausgeführt werden. Dazu gehört einmal, daß der activity-Begriff bereits ein 195

vielseitig besetzter Fachterminus ist, für den selbst das »Dictionary of Psychology« (1934) bereits vier unterschiedliche Bedeutungen von Akt, Aktion bis Aktivität anführt, obwohl der eigentliche Schwerpunkt im Bereich der Naturwissenschaft liegt. Hier hatte erstmals der amerikanische Zoologe Jennings 1906 eine strikt empirisch definierte activity-Terminologie zur Beschreibung des Einzellers Paramecium entwickelt. Seitdem sind ca. 10 verschiedene, zum Teil hochspezialisierte Fachterminologien auf der Grundlage der Begriffe »activity«, »Aktivität«, »action« im Sinn von Aktion (nicht Handlung) vor allem in der Neurophysiologie, physiologischen Psychologie, Ethologie und Tiersozioologie entstanden, von denen keinerlei theoretische Beziehung zu dem Tätigkeitsbegriff besteht. 1) In einigen, wenn auch begrenzten Fällen wird der activity- bzw. Aktivitätsbegriff auch auf die anorganischen Systemerscheinungen angewandt (z.B. Radioaktivität, Vulkanaktivität); 2) in der Neurophysiologie wird als »Aktionspotential« eine Potentialdifferenz von 30-50 mV verstanden, das durch eine Änderung der Membranpermeabilität entsteht und auch die Grundlage der im Alles- oder NichtsGesetz kodierten nervalen Informationen ist; 3) in Analogie zu dem Aktionspotential hat Lorenz in der Verhaltensforschung den Begriff der »aktionsspezifischen Energie« als Zustand des ZNS eingeführt. Ihre Schwelle wird unabhängig von äußeren Reizeinflüssen (z.B. AAMs) bestimmt. Über spontane endogene Erregungsbildung wird dann das Auftreten von Endhandlungen geregelt. Die Annahme einer »aktionsspezifischen« Energie ist eine mögliche, hypothetische Erklärung für das Auftreten der Verhaltensaktivität und die Grundlage der »Handlungsbereitschaft« im Antriebsverhalten. 4) Moruzzi und Magoun haben 1949 den Begriff der »Aktivierung« eingeführt, der in der physiologischen Psychologie das Zustandsniveau der Erregung im ZNS beschreibt und anatomisch im Hirnstamm (Formatio reticularis) lokalisiert wird. Das psycho-physische Aktivierungsniveau beeinflußt über die Vigilanz dann die individuelle Lernleistung. Ein wichtiger Indikator der ZNS-Aktivierung sind die verschiedenen Rhythmen des EEG. 5) Aktivität wird in der Physiologie auch allgemeiner als Gesamtzustand des Organismus verstanden. Viele Lebewesen besitzen besondere Aktivitätsrhythmen (z.B. als circadiane Rhythmik), die von hoher funktioneller Bedeutung für die zeitliche Organisation von Lebensprozessen sind. 6) Unter dem Begriff der (lokomotorischen) Aktivität werden häufig Ortsbewegungen verstanden, die dem Ruhe- und Schlafverhalten gegenübergestellt werden. Wichtigster Parameter dieses Aktivitätsbegriffs sind 196

7)

8) 9) 10)

das Raummaß (Bewegungsstrecke), Zeitmaß (Bewegungsdauer) und als Quotient die Geschwindigkeit lokomotischer Aktivitäten. Jennings hatte 1906 vorgeschlagen, sämtliche »Aktionen« tierischer Lebewesen aufzulisten. Seitdem wird in der Verhaltensbiologie als »Aktionskatalog« (Ethogramm) die Zusammenstellung aller Verhaltensweisen bzw. Aktivitäten eines Individuums oder einer Art bezeichnet. In der Ethologie wird unter »Aktionsraum« auch das Streifgebiet einer Art verstanden. Es handelt sich um spezielle Territorien, die nicht verteidigt werden. In der Tiersoziologie spricht man von »Aktionsgemeinschaften«, wenn einzelne Individuen unterschiedlicher Arten sich z.B. zum Fressen oder auf Tierwanderungen zusammenfinden. Selbstverständlich kann an diese Kette auch noch eine »theory of acitivty« im Sinne des Tätigkeitsbegriffs der Kulturhistorischen Schule und der Kritischen Psychologie angehängt werden, es bleibt aber die ernsthafte Frage, ob man im Interesse sowohl des activity- wie des Tätigkeitsbegriffs auf diese Verbindung nicht verzichten sollte. Wenn sie als Übersetzung doch erfolgt, sind weitere, völlig neue Zusatzbestimmungen, wie die keineswegs vollständige Aufzählung der inneren Strukturebenen der Aktivitätsterminologie zeigt, unausweichlich. Das bereits zitierte »Encyclopedic Dictionary of Psychology« spricht konsequenterweise deshalb auch von »marxist activity-theory«, was mit einer direkten Übernahme des Begriffs »Tätigkeit« inhaltlich allerdings wesentlich genauer beschrieben wäre.

Ein zweites Argument, das gegen eine activity-Übersetzung des Tätigkeitsbegriffs spricht, ist außerdem die Unübersetzbarkeit der diesen Wissenschaftsbegriff stützenden Termini wie »Aneignung«, »Vergegenständlichung« usw., vor allem aber das damit eingeleitete Abschneiden von den historischen Quellen des Tätigkeitsbegriffs, was gerade mit einem historisch kritischen Ansatz unvereinbar ist. Wie viele andere psychologische Kategorien beginnt auch die Problemgeschichte des Tätigkeitsbegriffs in der Philosophie, genauer mit deren kritischer Wendung gegen die Metaphysik in der neueren Philosophiegeschichte, die von Kant bis Hegel ganz verschieden artikuliert wird. Für Fichte z.B. ist das Ich »absolute Tätigkeit und nichts als Tätigkeit«. In der Formel »Wir handeln nicht, weil wir erkennen, sondern wir erkennen, weil wir zum Handeln bestimmt sind« ist jene Wendung von der gottgegebenen Welt der Theologie zur Reflektion des selbstbewußten, schöpferischen Menschen angedeutet, deren emanzipatorischer Charakter sich auch heute noch im einzelwissenschaftlichen Tätigkeitskonzept findet. Im Übergang etwa von Fichte zu Marx wird die zunächst noch individualistische Tätigkeit 197

zum gesellschaftlichen Prozeß der zweckmäßigen und praktisch-tätigen Veränderung der sozialen und natürlichen Umwelt. Der Begriff »Tätigkeit« zielt immer genauer auf den geschichtlich-konkreten Arbeits- und Lebensprozeß oder, wie Hegel sagt, »Der Mensch verhält sich mit seinen Bedürfhissen zur äußerlichen Natur auf praktische Weise«, indem er tätig wird. Für Marx schließlich ist der gegenständliche Mensch das historische Resultat seiner eigenen Arbeit. Der tätigen Seite gilt nun das Interesse und diese »sinnlich menschliche Tätigkeit«, meist als »Praxis« verallgemeinert, ist in ihrer individuellen Subjektivität und gesellschaftlichen Historizität zentraler Gegenstand kritischer Psychologie. Nicht alle historisch an den philosophischen Tätigkeitsbegriff gebundenen Problemstellungen (z.B. die Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit) sind für den einzel wissenschaftlichen (psychologischen) Tätigkeitsbegriff von Bedeutung, sondern er spezialisiert sich zunehmend auf die Rolle z.B. aktiver geistiger Tätigkeit, die Subjektivität schöpferischer Tätigkeit, die Rolle des Ichs und der Individualität. In diesem Sinne liegt der Ursprung des psychologischen Tätigkeitsbegriffs ideengeschichtlich in der Philosophie, und diese Quellen müssen offengehalten werden, indem weiterhin über zeitlose Aussagen wie »der Mensch macht seine Lebenstätigkeit selbst zum Gegenstand seines Wollens und Bewußtseins, er hat bewußte Lebenstätigkeit« nachgedacht werden kann. Wygotski hat diese Umsetzung erstmals exemplarisch an dem Bienenbeispiel von Marx vorgeführt und damit seit 1925 die Entstehung des psychologischen Tätigkeitskonzeptes eingeleitet. Wie der theoretische Zugang zu dem schöpferischen menschlichen Subjekt, das seine Lebensbedingungen und sich selbst hervorbringt, über den blassen activity-Begriff gewährleistet werden soll, wird noch unerklärlicher, wenn man etwa an eine eventuelle Rezeption von Leontjews Aneigungskonzept auf diesem Begriffsniveau denkt. Jede sprachliche Abbildung von Vergegenständlichung und Aneignung, also die Tiefendimension des Tätigkeitsproblems, über den Aktivitätsbegriff bleibt nicht nur notwendigerweise kraus, sondern bedeutet einen Rückfall in den platten Materialismus des Objektes und der einfachen Anschauung, als dessen Kritik gerade der Marxsche Tätigkeitsbegriff formuliert wurde. Wenn man die vorausgegangenen Überlegungen zusammenfaßt, so bleibt folgendes Fazit: 1. Das einzelwissenschaftliche Tätigkeitskonzept, gleichgültig ob es als »Theorie« oder »Psychologie« deklariert wird, gehört zu den wenigen Ideensystemen, für die sich im Wissenschaftsbereich eine Ost-WestWanderung nachweisen läßt. Als selbständiges psychologisches Forschungskonzept wurde es erstmals in der Kulturhistorischen Schule von Wygotski vor allem in dem 1934 publizierten, 1936 verbotenen Buch 198

»Denken und Sprechen« am Beispiel der Sprachentwicklung des Kindes formuliert und von Leontjew als Entwicklungsprinzip generalisiert. Über die Kritische Psychologie erfolgt seit 1973 eine Verbreitung im deutschen Sprachraum, von dem aus gegenwärtig auch ein Transfer in das Englische erfolgt. 2. Sprachhistorisch entwickelt sich das Tätigkeitskonzept als begriffliche Wechselwirkung zwischen dem deutschen und russischen Sprachraum, die beide einen kompatiblen Tätigkeitsbegriff kennen, während er im Englischen fehlt bzw. nur eine schwache Abbildung als »activity« möglich ist. Wie viele andere psychologische Fachbegriffe ist der Tätigkeitsbegriff ein Ideenkonstrukt, das sich einerseits in einem Ablösungs- und Konkretisierungsprozeß gegenüber der philosophischen, letztlich durch die Aufklärung bestimmten Kategorie »Tätigkeit« befindet, andererseits lebt ihr einzelwissenschaftlicher Ideen- und Problemreichtum gerade von der Ausschöpfung dieser Quelle. 3. Bei einer Übersetzung von »Tätigkeit« als »activity« werden langfristig folgende durchweg negativen Folgen wirksam: a) die englische Wortbezeichnung erschwert oder verhindert den problemgeschichtlichen Zugang zu dem theoretischen Ursprung des philosophischen Tätigkeitsbegriffs, der in der klassischen deutschen Philosophie und bei Marx liegt, b) trotz der erst kurzen Geschichte der psychologischen Tätigkeitsentwicklung sind bereits zahlreiche spezielle Teiltheorien und methodologische Forschungsprinzipien, wie z.B. das Interiorisierungskonzept Wygotskis oder das Aneignungskonzept Leontjews entstanden, deren sprachliche Transformation ähnlich problematisch ist. c) Eine Übersetzung würde zu einer Überforderung der semantischen Kapazitäten des englischen activity-Begriffs führen, der mit den bisher in der Philosophie- und Psychologiegeschichte entstandenen Begriffsbedeutungen von »Tätigkeit« aufgeladen werden müßte. Auch wenn der Tätigkeitsbegriff selbst trotz dieser Argumente übersetzt werden sollte, entstehen als weitere Probleme die Frage der sprachlichen Transformation der an ihn gebundenen Fachterminologie mit Begriffen wie »Vergegenständlichung« und »Aneignung«. Durch die Übernahme der deutschen Begriffsbezeichnungen in das Englische als Fachterminus wird ein tiefgreifender Inhalts- und Bedeutungsverlust verhindert. d) Jede activity-Übersetzung ist zugleich ein Prozeß der systematischen, theoretischen Verflachung und Abschwächung des kritischen Potentials des Tätigkeitskonzeptes: Die scheinbare internationale Verbreitung erweist sich beim genaueren Hinsehen nur als ein universell wirksamer Reduktionsmechanismus auf eine bereits durch naturwis199

senschaftliche Disziplinen vielseitig besetzte Fachterminologie. Aus der Reflektion schöpferischer Subjektivität des Menschen und seiner gesellschaftlichen Praxis wird ein müder Wellenschlag letztlich organismisch definierter Lebenstätigkeit, e) Mit einer Einbürgerung des genuinen Tätigkeitsbegriffs in den englischen Sprachgebrauch wird gleichermaßen seine Entleerung zu einer activity-Worthülse sowie umgekehrt auch die hoffnungslose Bedeutungsüberfrachtung des activity-Begriffs verhindert.

Literaturverzeichnis

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Zur Bedeutung des Konzepts der Persönlichkeit* Luden Seve

Das Bemühen um die menschliche Individualität gehört theoretisch wie praktisch zum Kern des Marxismus. Von dieser Behauptung auszugehen, sollte eigentlich selbstverständlich sein, und doch läuft sie Gefahr, als paradox zu erscheinen. Zum einen beinhaltet sie das Gegenteil der - von der herrschenden Klasse unablässig neu belebten - Vulgärvorstellung, die den Marxisten zum engstirnigen Anhänger eines »soziologischen Determinismus« macht, der die Individuen als Serienprodukte ihre Existenzbedingungen begreift, zum »Sozialfanatiker«, der davon träumt, das Glück der Menschheit durch die »Unterdrückung des Individuums«, die »Aufhebung der Persönlichkeit« zu erreichen - Klischees, deren bürgerliche Vernageltheit Marx und Engels schon im Manifest bloßlegten. Auf einer ganz anderen Ebene aber rührt sie an das, was möglicherweise auch bei Marxisten zurückgeblieben ist von der alten Neigung, historischen Materialismus und Objektivismus zu verwechseln, oder dem neueren »theoretischen Antihumanismus«, für den die Individuen lediglich die »Träger« der gesellschaftlichen Verhältnisse sind. Dem moralisierenden Humanismus, der seit Jahrtausenden nicht müde wird zu wiederholen, daß man die Gesellschaft nicht ändern wird, wenn man nicht zuerst die Menschen ändert, glaubte jener Marxismus dadurch begegnen zu können, daß er diesen Grundsatz einfach umkehrte, als ob die Wandlung des Individuums und die der Gesellschaft nicht aufs engste miteinander verflochten wären - und heute auf eine entschiedenere Weise denn je. Überhaupt bestimmt das tiefe Interesse an der »Entwicklung der Menschen« jetzt mehr und mehr das Denken der französischen Kommunisten, und eine entsprechende Bewegung läßt sich in den sozialistischen Ländern beobachten. Muß sich aber diese Sorge um die Menschen nicht noch stärker der Frage in ihrer ganzen Reichweite zuwenden, was das ist: ein Individuum? Wir werden uns hier mit dieser Frage beschäftigen, indem wir nötigenfalls bereits gesagte, jedoch noch wenig bekannte oder schlecht verstandene Dinge wiederholen, um, wo es geht, auf das noch weitgehend 201

unerschlossene Terrain einer Wissenschaft vorzudringen, die es mit der Persönlichkeit in ihrer biographischen und historischen Entwicklung zu tun hat.

Das menschliche Individuum: eine historische Veränderliche Individualität in marxistischen Begriffen behandeln und Marxismus in Begriffen der Individualität: diese neuartige Aufgabe hat dennoch nichts von einer willkürlichen Neuerung. »Die Individuen sind immer von sich ausgegangen«: Gegen jeden Soziologismus oder Objektivismus war der Gedanke für Marx, zur selben Zeit wo er zum historischen Materialismus gelangt, so wichtig, daß er ihn in der Deutschen Ideologie gleich viermal hintereinander entwickelt. »Die Individuen sind immer von sich aus gegangen, gehen immer von sich aus. Ihre Verhältnisse sind Verhältnisse ihres wirklichen Lebensprozesses. Woher kommt es, daß ihre Verhältnisse sich gegen sie verselbständigen? daß die Mächte ihres eigenen Lebens übermächtig gegen sie werden?«1 Dies kommt, antwortet Marx, von der Tatsache, daß mit der Arbeitsteilung, der privaten Aneignung und dem Klassenantagonismus eine tiefe Kluft entsteht zwischen den Menschen und ihren sachlichen Existenzbedingungen, die, in unabhängige und blinde Kräfte verwandelt, sich jene unterwerfen: das ist die Entfremdung, im historischen Sinne des Wortes. Anstelle des soziologischen Determinismus, der dem Marxismus unterschoben wird, steht dort also die kritische Feststellung einer die Klassenverhältnisse anklagenden Abhängigkeit der Menschen, auf deren Beseitigung der revolutionäre Kampf gerichtet ist. »In der gegenwärtigen Epoche hat die Herrschaft der sachlichen Verhältnisse über die Individuen, die Erdrückung der Individualität durch die Zufälligkeit, ihre schärfste und universellste Form erhalten und damit den existierenden Individuen eine ganz bestimmte Aufgabe gestellt. Sie hat ihnen die Aufgabe gestellt, an die Stelle der Herrschaft der Verhältnisse und der Zufälligkeit über die Individuen die Herrschaft der Individuen über die Zufälligkeit und die Verhältnisse zu setzen.«2 Diese Verhältnisse, die nunmehr eine universelle Entwicklung erreicht haben, gesellschaftlich zu beherrschen, erfordert eine ihrerseits universelle Entwicklung der Individuen: das ist die Perspektive der kommunistischen Gesellschaft, »der einzigen, worin die originelle und freie Entwicklung der Individuen keine Phrase ist«3, »worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist«.4 Es war keineswegs eine Vorliebe fürs Paradoxe, 202

die Ernst Bloch schreiben ließ, daß »die klassenlose Gesellschaft so individuell sein kann wie keine bisher«.5 Dies ist es, was der herrschenden Ideologie verschlossen bleibt, die nicht zu begreifen vermag, daß eine Höherentwicklung der menschlichen Individualität in notwendiger Verbindung mit einer Höherentwicklung der sozialen Gemeinschaft möglich ist. Und sie verewigt dieses in der kapitalistischen Entfremdung wurzelnde Unverständnis kritiklos unter der Form einer natürlichen Gegnerschaft des »Individuums« zur »Gesellschaft«. Auf der einen Seite wäre da der Markt, der Staat, das Gesetz etc. als ein Ensemble von Zwängen, dem Prinzip nach nicht reformierbar, weil den Erfordernissen des gesellschaftlichen Lebens überhaupt entsprungen - auf der anderen Seite das Individuum, aus sich heraus fremd in seiner historisch-sozialen Welt, vom bloßen organischen Körper her bestimmbar, auf den ihn der landläufige Biologismus reduziert (ergänzt durch eine spiritualistische Seele nach Wahl6), Sitz von zeitlosen psychischen Trieben und Funktionen, die von den Umständen beeinflußt werden können, ohne von ihnen entscheidend verändert zu werden. Die Beziehung des menschlichen Individuums zu seiner sozialen Welt wird demgemäß auf dieselbe Weise gedacht wie diejenige des Tieres zu seiner natürlichen Umwelt: ein schöner »Humanismus«! »Sein Leben leben« heißt dann einen Kompromiß suchen zwischen der angeborenen Tendenz zum egoistischen Beutemachen und der erworbenen Weisheit des Verzichts auf verbotene Befriedigung-ewiger Konflikt, Grundbestandteil der conditio humana. Marx läßt diese Ideologie als das erkennen, was sie ist: der mystifizierte Ausdruck einer Übergangsphase in der Entwicklung der Menschheit. Denn die Seinsweise des menschlichen Individuums ist nicht eine natürliche Invariante, sondern eine historische Veränderliche: Man ist nicht auf die gleiche Art ein Individuum in einer primitiven Gemeinschaft, einer Ordnungs- oder Klassengesellschaft, einer klassenlosen Zivilisation. In allen ihren Stadien sind die sich entwickelnden Beziehungen der Menschen zur Natur und unter sich selbst eingebunden zugleich in eine spezifische soziale Formation und eine individuelle Formation, die mit ihr ein Ganzes bildet. Jede soziale Form trägt in sich ihr »Gesetz der Individualität«, das seinerseits eine ihrer wesentlichen Dimensionen ist. Der allfallige Gegensatz zwischen »dem Individuum« und »der Gesellschaft«, bar jedes Sinns etwa in der Organisation eines Klans, widerspiegelt nur bewußtlos die Trennung der Menschen von ihren gesellschaftlichen Existenzbedingungen, die sich mit der Warenproduktion entwickelt hat, um in der kapitalistischen Entfremdung zu gipfeln, wo die Ideologie des abstrakten Individuums den Schein der Evidenz annimmt. Aber eine solche Spaltung ist nur der negative Ausdruck einer stets grundlegenden Einheit - da das menschliche Wesen »nur in der Gesellschaft 203

sich vereinzeln kann«7 - einer Einheit, deren antagonistische Aspekte zwingender Determinierung aus eben dieser Spaltung hervorgehen, indem die Individuen von den ungeheuren gesellschaftlichen Mächten erdrückt werden, die sich gegen sie bilden, und die sie in genau dem Maße abstreifen wird, wie die Individuen diese Mächte unter ihre gemeinsame Kontrolle bringen wofür der Sozialismus in seinen Anfangsstadien die Bedingungen erst noch sehr unvollkommen und widersprüchlich geschaffen hat. Im Kommunismus, wenn am Ende von Jahrtausenden die »Entwicklung der Fähigkeiten der Gattung Mensch« sich verwirklicht hat »auf Kosten der Mehrzahl der Menschenindividuen und ganzer Menschenklassen«8, wird die der menschlichen Individualität wesentliche Gesellschaftlichkeit schließlich die der gesellschaftlichen Menschheit wesentliche Individualität beinhalten. Aber der Übergang zu jener neuen Ära der Zivilisation setzt »eine ganze Reihe geschichtlicher Prozesse« voraus, »durch welche die Menschen wie die Umstände gänzlich umgewandelt werden«9 - eine Umwandlung der Menschen, die nicht auf später zu verschieben ist, um ihnen von außen gewährt zu werden, denn sie ist schon in der Gegenwart wesentlicher Bestandteil und treibende Kraft der historischen Entwicklung.

Der blinde Fleck der Psychologie Das mindeste, was man sagen kann, ist, daß diese hier sehr kurz umrissenen, früher wenig verfolgten Ideen sich im französischen Denken seit der Jahrhundertmitte einen schweren Weg bahnen mußten. In einer Zeit, in der man die Kulturgeschichte zu schreiben beginnt, zu der diese Entwicklungen gehören, ist es vielleicht nicht unangebracht, kurz persönlich Zeugnis zu geben von der Ausrichtung und den Peripetien einer kollektiven und individuellen Anstrengung, die heute von verschiedenen Seiten aufgegriffen wird, wenn auch nicht immer ohne eine gewisse Unbekümmertheit gegenüber den Tatsachen, den Menschen und den Ideen. Als Student (zusammen mit nicht wenigen anderen) zuerst durch das Werk Sartres verführt, das eine theoretische Sprache für die Fragen des Lebens anzubieten schien, doch bald wieder abgelöst von dieser Phänomenologie der Existenz, die sie für meine Begriffe weder befriedigend zu erklären noch zu verändern half, wurde mir etwa in meinen zwanziger Jahren - das war die Epoche, in der die Befreiung in den Kalten Krieg überging - bewußt, daß man das Leben nicht ändern kann, ohne die gesellschaftlichen Verhältnisse umzuwandeln, und ich kam darüber - wenn auch lange zögernd angesichts des engen Bildes, das mir die Klause in der rue d'Ulm10 davon vermittelte - zum Kommunismus mit der innigen Überzeugung und festen 204

Entschlossenheit, daß dies nicht bedeuten kann, das Bemühen um die Individualität aufzugeben, sondern vielmehr, es wahrhaft ernst zu nehmen. Von Psychologie begeistert wie ich war, hatte, was ich mir davon erwartete, so eine sehr deutliche biographische Färbung: Ich wünschte sie mir imstande, auch die Existenz zum wissenschaftlichen Inhalt zu machen, um daran mitzuwirken, diesen zu revolutionieren. So mußte denn die akademisch maßgebende Psychologie, wiewohl lehrreich im Detail, mich insgesamt betrüben. Indem sie die Tätigkeit des Individuums auf das Funktionieren seines psychischen Apparats reduzierte, ignorierte sie von den Problemen des Lebens alles, um in klassifikatorischer Besessenheit zu versinken, wenn sie sich vorgeblich mit der Persönlichkeit befaßte, die sie ohne Ausnahme auf ein fades Kompendium von »traits« zurückführte. Bedacht, das ihr angestammte Erbe aufs beste zu verwalten, schien dies ihre einzige Sorge zu sein. In Anspielung auf Marx' Kritik am hegelschen Staatsbegriff könnte man von dieser immer noch in Ehren befindlichen Psychologie der Persönlichkeit sagen, daß sie nicht zu tadeln ist, insoweit sie das Wesen des Lebens beschreibt wie es ist, wohl aber dafür, daß sie das, was ist, für das Wesen des Lebens ausgibt. Sie erschien mir unheilbar konservativ. Die sehr viel mehr der konkreten Existenz zugewandte Psychoanalyse oder jedenfalls was davon in jener Zeit zu kennen und zu sehen war interessierte mich, berührte mich aber nicht wirklich, selbst dann nicht, als sie viele meiner Kollegen und Schulgefahrten11 in verschiedenem Grade für sich einnahm, von Althusser bis Anzieu, von Laplanche bis Foucault. Sie lüftete zweifellos den Schleier über unseren Kindheitsgeheimnissen und der Architektur unserer Wünsche, aber ich fand sie stumm vor der komplizierten Vielgestaltigkeit einer Jugendkrise, blind gegenüber der eigentümlichen Vielfalt des Erwachsenenlebens. Schienen überdies nicht ihre Enthüllungen zum einzigen konkreten Ziel zu haben, auf Gesundheitsbestrebungen zu antworten, die mir fremd waren - und unter meinen Freunden solche, die sich in der Analyse befanden, regelrecht dahinsiechen zu sehen, war auch nicht gerade angetan, mich zu bekehren -, und schienen sie nicht gar darauf abzuzielen, die Umgestaltung der Welt durch eine Abfuhr von Trieben zu ersetzen, dabei die praktische Befreiung in eine phantasmatische zu verwandeln? - weshalb mir die kommunistischen Psychiater recht zu haben schienen, die 1949 in La Nouvelle Critique diese »reaktionäre Ideologie« denunzierten. Wieviel anziehender war dagegen für mich diese Verbindung von umfassender Klarheit und der auf Veränderung des realen Lebens gerichteten Leidenschaft, die die marxistische Kultur von allen anderen unterschied. Aber wie kam es, daß es sie anscheinend nicht gab - eine »marxistische Psychologie«? In diesem Zusammenhang war für mich die Lektüre des von Politzer 1947 in den Editions sociales unter dem Titel La crise de la Psychologie 205

contemporaine12 publizierten Bandes eine Erleuchtung. Ja, das fehlte sehr wohl: eine »konkrete Psychologie«, deren Grundbegriffe dem »Drama« verwandt waren, d.h. dem, was sich abspielt auf der gesamten Szenerie der Existenz, und deren Anlage zugleich von Grund auf zu verändern war. Wie also war die subversive Lektion Pölitzers zu überhören: »Die Psychologie ist nicht im Besitz des »Geheimnisses< des menschlichen Handelns, einfach weil dieses >Geheimnis< nicht von psychologischer Größenordnung ist.« Das Verständnis der Persönlichkeit erforderte ein »Umwegverhalten«: das war es, was zu verstehen der Psychologie nicht gelungen war, die mir durch Vorlesungen und praktische Übungen an der Sorbonne eingetrichtert wurde. Demgemäß suchte ich auch bei Lenin, den ich begierig entdeckte, nicht allein die Grundlagen einer politisch-theoretischen Bildung, sondern zugleich die Ecksteine einer neuen »Wissenschaft des Individuums«. Auf dieser Gratwanderung fehlte es unserer Generation bitter an Führern. Politzer zeigte eher einen Weg als daß er ein Werk hinterließ. Der aufsteigende Ruhm Piagets überschattete bereits die noch immer verkannte Arbeit von Wallon. Von der Existenz einer sowjetischen Psychologie wußten wir bis dahin nichts. Indem ich lebhaft empfand, was in der Psychologie nicht ging, machte ich mich zu Anfang der fünfziger Jahre, solcherart auf der Suche, sehr ernsthaft an das Studium der Marxschen ökonomischen Schriften, ohne zu ahnen, daß fünfundzwanzig Jahre zuvor ein gewisser Wygotski in seinem Die historische Bedeutung der Krise der Psychologie geschrieben hatte: »Die Psychologie braucht ihr Kapital - ihre Begriffe der Klasse, der Basis, des Werts...«. Ich verwunderte mich darüber, daß die Marxisten den Beitrag des dialektischen Materialismus zur Psychologie unterstrichen, nicht aber den des noch weitaus relevanteren historischen Materialismus; ich wußte nicht, daß derselbe Wygotski auf der Grundlage genau dieses Gedankens ein sorgfaltig ausgearbeitetes Werk verfaßt hatte. Was haben diese gewiß nicht zufalligen Verkennungen uns an Zeit verlieren lassen, um die klassischen Fehler zu wiederholen und die am weitesten entwickelten Beiträge des Marxismus zur Psychologie noch einmal zu finden! Trotzdem berührt bei Wallon und seinen Schülern, bei Wygotski und selbst bei Leontjew die enorme Arbeit über die psychischen Funktionen und Aktivitäten nach meinem Verständnis noch zu wenig das zentrale Gebiet der Biographie - dies ein besserer Name für Politzers »Drama«. Wenn nun auch die Teile des biographischen Puzzles von einem bestimmten Gesichtspunkt aus nichts anderes sind als psychische Funktionen und Aktivitäten, so heißt das doch nicht, daß die Geschichte, die sich da bildet, von diesen aus Gestalt und Richtung erhält. Es ist ein Abgrund zwischen einer Kombination von Verhaltensweisen und einem Menschenleben. Diese keimhaft vorhandene Gewißheit ließ mich 1952, als La Raison, die Zeitschrift der kommunistischen Psychiater, es im Namen des Leninismus und des Materialismus 206

unternahm, die Lehre Pawlows als Basis der »marxistischen Psychologie« hinzustellen, heftig gegen diese in meinen Augen unannehmbar einseitige Ausrichtung Stellung beziehen, um in einem - von Le Guillant13 wohlwollend aufgenommenen - Artikel die Auffassung zu vertreten, daß der Pawlowismus der Persönlichkeit bloß der »Form«, nicht aber dem »Inhalt« nach gerecht werden könnte, den ich auf einen nicht mehr »physiologischen«, sondern »sozialen« Ansatz verwies. Zu wenig eindeutig war die Sprache, als daß sie, ohne mißverstanden zu werden, eine noch ganz und gar programmatische Intuition hätte vermitteln können, die natürlich von einigen prompt als »Dualismus« eingestuft wurde. Als ich dies während eines von La Pensee veranstalteten Kolloquiums über Lenin wieder aufgriff, sah ich Henri Wallon mir antworten, daß vor allem »die Einheit der Psychologie« nicht verkannt werden dürfe - eine Antwort, die mich belehrte, ohne mich zu überzeugen. Denn die Unterscheidung, an die ich mich herantastete, bezog sich nicht auf zwei willkürlich getrennte Teile der Psychologie - einen psychophysiologischen und einen psychosozialen - sondern auf die Psychologie als ganzes, insoweit sie Wissenschaft war von den repetitiven Prozessen des psychischen Betriebs, einerseits und andererseits auf ein Wissen, das aus der Entwicklung der Individuen ihren besonderen Biographien entsprechend hervorwachsen sollte - einem nach Inhalt und Formen so andersartigen Gegenstand, daß nicht einmal die Persönlichkeitspsychologie den geringsten Begriff davon zu haben schien. Die Bedingungen und Umrisse dieser zukünftigen Wissenschaft zu erhellen, war das fünfzehn Jahre später erschienene Marxisme et theorie de la personnalite bestimmt.

Die Persönlichkeit als theoretisch und praktisch neuer Gegenstand Die Gründe, die mich in diesem Buch eine radikale Kritik versuchen ließen an allem, was unter dem Namen einer Psychologie der Persönlichkeit erzeugt, veröffentlicht und unterrichtet wird, scheinen mir heute leider immer noch gültig zu sein. Denn die phantastische Gegenstandsreduktion - des Gegenstandes, der hier den Namen »Persönlichkeit« zurückerhält - ist dort ungebrochen wirksam. So stellt etwa in einem unlängst erschienenen Resümee über Les conceptions cognitives de la personnalite14 der Verfasser ohne Umschweife und in Übereinstimmung mit allen ihm bekannten gelehrten Autoritäten fest, bei der Persönlichkeit handle es sich um »die stabile und individualisierte Einheit von Verhaltensgesamtheiten«, ja gar um 207

»die erschöpfende Gesamtheit personaler Invarianten« - wobei dann noch die große Frage zu untersuchen bleibt, ob diese Invarianten von charakterlicher, motivationaler oder kognitiver Art seien, um am Ende zu dem Schluß zu kommen, es sei zweifellos von jedem etwas der Fall Man scheint hier für unmittelbar evident zu halten, daß schon in der bloßen mehr oder weniger Identisches hervorbringenden Wiederholung von Verhaltensweisen Persönlichkeit liegt, anders ausgedrückt, daß der außerordentliche, sich beständig verändernde Handlungsreichtum, der den existentiellen Unterschied der Einzelschicksale ausmacht, den biographischen Unterschied der Lebensalter, den historischen Unterschied der individuellen Daseinsweisen, die Persönlichkeit nicht betrifft, daß er wie ein bloßes Dahinströmen zufalliger Ereignisse eine feste Struktur des Psychischen durchzieht, ohne sie zu berühren. Angenommen, ich werde entgegen meinen Kindheitsträumen zum Sonderschüler, mehr noch als andere durch dieses Fehlschlagen einem Leben der »Gelegenheitsjobs«15 versprochen, und angenommen, mein Leben erhält, nach einer fehlgeleiteten Jugendzeit, eine neue Ausrichtung dadurch, daß ich mich stark in einer kollektiven Aktivität engagiere, die es in meinen Augen verlohnt - es würde dies weder die Persönlichkeit interessieren noch ihren wissenschaftlichen Psychologen, der in seinem Labor mit ernsteren Fragen beschäftigt ist, sondern wäre ganz einfach auf die »Klinik« verwiesen, die im übrigen immer viel zu unbedarft ist, als daß sie sich theoretisch mit der Biographie befassen könnte. Ich sage also nochmals, daß eine Psychologie, die so über die Persönlichkeit arbeiten will, sich eines offenkundigen Mißbrauchs der Sprache schuldig macht, denn wovon sie tatsächlich handelt, ist kaum mehr als die Idiosynkrasie. Ich halte daran fest, daß sie, indem sie Handeln auf Verhalten reduziert, sich jedes Mittels begibt, das Konzept der Persönlichkeit in Unterscheidung von dem (sehr viel allgemeineren) der Individualität zu fassen. Es gibt eine tierische Individualität - bei den höheren Vertebraten kann man sogar eine »stabile und individualisierte Einheit von Verhaltensgesamtheiten« erkennen -, aber Persönlichkeit ist einzig und allein menschlich. Und warum ist dies so? Aus einem Grund, der der Wahrnehmung vollständig verschlossen bleibt, wenn man, vom Boden des Positivismus aus, sich dem Studium des Psychischen auf der menschlichen Stufe mit denselben Vorgehensweisen nähert, die auf der tierischen Stufe Anwendung finden, ohne den wesentlichen Unterschied dazwischen wirklich ernst zu nehmen. Es ist dies der Grund, dessen Prinzip Marx erstmalig in seiner sechsten These über Feuerbach formulierte: »Das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.« - eine These, für deren richtige Übersetzung und Auffassung sicherlich viel gekämpft werden mußte16, wenngleich ihr Sinn mit der zeitgenössischen Entwicklung der 208

Wissenschaften vom Menschen zunehmend deutlicher hervorgetreten ist. Sei er hier unverdrossen wiederholt: Wenn die Wesenskräfte [capacites caracteristiques] der historisch entwickelten Menschheit ganz andere geworden sind als die angeborenen Fähigkeiten [aptitudes natives] der höheren Wirbeltiere und des ursprünglichen homo habilis, so deshalb, weil ihr savoir-faire im Verlauf der Generationen nicht mehr im Innern der Organismen aufgespeichert wurde - dem überlangen Rhythmus der biologischen Evolution gemäß in einem Genom, durch das der Verhaltensspielraum eines Individuums von vornherein in großen Zügen abgesteckt ist - sondern außerhalb gemäß dem immer schnelleren Rhythmus der Geschichte in einer gesellschaftlich erzeugten Welt der Werkzeuge, der Zeichen, der unbeschränkt sich ausdehnenden gesellschaftlichen Verhältnisse, einer Welt, die ins Unermeßliche übersteigt, was jeder einzelne sich im Laufe seiner Existenz davon anzueignen vermag. Es ist diese Vergegenständlichung, die die Reproduktion der entwickelten menschlichen Kräfte auf immer erweiterter Stufenleiter möglich gemacht hat. Ihre Übertragungsbasis ist also nicht im psychischen Programm des werdenden Menschen eingeschrieben, sondern hat ihren Mittelpunkt ihm gegenüber gesellschaftlich in auch nicht psychische Realitäten verlagert, und indem er psychisch über andere vermittelt, sie sich teilweise aneignet, individualisiert er sich auf menschliche Weise in einer unausschöpfbar singulären Biographie. So kommt es, daß die einfache Individualität beim Menschen von der entschieden umfassenderen Singularität der Persönlichkeit überlagert und übergipfelt wird. Eben deshalb besteht auch das menschliche Leben nicht aus bloß genetischem Verhalten, das einen Artangehörigen mit seiner als natürlich gedachten Umwelt in unmittelbare Beziehung bringt, sondern aus personalen Handlungen, die bis auf ihren tiefsten Grund durch eine ganze gesellschaftliche Welt vermittelt und durch eine ganze Biographie mit Sinn gefüllt sind. Am Verhalten festhalten statt am Handeln - sich beispielsweise für die Handgriffe der Arbeit interessieren, nicht aber für den Lohn, nicht für den inneren Sinn der beruflichen Tätigkeit, nicht für die Würde, die dem Arbeiter zuerkannt oder vorenthalten wird heißt demzufolge, die Wissenschaft von der Persönlichkeit weit unterhalb des allgemeinen Bewußtseins ansiedeln, für das es völlig sicher ist, wenn es etwa jemandem eine »reiche Persönlichkeit« zuschreibt, daß damit etwas ganz anderes gemeint ist als eine Eigentümlichkeit der Betragensweise. Bezüglich einer solchen Wissenschaft ist es berechtigt zu fragen: Aber was will sie machen mit ihrem Wissen, die so von ihrem Gegenstand alles fernhält, was die Substanz eines menschlichen Lebens ausmacht, und deren entfremdete Logik so sehr nach Veränderung verlangt? Invarianz: Erhält dieser Begriff, der sich auch in der Psychologie auf unbestreitbare Tatsachen bezieht, den aber das gesamte zeitgenössische Wissen, dasjenige der 209

Naturwissenschaften eingeschlossen, als von dem der Veränderung untrennbar erkennt, erhält dieser Begriff hier in seiner einseitigen Abstraktion nicht eine handgreifliche historisch-soziale Bedeutung? In der Persönlichkeit einzig und allein die psychische Invarianz von Verhaltensweisen erforschen zu wollen unter Ausschluß der historischen und biographischen Veränderbarkeit der Handlungen, ist nicht nur ein wissenschaftlich motiviertes Verhalten, es ist überdies das politische Handeln eines zumindest impliziten Konservatismus. Sich als Marxist dem Problem der Persönlichkeit stellen, heißt demnach, sich vor allen Dingen einer radikalen Gegenstandskritik überantworten, um neu über eine theoretische und praktische Realität nachzudenken, die wissenschaftlich ebenso unerschlossen ist wie sie empirisch offen zutage liegt. Was ein Mensch aus seinem Leben, und was sein Leben aus ihm macht: Hierin liegt die Substanz eines Konzepts der Persönlichkeit, das diesen Namen verdient und das eine Wissenschaft verdient, die bestrebt ist, daran die logischen Grundstrukturen ebenso zu studieren wie die Bedingungen der Veränderung. Diese Kritik und die Früchte, die sie bereits getragen hat, sind bis zur Stunde in Frankreich immer noch Gegenstand einer echten Verdrängung. Nichts könnte besser unterstreichen, worin der unreduzierbare eigenständige marxistische Beitrag zum theoretischen Verständnis und zur historischen Entwicklung der menschlichen Individualität besteht. Und jeder Schritt, den er nach vorn tut, ist für die heutigen Frauen und Männer von größerer reeller Bedeutung als Bände voller »Persönlichkeitspsychologie«.

Anmerkungen * Übersetzung des für diese Ausgabe bearbeiteten ersten Abschnitts des Kapitels »La personnalite en gestation« der Gemeinschaftsarbeit »Je - Sur l'individualite«, Paris: Editions sociales, 1987. (Die Übersetzung besorgte Erhard Mader, Berlin/W.) 1 In: »Neuveröffentlichung des Kapitel I des I. Bandes der »Deutschen Ideologie< von Karl Marx und Friedrich Engels«, Deutsche Zeitschrift für Psychologie, 14, 1966, S. 1251 2 MEW 3, S. 424 3 MEW 3, ebd. 4 MEW 4, S. 482 5 Bloch, E.: Experimentum mundi, Gesamtausgabe Bd. 15, S. 195, Frankfurt/M., Suhrkamp, 1975

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6 »entsprechend den Handelskatalogen, in denen man Extras gegen Preisaufschlag haben kann« (L.S.) 7 MEW 13, S. 616 8 MEW 26.2., S. 111 9 MEW 17, S. 343 10 Umgangssprachlich für die Ecole Normale Superieure in Paris. 11 Es handelt sich um die ENS. 12 Dieser Band vereinigte die beiden von Politzer 1929 in der Revue de Psychologie concrete verfaßten Artikel. 13 Bekannter kommunistischer Psychiater, Chefredakteur der erwähnten Revue. 14 Autor des Beitrages ist der französische Psychologe Michel Huteau. 15 Im Original »petits boulots«, wozu L.S. anmerkt: »untergeordnete Arbeiten, schlecht bezahlt und ohne Ansehen, gegenwärtig in Frankreich in vollem Schwange«. 16 »Vgl. beispielsweise mein Nachwort zur dritten französischen Ausgabe von Marxisme et theorie de la personnalite.« (L.S.)

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Handlungsregulationstheorie und Variablenpsychologie Michael Stadler

1. Zur Geschichte der linken Psychologie im deutschsprachigen Raum Mit dem Ausklingen der Studentenbewegung Anfang der 70er Jahre begann in verschiedenen Instituten West-Berlins und der BRD ein verstärktes Interesse an der Entwicklung einer Psychologie, welche durch die folgenden Aspekte gekennzeichnet werden kann: - Abkehr vom vorherrschenden behavioristischen Paradigma; - Kritik an der vorherrschenden Methodologie des bedingungs-kontrolliertexperimentellen Ansatzes; - Erhöhung der gesellschaftlich-praktischen Relevanz der psychologischen Forschung; - Rezeption der theoretischen Ansätze der sowjetischen Psychologie; - Einbeziehung marxistischer Grundideen in die psychologische Theoriebildung und Methodologie. Ohne der gerade erst beginnenden Geschichtsschreibung dieser Entwicklung vorgreifen zu wollen (vgl. Holodynski 1986, Rückriem 1986), scheinen sich Anfang der 70er Jahre in vier Zentren, relativ unabhängig voneinander, unterschiedliche Ansätze einer solchen progressiven, gesellschaftskritischen Psychologie entwickelt zu haben, die die Schwerpunkte ihrer Rezeption des Marxismus, der sowjetischen Psychologie und der Methodenkritik jeweils unterschiedlich setzten. Allen voran trat die von Klaus Holzkamp in WestBerlin initiierte Richtung der Kritischen Psychologie aus der noch stark durch Einflüsse der Frankfurter Schule gekennzeichneten Relevanzdiskussion in ein Stadium eigenständiger Theoriebildung, welches mit der Herausgabe von Leontjew (1973) und der »Sinnlichen Erkenntnis« (1973) begann. Etwa 212

gleichzeitig entwickelte sich ebenfalls in West-Berlin und andernorts eine Richtung, die sich stark an arbeits- und sportpsychologischen Problemen orientierte, und die die Handlungskategorie und die Analyse der Handlungsstruktur sowie die damit verbundenen kognitiven Anteile in den Mittelpunkt ihres Interesses stellte (Volpert 1974,1975). In ähnlicher Weise arbeitete eine Münsteraner Gruppe, von der Gestaltpsychologie kommend, an einer neuen ganzheitlichen Konzeption der Psychologie auf der Grundlage des Marxismus und der kulturhistorischen Schule insbesondere auf dem Gebiet der allgemeinen Psychologie (Stadler, Seeger und Raeithel 1975, Autorenkollektiv 1975). In Bremen schließlich entwickelte die Gruppe um Wolfgang Jantzen und Georg Feuser ebenfalls unter Rezeption des Marxismus und der Tätigkeitstheorie der kulturhistorischen Schule einen neuen gesellschaftskritischen Ansatz in der Psychopathologie und Behindertenpädagogik (Jantzen 1976). Nachdem das erste deutschsprachige marxistisch-psychologische Werk schon einige Jahre vorher in der DDR erschienen war (Hiebsch und Vorwerg 1966), legten die Westberliner und westdeutschen Gruppen ihre ersten Arbeitsergebnisse alle innerhalb von drei Jahren vor. Auf dem 1. Internationalen Kongreß Kritische Psychologie in Marburg 1977 waren neben vielen anderen drei der genannten Gruppen vertreten. Während einerseits durch die Kritischen Psychologen in vielen Beiträgen das Verhältnis der neuen funktional-historischen Herangehensweise zur traditionellen empirischen Forschung der Psychologie problematisiert wurde, organisierten die Münsteraner Handlungstheoretiker zwei Arbeitsgruppen, die zugunsten einer Anwendung im arbeitspsychologischen und pädagogischtherapeutischen Bereich, mehr oder weniger der traditionellen empirischen Methodologie verhaftet schienen (vgl. Braun und Holzkamp 1977). Zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung zwischen Kritischen Psychologen und Handlungstheoretikern kam es aber erst auf dem 2. Internationalen Kongreß Kritische Psychologie in Marburg 1979. Hier diskutierten in einer Arbeitsgruppe, deren Ergebnisse später als »Handlungsstrukturdebatte« veröffentlicht wurden (Haug 1980), Vertreter der Kritischen Psychologie (Frigga Haug und Rolf Nemitz) auf der einen mit Vertretern der Handlungstheorie (Winfried Hacker, Walter Volpert, Arne Raeithel, Martin HildebrandtNilshon und Michael Stadler) auf der anderen Seite. In meinem Übersichtsreferat (Stadler 1980) wurden fünf Unterschiede zwischen Kritischer Psychologie und Handlungstheorie herausgearbeitet: - Analyseebene (Tätigkeitsebene vs. Handlungs- und Operationsebene); - methodisches Vorgehen (historische Analyse vs. aktual-empirische Methodik); - Verhältnis zur »bürgerlichen Psychologie« (kritische Überwindung vs. Einbeziehung fortschrittlicher Ansätze); 213

- Definitionen und Schwerpunkte der Praxis (gesellschaftliche Praxis vs. psychologische Berufspraxis); - Zielstellungen der Forschung (begreifendes Erkennen der Besonderheiten der individuellen Persönlichkeit und der Beschränkung ihrer Entfaltung in der bürgerlichen Gesellschaft vs. Bewußtmachung der Struktur der Arbeitstätigkeit und Entwicklung der Persönlichkeit im Arbeitsprozeß). Gleichzeitig wurde in dieser Diskussion deutlich, daß auch innerhalb der Handlungstheorie Differenzierungen vorzunehmen sind, je nachdem inwieweit sich diese mehr am Ansatz von S.L. Rubinstein (»Einheit von Bewußtsein und Tätigkeit«) oder von A.N. Leontjew (»Tätigkeit als Vermittlung zwischen Subjekt und Objekt«) orientiert. Die Diskussion wurde in einem überfüllten Plenum verfolgt, und es wurde in einzelnen Bemerkungen der Zuhörer deutlich, daß die zutage tretenden Differenzen zwischen beiden Richtungen der marxistisch orientierten Psychologie eher in Richtung auf eine Einigung im Sinne eines »sowohl - als auch« diskutiert wurden, da man offensichtlich eine Spaltung der linken Psychologen in zwei Lager befürchtete (vgl. FKP 6, Editorial). Die Diskussion wurde nunmehr im »Forum Kritische Psychologie« fortgesetzt. In Band 6 versuchte Holger Brandes (1980) zunächst, die bestehenden Widersprüche zwischen beiden Richtungen zu entschärfen und die Vertreter beider Richtungen auf die gemeinsamen politischen und theoretischen Grundorientierungen hinzuweisen. Direkt im Anschluß daran setzten sich dann Haug, Nemitz und Waldhubel in einem längeren Beitrag ausführlich mit der »Handlungsstrukturtheorie« auseinander, indem sie dieser insbesondere Produktivkraftneutralität, Gesellschaftsneutralität und Subjektneutralität vorwarfen. Dies gab Vertretern der »Handlungsregulationstheorie«, wie die materialistische Handlungstheorie von nun an gemäß einer Übereinkunft von Hacker, Volpert und Stadler im Unterschied zu den vielen anderen handlungsorientierten Ansätzen (vgl. Lenk 1977 ff.) genannt werden sollte, Gelegenheit zu einer Stellungnahme (Greif 1981, Dunckel 1981, Offe und Stadler 1981). In diesen Beiträgen wurde besonders auf die praktische Anwendbarkeit handlungstheoretischer Ergebnisse in der kapitalistischen Arbeitswelt und die darauf begründete Kooperationsmöglichkeit mit den Gewerkschaften hingewiesen. Im FKP 8, in dem diese Beiträge erschienen waren, wurde im Editorial auf eine für FKP 10 vorgesehene »vorläufige Einschätzung der bisherigen Auseinandersetzung zwischen Handlungsregulationstheorie und Kritischer Psychologie, in welcher die Voraussetzungen und Perspektiven für eine wissenschaftliche fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den beiden Versionen materialistischer Psychologie aufgewiesen werden sollen«, hingewiesen, die Klaus Holzkamp zusammen mit einem Westberliner Vertreter der Handlungsregulationstheorie verfassen sollte. 214

Obwohl diese Ankündigung im Editorial von FKP 9 wiederholt wurde, steht ein solcher Beitrag immer noch aus. Statt dessen griff zunächst einmal Wolfgang Jantzen in diesem Band des Forums mit einem längeren, sehr fundierten Artikel in die Debatte ein. Er versuchte die Widersprüche zwischen den beiden Richtungen dadurch auf eine höhere Ebene aufzuheben, daß er sie auf ihre gemeinsamen Wurzeln in der kulturhistorischen Schule der sowjetischen Psychologie verwies und in diesem Zusammenhang die bisher zuwenig beachteten Ergebnisse des Neuropsychologen Luria in die Diskussion brachte. In diesem Beitrag nahm er erstmalig auf bestimmte für die materialistische Theorie wichtige Aspekte der naturwissenschaftlichen Selbstorganisationstheorie Bezug. Im Editorial von FKP 10 wird schließlich von Seiten der Redaktion dieser Zeitschrift, die ausschließlich aus Vertretern der Kritischen Psychologie besteht, daraufhingewiesen, daß das Forum von nun an nicht mehr nur eine »Linien-Zeitschrift« der Kritischen Psychologie, sondern eine »DiskussionsZeitschrift« beider Arbeitsrichtungen sein solle. Mit diesem Friedensangebot war die Auseinandersetzung zunächst einmal abgeschlossen, und es ist meines Wissens in den folgenden seitdem erschienenen Bänden des FKP (bis einschließlich 19) kein einziger Diskussionsbeitrag zu dieser Kontroverse mehr erschienen. Um so interessanter mußte es den Beteiligten und Beobachtern dieser Diskussion erscheinen, als sich Klaus Holzkamp erstmalig 1986 explizit zum Verhältnis von Handlungsregulationstheorie und Kritischer Psychologie äußerte. In einem Übersichtsbeitrag über »Handeln« bezeichnet er diesen Begriff als bewußt geplante Lebenstätigkeit des Menschen, die sich subjekthaft-aktiv auf ein Ziel bezieht, sich frei und begründet für sein Tun und Lassen entscheidet und auch für dessen Resultate und Konsequenzen verantwortlich ist. In diesem Zusammenhang kritisiert er die Handlungsregulationstheorie im wesentlichen in zwei Punkten: 1) Freies und verantwortliches Handeln kann nicht gleichzeitig im Sinne der Variablenpsychologie vorhersagbar sein; Holzkamp geht davon aus, daß die subjektiven Wesensbestimmungen des Handelns seine Verantwortlichkeit und Freiheit sind. Solcherart charakterisiertes Handeln darf im Rahmen des methodologischen Ansatzes des bedingungskontrollierten Experiments nicht zu abhängigen Variablen deklassiert werden - ein Handeln, welches durch unabhängige, vom Experimentator gesetzte, Variablen verursacht wird und sich somit als vorhersagbar erweist, da hiermit gleichzeitig für das Subjekt keine freie Entscheidung zwischen Handlungsalternativen mehr bestehen kann. Das Handeln würde als Gegenstand eines Experiments durch seine Randbedingungen »bedingt« und nicht mehr durch das Handeln des Subjekts »begründet«. 215

2) Die Handlungsregulationstheorie verkürzt den Handlungsbegriff, wenn sie lediglich individuelle Aktivitätsplanung, Zielantizipation und Regulationsprozesse erfassen will. Holzkamp argumentiert hier auf der Grundlage der in seiner »Grundlegung der Psychologie« (1983) entwickelten Konzeption der Handlungsfähigkeit. Handlungen sind demnach nicht nur als soziale Interaktionsverhältnisse sondern als »über die Bedeutungen mit der gesellschaftlichen Produktion/Reproduktion des Lebens vermittelt« zu bestimmen. Der subjektiv-aktive Charakter des Handelns sei demnach an die »wirkliche Erweiterung der Verfügung des Individuums über seine gesellschaftlichen Lebensbedingungen« gebunden (1986, S. 395). Sowohl die kognitiven als auch die emotional-motivationalen Aspekte des Handelns realisieren sich durch die »Veränderung gegenständlich-gesellschaftlicher Lebensbedingungen und, darüber vermittelt, in der Entfaltung der subjektiven Lebensqualität« (S. 396). Handeln kann demnach laut Holzkamp seine subjektive Bestimmung nicht durch Bezug auf individuelle Ziele, sondern durch die Erfahrung von deren Stellenwert innerhalb des übergeordneten, gesellschaftlich vermittelten Handlungszusammenhangs erhalten. Diese beiden Kritikpunkte sind neu in der Diskussion, sehr grundlegend für den Handlungsbegriff und in gewisser Weise zutreffend. Ich möchte mich daher in diesem Beitrag damit auseinandersetzen.

2. Gestalttheorie und kulturhistorische Schule Ehe die von Holzkamp aufgeworfenen Probleme des Handlungsbegriffs der Handlungsregulationstheorie geklärt werden können, ist ein wissenschaftshistorischer Exkurs in die Zeit seiner Entstehung notwendig. Der Handlungsbegriff, wie er heute in den verschiedenen psychologischen Handlungstheorien verwendet wird, geht auf Kurt Lewin (1926) zurück. Demnach ist eine Handlung ein geplanter, auf ein Ziel gerichteter, bewußter Akt, der durch eine affektive Spannung zwischen dem Gegenstand des Handelns (dessen Aufforderungscharakter) und dem Subjekt motiviert wird. Dieser Handlungsbegriff wurde in den USA von E.C. Tolman in seinem Konzept des »purposive behavior« (1932) aufgenommen und gelangte so in den Ansatz von Miller, Galanter und Pribram (1960), durch deren Konzept der inneren Repräsentation von Plänen die subjektive Steuerung des Verhaltens hervorgehoben und somit der Ausgangspunkt für die Überwindung des behavioristischen Konzepts der Reizgesteuertheit des Verhaltens gelegt wurde. 216

Mindestens ebenso wichtig wie diese Begriffsentwicklung war jedoch für Psychologen, die ihre Wissenschaft auf der Grundlage der Philosophie des historischen und dialektischen Materialismus entwickeln wollten, die Tatsache, daß Karl Marx schon 60 Jahre vor Kurt Lewin im dritten Abschnitt des »Kapitals« (1867) den Arbeitsprozeß als die grundlegende, den Menschen vom Tier unterscheidende Tätigkeitsform auf ganz ähnliche Weise bestimmte. Der Arbeitsprozeß ist nach Marx zunächst einmal »unabhängig von jeder bestimmten gesellschaftlichen Form«, als »ein Prozeß zwischen Mensch und Natur . . . worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert« zu betrachten (S. 192). Als entscheidenden Unterschied zur instinktgeleiteten Aktivität von Tieren bestimmte Marx die Subjekthaftigkeit des Arbeitshandelns: Die ideelle Vorwegnahme des fertigen Arbeitsprodukts in der Vorstellung des Arbeiters. Entscheidend ist hierbei für die Psychologie der Tätigkeit, daß Marx den Arbeitsbegriff immer als mit einem Gegenstand verbunden gesehen hat: Die ideelle Vorwegnahme des gegenständlichen Resultates als innerer Arbeitsplan und die Vergegenständlichung der Arbeit in ihrem äußeren Produkt (S. 195). Schon früher in den »ökonomischphilosophischen Manuskripten aus dem Jahre 1844« hatte Marx den Begriff der gegenständlichen Tätigkeit formuliert. Der Begriff der Tätigkeit wurde von Marx dabei einerseits inhaltlich sozial-ökonomisch gefaßt als historischgesellschaftlich bestimmte, materielle Tätigkeit, die in bezug auf das Subjekt und dessen Bewußtsein primär ist. Andererseits wird immer gleichzeitig die schöpferische Seite des Subjekts der Tätigkeit mitbetont, welche später von Lenin als ein Grundgedanke der Widerspiegelungstheorie auf den Punkt gebracht wird: »Das Bewußtsein des Menschen widerspiegelt nicht nur die objektive Welt, sondern schafft sie auch« (Lenin Werke, Bd. 38, S. 203). Was lag näher für L.S. Wygotski, der sich in der zweiten Hälfte der 20er Jahre anschickte, eine neue Psychologie in der Sowjetunion aufzubauen, die sich in Auseinandersetzung mit den vorherrschenden objektivistischen Strömungen stärker auf das subjektive Moment des Psychischen stützen wollte, ohne die marxistische Grundlage zu verlassen, als sich zunächst einmal mit diesen Aspekten der Marxschen Theorie auseinanderzusetzen und das Verhältnis von Tätigkeit und Bewußtsein zu untersuchen. Da die vorherrschenden reflexologischen Ansätze für eine solche neue Psychologie des Bewußtseins keine Grundlage bilden konnten, war es für Wygotski, Leontjew und Luria durchaus angemessen, sich an der westlichen Psychologie zu orientieren. Nach einer kurzen Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Behaviorismus (Wygotski) und der Psychoanalyse (Luria) wandten sie sich der dritten großen wissenschaftlichen Bewegung jener Zeit zu: Der Gestaltpsychologie. Letztere wurde nun geradezu enthusiastisch von den 217

sowjetischen Psychologen assimiliert (Budilowa 1975, S. 21; Scheerer 1980; Stadler 1981, 1986). Der Einfluß der Gestalttheorie auf die kulturhistorische Schule kommt in einer Reihe von Grundkonzeptionen zum Ausdruck, insbesondere im Entwicklungsgedanken und im Systembegriff. In unserem Zusammenhang ist die grundlegende Ähnlichkeit zwischen Kurt Lewins Handlungs- und Motivbegriff und der Tätigkeitstheorie Leontjews von besonderem Interesse. Bei Lewin ist ein Motiv eine sich im psychologischen Feld (Lebensraum) ergebende Spannung zwischen der Person und einem Gegenstand. Der Gegenstand besitzt dabei einen Aufforderungscharakter für das Handeln der Person. Diese Konzeption impliziert eine Analyse des psychologischen Feldes ohne Rückgriff auf objektiv-physikalische Gegebenheiten. Mit einer solchen Motivkonzeption war zunächst einmal der klassische Motivbegriff der Psychologie überwunden, der von einem bzw. einer Reihe von unspezifischen Trieben mit dem Ursprung in der Person ausging. Nach dem behavioristischen ebenso wie nach dem triebtheoretischen Ansatz würde etwa der Hungertrieb ein Lebewesen in unspezifische Erregung und damit Aktivität versetzen, welche mit der Zeit mehr oder weniger zufallig zum Auffinden von irgendwelcher Nahrung führt. Bei Lewin wäre demgegenüber das Hungermotiv als gerichtete Spannung (Appetit) auf ein bestimmtes Nahrungsmittel gefaßt. Gegenstand des durch Hunger motivierten Handelns wäre demnach nicht irgendein aufgrund seiner chemischen Zusammensetzung adäquates Objekt, sondern ein mit einem Aufforderungscharakter behaftetes subjektiv wirksames Nahrungsmittel. Leontjew (1979) folgt dieser grundlegenden Unterscheidung des Motivbegriffs und beruft sich in diesem Zusammenhang mehrfach direkt auf Lewin oder dessen Schüler. Er unterscheidet zunächst einmal grundsätzlich zwischen Motiven (1) als inneren Bedingungen, als notwendigen Voraussetzungen der Tätigkeit, die also ein Lebewesen überhaupt erst aktiv werden lassen und einem Motiv (2) als dem Bedürfnis, welches die konkrete Tätigkeit des Subjekts in der gegenständlichen Umwelt steuert und reguliert. Da für Leontjew in Anlehnung an Marx jede Tätigkeit gegenständliche Tätigkeit ist und das Motiv (2) und der Gegenstand der Tätigkeit zusammenfallen, wird jede Tätigkeit unmittelbar von einem solchen Motiv gesteuert (in der Gestalttheorie wird in diesem Zusammenhang von einer »Einheit von treibenden und steuernden Kräften« gesprochen; vgl. Metzger 1954). Das Motiv (2) ist hierbei allerdings nicht etwa mit einem Ziel einer Handlung zu verwechseln. Während das Motiv der Tätigkeit dem Subjekt nicht bewußt gegeben sein muß, sind Handlungen immer als bewußte Komponenten der Tätigkeit unmittelbar von einem Ziel gesteuert. Ziel und Motiv (= Gegenstand der Tätigkeit) können jedoch auseinanderfallen, wie dies in dem bekannten Jäger- und Treiberbeispiel exemplarisch gezeigt wurde. Die Tätigkeit wird 218

also bei Leontjew nicht bewußt gesteuert, sondern sie unterliegt, motiviert durch ihren Gegenstand, einer emotionalen Bewertung. Kognitive Antizipationen im Sinne der Marxschen ideellen Vorwegnahme des Resultats finden bei Leontjew also immer nur auf der unterhalb der Tätigkeitsebene liegenden Handlungsebene statt. Hier erfolgt auch die regelmäßige Kontrolle der Zieldiskrepanz, durch die sich beim Menschen Kompetenzen ausbilden, die sich auf der Operationsebene, wo die gegenständlichen Bedingungen die Aktivitäten steuern, auswirken. Was bei Lewin als einheitlicher Prozeß dargestellt wird - das Motiv als Spannungsbogen zwischen dem Ausgangspunkt des Handelns, dem Subjekt, und dem Objekt als dessen Ziel - wird bei Leontjew in eine dreigliedrige Hierarchie: Tätigkeit - Handlung - Operation, aufgespalten, die zugleich eine Einheit bilden; die Tätigkeit ist bei ihm zwar mehr und etwas anderes als die Summe aller Handlungen, aus denen sie sich jedoch ohne Rest zusammensetzt, und eine Handlung ist mehr oder etwas anderes als die Summe ihrer Operationen, aus denen sie, im Ergebnis betrachtet, ausschließlich besteht. Diese hierarchische Aufgliederung der Tätigkeit ist ein theoretischer Kunstgriff Leontjews, der eine wissenschaftliche Untersuchung der Tätigkeit mit vielfaltigen methodischen Ansätzen erlaubt. Betrachtet man aus der notwendigen Distanz die Tätigkeit eines Menschen als Ganzes, so findet man sie durch Motive reguliert, die gesellschaftlich bestimmt sind und damit in der gesellschaftlich-historischen Analyse ihren adäquaten methodischen Zugriff finden. Die gesellschaftliche Bedingtheit der Tätigkeitsmotive bildet sich jedoch nicht notwendig in den individuellen Kognitionen ab und kann daher kaum individualempirisch erfaßt werden. Betrachtet man dagegen, der Tätigkeit näherkommend, die individuellen Handlungen, aus denen sie sich zusammensetzt, so findet man nach Leontjew den eigentlichen Gegenstand der psychologischen Analyse: Handlungen werden durch ein kognitiv antizipiertes Ziel reguliert, d.h. daß zwar der Weg einer Handlung nicht im einzelnen vorhersagbar ist - hier bestehen viele Freiheitsgrade - aber sich aus der Perspektive des Ziels im nachhinein als zweckmäßig erweist. Nimmt man nun ein Vergrößerungsglas zur Hand und betrachtet die Operationen, die ja nach Leontjew durch die äußeren Bedingungen, unter denen sie stattfinden, reguliert werden, so findet man, daß sie reizabhängig sind und damit einer experimentellen Analyse zugänglich. Der Vorteil einer solchen hierarchisch gestaffelten wissenschaftlichen Vorgehensweise liegt auf der Hand. Untersucht man Operationen, so kann man vorübergehend die Zielgerichtetheit von Handlungen und die damit verbundenen Freiheitsgrade außer acht lassen; untersucht man Handlungen, so kann man ebenso vorübergehend die gesellschaftliche Bestimmtheit der Tätigkeit unberücksichtigt lassen. Es versteht sich von selbst, daß nach der Untersuchung von Operationen nichts über Handlungen und nach der Untersuchung von Handlungen nichts über 219

Tätigkeit gesagt werden kann. Dagegen ist eine top-down-Analyse möglich: Auf der Grundlage einer gesellschaftlichen Bestimmung von Tätigkeit und Arbeit kann die psychische Regulation einzelner Handlungen und auf dieser Grundlage wiederum der Weg einzelner Operationen untersucht werden. Leontjew hat selbst Untersuchungen auf allen drei Ebenen mit jeweils sehr unterschiedlichen, dem entsprechenden Gegenstandsausschnitt aber adäquaten Methoden vorgelegt. In der Handlungsregulationstheorie wurde nun keineswegs der Tätigkeitsansatz Leontjews von Anfang an als Rahmentheorie angesehen, zumal zunächst bei Hacker (1973) der Bezug auf Lewin (1926), Rubinstein (1958) und Miller, Galanter und Pribram (1960) überwog. Erst die gleichzeitige Entwicklung der Kritischen Psychologie lenkte das Augenmerk der westdeutschen Handlungsregulationstheoretiker mehr auf Leontjew und die kulturhistorische Schule.

3. Methodologische Aspekte der Untersuchung autonomer Handlungen Die Gemeinsamkeiten des Handlungsbegriffs der Kritischen Psychologie und der Handlungsregulationstheorie, die bei beiden aus der marxistischen Grundorientierung entstehen und sich darin von den meisten anderen Handlungstheorien unterscheiden, liegen in drei Bereichen: - der Annahme einer Perzeptions-Operations-Einheit (vgl. Holzkamp 1983, S. 250 ff.) bzw. Wahrnehmungs-Handlungs-Einheit (Stadler et al. 1975) mit dem Primat auf der Handlungsseite; handelnde Subjekte werden demnach als aktiv und nicht als re-aktiv angesehen, wobei die Weltsicht im Handlungsprozeß entsteht. - In der Hervorhebung der naturgeschichtlichen Gewordenheit und - der gesellschaftlichen Vermitteltheit der Wahrnehmungs-Handlungs-Einheit. Die Spannweite der Untersuchungsansätze reicht damit prinzipiell von der Psychologie bis zur gesellschaftstheoretischen Psychologie. Daß die Kritische Psychologie und die Handlungsregulationstheorie hier unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt haben, wird aus ihren unterschiedlichen Zielstellungen leicht verständlich. Der Kritischen Psychologie ging es zunächst einmal um eine angemessene theoretische Grundlegung der gesellschaftlichen Praxis durch Kategorialanalysen des Psychischen; demgegenüber stellten die 220

Handlungsregulationstheoretiker, gemäß den unmittelbar praktischen Anforderungen im Feld der Arbeitspsychologie, Praxisanleitung und -gestaltung in den Vordergrund ihrer Bemühungen. Dementsprechend arbeitete die Kritische Psychologie zunächst auf der Ebene funktional-historischer Analysen der Tätigkeit, wobei sie die Ebene der Handlungen und noch mehr die der Operationen bestenfalls terminologisch erreichte, ohne funktionale und Systemzusammenhänge auf diesen Ebenen tatsächlich zu erfassen (vgl. Holzkamp 1983, S. 252). Die Handlungsregulationstheorie hat demgegenüber bisher die Analyse von Handlungs- und operativen Systemen vorangetrieben und ihrerseits nur selten (wie etwa Volpert 1975) gesellschaftliche Aspekte in die Theoriebildung mit einbezogen. Daß mit diesen unterschiedlichen Schwerpunkten methodologische Entscheidungen mitgetroffen sind, versteht sich nach den Ausführungen des zweiten Abschnitts von selbst. Kehren wir nun zu den beiden Argumenten Holzkamps gegen die Handlungsregulationstheorie zurück. Beginnen wir mit dem zweiten Argument, die Handlungsregulationstheorie verkürze den Handlungsbegriff, wenn sie lediglich individuelle Aktivitätsplanung, Zielantizipation und Regulationsprozesse erfasse. Dies wäre in der Tat der Fall, wenn Handlungsanalysen notwendig auf solche individuellen Aspekte beschränkt blieben und somit nur »abstrakte Individuen« und nicht gesellschaftliche Subjekte Gegenstand sein könnten. Die zeitweilige Beschränkung auf die Handlungsebene bringt jedoch den Vorteil, Prozesse zu untersuchen, die wie Marx es ausdrückte »zunächst unabhängig von jeder bestimmten gesellschaftlichen Form« (s. erster Abschnitt) betrachtet werden können. Die Handlungsregulationstheorie käme aber in Schwierigkeiten, wenn sie im Hinblick auf die gesellschaftliche Bestimmtheit der Tätigkeit abgeschlossen wäre. Schon bei der Einbeziehung von Handlungsmotiven in die Analyse würde sie (und ist sie tatsächlich, vgl. Offe und Offe 1981) in Schwierigkeiten geraten, da diese auf der Tätigkeitsebene zwar vorhanden, dem Individuum aber nicht immer bewußt sind. Die Beschränkung der Handlungsanalyse auf bewußte Aspekte der Regulation würde sie demnach nach oben (in Richtung auf die gesellschaftliche Determination) ebenso wie nach unten (wo auf der Operationsebene nicht bewußtseinspflichtige, automatisierte Prozesse vorherrschen) abschotten. Andererseits würden sich mit der Reflexion gesellschaftlicher Veränderungen und Veränderungsmöglichkeiten durch Subjekte, d.h. mit der Bewußtwerdung der gesellschaftlichen Bestimmtheit von Motiven auch der kognitive Aktionsraum für die Handlungsplanung erweitern und damit die autonomen Handlungsmöglichkeiten erweitern. Ein weiteres, von Holzkamp (1986) kurz angeschnittenes Problem des nur auf individuelle Handlungsplanung und Zielantizipation beschränkten Ansatzes liegt darin, daß menschliche Arbeit, auf die sich die Handlungsregulationstheorie in ihrem Ursprung bezogen hat, von Anfang an kooperativ ist 221

und die Planungsprozesse in der Regel sozial-interaktiv sind. Kooperative Handlungsprozesse lassen sich bisher jedoch scheinbar nur über die Tätigkeitsebene (vgl. Raeithel 1983) oder die operative Ebene (etwa im Sinne der Rhythmisierung von Arbeitsabläufen, vgl. Stadler, Schwab und Wehner 1978) modellieren. Für die Formulierung der Möglichkeit kollektiver kognitiver Prozesse, wie sie für kooperative Handlungsplanung und -regulation Voraussetzung wären, scheint es derzeit noch an Kreativität und Wagemut der Theoretiker zu fehlen. Der erste Einwand Holzkamps spricht neben methodologischen auch methodische Aspekte an: Freies und verantwortliches1 Handeln darf nicht im bedingungskontrollierten Experiment zur abhängigen Variablen deklassiert und somit vorhersagbar werden (s. Abschn. 1). Diesem Argument muß zunächst einmal zugestimmt werden, da auch bereits in der handlungstheoretischen Definition das Handeln nur durch sein Ziel bestimmbar ist und auf dem Weg dorthin viele Freiheitsgrade besitzt. Selbst unter der Annahme also, daß die Zielbestimmung durch einen Einigungsprozeß zwischen Versuchsleiter und Versuchsperson stattgefunden hat, wäre der Handlungsablauf aufgrund der bestehenden Freiheitsgrade nicht vorhersagbar. Gerade die im Experiment zumeist für nötig gehaltene Kontrolle der Bedingungen würde allerdings wieder die Freiheitsgrade so weit einschränken, daß von Handeln nicht mehr, sondern nur noch von Verhalten, die Rede sein könnte. Allerdings hat Lewin bereits vor über 50 Jahren gezeigt, daß dies nicht notwendig so sein muß. In seinen vielen Untersuchungen zur »Handlungs- und Affektpsychologie« wies er auf, wie Handlungsvorhersagen in Experimenten unter ökologischen Bedingungen möglich sind, wie sich die dann immer noch bestehenden Freiheitsgrade in Variationen des Handlungsprozesses auswirken und unter Berücksichtigung des subjektiven Lebensraumes zu analysieren sind. Allgemeine Aussagen werden bei dieser experimentellen Vorgehensweise durch die Verallgemeinerung von Einzelfällen gewonnen, was im übrigen auch in der Kritischen Psychologie als adäquates Verfahren aktual-empirischer Forschung angesehen wird (vgl. Holzkamp 1983, 578 f.). Im übrigen besteht auch die Möglichkeit, dem Dilemma zwischen Handlungsfreiheit und Vorhersagbarkeit zu entgehen, indem Handlungen nicht als abhängige Variablen beobachtet, sondern als unabhängige Variablen gesetzt werden. Ein solches Verfahren setzt eine partnerschaftliche Absprache zwischen Versuchsleiter und Versuchsperson voraus, die in der Einigung auf ein gemeinsames Ziel besteht, welches bei beiden durchaus unterschiedlich auf der Tätigkeitsebene motiviert sein könnte. Handlungskontext als Wirkvariable wurde etwa in unseren Untersuchungen zur Rehabilitation von Bewegungsstörungen erfolgreich eingesetzt (Wehner, Hübner und Stadler 1982, Projektgruppe Biosignalverarbeitung 1987). 222

Im übrigen wurde in der Handlungsregulationstheorie die Gefahr, die in einem mechanistischen Mißverständnis der hierarchisch-sequentiellen Organisation des Handelns steckt, rechtzeitig erkannt. Volpert setzte sich 1984 ausführlich mit der Problematik einer Maschinisierung des Handelns, wie sie im kapitalistischen Arbeitsprozeß gefordert zu sein scheint, auseinander. Die Alternative hierzu besteht in der Annahme einer Handlungsorganisation, welche sich in heterarchisch strukturierte, gegeneinander relativ autonome Ebenen aufgliedern läßt. Dieses Modell erinnert an aus der Biologie bekannte Prozesse der Selbstorganisation von Organismen, die sich unter bestimmten gegebenen Umweltbedingungen zu übergeordneten Einheiten zusammenschließen und dabei sogar in entsprechende Funktionsträger differenzieren (vgl. zusammenfassend Jantsch 1979). Wohlgemerkt, damit wird das Modell der hierarchisch-sequentiellen Handlungsorganisation keineswegs verworfen, sondern es wird lediglich die relative Autonomie der einzelnen Ebenen und die Austauschbarkeit einzelner Handlungsteile betont. Handlungen erweisen sich damit allerdings als widerspenstige Gegenstände einer Variablenpsychologie, die lediglich auf die Vorhersage von Verhalten aus gegebenen Anfangs(Reiz-)Bedingungen aus ist. Gleichzeitig beweist die Handlungskategorie hier nämlich die in ihr mitgedachte Freiheit, wie sie von Holzkamp gefordert wurde. Handlungen werden letztendlich nur noch durch ihren Zweck, nämlich die Erreichung der ihnen innewohnenden Intention (bzw. auch deren Verfehlung) empirisch erfaßbar. Erfolgreiche Handlungen, also solche die ihre Intention verwirklichen, ihr Ziel erreichen, sind Handlungsfehlern, die also ihre Intention verfehlen, prinzipiell äquivalent in der Hinsicht, daß sie nicht als kausale Folge von Reizbedingungen verstanden werden können (vgl. Wehner, Stadler und Mehl 1983). Dennoch sind sie, betrachtet man sie von ihrem Ergebnis her gesetzmäßig, indem in ihnen ein »innerer Sinn« verwirklicht wurde (Metzger 1954, S. 106 f.). Die Reizbedingungen, unter denen ein Handlungsablauf stattfindet, sind danach nur noch als Randbedingungen anzusehen, unter denen sich Handlungen relativ freizügig selbst organisieren. Reizbedingungen sind dabei nicht mehr als sehr kleine Ursachen, die im Handlungsverlauf zu unvorhersehbar großen Auswirkungen, Ungleichgewichten, metastabilen Phasen, Symmetriebrüchen etc. führen können (vgl. Stadler und Kruse 1986). Obwohl determiniert durch äußere Reize führen also die Kausalketten von Handlungsabläufen zu unvorhersagbaren Folgen. Die Selbstorganisationsprinzipien, nach denen dies geschieht, stellen Gesetzmäßigkeiten höherer Ordnung dar, die psychische Vorgänge erklären, ohne sie kontrollierbar zu machen. Die Untersuchung selbstorganisierender Prozesse des Psychischen, auf deren Relevanz von materialistischer Seite als erstes von Wolfgang Jantzen (1981) hingewiesen wurde, scheint mir ein vielversprechendes zukünftiges Arbeitsgebiet für die Handlungspsychologen zu sein. Dabei könnte es sich 223

erweisen, daß die Freiheit des menschlichen Handelns keine Freiheit im Sinne beliebiger Handlungsmöglichkeiten ist. Dies wird ohnehin durch neuere Forschungsergebnisse der Neuropsychologic ausgeschlossen, nach denen der willkürliche Entschluß zu handeln einem mit diesem korrelierten zentral-nervösen Bereitschaftspotential zeitlich nachgeordnet ist (Libet et al. 1983). Das zentralnervöse Geschehen jedoch wird ohnehin nach Ansicht der Neurobiologie von selbstorganisierenden Prozessen beherrscht (Roth & Schwegler 1981). Das subjektive Erlebnis der Freiheit des Handelns würde damit im wahrsten Sinne des Wortes einer »Einsicht in die Notwendigkeit« entsprechen.

Schlußbemerkung Die in diesem Rahmen notwendige Kürze macht es nicht möglich, das sich gerade erst entwickelnde Konzept der Selbstorganisation des menschlichen Handelns im einzelnen darzulegen. Doch mögen bereits die wenigen Andeutungen im letzten Abschnitt eine Konsequenz eines solchen Ansatzes nahelegen. Autonomes, auf Selbstorganisationsprozessen beruhendes Handeln, welches den Bezug zwischen Subjekten und phänomenalen Objekten herstellt, die somit als Attraktoren der menschlichen Intentionalität wirken, verwirklicht den Person-Umwelt-Bezug, ohne eine Brücke zu äußeren Reizbedingungen und damit zur dem Subjekt äußeren Realität zu schlagen. Zwar wirken Reize als Randbedingungen auf kognitive Systeme auf der Ebene der Regulation von Operationen gewissermaßen energetisch ein, sie sind aber keineswegs selbst Träger von Bedeutungen und damit Auslöser von Intentionen menschlichen Handelns. Die damit behauptete Konstruktivität menschlichen Handelns versteht sich ja im Rahmen einer materialistischen Psychologie, wie es Holzkamp (1984) im Zusammenhang mit der Frage der Einbeziehung von »Phänomenologie« ausgedrückt hat, »nicht gerade von selbst« (1984, S. 6). Jedoch ist der Vorteil des Autonomiegewinnes innerhalb einer solchen Konzeption unübersehbar. Konstruktivistische Tendenzen finden sich dementsprechend heute in manchen psychologischen Ansätzen, die auf marxistischer Grundlage entstanden sind.

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Anmerkung 1 Die ethische Problematik des Handelns kann in diesem Aufsatz nicht weiter erörtert werden.

Literatur

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Zur Vorgeschichte der historischen Herangehensweise in der bürgerlichen Psychologie Charles W. Tolman Vous demandez quel est le champ de la Psychologie. Faut-il done vous le dire? C'est l'histoire. (Pierre Leroux, 1837) Wir kennen nur eine einzige Wissenschaft, die Wissenschaft der Geschichte. (Marx und Engels, 1846)

Evolutionstheorie und die historische Herangehensweise »Eine der wichtigsten Entwicklungsstufen des wissenschaftlichen Selbstverständnisses des Menschen war im vorigen Jahrhundert die Eröffnung der historischen Dimension menschlicher Existenz auf einem neuen Niveau: Durch Darwins Evolutionstheorie wurde das gesetzmäßige AuseinanderHervorgehen verschiedener Tierarten im naturgeschichtlichen Prozeß aufgewiesen. Damit war erkennbar, daß der Mensch, der bisher als unverändertes Ergebnis eines einmaligen Schöpfungsaktes gegolten hatte, in seinen natürlichen Beschaffenheiten und Möglichkeiten Resultat einer von primitivsten Tierformen über unzählige Zwischenstufen gehenden >Stammesgeschichte< ist« (Holzkamp, 1983, S.41). Evolutionstheorie hat unser »Selbstverständnis« radikal verändert. Allerdings, ohne Evolutionstheorie wäre ein echt wissenschaftliches Selbstverständnis gar nicht möglich. Es bedeutete jedoch viel mehr als die bloße Anerkennung unseres tierischen Ursprungs. Wie man heute deutlich sehen kann, bedeutete es eine grundsätzliche Umwälzung in der Begriffsbildung und im Verständnis des menschlichen Gegenstandes überhaupt. Es bedeutete das Ende der statischen, mechanischen, »metaphysischen« Denkweisen und ihre 228

Ersetzung durch dynamische, prozeßorientierte, dialektische Denkweisen. Der Übergang ist nicht leicht gewesen, und er ist noch lange nicht vollzogen. Alte Gewohnheiten sterben langsam aus. Und die Sache wird nicht einfacher dadurch, daß diese Gewohnheiten so stark mit einem untergehenden Gesellschaftssystem verbunden sind, das, sein Ende empfindend, verzweifelt um sein Überleben kämpft. Es ist also nicht überraschend, daß die neue evolutionäre Denkweise, die Psychologie betreffend, sich erst in dem neuen Gesellschaftssystem durchsetzte, in dem die Unterstützung einer ausdrücklich dialektisch-materialistischen Weltanschauung existierte. Schon in den Dreißiger Jahren hatten L.S. Wygotsky and A.R. Luria das historische Herangehen als ein zentrales Prinzip ihrer Methodologie übernommen. Über ihre eigene Arbeit schrieben sie 1930: »Unsere Aufgabe war, die drei Grundlinien in der Entwicklung des Verhaltens aufzuzeichnen - die evolutionäre, die historische und die ontogenetische Linie - und das Verhalten zivilisierter Menschen als Produkt aller drei Linien der Entwicklung zu zeigen und zu beweisen, daß das Verhalten nur mit Hilfe der drei verschiedenen Wege, in denen die Geschichte des menschlichen Verhaltens geformt wird, wissenschaftlich verstanden und expliziert werden kann« (Wertsch, 1985, S. 27). Es war aber erst A.N. Leontjew, der alle drei Linien der Entwicklung tatsächlich integrierte und die Basis für eine totale Revision der Psychologie, auf Grund eines evolutionären Verständnisses der menschlichen Psyche, schuf. Ein wesentliches Element dieses Beitrages war Leontjews Verständnis der Evolution, ein vom dialektischen Materialismus unterstütztes Verständnis, das »die phylogenetische Entwicklung des Menschen als eine Reihe einander ablösender grundsätzlich verschiedener Stadien ansieht, in denen jeweils verschiedene Gesetze wirksam sind« (Leontjew, 1975, S. 227). Ein Verständnis der Evolution als »ein kontinuierlich ablaufender Prozeß«, der auf dem Prinzip der »Anpassung des Organismus an die Umwelt« basiert, hätte nie die Mannigfaltigkeit der wichtigen Resultate hervorbringen können, die in der Arbeit Leontjews zu finden sind, und die so viel zu dem Projekt der kritischen Psychologie beigetragen haben, d.h. zum Projekt der grundsätzlichen Revision der Psychologie im Lichte des historischen Verständnisses ihres Gegenstandes. Im Gegensatz dazu scheinen die angloamerikanischen Psychologen, oder bürgerliche Psychologen überhaupt, die größte Schwierigkeit gehabt zu haben, die Bedeutung der Darwinschen Theorie für ihre Disziplin zu verstehen. Ironischerweise da, wo der Einfluß der Evolutionstheorie in der bürgerlichen Psychologie am oberflächlichsten war, überlebte sie; wo aber der Einfluß am tiefgreifendsten war, starb er. Ich beabsichtige, hier einige von diesen frühen Fehlentwicklungen zu beschreiben und ein paar Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. 229

Ungewisse Anfänge Traditionsgemäß fing alles mit Charles Darwin an. Natürlich ist das nicht wahr: der historische Ansatz zu den Ereignissen der menschlichen und natürlichen Existenz, wie die Epigramme zeigen, lag schon eine Zeitlang »in der Luft«, als Darwin 1859 seine Evolutionstheorie veröffentlichte. Aber diese Veröffentlichung war offenbar ein historischer Wendepunkt, der einen wichtigen Anfang für viele der einflußreichsten Denker der biologischen und gesellschaftlichen Wissenschaften des folgenden Jahrhunderts bildete. Darwins Theorie der Evolution der Arten war darin radikal, daß sie die Transmutation der Arten befürwortete. Die Arten der Säugetiere, z.B., existierten nicht immer als unvollkommene Verwirklichungen ewiger und unveränderlicher Archetypen; im Gegenteil, sie entwickelten sich aus anderen reptilienähnlichen Tierformen in einem allmählichen Prozeß der Umwandlung, einem Prozeß, der eine Form produzierte, die nie vorher existierte. Diese Umwandlung war nicht nur quantitativ, sondern gleichzeitig auch qualitativ. Die Theorie deutete darauf hin, obwohl Darwin dies nie behauptet hätte, daß sogar das Leben selbst sich aus dem Nichtlebenden entwickelt hatte. Weiterhin hat Darwin eine Theorie vorgeschlagen, die die Ursache der Umwandlung erklärte, nämlich natürliche Selektion. Aber im Bezug auf das Psychische war Darwin viel konservativer. Im strengen Sinn des Wortes schlug er keine Theorie der psychischen Evolution vor - im Gegenteil, er widerstand einer solchen Theorie. Er teilte die zu der Zeit weitverbreitete Idee, daß das Psychische aus Reflex, Instinkt, und Intelligenz besteht; er schlug aber nie vor, daß diese Verhaltensprozesse evolutionäre Phasen oder Stadien bilden würden. Sicher wurde der Instinkt von der natürlichen Selektion beeinflußt. Die Elemente des Instinkts konnten in quantitativer Weise umgestellt werden, und seine Bedeutsamkeit relativ zum Reflex oder zur Intelligenz durfte zu- oder abnehmen, aber der Instinkt konnte nicht Intelligenz werden. Alle evolutionären Änderungen des Psychischen sollten quantitativ, nicht qualitativ sein. »Es besteht kein Zweifel darüber, daß der Unterschied zwischen der Psyche des niedrigsten Menschen und der des höchsten Tieres immens ist. . . . Trotzdem ist der Unterschied . . . so groß wie er ist, sicher einer von Grad und nicht von Art« (Darwin, 1888, S. 127). »Ich habe nichts mit der Entstehung der psychischen Fähigkeiten zu tun, nichts mehr, als mit dem des Lebens selbst. Wir konzentrieren uns nur auf die Vielfalt der Instinkte und der anderen psychischen Fakultäten von Tieren der gleichen Klasse« (Darwin, 1859, S. 207). Ernst Mayr (1982, S. 352) hatte bestimmt recht, als er schrieb: »Eine wahre Theorie der Evolution muß eine allmähliche Umwandlung von einer Art in die andere ad infinitum voraussetzen«. Nach diesem Kriterium waren 230

die psychologischen Vorstellungen Darwins nicht echt evolutionär, sondern eher pan- oder biopsychistisch. Die Ideen Herbert Spencers über die Evolution des Psychischen waren noch komplexer als die Darwins, aber sie brachten uns kaum weiter voran. In seinen Principles of Psychology schrieb er: »In dessen höheren Formen wird der Instinkt wahrscheinlich von einem rudimentären Bewußtsein begleitet. . . . Die Implikation ist, daß so schnell wie sich der Instinkt entwickelt, irgend eine Art des Bewußtseins aufkommt« (1899, Paragraph 195). Immer wieder findet man Anspielungen auf die »Entwicklung« oder das »Aufkommen« des Bewußtseins. Solche Behauptungen hören sich nach einer Theorie der Entstehung des Bewußtseins an und sollten uns vielleicht Hoffnung machen, die aber nicht erfüllt wird, denn »beim Aufzeichnen dieser Entwicklung finden wir keine Unterbrechung in der Serie von den Phänomenen des physischen Lebens bis zu den Phänomenen des psychischen Lebens« (1899, Paragraph 131). An anderer Stelle schrieb er noch deutlicher über das Wesen dieser Kontinuität: » . . . im Instinkt ist Übereinstimmung zwischen innerlichen und äußerlichen Verhältnissen, die sehr einfach oder generell sind; im Verstand ist Übereinstimmung zwischen innerlichen und äußerlichen Verhältnissen, die verwickelt, speziell, abstrakt oder selten sind. Aber diese Verwicklung, diese Besonderheit, diese Abstraktheit, diese Seltenheit der Verhältnisse sind ganz und gar Angelegenheiten des Grades [degree]« (1899, Paragraph 203). In seinen Principles of Sociology neckt uns Spencer mit einem Konzept der »überorganischen Evolution« (Spencer, 1881, Kapitel 1), aber Leontjew hat diese Idee durchschaut: »Nach dieser Ansicht lebt der Mensch im Gegensatz zum Tier nicht nur in seiner natürlichen, sondern auch in einer >überorganischen< sozialen Umwelt, die ständig auf ihn wirkt und an die er sich anpassen muß. Dabei bleiben aber die Gesetze und Mechanik dieser Anpassung, insbesondere der Erwerb persönlicher Erfahrungen, beim Übergang vom Tier zum Menschen im Prinzip unverändert« (Leontjew, 1975, S. 216). Die Anfänge waren für das Verständnis der psychischen Evolution nicht vielversprechend. Wenn die Gründer sich den notwendigen Voraussetzungen einer echten Theorie der psychischen Evolution so aktiv widersetzten, was kann man dann von ihren Nachfolgern erwarten?

Die »falschen« Evolutionisten Die amerikanischen Psychologen, die den größten Einfluß auf die Entwicklung der Psychologie in diesem Jahrhundert haben würden, folgten treu in den Fußstapfen der Gründer. Am klarsten waren ihre antievolutionären 231

psychologischen Implikationen sichtbar in dem physikalisch-chemischen Reduktionismus des deutschen Immigranten Jacques Loeb, der aus Angst vor einer Identifizierung mit Denkern wie Romanes und Morgan (s.u.) sich sogar gern »Antidarwinist« nennen ließ. Nach seiner »Psychologie« war, was traditionsgemäß »Bewußtsein« oder »Psyche« genannt wurde, in Wirklichkeit nur »assoziatives Gedächtnis«. »Selbstverständlich«, schrieb er, »geben wir zu, daß das assoziative Gedächtnis verschiedene Grade der Entwicklung der Perfektion in verschiedenen Tieren zeigt. Diese verschiedenen Grade sind hauptsächlich Verschiedenheiten der Kapazität und Resonanz. Mit Verschiedenheit der Kapazität meine ich eine Verschiedenheit in der Anzahl der Assoziationen, deren das Gehirn fähig ist. Mit Verschiedenheit der Resonanz meine ich die Leichtigkeit, mit der die Assoziationen produziert werden« (Loeb, 1900, S. 253). Aber die endgültige Erklärung psychischer Ereignisse würde man nicht einmal auf dem Niveau der Assoziationen finden: » . . . unser Ziel ist, die Dynamik der Entwicklung der Assoziation herauszuarbeiten und die physischen und chemischen Bedingungen, die zu der Variation der Gedächtniskapazität in den verschiedenen Organismen führen, zu entdecken« (Loeb, 1900, S. 287). Die sehr einflußreichen Edward L. Thorndike und John B. Watson waren weniger unwillig, als »Darwinisten« zu erscheinen. Bewußt arbeiteten sie innerhalb des Kontextes dessen, was sie als Evolutionstheorie verstanden, aber die Psychologie, die sie erfanden, war kaum evolutionärer als die Loebs. Thorndike, z.B., skizzierte sein reduktionistisches Projekt für Psychologie wie folgt: »Wenn wir beweisen könnten, daß, was wir Vorstellungsleben und Verstand nennen, keine neuen und unerklärbaren Arten des intellektuellen Lebens sind, sondern einfach die natürlichen Folgen eines Zunehmens der Anzahl, der Empfindlichkeit, und der Komplexität der Assoziationen der allgemein tierischen Art, dann hätten wir eine Evolution des Psychischen vergleichbar mit der Evolution lebender Formen gefunden« (Thorndike, 1911, S. 286). Es war aber sicher ein Fehler, »neu« und »unerklärbar« gleichzusetzen, und es muß eine ziemlich verarmte Vorstellung der Evolution gewesen sein, die ihm die Schlußfolgerung erlaubte, daß nur durch eine solche Reduktion die »Evolution der Psyche« mit der »Evolution der lebenden Formen« verglichen werden könnte. Man wundert sich also nicht, wenn er weiter folgert, »die Sinnesfahigkeiten zeigen keine neue Entwicklung. Wie wir gesehen haben, ist der menschliche Intellekt eine einfache, obwohl erweiterte, Variation der allgemein tierischen Art« (Thorndike, 1911, S. 294). Daß Thorndike diese Ansicht nicht allein vertritt, sondern daß sie zum führenden Prinzip für fast alle Behaviouristen, die ihm nachfolgten, wurde, sieht man in der Widerspruchslosigkeit, mit welcher sie von dem anerkannten Gründer des modernen Behaviourismus, John Watson, wiederholt wurde: »Man braucht kein neues Prinzip im Übergang vom einzelligen Lebewesen 232

zum Menschen. Wenn man von den Reaktionen der einfachen Organismen zu den komplexeren der höheren Tiere übergeht, findet man (1) eine größere Anzahl der Einheiten, und (2) komplexere Formen der Kombinationen dieser Einheiten« (Watson, 1914, S. 318). Obwohl die Watsonsche Version des Behaviourismus oft von seinen behaviouristischen Nachfolgern in Frage gestellt, sogar auch zurückgewiesen worden ist, gibt es keinerlei Anzeichen, daß das grundsätzlich reduktionistische Verständnis der Evolution des Verhaltens (Psyche kommt ja gar nicht in Frage) bezweifelt, herausgefordert oder geändert worden ist.

Die »halbfertigen« Evolutionisten Schon vor 1890 erkannte William James die Fehler in dieser Denkart. Die sogenannten Evolutionisten verlangten eine absolute Kontinuität. »Aber«, schrieb James, »mit dem Anbrechen des Bewußtseins scheint sich ein ganz neues Wesen hineinzuschleichen, ein Etwas, dessen Potenz in den bloß äußerlichen Atomen des ursprünglichen Chaos nicht gegeben war« (James, 1890, S. 146). Nach James war die Ansicht der Evolutionisten eine bestimmte Version der »mind-stuff theory«, die er »psychischer Hylozoismus« nannte. »Jedes Atom des Nebels, meinen sie, muß ein Uratom des Bewußtseins mit sich verbunden gehabt haben; und genau wie die materiellen Atome sich zusammenballten und Körper und Gehirne gebildet haben, so haben die psychischen Atome sich in jene größeren Bewußtseine verschmolzen, die wir in uns kennen, und von denen wir glauben, daß sie in unseren Mittieren auch existieren« (James, 1890, S. 149). Die Jamessche Kritik dieser Theorie war erbarmungslos, besonders die der Spencerschen Version, die er »logisch unverständlich« fand. James hat aber keine alternative Theorie vorgeschlagen, wenigstens keine formal ausgearbeitete Theorie. Anstatt dessen findet man in seinen Schriften nur verlockende Leckerbissen, wie den folgenden aus einer Fußnote: »Ein höherer Zustand ist nicht eine Anzahl niedrigerer Zustände; er ist sich selbst. Wenn aber eine Anzahl niedrigerer Zustände zusammenkommt, oder wenn bestimmte Gehirnzustände [brain-conditions] sich zusammen ereignen, die, wenn sie sich einzeln ereignen, eine Anzahl niedrigerer Zustände produzieren würden, dann haben wir nie vorgegeben, daß ein höherer Zustand nicht entstehen darf. In der Tat, er entsteht unter diesen Umständen Aber eine solche Entstehung ist die eines psychischen Wesens, und ist toto coelo verschieden von einer solchen >Integration< der niedrigeren Zustände wie die Mind-Stuff-Theorie es meint« (James, 1890, S. 162). 233

Aus solchen anregenden Bemerkungen und anderen Aspekten der Jamesschen Position zog Owen Flanagan die m.E. richtige Folgerung, daß James eine »naturalistisch-emergentistische« [naturalistic emergentist] Theorie des Psychischen befürwortete. Flanagan beschreibt diese Theorie als »die Ansicht, daß die Welt aus natürlichen Gegenständen, natürlichen Ereignissen und natürlichen Prozessen, zusammen mit ihren Eigenschaften und Verhältnissen besteht. [Demgemäß] müssen alle neuen Charakteristika des Universums gesetzmäßig aus komplexen Interaktionen der natürlichen Gegenstände, Ereignisse und Prozesse entstehen« (Flanagan, 1984, S. 44). Im Falle des Psychischen ist die entstehende Neuheit, so versteht Flanagan James, nicht Psyche als Ding [entity], sondern Psyche als funktioneller Zustand, wie Laufen oder Atmen. Was auch immer James eigentlich beabsichtigte, sein Widerstand gegen den Reduktionismus verschwand bald bei seinen funktionalistischen Nachfolgern. Für James Angell z.B. wurde die Bedeutung der Evolution auf die einfache Anpassung und die Nützlichkeit reduziert. Er beschrieb »die Grundkonzeption der Evolutionsbewegung« wie folgt: »Zum größten Teil besitzen die organischen Strukturen und Funktionen ihre gegenwärtigen Eigenschaften, weil sie in den vorhandenen Lebensbedingungen, die wir grob als die Umgebung bezeichnen, wirksam sind« (Angell, 1907). Die Aufgabe der »funktionalistischen« Psychologie war also, »womöglich die großen Typen dieser Prozesse [der Anpassung] zu bestimmen, insofern die Vorteile, die sie bieten, klassifiziert werden können« (Angell, 1907). Angells Sprache war wenigstens noch »funktionalistisch«, und er verachtete den mechanistischen Materialismus, aber in den Zwanziger Jahren wurden alle Versuche evolutionär zu erscheinen, von den Funktionalisten, wie z.B. Harvey Carr, aufgegeben. Daraus erwuchs eine Psychologie, die kaum vom sterilsten Behaviourismus zu unterscheiden war. Die Entstehung des Bewußtseins geriet total in Vergessenheit, und kein Funktionalist, ganz gleich wie evolutionär in Erscheinung, schlug jemals eine Theorie über die phylogenetischen Ursprünge des Psychischen vor.

Die »wahren« Evolutionisten Das historische Bild ist jedoch nicht ganz so verödet. Eine kleine Anzahl von Wissenschaftlern und Denkern, Nachfolger Darwins, verstand die Notwendigkeit einer evolutionären Theorie der Entstehung des Psychischen. Der erste von diesen war George John Romanes, Freund und literarischer Testamentsvollstrecker Darwins. Carter (1899) beschrieb seine theoretische Aufgabe: »Romanes hatte es auf sich genommen, eine Theorie der 234

psychischen Entwicklung zu erklären, in der die Entstehung der Psyche aus nichtpsychischen Elementen verfolgt werden würde, d.h. aus Instinkt und Reflexaktion und sogar auch aus der Physiologie selbst. Diese evolutionäre Theorie versuchte für die Psyche zu tun, was Darwin für die Tierarten tat, eine Steigerung vom Niedrigeren bis zum Höheren und eine Kontinuität in dieser Steigerung durch natürliche Selektion zu zeigen« (S. 115). Er aber sah, wie bei den Tierarten, die Gleichzeitigkeit von Kontinuität und Diskontinuität. Aus dem physiologischen Prozeß der »selektiven Erregung« entstand die Reflexaktion. Daraus entwickelte sich der Instinkt und endlich der Verstand. Der Prozeß wurde als eine echte Transmutation der psychischen Arten verstanden. Romanes erkannte auch, daß der evolutionäre Prozeß sich von selbst ändert, wenn einmal das Niveau des Verstandes erreicht wird: »Ein zivilisierter Mensch erbt psychisch, wenn nicht physisch, die Wirkung der Kulturen vergangener Zeiten, und zwar ganz gleich, wie er Nutzen daraus zieht. Ferner . . . ist in dieser einzigartigen Abteilung der rein intellektuellen Übertragung eine Art nichtphysischer natürlicher Selektion immerwährend beschäftigt, die besten Ergebnisse zu produzieren« (Romanes, 1916, S. 33). Conwy Lloyd Morgans Theorie der psychischen Evolution war ausführlicher ausgearbeitet als die Romanes', aber sie enthielt ein paar eigenartige Wendungen, die aus ihrer spinozistischen Basis stammten. Die verschiedenen Stadien, die Morgan auseinander hervorgehen sah, waren (1) das Anorganische, (2) das Organische, und (3) das Psychische, in dem die Empfindung das erste Niveau bildete, Mitempfindung oder Perzeption das zweite, und das Denken oder das Vorstellen das dritte. Die letzten zwei nannte er »effektives Bewußtsein«. Die Empfindung war eine primitive Art des Bewußtseins, die die Tätigkeit begleitet, aber nicht leitet. Sie soll eine Begleiterscheinung aller Lebensprozesse gewesen sein. Die Mitempfindung umfaßte perzeptuelle Inferenzen und leitete, aber kontrollierte das Verhalten nicht. Sie fand sich in jeder scheinbar intelligenten Handlung der höheren Tiere. Auf dem Niveau des Denkens soll das Bewußtsein das Verhalten direkt kontrollieren. Morgan war sich nicht ganz sicher über den Übergang von einem Stadium oder Niveau zum nächsten, er machte aber Vorschläge, wie man mehr darüber lernen könnte: »Sollten wir jemals den Übergang vom Instinkt bis zum bezeichnenden Stadium der Verständigung verfolgen, und weiter durch die Anfänge des Beschreibens hindurch, und in dieser Weise bis zum Gebrauch der Sprache als Medium der Erklärung, dann werden wir es durch das Studium des Kindes machen müssen. In jedem normalen menschlichen Kind findet dieser Übergang eigentlich statt, in sehr gedrängter und abgekürzter Form einer verkörperten Rekapitulation innerhalb der individuellen Entwicklung der Schritte des evolutionären Prozesses. Dadurch 235

gewinnen wir einen Schlüssel zur Lösung eines der schwierigsten Probleme der Evolution durch kontinuierlichen Prozeß - nämlich des Übergangs vom tierischen Verhalten zum menschlichen Benehmen« (Morgan, 1900, S. 337). All diese Versprechungen waren aber von Morgans Spinozismus belastet. Er behauptete z.B., daß nur das physiologische Substratum des Psychischen sich direkt vom Organischen hätte entwickeln können. Das Psychische muß sich aus einem Etwas entwickelt haben, das zusammen mit dem Organischen existierte, dem Psychischen ähnelte, aber nicht psychisch war. Morgan nannte dieses Etwas eine Art von »Metakinetik«, die nach spinozistischer Weise die »Kinetik« der organischen Materie begleitete. Es ist leicht verständlich, daß er wegen dieses sonderbaren Konzeptes eine Abneigung hatte, die Übergänge noch programmatischer zu spezifizieren. Das zweifellos interessanteste Mitglied dieser Gruppe war aber Leonard Trelawny Hobhouse. Hobhouse leistete seine Beiträge zur Theorie der psychischen Evolution nicht als Biologe oder Psychologe, sondern als Philosoph der gesellschaftlichen Ethik. Er wurde später der erste Soziologe an der Universität London. Das ethische Problem, das ihn zur psychischen Evolution geführt hatte, war überraschenderweise der Imperialismus. Hobhouse verstand die Geschichte als progressive Bewegung der Menschheit auf eine immer größere Harmonie zwischen Mensch und Mensch und zwischen Mensch und Natur zu. Die hauptsächliche Manifestation dieser Harmonie war eine Zunahme der Kapazität für rationale, demokratische Selbstleitung. Großbritannien hatte im 19. Jahrhundert große Fortschritte in dieser Beziehung erlebt, aber gegen das Ende des Jahrhunderts machte sich eine deutliche Reaktion bemerkbar. Der Ursprung dieser Reaktion war der Imperialismus. Großbritannien konnte nicht den Tyrannen in den Kolonien spielen und zur gleichen Zeit zu Hause eine liberale Demokratie aufrechterhalten. Nach Hobhouse hatte der Imperialismus zwei ideologische Grundlagen, die aufgedeckt werden müßten, um die Reaktion bekämpfen zu können. Diese Grundlagen waren der philosophische Idealismus und der Spencersche Biologismus oder Sozialdarwinismus. Was die schlimmsten Aspekte dieser sonst verschiedenen Denkrichtungen vereinigte, waren der Irrationalismus und selbstsüchtige Klasseninteressen. Im Gegensatz dazu suchte er die besten Aspekte dieser Positionen zu finden und miteinander unter einer neuen »rationalistischen« Weltanschauung in Einklang zu bringen. Diese »besten« Aspekte waren, s.E., die Hegeische Dialektik und die Darwinsche Evolutionstheorie. Seine vergleichende Psychologie hatte also die Aufgabe, die Unterschiede zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Tieren präzis zu identifizieren und die evolutionäre Entwicklung dieser Unterschiede herauszuarbeiten. Außerdem wollte er zeigen, daß menschliches Bewußtsein und Verstand, 236

einmal entwickelt, zu einem qualitativ verschiedenen historischen Prozeß führten, der die biologische Evolution überschreitet. Hobhouses Konzept der Richtung dieses Prozesses hatte einen ausgesprochen sozialistischen Unterton: »Mit fortschreitender Entwicklung gewinnen die Erfahrungen der Rasse eine neue Form: sie handeln nicht nur auf Grund von Vererbung, sondern auf Grund von Tradition und Geschichte und letzten Endes auf Grundlage wissenschaftlicher Induktionen. Parallel dazu weitet sich das Verständnis der Ziele des Benehmens aus, bis es das Wohlergehen der ganzen Rasse als Zweck versteht. Hier wird die Entwicklung, im Anfang blind und mechanisch, durch den Streß des Konflikts und der Konkurrenz vorankommend, ausgerichtet und gezielt-eine organische Entwicklung, und doch die Entwicklung eines Organismus, der sein Schicksal kennt und es durch Kenntnis erreicht« (Hobhouse, 1926, S. 396). Hobhouse, genau wie Romanes und Morgan, hinterließ keine durchführbare Theorie der psychischen Evolution. Hobhouse hatte eine Vorstellung seiner Aufgabe, die noch klarer und ausführlicher war als die Romanes' und Morgans, und er hatte auch viel mehr erreicht. Er war aber, wie die beiden anderen, von der im 19. Jahrhundert weitvertretenen Idee belastet, daß die Intelligenz, d.h. das Verhalten, das von der individuellen Erfahrung geleitet wird, sich aus dem Instinkt, d.h. dem Verhalten, das exklusiv vom Erbe geleitet wird, entwickelt hatte. Im Gegensatz dazu geht der spätere theoretische Erfolg Leontjews wenigstens teilweise darauf zurück, daß er diese Idee als keine richtige Basis einer fruchtbaren Theorie erkannt hatte. Trotzdem bildeten die von Romanes, Morgan und Hobhouse skizzierten allgemeinen Vorstellungen einen vielversprechenden Anfang, der leider nicht weiterentwickelt wurde.

Schlußfolgerungen Die evolutionäre Psychologie, die Romanes, Morgan und Hobhouse zu gründen versuchten, war nicht nur echt evolutionär, sondern auch echt psychologisch. D.h. ihr Ziel war immer, die menschliche Psyche phylogenetisch zu erklären. Im Gegensatz dazu ist die behavioristisch-funktionalistische vergleichende Psychologie zu einer Wissenschaft des Tierverhaltens geworden, die - mit wenigen Ausnahmen - nichts mit der menschlichen Psyche zu tun haben will. Die Vorstellung, daß »die Gründung der vergleichenden Psychologie aus einer menschlichen Orientierung stammt«, ist nach dem prominenten Tierpsychologen Donald Dewsbury (1984, S. 333) nur ein »Märchen«. Er ist bestimmt: »Die vergleichende Psychologie schlug in ihrer ursprünglichen Aufgabe, das Wesen und die Evolution des 237

Bewußtseins zu entdecken, fehl« (1984, S. 245). In einem neuen historischen Überblick über die amerikanische Psychologie erwähnt Ernest Hilgard (1987, Kap. 11) die Namen Yerkes, Hamilton, Harlow und Bitterman als Psychologen, die versucht haben, eine evolutionäre vergleichende Psychologie offensichtlich innerhalb des Rahmens des Behaviorismus/Funktionalismus zu begründen, aber s.E. hinterließen sie nur »mißlungene Bemühungen, tiefgehende Verallgemeinerungen evolutionärer [comparative] Wichtigkeit hervorzubringen«. Wäre die angloamerikanische Psychologie dem Hobhouseschen, anstelle dem Thorndikeschen Weg gefolgt, wären wir heute in einer besseren theoretischen Position als der gegenwärtigen. Aber die historische Entscheidung für Thorndike war sicher kein Zufall. Mächtige Kräfte waren am Werk, die sich gegen ein wahres evolutionäres Verständnis des Psychischen stellten und ein reduktionistisches, mechanisches Verständnis bevorzugten. Dies kann man deutlich in der Folge der funktionalistischen Positionen von James bis zu Carr sehen. Es ist auch erkennbar in der absoluten Hegemonie des Variablenschemas in der bürgerlichen Psychologie des 20. Jahrhunderts. Hobhouse hatte wenigstens teilweise recht: Der Aufstieg des Imperialismus, in alter und neuer Gestalt, verlangte für seine fortgesetzte Existenz eine weitverbreitete populäre Vorstellung des Psychischen, die zur gleichen Zeit antirational und biologistisch war. Interessanterweise hat aber auch die liberale Gleichheitsideologie bedeutend dazu beigetragen, die Entstehung neuer Qualitäten im Evolutionsprozeß zu verdecken. Dewsbury (1982, S. 247) z.B. sieht es als eine rassistische »Leiche im Keller« der vergleichenden Psychologie an, daß Lloyd Morgan von qualitativen historischen Unterschieden zwischen Menschen sprach. Und Frank Beach (1960) schlug »die Gleichheit aller Organismen« vor als Alternative zu einer mensch-zentrierten vergleichenden Psychologie (siehe Hilgard, 1987, S. 416). Trotz aller Tendenzen, das wahre evolutionäre Verständnis des Psychischen zu verdecken, versuchten wenigstens ein paar Denker, aus Liebe zur Wahrheit, ein solches Verständnis zu formulieren. Freilich haben die gesellschaftlichen Verhältnisse der intellektuellen Produktion in all ihren ideologischen Formen nicht mitgeholfen, dieses Ziel zu erreichen, aber wie unser Überblick über die historischen Beiträge andeutet, waren nicht allein gesellschaftliche Verhältnisse das Problem. Der Grad des Erfolges der obengenannten Denker scheint eine direkte Funktion ihrer Annahme einer dialektischen Denkart gewesen zu sein. Sicher ist es kein Zufall, daß der, der explizit die Hegeische Dialektik angenommen hatte, am weitesten gekommen war. Später haben die gesellschaftlichen Verhältnisse Leontjew ausdrücklich unterstützt, er aber war erfolgreich, wo andere in den gleichen Verhältnissen versagten, gerade weil er die Grundlagen der materialistischen Dialektik beherrschte. Aus demselben Grund war es Friedrich Engels schon in den 238

Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts möglich, einer wesentlich richtigen Darstellung des Tier-Mensch-Übergangsfeldes zuvorzukommen (siehe Woolfson, 1981). Die Abwesenheit dialektischen Denkens liegt allem theoretischen Versagen der bürgerlichen Psychologen, die Phylogenese und Geschichte des Psychischen begreifen, zugrunde. In seiner Kritik der Spencerschen Theorie z.B. kam James sehr nahe daran, das Gesetz der Quantität und Qualität zu formulieren (James, 1890, S. 155), aber er verstand die Verbindung zwischen diesem Gesetz und einer richtigen alternativen Theorie nicht, und diese richtige Theorie mußte bei ihm also implizit, intuitiv, und dogmatisch bleiben. Wie hätte Thorndike »neu« und »unerklärbar« gleichsetzen können, außer daß er eine unbeugsam metaphysische, antidialektische Vorstellung des Naturgesetzes als ewig gegeben und unabänderlich annahm. Alle diese Denker teilten mit Darwin in gewissem Maße das zentrale Problem, das Verhältnis zwischen Kontinuität und Diskontinuität richtig, d.h. dialektisch zu begreifen. Selbstverständlich wollten diese Wissenschaftler den psychophysischen Dualismus vermeiden, und für sie bedeutete die psychische Diskontinuität Dualismus und religiösen Obskurantismus. Sie schienen keine andere Wahl zu haben, als den Reduktionismus und die Kontinuität exklusiv zu betonen. Sie haben den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Die Folgerung scheint unvermeidbar: Nur mit einem richtigen Verständnis der materialistischen Dialektik wird die Psychologie jemals Klarheit über ihren Gegenstand erringen. Im Westen ist das einzige organisierte psychologisch-wissenschaftliche Bemühen, das von einem solchen materialistisch-dialektischen Verständnis geleitet wird, das einen echt-evolutionären Ansatz als Bestandteil einer umfassenderen historischen Herangehensweise konsequent aufgreift und fortsetzt, die westdeutsche Kritische Psychologie. Der evolutionäre Geist Romanes', Morgans und Hobhouses lebt weiter, aber in einer Form, die sie bestimmt nie erwartet hätten.

Literatur Angell, J.R. (1907). The province of functional psychology. Psychological Review, 14, 61-91. Beach, F.A. (1960). Experimental investigations of species-specific behavior. American Psychologist, 15, 1-18.

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Carter, M.H. (1899). Romanes' idea of mental development. American Journal of Psychology, 11, 101-118. Darwin, C. (1859). On the Origin of Species by Means of Natural Selection or the Preservation of Favored Races in the Struggle for Life. London: John Murray. - (1888). The Descent of Man. (2nd ed., vol. 1). New York: A.L. Fowle. Dewsbury, D.A. (1984). Comparative Psychology in the Twentieth Century. Stoudsburg, PA: Hutchinson Ross. Flanagan, O.J. (1984). The Science of Mind. Cambridge: MIT Press. Hilgard, E.R. (1987). Psychology in America: A Historical Survey. New York: Harcourt Brace Jovanovich. Hobhouse, L.T. (1926). Mind in Evolution. London: Macmillan. (Original published 1901.) Holzkamp, K. (1983). Grundlegung der Psychologie. Frankfurt: Campus. James, W. (1890). The Principles of Psychology, (vol. 1). New York: Henry Holt. Leontjew, A.N. (1975). Probleme der Entwicklung des Psychischen. Berlin: Volk und Wissen. Loeb, J. (1900). Comparative Physiology of the Brain and Comparative Psychology. New York: Putnam. Morgan, C.L. (1900). Animal Behaviour. London: Edward Arnold. Romanes, G.J. (1916). Darwin and After Darwin, (vol. 2,4th ed.). Chicago/London: Open Court. Spencer, H. (1881). The Princeples of Sociology, (vol. 1). New York: Appleton. - (1899). The Principles of Psychology. (4th ed., vol. 1). London: William and Norgate. Thorndike, E.L. (1911). Animal Intelligence. New York: Macmillan. Watson, J.B. (1914). Behavior: An Introduction to Comparative Psychology. New York: Henry Holt. Wertsch, J.V. (1985). Vygotsky and the Social Formation of Mind. Cambridge: Harvard University Press. Woolfson, C. (1982). The Labour Theory of Culture: A Reexamination of Human Origins. London: Routledge & Kegan Paul.

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Verzeichnis der Schriften Klaus Holzkamps Zusammengestellt von Siegfried Jaeger und Ute Osterkamp

1956: Ausdrucksverstehen im Erlebensaspekt. Eine experimentelle Untersuchung. Berlin Freie Universität, Phil. Diss., Tag der mündlichen Prüfung 13.12.1956, Tag der Promotion: 18.3.1957,87 S., (Einleitung und erster Hauptteil erschien etwas verändert unter dem folgenden Titel:) Ausdrucksverstehen als Phänomen, Funktion und Leistung. Jahrbuch fur Psychologie und Psychotherapie (Gedenkheft für Oswald Kroh), 4,1956,297323 zus. mit Kripal Singh Sodhi & Rudolf Bergius: Geschlechtsabhängige Unterschiede nationaler Stereotypen. Jahrbuch für Psychologie und Psychotherapie, 4, 1956, 263-296 1958: zus. mit Kripal Singh Sodhi & Rudolf Bergius: Urteile über Völker (Versuch einer Problemanalyse). Psychologische Beiträge, 3, 1958, 503-526 zus. mit Kripal Singh Sodhi & Rudolf Bergius: Die reziprokale Verschränkung von Urteilen über Völker. Z. exp. angew. Psychol, 5, 1958, 547-604 Erziehungsberatung als sozialpsychischer Prozeß. (Beitrag in der Arbeitsgemeinschaft Berliner Jugendämter) Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 7, 1958, 193-197; auch in : Hermann Röhrs (Hrsg.): Der Aufgabenkreis der Pädagogischen Psychologie. Frankfurt: Akademische Verlagsgesellschaft 1971, 339-348 1959: Das Erleben des Verstandenwerdens von anderen Völkern. Psychologie und Praxis, 3, 1959, 169-178 1961: In memoriam Kripal Singh Sodhi (1911-1961). Kölner Zeitschrift für Soziologie, 13,1961,383-385 1962: Über soziale Distanz. Psychologische Beiträge, 7, 1962, 558-581 1963: »Objektive« und »subjektive« Problembewältigung. Eine experimentelle Untersuchung zur Motivationsdynamik des Denkens, Z. exp. angew. Psychol, 10, 1963, 486-513

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Zur psychologischen Kritik des »Masse«-Begriffs. Sociologus, 13, 1963, 97111 1964: Theorie und Experiment in der Psychologie. Eine grundlagenkritische Untersuchung, (zugleich Berlin FU, Phil. Habil. Schrift vom 13.2.1963) Berlin: de Gruyter 1964, IX + 292, 2. um ein Nachwort vermehrte Auflage 1981,296 S. Über soziale Distanz. Psychol Beiträge, 7, 1964, 558-581 1965: *Zur Geschichte und Systematik der Ausdruckstheorien. In: Robert Kirchhoff (Hrsg.): Ausdruckspsychologie. Handbuch der Psychologie Bd. 5. Göttingen: Verlag für Psychologie Hogrefe 1965; 2. Aufl. 1972, 39-113 *Die individuumszentrierte und gruppenzentrierte Betrachtung der PartnerSituation. In: H. Heckhausen (Hrsg.): Biologische und kulturelle Grundlagen des Verhaltens. Bericht über den 24. Kongreß der Dt. Gesellschaft für Psychologie in Wien 1964. Göttingen: Verlag für Psychologie Hogrefe 1965, 33-37 Zur Problematik der Realitätsverdoppelung in der Psychologie. (Vortrag auf Einladung der Kant-Gesellschaft, Berlin, gehalten am 22.10.1964 unter dem Titel »Der Gegenstand der modernen Psychologie; Probleme der Realitätskonzeption.«). Psychol. Rundschau 16, 1965, 209-222 Das Problem der »Akzentuierung« in der sozialen Wahrnehmung. Z. exp. angew. Psychol, 12, 1965, 86-97 Zur Messung der sozialen Distanz. Die Objektabhängigkeit von BogardusSkalen. Sociologus, 15, 1965, 93-110 1966: *Differenzierungslernen bei der Personwahrnehmung. In: Ferdinand Merz (Hrsg.): Bericht über den 25. Kongreß der Dt. Gesellschaft für Psychologie Münster 1966, 593-598 Begutachtung als Kommunikation. (Vortrag, gehalten auf dem 2. Kongreß für psychologische Fortbildung des BDP vom 4.-7.10. in Marburg/Lahn). Psychol Rundschau, 17, 1966, 163-184 *zus. mit Adolf O. Jäger & Ferdinand Merz: Prognose und Bewährung in der psychologischen Diagnostik. Mit einem Vorwort von Curt Bondy. Göttingen: Verlag für Psychologie Hogrefe 1966, 64 S. Zum Problem der Beziehung zwischen anschaulicher Größe und anschaulicher Entfernung. Z. exp. angew. Psychol, 13, 1966, 39-72 Zur Phänographie des Ausdrucks. Jahrbuch fiir Psychologie, Psychotherapie und medizinische Anthropologie, 14, 1966, 111-138 zus. mit Erich Perlwitz: Absolute oder relative Größenakzentuierung? Eine experimentelle Studie zur sozialen Wahrnehmung. Z. exp. angew. Psychol, 13, 1966, 390-405 1967: zus. mit Peter Keiler: Seriale und dimensionale Bedingungen des Lernens der Größenakzentuierung: Eine experimentelle Studie zur sozialen Wahrnehmung. Z. exp. angew. Psychol, 14, 1967, 407-441

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1968: *Wissenschaft als Handlung. Versuch einer neuen Grundlegung der Wissenschaftslehre. Berlin: de Gruyter 1968, XI+397 374 zus. mit Peter Keiler und Erich Perl witz: Die Umkehrung der Akzentuierungsrichtung unter serialen Lernbedingungen: Theoretische und experimentelle Beiträge zum Problem der sozialen Wahrnehmung. Psychol. Forsch, 32,1968, 64-88 1969: Reinforcement durch Blickkontakt: Eine experimentelle Studie. Z. exp. angew. Psychol., 16, 1969, 538-560 1970: Wissenschaftstheoretische Voraussetzungen kritisch-emanzipatorischer Psychologie. Z. Sozialpsychol., 1, 1970, 5-21, 109-141 Zum Problem der Relevanz psychologischer Forschung für die Praxis. (Erweiterte Fassung eines auf der Tagung der Landesgruppe Berlin des BDP am 11.10.1968 gehaltenen Vortrages). Psychol. Rundschau, 21, 1970, 1-22 •Vorwort. In: Peter Keiler: Wollen und Wert. Versuch einer systematischen Grundlegung einer psychologischen Motivationslehre. Berlin: de Gruyter 1970, S. V-VIII. •Entwurf: Das Konzept einer kritischen Wissenschaft. 29-55 und Zum Problem der Relevanz psychologischer Forschung für die Praxis, (ohne Zählung, aus Psychol. Rundschau, 21, 1970, 1-22). In: adorno, holzkamp, marcuse, reich u.a.: Kritische Psychologie. O.O.: o.V. (Raubdruck der Zeit, vermutlich Hamburg 1970) 2. Aufl., 205 S. •Image (Schlagwort). In: Lexikon der Pädagogik. Bd. 2, Freiburg/Basel/Wien: Herder 1970, S. 271 •Stereotyp (Schlagwort). In: Lexikon der Pädagogik. Bd. 4. Freiburg/Basel/ Wien: Herder 1970, S. 168 Interview zum Schülerladen (Spiegel-Überschrift: »Man müßte blonde Weiber haben«). Der Spiegel, 13.4.1970 1971: •als Mitglied eines Autorenkollektivs am Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin: Sozialistische Projektarbeit im Berliner Schülerladen Rote Freiheit. Analysen - Protokolle - Dokumente. Frankfurt a.M.: Fischer-Verlag 1971,454 S. Wissenschaftstheoretische Voraussetzungen kritisch emanzipatorischer Psychologie. Hrsg.: Methodenkritik der Fachschaft Psychologie, Hamburg. Hamburg, Arbeitstexte Verlag 1971, S. 61; vgl. Z Sozialpsychol. 1, 1970, 5 21, 109-141 Konventionalismus und Konstruktivismus, Z. Sozialpsychologie, 2, 1971, 24-39 »Kritischer Rationalismus« als blinder Kritizismus, Z. Sozialpsychologie, 2, 1971,248-270 1972: •Funktionalismus (Schlagwort). In: Joachim Ritter (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 2. Basel/Stuttgart: Schwabe & Co, 1972

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•Soziale Kognition. In: Carl F. Graumann (Hrsg.): Handbuch der Psychologie. Sozialpsychologie. 2. Halbband: Forschungsbereiche. Göttingen: Verlag für Psychologie Hogrefe 1972, 1263-1341 •Kritische Psychologie. Vorbereitende Arbeiten, Frankfurt a.M.: FischerVerlag 1972 (4. Aufl. 1976), 295 S. Zum Problem der Relevanz psychologischer Forschung für die Praxis, 9 34; vgl. Psychol Rundschau, 21, 1970, 1-22 Verborgene anthropologische Voraussetzungen der allgemeinen Psychologie, 35-73; vgl. Hans-Georg Gadamer und Paul Vogler (Hrsg.): Neue Anthropologie, Bd. 5, 1973. 237-282 Wissenschaftstheoretische Voraussetzungen kritisch-emanzipatorischer Psychologie, 75-146; vgl. Z Sozialpsychologie, 1, 1970, 5-21 u. 109-141 Konventionalismus und Konstruktivismus, 147-171; vg\.Z. Sozialpsychologie, 2, 1971, 24-39 »Kritischer Rationalismus« als blinder Kritizismus, 173-205; vgl. Z Sozialpsychologie, 2, 1971, 248-270 Die Beziehung zwischen gesellschaftlicher Relevanz und wissenschaftlichem Erkenntnisgehalt psychologischer Forschung. (Kritisch-historische Analyse der vorstehenden Aufsätze), 207-288 1973: Verborgene anthropologische Voraussetzungen der allgemeinen Psychologie. In: Hans-Georg Gadamer und Paul Vogler (Hrsg.): Neue Anthropologie, Bd. 5. Stuttgart: Georg Thieme-Verlag 1973,237-282, vgl. Kritische Psychologie, Frankfurt a.M.: Fischerverlag 1972, 35-73 ital.: Antropologia Psicolögica. O Hörnern em sua existencia biolögica, sociale e cultural. Nova Antropologia Vol. 5, 1977, 169-199 •Sinnliche Erkenntnis - Historischer Ursprung und gesellschaftliche Funktion der Wahrnehmung. Frankfurt a.M.: Athenäum/Fischer-Verlag 1973 (5. Aufl. 1986), 436 S. ital: Psicologia Critica. Introduzione di Dario Romano, Milano: Gabriele Mazzotta editore 1974 Auszüge aus »Sinnliche Erkenntnis«: Significati oggettuali e significati linguistici. In: Guglielmo Bellelli (Hrsg.): Ecologia ed economia. Per un'analisi storica della soggettivitä. Napoli: Liquori Editore 1983 Lo sviluppo dei significati simbolici e la mediazione simbolico-linguistica tra la percezione e il pensiero, ebenda, 66-74 Lo sviluppo della percezione nella condizione specifica della societä borghese, ebenda, 189-214 *zus. mit Volker Schurig: Zur Einfuhrung in A.N. Leontjews »Probleme der Entwicklung des Psychischen«, XI-LII, Frankfurt: Athenäum-Verlag 1973 (2. Aufl. 1977) Auszug daraus: La concezione di Leontjev e l'approproazione nella societä borghese. In: Guglielmo Bellelli (Hrsg.): Ecologia ed economia. Per un'analisi storica della soggettivitä. Napoli: Liguori Editore 1983, 182-188

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1974: Die historische Methode des wissenschaftlichen Sozialismus und ihre Verkennung durch J. Bischoff, Das Argument 84, 1974, 1-75; vgl. Gesellschaftlichkeit des Individuums. 1978, 41-128 Verhaltenstheorie als letzte Bastion? Z Sozialpsychologie, 5, 1974, 152-160; vgl. Gesellschaftlichkeit des Individuums, 1978, 232-244 1976: •Bemerkungen zur Reihe »Kritische Psychologie«. In: Karl-Heinz Braun (Hrsg.): Beiträge zur Kritischen Psychologie, Bd. II: Persönlichkeitstheorie (2), Marburg: Selbstverlag 1976, 5-10 •Der Zusammenhang zwischen Wissenschaftsentwicklung, Mitbestimmung und Studienplan - am Beispiel des Studienplans des Psychologischen Instituts der Freien Universität. In: Mitteilungen der Gesellschaft zur Förderung der Verhaltenstherapie, Heft 3,1975; vgl. Karl-Heinz Braun, (Hrsg.): Beiträge zur Kritischen Psychologie Bd. II: Persönlichkeitstheorie (2), Marburg 1976,260266 1977: *zus. mit Ute H.-Osterkamp: Psychologische Therapie als Weg von der blinden Reaktion zur bewußten Antwort auf klassenspezifische Lebensbedingungen in der bürgerlichen Gesellschaft - am Beispiel des »Examensfalles« von Manfred Kappeler. In: Manfred Kappeler, Klaus Holzkamp und Ute H.Osterkamp, Psychologische Therapie und politisches Handeln. Frankfurt a.M.: Campus-Verlag 1977, 148-293 •zus. mit Karl-Heinz Braun (Hrsg.): Kritische Psychologie. Bericht über den 1. Internationalen Kongreß Kritische Psychologie vom 13.-15. Mai 1977 in Marburg. Bd. I: Einfuhrende Referate; Bd. II: Diskussion. Köln: PahlRugenstein-Verlag 1977, 252 S. und 635 S. •Kann es im Rahmen der marxistischen Theorie eine Kritische Psychologie geben? In: Karl-Heinz Braun und Klaus Holzkamp (Hrsg.), Kritische Psychologie. Bericht über den 1. Internationalen Kongreß Kritische Psychologie vom 13.-15. Mai 1977 in Marburg, Bd. 1,46-75. Köln: Pahl-RugensteinVerlag 1977; vgl. Das Argument 103, 1977, 316-336 dän.: Kan der vaere en kritisk psykologi inden for rammerne af den marxistiske teori? Udkast, V, 1977, 159-189; vgl. Ole Dreier: Den Kritiske Psykologi. Kopenhagen: Bibliotek Rhodos, 1979, 123-159 serb.: Da Ii je u okviru marksisticke teorije moguca kriticka psihologija? In: Marksizam u Svetu 1: Marksizam i psihologija, 1979, 96-117 •Die kategoriale und theoretische Erfassung der Vermittlung zwischen konkreten Individuen und ihren gesellschaftlichen Lebensbedingungen durch die Kritische Psychologie. In: Karl-Heinz Braun und Klaus Holzkamp (Hrsg.), Kritische Psychologie. Bericht über den 1. Internationalen Kongreß Kritische Psychologie vom 13.-15. Mai 1977, Bd. I, 101-110. Köln: Pahl-RugensteinVerlag 1977 dän.: Den kritiske psykologis kategorielle og teoretiske opfattelse af formidlingen mellem de konkrete individer og deres samfundsm ssige livsbetingelser. In: Ole Dreier, Den Kritiske Psykologi. Kopenhagen: Bibliotek Rhodos, 1979, 189-201

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dän.: Den kritiska psykologins kategoriella och teoretiska uppfattning av förmedlingen mellan de konkreta individerna och deras samhälleliga livsbetingelser. Psykologi i teori och praktik, 35, 1980, 55-62 Die Überwindung der wissenschaftlichen Beliebigkeit psychologischer Theorien durch die Kritische Psychologie, Z Sozialpsychologie, 8, 1977,1, 1-22; II, 78-97; vgl. Gesellschaftlichkeit des Individuums, 1978, 129-201 finn.: Kriittinen psykologia ja psykologian teoreettinen mielivaltaisuus I & II, Psykologia 5 u. 6, 1978, 2-18 u. 4-18 dän.: Den kritiske psykologis overvindelse af psykologiske teoriers videnskabelige vilkärlighed, In: Ole Dreier: Den Kritiske Psykologi, Kopenhagen: Bibliotek Rhodos 1979, 27-123 serb.: Prevazilazenje nauche proizvoljnosti psiholoskih teorija putem kriticke psihologije. In: Marksizam u Svetu 1: Marksizam i psihologija, 1979, 31-95 ital.: II rapporto uomo-mondo e la rilevanza delle dimensioni psicologiche. In: Guglielmo Bellelli (Hg.): Ecologia ed economia. Per un'analisi storica della soggettivitä, Napoli: Liquori Editore, 1983, 33-51 Berufsverbot im öffentlichen Dienst: Wer indoktriniert wen? (Rede, gehalten am 28. Januar 1977 im Rahmen einer Veranstaltung der Aktionsgemeinschaften von Demokraten und Sozialisten (ADSen) der Hochschule West-Berlins »Gegen den Abbau demokratischer Rechte«). Sozialistische Politik 40, 1977, 17-22; vgl. Gesellschaftlichkeit des Individuums, 1978, 256-263 Kritische Psychologie. Interview mit Klaus Holzkamp. In: marburger blätter, Heft 3/4, 1977 Om de vis te begrijpen moet je het water kennen, een interview mit klaus Holzkamp von Antoine Verbij und Niels Brouwer. Spiegeloog, 33, 1977, 8 10 Die gegenwärtige Situation an den Hochschule und die Notwendigkeit einer Wende in der Hochschulgesetzgebung und Hochschulfinanzierung. (Referat, gehalten am 25. November 1977 auf dem hochschulpolitischen Kongreß des Bundes demokratischer Wissenschaftler (BdWi) in Hamburg). Blätter für deutsche und internationale Politik, 12, 1977, 1448-1466; vgl. Hefte zu politischen Gegenwartsfragen 35,1978, Köln: Pahl-Rugenstein-Verlag 1978, 3-16 (zusammen mit dem Wissenschaftler-Bedarfsplan des Bundes demokratischer Wissenschaftler (BdWi) 1978-1980) 1978: *Gesellschaftlichkeit des Individuums. Aufsätze 1974-1977. Studien zur Kritischen Psychologie. Köln: Pahl-Rugenstein-Verlag 1978, 264 S. Kunst und Arbeit - ein Essay zur »therapeutischen« Funktion künstlerischer Gestaltung, 17-40 Die historische Methode des wissenschaftlichen Sozialismus und ihre Verkennung durch J. Bischoff, 41-128; vgl. Das Argument, 84, 1974, 1-75 Die Überwindung der wissenschaftlichen Beliebigkeit psychologischer Theorien durch die Kritische Psychologie, 129-201; vgl. Z. Sozialpsychologie, 8, 1977,1, 1-22; II, 78-97

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Kann es im Rahmen der marxistischen Theorie eine Kritische Psychologie geben?, 202-230; vgl. Karl-Heinz Braun und Klaus Holzkamp (Hrsg.): Kritische Psychologie. Bericht über den 1. Internationalen Kongreß Kritische Psychologie vom 13. bis 15. Mai in Marburg, 44-75; leicht gekürzter Vorabdruck in: Das Argument 103. 1977, 316-336 Verhaltenstheorie als letzte Bastion?, 232-244; vgl. Z Sozialpsychologie, 5, 1974, 152-160 Das Marxsche »Kapital« als Grundlage der Verwissenschaftlichung psychologischer Forschung, 245-255; vgl. E. Altvater et al.: Wozu »Kapital«Studium, 1978, 10-21 Berufsverbot im öffentlichen Dienst: Wer indoktriniert wen? 256-263; vgl. Sozialistische Politik 40, 1977, 17-22 *Das Marx'sche Kapital als Grundlage der Verwissenschaftlichung psychologischer Forschung. In: Elmar Altvater, Wolfgang F. Haug, Sebastian Herkommer, Klaus Holzkamp, Heinz Kofier, Heinz Wagner: Wozu »Kapital«- Studium, Argument-Studienheft (SH) 1, 1978, 10-21; vgl. Gesellschaftlichkeit des Individuums, 1978, 245-255 serb.: Cemu Studij Kapitala? O odnosu izmedu opce teorije i posebnih nauka. In: Marksizam u Svetu 1: Marksisam i psihologija, 1979, 374-383 Empirische Forschung in der Psychologie als historische Rekonstruktion und experimentelle Reduktion. Zeitschrift Sozialpsychol. 9, 1978, 78-83 *zus. mit Peter Keiler: Psychologie in der Krise - Thesen zur gesellschaftlichen Funktion der Ertelschen »Dogmatismus«-Forschung. In: Peter Keiler und Michael Stadler (Hrsg.), Erkenntnis oder Dogmatismus? Kritik des »Dogmatismus«-Konzepts. Studien zur Kritischen Psychologie, Köln: Pahl-Rugenstein-Verlag 1978, 239-252. 1979: Zum Tode von Alexej Nikolajewitsch Leontjew, Forum Kritische Psychologie 4, AS 34, 1979, 5-7 Wie kommt die Psychologie zur Praxis? Die Bedeutung Alexej N. Leontjews für die Arbeit der Psychologen. Psychologie heute, 6, 1979, 66-74 »Historischer Materialismus und menschliche Natur«. Rezension des Buches von Georg Rückriem (Hrsg.) mit Beiträgen von J. Ebert, J. Herter, M. Liebbrand-Bachmann, A. Messmann, R. Reipert, G. Rückriem, K. Runge, I. Schoenheit, F. Tomberg, F. Unger und W. Volpert. Forum Kritische Psychologie 4, AS 34, 1979, 194-215 Zur kritisch-psychologischen Theorie der Subjektivität I. Das Verhältnis von Subjektivität und Gesellschaftlichkeit in der traditionellen Sozialwissenschaft und im Wissenschaftlichen Sozialismus. Forum Kritische Psychologie 4, AS 34, 1979, 10-54 Zur kritisch-psychologischen Theorie der Subjektivität II: Das Verhältnis individueller Subjekte zu gesellschaftlichen Subjekten und die frühkindliche Genese der Subjektivität. Forum kritische Psychologie 5, AS 41, 1979, 7-46

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1980: Zu Wundts Kritik an der experimentellen Erforschung des Denkens. (Referat für das Wundt-Symposium an der Karl-Marx-Universität Leipzig, 1. und 2. Nov. 1979; zur Erinnerung an die Gründung des ersten psychologischen Instituts der Welt durch Wilhelm Wundt an der Universität Leipzig vor 100 Jahren, 1879). Forum Kritische Psychologie 6, AS 49, 1980, 156-165; vgl. Wilhelm Wundt - Progressives Erbe, Wissenschaftsentwicklung und Gegenwart. Protokoll des internationalen Symposiums. Leipzig 1. und 2. November 1979, Leipzig 1980 Jugend ohne Orientierung? (Hauptreferat, gehalten auf den Ostfriesischen Hochschultagen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im DGB, Bezirksverband Weser-Ems, in Aurich am 18.10.1979). Forum Kritische Psychologie 6, AS 49, 1980, 196-208 Individuum und Organisation. (Vortrag, gehalten auf der »Volksuniversität«, West-Berlin, Pfingsten 1980). Forum Kritische Psychologie, 7, AS 59, 1980, 208-225 Was heißt »normale« Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit? (Vortrag auf dem Kongreß »Entwicklung und Gesundheitsgefahrdungen von Kindern und Jugendlichen in Familie, Kindergarten und Schule - Möglichkeiten der Prävention«, 20.-21.6.1980 in Berlin, veranstaltet von der Planungsgruppe Gesundheitsforschung Berlin und Fachbereich Erziehungswissenschaften an der FU Berlin). Das Argument 123, 1980, 650-657 •Einleitung. In: Ole Dreier: Familiäres Sein und familiäres Bewußtsein. Therapeutische Analyse einer Arbeiterfamilie, 1-7, Frankfurt a.M.: CampusVerlag 1980 1980: •»Nachwort: 17 Jahre später«. In: Holzkamp, Klaus: Theorie und Experiment in der Psychologie, Berlin/New York: De Gruyter 1981,2. Aufl., 275278 •Ten geleide. In: Peter van den Dool en Antoine Verbij (Hrsg.): Van nature maatschappelijk. Overzicht van de kritische Psychologie. Amsterdam: Uitgeverij SUA 1981, 7-8 •Vorwort. In: Konstanze Wetzel: Gewerkschaftsbewegung und Persönlichkeitsentwicklung. Studien zur Kritischen Psychologie. Köln: Pahl-Rugenstein-Verlag 1981, 13-15 •Begabung (Schlagwort). In: Hans-Joachim Petzold und Horst Speichert (Hrsg.): Handbuch pädagogischer und sozialpsychologischer Praxisbegriffe. Reinbek: Rowohlt-Verlag 1981, 58-61 •Intelligenz (Schlagwort). In: Hans Joachim Petzold und Horst Speichert (Hrsg.): Handbuch pädagogischer und sozialpsychologischer Praxisbegriffe. Reinbek: Rowohlt-Verlag 1981, 213-216 Nachwort zum Tode von Jean Piaget. Dialektik 2, 1981, 216 1982: *Psychologische Ergänzung des Marxismus? In: Karl-Heinz Braun, Walter Hollitscher, Klaus Holzkamp und Konstanze Wetzel: Positionen der Kritischen Psychologie. Beiträge zur Vorbereitung der 1. internationalen Ferien-

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Universität Kritische Psychologie in Graz vom 7. bis 13. März 1983. Autoren und Studieneinrichtungsvertretungen Psychologie der Universität Graz, Innsbruck, Salzburg, Wien 1982, 34-67. 1983: *Grundlegung der Psychologie, Frankfurt: Campus-Verlag 1983, 600 S. (Studienausgabe 1985) Theorie und Praxis im Psychologiestudium. (Vortrag und Diskussion auf dem »vds-Psychologiekongreß« in Münster, 4.-6. Juni 1982). Forum Kritische Psychologie 12, AS 99, 1983, 159-183 *Der Mensch als Subjekt wissenschaftlicher Methodik. In: Karl-Heinz Braun, Walter Hollitscher, Klaus Holzkamp, Konstanze Wetzel: Karl Marx und die Wissenschaft vom Individuum. Bericht von der 1. internationalen Ferienuniversität Kritische Psychologie vom 7.-12. März 1983 in Graz. Veranstaltet von den Studienrichtungsvertretungen Psychologie der Universitäten Graz, Innsbruck, Salzburg und Wien. Marburg: Verlag Arbeiterbewegung und Gesellschaftswissenschaft, 1983, 120-166 dän.: Mennesket som Subjekt for videnskabelig metodik, Spartakus, Kopenhagen 1985 »We dont need no education . . . «. Forum Kritische Psychologie 11, AS 93, 1983, 113-125 Was kann man von Karl Marx über Erziehung lernen? Oder: über die Widersprüchlichkeit fortschrittlicher Erziehung in der bürgerlichen Gesellschaft. Demokratische Erziehung 9, 1983, 52-59 dän.: Hvad kan man laere om opdragelse hos Karl Marx, Udkast. Dansk Tidsskrift for Kritisk Samfundsvidenskab 11, 1983, 126-151 »Aktualisierung« oder Aktualität des Marxismus? Oder: Die Vorgeschichte des Marxismus ist noch nicht zuende. In: Aktualisierung Marx. ArgumentSonderband AS 100, 1983, 53-64 •Argument und Gefühl in der Friedensdiskussion. In: Klaus Betz und Andreas Kaiser (Hrsg.): Wissenschaft zwischen Krieg und Frieden. Beiträge einer Konferenz in Berlin (West) vom 28. bis 30. Januar 1983. Berlin (West): Verlag für Ausbildung und Studium in der Elefantenpress 1983, 297-304; vgl. die leicht gekürzte Fassung: Nur wer Angst hat, kann vernünftig sein. Gefühl und Rationalität in der Friedensbewegung. Psychologie heute, 1983, Nr. 10, 57-62 •Kritische Psychologie (Schlagwort). In: Dieter Frey und Siegfried Greif, Sozialpsychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen. München: Urban & Schwarzenberg-Verlag 1983, 75-80 zus. mit Wolfgang Maiers: Historisches Fragen in der Biologie. Zum 80. Geburtstag von Konrad Lorenz. In: Deutsche Volkszeitung/die tat v. 25.11.1983 1984: *Gesellschaftliche Widersprüche und individuelle Handlungsfähigkeit. In: Karl-Heinz Braun und Gert Gekeler (Hrsg.): Objektive und subjektive Widersprüche in der Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Bericht von der 2. internationalen Ferienuniversität Kritische Psychologie vom 9.-13. Januar

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1984, veranstaltet vom Fachbereich Sozialarbeit der Fachhochschule Fulda. Marburg: Verlag Arbeiterbewegung und Gesellschaftswissenschaft 1984, 89120 »Die Menschen sitzen nicht im Kapitalismus wie in einem Käfig«. Das Psychologie Heute-Gespräch mit Klaus Holzkamp. Psychologie heute, 1984, 11,29-37 Zum Verhältnis zwischen gesamtgesellschaftlichem Prozeß und individuellem Lebensprozeß. In: Konsequent-Diskussions-Sonderband 6, Streitbarer Materialismus, Berlin (West): 1984, 29-40 Die Bedeutung der Freudschen Psychoanalyse für die marxistisch fundierte Psychologie. (Vortrag, gehalten an der Karl-Marx-Universität Leipzig am 5. Oktober 1983). Forum Kritische Psychologie 13, AS 106, 1984, 15-40; vgl. Manfred Vorwerg, Beiträge zur Kritischen Psychologie. Lehrtexte zur Psychologie. Persönlichkeitspsychologie. Karl-Marx-Universität Leipzig 1985,27-60 Kritische Psychologie und phänomenologische Psychologie. Der Weg der Kritischen Psychologie zur Subjektwissenschaft. Forum Kritische Psychologie 14, AS 114, 1984, 5-55 1985: *Zur Stellung der Psychoanalyse in der Geschichte der Psychologie. In: KarlHeinz Braun, Ole Dreier, Walter Hollitscher, Klaus Holzkamp, Morus Markard, Gabi Minz und Konstanze Wetzel: Geschichte und Kritik der Psychoanalyse. 3. Internationale Ferienuniversität Kritische Psychologie, 25. Februar bis 2. März in Innsbruck. Veranstalter und Herausgeber: Studienrichtungsvertretungen Pädagogik und Psychologie der Universität Graz, Innsbruck, Salzburg und Wien. Marburg: Verlag Arbeiterbewegung und Gesellschaftswissenschaften 1985, 13-69 •Grundkonzepte der Kritischen Psychologie. In: Diesterweg-Hochschule (Hrsg.): Gestaltspädagogik - Fortschritt oder Sackgasse? GEW Berlin 1985, 31-38 *zus. mit Karl-Heinz Braun (Hrsg.): Subjektivität als Problem psychologischer Methodik. 3. Internationaler Kongreß Kritische Psychologie, Marburg 1984. Frankfurt a.M.: Campus-Verlag 1985, 369 S. •Selbsterfahrung und wissenschaftliche Objektivität: Unaufhebbarer Widerspruch? In: Karl-Heinz Braun und Klaus Holzkamp (Hrsg.): Subjektivität als Problem psychologischer Methodik. 3. Internationaler Kongreß Kritische Psychologie. Marburg 1984. Frankfurt a.M.: Campus-Verlag 1985, 17-37 •Zur Funktion phänomenologischer Analyse in der Psychologie, speziell: Kritische Psychologie. I. Statements von Rainer Seidel, Norbert Groeben, Carl Friedrich Graumann, Klaus Holzkamp. II. Diskussion. In: Karl-Heinz Braun und Klaus Holzkamp (Hrsg.): Subjektivität als Problem psychologischer Methodik. 3. Internationaler Kongreß Kritische Psychologie, Marburg 1984. Frankfurt a.M.: Campus-Verlag 1985, 142-167 •»Persönlichkeit« - Zur Funktionskritik eines Begriffes. In: Theo Herrmann und Ernst-D. Lantermann (Hrsg.): Persönlichkeitspsychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen. München: Urban & Schwarzenberg 1985, 92-101

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•Kritik der Vereinnahmung oder Vereinnahmung durch Kritik? Anmerkungen zum »kritischen« Selbstverständnis des Intellektuellen. In: IMSF (Hrsg.): Intelligenz, Intellektuelle & Arbeiterbewegung in Westeuropa. Materialien einer internationalen Konferenz des IMSF. Frankfurt 1985, 105-110 zus. mit Morus Markard und Gisela Ulmann: Bericht an die DFG über den »Fortgang der Arbeiten« - Abschlußbericht im Rahmen der Kleinförderung (des Projekts Subjektentwicklung in der frühen Kindheit). Forum Kritische Psychologie 17, AS 132, 1985, S. 51-71 1986: •Handeln (Schlagwort). In: Günter Rexilius und Siedfried Grubitzsch (Hrsg.): Psychologie. Theorien-Methoden-Arbeitsfelder. Ein Grundkurs. Reinbek: rowohlts enzyklopädie 1986, 381-402 Die Verkennung von Handlungsbegründungen als empirische Zusammenhangsannahmen in sozialpsychologischen Theorien: Methodologische Fehlorientierung infolge von Begriffsverwirrung (I); Experimentieren in der Sozialpsychologie: Empirische Prüfung theoretischer Vorhersagen oder Herstellung von Beispielen für theoretische »Begründungsmuster«? (II) - Eine Diskussion des Artikels unter den Herausgebern (Hubert Feger, Carl Friedrich Graumann, Klaus Holzkamp, Martin Irle), Z. Sozialpsychologie, 17, 1986, 216-238 u. 239-254; vgl. I: Forum kritische Psychologie 19, 1987, 23-58 »Wirkung« oder Erfahrung der Arbeitslosigkeit - Widersprüche und Perspektiven psychologischer Arbeitslosenforschung. (Vortrag, gehalten am 16.1.1986 im Rahmen einer Ringvorlesung am Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin). Forum Kritische Psychologie 18, AS 139, 1985, 9-37; •Nachwort zu Hans-Dieter Schmidt: Grundriß der Persönlichkeitspsychologie. Orientierende Hinweise für den hiesigen Leser. Frankfurt a.M.: CampusStudium 1986, 285-293

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Über die Verfasser/innen

Alberg, Traudl, Dr., 1948, wissenschaftliche Assistentin an der Sektion Psychologie der Universität Leipzig. Dreier, Ole, Dr., 1946, wissenschaftlicher Angestellter am Psychologischen Laboratorium der Universität Kopenhagen. Graumann, Carl Friedrich, Dr., 1923, Professor für Psychologie an der Universität Heidelberg. Haug, Frigga, Dr., 1937, Dozentin an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg. Haug, Wolfgang Fritz, Dr., 1936, Professor für Philosophie an der Freien Universität Berlin. v. Heiseler, Johannes Henrich, Dr., 1938, Mitarbeiter des Insitituts für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF) in Frankfurt/M. Herrmann, Theo, Dr., 1929, Professor für Psychologie an der Universität Mannheim. Keiler, Peter, Dr., 1944, Privatdozent am Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin. Leont'ev, Aleksej Alekseevic, Dr., 1936, Professor für Psychologie an der Universität Moskau. Maiers, Wolf gang, Dr., 1950, Berlin/W. Markard, Morus, Dr., 1948, Berlin/W. Metscher, Thomas, Dr. 1934, Professor für englische Literaturwissenschaft und Ästhetik an der Universität Bremen.

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Rexilius, Günter, Dr., 1943, Dozent für Psychologie an der Universität/Gesamthochschule Wuppertal. Schneewind, Klaus A., Dr., 1939, Professor für Psychologie an der Universität München. Schurig, Volker, Dr., 1942, Professor für Biologie an der Universität Hamburg. Seve, Luden, 1926, Professor, Directeur adjoint de Flnsitut de recherches marxistes de Paris. Stadler, Michael\ Dr., 1941, Professor für Psychologie an der Universität Bremen. Tolman, Charles W., 1935, Professor für Psychologie an der Universität Victoria/Kanada. Vorwerg, Manfred, Dr., 1933, Professor für Psychologie an der Universität Leipzig.

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Aus unserem Programm:

Klaus Holzkamp Grundlegung der Psychologie 1983. 600 Seiten, Leinen, ISBN 3-593-33179-9 Studienausgabe 1985. 600 Seiten, kartoniert, ISBN 3-593-33572-7 Klaus Holzkamp, Begründer der »Kritischen Psychologie« bezeichnet dieses Buch als sein Hauptwerk, als die Summe all seines Denkens. Es soll die Grundlage für eine wirkliche wissenschaftliche Psychologie im Interesse der Menschen schaffen. Es ist heute weitgehend zugestanden, daß die traditionelle Psychologie in der Zerstückeltheit, Trivialität, Gleichgültigkeit ihrer Ansätze und Befunde an den wesentlichen Fragen des menschlichen Lebens vorbeiforscht. Als Grund dafür wird häufig die Unvereinbarkeit der Klärung wesentlicher Lebensfragen mit den Prinzipien strenger wissenschaftlicher Methodik genannt. Dieses Buch führt den Nachweis, daß die Misere der Psychologie nicht aus einem Zuviel, sondern einem Zu-Wenig an Wissenschaftlichkeit herrührt, nämlich der Beliebigkeit der grundlegenden, das ganze Fach umgreifenden Begriffe und Methodenvorstellungen. Es eröffnet neue Möglichkeiten zur Verständigung über die Situation des Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft und ist zugleich Grundlegung für eine psychologische Forschung und Praxis, die nicht mehr »am Thema« der menschlichen (Inter-) Subjektivität vorbeigeht und gerade darin wissenschaftliche Objektivität erreicht kann. »Womit sich Holzkamps Buch letztlich als ein Werk philosophischen Charakters ausweist, das durchaus in der Lage wäre, die historisch bedingte Provinzialität bundesdeutschen Philosophierens in Richtung auf internationale Geltung zu durchbrechen.« dpa-Literatur- Dienst »Wer die »Grundlegung« kauft, kann auf die Lektüre der anderen »Hauptwerke« getrost verzichten.« Psychologie heute »Allein über das, was scheinbar unbeabsichtigt miterledigt wird, gibt es Bibliotheken. Holzkamp ersetzt sie.« konkret

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Campus Bucher zum Thema »Kritische Psychologie«: Eine Auswahl

Morus Markard Einstellung - Kritik eines sozialpsychologischen Grundkonzepts

Reihe »Texte zur kritischen Psychologie« Band 12 1984. 245 Seiten. ISBN 3-593-33422-4 Ole Dreier Familiäres Sein und familiäres Bewußtsein

Therapeutische Analyse einer Arbeiterfamilie Übersetzung aus dem Dänischen von Rolf Czeskleba-Dupont Mit einer Einleitung von Klaus Holzkamp Reihe »Texte zur kritischen Psychologie« Band 11 1980. 258 Seiten. ISBN 3-593-32420-2 Ute Holzkamp-Osterkamp Grundlagen der psychologischen Motivationsforschung Band 1 + 2

Die Besonderheit menschlicher Bedürfnisse - Problematik und Erkenntnisgehalt der Psychoanalyse Reihe »Texte zur kritischen Psychologie« Band 4/1 3. Auflage 1981. 380 Seiten. ISBN 3-593-32520-9 Reihe »Texte zur kritischen Psychologie« Band 4/2 2. Auflage 1978. 487 Seiten. ISBN 3-593-32521-7 t

Karl-Heinz Braun, Klaus Holzkamp (Hg.) Subjektivität als Problem psychologischer Methodik

3. Internationaler Kongreß Kritische Psychologie, Marburg 1984. 1985. 372 Seiten. ISBN 3-593-33495-X

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