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German Pages [320] Year 2011
BAUSTEINE ZUR SLAVISCHEN PHILOLOGIE UND KULTURGESCHICHTE NEUE FOLGE Begründet von HANS-BERND HARDER (†) und HANS ROTHE Herausgegeben von KARL GUTSCHMIDT, roland Marti, PETER THIERGEN, LUDGER UDOLPH und BODO ZELINSKY
Reihe A: slavistische forschungen Begründet von Reinhold Olesch (†)
Band 72
Kommunikative Sprechtätigkeit Rußland und Deutschland im Vergleich
von
Rodmonga K. Potapova Vsevolod V. Potapov
2011 BÖH LAU V E R L A G K Ö L N W EIM AR WIEN
Gedruckt mit Unterstützung des Privatfonds Schulze-Thiergen
Prof. Dr. phil. habil. Rodmonga K. Potapova ist Inhaberin des Lehrstuhls für angewandte und experimentelle Linguistik, Direktorin des Instituts für angewandte und mathematische Linguistik an der Staatlichen Linguistischen Universität Moskau. Dr. phil. habil. Vsevolod V. Potapov arbeitet als habilitierter Sprachwissenschaftler an der Staatlichen Lomonosov-Universität Moskau.
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© 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: xPrint s.r.o., Pribram Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the Czech Republic ISBN 978-3-412-20688-8
Inhalt
Vorwort ..................................................................................................... I.
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Zur Kategorialität der Wahrnehmung der gesprochenen Fremdsprache (verbale, para- und extraverbale Aspekte der intersprachlichen Kommunikation Deutsch und Russisch) ........................................... 5 I.1. Interkulturelle und intersprachliche Spezifik der Mensch-MenschKommunikation ............................................................................ 5 I.2. Kontrastive Phonetik deutsch-russisch ........................................ 13 I.3. Rezeption para- und extraverbaler fremdsprachlicher Information .................................................................................. 60
II. Konnotative Paralinguistik und Emotionen in der gesprochenen Sprache: Russisch und Deutsch .................................. II.1. Paraverbale Sprechmittel als Untersuchungsobjekt der Paralinguistik ......................................................................... II.2. Emotive Funktion paraverbaler Sprechmittel ............................ II.3. Auditiv-perzeptorische und akustische Charakteristiken der russischen und deutschen paraverbalen Sprechmittel ............ II.4. Klassifikation der emotiven Sprecheinheiten ............................ III. Sprach- und Sprechrhythmus: die Vielschichtigkeit des Problems ... III.1. Sprachrhythmus im Russischen und Deutschen (diachronische und synchronische Aspekte) ................................ III.2. Sprachliche Spezifik der Struktur- und Komponentenaktualisierung des Sprechrhythmus........................ III.3. Phonetische Prozesse und der „Zweite Südslavische Einfluß“ III.4. Rhythmische Spezifik der zusammengesetzten Wörter im Deutschen ............................................................................... III.5. Interferenz deutsch-russisch beim sprechsprachlichen Rhythmus ..................................................................................... III.6. Sprechwissenschaft und Rhythmus .......................................... III.7. Perspektiven der Entwicklung der Rhythmologie und Semantik ...............................................................................
65 65 70 73 99 105 105 122 128 133 159 164 168
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IV. Russisch-deutsche Parallelen unter Berücksichtigung der phonetischen Genderologie und von Emotionen ............................... IV.1. Natürliche Bedingtheit der Genderunterschiede im gesprochenen Diskurs ............................................................. IV.2. Genderaspekte in der Erforschung des gesprochenen Russischen ................................................................................... IV.3. Genderaspekte der Erforschung des gesprochenen Deutschen . IV.4. Die emotive Funktion der Intonation und das Konstrukt „Gender“ .......................................................................................
Inhalt
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V. Auditiv-visuelle Bewertungen der kommunikativen sprechsprachlichen Tätigkeit (Experimentaluntersuchung in bezug auf Talk-ShowFragmente russischer und deutscher TV-Programme durch deutsche und russische Probanden) ................................................... 201 V.1. Talk-Show als besonderer Gattungsstil des Gesprächs ............. 201 V.2. Hauptmerkmale und Funktionen der sachlichen kooperativen Kommunikation ........................................................................... 204 V.3. Interkulturelle und intrakulturelle Kommunikation .................. 208 V.4. Auditive, visuelle und auditiv-visuelle Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (in bezug auf russische und deutsche kommunikative Sprechtätigkeit) ................................... 213 V.5. Akustisch-perzeptorische Analyse der gesprochenen Sprache in Experimenten mit sprechsprachlichem Code-switching „russischdeutsch“ und „deutsch-russisch“................................................... 249 V.6. Der Einfluß von Fremdsprachenkenntnissen der Russen auf die Bewertung des Eindrucks deutsch-deutscher Kommunikation .... 255 VI. Multimodale Kommunikation und aktuelle Probleme der Kommunikationswirkung ............................................................ 261 VI.1. Grundbegriffe und Modelle der zwischenmenschlichen und interkulturellen Kommunikation .................................................. 261 VI.2. Kommunikationsstörungsfaktoren und einige Aspekte der Kommunikationswirkung................................................................ 278 Zusammenfassung .................................................................................... 284 Literatur ..................................................................................................... 285
In memoriam Viktor M. Potapov
Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen. Johann Wolfgang Goethe
Vorwort
International wird gegenwärtig auf dem Gebiet der interkulturellen und intersprachlichen Kommunikation sehr intensiv gearbeitet. Die Ansatzpunkte, Untersuchungsmethoden und Experimentalkorpora sind aber unterschiedlich. Die Gebiete reichen von der Phonetik und Linguistik über die Psychologie und Psycholinguistik bis zur Ethnolinguistik und Pragmalinguistik. Und was die interkulturelle und intersprachliche Kommunikation im Bereich der Pragmatik betrifft, bleibt dieser Bereich der menschlichen Kenntnisse in größerem Maße weitgehend unerforscht. Bei der Untersuchung der aktuellen Sprachverwendung beim Sprechen muß man die wechselseitige Beeinflussung einer Vielzahl von Faktoren in Betracht ziehen, von denen die zugrundeliegende interkulturelle Kompetenz des Sprechers-Hörers nur einen darstellt. Als empirisches Korrelat des Kompetenzbegriffs können gewisse konkrete Merkmale realer Sprecher und Hörer in der konkreten kommunikativen Situation angenommen werden. Die interkulturelle kommunikative Kompetenz könnte man mit Hilfe eines spezifischen Modells analysieren, das die Blöcke „Sprecher“, „Hörer“, „Absicht“, „Motiv“, „Kanal“, „Störungen“, „Information“, „Code“, „Situation“ aufweist. Dabei bezieht sich „Code“ auf die Fähigkeit, einen Sprechaktkomplex (bestehend aus Inhalt, Folgerungen daraus, semantischer Interpretation und kommunikativer Funktion) kodieren und dekodieren zu können. Dieses Buch ist aus langjährigen Forschungsarbeiten hervorgegangen, die das Ziel hatten, theoretische und experimentelle Untersuchungen der segmentalen und suprasegmentalen Subsysteme des Sprechsystems (des verbalen Systems) des Deutschen und des Russischen im Prozeß der Kommunikation, einerseits, und der Komponenten des nichtverbalen Systems, andererseits, mit Rücksicht auf kognitive, kommunikative, konnotative und kontrastive Faktoren durchzuführen, um ein empirisches deskriptives Modell der interkulturellen und intersprachlichen Tätigkeit für die Kommunikation Russisch-Deutsch und Deutsch-Russisch zu erarbeiten. Folgende Fragen werden untersucht: die Spezifik der perzeptorischen Auffassung der gesprochenen Fremdsprache mit Rücksicht auf Linguistik, Para-
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Vorwort
und Extralinguistik (Autor: R. K. Potapova); verbale Konnotation und Emotionen in bezug auf russische und deutsche Kommunikation (Autor: R. K. Potapova); Besonderheiten des Sprach- und Sprechrhythmus für Deutsch und Russisch (Autor: V. V. Potapov); synchrone deutsch-russische Genderologie und Emotionen (Autor: V. V. Potapov); Experimentaluntersuchungen mit Rücksicht auf auditive, visuelle und auditiv-visuelle Bewertungen der sprechsprachlichen kommunikativen Tätigkeit der Deutschen durch russische Probanden und der Russen durch deutsche Probanden (Autoren: R. K. Potapova, V. V. Potapov); die Hauptfaktoren der Kommunikationswirkung und das Phänomen der Multimodalität in bezug auf Mensch-Mensch-Kommunikation (Autor: R. K. Potapova). Die Ergebnisse unserer experimentellen sprechsprachlichen Untersuchungen zeugen davon, daß die Prozesse der Kodierung und Dekodierung des sеmiotischen Verhaltens der Kommunikationspartner im interkulturellen Kommunikationsakt Russisch-Deutsch variabel sind und durch eine Reihe von spezifischen Merkmalen charakterisiert werden. Es folgt daraus, daß zu den thеmatischen, intentionalen und sozialen Hauptarten der Kommunikationskompetenz noch eine Hauptart der Kommunikationskompetenz, und zwar die interkulturelle Kompetenz, hinzugefügt werden soll. Die Effektivität der deutsch-russischen und russisch-deutschen interkulturellen Kommunikation vergrößert sich, wenn verschiedene Kanäle der Kommunikation (gesprochene Sprache mit Phänomenen wie Prosodie, Rhythmus, Klangfarbe, Tempo, Pausierung, Gestik, Mimik u. a.) aktiviert werden, was vom Grad der interkulturellen Kommunikationskompetenz abhängt. In dieser Monographie werden die Ansätze und Ergebnisse unserer Forschungen zusammengefaßt, die im Rahmen des Projekts „Phonetisch-sprechwissenschaftliche Untersuchungen zur interkulturellen Kommunikation Russisch–Deutsch“ (Moskau1–Halle/Saale2) innerhalb der letzten sechs Jahre (2002–2008) durchgeführt und besprochen wurden, und auch Forschung von Vsevolod V. Potapov zum Thema „Dynamik und Statik des sprachlichen Rhythmus im Russischen und Deutschen“ (Würzburg3 im Laufe von 1994– 1996, 1998, 2000) mit Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung. Für die jederzeit willkommene moralische und praktische Unterstützung sowie fachliche und kollegiale Hilfe möchten wir Prof. Dr. habil. Jens-Peter Köster von der Universität zu Trier, Prof. Dr. habil. Hans-Walter Wodarz von der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität zu Frankfurt am Main und Prof. 1 2 3
Verfasser Prof. Dr. habil. R. К. Potapova (Moskauer Staatliche Linguistische Universität), Dr. habil. V. V. Potapov (Moskauer Staatliche Lomonosov-Universität). Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seminar für Sprechwissenschaft und Phonetik. Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Lehrstuhl für slavische Philologie.
Vorwort
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Dr. habil. Eva-Maria Krech von der Martin-Luther-Universität zu Halle-Wittenberg danken. Besonderer Dank gebührt unseren Kollegen von der Martin-Luther-Universität zu Halle-Wittenberg, Prof. Dr. habil. Eberhard Stock und Prof. Dr. habil. Ursula Hirschfeld, für ihre freundlichen Ratschläge im Laufe von vielen Jahren der wissenschaftlichen Kontakte und freundschaftlichen Verbindungen, für viele fördernde Diskussionen sowie für zusätzliche Hinweise zu einzelnen Teilen unseres Manuskripts. Ebenso danken wir Prof. Dr. habil. Christian Hannick für seine Hilfe, die es Dr. habil. Vsevolod V. Potapov ermöglichte, Probleme des sprachlichen Rhythmus an der Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg vielseitig und erfolgreich zu untersuchen. Für freundliche Hilfe und die bereitwillige Unterstützung hinsichtlich der Veröffentlichung des Manuskripts möchten wir uns bei Prof. Dr. habil. Peter Thiergen von der Otto-Friedrich-Universität zu Bamberg und Prof. Dr. habil. Roland Marti von der Universität des Saarlandes herzlich bedanken. Die Einrichtung des Manuskripts zum Druck besorgte Frau Evelyn Treib von der Universität des Saarlandes. Für die mühevolle Arbeit gebührt ihr unser besonderer Dank. Alle Genannten haben zum Gelingen des vorliegenden Bandes beigetragen, und dafür sind wir ihnen verpflichtet.
I. Zur Kategorialität der Wahrnehmung der gesprochenen Fremdsprache (verbale, para- und extraverbale Aspekte der intersprachlichen Kommunikation Deutsch und Russisch)
I.1. Interkulturelle und intersprachliche Spezifik der MenschMensch-Kommunikation Die menschliche Kommunikation umfaßt sämtliche Medien (hörbare Signale, sichtbare Signale, Berührungs-, Geruchs- und Geschmackssignale) in ihrem Zusammenhang. Bei der strukturierten Verwendung des akustischen Mediums (Sprechen und Hören) steht die gesprochene Sprache (verbale Mittel) auf einer der Stufen der Kommunikation (Stock 1986). Dabei gibt es keine diskreten Grenzen zwischen Linguistik, Paralinguistik und Extralinguistik (Potapova 1997a; 1997b; 2003). Von großer Bedeutung sind interkulturelle Untersuchungen im Bereich der Paralinguistik4 in bezug auf Segmentalia und Suprasegmentalia. Man könnte die paralinguistische Kommunikation als ein kodiertes Inventar der Handlungsakte betrachten, die nichtverbale (sowohl akustische mit Hilfe der Stimme als auch visuelle ohne Stimme) Besonderheiten des Benehmens der Kommunikationspartner einschließen (Laver 1995). Die Wahl und Bedeutung dieser Akte hängen von kulturellen Faktoren ab. Paralinguistische hörbare Komponenten schließen eigenartige Artikulations- und Phonationscharakteristiken ein. Dabei können sie als selbständiges unabhängiges Sprechphänomen und als abhängiges Fragment der verbalen Äußerung existieren. Diese zwei Grundformen der hörbaren Parasignale variieren für verschiedene Völker und Kulturen: z. B. bedeuten velare, alveolare und dentale Knacklaute im Englischen Ungeduld, Interesse, Mitgefühl; interdentale Knacklaute im Russischen bedeuten Tadel, Ärger, Verdruß. Dazu gehören auch verschiedene Ersatzsignale wie z. B. für „yes“ im Englischen (z. B. yup, yeah, mm, mmhmm, uh-huh usw.), im Russischen (z. B. uhu, mhm) (Laver 1995). Bei der Manifestation der paraverbalen Äußerung in der abhängigen Form beobachtet man die Koexistenz verbaler und nichtverbaler (nonverbaler) Merkmale (z. B. Flüstern, Kichern). 4
Paralinguistik untersucht alle die menschliche Stimme kennzeichnenden paraverbalen Merkmale, welche sprachliches (verbales) Handeln begleiten: Stimmqualität, Phonation (Flüstern, Hauchen; Sprechausdruck), Artikulation.
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Das Flüstern dient in manchen Kulturen und Sprachen dazu, dem Gesagten einen verschwörerischen Unterton zu verleihen. – Ein heiserer oder belegter Ton signalisiert in vielen Kulturen und Sprachen tiefempfundene Gefühle oder sexuelles Begehren, im Japanischen aber Respekt oder Unterwürfigkeit. – Ein knarrender oder rauher Tonfall hat im Englischen und im Russischen etwas Herabsetzendes. – Im Deutschen gibt es keine Entsprechung zur stark nasalisierten Stimmfärbung, mit der im Russischen und Portugiesischen eine Vielzahl emotionaler Nuancen (z. B. Liebe, Vergnügen) ausgedrückt wird. – Der Gebrauch der Falsettphonation wird durch eine Reihe von konnotativen paraverbalen Bedeutungen in verschiedenen Kulturen gekennzeichnet, z. B. drückt in Tzeltal, einer der Maya-Sprachen in Mexiko, die Falsettstimme beim Sprechen den höchsten Grad der Hochachtung aus. Für Engländer männlichen Geschlechts bedeutet das in der Kommunikation Geringschätzung. Man schätzt den Empfänger (den Adressaten) mit Hilfe solch einer Stimme als weibliche hilflose Person ein. Die Paralinguistik spielt eine große Rolle im Bereich der Emotionen und Modalität (Potapova 1997a). Die multidisziplinäre Erforschung der Emotionen, die sich bereits abzuzeichnen beginnt, geht mit der Entwicklung des biopsychosozialen Paradigmas einher. Bei diesem handelt es sich noch nicht um ein Paradigma, das ausgereift und in der Wissenschaft etabliert ist, sondern bislang eher um eine veränderte Perspektive oder um eine Akzentverschiebung in der Forschung. Die Emotionen werden in funktionaler Beziehung gesehen: zu biologischen Systemen (Nerven-, Hormon- und Immunsystem), zu psychischen Prozessen (Kognition, Motivation), zu sozialen Strukturen (Kommunikationssysteme, historische und sozialepidemiologische Verbreitung) und zu kulturellen Symbolsystemen. Die Erforschung der Emotionen auf der Basis multidisziplinärer Orientierung ist nicht nur erkenntnistheoretisch wert-, sondern auch pragmatisch sinnvoll. Die Multidisziplinarität führt zu gegenseitiger Anregung und Befruchtung in bezug auf alle Gebiete der Wissenschaft. Emotionen können rascher zu adäquater Situationseinschätzung und passendem Verhalten führen und motivieren, als wenn dies emotionsfrei geschieht. Die Emotionen ermöglichen reale Kommunikation. Gesten und emotional gefärbte Prosodie vermögen im Adressaten Emotionen zu evozieren, die ihn oder sie entweder zu bestimmten Handlungen veranlassen oder dazu bringen, Handlungen zu unterlassen, das heißt, Gefühlszustände, Situationsdefinitionen oder Absichten müssen nicht nur verbal kommuniziert werden, sondern können
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auch unmittelbar über den Austausch von Zeichen (Gesten), die bestimmte Emotionen repräsentieren, kommuniziert werden. Emotionen sind ein Teil dessen, was in der kognitiven Anthropologie als kulturelle Modelle bezeichnet wird (Vester 1991). Unter einem kulturellen Modell versteht die kognitive Anthropologie in Anlehnung an die kognitive Psychologie ein intersubjektiv geteiltes Wissen, das aus einer überschaubaren Anzahl von Begriffen und deren Verbindungen besteht. Dieses Wissen ist in Schemata organisiert, z. B. in Skripts und Szenen, und stellt „common sense“ dar. Kulturelle Modelle sind Selektionen aus dem Inventar möglicher Zeichenkombinationen und werden durch Metaphern und Metonymien verdichtet. So halten die bereits in der natürlichen Sprache verwendeten Begriffe für Emotionen prototypische Ereignisfolgen für die „Inszenierung“ der Emotionen bereit. Die Kompaktheit kultureller Modelle, ihre zumindest zeitweilige Kristallisation und prototypische Übersteigerung machen sie dann allerdings auch anfällig für Tendenzen zur rituellen Erstarrung und ideologischen Überhöhung. Durch verschiedene „Mechanismen“ kultureller Überlieferung (Nachahmung, Lernen) sind solche Modelle relativ persistent, was jedoch längerfristige Variationen, aber auch plötzliche Veränderungen nicht ausschließt, insbesondere unter sozialökologisch veränderten Rahmenbedingungen (Vester 1991). Kulturelle Modelle stellen intersubjektiv geteiltes Wissen dar, wenn erstens jedes Mitglied der Kultur das Schema kennt, zweitens jeder weiß, daß jeder das Schema kennt, und drittens jeder weiß, daß jeder weiß, daß jeder das Schema kennt. Möglicherweise ist aber diese dreifache Voraussetzung für das Funktionieren von Schemata nicht unbedingt erforderlich. Bei normalem Funktionieren der Schemata verhalten sich Menschen vielmehr so, als ob diese Voraussetzungen Gültigkeit hätten, ohne daß dies notwendigerweise der Fall sein muß. Tatsächlich werden diese Voraussetzungen wohl nur in Krisensituationen zum Problem; sie werden thematisiert, wenn sich herausstellt, daß ein kulturelles Modell eben nicht selbstverständlich von jedermann in der gleichen Weise geteilt wird (Vester 1991). Als ein kulturelles Modell wurde das „folk model of the mind“ behandelt (D’Andrade 1987). Unter „folk model“ versteht man kulturelle Modelle, die eine führende Rolle im Alltagsverständnis spielen. Wie jedes kulturelle Modell weist auch das „folk model of the mind“ zahlreiche Verknüpfungen mit anderen kognitiven Bestandteilen der Kultur auf. Das „folk model of the mind“ impliziert vor allem kulturtypische Vorstellungen von – Wahrnehmungen, – Glaubens- und Wissensbeständen, – Emotionen,
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– Begierden und Wünschen, – Intentionen, – Entschlüssen, Willenssetzungen, – Formen der Selbstkontrolle. Diese Komponenten können sowohl als Zustände wie auch als Prozesse verstanden werden. In verschiedenen „folk models of the mind“ werden die Relationen zwischen den Komponenten in bestimmter Weise konzipiert, in westlichen Kulturen anders als z. B. in südpazifischen Inselkulturen. Die im Rahmen des Modells „folk model of the mind“ getroffenen Annahmen über das „Wesen“ der Emotionen vermitteln ein ambivalentes Bild der Emotionen. Zum einen werden Emotionen vorgestellt als etwas, das von externen Ereignissen verursacht oder hervorgerufen wird (z. B.: „X fürchtete sich, als [weil] es blitzte und donnerte“); andererseits werden Emotionen oft auch als interne Ereignisse verstanden, die von der Person selbst – womöglich durch Bewertungen und Urteilskraft – hervorgerufen werden (z. B.: „als [weil] X sich ausmalte, wie es wohl wäre, allein zu sein, bekam er/sie Angst“). Ein weiteres Charakteristikum von Emotionen im Bezugsrahmen des westlichen „folk model of the mind“ ist darin zu sehen, daß Emotionen nicht notwendigerweise auf Objekte gerichtet zu sein brauchen (man kann sich grundlos fürchten; man ist einfach verärgert, ohne sich über jemanden oder etwas zu ärgern). Eine besonders wichtige Rolle in kulturellen Modellen von Emotionen, aber auch in wissenschaftlichen Emotionskonzepten und -theorien, spielen die Beziehungen zwischen Emotionen und dem Selbst. Das Selbst erlebt Emotionen passiv. Es wird von den Emotionen bedroht und überwältigt. Obwohl auch das Selbst ein kultureller Begriff, ein soziales Konstrukt ist und statt als Substanz besser als Schatten grammatikalischer Modelle aufzufassen sein mag, wird das Selbst dennoch auch verantwortlich gemacht für Intentionen und Handlungen. Die Emotionen hingegen entziehen sich nach dem „folk model of the mind“ weitgehend der Kontrolle durch das Selbst; für das Gefühlsleben kann das Selbst nicht zur Rechenschaft gezogen werden, es ist nicht verantwortlich für die Emotionen (D’Andrade 1987: 119). Eine geradezu klassische Annahme in der Emotionsforschung wie im „folk model of the mind“ bezieht sich auf den Zusammenhang von Emotionen, viszeralen Wahrnehmungen und viszeralen Reaktionen. D’Andrade (1987: 123) hebt hervor, daß von Gefühlen angenommen wird, daß sie gegen den Willen des Subjekts viszerale Reaktionen hervorrufen. Allerdings ist auch die umgekehrte kausale Attribution – Emotionen als Wirkung von viszeraler Wahrnehmung – denkbar und in der psychologischen Forschung untersucht worden. Wissenschaftlich überzeugender scheint es jedoch, statt von einseitigen Kausalbeziehungen von Rückkopplungsprozessen auszugehen, die zwischen Gefühlsausdruck, Wahrnehmung von Emotionen und körperlichen Ver-
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änderungen erfolgen, und zwar sowohl auf der Ebene der Selbstwahrnehmung als auch auf der der Fremdwahrnehmung. D’Andrade vergleicht das westliche kulturelle Modell mit dem Modell der Ifaluk, einer kleinen Südseeinselkultur, die in der Kulturanthropologie zu einiger Prominenz gelangt ist. Bei den Ifaluk werden Begriffe für Emotionen situationsspezifisch und damit flexibel definiert und angewandt. Die Ifaluk kennen nicht die dichotomische Trennung von Affekt und Kognition. Das Wissen, das die Ifaluk von Emotionen haben, bezieht sich auf Ereignisse und Situationen, weniger auf innere physiologische Zustände, ist also in starkem Maße abhängig von kulturell verfügbaren Szenen und Skripts, nach denen solche Ereignisse und Situationen strukturiert sind. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ziehen bestimmte Emotionen bestimmte Handlungen nach sich. Z. B. führt eine als berechtigt angesehene Wut erwartungsgemäß und legitimerweise zu unhöflichem Sprechen oder zur Verweigerung der Nahrungsaufnahme; umgekehrt werden solche Handlungen als Anzeichen für bestimmte Emotionen angesehen. Die Abhängigkeit emotionaler Erfahrung von kulturellen Modellen impliziert, daß Emotionen bzw. ihr Ausdruck von impliziten Regeln geleitet werden. Zu den zentralen Bestandteilen kultureller Modelle gehören auch Vorstellungen über Gesundheit und Schädlichkeit oder Krankhaftigkeit von Emotionen und über die Angemessenheit des Austausches von Emotionen. Diese kulturellen Konnotationen von Emotionen werden im folgenden näher betrachtet. Ethnologische und kulturanthropologische Studien bieten eine Fülle von Anschauungsmaterial über Funktion und Bedeutung von Emotionen in unterschiedlichen Kulturen. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Emotionen hinsichtlich der mit ihnen korrelierenden nonverbalen Reaktionen scheinen weitgehend unabhängig von kulturellen Einflüssen. Gleichwohl ergeben sich graduelle Unterschiede zwischen den Kulturen im Hinblick auf die Menge berichteter nonverbaler Reaktionen. Während auf der einen Seite Belgier und Franzosen die meisten nonverbalen Reaktionen pro Emotion berichten, schildern Israelis, Italiener und Spanier am wenigsten nonverbale Reaktionen im Zusammenhang mit ihren emotionalen Erfahrungen. Interkulturelle Unterschiede sind auch im Hinblick auf die Verbalisierung von Emotionen festzustellen. Unterschiedliche Grade der Verbalisierung sind dokumentiert sowohl, was die verschiedenen Emotionen betrifft, als auch jeweils bezogen auf Emotionen in unterschiedlichen Kulturen. Formen der Verbalisierung (diskursive Erörterungen und Reflexionen über emotionale Erlebnisse) sind während des emotionalen Erlebens verschieden. Wenn man den von den Befragten selbst gelieferten Schilderungen ihrer Reaktionen auf emotionale Erlebnisse vertraut, ergibt sich, daß die britischen und deutschen Probanden dazu neigen, emotionale Erlebnisse zu verbalisieren, während sich Is-
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raelis und Spanier in emotionalen Situationen der Verbalisierung eher enthalten. Häufiger als alle anderen Probanden berichten die Deutschen von Verbalisierung von Freude und Traurigkeit. Die Franzosen hingegen sind Spitzenreiter bei der Verbalisierung von Furcht und Ärger/Wut. Im Rahmen des biopsychosozialen Paradigmas könnte die Soziologie der Emotionen folgende Fragen theoretisch und empirisch klären helfen: 1. Welche Emotionen treten unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen mit welcher Wahrscheinlichkeit auf? 2. Läßt sich zeigen, welche Emotionen an bestimmte soziale Episoden, Szenen, Skripts und Dramen gebunden sind? 3. Auf welchen Ebenen biopsychosozialer Prozesse sind etwaige geschlechtsspezifische Unterschiede in Erleben und Ausdruck von Emotionen feststellbar? Ergeben sich für Teilpopulationen (z. B. Kleingruppen, Schichten, ethnische Gruppen) spezifische emotionale Veranlagungen oder Profile? 4. Läßt sich zeigen, daß bestimmte Emotionen unter bestimmten Bedingungen „epidemisch“ auftreten? Nach welchen Diffusionsgesetzen verbreiten sich Emotionen? Sind in diesen „Epidemien“ bestimmte Rhythmen zu erkennen? 5. Fügt sich die Verteilung von Emotionen in einem sozialen System zu einem „emotionalen Klima“ mit einer feststellbaren Persistenz? Wie verändern sich emotionale Klimata? 6. Können Kriterien für optimale Werte emotionaler Klimata angegeben werden, die sozusagen optimale Zonen sowie kritische Gefahrenzonen von Verhalten und Erleben markieren, und zwar auf individueller wie auf kollektiver Ebene? Da ein Großteil der Emotionsforschung von Biologen, Medizinern und Psychologen geleistet wird, ist es nicht erstaunlich, daß in dieser Forschung eine naturwissenschaftliche Orientierung vorherrscht. Angesichts der Forschungsinteressen der Kulturanthropologen, Historiker, Soziologen und Linguisten mag das zunächst zu einigen Verständigungsschwierigkeiten führen. Nun zeigt sich aber gerade am Forschungsgegenstand Emotionen, daß die Untersuchung menschlichen Verhaltens und Erlebens sowohl in naturwissenschaftlicher als auch in kultur- und sozialwissenschaftlicher Perspektive sinnvoll betrieben werden kann. Ein Projekt empirischer Emotionsforschung stellt die internationale Untersuchung emotionaler Erfahrung dar, die von K. R. Scherer, H. Wallbott, A. Summerfield (1986) durchgeführt wurde und in weiteren Arbeiten ihre Fortsetzung gefunden hat (Wallbott, Matsumoto, Tsutomu 1988; Wallbott, Scherer 1988). Die Untersuchung von K. R. Scherer, H. Wallbott, A. Summerfield (1986) versucht, durch Befragung von Studenten in Belgien, Deutschland,
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Frankreich, Großbritannien, Israel, Italien, Spanien und der Schweiz der Frage nachzugehen, ob und inwieweit sich in emotionalen Erfahrungen kulturelle Unterschiede feststellen lassen. Das verwendete Erhebungsinstrument ist die schriftliche Befragung (offene Fragen), mit deren Hilfe die Befragten Primäremotionen (Freude, Furcht/Angst, Ärger/Wut, Trauer/Kummer) und die für sie typischen Situationen und Reaktionen beschreiben sollen. Die Beschreibungen der Situationen und der emotionalen Erfahrungen werden dann mit Hilfe eines vom Forscherteam entwickelten Codierungsschemas ausgewertet. Im einzelnen soll die Untersuchung folgende Aspekte der emotionalen Erfahrung ermitteln: – Antezedenzien, – physiologische Reaktionsmuster, – nichtverbale Reaktionen, – Verbalisierung, – Wirkung sozialer und nichtsozialer Faktoren beim Zustandekommen des emotionalen Erlebnisses. Setzt man (äußere) nonverbale5 Reaktionen und (innere) physiologische Reaktionen in Relation zueinander und bezeichnet man Menschen, die vorzugsweise nonverbale Reaktionen zeigen, als Externalisierer und Menschen, die mehr physiologisch reagieren, als Internalisierer, dann lassen sich Unterschiede sowohl zwischen Männern und Frauen als auch zwischen Kulturen feststellen. Für die untersuchten Emotionen insgesamt stellen H. Wallbott, D. Matsumoto, K. Tsutomu (1988: 110) fest, daß Frauen nonverbale Reaktionen doppelt so häufig schildern wie physiologische Reaktionen. Männer hingegen „externalisieren“ etwas weniger häufig. Im interkulturellen Vergleich erscheinen Israelis und Spanier als starke Externalisierer; ebenfalls zu den Externalisierern gehören Franzosen und, etwas weniger ausgeprägt, Briten, Belgier, Schweizer und Deutsche. Völlig 5
Nonverbale (nichtverbale) Kommunikation (Metzler Lexikon Sprache 1993: 424) umfaßt alle Arten von Signalen, die in der Kommunikation anstelle von Sprache oder zusätzlich zu Sprache vermittelt und/oder rezipiert werden. I. e. S. die in der Kommunikation verwendete Körpersprache, i. w. S. auch Signale wie Parfüm, Kleidung usw. Die Klassifizierung ist funktional oder kanalorientiert. Die Kommunikation umfaßt nonverbale Signale und funktioniert als Multikanalsystem: – motorisch: Mimik, Gestik, Augenkommunikation, Körperbewegung und -haltung (Kinetik); – physiochemisch: Geruchssinn, Tastsinn, Wärmeempfindung; – ökologisch: Territorialverhalten, interpersonale Distanz, persönliche Aufmachung von Personen (Objektkommunikation) wie Kleidung, Schminke usw. Bei verbaler Kommunikation werden Absichten unterstellt, nonverbale Kommunikation läuft unbewußt, automatisiert, dient als Ausdruck von Gefühlen. Linguistisch interessant ist es als Ergänzung zum Verbalen. Hier dient es als Ersetzung oder Ergänzung der sprechsprachlichen Zeichen, der Gliederung der Rede, der Aufforderung zu Aktionen, Gesprächstätigkeiten und der Gesprächsorganisation.
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entgegen stereotypen Erwartungen finden sich Italiener als Internalisierer eingestuft (Scherer, Wallbott, Summerfield 1986: 109). Interessante Resultate ergeben sich, wenn man die berichteten Versuche der Kontrolle über den nonverbalen Ausdruck von Emotionen interkulturell vergleicht. Allgemein gilt, daß der Ausdruck negativer Emotionen stärker kontrolliert wird als der von Freude. Geschlechtsspezifische Unterschiede ergeben sich lediglich im Hinblick auf Furcht. Frauen berichten hier weniger Kontrollversuche als Männer. Unterschiede sind zwischen den Kulturen festzustellen. Franzosen und Belgier sowie Briten berichten generell die meisten Kontrollversuche, während von den deutschen Probanden relativ wenige Kontrollversuche für Freude und Traurigkeit berichtet werden (Wallbott, Matsumoto, Tsutomu 1988: 112). Als allgemeines Fazit läßt sich festhalten: 1. Emotionen erregen Prozesse des autonomen Nervensystems und des endokrinen Systems. 2. Emotionen ermöglichen eine größere Verhaltensflexibilität. Gerade auch insofern als Emotionen unberechenbar sind, erlauben sie in scheinbar verfahrenen Situationen, in denen ein Problem oder ein Ausweg gesucht wird, rasches und intuitives Umschalten auf eine andere Problemlösungsoder Verhaltensebene. 3. Emotionen können rascher zu adäquater Situationseinschätzung und passendem Verhalten führen und motivieren, als dies emotionsfreie, aber langsam arbeitende kognitive Prozesse vermögen. 4. Emotionen ermöglichen Kommunikation. 5. Emotionen fordern soziale Bindung. 6. Ganz allgemein sind Emotionen Verstärker für Verhaltensweisen, insofern als Verhaltensweisen, die als angenehm empfunden werden, einen höheren Überlebenswert haben dürften als solche, die mit unangenehmen Empfindungen verbunden sind. 7. Emotionen werden durch verbale und nonverbale (z. B. prosodische) Indikatoren gekennzeichnet. 8. Emotionen werden in zwei Hauptgruppen eingeteilt: in Primäremotionen (z. B. Angst, Wut, Freude, Trauer) und in Sekundäremotionen (z. B. Vergnügen, Arroganz, Gutmütigkeit). 9. Primäremotionen gehören zu Universalien des menschlichen Verhaltens, interkulturelle Hauptunterschiede sind in größerem Maße den Sekundäremotionen eigen. 10. Das Gesetz der Kategorialität der Wahrnehmung der Emotionen hängt von einer Reihe von Faktoren ab.
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I.2. Kontrastive Phonetik Deutsch-Russisch I.2.1. Man unterscheidet gegenwärtig drei Phasen der Entwicklung der kontrastiven Linguistik im allgemeinen. Man könnte behaupten, daß sich in der ersten Phase das Interesse der Linguisten hauptsächlich auf die Aufgabe beschränkte, zwei Sprachen in vergleichende Verbindung zu setzen, Kontraste sichtbar zu machen und sie zu bewerten. In der zweiten Phase wurden sowohl der Untersuchungsgegenstand als auch die Untersuchungsmethodik überprüft und modifiziert. Das heißt, daß die Verwendung von Sprachenpaarkorpora überprüft wird, was gleichzeitig eine gesamte Kontrastierung implizieren kann. Nach der Meinung vieler Linguisten ist die dritte Phase mit dem Wunsch verbunden, verschiedene Konzepte und Ergebnisse der Kontrastierung auf weitere Sprachkontakte zu übertragen. Heutzutage kann man eine Reihe von Publikationen finden, in denen es Versuche gibt, Untersuchungen im Bereich der kontrastiven Linguistik zu systematisieren. Und von diesem Standpunkt aus kann man folgende Disziplinen und Anwendungsbereiche unterscheiden: Typologie, Fremdsprachenunterricht, Übersetzung, maschinelle Übersetzung, Bi-, Trilingualismus, Universalienforschung, Kindersprache, vergleichende Stilistik, Soziolinguistik, Dialektforschung, Fehleranalyse, Transferforschung. Und was die kontrastive Phonetik im Rahmen der kontrastiven Linguistik betrifft, so ist zu unterstreichen, daß sich die kontrastive Phonetik in diesem Zusammenhang nicht beklagen kann. Es gibt gegenwärtig im Bereich der Phonetik bzw. Phonologie eine Reihe von Untersuchungen, die den obengenannten Disziplinen gewidmet sind. Dieses große Interesse wird vor allen Dingen dadurch erklärt, daß die Prozesse und der Mechanismus der sogenannten Interferenz und Transferenz für die mündliche Kommunikation noch nicht klar sind. Alle Prozesse, die im Bereich der kontrastiven Phonetik untersucht werden, teilt man traditionell in zwei Ebenen ein: segmentale und supra- (oder super-) segmentale. Die Probleme der kontrastiven Phonetik des Deutschen und Russischen bilden in diesem Sinne keine Ausnahme. Was die segmentale Ebene anbelangt, klassifiziert man alle Probleme der kontrastiven Phonetik des Deutschen und Russischen folgendermaßen: Spezifik der Artikulationsbasis im allgemeinen; Besonderheiten der Artikulation einzelner isoliert ausgesprochener Laute; Spezifik der Koartikulation der Lautfolgen sowohl im Rahmen der Silbe als auch in der Position der Silbengrenze. Und all das wird in drei Dimensionen untersucht: physiologisch-genetisch, physiologisch-perzeptorisch und akustisch vom Standpunkt des Beobachters aus. In diesem Sinne unterscheidet man gewöhnlich drei Arten der Phonetik: Phonetik des Sprechenden, Phonetik des Hörenden und Phonetik des Beobachters. Es ist zu betonen, daß diese Klassifizierung recht relativ zu sein scheint.
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Im Prozeß der verbalen mündlichen Kommunikation bilden diese Aspekte verschiedene Seiten ein und desselben Phänomens. Die selektive Analyse braucht man aber, wenn man korrekte Ergebnisse bekommen will, die weiter miteinander korreliert werden sollen. Für die suprasegmentale Ebene sind im Bereich der kontrastiven Phonetik zur Zeit folgende Probleme typisch (Potapova 1991): Spezifik der prosodischen Strukturierung der Intonationsmuster, der rhythmischen Muster, der Integrierungs- und Differenzierungssprecheinheiten, der hervorgehobenen Segmente der mündlichen Äußerung, der Pausierung und Segmentierung, der gebundenen Rede. Selbstverständlich könnte diese Liste fortgesetzt werden. Aber wenn man das Wichtigste in diesem Bereich braucht, so könnte man behaupten, daß es reicht, ein korrektes Bild der prosodischen Strukturierung der suprasegmentalen Einheiten für die Sprachen zu haben, die verglichen werden. Als linguistische Beschreibung strebt die vorliegende Arbeit eine gewisse Vollständigkeit im Hinblick auf das relevante Material für zwei Sprachen (für das Deutsche und das Russische) an. Die Ergebnisse der Analyse beider Sprachen werden verglichen, und Unterschiede werden festgestellt. Es ist zu betonen, daß alle experimentalphonetischen Untersuchungen im Bereich der kontrastiven Phonetik, was die segmentale Ebene betrifft, zwei Hauptaspekte haben. Man unterscheidet in der Regel Spracheinheiten und Sprecheinheiten (von Essen 1979; Meinhold, Stock 1980; Potapowa 1988). Es ist aber zu unterstreichen, daß es nützlich ist, wenn man in der ersten Etappe einer experimentalphonetischen Untersuchung nicht Sprecheinheiten, sondern Spracheinheiten (Phoneme) analysiert. In der Regel vergleicht man vor allen Dingen das Phoneminventar der Sprachen, die untersucht werden. Man könnte behaupten, daß jede kontrastive experimentalphonetische Untersuchung im segmentalen Bereich in erster Linie den Vergleich des Phoneminventars einschließt. Obwohl Sprecheinheiten (z. B. Laute) ständig in den kontinuierlichen Fluß der mündlichen Rede eingebettet sind, ist es möglich, sie daraus zu abstrahieren, relativ autonom zu betrachten und zu einem System der Spracheinheiten zusammenzustellen. Im Laufe dieses Abstraktionsprozesses kommt man für jede Sprache zu einem bestimmten System, das für diese typisch ist. Dabei wird jede Sprecheinheit bzw. jeder Laut als eine besondere Qualitätseinheit (in manchen Sprachen auch Qualitäts- und Quantitätseinheit) betrachtet. Im Abstraktionsprozeß werden viele Eigenschaften und Merkmale der Sprecheinheiten nicht beachtet. Zu diesen Eigenschaften gehören vor allem Variationen, die durch die Besonderheiten der Situation des Kommunikationsaktes, soziale Rollen der Kommunikationspartner, die regionale und dialektale Färbung der Sprache, die Individualität des Sprechers, verschiedene modale und emotionale Faktoren des Kommunikationsaktes usw. bedingt sind. Alle diese Eigenschaften spielen für die sogenannte „hundertprozentige“ Kommuni-
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kation eine große Rolle, weil sie alle im akustischen Signal vorhanden sind. Was aber Spracheinheiten betrifft, so könnte man sagen, daß in diesem Sinne nur solche Eigenschaften von Bedeutung sind, die funktional semantisch relevant sind. Die Phoneminventare des Russischen und Deutschen sind im Bereich des Vokalismus recht unterschiedlich (Potapowa 1988; 1990b; 1993b; 1994; 1995). Und das bezieht sich nicht nur auf die Zahl dieser Spracheinheiten, sondern auch auf ihre quantitativen und qualitativen Merkmale. Wenn man diese beiden Systeme des Vokalismus vergleicht, so sieht man, daß dem deutschen System verschiedene Differenzierungsabstufungen eigen sind, die für das System des Russischen absolut nicht typisch sind (Potapova, Lindner 1991). Dabei sind deutsche Vokale im Vergleich zum Vokalsystem des Russischen durch mehr extreme Positionen im Vokalviereck charakterisiert. Wenn man Sprech- und Spracheinheiten differenziert, so unterscheidet man konkrete lautsprachliche Äußerungen, die abgefaßt werden, und minimale Elemente der Sprache als Sprachgebilde. In diesem Fall ist es üblich, die Phonetik und die Phonologie zu unterscheiden. Nach G. Panconcelli-Calzia (1924: 136) hat die Phonetik die Aufgabe, „... sich in der Gegenwart vollziehende, vom Orte unabhängige Phonationsvorgänge im normalen Organismus festzustellen, zu zergliedern, zu ordnen und zu erklären“. O. von Essen (1979) schlägt von diesem Standpunkt aus vor, zwei Begriffe zu definieren, und zwar Sprechlaut und Sprachlaut, welche zwei Aspekte eines und desselben Phänomens sind. Sprechlaute gehören zum Bereich des Sprechens, das ein Tun und ein Akt ist. Die Sprachlaute aber gehören zum Bereich des Sprachgebildes, welches ein System der geordneten Mitteilungs- und Erkennungszeichen, eine abstrakte Form ist. Es ist zu betonen, daß heutzutage die Begriffe „Phonetik“ und „Phonologie“ verschieden definiert werden. Dabei gibt es eine Tendenz, diese beiden Wissenschaftsrichtungen isoliert voneinander zu betrachten. Der Streit zwischen „reinen Phonologen“ und den „empirischen Würmern“ (Phonetikern im Bereich des Experiments) ist noch nicht zu Ende. „Das Postulat einer genauen Definition des Untersuchungsansatzes und einer sauberen, eindeutigen Terminologie hat auch in der Gegenwart nichts von seiner Aktualität eingebüßt“ (Wodarz 1972: 67). In dieser Hinsicht lohnt es sich, an die Meinung über Phonetik und Phonologie von P. Menzerath zu erinnern. Menzerath stand der rein funktionalen Betrachtungsweise durchaus aufgeschlossen gegenüber, war jedoch nicht so sehr der Prager Distinktionsphonologie, sondern mehr der Indifikationsphonologie zugeneigt. Die Ergebnisse der Auswertung von Archivmaterialen in Bonn von H.-W. Wodarz ermöglichen es, die endgültige Meinung von Menzerath über Phonetik und Phonologie festzustellen. Besonders interessant ist von die-
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sem Standpunkt aus ein unbeachtet gebliebener kritischer Bericht Menzeraths über den 2. Internationalen Kongreß für phonetische Wissenschaften aus dem Jahre 1935. „Gewiß: in Einzelwörtern wie etwa Mist, Mast, Most ist die Bedeutungsverschiedenheit an ein Phonem gebunden, und trotzdem ist die Signaltreue deshalb nicht unbedingt erforderlich, weil das Verständnis viel mehr in der Situation begründet ist, im Satz eher als im Laut. Vor Jahren schloß ich aus meinen Experimentaluntersuchungen, daß man nur so korrekt und so vollständig spricht, wie in einem gegebenen Falle erforderlich ist, um noch verstanden zu werden. Das Wort ist im Satz eingebettet, den Satz erkennt man auch bei Wortverstümmelungen, und diese Verstümmelungen bleiben sogar recht oft unbemerkt. Ist demnach nicht die Phonemfolge oder die Phonemkombination (die Gesamtstruktur) für die Wortauffassung wichtiger als das Phonem?“ (Menzerath 1935: 17). Diese Meinung von Menzerath scheint sehr nah an modernen Konzepten der Kommunikationsphonetik zu sein und gibt die Möglichkeit, Sprech- und Spracheinheiten als eine Einheit zu betrachten. Wenn man die drei philosophischen Kategorien „Gemeinsames“, „Besonderes“ bzw. „Typisches“ und „Individuelles“ analysiert, so fällt der Begriff der Spracheinheit mit der Kategorie des Typischen, der Begriff einer Klasse der Spracheinheiten mit der Kategorie des Gemeinsamen, und der Begriff der Sprecheinheit mit der Kategorie des Individuellen zusammen. Und in diesem Sinne entspricht auch unsere Meinung der von G. Meinhold und E. Stock, weil das Gemeinsame als etwas Invariantes, Überindividuelles und das Individuelle als etwas Variables und idiolektal Geprägtes betrachtet werden kann (Meinhold, Stock 1982). Was die kontrastive Untersuchung anbelangt, so könnte man auch drei Dimensionen extrahieren, und zwar das Gesamtsprachliche, das Typische und das Individuelle. Für die Interferenz sind zwei Dimensionen von großer Bedeutung: die gesamtsprachliche und die typische. Die individuelle Dimension hat größere Bedeutung für Transferenz, wobei man verschiedene Stufen des Spracherlernens bzw. des Erwerbs des Aussprachesystems der zweiten Sprache untersucht. Wenn man deutsche und russische Konsonanten vergleicht, so ergibt sich, daß diese Gegenüberstellung nicht so einfach und nicht so gradlinig ist. Der Hauptunterschied scheint z. B. nicht in der Opposition stimmhaft-stimmlos zu liegen, sondern im Vorhandensein eines Merkmals, das für die russische Standardaussprache absolut untypisch ist. In diesem Fall geht es um den Unterschied, der als Grundlage einen eigenartigen Atemdruckprozeß im Deutschen hat. Es wurde anhand zahlreicher experimenteller Untersuchungen festgestellt, daß alle deutschen Laute prinzipiell mit höherem Atemdruck ausgesprochen werden. Dies wird in der stärkeren Behauchung der deutschen Verschlußkonsonanten und auch in der höheren Geräuschintensität bei den Engekonsonanten ausgedrückt. Vom Standpunkt der Physiologie aus ist dieser Effekt der Behau-
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chung eine Folge des Prozesses, bei dem der Luftstrom während der Artikulation der Konsonanten abgesperrt wird. Wenn man mit einem höheren Atemdruck, mit größerem Luftverbrauch und größerer Muskelspannung Konsonanten artikuliert, so kommt es hinter der Verschluß- oder Engestelle zu einem Stau und erhöhtem Luftdruck, der im Prozeß des Durchgehens durch die Öffnung an der Verschluß- oder Engestelle hörbar ist. In diesem Sinne wäre es besser und genauer, für die deutschen Konsonanten nicht die Gegenüberstellung stimmhaft-stimmlos, sondern die Opposition fortis-lenis anzusetzen. Die letztere Opposition ist der russischen Standardaussprache absolut fremd. Beim Vergleich der deutschen und russischen Konsonanten wurden folgende Korrelationen genutzt: Spannungskorrelation, Intensitätskorrelation, Stimmlippenbeteiligungskorrelation, Behauchungskorrelation (Aspirationskorrelation), Verschlußlösungskorrelation. Zu der Spannungskorrelation gehört der Gegensatz zwischen fortis und lenis; ein Gegensatz, bei dem die Stärke der Artikulation bei der Bildung des Hindernisses und die des Überwindungsmodus im Verhältnis betrachtet werden. Im Deutschen werden Eigenschaften wie die Spannung der Artikulationsmuskulatur einerseits und der Luftdruck andererseits korreliert. Diese Korrelation bildet eine Opposition, die für das Deutsche markiert ist. Im Russischen ist diese Korrelation ebenfalls vorhanden, aber nicht systemhaft, sondern individuell bedingt. Man trifft das in der emotional gefärbten Rede, bei der Emphase usw. an. Wenn wir diese Art der Korrelation im Deutschen und Russischen vergleichen, so führt das zur Bildung einer zwischensprachlichen Opposition, und zwar gespannt-ungespannt. Diese Opposition gehört sowohl zum System des Konsonantismus als auch zum System des Vokalismus. Für die deutsche Hochsprache tritt das Merkmal gespannt markiert auf, für die russische Standardaussprache tritt dieses Merkmal im Gegenteil als nicht markiert und das Merkmal ungespannt als markiert auf. Was die zweite Art der Korrelation angeht (die Intensitäts- oder Druckkorrelation), so hat man in diesem Fall als Grundlage nicht die Muskelspannung im allgemeinen, sondern die Prozesse der Spannung und Entspannung in der Überwindung des Hindernisses bei der Artikulation der Konsonanten. Unter diesen Gesichtspunkten unterscheidet man intensive und nicht intensive Überwindung des Hindernisses. Im ersten Fall artikuliert man lange Konsonanten und im zweiten Fall kurze Konsonanten. Für das Deutsche bilden lange und kurze Konsonanten kein phonologisches Phänomen wie z. B. im Norwegischen. Aber der Quantität nach unterscheidet man solche Konsonanten. Und das ist in den Positionen der deutschen Konsonanten nach den kurzen und langen Vokalen besonders gut ausgeprägt. Was zwischensprachliche Opposition betrifft, so könnte man in diesem Fall folgende Merkmale nennen: intensiv – nicht intensiv. Für die deutsche
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Hochlautung tritt das Merkmal intensiv als markiert auf, was für das russische Konsonantensystem absolut untypisch ist. Die dritte Art der Korrelation wird durch die Stimmlippenbeteiligung charakterisiert. Aus dem Obengenannten ergibt sich, daß diese Korrelation auch eine zwischensprachliche Opposition bilden kann. Und was das deutsche Konsonantensystem angeht, so ist es nicht einfach, zu definieren, was in diesem System markiert ist. Aus den Ergebnissen der experimentalphonetischen Untersuchungen könnte man schließen, daß diese Opposition durch die Opposition gespannt-ungespannt / fortis-lenis ersetzt wird: stimmlos für gespannt, stimmhaft für ungespannt. Die Aspirationskorrelation kann ebenfalls als zwischensprachliche Korrelation betrachtet werden. In dieser Hinsicht treten die Merkmale aspiriert – nicht aspiriert als Glieder dieser Opposition auf. Auf der interlinguistischen Ebene erweist sich, daß das Merkmal aspiriert für die deutsche Hochlautung markiert ist, während für Standardrussisch nicht aspiriert als markiertes Merkmal auftritt. In diesem Fall hat man also auch eine Divergenz in der Verteilung der markierten und nicht markierten Merkmale für die beiden Sprachen. Es gibt noch eine Korrelation, die sehr wichtig für das Artikulationsverfahren der beiden Sprachen ist, und zwar die Verschlußlösungskorrelation. Vom physiologischen Standpunkt aus entspricht diese Korrelation der Gegenüberstellung zwischen Verschlußlauten mit gesprengtem und gelöstem Artikulationsverschluß. Den vielen experimentellen phonetischen Untersuchungen entsprechend werden gespannte (fortis) deutsche Verschlußlaute mit gesprengtem Artikulationsverschluß artikuliert und ungespannte (lenis) mit gelinde gelöstem Verschluß. Wenn man als Glieder der Opposition solche Merkmale wie gesprengt – nicht gesprengt betrachtet, so erweist sich, daß für das deutsche Konsonantensystem beide Merkmale markiert sein können. Das hängt davon ab, was als führendes Merkmal beim Vergleich der Konsonanten betrachtet wird. Unter diesen Gesichtspunkten könnte man vermuten, daß diese Merkmale eine Grundlage für mehrdimensionale Oppositionen der deutschen Hochlautung bilden. Das bedeutet, daß diese Merkmale nicht nur zwei betreffenden Oppositionsgliedern eigen sind, sondern auch anderen Oppositionsgliedern desselben Systems (z. B. /p/ – /b/). Wenn es um die Merkmale gesprengt – nicht gesprengt geht, kann man unserer Meinung nach behaupten, daß diese Opposition mehrdimensional ist, weil beide Laute bilabiale Verschlußlaute sind. Die obengenannten Eigenschaften stellen die Vergleichsgrundlage für diese Opposition dar, aber diese Vergleichsgrundlage beschränkt sich nicht nur auf diese beiden Oppositionsglieder. Sie erstreckt sich auch auf andere Glieder des deutschen phonologischen Systems. Dazu ist diese Opposition auch proportional, weil das Verhältnis zwischen den Gliedern einer anderen Opposition oder mehreren Oppositio-
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nen desselben Systems identisch ist. Es ist zu betonen, daß man in diesem Fall nur Überwindungsartkorrelationen analysiert (Potapowa 1999). Hinsichtlich der Lokalisierungsartkorrelation ist dieses Beispiel auch für eindimensionale Oppositionen typisch. Wenn man diese Opposition im Deutschen mit der im Russischen vergleicht, so ergibt sich, daß für das russische Konsonantensystem das Merkmal nicht gesprengt markiert ist. Das bedeutet, daß alle Verschlußkonsonanten im Russischen in der Regel mit gelindegelöstem Artikulationsverschluß oder mit schwach gesprengtem Verschluß ausgesprochen werden. Besonders regelmäßig wird das im Redestrom realisiert. Im Russischen gibt es dagegen eine Gegenüberstellung im Konsonantensystem, die für das Deutsche nicht charakteristisch ist, und zwar die Gegenüberstellung palatalisiert – nicht palatalisiert, was zur Vergrößerung der Zahl der Konsonanten führt. Aus der theoretischen Analyse kann man folgende Schlußfolgerungen ziehen: In den meisten Fällen fallen markierte Glieder der zwischensprachlichen Oppositionen im Deutschen und Russischen nicht zusammen. Was für das deutsche phonologische System markiert ist, bleibt für das russische phonologische System nicht markiert und umgekehrt. Unsere Untersuchung gibt die Möglichkeit, festzustellen, daß Deutsch und Russisch zu verschiedenen phonologischen Polen gehören. Wenn man darüber hinaus den Vokalismus und Konsonantismus in beiden Sprachen vergleicht, so ergibt sich, daß das Verhältnis zwischen der Zahl der Konsonanten und Vokale ganz verschieden ist (19 Vokale und 21 Konsonanten im Deutschen und 6 Vokale und 36 Konsonanten im Russischen). Das bedeutet, daß in den beiden Sprachen im Redestrom Vokale und Konsonanten verschiedenen Informationswert besitzen. Vom Standpunkt der Informationstheorie aus ist bekannt, daß, je geringer die Anzahl der Einheiten in einem bestimmten System, desto größer der Informationswert dieser Einheiten im Prozeß des Funktionierens. Die geringere Anzahl der Vokalphoneme im Russischen im Vergleich zum Konsonantismus bedeutet die Vergrößerung des Informationswertes des Vokalismus im Redestrom. In diesem Fall kann man die russische gesprochene Sprache als vokalorientiertes Sprechkontinuum charakterisieren (Potapova 1986a). Was die deutsche Sprache betrifft, so haben Vokalismus und Konsonantismus ungefähr gleichen Informationswert (Potapova, Lindner 1991; Trojan 1975). Dementsprechend handelt es sich um ein silben- bzw. konsonantenorientiertes Phänomen (Potapova 1986a). Es wurden zahlreiche Experimente durchgeführt, die zum Ziel hatten, die Artikulationsbasis des Deutschen und Russischen zu vergleichen. Man verwendete die verschiedenen Verfahren und Geräte: Vor allen Dingen wandte man Methoden wie Röntgenaufnahmen, Röntgenfilme, Elektromyographie, Pneumographie, Palatographie, Tensometrie usw. an. Anhand der Untersuchungen
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gelang es, folgende Hauptmerkmale der Artikulationsbasis im Deutschen und Russischen festzustellen: – Unterschiede im Grad der Gespanntheit der artikulierenden Organe, in der Art der Stabilität der artikulierenden Organe beim Sprechen; – Unterschiede, was die Prozesse der Ein- und Ausatmung beim Sprechen betrifft; – Unterschiede im Bereich der Luftstromkapazität; – Besonderheiten der Artikulation, was Zungenkontaktstellung, leichte ständige Labialisierung und Nasalierung der Vokale, Bewegungen des Unterkiefers, Velumartikulation anbelangt; – Unterschiede im „Silbenzuschnitt“. Es gibt eine Reihe von Definitionen des Begriffs „Artikulationsbasis“, die etwas Gemeinsames haben. Dazu gehören solche Merkmale wie die Art des Luftverbrauchs, Energiebasis (vox trophotropica – vox ergotropica), Besonderheiten der Anfangsphase (der Anfangsposition) beim Sprechen, die Eigenartigkeit des Funktionierens des Ansatzrohres. Aus dem Obengesagten ergibt sich, daß der Begriff der Artikulationsbasis ein komplexer Begriff ist. Im großen und ganzen könnte man aber behaupten, daß die Artikulationsbasis nicht nur mit der Lautartikulation, sondern auch mit dem ganzen Prozeß der sprecherischen Tätigkeit des Menschen verbunden ist. Unserer Meinung nach wird die Artikulationsbasis durch die integrative Art und Weise des Sprechens im Kommunikationsprozeß determiniert. Dabei sind für die eine oder andere Artikulationsbasis ganz bestimmte Eigenschaften charakteristisch. Einige Phonetiker sind der Meinung, daß es sich lohnt, Artikulationsbasis und Rhythmusbasis der Sprache zu unterscheiden. Die Artikulationsbasis ist ein genereller Begriff, und die Rhythmusbasis ist der Artikulationsbasis untergeordnet. Dabei könnte man die Artikulationsbasis als eine Schachtelkonstruktion betrachten: der Hauptblock ist die Energiebasis, die in sich die Luftverbrauchbasis einschließt. Dann folgt die Rhythmusbasis, die mit der Silbenzuschnittbasis aufs engste verbunden ist. Der Silbenzuschnittbasisblock schließt in sich Lautblöcke ein usw. Dabei funktioniert alles simultan. Selbstverständlich ist die Artikulationsbasis als komplexe Erscheinung mit zwei Rückkopplungskreisen verbunden: mit dem auditiven und mit dem kinästhetisch-motorischen. Darum ist man imstande, das zu perzipieren, was man als Grundlage der eigenen Artikulationsbasis und Perzeptionsbasis hat. Der beste Beweis dafür sind zahlreiche Ergebnisse der Untersuchungen im Bereich der lautsprachlichen Perzeption in bezug auf Muttersprachler und Nicht-Muttersprachler (Köster 1974; Lindner 1977; Potapova 1986a). Es ist bekannt, daß in der menschlichen Hörbahn wesentliche (relevante, markierte) lautsprachliche Merkmale herausgearbeitet werden, die durch die Artikulationsbasis deter-
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miniert sind. Von diesem Standpunkt aus könnte man die Artikulationsbasis und die Perzeptionsbasis als zwei Seiten „ein und derselben Münze“ darstellen. Wenn man die Artikulationsbasis und die Perzeptionsbasis verschiedener Sprachen vergleicht, so ist die Hauptaufgabe, die wichtigsten Merkmale festzustellen, die für diese oder jene Sprache markiert sind. Für den Vergleich zwischen dem Deutschen und Russischen sind also folgende Merkmale der Artikulationsbasis als markierte Merkmale zu bestimmen: für Deutsch: Energiemaximum; für Russisch: Energieminimum; für Deutsch: Atemdruckmaximum; für Russisch: Atemdruckminimum; für Deutsch: Muskelspannungsmaximum; für Russisch: Muskelspannungsminimum; für Deutsch: Muskelstabilität; für Russisch: Abwesenheit der Muskelstabilität; für Deutsch: diskreter Silbenschnitt; für Russisch: nicht diskreter (kontinuierlicher) Silbenschnitt. Wir schlugen also vor, die Artikulationsbasis und Perzeptionsbasis als Schachtelkonstruktion zu betrachten. Unter diesem Gesichtspunkt sind nicht einzelne Laute das Primäre, sondern die ganze lautsprachliche Äußerung, ihre Gestalt und die Art, diese Gestalt zu produzieren, zu reproduzieren und aufzufassen. Die Artikulation der Laute kann man sich als Folge dieses Prozesses und als das Sekundäre vorstellen. In dieser Hinsicht fällt unsere Meinung mit der Meinung von F. Trojan (1975) zusammen, der als das Wichtigste für die sprecherische Tätigkeit des Menschen biophonetische Aspekte beschrieben hat. Und vom Standpunkt der Biophonetik aus muß man alle menschlichen lautsprachlichen Funktionen und Organe in Verbindung mit Funktionen der menschlichen Organe in den früheren Etappen der Entwicklung der Menschheit betrachten. Diese Dynamik wird durch eine Hauptgegenüberstellung charakterisiert, und zwar eine Gegenüberstellung von Vorhandensein und Nicht-Vorhandensein des Muskeltonus. Die Veränderung des Grades des Energietonus ist das Primäre für alle anderen Funktionen des menschlichen Organismus. Das Sprechen bildet in diesem Sinne keine Ausnahme. Die Vergrößerung des Tonus führt zum Funktionieren der vox ergotropica, zur Beschleunigung der physischen und motorischen Prozesse und die Verminderung des Tonus im Gegenteil zum Funktionieren der vox trophotropica, der Verlangsamung der physischen und motorischen Prozesse. Die vox ergotropica bildet die physiologische Grundlage für einen besonderen Silbenschnitt mit einem diskreten Anfang und einem diskreten Ende, was die allgemeine Dynamik der zeitlichen Entwicklung der Silbe beeinflußt. In diesem Fall sind für die Silbe ein stoßartiger Anfang der Artikulation und ein ruckartiger Absatz charakteristisch. Was die vox trophotropica betrifft, so sieht das grundsätzlich anders aus: ein weicher Anfang und eine weiche Auflösung der Artikulation im Rahmen der Silbe. Im ersten Fall sagt man gewöhnlich, daß sich die Silbenkette staccato enwickelt. Und im zweiten Fall vergleicht man die Redegestalt mit legato.
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Wenn man die Äußerung als vox ergotropica analysiert, so erhält man eine Reihe von Merkmalen, die folgendermaßen charakterisiert werden können: eine starke Attacke in der Anfangsphase der Arbeit der Stimmlippen, ein starker Einsatz bei der Artikulation der Vokale, Silbenzuschnitt mit ruckartigem Anfang und stoßartigem Ende, staccato-Agogik, eckenförmige Melodieveränderungen, einen großen Kontrast zwischen durch Intensität markierten und nicht markierten Sprecheinheiten, Beschleunigung des Tempos, stoßweise Ein- und Ausatmung der Luft beim Sprechen, einen größeren Luftverbrauch und das Vorhandensein überflüssigen Luftvorrats, Überwiegen des Konsonantismus, relativ vollkommene Realisation der Konsonanten in der Endposition größerer Sprecheinheiten. Was die Besonderheiten des Sprechens bei vox trophotropica angeht, so gibt es auch eine Reihe von Merkmalen, die für diese Art der Tätigkeit des menschlichen Organismus typisch sind. Dazu gehören folgende Merkmale: eine weiche Attacke in der Anfangsphase der Arbeit der Stimmlippen, schwacher Einsatz bei der Artikulation der Vokale, ein Silbenzuschnitt mit der allmählichen Vergrößerung und Verminderung der Sonorität, legato-Agogik, wellenförmige Melodieveränderungen, kein Kontrast zwischen durch Intensität hervorgehobenen und nicht hervorgehobenen Sprecheinheiten, Verlangsamung des Tempos, kleinerer Luftverbrauch und nicht stoßartige Ein- und Ausatmungsvorgänge, Überwiegen des Vokalismus, abgeschwächte Realisation der Konsonanten in der Endposition größerer Sprecheinheiten. Alle diese Hauptmerkmale der Artikulationsbasis bilden auch eine prinzipiell wichtige Opposition, deren Glieder für eine Sprache markiert und für die andere Sprache nicht markiert sind. Wenn die Rede vom Vergleich des Deutschen mit dem Russischen ist, so ist klar, daß im großen und ganzen alle Merkmale der Oppositionsglieder, die auf der Grundlage der vox ergotropica entstanden sind, für die Artikulationsbasis des Deutschen charakteristisch sind. Vom Standpunkt des Funktionierens dieser Merkmale im Redefluß aus können sie als relevant für die deutsche Artikulationsbasis und markiert für intersprachliche Oppositionen in Betracht gezogen werden. Alle Merkmale der Oppositionsglieder aber, die auf der Grundlage der vox trophotropica entwickelt werden, können für die Artikulationsbasis des Russischen als relevant und intersprachlich markiert bestimmt werden. Es ist zu betonen, daß man sich in diesem Fall alle Merkmale der intersprachlichen Oppositionen als ein hierarchisches System vorstellen kann: Merkmale der intersprachlichen Oppositionsglieder in bezug auf die biophonetische Grundlage der Entwicklung des Sprechmechanismus, Merkmale der intersprachlichen Oppositionsglieder in bezug auf die Artikulationsbasis der Sprache, Merkmale der intersprachlichen Oppositionsglieder in bezug auf die Perzeptionsbasis der Sprache, Merkmale der intersprachlichen Oppositionsglieder in bezug auf den Silbenzuschnitt der
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Sprache als wichtigste Sprecheinheit der Redeproduktion und Redeperzeption, Merkmale der intersprachlichen Oppositionsglieder in bezug auf Laute als materielle konkrete Sprechsegmente, Merkmale der intersprachlichen Oppositionsglieder in bezug auf Lautklassen und Lauttypen der Sprache, die als überindividuelle psycho-akustische Muster existieren. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß das Deutsche und das Russische durch die ganz verschiedene Markiertheit der Merkmale der intersprachlichen Oppositionen charakterisiert werden: Was für die eine Sprache markiert ist, bleibt für die andere Sprache nicht markiert und umgekehrt. In dieser Hinsicht kann man voraussetzen, daß Deutsch und Russisch einen phonetischen Kontrast bilden, der im Rahmen der Biophonetik als sthenischer sprechsprachlicher Typ und asthenischer sprechsprachlicher Typ betrachtet werden könnte. Einige Beispiele wurden in der nächsten Etappe unserer Untersuchung mit Hilfe des Rechnersystems MEDAV MOSIP analysiert, das aus einem CP/MFront-End-Prozessor (CP/M = Control Program for Microprocessors) sowie einem in Bit-Slice-Technik aufgebauten Digitalen Signalprozessor besteht (Trier, Deutschland). Im MEDAV MOSIP-Rechnersystem werden spezielle Programme verwendet, die sowohl für das Umfeld „Digitale Datenverarbeitung“ als auch für das Umfeld „Digitale Schallsignalverarbeitung“ erstellt wurden. Im Laufe des Experiments wurden bestimmte Segmente aus deutschen und russischen Wörtern extrahiert. Dann wurde die Datenausgabe für die Höranalyse genutzt. Versuchspersonen waren Muttersprachler des Russischen und Deutschen. Im Bereich der akustischen Analyse wurden folgende Funktionen verwendet: oszillographische Analyse, Grundtonfrequenzanalyse, Intensitätsanalyse, Spektralanalyse (Sonagramme und Pseudo-3D-Analyse). Für die akustische Analyse der Übergangsphase wurden folgende Parameter gewählt: die Geschwindigkeit der Veränderung der Formantenstruktur in der Übergangsphase von einem betonten Vokal zu einem nachfolgenden Konsonanten, die Lokalisierung von F1 und F2 beim Übergang von einem Vokal zu einem nachfolgenden Konsonanten, der Grad der Intensität der Formanten in dieser Übergangsphase. Zum Vergleich wurde auch der quasistationäre Teil des Vokals analysiert, was die Möglichkeit bot, quasistationäre und nichtstationäre Prozesse bei der Artikulation der VK-Lautverbindungen im Rahmen der Silben zu analysieren. Im Laufe der akustischen Analyse wurde folgendes festgestellt: Für quasistationäre Phasen des Vokals im Deutschen ist die Stabilität der Formantstruktur charakteristisch; die Übergangsphase vom Vokal zum Konsonanten, z. B. von [a] zu nachfolgenden Konsonanten (Engelauten und Verschlußlauten), wird durch größere Geschwindigkeit der Änderung der Formantstruktur charakterisiert; die Charakteristiken der Übergangsphase von langen und kurzen Vokalen zu nachfolgenden Konsonanten im Deutschen sind relativ identisch.
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Die Dauer des nachfolgenden Konsonanten kann sich aber unterscheiden. Das wird sogar bei den Fortis-Verschlußlauten beobachtet, indem sich die Dauer der Verschlußphase ändert. In diesem Fall gibt es eine negative Korrelation zwischen den Dauerwerten des betonten Vokals und denen des nachfolgenden Konsonanten. Mathematisch bedeutet das, daß die Verlängerung der Dauer des Vokals mit der Verkürzung der Dauer des nachfolgenden Konsonanten korreliert und vice versa. Was das Russische betrifft, so wurden folgende Ergebnisse ermittelt: die Abwesenheit der Stabilität der Formantenstruktur in der quasistationären Phase des Vokals; der Vokal enthält eine Reihe von akustischen Subsegmenten, unter denen jedes als relativ selbständiges akustisches Phänomen betrachtet werden kann; die Übergangsphase des Vokals zum nachstehenden Konsonanten wird durch relativ größere Dauer charakterisiert, wenn man einen Vergleich mit der Dauer derselben Phase für das Deutsche zieht; die Formantenwerte beim Übergang vom Vokal zum Konsonanten sind durch größere Intervalle als im Deutschen charakterisiert; die akustische Charakteristik des Vokals und des nachfolgenden Konsonanten kann als relativ autonom eingeschätzt werden, was eine Folge der schwächeren Koartikulation zwischen dem Vokal und dem nachstehenden Konsonanten sein kann. Es ist zu unterstreichen, daß für diese Analyse die Meßwerte der Formanten selbst kein Ziel waren. Von größerer Bedeutung war das Verhältnis zwischen der Veränderung der Meßwerte im Laufe des Vergleichs. Was die Veränderung der integrierten Energie betrifft, so wurden diese Meßwerte mit Hilfe des MSL-Programms analysiert. Es wurde festgestellt, daß deutsche Vokale eingipflig und zweigipflig sein können, was von dem Faktor der Gespanntheit und Reartikulation abhängig ist; daß es einen großen Unterschied zwischen dem Maximumenergiewert des Vokals und dem Minimumenergiewert des nachstehenden Konsonanten gibt, daß für die Übergangsphase eine große Geschwindigkeit der Veränderung der integrierten Energie charakteristisch ist. Diese Ergebnisse haben die Resultate der früheren Untersuchungen, die mit Hilfe der analogen Technik durchgeführt worden waren, vollkommen bestätigt (Potapova 1979a; 1986a; Potapowa 1990b). Dasselbe kann man in bezug auf die Ergebnisse für das Russische behaupten, wo ganz andere Meßwerte festgestellt worden waren: Im großen und ganzen beobachtete man das Vorhandensein niedrigerer Energiemeßwerte; es gab keinen Kontrast zwischen dem Maximumenergiewert des Vokals und dem Minimumenergiewert des nachfolgenden Konsonanten; für die Übergangsphase ist eine geringere Geschwindigkeit charakteristisch. Es wurden auch spezielle Untersuchungen durchgeführt, was die akustische Natur der Betonung im Deutschen und Russischen anbelangt. Die Hauptmethode war „Analyse – Synthese – Analyse“. Als Grundlage für die syntheti-
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schen Segmente dienten Meßwerte der akustischen Analyse der deutschen und russischen Vokale in der Struktur der Wörter. Die Hierarchie der Etappen und Methoden sah folgendermaßen aus: akustische Analyse – akustische Synthese – perzeptorische Analyse der synthetisierten Stimuli. Die Ergebnisse der Untersuchungen, bei denen Sprachsynthese verwendet worden war, zeugen davon, daß dieses technische Verfahren der Erzeugung der Schallsignale durch große praktische Applikabilität in zahlreichen Bereichen der Wissenschaft und Wirtschaft charakterisiert ist. Es gibt Literaturquellen, in denen alle „pro et contra“ dieser Methode beschrieben werden (Köster 1973; 1974; 1982; Köster, Kiefer 1981). In der Regel wird die Sprachsynthese definiert „...als der Vorgang der Zusammensetzung primär nicht sprachlicher Signale zu sprachlicher Kommunikation als Träger dienenden komplexen Signalen“ (Köster 1973: 15). Für die Phonetiker ist diese Methode besonders wichtig, weil sie die Möglichkeit bietet, einzelne akustische (bzw. artikulatorische) Parameter zu ändern und zu variieren und dann eine bestimmte Korrelation zwischen diesen Änderungen einerseits und der auditiven Dekodierung andererseits festzustellen. In diesem Fall ist es auch sehr vorteilhaft, daß es durch die Sprachsynthese möglich ist, die natürliche Redundanz der sprachlichen Kommunikation aufzuheben und künstliche Signale zu erzeugen, die vollkommen unabhängig von den individuellen Eigenschaften des Signals sind. Es wurden zweisprachige Minimalpaare mit verschiedenen betonten Vokalen analysiert (n = 120). Als Ergebnisse der akustischen Analyse traten ganz bestimmte Meßwerte folgender Parameter auf: F0, I, t, EFn. In jeder Folge des Experiments wurde im Prozeß der Synthese nur ein einziger Parameter modifiziert. Alle anderen Parameter blieben konstant. Die künstlichen Stimuli wurden muttersprachlichen Versuchspersonen (Probanden) vorgeführt. Alle diese Stimuli wurden durch Versuchspersonen beurteilt, die als Phonetiker im Bereich der Fremdsprache tätig waren. Ihre Aufgabe bestand darin, künstliche Stimuli abzuhören, zu identifizieren und zu transkribieren. Dabei wurden diese Stimuli paarweise vorgeführt. Jedes Paar von Segmenten bestand aus einem Segment, das einem betonten Vokal entsprach, und aus einem anderem Segment, das einem unbetonten Vokal entsprach. Die Änderung der akustischen Parameter wurde synchron kombiniert, z. B.: (a) konstant: t, I, EFn; variiert: F0; (b) konstant: F0, I, t; variiert: EFn; (c) konstant: F0, I, EFn ; variiert: t; (d) konstant: F0, t, EFn; variiert: I usw. Aus der wissenschaftlichen Debatte um das akustische Wesen der russischen Betonung sind zahlreiche experimentelle Ansätze erwachsen. Diesen ist sämtlich eine Grundthese gemeinsam. Sie besagt, daß für betonte Vokale im Russischen die Quantität die Hauptrolle spielt. Unsere Untersuchungen zeugen aber davon, daß die Dauer des Vokals im Russischen nicht als Primäres, sondern als Sekundäres betrachtet werden kann. Die Stimuli, die mit Hilfe der
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Kategorialität der Wahrnehmung
Synthese erzeugt worden waren und die sich nur durch die Modifikation der Dauer unterschieden, wurden perzeptorisch als identisch oder fast identisch eingeschätzt. Das betrifft auch solche Charakteristika wie Grundtonfrequenz und Intensität. Wenn aber die Spektralenergie sich änderte und alle anderen Parameter konstant blieben, so identifizierte man diese Stimuli als qualitativ markierte und als Träger der Merkmale betont – unbetont. Was die deutschen synthetischen Stimuli angeht, so wurden Stimuli paarweise auch Muttersprachlern vorgeführt, die die Aufgabe hatten, bei allen Kombinationsvarianten betonte (akustisch ausgeprägte, hervorgehobene) und unbetonte Segmente zu identifizieren. Es ist zu unterstreichen, daß die auditiven Daten für das Deutsche durch geringere Dispersion charakterisiert sind als die für das Russische. Das Primäre war in diesem Fall auch die Energie des Spektrums, deren Meßwerte bei den betonten Vokalen zu ihren Extremen strebten und bei den unbetonten Vokalen in den Zonen der zentralisierten Meßwerte lagen. Die Dauer war auch in diesen Versuchsreihen nicht das Entscheidende und das Wichtigste für die auditive Dekodierung der Betonung. Daraus ergibt sich, daß die Formel der Betonung in den beiden Sprachen mit dem Symbol der Spektralenergie beginnt. Weiter folgen die anderen Parameter, aber nicht in der gleichen Abstufung: – –
Formel der Betonung im Deutschen: EFn, I, t, F0; Formel der Betonung im Russischen: EFn, t, I, F0.
Auf diese Weise war es möglich, mit Hilfe der Methode „Analyse – Synthese – Analyse“ die Anteile der einzelnen Faktoren und ihrer Rolle in der Bildung des Effekts der Betonung (des Akzents) in beiden Sprachen auf der Basis des Vergleichs genauer zu bestimmen. In der nächsten Etappe unserer Untersuchung wurde ein Experiment durchgeführt, dessen Ziel darin bestand, die Änderungen des akustischen Signals zu analysieren, die anhand eines und desselben sprachlichen Materials, aber mit verschiedenem Grad der Gespanntheit produziert worden waren. Es wurde festgestellt, daß alle Signale dieser Gegenüberstellung einen Kontrast gebildet hatten. Es gab einen Kontrast zwischen den Signalen für ein und dieselbe Sprache, man beobachtete aber keinen Kontrast zwischen den Charakteristika der Signale im Russischen, die mit der Muskelspannung produziert worden waren, und den Charakteristika der entsprechenden Signale im Deutschen. Das kann nochmals als ein Beweis dafür dienen, daß die Grundlage für die deutsch-russische Divergenz im Bereich der Artikulation und Perzeption innere Prozesse des Funktionierens des menschlichen Organismus auf der psycho-somatischen Ebene sind, was ein Produkt der Entwicklung des Ethnos im allgemeinen sein könnte. Und was für die eine Sprache charakteristisch ist, ist für die andere Sprache nicht typisch. Einige Ausnahmen können durch eine spezi-
Kategorialität der Wahrnehmung
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fische Situation, einen besonderen emotionalen Zustand des Sprechers usw. provoziert werden. Im großen und ganzen werden sie extra- und paralinguistisch individuell ausgedrückt. Aus einer Reihe von Versuchen ergibt sich, daß die kontrastive Analyse der beiden Sprachen die Möglichkeit bietet, zweisprachige Systeme im Bereich der Phonetik zu modellieren. Und in dieser Hinsicht bilden die strukturierten Modelle der beiden Sprachen zwei verschiedene Pole, die durch die Hierarchie von Merkmalen gekennzeichnet sind. Es ist wichtig hervorzuheben, daß das, was für die eine Sprache markiert ist, für die andere Sprache nicht markiert bleibt. Artikulationsbasis und Perzeptionsbasis bilden eine Grundlage für das ganze System der später entwickelten sprachlichen Merkmale, die für jede Sprache ein isoliertes System bilden. Wenn die Rede von einem neuen Begriff ist, und zwar von intersprachlichen Oppositionen, so kann man behaupten, daß die Glieder dieser Oppositionen im Deutschen und Russischen privative Paare bilden, d. h. solche Gegenüberstellungen, in denen ein Oppositionsglied durch das Vorhandensein nur eines Merkmals gekennzeichnet wird. Für beide Sprachen (S1 und S2) schlagen wir ein deskriptives Modell vor, dessen Grundlage die folgende Implikationsregel bildet: Wenn es in S1 das Merkmal +x gibt, so entspricht ihm in S2 das Merkmal –x. Dabei kann diese Opposition mehrdimensional sein. Dieses Modell der polaren privativen Gegenüberstellung sthenisch-asthenisch ermöglicht, alle Prozesse der phonetischen Interferenz für das Deutsche und Russische zu systematisieren und klassifizieren. Wenn man z. B. das Deutsche als Muttersprache durch S1 und das Russische als Fremdsprache durch S2 bezeichnet, so kann man alle Prozesse der Übertragung der artikulatorischen und perzeptorischen Gewohnheiten von S1 auf S2 als eine Reihe von Transferakten darstellen. In diesem Fall werden positive und negative Transferakte unterschieden: positive beim Prozeß des Zusammenfallens dieser Gewohnheiten und negative, wenn diese Gewohnheiten nicht zusammenfallen. Für das Deutsche und Russische ist das System der negativen Transferakte charakteristisch, die durch den Einfluß der Rückkopplungsprozesse noch multipliziert werden. In dieser Situation ist es äußerst wichtig, theoretische und praktische Grundlagen auszuarbeiten, die diese Prozesse in Richtung „von negativen Transferakten zu positiven Transferakten“ beschleunigen könnten. Von diesem Standpunkt aus ist es wünschenswert, eine Sprecheinheit wie die Silbe als Hauptbaustein des ganzen „Gebäudes“ der S1S2-Übertragungsmerkmale zu verwenden. Nur anhand der Transferakte im Bereich der Artikulation und Koartikulation der verschiedenen Silbenstrukturen und Silbenketten im Rahmen der Äußerung ist es möglich, z. B. vox-ergotro-
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Kategorialität der Wahrnehmung
pica-Sprechmuster des Deutschen für die russische Artikulationsbasis im Prozeß des Sprach- und Sprechunterrichts zu entwickeln. Es wäre zweckmäßig, in Hinsicht auf das Problem der kontrastiven Phonetik Worte von O. Bremer anzuführen: „... Wie für den einzelnen Menschen, so ist auch für Völker die ganze Grundlage der Aussprache von ihrer psychologischen Beschaffenheit abhängig“ (Bremer 1893: 11). I.2.2. Es ist kein Zufall, daß es gegenwärtig im Bereich der Phonetik eine Reihe von experimentalphonetischen Untersuchungen gibt, die den Problemen der kontrastiven Phonetik verschiedener Sprachen gewidmet sind. Dieses Interesse an Problemen der kontrastiven Phonetik resultiert unserer Meinung nach daraus, daß die Prozesse der sog. sprachlichen Interferenz noch weiterer Klärung bedürfen. Diese Prozesse gehören zwei verschiedenen Ebenen an, nämlich zum einen der segmentalen und zum anderen der suprasegmentalen Ebene. Die Probleme der kontrastiven Phonetik des Deutschen und Russischen bilden in diesem Sinne keine Ausnahme. Gegenwärtig werden folgende Hauptaspekte der kontrastiven Phonetik des Deutschen und Russischen unterschieden: 1. In bezug auf die segmentale Ebene: – die Spezifik der Phonation und Lautartikulation und Besonderheiten der Artikulationsbasis im Deutschen und Russischen, was die Spezifik der Kodierung lautlicher Zeichen beim Sprechen bedeutet; – die Spezifik der Wahrnehmung (Auffassung und Perzeption) lautlicher Einheiten bzw. die Spezifik der Dekodierung lautlicher Zeichen im Kommunikationsakt; – die Spezifik der akustischen Struktur lautlicher Zeichen. 2. In bezug auf die suprasegmentale Ebene: – die Spezifik der Intonationsmodelle hinsichtlich ihrer Genetik und Funktion; – die Spezifik des intonatorischen Inventars bzw. des Inventars der Invarianten und Varianten im Bereich der Intonation; – die Spezifik der Wahrnehmung der Intonationsmuster; – die akustische Darstellung der Intonationsmodelle; – die Spezifik der semantischen Gliederung der Intonationseinheiten; – die Spezifik des Rhythmus, des Inventars der rhythmischen Strukturen und der rhythmischen Gliederung des Redestroms. Das Problem der sprachlichen Spezifik der Silbe gehört sowohl der segmentalen als auch der suprasegmentalen Ebene an, so daß man es im Sinne von segmentaler und suprasegmentaler Symbiose interpretieren kann. Experimentelle Untersuchungen zur kontrastiven Phonetik des Deutschen und Russischen haben hinsichtlich der segmentalen Ebene insofern noch zwei
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weitere Aspekte, als es Spracheinheiten und Sprecheinheiten zu unterscheiden gilt. Mit ersteren befaßt sich die kontrastive Phonologie, mit letzteren die kontrastive Phonetik. Es ist aber üblich, bei einer experimentalphonetischen Untersuchung nicht von den Sprecheinheiten, sondern von den Spracheinheiten (Phonemen) auszugehen. Man vergleicht zunächst die Phoneminventare der Sprachen, die untersucht werden. Jede kontrastive phonetische Untersuchung im segmentalen Bereich schließt den Vergleich des Phoneminventars mit ein. Vergleicht man die Phoneminventare des Deutschen und Russischen, so ist sofort ersichtlich, daß es große Unterschiede gibt, sowohl im Vokalismus als auch im Konsonantismus. Und im Hinblick auf den Vokalismus gibt es Besonderheiten, die nicht nur die Anzahl der Vokalphoneme, sondern auch die Qualität und Quantität dieser Phoneme betreffen. Für das Russische werden 5(6) Vokalphoneme angesetzt, je nach Konzeption der konkreten phonologischen Schule. Den Moskauer Phonologen zufolge besteht das russische Vokalsystem aus 5 Phonemen, wobei [i] und [ɨ] als Varianten ein und desselben Phonems betrachtet werden. Die Phonologen aus St. Petersburg sind dagegen der Meinung, daß es sich bei [i] und [ɨ] um selbständige Phoneme handelt, und setzen dementsprechend 6 Vokalphoneme an. Für die Moskauer Schule ist es vor allem das morphologische Prinzip, das die Zugehörigkeit eines Lautes zum Phonembestand determiniert; die Vertreter der Petersburger Schule gehen von akustischen und perzeptorischen Merkmalen der Phoneme aus6. Das Vokalphonem-Inventar des Deutschen umaßt 19 Einheiten: 15 Monophthonge, 3 Diphthonge und den Schwa-Laut [ə]. Somit ergibt sich ein großer Unterschied zwischen dem Vokalsystem des Russischen und des Deutschen. Aus der Informationstheorie wissen wir, daß der Informationswert von der Häufigkeit abhängig ist. Die geringere Zahl der Vokalphoneme des Russischen im Vergleich zum Konsonantismus bedeutet eine Vergrößerung des Informationswertes des Vokalismus im Redestrom (in der Syntagmatik). Im Deutschen dagegen haben Vokalismus und Konsonantismus einen ungefähr gleichen Informationswert. (Deutsch: 19 Vokale und 21 Konsonanten; Russisch: 6 Vokale und 36 Konsonanten.)
6
Zu den russischen phonologischen Richtungen vgl. vor allem A. A. Reformatskij (1970) sowie M. Halle (1954).
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Tabelle 1 Verhältniswerte von Vokalen und Konsonanten im Deutschen und Russischen (Informationswert in %) Vokale
Konsonanten
Deutsch
36
64
Russisch
42
58
Ein Vergleich des Verhältnisses von Vokalen und Konsonanten im Redefluß ergibt für das Deutsche ein vom Russischen deutlich verschiedenes Bild (siehe Tab. 1). So bietet die phonologische Analyse die Möglichkeit festzustellen, daß Deutsch und Russisch zu verschiedenen phonematischen Polen gehören. Von diesem Standpunkt aus könnte man behaupten, daß das Russische zu den sog. vokalischen Sprachen zählt, das Deutsche dagegen zu den konsonantischen Sprachen. Tabelle 2 Die Häufigkeitswerte der relativ zusammenfallenden Vokale (Monophthonge) im Deutschen und Russischen (in %) Deutsch
Russisch
ə
20,68
–
a
17,76
a (а)
18,5
ı
7,54
i (и)
12,2
ɛ u
8,75 3,89
e (э) u (y)
4,7 3,9
ı:
6,10
–
a:
5,11
–
e:
5,11
–
ɔ
16,08
o (o)
o:
2,43
–
u:
2,20
–
y
1,70
–
y:
1,20
–
3,8
Kategorialität der Wahrnehmung
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ɛ:
0,73
–
ø:
0,48
–
œ
0,24
–
–
–
ɨ (ы)
1,9
Aufschlußreich sind auch die Ergebnisse eines Vergleichs der Häufigkeitswerte der Vokale in den beiden Sprachen. Die Daten (siehe Tab. 2) zeigen, daß der russische Vokalismus nur mit den deutschen kurzen Vokalen fast zusammenfällt. Alle deutschen langen Vokale und die gerundeten Vokale der vorderen Reihe bilden einen abgesonderten phonologischen Raum, der dem russischen Vokalismus überhaupt nicht eigen ist. Dabei bilden die deutschen ungespannten offenen (kurzen) Vokale mit 55,96% den größten Teil aller Vokale im Redefluß, die geschlossenen langen Vokale erreichen nur 23,36% und der Murmelvokal (der Mittelzungenvokal) erreicht 20,68%. Vom Standpunkt der Informationstheorie aus ergibt sich somit, daß geschlossene gespannte lange Vokale im Deutschen einen größeren Informationswert für den Redefluß haben als offene ungespannte kurze Vokale. Unserer Meinung nach hat das Wechseln von ungespannten und gespannten Vokalen im Redestrom für das Deutsche einen kompensatorischen Charakter. Beim Sprechen gibt es im Deutschen eine ständige artikulatorische Kompensation zwischen Gespanntheit und Ungespanntheit der Lautproduktion. Für das Russische ist diese regelmäßige Verteilung von Gespanntheit und Ungespanntheit überhaupt nicht typisch. Im Sinne des Gesagten könnte man die deutsche Artikulationsweise als eine gestrichelte und punktierte Linie darstellen, in der mit Punkten ungespannte und mit Strichen gespannte Segmente bezeichnet werden, und die russische Sprechweise könnte man als durchgehende Linie oder genauer als wellenförmige Linie ohne ausgeprägte Pulsation von gespannten und ungespannten Segmenten darstellen. Aber auch im Konsonantismus gibt es große Unterschiede zwischen dem Russischen und Deutschen, vor allem im Hinblick auf die Opposition nichtpalatalisiert – palatalisiert („hart – weich“), die das Deutsche nicht kennt (vgl. Tab. 3). Es wurden verschiedene Experimente durchgeführt, deren Ziel es war, die Artikulationsbasis des Deutschen und Russischen zu vergleichen. Anhand der Resultate von Untersuchungen mittels Röntgenanalyse, Elektromyographie, Elektropalatographie, Pneumatographie und anderer physiologischer Methoden gelang es, folgende Hauptmerkmale der Artikulationsbasis in den beiden Sprachen festzustellen (vgl. dazu auch Tab. 4):
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Tabelle 3 Konsonantenphoneme im Deutschen und Russischen Deutsch
Russisch „harte“ K.
„weiche“ K.
p
p (п)
pj (п')
b
b (б)
bj (б')
t
t (т)
tj (т')
d
d (д)
dj (д')
k
k (к)
kj (к')
g
g (г)
gj (г')
m
m (м)
mj (м')
n
n (н)
nj (н')
r
r (р)
rj (р')
l
l (л)
lj (л')
f
f (ф)
fj (ф')
v
v (в)
vj (в')
s
s (с)
sj (с')
z
z (з)
zj (з')
ʃ
ʃ (ш)
ʃj (ш')
ʒ
ʒ (ж)
ʒj (ж')
j
j (й)
– j
x
x (х)
x (х')
ts
ts (ц)
–
tʃ
–
tʃ (ч)
–
–
ʃtʃ (ш':)
pf
–
–
ç
–
–
Kategorialität der Wahrnehmung
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ŋ
–
–
h
–
–
ʁ
–
–
R
–
–
Tabelle 4 Die wichtigsten Merkmale der Artikulationsbasis im Deutschen und Russischen Nr.
Merkmale
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Gespanntheit der artikulierenden Organe Stabilität der artikulierenden Organe Vergrößerte Energiebasis Ständige leichte Labialisierung Zungenkontaktstellung Vorhandensein des festen Einsatzes Vorhandensein des festen Anschlusses Größere Beweglichkeit des Unterkiefers Größerer Kieferwinkel bei der Artikulation der offenen Vokale Luftüberschuß im Prozeß der Artikulation Schwache Nasalierung der Vokale (eigenartige Velumartikulation) Überwiegen von Brustkastenund Kehlkopfresonanz
9. 10. 11. 12.
Deutsch Russisch + + + + + + + +
– – – – – – – –
+
–
+
–
+
–
+
–
Da das Sprechen nicht in einzelnen Lauten, sondern in Lautkomplexen erfolgt, sind Untersuchungen hinsichtlich der Spezifik der Koartikulation der Vokale und Konsonanten im Redefluß von großer Bedeutung. Unserer Meinung nach stellt die Silbe mit ihren Bestandteilen eine minimale artikulatorische, akustische und perzeptorische Struktureinheit gesprochener Sprache dar, die durch die Artikulationsbasis und die phonologischen Regeln einer konkreten Sprache determiniert wird. Die Spezifik der Silben als Sprach- und Sprecheinheiten beeinflußt die Spezifik der gesprochenen Sprache im allgemeinen, den Rhythmus und die integrierte phonetische Gestalt des Sprechens in dieser oder jener Sprache. Der Begriff der Silbe, die Eigenarten der Silbenstruktur, die Mechanismen der Silbengliederung in verschiedenen Sprachen stehen gegenwärtig im Mittel-
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Kategorialität der Wahrnehmung
punkt vieler Untersuchungen und Experimente. Da die Silbe die kleinste relativ autonome Sprecheinheit darstellt, erscheint die Aufgabe, die Besonderheiten der Silbe in einer Fremdsprache und die Silbeninterferenz in der deutschen und russischen Sprache zu untersuchen, als äußerst aktuell. Die Anfänge der Silbenforschung fallen in die Zeit des Altertums. Sie waren eng mit dem Studium der Metrik und der Einführung der Metrikgesetze verbunden. Die Silbe als Einheit der gesprochenen Sprache, die mit solchen Merkmalen des Redestroms wie Betonung, Reduktion und Melodik verbunden ist, war Gegenstand einer Reihe von Forschungsarbeiten. Die Silbe stand auch im Mittelpunkt von Untersuchungen, deren Aufgabe darin bestand, die Mechanismen der Silbenbildung festzustellen. Und in engem Zusammenhang mit Fragen der Silbenbildung wurden auch die Probleme der Silbengrenzen (Silbentrennung) erforscht. Diese Fragen haben nichts von ihrer Aktualität eingebüßt und bleiben bis in die heutige Zeit hinein Gegenstand einer Reihe von Arbeiten. Was versteht man unter der Silbe, und welche Besonderheiten weist die Silbe im Deutschen vom Standpunkt der Prosodik aus auf? Die vielen Silbendefinitionen in der Literatur zeugen von einem sehr unterschiedlichen Herangehen an die Erforschung dieser Redeeinheit. Wir betrachten die Silbe als eine prosodisch organisierte Struktur, die aus einem oder mehreren Segmenten besteht. Eine derartige Auffassung ermöglicht die Betrachtung der minimalen prosodischen Strukturen im Redestrom unter Berücksichtigung der Veränderung des ganzen Komplexes der prosodischen Charakteristika der Rede: Tonhöhen, Tonstärke und Dauer. Die Silbe ist die materielle Basis für jegliches Aussprechen. Gerade die Silbe ermöglicht die Prozesse der Integrierung und Differenzierung gesprochener Sprache. Für verschiedene Sprachsysteme ist jeweils ein gewisser Satz von Silbenstrukturen kennzeichnend, die bestimmte Verknüpfungen von Konsonanten und Vokalen einschließen. Für das Russische z. B. sind folgende Silbentypen charakteristisch: offene Silbentypen KV, KKV, KKKV; geschlossene Silbentypen VK, KVK, VKK, VKKK. Für das Deutsche, das durch eine hohe Konsonantensättigung gekennzeichnet ist, sind z. B. die offenen Silbentypen KV, KKV, KKKV und die geschlossenen Silbentypen VK, KVK, VKK, VKKK, VKKKK, KVKK, KVKKK, KVKKKK, KVKKKKK, KVKK, KKVK, KKVKK, KKKVKKK charakteristisch. Mit anderen Worten: die artikulatorisch-akustischen Besonderheiten der zu erforschenden Sprache bestimmen das Funktionieren der für diese Sprache charakteristischen Silbentypen in der Rede (bei Dominanz eines Typs). Auf Grund einer Reihe von Arbeiten wurde festgestellt, daß die Vokaldauer in der Silbe von diversen Faktoren abhängt: a) vom phonetischen Charakter der vorangehenden und nachfolgenden Konsonanten; b) von der Anzahl
Kategorialität der Wahrnehmung
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der nachfolgenden Konsonanten; c) von der Offenheit oder Geschlossenheit der Silbe; d) von der Vokalposition im phonetischen Wort; e) von der Anzahl der Silben im phonetischen Wort; f) von der Vokalposition hinsichtlich der Betonung im phonetischen Wort; g) von der Vokalposition hinsichtlich des Satzakzents. Die Vokaldauer in der Silbe ist direkt vom Charakter des nachfolgenden Konsonanten abhängig. Die Vokale sind länger vor Engereibelauten und kürzer vor Affrikaten, nasalen und plosiven Konsonanten; vor nichtgespannten Konsonanten sind Vokale länger als vor gespannten, vor stimmhaften Konsonanten länger als vor stimmlosen. In unseren instrumentalphonetischen Untersuchungen sind wir u. a. dem Problem der Abhängigkeit der Vokaldauer von der Lautstruktur der Silbe nachgegangen. Die Versuchsergebnisse haben gezeigt, daß die Vokaldauer in den Strukturen KV jene in den Strukturen KVK übertrifft. Die Dauer eines Vokals hängt auch von seiner Position im phonetischen Wort ab, ob er sich am Anfang, in der Mitte oder am Ende des phonetischen Wortes befindet. Die quantitativ-qualitative Charakteristik von Konsonanten in der Silbe ist dadurch gekennzeichnet, daß Konsonanten sowohl vom vorangehenden als auch vom nachfolgenden Vokal beeinflußt werden. Der Grad der Beeinflussung kann durchaus verschieden sein. Im Deutschen sind unseren Untersuchungen zufolge für die grundlegenden physikalischen Merkmale der Konsonanten in offenen wie auch geschlossenen Silben folgende Kennzeichen typisch: 1. Die Dauer der sonoren Laute in der Endposition des Typs KVK übertrifft die Dauer der entsprechenden Laute im Anlaut des gleichen Typs. 2. Die Dauer der Frikative in der Endposition übertrifft die der entsprechenden Laute in der Anfangsposition. 3. Die Dauer der stimmlosen Verschlußlaute im Silbenauslaut (KVK) ist geringer als die Dauer der entsprechenden Konsonanten im Silbenanlaut. 4. Die Intensität der Sonoren im Silbenauslaut (KVK) ist höher als die Intensität der entsprechenden Laute im Silbenanlaut (KV). 5. Die Intensität der Frikative in der Endposition (KVK) ist geringer als die Intensität der Frikative in der Anfangsposition (KV). 6. Die Intensität der Verschlußlaute im Silbenauslaut (KVK) ist geringer als die Intensität der entsprechenden Laute am Silbenanfang (KV). Eine unterschiedliche Artikulationsbasis und linguistische Besonderheiten der zu erforschenden Sprache bedingen einen spezifischen „Zuschnitt“ der Silbe, der die sprachliche Zugehörigkeit eines Sprechers indizieren kann. Auf Grund unserer Experimente konnten wir feststellen, daß für das Deutsche das Funktionieren des geschlossenen Silbentyps KVK kennzeichnend zu sein scheint. Im Russischen dagegen überwiegt der offene Silbentyp. Die kleinste Sprech-
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Kategorialität der Wahrnehmung
einheit des Russischen ist eine offene Silbe, in deren Rahmen der maximale artikulatorisch-akustische Einfluß benachbarter Laute zustande kommt. Die Silbengrenze im Wort verläuft am Vokalende. Unseren Ergebnissen zufolge umfassen die offenen Silben im Russischen (V, KV, KKV) zusammen 78%, während die geschlossenen Silbentypen VK und VKK 22% ausmachen. In den offenen Silbentypen fehlt der charakteristische Übergang vom Vokal zum nachfolgenden Konsonanten (KV/KKV). In den geschlossenen Silbentypen hat dieser Übergang einen mehr oder weniger ausgeprägten Charakter. Einen besonderen Platz nehmen dabei sonore Laute und das [j] ein, die sich immer dem Charakter des Übergangs nach enger an den vorangehenden Vokal anschließen. Im Deutschen hat die qualitative Verbindung zwischen dem Vokal und dem nachfolgenden sonoren Konsonanten, insbesondere nach kurzen Vokalen, einen stark ausgeprägten und regulären Charakter, was von einem hohen Grad der Angleichung des Vokals und des nachfolgenden Konsonanten zeugt. Während für das Russische eine offene Silbe (/K...K/KV) typisch ist, weist das Deutsche als hauptsächlichsten Silbentyp eine geschlossene Silbe (K...K/KVK/K...K) auf. Unter diesem Aspekt betrachtet, gehört das Russische zu den Sprachen mit einem sog. leichten Silbenbau, das Deutsche dagegen ist ein Beispiel für sog. schweren Silbenbau. Mit Hilfe der dynamischen Röntgenographie wurde die Spezifik der Koartikulation im Rahmen der Silbe sowohl für das Deutsche als auch für das Russische untersucht. Anhand der Statistik ist es gelungen, folgendes festzustellen: – im Deutschen sind die Artikulationsphasen der Zungenbewegungen für die Konsonanten von der Qualität und Quantität des benachbarten Vokals abhängig; – im Deutschen ist der Einfluß des Vokals auf den Konsonanten sehr stark: die Artikulationsphasen des Konsonanten werden durch den Vokal von Anfang an bedingt und der Grad der Akkomodation ist sehr groß (artikulatorische Eigenschaften des Vokals befinden sich „im Inneren“ des Konsonanten); – im Russischen ist die Qualität des Vokals von dem benachbarten Konsonanten abhängig; – im Deutschen hängt der Kieferwinkel zu Beginn der Artikulation des Konsonanten von der Länge des benachbarten Vokals ab: vor langen geschlossenen Vokalen ist die erste Phase der Bewegung des Kiefers größer als vor kurzen offenen Vokalen; – im Russischen war eine vergleichbare Erscheinung nicht festzustellen; – im Russischen hängt die Akkomodation von der Artikulationsstelle des Konsonanten ab. So unterscheidet man z. B. drei Gruppen im Hinblick auf
Kategorialität der Wahrnehmung
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ihre Koartikulation: (I) tje, tju, ku, ko, ta; (II) ta, ka, tu; (III) tju, kju, tjo, kjo. In der kontrastiven Phonetik darf der perzeptorische Bereich nicht vernachlässigt werden. Wir haben insbesondere Untersuchungen zur Wahrnehmung der Silben im Deutschen und Russischen durchgeführt. Für den Fremdsprachenunterricht ist bekanntlich das Problem der sprachlichen Dekodierung von großer Bedeutung. Auf welche Weise eine Sprache von Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern dekodiert wird, was im Prozeß der Wahrnehmung die ausschlaggebende Rolle spielt, welche Sprecheinheiten am besten perzipiert werden, das sind einige der wichtigsten zu klärenden Fragen. Für die kontrastive Phonetik des Deutschen und Russischen ist auch das Problem der Assimilation und Dissimilation von Bedeutung, weil es für die korrekte Aussprache im Verlauf zusammenhängender Rede eine große Rolle spielt. Es gibt im Deutschen und Russischen unterschiedliche Arten der Assimilation und Lautmodifikation im Redestrom, bei deren Untersuchung wir vor allem Oszillographen und Glottographen eingesetzt haben, die parallel und synchron funktionierten. Unter anderem konnten wir feststellen, daß im Deutschen stimmhafte Konsonanten in der Kombination „stimmloser Konsonant + stimmhafter Konsonant“ völlig stimmlos gesprochen werden, wobei jene Fälle eine Ausnahme bilden, in denen als zweites Element der Konsonantenfolge der stimmhafte Frikativ [v] vorhanden ist, der seine Stimmhaftigkeit nur teilweise verliert. Das Russische bietet in dieser Hinsicht ein anderes Bild, es kennt sowohl die Assimilation nach der Stimmlosigkeit als auch nach der Stimmhaftigkeit. Eine besondere Untersuchung wurde der Hypothese vom spezifischen Charakter der Strukturierung der Silbenkette im Deutschen und Russischen gewidmet. Im Mittelpunkt standen dabei die Eigenschaften der akustischen Interferenz im Deutschen und Russischen. Das Material für diese Experimente schloß Ad-hoc-Vergleichspaare ein: Wörter aus dem Deutschen und Russischen, die einen mehr oder weniger identischen Lautbestand und eine vergleichbare Akzentstruktur haben. Das Versuchsmaterial wurde von Muttersprachlern auf Band aufgesprochen. Die deutschen Sprecher lasen sowohl deutsche Wörter und Sätze als auch entsprechende russische Wörter und Sätze vor, wobei alles mit terminaler Intonation realisiert wurde. Die russischen Sprecher lasen nur das russische Material vor, das bei der Untersuchung als Vergleichsmuster herangezogen werden sollte. Das gesamte Material wurde akustisch und perzeptorisch analysiert. Die auditive Analyse wurde mithilfe eines elektronischen Segmentators durchgeführt. Hauptaufgabe der akustischen Analysen war es: – die temporale Struktur der Wörter in der Muttersprache und in der interferierten Variante zu identifizieren;
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Kategorialität der Wahrnehmung
– die Änderung der Intensität zu vergleichen; – die Änderung der Segmentationsfunktion Sj zu bestimmen. Alle akustischen Werte wurden normiert und der Vergleich wurde anhand von relativen Werten durchgeführt. Auf diese Weise konnten individuelle Ausspracheunterschiede in Sprechtempo und Lautstärke eliminiert werden. Es ergaben sich folgende Resultate: – die temporale Struktur der Vergleichspaare ist im Deutsch und Russischen verschieden: im Deutschen sind die Temporalwerte für alle Vokalsegmente gleich oder fast gleich; im Russischen bildet der betonte Vokal ein Extrem und die unbetonten Vokale unterscheiden sich ihrer Dauer nach sehr stark vom betonten Vokal; – in der interferierten Variante bei Deutschen, die russisch sprechen, bleiben die Werte fast unveränderlich und das temporale Verhältnis bleibt konstant; – die Änderung der Intensitätskurve ist unterschiedlich ausgeprägt. Im Deutschen gibt es einen großen Unterschied zwischen maximalen und minimalen Intensitätswerten im Rahmen des betonten Vokals. Das Russische kennt einen derartigen Unterschied nicht: die Intensitätskurve ist nicht so steil, und sie verändert sich stufenweise, nicht so schnell und diskret wie im Deutschen; – die Geschwindigkeit der Intensitätsveränderung ist in beiden Sprachen unterschiedlich. Für das Deutsche wurden verschiedene Intensitätsmodelle bestimmt, die von der Qualität und Quantität der Vokale einerseits sowie der Qualität der konsonantischen Umgebung andererseits abhängig sind. Untersucht man die Endphase der Intensitätskurve in deutschen Wörtern (genauer gesagt: „in den betonten Silben dieser Wörter“ und in den interferierten Varianten, dann kann man alle Merkmale des festen Anschlusses beobachten, was in den russischen Varianten ausgeschlossen ist. Wir beschränken uns hier auf die temporale Struktur und das Energiebild zweisilbiger Wörter mit einer rhythmischen Struktur K'VKV. Nach dem betonten Vokal waren in diesen Wörtern Sonanten enthalten, da zwischen deutschen und russischen Sonanten ein Kontrast nach dem Grad der Spannung festzustellen ist. Es wird angenommen, daß sich gerade in diesen Wörtern die artikulatorischen Gewohnheiten der Muttersprache (in diesem Fall des Deutschen) am besten erkennen lassen, die durch unterschiedliche Artikulationsbasis und linguistische Faktoren bedingt sind. Wie bereits kurz erwähnt, wurde bei der Bearbeitung der Daten das Hauptaugenmerk auf die Intensität und die Dauer gerichtet. Die zunächst gemessenen absoluten Daten wurden in relative Werte umgesetzt, um individuelle Unterschiede im Sprechtempo auszugleichen. Die in Tabelle 5 angeführten
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Beispiele zeigen die temporale Struktur der Wörter in der deutschen und interferierten Variante (D, I) und im Russischen (R): Tabelle 5 Relative normierte Werte der Dauer der Vokale für muttersprachliche und interferierte Varianten der gesprochenen Sprache Deutsch-Russisch Wörter und Werte der Dauer D7 R8
0,7 0,6
D R
0,4 0,3
D R
0,8 0,6
- vane 0,7 0,8 - tone 0,9 1,0 - vile 0,6 0,6
0,9 1,3
1,6 1,2
DI RI
1,1 0,6
0,9 1,1
1,8 1,6
DI RI
0,5 0,0
0,5 1,4
2,0 1,4
DI RI
1,0 0,6
- vane 0,8 0,8 - tone 1,2 1,0 - vile 0,5 1,2
0,8 1,3
1,4 1,2
0,7 1,7
1,6 1,1
0,7 1,2
1,6 0,9
Wie man sieht, ist die Dauer des betonten Vokals und die des nachfolgenden Sonanten im Deutschen gleich oder fast gleich. Was die Dauer des Endvokals betrifft, ist sie im Vergleich zum vorangehenden Sonanten durchschnittlich um das Zweifache größer. In der interferierten Variante ist die Dauer des betonten Vokals fast die gleiche wie die des entsprechenden Vokals in der Muttersprache. Die Dauer des betonten Vokals unterscheidet sich jedoch von der des Sonanten. Im Bereich der Intensität offenbaren sich folgende Tendenzen: In den deutschen Wörtern ist die Differenz zwischen maximaler und minimaler Intensität des betonten Vokals und des nachfolgenden Konsonanten groß genug. Die Veränderung der Intensität wird in einem kurzen Zeitabschnitt durchgeführt. Das Intensitätsmaximum des Konsonanten schließt sich an das Intensitätsmaximum des vorangehenden Vokals an, der kurze betonte Vokal scheint den Sonoranten an sich heranzuziehen. Das ist ein deutlich ausgedrückter heftiger Anschluß, was auch in Strukturen K'VKV die Silbentrennung nach einem Sonanten bewirkt. Im Wort „Villa“ z. B. beträgt die Geschwindigkeit der Intensitätsänderung des betonten Vokals +1.2 dB/ms, die Geschwindigkeit der Intensitätsveränderung des Sonanten beläuft sich auf –2.7 dB/ms. Die Kurve der Intensitätsänderung sieht steil aus. Im Fall der interferierten Variante ist die Kurve der Intensitätsänderung des betonten Vokals in allen Wörtern steil ge7 8
D – die muttersprachliche Variante für die Deutschen. R – die muttersprachliche Variante für die Russen.
40
Kategorialität der Wahrnehmung
nug; sie ähnelt der entsprechenden Kurve für die muttersprachliche Äußerung. Auch dabei scheint der Vokal den nachfolgenden Konsonanten an sich heranzuziehen. Die Gesamtlinie der Geschwindigkeit der Intensitätsänderung von Vokal und Konsonanten ist jedoch mehr oder weniger leicht abfallend, die Veränderung vollzieht sich in einem größeren Zeitabschnitt. In der interferierten Variante kann man bei deutschen Sprechern den für das Deutsche charakteristischen starken Lautabsatz der Vokale beobachten. Die Realisierung der russischen Konsonanten durch Deutsche ist jedoch frei von den artikulatorischen Beschränkungen der Muttersprache. Aus den Ergebnissen unserer Analysen können die nachstehenden Schlußfolgerungen gezogen werden: 1. Bei der Realisierung der Silben offenbaren sich die artikulatorischen Gewohnheiten der Muttersprache; 2. auf der Ebene des Vergleichs der relativen Dauer ist die Dauer des betonten Vokals in der Muttersprache und in der interferierten Variante gleich; 3. der Anschluß des Konsonanten an den vorangehenden Vokal vollzieht sich in beiden Varianten unmittelbar nach der maximalen Intensität des Vokals; 4. die Geschwindigkeit des Anwachsens der Intensität des betonten Vokals in der deutschen und russischen interferierten Variante ist gleich; 5. die prosodische Struktur der Silbe ist in beiden Varianten identisch. Es wurden auch auditive Tests durchgeführt, um festzustellen, auf welche Weise das experimentelle Material von deutschen und russischen Hörern interpretiert wird. Testpersonen waren russische Lektoren des Lehrstuhls für deutsche Phonetik der Moskauer Staatlichen Linguistischen Universität und Gaststudenten aus Deutschland. Die Versuchspersonen hatten ein Tonband abzuhören, das von deutschen Sprechern aufgesprochen worden war. Das zu analysierende Korpus enthielt isolierte und aus Sätzen ausgegliederte russische Wörter sowie isolierte und aus Sätzen ausgegliederte deutsche Wörter. Die Versuchspersonen erhielten folgende Anweisungen: (1) jedes Wort mehrmals abzuhören; (2a) für die Phonetiker: das Wort zu transkribieren; (2b) für die Muttersprachler: die Dauer des betonten Vokals als lang oder kurz zu bezeichnen; (3) zu bestimmen, ob sich der betreffende Konsonant energisch an den vorangehenden betonten Vokal anschließt oder nicht. Wir hatten folgende Hypothese aufgestellt: Bei der Auswertung des experimentellen Materials wird bei den russischen Probanden eine hundertprozentige Korrelation zwischen der phonologischen Dauer des betonten Vokals und dem Charakter des Anschlusses des folgenden Konsonanten (des Lautabsatzes in bezug auf den vorangehenden Vokal) vorkommen, und zwar so, daß bei einem langen Vokal ein loser Anschluß erkannt wird, bei kurzem Vokal dagegen ein fester Anschluß. Bei den deutschen Probanden wird eine direkte
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Wechselbeziehung zwischen phonologischer Dauer und Typ des Anschlusses ausbleiben. Aufgrund der Abhöranalyse läßt sich folgendes konstatieren: Die russischen Probanden interpretieren das vorgelegte Material in gleicher Weise, wobei die Resultate mit der orthoepischen Norm des Deutschen zusammenfallen. Prozentual ist das Verhältnis der kurzen Vokale und des festen Anschlusses gleich, ebenso wie das Verhältnis der langen Vokale und des losen Anschlusses. In der interferierten Variante ist ebenfalls eine hundertprozentige Wechselbeziehung zwischen Vokaldauer und Anschlußtyp festzustellen. Das erklärt sich dadurch, daß die Verarbeitung der Information nach dem Sprachsystem vor sich geht, d. h. die Wahrnehmung erfolgt auf der Grundlage des Russischen. Die russischen Probanden fassen das Gehörte durch das Prisma des Eigenbewußtseins auf, denn sogar ein geschärftes Ohr hört nicht das, was vorhanden ist, sondern das, was es gewohnt ist, zu hören, entsprechend den eigenen sprachlichen Gewohnheiten. Was die Ergebnisse der deutschen Probanden betrifft, so fehlt hier die direkt proportionale Abhängigkeit nach der Formel: Langvokal = loser Anschluß, Kurzvokal = fester Anschluß. Beim Vorhandensein der phonologischen Dauer des betonten Vokals wächst die Anzahl der Interpretationen nach dem Typ des festen Anschlusses bedeutend an, was bei der Analyse des gleichen Materials durch die russischen Probanden fehlte. Ein ähnliches Bild, nur mit einem geringeren prozentualen Verhältnis, ergibt sich hinsichtlich der interferierten Variante. Dies bedeutet, daß bei der Wahrnehmung der Wörter von den Muttersprachlern die phonetisch langen Vokale innerhalb der Silben im Redestrom hauptsächlich als Vokale mit festem Anschluß des folgenden Konsonanten wahrgenommen werden. Damit wird unsere Hypothese bestätigt: Für das Deutsche ist nicht die Dauer des betonten Vokals ausschlaggebend, sondern seine Qualität. Der dominierende Typ ist der feste Anschluß des Konsonanten an den vorangehenden Vokal. Es wurde eine weitere Abhöranalyse durchgeführt, an der russische Probanden teilnahmen. Sie hatten 18 Paare von Segmentstimuli zu bewerten, die mittels eines elektronischen Segmentators aus den Wörtern ausgegliedert worden waren. Jeder Stimulus enthielt die Verbindung eines Vokals mit einem Konsonanten. Die Probanden sollten jedes Paar der Stimuli mehrfach abhören und feststellen, ob die Stimuli gleich oder verschieden waren. Bei festgestellter Verschiedenheit sollte beurteilt werden, wodurch der Unterschied bedingt ist. Die Stimuli wurden in folgender Reihenfolge abgehört (dargestellt am Beispiel vom Segment [-av-]) (Tab. 6):
Kategorialität der Wahrnehmung
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Tabelle 6 Die Stimuli des Experiments (1)
(2)
(3)
russische Variante
- deutsche Variante
[-av-]
[-av-]
deutsche Variante
- interferierte Variante
[-av-]
[-av-]
russische Variante
- interferierte Variante
[-av-]
[-av-]
Weil hier der sprachliche Kontext fehlte, bereitete dieses Experiment den Probanden mehr Schwierigkeiten, als es bei den anderen Hörtests der Fall war. Erschwerend kam hinzu, daß in den Paaren der Kontrast nach der Übergangsphase verwischt war. Die Testergebnisse zeigten, daß ein kleinerer Kontrast der Segmentstimuli einen größeren Grad der Ähnlichkeit ergibt. Bei ausreichend großem Kontrast werden verschiedene Stimuli markiert. Betrachtet man aber die Gesamtcharakteristik der Segmentstimuli in der deutschen und der interferierten Variante, so wird ersichtlich, daß beide Varianten in der gleichen Weise interpretiert werden. Es wird besonders die Spannung der Konsonanten unterstrichen. Von Interesse ist auch die Tatsache, daß die Ergebnisse keinerlei Hinweis darauf enthalten, daß sich der Konsonant nach dem Typ des losen Anschlusses an den Vokal anschließt, was bei der Analyse der ganzen Wörter (z. B. Lava, Prosa, Probe) durch die russischen Hörer festgestellt wurde. Um die Hypothese hinsichtlich des Auftretens der Interferenz nach dem Charakter des Anschlusses des Konsonanten an den Vokal in der Muttersprache und in der interferierten Variante objektiv zu überprüfen, wurde die Segmentierungsfunktion der Rede (Sj) angewandt. Dabei wurde angenommen, daß in der deutschen Variante die Silbengrenze in den isolierten Wörtern (K'VKV) am Ende des Sonanten verlaufen wird: K'VK#V, in der russischen Variante dagegen nach dem betonten Vokal: K'V#KV. In der interferierten Variante wird die Teilung der deutschen Variante ähneln: K'VK#V. In Sätzen wird die Übertragung des festen Anschlusses in der interferierten Variante einen regulären Charakter haben. Um die Art des Anschlusses des Konsonanten an den vorangehenden Vokal zu charakterisieren, mußte die Segmentierungsfunktion an stationären
Kategorialität der Wahrnehmung
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Phasen der Laute und am Übergangsabschnitt gemessen werden, unter Nutzung der Werte der relativen Intensität und der Frequenz. Was die Sj-Werte betrifft, so war zu sehen, daß in isoliert gesprochenen Wörtern im Russischen die Silbengrenze nach dem betonten Vokal vorhanden war: K'V#KV; in der deutschen Variante signalisieren die akustischen Korrelate der Silbenteilung den geschlossenen Silbentyp: K'VK#V; in der interferierten Variante dominiert die Silbenteilung nach dem deutschen Muster: K'VK#V. Vergleicht man die SjWerte von Wörtern, die aus Sätzen herausgenommen wurden, ergibt sich ein deutlich ausgeprägter Mechanismus der Silbengliederung: In russischen Wörtern liegt die Silbengrenze nach dem betonten Vokal (K'V#KV), in der deutschen und der interferierten Variante verläuft sie nach dem Konsonanten (K'VK#V). Unsere Ergebnisse bestätigen die Hypothese, daß hinsichtlich der Silben einer Fremdsprache sich auf perzeptiver und akustischer Ebene die Gewohnheiten der Muttersprache offenbaren, die durch einen besonderen „Zuschnitt“ der muttersprachlichen Silbe bedingt sind. Wir konnten feststellen, daß der „Zuschnitt“ der Silbe durch folgende Merkmale bestimmt wird: 1. (a) Die betonte Silbe in der deutschen und interferierten Variante hat eine identische Struktur; (b) die relative Dauer des betonten Vokals ist in der deutschen und in der interferierten Variante gleich; (c) die Geschwindigkeit der Änderung des Intensitätsverlaufs des betonten Vokals ist in beiden Varianten gleich; (d) in der deutschen und interferierten Variante ist ein identisches energetisches Bild des Anschlusses des Konsonanten an den vorangehenden Vokal zu beobachten; (e) die Anwendung der mathematischen Segmentierungsfunktion (Sj) bestätigt das Vorhandensein des geschlossenen Silbentyps in beiden Varianten: die Silbengrenze liegt am Ende des Konsonanten. 2. (a) Die Untersuchung aufgrund des subjektiven Verfahrens bestätigt, daß für die deutsche gesprochene Sprache in bezug auf die letzte Phase der Artikulation des Vokals der feste Anschluß des Konsonanten für alle Silbentypen charakteristisch ist. (b) Die Daten der Segmentanalyse zeugen von einer festen Verbindung des Vokals mit dem Konsonanten in der deutschen und der interferierten Variante. Die Interferenz auf perzeptiver Ebene besteht auch in der Spannung der Artikulation der Konsonanten. Die Ergebnisse unserer Untersuchungen können zur praktischen Anwendung beim Unterricht in der Aussprache des Deutschen gelangen:
44 1.
Kategorialität der Wahrnehmung
Man muß davon ausgehen, daß sich das Deutsche durch einen festen Anschluß des Konsonanten an den vorangehenden kurzen bzw. langen Vokal auszeichnet. 2. Es muß mehr Zeit für die Arbeit an den Silben verwendet werden. Dabei müssen die Studenten auf die Zweigipfligkeit von deutschen Silben mit einem langen Vokal aufmerksam gemacht werden. 3. Mittels spezieller Übungen muß die Spannung der Artikulation der Konsonanten und die Artikulationsstabilität eingeübt werden. 4. Im Unterricht könnte ein spezielles Programm eingesetzt werden, um eine neue Methode der Arbeit an Silbenmodellen einzuführen, in denen die Spezifik des Deutschen, nämlich die Zweigipfligkeit der Vokale und der feste Anschluß der Konsonanten, entsprechend berücksichtigt wird. Erste Versuche in dieser Richtung haben einige positive Resultate erbracht. Zur Erweiterung und Vertiefung unserer Kenntnisse über die Spezifik der Innenstruktur gesprochener Sprache, vor allem über die Besonderheiten der Klangfarbe deutscher und russischer Vokale, konnte eine Reihe von Wörtern aus den Listen der Vergleichspaare (es handelt sich um deutsche und russische Wörter, die eine vergleichbare rhythmische Struktur und einen mehr oder weniger vergleichbaren phonematischen Bestand haben) mithilfe des SpektroFrequenz-Analysators MEDAV untersucht werden. Als Sprecher für die Aufnahme der experimentellen Wörter wurden Deutsche und Russen ausgewählt, die eine vergleichbare Klangfarbe der Stimme und eine vergleichbare Grundtonfrequenz aufwiesen. Im Verlauf der Analyse wurden verschiedene Segmente extrahiert und über die Audioausgabe perzipiert. Es wurden Spektralanalysen durchgeführt und anhand der Spektrogramme Formantstrukturen untersucht. Bei der Analyse der Vokale wurde folgenden Merkmalen besondere Aufmerksamkeit gewidmet: 1. dem Vorhandensein einer akustisch ausgeprägten Betonung; 2. der Amplitude des Klanges (Energie); 3. der gesamten Dauer des Signals; 4. der Zahl der Frequenzbereiche der Vokale und den Werten der Frequenzen. Zunächst wurden einsilbige russische und deutsche Wörter mit einem vergleichbaren phonematischen Bestand untersucht. Als Beispiel mag das Paar ach – ach dienen: a) Da diese Wörter einsilbig sind, fällt bei ihnen die Betonung zusammen. b) Die Amplitude des Klanges wächst in beiden Varianten zum betonten Vokal; im deutschen Wort erreicht sie den Wert 4, im russischen dagegen den Wert 5. In beiden Wörtern sinkt die Amplitude nach dem maximalen Wert ab.
Kategorialität der Wahrnehmung
c) d)
45
Der zeitliche Verlauf ist in der deutschen und russischen Variante gleich. Die Zahl der Resonanzfrequenzbereiche der Vokale fällt in beiden Wörtern zusammen; es gibt nur einen Frequenzbereich. e) Die Frequenzbereichswerte sind jedoch verschieden; für das deutsche Wort: Fnl = 600–1500 Hz, für das russische Wort: Fnl = 600–3900 Hz, wo die Amplitude der Frequenzen bei 1200–1500 Hz und 2500–3100 Hz zweimal größer ist als bei anderen Frequenzen. Fnl ist ein Symbol für den 1. Frequenzbereich, der mit dem 1. Formanten nicht zusammenfallen kann. Somit kann festgestellt werden, daß in einsilbigen Wörtern des Deutschen und Russischen die Zahl der Frequenzbereiche der Vokale und die Wortrealisierungszeit zusammenfallen. Unterschiede gibt es in der Amplitude des Klanges und in der oberen Grenze des Frequenzwertes; erstere sind gering, bei letzteren kommt in der russischen Variante der oberen Grenze größere Bedeutung zu. Bei einem Vergleich zweisilbiger Wörter des Deutschen und Russischen kann man – hier am Beispiel des Paares „Dämon“ – „demon“ – folgendes Bild beobachten: a) Die spektrale Lokalisierung der Betonung fällt in beiden Varianten zusammen. b) Es gibt jedoch deutliche Unterschiede in der Amplitude des Klanges. Im deutschen Wort ist sofort nach dem betonten [ɛ:] eine Abnahme festzustellen, dann wieder ein Schwung zum [o] hin, mit folgender Abnahme zum Wortende. Im russischen Wort erreicht die Amplitude beim betonten [e] den Wert 5, bleibt unverändert und sinkt erst nach dem [a] am Ende des Wortes. c) Die zur Realisierung des Wortes erforderliche Zeit ist in beiden Varianten gleich. d) Die Zahl der Frequenzbereiche des betonten Vokals fällt in beiden Wörtern zusammen: es gibt zwei Bereiche. e) Der erste Frequenzbereich hat in beiden Varianten gleiche Werte: Fn1 = 200–600 Hz. Der zweite Frequenzbereich des deutschen [ε:] hat folgende Werte: Fn2 = 1500–2300 Hz, wo die Amplitude der Frequenzen bei 200– 2500 Hz zweimal größer ist. Der zweite Frequenzbereich des russischen [e] hat die folgenden Werte: Fn2 = 800–3900 Hz, wo die Amplitude der Frequenzen bei 1500–3000 Hz zweimal größer ist. Der unbetonte Vokal [o] hat im deutschen Wort nur einen Frequenzbereich: 200–1500 Hz, wo die Amplitude der Frequenzen bei 1200–1500 Hz zweimal größer ist. Im russischen Wort hat dagegen der unbetonte Vokal 3 Frequenzbereiche mit folgenden Werten: Fn1 = 200–600 Hz, Fn2 = 800–1500 Hz, Fn3 = 2500– 3900 Hz.
46
Kategorialität der Wahrnehmung
So sehen wir bei zweisilbigen Wörtern des Deutschen und Russischen, die eine vergleichbare rhythmische Struktur und einen vergleichbaren phonematischen Bestand haben, ein Zusammenfallen nach der akustischen Ausprägung der Betonung, der Wortdauer, der Zahl der Frequenzbereiche für Vokale und nach ihren Werten (nicht in allen Fällen). Unterschiede gibt es in bezug auf die Amplitude des Klanges und hinsichtlich der Grenzen der Frequenzbereiche. Bei dreisilbigen deutschen und russischen Wörtern beobachtet man das Zusammenfallen der durchschnittlichen Dauer bei dem akustisch hervorgehobenen Vokal. Die Amplitude des Klanges jedoch, die Zahl der Frequenzbereiche der Vokale und die Werte der Frequenzbereiche sind spezifisch für jeden einzelnen Fall. Es gibt Unterschiede bei den oberen und auch bei den unteren Werten der Frequenzbereiche. Vergleicht man die Ergebnisse bei einsilbigen, zweisilbigen und dreisilbigen deutschen und russischen Wörtern, so zeigt sich, daß Einsilber, die die am wenigsten komplizierte Struktur aufweisen, mehr gemeinsame akustische Charakteristiken als Zwei- oder Dreisilber haben. Das erklärt sich aus den Besonderheiten der artikulatorischen Basis. Eine Analyse der Ergebnisse im Bereich der kontrastiven Untersuchung akustischer Charakteristiken deutscher und russischer betonter und unbetonter Vokale erlaubt den Schluß, daß die Vokale des Deutschen und Russischen ihre individuellen klangfarblichen Besonderheiten haben, die ihre Begründung in den Unterschieden des phonologischen Systems und der artikulatorischen Basis des Deutschen und Russischen finden. Das bestätigt und bekräftigt unsere bereits früher gezogenen Schlußfolgerungen: – Im Deutschen ist die Formantstruktur der Vokale sehr stabil; – die Geschwindigkeit der Änderung der Formantlagen strebt zu 0; – die Lokusdaten der Formantstruktur des betonten Vokals beim Übergang zum nächsten Konsonanten und von diesem Konsonanten zum folgenden Vokal sind fast unveränderlich; – der Anschluß des Konsonanten an den langen und kurzen Vokal unterscheidet sich nur durch die Dauer der Konsonanten; – im Russischen ist die Formantstruktur des betonten Vokals instabil; – die Geschwindigkeit der Änderung der Formanten ist sehr groß; – die Lokusdaten der Formantstruktur des betonten Vokals beim Übergang zum nachstehenden Konsonanten und von diesem Konsonanten zum nachstehenden Vokal unterscheiden sich sehr; – der Anschluß des Konsonanten an den vorangehenden Vokal ist durch relativ selbständige akustische Charakteristika des Vokals und des Konsonanten gekennzeichnet. Abschließend soll zur kontrastiven Untersuchung der prosodischen Merkmale im Deutschen und Russischen kurz noch folgendes angeführt werden:
Kategorialität der Wahrnehmung
1. 2. 3. 4. 5. 6.
47
Es gibt große Unterschiede in der Änderung der Grundfrequenz (F0), der temporalen Daten (t) und der Intensität (I). Dabei wurden verschiedene Parameter analysiert, z. B. F0, VF0, Foi/Fok, tj, tj /tk, I, Ij, Imax, Ij/Ik, In usw. Im Deutschen ist die Melodiebreite im Satz erheblich geringer als im Russischen; ca. 8 Halbtonschritten im Russischen stehen ca. 3–4 Halbtonschritte im Deutschen gegenüber. Veränderungen der Grundfrequenz werden im Deutschen im Rahmen der Silbe realisiert, im Russischen dagegen zwischen den Silben. Grundtonmodifikationen im Deutschen bilden eine fast gradlinige Kurve (eine Ausnahme stellt die hauptbetonte Silbe dar), während im Russischen große und mannigfaltige Modifikationen festzustellen sind. Die terminale Kadenz des Aussagesatzes im Deutschen ist durch einen tieferen Tonfall als im Russischen gekennzeichnet. Die interrogative Melodiekurve im Fragesatz ohne Fragewort unterscheidet sich in beiden Sprachen vollkommen und bildet eine gegenteilige Konfiguration.
I.2.3. Im folgenden Abschnitt wird die Spezifik der auditiven und visuellen Wahrnehmung der gesprochenen Fremdsprache und der Einfluß muttersprachlicher verbaler, para- und extraverbaler Faktoren auf die Interpretation akustischer und optischer Stimuli thematisiert. Es werden folgende Probleme als Untersuchungspunkte besprochen: – die auditiv-phänomenologische Beurteilung segmentaler und suprasegmentaler verbaler Mittel der fremdsprachlichen Äußerungen; – die auditiv-phänomenologische Beurteilung paraverbaler Mittel der fremdsprachlichen Äußerungen; – die visuell-phänomenologische Beurteilung extraverbaler Stimuli in der fremdsprachlichen Kommunikation. In unseren Untersuchungen gehen wir davon aus, daß die Interpretation der physischen Welt durch Wahrnehmung ihrem Inhalt und Gegenstand nach immer objektiv, ihrer Form und Funktion nach jedoch subjektiv ist. Dabei stellt die Wahrnehmung eine Quelle für Informationen über die lautliche Struktur der Sprache und über die begleitende para- und extraverbale Struktur der Sprechtätigkeit im allgemeinen dar. Bei der Analyse des Sprechsignals ist man in erster Linie mit seiner komplizierten dynamischen Gesamtheit konfrontiert, die die ganze Struktur bildet. In bezug auf die zwischenmenschliche fremdsprachliche Kommunikation handelt es sich um die Relation zwischen den muttersprachlichen physikalischen Eigenschaften der Sprechtätigkeit des Adressanten und den wahrgenommenen fremdsprachlichen Eigenschaften der Sprechtätigkeit des Adressaten.
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Kategorialität der Wahrnehmung
Im folgenden wird eine Merkmalhierarchie der sprechsprachlichen Kommunikation entworfen, und die muttersprachliche Kategorialität der Wahrnehmung der akustischen und optischen Stimuli in der zwischenmenschlichen Kommunikation wird nachgewiesen. Der Charakter der erfaßten Faktoren belegt, daß im Prozeß der Wahrnehmung fremdsprachlicher Äußerung alle Ebenen des verbalen und nonverbalen Wissens aktiviert werden. Die wichtigste Frage ist dabei, wie der Inhalt der fremdsprachlichen Äußerung in der übertragenden und aufnehmenden Instanz des Informationstransportes kodiert und dekodiert wird. Die Vorstellung von der Relation zwischen den physikalischen und wahrgenommenen Eigenschaften, die sich in der klassischen Psychophysik der Weber- und Fechnerzeit als Parameteranalyse eines einzelnen Lautes oder eines Lichtbündels herausgebildet hatte, gilt, etwas präzisiert, auch heute noch. Der Mensch, der die gesprochene Sprache wahrnimmt, beobachtet nicht die Lautkombinationen, sondern er bemüht sich, den Partner zu verstehen. Gerade deswegen gewinnt das Problem der Wahrnehmung der gesprochenen Sprache an Aktualität und wird viel komplizierter als die Psychophysik eines einzelnen Lautes (Zwirner, Richter 1966). Das sprachliche System, das vom Menschen angewandt wird, wird dadurch verkompliziert, daß zwischen diskreten Einheiten hierarchische Beziehungen bestehen, d. h. daß die Gesamtheit bestimmter Einheiten die Einheit höheren Grades bildet. Man kann behaupten, daß eine solche Anordnung, zusammengesetzt aus Kombinationen endlicher Mengen von diskreten Einheiten, einen unendlichen Text bildet. Dabei erfolgt die Datenspeicherung dynamisch. Das System funktioniert einwandfrei, unabhängig davon, aus welchem Material diskrete Elemente bestehen. Es können Laute, Buchstaben, elektrische Spannungen, Nervenerregungsprozesse usw. sein. Mit einigen Verlusten wird die Kommunikation als die Umkodierung der Nachricht aus diskreten Einheiten eines Materials in diskrete Einheiten eines anderen interpretiert. Kein diskretes System kann separat und völlig selbständig existieren. Es realisiert sich in einem kontinuierlichen Prozeß. Die Einheiten eines diskreten Systems werden zur Eigenschaft eines kontinuierlichen Makrosystems, das sich in bestimmte Bestandteile zerlegen lässt (Žinkin, Blochina, Potapowa 1973). Der Grundstein des Sprechens und Hörens ist die Silbe, die dem kontinuierlichen zeitlichen System angehört. Die gesprochene Sprache ist die Realisierung der Sprache in der zeitlichen Erstreckung der Silben und Lautkombinationen. Dabei ist die Pause ein Bestandteil der kontinuierlichen Silbenfolge und wird in dieser besonders geordneten Reihe berücksichtigt. Nutzt man das Abhören als Mittel der Erforschung der Segmentalia und Suprasegmentalia, ist von der Definition der gesprochenen Sprache als Zeichensystem auszugehen. Wenn man das Sprechen als Zeichensystem auffaßt,
Kategorialität der Wahrnehmung
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so muß man die Wahrnehmung als eine der Stufen der Datenverarbeitung betrachten. Bevor man die Frage nach den Möglichkeiten stellt, Text zu untersuchen, wäre es zweckmäßig, zu bestimmen, wie die Verarbeitung der akustischen Information bei der Eingabe erfolgt. Jedoch ist nicht jedes akustische Gebilde in allen Einzelheiten hörbar. Es gibt unhörbare Lautkomponenten. Bei der Dekodierung der Signale sollte das gewählt und gehört werden, was für die Kommunikation erforderlich ist. Im Prozeß der Kodierung und Dekodierung des Sprechens wie in jedem Informationssystem stehen alle Strukturkomponenten in Wechselbeziehung zueinander. Die lautliche Struktur der Phoneme bestimmt die lautlichen Figuren der Wörter und Wortverbindungen. Ihrerseits beeinflußt die Prosodie die Figuren der Wörter, Wortverbindungen und die Struktur der Laute so, daß jeden Augenblick feststellbare Änderungen des Signalflusses entstehen, die eigentlich Objekte der Dekodierung sind. Die Dekodierung ist ein analytischsynthetischer Vorgang, in dem verschiedene Determinanten der auditiven Wahrnehmung bestimmt werden, z. B.: – die Struktur der Silben, – die rhythmische Strukturierung der Wörter und Wortverbindungen, – betonte und unbetonte Vokalphoneme, – Häufigkeitscharakteristiken, – Intonationsmuster. Bei aller Vielfalt der Untersuchungen gibt es jedoch nur wenige Versuche, die die Faktoren der Wortwahrnehmung komplex erfassen. Im folgenden soll deshalb ein Modell vorgestellt werden, das die Rolle einiger formalisierbarer sprachlicher Merkmale bei der auditiven Wortwahrnehmung beschreibt (Krause 1992). Dieses Modell ist offen. Es kann durch bisher nicht erfaßte Faktoren erweitert werden. Das Modell impliziert, daß Einheiten einer linguistischen Ebene sprachliche Merkmale repräsentieren. Die Merkmale an sich sind Abstraktionen. Sie treten stets in ihren konkreten Realisationen auf, und nur als solche werden sie wahrgenommen. Das Wichtigste im Bereich der Kategorialität der Wahrnehmung der gesprochenen Sprache ist die Art der Koartikulation zwischen den Lautkomponenten, was einen besonderen Silbenzuschnitt für jede Sprache bildet. Die Silbe als koartikulatorische, akustische und perzeptorische Sprecheinheit beeinflußt die allgemeine phonetische Charakteristik der Sprache. Dabei kann sich die Silbe im Bereich sowohl der Sprecheinheiten als auch der Spracheinheiten manifestieren. In dieser Hinsicht gehört die Silbe gleichzeitig zu den Sprach- und den Sprecheinheiten (Potapova 1986a). Die Spezifik der Silbengestalt als Sprach- und Sprecheinheit beeinflußt die Spezifik des Sprechens für jede Sprache. Dadurch sind solche Redephänomena wie Rhythmus, Gliederung, Prosodik bedingt.
50
Kategorialität der Wahrnehmung
In einer Reihe von Untersuchungen (z. B. Meinhold, Stock 1982; Potapova 1986a) wurde festgestellt, daß der Haupttyp der Silbenstruktur im Deutschen eine geschlossene Silbe ist: (K...K).V.K (K....K). Für das Russische ist dagegen eine offene Silbe als dominierende Struktur charakteristisch (K...K)V... . Von diesem Standpunkt aus gehört das Deutsche zu den Sprachen mit dem sogenannten schweren Silbenbau und das Russische zu den Sprachen mit dem leichten Silbenbau. Es wurden spezielle Untersuchungen mit Hilfe der dynamischen Röntgenanalyse durchgeführt, die die Möglichkeit gaben, einen Vergleich im Bereich der Koartikulation im Rahmen der Silbe im Deutschen und Russischen zu ziehen (Potapova, Lindner 1991). Es wurde folgendes festgestellt: Im Deutschen ist die Spezifik der Artikulationsphasen im Prozeß der Artikulation der Konsonanten im Rahmen der Silbe von der Qualität und Quantität des benachbarten Vokals abhängig. Im Russischen ist im Gegenteil die Spezifik des Einflusses der Laute im Rahmen der Silbe anders: Die Qualität des silbenbildenden Vokals hängt von der Qualität des benachbarten Konsonanten ab. Im Russischen ist die koartikulatorische Anpassung des Vokals und des Konsonanten im Rahmen der Silbe viel stärker als im Deutschen. Es gibt auch Ergebnisse im Bereich der Perzeption, wo die Silbenauffassung in den beiden Sprachen analysiert wurde (Potapova 1986b). Die Hauptaufgabe war es, die Spezifik der perzeptorischen Dekodierung der Äußerung durch Muttersprachler und Nicht-Muttersprachler zu untersuchen. Es ist zu betonen, daß das Problem der perzeptorischen Dekodierung des Redeflusses in bezug auf die Silbenstrukturen besonders wichtig ist, weil dadurch die Spezifik der Perzeptionsbasis im allgemeinen festgestellt wird. Dabei ist die Bestimmung der Hauptstruktur, die als dominierende Sprecheinheit im Prozeß der Dekodierung des Redeflusses dient, von großer Bedeutung. Um diese Aufgabe zu lösen, wurde eine spezielle Untersuchung durchgeführt. Es war nötig, festzustellen, in welche Sprechsegmente die vorgeführte Sprechäußerung von den Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern perzeptorisch nur anhand der Dauer segmentiert werden kann. Um das zu untersuchen, wurde Ad-hoc-Material benutzt, das 200 deutsche Sätze enthielt, in denen verschiedene Arten von Silben und Silbenverbindungen auftraten. Das gesamte experimentelle Material wurde von Muttersprachlern auf Tonband aufgesprochen. Die Untersuchung wurde etappenweise durchgeführt. In der ersten Etappe wurde das ganze Material akustisch analysiert: Man analysierte Grundtonfrequenz (F0i), Intensität (Ii) und Dauer (Ti). Die akustische Analyse wurde mit Hilfe eines speziellen Computerprogramms durchgeführt. Diese Daten wurden in der nächsten Etappe für die Segmentierung der Sätze in Silben und Vokale benutzt. Für die genauere akustische Silbenseg-
Kategorialität der Wahrnehmung
51
mentation wurde eine spezielle Segmentationsfunktion verwendet (Potapova 1992). In jedem experimentellen Satz wurden alle Silben und Vokale nach ihrer Dauer rangiert. Auf diese Weise konnte man alle Sätze als Ketten der rangierten Werte darstellen, was als Resultat der instrumentellen objektiven Analyse beschrieben wurde. Objektive Rangdaten in bezug auf Vokale im Satz: Z. B. Sein Kauz witterte die Frösche. а)
V 4
'V 1
V 4
V 7,5
V 7,5
V 4
''V 4
V 4
Objektive Rangdaten in bezug auf Silben in demselben Satz: b)
KVK 3,5
'KVK 1
KVK 8
KV(K) 5
KV 6,5
KV 6,5
''KVK 2
KV 3,5
Die Aufgabe der Untersuchung in der nächsten Etappe bestand darin, die subjektiven Daten in bezug auf die Dekodierung der Stimuli durch Muttersprachler und Nicht-Muttersprachler festzustellen und die objektive Gliederung der Sätze in Silben und Vokale mit der subjektiven Bewertung der Dauer dieser Sprecheinheiten durch zwei Gruppen von Probanden zu vergleichen. Das Ziel in der nächsten Etappe war die Analyse der Korrelation zwischen objektiven und subjektiven Rangdaten. Die Ergebnisse der Korrelationsanalyse sollten zeigen, welche Art der Korrelation zwischen den Daten der objektiven und subjektiven Segmentation für die Muttersprachler und Nicht-Muttersprachler existieren könnte. Aufgrund der Korrelationsanalyse ließ sich feststellen, daß die beiden Gruppen von Versuchspersonen sowohl durch Gemeinsames, als auch durch Spezifisches charakterisiert waren. Das Gemeinsame für die beiden Gruppen war die adäquate Identifizierung der betonten Silben und Vokale. Diese Segmente wurden von den beiden Gruppen korrekt perzepiert und der Dauer nach richtig bewertet (rangiert). Es gab aber einen großen Unterschied, was die Struktur der Segmente betraf. Für die deutschsprachigen Versuchspersonen waren betonte offene und geschlossene Silben perzeptorisch markiert. Dabei spielten betonte geschlossene Silben eine dominierende Rolle (Tab.1).
Kategorialität der Wahrnehmung
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Tabelle 1 Die perzeptorische Dekodierung der Silben und Vokale im Satz durch deutsche Probanden (in bezug auf Dauerwerte) Silbe KV 'KV K(K)V(K)K 'K(K)V(K)K
% 30 80 46 95
Vokal V 'V V(in K(K)V(K)K) 'V(in 'K(K)V(K)K)
% 30 52 30 42
Für die russischsprachigen Versuchspersonen war diese Art der Korrelation nicht typisch. Hier waren alle betonten Vokale durch das Vorhandensein einer systematischen Korrelation markiert. Dieselbe Erscheinung beobachtete man, was betonte offene Silben anbelangt. Die Zahl der Korrelationsfälle für Vokale überwiegt (Tab. 2). Tabelle 2 Die perzeptorische Markierung in bezug auf die Dekodierung der Silben und Vokale im Satz (Ergebnisse der deutsch-russischen Vergleichsanalyse)
Sprachen
betont – unbetont
Deutsch Russisch
+ – + –
Opposition Silbe – Vokal + – – +
geschlossen – offen + – – +
Daraus kann man folgende Schlußfolgerungen ziehen: – für die Perzeptionsbasis des Deutschen und Russischen sind verschiedene Sprechsegmente als markierte Dominanzsegmente charakteristisch; – für die deutsche Perzeptionsbasis ist die Orientierung auf geschlossene Silben typisch; – für die russische Perzeptionsbasis ist die Orientierung auf Vokale und offene Silben typisch. Daraus ergibt sich auch, daß es im Deutschen eine silbenorientierte Dekodierung des Redeflusses gibt. Für das Russische ist dagegen vokalorientierte Dekodierung charakteristisch.
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Diese Tatsache wurde durch Ergebnisse einer anderen Untersuchung bestätigt (Potapova 1993). In diesem Fall wurden isoliert ausgesprochene deutsche Wörter von Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern perzeptorisch segmentiert. Die Hauptaufgabe war, einzelne Segmente dieser Wörter zu identifizieren. Zu diesem Zweck wurden zweisilbige Wörter mit kurzem offenem betontem Vokal und nachstehendem Sonanten gewählt, weil die Silbensegmentation in diesem Fall besonders schwierig ist. Alle Wörter wurden auf Tonband gesprochen. Als Sprecher wurden Muttersprachler (Deutsche, Engländer, Russen) ausgewählt, die die Standardaussprache beherrschten. In der nächsten Etappe wurden alle Wörter mit Hilfe eines speziellen Computerprogramms segmentiert, und alle Segmente, die sich voneinander in der Länge durch die Differenz h = 10 ms unterschieden, wurden den Versuchspersonen als Stimuli der Reihe nach vorgegeben. Die Dauer des Schallsegments änderte sich schrittweise. Das Intervall dabei blieb konstant (h = 10 ms). Im Laufe des Versuchs hatten die Versuchspersonen (russische Muttersprachler, Phonetiker) ein abgehörtes Schallsignal zu identifizieren. Dabei wurden folgende diakritische Zeichen verwendet: – KV – eine offene Silbe; – KV' – eine offene Silbe mit einem unbestimmten zusätzlichen Nachklang; – KVK – eine relativ offene Silbe mit einem sonantisierten zusätzlichen Nachklang; – KVK⌇ – eine relativ geschlossene Silbe (Konsonant + Vokal + ein Teil des nachstehenden Sonanten); – KVK – eine absolut geschlossene Silbe; – KVKV – eine geschlossene Silbe mit einem zusätzlichen vokalischen Nachklang; – KVKV – eine zweisilbige Wortstruktur. Es ist zu unterstreichen, daß die vorgeführten akustischen Stimuli im Laufe des Experiments für die russischen, deutschen und englischen Versuchspersonen absolut identisch waren. Die Ergebnisse der perzeptorischen Dekodierung aber waren für diese Gruppen von Versuchspersonen nicht identisch. Man beobachtete einen großen Unterschied, was die Identifizierung eines und desselben Segments anbelangt. Die deutschen Versuchspersonen begannen den vorgeführten akustischen Stimulus als eine relativ geschlossene Silbe eher zu identifizieren als die russischsprachigen Versuchspersonen, die diesen Stimulus als eine offene Silbe identifizierten. Es wurde festgestellt, daß akustische Stimuli mit der gleichen Dauer von deutschsprachigen, englischsprachigen und russischsprachigen Versuchspersonen verschiedenartig dekodiert und identifiziert wurden (Tab. 3).
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Tabelle 3 Ergebnisse der perzeptorischen Segmentierung der gleichen Stimuli
Probanden
1
1. Engländer
KVK⌇
Rangdaten 2 Perzeptionsstrukturtypen KVK
2. Deutsche
KVK
KVK⌇
KV
3. Russen
KV
KVKV
KVK(KVK)
3 KV
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß alle perzeptorischen Daten durch verschiedene Häufigkeitswerte charakterisiert sind. Als perzeptorische Dominante dienen offene Silben und Vokale für russischsprachige Probanden, geschlossene Silben für deutschsprachige Probanden und relativ geschlosse Silben für englischsprachige Probanden. Es wurde auch festgestellt, daß es eine Korrelation zwischen der Dauer des akustischen Stimulus einerseits und der Qualität des betonten Vokals andererseits gibt. Diese Korrelation ist für die Daten der Probanden in bezug auf verschiedene Sprachen nicht identisch. Für alle deutschsprachigen Probanden ist die perzeptorische Dekodierung der Dauer der Silben von der Qualität der Vokale der vorderen und der hinteren Reihe abhängig. Die objektive Dauer der beiden Stimuli ist absolut identisch. In bezug auf die Vokale der vorderen Reihe mit dem nachstehenden Sonanten bewertete man aber perzeptorisch eine absolut geschlossene Silbe viel eher als für Vokale der hinteren Reihe. Diese Ergebnisse zeugen davon, daß die Qualitätsunterschiede im Vokalsystem des Deutschen ihre perzeptorischen Korrelate haben, die im Prozeß der subjektiven Dekodierung des Sprechsignals relevant sind und die „Silbengestalt“ in bezug auf die Koartikulationsverhältnisse bilden (Potapova, Lindner 1991). Was dieselben Versuche mit russischsprachigen Probanden betrifft, so wurde festgestellt, daß für die zeitliche Bewertung der Stimuli die Qualität der Vokale keine Rolle spielt. Die zeitlich identischen Stimuli mit den Vokalen der vorderen und hinteren Reihe wurden in diesem Fall als offene Silben bewertet. Diese Ergebnisse dienen auch als Beweis dafür, daß für die Perzeptionsbasis des Russischen im Vergleich zum Deutschen eine geringere Detailisierung der Qualität der Vokale im Redefluß typisch ist. Es wurde noch eine weitere Untersuchung durchgeführt, die zum Hauptziel hatte, die Spezifik der Wahrnehmung der russischen Silben mit palatalisierten Konsonanten durch deutschsprachige Probanden zu ermitteln. Als akustische Stimuli wurden verschiedene Silben des Russischen vorgeführt, die
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stimmhafte und stimmlose palatalisierte Konsonanten und Vokale von verschiedener Qualität enthielten (z. B. [pat' – p'at'; mal – m'al; luk – l'uk]). Die Silben wurden von russischen Muttersprachlern auf Tonband aufgesprochen. Die deutschsprachigen Probanden sollten dieses Material abhören und transkribieren. Es gelang festzustellen, daß die deutschsprachigen Muttersprachler alle Stimuli mit palatalisierten Konsonanten nicht nur als Abfolge „palatalisierter Konsonant + Vokal“, sondern als Abfolge „Konsonant + j + Vokal“ identifizierten (z. B. [p'jat'; m'jal; l'juk]). Es gibt auch ein relativ selbständiges Problem, das für den Vergleich des Deutschen und Russischen von großer Bedeutung ist. Gemeint ist der Charakter des Anschlusses des Konsonanten an den vorangehenden Vokal im Rahmen der Silbe. Auf diesem Gebiet wurden im Laufe von vielen Jahren spezielle Untersuchungen in bezug auf germanische Sprachen und die russische Sprache durchgeführt (Potapova 1986a). Man unterscheidet in der Regel zwei Arten des Anschlusses: einen festen und einen losen. Wenn man Russisch und Deutsch vergleicht, so geht man davon aus, daß es im Deutschen zwei Arten des Anschlusses (einen festen und einen relativ losen) und im Russischen eine Art des Anschlusses (einen losen) gibt. Für die deutsche Sprache wurde von uns eine Reihe von Experimenten durchgeführt. Der Untersuchung lag eine komplexe Methodik zugrunde (akustisch, auditiv, statistisch). Vor einigen Jahren wurden Untersuchungen durchgeführt, die nur zeitliche Charakteristika der Übergangsphasen von einem Vokal zu einem Konsonanten im Deutschen analysierten. Anhand dieser Untersuchungen erhielt man keine Ergebnisse, die es erlaubt hätten, ein bestimmtes System aufzustellen. Auf der Basis dieser Resultate wurde festgestellt, daß die Übergangsphase von einem langen und kurzen Vokal zu einem nachstehenden Konsonanten im Deutschen im Bereich des wissenschaftlichen Experiments keine Klarheit verschafft. Es ist zu betonen, daß diese Untersuchungen unserer Meinung nach nicht korrekt durchgeführt wurden, weil in diesem Fall nur zeitliche Meßwerte berücksichtigt worden waren. Aus einer Reihe von anderen experimentellen Untersuchungen wurde eher klar, daß für die Charakteristika der deutschen Vokale nicht nur die Quantität, sondern auch die qualitative Dynamik der Vokale wichtig ist. Artikulatorische Gespanntheit und Geschlossenheit haben als primäre akustische und perzeptorische Korrelate eine spezifische qualitative Dynamik der Vokale und als sekundäre Korrelate die Verlängerung der Dauer, was beim Sprechen im Redefluß eliminiert werden kann. Das Primäre bleibt aber konstant, was die Möglichkeit gibt, die Vokale im Redefluß zu identifizieren. Von diesem Standpunkt aus wäre es nicht korrekt, die Art des Anschlusses nur in
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bezug auf die Dauer zu untersuchen. Es schien von großer Bedeutung zu sein, die Art des Anschlusses im Deutschen und Russischen perzeptorisch zu analysieren. Entsprechend der Methodik der auditiven Analyse wurden verschiedene Übergangsphasen in den verschiedenen Silbenstrukturen für das Deutsche und Russische untersucht. Die Hypothese lautete, für den deutschen Silbenschnitt würde eine besondere Übergangsphase im Rahmen der Silbe perzeptorisch markiert, die mit der Artikulationsbasis aufs engste verbunden ist. Dabei bleibt diese Phase für alle Typen der Silbenstrukturen im Deutschen nicht sehr variabel, was eine spezifische Form der Silbenkette im Redefluß bildet. Im Russischen gibt es auch eine markierte Übergangsphase, die aber für eine offene Silbenstruktur charakteristisch ist. Unserer Hypothese entsprechend gäbe es einen prinzipiellen Unterschied zwischen dieser Übergangsphase im Rahmen der Silbe im Deutschen und Russischen, der akustisch und perzeptorisch feststellbar ist. Dabei hat dieser Unterschied einen binären Charakter. Das kann auch als eine zusätzliche Opposition betrachtet werden: ein fester Anschluß – loser Anschluß. Jedes Glied dieser privativen Opposition kann markiert und nicht markiert sein. Das hängt von der Artikulationsbasis der jeweiligen Sprache ab. Für das Deutsche ist das Merkmal „fester Anschluß“ und für das Russische „loser Anschluß“ markiert. Die Hypothese von einem spezifischen Charakter der Silbenkette wurde einer speziellen experimentellen Untersuchung zugrunde gelegt, in der die Silbeninterferenz im Deutschen und Russischen im Mittelpunkt der Analyse stand. Als Material für das Experiment wurden ad hoc gebildete intersprachliche Minimalpaare erarbeitet, die aus verschiedenen deutschen Wörtern mit langen und kurzen Vokalen und entsprechenden russischen Wörtern bestanden. Die ganze Liste dieser Wörter enthielt einsilbige Paare (n = 48), zweisilbige Paare (n = 108), dreisilbige Paare (n = 64), viersilbige Paare (n = 28), fünfsilbige Paare (n = 12). Beispiele für Minimalpaare: – einsilbig (Krug – круг, Ton – тон, Glas – глас); – zweisilbig (Tonne – тонна, Kasse – касса, Wanne – ванна, Villa – вилла, Masse – масса); – dreisilbig (Banane – бананы, Probleme – проблемы, Forelle – форели); – viersilbig (Kandidaten – кандидаты, Amplitude – амплитуда, Vitamine – витамины); – fünfsilbig (Universität – университет, Medikamente – медикаменты). Die Hauptaufgabe des Experiments bestand darin, zu untersuchen, auf welche Weise der Silbenschnitt der Muttersprache den Silbenschnitt der Fremdsprache beeinflußt, ob es solch einen Einfluß überhaupt gibt, und wenn es ihn gibt, auf welche Weise er ausgedrückt wird. Das deutsche experimentelle Material wurde von den deutschen Muttersprachlern auf Tonband gesprochen. Dieselben
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Muttersprachler wurden ausgewählt, als das entsprechende russische Material auf Tonband aufgenommen wurde. Die Versuchspersonen haben 8 Semester Russisch als Studienfach an der Universität Trier (Deutschland) studiert und es wurde von Experten festgestellt, daß sie Russisch relativ perfekt beherrschten. Als Maßstab für den Vergleich wurden entsprechende russische Wortpaare in Betracht gezogen, die von den Muttersprachlern auf Tonband gesprochen worden waren. In der nächsten Etappe wurden die Übergangsphasen für drei Varianten des experimentellen Materials (des deutschen, russischen und interferierten) segmentiert und einzelne Stimuli akustisch und perzeptorisch analysiert. Die akustische Analyse wurde anhand der Prosodie und Spektrographie durchgeführt. Es erwies sich, daß zum einen die Übergangsphasen in allen Arten der Silbenstrukturen für das Deutsche absolut identisch waren und zum anderen dieselben Übergangsphasen bei den interferierten deutsch-russischen Varianten der Silbenstrukturen blieben. Das bedeutet, daß sogar bei der korrekten fremdsprachlichen Aussprache (Russisch als Fremdsprache für Deutsche) Mikrophänomene wie Übergangsphasen im Rahmen des Koartikulationskomplexes bzw. der Silbe (genauer gesagt des Silbentyps, der für die Muttersprache in bezug auf die Artikulationsbasis markiert ist) stabil und unverändert wie in der Muttersprache blieben. Dieselbe Erscheinung wurde für die Stimuli im Bereich des Russischen beobachtet. Die muttersprachliche und interferierte Variante aller Übergangsphasen in Silben war demnach für die deutschsprachigen Probanden identisch und bildete eine kompakte Zone der Meßwerte. Alle Meßwerte entsprachen nur einer Art des Anschlusses, und zwar der Art des festen Anschlusses. Die Meßwerte der Übergangsphasen in entsprechenden russischen Wortpaaren zeugten davon, daß in diesem Fall die Rede von einer anderen Art der Übergangsphase sein könnte, nämlich von einem losen Anschluß. Bei der Einschätzung der Meßwerte für beide Gruppen wurde die Methode der minimalen Distanz in bezug auf Intensität (Ii), Dauer (ti), Formantenwerte (F1, F2) verwendet. Was die auditive Analyse dieser Stimuli betrifft, so ist es gelungen, festzustellen, daß alle deutschen und deutsch-russischen interferierten Stimuli als identische Segmente aufgefaßt wurden, und diese Ergebnisse können ein Beleg dafür sein, daß der feste Anschluß des nachstehenden Konsonanten zum Vokal im Deutschen ein Kennzeichen der Artikulations- und Perzeptionsbasis ist, was zur Kategorialität der Kodierung (Artikulation) und Dekodierung (Wahrnehmung) der gesprochenen Sprache gehört. Man könnte vermuten, daß für das Modell des Sprechmechanismus zwei sogenannte Steuerungsdimensionen charakteristisch sind. Zu diesem Zweck wurde ein spezielles Experiment durchgeführt. Als experimentelles Material wurden die Kardinalvokale /i/, /u/, /a/ benutzt, die in entsprechenden Wörtern
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von einem russischen Sprecher mit und ohne Muskelspannung ausgesprochen worden waren. Die Wörter wurden mit Hilfe des Systems MEDAV „MOSIP3000“ analysiert (Trier, Deutschland). Es wurden große Unterschiede festgestellt, sowohl in bezug auf die Dauer, Intensität und Fn-Struktur der Vokale als auch in bezug auf die Dauer, Intensität und Fn-Struktur der nachfolgenden Konsonanten. Für das behandelte Thema ist es wichtig, daß sich bei der auditiven Dekodierungsanalyse ein Verhältnis zwischen artikulatorischer Statik und Dynamik einstellt. Unverändert bleiben jene diskreten Segmente des Redeflusses, die mit der Muttersprache der Adressanten und Adressaten verbunden sind. In allen unseren Untersuchungen, die im Bereich der Perzeptionsanalyse durchgeführt wurden, funktioniert das Gesetz der sprechsprachlichen Kategorialität, die durch die Artikulations- bzw. Perzeptionsbasis der Sprache beeinflußt wird. Das gehört nicht nur zu den Sprecheinheiten der segmentalen Ebene, sondern auch zu allen Phänomenen der suprasegmentalen Ebene. Was das Funktionieren der sprechsprachlichen Kategorialität für Suprasegmentalia angeht, so wurden auch in diesem Bereich spezielle Untersuchungen durchgeführt. Als Versuchspersonen traten wie immer deutsche und russische Muttersprachler auf. Das experimentelle Material schloß deutsche und russische Sätze ein, die der Zahl der Silben, dem Rhythmus, der syntagmatischen Gliederung nach absolut identisch waren. Um die Semantik der sprachlichen Äußerung zu eliminieren, wurden spezielle Filter verwendet, die die Formantenstruktur der Laute zerstörten. Bei der Ausgabe des Signals blieb nur die Grundtonfrequenzänderung in der Zeitdimension erhalten. Diese Stimuli wurden der Reihe nach den Probanden der beiden Gruppen vorgeführt. Dabei wurden russische und deutsche Pseudosätze „gemischt“, was wichtig war, um sich während des Abhörens des Materials nicht an die Stereotype der Sätze in der Muttersprache zu gewöhnen. Das experimentelle Material enthielt alle kommunikativen Intonationstypen: terminale, progrediente, interrogative Intonationsmuster. Alle Daten der Perzeptionsanalyse wurden mit Hilfe statistisch-mathematischer Kriterien verarbeitet. Für die Feststellung des Vorhandenseins der systematischen Divergenz wurden verschiedene mathematische Kriterien verwendet (to-Kriterium, eine modifizierte Variante des to-Kriteriums, Fisher-Kriterium und Zeichen-Kriterium). Es wurde festgestellt, daß die Werte für beide Gruppen der Versuchspersonen von systematischer Divergenz gekennzeichnet waren. Dabei wurden russische Melodiemuster durch deutsche Versuchspersonen folgenderweise identifiziert: – im Russischen als „terminal“, im Deutschen als „progredient“; – im Russischen als „interrogativ“, im Deutschen als „terminal“ oder als eine besondere Art „interrogativ mit Bestätigung“.
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Dabei erhielt man zusätzliche Informationen: Die Melodiebreite der deutschen Sätze wurde durch russischsprachige Versuchspersonen als komprimiert eingeschätzt, die Melodieführung als monoton. Die Melodiebreite der russischen Sätze wurde dagegen durch deutschsprachige Versuchspersonen als zu breit und emotional gefärbt bewertet. In der nächsten Etappe dieser Perzeptionsanalyse war festzustellen, wo sich die Melodie ändert, wo perzeptorisch markierte Melodieänderungen im Satz lokalisiert werden. Unsere Hypothese lautete, daß engere Melodiebreite im Deutschen dazu führt, daß die wichtigsten Grundtonfrequenzänderungen nicht zwischen den Silben, sondern innerhalb der Silben realisiert werden. Für das Russische wäre es umgekehrt: nicht innerhalb der Silben, sondern zwischen den Silben. Dieses Experiment hatte zwei Etappen: a) es wurden mit Hilfe eines speziellen Programms alle Melodieänderungen zwischen den Silben eliminiert; b) es wurden mit Hilfe eines speziellen Programms alle Melodieänderungen innerhalb der Silben eliminiert. Alle diese Pseudosätze wurden durch deutsche und russische Probanden analysiert, deren Aufgabe darin bestand, Stimuli als natürlich und unnatürlich zu bewerten. Die deutschen Versuchspersonen bewerteten deutsche Pseudosätze mit der Eliminierung der Melodieänderungen innerhalb der Silben als unnatürlich. Einige kommunikative Intonationstypen wurden sogar falsch identifiziert (z. B. wurde die progrediente und die terminale Grundtonführung verwechselt). Die russischen Pseudosätze mit der Eliminierung der Melodieänderungen innerhalb der Silben wurden durch deutsche und russische Versuchspersonen als natürliche Äußerungen identifiziert. Was die Perzeptionsanalyse mit den eliminierten Melodieintervallen zwischen den Silben betrifft, so hatten wir in diesem Fall folgende Ergebnisse: die deutschsprachigen Versuchspersonen identifizierten deutsche Pseudosätze als natürliche Äußerungen und russische Pseudosätze als unnatürliche. Die russischsprachigen Versuchspersonen identifizierten die deutschen Pseudosätze auch als natürliche Äußerungen, aber die russischen Pseudosätze als unnatürliche. Dabei wurden auch bei der Identifikation der kommunikativen Intonationstypen Fehler gemacht (z. B. wurde terminale und interrogative Grundtonführung verwechselt). Der Vergleich der Perzeptionsdaten hat gezeigt, daß zwischen dem Deutschen und Russischen auch in diesem Bereich Unterschiede vorhanden sind. Und das ist nicht nur für die Segmentalia, sondern auch für Suprasegmentalia charakteristisch. Man beobachtete dieselbe Tendenz, die für Artikulations- und Koartikulationsmerkmale beschrieben worden war. Die Perzeptionsbasis jeder Sprache besitzt ihre eigenen Merkmale, die für Deutsch und Russisch markiert und nicht markiert sein können (Potapowa 2002). Was im Deutschen markiert
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ist, das tritt im Russischen als nicht markiert auf. Als Grundlage dieser privativen Opposition dienen die Artikulations- und Perzeptionsbasis für Deutsch und Russisch.
I.3. Rezeption para- und extraverbaler fremdsprachlicher Information Jede Kulturgemeinschaft unterscheidet sich von den anderen in ihrem Subsystem der nonverbalen Kommunikation, was auch kontrastiv bewertet werden kann. Als Beispiel könnte man das Nicken und das Kopfschütteln erwähnen. Das Nicken zur Bejahung und das Kopfschütteln zur Verneinung gebrauchen alle Westeuropäer, Amerikaner und auch die Russen. Die Griechen und die Süditaliener (d. h. die Neapolitaner und die Sizilianer) senken den Kopf zur Bejahung und heben ihn zur Verneinung. Man braucht nicht den ganzen Kopf zu bewegen. Zur Bejahung senkt man manchmal nur die Augenbrauen, die Augenlider oder die Unterlippe (Kirch 1995). Für den Griechen bedeutet die deutsche oder russische Bejahungsgeste gleichzeitig „ja“ und „nein“. In deutschsprachigen Ländern sind das Küssen und die Umarmung intimer als in romanischen und slavischen Ländern. Die Küsse können in diesen Ländern in der phatischen Funktion auftreten (z. B. dreimalige Küsse bei den Orthodoxen). Das Herausstrecken der Zunge wird überall in Europa als Hohngeste verwendet. In Tibet aber gebraucht man diese Geste zum Gruß. In Mexiko und Indien ist die heraushängende Zunge ein Symbol der Weisheit. Watson untersuchte das proxemische Verhalten von Menschen aus aller Welt und stellte fest, daß sich Deutsche, Engländer, Schotten, Holländer und Norweger, also Menschen aus germanischen Ländern, gleichermaßen von den Südeuropäern, d. h. den Lateinern, unterscheiden (Watson 1970). In einer Konversation saßen die Südeuropäer einander näher, sahen einander direkter und länger in die Augen und berührten einander mehr. Die Araber näherten sich einander noch mehr als die Lateiner, während die Asiaten sich auf ähnliche Weise benahmen wie die Nordeuropäer. Die Zahl der Berührungen ist auch von großer Bedeutung. Es gibt spezielle Untersuchungen in bezug auf Lateinamerikaner, Araber, Nordeuropäer und Inder. Z. B. beträgt die Zahl der Berührungen pro Stunde bei Nordeuropäern 110, bei Lateinamerikanern 180, bei Indern gibt es keine Berührungen (Jourard 1966). Die Kinesik und die Proxemik sind auch ethnisch und kulturell bedingt. Darum kann man sagen, daß auch in diesem Fall die psychomotorische und perzeptorische Kategorialität funktioniert. Diese Subsysteme des Makrosystems „Semiotik“ spielen bei jeder Interaktion eine wichtige Rolle. In der Kommunikation werden alle Bewegungen, Haltungen und Stellungen, die gan-
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ze Mimik und Gestik, emotionale und modale Färbung der Äußerungen bewußt oder unbewußt zusammen mit den Worten des Kommunikationspartners bewertet. Wenn man dieses Zeichensystem nicht beherrscht, ergibt sich als Folge der Kommunikation entweder Miß- oder sogar Unverständnis. Die extraverbale Substanz schließt nonverbale Komponenten ein (z. B. ethnische Kultur des Benehmens, Schnitt und Farbe der Kleidung, sexolektale Kultur des Benehmens usw.). Die Farbe der Kleidung wird berücksichtigt, wenn man einen größeren positiven Effekt, eine größere Wirkung als Folge der Kommunikation haben möchte. Paraverbale Phänomena schließen nicht nur die emotionale Sphäre der Kommunikation, sondern auch die Sphäre der Modalität ein. Als Beispiel für die Kategorialität der Wahrnehmung der Modalität im Deutschen und Russischen werden konnotative Merkmale der Imperativhandlungen angeführt. Die Hauptmerkmale werden durch folgende prosodische Charakteristiken ausgedrückt: Melodie, Lautstärke, Tempo, Pausierung, Akzentuierung. Es wurden folgende Imperativabstufungen perzeptorisch untersucht: Befehl, Aufforderung, Bitte, Drohung, Flehen (Potapova 1997a). An der Untersuchung beteiligten sich deutsche und russische Muttersprachler. Die russischen Muttersprachler hatten deutsche Stimuli zu bewerten, die deutschen Muttersprachler russische Stimuli. Es gelang, folgendes festzustellen: – „Bitte“ war durch eine größere Zahl perzeptorischer Divergenzen gekennzeichnet; – „Bitte“ im Russischen wurde durch deutsche Probanden mit folgenden konnotativen Schattierungen bewertet: Entschuldigung, Signal zur Aufmerksamkeit; – „Bitte“ im Deutschen wurde durch russische Probanden folgendermaßen identifiziert: Aufforderung, größerer psychologischer Druck. Dabei werden prosodische Merkmale unterschiedlich als relevant und redundant bewertet. Für die russischen Probanden traten z. B. Pausierung und Tempo in der Darstellung von Befehl, Bitte, Flehen, Aufforderung, Drohung als relevante Merkmale auf, für die deutschen Probanden als redundante Merkmale. Ganz anders werden Lautstärke und Akzentuierung bewertet. Für die russischen Probanden traten diese Merkmale als redundant auf, für die deutschen Probanden als relevant. Alle Melodieparameter waren für beide Gruppen der Probanden relevant. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß man die Konnotation als die Summe der subjektiv bewertenden Komponenten des Sprechens betrachten kann, die jede Äußerung begleiten und von der Modalität des Sprechers und Hörers im Akt der Kommunikation abhängen (Potapova 1997a). Es gibt auch Ergebnisse unserer Untersuchung in bezug auf die Beurteilung der Emotionen durch russische und deutsche Probanden. Deutsche Stimu-
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li-Sätze wurden den Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern paarweise vorgeführt. Diese Sätze wurden durch Sprecher verschiedenartig emotional gefärbt gesprochen: mit Freude, Trauer, Angst, Zorn, Erstaunen, Ärger usw. Die meisten Unterschiede gab es bei der Identifizierung des Zustandes „Freude“. Die Deutschen identifizierten diesen Zustand hundertprozentig richtig. Die Russen beurteilten dieselben Stimuli nicht als Freude, sondern als Schrecken oder Schrecken mit der Schattierung „Erstaunen“. Was andere Emotionen betrifft (z. B. Trauer, Angst, Zorn usw.), ergab sich, daß für die perzeptorischen Identifizierungsergebnisse mehrstufige Konvergenz typisch war. Es gibt Untersuchungen, die dem Vergleich des verbalen und nonverbalen kommunikativen Benehmens der Engländer und Amerikaner gewidmet sind. Es wurde festgestellt, daß es große Unterschiede in bezug auf prosodische Charakteristiken und nonverbale Merkmale zwischen Probanden gibt. Im allgemeinen kann man sagen, daß für die Engländer die Prosodie (Pausen, delimitative Charakteristiken, emphatische Betonungen, kontrastive Intervalle des Grundtones u. a.) eine größere Rolle spielt als die nonverbalen Mittel der Kommunikation (Gestik, Mimik). Für die Amerikaner sehen die Ergebnisse ganz anders aus: Eine dominierende Rolle spielen nonverbale Mittel der Kommunikation. Die Prosodie tritt als ein nicht markiertes Merkmal der Kommunikation auf. Dabei wird das verbale kommunikative Benehmen durch die kategorische Modalität und einen größeren Grad von Aggressivität gekennzeichnet. Die menschliche Kommunikation kann man als Makrosystem der verschiedenen Zeichen betrachten, was zum Bereich der Semiotik gehört. Das semiotische Makrosystem schließt eine Reihe von Zeichen oder Signalfeldern (Subsystemen) ein. Dazu gehört auch nonverbale Kommunikation bzw. Kinesik (Mimik, Gestik), Proxemik, die auch durch die Kategorialität der Perzeption gekennzeichnet ist. Unter der Kommunikationswirkung könnte man das Resultat der vom Perzipienten durchgeführten Verarbeitung aller Signale verstehen, die im Akt der Kommunikation von einem Adressanten ausgehen. Die Dekodierung ist durch mehrdimensionale Verarbeitung gekennzeichnet. Dazu gehören verbale und nonverbale Subsysteme der Kommunikation, die durch die Kategorialität der Wahrnehmung charakterisiert sind. Die nonverbalen Kommunikationsmittel sind den verbalen gegenüber keineswegs sekundär, denn sie können in bestimmten Situationen an Stelle von verbalen verwendet werden, so daß eine nonverbale Kommunikation zustande kommt (Stock 1985). Und wenn es sich um das Problem der Wirkung und Verstehen in bezug auf fremdsprachliche Kommunikation handelt, so spielt der Faktor der Kategorialität der Wahrnehmung eine besonders große Rolle. Die Aufgabe des Fremdsprachenerlernens besteht vor allem darin, die Grenzen der verbalen und nonverbalen Kommunikation auszuweiten, para- und
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extraverbale Mittel der Kodierung und Dekodierung der Zeichensubsysteme zu beherrschen, interkulturelle Information in größerem Maße auszunützen. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Wahrnehmung der Information dem universellen Gesetz der Kategorialität unterworfen ist. Dabei funktioniert dieses Gesetz auf verbalen, nonverbalen, paraverbalen und extraverbalen Ebenen. In der Psycholinguistik gibt es den Begriff „primäre Sprachpersönlichkeit“ (Karaulov 1987), die zu jedem Muttersprachler oder jeder Muttersprachlerin gehört. Später wurde der neue Begriff „sekundäre Sprachpersönlichkeit“ von I. I. Chaleeva (Chaleeva 1989) in bezug auf die fremdsprachliche und fremdkulturelle Kompetenz eingeführt. Der Begriff schließt nicht nur die sprechsprachliche Kompetenz der Kommunikanten ein, sondern auch ihre interkulturelle Kompetenz. Unserer Meinung nach wäre es zweckmäßig, dazu auch nonverbale, paraund extraverbale Komponenten der fremdsprachlichen Interaktion hinzuzufügen, was zur Optimierung der Lösung der kommunikativen Aufgaben bzw. der kommunikativen Wirkung führen würde. Dabei spielen die Untersuchungen im Bereich der Analyse von Besonderheiten der Kategorialität der Wahrnehmung der gesprochenen Fremdsprache in bezug auf verbale, para- und extraverbale (bzw. kulturologische) Ebenen der menschlichen Kommunikation, die als bewegliche variable Phänomena in der Sprechtätigkeit auftreten, eine große Rolle. Der Prozeß des Verstehens in der Kommunikation ist vielschichtig: a) Verstehen als Struktureinsicht in Sachzusammenhänge; b) Verstehen als Intentions- und Handlungsverstehen. Um all diese Ziele zu erreichen, wäre es notwendig, den gesamten Raum möglicher Erfahrungen bei der fremdsprachlichen Kommunikation auszunützen, und in dieser Hinsicht spielen Kenntnisse, Erfahrungen und Kompetenzen im Bereich der kontrastiven Phonetik eine sehr große Rolle. Wenn wir den bisherigen Verlauf unserer Untersuchungen im Bereich der kontrastiven Phonetik überblicken, so können wir feststellen, daß nicht nur para- und extraverbale Information, sondern auch verbale Information durch die Kategorialität der Wahrnehmung charakterisiert wird, was die Kommunikation insgesamt beeinflußt. Unsere Ergebnisse sollen dem Zwecke dienen, darauf hinzuweisen, wie notwendig es ist, die Spezifik der Kategorialität der Wahrnehmung in bezug auf die kontrastive Phonetik bzw. die kontrastive Sprechwissenschaft und Semiotik voll zu berücksichtigen.
II. Konnotative Paralinguistik und Emotionen in der gesprochenen Sprache: Russisch und Deutsch
II.1. Paraverbale Sprechmittel als Untersuchungsobjekt der Paralinguistik Bei der Wiedergabe der inhaltlichen Adäquatheit einer mündlichen Äußerung spielt die Feststellung von konnotativen Bedeutungen, die nicht nur durch verbale (lexikalisch-grammatische), sondern auch durch paraverbale (phonischkinetische) Mittel wiedergegeben werden, eine erstrangige Rolle. Die letzteren schließen das ganze Arsenal von Besonderheiten der Aktualisierung einer Redeäußerung ein und haben bestimmte signifikante Werte. Das Problem besteht darin, daß im Vergleich zu den denotativen Bedeutungen der lexikalischen Mittel der sprechsprachlichen Äußerung konnotative zusätzliche Bedeutungen in der Regel implizit ausgedrückt werden, was sowohl über formale Merkmale der Lexik und Grammatik (und zwar der Syntax) als auch über paraverbale Mittel und ihre Kombination mit den akustischen und optischen Kanälen der Kommunikation geschieht. Eines der möglichen formalen Merkmale der konnotativen Bedeutungen verbaler Mitteilung ist die Spezifik der gesprochenen Sprache unter Anwendung von phonisch-artikulatorischen segmentalen und suprasegmentalen (prosodischen) Mitteln, die für die Aktualisierung von konnotativen Bedeutungen (im Unterschied zu den denotativen) als eine Quelle der paraverbalen Information auftreten, was für die adäquate Wiedergabe des Sinninhaltes einer Redeäußerung im ganzen von besonderer Bedeutung ist. In Abhängigkeit von den angewandten paraverbalen Mitteln kann sich der Mechanismus der perzeptorischen Dekodierung einer Redeäußerung sowohl durch die Struktur von semantischen Schlußfolgerungen als auch durch das Erhalten einer eindeutigen Interpretation unterscheiden. Paraverbale (phonisch-artikulatorische, prosodische, kinetische) Mittel haben keine grammatische Funktion und gehören zur Sprechsituation im ganzen. Dabei spielen sie eine sinnunterstützende und präzisierende Rolle. Wenn der Prozeß der Interpretation einer verbalen Mitteilung im Kommunikationsakt unter Berücksichtigung beider Kanäle (des verbalen und des paraverbalen) betrachtet wird, so vermuten wir, daß die Interpretation der verbalen und paraverbalen Information eine komplexe Einheit bildet, deren Dekodierung von zwei Grundmodellen abhängt: einem verbalen Modell und einem allgemeinen Verhaltensmodell.
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Für die Theorie und Praxis der fremdsprachlichen und interkulturellen Kommunikation ist die Untersuchung von Verfahren der Einbeziehung von paraverbalen Mitteln in den Prozeß der verbalen Kommunikation von großer Bedeutung. Das Ziel dieser Untersuchungen sollte sein, die Spezifik der Wechselwirkung von verbalen und paraverbalen Subsystemen im Prozeß der Wiedergabe konnotativer Bedeutungen in bezug auf sprechsprachliche Kommunikation festzustellen. Mündliche Kommunikation wird zur Zeit als eine Kette von Faktoren betrachtet, in der Produktion, Wiedergabe und Rezeption einer verbalen Mitteilung nur ein Teil des gesamten Kommunikationsprozesses sind. Bei der Wiedergabe einer Mitteilung wird neben einem akustischen Kanal auch ein visueller Kanal verwendet. Durch den akustischen Kanal wird nicht nur verbale, sondern auch paraverbale Information übermittelt. Das System der menschlichen Kommunikation ist also ein kompliziertes Ganzes, das verbale und nonverbale Kanäle der Informationsübertragung einschließt. Und in den Kommunikationssituationen wirken diese Kanäle unterschiedlich zusammen. Im wesentlichen sind folgende Arten dieser Kombinatorik zu unterscheiden: a) Wiederholung: nonverbale Kommunikation bestätigt das, was verbal wiedergegeben wird; b) Kontradiktion: nonverbale Kommunikation widerspricht der verbalen Kommunikation; c) Substitution: nonverbale Mittel treten anstelle verbaler Mittel auf; d) Ergänzung: nonverbale Mittel ändern oder ergänzen verbale Kommunikation; e) Akzentuierung: nonverbale Mittel können einzelne Teile einer verbalen Mitteilung unterstreichen, genauso wie das Unterstreichen von Wörtern beim Schreiben ihrer Markierung dient; f) Regulierung: nonverbale Mittel werden dazu verwendet, um den kommunikativen Prozeß zwischen kommunizierenden Individuen zu regulieren (Potapova 1997a). Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, daß die perzeptorische Interpretation eines Redesignals durch die Gesamtheit von Erscheinungen und Funktionen „höheren Grades“ beeinflußt wird. In einigen Untersuchungen ergaben sich unterschiedliche Bewertungen für physikalisch gleiche quantitative und qualitative Redesignale. In einer Reihe von Untersuchungen waren die Probanden überzeugt, daß sie einen und denselben Laut perzipiert hatten, obwohl es verschiedene Laute waren. Zur Zeit gibt es gute Gründe zur Annahme, daß das Redeverstehen (die semantische Interpretation der gesprochenen Sprache) ein aktiver Prozeß, ein Ergebnis der komplexen Tätigkeit des Hörers und nicht eine passive Folge
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eines perzipierten Redestimulus ist. Zusätzlich zu einem akustischen Signal verwendet der Hörer bei der Redeperzeption und -interpretation verschiedene Informationsquellen. Diese Quellen können in sich einschließen: Lebenserfahrung, sprachliches Weltbild, alltägliche Abbildungen der Wirklichkeit, Situation, Kontext, Struktur der Sprachen (Phonologie, Lexik, Syntax usw.), nonverbale Orientierungspunkte usw. In der letzten Zeit hat also die Untersuchung der sprechsprachlichen Kommunikation große Veränderungen mitgemacht: Die traditionelle formale grammatische Betrachtungsweise wurde durch eine neue ersetzt, die zusätzlich sozio-, psycho- und neurolinguistische Faktoren in Betracht zieht. Zur gleichen Zeit wurde der Mittelpunkt der Untersuchungen von einer linguistischen Beschreibung des Kommunikationsprozesses zu der Beschreibung und Interpretation des gesamten Prozesses der Kommunikation verschoben. Die Einsicht in die Notwendigkeit des Einbezugs von Faktoren, die die Rede unmittelbar begleiten (lautliche Mittel, Mimik und Gestik), in die Sphäre von linguistischen Untersuchungen, wurde in der Sprachwissenschaft schon vor langer Zeit in den „Thesen der Prager Schule“ formuliert (Pražskij lingvističeskij kružok 1967). Eine theoretisch vorstellbare Redekommunikation unter „sterilen“ Bedingungen ist mit der Explikation rein logischer Sprache verbunden, wo die Eindeutigkeit der Struktur den Charakter der Information unabhängig von beliebigen Bedingungen der Kommunikation streng bestimmt. Eine vollständige Untersuchung von Prozessen der Informationswiedergabe sollte sich immer sowohl auf verbale als auch auf nonverbale (para- und extraverbale) Faktoren stützen. Gemäß G. V. Kolšanskij ist die Paralinguistik eine sprachwissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Untersuchung von Faktoren beschäftigt, die eine Redeäußerung in der Kommunikation begleiten und an der Wiedergabe der Information mitwirken (Kolšanskij 1974). Abgesehen von einigen Schwierigkeiten der Abgrenzung der Paralinguistik von der Extralinguistik kann bestätigt werden, daß der Bereich der Extralinguistik als Disziplin das Funktionieren und die Entwicklung des ganzen Kommunikationssystems berührt, und zwar durch das Zusammenwirken von Gesellschaftsleben und Sprache, ethnischer Kultur des Volkes und der Sprache, von internationalen Beziehungen und Sprache usw. Im Gegensatz dazu beziehen sich paraverbale Faktoren auf eine konkrete sprechsprachliche Äußerung. Durch diese Faktoren werden die denotativen und konnotativen Bedeutungen der Äußerung gebildet. Eines der wichtigsten Mittel der Paralinguistik ist die Aussprachespezifik einer Redeäußerung (Phonation, Artikulation, Prosodie). Auf die zweifache Rolle der Aussprachemittel (verbale und paraverbale) haben wir schon früher hingewiesen (Potapova 1986a).
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Es ist also zu betonen, daß die anthropozentrische Richtung in der Sprachwissenschaft in unserer Zeit zu einem tieferen Eindringen in das Wesen der Beziehungen zwischen verbalen (phonologischen, lexikalischen, grammatischen) und paraverbalen Faktoren bei der Wiedergabe von konnotativen Bedeutungen einer Redeäußerung anregt. Konnotation wird dabei als eine Summe von emotional bewertenden Komponenten verstanden, die die denotative Bedeutung in einem realen Redeakt begleiten und den komplexen Sinn einer wahrgenommenen Äußerung beeinflussen. Bekannt ist die Schwierigkeit der Bestimmung von konnotativen Bedeutungen, was in erster Linie damit verbunden ist, daß die Konnotation vor allem ein Redephänomen und nicht ein Sprachphänomen ist. Die Konnotation sollte nicht automatisch und nicht immer als eine subjektive und deswegen für die Kommunikation irrelevante Erscheinung betrachtet werden. Im engeren Sinne ist die Konnotation mit zusätzlichen Bedeutungen, Nebenbedeutungen, Bedeutungsnuancen, Bedeutungsfärbungen (semantisch, stilistisch, emotional) verbunden. Die Hauptrolle spielen in diesem Fall die Assoziationen des Individuums, die territorial, funktional, expressiv, emotional usw. determiniert sind und von der Reflexion der Wirklichkeit (Vorstellungen) abhängen. Die signifikante funktionale Rolle der Konnotation nimmt besonders dann zu, wenn das lexikalische Korpus und das syntaktische Schema einer Äußerung in der Mutter- und Fremdsprache völlig zusammenfallen. Die Berücksichtigung der adäquaten Dekodierung von konnotativen Bedeutungen kann den Gesamtsinn einer mündlichen Äußerung beim Dolmetschen aus einer Sprache in eine andere nicht nur „korrigieren“, sondern in sein Gegenteil verkehren (zum Beispiel könnte der Satz „Das ist einfach“, dessen mündliche Realisation von einer Reihe von konnotativen prosodischen Mitteln begleitet ist, in eine fremde Sprache als eine Äußerung mit dem negativen Sinn „Das ist nicht so einfach“ übersetzt werden). Die sprechsprachlichen Konnotationen der Muttersprachler verschiedener Sprachen fallen nicht zusammen. Was das Dolmetschen betrifft, so spielt die adäquate Dekodierung von paraverbalen Mitteln und die korrekte Wiedergabe von konnotativen Bedeutungen einer Äußerung eine besondere Rolle. Es ist zu betonen, daß in der linguistischen Literatur eine systematische empirische Darlegung von Konnotationen fehlt, die durch Mittel der prosodischen Paralinguistik ausgedrückt werden und, was besonders wichtig ist, daß es keine Untersuchungen gibt, in denen eine Konnotationstheorie für die praktischen Bedürfnisse von Sprechwissenschaft, Dolmetschen und Fremdsprachenunterricht entwickelt wird. Noch weniger ausgearbeitet ist der Bereich der Sprechwissenschaft, der sich mit der Untersuchung der Kinesik als einem Be-
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standteil der paraverbalen Mittel der Wiedergabe von konnotativen Bedeutungen einer verbalen Äußerung beschäftigt. Paralinguismen, die für die eine oder andere Sprache charakteristisch sind, sind bisher nur unsystematisch, sporadisch, mit einer Verabsolutierung einzelner Mittel ohne Berücksichtigung des wechselseitigen Zusammenhangs untersucht worden. Was die Prosodie als ein besonderes paraverbales Mittel einer mündlichen Äußerung betrifft, so bereitet in diesem Fall die funktionale Differenzierung der Prosodie besondere Schwierigkeiten. Zur Zeit sind in der Literatur zur Untersuchung der sprechsprachlichen Kommunikation folgende Begriffe anzutreffen: „Prosodie“, „Prosodik“ und „Prosodemik“. Besonders große Differenzen gibt es bei der Deutung der Begriffe „Prosodie“ und „Prosodik“. Prosodie (Potapova 1986a) ist ein Substanzbegriff und gehört zu den physiologisch-physikalischen Mitteln der Realisation des Sprechens. In phonetischen Untersuchungen beschreibt man Prosodie mit den physikalischen Charakteristiken: Grundtonfrequenz (in Hz), Intensität (in dB) und Dauer (in ms). Die Verbindung der genannten Charakteristiken und ihre konkreten Parameter bilden die substantielle Sphäre eines Redesignals, die folgende funktionalen Aspekte besitzt: konstitutive, rekognitive, delimitative, kulminative, distinktive (differenzierende), emotive, emotiv-modale. Emotive und emotivmodale Funktionen sind in hohem Maße mit der Aktualisierung von Paralinguismen verbunden. Die Mechanismen dieser Interdependenz und des substantiell-funktionalen Ausdrucks der Prosodie im konnotativen Sinne sind aber noch nicht vollständig untersucht. Unerforscht bleibt im Bereich der Prosodie das Problem der Abgrenzung der verbalen Besonderheiten als struktureller Einheiten der Sprache von allen Arten der „nonverbalen“ Prosodie als eines Merkmalsystems der konnotativen Paralinguistik. Dabei ist noch nicht klar, wie das Modell der Wechselbeziehungen zwischen verbalen und paraverbalen prosodischen Mitteln aussieht: durch zusätzliche Vermehrung von prosodischen Merkmalen oder aber eine Merkmalskompensation? Wenn die segmentalen (phonisch-artikulatorischen), mit der Paralinguistik verbundenen Besonderheiten in Betracht gezogen werden, kann man vermuten, daß auch Redephonation und -artikulation in bezug auf den funktionalen Aspekt differenziert werden. In diesem Fall spielt das segmentale Timbre eine besondere Rolle, das als Korrelat die spektrale Struktur von lautlichen Segmenten hat. Paraverbale Kinesik (Mimik, Gestik) kann ebenfalls als Bestandteil der Kommunikation betrachtet werden. Infolgedessen ist paraverbale Kinesik mit ihren spezifischen Merkmalen als ein semiotisches Subsystem der Kommuni-
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kation unmittelbar mit der Sprachstruktur der sprechsprachlichen Äußerung verbunden.
II.2. Emotive Funktion paraverbaler Sprechmittel Unsere Experimente erfassen die Untersuchung von paraverbalen Sprechmitteln bei der Wiedergabe von emotionalen und emotional modalen Konnotationen im Russischen und Deutschen (Dobrunova 1990; Mal’ceva 1991; Potapova 1971; 1978; 1989a; 1989b; 1990b; 1991a; Potapova, Blochina 1986; Potapova, Lindner 1991; Schönberg 1988; Žerdeva 1986 u. a.). So wurden zum Beispiel verbale (lexikalische und grammatische) und paraverbale (insbesondere prosodische) Mittel der Realisation des Imperativs im Russischen und im Deutschen untersucht und verglichen. Es wurde festgestellt, daß die phonetische Imperativwahrnehmung durch Muttersprachler (für Deutsch und Russisch) durch das Vorhandensein von besonderen konnotativen Merkmalen charakterisiert ist. Dabei bleiben alle lexikalisch-grammatischen Besonderheiten des Satzes konstant. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, daß die Sprecher beider Sprachen imperative Handlungen wie Befehl und Flehen eindeutig mit einer minimalen Anzahl von konnotativen Schattierungen interpretieren. Die größte Diskrepanz in der subjektiven Bewertung von sprechsprachlichen Äußerungen und die maximale Anzahl von konnotativen Schattierungen hatten imperative Handlungen wie Bitte und Aufforderung. Die Interpretation einer und derselben Äußerung Bitte durch die Deutschen enthielt folgende konnotative Schattierungen: Entschuldigung, Fesselung der Aufmerksamkeit; bei den Russen waren es inständige (flehentliche) Bitte, Forderung. Für die Russen ist die Bitte mit höherer Beharrlichkeit, psychologischem Druck, manchmal mit resoluter kategorischer Behauptung assoziativ verbunden. Das zentrale paraverbale Sprechmittel für die Wiedergabe von konnotativen Bedeutungen ist die prosodische Organisation einer Äußerung. Unter den prosodischen Mitteln spielt die akzentuelle Markierung eine führende Rolle. Die prosodische akzentuelle Markierung ist aufs engste mit den individuellen Konnotationen verbunden, die im Bewußtsein und Erfahrungsschatz von Rezipienten im Prozeß der Wahrnehmung einer Äußerung entstehen. Das paraverbale Variieren einer Redeäußerung kann als Funktion der konzeptuellen Einstellung des Sprechers betrachtet werden. Die Elemente der prosodischen Struktur sind dabei bei der Realisation von konnotativen Schattierungen nicht gleichwertig. Das durch die Interpretation individuell bedingte Variieren „durchdringt“ die ganze Redeäußerung und kann mit Hilfe von einer
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Reihe von Sprechmerkmalen ausgedrückt werden. Es lohnt sich, einige Merkmale als Beispiele anzuführen: – emphatische Verlängerung/Verkürzung von Syntagmen; – funktionale Verschiebung in bezug auf die Distribution der Syntagmagliederungssignale; – Umverteilung von Funktionen unter pausalen Kontrasten; – Verschiebung der Tonhöhenregistergrenzen im Rahmen von Phrasen und mikrothematischen Einheiten; – Erweiterung/Einengung der Grenzen des Stimmtonbereiches im Rahmen von Phrasen und mikrothematischen Einheiten; – Wechsel von statischen und nicht statischen Grundtonbewegungen; – Vereinfachung/Verkomplizierung von Grundtonwerten im Rahmen von Silben; – Vereinfachung/Verkomplizierung der rhythmischen Schemata durch die Verschiebung von stark- und schwachbetonten Positionen in der sprechsprachlichen Äußerung; – Umverteilung von typischen dynamischen und temporalen Maxima und Minima in Syntagmen. Paraverbale Sprechmittel sind unmittelbar mit dem Wirkungseffekt im Bereich der Pragmaphonetik verbunden (Potapova 1990b). Die Wirkung des gesprochenen Textes hängt von der Gesamtheit der Mittel aller sprechsprachlichen Ebenen ab, die die pragmatische Struktur des Textes ergeben und ein funktional-semantisches Einwirkungsfeld bilden. Die Information ist in der Regel expressiv gefärbt und besitzt bestimmte modale, emotionale, bewertende und rationale Komponenten. Paraverbale Sprechmittel, die alle konnotativen Bedeutungen formen, sind eng mit der Funktion verbunden, die einen bestimmten emotional einwirkenden Charakter hat. Zu den prosodischen perzeptorischen Merkmalen, die das erste Glied der Opposition „emotional wirkende Information“ – „rational wirkende Information“ markieren, können unserer Meinung nach gehören: – Steigerung der Tonhöhe, Vergrößerung der Lautstärke, Beschleunigung des Sprechtempos in bezug auf das Thema bzw. den thematischen Höhepunkt (semantische Basis/Topik) im Rahmen der Äußerung; – Steigerung der Tonhöhe, Erweiterung des Tonhöhenbereiches, Beschleunigung des Sprechtempos in bezug auf das kommunikative Prädikat (Rhema); – Fehlen des Kontrasts zwischen thematischen und rhematischen prosodischen Merkmalen; – steiler Anstieg der Tonhöhe, größere Erweiterung des Tonhöhenbereiches, mittlere Lautstärke, Verlangsamung des Sprechtempos im rhematischen Teil im Vergleich zum thematischen;
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Vorhandensein eines Kontrasts zwischen den prosodischen Mitteln für die Thema-Rhema-Gliederung. Verbale Mittel (Modus des Verbs, Hilfswörter, Partikeln, elliptische Konstruktionen usw.) sind mit paraverbalen Mitteln kombiniert, die eine konnotative Funktion erfüllen. Das Fehlen von Kenntnissen auf dem Gebiet der Anwendung paraverbaler Mittel, die den Sprechern verschiedener Sprachen eigen sind, führt zu „Verwirrung“ im Kommunikationsprozess. Es entstehen Mißverständnisse, Paradoxe usw. Die Folge kann eine nicht adäquate emotionale Reaktion des Gesprächspartners sein. Ausgehend vom Konzept der Formierung der sekundären sprachlichen Persönlichkeit (Chaleeva 1989), sollten zusätzlich nicht nur die Spezifik des sprachlichen Materials und soziokulturelle Grundkenntnisse berücksichtigt werden, sondern unserer Meinung nach auch die Spezifik der Beziehungen zwischen verbalen und paraverbalen Mitteln für die Wiedergabe von konnotativen Schattierungen in verschiedenen Sprachen und Kulturen der Welt. Bis heute sind die Prinzipien des Zusammenwirkens von intra- und intersprachlichen paraverbalen Mitteln bei der Formierung von konnotativen Bedeutungen einer Redeäußerung ungenügend untersucht. Nicht ausreichend erarbeitet ist vor allem der vergleichende zwischensprachliche Aspekt. In Abhängigkeit vom Charakter der angewandten paraverbalen Mittel kann der Mechanismus der Dekodierung einer Redeäußerung sowohl hinsichtlich der Struktur der Interpretation als auch bezüglich des Zeitaufwands beim Erhalten einer eindeutigen Lösung unterschieden werden. Paraverbale (phonisch-artikulatorische, prosodische, kinetische) Mittel haben keine grammatische Funktion. Sie gehören zur Situation im ganzen und spielen eine sinnunterstützende Rolle. Wenn der Prozess der Endinterpretation (einer resultierenden Interpretation) einer verbalen Äußerung im Kommunikationsakt unter Berücksichtigung beider Kanäle (des verbalen und des paraverbalen) betrachtet wird, kann man annehmen, daß die Interpretation der verbalen Information und die Interpretation der „nebenverbalen“ (paraverbalen) Information eine komplexe Einheit bilden, deren perzeptorische Dekodierung von zwei Grundmodellen abhängt: von einem kommunikativen linguistischen Modell und einem Verhaltensmodell des Individuums. Für die Theorie und Praxis der Linguistik ist die Untersuchung von Verfahren des Einbeziehens paraverbaler Mittel in den verbalen Kommunikationsprozeß von ausschlaggebender Bedeutung. Die Hauptaufgabe einer entsprechenden Untersuchung (Potapova 1997a; Potapova, Potapov 2006) bestand in der Analyse und Feststellung der Besonderheiten von paraverbalen Mitteln bei der Wiedergabe konnotativer Bedeutungen im sprechsprachlichen Kommunikationsakt. Die oben formulierte Aufgabe erforderte die Lösung einer Reihe von konkreten Aufgaben:
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Definition der paraverbalen Mittel (Paralinguismen), die analysiert werden; – Feststellung des Zusammenwirkens von paraverbalen Mitteln für die Wiedergabe von konnotativen (emotional-modalen) Unterschieden in jeder der untersuchten Sprachen; – Durchführung der paraverbalen vergleichenden Analyse auf der Basis der gewonnenen Angaben; – Durchführung von Versuchen, die die Berücksichtigung des Sprachbewußtseins der Probanden (Muttersprachler jeder der untersuchten Sprachen) erfordern; – Beschreibung des paraverbalen Merkmalsystems, das zum System konnotativer Bedeutungen (in bezug auf die emotionale und emotional-modale Texttätigkeit der Probanden) in einem Verhältnis steht; – Analyse der Differenzierungsmerkmale von konkreten Typen bezüglich wahrgenommener konnotativer Varianten; – Suche nach Universalien im Bereich der Mechanismen und des Charakters der Wiedergabe von konnotativen Bedeutungen mit Hilfe von paraverbalen Mitteln; – Erarbeitung eines Systems von Paralinguismen und ihrer strukturellen Wechselbeziehung. Bei der Durchführung der Untersuchung waren folgende Ergebnisse zu erwarten: – Beschreibung eines konkreten Systems von sprechsprachlichen und paraverbalen Mitteln (Paralinguismen) bei der Wiedergabe von konnotativen emotionalen und emotional-modalen Bedeutungen für das Sprachenpaar Russisch-Deutsch; – Typologie der paraverbalen Mittel der konnotativen Bedeutungen.
II.3. Auditiv-perzeptorische und akustische Charakteristiken der russischen und deutschen paraverbalen Sprechmittel Für die Bestimmung von Bestandteilen der konnotativen Bedeutung war die Durchführung eines Vorversuchs zweckmäßig, dessen Ziel es war, die mögliche subjektive Bewertung (Nomination) des Vorhandenseins der emotionalmodalen Konnotationen in mündlichen Redeäußerungen zu bestimmen. Für die Lösung dieser Aufgabe wurde eine auditive Analyse von Redeäußerungen durchgeführt, die ihrem phonemischen Bestand, ihrem lexikalischen Inhalt, dem syntaktischen Bau und der rhythmischen Struktur nach identisch waren. Das einzige Unterscheidungsmerkmal war das Vorhandensein unterschiedlicher emotionaler oder emotional-modaler konnotativer Bedeutungen. Das Ex-
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periment wurde anhand von Beispielen aus dem Russischen, Englischen und Deutschen durchgeführt. Für das Russische wurden einsyntagmatische und zweisyntagmatische Sätze durch drei Gruppen von Probanden (berufliche Schauspieler [n = 30], Probanden in Hypnosezustand [n = 15] und Patienten einer psychiatrischen Klinik in manisch-depressivem Zustand [n = 20]) auf Tonband gesprochen. Alle Tonbandaufnahmen wurden für eine subjektive Höranalyse und eine objektive akustische Analyse benutzt. Die subjektive auditive Analyse wurde etappenweise durchgeführt. In der ersten Etappe wurde den Probanden-Muttersprachlern die Aufgabe gestellt, die konnotative Bedeutung der zu analysierenden Äußerung festzustellen. Das Hauptziel des Experiments in dieser Etappe war die Beschreibung des Inventars aller möglichen konnotativen Bedeutungen, die sich auf die emotionale und emotional-modale Färbung der Äußerung beziehen. In der nächsten Etappe wurde den Probanden eine andere Aufgabe gestellt. Das Hauptziel war die Beschreibung von prosodischen Merkmalen, mit deren Hilfe eine bestimmte konnotative Bedeutung subjektiv perzipiert wurde. In der ersten Etappe der Untersuchung wurde eine Probandengruppe (n = 10; russische Muttersprachler) aufgefordert, 300 experimentale gesprochene Sätze abzuhören und eine Definition jedes vorgeführten Stimulus zu geben, der sich auf eine bestimmte konnotative Bedeutung emotiven Charakters bezog. In manchen besonders schwierigen Fällen wurde den Probanden erlaubt, den emotionalen Zustand des Sprechenden zusätzlich mit ihren eigenen Worten zu beschreiben. Das Resultat der durchgeführten auditiven Analyse war eine Liste von Nominationen, die durch Probanden auf der Basis der Prosodie in bezug auf bestimmte emotionale Färbungen gegeben wurden. Die Liste der konnotativen Nominationen wurde in drei Klassen eingeteilt: – die I. Klasse der Nominationen spiegelt den physiologisch-physischen Zustand des Sprechenden wider; – die II. Klasse der Nominationen bezieht sich auf den geistigen Zustand des Sprechenden mit Elementen der Modalität; – die III. Klasse der Nominationen charakterisiert den emotionalen Zustand des Sprechenden. Die I. und II. Klasse wurde in Unterklassen eingeteilt. Die I. Klasse schloß Nominationen ein, die den durch physiologische Hemmungs- und Erregungsprozesse bedingten physischen Zustand widerspiegelten. a) konnotative Nominationen, die durch physiologische Hemmungsprozesse bedingt sind: – Müdigkeit – Schwere
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– Entkräftung – Schwäche – Trägheit – Kraftlosigkeit – Depression – Schläfrigkeit – Schlaftrunkenheit – Schwerzüngigkeit – Erschöpfung – Apathie – Gleichgültigkeit b) konnotative Nominationen, die durch physiologische Erregungsprozesse bedingt sind: – Erregung – Aufregung – Nervosität Die II. Klasse schloss Bezeichnungen ein, die den geistigen Zustand des Sprechenden im Hinblick auf das Fehlen oder das Vorhandensein der Bereitschaft zur Erfüllung einer Tätigkeit wiedergeben. II. Klasse: a) – Fassungslosigkeit – Verwirrung – Verlorenheit – Unsicherheit – Nachdenklichkeit – Zerrüttung – Teilnahmslosigkeit – Gleichgültigkeit – Vertrauensseligkeit – Teilnahme – Bedrücktheit – Niedergeschlagenheit – Hoffnungslosigkeit – Nachdenken b) – Sicherheit – Kategorialität – emotionaler Aufschwung – gute Laune – Ruhe In der III. Klasse lassen sich einige Nominationszonen von emotionalen Zuständen feststellen, die in sich eine Reihe von Bestandteilen einschließen. Jede
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dieser Zonen ist durch eine den allgemeinen Charakter9 bezeichnende Nomination vertreten, die alle in dieser konnotativen Zone vorkommende Nomination in sich einschließt. III. Klasse: a) – Unruhe – Erschrecken – Angst – Entsetzen b) – Ärgerlichkeit – Unzufriedenheit – Wut – Bosheit – Empörung – Zorn – Haß – Bedrohung – Entrüstung c) – Freude – Begeisterung – Zufriedenheit – Entzücken – volle Zufriederheit – Glück d) – Trauer – Traurigkeit – Sehnsucht – Verzweiflung e) – Betrübnis – Bitterkeit – Leid – Bedauern f) – Spott – Spötterei – Bösartigkeit – spöttisches Lächeln – Verhöhnung g) – Empfindlichkeit – gekränkte Verfassung – Verdruß 9
Nominationen dieser Art wurden in jeder der beschriebenen Zonen festgestellt.
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– Ärger – Zärtlichkeit – Zartheit – Feinheit. Die Aufgabe des Experiments in der nächsten Etappe bestand in der Bestimmung der wahrgenommenen Qualitäten der Prosodie, die für verschiedene konnotative Nominationen charakteristisch sind. Für die Durchführung der subjektiven Analyse wurden 36 gesprochene Sätze in der Realisation von 5 Sprechern gewählt (20 Sätze bestanden aus zwei Syntagmen und 16 aus einem Syntagma). Die Wahl von experimentellen gesprochenen Sätzen wurde durch folgende Forderungen charakterisiert: 1. den größten Grad der subjektiven Erkennbarkeit der Zugehörigkeit der gesprochenen Sätze zu einer bestimmten konnotativen Gruppe; 2. den hohen Grad der technischen Qualität der Aufnahme gesprochener Sätze. Den Probanden wurden folgende Aufgaben gestellt: 1. die Zahl von prosodisch markierten Silben zu bestimmen; 2. markierte Silben nach dem Grad der Markierung zu rangieren; 3. prosodische Mittel, mit deren Hilfe die Markierung der Silbe erreicht wurde (Länge; Tonhöhe; Lautstärke; Lokalisation der Markierung), zu bestimmen; 4. die Bewegungsrichtung und den Veränderungscharakter der Melodie in den markierten Silben der Phrase zu beschreiben. Für die subjektive Höranalyse wurden folgende Charakteristiken gewählt: 1. Lautstärke (laut, mittel, leise); 2. Tempo (schnell, mittel, langsam); 3. Tonhöhenbereich (breit, mittel, schmal); 4. Tonhöhe (hoch, mittel, tief); 5. Tonhöhenkontur (schwebend; „zickzackförmig“, kontrastreich; monoton, einförmig); 6. Tonhöhenbewegung am Phrasenende (Kadenztyp): steigend (steil, schwebend); monoton; fallend (schwebend, steil). Die Probanden sollten aus den genannten Parametern diejenigen wählen, die einer bestimmten konnotativen Bedeutung zugeordnet werden konnten. Dabei wurden den Probanden alle Stimuli paarweise vorgeführt: mit konnotativer emotiver Bedeutung, ohne konnotative emotive Bedeutung. Bei der Analyse der gewonnenen Ergebnisse wurden nur Reaktionen berücksichtigt, die durch Probanden bei der Bewertung von analysierten Charakteristiken in mehr als 60% der Fälle markiert wurden. Im folgenden werden die Ergebnisse dargestellt. h)
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1. Parameter „Lautstärke“ Nach den Angaben der Probanden sind die perzeptorisch zu analysierenden konnotativen emotiven Bedeutungen in Stimuli-Phrasen10 folgendermaßen anzuordnen. Der Grad der Lautstärke nimmt ab: 1. Zorn 2. Angst 3. Freude 4. Unruhe 5. Sehnsucht Bei diesem Parameter stehen die Rangglieder Zorn und Sehnsucht einander kontrastiv gegenüber. Was die anderen Rangglieder betrifft, hat ihre Differenzierung einen relativen, „verwischten“, undeutlichen Charakter. 2. Parameter „Tempo“ Die Rangliste, die auf Grund der Probandenbewertungen bei diesem Parameter gebildet wurde, fällt fast völlig mit der obenerwähnten Rangreihe „Lautstärke“ zusammen: 1. Zorn 2. Angst 3. Unruhe 4. Freude 5. Sehnsucht Der Unterschied besteht darin, daß nach den temporalen Charakteristiken nicht einzelne emotionale Zustände einander besonders deutlich gegenüberstehen werden, sondern zwei Gruppen von emotionalen Zuständen: a) Zorn, Angst, Unruhe; b) Freude, Sehnsucht. Die erste Gruppe ist durch ein schnelleres Tempo, die zweite durch ein langsameres Tempo charakterisiert. 3. Parameter „ Tonhöhenbereich“ Nach den Angaben der Probanden bilden die analysierten Stimuli-Phrasen zwei Gruppen: a) Zorn, Freude, Angst; b) Unruhe, Sehnsucht. Die erste Gruppe von konnotativen emotiven Bedeutungen wird durch einen breiten Tonhöhenbereich, die zweite durch einen mittleren und in einigen Fällen durch einen engeren Tonhöhenbereich charakterisiert.
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Mit dem Begriff „Phrase“ bezeichnet man gewöhnlich die syntaktische Struktur eines Satzes und in diesem Kontext eines gesprochenen Satzes.
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4. Parameter „Tonhöhe“ Nach den Angaben der Probanden waren alle nach dem Parameter „Tonhöhe“ zu analysierenden konnotativen emotiven Bedeutungen in den experimentellen Phrasen in drei Gruppen einzuteilen: a) Zorn ist durch höhere Tonlage charakterisiert; b) Freude, Angst und Unruhe haben in einigen Fällen eine hohe Tonlage, in anderen eine mittlere; c) Sehnsucht wird perzeptorisch als Zustand bewertet, der durch tiefe oder mittlere Tonlage gekennzeichnet ist. 5. Parameter „Tonhöhenkontur“ Bei diesem Parameter wurden alle Stimuli-Phrasen durch Probanden in zwei Gruppen eingeteilt: a) Zorn, Angst, Unruhe; b) Sehnsucht. Die erste Gruppe der konnotativen Bedeutungen ist durch eine „zickzackförmige“, „zerrissene“, die zweite durch eine schwebende (legato) Kontur gekennzeichnet. Die konnotative Bedeutung Freude nimmt eine Zwischenstellung ein und hat bei diesem Parameter keine invarianten perzeptiven Bewertungen. 6. Parameter „Tonhöhenbewegung am Phrasenende (Kadenztyp)“ Bei der Bewertung dieses Parameters gab es die größten Unterschiede. Die Phrasen mit Zorn, Angst und Unruhe waren am häufigsten durch steil fallende Kadenz markiert. Die Phrasen mit Sehnsucht waren im Gegenteil hauptsächlich durch schwebend fallende Kadenz markiert. 7. Parameter „Zahl der markierten Silben“ Beim Vergleich von Phrasen mit den emotiven Konnotationen Zorn, Angst, Unruhe, Freude, Sehnsucht wurde festgestellt, daß in Phrasen mit einem Syntagma die den syntagmatischen Akzent tragende Silbe eindeutig markiert wurde. In Phrasen mit zwei Syntagmen wurde die syntagmatisch akzentuierte Silbe des ersten Syntagmas und die Silbe mit der Phrasenakzentuierung im zweiten Syntagma perzeptorisch markiert. Es gibt auch regelmäßige Markierung einer weiteren Silbe, die nach der Akzentsilbe steht. Das kann als Folge des Prozesses der zusätzlichen Gliederung des zweiten Syntagmas in zwei minimale Syntagmen bezeichnet werden, was für die Phrasen ohne zusätzliche emotionalmodale Färbung nicht typisch ist. Die im Angst- und Zornzustand ausgesprochenen Phrasen werden in einigen Fällen durch zusätzliche Markierung von akzentlosen Silben (sowohl von Vor-, als auch von Nachakzentsilben) charakterisiert.
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In anderen emotionalen Zuständen wurde die Markierung von akzentlosen Silben nicht festgestellt. Für den Freude- und besonders den Sehnsuchtszustand wurde die Gliederung in noch kleinere Syntagmen im Vergleich zu anderen emotionalen Zuständen festgestellt. Es muß betont werden, daß diese Gliederung in noch kleinere Syntagmen nur für das erste Hauptsyntagma typisch war. Das zweite Syntagma hat in der Regel die gleiche Gliederungsart wie die in anderen emotionalen Zuständen ausgesprochenen Phrasen. Im ersten Hauptsyntagma wird in einer im Sehnsuchtszustand gesprochenen kurzen Phrase oft jede rhythmische Struktur (akzentuierte Silbe mit vor- und nachakzentlosen Silben) zu einem minimalen Syntagma. 8. Parameter „Grad der Markiertheit“ Bei der Analyse der nach dem Parameter „Grad der Markiertheit“ gewonnenen Ergebnisse sind in erster Linie ziemlich große Unterschiede in den Angaben der Hörer festzustellen, besonders in den Phrasen, die aus mereren Syntagmen bestehen. Anhand der Ergebnisse nach dem Parameter „Grad der Markiertheit“ können nur allgemeine Bemerkungen gemacht werden. Für alle emotionalen Zustände mit Ausnahme von Sehnsucht ist in den mehrsyntagmatischen Phrasen die Verschiebung vom markierten Zentrum zum Ende der gesprochenen Phrase charakteristisch. Die durch die Markierung des ersten Grades für die Norm charakteristische syntagmatische Akzentuierung des ersten Syntagmas wird von den Hörern in den emotional gefärbten Phrasen entweder als eine dem Grad der Markierung der Silbe mit Phrasenakzent entsprechende Markierung oder als eine geringere Markierung (Markierung zweiten Grades) bewertet. In den im Sehnsuchtszustand gesprochenen Phrasen wurde im Vergleich zu den anderen emotionalen Zuständen in einigen Fällen eine Verringerung des Grades der Markierung der phrasenakzenttragenden Silbe festgestellt. 9. Parameter „Charakter der Markiertheit“ Die nach diesem Parameter gewonnenen Ergebnisse sind folgendermaßen zu differenzieren: a) für phrasenakzenttragende Silben; b) für Silben mit syntagmatischer Akzentuierung im Hauptsyntagma. Die Rangierung der drei Markierungskomponenten ist für jeden emotionalen Zustand in folgender Tabelle dargestellt:
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Tabelle 1 Rangcharakteristiken der perzeptorischen konnotativen Markiertheit der Silben in bezug auf die Parameter Lautstärke, Länge und Tonhöhe Parameter emotionaler Zustand Zorn Angst Freude Sehnsucht Unruhe
Lautstärke
Länge
Tonhöhe
1 1 3 2 –
2 2 1 1 1
3 – 2 3 2
10. Parameter „Lokalisation von Komponenten der Markiertheit in einer Silbe“ Nach den Ergebnissen der Höranalyse sind die nach diesem Parameter zu identifizierenden und mit der Ausspruchskonnotation zu vergleichenden emotionalen Zustände in zwei Gruppen einzuteilen. Die erste Gruppe schließt folgende emotionalen Zustände ein: Angst; Unruhe; Freude; Sehnsucht. Der Zustand Zorn wurde nicht identifiziert. Nach der Meinung der Probanden ist für diese Gruppe der emotiven Bedeutungen in allen Fällen der Silbenträger, d. h. der Vokal der Akzentsilbe, das markierte Element, unabhängig von der syntaktisch-semantischen Markiertheit dieser Silbe (Silbe mit Phrasenakzent oder mit syntagmatischem Akzent). Der Vergleich von in verschiedenen emotionalen Zuständen gesprochenen Phrasen zeigt, daß die Tonhöhenkomponente der Markiertheit in keinem der emotionalen Zustände als Hauptkomponente auftritt. Diese Besonderheit scheint deswegen interessant zu sein, weil gerade die Tonhöhenkomponente, d. h. die diskrete Änderung der Tonhöhenkontur in der Phrase, als Hauptcharakteristik der Phrasenakzentuierung in den konnotativ neutralen Phrasen dient. Die Komponente „Lautstärke“ ist als Hauptkomponente der Identifizierung des emotionalen Zustandes Zorn zu beobachten. Die Komponente „Länge“ charakterisiert die Silben der mit der Konnotation Sehnsucht gesprochenen Äußerungen. Für die Silben mit Phrasenakzentuierung, die mit der Konnotation Freude gesprochen wurden, ist in erster Linie die Markierung durch „Länge“ und „Lautstärke“ charakteristisch. Gleichzeitige Teilnahme von zwei Komponenten an der Markiertheit (Länge und Lautstärke) ist auch in den mit der Konnotation Unruhe gespro-
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chenen Phrasen zu finden. Aber in diesem Fall tritt die Lautstärke als Hauptkomponente auf. An der Markierung von mit der Konnotation Angst gesprochenen Silben einer Phrase sind nach Angaben der Hörer alle drei Markierungskomponenten beteiligt. Dabei ist oft die Lautstärke die Hauptkomponente. Die zweite Rangstelle nimmt die Tonhöhenkomponente und die dritte die Länge ein. Unter den in der Markierung von Silben innerhalb eines Syntagmas beteiligten Merkmalen ist das Vorhandensein folgender Tendenz zu beobachten: besonders „aktiv“ ist der Parameter „Länge“. Allen emotionalen Zuständen wurde bei diesem Parameter nur der Zustand Zorn gegenübergestellt. In den markierten Silben einer in diesem Zustand gesprochenen Phrase bezeichnen die Hörer gleichermaßen sowohl den Silbenträger (Vokal oder Sonant) als auch die ganze Silbe als markiertes Segment, d. h. es wurde die Markierung des konsonantischen Segments der Silbe hervorgehoben. 11. Parameter „Richtung und Charakter der Tonhöhenbewegung in den markierten Silben“ Stark fallende Tonhöhenbewegung an der phrasenakzenttragenden Silbe charakterisiert den Zorn-, Angst- und Unruhezustand. Fließend fallende Tonhöhenbewegung ist für den emotionalen Zustand Sehnsucht charakteristisch. In den im Freudezustand gesprochenen Phrasen ist sowohl gleichmäßig fallende Tonhöhenbewegung (besonders oft) als auch gleichmäßig steigende Tonhöhenbewegung zu beobachten. Dazu kam Information über die Richtung und den Charakter der Tonhöhenbewegung in den Silben mit der syntagmatischen Akzentuierung im Hauptsyntagma und in minimalen Syntagmen. Auf der Grundlage im Laufe des Experiments gewonnenen Angaben wurde eine Tabelle der konnotativen Bedeutungen und der wahrgenommenen prosodischen Merkmale zusammengestellt (Tab. 2). Anhand dieser Angaben lassen sich folgende Schlußfolgerungen ziehen: a) Es gibt eine maximale Zahl von prosodischen Unterschieden bei der Gegenüberstellung der emotiven Konnotationen Zorn – Sehnsucht. Diese konnotativen Bedeutungen sind nach allen zu analysierenden Parametern einander gegenübergestellt und bilden eine privative Opposition. b) Es gibt eine minimale Zahl von unterscheidenden Parameter, bei der Gegenüberstellung von a) Zorn (Wut) – Angst; b) Freude – Angst; c) Angst – Unruhe. Diese Oppositionen sind als gradual zu bezeichnen.
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Im Laufe der objektiven akustischen Untersuchung wurden folgende Parameter analysiert: 1. Grundtonfrequenz: – absolute Werte der Grundtonfrequenz (in Hz) im Rahmen einer Silbe; – Grundtonfrequenzintervalle innerhalb der Silben und an den Silbengrenzen; – Geschwindigkeit der Veränderung der Grundtonfrequenz innerhalb der Silben; – Verhältnis des Grundtonfrequenzniveaus der letzten akzentuierten Silbe zum Grundtonfrequenzniveau des Vorakzentteils in einem minimalen Syntagma; – Grundtonfrequenzbereich (absolut und relativ) des Vorkernteils11 und der ganzen Kadenz, einschließend Nachkernteil, im Rahmen eines minimalen Syntagmas; – Grundtonfrequenzbereich von Syntagmen (absolut und relativ); – Grundtonfrequenzintervall an den Syntagmagrenzen. 2. Dauer: – absolute Dauerwerte von jedem Segment des gesprochenen Satzes, weiter im Text der Phrase (in ms); – relative normierte Dauerwerte von jedem Segment der Phrase; – Mittelwerte der segmentalen Dauer im Rahmen jedes Syntagmas; – Dauerverhältnisse von jedem Segment innerhalb einer Silbe (in Prozent); – Dauerverhältnisse der Kernsilbe zu allen anderen Silben im Rahmen eines Syntagmas; – Dauerverhältnisse des Kernsilbenvokals zu den Vokalen aller anderen Silben; – Verhältnisse der Dauermittelwerte der unmarkierten Silben zu den Dauermittelwerten der markierten Silben; – Verhältnisse der Pausendauer zur ganzen Phrasendauer (in Prozent). 3. Intensität: – absolute maximale Intensitätswerte innerhalb jeder Silbe; – Verhältnis des maximalen Intensitätswerts jeder Silbe zum maximalen Intensitätswert des Syntagmas; – Verhältnis des Intensitätsmittelwerts und der Intensität der unmarkierten Silben zum Intensitätsmittelwert der markierten Silben.
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Die Kernsilbe ist die satzbetonte Silbe, die den semantischen Kern der Aussage (Rhema) bildet.
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Die akustische (instrumentale) Analyse des experimentalen Korpus ermöglichte es, prosodische Hauptparameter festzustellen, die mit ihren emotionalen und emotional-modalen Korrelaten in Wechselbeziehung stehen. Im folgenden sollen einige Beispiele angeführt werden. Die konnotative emotive Bedeutung Zorn ist durch folgende akustische Merkmale charakterisiert: Erhöhung der Grundtonfrequenzmittelwerte in der Phrase, Lokalisierung der maximalen Grundtonfrequenzwerte (F0) im Endteil der Phrase, steiler Fall von F0 im Nachtakt, Erscheinen von positiven intersilbischen Intervallen im Nachtakt. Für die konnotative emotive Bedeutung Freude ist folgendes charakteristisch: Erhöhung der Grundtonfrequenzmittelwerte in der Phrase, Erweiterung des Grundtonfrequenzbereichs, Verminderung des Wertes des Grundtonfrequenzintervalls vor der Silbe mit dem Phrasenakzent. Die konnotative emotive Bedeutung Angst ist durch Verringerung des F0Bereiches, der F0-Senkung in akzentuierten Silben und steilen F0-Fall im Nachtakt gekennzeichnet. Für die konnotativen emotiven Bedeutungen Trauer und Sehnsucht ist folgendes typisch: Verringerung des F0-Umfangs, Senkung der F0-Mittelwerte, Vorhandensein eines positiven Intervalls vor der Silbe mit Phrasenakzent. Aussagekräftig sind auch zeitliche (temporale) Parameter. Die Gesamtdauer der Phrase variiert in Abhängigkeit von der Zugehörigkeit der Äußerung zu einer Rederealisierung mit einer bestimmten konnotativen emotiven Bedeutung. Diese Variabilität hat einen individuellen Charakter, aber die Modifikationsrichtung läßt sich folgendermaßen beschreiben: a) Verkürzung der Gesamtdauer der Äußerung in der Richtung: Norm12 (tΣmax) – Rederealisierung von Angst (tΣmin); b) Verlängerung der Gesamtdauer der Äußerung in der Richtung: Norm (tΣmed) – Rederealisierung von Trauer, Sehnsucht, Freude, Zorn (tΣmax).
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In allen Fällen versteht man unter Norm die relativ emotionslose Rederealisierung der Äußerung.
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Abb. 1. Die zeitliche Modifikation des Parameters tΣ Diese Angaben lassen vermuten, daß bei diesem Parameter die sprechsprachlichen Realisationen von Trauer, Sehnsucht, Freude und Zorn besonders variabel sind; relativ konstant bleibt die Gegenüberstellung von Norm und Angst. Die sprechsprachliche Aktualisierung von Angst wird durch den minimalen Wert der Gesamtdauer der Phrase charakterisiert. Es muß betont werden, daß der Unterschied der Gesamtdauer der Phrase für die Norm und für die Realisierung des Angstzustandes recht groß ist. Der Übergang von der Norm zum Trauer- und Sehnsuchtszustand ist bei diesem Parameter dagegen kaum bemerkbar. Die Analyse der zeitlichen Verhältnissen zwischen vokalischen und konsonantischen Komponenten in jeder Phrase zeigt, daß anhand dieses Materials hauptsächlich folgende Tendenz zu beobachten ist: der Vokalismus ist durch größere zeitliche Anteile beim Trauer-, Sehnsuchts- und Freudezustand und der Konsonantismus durch größere zeitliche Anteile beim Angstzustand gekennzeichnet. Tabelle 3 Verhältnisse der normierten Werte der Gesamtdauer von Vokalen und Konsonanten in Phrasen (in %) Zustand Norm Trauer Freude Angst Norm Angst Norm Trauer Norm Angst
tΣ von Konsonanten 60 44 49 54 36 55 53 48 49 53
tΣ von Vokalen 40 56 51 46 64 45 47 52 51 47
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Der weitere Vergleich absoluter Werte der Dauer von Vokalen in allen Phrasen zeigt, daß die Veränderung der Gesamtdauer der Vokale eine bestimmte Richtung hat (siehe Tab. 4). Tabelle 4 Veränderung der Werte der Gesamtdauer von Vokalen (in ms) Norm 770 860 530 1070 930 740 600 580 820
emotionaler Zustand Trauer/ Freude Sehnsucht 1050 850 – – 610 – – – 1090 – 1010 – – – – 650 – – –
Angst 610 490 520 940 750 620 500 – 650
Auch anhand verschiedener Phrasen mit unterschiedlichen Phonemen war im ganzen die früher festgestellte Tendenz zu beobachten. Eine besonders regelmäßige Modifikation der Gesamtdauer von Vokalen (die Verkürzung ihrer Gesamtdauer) war für die Opposition Norm – Angst festzustellen. In der Opposition Norm – Trauer/Sehnsucht war eine Gegentendenz zu beobachten. Für den Vergleich von temporalen Charakteristiken der Realisierung von emotionalen Zuständen in der gesprochenen Sprache diente die mittere Dauer einer Silbe in der Phrase als Haupt- und Ausgangsparameter (ti). Die Angabenverteilung mit Rücksicht auf ihre Hierarchie zeigte, daß für die Modifikation von ti einer Silbe in verschiedenen emotional gefärbten Phrasen hauptsächlich die gleiche Tendenz charakteristisch war wie für die Modifikation von tΣ einer Phrase (siehe Tab. 5, 6).
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Tabelle 5 Temporale Charakteristiken (in ms) Phrase: „Hör mal, es kommt jemand ...“ („Послушай, кто-то идёт…“) emotionaler Zustand Norm Trauer Sehnsucht Freude Angst Norm Trauer Angst Norm Trauer Sehnsucht Angst
ti der Silbe 277 268 251 237 188 191 177 154 208 211 256 157
Tabelle 6 Temporale Charakteristiken (in ms) Phrase: „Ich fühle eine gewisse Aufregung ...“ („Я испытываю какое-то волнение…“) emotionaler Zustand Norm Freude
ti der Silbe (in ms) 135 160
Tabelle 7 Verteilung von Werten der mittleren Dauer einer Silbe (in ms) Phrasen 1 2 3
Sehnsucht 256 179 165
emotionaler Zustand Trauer Norm 211 208 174 164 157 153
Angst 157 124 110
In bezug auf temporale Modifikationen ist die Tempobeschleunigung für die Opposition Norm – Angst besonders ausgeprägt und stabil. Für die Opposition
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Norm – Trauer/Sehnsucht und Norm – Freude/Zorn ist sowohl eine Tempoverlangsamung als auch eine Tempobeschleunigung zu beobachten.
Abb. 2. Die zeitliche Modifikation des Parameters ti der Silbe Der Vergleich von Werten der absoluten Dauer der Silben mit dem Hauptakzent in beiden Syntagmen jeder Phrase zeigte, daß auch dieser Parameter die Differenzierung von Äußerungen nach der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen emotionalen Zuständen ermöglicht. Besonders regulär und bedeutsam sind die Dauerunterschiede für die Silben mit dem Hauptakzent in der Opposition Norm – Angst. Die obigen Angaben ermöglichen die Beobachtung der Dauerveränderung der zu analysierenden Silben in Abhängigkeit von der Zugehörigkeit der Phrase zur Realisierung von bestimmten emotionalen Zuständen. Es muß betont werden, daß die Verteilung dieser Angaben im großen und ganzen die Verteilung nach dem Tempo wiederholt. Die beobachteten Unterschiede gehören hauptsächlich zu den Dauerwerten der Silben mit der Phrasenakzentuierung (im zweiten Syntagma) bei der Realisierung von Sehnsucht, Trauer (siehe Tab. 8).
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Tabelle 8 Zeitliche Modifikationen der Silben (in ms) ti der Silbe mit Wortakzentuierung Norm – 277 Trauer – 268 Norm – 172 Sehnsucht – 147 Trauer – 164
ti der Silbe mit Phrasenakzentuierung Norm – 450 Trauer – 520 Norm – 310 Sehnsucht – 330 Trauer – 340
Der Vergleich von Dauerwerten (in %) von Konsonanten und Vokalen in den Silben mit Hauptakzentuierung zeigte, daß im Vergleich zur Norm die zeitliche Verlängerung eines Teils der konsonantischen Komponente bei der Realisierung von Angst (teilweise auch von Zorn) und die zeitliche Verlängerung der vokalischen Komponente bei der Realisierung von Trauer und Freude festzustellen waren. Der Vergleich der zeitlichen Parameter anhand verschiedener Phrasen erlaubt folgende Feststellungen: – zeitliche Charakteristiken können für die Differenzierung von Äußerungen bei der Berücksichtigung von konnotativen emotiven Bedeutungen angewandt werden; – die Werteveränderung der zeitlichen Parameter variiert in zwei Richtungen: in der Richtung der Vergrößerung beim Fehlen deutlicher emotionaler Konnotationen und in der Richtung der Kompression; – besonders reguläre und bedeutende Dauerverhältnisse nach allen analysierten physischen Parametern sind in der Gegenüberstellung Norm – Angst zu beobachten; – besonders variabel sind die Veränderungen der zeitlichen Charakteristiken nach allen analysierten Parametern in den Gegenüberstellungen Norm – Trauer/Sehnsucht; Norm – Freude/Zorn. In einer weiterer Etappe wurden die zeitlichen Dauerverhältnisse zwischen den Silben der letzten rhythmischen Struktur der Phrase /─ ┴ ─/ analysiert. Der Vergleich der Werte ließ folgende Tendenzen hervortreten: 1. Vorhandensein eines starken Wechsels der Silbendauer in einer rhythmischen Struktur der Phrase bei der Realisierung in der gesprochenen Sprache des Zornzustands; 2. Vorhandensein eines unbedeutenden oder fehlenden Wechsels der Dauer an den Akzent- und Nachakzentsilben bei der Realisierung in der gesprochenen Sprache von Trauer-, Wut-, Freude- und Angstzuständen (siehe Tab. 9).
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Tabelle 9 Typen der rhythmischen Struktur (RS) in einsyntagmatischen Phrasen und die Modifikation der Dauer von Silben (in ms) RS emotionaler Zustand
Trauer Zorn – Freude Zorn – Freude – Angst Angst
─
┴
─
390 340 230 220
400 370 350 280
400 370 350 270
Zorn Zorn Zorn Zorn
─
┴
─
230 290 390 220
390 380 400 350
350 300 280 240
Wenn die Werte des Verhältnisses der Dauer von Akzent- und Nachakzentsilben der letzten rhythmischen Struktur der Phrase bei der Realisierung von Trauer-, Zorn – Freude- und Angstzuständengleich sind (1,0), so ist das Verhältnis von entsprechenden Werten bei der Realisierung des Zornzustandes durchschnittlich 1,3. Auf ähnliche Weise werden die Werte des zeitlichen Wechsels für folgende rhythmische Strukturen verglichen: ┴ ─ (im ersten Syntagma), ─ ┴ (im zweiten Syntagma). Die Verteilung von Werten in Untergruppen ermöglichte es, den Vergleich von Silben durchzuführen (siehe Tab. 10). Tabelle 10 Typen der rhythmischen Struktur (RS) und die Modifikation der Dauer von Silben (in ms) in zweisyntagmatischen Phrasen RS emotionaler Zustand Norm Trauer Zorn Angst
┴ ─ 235 290 270 200
─ ┴ 225 260 190 160
255 285 220 220
355 410 360 357
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Diese Angaben entsprechen folgenden Wertverhältnissen in bezug auf zeitliche Intervalle zwischen betonten und unbetonten Silben für RS ┴ ─ und ─ ┴ in Kadenzsegmenten:
Norm Trauer Zorn Angst
┴─ ≈ 1,0 ≈ 1,1 ≈ 1,4 ≈ 1,3
─┴ ≈ 1,4 ≈ 1,4 ≈ 1,6 ≈ 1,6
Alle Werte lassen sich in zwei Gruppen einteilen: a) b)
Norm, Trauer; Zorn, Angst.
Für die Realisierung des zeitlichen Wechsels in den rhythmischen Kadenzstrukturen der analysierten Phrasen ist entweder gleichmäßige Verteilung der Dauer zwischen betonten und unbetonten Silben charakteristisch, oder es ist ein starker Unterschied zwischen unbetonten und betonten Silben festzustellen. Die gleiche Untersuchung wurde anhand von englischem und deutschem Material durchgeführt. Dadurch konnten sowohl spezifische als auch universale Merkmale von mit emotionalen und emotional-modalen Komponenten der Äußerung verbundenen paraverbalen (konnotativen) Bedeutungen bestimmt werden. Die vergleichende Analyse stellte auffällige Ähnlichkeiten von prosodischen Äußerungscharakteristiken in der Dichotomie folgender emotionaler Merkmale fest: stark – schwach, positiv – negativ. Die größte Ähnlichkeit von prosodischen Merkmalen zeigen die emotiven Konnotationen Zorn (Wut), Freude, Angst. Starke emotionale Konnotationen wie Freude, Zorn (Wut), Angst werden in den analysierten Sprachen (Russisch, Deutsch, Englisch) eindeutig durch folgende Parameter charakterisiert: – Erhöhung der Mittelwerte der Grundtonfrequenz; – Erweiterung des Grundtonfrequenzbereichs; – Lokalisierung der maximalen Grundtonfrequenzwerte (F0) in der Phrase; – Änderung der F0-Kontur; – Grad der Markierung akzentuierter Silben. Dazu gehören auch Parameter wie die Geschwindigkeit der F0-Veränderungen in der ersten akzentuierten Silbe und in der Kernsilbe der Phrase sowie zwischensilbige Intervalle in der Kadenz (in den Vorkern-, Kern- und Nachkernsilben).
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Die gleichen Parameter nehmen an der Realisierung der Phrasenprosodie mit Konnotationen asthenischen Charakters teil. Ihr Ausdruck hat aber in der Regel eine Gegenmarkierung. So ist zum Beispiel für die prosodische Organisation der Phrase mit der emotionalen Konnotation Trauer Tempoverlangsamung, Verringerung des F0-Bereiches, F0-Senkung, schwache Markierung oder Fehlen der Markierung von Akzentsilben sowie Fehlen der zickzackartigen F0Kontur typisch. Der universale Charakter der prosodischen Organisation von Redeäußerungen nach dem Prinzip „stark ausgedrückte emotionale Konnotation – schwach ausgedrückte emotionale Konnotation“ und „positive emotionale Konnotation – negative emotionale Konnotation“ ist verbunden mit der auf der Gegenüberstellung von motorischen Prozessen beruhenden Stimmimik (verstärkte – schonende Stimmbildung). Problematischer ist es mit den konnotativen Bedeutungen, die auf Grund ihres sthenischen oder asthenischen Erscheinens nicht mit dem oben erwähnten Mechanismus des kontrastiven Erscheinens von positiven und negativen Faktoren verbunden sind. Wenn die Emotionalität nicht deutlich genug ausgedrückt und dem modalen Ausdruck untergeordnet ist, ist es komplizierter, die der jeweiligen Konnotation eigenen universalen und spezifischen Merkmale prosodischer Parameter festzustellen. Deshalb wurde der Versuch unternommen, Erscheinungen dieser Art am Beispiel der imperativen Konnotation zu analysieren, weil sie direkt beobachtet werden kann. Die Ergebnisse der Hör- und Instrumentalanalyse führten zur Feststellung, daß zu den besonders invarianten prosodischen Mitteln des Ausdrucks der imperativen modalen Konnotation Melodik, Lautstärke, Pausierung und akzentuelle Markierung gehören. Dabei sind die Modifikation von diesen Merkmalen und ihre Beziehungen von Bedeutung. Aber das „Gewicht“ jedes dieser Merkmale bei der Wiedergabe dieser Konnotation hat einen rein sprachlichen Charakter. Beim Vergleich der Rolle der Pausierung in der Bestimmung der imperativen Konnotation für die Sprechenden mit Deutsch bzw. Russisch als Muttersprache können folgende Schlußfolgerungen gezogen werden: Für die Deutschen war das Merkmal „Pausierung“ bei der Identifikation der imperativen Konnotation im Text überflüssig; für die Russen dagegen stellte die Pausierung ein wichtiges Ausdrucksmittel der konnotativen Bedeutungen Flehen, Befehl und Bitte dar. Was das Tempo betrifft, so besteht die Meinung, daß eine Äußerung mit der kategorischen Konnotation durch ein beschleunigtes Tempo charakterisiert sein kann. Aber in unserer Untersuchung wurde diese Meinung nicht bestätigt. Temporale Charakteristiken waren für die deutschen Muttersprachler ebenfalls überflüssig. Für die russischen Muttersprachler war der Rückgriff auf die wahr-
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genommenen Tempoveränderungen nur für die Konnotationen Flehen, Bitte, Forderung, Bedrohung charakteristisch. – Flehen → mittleres/beschleunigtes Tempo – Bitte → mittleres Tempo – Forderung → zunehmendes Tempo – Bedrohung → verlangsamtes/mittleres Tempo Der Parameter „Lautstärke“ war auch sehr informativ. Bei der Wahrnehmung durch die deutschen Muttersprachler wurde die Lautstärke im Verhältnis zum Vorhandensein der einen oder anderen Abart der imperativen Konnotation betrachtet. Die modale Konnotation Flehen wird bei ihnen im Verhältnis zur Dynamik und Variabilität der subjektiven Lautstärke gesehen. Die Konnotation Bitte wird durch geringe und mittlere Lautstärke, die Konnotation Forderung durch Vergrößerung der Lautheit und durch mittlere Lautstärke, die Konnotation Befehl durch maximale Lautstärke, die Konnotation Bedrohung durch Vergrößerung der Lautstärke und durch mittlere Lautstärke charakterisiert. Für die russischen Muttersprachler wird die Konnotation Flehen und Bitte in einen Zusammenhang zu geringer und mittlerer Lautstärke sowie zur Verbindung der mittleren mit der zunehmenden Lautstärke gestellt. Die Konnotation Forderung ist durch größere subjektive Lautstärke als die Konnotation Befehl charakterisiert. Das fällt nicht mit der entsprechenden Erscheinung im Deutschen zusammen, wo die modale Konnotation Befehl im Zusammenhang mit der maximalen Lautstärke steht. Deshalb steht die Konnotation Befehl bei den russischen Muttersprachlern nicht im Zusammenhang mit größerer Lautstärke, der Spannung der Artikulation und der Phonation. Der Parameter der Verteilung von markierten Silben in einer Äußerung kann als ein bedeutendes phonetisches Mittel für die Wiedergabe von modalen Konnotationen für alle imperativen Arten bestimmt werden. Dabei wird dieser Parameter zum Hauptparameter für die Deutschen und in der Kombination mit der Lautstärke auch für die Russen. Die meisten zwischensprachlichen Ähnlichkeiten sind bei den Deutschen und den Russen in bezug auf die Identifikation der Konnotationen Flehen, Bitte, Forderung zu beobachten. Unterschiede sind für die Höridentifikation der Konnotation Befehl charakteristisch. Für die Deutschen ist in den Phrasen mit den modalen Konnotationen Bitte, Forderung, Befehl die Orientierung auf stark markierte Silben charakteristisch. Bei den Russen kann die modale Konnotation Befehl mit schwachem, mittlerem oder starkem Grad der Markierung beobachtet werden. Ein ähnliches Bild ergab sich bezüglich des Parameters „Lautstärke“. Aber in dieser Reihe nimmt die Konnotation Bedrohung eine besondere Stellung ein, weil sie durch starke silbische Markierung ausgedrückt wird. Beachtenswert ist für die Identifikation von modalen Konnotationen auch der Parameter der Tonhöhe, d. h. die melodische Komponente der Äußerung.
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Für die prosodische Darstellung der Konnotation Flehen ist im Deutschen der mittlere Tonhöhenbereich charakteristisch; für die Konnotation Bitte der engere, mittlere und der sich erweiternde Bereich; für die Konnotation Forderung der mittlere und der sich verengende Bereich; für die Konnotation Befehl der mittlere, sich erweiternde Bereich; für die Konnotation Bedrohung der mittlere Bereich. Für das Russische wurden spezifische Merkmale der modalen Konnotation Forderung (mittlerer Tonhöhenbereich mit Erweiterungstendenz) und der Konnotation Befehl (enger Tonhöhenbereich) festgestellt. Die Besonderheit der Wahrnehmung von konnotativen modalen Bedeutungen von Äußerungen ist der Zonencharakter der zu identifizierenden Konnotationen, die sich nach dem Prinzip der semantischen Nähe der Bezeichnungen vereinigen lassen, zum Beispiel: a) Weisung, Anordnung, Aufforderung, Befehl, Direktive; b) Bitte, Flehen, Überredung; c) Warnung, Drohung; d) Erlaubnis, Einladung, Einverständnis. Trotz der Gemeinsamkeit bestimmter Zonen war bei der Wahrnehmung und Identifikation von konnotativen modalen Bedeutungen sprachliche Individualität zu beobachten. Die meisten Übereinstimmungen in der Bestimmung des Konnotationstyps waren für die Russen und Deutschen bei der Bewertung der Konnotationen Flehen und Befehl charakteristisch. Die meisten Unterschiede waren bei der Bewertung der Konnotationen Bitte und Forderung zu beobachten. Sogar beim Zusammenfall der Klassifikation von Konnotationen kann ein Vorhandensein sprachlicher Schattierungen beobachtet werden. So ist die konnotative Bedeutung Flehen bei den Deutschen mit mehr Nachdruck verbunden. Die konnotative Bedeutung Bitte enthält bei den Deutschen Elemente der Entschuldigung, Wunsch nach Aufmerksamkeit. Diese Äußerung wird von Russen teilweise mit der Konnotation flehentliche Bitte und teilweise Forderung wahrgenommen, was mit Nachdruck und Entschiedenheit verbunden ist. Bei der Bewertung der modalen Konnotation Forderung waren auch sprachliche Unterschiede zu beobachten: mehr Entschiedenheit für die Russen, weniger für die Deutschen. Ähnliche Unterschiede lassen sich in der Konnotation Befehl beobachten. Für die Russen ist sie mit Forderung verbunden, für die Deutschen mit der Schattierung von Bedrohung. Diese sprachlichen Unterschiede in der Interpretation imperativer Konnotationen müssen in der mündlichen Textinterpretation, angewandt auf das Russische und Deutsche, berücksichtigt werden. Charakteristisch ist auch der Vergleich des prosodischen Ausdrucks der modalen Konnotation bei neutraler (sachlicher) Faktendarstellung einerseits
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und ihrer kategorischen Bestätigung oder Widerlegung andererseits. Für diese konnotativen Bedeutungen wurden Angaben im Russischen, Englischen und Deutschen gesammelt, die den Schluß erlauben, daß die genannten konnotativen Bedeutungen hinsichtlich ihrer prosodischen Charakteristiken mehr Gemeinsamkeiten haben als Unterschiede. Gleich ist der für die modale Konnotation der neutralen (sachlichen) Faktendarstellung und ihrer kategorischen Bestätigung oder Widerlegung festgestellte Kontrast bezüglich einer Reihe prosodischer Parameter (integrale Intensität, maximale Werte der Intensität in einer Äußerung, Bereich der Tonhöhenfrequenz der Äußerung, Tonhöhenmaximum in der Silbe mit Hauptakzentuierung, ihre Dauer usw.). Aber neben der allgemeinen Konfiguration von prosodischen Parametern (ihrer Vergrößerung für alle obenerwähnten Charakteristiken der konnotativen Bedeutung der Entschiedenheit) wird auch das Vorhandensein von feinen Divergenzen beobachtet, die in der Veränderung von Verhältnissen zwischen den Größen dieser sprachlichen Charakter tragenden Parameter ausgedrückt werden. So ist zum Beispiel beim Parameter der integralen Intensität in der Äußerung, die neutral (sachlich) oder mit kategorischer Bestätigung oder Widerlegung realisiert wurde, der größte Kontrast für das Russische typisch, der mittlere für das Englische, der minimale für das Deutsche. Die meisten Ähnlichkeiten beim Parameter „Tonhöhe-Bereich“ haben die Realisationen der analysierten konnotativen modalen Bedeutungen im Russischen und Englischen. Die melodische Organisation der Äußerung mit der neutralen (sachlichen) Konnotation und der deutlich ausgedrückten modalen Entschiedenheit wird in diesen Sprachen durch den melodischen Kontrast charakterisiert, der im Deutschen fast nicht zu beobachten ist. Erstens ist im Deutschen der melodische Bereich im ganzen viel enger als im Englischen und im Russischen und zweitens ist die Erweiterung des melodischen Bereiches einer Äußerung für die Wiedergabe der konnotativen Bedeutung der modalen Entschiedenheit bezüglich ihrer Größe nicht so deutlich und nicht so wesentlich. Das letztere ergibt den spezifischen Charakter der kategorischen Entschiedenheit im Deutschen. Es muß auch noch die prosodische Darstellung der konnotativen Bedeutung Dringlichkeit erwähnt werden. Die Untersuchung der prosodischen Korrelate dieser konnotativen Bedeutung im Deutschen hat gezeigt, daß im Vergleich zur neutralen (sachlichen) Realisation der Äußerung die konnotative Bedeutung der modalen Dringlichkeit durch einige Merkmale charakterisiert ist: – Zunahme der F0-Werte der Silbe mit Phrasenakzentuierung; – Erweiterung des F0-Bereiches der Äußerung;
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– – –
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Erhöhung der Tonhöhe; Erhöhung von F0 am Anfang der Äußerung; Vergrößerung des intrasilbischen F0-Intervalls im Rahmen der Silbe mit Phrasenakzentuierung; – Beschleunigung der Geschwindigkeit der F0-Bewegung in den markierten Silben; – F0-Kontrast zwischen markierten und unmarkierten Silben; – Erweiterung des Gesamtbereiches der Intensität in der Äußerung, Vergrößerung der Dauer der markierten Silben im Vergleich zu unmarkierten Silben. In diesem Zusammenhang kann man also feststellen, daß konnotative emotive und modale Bedeutungen durch prosodische Merkmale (melodische, temporale und dynamische) charakterisiert werden, was unmittelbar mit der suprasegmentalen Realisation der Äußerung verbunden ist. Dabei wird dieses System von Paralinguismen von unserem Standpunkt aus in zwei Subsysteme eingeteilt: a) emotionale Paralinguismen, die mit eindeutig bestimmten Emotionen wie Wut, Angst, Freude und den entsprechenden emotiven konnotativen Bedeutungen verbunden sind; b) modale Paralinguismen, die zu verschiedenen emotional modalen konnotativen Bedeutungen mit weniger diskretem Charakter gehören (zum Beispiel kategorische Entschiedenheit, Dringlichkeit, Interessiertheit usw.). Die beiden Subsysteme enthalten eine Reihe von prosodischen Parametern, mit deren Hilfe die eine oder andere konnotative Bedeutung identifiziert werden kann. Neben den suprasegmentalen Subsystemen der sprechsprachlichen Paralinguismen wurden auch segmentale Subsysteme untersucht. In diesem Zusammenhang wurden spektrale und spektral-zeitliche Parameter des Vokalismus und Konsonantismus analysiert. Dadurch gewinnt man zusätzliche Bedeutungsnuancen, Bedeutungsfärbungen, die das System der Paralinguismen bilden. Die Ergebnisse der Untersuchung erlauben es, einerseits das Vorhandensein eines direkten Zusammenhangs zwischen dem Vorhandensein/Fehlen einer konnotativen Bedeutung und andererseits dem Vorhandensein/Fehlen bestimmter akustischer Korrelate auf der segmentalen Ebene festzustellen. Den besonders informativen Parametern soll eine Reihe von Parameterwerten zugeschrieben werden: Umformung des Vokalspektrums (Verschiebung der Spektralenergie in den Bereich der niedrigen oder hohen Frequenzwerte, Erweiterung oder Verengung des spektralen Bildes von Vokalen, geräuschartiger Charakter des spektralen Bildes von Vokalen, Veränderung des
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Energievolumens von Formantbereichen der Vokale und stimmloser Frikativlaute, Vorhandensein/Fehlen zusätzlicher Frequenzwerte im Lautspektrum). So entspricht z. B. der Gegenüberstellung der konnotativen Bedeutungen „neutrale (sachliche) Äußerung – Äußerung im Zornzustand“ auf der segmentalen Ebene der Kontrast „Vokalismus – Konsonantismus“ in einer Äußerung, was mit forcierter Stimmbildung (vox ergotropica), Erhöhung der Muskelspannung und verstärkter Motorik verbunden ist. Infolgedessen nimmt der Anteil der konsonantischen Komponenten in der Äußerung stark zu. Es ist eine Umformung der spektralen Struktur des Vokalismus zu beobachten. Dabei ist das Vorhandensein der Verschiebung der Spektralenergie zum hohen Frequenzbereich (höher als 4 KHz) charakteristisch. Gleichzeitig findet eine Erweiterung der Spektralbereiche sowohl auf der Frequenz-, als auch auf der Zeitskala statt. Es ist eine Verstärkung der Intensität von spektralen Vokalgebieten im hohen Teil der spektralen Skala zu beobachten, die aber semantisch relevante spektrale Bereiche der Vokalrealisation einer Äußerung nicht beeinflußt. Dazu gehört auch die Verstärkung der Intensität hochfrequenter spektraler Anteile von stimmlosen Frikativen und Plosiven. Die genannten Parameter sind hauptsächlich für die konnotative Bedeutung Freude charakteristisch. Aber es gibt auch einen großen Unterschied in bezug auf die Gegentendenz, die in der Verengung von Spektralbereichen und der Abschwächung der Energie von Hochfrequenzbereichen des Spektrums bei der Realisation stimmloser Frikative und Plosive besteht. Für die Realisation der konnotativen Bedeutung Angst wurde der Kontrast für die Opposition „vokalischer Inhalt – konsonantischer Inhalt“ festgestellt. Das zweite Glied der Opposition ist markiert. Es wurde auch eine Umformung der spektralen Struktur des Vokalismus in Richtung größerer Geräuschwerte beobachtet, das bedeutet die Verschiebung der Spektralenergie in Richtung höherer Resonanzfrequenzen und das Erscheinen spektraler Anteile des Turbulenzgeräusches. Außerdem wurde eine bedeutende Vergrößerung der Intensität von spektralen Hochfrequenzbereichen bei der Realisation stimmloser frikativer und entsprechender plosiver Konsonanten festgestellt. Das Gegenbild, die Verengung von Spektralbereichen und Verminderung der Intensität im Hochfrequenzbereich, ist bei der Realisation der konnotativen Bedeutung Trauer zu beobachten. Alle genannten Charakteristiken waren für sprechsprachliche Realisationen von Äußerungen im Russischen, Englischen und Deutschen ähnlich, was auf ihren gemeinsamen ursächlichen Produktionsmechanismus hinweist. Die dominierenden emotiven/konnotativen Bedeutungen Zorn (Wut), Freude, Angst korrelierten nach dem Vorhandensein der sie unterscheidenden akustischen Charakteristiken mit untergeordneten konnotativen Bedeutungen wie
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Unzufriedenheit, Verurteilung, Schadenfreude, Zufriedenheit, Wohlwollen, Minderwertigkeit, Verschlossenheit.
II.4. Klassifikation der emotiven Sprecheinheiten Im großen und ganzen muß betont werden, daß suprasegmentale und segmentale Subsysteme sprechsprachlicher Paralinguismen mit den psychologischen und physisch-physiologischen Kategorien „positiv – negativ“, „stark – schwach“ korrelieren, die ihrerseits ihren Ursprung in den zwei kardinalen Dichotomien „Ich und der Kommunikationspartner“ sowie „Ich und die Umwelt“ (Realität, Situation, Ereignisse) haben. Im ersten Fall werden die durch die Mittel der sprechsprachlichen Paralinguistik realisierten konnotativen Bedeutungen auf der Basis von Mechanismen des zwischenmenschlichen Umgangs wie „Sympathie – Antipathie“, „Billigung – Mißbilligung“ produziert. Im zweiten Fall werden alle Ereignisse, Situationen usw. vom Sprecher (vom Adressanten) als „erwünscht – unerwünscht“, „günstiges – ungünstiges Endergebnis“ bewertet. Jeder der Anteile der Opposition „Sympathie – Antipathie“ (in bezug auf die Dichotomie „Ich und der Kommunikationspartner“) steht mit einer Reihe von konnotativen Bedeutungen im Zusammenhang: a) Sympathie = Billigung, Achtung, Ehrfurcht, Kommunikationsfreude, Zuvorkommenheit in der Behandlung, Hilfsbereitschaft, Offenheit, Kommunikationsfreude, Freundlichkeit, Zärtlichkeit, Liebe usw.; b) Antipathie = Mißbilligung, Verachtung, Mißachtung, Geringschätzung, Unzufriedenheit, Verschlossenheit, Voreingenommenheit, Vorurteil, fehlende Freude in der Kommunikation, die in den Erregungs-, Zorn-, Zorn(Wut-), Schadenfreude-, Haß-, Skepsis-, Sarkasmus-, Abscheuzustand übergehen kann. Wenn für die erste Komponente „Sympathie“ im Rahmen der Dichotomie „Ich und der Kommunikationspartner“ der emotionale Kernzustand Freude festgestellt werden kann, dann können alle spezifischen sprechsprachlichen Merkmale, das heißt das Inventar von suprasegmentalen und segmentalen Paralinguismen, die für den Freudezustand typisch sind, auf alle anderen untergeordneten Nominationen dieses konnotativen Feldes extrapoliert werden. Der Paralinguismensatz ist folgendermaßen zu charakterisieren: – erweiterter melodischer Umfang; – Erhöhung des mittleren melodischen Niveaus; – erweiterter dynamischer Umfang; – Fehlen der melodischen Monotonie, das heißt melodische Mannigfaltigkeit der Redeäußerung;
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Dominieren der vokalischen Komponente im Vergleich zur konsonantischen Komponente; – Vorhandensein der Tendenz zur Verlangsamung des Tempos; – Erscheinen von Timbre bei den Vokalen, das mit Stimmerkmalen wie „klangvoll“, „silberhell“, „fließend“, „durchsichtig“, „samtig“ usw. im Zusammenhang steht. Alle erwähnten sprechsprachlichen Paralinguismen können nach dem Grad ihrer Ausdruckskraft unterschieden werden: vom maximalen Erscheinen aller Komponenten bei einer starken Erscheinungsform der konnotativen Bedeutungen „Sympathie“ bis zu ihrer minimalen Realisierung. Relativ stabil bleiben die physikalischen und perzeptorischen Merkmale dieses konnotativen Feldes. Wenn das konnotative Feld „Antipathie“ in Betracht gezogen wird, dann kann auch hier über das Vorhandensein von spezifischen Merkmalen gesprochen werden, die mit „Unzufriedenheit“ als Grundzustand verbunden sind, was die Feststellung von folgenden Merkmalen dieses konnotativen Feldes erlaubt: – verengter (erweiterter) melodischer Umfang; – verengter (erweiterter) dynamischer Umfang; – Tendenz zur melodischen Monotonie; – Vorhandensein der melodischen Mannigfaltigkeit; – Übergewicht der konsonantischen Komponente im Vergleich zur vokalischen Komponente; – Realisation von Timbre bei den Vokalen mit Merkmalen wie Gedämpftheit, Fahlheit, Geräuschhaftigkeit, Knirschen, Metall u. a. In diesem Fall kann auch über den Unterschied zwischen „starken“ und „schwachen“ konnotativen Bedeutungen gesprochen werden, was mit der Ausdrucksstärke der genannten Merkmale korreliert. Die Dichotomie „Ich und die Umwelt“ enthält auch eine große Zahl von Derivaten, die ihrerseits in zwei große Klassen eingeteilt werden können: „Vorhandensein von Interesse“ – „Fehlen von Interesse“. Das Vorhandensein von Interesse ist mit dem Aufregungsmechanismus verbunden, der zu einer Reihe von konnotativen Bedeutungen führen kann: Hoffnung, Freude, Interessiertheit, Vergnügen, Entzücken, Genuß, Begeisterung usw. Im Gegensatz dazu ist das Fehlen von Interesse mit konnotativen Bedeutungen wie Gleichgültigkeit, Teilnahmslosigkeit, Unzufriedenheit, Trauer, Sehnsucht usw. verbunden. Das konnotative Feld „Vorhandensein von Interesse“ in der Dichotomie „Ich und die Umwelt“ wird durch dieselben sprechsprachlichen paraverbalen Merkmale charakterisiert wie das konnotative Feld Sympathie in der Dichotomie „Ich und der Kommunikationspartner“. Dieser prinzipielle Zusammenhang ist wahrscheinlich mit dem universalen Aufregungsmechamismus verbunden. Dementsprechend besteht viel Gemeinsames zwischen den sprechsprachlichen Paralinguismen in den konnotativen Feldern „Antipathie“ und
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„Fehlen von Interesse“. Aber wenn im ersten Fall die beiden Mechanismen der Hemmung und Aufregung beteiligt sind, dominiert im zweiten Fall der Hemmungsmechanismus als Hauptmechanismus, was zu entsprechenden physikalischen und wahrgenommenen Merkmalen führt. Zu diesen können folgende Merkmale gehören: verlangsamtes Tempo, enger melodischer Bereich, schwache Markierung akzentuierter Silben, Tendenz zur monotonen Melodik, „farbloses“ Timbre der Vokale u. a. Die genannten sprechsprachlichen Paralinguismen haben einen universalen allgemeinbiologischen, physiologischen und psychologischen Charakter, was ihre Dekodierung im Kommunikationsakt und bei der Interpretation mündlicher Äußerungen beim Dolmetschen aus einer Sprache in eine andere wesentlich erleichtert. Ihre adäquate Interpretation setzt aber Kenntnisse der Merkmale aller konnotativen Bedeutungen voraus. Es gibt auch zwischensprachliche Unterschiede, die hauptsächlich zu feineren strukturellen Verhältnissen wie maximale melodische Werte in den Silben mit Phrasenakzentuierung, intrasilbische melodische Veränderungen, maximale und minimale Energieteile einer Redeäußerung sowie zeitliche Realisation von Silben und ihren Anteilen gehören. Bei allen Gemeinsamkeiten der steigend-fallenden Konfiguration der Tonhöhe in einer Äußerung für alle zu analysierenden Sprachen wird die Tonhöhenbewegung in verschiedenen Teilen der Äußerung differenziert: Für das Russische sind hauptsächlich intersilbische melodische Modifikationen charakteristisch, für das Deutsche und Englische sind intrasilbische Modifikationen typisch. Es wurde festgestellt, daß die mit emotionalen Zuständen wie Wut, Angst, Freude, Zufriedenheit, Unzufriedenheit, Sehnsucht, Trauer verbundenen konnotativen Bedeutungen für die drei Sprachen durch Muttersprachler am eindeutigsten identifiziert wurden. Weniger eindeutig wurden die konnotativen Bedeutungen Interessiertheit, Schadenfreude, Durchsetzung, Bitte identifiziert. Noch weniger eindeutig wurden die konnotativen Bedeutungen Billigung, Mißbilligung, Spott, Unzufriedenheit, Ehrfurcht identifiziert. Diese Ergebnisse zeigen, daß die Identifikation von konnotativen Bedeutungen in erster Linie nach der Ausdrucksstärke („stark“ – „schwach“) und erst dann nach dem Prinzip „positiv“ – „negativ“ klassifiziert wird. Eindeutig mit hohem Grad der Wahrscheinlichkeit werden starke positive und starke negative konnotative Bedeutungen identifiziert. Alle gewonnenen Ergebnisse gehören zum allgemeinen Typ der verbalen Paralinguismen. Was die nonverbale Komponente der Kommunikation betrifft, so muß betont werden, daß in dieser Richtung viel weniger geforscht wurde. Es wurde von uns ein kleines Experiment durchgeführt, an dem deutsche Probanden beteiligt waren. Dabei wurden konnotative Bedeutungen verschiedener
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imperativer Handlungen in Betracht gezogen: Flehen, Bitte, Einladung, Ermahnung, Vorschlag, Erinnerung, Forderung, Hinweis, Befehl. Bei der Untersuchung von nonverbalen Komponenten der Kommunikation ist auf folgendes hinzuweisen: Zur Zeit wird die Kommunikationskette aus Sicht der Konzeption betrachtet, laut der In- und Output einer verbalen Mitteilung nur ein Teil des Kommunikationsprozesses ist. Bei der Wiedergabe einer Mitteilung wird neben einem akustischen auch ein visueller Kanal verwendet, durch den nicht nur verbale, sondern auch paraverbale (extraverbale) Information übermittelt wird. Das Kommunikationssystem ist eine Ganzheit, die aus verbalen und nonverbalen Kanälen besteht. In der Redesituation wirken diese Kanäle nach bestimmten Regeln zusammen. Im Laufe unseres Experiments wurden nonverbale Paralinguismen, die mit den genannten konnotativen imperativen Bedeutungen korrelieren, festgestellt und beschrieben. Es folgen einige Beispiele, die das Vorhandensein von nonverbalen Paralinguismen zeigen, die für Deutsche typisch sind. a) Konnotative Bedeutung Warnung: Die Hand ist auf den Kommunikationspartner gerichtet, die Handfläche ist nach oben gerichtet, der Zeigefinger ist seitwärts gestellt, die anderen Finger sind zur Handfläche umgebogen. Die Hand macht schwankende senkrechte Bewegungen. b) Konnotative Bedeutung Bitte: auf die Brust gedrückte Hand; die Finger auf der Brust sind verflochten; Blick in die Augen. c) Konnotative Bedeutung Bedrohung: Der Zeigefinger ist gerade oder halb gekrümmt, die anderen sind zur Handfläche hin gebogen, einmalige Hinund Herbewegung; der Zeigefinger ist gerade, die Handfläche ist auf den Sprechenden gerichtet, Handschwankungen von sich weg und zu sich hin. d) Konnotative Bedeutung Flehen: Handflächen sind vor der Brust gekreuzt; der obere Körperteil ist nach vorne gebeugt; der Kopf ist ein bißchen nach hinten gezogen, Blick in die Augen. Unsere Untersuchungsergebnisse fallen mit anderen Ergebnissen zusammen (z. B. Blinušova 1994). Die genannten nonverbalen Paralinguismen wurden in diesem Fall zusätzlich und verstärkend verwendet. Im Laufe unseres Experiments wurden auch Geschlechtsunterschiede beobachtet. Verbale Paralinguismen von Frauen wurden durch nonverbale Paralinguismen (Achselzucken, Lächeln, koketter Blick durch Augenaufschlag usw.) ergänzt. Es ist zu unterstreichen, daß nonverbale Paralinguismen zu einer genaueren Dekodierung des Sinnes einer Redeäußerung im Kommunikationsakt beitragen. Sie ergänzen und präzisieren die durch verbale Mittel wiedergegebenen konnotativen Bedeutungen. Die Texttätigkeit (Chaleeva 1989) ist eine der komplexesten menschlichen Tätigkeiten, die in sich eine Reihe von Prozessen einschließt, deren Natur erst
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vor kurzem infolge der Durchführung komplexer wissenschaftlicher Untersuchungen klar wurde. Es ist bekannt, daß nur ein direkter Zugang zu dem zu untersuchenden Objekt unter Berücksichtigung aller seiner Verbindungen unsere Kenntnisse und Vorstellungen von diesem Objekt erweitern kann. Die allseitige Analyse dieses Objektes und die Feststellung seiner vielfältigen Aspekte ist eine der Hauptaufgaben der Untersuchungen in diesem Bereich. Untersuchungen, die sich auf die gesprochene Sprache als Objekt beziehen, werden schon lange im Rahmen verschiedener Wissenschaften wie z. B. Psychologie, Psycholinguistik, Physiologie, Logopädie, Phonetik, Phonologie, Radiotechnik, Informationswissenschaft und andere durchgeführt. Aber heutzutage hat sich die Herangehensweise bei der Untersuchung des Kommunikationsaktes geändert: vom rein linguistischen zum globalen, kommunikativen, kognitiven, psycholinguistischen, neurolinguistischen, soziolinguistischen und kulturologischen Zugang. Im Zusammenhang mit dieser wesentlichen Erweiterung des Gebiets der Kenntnisse von der Sprechtätigkeit entsteht ein integratives Forschungsgebiet: die „Sprechkunde“. Der Begriff „Sprechkunde“ umfaßt das System der gesprochenen Sprache im ganzen und nicht nur die Seite, die sich mit der Wiedergabe der verbalen Information mittels der akustischen Welle befaßt. Deshalb ist der Begriff „Sprechkunde“ nicht mit dem Begriff „Phonetik“ im traditionellen Sinne identisch. Der Phonetiker strebt nach Beschreibung der lautlichen und intonatorischen Struktur der sprachlichen Kommunikationsmittel. Der Ausgangspunkt für einen Sprechforscher ist das Individuum, sein Zustand, die Ursachen seines Kommunikationsanlasses, seine Motivation und auch alle Verfahren, die man im Kommunikationsakt verwendet. Infolgedessen ist die Sprechkunde enger mit der Psychologie, Pragmatik und Semiotik verbunden. Der Sprechforscher interessiert sich dafür, wie die Menschen kommunizieren, was sie machen, wenn sie zuhören und sich miteinander unterhalten, wenn sie denken und sprechen, hören und verstehen. Eine große Rolle spielt ein Kettenglied des kommunikativen Vorhabens, das seinerseits das nächste Kettenglied bestimmt: die Wahl des Neuroprogramms. Die gesamte Aufbaustrategie des Sprechprogramms umfaßt das Planen einer sprachlichen Äußerung, dessen Ergebnis bestimmte motorische Unterprogramme sind. Die Ausführung des Programms in seinen verschiedenen Etappen wird von einer Kontrolle begleitet, deren Aufgabe in der Fehlerkorrektur besteht. Die Kontrolle wird durch unterschiedliche Rückkopplungen/Reflexionen durchgeführt. Das Kettenglied der Sprechproduktion ist ein Bestandteil des gesamten Modells der Sprechkette. Der Prozeß der Sprechproduktion schließt seinerseits zwei Etappen ein: Planen und Ausführen (Realisation). In der ersten Etappe
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wird das Planen von phrasenübergreifenden Einheiten, Phrasen und ihren Bestandteilen durchgeführt. Motorisches Planen von phrasenübergreifenden Einheiten ist in erster Linie mit der Bestimmung dieser Einheiten verbunden. In Abhängigkeit von der Art (z. B. Gespräch, Erzählung, Unterweisung usw.) ändert sich die Struktur der Äußerung. Sprechperzeption und -interpretation beruhen nur teilweise auf einem von Hörrezeptoren wahrgenommenen lautlichen Signal. Deswegen ist das akustische Signal nur einer der Bestandteile beim Erkennen einer linguistischen Struktur. Der Prozeß der Interpretation einer Mitteilung ist nicht mit der Analyse eines physikalischen (akustischen, optischen) Signals abgeschlossen. Von wesentlicher Bedeutung für die korrekte Interpretation einer Mitteilung ist auch die von früher erhaltenen Kenntnissen ausgehende Interpretation der Motivation, der Absicht und der Ziele eines Adressanten und Adressaten. Zur Zeit definiert man die Interpretation einer Sprechmitteilung als einen aktiven Prozeß, das Ergebnis der Tätigkeit des Adressaten, und nicht als passiven Prozeß der Wahrnehmung des in den Kommunikationsprozeß „eingefügten“ Sprechstimulus. Bei der Interpretation werden vom Adressaten zusätzliche Informationsquellen genutzt (z. B. Redesituation, Kontext, nonverbale Orientierungspunkte usw.). Entsprechend dem erweiterten Modell der Sprechkette sind die Redeproduktion einerseits und die Perzeption mit anschließender Interpretation der Mitteilung andererseits aktive Prozesse, die ausschließlich in Situationen sozialer Kommunikation realisiert werden. Die moderne Sprechkunde beruht auf unterschiedlichen Erkenntnisquellen: traditionelles Erlernen des lautlichen Aufbaus von Sprachen, Rhetorik, experimentelle Phonetik usw. Früher herrschte eine vereinfachte Vorstellung vom Kommunikationsmodell als einem aus einfachen Kodierungs- und Dekodierungsprozessen des Redesignals bestehenden Modell. Mittlerweise ist man zur Erkenntnis gelangt, daß unsere Vorstellungen auf einem erweiterten dynamischen Modell der Redekette beruhen, das wichtige Kettenglieder der Kommunikation wie verbale Interpretation, nonverbale Interpretation, Interpretation des Äußerungsmotivs und des kommunikativen Vorhabens usw. umfaßt. Das moderne Modell der Sprechkette, das die Grundlage für die Untersuchung durch einen Sprechforscher ist, beginnt mit den Kettengliedern Vorhaben und Motivation des Adressanten in einer Kommunikationssituation und endet mit dem Verstehen dieses Vorhabens durch den Adressaten. In diesem Zusammenhang kommt der Untersuchung verbaler und nonverbaler Mittel der Wiedergabe von unterschiedlichen konnotativen Bedeutungen im Kommunikationsakt eine große Bedeutung zu. Dabei spielen prosodische (suprasegmentale) und lautliche (segmentale) Merkmale der konnotativen Paralinguistik eine besonders wichtige Rolle.
III. Sprach- und Sprechrhythmus: die Vielschichtigkeit des Problems
III.1. Der Sprachrhythmus im Russischen und Deutschen (diachronische und synchronische Aspekte) Die gegenwärtige Sprachwissenschaft wird durch ein stetig wachsendes Interesse an intersprachlicher Problematik charakterisiert. Man kann sagen, daß der intersprachliche Vergleich eine Grundlage sowohl für theoretische als auch für angewandte sprachliche Untersuchungen bildet, die das Material für tiefere typologische Verallgemeinerungen bereitstellen und eine Möglichkeit bieten, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachen festzustellen. Vom Standpunkt der Zahl der analysierten Sprachen aus betrachtet, teilt man zur Zeit die Typologie in zwei Arten ein: in eine universelle allgemeine Typologie (es werden alle Sprachen der Welt analysiert) und in eine spezielle Typologie. Man unterscheidet drei Grundmodelle der speziellen Typologie (Gawelko 1984): l. das induktive Modell, das hauptsächlich auf dem Parallelismus der Texte basiert; 2. das autonome deduktive Modell (in bezug auf zwei oder mehrere Sprachen); 3. das verallgemeinerte deduktive Modell (in bezug auf alle Sprachen der Welt oder auf Sprache als abstraktes System). Bei der Durchführung der typologischen Untersuchungen ist es grundsätzlich möglich, jedes Modell zu gebrauchen. Es ist aber zu betonen, daß unter bestimmten Bedingungen nur ein Modell optimal sein kann. Was nun das Problem der rhythmischen Strukturierung von Texten betrifft, so könnte man vermuten, daß für die Lösung dieser Aufgabe zwei Modelle am wichtigsten sind, und zwar erstens das induktive Modell und zweitens das autonome deduktive Modell. Das wäre von unserem Standpunkt aus zweckmäßig, weil das erste Modell für die erste Etappe der Untersuchung der Rhythmusstrukturen (RS) und der rhythmischen Schemata der Syntagmen (RSS) in bezug auf parallele Texte der zu vergleichenden Sprachen am besten geeignet ist (RS – die Rhythmusstruktur – bezeichnet ein phonetisches Wort, das vorangehende unbetonte Silben (Proklise), nachfolgende unbetonte Silben (Enklise) und nur eine hauptbetonte Silbe umfaßt. RS wird durch eine Bruchzahl so dargestellt, daß der Zähler die Zahl der Silben (RS-Klasse) und der Nenner die
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Nummer der betonten Silbe in der Silbenfolge der Einheit (RS-Typ) bezeichnet; z. B.: 3/2 = dreisilbige Einheit mit betonter zweiter Silbe. RSS, das Rhythmusschema des Syntagmas, bezeichnet folgende Parameter: die Zahl der RS und Silben pro Syntagma, ihre Lokalisierung und Häufigkeit im Rahmen jedes Syntagmas (vgl. dazu auch Potapov 1991); die Anwendung des zweiten Modells bietet die Möglichkeit, im Verlauf der Vergleichsanalyse der rhythmischen Besonderheiten der Texte das Gemeinsame und das Spezifische festzustellen. „In einer umfangreichen Untersuchung hat V. V. Potapov (1996) ermittelt, daß solche textsortenspezifischen Rhythmisierungen als Textunterscheidungsmerkmale in den „Rhythmusstrukturen“ (Strukturen von Akzentgruppen, z. B. dreisilbige Gruppe, 2. Silbe akzentuiert) und in den Rhythmusschemata der Syntagmen (den Strukturen rhythmischer Gruppen) gefunden werden können und Textklassifizierungen ermöglichen“ (Stock, Veličkova 2002: 89). Die Ergebnisse der Analyse ermöglichen es, in diesem Fall drei Phänomene der Sprachobjekte zu beschreiben: die Universalien, den Typ und die individuell-spezifischen Besonderheiten (Nikolaeva 1977). Dabei sind sprachliche Universalien durch folgende Merkmale gekennzeichnet (Language Universals 1978): l. durch die Funktionalität; 2. durch die Integration; 3. durch den Operationalismus und den Konstruktivismus; 4. durch die Verallgemeinerung der Daten hinsichtlich des Materials der einzelnen Sprachen und Sprachgruppen; 5. durch die interdisziplinäre Konzeption; 6. durch die Orientierung nicht auf die Theorie der Grammatik, sondern auf die Theorie der Sprache. Die synchronisch-diachronische Untersuchung des sprachlichen Rhythmus bietet die Möglichkeit, bestimmte sprachliche Universalien festzustellen. Dabei werden sprachliche Universalien durch folgende Besonderheiten charakterisiert: a) durch die funktionale Betrachtungsweise des sprachlichen Materials, das analysiert und verglichen wird; b) durch die Integration der theoretischen Konzeptionen, die die Grundlage für die Untersuchung der einzelnen Sprachen und der sprachlichen Gruppen bilden; c) durch die Betrachtungsweise des Konstruktivismus, wo die sprachlichen Fakten, die im Prozeß der Untersuchung beobachtet werden, als Reflexe der Tätigkeit des menschlichen Bewußtseins interpretiert werden; d) durch die Verallgemeinerung der Werte und Daten, die anhand der immer wachsenden Zahl der einzelnen Sprachen und der sprachlichen Gruppen im Prozeß der Untersuchung konstatiert werden; e) durch die interdisziplinäre Betrachtungsweise, die die Zusammenarbeit zwischen Linguisten einerseits und Fachleuten im Bereich der Logik, Philosophie, kognitiven Psychologie usw. andererseits voraussetzt; f) durch die Orientierung auf die Theorie der Sprache, nicht auf die Theorie eines einzelnen Aspekts der Sprache, z. B. auf die Theorie der Grammatik. Alle diese Besonderheiten spielen eine große Rolle, wenn man den Text als Hauptobjekt der Analyse betrachtet.
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Die Untersuchung der Struktur des Textes basiert auf der Feststellung seiner operationalen Einheiten, die folgenden Forderungen entsprechen sollen (Metzeltin 1983): а) diese operationalen Einheiten sollen möglichst klein sein, um recht universell sein zu können; b) die operationalen Einheiten sollen die Information erschließen, die für das eindeutige Verstehen der Bedeutungsstruktur genügt; c) die operationalen Einheiten sollen semantische Begriffe zur Grundlage haben. Unserer Meinung nach entspricht die Rhythmusstruktur (RS) als elementare Basiseinheit der Textanalyse im Bereich des Rhythmus diesen Forderungen am besten. In unserer Untersuchung wird der Text als kommunikative Elementareinheit betrachtet, die einen interpellativen und/oder appellativen Charakter hat (Wawrzyniak 1980). Die interpellative Funktion besteht darin, das gegenseitige Verstehen zwischen dem Sender (Adressanten) und dem Empfänger (Adressaten) zu erzielen. Die appellative Funktion kann man unter dem Aspekt des Einflusses auf den Kommunikationspartner charakterisieren als das, was ihn zum verbalen/nichtverbalen Handeln stimulieren kann. In der gegenwärtigen Textologie werden drei Aspekte unterschieden (Wawrzyniak 1980): l. theoretische Textologie; 2. deskriptive Textologie; 3. angewandte Textologie. Dadurch werden verschiedene Definitionen des Textes bestimmt, die in folgende Typen eingeteilt werden: syntaktische, semantische, pragmatische und komplexe Definitionen. Dementsprechend wird die Textologie in Syntax, Semantik, Pragmatik und Prosodie des Textes eingeteilt. Es scheint sinnvoll, im letzten Fall auch den Rhythmus zu berücksichtigen. Die Spezifik der Ausnutzung morphologischer und lexikalischer Einheiten im Rahmen des Textes beeinflußt im wesentlichen die rhythmische Strukturierung des Textes auf der phonetischen Ebene. Es ist zu unterstreichen, daß eine Reihe von syntaktischen Kategorien den Rhythmus des Textes bestimmen kann (Textstrategier i tal och skrift 1982): a) anaphorische/kataphorische Textkonstituenten; b) prädikative Strukturen des Textes; c) Konjunktionen und Determinative; d) Tempusfolge; e) thematische/rhematische Organisation des Textes; f) Erweiterung und Kondensation des Sinnes; g) lineare Folge einzelner Textkonstituenten; h) Anfangs- und Endformeln in bezug auf verschiedene Texttypen. In der Untersuchung bilden schriftliche und gesprochene Texte das Hauptmaterial der Analyse. Dabei interpretieren wir Texte als die wichtigsten Mittel der Koordinierung menschlicher Handlungen, als Instrumente der sozialen Kooperation im weiteren Sinne des Wortes. Es ist nicht zufällig, daß es in der Sprachwissenschaft das spezielle Gebiet der „Textologie“ gibt, die sich – wie bereits oben kurz angedeutet – in drei Bereiche gliedert (Wawrzyniak l980): a) die theoretische Textologie (die Theorie des Textes), deren Hauptobjekt die Gesetze der Textbildung sind;
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die deskriptive Textologie (die Textanalyse), die sich mit der praktischen Analyse von Texten und mit ihrer Klassifizierung beschäftigt: c) die angewandte Textologie, die als Lehre von der Verwendung und Umarbeitung der Texte betrachtet werden kann. Im letzten Fall tritt der Text als Hauptmittel der menschlichen Kommunikation auf. Im großen und ganzen ist das Problem der Textklassifikation bei weitem noch nicht so gut erforscht wie das Problem der Satzklassifikation. Hinsichtlich der Prinzipien der Textklassifikation erscheint es zweckmäßig, auch solche Aspekte von Textfunktionen, wie z. B. die Absicht des Adressanten im Prozeß der Textbildung, psychologische und soziale Besonderheiten der Kommunikation usw., zu berücksichtigen. Alle diese Aspekte beeinflussen die rhythmische Strukturierung der Texte, die durch verschiedene semantische Blöcke bedingt wird. Die Gruppierung dieser Blöcke, ihre Reihenfolge, alle prosodisch markierten Segmente dieser Blöcke bilden sowohl ein spezifisches rhythmisches System der sprachlichen Texte (eine Gesamtheit der Elemente) als auch eine spezifische rhythmische Struktur dieser Texte (eine Gesamtheit der Verbindungen unter diesen Elementen). Jeder Text als maximale Kommunikationseinheit wird in eine Reihe von Sinnkomponenten (Kommunikationsblöcke) gegliedert, die verschiedene Rhythmusstrukturen (RS) und Syntagmen mit ihren bestimmten rhythmischen Schemata (RSS) einschließen. Die Abfolge dieser Kommunikationsblöcke wird in der Regel von der kommunikativen Strategie und Taktik des Adressanten bestimmt. Die rhythmische Strukturierung des Textes ist mit den Kommunikationsblöcken aufs engste verbunden, weil dazu Ebenen wie Sprachäußerungen, Sätze, Syntagmen, Silbenreihen (Rhythmusstrukturen) und Lautreihen gehören. Es ist anzunehmen, daß die rhythmische Organisation des Prosatextes eine Integration und gleichzeitig eine Hierarchie von verschiedenen sprachlichen Einheiten darstellt, die ein System und eine spezifische Form bilden. Jede Komponente des Textes kann eine rhythmusbildende Funktion haben; ihr funktionelles Gewicht für den Rhythmus kann aber in Abhängigkeit von der kommunikativen Einstellung variieren. Alle Komponenten bilden ein System, das auf jeder sprachlichen Ebene in unterschiedliche Subsysteme zerfällt, die durch bestimmte Regeln und Beziehungen gekennzeichnet werden (Grundzüge einer deutschen Grammatik 1981). Typologische Untersuchungen von Texten gehören heute in der Regel entweder in den synchronen oder den diachronen Bereich. Die synchronischdiachronische Beschreibung der Sprache ist unter Linguisten nicht so verbreitet wie die genannten selbständigen Typen der Textanalyse. Dabei ist es sehr wichtig, daß bei der synchronisch-diachronischen Untersuchung die Daten der historischen Entwicklung der Sprache und des gegenwärtigen Zustandes dieser Sprache nicht mechanisch miteinander verbunden, sondern in ihrer Dynamik
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erklärt werden. Das Wichtigste ist in diesem Fall, das Verhältnis zwischen diesen Daten und ihre gegenseitige Abhängigkeit festzustellen. Unserer Meinung nach wäre es möglich und zweckmäßig, die rhythmische Spezifik der Sprachen vom synchronisch-diachronischen Standpunkt aus zu untersuchen. Man kann vermutlich für eine Reihe von rhythmischen Besonderheiten der Texte im Bereich der Synchronie eine diachronische Erklärung finden. So lohnt es sich z. B., folgende Merkmale des Altrussischen zu analysieren: die Umgruppierung der rhythmischen Strukturen (RS) und die Veränderung des rhythmischen Syntagmaschemas (RSS) vor und nach dem Wegfall der reduzierten Vokale im phonetischen System des Altrussischen. (Vgl. vor dem Wegfall der reduzierten Vokale: otьcь – 3/2, dьnь – 2/1, žьnьcь – 3/2 usw.; nach dem Wegfall: otec – 2/2, den’ – 1/1, žnec – 1/1 usw.) Man könnte in diesem Fall auch einige Beispiele der Bildung von Pronomina anführen. (Vgl. Pronominalformen nimь, nego, nь, die das Resultat von Umstrukturierungen *sъn+jimь, *kъn+jemu, *vъn+jego usw. sind). Der Wegfall der reduzierten Vokale hatte eine Umstrukturierung des Wortes hinsichtlich der Silbenzahl zur Folge, was auch zur Bildung geschlossener Silben führte. Der Wegfall der reduzierten Vokale hatte also einen großen Einfluß auf die Silbenstruktur des Wortes. Überall dort, wo schwache reduzierte Vokale zu Ø reduziert worden waren, verminderte sich die Silbenzahl des Wortes, und es erschienen dabei geschlossene Silben. Die Silbe in ihrer früheren Form verlor ihre Selbständigkeit, und es entstanden neue Silbengrenzen (Gorškova, Chaburgaev 1981). Z. B.: plo-dъ – plo-da > plod – plo-da; tъr-gъ – tъr-ga > torg – tor-ga Im Altrussischen gab es zwei Typen von Lautverbindungen: a) Zum ersten Typ gehörten Verbindungen wie z. B. [tъrt], [tьrt], [tъlt]. Es ist zu vermerken, daß eine Verbindung [tьlt] nicht vorhanden war, weil unter dem Einfluß des harten [l] aus [ь] ein [ъ] wurde. b) Zum zweiten Typ gehörten solche Lautverbindungen wie z. B. [trъt], [trьt], [tlъt], [tlьi]. Es ließen sich folgende Beispiele anführen: kъrmъ gъrlo gъrdъ a) gъrdъ tvьrdъ dьržati čьrnъ smьrtь dьrzъkъ dьrgati vьrchъ pъlkъ dъlgъ tъlstъ vъlkъ vъlna usw. b) krъvь brъvь drъva krъšiti brьvьno trьvoga trьtь glъtъka plъtь blъcha klъkъ blьskъ plьskъ usw.
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Die Wortformen des zweiten Typs werden durch das Vorhandensein offener Silben charakterisiert. In den Wortformen des ersten Typs traten reduzierte Vokale als Silbenträger auf. Das war der Grund für die spezifische Lokalisierung der Silbengrenze entweder nach dem reduzierten Vokal oder nach der Liquida. Im zweiten Fall waren [r] und [l] im Rahmen der vorangehenden Silbe vorhanden; das führte zur Bildung einer geschlossenen Silbe, wodurch die ganze Silbenstruktur einer konkreten Wortform verändert wurde. Es ist zu vermuten, daß in diesem Fall in einer Reihe von altrussischen Dialekten neue geschlossene Silben gebildet wurden. Die Silbengrenze konnte sowohl nach [ъ], als auch nach [ь] lokalisiert werden. Da [r] und [l] wahrscheinlich sekundäre Silbigkeit besaßen, war es möglich, in diesen Wörtern eine neue Silbe zu bilden. Man könnte also sagen, daß es z. B. in einem Wort wie [tъrgъ] nicht zwei Silben (tъ/rgъ – 2/1), sondern drei Silben [tъ/r/gъ] – 3/1) gab. Alle diese Silben traten als offene Silben auf. Es ist auch nicht unwichtig zu erwähnen, daß es im phonetischen System des Altrussischen eigenartige Verbindungen der reduzierten Vokale [ъ] und [ь] mit den Liquiden [r] und [l] in der Position zwischen zwei Konsonanten gab (Ivanov 1983). Diese Verbindungen hatten zwei Variformen, die von großem Einfluß auf die Lokalisierung der Silbengrenze waren, die entweder nach dem reduzierten Vokal oder nach der Liquida vorhanden war. Es entstanden verschiedene Arten offener und geschlossener Silben, die die rhythmische Strukturierung der Texte modifizierten. Das frühaltrussische prosodische System wird durch das Funktionieren von Taktgruppen charakterisiert, die aus akzentuierten selbständigen Wörtern, die einzelne Taktgruppen bilden können, und aus Klitika, die sich einem zentralen Wort anzuschließen hatten, bestehen. Es existierte auch eine besondere Art von Taktgruppen, und zwar proklitisch-enklitische Taktgruppen. In diesem Fall wurden zwei Silbentypen gegenübergestellt, die phonologisch betonte und die phonologisch unbetonte Silbe. Als Folge dieser Erscheinung funktionierten im Redefluß zwei Arten der Wortformen: Akzentuierte selbständige Wortformen mit phonologisch betonten Silben (orthotonische Formen) und akzentuierte selbständige Wortformen ohne phonologisch betonte Silbe (enklinomische Formen13). Wendet man sich dem germanischen Sprachmaterial zu, so ergibt sich, daß die historische Veränderung der Wortlautstrukturen einen Einfluß auf rhythmische Elemente (Silben- und Lautzahl, Position der Betonung) des gegenwärtigen Deutschen hat. Dabei ändert sich eine Erscheinung, wie die Art des Lautanschlusses im Rahmen der Silbe, was wiederum Änderungen der Be13
Der Terminus „enklinomische Formen“ wurde von R. Jakobson eingebürgert (Jakobson 1971).
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sonderheiten des Sprachrhythmus im Deutschen nach sich zieht. Die Position der Silbengrenze beeinflußt den Charakter der Verteilung der Sonorität, und dadurch werden die quantitativ-qualitative Gestalt und das Rhythmusgebilde des Deutschen markiert. Ähnlich wie für das Altrussische kann man auch für das Althochdeutsche das Vorhandensein einer Reihe von sprachlichen Erscheinungen konstatieren (Moskal’skaja 1959; Schatz 1927), die zu verschiedenen strukturellen Modifikationen des Wortes geführt haben. Vor allem tritt hier als wichtiges Moment die Reduktion der Vokale in Erscheinung. Dazu gehört das Wegfallen des Vokals in der Mitte und in der Endposition des Wortes; z. B. ahd. magad (2/1) > mhd. maget (magt) (2/1; 1/1); nhd. Magd (1/1); ahd. fogala (Nom. Pl.) (3/1) > mhd. fogele (3/l), nhd. Vögel (2/1). Es ist hervorzuheben, daß die Reduktion von Vokalen im Rahmen der unbetonten Silben für den Entwicklungsprozeß des Deutschen ständig kennzeichnend war. So wurden z. B. in der vorschriftlichen Periode die meisten unbetonten Wortstammvokale reduziert; urgerm. *dagaz (2/1 ) > ahd. tag (1/1). Das Ende der althochdeutschen Periode könnte als Wendepunkt in der Entwicklung der rhythmischen Strukturierung des Deutschen betrachtet werden. Der Prozeß der Reduzierung entwickelte sich allmählich im 10. und 11. Jahrhundert. Bis zur zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts war der Unterschied zwischen den Vokalen der betonten und unbetonten Silben nicht so bedeutend, obwohl die Reduktion selbst schon existierte. Dabei konnte sowohl in einer unbetonten als auch in einer betonten Silbe ein beliebiger kurzer oder langer Vokal funktionieren; z. B. ahd. sunu, sneo usw. Im 12. Jahrhundert wurden in den schriftlichen Dokumenten bereits andere Erscheinungen fixiert. Die Veränderung bestand darin, daß alle Vokale in unbetonten Silben entweder zum neutralen Vokal [ə] umgewandelt oder aber elidiert worden waren, was wiederum Folgen für die rhythmische Struktur des Wortes hatte; ahd. sneo (2/1) > mhd. sne (1/1); ahd. sunu (2/1) > mhd. sun (1/1) usw. Der eigenartige Charakter der Schriftsprache im 14. und 15. Jahrhundert rief recht große Unterschiede hervor, die nicht nur von der dialektalen Spezifik, sondern auch von der Genrespezifik der Schriftdenkmäler abhängig waren. Die territoriale Dialektspezifik wurde vor allem durch phonetisch-orthographische Phänomene und durch lexikalische Unterschiede, in geringerem Maße durch morphologische Konstituenten charakterisiert. Die stilistisch-syntaktischen Unterschiede waren demgegenüber nicht so groß. Eine führende Rolle spielte dagegen die Genrespezifik der Schriftdenkmäler, die vor allem durch stilistisch-syntaktische Besonderheiten und durch die Lexik markiert wurde. Phonetisch-orthographische und morphologische Aspekte waren nicht so stark ausgeprägt. Das Vorhandensein einiger Varianten der Schriftdenkmäler spiegelt
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das Funktionieren verschiedener Texte wider, die eine spezifische rhythmische Strukturierung haben (Guchman 1959). Die vergleichende Analyse der rhythmischen Strukturierung schriftlicher und mündlicher Texte in slavischen und germanischen Sprachen (vor allem im Deutschen und seinen Dialekten) dürfte eine neue und perspektivenreiche Forschungsrichtung darstellen. Die synchronisch-diachronische Typologie der Sprachen hat eine besondere Bedeutung, weil die Texte sowohl unter dem Aspekt ihrer historischen sprachlichen Dynamik als auch vom Standpunkt des modernen Zustandes der Sprache aus untersucht werden. Es ist hervorzuheben, daß das Hauptobjekt der Analyse, die rhythmischen Strukturen und die rhythmischen Syntagmaschemata, sowohl „senkrecht“ als auch „waagerecht“ untersucht wird. Im ersten Fall werden schriftliche Texte und ihre rhythmischen Besonderheiten unter Berücksichtigung der Chronologie der Sprachentwicklung analysiert. Im zweiten Fall, d. h. unter dem Aspekt des waagerechten Zustandes, bietet sich die Möglichkeit, Texte unterschiedlicher Genres in schriftlicher und gesprochener Form in bezug auf verschiedene Sprachen zu analysieren. Wir haben dafür ein räumlich-zeitliches Schema der synchronischdiachronischen typologischen Untersuchung des sprachlichen Rhythmus entwickelt. Ermittelte Gesetzmäßigkeiten der Spezifik der rhythmisch-prosodischen Organisation gesprochener Texte können unter Berücksichtigung der historischen Sprachdynamik als Basis für die Rekonstruktion der rhythmisch-prosodischen Spezifik der altsprachlichen Texte in slavischen und germanischen Sprachen genutzt werden. Das wird es ermöglichen, mit Hilfe der induktiven und autonomen deduktiven Modelle der Sprachtypologie ein verallgemeinertes typologisches Modell des Sprachrhythmus für den germanisch-slavischen Raum zu entwickeln. Als typologische Ergebnisse der Untersuchungen sind charakteristische Züge der Ähnlichkeit und Verschiedenheit zu erwarten, die die Grundlage der Entwicklung von Rhythmus und Prosodie in den slavischen und germanischen Sprachen bilden. Es ist das Hauptziel der Durchführung der synchronisch-diachronischen Untersuchung der Texte von Schriftdenkmälern slavischer und germanischer Sprachen sowie der gesprochenen Texte dieser Sprachen, eine universelle Theorie des Sprechrhythmus zu schaffen. Im Rahmen dieser universellen Theorie wird es möglich sein, alle Rhythmuseinheiten zu systematisieren, ihren historischen und gegenwärtigen Zustand, die Dynamik der Entwicklung, kausale Verhältnisse usw. zu beschreiben und zu klassifizieren und eine Rekonstruktion historischer Rhythmusformen durchzuführen. Von unserem Standpunkt aus wäre es auch möglich, fehlende Informationen im Bereich des Sprechrhythmus nicht nur hinsichtlich der Vergangenheit und Gegenwart der
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betreffenden Sprachen zu bekommen, sondern darüber hinaus noch eine Prognose der sprachlichen Dynamik dieses Phänomens für die Zukunft zu stellen. Im folgenden sollen nun die wichtigsten Ergebnisse unserer Untersuchungen (Potapov 1996; 1999a; 1999b; 2001a; 2001b) dargestellt werden, die in verschiedenen Bereichen vorhanden sind: l. im Bereich der rhythmischen Strukturierung anhand von Auszügen sowohl aus altkirchenslavischen bzw. altrussischen Texten als auch aus den Übersetzungen aus dem Altrussischen in das Neurussische; 2. im Bereich der rhythmischen Strukturierung anhand von Auszügen aus althochdeutschen und mittelhochdeutschen Texten; 3. auf dem Gebiet der vergleichenden Analyse der rhythmischen Strukturierung der Texte in beiden Sprachen. Die Analyse von altkirchenslavischen Texten, die in Handschriften des 10. und 11. Jahrhunderts erhalten sind, führte zu dem Ergebnis, daß der Prozeß des Ausfalls der reduzierten Vokale in schwacher Position einen bedeutenden Einfluß auf die Veränderung der Verteilung der Klassen und Typen der rhythmischen Strukturen (RS) ausgeübt hatte. Das Gegenteil bildeten reduzierte Vokale in starker Position, deren „прояснение“ („Vollvokalisierung“, engl. „clarification“ – eine Vollform des Vokals ohne Reduktion) absolut keinen Einfluß auf die Veränderung der RS-Klassen und RS-Typen hatte. Als Folge des Ausfalls der reduzierten Vokale in schwacher Position (z. B. im Auslaut des Wortes) wurde die RS-Länge vermindert. Die „RS-Häufigkeitsgipfel“ (maximale Häufigkeitswerte) wurden in der altkirchenslavischen Sprache folgendermaßen umstrukturiert. In den Texten, die im 11. Jahrhundert geschrieben wurden, erscheinen einsilbige Strukturen, die als Folge des Übergangs zweisilbiger Strukturen zu einsilbigen auftreten. Das bestätigt noch einmal die Tatsache des Auftretens einsilbiger Wörter im Altkirchenslavischen (Chaburgaev 1986) und im Altrussischen (Jakubinskij 1953). Dabei treten zweisilbige RS recht häufig auf. Dreisilbige RS, die in den Handschriften des 9. Jahrhunderts eine große Häufigkeit aufweisen, verlieren ihre führende Position in den Handschriften des 11. Jahrhunderts und rücken an die zweite Stelle. Es war auch eine gewisse Veränderung für häufig auftretende viersilbige RS mit Betonung auf der dritten Silbe (in den Handschriften des 9. Jahrhunderts) festzustellen; sie wandelten sich zu noch häufigeren viersilbigen RS mit Betonung auf der zweiten Silbe. Die Häufigkeitswerte von fünfsilbigen RS mit Betonung auf der zweiten Silbe wurden in etwa halbiert. Die Analyse der RS-Klassen- und Typenverteilung anhand eines Textauszuges aus dem Werk „Поучение“ des Vladimir Monomach ergab, daß in diesem Text in der Abschrift des 12. Jahrhunderts (Zaliznjak 1985) eine Umstrukturierung der RS-Klassen und -Typen im Vergleich zur Rekonstruktion für das 9. Jahrhundert vorliegt. So werden z. B. häufig auftretende dreisilbige RS mit zweiter und dritter betonter Silbe (für die Rekonstruktion unter Berücksich-
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tigung reduzierter Vokale in schwacher Wortposition) umgewandelt in die Gruppe dreisilbiger RS mit betonter dritter Silbe (für den Textauszug des 12. Jahrhunderts unter Berücksichtigung des Ausfalls der reduzierten Vokale in schwacher Wortposition). Der Prozeß des Ausfalls der reduzierten Vokale beeinflußte die RS-Klasse dergestalt, daß die Frequenz viersilbiger RS mit dritter betonter Silbe für dreisilbige RS mit dritter betonter Silbe charakteristisch wurde. Dieselbe Tendenz ist bei einer anderen RS-Gruppe zu beobachten: Die Häufigkeitswerte dreisilbiger RS mit zweiter betonter Silbe verlagern sich zur Gruppe zweisilbiger RS mit zweiter betonter Silbe. Es ist hervorzuheben, daß auch das Auftreten einsilbiger Strukturen festgestellt werden kann. Die Analyse der Übersetzung des „Поучение“ ins Neurussische hat gezeigt, daß die RS-Häufigkeitsverteilung der zwei-, drei- und viersilbigen Strukturen mit zweiter betonter Silbe gleichmäßig ist, was dafür spricht, daß die Übersetzung des Textes als n/2 gekennzeichnet wird. Die Häufigkeitsverteilung der RS in den untersuchten Versionen des „Поучение“ ist aus Tabelle l ersichtlich. Tabelle 1 Häufigkeitsverteilung der RS in der untersuchten Version des „Поучение“ (in %) RS 1/1 2/1 2/2 3/1 3/2 3/3 4/1 4/2 4/3 4/4 5/1 5/2 5/3 5/4 6/2 6/3 6/4 6/5
Rekonstruktion / Abschrift 9. Jh. 12. Jh. 6,7 7,1 13,3 4,8 20,0 4,8 2,2 21,4 11,1 21,4 35,6 2,4 2,2 7,1 14,3 4,4 9,5 2,2 2,4 4,8 2,2 -
Übersetzung ins Neurussische 6,6 10,8 13,8 6,0 12,0 9,6 4,2 13,2 10,8 2,4 1,8 2,4 2,4 1,8 0,6 1,2 0,6
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In unserer Untersuchung wurden vor allem die Probleme der rhythmischen Strukturierung der akzentuierten Texte des 16. und 17. Jahrhunderts erforscht, weil gerade diese Texte eine Hauptquelle für den Bereich der ostslavischen Akzentuierung darstellen. In den meisten Fällen wurden diese Ergebnisse mit der RS-Analyse der entsprechenden neurussischen Übersetzungstexte verglichen. Im Text „Домострой“ wird nur eine unbedeutende RS-Häufigkeitsumstrukturierung konstatiert. Trotzdem ist hervorzuheben, daß die häufigsten RSGruppen im Text des 16. Jahrhunderts und in der Übersetzung in den meisten Fällen zusammenfallen. So könnte man z. B. als „RS-Häufigkeitsgipfel“ zweisilbige Strukturen mit zweiter betonter Silbe, dreisilbige mit zweiter betonter Silbe, viersilbige mit zweiter betonter Silbe und fünfsilbige Strukturen mit dritter betonter Silbe fixieren. Die Analysen der rhythmischen Strukturierung des altrussischen Textes „Соборное Уложение“ (1649) boten die Möglichkeit festzustellen, daß maximale Häufigkeitswerte für einsilbige und zweisilbige RS mit erster betonter Silbe, zweisilbige RS mit zweiter betonter Silbe, dreisilbige RS mit erster bzw. dritter betonter Silbe und viersilbige RS mit zweiter betonter Silbe typisch sind. Auch der Vergleich der RS-Verteilung im Text „Житие Протопопа Аввакума“ (Text aus dem 17. Jahrhundert und neurussische Übersetzung) führte zur Feststellung von Umstrukturierungen in der RS-Häufigkeit. Man kann dabei sehr gut den Übergang der maximalen Häufigkeitswerte von zweisilbigen RS mit erster betonter Silbe zu zweisilbigen RS mit zweiter betonter Silbe beobachten. Dreisilbige RS mit zweiter betonter Silbe bleiben aber die häufigsten Strukturen. Viersilbige RS mit dritter betonter Silbe werden in der Textübersetzung ins Neurussische zu viersilbigen RS mit zweiter betonter Silbe (vgl. dazu die Übersicht in Tab. 2.). Tabelle 2 Häufigkeitsverteilung der RS in den untersuchten Versionen des „Житие Протопопа Аввакума“ (in %) RS 1/1 2/1 2/2 3/1 3/2
Text (17. Jh.) 5,9 20,3 15,3 2,5 17,8
Übersetzung ins Neurussische 4,7 16,5 21,3 0,8 18,1
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116 3/3 4/1 4/2 4/3 4/4 5/1 5/2 5/3 5/4
16,1 2,5 4,2 6,8 0,8 – – 3,4 2,5
11,8 1,6 7,1 3,9 4,7 0,8 3,1 2,4 3,1
Die Durchführung der Analyse des formalen Syntagmaschemas zeigt, daß teilweise Veränderungen dieser Schemata in der Anfangs- und Endposition des Syntagmas im Vergleich zum altrussischen Text des Originals auftreten. Diese Veränderungen erfassen vor allem die Gruppen der häufigsten RS, die die erste und zweite Rangstelle belegen. Die RS-Haupttypen im Rahmen des Syntagmas im Altrussischen und Neurussischen werden von den Strukturen n/l und n/2 gebildet. Der n/3-RS-Typ weist keine große funktionelle Belastung bei der rhythmischen Strukturierung des Syntagmas auf. Als Ausnahme könnte man den Text „Житие Протопопа Аввакума“ und seine Übersetzung ins Neurussische erwähnen, wo dreisilbige RS mit dritter betonter Silbe auftreten. Es ist auch festzustellen, daß einsilbige Strukturen völlig aus dem Prozeß der Formierung des Syntagmaschemas ausgeschlossen worden sind. Die RS-Hauptklassen werden von zweisilbigen und dreisilbigen Strukturen gebildet. Die Fusion von zwei Anfangs- und Endstrukturen hatte das Auftreten von viersilbigen bzw. sechssilbigen RS zur Folge. Im allgemeinen kann man vermuten, daß das formale Syntagmaschema des Altrussischen in gewissem Grade dem formellen Syntagmaschema des Neurussischen entspricht. Das wäre als Resultat der freien und beweglichen Wortbetonung sowohl im Altrussischen als auch im Neurussischen anzusehen, die in bedeutendem Maße die RS-Klassen und -Typen beeinflußt. Es wurde die Zahl der Silben zwischen orthographisch markierten Betonungen in den Texten untersucht, in denen der Schreiber spezielle diakritische Zeichen für die Betonung in den Wörtern mit sog. „титло“ („Titlo“) nicht für jedes Wort gebrauchte. Die Vergleichsanalyse des Textes „Сказание известно о воображении книг печатного дела“ (17. Jahrhundert) anfangs ohne Wörter mit „Titlo“ und dann unter Berücksichtigung der Wörter mit „Titlo“ ergab, daß die Wörter mit „Titlo“ fast dieselbe Länge von unbetonten Intervallen zwischen zwei Betonungen haben. Gleiche Strukturierung beobachtet man im Text „Домострой“ in Hinsicht auf die häufigere Bezeichnung der Betonung. Dadurch unterscheidet sich dieser Text wesentlich vom Text „Повесть 1606“, in
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dem die Wörter mit „Titlo“ die Länge von unbetonten Intervallen auf ca. 15 Silben vergrößern. Dieses Ergebnis könnte dafür sprechen, daß es keine bestimmte Abhängigkeit der orthographischen Markierung der Betonungen (für jedes Wort oder keines) von der Schreibung der Wörter mit „Titlo“ im Text gibt. Als Ergebnis der morphologischen Vergleichsanalyse der RS im Altrussischen und Neurussischen läßt sich folgendes feststellen: Sowohl Originaltexte als auch ihre Übersetzungen besitzen in der Regel ein idenisches Inventar der Redeteile. Dabei entspricht ein Redeteil der eingliedrigen RS und die Verbindung der Redeteile den zwei- und dreigliedrigen Strukturen. Die häufigsten Hauptvertreter eingliedriger RS sind Substantive und Verben. In den meisten Fällen spielt das Substantiv eine führende Rolle. Dabei ist zu betonen, daß für zweigliedrige RS die Verbindung mit einem Substantiv die häufigste ist, z. B. die Verbindungen Präposition + Substantiv, Konjunktion + Substantiv. Das Verb belegt in dieser Hinsicht den zweiten Rangplatz nach dem Substantiv. Als Ausnahme kann man den Text des „Поучение“ von Vladimir Monomach anführen, in dem der häufigste Redeteil einsilbiger RS das Verb ist. Das läßt sich möglicherweise durch den imperativen Charakter des Werks und durch die Erzählungsdynamik erklären. Dadurch nähert sich dieses Werk seinem Stil nach den Prosawerken der schönen Literatur (vgl. z. B. Zubkova 1984). Die Verwendung des Substantivs als Hauptredeteil im Rahmen eingliedriger RS bestätigt die Zugehörigkeit der analysierten altrussischen Texte zum publizistischen Genre (dieselbe Tendenz ist in den modernen slavischen Sprachen zu beobachten (vgl. Potapov 1991) (z. B. „Домострой“ als publizistisches literarisches Denkmal des 16. Jahrhunderts) oder charakterisiert die Annäherung des Werkes an das publizistische Genre (z. B. „Житие Протопопа Аввакума“). Die Verbindung von drei, seltener von vier Redeteilen im Rahmen einer RS ist für die analysierten Texte nicht so typisch. Als häufigste Verbindung von drei Redeteilen tritt die Verbindung von Konjunktionen und Präpositionen mit dem Substantiv auf. Hier ist auch die Verbindung von Konjunktion, Substantiv und Pronomen zu erwähnen (insbesondere in altrussischen Texten). Die Verbindungen selbständiger Redeteile (z. B. Ketten aus zwei Substantiven, zwei Verben, zwei Pronomina) sind in der rhythmischen Strukturierung der Texte nur sehr selten anzutreffen. Die RS-Häufigkeit wird also in bezug auf den morphologischen Bestand durch bestimmte Tendenzen charakterisiert. Gleichzeitig kann der stilistische Faktor auf die Verwendung dieser oder jener Redeteile, die konkrete RS bilden, in einem gewissen Maße Einfluß ausüben. In den von uns analysierten akzentuierten Textdenkmälern des 16. und 17. Jahrhunderts trifft man – so wie in allen akzentuierten Textdenkmälern vom
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14. bis 17. Jahrhundert – auf diakritische Akzentzeichen. Die Anzahl dieser Zeichen ist in verschiedenen Textquellen unterschiedlich. Das Verhältnis der Zahlwerte der im Text vorhandenen Akzentzeichen zur Gesamtzahl der vorhandenen Betonungen wird als „der integrale Koeffizient der Akzentuierung“ oder „die integrale Dichte der Akzentuierung“ eines konkreten Textes bezeichnet (vgl. z. B. Zaliznjak 1985). Von diesem Standpunkt aus betrachtet, könnte man anhand der Ergebnisse unserer Untersuchung folgende Reihung der akzentuierten Texte hinsichtlich ihrer integralen Dichte der Akzentuierung aufstellen: „Повесть 1606“ < „Сказание известно о воображении книг печатного дела“ < „Житие Протопопа Аввакума“ < „Домострой“ < „Соборное Уложение“. Es wurde in unseren Untersuchungen auch die Tatsache berücksichtigt, daß das Akzentzeichen fast niemals gebraucht wird, wenn der betonte Vokal selbst wegen Ausfalls (insbesondere unter dem Zeichen „Titlo“) nicht geschrieben wird bzw. sehr selten gebraucht wird, wenn über dem betonten Vokal ein superskripter Buchstabe steht. In den untersuchten Texten ist folgende Tendenz im Bereich der Markierung der Betonung in Wörtern mit „Titlo“ zu beobachten: Man findet eine ausreichende Zahl von Wörtern mit „Titlo“, wo die Betonung auf den unverkürzten Teil des Wortes gestellt ist (СТЫМЪ). Trotzdem gibt es Fälle des Fehlens der Betonung dort, wo diese Betonung auftreten könnte (OЦA). Im großen und ganzen sind die Wörter mit dem betonten Vokal mit „Titlo“ ohne Betonung geschrieben (БЖСТВЕNNАГω). Wenn man die individuelle Akzentdichte für verschiedene Kategorien der orthotonischen Wörter differenziert analysiert, so stellt man fest, daß für Hilfswörter, Pronomina und das Verb БЫТИ eine geringere Dichte kennzeichnend ist. Möglicherweise waren diese Wörter in einigen Fällen nicht voll betont (vgl. auch Zaliznjak 1985). In unserer Untersuchung wurde in einigen Fällen das Ersetzen der frühaltrussischen Betonung über dem Vokal im Auslaut der Wortformen durch die Betonung in der vorletzten Silbe berücksichtigt, d. h. die sogenannte Definalisierung der Betonung (A. A. Zaliznjak): z. B. solche Wortformen wie СЫNЫ, ОУМРЕТ („Домострой“). Die Endbetonung wird recht regelmäßig für die Konjunktion ИЛИ beobachtet (z. B. auch in „Домострой“) Wenn man sich zum Ziel setzt, die typischsten RS für Texte im Russischen festzustellen, so wird man zu der Schlußfolgerung gelangen, daß im modernen Russischen 80% der RS pro Text von folgenden sechs RS-Typen gebildet werden: 1/1, 2/1, 2/2, 3/1, 3/2, 3/3 (Zlatoustova 1983; Potapov 1991; 1996; 2001a; 2001b). Die Ergebnisse unserer Untersuchungen anhand der Übersetzungen altrussischer Texte ins Neurussische bestätigen diese Daten. Für das Altrussische sind sechs RS-Typen charakteristisch: 2/1, 2/2, 3/1, 3/2, 4/2, 4/3; für das Altkirchenslavische fünf RS-Typen für Texte mit der Rekon-
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struktion der Akzentverhältnisse des 9. Jahrhunderts: 2/1, 3/1,3/2, 3/3, 4/3 bzw. sechs RS-Typen für Texte mit der Rekonstruktion der Akzentverhältnisse des 11. Jahrhunderts: 1/1, 2/1, 2/2, 3/2, 3/3, 4/2. Die Ergebnisse, die wir durch Analyse altkirchenslavischer und altrussischer Texte erhalten haben, sind den Ergebnissen aus dem Neubulgarischen ähnlich, wo als die häufigsten RS folgende sieben Strukturen auftreten: 1/1, 2/1, 2/2, 3/1, 3/2, 4/2, 4/3 (Zlatoustova 1983). Das bedeutet, daß in beiden Fällen viersilbige Strukturen mit zweiter und dritter betonter Silbe die häufigsten sind. Aus dem oben Gesagten ergibt sich, daß die rhythmische Struktur des Altrussischen der rhythmischen Organisation des modernen Russischen nahesteht. Quantitative und qualitative Veränderungen der rhythmischen Struktur waren Folgen des Ausfalls der reduzierten Vokale in schwacher Position. Die Vermehrung der Zahl der analytischen Formen in der Sprachgeschichte des Russischen im Vergleich zum Altkirchenslavischen (und Altrussischen) beeinflußte die Kombinatorik bestimmter Redeteile im Rahmen von RS, was auch RSTypen und formales Schema des Syntagmas auf indirektem Wege formiert bestimmt. Eine bedeutende Rolle in der Dynamik der rhythmischen Strukturformierung des Deutschen hat der fixierte Charakter des Akzents gespielt. Im Germanischen wurde im Gegensatz zum Indogermanischen, wo jede Silbe die Betonung tragen konnte, die erste Silbe betont; es herrschte der Anfangssilbenakzent. Da die erste Silbe eines Wortes zumeist die Wurzelsilbe ist, war sie oft die einzige Silbe im Wort, die keiner Abschwächung unterlag. Dieser betonten Silbe ordneten sich alle anderen Silben unter. Die Festlegung des Akzents erfolgte nach dem Eintritt der Wirkung des Vernerschen Gesetzes, d. h. seit ca. 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Dieser starke Anfangssilbenakzent war die treibende Kraft im Prozeß der Entwicklung der germanischen, also auch der deutschen Vokale. Assimilationen der Vokale, Umlaut, Brechung usw., wie auch Verfall der Endsilben, sind in größerem Maße dadurch zu erklären. In unserer Untersuchung der rhythmischen Strukturierung deutscher Texte haben wir als ersten Schritt Auszüge aus Texten des 9. Jahrhunderts und zwecks Gegenüberstellung Auszüge aus einem Text des 16. Jahrhunderts analysiert, was uns die Möglichkeit eröffnete, die Dynamik der rhythmischen Struktur im Deutschen für diesen Zeitraum zu bestimmen und zu interpolieren. Die Ergebnisse der Analyse des Textes „Das Wessobrunner Gebet“ (9. Jahrhundert) zeugen davon, daß es drei dominierende RS-Gruppen gab: zweisilbige RS mit erster betonter Silbe, einsilbige RS und dreisilbige RS mit erster betonter Silbe. Dabei bilden zweisilbige RS mit erster betonter Silbe die häufigste Gruppe im Text (Rangfolge: 2/1, 1/1, 3/1). Im Auszug aus einem zweiten Text des 9. Jahrhunderts, „Der althochdeutsche Tatian“, wurden folgende Häufigkeitswerte festgestellt: maximale Werte für zweisilbige Strukturen mit erster
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betonter Silbe, an zweiter Stelle Werte für dreisilbige RS mit erster betonter Silbe, an dritter Stelle sodann einsilbige Strukturen. Alle anderen Typen treten seltener in Erscheinung. Man trifft z. B. auf zweisilbige RS mit zweiter betonter Silbe, was durch das Funktionieren der Präpositionen (z. B. in, on) und der Negation ni erklärt werden kann. In diesen Fällen wird die rhythmische Struktur (das phonetische Wort) durch das Vorhandensein der Proklise charakterisiert. Der Vorversuch im Bereich der Analyse von Texten des 9. Jahrhunderts ermöglichte es festzustellen, daß zur Gruppe der häufigsten RS drei Typen von RS gehören, nämlich zweisilbige mit Betonung auf der ersten Silbe, einsilbige sowie dreisilbige mit Betonung auf der ersten Silbe. Zweisilbige RS stellen 50% aller RS im Text dar. Das ist der erste Häufigkeitswertkern im allgemeinen Schema; den zweiten Kern bilden einsilbige RS und dreisilbige RS, die 40% der RS desselben Textes umfassen. In diesem Sinne stimmen die Ergebnisse der Analyse beider Texte des 9. Jahrhunderts überein (vgl. zu dem beschriebenen Sachverhalt die Übersicht in Tab. 3.). Tabelle 3 Häufigkeitsverteilung der RS in zwei Texten des 9. Jahrhunderts (in %) RS 1/1 2/1 3/1 4/1 5/1 2/2 3/2 4/2
Text 1 „Wessobrunner Gebet“ 20,0 50,5 17,0 11,0 2,0 -
Text 2 „Tatian“ 8,0 50,5 23,0 6,0 2,5 8,0 2,5
Die Resultate der RS-Analyse eines Auszuges aus einem Text des 16. Jahrhunderts (Brief des Kurfürsten Friedrich aus der sächsischen Kanzlei zu Wittenberg) zeugen davon, daß auch hier zweisilbige RS mit erster betonter Silbe ihrer Häufigkeit nach an erster Stelle stehen. Das fällt mit den Daten der Analyse der Texte des 9. Jahrhunderts zusammen. Gründliche Veränderungen beobachtet man jedoch im Hinblick auf RS, die die zweite und dritte Rangstelle belegen. Im Text des 16. Jahrhunderts treten relativ häufig (an zweiter Rangstelle) dreisilbige RS mit zweiter betonter Silbe auf, danach sodann (an dritter Stelle) viersilbige RS mit dritter betonter Silbe (Rangfolge: 2/1, 3/2, 4/3). Die rhythmische Strukturierung des Textes wird also mannigfaltiger. Es
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ist eine Umstrukturierung des Textrhythmus im Mittelhochdeutschen im Vergleich zum Rhythmus der Texte im Althochdeutschen festzustellen, wobei dreisilbige RS die Hauptrolle spielen (vgl. Tab. 4.). Tabelle 4 Häufigkeitsverteilung der RS in einem Text des 16. Jahrhunderts (in %) RS 1/1 2/1 3/1 4/1 2/2 3/2 4/3 4/4
Häufigkeit 6,0 34,0 8,0 3,3 3,3 30,0 12,0 3,3
Allmählich wird eine Abkehr vom alliterierenden Charakter des Althochdeutschen mit der Stütze auf den starken Anfangssilben in früheren Perioden der Entwicklung der deutschen Sprache realisiert. Das ist vermutlich die Folge des Funktionierens solcher Prozesse wie Synkope, Apokope, Elision, Reduktion. Die Basisstruktur des Rhythmus bleibt aber dieselbe, nämlich eine zweisilbige rhythmische Struktur mit erster betonter Silbe, was verhindert, daß das deutsche rhythmische Schema die rhythmische Eigenart einbüßt. Der Vergleich der Ergebnisse der Analyse altrussischer und altdeutscher Texte, die in der Diachronie betrachtet worden waren, ermöglicht es, das Vorhandensein folgender Tendenzen festzustellen: – In beiden Sprachen wird eine Umstrukturierung der rhythmischen Strukturen (RS) beobachtet, die sowohl durch individuelle historische morphologisch-phonologische Veränderungen als auch durch die Prozesse des Übergangs des Russischen und Deutschen von einer rein synthetischen Form zu einer mehr analytischen Form erklärt werden kann. – Für jede analysierte Sprache sind typische Ausgangsformen der RS charakteristisch; für das Deutsche zweisilbige RS mit erster betonter Silbe, für das Russische die Koexistenz von zweisilbigen und dreisilbigen Strukturen mit erster und auch mit zweiter betonter Silbe. – Infolge der morphemgebundenen Verankerung des Akzents im Deutschen ist für das deutsche Rhythmussystem das Funktionieren von zwei Arten der Betonung (Haupt- und Nebenbetonung) charakteristisch, was eine bestimmte Hierarchie im Rahmen der mehrsilbigen Strukturen produziert. Für das russische Rhythmussystem ist dies nicht so typisch.
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„Potapov führte typologische synchronisch und diachronisch angesetzte Studien zum Russischen und Deutschen durch und entdeckte z. B. im Altrussischen eine Umgruppierung der rhythmischen Strukturen durch den Wegfall der reduzierten Vokale, der die Silbenzahl der Wörter verminderte und neben der Zunahme geschlossener Silben auch neue Silbengrenzen zum Ergebnis hatte ... Der Autor untersuchte die Auftretenshäufigkeiten der einzelnen rhythmischen Strukturen und konnte sprachhistorisch erklärbare charakteristische Veränderungen der Häufigkeitsverteilungen feststellen. Außerdem überprüfte er die Verbindung von Redeteilen in den rhythmischen Strukturen und stieß auch hier auf typologisch interessante Kombinationen. Eine Aussage wie die, daß 80% aller rhythmischen Strukturen in russischen Gegenwartstexten von den 6 ein-, zwei- und dreisilbigen Strukturen (jede Struktur mit anderer Akzentposition) besetzt werden, kontrastiert so mit Aussagen zum Deutschen, wonach die zweisilbige Struktur mit erster akzentuierter Silbe die Basisstruktur ist und erst vom 16. Jh. an die dreisilbige Struktur mit zweiter akzentuierter Silbe und die viersilbige Struktur mit dritter akzentuierter Silbe häufiger werden“ (Stock, Veličkova 2002: 90).
III.2. Sprachliche Spezifik der Struktur- und Komponentenaktualisierung des Sprechrhythmus Die Untersuchung der verschiedenen Aspekte der gesprochenen Sprache ist heutzutage eine der wichtigsten und vielversprechendsten Richtungen im Bereich der Sprachwissenschaft. Dazu gehört in bedeutendem Maße die Untersuchung der rhythmischen Organisierung der gesprochenen Sprache in bezug auf verschiedene Sprachen. Es ist zu betonen, daß spezifische Besonderheiten der perzeptiblen und akustischen (bzw. prosodischen) Strukturierung der gesprochenen Sprache für verschiedene Formen des verbalen Schaffens in höchstem Maße durch den Rhythmus indiziert sind. Von diesem Standpunkt aus scheint die Untersuchung des Sprechrhythmus des Textes, d. h. des Textes in seiner mündlichen Realisierung, besonders kompliziert zu sein und dieses Problem erfordert die höchste Aufmerksamkeit der Sprachwissenschaftler und Sprechwissenschaftler (Zvučaščij tekst 1983). Die im folgenden dargestellte experimentelle phonetische Untersuchung ist dem Problem der rhythmischen Strukturierung gesprochener Texte gewidmet. Es wurden russische, tschechische, bulgarische, deutsche und englische Texte in ihrer schriftlichen und mündlichen Form analysiert. Das Hauptziel bestand darin, die wichtigsten Merkmale der rhythmischen Strukturierung dieser Texte in bezug auf obengenannte Sprachen zu bestimmen, zu beschreiben und
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zu systematisieren. Alle Texte waren vom Standpunkt der Genrezugehörigkeit aus verschieden, und zwar wissenschaftliche, publizistische Texte und Texte der schönen Literatur. Unsere vergleichende Untersuchung wurde durch das Vorhandensein von verschiedenen Analyseebenen charakterisiert: a) die Zugehörigkeit des Materials zu verschiedenen Sprachen; b) die Zugehörigkeit der Texte zu verschiedenen Genres; c) die Zugehörigkeit der Texte zur schriftlichen und mündlichen Form der verbalen Aktualisierung. Wie schon erwähnt, wurde als Basiseinheit der Beschreibung des Rhythmus die „Rhythmusstruktur“ (RS) ausgenützt, die als ein phonetisches Wort mit vorausgehenden unbetonten Silben (Proklise) und nachfolgenden unbetonten Silben (Enklise) und mit nur einer hauptbetonten Silbe betrachtet wurde (Russkaja grammatika 1982). In der linguistischen Literatur verwendet man in der Regel „Rhythmusstruktur“ und „phonetisches Wort“ als Synonyme. Aber unserer Meinung nach gibt es einen Unterschied zwischen diesen Begriffen. Dieser Unterschied besteht darin, daß der Begriff „Rhythmusstruktur“ (RS) die Zugehörigkeit dieser linguistischen Einheit zum System des Rhythmus in größerem Maße widerspiegelt. Die Verwendung dieses Begriffs bzw. Terminus bietet die Möglichkeit, eine Reihe von Silben als strukturell organisierte Laut- und Silbenkomplexe zu interpretieren und das Sprechkontinuum in bestimmte rhythmische Intervalle zu segmentieren. Gleichzeitig bietet diese grundlegende Einheit semantische und prosodische Informationen. Sie wird in jeder Sprachäußerung diskret aktualisiert und aus dem sprachlichen Kontext ausgegliedert. Die Rhythmusstruktur (RS) kann isoliert bzw. autonom funktionieren, das heißt, daß die RS als semantisch selbständige Einheit (z. B. als Satz, der aus einer RS besteht) auftreten kann (Zlatoustova 1981; 1996; Zlatoustova, Chitina 1988). Jeder Sprach- und Sprechtext wird mit Hilfe von RS gebildet, die eine rhythmische und semantische Funktion haben. Es ist zu unterstreichen, daß im Prozeß der Sprachkommunikation die RS gleichzeitig als Einheit der Redeproduktion und Redewahrnehmung betrachtet werden können. Diese Rhythmusstruktur (RS) dient in unserer experimental-phonetischen Untersuchung als Basiseinheit der ersten rhythmischen Ebene (Potapov 1991a; 1991b; 1993; 1996). Als Operationseinheit der zweiten rhythmischen Ebene wird in unserer Untersuchung das Syntagma betrachtet, das als „phonetische Einheitsstruktur, die das semantische Ganze im Prozeß des Sprechens und Denkens darstellt“ (nach L. V. Ščerba 1963: 87) interpretiert wird. Für diese Einheit ist die führende Rolle in der Sinnbildung typisch, die durch verschiedene intonatorische Mittel ausgedrückt wird. Im Laufe der letzten Jahre wurde mit Hilfe experimentalphonetischer Mittel festgestellt, daß die Prosarede durch einen bestimmten Rhythmus charakte-
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risiert werden kann. Die Spezifik des sprachlichen Rhythmus wird durch die Verbindung der Faktoren der Redeproduktion, der sprachlichen Artikulationsbasis, des Laut- und Silbenbestandes und der ganzen phonetisch-phonologischen Struktur einer bestimmten Sprache bedingt. Von diesem Standpunkt aus wäre es besonders wichtig, den Begriff des Rhythmus für Prosatexte zu definieren. Und in dieser Hinsicht gibt es einen großen Unterschied zwischen den Interpretationen dieses Begriffs in Prosa und Poesie. Unserer Meinung nach könnte man den Rhythmus in den Prosatexten als eine zeitliche Verteilung der spezifischen qualitativen und quantitativen Merkmale in bezug auf verschiedene phonetische Einheiten definieren. Dabei ist ihre innere hierarchische Strukturierung von besonders großer Bedeutung. Diese rhythmische Hierarchie bilden Sprach- und Sprecheinheiten wie Silbe, Rhythmusstruktur (RS), Rhythmusschema des Syntagmas (RSS). Alle Sprach- und Sprecheinheiten sind aufs engste miteinander verbunden und voneinander abhängig. Diese rhythmische Komponente bildet einen der Teile der Intonationsstruktur jeder Sprechäußerung (Zlatoustova, Potapova, Potapov, Trunin-Donskoj 1997). Zur Zeit werden von verschiedenen Linguisten drei Hauptaspekte des sprachlichen Rhythmus hervorgehoben, und zwar Aufeinanderfolge, Gruppierung und zeitliche Modellierung. Es gibt eine Reihe von Termini, die als Basiseinheiten des sprachlichen Rhythmus dienen. Dazu gehören solche Termini wie „phonetic word“, „rhythmic group“, „foot“, „stress group“, „rhythmical unit“, „accentual group“, „Sprechtakt“ usw. Wir haben in dieser Hinsicht verschiedene Sprachen analysiert und festgestellt, daß diese Begriffe vorwiegend von den Regeln der Wortbetonung abhängig sind. Das gab uns die Möglichkeit, abhängig von der Lokalisierung der betonten Silbe im Rahmen der größeren sprachlichen Einheiten Sprachen auf folgende Gruppen aufzuteilen (Ondračková 1962; 1968): 1. Sprachen, die durch das Vorhandensein von „fallenden“ Sprechtakten, wo die hauptbetonte Silbe am Anfang des Sprechtaktes steht, charakterisiert werden. Als Beispiel könnte man das Tschechische anführen. 2. Sprachen, die durch das Vorhandensein von „steigenden“ Sprechtakten, wo die hauptbetonte Silbe am Ende des Sprechtaktes steht, charakterisiert werden (z. B. die französische Sprache). 3. Sprachen, die durch das Vorhandensein von „umkreisenden“ Sprechtakten, wo die hauptbetonte Silbe in der Mitte des Sprechtaktes steht, charakterisiert werden (z. B. das Polnische). 4. Sprachen, in denen alle drei genannten Typen von Sprechtakten funktionieren (z. B. im Russischen, Englischen, Deutschen). Es ist zu betonen, daß es möglich ist, im Prozeß der Untersuchung des Rhythmus verschiedene minimale Basiseinheiten für die Beschreibung und Systema-
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tisierung der Ergebnisse auszunützen. Das hängt von folgenden Faktoren ab: erstens vom Typ der Betonung; zweitens von der Interpretation der rhythmischen Gliederung; drittens von der Interpretation des Hauptobjektes. Es ist auch sehr wichtig, den Begriff des Rhythmus für Prosa- und Poesietexte zu unterscheiden. Der Rhythmus in den poetischen Texten wird durch ganz bestimmte Einschränkungen charakterisiert. Das ist ein metrisches System der Einschränkungen, das die Sprache selbst reglementiert. Die experimental-phonetische Analyse des Rhythmus der poetischen Texte hat gezeigt, daß folgende Merkmale der Aufeinanderfolge, Gruppierung und qualitativen und quantitativen Modellierung für diese Texte typisch sind (Zlatoustova 1977): a) das verlangsamte Tempo; b) die Tendenz zur melodischen Monotonisierung; c) das fixierte System der Pausierung; d) das Hervorheben fast jedes autosemantischen Wortes; e) die Tendenz zur Eliminierung der logischen Betonung und Satzbetonung. Was die rhythmische Strukturierung der Prosatexte betrifft, war es notwendig, das entsprechende Material zu analysieren und alle Ergebnisse zu beschreiben. Dabei war das Problem der Selektion der Texte des experimentellen Materials von großer Bedeutung. Vom Standpunkt des funktionalen Stils und der inhaltlichen Information aus wurden alle Texte in drei große Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe bildeten publizistische Texte, die andere wissenschaftlich-technische Texte, die dritte die Texte der schönen Literatur. Alle Texte (n = 40) wurden durch Muttersprachler im Studio auf Tonband aufgezeichnet. Die Zahl der Muttersprachler betrug je 15 Männer und Frauen für jede Sprache, die analysiert wurde (für das Russische, Tschechische, Bulgarische, Englische, Deutsche). In der nächsten Etappe wurden alle Tonbandaufnahmen perzeptorisch analysiert. Die Aufgabe der Analyse bestand darin, alle betonten Silben in den Texten zu markieren, die Silbenreihen mit einer hauptbetonten Silbe (RS) zu segmentieren. Jede RS wurde wie gewöhnlich als eine bestimmte Bruchzahl dargestellt, wo oben die Zahl der Silben und unten die Nummer der betonten Silbe stehen (z. B. 3/1; 3/3; 4/1 usw.). Diese Daten gaben uns die Möglichkeit, alle RS folgendermaßen zu klassifizieren: a) alle Arten der RS im Text; b) die Häufigkeit dieser RS; c) die Arten der RSS; d) die Häufigkeit dieser RSS; e) die Rangverteilung aller Gruppen der RS und RSS, die für verschiedene Sprachen charakteristisch sind (Potapov 1991; 1993; 1996; 2001b). Es gelang uns, eine markante Tendenz zu beobachten, die mit der Verteilung der RS im Syntagma und mit der positionell bedingten Gesetzmäßigkeit der Lokalisierung (der RS) für verschiedene Sprachen verbunden ist. Diese Beobachtung versuchten wir, in eine deskriptive Formel zu fassen. Z. B.: 3/1 2/1 ...n /n ...2/1 3/1
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Das bedeutet, daß initiale und finale Positionen eines Syntagmas durch bestimmte RS regelmäßig markiert werden. Die Gesetzmäßigkeit selbst bleibt konstant in bezug auf verschiedene Sprachen, die Typen der RS aber werden für verschiedene Sprachen variiert. In dieser Hinsicht schreibt W. Lehfeldt, daß „...ein gegebener Text als ungegliederte Einheit betrachtet oder in unterschiedliche Rahmeneinheiten gegliedert werden kann. Letztere Möglichkeit befolgt etwa V. V. Potapov (2001b), wenn er Texte zunächst in Phrasen und diese in Syntagmen zerlegt, um anschließend diese Einheiten in puncto Rhythmus zu charakterisieren. Wenn man mehrere Texte in jeweils gleicher Weise ausgewertet hat, kann man mit Hilfe eines statistischen Testverfahrens die Frage beantworten, ob sie sich im Hinblick auf den Rhythmus signifikant unterschreiben oder nicht“ (Lehfeldt 2003: 166). Es war auch zweckmäßig, das Verhältnis zwischen den Typen der RS einerseits und der morphologischen Struktur der Sprache andererseits zu untersuchen. Als Ergebnis wurde eine bestimmte Abhängigkeit des RS- und RSS-Inventars in Texten von der morphologischen Struktur dieser Texte festgestellt: Substantive, Verben, Adjektive, Präpositionen + Substantive, Präpositionen + Adjektive usw. In dieser Hinsicht wurde folgende kausale Abhängigkeit formuliert: Die morphologische Spezifik der Sprache (z. B. ihre Angehörigkeit zur Gruppe der analytischen oder synthetischen Sprachen) beeinflußt die rhythmische Strukturierung des Sprechkontinuums dieser Sprache. Der morphologische Faktor ist für die perzeptorische Bewertung des Sprechrhythmus von großer Bedeutung. Es gibt sogenannte „perzeptive Frequentalien“, die morphologisch bedingt sind und den Sprechrhythmus bei den Muttersprachlern formieren. So spielen z. B. im Deutschen in dieser Hinsicht bestimmte Faktoren eine große Rolle, etwa das Vorhandensein trennbarer Präfixe, die Wortbildungsproduktivität der Zusammensetzungen, das Funktionieren des Artikels usw. Im Prozeß der Perzeptionserfassung des Sprechrhythmus orientieren sich z. B. die Deutschen an morphologisch markierten Segmenten, die Russen aber an Silben, die mit der Semantik der Sprachäußerung unmittelbar nicht verbunden sind (Štern 1989). Was das Englische anbelangt, so orientieren sich die Muttersprachler an einer Reihe von Wortformen bzw. an einer Wortformenkette. Die durchgeführte experimentelle Analyse gab uns die Möglichkeit, festzustellen, daß die Herausbildung der rhythmischen Besonderheiten einer Sprache von vielen Faktoren abhängt. Dazu gehört in erster Linie die grammatische Spezifik der Sprache. In der nächsten Etappe wurden prosodische Charakteristiken der Rhythmusstrukturen (RS) und Rhythmusschemata der Syntagmen (RSS) analysiert. Die Hauptaufgabe bestand darin, für die Sprachperzeption alle relevanten Ver-
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änderungen der Dauer (ti), Grundfrequenz (F0) und Intensität (Ii) zu untersuchen. Es wurden folgende akustischen Parameter analysiert: absolute Dauerwerte (ms), relative (normierte) Dauerwerte für Vokale und Silben im Rahmen von RS und RSS, Durchschnittswerte, Grundfrequenzmodifikationen, Intensitätsmodifikationen usw. Es wurde festgestellt, daß sich die Strukturierung der obengenannten akustischen Parameter in bezug auf verschiedene Sprachen und verschiedene Textarten unterscheidet. Die Verteilung der prosodischen Parameter (z. B. tvok.14, tRS, tsilbe, Ivok., F0, F0RS(zw.), F0RS(inn.)) wurde für das Tschechische, Bulgarische und Russische untersucht. Was die Verteilung dieser Parameter für die obengenannten Sprachen betrifft, so könnte man behaupten, daß alle Rhythmusstrukturen (RS) und Rhythmusschemata der Syntagmen (RSS) durch folgende Merkmale charakterisiert sind: a) Für das Tschechische: durch einen engen melodischen Grundfrequenzbereich, eine minimale melodische Veränderlichkeit, mittlere Energie (Intensität), isochrone Realisierung der RS, eine größere Zahl der RS im Rahmen eines Syntagmas (bis n = 7), gleichmäßiges mittleres Tempo, besondere sprechsprachliche Ausprägung der phonologisch langen Vokale und silbenbildenden Sonanten, was den synkopierten Rhythmus bildet. b) Der bulgarische sprachliche Rhythmus ist durch folgende phonetische Merkmale charakterisiert: durch einen mittleren melodischen Grundfrequenzbereich, mittlere melodische Veränderlichkeit, mittlere Energie (Intensität), gleichmäßige Gliederung der Syntagmen in bezug auf RS (bis n = 5), schnelleres Tempo, zeitliche Hervorhebung des Konsonantismus. c) Die Prosodie des Rhythmus im Russischen wird folgendermaßen dargestellt: der größte Grundfrequenzbereich, größere melodische Veränderlichkeit, maximale Energie (Intensität), mittlere RS-Gliederung der Syntagmen (bis n = 5), langsameres Tempo (im Vergleich zum Tschechischen und Bulgarischen), ungefähr gleiche zeitliche Ausprägung des Vokalismus und Konsonantismus. Das Sprechkontinuum jeder der genannten Sprachen besitzt ein bestimmtes System der akustischen Merkmale zur Gliederung der sprechsprachlichen Texte mit Hilfe der Rhythmusstrukturen (RS).
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Abkürzungverzeichnis: tvok bezeichnet die Werte der Dauer von Vokalen, tRS die Werte der Dauer von RS usw.; zw. bedeutet „F0 zwischen Silben“, inn. bedeutet „im Rahmen der Silbe“.
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III.3. Phonetische Prozesse und der „Zweite Südslavische Einfluß“ Ab Ende des 14. Jahrhunderts verstärken sich im literarischen Russischen die archaisierenden Tendenzen, die auf den sogenannten Zweiten Südslavischen Einfluß (der Erste Südslavische Einfluß gehört zur Zeit der christlichen Taufe Rußlands) zurückzuführen sind, unter dem man eine komplexe Erscheinung in der Geschichte der russischen Literatur, des literarischen Russischen und im weiteren Sinne in der Geschichte der russischen Kultur generell versteht. Der südslavischen Schriftsprache um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert waren archaisierende Tendenzen eigen, die auf Rußland übergriffen, wo ab Ende des 14. Jahrhunderts Bücher so korrigiert wurden, daß ihnen dadurch das ursprüngliche, d. h. archaische Erscheinungsbild, das durch wiederholtes Abschreiben verändert worden war, wiederverliehen wurde (siehe z. B. Ščepkin 1967: 129–132; Uspenskij 2002: 269–339 u. a.). In Moskau wurden Bücher unter der Leitung des Metropoliten Kyprian redigiert. Der Zweite Südslavische Einfluß bewirkte eine erneute Dominanz der kirchenslawischen Normen. Die Skriptoren verfolgten eine immer weitergehende Archaisierung der Sprache und setzten die kirchenslavischen Sprachnormen in verstärktem Maße durch. Bei zwei Varianten, wenn es auch buchsprachliche Varianten gab, wurde die seltenere gewählt. Echt kirchenslavischen Wörtern, die gleichlautende volkstümlich-umgangssprachliche Parallelen hatten, wurde eine deutlich buchsprachliche Form gegeben, wodurch die Ähnlichkeit mit der lebendigen Sprache beseitigt wurde. So entstanden sogenannte hyperkorrekte Formen, wie z. B. ЗЛЕNЪ, МУЖДУ anstelle der Formen ЗЕЛЕNЬ, МУЖУ („das Grün“, „dem Gatten“). Der Zweite Südslavische Einfluß hatte eine starke Einwirkung auf die Graphik und die Orthographie von Texten. Es erschienen neuartige, dem griechischen Vorbild entstammende Schriftbilder von einigen Buchstaben, was für die südslavische Schriftsprache typisch war, z. B. „a“ – „α“, „л“ – „λ“. Es wird das bis dahin längst vergessene „юс большой“ (ursprünglich ein Buchstabe für den hinteren Nasalvokal) erneuert. Die Semiunziale wird durch die Unziale oder durch die neue Semiunziale südslavischen Typs ersetzt. Es behaupten sich entsprechend der südslavischen Tradition „Ъ“ und „Ь“ nach Liquiden z. B. ТРЪГЪ, ПРЬВЬ (anstelle der russischen ТЪРГЪ, ПЬРВЬ). Der Zweite Südslavische Einfluß kommt auch im Fehlen der Jotierung bei „A“ in der Position nach Vokalen zum Ausdruck, z. B. ВСЕА, МОА statt ВСЕЯ, МОЯ; ДОБРАА statt ДОБРАЯ. Nach dem serbischen Muster wird die Schreibung von „Ь“ nach Konsonantenbuchstaben am Wortende (in der Auslautposition) eingeführt, z. B. ОУМЬ, ДОУБЬ usw. In der Schriftsprache nimmt die Zahl der Abkürzungen zu.
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Heutzutage ist es recht schwierig, sich vorzustellen, wie sich dieser Einfluß auf Lesenormen ausgewirkt hat. Die Lesenormen spiegeln in der Regel die Kiewer Periode wider, was sich in der Moskauer Nachfolge Kiews während dessen Blütezeit ausdrückt. Einige Aspekte der Aussprache wurden von B. A. Uspenskij (Uspenskij 1973; 1988; 2002) beschrieben: 1. Die Aussprache von „Ь“ und „Ъ“ als Vokale „o“ und „e“. 2. Das Lesen von „g“ als frikativem Konsonanten, d. h. als /γ/ und nicht als /g/. Das Moskauer Rußland vereinigte eine Bevölkerung, die nur den explosiven Verschlußlaut /g/ ausgesprochen hatte, der sich aber etwas später eine Bevölkerung mit der Aussprache des frikativen Konsonanten anschloß. Die kirchenslavische Norm der Aussprache ist in Worten kirchenslavischer Abstammung genau (wie in Dialektsprachen repräsentiert), d. h. es wurde ein frikativer Konsonant /γ/ ausgesprochen. 3. Es gab einen eigenartigen Unterschied zwischen „e“ und „ě“, der durch die Opposition der vorausgehenden harten (halbweichen) und weichen Konsonanten ausgedrückt wurde. Demzufolge wurde ein Konsonant vor dem Buchstaben „e“ wie vor den Vokalen „a“, „u“ usw. und vor dem Buchstaben „ě“ wie vor Vokalen „ja“, „ju“ usw. vorgelesen, z. B. [nεbo], [s’εrɨ]. Diese Tendenz blieb in der Liturgie der Altgläubigen erhalten. Sie haben die Aussprachenormen konserviert, die sich zur Zeit der Kirchenspaltung ausgebildet hatten (d. h. um die Mitte des 17. Jahrhunderts). In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, daß die kirchenslavische Aussprache von Wörtern mit der *dj-Gruppe durchgesetzt wurde, z. B. früher ПРЕЖЕ, ОДЕЖА, nach dem Zweiten Südslavischen Einfluß ПРЕЖДЕ, ОДЕЖДА. Um diese Zeit werden die supralinearen Zeichen aktiv gebraucht. Es werden Betonungszeichen eingeführt. Das heißt, daß ab Ende des 14. Jahrhunderts die Handschriften akzentuiert werden. Doch trugen damals die Akzentzeichen keine phonetische Information, denn in damaligen russischen Texten waren lediglich die südslavischen Betonungen oder deren Imitation markiert. Gegen Ende der Wirkung des Zweiten Südslavischen Einflusses erscheinen jedoch in russischen kirchenslavischen Texten die gleichen Betonungszeichen, die auch früher gebraucht worden waren (d. h. etwa die gleichen, die im Neuen Testament des Čudov-Klosters vorhanden sind). Es wird angenommen, daß während des Zweiten Südslavischen Einflusses die Tradition der kirchenslavischen Aussprache (bzw. der Akzentuierung), die unabhängig von der Orthographie existierte, aufrechterhalten wurde. In bestimmten Fällen wurde die neue Betonung in spezifischen buchsprachlichen Formen durchgesetzt, die in keinem Zusammenhang mit lebenden Sprachformen standen. Das Abweichen von der Umgangssprache erstreckt sich auch auf die akzentuellen Charakteristiken von Lexemen. Da die spezifisch buchsprachlichen
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Lexeme, die mit nicht buchsprachlichen Lexemen korrelieren und ihnen gegenübergestellt sind, zu dieser Zeit eine besondere buchsprachliche Betonung erhalten konnten (in der Regel war es eine unbewegliche feste Betonung in der Position vor der Endung), ergaben sich daraus akzentuelle Gegenüberstellungen wie пр[í]няли – прин[já]ли, принял[á] – при[já]ла (Zaliznjak 1985). Der Zweite Südslavische Einfluß ist auch auf der lexischen Ebene zu verzeichnen, was ebenfalls mit der veränderten Wortrhythmik verbunden ist. Die wachsende Silbenkomplexität bewirkte eine Komplexität der Satzbildung. Das war erstens eine massenhafte Einführung von spezifisch buchsprachlichen Neubildungen in Texten, d. h. eine Vorliebe für zusammengesetzte Wörter (bzw. Mehrstammwörter). So erschienen z. B. im 15.–16. Jahrhundert Wörter wie всегорделивый („hochstolz“), каменноградый („steinstädtisch“), многоукрепленный („vielbefestigt“), мудросложный („klugsprachlich“), богоумильный („gottgefällig“) usw. In diesen Wörtern konnte die Hauptbetonung mit einer Nebenbetonung kombiniert werden (wenn man bei der Analyse von Textrhythmen alle Betonungsarten berücksichtigt). Zweitens gab es eine Aktivierung rein buchsprachlicher Mittel, wie z. B. des Präfixes „сo-“ statt „с“ („союз“ – „Union“); des Präfixes „воз-/вос-“ („восхитить“ – „entzücken“, „воспрепятствовать“ – „verhindern“, „возомнить“ – „sich einbilden“), des Suffixes „-ствие“ („благоденствие“ – „Wohlfahrt“). Diese Erscheinungen sind mit Besonderheiten des Stils verbunden, der sich um diese Zeit durchsetzte. Eine komplexere Silbenform führte zu einer komplexeren Satzbildung, einem reichlichen Gebrauch von Metaphern, Vergleichen. So ist mit dem Zweiten Südslavischen Einfluß das Aufblühen einer spezifischen Ausdrucksform verbunden, die als „извитие“ („Geziertheit“) oder „плетение словес“ („Wortgeflecht“), „славяно-эллинские стили“ („slavischhellenische Stilarten“) bezeichnet wurde. Diese slavisch-hellenischen Stile übertreffen in ihrer Schnörkelhaftigkeit und ihrem Malerischen bei weitem die Redegewandheit von Autoren des Kiever Rußlands. Während im frühesten Altertum die prunkvolle Ausdrucksweise hauptsächlich in der religiös-didaktischen Literatur angewandt wurde, entwickelt sich sie nun auch im Bereich der weltlichen Genres, insbesondere in bezug auf historische Dichtungen. Die neue Graphik und Orthographie ist in kirchlichen und weltlichen Genres weit verbreitet, bis zu einem gewissen Grad auch in einigen sehr bedeutenden fachsprachlichen Denkmälern, wie z. B. im „Судебник“ („Rechtsbuch“) und im „Уложение Алексея Михайловича“ („Gesetzbuch des Zaren Alexej Michailovič“). Auffällig ist auch der Charakter von Texten, z. B. in Novgoroder Handschriften, mit Spuren des Südslavischen Einflusses. Es handelt sich dabei um asketische Dichtungen. M. Gal’čenko zufolge (Gal’čenko 1996) kommen die
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frühesten Merkmale des Zweiten Südslavischen Einflusses gerade in Handschriften mit asketischen Dichtungen zum Ausdruck, insbesondere in denen, die in Rußland bereits vor der Jahrhundertwende (14./15. Jahrhundert) bekannt waren. Die älteste Handschrift mit deutlichen graphisch-orthographischen Einwirkungen des Zweiten Südslavischen Einflusses war die Dioptra des Mönchs Philippos Monotropos (1388), die von einem russischen Schreiber in Konstantinopol angefertigt worden war. Sie enthält regelmäßig gesetzte Kommas, Semikolons, bestimmte Akzentzeichen, die Ligatur im Anfang des Wortes und in der Mitte des Wortes in bezug auf die Mitte der Zeile; der Buchstabe „α“ steht öfters nach Vokalbuchstaben, das „deziare i“ steht vor Vokalbuchstaben nicht nur am Zeilenende; es kommen auf „südslavische Art“ geschriebene Kombinationen von reduzierten und Liquidlauten in Wortwurzeln sowie Schreibungen mit жд, entsprechend *dj, vor. Nach A. Turilovs Meinung (präsentiert in einem mündlichen Vortrag) begann der Zweite Südslavische Einfluß in Rußland eigentlich mit dem intensiven Abschreiben asketischer Dichtungen, die von Südslaven im 14. Jahrhundert übersetzt worden waren (oftmals auf dem Athos), durch altrussische Schreiber, von denen die meisten zum Klostermilieu gehörten. Anfangs erstreckte sich dieser Einfluß auf die Textebene, griff aber schnell auf die Bereiche der Graphik, Orthographie und auch den Schrifttyp über, was dazu führte, daß die Unziale und die ältere Semiunziale durch die jüngere Unziale ersetzt wurden und viele altrussische Schreiber, etwa ab der Mitte der 10er Jahre des 15. Jahrhunderts, sich der südslavischen, fast ausschließlich bulgarischen Rechtschreibung zuwandten und sie eifrig nachahmten. Die Forschungen von M. Gal’čenko liefern ausreichende Beweise für die Richtigkeit dieser Annahme. Der Zweite Südslavische Einfluß kam im Schrifttum zum Ausdruck und verschwand allmählich gegen Ende des 16. Jahrhunderts, denn es handelte sich nur um das Kopieren südslavischer Texte. Bei der Analyse der rhythmischen Struktur von Texten mit Elementen des Südslavischen Einflusses wurde auf folgende Texte zurückgegriffen: „Моление Даниила Заточника“ („Die Bittschrift des Daniil Zatočnik“) nach einer Abschrift aus dem 16. Jahrhundert; „Житие Стефана Пермского“ („Die Vita des Stefan von Perm“) nach einem Sammelband mit Viten und Erzählungen aus dem 15. und dem 16. Jahrhundert. Die Sagendichtung in der „Bittschrift“ ist ziemlich ausdrucksstark. Der Text entstammt der Spielmannstradition. Das Gedicht beruht auf syntaktischer Prosodie. Als Zeilengrundform der Sagendichtung gilt die Zeile mit vier Betonungen, in der die schwächere (die Nebenbetonung) und die stärkere (die syntagmatische) Betonung aufeinanderfolgen und der ein Intonationsumbruch vom
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Typ der Antikadenz bzw. Halbkadenz nach der ersten syntagmatischen Betonung innewohnt (siehe Näheres dazu in Taranovskij 1968). Im „Bittschrift“-Text sind zweisilbige Strukturen mit der Betonung auf der ersten Silbe und dreisilbige mit der Betonung auf der zweiten Silbe sowie zweisilbige Strukturen mit betonter zweiter Silbe die häufigsten Rhythmusstrukturen (RS) – jeweils 15,7% und 13,6%. Die häufigsten Syntagmen bestehen aus zwei RS (42,2%), drei RS (26,5%) und vier RS (14,5%). Die häufigste Silbenzahl ist dabei sieben (19,7%), zehn, zwölf (je 11,8%) und elf (9,2%). Die durchschnittliche Syntagmenlänge, ausgedrückt in RS, ist 2,8. Gemessen in Silben beträgt diese Länge 9,4. Die anfänglichen Syntagmenstrukturen (die RS am Anfang jedes Syntagmas) sind zweisilbige RS mit der Betonung auf der ersten und der zweiten Silbe (jeweils 17,9% und 16,7%). Die zweite Syntagmenstruktur ist die dreisilbige RS mit der Betonung auf der zweiten Silbe (20,9%) und die zweisilbige RS mit der Betonung auf der ersten Silbe (18,6%). Die vorletzte Struktur sind die viersilbige RS mit der Betonung auf der zweiten Silbe (23,8%) und die zweisilbige RS mit der Betonung auf der ersten Silbe (19,0%). Die Endstruktur der Syntagmen ist durch drei RS vertreten: die dreisilbige mit der Betonung auf der zweiten Silbe (17,9%) sowie die zwei- und dreisilbige mit der Betonung auf der ersten Silbe (je 10,3%). Das Syntagmaschema kann also formal wie folgt modelliert werden: 2/1(2/2);3/2(2/1)...n/n...4/2(2/1);3/2(2/1;3/1) Die Gruppe der häufigsten RS im Text der „Vita“ enspricht völlig der häufigsten Gruppe der „Bittschrift“, wenn auch in einer anderen Reihenfolge, d. h. hier sind ebenfalls dreisilbige Strukturen mit der Betonung auf der zweiten Silbe (18,3%) und zweisilbige mit der Betonung auf der ersten und der zweiten Silbe (jeweils 17,4% und 12,9%) vertreten. Die häufigsten Syntagmen bestehen aus drei RS (30,6%), zwei RS (27,4%) sowie vier und fünf RS (je 14,5%), was eine ziemlich gute Korrelation mit den Werten des „Bittschrift“-Textes darstellt. Die häufigsten Syntagmen bestehen aus sechs und neun Silben (je 11,3%) sowie aus fünf Silben und dreizehn Silben (je 8,1%). Die durchschnittliche Syntagmenlänge ist 3,6 RS, bzw. 11,6 Silben. Die erste RS des Syntagmas bilden zwei- und dreisilbige Strukturen (jeweils 23,0% und 19,7%) mit der Betonung auf der zweiten Silbe. Die nächste RS ist durch dreisilbige Strukturen mit der Betonung auf der zweiten Silbe (27,9%) und zweisilbige mit der Betonung auf der ersten Silbe vertreten. Als vorletzte Syntagmenstrukturen figurieren zwei- und dreisilbige RS mit der Betonung auf der ersten Silbe (je 20,0%). Die letzte RS bilden dreisilbige RS mit der Betonung auf der zweiten Silbe (17,7%) sowie zweisilbige mit der Beto-
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nung auf der ersten Silbe und viersilbige mit der Betonung auf der dritten Silbe (je 14,5%). Das Syntagmaschema kann also formal folgendermaßen modelliert werden: 2/2(3/2);3/2(2/1)...n/n...2/1(3/1);3/2(2/1;4/3) Die Klassen und Typen der RS in den analysierten Texten entsprechen völlig der allgemeinen Häufigkeitstendenz der rhythmischen Strukturierung im Altrussischen und im Altkirchenslavischen gemäß der Handschrift des 11. Jahrhunderts (Potapov 1996; 1999b). Die sich aus der Analyse ergebenden formalen Syntagmaschemata deuten darauf hin, daß die zweite und die letzte Syntagmenstruktur absolut identisch sind: Dominierend ist die dreisilbige RS mit der Betonung auf der zweiten Silbe. Der Meßwert der durchschnittlichen Syntagmenlänge in RS bezeugt die Zugehörigkeit der beiden Schriftdenkmäler zu den prosaischen Texten (entsprechend 2,8 RS und 3,6 RS) (vgl. z. B. die Angaben von L. V. Zlatoustova, M. V. Chitina 1988; V. V. Potapov 1999b). Häufige Syntagmen, die aus zwei RS bestehen, sind ein Zeugnis für den Einfluß des Syntax- und Intonationsmodells der Erzählungsdichtung. Insgesamt läßt sich festhalten, daß es keine auffallenden krassen Besonderheiten im Rhythmussystem von Texten mit Merkmalen des zweiten Südslavischen Einflusses im Vergleich zu anderen Texten gibt.
III.4. Rhythmische Spezifik der zusammengesetzten Wörter im Deutschen Die unterschiedlichen Herangehensweisen an Analyse und Interpretation des Rhythmus der deutschen gesprochenen Sprache lassen sich heutzutage in zwei Grundgruppen gliedern: Untersuchungen, die sich auf die akzentzählende Isochronie stützen, und Untersuchungen, die von der silbenzählenden Isochronie ausgehen. In beiden Fällen ist der Grundstein aller wissenschaftlichen Überlegungen der Begriff der Isochronie, der von metrischen Besonderheiten der poetischen Rede auf die nichtgereimte Rede übertragen wird (Pike 1945; Abercrombie 1967). Als Stützsprechquant tritt zum Begriff „Quant“ nach R. K. Potapova (Potapovа 1986a) in diesem Fall der Takt (der Versfuß) auf. Der Rhythmus wird Vers und Prosa zugeschrieben. Der Unterschied liegt in der Regelmäßigkeit der Zergliederung (Quantisierung). Generell unterscheidet man zwischen quantitierendem und akzentuierendem Rhythmus. Die Differenzierung
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der Betrachtungsweisen ist in einem Fall mit der zeitlichen Kompression der silbischen Segmente im Rahmen eines Takts verbunden, die durch die Zunahme der Silbenzahl in einem Takt bestimmt wird (indirektes Reziprozitätsgesetz zwischen der Silbenzahl und ihrer Dauer); im anderen Fall mit dem direkten Reziprozitätsgesetz zwischen der Silbenzahl im Rahmen eines Takts und ihrer summarischen Dauer. Im ersten und im zweiten Fall geht es um die isochrone Deutung des Stützsprechquants. Die Isochronie selbst ist orientiert auf die unterschiedliche Aktualisierung des Sprechrhythmus durch a) Silbenzahl; b) summarische Dauer. In der modernen Germanistik und in der Rhythmologie allgemein sind beide Auffassungen gut vertreten. Es gibt aber die Tendenz zur Suche nach einem anderen Weg, deren Vertreter den Sprechrhythmus von Prosa nicht so formal interpretieren und morphologisch-phonologisch-phonetische Aspekte dieses Phänomens und den Sprachbau berücksichtigen (Potapov 1993; 1996; 1998; 1999a; 1999b; Stock 1998; 2000; Stock, Veličkova 2002 u. a.). Die Kritik von E. Stock (Stock 1998; 2000) an beiden obengenannten Isochronieauffassungen in bezug auf akzentzählende und silbenzählende Betrachtungsweisen mit Rücksicht auf den deutschen gebundenen nicht metrischen Rhythmus von Prosa scheint gut argumentiert und begründet zu sein. Ein traditioneller Irrtum bei der Untersuchung und Interpretation des Sprechrhythmus von verschiedenen Sprachen ist die Übertragung von bei der Untersuchung des Englischen gewonnenen Schlußfolgerungen auf andere Sprachen im Prozeß ihrer Analyse. Dabei werden in der Regel Faktoren wie der Reduktionsprozeß von Vokalen, die Spezifik der Silbenstruktur und Silbengrenzen, die Wechselbeziehung zwischen Silbenstruktur und Akzentstelle, die Position des Hauptakzents im Syntagma und gesprochenen Satz, grammatische, kommunikative, emotive und andere Funktionen der Betonung außer Acht gelassen. Parallel dazu kompliziert sich das allgemeine integrative Bild der Beschreibung des Rederhythmus in Abhängigkeit davon, wie vollständig dieses Phänomen vom Forscher analysiert wird (mit Rücksicht auf Sprechperzeption, akustische Phonetik, Morphophonologie, lexikalische Häufigkeit, Phonotaktik u. a.). In bezug auf die Kritik des Zuganges, laut dem der deutsche Sprechrhythmus als akzentzählend bezeichnet wird (Pheby, Eras 1969; Pheby 1981), sind wir mit der Meinung von E. Stock einverstanden. Die obenerwähnten Autoren beziehen sich auf eine experimentelle Untersuchung, in deren Verlauf die Segmentierung eines von drei Sprechern gelesenen Textes in Takte (von Iktus bis Iktus) und in Gruppen, die durch eine hinsichtlich F0 hervorgehobene Silbe mit dem Hauptakzent markiert sind, durchgeführt werden mußte. Die Hierarchie der markierten Silben wurde von 1 bis 4 rangiert. Die Gruppe konnte aus einer beliebigen Taktzahl (von 1 bis n) bestehen. Es wurde die Taktdauer mit Rücksicht auf die Silbenzahl analysiert. Der Wahrnehmungsaspekt wurde dabei
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nicht berücksichtigt. Außerdem wurden stilistische Faktoren außer Acht gelassen. Zu kategorisch scheinen auch die Schlußfolgerungen von K. Kohler (Kohler 1982) in bezug auf Isochronie zu sein. Die Berücksichtigung vieler Aspekte nähert die Interpretation des Begriffs „Sprechrhythmus“ in der Germanistik einem organischen, komplexen und wahrscheinlichkeitsorientierten Phänomen an (von Essen 1979; Meinhold 1971; Neuber 1998; Völtz 1991; Stock 1998; 2000). Hieraus ergibt sich, daß das Phänomen des Sprechrhythmus eines der am wenigsten erforschten Objekte nicht nur in der allgemeinen Rhythmologie, sondern auch in der Germanistik ist. Traditionell schenkten die Philologen der Untersuchung der rhythmischen Organisation von poetischen Werken größere Aufmerksamkeit. Auf diesem Gebiet gibt es fast keine „weißen Flecken“. Ursprünglich herrschte die Meinung, der Begriff „Rhythmus“ könne in bezug auf ungebundene Rede nicht angewandt werden, denn der Rhythmus wurde als Wiederholung sämtlicher sprachlichen Strukturen in gleichen zeitlichen Intervallen verstanden. Die letzten Jahrzehnte sind durch die besondere Aufmerksamkeit von Linguisten und in erster Linie von Phonetikern auf das Problem des Sprechrhythmus charakterisiert. Dabei wird eine andere Definition dieses Begriffes zugrunde gelegt. Es wird anerkannt, daß die rhythmische Gestaltung ungebundener Rede untersucht werden kann und muß. Obwohl es bis jetzt Unterschiede beim Verstehen der Funktion und Struktur der rhythmischen Gestaltung der gesprochenen Sprache sowie Unterschiede in der Terminologie gibt, wird das Wichtigste nicht mehr bezweifelt: Rhythmus ist ein integrierender Bestandteil der ungebundenen gesprochenen Sprache (Čeremisinа 1982; Čeremisinа-Enikolopova 1999; Ivanova-Luk’janova 1998; 2009 u. a.). In der Untersuchung des Sprechrhythmus hinsichtlich der allgemeinen Rhythmologie ist eine Reihe von unterschiedlichen Betrachtungsweisen festzustellen. Einerseits versucht man universelle Eigenschaften zu bestimmen, die den Sprechrhythmus als solchen beschreiben, abgesehen von seiner konkreten Realisation in einer bestimmten Sprache. Andererseits werden individuelle Besonderheiten der rhythmischen Gestaltung der Texte in Hinsicht auf bestimmte Sprachen und Sprachgruppen untersucht. Außerdem kann der Rhythmus genauso wie die anderen sprachlichen Phänomene sowohl mit Rücksicht auf Synchronie (dabei wird sein gegenwärtiger Zustand beschrieben) als auch Diachronie betrachtet werden (dabei werden seine Modifikationen und die Dynamik im Laufe der Geschichte der allgemeinen Sprachentwicklung verfolgt) (Potapov 1996). Heutzutage sind nur die ersten Schritte auf dem Wege der ausführlichen Beschreibung dieses Sprechphänomens gemacht. Es ist notwendig, zahlreiche Experimente zum Zweck der Formierung eines umfangreichen Korpus von artikulatorischen, akustischen und perzeptorischen Charakteristiken des Sprechrhythmus durch-
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zuführen. Die Einzigartigkeit des Prosarhythmus zieht besonders die Aufmerksamkeit der Phonetiker auf sich. Der Rhythmus, der eine komplizierte Struktur besitzt und auf allen Sprachebenen realisiert wird, gibt der gesprochenen Sprache ihre Individualität und Originalität. Für die Germanistik gewinnt das Problem des Sprechrhythmus in bezug auf zusammengesetzte Wörter, Verteilung von Akzenten im Redefluß, ihre Wahrnehmung usw. besondere Bedeutung. Die Aktualisierung verschiedener Akzenttypen in der gesprochenen Sprache ist nicht nur mit Morphemstrukturen, sondern auch mit besonderen deutschen rhythmischen Tendenzen verbunden, die beim Erlernen des Rhythmus der deutschen gesprochenen Sprache zu berücksichtigen sind: Morpheme, die in einem selbständigen Wort den vollen Akzent haben, verlieren ihn, wenn sie im Rahmen eines zusammengesetzten Wortes gebraucht werden. In einem bekannten Beispiel von O. von Essen (Landbriefträger) folgen hintereinander drei Bestandteile, die selbst an und für sich betont werden: Land Brief Träger. Die Verbindung der zwei letzten Morpheme ergibt Bríefträger, d. h. der zweite Bestandteil verliert seinen Akzent völlig. Bei der Verbindung aller drei Bestandteile ändert sich das Bild aber wieder: Lándbriefträger, d. h. Brief wird zum zweiten Teil der Struktur und verliert seinen Akzent, und im Morphem Träger erscheint ein Nebenakzent. Und das alles tritt im Rahmen einer rhythmischen Einheit auf. Die rhythmische Struktur wird nicht in kleinere Blöcke eingeteilt. Der Muttersprachler perzepiert immer ihre phonetische Ganzheit. Deswegen hat für das Deutsche das Einbeziehen nicht nur von akzentuierten und akzentlosen Silben, sondern auch von Silben mit einem Nebenakzent in die rhythmische Struktur eine besondere Bedeutung. O. von Essen betont, daß in manchen Fällen das Vorhandensein einer gewissen Tendenz zur rhythmischen Periodisierung in der deutschen nicht metrischen gesprochenen Sprache zu beobachten ist. Manchmal ist sie so stark, daß unter ihrem Einfluß Akzente verschoben werden, die im Sprachsystem gefestigt sind, zum Beispiel: éinmal – einmál. In der deutschen gesprochenen Sprache ist folgende Tendenz zu beobachten: Vermeiden von zwei unmittelbar hintereinander folgenden schweren (durch Akzent markierten) Silben. Dank dieser Tendenz ist ein periodischer Wechsel möglich und das kann die Ursache der Akzentverschiebung sein: Abteílung statt Ábteilung, únaufrìchtig statt únaùfrichtig usw. Dieser Prozeß ist um so realer, je näher zueinander die markierten Silben im Redefluß sind. In unseren Experimenten wurde versucht, Varianten der Veränderung vom konstanten Schema der Silbenbetonungen in zusammengesetzten Wörtern in der deutschen gesprochenen Sprache festzustellen. Als Untersuchungsmaterial wurden zusammengesetzte Wörter germanischer Herkunft gewählt (historische Entlehnungen wurden nicht untersucht). Alle gewählten Wörter wurden in Kontexten untersucht, wo sie verschiedene
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Positionen sowohl im Satz (Anfang, Mitte, Ende), als auch im Text hatten (Potapovа 1986a). Das Material (Texte, Sätze und einzelne Wörter) wurde in der Realisation von 4 Sprechern (Muttersprachlern) aufgenommen. Zwei Arten der Sprechtätigkeit wurden analysiert: Lesen und Nacherzählen. In letzterem Fall ging es um das freie Nacherzählen bei der Anwendung von für unsere Untersuchung wichtigen Schlüsselwörtern. Als Ergebnis entstand ein aus 480 Sprechvarianten von Stimuli-Wörtern bestehendes Korpus. Die Gesetzmäßigkeiten bei der Akzentverteilung in einem zusammengesetzten deutschen Wort sind noch nicht ganz klar. Diese Erscheinung wird einerseits als phonetisch, andererseits als morphologisch interpretiert. Es besteht aber keine absolute Übereinstimmung, was diese Frage betrifft. In einem Fall (Zinder, Stroeva 1957) wird das phonetische Variieren eines deutschen Wortes in bezug auf die Akzentstelle betont, weil der Akzent mit dem Stammorphem verbunden ist und zu verschiedenen Silben im Wort gehören kann. N. S. Trubetzkoy (Trubetzkoy 1958) nennt ihn „relativ frei”, weil er „etymologisch” begrenzt ist. O. Ch. Zacher (Zacher 1969) spricht vom „morphemgebundenen” deutschen Akzent. Es sind paradigmatische und syntagmatische Akzentstrukturen zu unterscheiden. Die in Wörterbüchern gegebenen Akzentstrukturen haben einen paradigmatischen Charakter. Sie sind nur unter bestimmten positionellen Bedingungen in der nichtemotionalen Rede zu finden. Unter dem Einfluß von semantischen Schattierungen einer Äußerung, Emotionen, phonostilistischen Faktoren entstehen syntagmatische Varianten von paradigmatischen Modellen. In der ersten Etappe wäre es aber notwendig, paradigmatische Modelle einer gewissen Sprache zu untersuchen, um dann auf deren Basis weitere Untersuchungen ihrer in der gesprochenen Sprache vertretenen syntagmatischen Varianten durchzuführen. Der Untersuchung von paradigmatischen rhythmischen Modellen des Deutschen ist eine Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten gewidmet. Die Analyse von lexikalischen Strukturen des Deutschen wurde zum Beispiel von P. Menzerath anhand von 20 453 Wörtern durchgeführt (Menzerath 1954). Von ihm wurde folgende Verteilung von deutschen rhythmischen Strukturen in der Abhängigkeit von der Silbenzahl ermittelt (siehe Tab. 1).
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Tabelle 1 Paradigmatische Häufigkeit von rhythmischen Strukturen (anhand des Deutschen nach Angaben von P. Menzerath )
Aufgrund dieser Angaben sind folgende Schlußfolgerungen zu ziehen: Den größten Teil der deutschen Wörter bilden Zwei- und Dreisilber. Weniger vertreten sind vier- und einsilbige Strukturen, andere Strukturen sind relativ selten zu treffen. Die aus zwei, drei oder vier Silben bestehenden Wörter bilden laut Angaben von P. Menzerath 83,19%. Für die Bestimmung von typischen Zügen bei der Akzentverteilung in einem deutschen Wort wurde die Häufigkeit der deutschen paradigmatischen Akzentmodelle von Wörtern der modernen deutschen Sprache auf der Basis des Leipziger Aussprachewörterbuches (1971) durchgeführt. Untersucht wurden 45 268 Wörter (Gurevič 2000; 2008). Es wurden sowohl einfache als auch zusammengesetzte Wörter analysiert. Als Hauptmerkmal des Modells diente die Verteilung von Haupt- und Nebenakzenten. Außerdem wurde die Morphembedingtheit des deutschen Wortakzents in Übereinstimmung mit Akzentmodellen untersucht. Bei der Berücksichtigung von Akzentmodellen wurde folgende Verteilung von rhythmischen Strukturen der deutschen Wörter festgestellt: 1. ( /): 2695 = 1688 (d)15 + 240 (phee) + 767 (f) + 0 (g) Zu diesem Akzentmodell gehören alle Einsilber, zum Beispiel Ruhm, leicht, dritt, für, Kult. 2. ( /.): 5359 = 4361 + 343 + 655 + 0 (tragen, Dichter, testen). Zum Akzentmodell Nr. 2 gehören alle Zweisilber, hauptsächlich Verben und Substantive mit reduziertem [ə] in der zweiten Silbe. 3. ( / ): 4312 = 1586 + 682 + 2044 + 0 (Ärztin, ehrlich, Optik). Dieses Modell vertreten Zweisilber, deren Suffixe eine akzentlose starke Silbe bilden. 4. ( / \ ): 12003 = 4483 + 2191 + 4805 + 524 (Nordsee, Aufstand, wirksam). Zu dieser Gruppe gehören in erster Linie zusammengesetzte und abgeleitete Wörter. Für die zusammengesetzten Substantive ist das an erster Stelle stehende bestimmende Wort charakteristisch. Für die zusammengesetz15
Abkürzungen: „d”: deutsche Wörter; „phee”: phonetisch eingedeutschte Entlehnungen; „f”: Fremdwörter; „g”: Wörter vom gemischten Typ.
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5. 6.
7. 8.
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ten Substantive und Adverbien ist auch die Tatsache charakteristisch, daß ein Adverb oder eine Präposition als ein an erster Stelle stehendes bestimmendes Wort auftreten können (Vorwort, mithin, kurzum). Für die abgeleiteten Substantive ist ein Präfix am Wortanfang oder ein Suffix mit einem Nebenakzent am Wortende charakteristisch. Für einfache Wörter ist das Vorhandensein eines klangvolles Vokals in der letzten Silbe charakteristisch (Delta, Kino). ( . / ): 750 = 551 + 15 + 184 + 0 (Gesicht, Begriff, getrennt). Zu diesem Akzentmodell gehören deutsche Zweisilber mit Präfixen be-, ge-, die eine schwache akzentlose Silbe bilden, und einige Fremdwörter. ( /): 19002 = 1627 + 13429 + 2977 + 969 (Vertrag, Erfolg, Metall). Diese Gruppe vertreten hauptsächlich Substantive mit Präfixen, die eine akzentlose starke Silbe bilden, zusammengesetzte Abkürzungen, deutsche Wörter mit entlehnten Suffixen, zusammengesetzte Adverbien, phonetisch eingedeutschte Entlehnungen, Fremdwörter. ( \ / ): 792 = 205 + 194 + 352 + 41 (blutarm, Neu-Ulm, Nordwest). Zu dieser Gruppe gehören zusammengesetzte verstärkte Adjektive, kopulativ zusammengesetzte Substantive. ( \ / \ ): 355 = 43 + 56 + 238 + 18 (Nordirland, stromabwärts). Dieses Akzentmodell wird von zahlreichen Substantiven sowie einigen aus Substantiv und Adverb zusammengesetzten Adverbien vertreten.
Im Laufe der Bearbeitung dieser Angaben wurden maximal und minimal häufige Modelle festgestellt. Die Feststellung von zentralen und peripheren Typen von Modellen hing davon ab, ob alle Wörter des Wörterbuches oder nur die Wörter germanischer Herkunft berücksichtigt worden waren. Es stellte sich heraus, daß das Modell Nr. 6 durch die meisten Wörter vertreten ist, Modelle 5, 7, 8 durch die geringste Zahl der Wörter, was in Tabelle 2 deutlich zu beobachten ist. Die in den folgenden Tabellen dargestellten Ergebnisse wurden von E. Gurevič ermittelt (Gurevič 2000). Tabelle 2 Paradigmatische Häufigkeit rhythmischer Strukturen (anhand des Deutschen)
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Tabelle 3 Paradigmatische Häufigkeit rhythmischer Strukturen nach Akzentmodellen (ausgenommen Fremdwörter)
Tabelle 4 Paradigmatische Häufigkeit rhythmischer Strukturen nach Akzentmodellen (ausgenommen phonetisch „eingedeutschte“ Wörter und Fremdwörter)
Tabelle 5 Paradigmatische Häufigkeit rhythmischer Strukturen nach Akzentmodellen (nur in bezug auf Wörter germanischer Herkunft)
Außer bei den Fremdwörtern ist das Modell Nr. 6 am häufigsten, die Modelle 5, 7, 8 (siehe Tab. 3) weniger häufig. Ohne phonetisch „eingedeutschte“ Wörter ist das Modell Nr. 4 am häufigsten anzutreffen, Modelle 5, 7, 8 (siehe Tab. 4) sind nicht häufig. Um Daten ausschließlich für Wörter germanischer Herkunft zu gewinnen, wurden aus dem Korpus Wörter des gemischten Typs ausgeschlossen. Es wurde festgestellt, daß das Modell Nr. 4 am häufigsten und die Modelle 5, 7, 8 am seltensten anzutreffen sind (siehe Tab. 5). Im Rahmen des Experiments wurde versucht, den Charakter des deutschen Wortakzents nach der Distribution der hauptakzenttragenden Silbe (die ersten vier Modelle haben Anfangsakzentuierung, alle anderen sind in der Mitte und
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am Ende akzentuiert) zu bestimmen. Bei der Berücksichtigung aller Wörter hat die Nichtanfangsakzentuierung das Übergewicht. Nichtanfangsakzentuierung ist auch beim Ausschließen von Fremdwörtern zu beobachten. Wenn auch phonetisch „eingedeutschte“ Entlehnungen ausgeschlossen werden und nur Wörter germanischer Herkunft und Wörter des gemischten Typs analysiert werden, bilden die anfangsakzentuierten Wörter die Mehrheit. Beim Ausschließen der Wörter des gemischten Typs bekommt die Anfangsakzentuierung mehr Gewicht. Auf diese Weise wird im Korpus die Morphemgebundenheit des deutschen Wortakzents sowohl in einfachen, abgeleiteten und zusammengesetzten Wörtern germanischer Herkunft, als auch in phonetisch „eingedeutschten“ Entlehnungen bestätigt. Offensichtlich ist bei der Bestimmung des Charakters der Wortakzentuierung im Deutschen folgender differenzierter Zugang notwendig: а) für einfache Wörter; b) für zusammengesetzte und abgeleitete Wörter. Die Opposition von Haupt- und Nebenakzentuierung bei der Berücksichtigung der Phonologisierung der Bedeutung ist nur in zusammengesetzten und abgeleiteten Wörtern anzutreffen. Für einfache Wörter scheint sie phonologisch nicht markiert zu sein, selbst wenn diese Opposition vorhanden ist. Es gibt auch Angaben über die Häufigkeit deutscher Wörter mit gewissen rhythmischen Strukturen im gesprochenen Text. L. I. Prokopova hat z. B. bei der Analyse von 6048 Wörtern im Text folgende Angaben erhalten (Prokopova 1973). Im ersten Tausend von Wörtern sind Zweisilbler am häufigsten anzutreffen (48%), aber in den nächsten fünf Tausendern treten Zwei- wie Dreisilbler ebenso häufig (38%) auf. Einsilbler haben im ersten Tausend der Wörter (in einer kleineren Stichprobe) mit 27% die zweite Stelle inne, dabei sind die Dreisilbler mit 23% an der dritten Stelle; und im Gesamtkorpus sind sie an der vierten Stelle. Das heißt, daß die Häufigkeit abnimmt. Diese Verteilung ist dadurch bedingt, daß die größte lexikalische Schicht die Kernlexik bildet: Die gebräuchlichsten Ein- und Zweisilbler sind hauptsächlich germanischer Herkunft, und die weniger gebräuchliche lexikalische Schicht bilden die Wörter mit anderer Herkunft. Als Korpus für unsere Untersuchung dienten die Ergebnisse der Analyse von Wörtern der deutschen Sprache des Duden-Wörterbuches („Die deutsche Rechtschreibung“ (1996), Umfang insgesamt mehr als 115 000 Wörter). Untersucht wurden alle einfachen Wörter germanischer Herkunft. Diese Auswahl ist dadurch zu erklären, daß die Wörter deutscher Herkunft die größte Bedeutung für die Untersuchung haben und einige Tendenzen in der Verteilung der Akzentstrukturen von Wörtern in der deutschen Sprache sich aus ihnen ableiten lassen. Das Ziel der Untersuchung bestand in der Feststellung von Akzentmodellen der zu untersuchenden Wörter und in der Bestimmung ihrer Häufigkeit
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auf der Basis des obengenannten Wörterbuches. Es wurden sowohl paradigmatische als auch syntagmatische Akzentmodelle betrachtet, weil sie Strukturen vertreten, die im Wörterbuch fixiert sind und in der gesprochenen Sprache modifiziert werden. Die Ergebnisse sind notwendig für weitere experimentelle Untersuchungen der rhythmischen Strukturen der deutschen gesprochenen Sprache, und zwar für die Untersuchung von syntagmatischen Varianten verschiedener Modelle. Insgesamt wurden 11079 Wörter ausgewählt, die den genannten Anforderungen entsprechen. Die Analyse lieferte folgende Ergebnisse (Potapov 1996; 1998) (siehe Tab. 6). Tabelle 6 Silbenstruktur einfacher deutscher Wörter (gemäß Wörterbuch) Häufigkeit Absolut Relativ (in %)
1 1502 13,56
2 7155 64,58
Silbenzahl 3 4 2097 240 18,93 2,17
5 83 0,75
6 2 0,02
Tabelle 7 Häufigkeit von Akzentmodellen (nach Angaben des Wörterbuches)
Unter den einfachen Wörtern germanischer Herkunft bilden in der deutschen Sprache die Zweisilbler die größte Gruppe (etwa 65% aller Wörter). An der zweiten Stelle sind Dreisilbler, danach folgen Einsilbler. Strukturen, die aus vier, fünf oder sechs Silben bestehen, sind im Wörterbuch seltener anzutreffen. Es werden auch Angaben zu verschiedenen Typen und Verteilungsvarianten von Akzentstrukturen der deutschen Lexik ermittelt. Es wurden 17 Typen von Akzentstrukturen deutscher Wörter fixiert. Die gebräuchlichsten haben folgen-
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de Häufigkeit (das Akzentmodell wird symbolisch als eine Bruchzahl dargestellt, in der die Silbenzahl als Zähler und die Nummer der Akzentsilbe als Nenner dargestellt werden) (Potapov 1996; 1998): 2/1, 3/1, 4/1 und 5/1, das heißt die Strukturen, in denen die erste Silbe der Hauptakzentträger ist. Bei der Zusammenfassung aller Daten wurde festgestellt, daß tatsächlich 91,9% aller Wörter (das heißt 8802 Wörter) anfangsakzentuiert sind (unter der Bedingung, daß alle Einsilbler außer acht gelassen werden). Es sei bemerkt, daß diese Angaben in den meisten Fällen mit den Angaben der früher durchgeführten Untersuchungen zusammenfallen (Menzerath 1954; Potapovа 1986a; Potapov 1996; 1998; Gurevič 2000; 2008). Wie oben erwähnt wurde, bildeten die Wörter germanischer Herkunft die Grundlage der Untersuchung. Einen Teil von ihnen bildeten die abgeleiteten, den anderen die zusammengesetzten Wörter. Aus der Untersuchung wurden die Wörter nichtgermanischer Herkunft ausgenommen, weil es für sie keine einheitlichen Akzentregeln16 gibt, die in jedem einzelnen Fall dadurch bestimmt werden, aus welcher Sprache das Wort entlehnt worden war, in welcher Zeitperiode, wie sein Morphembau war usw. Die Akzentuierung in einfachen Wörtern germanischer Herkunft unterliegt folgender Regel: Akzentuiert wird immer entweder das Stammorphem oder die erste Stammsilbe (Stock 1996). Ausnahmen bilden einige Wörter mit hauptakzenttragenden Präfixen und Affixen. Zusammengesetzte Wörter bilden den größten Teil der deutschen Lexik: Am häufigsten sind Zweisilbler, seltener Dreisilbler anzutreffen. Es gibt auch Wörter, die vier, fünf und sogar sechs Stammorpheme haben. Die Stelle der akzentuierten Silbe hängt davon ab, ob diese Bildungen determinativ sind (einer der Bestandteile bestimmt oder präzisiert einen anderen Bestandteil) oder kopulativ (alle Bestandteile sind gleichberechtigt). Im ersten Fall ist das bestimmende Element hauptakzentuiert, im zweiten das letzte. Für die Untersuchung wurden Wörter gewählt, die verschiedene Varianten der paradigmatischen Akzentuierung widerspiegeln, zum Beispiel, Nachbarschaft, Unterricht, Buchstaben, angenehm, Zwecklosigkeit, leidenschaftlich, Abenteuer, Notwendigkeit, Arbeitslosigkeit, Altertümer, Mittelmeerländer, Feiertagsstimmung, Schreibtischlampe, Bienenwachskerzen, Vogelschutzgebiet, Butterbrotpapier, Weltklassesportler, Mundartenforschung, Werbefachmann, Landeshauptstadt. Als Beispiel kann folgendes Untersuchungsmaterial dienen:
16
Zum Beispiel hat sich in den Wörtern nichtgermanischer Herkunft die Stelle der akzentuierten Silbe geändert: ursprünglich Holunder, Wacholder, Forelle, dann Holunder, Wacholder, Forelle (Stötzer 1989).
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Die ganze Nachbarschaft hörte das Kind schreien. Um Mitternacht weckte das Kind die ganze Nachbarschaft durch sein Schreien. Das Schreien des Kindes weckte die ganze Nachbarschaft. 2. Der Unterricht hat gestern genau um 9 Uhr begonnen. Gestern hat mein Unterricht genau um 9 Uhr begonnen. Ab 9 Uhr hatte ich gestern Unterricht. 3. Sie sollen diese Zahl in Buchstaben schreiben. Deine Buchstaben sind leider nicht zu entziffern. Dieser Richter hält sich sehr an den Buchstaben. 4. Nicht sehr angenehm fand ich seine Aussagen über unsere gemeinsamen Bekannten. Nach dem Gewitter wurde es angenehm frisch und still draußen. Ihr Besuch ist uns jederzeit sehr angenehm! 5. Die Zwecklosigkeit unserer Bemühungen betrübte uns sehr. Wir sahen die Zwecklosigkeit unserer Bemühungen ein. Der einzige Nachteil unserer Bemühungen war ihre absolute Zwecklosigkeit. Die Sätze, in denen die ausgewählten Wörter die Mittelposition einnahmen, waren in einem breiteren Kontext untergebracht, und zwar in Texte, die aus einigen Sätzen bestanden, zum Beispiel: 1. An jenem Abend ging alles schief. Heike wurde gebeten, am Nachmittag auf den Jungen aufzupassen, aber seine Eltern schafften es dann nicht mehr, rechtzeitig zurückzukehren. Sie sollte ihn bei sich unterbringen. Um Mitternacht weckte das Kind die ganze Nachbarschaft durch sein Schreien. Es fühlte sich unwohl, es wollte nach Hause. Heike war ganz ratlos. 2. Es handelt sich wohl um ein Mißverständnis. Gestern hat mein Unterricht genau um 9 Uhr begonnen. Ich weiß es genau, weil meine Uhr kaputt war und ich die Schüler nach der Zeit fragen mußte. Sie können mich also nicht um halb zehn am Bahnhof gesehen haben. Auf diese Weise wurde das Untersuchungsmaterial erarbeitet, in dem jedes Wort fünf verschiedene Aussprachevarianten besaß. Den Sprechern – deutschen Muttersprachlern – (N1 = 6) wurde vorgeschlagen, isolierte Sätze, isolierte Wörter und Texte vorzulesen und danach diese Texte unter Verwendung der entsprechenden Wörter nachzuerzählen. In der nächsten Etappe wurde die perzeptorische Analyse durch deutsche Muttersprachler (N2 = 6) durchgeführt, die ihrem Beruf nach keine Phonetiker waren. Zu diesem Zweck wurde –Ad-hoc-Material auf der Basis eines Computerprogramms (MSLU Version 1.02) erarbeitet. Die Aufgabe der Höranalyse bestand in der perzeptorischen Segmentierung von zu untersuchenden Wörtern, die vorher unregelmäßig aufgenommen worden waren. Für die Höranalyse
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wurden den Probanden Wörter-Stimuli (tΣ = 30 min) vorgespielt. Die Probanden konnten die Wörter-Stimuli beliebig oft hören, hatten die vorgespielten Wörter-Stimuli in Silben zu teilen, das Sprechtempo (sehr schnell, schnell, mittel, langsam, sehr langsam) zu bewerten, eine hauptakzenttragende Silbe zu bewerten, die prosodischen Merkmale der Markierung dieser Silbe (Melodik, Lautstärke, Länge) zu charakterisieren, eine nebenakzenttragende Silbe zu bewerten, die prosodischen Merkmale der Markierung dieser Silbe (Melodik, Lautstärke, Länge) zu beschreiben, eine weniger starke akzentuierte Silbe zu bestimmen, die prosodischen Merkmale der Markierung dieser Silbe (Melodik, Lautstärke, Länge) zu bewerten und schließlich die akzentlose(n) Silbe(n) festzustellen. Die gewonnenen Ergebnisse wurden bearbeitet und in die Datenbank “Microsoft Access 2005” eingetragen, was die Möglichkeit bot, sie zu analysieren und daraus gewisse Vorstellungen über die perzeptorische Spezifik der rhythmischen Organisation der zusammengesetzten Wortstrukturen sowohl bezüglich vorbereiteter als auch quasispontaner gesprochener deutscher Sprache zu erhalten. Es wurde auch versucht, die im Laufe des Experiments gewonnenen Daten mit den Regeln der Akzentuierung in zusammengesetzten Wörtern, die in vielen Quellen zur Phonetik der deutschen Sprache beschrieben sind, zu vergleichen (Nork, Adamova 1976; Chicko, Bogomazova 1994; Stock 1996). In den meisten Fällen wurde der Hauptakzent entsprechend den existierenden Regeln perzeptorisch bewertet und durch die Probanden an der ersten Silbe der untersuchten Wörter fixiert. Ausnahmen bildeten folgende Wörter: Notwendigkeit: Durch die Probanden wurde festgestellt, daß einer der Sprecher in 100% aller Fälle die zweite Silbe als hauptakzentuiert markierte. Dasselbe haben zwei andere Sprecher im Text und in der quasispontanen Rede, der vierte Sprecher nur in der quasispontanen Rede gemacht. Es waren auch Fälle zu beobachten, wo sogar beim Lesen und Sprechen von isolierten Wörtern der Hauptakzent an der zweiten Silbe realisiert wurde. Schreibtischlampe: Es wurden Fälle beobachtet, in denen am Ende eines isoliert vorgelesenen Satzes und in der quasispontanen Rede der Hauptakzent in diesem Wort auf der dritten Silbe lag. Bienenwachskerzen: In der Mitte und am Satzende wurde in einigen Sprechrealisationen die vierte Silbe besonders stark akzentuiert. Weltklassesportler: Es gab Fälle, bei denen in einem aus einer Reihe von Sätzen bestehenden Text der Hauptakzent in diesem Wort auf der zweiten Silbe lag. Es sei betont, daß in Übereinstimmung mit dem im Wörterbuch „Duden. Aussprachewörterbuch” fixierten deutschen Aussprachestandard beide Aussprachevarianten des Wortes Notwendigkeit mit dem Hauptakzent auf der ersten oder zweiten Silbe korrekt sind. Aber die Variante mit dem Hauptakzent
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auf der zweiten Silbe, die seltener anzutreffen war, ist vor allem in der quasispontanen Rede und beim Vorlesen eines Textes zu beobachten. Dasselbe gilt auch für die Wörter Schreibtischlampe und Weltklassesportler. Deutsche Muttersprachler lassen also Variierung der rhythmischen Organisation von zusammengesetzten Wörtern in erster Linie bei der Veränderung der Art der Sprechtätigkeit zu. Analysiert wurden auch die den Hauptakzent charakterisierenden prosodischen Merkmale. Den Probanden wurde vorgeschlagen zu bewerten, ob die Silbe durch eine bestimmte prosodische Charakteristik (Melodik, Lautstärke, Länge) oder durch eine Kombination dieser Charakteristika markiert ist. Beim Aussprechen von isolierten zusammengesetzten deutschen Wörtern wurde die Hauptakzentsilbe in den meisten Fällen perzeptorisch markiert: a) durch Kombination von Melodik und Länge; b) 1,5 mal seltener nur durch Melodik; c) sehr selten durch die Länge. In allen anderen Fällen spielte die Melodik die Hauptrolle. Besonders relevant ist sie für die Zusammensetzungen in der Satzmitte im Text. Seltener tritt die Melodik als selbständiges Mittel der Markierung des Hauptakzents in Zusammensetzungen am Satzanfang auf. Für diese Stelle ist die Markierung der Silbe durch die Kombination von Melodik und Länge charakteristisch. In allen anderen Fällen wird diese Kombination viel seltener gebraucht. Die Ergebnisse der Wahrnehmung von zwei Charakteristiken des Hauptakzents (Melodik und Kombination von Melodik und Länge) bei der Berücksichtigung der Stelle des auszusprechenden Wortes sind folgendermaßen verteilt (in der Reihenfolge der Abnahme der Häufigkeit der Daten): Melodik: Satzmitte, Satzende, Text, quasispontanes Sprechen, Satzanfang, isoliertes Wort; Kombination von Melodik und Länge: isoliertes Wort, Text, Satzanfang, Satzende, Satzmitte, quasispontanes Sprechen. Die Tatsache, daß quasispontanes Sprechen in beiden Fällen nicht die ersten Ränge belegt, ist wahrscheinlich dadurch zu erklären, daß hinsichtlich dieser Situation noch ein Mittel der Aktualisierung des Hauptakzents eine wichtige Rolle spielt, und zwar die Kombination von Melodik, Lautstärke und Länge (5,8%). Die Analyse der Wahrnehmungsangaben bezüglich Typen der melodischen Kontur im Rahmen der hauptakzenttragenden Silbe in zusammengesetzten Wörtern (ob sie in Abhängigkeit von der positionellen Variierung des Stimuli-Wortes steigend oder fallend ist) gestattet, folgende Schlußfolgerungen zu ziehen: Isoliert ausgesprochene Wörter wurden dreimal öfter mit einer steigenden als mit einer fallenden melodischen Kontur auf der hauptakzenttragenden Silbe wahrgenommen, was vermutlich durch das Vorhandensein des intonatorischen
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Elements der Aufzählung erklärbar ist. Am Satzanfang wurde in den meisten Fällen steigende Melodie wahrgenommen, in der Satzmitte verminderte sich die Diskrepanz zwischen beiden melodischen Typen. Am Satzende ist die fallende Melodie zweimal öfter zu beobachten. Was den Text betrifft, sind Ergebnisse in bezug auf die Satzmitte im großen und ganzen identisch. Und das ist klar, weil sich die Wortposition im Satz nicht geändert hat. Was quasispontanes Sprechen anbelangt, so sind alle Angaben der melodischen Kontur in der Satzmitte und im Text ähnlich. Aber in diesem Fall sind die Ergebnisse nicht nur durch die Wortposition im Text zu erklären. Im spontanen Sprechen wird vor allem die steigende melodische Kontur für hauptakzenttragende Silben in Zusammensetzungen wahrgenommen (67,9%). Im Prozeß der perzeptorischen Analyse wurde also folgendes festgestellt: – Es sind einzelne Fälle der Verschiebung des Hauptakzents auf die potentiell den Nebenakzent des zweiten oder dritten Grades tragende Silbe zu beobachten. Das beobachtet man in den sich der alltäglichen Konversation nähernden Situationen. – Als besonders wichtige Perzeptionsmerkmale der Markierung der hauptakzenttragenden Silbe in deutschen zusammengesetzten Wörtern treten melodische Kontur und Länge auf. Dazu gehören auch ihre Kombinationen. Die Länge spielt dabei für isoliert ausgesprochene Wörter eine führende Rolle, in anderen Fällen dominiert die Melodik. – Wie vermutet wurde, ist die steigende melodische Kontur für hauptakzenttragende Silben insbesondere in der Anfangsposition des Satzes, beim Vorlesen von isolierten Wörtern und in denselben Wörtern in der Mitte des Satzes typisch. – In bezug auf die Bewertung des Nebenakzents wurde der Nebenakzent insgesamt durch die Mehrheit von Probanden (62,3%) erkannt. – Es wurden einige Typen der Nebenakzentverschiebung im Vergleich zu Regeln des Aussprachestandards festgestellt, z. B. Arbeitslosigkeit, Mittelmeerländer, Feiertagsstimmung, Bienenwachskerzen, Vogelschutzgebiet, Butterbrotpapier. Neben der laut Standardregeln notwendigen Nebenakzentuierung wurde in allen diesen Wörtern in manchen Fällen durch Probanden die Silbe markiert, die den schwachen Nebenakzent haben sollte. Diese Variante läßt sich vermutlich durch gewisse Merkmale des deutschen Sprechrhythmus erklären. Im quasispontanen Sprechen ist die Tendenz zur Hervorhebung jeder zweiten Silbe zu beobachten, d. h. als ob sich der Akzent auf jede zweite Silbe verteilen würde. – Ein weiterer Fall (Nachbarschaft, Zwecklosigkeit, Weltklassesportler, Mundartenforschung) ist dem vorigen ähnlich, weil hier diejenige Silbe nebenakzentuiert ist, die laut Regeln durch den Nebenakzent dritten Gra-
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des markiert sein sollte. Der Unterschied besteht darin, daß die zweite Silbe den Nebenakzent trägt, was den Prinzipien der rhythmischen Organisation der deutschen gesprochenen Sprache nicht völlig entspricht. Vermutlich hängt das damit zusammen, daß die beiden markierten Silben ein Wort bilden, das die Rolle der bestimmenden Komponente in einem zusammengesetzten Wort spielt: z. B. Nachbar, zwecklos, Weltklasse, Mundarten. – In den Wörtern leidenschaftlich, Werbefachmann, Landeshauptstadt wurde die Nebenakzentuierung in manchen Fällen auf der letzten Silbe des Wortes wahrgenommen. Von der rhythmischen Organisation des Redeflusses ausgehend wäre das möglich, weil die zweite Silbe in jedem dieser Wörter unbetont ist und reduziert werden kann. Es wird also die Silbe hervorgehoben, die sich nach zwei unbetonten Silben hinter einer am Wortanfang stehenden akzentuierten Silbe befindet. Es ist zu betonen, daß das Suffix -lich ein „schweres“ Suffix ist und die Silben, die den zu analysierenden Akzent in zwei anderen Wörtern haben, selbständige Wörter sind, was ebenfalls ihre Hervorhebung beeinflussen könnte. Außerdem ist eine Tendenz zur Verlängerung der Endsilbe festzustellen (Potapovа 1986a), was auch als Hervorhebung wahrgenommen werden könnte. – Der Nebenakzent wurde auf die Silbe verschoben, die den Hauptakzent tragen sollte (Notwendigkeit, Schreibtischlampe, Bienenwachskerzen). Das sind Wörter, in denen die Hauptakzentverschiebung perzeptorisch festgestellt wurde. – Bei den obengenannten Typen der Abweichung von fixierten Ausspracheregeln kommt in 30% aller Fälle der erste Typ der Nebenakzentuierung vor. Wenn alle Fälle der Nebenakzentuierung der Silbe addiert werden, die laut Regeln den Akzent des dritten Grades haben soll, dann bilden sie 81,5% aller Fälle. Wenn man alle nicht den Standardregeln der Nebenakzentverteilung entsprechenden Fälle mit der Position, in der diese Wörter aktualisiert werden, vergleicht, so erhält man folgende Ergebnisse: isoliertes Wort: 20,3%; quasispontanes Sprechen: 37,3%; Satzanfang: 8,5%; Satzmitte: 11,9%; Satzende: 11,9%; Text: 10,2%. Somit ist in den meisten Fällen die Nebenakzentverschiebung im quasispontanen Sprechen (auf der syntagmatischen Ebene) zu beobachten. Alle Abweichungen von den paradigmatischen Regeln sind also in zwei Gruppen zu gliedern: 1. Den Nebenakzent trägt die Silbe, die einen Akzent dritten Grades haben sollte (52,9%), z. B. Nachbarschaft, Zwecklosigkeit, Arbeitslosigkeit, Feiertagsstimmung, Schreibtischlampe, Bienenwachskerzen, Vogelschutzgebiet, Butterbrotpapier, Weltklassesportler, Mundartenforschung.
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2.
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In allen anderen Fällen wurde die zweite Silbe, die laut Regel akzentlos sein sollte und deren Vokal dazu noch reduziert werden könnte (47,1%), als nebenakzenttragende Silbe bestimmt (im Wort Notwendigkeit die dritte). In Abhängigkeit von den verschiedenen Positionen sind die Beispiele folgendermaßen verteilt: 15,7% der Fälle kommen beim Vorlesen eines isolierten Wortes, 19,8% am Satzanfang, 13,2% in der Satzmitte, 17,4% am Satzende, 15,7% in Texten und 18,2% bei der Nacherzählung dieser Texte vor. Somit ist die Verteilung der Abweichungen insgesamt ziemlich gleichmäßig. Die Analyse der Verteilung von prosodischen Charakteristiken der perzeptorischen Markierung in Abhängigkeit vom Faktor „Position“ hat gezeigt, daß die Melodik im Vergleich zur Länge eine dominierende Rolle spielt. Auf diese Weise können aufgrund der Perzeptionsanalyse folgende Schlußfolgerungen gezogen werden: – Die Aktualisierung des Nebenakzents in der rhythmischen Organisation der deutschen gesprochenen Sprache scheint keine Fiktion zu sein. Im Prozeß der perzeptorischen Analyse wurde der Nebenakzent in Zusammensetzungen in 45% der Fälle fixiert. Die Tatsache der Aktualisierung des Nebenakzents in deutschen zusammengesetzten Wörtern in einer bestimmten Zahl von Fällen wird also nicht bezweifelt. Die Lokalisierung des Nebenakzents durch die Probanden entsprach aber nicht immer laut den in Wörterbüchern fixierten paradigmatischen Normen des Deutschen (55%). – Die meisten Unterschiede sind in den Fällen anzutreffen, in denen der Nebenakzent (Akzent des zweiten Grades) auf die Silbe verschoben wird, die laut den Regeln des deutschen Aussprachestandards einen Akzent dritten Grades tragen sollte. Teilweise ist diese Verschiebung durch allgemeine Regeln der rhythmischen Organisation der gesprochenen deutschen Sprache zu erklären, was die Angaben von O. von Essen bestätigen (siehe das früher angegebene Beispiel Landbriefträger, wo der Akzent des zweiten Grades auf die Silbe verschoben ist, die durch einen Akzent dritten Grades hervorgehoben werden sollte). Diese Verschiebung hängt nicht nur mit der Morphemstruktur des Wortes, sondern auch mit der Spezifik des deutschen Sprechrhythmus zusammen: Die in einem einfachen Wort akzenttragenden Morpheme haben keine Betonung, wenn sie in die Struktur eines zusammengesetzten Wortes inkorporiert werden. Das wichtigste wahrgenommene prosodische Merkmal der Markierung der nebenakzenttragenden Silbe ist in der Regel die melodische Kontur, die in den meisten Fällen mit der melodischen Kontur der hauptakzenttragenden Silbe zusammenfällt, als ob sie sie wiederhole.
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Im großen und ganzen hat unser Experiment gezeigt, daß im Deutschen neben dem Hauptakzent der Nebenakzent eine wichtige Rolle in der rhythmischen Organisation der gesprochenen Sprache spielt. Dabei wird die Fixierung des Nebenakzents auf einer bestimmten Silbe eines zusammengesetzten Wortes in der realen Rede nicht immer beachtet, und je natürlicher die Kommunikationssituation ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit der Akzentverschiebung. Es scheint sehr wichtig zu sein, daß der Nebenakzent in den meisten Fällen auf die Silbe verschoben wird, die laut Regeln den Akzent dritten Grades haben sollte. Anders gesagt, handelt es sich hier nicht um eine absolut neue und nicht vorhersagbare Lokalisierung des Nebenakzents, sondern um seine Verschiebung auf die Silbe, die potentiell akzentuiert werden kann, aber nur durch einen Akzent geringeren Grades. Abweichungen von der Norm der Verteilung des Akzents des dritten Grades wurden durch Probanden in 54% der Fälle festgestellt. Prosodische Grundmerkmale, die die Markierung einer Silbe charakterisieren, sind laut Perzeptionsanalyse melodische Kontur, Länge und die Kombination dieser beiden Merkmale. Wenn bei der Realisierung des Hauptakzents die Länge eine relativ große Rolle spielt, so ist sie bei der Realisierung des Akzents des zweiten und dritten Grades kaum relevant. Für eine akustische Analyse wurden aus dem gesamten experimentellen Korpus nur die Wortzusammensetzungen gewählt, in denen die Position des Nebenakzents durch Probanden als mit dem paradigmatischen Standard der deutschen Phonetik nicht zusammenfallend bewertet wurde. Die akustische Analyse wurde mit Hilfe eines Computerprogramms für die Untersuchung und Bearbeitung eines Sprechsignals (MSLU Version 1.02) durchgeführt. Jedes Wort war durch 24 Realisationsvarianten vertreten: sechs verschiedene Aussprachevarianten eines Wortes in Abhängigkeit von den obenerwähnten Bedingungen des positionellen Variierens (isoliert ausgesprochen, im Text ausgesprochen) für zwei Arten der Sprechtätigkeit: Lesen und Sprechen. Die Messungen wurden für potentiell akzentuierte Vokale durchgeführt, d. h. für Vokale, die in Übereinstimmung mit der bestehenden Struktur der Akzentuierung im Deutschen einen Akzent des ersten bis dritten Grades tragen können. Deswegen wurden keine Beispiele mit reduzierten Vokalen analysiert. Die akustische Analyse schloß folgende Parameter ein: а) zeitliche Charakteristiken (Dauer des ganzen Wortes; Dauer des Vokals); b) melodische Charakteristiken (Grundtonfrequenz (F0) am Anfang bzw. am Ende der Silbe; maximale F0 Werte; Mittelwerte von F0 für Vokale (in Hz); Umfang der F0Modifikationen für Vokale (in Halbtönen)); c) Intensität (am Anfang bzw. am
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Ende der Silbe; maximale Intensität für Vokale, Geschwindigkeit der Modifikationen der Intensität für Vokale; Durchschnittsintensität für Vokale). Die Vergleichsanalyse perzeptorischer und akustischer Daten gestattet, folgendes festzustellen: In den meisten Fällen bewerteten die Probanden die erste Silbe eines zusammengesetzten Wortes als hauptakzenttragende Silbe. Nur in einzelnen Fällen gab es die Verschiebung des Hauptakzents auf eine andere Silbe. In 61,1% wurden diese Angaben durch die akustische Analyse bestätigt. Bei der akustischen Analyse von Vokalen im Rahmen der Silben, die durch Probanden als nebenakzenttragende Silben markiert worden waren, wurden folgende prosodische Parameter als relevant beschrieben: Vokaldauer, Durchschnittswerte von F0 für Vokale; Umfang vom Umfang der F0-Modifikationen für Vokale (in Halbtönen); Durchschnitts- und maximale Intensität für Vokale; Geschwindigkeit der Zunahme der Intensität im Rahmen des Vokals. Einige dieser Parameter waren nur in einzelnen Fällen von Bedeutung. Dazu gehört zum Beispiel der Umfang der F0-Modifikationen für die zu analysierenden Vokale und die Differenz zwischen den Durchschnittswerten um F0 für Nebenvokale im Rahmen eines Wortes. Der letzte Parameter wurde erst dann berücksichtigt, wenn die Differenz zwischen den zu betrachtenden F0-Werten einen Halbton oder mehr betrug. In bezug auf die Nebenakzentuierung wurden insgesamt 192 Fälle der Aktualisierung der zusammengesetzten Wörter untersucht. In jedem konkreten Fall wurden die Werte eines und desselben prosodischen Parameters für Vokale verglichen. Jeder dieser Vokale konnte potentiell einen Nebenakzent tragen. Die Ergebnisse zeugen davon, daß der Akzent des zweiten Grades im Text, in der Satzmitte und beim Aussprechen eines isolierten Wortes akustisch stärker ausgeprägt ist. In diesen Fällen bestätigt die maximale Zahl von prosodischen Parametern die Tatsache, daß dieser Akzentuierungstyp durch akustische Hervorhebung der Silbe indiziert wird. Weniger deutlich wird der Nebenakzent am Satzende aktualisiert. Im folgenden werden alle analysierten Wörter betrachtet, um mögliche Varianten der Aktualisierung von Nebenakzenten zu zeigen (siehe Tab. 8).
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Tabelle 8 Varianten der akustischen Realisation der Nebenakzentuierung (Daten sind auszugsweise dargestellt)
Nur in bezug auf ein Wort kann gesagt werden, daß die Sprecher eine einzige Variante des Akzents zweiten Grades realisiert haben. Das ist das Wort Féiertagsstìmmung. Die akustische Analyse hat gezeigt, daß in 100% der Fälle dieser Akzent auf der dritten Silbe realisiert wurde. Im Wort Landeshauptstadt ist der Nebenakzent fast viermal so oft auf der dritten wie auf der zweiten Silbe anzutreffen, im Wort Notwendigkeit zweimal so oft. Ungefähr gleich ist das Verhältnis zwischen zwei verschiedenen Formen der Akzentuierung durch einen Akzent zweiten Grades in den Wörtern Butterbrotpapier und Werbefachmann, obwohl öfter die Silbe markiert ist, die laut paradigmatischen Regeln der deutschen Phonetik akzentuiert werden sollte. In den folgenden Wörtern dominiert die zweite Variante der Nebenakzentuierung, die keine Widerspiegelung in den Übungsbüchern zur praktischen Phonetik der deutschen Sprache gefunden hat: Mundartenforschung, Vogelschutzgebiet, Zwecklosigkeit. Der Vergleich von Daten der akustischen Analyse, die die Realisierung des Nebenakzents charakterisieren, mit den im Laufe der perzeptorischen Analyse gewonnenen Ergebnissen hat gezeigt, daß der Nebenakzent durch Probanden in 41% der Fälle erkannt wurde. Von allen analysierten Varianten der Realisation des Nebenakzents wurden mit Hilfe der akustischen Analyse 63,3% der Fälle mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung mehr als 75% bestätigt. In der Tabelle 9 werden die Angaben gezeigt, die durch Probanden in Abhängigkeit von der Position, in der ein Stimuli-Wort vorkommt, und im Laufe der akustischen Analyse erhalten wurden.
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Tabelle 9 Vergleich von Ergebnissen der akustischen und perzeptorischen Analyse (bezüglich der Lokalisierung des Nebenakzents)17
bestätigt 10 8 9 5 8
Akustische Analyse des Nebenakzents nicht bestätigt 6 4 5 5 6
Verhältnis 1,7 : 1,0 2,0 : 1,0 1,8 : 1,0 1,0 : 1,0 1,3 : 1,0
10
3
3,0 : 1,0
Position Isoliert Satzanfang Satzmitte Satzende Text Quasispontanes Sprechen
Somit wurde der Akzent zweiten Grades unabhängig von der Position, in der diese Wörter stehen, fast in der Hälfte der Fälle richtig bestimmt, was durch physikalische Charakteristiken bestätigt wird. Wie schon oben gesagt, war die Lokalisierung des Nebenakzents durch Probanden bezüglich Stimuli-Wörter im quasispontanen Sprechen besonders zuverlässig. Dann folgen die Daten in der Reihenfolge der Verminderung der Häufigkeitswerte: Satzanfang; Satzmitte; isolierte Position; Text; Satzende. Betrachtet man die Daten der vergleichenden Analyse, dann kann eine andere Tendenz festgestellt werden: Besonders deutlich, d. h. dank dem Zusammenwirken von mehreren Parametern, markiert der Nebenakzent eine bestimmte Silbe des Wortes bei seiner Realisierung in der isolierten Form, aber auch in der Satzmitte und im Text, was mit den Ergebnissen in bezug auf die Markierung des Hauptakzents zusammenfällt. Die durch die akustische Analyse erhaltenen Daten bestätigen die Vermutung, daß es in bezug auf die Syntagmatik in zusammengesetzten deutschen Wörtern um verschiedene Varianten der Nebenakzentuierung und in einzelnen Fällen der Hauptakzentuierung geht18. Für die Aktualisierung des Hauptakzents in Wörtern des Untersuchungskorpus treten regelmäßig Länge und Intensität als prosodische Basischarakteri17 18
Tabelle 9 zeigt, inwieweit der Nebenakzent, den die Probanden perzeptorisch bestimmten, durch die akustische Analyse bestätigt wurde. Unsere Ergebnisse bestätigen die von R. Rausch erhaltenen Ergebnisse (Rausch 2001), laut denen große Unterschiede in der rhythmischen Organisation von zusammengesetzten Wörtern im Deutschen zu beobachten sind (zum Beispiel sogar für ost- und westdeutsche Varianten: Bürgermeister – Bürgermeister).
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stiken auf, F0 dagegen scheint variabler zu sein und zeigt nicht immer die Position des Hauptakzents an. Nach den Angaben der akustischen Analyse wurde der Hauptakzent in 80% der Fälle auf der ersten Silbe eines zusammengesetzten Wortes fixiert. Aber das bedeutet nicht, daß die Lokalisierung des Hauptakzents völlig den existierenden phonetischen Regeln entspricht, weil in 20% der Fälle eine Verschiebung des Akzents ersten Grades auf die potentiell den Akzent zweiten oder dritten Grades tragende Silbe festgestellt wurde. Die Varianten der Aktualisierungsposition des Hauptakzents, die sich von paradigmatischen Normen unterscheiden, sind hauptsächlich mit folgenden Vorkommensweisen verbunden: in der Satzmitte, im Text, im quasispontanen Sprechen. Bei der Analyse von prosodischen Charakteristiken von Silben mit dem Nebenakzent wurde festgestellt, daß nur in etwa 50% aller Fälle (mit einer Sicherheit von 75%) das Vorhandensein des Nebenakzents, der entsprechend den fixierten Akzentregeln aktualisiert wurde, bestimmt werden konnte. In anderen Fällen wird der Nebenakzent auf eine der potentiell akzentuierten Silben verschoben. Besonders häufig sind die Abweichungen von der Standardaussprache der deutschen zusammengesetzten Wörter, und zwar die Lokalisationsverschiebung des Nebenakzents, in folgenden Fällen anzutreffen: isolierte Aussprache von Wörtern, Satzmitte und Satzende, was teilweise mit den Ergebnissen zusammenfällt, die in bezug auf die Aktualisierung des Hauptakzents beobachtet wurden. Für die Aktualisierung der akustischen Markierung sowohl des Haupt- als auch des Nebenakzents sind Positionen des Wortes im Text, in der Satzmitte und isoliert ausgesprochene Wörter besonders kennzeichnend. In diesen Fällen wird die maximale Zahl verschiedener prosodischer Parameter ausgenützt, was durch maximale quantitative Werte charakterisiert wird. Bei der akustischen Analyse wurden die Bewertungen von Probanden bezüglich Lokalisierung des Hauptakzents in der absoluten Mehrheit der Fälle bestätigt. Die den Nebenakzent tragende Silbe wurde in 63% der Fälle korrekt identifiziert (mit einer Wahrscheinlichkeit von 75% bis 100%, in Abhängigkeit von der positionellen Variierung). Für die Identifizierung dieser Art des Akzents waren folgende Bedingungen der Wortrealisation besonders charakteristisch: im quasispontanen Sprechen, in der Satzanfangs- und Satzmitteposition, bei isoliert ausgesprochenen Wörtern. Das Experiment hat gezeigt, daß das Akzentsystem im Deutschen hinsichtlich eines zusammengesetzten Wortes sowohl in der Syntagmatik als auch in der Paradigmatik variiert und daß der Nebenakzent gemeinsam mit dem
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Hauptakzent in der rhythmischen Organisation der gesprochenen Sprache eine wichtige Rolle spielt, was durch Ergebnisse der Höranalyse bestätigt wurde. Der Hauptakzent liegt in den meisten Fällen auf der ersten Silbe eines zusammengesetzten Wortes. Aber es wurden einzelne Fälle festgestellt, in denen Akzentverschiebungen wahrgenommen wurden. Es wurde festgestellt, daß die Lokalisierung des Nebenakzents auf einer bestimmten Silbe eines zusammengesetzten Wortes durch die Sprecher in der realen Rede (im Diskurs) nicht immer berücksichtigt wird. Je natürlicher die Kommunikation ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit der syntagmatischen Verschiebung des Nebenakzents. Die Mehrheit der Verschiebungsfälle bilden Beispiele, in denen die laut Regeln der deutschen Aussprache einen Akzent dritten Grades besitzende Silbe nebenakzentuiert wird. Man kann deshalb nicht von einer absolut neuen und nicht vorhersagbaren Lokalisierung des Nebenakzents sprechen, sondern von seiner Verschiebung auf eine potentiell akzentuierte Silbe. In einer Reihe von Fällen ist eine solche Akzentuierung durch allgemeine Regeln der rhythmischen Gestaltung der gesprochenen deutschen Sprache zu erklären. Die Angaben der perzeptorischen Analyse lassen vermuten, daß die Muttersprachler die Verschiebung des Nebenakzents auf die einen Akzent dritten Grades tragende Silbe als eine zugelassene Variante der Akzentuierung von zusammengesetzten Wörtern im Deutschen wahrnehmen. Die akustische Analyse des experimentellen Materials hat gezeigt, daß sich in der Formierung des Akzents sowohl des ersten als auch des zweiten Grades die Gesamtheit der prosodischen Charakteristiken beteiligt. Darunter ist F0 eine besonders variable prosodische Charakteristik, die vom Kontext abhängt, in dem die Zusammensetzung aktualisiert wird. Die erhaltenen Ergebnisse stimmen mit früheren Schlußfolgerungen überein (Potapov 1998: 38–39), laut denen die Untersuchung der rhythmischen Strukturierung in der Synchronie für alle zu analysierenden Sprachen die Tatsache des Vorhandenseins der Variierung der prosodischen Gestaltung von zusammengesetzten rhythmischen Strukturen (RS), die die periphere Zone von RS bilden, bestätigt hat. In einigen Fällen führen die Veränderungen der Korrelation von Markierung und Nichtmarkierung des Akzents zum Entstehen neuer RS, was das spezifische kumulative Profil des Sprechrhythmus einer konkreten Sprache beeinflußt. Ein eigenartiges „Spiel“ zwischen den durch Akzent markierten und den nichtmarkierten Mitgliedern der Opposition im Rahmen einer RS (Inhaltsebene) und die Spezifik der prosodischen Gestaltung dieser RS (Ausdrucksebene) führen zur relativen Variierung des Sprechrhythmus in der Syntagmatik im Vergleich zum Akzentuierungsschema der RS in der Paradigmatik. Diese Variierung ist von den syntaktisch-semantischen und stilistischen Faktoren der Strukturierung eines gesprochenen Textes kausal abhängig, was
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nur auf dem Niveau der Phrasenprosodie festzustellen ist. Die Basis für jedes Redephänomen (sowohl des schriftlichen als auch des mündlichen) scheint ein System von Regeln zu sein, die eine Art von „Gerüst“ bilden, dessen hauptsächliches Merkmal in bezug auf den Rhythmus der nicht metrischen Rede seine „Flexibilität“ und „Elastizität“ ist. Einerseits ist Variierung möglich, andererseits ist diese Variierung durch bestimmte Regeln begrenzt, deren Nichtbefolgung zur Entstehung von Störungen und Verformungen im Sprechrhythmus einer Sprache führt. Unsere Untersuchungen haben folgendes gezeigt (Potapov 1996; 1998; 2001b; 2004c): – Bezüglich einer allgemeinsprachwissenschaftlichen Konzeption ist der Sprechrhythmus ein untrennbarer Teil des universellen Gesetzes der Verteilung und des Funktionierens von beliebigen Elementen im Raum und in der Zeit, die eine systembedingte strukturierte Einheit des komplizierteren hierarchisch organisierten Ganzen bilden (des Objekts, der Erscheinung, des Prozesses); – die Untersuchung des Sprechrhythmus in der Diachronie ist der Schlüssel zum Verstehen des heutigen Zustandes dieses Phänomens in der Synchronie; – die Spezifik des Sprechrhythmus ist mit den Aspekten seiner Analyse in der Paradigmatik und Syntagmatik funktionell verbunden; – besonders bedeutende Verschiebungen in der Dynamik des Sprachrhythmus sind Folgen eines diskreten Überganges von einem Zustand zu einem anderen auf der Basis der phonologisch-morphologischen, akzentologischen und grammatischen Veränderungen der Sprache, wobei eine bestimmte Zahl von Innovationen in eine neue Qualität von integrativen Rhythmuscharakteristiken übergeht; – die Entwicklung des Sprechrhythmus in den untersuchten Sprachen ist durch einen Prozeß determiniert, in dem der freie und bewegliche indogermanische Wortakzent in germanischen Sprachen als verloren gilt und in einer Reihe von slawischen Sprachen erhalten blieb; – einen großen Einfluß auf das eigene „Profil“ des Sprechrhythmus in einer Sprache übt die Spezifik ihres grammatischen Aufbaus aus; – die Aktualisierung des Sprechrhythmus entspricht dem Funktionieren von philosophischen dialektischen Kategorien (Konzepten) des Allgemeinen (des Gemeinsprachlichen), Besonderen (Konkretsprachlichen) und Einzelnen (Individuellsprachlichen); – das Funktionieren des Sprechrhythmus im Text kann als Kombination von Oppositionen mit Variationselementen von markierten (akzentuierten) und nichtmarkierten (nichtakzentuierten) Oppositionsmitgliedern beschrieben werden;
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der Rhythmus der nicht metrischen Rede kann als eine Art der Aktualisierung des Sprechmaterials interpretiert werden, das durch quasireguläre Wiederholung hierarchisch verbundener Elemente (Laute, Silben, RS, Syntagmen) und ihrer entsprechenden phonetischen Realisierung charakterisiert wird; das integrative rhythmische „Profil“ einer Sprache tritt in direkter Abhängigkeit von der Häufigkeit und Kombinatorik der funktionierenden RS auf; der Sprechrhythmus einer bestimmten Sprache und seine phonetische Realisierung werden durch das Vorhandensein der kausalen Abhängigkeit von physiologischen (phonatorischen und artikulatorischen), psychischen, physischen, sozialen, ethnischen Faktoren charakterisiert, die für den Entwicklungsprozeß eines Sprachkollektivs in der Philogenese bezeichnend sind; der Begriff „Sprechrhythmus“ ist ein Bestandteil des Begriffes „Intonation“ und bildet ihr flexibles räumlich-zeitliches „Gerüst“; der Sprechrhythmus kann in Hinblick auf zwei Aspekte analysiert werden: a) dem Inhalt und b) der Form nach. Dabei ist gemeint: a) die akzentuellstrukturelle Spezifik des Sprechrhythmus und b) seine phonetische (prosodische und spektral-zeitliche) Realisierung in der gesprochenen Sprache; die phonetische Explikation des Sprechrhythmus hängt von syntaktischsemantischen und stilistischen Faktoren ab, aber der Grad dieses Einflusses ist variabel; das rhythmische „Gerüst“ der nicht metrischen gesprochenen Sprache ist ihrer Natur nach nicht absolut starr und ist durch relative Flexibilität mit zahlreichen Freiheitsgraden charakterisiert, aber starke Abweichung von der Sprechaktualisierung dieses rhythmischen „Gerüstes“ führt zu einer Art von „Arhythmie“ des Sprechens (z. B. bei sprechpathologischen Fällen, verschiedenen Sprechstörungen, beim Erlernen der Phonetik einer Fremdsprache usw.); besonders informative Quellen für die Untersuchung des Sprechrhythmus sind Texte mit Berücksichtigung verschiedener Typen der Sprechtätigkeit; die kontrastive Untersuchung des Sprechrhythmus ermöglicht die Feststellung typologisch relevanter Merkmale und Universalien auf diesem Wissensgebiet; die Entwicklung des Sprechrhythmus wird durch zentripetale und zentrifugale Kräfte bewirkt, dadurch wird ein relatives Gleichgewicht zwischen dominierenden und marginalen rhythmischen Strukturen (RS) realisiert; vielseitige Aspekte der Untersuchung des Sprechrhythmus in Synchronie und Diachronie, Paradigmatik und Syntagmatik können zur weiteren Ausarbeitung des Problems hinsichtlich der Prognostizierung von Entwick-
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lungstendenzen des Sprechrhythmus in bezug auf eine gewisse Sprache und/oder eine Gruppe von Sprachen beitragen (Potapov 1996; 1998; 2001b). Konkrete Beweise für alle diese Vermutungen sind insbesondere in der Untersuchung der rhythmischen Strukturierung von zusammengesetzten Wörtern der deutschen Sprache zu finden. Es ist deshalb kaum sinnvoll, die Natur des deutschen Sprechrhythmus der nicht metrischen Rede nur im Hinblick auf akzentzählende oder silbenzählende Isochronie zu interpretieren (Šmakova 1998). Die zu untersuchende Erscheinung ist an und für sich viel komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint. Außerdem stehen die Untersuchungen der deutschen gesprochenen Sprache in manchen Fällen unter dem Einfluß der durch bekannte Linguisten gewonnenen Ergebnisse, die anhand des Englischen ermittelt wurden (Antipova 1984; Abercrombie 1967; Halliday 1967 u. a.). In diesem Fall kann in bezug auf den Rhythmus der gesprochenen deutschen Sprache nur von den Elementen des Phänomens, sowohl des silbenzählenden als auch des akzentzählenden Charakters, gesprochen werden. Und in letzterem Fall handelt es sich eher um eine Universalie, die mit dem allgemeinen Programm der zeitlichen Organisation der menschlichen Rede zusammenhängt (Potapovа 1986a). Das Problem der Aneignung des Rhythmus im Prozeß der Generierung des gebundenen fremdsprachigen Sprechens ist mit der Spezifik der Interferenz zwischen rhythmischen Besonderheiten der gesprochenen Ausgangssprache (Muttersprache) und der Zielsprache (Fremdsprache) verbunden, was zur Deformierung der melodisch-dynamisch-zeitlichen Organisation der Sprechäußerung führt, die als Folge der nicht korrekten Kombination von segmentalen und suprasegmentalen Einheiten auftritt. Gestützt auf einen Takt und/oder eine Folge von Takten, ist etwa die Orientierung auf das paradigmatische rhythmische Schema sowohl für den Prozeß der Sprechproduktion als auch der Sprechperzeption nicht ganz annehmbar, weil sie den Hauptbestandteil der sprechsprachlichen Kommunikation bzw. die Semantik des Produktes der Texttätigkeit völlig ausschließt. Die Lösung des Problems sieht die Berücksichtigung aller Faktoren mit verschiedener Ausdruckskraft in bezug auf die Variierungsbedingungen des Kommunikationsaktes vor. Unter einigen Bedingungen wird der Sprechrhythmus durch paradigmatische Charakteristiken aktualisiert, unter anderen durch bestimmte syntagmatische Abweichungen. Gleichzeitig bilden sprachliche typologische Besonderheiten, die Spezifik der Sprechrealisierung „Sinn – Text“ im Kommunikationsakt und extra- und paraverbale Komponenten die Grundlage der Aktualisierung des Sprechrhythmus.
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III.5. Interferenz Deutsch-Russisch beim sprechsprachlichen Rhythmus Im Zusammenhang mit der Intensivierung der intersprachlichen und interkulturellen Kommunikationsprozesse gewinnt die kontrastive Linguistik eine besondere Bedeutung. Die kontrastive Phonetik als ein Teil der kontrastiven Linguistik leistet einen gewissen Beitrag zur Optimierung der konkreten Forschungsrichtungen. Das große Interesse für die Probleme der kontrastiven Phonetik wird dadurch erklärt, daß innere Mechanismen der intersprechsprachlichen Interferenz und ihr Einfluß auf die sprechsprachliche Kommunikation im allgemeinen weitgehend unerforscht sind (Potapowa 2002; 2003). Die Aktivierung der Forschungen im Bereich der kontrastiven Phonetik läßt sich auf zunehmende Forderungen an das Niveau der Beherrschung einer Fremdsprache zurückführen, das oft zum Maßstab erfolgreicher Kommunikation wird. Diesem Ziel dient die Feststellung von Ursachen der sprechsprachlichen Interferenz und die Untersuchung ihres Einflusses auf die Wahrnehmung der gesprochenen Fremdsprache. Der Erfolg bei der Lösung dieser Aufgaben hängt von der Lösung der linguistischen Probleme ab, die besonders mit der prosodischen Gestaltung und der Segmentierung eines gesprochenen Textes, mit dem Funktionieren rhythmischer Einheiten und der Wahrnehmung der gesprochenen Sprache verbunden sind (Potapov 1990; Potapova, Potapov 2001). Zwecks Untersuchung der rhythmischen Interferenz in bezug auf die Muttersprache (Russisch) und die Zielsprache (Deutsch) wurde eine vergleichende Untersuchung des russischen und deutschen sprechsprachlichen Rhythmus durchgeführt (Gorožanina 2004)19. Für den Sprechrhythmus ist die Untersuchung der minimalen Sprecheinheiten (der Silbe) und der Varianten ihrer Realisation (von der Realisation in starker Position bis zur Elision) von Bedeutung (Potapova 1986b). Silben füllen das gegebene rhythmische Schema aus, und das rhythmische Schema ist jene Struktur, in der der Akzent realisiert wird. Der Kern einer rhythmischen Struktur ist die Akzentsilbe. Die Verteilung der Akzente und die Mittel ihrer Realisation beeinflussen den Charakter des Rhythmus (Potapov 1990). Als experimentelles Material dienten die der deutschen Standardsprache entsprechenden und von deutschen Phonetikern als Lehrmaterial bei der Aneignung der deutschen Phonetik durch ausländische Studierende empfohlenen deutschen Texte (n = 10). 19
Diese Untersuchung wurde in der ersten Phase von Prof. Dr. habil. U. Hirschfeld und in allen nachfolgenden Phasen von Prof. Dr. habil. R. K. Potapova wissenschaftlich betreut.
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In der Untersuchung von N. I. Gorožanina wird betont, daß V. V. Potapov (Potapov 1996; 1998; 2001b) das Entstehen des rhythmischen Systems des Russischen und Deutschen analysiert und die Mechanismen der Veränderung des Rhythmus in der Synchronie und Diachronie erklärt. „Beim Vergleich des Rhythmus des Russischen und Deutschen in der Synchronie beschreibt er die häufigsten rhythmischen Strukturen und rhythmische Strukturen von Syntagmen im modernen Russischen und Deutschen“ (Gorožanina 2004: 13). Gestützt auf die Methodik von V. V. Potapov, wurde die vergleichende Untersuchung des Sprechrhythmus im Russischen und Deutschen nach folgenden Kriterien vorgenommen: prosodische Mittel der Hervorhebung der Akzentsilbe (und besonders des Vokals der Akzentsilbe) und ihre Position in der rhythmischen Struktur und im Syntagma, die sprechsprachliche Realisation der akzentlosen Silben, die Länge rhythmischer Strukturen (in Silben) und Syntagmen (in Silben und rhythmischen Strukturen), die häufigsten Typen rhythmischer Strukturen und Syntagmen in den zu vergleichenden Sprachen. Gestützt auf die Konzeption von V. V. Potapov, definierte man den Sprechrhythmus als eine quasireguläre Periodizität der für einen bestimmten chronologischen Zustand der Sprache typischen und unter dem Einfluß des grammatischen Sprachbaus variierten rhythmischen Strukturen, die durch eine bestimmte prosodische Organisation charakterisiert werden und einen intonatorisch-sinntragenden Block in einem Syntagma bilden (Potapov 1998: 1). Beim Erlernen der Aussprache einer Fremdsprache führt die Störung des „rhythmischen Gerüstes“ der Zielsprache, die auf der paradigmatischen Ebene fixiert ist, trotz der relativen Variabilität des Sprechrhythmus zur „Arrhythmie der Rede“ (Potapova, Potapov 2001). Die Veränderungen in den rhythmischen Strukturen führen ihrerseits zu segmentalen Umformungen. Der Rhythmus einer beliebigen Sprache stellt eine Hierarchie von Ebenen dar: Silbenebene, Ebene der rhythmischen Strukturen, Ebene der Syntagmen usw. (Potapova 1997b). Das von akzentuierten und akzentlosen Silben gebildete „rhythmische Gerüst“ (Potapova, Potapov 2001) ist gleichzeitig jene Erscheinung, in der das Merkmal akzentuiert/akzentlos realisiert wird. Dieser Zusammenhang der Akzentuierung und des Rhythmus macht sie zu einem untrennbaren Phänomen der Rede. Die Analyse der wissenschaftlichen Literatur und die vergleichende Untersuchung des Sprechrhythmus und der Akzentuierung im Russischen und Deutschen (Gorožanina 2004: 14–15) erlauben es, eine Reihe von Gesetzmäßigkeiten festzustellen und folgende Schlußfolgerungen zu ziehen: Russisch und Deutsch gehören zu den Sprachen mit akzentzählendem Rhythmus. Der Kern einer rhythmischen Einheit ist die Akzentsilbe, die sowohl im Russischen als auch im Deutschen durch folgende suprasegmentale Mittel hervorgehoben
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wird: Veränderung der Tonhöhe, Länge, Lautstärke. Aber diese Mittel werden in den beiden Sprachen verschieden verwendet: Im Russischen sind die Veränderung der Intensität und die Länge der Akzentsilbe die hauptsächlichen Mittel, im Deutschen sind es die Veränderung der Intensität und der Tonhöhe. Akzentlose Silben werden im Russischen und im Deutschen einer akzentuierten Silbe als Enklise und Proklise angeschlossen. Der Einfluß der akzentuierten Silbe auf die akzentlosen hat sprachspezifischen Charakter. Akzentlose Silben und vor allem die Vokale der akzentlosen Silben im Russischen werden sowohl qualitativ als auch quantitativ reduziert. Dabei markiert das Vorhandensein/das Fehlen der (qualitativen und quantitativen) Reduktion eine Silbe als akzentuiert. Akzentlose Silben des Deutschen werden in den meisten Fällen quantitativ reduziert. Dem Reduktionsschema der akzentlosen Silben des Russischen kann das reduzierte [ə] in akzentlosen Präfixen und Endungen des Deutschen gegenübergestellt werden. Sowohl im Russischen als auch im Deutschen ist der Akzent als freier Akzent zu bezeichnen (Potapova, Lindner 1991), aber im Russischen ist er frei und beweglich, im Deutschen dagegen frei und unbeweglich. Der Wortakzent im Russischen fällt in den meisten Fällen auf den Stamm und die Endung. Im Deutschen können der Stamm und die Affixe akzentuiert sein, Endungen sind generell akzentlos. Die Silbenstruktur des Russischen und Deutschen ist vielfältig. Es sind Silben aus bis zu neun Lauten anzutreffen, aber die meisten Silben bestehen aus einem, zwei oder drei Lauten. Im Russischen sind die meisten Silben offen, im Deutschen sind dagegen die meisten Silben geschlossen (Potapova 1997b). Die meisten rhythmischen Strukturen des Russischen und Deutschen bestehen aus einer bis fünf Silben (Potapov 1996; 1998; 2001b). Dieser Parameter ist als universal für Texte aller Arten zu bezeichnen, weil der Rhythmus mehr von der Sprache als von der funktional-stilistischen Zugehörigkeit des Textes abhängt (Potapov 1993: 96). Die Stelle des Satzakzents wird im Russischen und Deutschen durch die aktuelle Satzgliederung bestimmt und ist im Rhema-Teil plaziert. In der russischen gesprochenen Sprache (sowohl beim Vorlesen eines schriftlichen Textes als auch beim freien Sprechen) wird öfter akzentuiert als in der deutschen gesprochenen Sprache. Der Vergleich von zwei Sprachsystemen wird als eine Prozedur betrachtet, deren Ziel es ist, im Laufe der Analyse Ähnlichkeiten und Unterschiede festzustellen, die der obligatorischen Überprüfung mittels der Beobachtung real erscheinender Interferenzen unterliegen. Die Untersuchung der phonetischen Interferenz ist erfolgreicher, wenn diese Prozedur durch eine Statistik der perzeptiven Analyse der Wahrnehmung von Besonderheiten fremdsprachiger Rede von Muttersprachlern und/oder Spezialisten (Phonetikern) ergänzt wird.
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Das Ziel der perzeptiven Höranalyse ist die Durchführung einer integrativen und differenzierten Analyse der Besonderheiten der rhythmischen Organisation der deutschen Texte in der Realisation durch deutschlernende Russischsprecher und der Vergleich der gewonnenen Ergebnissen mit den bei der Höranalyse der deutschen Texte in der Realisation durch Muttersprachler gewonnenen Daten sowie die Feststellung der Merkmale der Interferenz auf der suprasegmentalen Ebene (Gorožanina 2004: 15). Es wurden fünfzig deutsche Texte in der Realisation durch russische Sprecher und zehn deutsche Texte in der Realisation durch deutsche Sprecher gewählt und analysiert. Bei der Auswahl der Tonbandaufnahmen für die Höranalyse wurde versucht, okkasionelle (individuelle) Besonderheiten der Versuchspersonen zu reduzieren, um die durch das russische Sprachsystem bedingten Kernmerkmale, die die Prinzipien der rhythmischen Organisation eines gesprochenen Textes (am Beispiel vorgelesener Texte) bestimmen, zu erhalten und die Prozesse der Interferenz der rhythmischen Gewohnheiten der Muttersprache (Russisch) auf die Zielsprache (Deutsch) zu verfolgen. Aus den im Laufe der integrativen Analyse gewonnenen Ergebnissen wurden folgende Schlußfolgerungen gezogen (Gorožanina 2004: 19–22): Die Bewertungen der DaF20-Studenten (Gruppe A) und Phonetik-Experten, deren Muttersprache Russisch ist (Gruppe C), sind als Bewertungen mit höheren Anforderungen an die Aussprachefertigkeiten zu bezeichnen als die Bewertungen von Phonetik-Experten, deren Muttersprache Deutsch ist (Gruppe B). Die erschwerte Verständlichkeit der von deutschlernenden Versuchspersonen vorgelesenen deutschen Texten für die Hörer läßt sich durch die nicht immer korrekte Gliederung von Texten durch Pausen, durch zu häufige Realisation von Wortakzenten, durch das Fehlen der Akzentuierungen der sinntragenden Wörter im Satz sowie durch falsche qualitative und quantitative Realisation von Vokalen in akzentuierten und akzentlosen Silben erklären. Bei der Analyse der Interferenzerscheinungen sind die Perzepienten aller Expertengruppen derselben Meinung: Die Interferenz auf der suprasegmentalen Ebene erschwert die Verständlichkeit stärker als die Interferenz auf der segmentalen Ebene. Zur Störung der Verständlichkeit führen nicht nur die vom Standpunkt des Sprachsystems aus relevanten Charakteristiken, sondern auch die Charakteristiken, die als eine „ästhetische, emotionale“ Komponente des Kommunikationsprozesses bezeichnet werden können.
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DaF – Deutsch als Fremdsprache.
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Bei der differenzierten Höranalyse von vorgelesenen deutschen Texten deutsch- und russischsprechender Versuchspersonen wurden folgende Gesetzmäßigkeiten beobachtet: Die Zahl der akzentuierten Silben beim Vorlesen deutscher Texte durch russischsprechende Probanden ist größer als beim Vorlesen derselben Texte durch deutschsprechende Probanden. Das bestätigt folgende Hypothese: Die Russischsprechenden brauchen beim Vorlesen eines schriftlichen Textes mehr „Stützpunkte“ (akzentuierte Silben) als Deutschsprechende beim Vorlesen desselben Textes, was mit einer Tendenz der russischen Sprache übereinstimmt. Beim Vorlesen deutscher Texte sowohl durch Russisch- als auch durch Deutschsprechende gehören die aus einer bis drei Silben bestehenden rhythmischen Strukturen zu den am häufigsten realisierten. Dabei sind die rhythmischen Strukturen vom Typ 1/1, 2/1, 3/2 die häufigsten. Der universale Charakter der aus einer bis drei Silben bestehenden rhythmischen Strukturen im Russischen und Deutschen wurde auch von V. V. Potapov (Potapov 1996; 1998; 2001b) festgestellt. Die Deutschsprechenden realisieren dagegen öfter rhythmische Strukturen, die aus vier und mehr Silben bestehen. Bei der Bearbeitung von Ergebnissen der Höranalyse wurde die nichtfinale Position der akzentuierten Silbe in den rhythmischen Strukturen beobachtet. Die von V. V. Potapov bei der Untersuchung der deutschen und russischen geschriebenen und gesprochenen Sprache festgestellten Gesetzmäßigkeiten (Potapov 1996; 1998; 2001b) bestätigen das. Die rhythmische Organisation eines geschriebenen Textes (in unserem Fall eines deutschen) ist im Vergleich zu der Interferenz der rhythmischen Organisation der Muttersprache (Russisch) beim Vorlesen dieses Textes sekundär. Besonders deutlich ist diese Tendenz in bezug auf Silben und rhythmische Strukturen zu beobachten. Die Gliederung in größere Einheiten hat einen stärker universalen Charakter. Bei der Bestimmung der Länge von Syntagmen in rhythmischen Strukturen wurde festgestellt, daß die meisten Syntagmen (68,75%–95,45%) aus zwei rhythmischen Strukturen bestehen. Aber beim Vorlesen von deutschen Texten durch Deutschsprecher werden öfter Syntagmen aus vier oder mehr rhythmischen Strukturen realisiert. Die syntagmenakzenttragende Silbe, deren Stelle mehr von der Textsemantik bestimmt wird, wurde in 75–100% der Fälle erkannt, das heißt viel leichter als die akzenttragende Silbe einer rhythmischen Struktur. Nach Meinung der deutsch- und russischsprechenden Phonetik-Experten heben die deutschsprechenden Versuchspersonen beim Vorlesen der deutschen Texte in 100% der Fälle die Akzentsilbe mittels Veränderung der Intensität hervor.
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Der Kontrast zwischen den akzentuierten und akzentlosen Silben wird von den russischsprechenden Versuchspersonen beim Vorlesen der deutschen Texte durch die Veränderung der Tonhöhe und quantitativer und qualitativer Charakteristiken erreicht. Die Ergebnisse der in dieser Arbeit durchgeführten experimentalphonetischen Untersuchung bestätigen das Vorhandensein der Interferenz auf der suprasegmentalen Ebene und ihr Primat im Vergleich zur Interferenz auf der segmentalen Ebene. Beim Vergleich der rhythmischen Organisation der vorgelesenen deutschen Texte durch Russisch- und Deutschsprecher werden sowohl gemeinsame als auch sprechsprachspezifische, mit der rhythmischen Organisation der Sprache verbundene Besonderheiten beobachtet. Die Interferenzerscheinungen auf der Silbenebene und auf der Ebene der rhythmischen Struktur können deutlicher beobachtet werden als die Interferenzerscheinungen auf der Ebene von Syntagmen.
III.6. Sprechwissenschaft und Rhythmus Von großem Interesse scheint das Problem des Verhältnisses des Rhythmus zu Emotionen zu sein. Wir gehen davon aus, daß es zweckmäßig ist, zwei Ebenen des Rhythmus zu betrachten: Sprachrhythmus und Sprechrhythmus. Die Merkmale des Sprachrhythmus sind mit den Gesetzen und Regeln der Akzentuierung des Sprachsystems verbunden. Die Merkmale des Sprechrhythmus hängen von konkreten Bedingungen der Aktualisierung des Sprechens ab. Und in diesem Sinne kann man vor allen Dingen die Abhängigkeit der Realisierung des Sprechrhythmus von Emotionen beobachten. Die Grundlage dafür sind verschiedene physiologische und psychologische Veränderungen, die im Prozeß der Aktualisierung der emotional gefärbten Rede vorhanden sind. Dabei spielen Faktoren wie die Intensität der Emotionen (starke, schwache), die Zugehörigkeit der Emotionen zu positiven und negativen Gruppen usw. eine große Rolle. Man unterscheidet Parameter (Drach 1928), welche die Grundlage aller späteren phonetischen Einteilungen und Klassifikationen bilden: psycho-physiologische Motorik, Stärkeakzent, Melos, Klangfarbe, Artikulationsschärfe, Tempo, Lautstärke und Stimmqualität. Im folgenden sollen die Drachschen Typen in einer gegenüber dem Original etwas vereinfachten Übersicht dargestellt werden (Tab. 10).
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Tabelle 10 Die Abhängigkeit der phonetischen Parameter vom Vorhandensein der psychisch-physiologischen Gegenüberstellung „Ausdruckskraft – Ausdrucksschwäche“ Ausdruckskraft Ausdrucksschwäche 1. psycho-physiologische Motorik: a) leicht reagierend, stark schwach reagierend, andeutungsweise; ungebrochen; erweitert durch gute Ersatz durch Nachahmung; akustische Anlage Einseitigkeit der akustischen oder motorischen Anlage b) leicht reagierend, Nachbildung fehlt fast ganz, visuelle Anlage gehemmt bzw. nur teilweise überwiegt, akust. Anlage mittelstark gelingend; oft mit visueller Anlage bis gering verbunden 2. Stärkeakzent: a) sehr vielfältig abgestuft vielfältig, meist schwache bis mittelstarke Betonungen b) neigt zu vielen lauten, hart wenige schwache Betonungen skandierten Betonungen 3. Melos: a) abwechslungsreich, auf leichte abwechslungsreich, aber den Grenzen Erregungsreize durch starke fernbleibend und leicht zu Ausschläge reagierend monotonisieren b) abwechslungsreich, aber mehr den geringe Modulation Grenzen zustrebend 4. Klangfarbe: a) sehr rasch abwechselnd, scharf mäßig wechselnd, wenig unterschieden unterschieden b) mäßig wechselnd, „harte” Klänge farblose Indifferenzeinstellung des überwiegen Ansatzrohres überwiegt 5. Artikulationsschärfe: a) in allen Abstufungen meist sehr gering b) mittel bis überstark minimal, noch geringer 6. Tempo: a) lebhafter Fluß, zur Schnelligkeit lebhafter Fluß, zur Schnelligkeit und neigend, oft bewußte Verwendung Überhastung neigend von Tempounterschieden b) sehr abgehackt, unruhig, zumeist langsam, gedehnt, in verschiedenartig Einzelfällen flüchtig, huschend 7. Lautstärke: a) meist stark, besonders im Affekt verschieden, doch meist individuell gleichförmig
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gering, bis zu gewohnheitsmäßigem Flüstern 8. Stimmqualität: a) gelegentlich Pressen und bisweilen Pressen, sehr oft mattes Gegenpreßhauchen Hauchen b) gewohnheitsmäßiges Pressen immer mattes Hauchen
J. B. Rieffert (Rieffert 1932) sucht den unmittelbaren Zusammenhang von Stimme und Charakter zu ergründen und stellt zwei Haupttypen des Sprechens auf, die sich durch das Überwiegen entweder einer melodischen oder einer rhythmischen Qualität unterscheiden: 1. Der melosbestimmte Typus weist auf eine vorwiegend gefühlsgeprägte Grundhaltung, auf einen Menschen hin, der eher weich, aufgeschlossen und beeindruckbar ist und daher gewisse Voraussetzungen zu künstlerischer (schöpferischer) Tätigkeit mitbringen kann. Die meisten Frauen gehören beispielsweise zu diesem Typus. 2. Der rhythmusbetonte Grundtyp drückt dagegen einer eher kühle bis kalte, vorwiegend willensbestimmte Grundhaltung aus, meist in Verbindung mit ruhigerem Temperament, Verschlossenheit, Introvertiertheit usw. Diesem Typus gehören durchschnittlich mehr Männer als Frauen an. Nachstehend ist das phonetische und charakterologische Schema der Sprechtypen von J. B. Rieffert (Tab. 11) dargestellt. Tabelle 11 Haupttypen des Sprechens (nach J. B. Rieffert 1932)
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Wenn man die Modifikationen des Sprechrhythmus abhängig von Emotionen analysiert, so gibt es die Möglichkeit, eine Reihe von rhythmischen Änderungen festzustellen (Tab. 12). Mit Rücksicht auf die obenerwähnten Klassifikationen, die mit der Eigenart des Rhythmus der gesprochenen Sprache aufs engste verbunden sind, kann man folgendes Bild der Abhängigkeit der phonetischen Realisation der Silben von starken und schwachen Emotionen vorschlagen. Tabelle 12 Emotionen und Rhythmus (hinsichtlich der Silbenrealisation) Starke Emotionen (positive/negative) Vergrößerung der Intensität: a) nur betonte Vokale b) betonte und unbetonte Vokale (Skandierung der Silben) Verlängerung der Dauer: a) nur betonte Vokale b) betonte und unbetonte Vokale (Skandierung der Silben) c) betonte und unbetonte Vokale (ohne Skandierung) Komprimierung der Dauer: a) nur betonte Vokale b) betonte und unbetonte Vokale (Skandierung der Silben) c) betonte und unbetonte Vokale (ohne Skandierung)
Schwache Emotionen (positive/negative) Verminderung der Intensität a) nur betonte Vokale b) betonte und unbetonte Vokale Verlängerung der Dauer: a) nur betonte Vokale b) betonte und unbetonte Vokale (Skandierung der Silben) Komprimierung der Dauer: a) nur betonte Vokale b) betonte und unbetonte Vokale
Dabei ändert sich die Struktur der rhythmischen Strukturen (RS) und Gruppen (RSS) (Syntagmen). Bei der Vergrößerung der Intensität und sogar Skandierung beobachtet man eine diskrete kontrastive Aktualisierung des Sprechrhythmus. Die Verminderung der Intensität führt in der Regel zur Neutralisierung der rhythmischen Kontraste. Einzelne diskrete Rhythmusstrukturen können verschiedene Silbenketten bilden, die in bezug auf die Betonungen schwach ausgeprägt auftreten. Aus dem oben Gesagten ergibt sich, daß der Sprachrhythmus als konstante verbale Erscheinung interpretiert werden kann, der Sprechrhythmus aber als komplizierte komplexe verbale und paraverbale Erscheinung, die in größerem Maße von der Aktualisierung der Emotionen im Prozeß des Sprechens abhängig ist.
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III.7. Perspektiven der Entwicklung der Rhythmologie und Semantik Als konzeptuelle und empirische Grundlage dieser Forschungsarbeit dienen Untersuchungsergebnisse des linguistischen Rhythmus (Sprach- u. Sprechrhythmus), die von uns im Laufe der Jahre 1994–2000 anhand slavischer und germanischer Sprachen ermittelt wurden, was sich in einer Reihe von wissenschaftlichen Publikationen widerspiegelt (Potapov 1996; 2001b u. a.). Als Resultat der Untersuchungen hat sich die Rhythmologie als wesentliches gestalterisches Prinzip des Sprach- und Sprechrhythmus erwiesen. Obwohl das Phänomen „Sprach- und Sprechrhythmus“ in der Fachliteratur mehrfach diskutiert wurde, wird es in der Sprach- und Sprechwissenschaft immer noch unterschiedlich konzeptualisiert. Aus der wissenschaftlichen Debatte um Wesen und Entstehungshintergründe des Sprach- u. Sprechrhythmus sind in den letzten Jahrzehnten zahlreiche theoretische Ansätze erwachsen. Diesen ist eine Grundthese gemeinsam. Sie besagt, daß der linguistische Rhythmus (Sprach- und Sprechrhythmus) als spezifische Komponente des Intonationsbegriffs zu verstehen ist. Dazu gehören zwei Aspekte: a) die Spezifik des Akzentuierungssystems einer konkreten Sprache. b) die Charakteristik des Funktionierens des Akzentuierungssystems in der gesprochenen Sprache. Einige Probleme, die in diesem Zusammenhang auftreten, sollen deshalb anhand ausgewählter empirischer, aber auch theoretischer Arbeiten diskutiert werden. Entsprechende Versuche gingen von einer Reihe sprachtheoretischer Überlegungen (A. M. Peškovskij, V. V. Vinogradov, V. A. Artemov, T. M. Nikolaeva, E. A. Bryzgunova u. a.) aus, wonach die Intonation über Verhältniskorrelate zu syntaktischen und lexikalischen Spracheinheiten verfügen soll. Das Verhältnis der Intonation zur Syntax scheint mehrdimensional zu sein. Um dieses Verhältnis zu konkretisieren, ist es notwendig, die lexikalisch-syntaktische Ebene der Sprache zu analysieren, die aufs engste mit dem „rhythmischen Zuschnitt“ der gesprochenen Sprache verbunden ist. In dieser Hinsicht wird z. B. vermutet, daß in schriftlichen Texten der schönen Literatur die Rhythmus-Intonationsgestalt durch die Grundidee des Werkes bedingt ist und vom Verfasser hineingegeben wird. Das ermöglicht einem potentiellen Leser, den Sinn des Textes möglichst adäquat zu rezipieren. Dementsprechend sind konkrete Zielstellungen für die vorliegende Forschungsarbeit mit der Analyse schriftlicher Texte (E. A. Galinskaja, Ch. Hannick, W. Lehfeldt, V. V. Potapov, U. Schweier, A. A. Zaliznjak u. a.) unter diesem Gesichtspunkt verbunden. Es ist notwendig, Zusammenhänge zwischen
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Rhythmus-Intonationsgestalt einerseits und lexikalisch-syntaktischer Strukturierung der Texte andererseits gezielt nachzuweisen. Was die detaillierten Untersuchungen der Texte betrifft, so sollten neue Wege begangen werden. Es wäre zweckmäßig, komplexe Verfahren anzuwenden, z. B. durch die Verbindung von Statistik und Informationstheorie (I. Fonagy, G. Meinhold). G. Meinhold geht von einer kommunikativen und sprachästhetischen Funktion des Rhythmus aus. Man betrachtet die rhythmische Struktur der Texte als eine Gliederkette aufeinanderfolgender rhythmischer Einheiten (z. B. Takte, rhythmische Strukturen (RS), verschiedene Silbenquanten) und als eine statistische Ordnung, die angibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich n-silbige rhythmische Einheiten (z. B. RS) mit Einheiten gleicher oder ähnlicher Größe verbinden. Die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit der Erwartung eines bestimmten Akzentereignisses oder eines bestimmten Abstandes wird mit der informationstheoretischen Maßzahl der Kontextentropie beschrieben. Die relative Kontextentropie gibt die mittlere Wahrscheinlichkeit an, mit der der Hörer bzw. Leser das folgende Glied eines Kontextes nach Bekanntgabe eines (oder auch mehrerer) vorangehender erwartet. Diese der Informationstheorie entlehnte Methode hat G. Meinhold an einigen poetischen Texten exemplifizierend vorgeführt. Sie eignet sich nach seiner Auffassung vor allem für die Untersuchung des Prosarhythmus sowie für den Vergleich von Rezitationsstilen oder den Vergleich von Texten verschiedener Autoren. Was das Russische betrifft, so wurde dieses Verfahren noch nicht angewendet. Die Verwendung der statistischen Methode bietet die Möglichkeit, das systematische Funktionieren bestimmter Merkmale der Rhythmus-Intonationsgestalt der Prosatexte festzustellen, was mittels anderer Untersuchungsmethoden unmöglich wäre. Unter diesem Gesichtspunkt kann man die Häufigkeit bzw. das Repräsentationsgewicht der Rhythmuseinheiten verschiedener Klassen und Typen anhand von Texten und Wörterbüchern analysieren. Die vorliegende Arbeit sucht die Häufigkeitswerte in Texten und Wörterbüchern bezüglich ihrer Gegenüberstellung auszugleichen. Der Vergleich soll klären, inwieweit die Häufigkeit der rhythmischen Einheiten (vor allem der lexikalischen Wörter bzw. Lexeme und phonetischen Wörter) paradigmatisch (anhand der Wörterbücher) und inwieweit sie syntagmatisch (anhand der Texte) determiniert wird. Entsprechende Versuche gingen einerseits von sprachtheoretischen Überlegungen (V. V. Potapov) aus, wonach jede Sprache über ihr eigenes paradigmatisches Akzentuierungssystem verfügen soll. Andererseits wurden Texte von russischen und deutschen Autoren als Grundlage für analytische Untersuchungen ausgenützt, um die Häufigkeitsspezifik der rhythmischen Einheiten zu analysieren und diese Spezifik zu interpretieren.
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Verschiedene Textgenres (Prosatexte, Gedichte in Prosa [z. B. von I. S. Turgenev], Texte in rhythmisierter Prosa [z. B. von A. Belyj], Gedichte und Poeme), zusammengestellt in einem experimentellen Korpus, haben sich für die Gegenüberstellung als besonders geeignet erwiesen. Es war zweckmäßig, diese Textarten zur Untersuchung heranzuziehen und Modifikationen des linguistischen Rhythmus beim Übergang von poetischen Texten zu Prosatexten zu analysieren. Die Texte haben einen bestimmten Umfang (mindestens 500 RS-Einheiten pro Text), was nötig ist, um statistische Zuverlässigkeit zu erreichen. Es ist auch notwendig, erhaltene Daten in bezug auf das Russische mit Daten in bezug auf das Deutsche stichprobenartig zu vergleichen. In einer Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen im Bereich von Sprach- und Sprechrhythmus werden traditionell zwei Haupttypen angenommen, und zwar der akzentzählende und der silbenzählende Typ (D. Abercrombie, O. von Essen, K. Kohler, G. Meinhold, J. Pheby, K. Pike, E. Stock u. a.). Diesen ist sämtlich eine Isochronie-Hypothese gemeinsam, wonach alle Sprachen einen isochronen Rhythmus haben, der entweder auf der Isochronie der nach metrisch-musikalischer Notationskonvention bestimmten Takte, auch Füße genannt, oder auf der Isochronie der Silben beruht. Aus dieser Hypothese folgt zweierlei: a) Die Isochronie der Takte führt in den akzentzählenden Sprachen bei zunehmender Silbenzahl pro Takt zu einer zunehmenden Kompression vor allem akzentloser Silben durch Reduzierung. b) In den silbenzählenden Sprachen dagegen hat die Isochronie der Silben zur Folge, daß die Takte in Abhängigkeit von der Silbenzahl an Dauer zunehmen. Die wichtigsten mit dem Rhythmus verbundenen und für eine Sprachunterscheidung tauglichen phonologischen Elemente sind nach P. Auer, S. Uhmann (Auer, Uhmann 1988) folgende: – Vokalreduktionsprozesse; – Silbenstruktur und Klarheit der Silbengrenzen; – Beziehung zwischen Silbenstruktur und Iktusposition; – Position des Akzents in der Intonationsphrase; – grammatische Bedeutung des Akzents. Es gibt auch eine entgegengesetzte Modellvorstellung (P. Ladefoged), wonach die Unterscheidung der Sprachen vom Rhythmustyp her ein Epiphänomen ist, das nur durch das Zusammenwirken unabhängiger phonologischer Merkmale zustande kommt. Was das Deutsche betrifft, so gibt es sehr verschiedene Meinungen. Es hat sich aber gezeigt, daß ein akzentisochroner Rhythmus im Deutschen bisher weder für das reproduzierende noch für das spontane Sprechen, weder signalphonetisch noch perzeptiv überzeugend belegt werden konnte (O. von Essen,
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G. Meinhold, E. Stock). Für das Russische ist das Problem bisher überhaupt ungelöst. Es gibt noch einen Aspekt der Untersuchung des linguistischen Rhythmus unter dem Gesichtspunkt der Kognitologie. Und in dieser Hinsicht stellt sich die Frage, ob die linguistische Semantik des Textinhalts (der Sinn, aber nicht die Bedeutung [nach E. Coseriu]) durch den linguistischen Rhythmus reflektiert werden kann. Das Problem des Verhältnisses „Text – Sinn“ und „Sinn – Rhythmus“ ist von großem Interesse für Linguisten und Literaturwissenschaftler. Es lohnt sich unserer Meinung nach die „vielschichtige“ rhythmische Stratifikation und dynamische Strukturierung der Texte in bezug auf ihre Generation und Sinnperzeption stichprobenartig zu untersuchen. Die konzeptuelle Grundlage bildet unsere Hypothese: Die Sinnstrukturierung des Textes (implikatorische Seite) und seine Rhythmusstrukturierung (explikatorische Seite) bilden die wahrscheinlichkeitsorientierte Partitur des Textes. Dieses Problem ist besonders wichtig für die Übersetzungstätigkeit. Deshalb gilt es, anhand der Prosatexte in bezug auf deutsch-russische und russischdeutsche Übersetzungen prozessual nachzuvollziehen, wie sich dieses Verhältnis entwickelt. Dieser Hypothese gemäß sind folgende zusätzliche Aufgaben zu lösen: – Untersuchungen syntaktischer und semantischer Ebenen des Textrhythmus mit Rücksicht auf lexikalisch-semantische, syntaktische und syntaktisch-semantische Kriterien der Analyse. – Untersuchungen der rhythmischen Organisation des Textes mit Rücksicht auf die kontextuelle Variation der sprachlichen Einheiten, die als Ergebnisse der obenerwähnten Analyse auftreten. – Untersuchungen der rhythmischen Organisation des Textes mit Rücksicht auf Analyse der semantischen Zusammenhänge im Text. – Experimentelle Analyse zur kognitiven Bewertung von Sinn und Rhythmus im Text mit Rücksicht auf die perzeptorische und kognitive Spezifik der Zusammenhänge zwischen semantischen und rhythmischen Strukturen des Textes. Diesen Zielstellungen gemäß würde es möglich sein: a) die Realität des Vorhandenseins einer Korrelation zwischen dem äußeren (explikativen) und inneren (implikativen) Rhythmus festzustellen; b) verschiedene Schichten des linguistischen Rhythmus in Prosatexten zu beschreiben; c) die Art der Beziehung zwischen der rhythmischen Organisation des Textes und der semantischen Funktion des Rhythmus festzustellen. Auf dieser Untersuchungsebene wäre es weiterhin möglich, diese Sinn-Rhythmus-Verhältnisse zu rekonstruieren und für Prosatexte zu modellieren, was be-
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stimmte Folgerungen für die weitere Entwicklung der Theorie des linguistischen Rhythmus, der Rhetorik, der Phonetik und der Erarbeitung eines neuen wissenschaftlichen Begriffs des „semantischen Rhythmus“ zulassen würde. Das Problem des semantischen Rhythmus ist aufs engste mit dem Problem der Übersetzung von Texten und ihrer Wirkung auf den Leser verbunden. Die Übersetzung wird als Teil der großen Zahl der sprachlichen Erscheinungen (bzw. der variierenden Fassungen einer und derselben Absicht) betrachtet (V. V. Vinogradov). In diesem Bereich entstehen viele Fragen, die mit Stilistik, Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft und Kulturologie verbunden sind. Im Zentrum des Problems befinden sich einerseits der Verfasser, andererseits der Übersetzer. Die Persönlichkeit des Übersetzers als eine relativ invariable Summe von psychischen und intellektuellen Eigenschaften spielt dabei eine besondere Rolle. In der Übersetzungskultur gibt es verschiedene Übersetzungsfassungen eines und desselben Werkes (z. B. „Das Glasperlenspiel“ von H. Hesse in der Übersetzung von D. Karavkina, Vs. Rozanov 1969 und von S. Apt 1984) (siehe auch Prokopenko 1995). Verschiedene Übersetzungsfassungen geben die Möglichkeit, die kognitive, emotive und ästhetische Spezifik der Texte aufzuzeigen und die subjektive Einstellung des Übersetzers zur Welt einerseits und zum Text andererseits zu klären. Dabei wurde in einigen Untersuchungen (z. B. von V. G. Krasil’nikova) festgestellt, daß im Prozeß der Übersetzung (bzw. der Sprachumkodierung) die emotive und semantische Dominante von Texten der schönen Literatur entstellt werden kann, was zu einer Verfälschung des Sinns führen kann. Das kann passieren als Folge der unterschiedlichen Wirklichkeitsreflexion von Verfasser und Übersetzer. Das Modell dieses Umkodierungsprozesses unter dem Gesichtspunkt der zweisprachigen Kommunikation kann folgende Blöcke umfassen (Beljanin 2000):
Abb. 1. Das Modell des Umkodierungsprozesses bezüglich zweisprachiger schriftlicher Kommunikation mit Rücksicht auf das Dreieck Verfasser–Rezipient–Übersetzer Aus dem oben Gesagten ergibt sich, daß der Übersetzungsprozeß von Texten der schönen Literatur einen interpretativen Charakter hat, folglich eine Vielfalt von Fassungen aufweisen kann. Diese Vielfalt wird durch die Abwesenheit einer Referenzsituation in der Wirklichkeit einerseits und durch die unter-
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schiedliche Emotionalität der Übersetzer in bezug auf die im Text beschriebene Situation andererseits bedingt, was zu etlichen semantischen Tranformationen führen kann. Das Vorhandensein dieser Transformationen im Text kann nicht nur durch Unterschiede der Sprachsysteme des Original- und Übersetzungswerkes, sondern auch durch unterschiedliche Emotions- und Sinndominanten von Verfasser und Übersetzer erklärt werden. Dafür gibt es eine Reihe von Beispielen (V. M. Žirmunskij). Die Frage, wie Sprachsystem und Rhythmus-Intonations-Spezifik den implikativen und explikativen Textrhythmus formieren, bleibt vorerst unbeantwortet. Die Rede ist in diesem Fall von relativer Korrelation zwischen diesen Arten von Rhythmus in bezug auf Originaltexte und Übersetzungstexte, was den Charakter der semantischen und emotionalen Einwirkung des Werkes auf den Leser in einer im Text vom Autor bestimmten Richtung beeinflussen soll. Daraus sind die konkreten Zielsetzungen für die vorliegende Studie hergeleitet worden. Sie will den semantischen inneren Rhythmus in Original- und Übersetzungstexten sowie die rhythmisch-intonatorischen äußeren Besonderheiten dieser Texte analysieren sowie Zusammenhänge zwischen diesen Phänomene aufzeigen und nachweisen. Der Vergleich soll klären, inwieweit sich diese Phänomene überschneiden, auf welche Weise sie miteinander in Beziehung treten, wie sich das wesentliche gestalterische Prinzip der Rhythmusrealisation in Inhalt und Form in der Linguistik darstellt. Dabei kann die Konvergenz- und Divergenzstärke verschieden sein. Als Beispiel für die Analyse des inneren semantisch-syntaktischen Rhythmus des Prosatextes kann man die Ergebnisse eines Versuchs in diesem Bereich anführen (Potapova, Prokopenko 1997). Es ist bekannt, daß in vielen Fällen semantisch erkennbare Objekte im Text durch ihre Bestandteile sowie durch Relationen zwischen Objekten bzw. zwischen Bestandteilen dieser Objekte charakterisiert werden. In dieser Hinsicht spielt die strukturelle Objektdarstellung eine wichtige Rolle. Dazu gehören sowohl der hierarchische Aufbau der Objekte und ihrer Bestandteile (Teilobjekte) als auch die Relationen zwischen ihnen. Man kann vermuten, daß sämtliche verbalen Merkmale im Rahmen eines Textes auf bestimmte Weise kodiert werden, was zum Verstehen dieses Textes führt. „Im linguistischen Konzept werden Objektbestandteile in nichtnumerische Symbole, ferner bestimmte Relationen zwischen Bestandteilen in die Reihenfolge der Symbole kodiert. Das bedeutet, daß die Strukturbeziehungen „Teil von“ oder „angrenzend“ der Objekte widergespiegelt werden durch die Strukturbeziehung „gefolgt von“ in der Zeichenreihe der Interndarstellung“ (Peipmann 1976: 188).
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In diesem Sinne können bestimmte verbale Mittel (Wörter, Wortverbindungen, syntaktische Strukturen mit semantischen Markern u. a.) den inneren Rhythmus des Textes bilden. Dabei wird der innere Rhythmus in den meisten Fällen nur impliziert. Die Struktur der semantisch ausgedrückten Einheiten des inneren Textrhythmus kann verschieden sein (z. B. Netz, Ringtyp, Vektor). In der Untersuchung (Potapova, Prokopenko 1997) wurde der innere semantische Rhythmus auf der Grundlage der Einheiten mit sich wiederholenden semantischen Bedeutungen (Semen) analysiert. Die Wiederholung von Semen kann man als Struktur der Sinnorientierungsobjekte und ihrer Bestandteile im Text betrachten. Die Analyse wurde anhand des Romans „Das Parfum: die Geschichte eines Mörders“ (Berlin: Volk u. Welt, 1987) von P. Süskind und seiner Übersetzung ins Russische von E. Vengerova (Moskau 1992) durchgeführt. Die innere semantische Rhythmisierung des Textes wird nicht nur durch Wiederholung einzelner Objekte, Objektteile und ihrer Relationen, sondern auch durch syntaktische Strukturierung und Parallelismen aktualisiert. Als Beispiel für den semantisch-syntaktischen Rhythmus im Deutschen und im Russischen kann man folgende Fragmente aus dem Roman „Das Parfum: die Geschichte eines Mörders“ und seiner Übersetzung anführen: ... Die Katastrophe war kein Erdbeben, kein Waldbrand, kein Bergrutsch und kein Stolleneinsturz. Sie war überhaupt keine äußere Katastrophe, sondern eine innere, und daher besonders peinlich, denn sie blockierte Grenouilles bevorzugten Fluchtweg. Sie geschah im Schlaf. Besser gesagt im Traum. Vielmehr im Traum im Schlaf im Herz in seiner Phantasie ... … Эта катастрофа была не землетрясение, не лесной пожар, не горная лавина и не обвал штольни. Она вообще была не внешней катастрофой, но внутренней, а потому особенно мучительной, так как она блокировала предпочитаемый Гренуем путь к бегству. Она произошла во сне. Точнее сказать, в мечтах. Ещё точнее, в мечтах, во сне, в сердце, в его воображении … Als Resultat des Vergleichs des semantisch-syntaktischen Rhythmus in Prosatexten für Deutsch und Russisch konnten wir folgendes feststellen: – In bezug auf die rhythmische Strukturierung der Prosatexte lohnt es sich, zwei Rhythmusarten zu definieren, und zwar den explikativen (äußeren) Rhythmus und den implikativen (inneren) Rhythmus. – Der explikative Rhythmus wird durch Segmentalia und Suprasegmentalia, der implikative durch semantisch-syntaktische Einheiten dargestellt. – Dabei bildet der implikative Rhythmus eine relativ selbständige Ebene der sprechsprachlichen Architektonik des Textes, die „des Pudels Kern“ (nach Goethe) der semantischen Dekodierung des Textes bildet.
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Als Korrelate des semantischen Rhythmus kann man Wörter und Wortverbindungen im Text betrachten, die die unmittelbare semantische Isotopie bilden und im Bewußtsein des Rezipienten aktualisiert werden. Die rhythmische Strukturierung des syntaktischen Phänomens des Textes wird durch bestimmte Wiederholungselemente und syntaktische Parallelismen ausgedrückt, was einen eigenartigen syntaktischen Stil manifestiert. Sowohl semantische als auch syntaktische Aktualisierung des Textes treten zusammen auf und bilden ein inneres rhythmisiertes Gerüst dieses Textes. Die obengenannten sprachlichen Mittel können folglich als semantischsyntaktische Isotope des implikativen (inneren) Rhythmus des Textes definiert werden. In größerem Maßstab im Rahmen des ganzen Textes können bestimmte kleinere Kontexte (z. B. Absätze) als stilistische Mittel periodisch wiederholt werden, was auch zur semantischen Rhythmisierung des Textes führt. Alle Einheiten und Mittel des implikativen und explikativen Rhythmus sind im sprechsprachlichen Text aufs engste miteinander verbunden. Aus dem oben Gesagten ergibt sich, daß die Grundlagenfunktion des Rhythmus im sprechsprachlichen Text aus zwei Unterfunktionen besteht, und zwar aus Sinnfunktion (oder Informierungsfunktion) und Ausdruckfunktion (oder Expressivitätsfunktion). Was den Vergleich des inneren semantisch-syntaktischen Rhythmus deutscher Originaltexte und ihrer Übersetzungen ins Russische betrifft, so stellte sich heraus, daß in dieser Hinsicht die lexikalische und lexikalischsyntaktische Isotopie eine führende Rolle spielt. Das wichtigste Ergebnis der Untersuchungen bestätigt unsere Hypothese, daß der implikative Rhythmus der deutschen Originaltexte und ihrer Übersetzungen ins Russische im großen und ganzen zusammenfällt.
IV. Russisch-deutsche Parallelen unter Berücksichtigung der phonetischen Genderologie und von Emotionen
IV.1. Natürliche Bedingtheit der Genderunterschiede im gesprochenen Diskurs Im Prozeß der Untersuchung der Genderprobleme sind die Feststellung der möglichen Unterschiede unter Berücksichtigung der Information in bezug auf alle Sprachebenen (phonetische, morphologische, syntaktische, semantische) und die kognitive Interpretation der festgestellten Merkmale von großer Bedeutung (Potapov 2002a). Dabei erweist sich die Verbindung mit verschiedenen Aspekten der Reflexion des Weltbildes als entscheidend (z. B. siehe Chaleeva 2000 u. a.). Die Differenzierung der Verbalspezifik je nach dem Geschlecht des Sprechenden (des Schreibenden) wird in verschiedenen Sprachen in ihrer Gesamtheit und in bezug auf die Sprachebenen verschieden realisiert. Am häufigsten beobachtet man diese Unterschiede in der Lexik und weniger in der Syntax. Es gibt aber Sprachen, wo diese Unterschiede auch das phonologische System einschließen (z. B. Japanisch). Vor allem lohnt es sich, moderne Definitionen des linguistischen Fachausdrucks „Genderlinguistik“ oder „linguistische Genderologie“ zu analysieren. Die erste Gruppe der Forscher definiert diesen Begriff folgendermaßen: „…Genderlinguistik ist eine Forschungsrichtung in der Sprachwissenschaft, die die sprachlichen Geschlechtsunterschiede der Sprechenden erforscht“ (Slovar’ sovremennych ponjatij i terminov 2002: 89). Diese Definition korrespondiert mit dem soziolinguistischen Funktionsmodell der Sprache und des Sprechens (Krysin 2001: 200; 2003: 17; 2008: 75; Zemskaja, Kitajgorodskaja, Rozanova 1993 u. a.). Die zweite Gruppe der Sprachforscher behauptet, daß „die Ergebnisse der Sprachuntersuchung im Bereich der Linguistik eine der Hauptinformationsquellen in bezug auf den Charakter und die Dynamik der Konstruktion von „Gender“ als Produkt der Kultur und der sozialen Beziehungen ist“ (Kirilina 2002: 138). Diese Gruppe der Genderologen versucht auf jede Weise zu betonen, daß „Gender“ ein absolutes Konstrukt ist, das durch die Gesellschaft formiert wird. In diesem Fall spiegeln sich im Begriff „Gender“ gleichzeitig ein Prozeß und ein Ergebnis „der Inkorporierung des Individuums in das sozial und kulturell bedingte Modell der Männlichkeit oder der Weiblichkeit wider, das in der Gesellschaft in der gegebenen historischen Entwicklungsetappe ak-
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zeptiert wird“ (Iščenko, Šavrina 2004: 16). Die genannten Autoren sind der Meinung, daß die Genderbetrachtungsweise durch die Aktualisierung des soziokulturellen Charakters bestimmt wird. Dabei werden das Kommunikationsverhalten der Vertreter verschiedener Geschlechter ebenso wie die Abhängigkeit ihres Benehmens und ihrer Interaktion von den in der Gesellschaft festgesetzten Normen und Mustern sowie von den soziokulturellen axiologischen Stereotypen betrachtet. Der Begriff „Gender“ verbindet in diesem Fall den Begriff „Geschlecht“ mit soziokulturellen Einstellungen und Hierarchien in der Gesellschaft (z. B. Kirilina 1999; Zykova 2003 u. a.). Von unserem Standpunkt aus schließt der Begriff „Gender“ die beiden genannten Konzeptionen ein. Die erste Konzeption ist dem Vergleich der männlichen und weiblichen gesprochenen Sprache mit Rücksicht auf verschiedene Sprachebenen (vor allem phonetisch-phonologische wie auch morphologische und syntaktische) gewidmet. Die zweite Konzeption bezieht sich darauf, daß viele sprachliche (und dementsprechend auch kulturelle) Fakten ein Produkt des Konstruierens durch ein bestimmtes Sozium sind. Diese Tatsache läßt sich am Beispiel der lexikalisch-semantischen Sprachebene (insbesondere der Phraseologie) veranschaulichen, die sich unter dem Einfluß der Kollektiverfahrung herausbildet. Als ein treffendes Beispiel können in diesem Fall auch linguistisch-kulturologische und interkulturologische Forschungen dienen, die den Grad des Androzentrismus in verschiedenen Sprachen und Kulturen festzustellen ermöglichen (Potapov, Potapova 2004; Potapova, Potapov 2006). Es ist zu betonen, daß die Untersuchungen im Bereich der Genderologie sowohl für die Theorie der gesprochenen Sprache als auch für die Praxis von ausschlaggebender Bedeutung sind. Die Notwendigkeit der Untersuchung der phonetischen Charakteristiken des gesprochenen Russischen, das durch männliche und weibliche Stimmen realisiert wird, wird zur Zeit auch von praktischen Bedürfnissen der Gesellschaft und vor allem von der Notwendigkeit der Erarbeitung von automatischen Spracherkennungssystemen und Systemen für Sprachsynthese bestimmt, was von großer praktischer Bedeutung ist. Es ist z. B. bekannt, daß in fast allen Versuchen für die Erarbeitung von automatischen Spracherkennungssystemen die Ergebnisse in bezug auf die Operatorenfunktion viel besser für männliche Stimmen als für weibliche Stimmen waren. Aktuell bleibt nach wie vor das Problem der automatischen Synthese der gesprochenen Sprache mit der Klangfarbe der weiblichen Stimme, obwohl, wie bekannt, das Problem der automatischen Synthese der gesprochenen Sprache mit Charakteristiken der männlichen Stimme heute im großen und ganzen als gelöst gilt (Kučerov, Lobanov 1983; Krivnova, Zakharov, Strokin 2001). Die Notwendigkeit der Erstellung von Systemen automatischer Synthese der weiblichen Stimme erklärt sich insbesondere aus der großen Robustheit der weiblichen im Vergleich zur männli-
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chen Stimme im Lärmniederfrequenzbereich der Verbindungskanäle. Außerdem stellt sich in einigen Forschungen zur Wahrnehmung der gesprochenen Sprache die Abhängigkeit des Verstehens und der Speicherung der mitgeteilten Sprechinformation von der Klangfarbe der Stimme des Sprechenden, insbesondere von der männlichen oder weiblichen Stimmqualität heraus, was auch von der Aktualität der Erforschung der Spezifik der weiblichen Stimme im angewandten Bereich zeugt (Gusejnov 1986). Die Aktualität des vorliegenden Problems ist im eigentlichen Sinne durch das theoretische Interesse bedingt, weil Männerstimmen heutzutage am besten erforscht sind. Was die Spezifik der Frauenstimme angeht, so wird sie im allgemeinen als höher im Vergleich zur Männerstimme wahrgenommen. Die theoretische Erklärung dafür beruht auf anatomischer Grundlage: Die Stimmbänder sind bei Männern in der Regel länger und dicker als bei Frauen, und der Frauenkehlkopf ist kürzer. Bei der Analyse der Phonation russischer Sprecher wurde statistisch festgestellt: Männerstimmen liegen in der Regel im Bereich von 85–200 Hz (innerhalb der großen und kleinen Oktave), Frauenstimmen bei 160–340 Hz (innerhalb der kleinen und ersten Oktave (Martynov 1962). Statistische Untersuchungen der Grundfrequenz der Männer- und Frauenstimmen im gesprochenen Deutschen (Künzel 1987) zeigten folgendes: Die durchschnittlichen Grundfrequenzwerte für Männerstimmen (von 20 bis 80 Jahren) befinden sich im Bereich 110–130 Hz, die durchschnittlichen Grundfrequenzwerte für Frauenstimmen (im gleichen Alterszeitraum) im Bereich 200–230 Hz. Es wurde außerdem festgestellt, daß sich die durchschnittliche Grundfrequenz für Männerstimmen mit zunehmendem Alter insgesamt nicht ändert, während die Grundfrequenz der Frauenstimmen in derselben Situation tiefer wird21. Also unterscheiden sich Männer- und Frauenstimmen dadurch, daß die durchschnittlichen Grundfrequenzwerte für Frauenstimmen in der Regel zweimal höher sind als die für Männerstimmen. Alle Resonanzfrequenzen der Laute der Frauenstimme im spektralzeitlichen Bild sind im Vergleich zu Männerstimmen auf der Frequenzachse um 17–20% nach oben verschoben (Fant 1970). In derselben Richtung wurden auch nachfolgende Forschungen zur akustischen Differenzierung der Männer- und Frauenstimmen fortgesetzt (Karlsson 1992). Anderseits wurde festgestellt, daß der Grundfrequenzumfang keine angeborene Eigenschaft des menschlichen Stimmapparats ist, weil er im Laufe des Lebens erworben wird und sich als Ergebnis regelmäßiger Übungen ändern kann (Morozov 1967). Ein neugeborenes Kind hat einen äußerst engen melodi21
Wenn absolute Grundfrequenzwerte für Männer- und Frauenstimmen im Russischen zusammenfallen, ist der Grad der Identifizierung des Geschlechtes des Sprechenden ziemlich hoch (≈ 90%) (Zlatoustova, Krejči 2003).
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schen Stimmumfang (ein Halb- oder Ganzton). Im Alter von 5 Jahren beträgt der Stimmumfang schon 4–6 Töne, und im Alter von etwa 12 Jahren, wenn die Jungen singen (z. B. im Chor), kann ihr Stimmumfang etwa anderthalb Oktaven haben. Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Stimmen können sowohl in bezug auf Segmentalia als auch auf Suprasegmentalia (bzw. Prosodie) der gesprochenen Sprache festgestellt werden. Als besonders informativ gelten für Segmentalia Vokale und für Prosodie Intensität und Grundfrequenz. Bei der Erforschung der akustischen Charakteristiken, die die weibliche Lautung des Sprechens bestimmen, schenken Forscher angesichts der Tatsache, daß die Klangspezifik der Stimme in den Redeabschnitten durch Vokale bestimmt wird, ihre Aufmerksamkeit in erster Linie der Analyse der Vokale. In den meisten Untersuchungen spielt die Grundfrequenz die Rolle eines der entscheidendsten Faktoren und sogar des Hauptfaktors in der Beschreibung der Spezifik der Männer- und Frauenstimmen. Beim Vorlesen von Testmaterial mit für Männer und Frauen gleicher Grundfrequenz (140 Hz) macht die richtige Identifizierung der männlichen hohen und der weiblichen tiefen Stimmen bei der Wahrnehmung 99,7% aus. Das erlaubt es, zu behaupten, daß unter der Bedingung der gleichen Grundfrequenzwerte für Männer- und Frauenstimmen Charakteristiken des Ansatzrohres für die Identifizierung des Geschlechts des Sprechenden entscheidend sind, die sich im spektral-dynamischen Bild der Vokale widerspiegeln. Man kann auch die Tatsache der Feststellung der akustischen Parameter konstatieren, die Männer- und Frauenstimmen zuverlässig unterscheiden. Die russischen Vokale [a], [o], [u] werden durch einen höheren Grad des Merkmals „kompakt“ für Frauenstimmen als für Männerstimmen charakterisiert, was sich in der Annäherung des ersten und des zweiten Formanten (F1 und F2) für Frauenstimme widerspiegelt. Die russischen Vokale [i], [ɨ], [е] werden durch einen höheren Grad des Merkmals „diffus“ für Frauenstimmen im Vergleich zu Männerstimmen charakterisiert, was sich im Vorhandensein eines größeren Interformantenbereichs für F1 und F2 widerspiegelt. Dabei tendieren die Vokale der vorderen Reihe in den Frauenstimmenrealisationen zu F2, F3, F4 in einem Kompaktbereich der Resonanzfrequenzen, was für Männerstimmenrealisationen nicht typisch ist. Frauenstimmen werden im Gegensatz zu Männerstimmen durch höhere Werte der Energiemaxima von F3 und F4 charakterisiert. Dabei liegt der Bereich der Maximalenergie des Spektrums für Frauenstimmen in einem höheren Bereich der Frequenzwerte als für Männerstimmen. Männer- und Frauenstimmen unterscheiden sich durch verschiedene Charakteristiken der Resonanzfrequenzamplitudenmodulation im Spektrum der Vokale. Entnimmt man dem Männerstimmenspektrum die Resonanzfrequenzen von 100 bis 500 Hz, führt das zur Wahrnehmung der Männerstimme als weibliche Stimme. Es wird
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angenommen, daß gerade die Maximalenergie, die im Niederfrequenzbereich von 100 bis 500 Hz liegt, das entscheidende Identifizierungsmerkmal ist. Die Tatsache aber, daß das Redesignal der Männerstimme mit der entnommenen Frequenz 100–500 doch als „nicht sehr natürliche“ Frauenstimme wahrgenommen wird, und auch die Tatsachen, die von der Möglichkeit der Identifizierung des Geschlechts des Sprechenden nur anhand der Charakteristiken des spektral-dynamischen Bildes der Vokale und einer einzeln genommenen Grundtonfrequenz zeugen, ermöglichen folgende Schlußfolgerung: Eine scharf ausgeprägte Frauenstimme wird durch das Zusammenwirken nicht eines, sondern einer Reihe von Parametern gebildet, etwa Grundtonfrequenz, Fn-Struktur (Formantenstruktur des Spektrums des Vokals), Amplitudencharakteristiken und Resonanzfrequenzamplitudenmodulation, die Werte haben, welche nur der Frauenstimme eigen sind. Bei der automatischen Erkennung der gesprochenen Sprache scheint es deshalb richtig, die Stimme eines Sprechers als männlich oder weiblich zu klassifizieren. Dabei sollen nicht nur Grundtonfrequenzwerte (die sehr variabel sind), sondern auch die Gesamtheit der Timbrecharakteristiken der Stimme berücksichtigt werden, was für emotional gefärbte Rede besonders wichtig ist. Es soll auch noch die Tendenz zur Unterscheidung von männlichen und weiblichen Stimmen im gesprochenen Russischen auf der Grundlage des Tempos erwähnt werden: Für Frauen sind im Gegensatz zum männlichen Sprechen größere Durchschnittsdauerwerte für Lautsegmente, aber geringere Durchschnittsdauerwerte für Pausen charakteristisch (Zlatoustova 2004). Im Zusammenhang mit angewandten Aufgaben der forensischen Phonetik (Potapova 2000b) sollen bei der Durchführung kriminalistischer Expertisen und beim Skizzieren „des Porträts des Sprechenden“ neben der Bestimmung des Dialektes, Soziolektes, Idiolektes auch solche Begriffe wie Basissexolekt (in bezug auf die Zugehörigkeit zum primären physiologischen (biologischen) Geschlecht, was durch spezifische Sprechkorrelate (artikulatorische, akustische und perzeptorische) charakterisiert wird), natürlicher abgeleiteter Sexolekt (in bezug auf nachahmendes Geschlecht), technischer abgeleiteter Sexolekt, der mit Hilfe von speziellen Programmitteln (durch technische Imitation) erstellt wurde, psychischer abgeleiteter Sexolekt von natürlicher Nachahmung (situativ bedingte natürliche Imitation) mit Hilfe von entsprechender physiologischer Umorientierung (Geschlechtsänderung, z. B. infolge Disphorie von Gender) sowie abgeleiteter Sexolekt (nach Operation und Änderung des physiologischen Geschlechts) berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang ist das Problem der Beziehung zwischen der Transsexualität und der Stimme von großer Bedeutung. Unter einer transsexuellen Person versteht man in der Psychiatrie ein Individuum, das durch ein Mißverhältnis von wirklichem (biologischem) Geschlecht und Gender (z. B.
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wenn der Mann sich selbst als Frau empfindet und umgekehrt) charakterisiert ist. Solche Fälle fassen Fachleute in die Formel: „Als Mann bin ich doch eine Frau“ (Springer 1981). Das Phänomen der Transsexualität wird in den Massenmedien immer intensiver behandelt. Gleichzeitig erscheinen wissenschaftliche Veröffentlichungen deutscher Forscher (Springer 1981; Martin, Klingholz, Eicher 1984; Keil 1994 u. a.), wo dieses Problem medizinisch (Sexopathie, Sexopathologie, Phoniatrie, Chirurgie usw.), sozial und psychologisch betrachtet wird. Alle diese Aspekte bilden in der angewandten Phonetik eine Richtung, die mit dem Problem der biologischen, ethnischen und phonetischen Korrelate von Emotionen aufs engste verbunden ist.
IV.2. Genderaspekte in der Erforschung des gesprochenen Russischen Phonetische Forschungen zum gesprochenen Russischen boten die Möglichkeit, die für die Charakteristik des Geschlechts des Sprechenden informativsten lautlichen und prosodischen Mittel festzustellen. Auf Genderunterschiede im Russischen wies schon R. I. Avanesov (Avanesov 1984) hin. In bezug auf die lautliche Ebene werden folgende Unterschiede in der Rede von Moskauern genannt (Zemskaja, Kitajgorodskaja, Rozanova 1987; 1993): Im Vokalismus wurde eine Reihe von Besonderheiten der Klangfarbe der Vokale festgestellt, die damit verbunden sind, daß für Männer im Prozeß der Artikulation der Laute eine kleinere Mundöffnung charakteristisch ist als für Frauen. Für Frauenaussprache ist ein größerer Grad der Diphthongierung der betonten Vokale [о] und [e] charakteristisch. Die Verschiedenheit dieser Vokale ist besonders bemerkbar, wenn diese Vokale Satzbetonung haben „Нас в санат[уó]рий отправляют. A нa [л’иé]тo куда собираетесь?“. Im Konsonantismus wird eine allgemeine Tendenz festgestellt, die der Männeraussprache eigen ist und durch einen kleineren Grad der Gespanntheit bei der Artikulation der Konsonanten charakterisiert wird. Zum Ausdruck vieler Bedeutungen werden von Frauen meistens intonatorische Mittel verwendet, während Männer in denselben Sprechsituationen gewöhnlich lexikalische und grammatische Mittel gebrauchen. Die Frauen realisieren beim Sprechen sehr häufig phonetische Merkmale wie Behauchung, Labialisierung, Nasalierung. Diese Artikulationsmittel drücken gewöhnlich verschiedene Schattierungen des emotionalen Zustandes, das Verhältnis zum Text, zum Gesprächspartner, zur Situation usw. aus. Zum Ausdruck unterschiedlicher emotionaler Zustände werden verschiedene Merkmale der Satzprosodik eher von Frauen als von Männern gebraucht. Die Männer geben in solchen Fällen lexikalisch-grammatischen Mitteln den Vorzug.
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Anhand der Prosodie der männlichen und weiblichen gesprochenen Sprache, z. B. im Englischen, wird durch Sprachforscher die „Unfähigkeit“ der Männer festgestellt, verschiedene Emotionen, hauptsächlich positive, mit Hilfe von Mitteln der Stimme auszudrücken, was auch für die russische prosodische Ausdruckskraft typisch ist, während für emotional gefärbte männliche Sprechtätigkeit in größerem Maße lexikalische Expressivität charakteristisch ist (Zemskaja, Kitajgorodskaja, Rozanova 1987; 1993). Es sei darauf hingewiesen, daß die meisten Genderforschungen für das Russische in der Regel anhand der kodifizierten gesprochenen Sprache der Moskauer und St. Petersburger durchgeführt werden. Gleichzeitig bleiben so wichtige Genderprobleme wie verschiedene dialektale und umgangssprachliche phonetische Redebesonderheiten von Frauen und Männern, die Muttersprachler der regionalen Varianten der Standardsprache sind, unerforscht. In der letzten Zeit wurde ein Versuch unternommen, Unterschiede in der Realisierung phonetischer Besonderheiten der Männer- und Frauenrede, z. B. in der regionalen Variante der Standardsprache bei den Einwohnern der Stadt Perm (Nordural), zu bestimmen (Erofeeva 2000; 2005). Die Permer Variante der Standardsprache wird phonetisch durch verschiedene Besonderheiten charakterisiert, die den nordrussischen Mundarten und der gemeinrussischen niederen Umgangssprache eigen sind. Es wurde festgestellt, daß die Aussprachebesonderheiten von Frauen und Männern gleich sind, aber die Häufigkeit ihrer Aktualisierung beim Sprechen in einigen Fällen verschieden ist. Im allgemeinen gibt es in der männlichen gesprochenen Sprache im Durchschnitt mehr spezifische, der orthoepischen Norm nicht entsprechende Laute als in der weiblichen gesprochenen Sprache. Der Unterschied ist ziemlich gering, doch bleibt er stabil. Diese Tatsache bestätigt noch einmal die in der westlichen linguistischen Genderologie verbreitete These vom höheren Grad der normativen Phonetik in der weiblichen gesprochenen Sprache im Gegensatz zur gesprochenen Sprache der Männer (Eakins, Eakins 1978; Language, gender and society 1989; Wardhaugh 1986). Die markanten segmentalen Unterschiede in der weiblichen und männlichen gesprochenen Sprache sind folgende für das Russische (Erofeeva 2000; 2005): Die übermäßige qualitative Reduzierung der Vokale nach dem Prinzip der Zungenhebung und die Vereinfachung der in der Silbe (im Wort) auslautenden Konsonantengruppe [sjtj] trifft man häufiger in der Männeraussprache. Die Palatalisierung des letzten Konsonanten des vorangehenden Wortes vor dem Wort, das mit [i] beginnt, und die Palatalisierung von [ʒ], [ʃ] sind meistens in der Frauenaussprache anzutreffen. Die Besonderheiten der männlichen gesprochenen Sprache schreiben Sprachforscher eher den Erscheinungen der Umgangssprache zu, die Besonderheiten der weiblichen gesprochenen Sprache gehören eher zu den dialektalen
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Erscheinungen. Die Häufigkeit aller Aussprachebesonderheiten umgangssprachlicher Herkunft, die wegen der Einsparung artikulatorischer Energie entstehen, ist beim Sprechen der Männer relativ gering, aber regelmäßig höher als in der weiblichen gesprochenen Sprache. Während die markantesten Aussprachebesonderheiten der Moskauerinnen im Vokalismus und die der Moskauer im Konsonantismus anzutreffen sind (Zemskaja, Kitajgorodskaja, Rozanova 1987; 1993), sind die häufigsten Modifikationen der Vokale in der dialektalen Rede der Moskauer und die der Konsonanten in der dialektalen Rede der Moskauerinnen gleichermaßen anzutreffen (Erofeeva 2000; 2005). Wie zuvor erwähnt, ist die Frau als Bewahrerin der Sprechtraditionen auf dem Lande zu betrachten. Aber in Großstädten, die sich in dialektalen Regionen des gegenwärtigen Russischen befinden, steht die weibliche gesprochene Sprache der Aussprachenorm näher. Das hängt vermutlich damit zusammen, daß sich die Frau im Vergleich zum Mann mehr Mühe gibt, sich an der Sprachnorm zu orientieren. Dabei hat sie in den Gebieten, wo es eine feste „ältere Norm“ (die alte Aussprache der Einwohner der Hauptstadt oder die Norm der archaischen Schicht des Dialektes) gibt, zusätzlich eine konservative Einstellung. Nach einer Reihe von Untersuchungen folgt die Frau gerade dieser Sprechnorm. In den Städten Rußlands, wo es einen bestimmten dialektalen Einfluß auf die Literatursprache und keine alten Aussprachetraditionen gibt, strebt die Frau danach, die moderne Aussprachenorm zu beherrschen. Im Rahmen der phonetischen Genderologie ist also die Erarbeitung der soziolinguistischen Dichotomie „Standardsprache – Dialekte“ im Russischen eine der vorrangigen linguistischen Forschungsrichtungen (Potapov 2002b; 2002c; 2004b; Potapova, Potapov 2006).
IV.3. Genderaspekte der Erforschung des gesprochenen Deutschen Was Genderaspekte der phonetischen Ebene des Deutschen anbetrifft, so muß man betonen, daß ihre Erforschung ziemlich spät begonnen hat. Im Jahr 1994 fand auf Anregung der Deutschen Gesellschaft für Sprechwissenschaft und Sprecherziehung in Verbindung mit der Philipps-Universität Marburg die 4. Zwischentagung statt. Die kontrovers diskutierte Thematik war: „Typisch weiblich – typisch männlich?“ (siehe Heilmann 1995a: 7–9). Zwei Beiträge befaßten sich mit Didaktisierungsmöglichkeiten geschlechterdifferenzierenden Sprechens (Heilmann 1995b; Herbig 1995), und eine kleine Literaturrecherche verdeutlichte, in welcher Weise die Frau in der Fachliteratur „vorkommt“ (Reinhard-Hesedenz 1995).
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In diesem Zusammenhang sind die Untersuchungen von J. Neppert (Neppert 1999), M. Petursson (Petursson, Neppert 1996), B. Pompino-Marschall (Pompino-Marschall 1995) zu erwähnen. Phonetische Stimmcharakteristiken werden hier unter Berücksichtigung der biologischen Faktoren untersucht, wie z. B. der Länge und der Dicke der Stimmbänder. Infolgedessen werden viele für das Geschlecht spezifische Stimmunterschiede zu anatomischen Besonderheiten ins Verhältnis gebracht. Es ist aber bekannt, daß es einige Stimmbesonderheiten gibt, die im Laufe des Lebens erworben werden (Albert, Faschingbauer, Heilmann 1999). Laut Untersuchungen (Albert, Faschingbauer, Heilmann 1999) ist es gelungen, Grundtonfrequenzunterschiede bei Frauen je nach ihrem Wuchs zu bestimmen. Es wurde festgestellt, daß bei hochgewachsenen Frauen im Gegensatz zu den vorhandenen Stereotypen die Stimme höher klingt (die Grundtonfrequenzwerte höher sind), was in Widerspruch zur Annahme steht, daß kleinwüchsige Frauen im Vergleich zu den Stimmen hochgewachsener Frauen höhere Stimmen hätten. Bei Männern hat die Grundtonfrequenzanalyse keine Unterschiede festgestellt: Der durchschnittliche Grundtonfrequenzwert war circa 250 Hz. Diese für Männerstimmen hohen Grundtonfrequenzwerte lassen sich durch die Situation erklären, in der die Sprechproben durchgeführt wurden: Männern und Frauen wurde vorgeschlagen, einen kurzen Text vorzulesen. Beim Vorlesen im Gegensatz zum freien Sprechen ist eine höhere Grundtonfrequenz der Normalfall. Wie oben erwähnt wurde, hängt die Intensität der Stimmbändervibrationen von der Länge und Masse der Stimmbänder ab. Ein Sprechender mit längeren und dickeren Stimmbändern besitzt normalerweise eine tiefere Stimme, während ein Sprechender mit dünneren und kürzeren Stimmbändern eine höhere Stimme hat. Es wird vorausgesetzt, daß korpulente Menschen einen größeren Phonationsmechanismus und dementsprechend eine tiefere Stimme haben. Zur Bestätigung dieser Annahme wurden einige Untersuchungen durchgeführt. Die Ergebnisse erwiesen sich als widersprüchlich. Für Männer wurde diese Hypothese bestätigt. Was Frauenstimmen angeht, wurde diese Annahme nicht bestätigt (Graddol, Swann 1989). Einige Anzeichen deuten darauf hin, daß die Stimmqualität genetisch bedingt ist. Nicht nur die Größe des Kehlkopfs wird vererbt, sondern auch die hormonelle Veranlagung, die die Stimmqualität entscheidend beeinflußt (Graddol, Swann 1989). Die Organismen von Frauen und Männern sind gleichermaßen von der Hormonausschüttung betroffen: Die Stimmlage von Jungen wird nach dem Stimmbruch um eine Oktave tiefer. Die Stimmen von Frauen können aufgrund einer Hormontherapie auch tiefer werden. Das deutet darauf hin, daß die menschliche Stimme ein Produkt physischer und biologischer Herkunft ist. Gleichzeitig gibt es Hinweise darauf, daß geschlechtsspezifische Unterschiede
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in der Stimmlage mehr auf soziale Ursprünge zurückzuführen sind, als bisher angenommen worden war. Sowohl Männer als auch Frauen können ihre individuelle Stimme innerhalb einer ziemlich großen Bandbreite ändern. Dieser Stimmbereich wird als Grundtonfrequenz bezeichnet, die sich zwischen ihren maximalen und minimalen Werten befindet. In der Untersuchung der Bandbreite von individuellen Stimmlagen wurde festgestellt, daß sich Stimmlagen von Frauen und Männern beachtlich überschneiden. Außerdem konnte gezeigt werden, daß beachtliche Variationsmöglichkeiten im individuellen Stimmausdruck existieren. Das hängt von Kommunikationsbedingungen, vom emotionalen Zustand des Sprechenden usw. ab. Unterschiede der durchschnittlichen Grundtonfrequenz und der Grundtonfrequenzumfangswerte für Frauen- und Männerstimmen sind nur zum Teil biologisch erklärbar. „…Männer und Frauen nutzen den ihnen verfügbaren Umfang der Grundtonfrequenzwerte verschieden aus, wobei sich Männerstimmen eher im unteren, Frauenstimmen im oberen Bereich der ihnen zur Verfügung stehenden Grundtonfrequenzbreite befinden. Es kommt also auf diese Weise zu einer nicht notwendigen, die Geschlechtsstereotypen jedoch unterstützenden Polarisierung von Männer- und Frauenstimmen“ (Graddol, Swann 1989: 18). Aller Wahrscheinlichkeit nach existiert eine sogenannte „sozialisierte Stimme“, die sich Frauen und Männer durch einseitigen Gebrauch ihres Grundtonfrequenzbereichs zunutze machen. Interkulturelle Untersuchungen22 haben gezeigt, daß die Stimmgrundtonfrequenz und die Stimmqualität kulturell unterschiedlich bewertet werden. In einer Untersuchung von V. V. Lichanov (Lichanov 2003)23 wurden betonte Vokale der deutschen Sprache [a], [a:], [ε], [ε:], [ι], [i:], [ɔ], [o:], [υ], [u:] analysiert, die Männer und Frauen in verschiedenen Wort- und Satzpositionen ausgesprochen haben. Jeder Vokal wurde in drei Positionen (gesondert für Männer und Frauen) analysiert: Wortmitte – Satzanfang; Wortmitte – Satzmitte (der Analyse dieser Position wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt); Wortmitte – Satzende. Die Untersuchung enthält eine Beschreibung und linguistische Interpretation der Ergebnisse der experimental-phonetischen Analyse der Modifikationen 22
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Das belegt die Untersuchung mit bilingualen (Japanisch – Amerikanisch) Sprecher/innen (Ohara 1999). Bei den bilingualen Männern wurde kein Stimmhöhenunterschied beim Benutzen der beiden Sprachen festgestellt. Die bilingualen Frauen allerdings zeigten signifikante stimmliche Unterschiede beim Sprechen der beiden Sprachen. Offensichtlich ist das dadurch zu erklären, daß in der japanischen Kultur eine bestimmte Erwartungshaltung an „weibliche“ Stimmen existiert. Diese Untersuchung wurde von Prof. Dr. habil. R. К. Potapova wissenschaftlich betreut.
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der akustischen Charakteristiken des deutschen Vokalismus unter Berücksichtigung der phonostilistischen Zugehörigkeit der gesprochenen Sprache und des Genderfaktors. Die ermittelten Grundtonfrequenz-, Intensitäts- und Dauerwerte wurden für jede phonostilistische Variante des gesprochenen Diskurses (Nachrichten, Vorlesungen, Interviews) verglichen, statistisch bewertet und linguistisch interpretiert. Die Durchschnittsgrundtonfrequenzwerte für Frauenstimmen sind um 1,6– 1,8 mal größer als entsprechende Werte für Männerstimmen (für Nachrichten um 1,6–1,75, für Vorlesungen um 1,6–1,85, für Interviews um 1,6–1,9). Die erhaltenen Werte bestätigen noch einmal die Ergebnisse der früheren durchgeführten Untersuchungen der Grundtonfrequenzänderungen, in denen festgestellt worden war, daß die Grundtonfrequenz für Frauenstimmen um 1,5–2 höher als die Grundtonfrequenz für Männerstimmen ist (Blochina, Potapova 1970; Potapova, Lindner 1991; Fant 1970; Machelett 1998 u. a.). Der Grundtonfrequenzumfang der Männerstimmen übertrifft den der Frauenstimmen ziemlich wenig. Der Intensitätsumfang (Unterschied zwischen Maximal- und Minimalwerten) ist aber in Interviews viel breiter als in Nachrichten und Vorlesungen. Die Durchschnittsintensitätswerte der deutschen Vokale im weiblichen Diskurs sind höher als im männlichen Diskurs. Die Durchschnittsdauerwerte der deutschen Vokale bei männlichen und weiblichen Probanden in den gleichen Phonostilen variieren nur wenig. Es ist anzunehmen, daß die Variabilität der Dauer in erster Linie nicht durch das Genderphänomen (d. h. ob der Text von einer weiblichen oder männlichen Person vorgelesen wird), sondern durch situative Bedingungen (d. h. in welcher Situation und unter welchen Bedingungen die Sprechprobe aufgenommen wurde) bestimmt wird. Hundertprozentig wurden durch Frauen ausgesprochene Vokale als höher wahrgenommen. Diese Vokale wurden auch lauter wahrgenommen (60–70%), was in der Psychophysik der klassischen Korrelation zwischen Tonhöhe und Lautstärke in bezug auf ihre Wahrnehmung entspricht: Vokale mit höherer Grundtonfrequenz werden lauter wahrgenommen. Dieselbe Abhängigkeit ließ sich in bezug auf die Dauer nicht feststellen: Die Probanden nahmen Vokale, die durch Frauen und Männer in drei Typen des gesprochenen Diskurses ausgesprochen wurden, als gleich lang wahr (50%). Diese Tendenz spiegelt sich in folgender Verteilung der durchschnittlichen Grundtonfrequenz-, Intensitätsund Dauerwerte wider: das Verhältnis der durchschnittlichen Grundtonfrequenzwerte für Frauenstimmen im Vergleich zu den durchschnittlichen Grundtonfrequenzwerten für Männerstimmen beträgt 1,6–1,9. Die durchschnittlichen Intensitätswerte für Frauenstimmen sind ein wenig höher als die Intensitätswerte für Männerstimmen. Für die durchschnittlichen Dauerwerte der Vokale ließ sich keine bestimmte Tendenz feststellen.
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Zusammenfassend kann man feststellen, daß die akustische Analyse der prosodischen Charakteristiken für drei phonostilistische Typen der gesprochenen Sprache die Annahme bestätigt hat, daß Grundtonfrequenz-, Intensitätsund Dauerwerte nicht nur als Indikatoren der phonostilistischen Zugehörigkeit des gesprochenen Diskurses, sondern auch als phonetische Mittel der Geschlechtsidentifizierung des Sprechenden dienen können.
IV.4. Die emotive Funktion der Intonation und das Konstrukt „Gender“ Für die Satzintonation sind als Regel drei linguistische Hauptfunktionen charakteristisch: Gliederungsfunktion, Verbindungsfunktion und sinntragende Funktion (Nikolaeva 1977). Was die paralinguistische Funktion der Intonation angeht, so dient sie in diesem Fall zum Ausdruck des emotionalen Zustandes und/oder des Modalitätsregisters des Sprechenden mit oder ohne Selbstkontrolle (z. B. in bezug auf Zustände wie Zorn oder Angst, die mit der Funktion des endokrinen Systems verbunden sind und dementsprechend für Vertreter verschiedener Ethnien und Kulturen unkontrollierbar sind (Potapova 2000a)). Nach der Meinung von A. M. Peškovskij drücken wir unsere Gefühle hauptsächlich mit Hilfe der Intonation, aber in geringerem Maße mit Worten aus (Peškovskij 1959). Die Forschungen der Emotionswiedergabe im deutsch gesprochenen Diskurs werden schon seit einigen Jahrzehnten durchgeführt. Schon Mitte des 20. Jahrhunderts schlug F. Trojan den Begriff „Akuem“, „Schallbild“ vor, der nichtverbale Ausdrucksweisen einer bestimmten Emotion in der gesprochenen Sprache wiedergeben sollte (Trojan 1952). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das Problem der Wechselbeziehung zwischen Emotionen des Sprechenden und der Intonation, die als Tonhöhenbewegung verstanden wurde, von O. von Essen angesprochen, der in seine Grundzüge der deutschen Intonation einige Bemerkungen über die emotionale Färbung der Sätze aufnahm, die mit einer spezifischen Melodie ausgesprochen werden. So haben z. B. Aussagesätze, die mit steigender Melodie nach der betonten Silbe, die Satzakzent trägt, ausgesprochen werden, einen warnenden Charakter (Du bist zu unvorsichtig), und Entscheidungsfragen, die mit Tiefschluß ausgesprochen werden, werden als strenge, keine ausweichenden Antworten zulassende Befehle wahrgenommen (Hast du mit dem Mann gesprochen?) (Fiukowski u. a. 1982; von Essen 1964). Die Bestimmung der Rolle der Sprechmelodie in der Wiedergabe der emotionalen Konnotationen, die vom Sprechenden mit dem Inhalt der Sprachäußerung verbunden sind, wurde später von E. Stock vorgenommen. Die Er-
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gebnisse der von E. Stock durchgeführten Versuche zeugen davon, daß weder die Sprechmelodie an und für sich noch die Sprechmelodie in einem Komplex mit Intensität und Tempo für die richtige Erkennung der spezifischen emotionalen Färbung der Äußerung genügen. Diese Seite der Äußerung sicher zu erkennen, ist nur unter Berücksichtigung der Information möglich, die in den segmentellen Einheiten der Sprachäußerung und in der Klangfarbe der Stimme enthalten ist (Stock 1980). Durch die Intonation kann aber eine expressive Äußerung von einer nicht expressiven Äußerung unterschieden werden. Zur Zeit wäre es also richtiger, nicht von der Intonation als Unterscheidungsmittel der neutralen oder emotional gefärbten Rede zu sprechen, sondern von der Rolle der Intonation und der Klangfarbe der Stimme als Ausdrucksmittel des Verhaltens des Sprechenden zum Thema der Äußerung (Raevskij 1997). In bezug auf die Prosodie gibt es eine diskrete Einteilung der Intonationsphänomene in konventionelle (Symbole) und instinktive (Symptome). Dabei wird unterstrichen, daß als konventionell nur jene Phänomene gelten, wo die Intonation intellektuelle, d. h. Referenzfunktion, ausübt (Uldall 1960), während der intonatorische Ausdruck der Emotionen zum Bereich instinktiver Reaktionen gehört (Bolinger 1961). Diese extreme Meinung wurde durch eine Reihe von Versuchen widerlegt, die beweisen, daß emotionale Redestimuli vom Menschen nicht nur direkt durch emotionale Zentren, sondern auch mit Hilfe des Intellektes wahrgenommen werden. Ein Versuch von W. Grey (Grej 1966) hat gezeigt, daß die unmittelbare Reizung der emotionalen Zentren und ihre Aktivierung über das sprachliche System auf dem Enzephalogramm gleiche Ausschläge hervorrufen. Dadurch ist experimentell bewiesen, daß menschliche Emotionen funktionell auf intellektuell-emotionalen Wechselbeziehungen beruhen (Heifets 1966). Die Natur der Sprechtätigkeit als Kommunikationsmittel bietet die Möglichkeit, nicht nur Gedanken, sondern auch Willensäußerungen und Gefühle des Menschen zum Ausdruck zu bringen. Die Ergebnisse der speziellen Forschungen zur Wahrnehmung der gesprochenen Sprache im Hinblick auf die positive und negative Bewertung der Stimme und Sprechweise des Sprechenden (Manerov 1993) zeugen davon, daß gewisse akustische Sprechcharakteristiken des Sprechenden den Wahrnehmungseindrücken des Hörenden entsprechen bzw. korrelativ sind. So entspricht die Energieerhöhung der Grundtonfrequenz im Bereich von 80–90 Hz einem positiven Wahrnehmungskorrelat (angenehm, männlich), im Bereich aber von 70 Hz und auch 140–160 Hz einem negativen Korrelat. Die Spektrumverschiebung für Männerstimmen in den Bereich höherer Resonanzfrequenzen führt zu einer positiven perzeptuellen Bewertung: Aktivität, Straffheit. Eine weitere Erhöhung der Hochfrequenzkomponenten wird negativ als „kalte Stimme“, „zu weiblich“ bewertet.
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„Die Stimme in ihrer Individualität ist nicht nur eine „unsichtbare Visitenkarte“ des Sprechers, die das Vorhandensein entsprechender körperlicher und gesellschaftlicher Vorzüge in Aussicht stellt, sondern auch ein Phänomen von eigenem Wert für den Hörer. Besonders stark ist die Wirkung der Stimme, wenn die Partner unterschiedlichen Geschlechts sind. Die größte Zahl extremer (vor allem positiver) Bewertungen von männlichen Stimmen stammt von Hörerinnen. Darin äußert sich ihre Wertschätzung einer Reihe individueller stimmlicher Besonderheiten. Insbesondere gilt dies für eine volle Klangfarbe und eine tiefe Stimme. Eine typische Männerstimme gilt als wichtiges Geschlechtsmerkmal, ein Attribut der Männlichkeit, das von den Hörern auf das Äußere und die persönlichen Eigenschaften des Sprechers übertragen wird“ (Manerov 1993: 27). Die Bedeutung der Expressivität ist schwer zu überschätzen. Die Elemente der Expressivität bestimmen die Person des Sprechenden als Vertreter einer bestimmten Gesellschaftsgruppe (Pechlina 1969), eines bestimmten Alters, eines bestimmten Geschlechts. Die Expressivität als Bewertungskategorie hat einen sozialen Charakter (Gorbunov 1966). In den Forschungen der Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts wurden alle Spracherscheinungen von den Vertretern der psychologischen Richtung und von den Junggrammatikern vom Standpunkt der Individual- und Sozialpsychologie aus erklärt. Der Einfluß des gleichen Herangehens auf die Analyse der Spracherscheinungen kommt auch in den Studien des nachfolgenden Jahrhunderts zum Ausdruck. O. von Essen, der grundsätzlich den konventionellen Charakter der Intonationsmittel zum Ausdruck der emotionalen Bedeutungen annimmt, erklärt etwa diese Konventionalität durch die Gleichheit der psychischen Geistesbeschaffenheit der Menschen, die zu derselben Sprachgemeinschaft gehören. O. von Essen behauptet, daß das Redetempo, d. h. die Geschwindigkeit der wechselnden Aussprachebewegungen, den inneren Zustand des Sprechenden in starkem Maße widerspiegelt. Obwohl als Grundlage dafür konventionelle Sprachgewohnheiten dienen, muß man zugeben, daß auch diese Gewohnheiten im Endeffekt auf psychische Besonderheiten der Menschen, die zu einer Sprachgemeinschaft gehören, zurückgehen. Ein temperamentvoller Franzose oder ein Italiener spricht mit anderem Tempo als ein langsamer Friese (von Essen 1949). Zur Bekräftigung seines Gesichtspunktes bezieht sich O. von Essen auf O. Bremer: „Auch viele Unterschiede in den deutschen Mundarten nach dem Gesamtcharakter ihrer Aussprache haben als Grundlage psychische Unterschiede verschiedener Stämme: Leichtsinnigkeit des Bewohners des Rheingebietes im Gegensatz zur ernsteren Weltanschauung eines Mecklenburgers spiegelt sich auch in ihrer Aussprache wider“ (Bremer 1893: 11). Intonationsmittel, die zum Ausdruck emotionaler Schattierungen dienen, haben einen relativen Charakter. Man unterscheidet zwei Formen solcher Be-
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dingtheit: Die erste Form ist die Eigenart der Ausdrucksmittel entsprechend den Eigenschaften des nationalen Charakters. Die zweite Form der Bedingtheit zeigt sich, wenn der Ausdruck des emotionalen Zustandes mit Hilfe eines prosodischen Komplexes einen relativen Charakter in bezug auf die Semantik hat, in welchem z. B. die Töne des Vietnamesischen relativ sind (Dаvydov 1965). Es gibt Auseinandersetzungen darüber, welcher von den angegebenen Faktoren (biologischer oder konventioneller) einen größeren Einfluß auf den Ausdruck der Emotionen ausübt. Es wurde festgestellt, daß viele Emotionen mit Hilfe der Intonation sogar in einer unbekannten Sprache erkannt werden können. Einzelne Bemerkungen hinsichtlich dieser Frage kann man in verschiedenen Studien finden. So führt etwa N. S. Trubetzkoy (Trubetzkoy 1958) ein Beispiel an: Ein japanischer Schauspieler könne mit Hilfe der Stimme x-beliebige Schattierungen der Gefühle so ausdrücken, daß sogar Europäer, die die japanische Sprache nicht beherrschen, verstehen können, worum es sich handelt. O. Jespersen (Jespersen 1926) bemerkt, daß ein kleines Kind schon lange, bevor es eine Sprache zu verstehen beginnt, intonatorisch versteht, ob die Eltern gut oder schlecht gelaunt sind. Die Liste dieser Beispiele kann durch zahlreiche ähnliche Fälle ergänzt werden, in denen der emotionale Inhalt des von Ausländern Gesprochenen nur nach der Stimme (der Intonation) erfaßt wird. Vermutlich haben diese Schlußfolgerungen zur Ansicht geführt, daß der Ausdruck der emotionalen Zustände in der Rede hauptsächlich durch Reaktionen reflektorischen und instinktiven Charakters bedingt wird (Trojan 1952). Da die physiologischen Mechanismen dieser Reaktionen bei allen Menschen gleich sind, wird angenommen, daß der intonatorische Ausdruck von Emotionen in verschiedenen Sprachen identisch ist. Einige Untersuchungen anhand verschiedener Sprachen widerlegen diese apriorische Schlußfolgerung. In der Sprache der Komantschen werden Emotionen intonatorisch ganz anders als im Englischen ausgedrückt. Im Englischen, wie in vielen Forschungen festgestellt wurde, wird für diese Zwecke die Tonhöhe benutzt. In der Sprache der Komantschen aber dient die Tonhöhenbewegung nicht zum Ausdruck von Emotionen. Das wird durch andere Parameter bedingt (Smalley 1953). Die vergleichende Untersuchung der emotionalen Intonation im Englischen und Russischen zeigte auch die Spezifik der Melodietypen für diese Sprachen beim Ausdruck von Emotionen wie Abscheu, Verachtung, Hochmut, Angst (Davydov 1965). Der Vergleich des Intonationsausdrucks von Zorn im Deutschen und Russischen zeigt auch sehr bedeutende Unterschiede (Vitt 1965a). Alle diese Ergebnisse zeugen davon, daß intonatorische Mittel zum Ausdruck der Expressivität in verschiedenen Sprachen nicht völlig identisch sind. Gemäß der Lehre von K. Bühler (Bühler 1965) hinsichtlich der Hauptfunktionen der Sprache und der allgemein bekannten Interpretation von
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N. S. Trubetzkoy hat jeder Sprachausdruck drei Aspekte: eine Mitteilung zum Gesprächsthema (Explikation), einen Ausdruck, d. h. Charakteristik des Sprechenden (Expression), und einen Appell an den Hörenden. In bezug auf die Intonation kann ihre grammatische organisierende Rolle in ein Verhältnis zur Explikation gebracht werden; es ist zweckmäßig, die Ausdruckskraft (Expression) und den Appell in einer Funktion zu vereinigen, indem sie von zwei Standpunkten aus unterschieden werden: in bezug auf die Charakteristik des Sprechenden unter Berücksichtigung der sozialen, kulturologischen, Geschlechtsund Alterszugehörigkeit und auch hinsichtlich des Appells, indem man analysiert, welche appellative, d. h. Einwirkungsmittel, der Sprechende verwendet, um im Gesprächspartner entsprechende Gefühle hervorzurufen. Von diesem Standpunkt aus wäre es notwendig, bestimmte Musterintonationsmittel zum Ausdruck der emotionalen Zustände in der gesprochenen Sprache auszubilden. Dabei sind die Zufälligkeit und Spontaneität der Intonationsmuster zu vermeiden, die oft „zerkleinerte und untypische, stark situativ bedingte Einheiten sind, nicht sozial bedingt und wenig verwendbar“ (Vitt 1965a: 124). Für die Ausbildung von Dolmetschern ist diese Frage von besonderer Bedeutung, weil Unkenntnis der Norm einer fremden Sprache und ihr Ersetzen durch die Normen der Muttersprache zu allen möglichen Mißverständnissen führt, weil es bekanntlich Fälle gibt, wo wir uns nicht für den objektiven Inhalt des Gesagten, sondern für den emotionalen Zustand des Sprechenden und auch für sein Verhalten dem Gesprächspartner gegenüber interessieren. Zu den prosodischen Merkmalen, die das erste Glied der Opposition „emotional wirkende Information“ – „rational wirkende Information“ markieren, gehören: Tonhöhen-, Lautstärke- und Temposteigerung in bezug auf Sprechfokus im Vergleich zu Hintergrund; Tonhöhensteigerung, Zunahme des Tonhöhenumfangs, Tempobeschleunigung für das Neue im Gegensatz zum Gegebenen im Satz; steile Steigerung der Tonhöhe, beträchtliche Zunahme des Tonhöhenumfangs, Durchschnittsniveau der Lautstärke; Vorhandensein des Kontrastes zwischen prosodischen Merkmalen des Gegebenen und des Neuen (Potapova 1997b). Fehlende Kompetenz im Gebrauch der paraverbalen Mittel, die für Muttersprachler einer Sprache selbstverständlich sind, führt zu Störungen im Informationsaustausch. Dabei entstehen Mißverständnisse, Paradoxe, anekdotenhafte Fälle u. a. In diesem Fall können inadäquate emotionale Reaktionen des Gesprächspartners sowie Mehrdeutigkeiten im Sprechverhalten und in der Kommunikation im allgemeinen auftreten (Potapova 1997b). Die Beobachtungen im Bereich des gesprochenen Diskurses zeugen davon, daß der emotionale Inhalt der gesprochenen Sprache in den markantesten Fällen zu zwei Haupttypen tendiert: zu emotionalen Zuständen und emotionalen Reaktionen des Sprechenden (Bryzgunova 1984). Der emotionale Zustand
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des Sprechenden kann neutral (ruhig), aktiv, passiv usw. sein. Nach Meinung von L. R. Zinder aber ist die Neutralität auch eine Erscheinungsform von Emotion (Zinder 1978: 6). Der emotionale Zustand kann unruhig, freudig, böse, begeistert usw. sein. Beim neutralen emotionalen Zustand des Sprechenden überwiegt in der gesprochenen Sprache in der Regel die semantische Komponente des Diskurses. Gleichzeitig wird das Streben des Sprechenden zur Aktivität von der Aktivierung seines emotionalen Zustandes begleitet. Die Emotionen (z. B. Enttäuschung, Verdruß) können sowohl aktiv als auch passiv ausgedrückt werden. Der emotionale Zustand des Sprechenden wird durch seine eigenen Erlebnisse und durch sein Streben, auf den Hörenden einzuwirken, beeinflußt. Es ist zu betonen, daß der emotionale Zustand des Sprechenden sowohl auf eine als auch auf mehrere Sprechäußerungen übergreifen kann. Wenn eine bestimmte Form des emotionalen Zustandes einen größeren Redeabschnitt umfaßt, so erscheinen gewöhnlich „dominierende” emotional gefärbte Intonationen, die für das Ganze charakteristisch sind (Bryzgunova 1984). In der Wahl der emotionalen Schattierungen wird die Tatsache berücksichtigt, daß verschiedene Emotionen beim Sprechen einen unterschiedlichen Grad der Ausdruckskraft haben: Die einen zeigen sich besser und werden vom Hörenden auch besser wahrgenommen, die anderen treten schwächer auf und werden schlechter wahrgenommen, und einige Emotionen haben im Intonationsausdruck keine bestimmten Analogien (Vitt 1965a; 1965b). In experimental-psychologischen Untersuchungen (Vitt 1965; 1988; Rožkova 1971) wurde der Gruppencharakter von Emotionen durch den Vergleich der Intonationsbesonderheiten bei ihrem Ausdruck und durch den Vergleich der Gesetzmäßigkeiten ihrer Erkennung bewiesen. Die Einteilung in die Gruppen beruht darauf, daß sich der Intonationsausdruck der Emotionen in einem oder zwei emotionalen Zuständen konzentriert. Die Forscher beschränken sich also bei der Beschreibung der emotionalen Schattierungen in der Regel nur auf die allgemeinsten, z. B. Angst, Zorn, Freude, Kummer (Kovyl’nikova 1971). Positive Emotionen werden gewöhnlich schlechter erkannt als negative, und ein freundliches Verhältnis zum Gesprächspartner unterscheidet sich nicht von der formalen Höflichkeit, die von einigen Autoren als neutral betrachtet wird. Einige Emotionen werden einander intonatorisch nicht entgegengesetzt, und deshalb können sie nicht wahrgenommen werden. Als Beispiel können Freude und Angst dienen. Sie sind akustisch gleich (steigend-fallende Grundtonfrequenzbewegung, Grundtonfrequenzwert, zeitliche Änderungen der Grundtonfrequenz (Mačkova 1971)). Die Emotionen, die von Deutschen realisiert werden, werden von den deutschen Muttersprachlern auf der Grundlage der Intonationsstruktur hundertprozentig identifiziert, aber von Russen bei weitem nicht immer. Diese Tatsa-
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che bestätigt die These, daß der intonatorische Ausdruck von Emotionen und deren Wahrnehmung wesentlich durch die sprachliche Zugehörigkeit der Gesprächspartner bedingt wird. Als akustische Dominante bei der Wahrnehmung von Freude und Schreck weisen die Hörer auf Registersteigerung und Klangfarbe hin, und Russen nennen zusätzlich auch die Spezifik der Melodie. Kummer und Verdruß werden von Russen hundertprozentig korrekt wahrgenommen. Als Hauptmerkmal für die Identifizierung dieser Emotionen nennen die Probanden verlangsamtes Tempo, Melodieregistersenkung und auch gleichbleibende Melodie für Trauerzustand und relativ gleichbleibende Melodie für Verdruß (Unzufriedenheit). Eine stabile Meinungsdivergenz unter russischen und deutschen Probanden in bezug auf die Bewertung der Emotionen wird als Beleg für die Spezifik der Prosodie bei der Aktualisierung gewisser Emotionen im gesprochenen Deutschen und Russischen angesehen, und umgekehrt zeugt der gleiche Charakter der Reaktionen von den Probanden (Muttersprachler der beiden genannten Sprachen) von der Konvergenz der Prosodie. So wird z. B. der Emotionszustand Freude in einem Fragesatz mit Fragewort durch deutsche Muttersprachler hundertprozentig fehlerlos bewertet, was für russische Muttersprachler ganz anders aussieht. In diesem Fall wird derselbe Stimulus als Emotionszustand Schreck bewertet. Die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der perzeptorischen Identifizierung einer bestimmten Emotion auf der Grundlage der Prosodie hat ihren Grund in der Differenzierung von zwei Arten von Emotionen: Emotionen, deren prosodische Realisierung nicht durch die Spezifik des Sprachsystems bedingt ist, und Emotionen, deren prosodische Realisierung wesentlich durch die Spezifik der Sprache bedingt ist. Die erste Art von Emotionen wird von allen Probanden gleich bewertet. Die zweite Art wird nur von einer Gruppe der Probanden identifiziert. Die erste Art von Emotionen, die durch alle Probanden gleich bewertet werden, schließt Verwunderung, Kummer, Verdruß und Schreck ein. Die Emotionen sind in dieser Reihenfolge nach dem Grad der richtigen Identifizierung aufgezählt. Zur zweiten Art der Emotionen, die von Deutschen, nicht aber von Russen identifiziert werden, gehört Freude. Die Prosodie übt sowohl im Russischen als auch im Deutschen emotive Funktionen aus. Gleich sind auch die prosodischen Mittel, die in beiden Sprachen benutzt werden, was die Ähnlichkeit ihrer Intonationssysteme erklärt. Bei der grundsätzlichen Ähnlichkeit der Intonationssysteme bestehen aber in diesen zwei Sprachen auch Unterschiede. Die Melodie tritt sowohl im Russischen als auch im Deutschen als Hauptbestandteil der Intonation beim Ausdruck der Abgeschlossenheit und Nichtabgeschlossenheit, der Kommunikationstypen der Sätze und der kommunikativen Gliederung des Satzes auf.
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Die Formen der Tonführung im Satz sind verschieden, die wichtigsten sind aber: fallende Melodie zum Ausdruck der Abgeschlossenheit und steigende Melodie zum Ausdruck der Nichtabgeschlossenheit. Die Rolle der Intonation zum Ausdruck des Gegebenen (Thema) und des Neuen (Rhema) ist in der Äußerung außerordentlich groß. Phonetische Mittel zum Ausdruck des Neuen sind in beiden Sprachen ähnlich. Es gibt auch Unterschiede, die jeder der verglichenen Sprachen ihre besondere Färbung verleihen. Es lohnt sich, folgende Unterschiede zum Ausdruck des „Neuen“ im Russischen und Deutschen zu nennen (Nork 1961): Die rhematisch betonte Silbe im Deutschen ist stärker als im Russischen, was sich durch die größere absolute Intensität des deutschen dynamischen Akzentes im Vergleich zum Russischen erklärt; die Verlängerung der rhematisch betonten Silbe im Russischen wird hauptsächlich durch die Verlängerung des Vokals realisiert. Im Deutschen sind zwei Varianten vorhanden: Die Dauer der Silbe wird durch den Vokal länger, wenn der Vokal ein langes Phonem ist; sie wird hauptsächlich durch Konsonanten (besonders frikative und sonone) länger, wenn ihr Vokal ein kurzes Phonem ist. Diese Variation der Dauer der Silbe, sei es durch Vokale, sei es durch Konsonanten, ist im Deutschen obligatorisch, weil die Vokallänge in dieser Sprache phonologisch relevant ist und zur Differenzierung der Wörter und ihrer Formen dient; die Tonhöhe in der betonten Silbe ist beim Tonbruch im Deutschen in der Regel geringer als im Russischen; die Tonführung in der betonten Silbe hat, obwohl sie im Deutschen fallend ist, meistens einen steigend-fallenden Charakter. Im Russischen ist dagegen fallende Tonführung häufiger anzutreffen. Die Wahrnehmung der russischen Intonation durch deutsche Muttersprachler wird durch viele linguistische Faktoren erschwert (Rogova 1985). Wenn man das System der Intonationskonstruktionen (IK) von E. A. Bryzgunova anwendet (Bryzgunova 1977), so muß man hinsichtlich dieser Methodik die Berücksichtigung von IK-1, IK-2, IK-3, IK-4, IK-6 in bezug auf solche Arten von Sprachmaterial wie eine Mitteilung (Aussage), eine Frage und Syntagmen in Aussagesätzen im neutralen Redestil berücksichtigen. In diesem Fall wird der Aneignung von IK-3 besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei ist zu erwähnen, daß für die russische Intonation IK-3 als spezifisch gilt und daß die Russen sie bei langem Aufenthalt im Ausland einbüßen. Es stellt sich heraus, daß Deutsche in der Regel IK-5, IK-724 und IK-6 in Modalsätzen nicht be24
Die Intonationskonstruktion IK-7 hat eine geringe Zahl modaler Realisierungen. Die gebräuchlichste von ihnen unterscheidet sich von der neutralen Realisation durch hohe Grundtonfrequenz auf einer vor dem Zentrum liegenden Silbe, durch steigend-fallende Tonführung des Vokals und Verlängerung der Dauer im Zentrum (im Durchschnitt um das Zweifache im Vergleich zu den anderen Silben). Diese Realisation von IK-7 hat die Bedeutungsschattierungen Nachsicht, Gutmütigkeit (Bryzgunova 1982).
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herrschen. Diese IK in der emotional gefärbten Rede werden von Deutschen erst auf einer höheren Stufe des Russischlernens wahrgenommen. Die Unterschiede in der Intonationswahrnehmung der beiden Sprachen gehen auf eine Besonderheit der russischen Intonation zurück, die als Zickzackmelodie bezeichnet wird und der gesprochenen deutschen Sprache völlig fremd ist. Hier könnte man eher von einer in Stufen absteigenden Tonhöhe im Satz sprechen (Zeleneckij, Monachov 1983). Für die Intonationswahrnehmung im Russischen sind die Grundtonfrequenzmodifikationen in einem größeren Abschnitt als nur der hauptbetonten Silbe informativ. In einer Untersuchung zur Wahrnehmung der Tonhöhe in deutschen Äußerungen (Potapova, Lindner 1991) stellte sich heraus, daß die Differenz zwischen Steigerung und Senkung der Tonhöhe im Endabschnitt durch Deutsche adäquat identifiziert wird, indem sie die entsprechenden Konturen in der Regel mit der Intonation der Abgeschlossenheit und Nichtabgeschlossenheit assoziieren. Eine deutlich ausgeprägte steigend-fallende Melodie am Satzende wird durch Probanden bei längerer Dauer der fallenden Tonführung als Intonation der vollständigen Abgeschlossenheit und Bestätigung bewertet. Infolge der Spezifik der engen Melodiebreite, der diskreten intrasilbischen und ausgeglicheneren intersilbischen melodischen Intervalle in deutschen Äußerungen wird die deutsche Intonation von russischen Muttersprachlern als monoton im Vergleich zur russischen Intonation wahrgenommen. Für die russische Intonation sind größerer Melodieumfang und größere melodische Intervalle bezüglich intersilbischer Abschnitte charakteristisch. Deutsche ihrerseits bewerten die russische Intonation als emotional gehaltvoll mit einer Reihe von konnotativen Schattierungen. Zum Zweck der Beschreibung des Mechanismus der Sprachkategorisierung bei der Wahrnehmung der deutschen Intonation durch Russen und der russischen Intonation durch Deutsche wurden spezielle experimental-phonetische Untersuchungen durchgeführt (Potapova 2003). Für die Eliminierung der Semantik der gesprochenen Äußerung wurden im Experiment spezielle akustische Filter verwendet, die die Zerstörung der Formantenstruktur des Lautbestandes bewirkten. Das führte zur Destruktion der lexikalischen Einheiten und zur „Entfernung“ der semantischen Komponente im Satz. Stabil blieben die Werte für die Realisation der Dauer der Grundtonfrequenz bei der Wahrnehmung der Melodie. Auf diese Weise entstanden ausgesprochene „Pseudosätze“ in bezug auf Deutsch und Russisch, die den Probanden (Deutschen und Russen) in freier Kombination vorgeführt wurden. Das Experimentalkorpus enthielt kommunikativ relevante Typen der Intonation (kommunikative Haupttypen): abgeschlossene Aussage, nichtabgeschlossene Aussage, Entscheidungsfrage. Die Ergebnisse wurden mathematisch-statistisch analysiert, was ermöglichte, syste-
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matische Divergenzen zwischen den perzeptiven Bewertungen der repräsentierten Stimuli für die beiden Gruppen von Probanden festzustellen. Als Ergebnis des Versuchs wurde festgestellt, daß russische Intonationsmuster von Deutschen folgendermaßen wahrgenommen wurden: „Abgeschlossene Aussage“ im Russischen wird von Deutschen als „nichtabgeschlossene Aussage“ und die russische Entscheidungsfrage als eine besondere Art der Bestätigungsfrage wahrgenommen. Die Melodiebreite der deutschen Intonationsstimuli wird von Russen als eng, komprimiert und die Tonführung als monoton wahrgenommen. Der Melodieumfang im gesprochenen Russischen wird von Deutschen als breit und emotional stark gefärbt wahrgenommen (Potapowa 2003). In der nächsten Etappe war es notwendig, durch die Wahrnehmung melodisch markierte Redeabschnitte zu bestimmen und die Spezifik der Intonationswahrnehmung im großen und ganzen festzustellen. Die Forschungshypothese wurde folgendermaßen formuliert: Die enge Melodiebreite des gesprochenen Deutschen wird infolge der Grundtonfrequenzänderung innerhalb der Silben realisiert, aber nicht in den Abschnitten dazwischen. Das stimmt nicht mit entsprechenden Charakteristiken des gesprochenen Russischen überein, wo Melodieänderungen infolge der Grundtonfrequenzmodifikationen in der Regel an den Grenzen zwischen den Silben realisiert werden. Das Experiment wurde in zwei Etappen eingeteilt: Erstens wurden Grundtonfrequenzdifferenzwerte zwischen Silben mit Hilfe eines speziellen Computerprogramms eliminiert; zweitens wurden die Grundtonfrequenzunterschiede innerhalb der Silben durch ein Computerprogramm eliminiert. Auf solche Weise präparierte Pseudosätze wurden durch Probanden (Russen und Deutsche) bewertet. Sie sollten das Merkmal „Natürlichkeit – Unnatürlichkeit“ in bezug auf die dargebotenen Satzstimuli bewerten. Im Experiment wurden deutsche Pseudosätze mit eliminierten intrasilbischen Grundtonfrequenzmodifikationen von deutschsprachigen Probanden als unnatürlich wahrgenommen. Dazu wurden einige kommunikative Intonationstypen auf der Basis der deutschen Pseudosätze vollkommen falsch identifiziert (z. B. wurde bei abgeschlossenen und nichtabgeschlossenen Aussagesätzen der jeweils andere Typ gehört). Eine analoge Situation war auch in den Versuchen zur Identifizierung der modifizierten Intonationsstimuli durch Russen festzustellen, wo das Fehlen der Grundtonfrequenzintervalle zwischen den Silben als „Unnatürlichkeit“ in der Realisierung der russischen Intonation wahrgenommen wurde. Es wurden auch Experimente zur Identifizierung der deutschen und russischen Intonationsstimuli mit eliminierten Grundtonfrequenzintervallen zwischen den Silben durch Deutsche durchgeführt. Es stellte sich heraus, daß deutsche Muttersprachler deutsche Pseudosätze ohne Grundtonfrequenzintervalle zwischen den Silben als natürlich und russische Pseudosätze als unnatürlich bewerten. In bezug auf
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russische Probanden gab es eine andere Gesetzmäßigkeit: Deutsche Pseudosätze ohne Grundtonfrequenzintervalle zwischen den Silben bewerteten sie als natürlich und die gleichen russischen Stimuli als unnatürlich (Potapova 1991b). Alles Gesagte zeugt davon, daß der Wahrnehmungsprozeß bei Russen und Deutschen hinsichtlich der Wahrnehmung der Hauptparameter der Intonation (Melodiebreite und Melodieänderungen bezüglich bestimmter Äußerungsabschnitte) nach verschiedenen Dominanten in bezug auf die Realisation dieser Parameter ausgerichtet ist. Die Wahrnehmung der Intonationscharakteristiken der Modalkategorie durch Deutsche und Russen wird auch durch eine Reihe von Besonderheiten charakterisiert. Zum Beispiel wird eine Bitte, die verbal durch Russen realisiert wird, durch Deutsche mit den konnotativen Schattierungen der Entschuldigung und Fesselung der Aufmerksamkeit des Gesprächspartners identifiziert. Die gegensätzliche Tendenz ist für Russen charakteristisch. Sie nehmen Bitte, durch Deutsche in der gesprochenen Sprache realisiert, als psychologischen Druck und als Forderung wahr. Dabei ist eine unterschiedliche Ausrichtung auf Intonationskomponenten typisch: Für Russen sind Befehl, Bitte, Flehen, Forderung und Drohung mit Tempoänderung und Pausierung verbunden. Für Deutsche sind diese prosodischen Charakteristiken für diese Kategorien von keiner Bedeutung. Relevant sind aber Lautstärke und Akzentuierung, die für Russen überflüssig sind. Sowohl für diese als auch für jene ist die Melodiekomponente der Intonation gleichermaßen relevant. In den Untersuchungen zur Intonation in bezug auf sprechsprachliche Männer- und Frauenrealisationen schenken Forscher der größeren Emotionalität der Frauenrede im Vergleich zur Männerrede besondere Aufmerksamkeit. Perzeptiv macht die Frauenrede den Eindruck größerer sprechsprachlicher Vielfältigkeit und Variabilität infolge der Melodieänderungen. Einige Sprachforscher erklären die zahlreichen Melodieänderungen (d. h. die größere Zahl von „Melodiegipfeln“ einer Zickzackmelodieform) in der weiblichen gesprochenen Sprache durch „das Streben der Frauen, dem starken Geschlecht zu gefallen“, durch Zierlichkeit und Manierlichkeit usw. Bei der Übertragung des intralinguistischen Genderfaktors der Differenzierung von Merkmalen „männlich-weiblich“ auf interlinguistische Ebene entsteht folgende konventionelle Opposition: deutsche Intonation als Gesamtheit phonetischer Parameter, die der Männlichkeit eigen sind, und russische Intonation als Gesamtheit phonetischer Parameter, die die Weiblichkeit in größerem Maße darstellen. Die experimental-phonetische Analyse des Russischen und Deutschen (Potapova 1986a; 1986b; Potapova 1993b; Potapowa 2002) führte zu folgendem Hauptergebnis: Für die integrative perzeptorische Bewertung der deutschen gesprochenen Sprache sind folgende Charakteristiken typisch: gespannte Artikulation; größeres Atemdruckintervall des Kehlkopfs und als Folge ge-
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spannte Phonation, die zum festen Einsatz bei der Artikulation der Anfangsvokale und zu deren starkem Abglitt führt; Ersetzen der phonologischen Merkmale „Stimmhaftigkeit-Stimmlosigkeit“ im Konsonantismus durch die Opposition „Fortis – Lenis”; dynamische Zweigipfligkeit der langen Vokale infolge der Reartikulation; Artikulationseinstellung auf leichte Labialisierung der Vokale und als Folge Verschiebung der Resonanzfrequenzen in den Bereich niedrigerer Werte; stoßweise Dynamik der Silben im Redestrom infolge der diskreten Kinesik, die als dynamisch-melodische Punktiertheit (nach F. Trojans Terminologie „staccato“) wahrgenommen wird; Konsonantenkonzentration in den Silbenstrukturen; enge Melodiebreite bei Intonierung; Lösungstiefe (steil fallende Melodie) am Satzende; Fehlen abrupter Melodieänderungen, d. h. Tendenz zur Monotonie; Minimum der emphatischen Intonationsgipfel; geregeltes rhythmisches Muster der gesprochenen Äußerung als Folge der fixierten Betonung und Fehlen der quantitativ-qualitativen Reduktion der unbetonten Vokale (mit einigen Ausnahmen). Die integrative Charakteristik der russischen gesprochenen Sprache umfaßt: ungespannte Artikulation; durchschnittlichen Atemdruckumfang und als Folge schwachen Ein- und Lautabsatz der russischen Vokale; in bezug auf Konsonanten die Oppositionen „Stimmhaftigkeit – Stimmlosigkeit“ und „Palatalisierung – Nichtpalatalisierung“; dynamische Eingipfligkeit der Vokale; wellenartige Dynamik der Silben infolge unkonzentrierter Kinesik (nach F. Trojan „legato“); Vorherrschen der offenen Silben und als Folge reiche Vokalisierung der Rede; erweiterten Melodieumfang bei Intonierung, melodische Halbtiefe (nicht so steil fallende Melodie) am Satzende; reiche Melodieänderungen, d. h. Fehlen der melodischen Monotonie; eine große Zahl emphatischer Intonationsgipfel; ungeregeltes rhythmisches Äußerungsmuster als Folge freier ungebundener Betonung; quantitativ-qualitative Reduktion der unbetonten Vokale. Zahlreiche Beobachtungen und Experimente wiesen Korrelationen zwischen den genannten artikulatorisch-akustischen Merkmalen der deutschen und russischen gesprochenen Sprache und ihren Wahrnehmungseindrücken nach, die mit verschiedenen assoziativen Wahrnehmungsbewertungen korrelieren. Diese perzeptiven Bewertungen haben Zonencharakter und liegen ziemlich weit von einander entfernt (mit kleiner Werteüberlappung). Nach R. K. Potapova (Potapowa 2002) dient das ganze Inventar der oben erwähnten Merkmale als Grundlage für die Differenzierung phonetischer Besonderheiten des Deutschen und des Russischen unter Berücksichtigung gegensätzlicher Mechanismen der Redebildung: vox ergotropica für Deutsch und vox trophotropica für Russisch, d. h. erhöhter Muskeltonus, Körpermobilisierung und Verstärkung der energetischen Basis des sthenischen Charakters beim Deutschsprechen und das Fehlen des erhöhten Muskeltonus und Entspannung der energetischen Basis des asthenischen Charakters beim Russischsprechen.
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Diese Abhängigkeit ist bei weitem nicht zufällig, weil die Rede ein Bestandteil des gesamten funktional-motorischen Komplexes des Individuums ist, der alle Arten der motorischen Tätigkeit (Gangart, Gestik, Mimik) einschließt. Alles Gesagte erlaubt es, die Merkmale des deutschen und des russischen gesprochenen Diskurses auf die Ebene der Gegenüberstellung „Männlichkeit – Weiblichkeit” zu übertragen. Die gesprochene deutsche Sprache entspricht bei der integrativen Betrachtung meistens solchen assoziativen Vorstellungen wie „Männlichkeit“, „Mut“, „Sachlichkeit“, „Kräftekonzentration“, “Aktionsbereitschaft“. Im Gegensatz dazu wird die gesprochene russische Sprache mit Vorstellungen wie „Weiblichkeit“, „Gefühlsduselei“, „Weichheit“, „Nachgiebigkeit“ assoziiert, was auch der konventionellen Dichotomie „männliche – weibliche Kultur“ entspricht (Potapov 2004a; 2004b). So bestimmt D. S. Lichačev die russische Kultur symbolisch als „weiblich“ und die deutsche Kultur als „männlich“. Dieser Definition liegt als eines der Hauptkriterien die Anrede älterer russischer Frauen an die Vertreter der jungen Generation mit „Töchterchen“ bzw. „Söhnchen“ zugrunde, d. h. die Lexik der Familienverhältnisse wird in den Vordergrund gerückt (Lichačev 2000). Vergleichbares ist in der Geschichtsphilosophie des russischen Messianismus zu beobachten, wo die Konzeptionen „weibliches Rußland“ – „männlicher Westen“ verwendet werden (Rjabov 2001). In der Natur gibt es einerseits keine Regel ohne Ausnahme, andererseits keine absoluten Wahrheiten. Nach den Ergebnissen der Beobachtungen und spezieller Experimentalstudien kann man nur die Tendenz zu einer gewissen Gesetzmäßigkeit in der Entwicklung einer bestimmten Erscheinung aufdecken. So gibt es z. B. in der Natur kein Weiß und Schwarz, aber eine endlose Palette von Schattierungen, die die von uns wahrgenommenen Farben als Weiß und Schwarz darstellen. Analog kann auch die Einstellung zur Einschätzung von Männlichem und Weiblichem in bezug auf die gesprochene Sprache und ihre phonetischen Merkmale sein. Es gibt aber bestimmte Schlüsselmerkmale, und gerade diese Merkmale geben den Rezipienten die Möglichkeit, die Spezifik der integrativen Vorstellung von gesprochener Sprache unter Berücksichtigung der Dichotomie „Männlichkeit – Weiblichkeit“ sowohl in bezug auf das Sprechen einzelner Individuen als auch auf das Sozium und die ethnische Gemeinschaft zu bewerten.
V. Auditiv-visuelle Bewertungen der kommunikativen sprechsprachlichen Tätigkeit (Experimentaluntersuchung in bezug auf Talk-Show-Fragmente russischer und deutscher TVProgramme durch deutsche und russische Probanden)
V.1. Talk-Show (TS) als besonderer Gattungsstil des Gesprächs In letzter Zeit (Ende des 20. und Anfang des 21. Jh.) erschien in der linguistischen Fachliteratur in Rußland eine Reihe von Beiträgen, in denen man die Talk-Show (TS) als besonderen Gattungsstil des Gesprächs und zwar als TSDiskurs, definierte. Dabei wurden in der Regel zwei Hauptmerkmale des TSStils genannt: a) Realisation einer konkreten kommunikativen Einstellung der Sprecher und Hörer; b) Berücksichtigung der Gesamtheit der verbalen und nichtverbalen Kanäle der Kommunikation. Dabei unterscheidet man spezielle TS-Parameter, die der kommunikativen Hauptaufgabe der TS-Interaktion entsprechen: – Informationsparameter (bzw. informierende Aspekte); – Expressivitätsparameter (bzw. emotional-modale Aspekte); – Präskriptorparameter (semiotische und pragmatische Aspekte der Wirkung auf den Empfänger); – intersubjektive Parameter (regulierende Aspekte in bezug auf das Verhalten der Kommunikationspartner); – ästhetische Parameter (bzw. spielerische Aspekte); – Quantitätsparameter (die Zahl der an der Kommunikation Beteiligten); – zeitliche Parameter (zeitlich begrenzte Aspekte); – Raumparameter (raumbegrenzende Aspekte). Hinsichtlich dieser Parameter wird die TS-Interaktion als besonderer Gattungsstil des Gesprächs (TS-Diskurs) interpretiert. Im Rahmen dieser Konzeption läßt sich die Gattungsspezifik folgendermaßen schematisch darstellen:
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Schema 1. Hauptblöcke der TS-Interaktion. Unser Schema manifestiert innere und äußere Einflußfaktoren der TS-Kommunikation. Die Spezifik der kommunikativen Wirkung ist vielschichtig, komplex und hängt von vielen Faktoren ab. Unserer Meinung nach gibt es psychologische Unterschiede zwischen Talk-Show- und Reality-Show-Verhaltensweisen der an der Kommunikation Beteiligten. Von diesem Standpunkt aus betrachten wir TS-Muster der Kommunikation als relativ natürliche Kommunikationsmuster, die approximative Kenntnisse des typischen Kommunikationsverhaltens voraussetzen. Wenn man diese Komplexität berücksichtigt, gibt es die Möglichkeit, Universal- und Differentialmerkmale der TS-Interaktion zu unterscheiden (siehe z. B. Larina 2001), was mit unserer Darstellung zusammenfällt (Tab. 1).
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
203 Tabelle 1
Universal- und Differentialmerkmale der TS-Interaktion Faktor
Nr.
Gattungsmerkmale
Universalmerkmale
Anthropozentrisch (personell)
1.
Leitungsperson
+
2. 3. 4. 5. 6. Organisatorisch und technisch
7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
a) Leitungsfunktion (Moderator, Interviewer, Moderator + Interviewer) (gemischte Funktion) b) Gendermerkmal (männlich, weiblich, gemischt) c) Quantitätsmerkmal (eine Leitungsperson, zwei..., mehr als zwei) d) Anteil am TS-Programm (Verfasser, Mitverfasser) Mitleitende Personen Gäste Experten TV-Zuschauer (im Fernsehstudio) technische Hilfskräfte (Kameramann, Operator) Sicherheitskräfte Besprechung des Hauptthemas durch Leitungspersonen und Gäste Beteiligung der Experten und Zuschauer an der Diskussion Nutzung von Steuerpulten für Abstimmung Verschiedene technische Effekte (z. B. Lichteffekte, Computergraphik usw.) Musikbegleitung als Signal zum Beginn des TSProgramms Innendekoration des Studios
Differentialmerkmale
+
+ + + + + + + + + + + + + + +
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Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
Dem thematischen Merkmal nach unterscheidet man in der Regel folgende Haupt-TS-Typen: – Unterhaltungs-TS, – politisch-analytische TS, – intellektuelle (z. B. wissenschaftsthematische) TS, – kriminalthematische TS, – parodistische TS. In bezug auf den sachlichen TS-Diskurs kann man unserer Meinung nach in erster Linie zwei TS-Typen nennen, den politisch-analytischen und den intellektuellen (teilweise auch den kriminalthematischen), wenn es sachbezogene Diskussionen gibt. Jede kommunikative TS-Interaktion wird durch eine bestimmte Kommunikationsstrategie und Kommunikationstaktik charakterisiert, die im modernen Kommunikationsmodell berücksichtigt sind (Potapova 1997b). Es ist deshalb zweckmäßig, Sprechstrategie und Sprechtaktik als Bestandteile der globalen kommunikativen Strategie und kommunikativen Taktik zu interpretieren. Unter dem Begriff kommunikative Strategie versteht man die Gesamtheit der verbalen und nonverbalen Handlungen der an der Kommunikation Beteiligten, die auf die Lösung der kommunikativen Zielaufgabe und auf die Änderung der Lebenswelt des Adressaten gerichtet sind (Issers 2006). In bezug auf den sachlichen kooperativen TS-Diskurs ist unserer Meinung nach die Sprechstrategie durch folgende Merkmale gekennzeichnet: 1. gemeinsames Streben nach der Lösung der kommunikativen Hauptaufgabe, 2. Unterstützung des Kommunikationspartners, 3. Vorhandensein der notwendigen Argumentation. Die kommunikative Taktik ist auf die Änderung einzelner Aspekte der Lebenswelt des Adressaten gerichtet (z. B. Kontakttaktik, Einschalten des Emotionsmechanismus usw.). Die kommunikative Taktik unfaßt eine oder mehrere verbale und nonverbale Handlungen, die zur Realisierung der kommunikativen Strategie dienen.
V.2. Hauptmerkmale und Funktionen der sachlichen kooperativen Kommunikation Das Phänomen der Sprechwirkung ist mit der Zieleinstellung des Sprechenden (des Adressanten), des Subjekts der Sprechwirkung, die die intellektuelle und
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
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physische Tätigkeit des Kommunikationspartners (des Adressaten) regeln soll, aufs engste verbunden. In der Fachliteratur unterscheidet man folgende Typen der Sprechwirkung: – sozial, – informierend, – willensmäßig, – bewertend, – emotional. Diese Typen werden durch zwei Arten der Hauptziele der kommunikativen Strategie bedingt: – durch die Realisation der allgemeinen kommunikativen Intention, – durch die Anpassung an die vorhandenen kommunikativen Situationen (z. B. Fedorova 1991). Außerdem gibt es eine Reihe von kommunikativen Nebenzielen, die durch folgende Typologie charakterisiert werden: – kommunikative Ziele, die mit ethischen Normen des Sprechenden und mit seiner Selbstbewertung verbunden sind; – kommunikative Ziele, die mit der wirkungsvollen Interaktion der an der Kommunikation Beteiligten verbunden sind (z. B. Empathie (Mitleid), Billigung); – kommunikative Ziele, die durch das Streben des Sprechenden (des Adressanten) bedingt sind, den Wert seiner Lebenseinstellungen zu erhalten und sogar zu verstärken; – kommunikative Ziele, die mit dem Wunsch des Adressanten verbunden sind, die Situation zu kontrollieren; – kommunikative Ziele, die mit der Realisation der neutralen oder positiven Emotionen und Modalitätsexpressionen verbunden sind. Von diesem Standpunkt aus und im Hinblick auf alle obengenannten Hauptund Nebenziele der kommunikativen Interaktion ist es unseres Erachtens zweckmäßig, diese Ziele als Grundlage der kooperativen Kommunikation zu betrachten. Die kooperative Interaktion ist durch bestimmte Eigenschaften der Kommunizierenden charakterisiert. Der Auffassung von P. Grice entsprechend soll jede kommunikative Interaktion kooperativ sein (Grajs 1985). Das bedeutet, daß jeder Kommunikationspartner zum Prozeß der Interaktion seinen eigenen Beitrag leisten soll, der für das Streben nach erfolgreicher Zusammenarbeit notwendig ist. Als Grundlage werden Verhaltensweisen wie Höflichkeit, korrektes Verhalten, Taktgefühl, Bescheidenheit, Pünktlichkeit, Zuvorkommenheit genannt.
206
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
In dieser Hinsicht kann man die kooperative Sprechinteraktion als Interaktion mit hohem Grad kooperativer Verhaltenskultur der Kommunizierenden interpretieren (z. B. Potapova 1990a; Potapova, Potapov 2006; Kuznecov 2005). In diesem Fall sollen die Kommunizierenden mit hohem Grad kooperativer Verhaltenskultur folgende Eigenschaften besitzen: – Empathie (das Streben des Adressanten, die konkrete Situation unter Berücksichtigung der Einstellung des Rezipienten (des Adressaten) aufzufassen und imstande zu sein, diese Situation mitzuerleben); – Sympathie (positive Einstellung zum Kommunikationspartner); – Achtung vor dem Kommunikationspartner; – Authentizität des eigenen kommunikativen Verhaltens (das Streben des Adressanten, seine Verhaltensweise im Kommunikationskontakt aufrechtzuerhalten); – Konkretheit (Bereitschaft, alle Fragen möglichst eindeutig und konkret zu beantworten); – Bereitschaft, Initiative zu zeigen, mit einem potentiellen Kommunikationspartner Kontakt aufzunehmen; – Natürlichkeit der eigenen Verhaltensweise; – Empfänglichkeit für die Expressivität des Kommunikationspartners (Fähigkeit, Emotionen des Kommunikationspartners adäquat zu bewerten); – Selbstkritische Bewertung der eigenen Verhaltensweise im Kommunikationsakt; – Bereitschaft des Adressanten, kritische Bemerkungen in bezug auf sich selbst mit Verständnis aufzufassen; – Fähigkeit des Adressanten, verbale, paraverbale und nonverbale Mittel für erfolgreiche kommunikative Wirkung einzusetzen. Außerdem ist es unserer Meinung nach zweckmäßig, in bezug auf die erfolgreiche kooperative Verhaltensweise der Kommunikanten folgende sozialpsychologische Faktoren zu berücksichtigen: – phatische Angemessenheit (die Fähigkeit, vor einem möglichen Kontakt potentielle Konsequenzen der Kommunikation vom psychologischen Standpunkt aus adäquat zu bewerten); – möglichst dauernde Förderung der psychologischen Aktivität des Kommunikationspartners; – psycholinguistische Prognose des Endes des kommunikativen Aktes; – Prognose der möglichen Reaktionen des Kommunikationspartners; – maximale Ausnützung der sozialen und psychologischen Charakteristiken der Kommunikationssituation; – Einschluß der positiven Emotionen und Modalitätsmittel in die kommunikative Interaktion; – Provozieren der notwendigen Reaktionen des Kommunikationspartners;
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
– –
207
Formieren der psychologischen Stimmung des Kommunikationspartners; Überwindung der psychologischen Hindernisse und Beseitigung der möglichen psychologischen Spannung mit Hilfe von verbalen, paraverbalen und nonverbalen Kommunikationsmitteln. Was die sachliche Kommunikation betrifft, so unterscheidet man in der russischen Fachliteratur drei Grundstile: – rituell (in bezug auf Kontakt mit dem Kommunikationspartner, sog. kontaktfördernde Kommunikation); – manipulierend (Ausnützung des Partners als Mittel zur Zielerreichung); – menschlich (inhaltsbezogene Form der Kommunikation). Dem Problem der sachlichen Kommunikation Russisch-Deutsch war die Untersuchung von K. Reinke „Zur Wirkung phonetischer Mittel in sachlich intendierter Sprechweise bei Deutsch sprechenden Russen“ (Reinke 2005; 2008) gewidmet. Die Arbeit ging der Frage nach, inwiefern bei Angehörigen zweier unterschiedlicher Muttersprachen und Kulturen (Russisch und Deutsch) in einer offiziellen Situation (prüfungsnahe Situation) vergleichbare Intentionen hinsichtlich der Verwendung einer sachlichen Sprechweise beim reproduzierenden und beim frei produzierenden Sprechen vorliegen, wie es ihnen gelingt, diese Intentionen umzusetzen, und auf welchen phonetischen Parametern diese Wirkung gemäß Hörereindruck und Expertenanalyse beruht. Die Untersuchung von K. Reinke widmete sich also einer Reihe von aktuellen Problemen der vergleichenden Sprechwissenschaft in bezug auf das Sprachenpaar Russisch-Deutsch. Dazu gehören vor allem Aspekte wie: – Intention und Wirkung; – sachliche und emotionalisierte Sprechweise in der interkulturellen Interaktion; – phonetische Mittel und ihre Sprechwirkung; – phonetische Interferenzerscheinungsformen; – auditiv-perzeptorische Besonderheiten der Interpretation der sachlich-neutralen und sachlich-kooperativen Sprechweise; – Spezifik der verbalen bzw. phonetischen Manifestation der vorgelesenen und frei gesprochenen Texte. Anhand der durchgeführten theoretischen Analyse resümiert K. Reinke: a) „...daß das Problem der Sprechwirkung in der interkulturellen Kommunikation einen zentralen Stellenwert einnimmt...“ (Reinke 2005: 29). b) „...auf der Basis der bisherigen Erkenntnisse über kulturspezifische Unterschiede in der Emotionskundgabe und insbesondere der vorliegenden Beobachtungen zur Wirkung phonetischer Signale ist eine kulturvergleichende Untersuchung unbedingt vonnöten...“ (Reinke 2005: 62).
208
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
c)
Für das Sprachenpaar Deutsch-Russisch stellte K. Reinke außerdem die Frage „...welche Parameter sind für die Sympathiebewertung gesprochener Sprache verantwortlich?...“ (Reinke 2005: 104). Es zeigte sich, daß es eine Reihe von spezifischen phonetischen Merkmalen in der sachlich intendierten Sprechweise bei Deutschen und Deutsch sprechenden Russen gibt. Was die selbstkritische Einstellung gegenüber der eigenen Sprechweise betrifft, ergab sich, daß fast keine Unterschiede zwischen deutschen und russischen Probanden bestehen. Allerdings war das auditiv-perzeptorische Merkmal „sachlich“ für die deutschen Probanden in bezug auf die russische Sprechweise in größerem Maße relevant. Und die russischen Probanden schätzten die Stimuli anhand der russischen Realisationen in bezug auf das Merkmal „sachlich“ als „nicht so sachlich“ ein. Es ergaben sich darüber hinaus Unterschiede für das Sprachenpaar Deutsch-Russisch, was die Korrelation zwischen den Merkmalen „sachlich“ einerseits und „angenehm“, „angemessen“, „kooperativ“ andererseits betrifft. Im großen und ganzen ist diese Art des kommunikativen Aktes in bezug auf die sachliche kooperative Kommunikation unserer Meinung nach durch folgende Hauptmerkmale gekennzeichnet: – Interaktion in der Regel unter Vertretern einer und derselben Tätigkeitssphäre; gemeinsames Suchen nach Ideen, Plänen, Absichten usw.; – Koordinationshandlungen, die für die Lösung der Hauptaufgabe des Kommunikationsaktes notwendig sind; – fördernde Handlungen, die zur Erhöhung des Grades der sachlichen Aktivität dienen; – gemeinsames interaktives Suchen nach Konsensus.
V.3. Interkulturelle und intrakulturelle Kommunikation Es ist zu betonen, daß das Hauptmerkmal der interkulturellen Kommunikation die Ausnützung eines spezifischen Modells der sprechsprachlichen Kommunikation ist, das sich vom Modell der intrakulturellen Kommunikation prinzipiell unterscheidet. Im Prozeß der interkulturellen Kommunikation entstehen als Regel verschiedene Typen von Verhaltensfehlern, die durch folgende Faktoren hervorgerufen werden (Persikova 2006): – Informationsmangel; – Vorhandensein falscher Information; – Streben nach gewünschter Information; – Einfluß der früher erhaltenen Information auf die Interpretation der nachfolgenden Information;
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
209
– keine Aufmerksamkeit in bezug auf kulturbedingte Kenntnisse. Im Bereich der Kulturwissenschaft gibt es heutzutage mehr als 250 Definitionen des Begriffs „Kultur“. Alle Definitionen einigen sich aber auf folgende Universalmerkmale: – gemeinsame historische Erfahrung (ethnische, religiöse); – gemeinsame soziologische Strukturierung des Gesellschaftslebens; – gemeinsame ethische Normen; – gemeinsame psychologische Merkmale der Lebenswelt; – gemeinsame didaktische Traditionen des Lehr- und Lernprozesses; – gemeinsame anthropologische Merkmale. Beim Vergleich der verschiedenen Kulturen kann man zwei Hauptoppositionen feststellen: a) hoch-kontextuelle Kulturen – gering-kontextuelle Kulturen (Hall 1977; 1990; Brislin 1981 u. a.); b) männliche Kulturen – weibliche Kulturen (Hofstede 1991). Die erste Gegenüberstellung wird durch die Abhängigkeit der Kulturen von Kontexten verschiedener Arten bestimmt. Für Vertreter hoch-kontextueller Kulturen (z. B. Japan, China, Korea) ist das Wichtigste für das Verstehen des Kommunikationspartners alles, was zum breiten Kontext der Kommunikation gehört (Tradition, Sitten und Bräuche, soziale Hierarchie, Konfession usw.). Dabei stellt die sprechsprachliche Kommunikation nur einen geringen Teil der gesamten Kommunikation dar. Nonverbale Mittel der Kommunikation spielen eine besonders wichtige Rolle. In dieser Hinsicht kann man unseres Erachtens nichtverbale Kommunikationsmittel als markiertes Glied der Opposition interpretieren. In bezug auf gering-kontextuelle Kulturen (z. B. skandinavische Länder, Kanada, USA, Deutschland) sieht die Markiertheit im Rahmen der Opposition ganz anders aus. Die Hauptinformation befindet sich größtenteils im verbalen Raum. Dabei wird konkreten Details der verbalen Information besondere Bedeutung beigemessen. Nach E. T. Hall belegt die deutsche Kultur in dieser Hinsicht auf der Skala die erste Stelle. Die kommunikative Interaktion ist in diesem Fall verbal explizit und höchst informativ. Wenn man die russische Kultur analysiert und die Rolle des Verbalen und des Nonverbalen in der Kommunikation vergleicht, kann man unserer Meinung nach vermuten, daß sich von diesem Standpunkt aus die russische Kultur irgendwo in der Mitte dieser Skala befindet. Um diese Hypothese zu beweisen oder zu widerlegen, wurden von uns spezielle psycholinguistische Experimente durchgeführt. Das Hauptziel unserer Experimente bestand darin, auf Grundlage der psycholinguistischen Modellierung des eigenen kommunikativen Verhaltens in bezug auf die spekulative
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
210
Situation der kooperativen Kommunikation benutzte Mittel (verbale, paraverbale, nonverbale) vorzuschlagen und ihre Dominanz festzustellen. Die Probanden hatten zwei Fragen zu beantworten: 1. Welche Mittel (verbale, paraverbale, nonverbale) nutzen Sie, wenn Sie als Ziel der Kommunikation Konsensus haben? 2. Welche Mittel ziehen Sie vor und hängt die Wahl von der Situation ab? Die Ergebnisse der Analyse sind in den Tabellen 2 und 3 dargestellt. Vor dem Beginn des Experiments wurden allen Probanden folgende Anweisungen gegeben: 1. Sitzen Sie bitte ruhig, sprechen Sie bitte nicht mit Ihren Nachbarn. 2. Schließen Sie bitte die Augen und entspannen Sie sich. 3. Stellen Sie sich eine Situation vor, wo Sie sich mit Ihren Kommunikationspartnern unterhalten. Das Ziel der Kommunikation besteht darin, Konsensus als Resultat der Kommunikation zu erreichen. 4. Konzentrieren Sie sich bitte auf Ihre Erinnerungen an Ihr Kommunikationsverhalten. 5. Modellieren Sie bitte Ihre eigenen sprechsprachlichen Handlungen. 6. Beantworten Sie bitte alle Fragen in Ihrem Fragebogen. 7. Welche Mittel benützen Sie, wenn Sie als Ziel der Kommunikation Konsensus haben? Tabelle 2 Selbstbewertung des kommunikativen Verhaltens durch russische Probanden bezüglich intrakultureller Kommunikation (n = 33; Alter: 17–18 J. alt; weibl. N = 28; männl. N = 5) Nr. 1.
2.
Mittel verbal: a) neutrale Lexik b) emotional gefärbte Lexik Prosodie: melodische Mittel: – monoton – mit großen mannigfaltigen Änderungen (Intervallen) Melodiebreite: – größer – kleiner
nicht benutzt
selten benutzt
am meisten benutzt
2,8
58,3
38,8
–
20,6
79,4
15,6
65,6
18,8
14,7
8,8
76,5
14,7
32,4
52,9
14,7
44,1
41,2
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
3.
4.
5.
6.
a) Lautstärke: – maximal – medial – minimal b) Tempo: – schneller – mäßig – langsamer c) Hervorhebung durch Betonung der semantisch wichtigsten Wörter: Stimmhöhe: – hoch – mittel – tief Stimmtimbre: – hell – dunkel – samtweich – metallisch Gesichtsmimik: – Augenmimik – Lächeln – ohne Lächeln Gebärden: – Kopfbewegungen – Handbewegungen
211 29,4
58,8
11,8
– 36,3
5,5 60,6
94,5 3,1
14,7
58,8
26,5
– 53,0
9,1 32,3
90,9 14,7
3,0
26,5
70,5
35,3
52,9
11,8
– 23,5
8,8 67,7
91,2 8,8
5,8
17,1
77,1
28,6 9,1 63,6
48,6 39,4 27,3
22,8 51,5 9,1
–
17,0
83,0
– 20,6
12,1 70,6
87,9 8,8
36,4
30,3
33,3
8,8
17,6
73,6
Tabelle 3 Selbstbewertung (Fortsetzung) Mittel 1. verbal 2. nonverbal 3. Prosodie 4. Abhängigkeit von der Situation
Ausnutzung (%) 53,3 46,7 53,1 90,9
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß russische Muttersprachler im Prozeß der Selbstbewertung ihre eigene Kommunikationstaktik in bezug auf kooperative Kommunikation mit Hilfe einer Reihe von verbalen, paraverbalen und nonver-
212
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
balen Mitteln modellieren können. Die wichtigsten (bzw. die häufigsten) Mittel sind folgende: 1. emotional gefärbte Lexik; 2. große Variabilität der Melodie; 3. größere Melodiebreite; 4. mittlere Lautstärke; 5. mäßiges Tempo; 6. häufige phonetische Hervorhebung der semantischen Zentren im Diskurs; 7. mittlere Stimmhöhe; 8. helles Stimmtimbre; 9. aktive Augenmimik; 10. aktive Mimik des Lächelns; 11. aktive Handgestik. Unsere psycholinguistischen Versuche zeugen davon, daß für die russische Kultur alle Parameter (verbale, paraverbale und nonverbale) informativ und notwendig sind. Diese Phänomene komplementieren einander und ergeben eine sinnvolle kooperative Kommunikation. Es wäre wünschenswert, die Experimente im Bereich des Modellierens der Selbstbewertung im Prozeß der Kommunikation für russische Probanden fortzusetzen (die männliche Gruppe zu vergrößern, verschiedene Altersgruppen heranzuziehen). Was die Opposition „männliche Kultur – weibliche Kultur“ anbetrifft, ist es möglich, folgende Tendenz festzustellen (nach G. Hofstede): – männliche Kultur ist durch eine Reihe von Kommunikationsmerkmalen charakterisiert: Hartnäckigkeit, Pragmatismus, Streben nach Erfolg, nach neuen Errungenschaften (z. B. Irland, Japan, Südafrika u. a.); – weibliche Kultur ist durch Bereitschaft zur Zusammenarbeit, Streben nach Verstehen, Sorge um die Umwelt und Menschen gekennzeichnet (z. B. Schweden, Finnland, Dänemark). Unserer Meinung nach würde es zu weit führen, einzelne Kulturen entweder als männlich od er weiblich zu betrachten. In der Epoche der Globalisierung werden Parameter wie z. B. Pragmatismus, Streben nach Erfolg und neuen Errungenschaften für alle Kulturen charakteristisch sein. Wenn wir aber das Verhalten der an der Kommunikation Beteiligten analysieren, so ist es möglich, männliche und weibliche kommunikative Strategien zu unterscheiden. Das hat eine besondere Bedeutung für die kooperative Kommunikation, die unserer Meinung nach Merkmale der weiblichen Kultur im besten Sinne dieses Wortes haben sollte. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die interkulturelle Kommunikation eine besondere Art der kommunikativen Tätigkeit ist, die auf Fremdverstehen gerichtet ist. Eine diskursanalytische Herangehensweise an wissenschaftliche
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
213
Arbeiten in diesem Bereich findet sich beispielsweise im Buch „Perspektiven interkultureller Mediation“ (Busch, Schröder 2005). Darin wird betont, daß es sozial wünschenswert wäre, interkulturelle Verständigung in Form interpersonaler Kooperationsbereitschaft herzustellen und zu konzipieren (Busch, Schröder 2005: 15). In dieser Hinsicht könnte man unsere nächste Untersuchungsaufgabe auf folgende Weise formulieren: a) deutsch-russische und russisch-deutsche Sprechstrategie und Sprechtaktik in bezug auf verbale, paraverbale und nonverbale Parameter zu beschreiben und zu systematisieren; b) interkulturelle Besonderheiten in bezug auf diese zwei Kulturen zu klassifizieren; c) eine Methodik zur Entwicklung der Bereitschaft von Interaktionspartnern zu einer verstärkten gegenseitigen Verständigungsarbeit in interkulturellen deutsch-russischen und russisch-deutschen Kontaktsituationen zu erarbeiten.
V.4. Auditive, visuelle und auditiv-visuelle Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (in bezug auf russische und deutsche kommunikative Sprechtätigkeit) In der ersten Etappe unserer Forschung wurde versucht, die Spezifik der verbalen Reaktionen von Vertretern der russischen und deutschen Kultur festzustellen, d. h. die Reaktionen der Probanden in bezug auf verbale und nonverbale Stimuli auf der Basis von TS (auf russisch) zu bewerten. Die Gesamtzahl der aufgenommenen TS-Fragmente beträgt etwa 27 Stunden. Die Thematik war sehr mannigfaltig. Die TV-Shows waren nicht nur sachlich, sondern auch emotional gefärbt. Es wurden sowohl emotional ausgeprägte TS-Fragmente (z. B. „Kulturrevolution“, „Aufforderung zum Duell“) als auch relativ neutrale TS-Fragmente (z. B. „Unsere Einkommen“, „Mensch des Jahres“, „Privatisierung der Denkmäler“) den Probanden vorgeführt und von ihnen analysiert. Als Probanden traten russische Studenten im Alter von 18–22 Jahren und deutsche Studenten der MSLU im gleichen Alter auf. Sie hatten die Aufgabe, eine Reihe von Fragen zu beantworten25.
25
An der Untersuchung haben sich Prof. Dr. habil. E. B. Jakovleva und Dipl.-Ing. A. Križanovskij beteiligt.
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
214 Fragebogen für Probanden – Gruppennummer: – Name, Vorname: – Geschlecht: – Alter: – ethnische Zugehörigkeit: – Fremdsprache: Instruktion 1.
2.
3.
4.
Sehen Sie sich ein TS-Fragment an und beantworten Sie bitte folgende Fragen: Wieviel Sprechende beteiligen sich an der TS? Was für ein Gesprächsthema ist das Hauptthema der Diskussion? Versuchen Sie bitte die dominierende emotionale Färbung des Gesprächs zu bewerten: – neutral freudig (ungezwungen) – aggressiv – traurig (deprimiert/bedrückt) – aufgeregt (gespannt) – Ihre zusätzlichen Eindrücke Versuchen Sie bitte Perzeptionsparameter festzustellen, die auf Ihre Wahl des emotionalen Zustandes der Sprechenden im allgemeinen einen Einfluß ausgeübt haben: Intonationsmittel: Melodieänderungen Tempo Timbre (z. B. hell, gedämpft, samtweich, schrill usw.) Pausierung Ihre zusätzlichen Eindrücke Mimik- und Gestikmittel: Versuchen Sie bitte festzustellen, mit welchen Mitteln der ausgewählte Zustand der Erregung und Gespanntheit verbunden ist: – sprechsprachliche Mittel (Intonation) – begleitende Mittel (Mimik, Gestik).
Einige der Daten werden in den Tabellen 4–17 angeführt.
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
215
Tabelle 4 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 1 unter dem Titel „Polygamie rettet Rußland?“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
Zahl der Bewertungen (in %) (für deutsche Probanden n = 25) – D
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden n = 25) – R
8,3 8,3 4,2 – 12,5 –
– – 16,7 – 8,3 4,2
15 20 20 – –
10 10 15 10 20
75 75
75 100
Tabelle 5 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 5 unter dem Titel „Privatisierung der Denkmäler (sachlich)“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände
Zahl der Bewertungen (in %) (für deutsche Probanden n = 25) – D
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden n = 25) – R
8,3 – 4,2 4,2 16,7 –
4,2 – 4,2 4,2 16,7 8,3
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
216 Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
10 15 15 5 –
10 20 10 10 15
100 75
100 100
Tabelle 6 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 2 unter dem Titel „Unsere Einkommen (sachlich)“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
Zahl der Bewertungen (in %) (für deutsche Probanden n = 25) – D
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden n = 25) – R
12,5 – 4,1 – 8,3 4,2
8,3 – – – 8,3 4,2
10 15 20 – –
10 20 5 15 20
– 50
100 100
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
217 Tabelle 7
Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 3 unter dem Titel „Mensch des Jahres“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
Zahl der Bewertungen (in %) (für deutsche Probanden n = 25) – D
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden n = 25) – R
12,5 – – 4,2 8,3 –
16,7 – 4,2 – – 8,3
10 15 15 5 –
15 15 – 10 5
75 50
25 100
Tabelle 8 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 6 unter dem Titel „Erinnerungen an die Zukunft“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände
Zahl der Bewertungen (in %) (für deutsche Probanden n = 25) – D
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden n = 25) – R
8,3 4,2 – 4,2 4,2 4,2
8,3 12,5 – – – –
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
218 Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
20 10 15 – –
20 10 5 5 5
50 50
50 100
Tabelle 9 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 7 unter dem Titel „Ist es unmoralisch, reich zu sein?“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
Zahl der Bewertungen (in %) (für deutsche Probanden n = 25) – D
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden n = 25) – R
16,7 4,2 – – 8,3 –
4,2 4,2 – – 12,5 –
15 5 15 5 –
10 20 10 15 5
50 50
50 100
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
219
Tabelle 10 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 8 unter dem Titel „Aufforderung zum Duell“ (Žirinovskij und Novodvorskaja)) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände
Zahl der Bewertungen (in %) (für deutsche Probanden n = 25) – D
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden n = 25) – R
8,3 – 12,5 – 12,5
– 4,2 16,7 – 12,5 8,3 (mit Zorn, kämpferisch)
4,2
1. 2. 3. 4. 5.
Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel
10 20 20 – 5
1. 2.
Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
100 100
10 15 20 – 20 (Akzentuierung, Lautstärke) 100 100
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
220
Tabelle 11 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 9 unter dem Titel „Aufforderung zum Duell (Špak und Fedorov)“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
Zahl der Bewertungen (in %) (für deutsche Probanden n = 25) – D
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden n = 25) – R
8,3 – 4,2 – 8,3 –
4,2 8,3 12,5 – 12,5 –
15 15 10 – –
10 15 10 – 10
75 50
100 100
Tabelle 12 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 10 unter dem Titel „12 böse Zuschauer“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig
Zahl der Bewertungen (in %) (für deutsche Probanden n = 25) – D
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden n = 25) – R
– 16,7 – –
12,5 4,2 4,2 –
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
5. 6.
Aufgeregt Andere Zustände
221 – –
1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
– 8,3 (ruhig, enttäuscht)
15 15 15 – –
10 15 5 10 –
50 –
100 100
Tabelle 13 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 11 unter dem Titel „Liebe Rentner“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
Zahl der Bewertungen (in %) (für deutsche Probanden n = 25) – D
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden n = 25) – R
8,3 – – 8,3 12,5 –
8,3 – – 12,5 8,3 4,2
15 15 20 – –
15 15 5 10 5
100 25
100 75
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
222
Tabelle 14 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 13 unter dem Titel „Gehirngrenzen“) Nr. Parameter
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Zahl der Bewertungen (in %) (für deutsche Probanden n = 25) – D
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden n = 25) – R
12,5 – – – 16,7 –
12,5 – – – 8,3 4,2
5 15 10 5 –
15 15 10 10 5
100 25
100 100
Tabelle 15 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 14 unter dem Titel „Gebären oder nicht gebären?“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig
Zahl der Bewertungen (in %) (für deutsche Probanden n = 25) – D
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden n = 25) – R
8,3 4,2 – –
4,2 8,3 – –
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
223
Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre)
8,3 –
8,3 4,2
15 20
Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
15 –
20 20 20 (schrill) – 5
100 25
100 100
15
Tabelle 16 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 15 unter dem Titel „Die Wahl der Eltern...“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel
Zahl der Bewertungen (in %) (für deutsche Probanden n = 25) – D
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden n = 25) – R
Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände
16,7 8,3 – – 4,2
4,2 12,5 – – 4,2 8,4 (lebhaft, mit Interesse)
–
1. 2. 3. 4. 5.
Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel
15 15 15 – –
1. 2.
Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
75 75
20 10 10 5 10 (Lautstärke, Akzentuierung) 100 100
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
224
Tabelle 17 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 4 unter dem Titel „12 böse Zuschauer“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
Zahl der Bewertungen (in %) (für deutsche Probanden n = 25) – D
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden n = 25) – R
12,5 12,5 – 4,2 – –
4,2 16,7 – – 4,2 –
15 10 10 10 –
20 5 20 – 5
50 50
100 100
Die Hauptergebnisse der ersten Etappe der Untersuchung werden in der Tabelle 18 dargestellt. Tabelle 18 Gesamtbewertung des emotionalen Zustandes der Kommunizierenden Nr.
TV-Show
1. 2. 3.
Polygamie rettet Rußland? Privatisierung der Denkmäler Unsere Einkommen
4.
Mensch des Jahres
Dominanzwerte der Bewertungen des emotionalen Zustandes D R aufgeregt aggressiv aufgeregt anders neutral neutral (aufgeregt) neutral neutral
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
225
5.
Erinnerungen an die Zukunft
neutral
6.
neutral
7.
Ist es unmoralisch, reich zu sein? Aufforderung zum Duell – 1
8.
Aufforderung zum Duell – 2
9. 10.
12 böse Zuschauer – 1 Liebe Rentner
aggressiv, aufgeregt neutral, aufgeregt (gespannt) freudig aufgeregt
11. 12.
Gehirngrenzen Gebären oder nicht gebären?
aufgeregt neutral
13.
Die Wahl der Eltern…
14.
12 böse Zuschauer – 2
neutral neutral und freudig Σ (in %) = neutral – 66 aufgeregt – 27 aggressiv – 7
freudig (ungezwungen) aufgeregt aggressiv aggressiv, aufgeregt (gespannt) neutral traurig (deprimiert) neutral freudig (ungezwungen) freudig (ungezwungen) freudig (ungezwungen) neutral – 40 freudig – 27 aggressiv – 6,6 aufgeregt – 6,6 traurig – 6,6 freudig – 6,6 anders – 6,6
In bezug auf die Gesamtbewertung des emotionalen Zustandes kann man folgendes feststellen: 1. 2.
Für die Deutschen sind am meisten neutrale Bewertungen typisch (66%). An zweiter Stelle sind Bewertungen mit dem Merkmal „aufgeregt“ (27%). An dritter Stelle steht die Bewertung mit dem Merkmal „aggressiv“ (7%). Für die Russen sind auch neutrale Bewertungen am typischsten, aber ihre Häufigkeit ist geringer als in der Gruppe der deutschen Probanden (40%). An zweiter Stelle ist das Merkmal „freudig“ (27%). Alle anderen Merkmale bilden einen Bereich mit denselben Werten (6,6% für jeden Emotionszustand).
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
226
Tabelle 19 Phonetische Bewertungen Nr.
Fragmente
1. 2. 3. 4.
Polygamie rettet Rußland? Privatisierung der Denkmäler Unsere Einkommen Mensch des Jahres
5.
Erinnerungen an die Zukunft
6. 7.
Ist es unmoralisch, reich zu sein? Aufforderung zum Duell – 1
8.
Aufforderung zum Duell – 2
9.
12 böse Zuschauer – 1
10.
Liebe Rentner
11.
Was essen wir?
12.
Gehirngrenzen
13.
Gebären oder nicht gebären?
14.
Die Wahl der Eltern
15.
12 böse Zuschauer – 2
Dominanzwerte (in %) D R Timbre/Tempo Lautheit Timbre/Tempo Tempo Timbre Tempo Timbre melodische Mittel Timbre/melomelodische dische Mittel Mittel Timbre/meloTempo dische Mittel Timbre/Tempo Timbre/Lautstärke melodische Pausierung Mittel/Tempo melodische melodische MitMittel/Timbre tel/Pausierung Timbre melodische Mittel/Tempo melodische melodische Mittel Mittel Tempo melodische Mittel Tempo/Timbre Melodische Mittel/Tempo/ Timbre melodische melodische Mittel/Timbre/ Mittel Tempo melodische melodische Mittel Mittel/Timbre Σ (in %) = melodische Timbre – 73 Mittel – 60 melodische Tempo – 20 Mittel – 20 Lautstärke – 13 Tempo – 7 Pausierung – 7
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
227
Die Dominanz der Bewertungen von deutschen Probanden bilden die Einschätzungen entweder im Bereich des Merkmals „Timbre“ oder des Merkmals „Timbre mit anderen prosodischen Charakteristiken: Timbre/Tempo, Timbre/ melodische Mittel“ (zusammen 73%); der Rest verteilt sich auf melodische Mittel (20%) und Tempo (7%). Für russische Probanden sind andere Bewertungen typisch: An erster Stelle ist entweder das Merkmal „melodische Mittel“ oder die Merkmale „melodische Mittel mit anderen prosodischen Charakteristiken: melodische Mittel/Pausierung, melodische Mittel/Tempo, Timbre“ (60%) zusammen. An zweiter Stelle steht Tempo (20%), dann folgen Lautstärke (13%) und Pausierung (7%) (Tab. 19). Aus dem Gesagten ergibt sich, daß es bei den Ergebnissen bestimmte Diskrepanzen zwischen den Perzeptionsbewertungen durch beide Gruppen von Probanden gibt: – Was gesamthafte Perzeptionsbewertungen anbetrifft, ist für deutsche Bewertungen das Merkmal „neutral“ typisch. Diesem Merkmal folgen die Merkmale „aufgeregt“ und „aggressiv“. – Für russische gesamthafte Bewertungen beobachtet man dieselbe Tendenz. Aber die Zahl der Bewertungen in bezug auf das Merkmal „neutral“ ist geringer als in der deutschen Gruppe der Probanden. – Das Merkmal „aufgeregt“ bei den deutschen Probanden entspricht dem Merkmal „freudig“ für russische Probanden. – Die emotionale Sphäre der Bewertungen der russischen Probanden hinsichtlich der Gesamteinschätzung der russischen TS-Kommunikation ist in gewissen Fällen mannigfaltiger und hat eine Reihe von Schattierungen. – Was phonetische Merkmale anbelangt, so kann man feststellen, daß für deutsche Probanden das Merkmal „Timbre“ und „Timbre mit anderen Komponenten“ eine führende Rolle spielt. – Russische Probanden orientieren sich vor allem auf das Merkmal „melodische Mittel“ und „melodische Mittel mit anderen Komponenten“. – Als Hauptergebnis des Versuchs wurde für beide Probandengruppen die perzeptorische Dominanz festgestellt. – Die vergleichende Analyse des Merkmals „verbal – nonverbal“ bot die Möglichkeit, festzustellen, daß für die russische Probandengruppe die Orientierung auf nonverbale Kommunikation überwiegt (93%). In der zweiten Etappe der Untersuchung wurde das deutsche TS-Material durch die russischen Probanden analysiert. Für die russischen Perzipienten wurde die Aufgabe formuliert, verbales und nonverbales Benehmen der deut-
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
228
schen TS-Teilnehmer zu bewerten. Dabei wurden folgende relativ sachlichen TS-Fragmente gewählt26: Aufstand in den Arbeitsämtern; Innen- und Wirtschaftspolitik Deutschlands; Korruptes Deutschland; Vorschul- und Schulbildung bei Ossis; Patienten Krankenkasse Ost; Sport für Behinderte; Feigheit vor der Reform?; Staatsverschuldung; Arbeitsplätze für In- und Ausländer; Arbeitslosigkeit; Was ist wichtiger: Parteiprogramm oder Kandidatenpersönlichkeit?; Egoismus: woher kommt das?; Fleischimport – Infiziertes Fleisch; Medizinische Betreuung der Bevölkerung – Finanzielle Probleme; Krach in der Partei. Als Probanden traten russische Studenten der MSLU (3 Gruppen; n = 25) auf. Diese TS-Fragmente waren dadurch charakterisiert, daß das Hauptmerkmal der Interaktion in diesem Fall die Kooperativität von Kommunikation war, die durch relativ gemessene Sprechweise die Bereitschaft signalisierte, in der Interaktion eine konsensuelle Lösung zu finden. Es war auch sehr wichtig, daß es in allen TV-Diskursen keine konfliktorientierte Situationen gab. Man beobachtete unserer Meinung nach in allen TS-Diskursen zahlreiche Elemente zur Herstellung von Empathie. Die Analyse der Daten schloß folgende Etappen ein: 1. Es wurden alle Daten in bezug auf jedes TS-Fragment und auf jede Gruppe der Probanden analysiert. 2. Alle Daten wurden statistisch ausgewertet. 3. Als Hauptergebnis wurden Sammeldaten (Übersichtsdaten) gewonnen: siehe Tabellen 20–34. Tabelle 20 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 1 unter dem Titel „Aufstand in den Arbeitsämtern“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 26
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden) n = 25 17,8 25,5 2,1 3,3 15,8 7,5
Dieses Untersuchungsmaterial wurde von Dipl.-Ing. P. Müller erstellt.
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
229
55 45,3 30,5 27,8 9,2 100 94
Tabelle 21 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 2 unter dem Titel „Innen- und Wirtschaftspolitik Deutschlands“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden) n = 25 43,9 4,7 0 8,1 8,3 4,9 38,7 44,5 38,5 33,7 15,8 100 59
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
230
Tabelle 22 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 3 unter dem Titel „Korruptes Deutschland“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden) n = 25 22,1 1,4 5,6 3,5 32 4,9 40,3 51,7 28,2 35,2 10,8 100 100
Tabelle 23 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 4 unter dem Titel „Vorschul- und Schulbildung bei Ossis“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden) n = 25 24,7 1,4 5,4 10,9 39,7 6,3
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
231
42,8 39,5 32 30,7 15,7 100 90
Tabelle 24 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 5 unter dem Titel „Patienten Krankenkasse Ost“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden) n = 25 36,4 0 0 2,1 19,1 4,9 43,7 42 26,2 33 5 100 90
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
232
Tabelle 25 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 6 unter dem Titel „Sport für Behinderte“) Nr. Parameter
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden) n = 25 24,7 7,7 2,1 1,4 29,2 9,1 52,5 47,8 19,8 26,3 9,2 100 85
Tabelle 26 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 7 unter dem Titel „Feigheit vor der Reform?“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden) n = 25 38,3 10 0 5,4 20,6 7,7
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
233
43,5 42,8 23,8 28,8 10 100 90
Tabelle 27 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 8 unter dem Titel „Staatsverschuldung“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden) n = 25 38,5 0 0 4,7 7,3 9,1 49,3 47 19 30,3 9,2 100 87
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
234
Tabelle 28 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 9 unter dem Titel „Arbeitsplätze für In- und Ausländer“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden) n = 25 42,9 12,5 0 1,4 13 2,1 48,5 44,5 24,7 27,8 7,5 100 86
Tabelle 29 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 10 unter dem Titel „Arbeitslosigkeit“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden) n = 25 3,5 23,8 30,1 1,4 37,3 13
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
235
51 46,2 50,2 22,2 20,8 100 90
Tabelle 30 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 11 unter dem Titel „Was ist wichtiger: Parteiprogramm oder Kandidatenpersönlichkeit?“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden) n = 25 16,4 7 23,8 1,4 40,4 11,6 48,5 43 26,5 34,7 12,5 100 90
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
236
Tabelle 31 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 12 unter dem Titel „Egoismus: woher kommt das?“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden) n = 25 33,8 19 1,4 0 15,1 10,3 44,5 44,3 26,2 25,5 7,5 100 90
Tabelle 32 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 13 unter dem Titel „Fleischimport – Infiziertes Fleisch“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden) n = 25 42,5 3,3 0 4,2 12,4 0
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
237
34 47,7 23,8 35,3 16,5 100 80
Tabelle 33 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 14 unter dem Titel „Medizinische Betreuung der Bevölkerung – Finanzielle Probleme“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden) n = 25 44,5 7,6 1,4 4,7 18,5 1,4 34,7 52,7 32,7 33,7 2,7 100 80
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
238
Tabelle 34 Bewertungen der emotional gefärbten Sprechweisen (Fragment Nr. 15 unter dem Titel „Krach der Partei“) Nr. Parameter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. 3. 4. 5. 1. 2.
Emotionszustand: verbale, paraverbale Mittel Gesamtbewertung des em. Zs. Neutral Freudig/ungezwungen Aggressiv Deprimiert, traurig Aufgeregt Andere Zustände Intonationsmittel Melodie Tempo Klangfarbe (Timbre) Pausierung Andere Mittel Begleitende Mittel Verbal Paraverbal
Zahl der Bewertungen (in %) (für russische Probanden) n = 25 41,1 8,1 0 0 7,7 7 54,2 42 22,3 26,3 7,5 100 80
Die in den vorliegenden Tabellen gegebenen Daten spiegeln bestimmte Tendenzen in bezug auf die Bewertungen der relativ sachlichen deutschen TS-Diskurse durch russische Probanden wider bzw. beleuchten einzelne Aspekte, die von Relevanz sein können: 1. Bewertung des gesamten emotionalen Zustandes der Sprechenden (nach statistischer Häufigkeit): a) An erster Stelle befindet sich das Merkmal „neutral“ (60%); b) an zweiter Stelle ist das Merkmal „gespannt“ (30%); c) an dritter Stelle stehen alle anderen Merkmale (z. B. freudig, aggressiv, deprimiert usw.) (10%). 2. Bewertung der Intonationsmittel, die für die Wahrnehmung relevant waren: a) An erster Stelle ist das Merkmal „Melodie“ (30%); b) an zweiter Stelle steht das Merkmal „Tempo“ (24%); c) an dritter Stelle sind zwei Merkmale „Pausierung“ (23%) und „Timbre“ (23%);
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
239
d) das dominierende Merkmal „Melodie“ ist perzeptorisch von einer Kombination von Merkmalen („Tempo“, „Pausierung“ und „Klangfarbe“) begleitet. 3. Bewertung der Beteiligung von zwei Komponenten der kommunikativen Interaktion: a) An erster Stelle ist verbales Verhalten (60%); b) an zweiter Stelle steht paraverbales Verhalten (Gestik, Mimik) (40%); c) beim Vergleich der drei Gruppen der Probanden (Nr. 1 – n = 12; Nr. 2 – n = 8; Nr. 3 – n = 5) wurde festgestellt, daß sich die Bewertungen untereinander unterscheiden (für die Gruppe Nr. 1: verbale Mittel 91%, paraverbale Mittel 9%; für die Gruppe Nr. 2: verbale Mittel 70%, paraverbale Mittel 30%; für die Gruppe Nr. 3: verbale Mittel 62%, paraverbale Mittel 38%). Die Tendenz bleibt aber für alle drei Gruppen dieselbe. Unsere Ergebnisse zeugen davon, daß relativ sachliche deutsche Diskurse durch russische Probanden in der Regel perzeptorisch folgendermaßen bewertet werden: – Im allgemeinen wird das ganze Kommunikationsverhalten der deutschen an der Kommunikation Beteiligten als neutral (2/3) und in geringerem Maße als gespannt (1/3) bewertet; – hinsichtlich der Intonationsmittel spielen melodische Merkmale eine größere Rolle als die anderen Mittel, die einen Komplex bilden; – vor allem werden verbale Mittel und begleitende paraverbale Mittel perzipiert. Im großen und ganzen kann man vermuten, daß die Bewertungen des Verhältnisses zwischen verbalen und paraverbalen Komponenten in der Kommunikation vom Ausbildungsniveau der Probanden abhängen. Dazu gehören auch solche Faktoren wie z. B. Beruf (in unserem Fall traten als Probanden Studenten der Moskauer staatlichen linguistischen Universität auf); Fremdsprachenkenntnisse – Englisch, Deutsch usw. Für andere Gruppen von Probanden kann das Verhältnis zwischen den Bewertungen des verbalen und paraverbalen Verhaltens variabel sein. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß kooperative Sprechweise eine interkulturelle Kommunikationsuniversalie sein könnte, die zur konsensuellen Verständigung unter Kommunikationspartnern führt. „Diese Verständigungsgrundlagen können auf unterschiedlichen Ebenen, wie beispielsweise einer inhaltlichen, einer kulturspezifischen oder einer emotionalen Ebene hergestellt und aufrechterhalten werden...“ (Busch, Schröder 2005: 23).
240
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
Bei den folgenden Experimenten handelt es sich um die Fortsetzung unserer Untersuchung im Bereich der Auffassung des sprechsprachlichen Verhaltens von Deutschen durch Nicht-Muttersprachler. Es wurden 6 TS-Fragmente (Fernsehgespräche und Fernsehdiskussionen deutscher TV-Programme) durch russische Probanden analysiert (n = 15)27. TS-Fragmente: 1. „Bilderstreit“; 2. „Im Palais“; 3. „Leute Night“ (Dialog); 4. „Maischberger“ (Dialog); 5. „Berlin Mitte“; 6. „Menschen bei Maischberger“. Alle Probanden hatten keine Kenntnisse des Deutschen. In der ersten Etappe hatten die Probanden die Aufgabe, das Material nur visuell (ohne Ton) zu bewerten. In der zweiten Etappe bestand die Aufgabe darin, dasselbe Material auditiv-visuell zu bewerten. Der Fragebogen wurde gründlich umgearbeitet und ergänzt. Es wurden folgende Merkmale analysiert: I. Typ der Kommunikation (sachliche Kommunikation, Alltagskonversation). II. Gemeinsame emotionale Stimmung ( wohlwollend – ungezwungen, aufgeregt – gespannt, deprimiert, aggressiv, neutral). III. Intonationsmittel (Melodik, Tempo, Stimmtimbre, Pausen, Rhythmus [ausgeprägt, unauffällig], Lautstärke). IV. Mimik und Gestik (Gesichtsmimik, Augenmimik, Handgestik [aktiv, gemäßigt, ohne Handgestik], Körperbewegungen). V. Körperbewegungen (aktive Körperbewegungen, ohne aktive Körperbewegungen). Die Ergebnisse wurden statistisch bearbeitet (Tab. 35).
27
Auswahl der deutschen TS-Fragmente: Prof. Dr. habil. U. Hirschfeld, F. Begrich.
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
241 Tabelle 35
Ergebnisse der Bewertungen (in %) [n = 15] Merkmale I. Diskurs: a) sachlich b) Alltagskonversation II. Gemeinsame emotionale Stimmung: a) ohne Ton (auf der Basis der nichtverbalen Information): - wohlwollend – ungezwungen - aufgeregt – gespannt - deprimiert - aggressiv - neutral b) mit Ton (auf der Basis der verbalen und nichtverbalen Kommunikation): - wohlwollend – ungezwungen - aufgeregt – gespannt - deprimiert - aggressiv - neutral III. Intonationsmittel: - Melodik
- Tempo
- Stimmtimbre
28 29
W – weiblich. M – männlich.
1
2
TS-Fragmente 3 4
5
6
– 100
50 50
100 –
100 –
50 –
50 –
60
–
10
–
10
50
30 – – –
100 – – –
30 – – 30
30 30 – 50
10 70 – 30
10 – – 50
60
10
30
–
10
90
– – – –
90 – – –
30 – – –
10 30 – 30
30 50 – 50
10 – – –
100 (w2830) 100 (m2910) 100
50
50
70
50
100
100
90
70
100
90
100
100
100
100
100
(w-50 samtig) (mmetall.)
(w-50 samtig) (mmetall.)
(mmetall.)
(w, mmetall.) schrill
(wmetall.) (m-gedämpft)
(wmetall. schrill) (m-gedämpft)
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
242 - Pausen
80 (m-50) 70 (w-10)
60 (m-10)
100
80
60
- unauffällig IV. Mimik und Gestik: a) Gesichtsmimik
20
b) Augenmimik
- Lautstärke Rhythmus: - ausgeprägt
c) Handgestik: - aktiv
- gemäßigt - ohne Handgestik V. Körperbewegungen: - aktive Körperbewegungen - ohne aktive Körperbewegungen
70 (w-20) 30 (w-10)
50 (m-10) 90
100
90
90
40
–
10
10
50
100
100
50
100 (w-30)
30
90 (w-10) 50 (w-30)
70 (w-10) 70
90 (w-30) 100 (w-30)
100 (w-90) (m-10)
100 (w-10)
30
30
–
50 (w-10)
10 (m) –
30 (m) –
70
100
–
100 (m-30) –
10
50 (m-10) –
10
100 (w-60) 40 (m)
30
–
–
10
70
100
100
90
90
–
–
– 90 90 (m-10) 10
Daraus kann man folgende Schlußfolgerungen ziehen: 1. Die Bewertungen in bezug auf die Opposition „sachlich – nicht sachlich“ unterscheiden sich nur für die zwei ersten TS-Fragmente („Bilderstreit“ und „Im Palais“). Alle anderen Bewertungen charakterisieren die TS-Fragmente Nr. 3–6 als sachliche Gespräche. Die Bewertungen des Aufnahmematerials mit Schall und ohne Schall fallen im großen und ganzen zusammen. Die Bewertungen der Dialoge (TS-Fragmente Nr. 3, 4) als sachliche Gespräche betragen 100%. 2. Die Bewertungen der gemeinsamen emotionalen Stimmung in bezug auf visuelle und auditiv-visuelle Reaktionen zeugen davon, daß beide Arten von Reaktionen fast gleich sind. Als Grundlage für visuelle Bewertungen dienten Mimik und Gestik.
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
3.
4.
5.
243
Man beobachtete die Abhängigkeit der Bewertungen der gemeinsamen emotionalen Stimmung der Kommunizierenden vom Thema des Gesprächs: a) Für die Diskussion zum Thema „Ist Integration Wunschdenken?“ wurde am häufigsten eine aufgeregt-gespannte Atmosphäre genannt. b) Für die Diskussion zum Thema „Vogelgrippe in Deutschland: Gefahr für Mensch und Tier?“ wurde überwiegend eine deprimierte Stimmung konstatiert. c) Für die Diskussion „Bilderstreit“ wurde am häufigsten eine wohlwollende, ungezwungene Atmosphäre genannt. d) Das Merkmal „aggressiv“ fehlte vollständig. Die Intonationsmittel (Melodik, Tempo, Lautheit u. a.) wurden recht adäquat bewertet, das prozentuale Gewicht änderte sich aber von Thema zu Thema. Das Wichtigste ist, daß die Probanden in den meisten Fällen Merkmale wie Melodik, Tempo und Rhythmus als besonders wichtig beurteilen. Dieselbe Tendenz beobachtet man in bezug auf das Stimmtimbre (100%). Dabei werden weibliche und männliche Stimmen bezüglich des Timbres differenziert (samtig, schrill, metallisch, gedämpft u. a.). Die Bewertungen der Gesichts- und Augenmimik zeugen vom hohen Grad der Nutzung dieser Mittel durch die Kommunizierenden (bis 100%). Die aktive Handgestik ist nicht für alle TS-Fragmente typisch (z. B. nur für TS-Fragmente Nr. 1, 2). Für die anderen TS-Fragmente (Nr. 3–5) sind gemäßigte Handbewegungen charakteristisch (70%–100%). Die Probanden bewerteten die Körperbewegungen der Kommunizierenden nur in bezug auf TS-Fragment Nr. 2 („Ist Integration Wunschdenken?“) als aktiv (100%). In anderen Fällen wurde das Merkmal „ohne aktive Körperbewegungen“ festgestellt.
Diese Ergebnisse zeugen davon, daß russische Probanden sachliche Kommunikation der Deutschen auf folgende Weise bewerten können: – neutral, wohlwollend-ungezwungen, manchmal aufgeregt-gespannt; – ausgedrückt durch Melodik, Tempo, Lautstärke, geprägten Rhythmus, Timbre, Pausen; – unterstützt durch Gesichts- und Augenmimik, gemäßigte Handgestik, ohne aktive Körperbewegungen. In der dritten Etappe wurden zwei Experimentaluntersuchungen (A; B) durchgeführt, die eine Fortsetzung der vorhergehenden Experimente darstellen. Der Unterschied zwischen den früheren und den gegenwärtigen Untersuchungen
244
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
bestand darin, daß in diese Experimente neue Bedingungsparameter eingeführt wurden. Die Aufgabe der ersten Experimentaluntersuchung kann auf folgende Weise formuliert werden: – auditive, visuelle und auditiv-visuelle Bewertungen des Experimentalmaterials (der deutschen TV-TS-Fragmente) durch russische Probanden für eine neue Gruppe von Probanden zu beschreiben und zu systematisieren. Das Experimentalmaterial wurde sukzessiv (visuell, auditive, auditiv-visuell) und simultan (auditiv-visuell) vorgeführt. Die Reaktionen der Probanden auf diese Stimuli wurden als kommunikative Bewertungen der russischen Probanden ohne Sprachkenntnisse im Deutschen eingeschätzt. Die Hauptaufgabe war es, die Rolle jedes Perzeptionskanals im Prozeß der Bewertung der fremdsprachlichen Stimuli zu beschreiben. Die Aufgabe der zweiten Experimentaluntersuchung war, einen neuen Experimentalparameter, und zwar Gender, einzuführen. Alle anderen Parameter (z. B. Alter, Ausbildung, Beruf) blieben dabei konstant. Es handelt sich um die Durchführung eines neuen Experiments unter Berücksichtigung des Genderfaktors auf der Basis der Bewertungen der neuen weiblichen und männlichen Probandengruppen mit und ohne deutsche Sprachkenntnisse. A. Das erste Experiment wurde in drei Etappen durchgeführt: ohne Toninformation (visuelle Bewertung), ohne Bildinformation (auditive Bewertung) und mit Ton- und Bildinformation (auditiv-visuelle Bewertung). Es wurden folgende Kommunikationsmittel visuell, auditiv und auditiv-visuell bewertet: 1. Typ der Kommunikation (im Sinne von sachbezogener Kommunikation – nicht sachbezogener Kommunikation). 2. Zusammenfassende emotionale Eindrücke (gemeinsame emotionale Stimmung): neutral, wohlwollend – ungezwungen, aufgeregt – gespannt, deprimiert, aggressiv. 3. Intonationsmittel: Melodik, Tempo, Lautstärke, Rhythmus (ausgeprägt – unauffällig), Pausen, Stimmtimbre. 4. Nonverbale Mittel: Mimik und Gestik (Gesichtsmimik, Augenmimik, Handgestik (aktiv, gemäßigt, ohne Handgestik), Körperbewegungen). In beiden Fällen wurden 6 TS-Fragmente deutscher TV-Programme durch russische Probanden analysiert. TS-Fragmente: 1. „Bilderstreit“ (t = 47 min); 2. „Im Palais“ (t = 50 min); 3. „Leute Night“ (t = 25 min);
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
245
4. „Maischberger“ (t = 15 min); 5. „Berlin Mitte“ (t = 15 min); 6. „Menschen bei Maischberger“ (t = 16 min) Die Ergebnisse des Versuchs A wurden folgendermaßen summiert (siehe Tab. 36). Tabelle 36 Die Ergebnisse der visuellen, auditiven und auditiv-visuellen30 Bewertungen (in %) [n = 10] Perzeptionskanäle
TS-Fragmente Merkmale I. Diskurs: – sachbezogen
visuell/ auditivvisuell
auditiv/ auditivvisuell
– nicht sachbezogen II. Gemeinsame emotionale Stimmung: wohlwollend – ungezwungen aufgeregt – gespannt deprimiert aggressiv neutral III. Intonationsmittel: – Melodik – Timbre – Pausen – Lautstärke
30
1
2
3
4
5
6
0 (100) 100
100 (100)
100 (100)
100 (100)
90 (100) 10
100 (100)
100 (100) 50 (70)
70 (30) 80 (50)
50 (50) 70 (70) 10 (10)
10 (0) 70 (70)
15 (30) 70 (50)
30 (50) 30 (50) 10
70 70 (70) 80 (80) 10 (10) 80 (80)
80 (80) 100 (100) 50 (50) 70 (70)
Auditiv-visuelle Bewertungen in Klammern.
30 (25) 70 (70) 0 (0) 30 (30)
80 (75) 80 (70) 10 (5) 70 (70)
50 (50) 70 (70) 0 (0) 70 (70)
50 (50) 70 (70) 10 (10) 80 (80)
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
246 – Rhythmus: - aufgeprägt - unauffällig IV. Gesichtsmimik V. Augenmimik VI. Handgestik: – aktiv visuell/ auditivvisuell
– gemäßigt – ohne Handgestik VII. Körperbewegungen: – Körperbewegungen – ohne Körperbewegungen
50 (50)
100 (100)
50 (50)
70 (70)
70 (70)
80 (80)
30 (30) 80 (100) 50 (10)
15 (10) 80 (50) 80 (80)
0 (0) 80 (50) 80 (70)
0 (0) 80 (80) 70 (80)
0 (0) 70w (80) 50 (70)
0 (0) 70w (70) 100 (70)
100 (100) 0 (0) 0
80m (50) 10 (50) 0
0 (0) 100 (80) 0
80w (70) 70 (50) 10 (10m)
30w (70) 30 (70) 0
80w (80) 50m (50) 0
100 (100) 0 (10)
10 (10) 80 (80)
50 (30) 50 (50)
50 (50) 50 (30)
50 (30) 70 (50)
70w (30) 80m (10)
Diese Ergebnisse fallen im großen und ganzen mit den früheren Angaben zusammen. Dabei wurden zum Vergleich Durchschnittswerte analysiert. Es gibt einige neue Beobachtungen: 1. Die Bewertungen in bezug auf die Opposition „sachbezogen – nicht sachbezogen“ sind präziser geworden. Die Resultate für visuelle und auditivvisuelle Bewertungen der Variante „sachlich“ sind fast gleich (98%). (Eine Ausnahme stellt das TS-Fragment Nr. 1 („Bilderstreit“) dar.) 2. Die visuellen und auditiv-visuellen Bewertungen der gemeinsamen emotionalen Stimmung werden in bezug auf die visuelle als auch auf auditivvisuelle Auffassung in zwei Hauptklassen eingeteilt: – wohlwollend – ungezwungen (im Durchschnitt ≈ 45% für jede Art von Auffassung, d. h. visuelle und auditiv-visuelle); – aufgeregt – gespannt (≈ 60% für die visuelle Art von Auffassung. Auditiv-visuell wurde das auch mit ≈ 60% wahrgenommen); (Ausnahme: Das TS-Fragment zum Thema „Im Palais“ wurde visuell und auditiv-visuell als neutral bewertet (70%).)
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
3.
4.
247
Die auditiven und auditiv-visuellen Bewertungen der prosodischen Mittel fallen zusammen (Melodik 60%; Tempo 90%; Timbre 80%; Pausen 15%; Lautstärke 70%; Rhythmus: ausgeprägt 70% – unauffällig 8%). Die Angaben wurden auf folgende Weise rangiert: 1 – Tempo, 2 – Timbre, 3,5 – Rhythmus (ausgeprägt) und Lautstärke, 5 – Melodik, 6 – Pausen, 7 – Rhythmus (unauffällig). Visuelle und auditiv-visuelle Bewertungen der nichtverbalen Information: Gesichtsmimik: – visuell – auditiv-visuell
80% 70%
Augenmimik: – visuell – auditiv-visuell
70% 60%
Handgestik: – visuell: - aktiv - gemäßigt - ohne Handgestik – auditiv-visuell: - aktiv - gemäßigt - ohne Handgestik Körperbewegungen: – visuell: - aktiv - ohne Körperbewegungen – auditiv-visuell: - aktiv - ohne Körperbewegungen
60% 60% 10% 60% 50% 10%
55% 55% 40% 40%
Aus dem Gesagten ergibt sich folgendes: – Die fremdsprachliche Kommunikation wird in bezug auf die Kommunikationsvariante „sachbezogen“ sowohl mit Hilfe von einem Kanal (visuell oder auditiv bei der sukzessiven Perzeption) als auch von zwei Kanälen (auditiv und visuell bei der simultanen Perzeption) durch Probanden fast gleich identifiziert. – Die allgemeine emotionale Stimmung bei der deutschen sachbezogenen Kommunikation wird durch russische Probanden ohne Sprachkenntnisse
248
– –
–
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
im Deutschen visuell und auditiv-visuell identisch auf folgende Weise bewertet: – wohlwollend – ungezwungen, – aufgeregt – gespannt. Die Bewertung „aufgeregt – gespannt“ tritt dominierend auf. Die Rangierung der perzeptorischen Werte in bezug auf die auditive und auditiv-visuelle Auffassung der prosodischen Mittel der Kommunikation zeugt davon, daß für die Identifizierung der sachbezogenen Kommunikationsvariante durch russische Probanden ohne Sprachkenntnisse im Deutschen Tempo, Timbre, ausgeprägter Rhythmus und Lautstärke die größte Rolle spielen. Die melodischen Mittel bilden eine mittlere Zone. Visuelle und auditiv-visuelle Bewertungen der nonverbalen Kommunikation fallen im Durchschnitt zusammen. Man beobachtet aber die Tendenz, daß die komplexe auditiv-visuelle Bewertung die ausschließlich visuelle Perzeption der nonverbalen Kommunikation „stören“ und in entgegengesetzter Richtung „korrigieren“ kann. In diesem Fall kann die visuelle Bewertung präziser sein als die komplexe auditiv-visuelle Bewertung.
B. In der zweiten Experimentaluntersuchung wurde der Genderfaktor berücksichtigt. Als Probanden traten Philologen auf: 1. – russische Studentinnen mit Sprachkenntnissen im Deutschen (weibliche Gruppe Nr. 1; n = 10); – russische Studentinnen ohne Sprachkenntnisse im Deutschen (weibliche Gruppe Nr. 2; n = 10); 2. – russische Studenten mit Sprachkenntnissen im Deutschen (männliche Gruppe Nr. 1; n = 10); – russische Studenten ohne Sprachkenntnisse im Deutschen (männliche Gruppe Nr. 2; n = 10). Das Experimentalmaterial blieb dasselbe (die deutschen TV-TS-Fragmente). Es wurden dieselben Fragebogen benutzt. Nach vorläufigen Angaben fallen im Durchschnitt die Bewertungen der Probanden: a) weibliche Gruppe Nr. 1 (mit SK); weibliche Gruppe Nr. 2 (ohne SK); b) männliche Gruppe Nr. 1 (mit SK); männliche Gruppe Nr. 2 (ohne SK) zusammen. Die Opposition „sachbezogen – nicht sachbezogen“ wurde auf folgende Weise bewertet: – für die weibliche und männliche Gruppe mit Sprachkenntnissen: als sachbezogen ≈ 65%; – für die weibliche und männliche Gruppe ohne Sprachkenntnisse: als sachbezogen ≈ 35%.
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
249
Daraus läßt sich ableiten, daß die Bewertung vor allem von der verbalen Information abhängt. Der Gender-Unterschied beeinflußt die Bewertung der Opposition „sachbezogen – nicht sachbezogen“ nicht. Es gab aber einige Gender-Unterschiede in bezug auf die Bewertung der gemeinsamen emotionalen Stimmung der TS-Gespräche: – Die Bewertungen der weiblichen Probanden waren zahlreicher und mannigfaltiger als die Bewertungen der männlichen Probanden. – Für die Bewertungen der weiblichen Probanden war größere Subjektivität in der Auffassung der Emotionen typisch. – Für männliche Bewertungen war dagegen größere Objektivität charakteristisch. – Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der männlichen Probanden (Gruppe Nr. 1 mit SK) standen im Prozeß der Bewertung inhaltliche Faktoren, aber nicht zusätzliche Charakteristiken der TS-Personen wie das Äußere, das Benehmen usw. – Für die weibliche Gruppe Nr. 1 (mit SK) waren in größerem Maße nicht nur inhaltliche, sondern auch andere Merkmale wichtig.
V.5. Akustisch-perzeptorische Analyse der gesprochenen Sprache in Experimenten mit sprechsprachlichem Code-switching „Russisch-Deutsch“ und „Deutsch-Russisch“ Im Rahmen unseres Versuchs handelt es sich um den Übergang von einem sprechsprachlichen Code (vom Russischen) zu einem anderen sprechsprachlichen Code (zum Deutschen) im Prozeß der Aktualisierung monologischer und dialogischer Sprechweise. Es wurde die Hypothese aufgestellt, daß der Prozeß des sprechsprachlichen Code-switching phonetische (insbesondere prosodische) Charakteristiken der an der Kommunikation Beteiligten beeinflußt. In diesem Fall wäre es notwendig, zu klären, ob sich die muttersprachliche Sprechweise im Moment des sprechsprachlichen Übergangs von der Muttersprache zur Fremdsprache ändert oder überhaupt nicht ändert und welche Arten der sprechsprachlichen Tätigkeit (z. B. Vorlesen, Nacherzählen, Dialog) für russisch-deutsche Code-switchingSituationen in größerem Maße kennzeichnend sind. Entsprechend unserer Haupthypothese wurde als Untersuchungsmaterial ein Textauszug aus dem Roman „Drei Kameraden“ von Erich Maria Remarque (Moskau 2006, S.334) im Deutschen und die Übersetzung dieses Textes ins Russische von I. Schreiber und L. Jakowlenko (http://lib.ru/INPROZ/ REMARK/tritovar.txt) gewählt. Die Textauszüge waren in ihrem lexikalischen
250
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
Umfang fast gleich: im deutschen Text betrug die Zahl autosemantischer Wörter 247, im Russischen 230. a) Text im Deutschen Er stieg ein. „Wir fahren jetzt noch die anderen Straßen ab. Ich habe das Gefühl, daß wir ihnen jeden Moment begegnen müssen.“ Der Wagen brüllte auf und wurde sofort wieder abgedrosselt. Leise schlichen wir durch die weiße, wirbelnde Nacht, von Straße zu Straße, in den Kurven hielt ich Gottfried fest, damit er nicht herunterrutschte, und ab und zu hielten wir hundert Meter hinter einer Kneipe und Köster lief in langen Sprüngen zurück, um hineinzusehen. Er war von einer finsteren, kalten Besessenheit, er dachte nicht daran, Gottfried erst fortzubringen, zweimal setzte er dazu an, aber dann kehrte er wieder um, weil er glaubte, gerade in diesem Augenblick könnten die vier unterwegs sein. Plötzlich sahen wir weit vor uns, auf einer langen, kahlen Straße, eine dunkle Gruppe von Menschen. Köster schaltete sofort die Zündung ab und lautlos, ohne Licht, kamen wir heran. Die Leute hörten uns nicht. Sie sprachen miteinander. „Es sind vier“, flüsterte ich Köster zu. Im gleichen Moment brüllte der Wagen auf, durchraste die letzten zweihundert Meter, sprang halb auf das Trottoir und hielt knirschend und schleudernd einen Meter neben den vier aufschreienden Leuten. Köster hing halb aus dem Wagen, sein Körper war ein Stahlbogen, bereit loszuspringen, und sein Gesicht war unerbittlich wie der Tod. Es waren vier harmlose, ältere Leute. Einer von ihnen war betrunken. Sie begannen zu schimpfen. Köster erwiderte nichts. Wir fuhren weiter. „Otto“, sagte ich, „wir werden ihn heute nicht kriegen. Ich glaube nicht, daß er sich auf die Straße traut.“ b) Text im Russischen Поедем ещё по другим улицам. Я чувствую, что мы можем встретить их в любую минуту. Мотор взревел, но тут же заработал на низких оборотах. Мы тихо крались сквозь белую взвихренную ночь, переезжая с одной улицы на другую; на поворотах я придерживал Готфрида, чтобы он не соскользнул; время от времени мы останавливались в сотне метров от какой-нибудь пивной, и Кёстер размашисто бежал посмотреть, там ли они. Он был одержим мрачным, холодным бешенством. Дважды он собирался ехать домой, но оба раза поворачивал обратно, ему казалось, что именно в эту минуту четвёрка должна быть где-то поблизости.
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
251
Вдруг на длинной пустынной улице мы увидели далеко впереди себя тёмную группу людей. Кёстер сейчас же выключил зажигание, и мы поехали за ними бесшумно, с потушенным светом. Они не слыхали нас и разговаривали. – Их четверо, – шепнул я Кёстеру. В ту же секунду мотор взревел, машина стрелой пролетела последние двести метров, вскочила на тротуар, заскрежетала тормозами и, заносясь вбок, остановилась на расстоянии метра от четырёх прохожих, вскрикнувших от испуга. Кёстер наполовину высунулся из машины. Его тело, словно стальная пружина, было готово рвануться вперёд, а лицо дышало неумолимостью смерти. Мы увидели четырёх мирных пожилых людей. Один из них был пьян. Они обругали нас. Кёстер ничего им не ответил. Мы поехали дальше. – Отто, – сказал я, – нам их не разыскать. Не думаю, чтобы они рискнули сунуться на улицу. Diese Textauszüge wurden als Quelle für das Untersuchungsmaterial gewählt. Sie wurden von muttersprachlichen russischen Probanden im Aufnahmestudio des Zentrums für fundamentale und angewandte Sprechwissenschaft der Moskauer Staatlichen Linguistischen Universität (MSLU) a) auf russisch vorgelesen, b) auf russisch nacherzählt, c) auf deutsch vorgelesen, d) auf deutsch nacherzählt, e) zu beiden Texten spontan gewählte Äußerungen auf deutsch und russisch zu zweit (paarweise) besprochen. Dabei konnten die Probanden nach Wunsch beide Sprachen ganz frei im Prozeß des Übergangs von einer Sprache zur anderen im Dialog benutzen. Schematisch sieht das folgendermaßen aus:
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
252
DIALOG
DEUTSCH
→ RUSSISCH RUSSISCH
←
SPRECHER A.
SPRECHER B.
DEUTSCH
↓
↓
↓
↓
↓
↓
↓
↓
I.31
II.
III.
IV.
I.
II.
III.
IV.
Das gesamte Untersuchungsmaterial wurde für weitere perzeptorische und akustische Analysen digital gespeichert. Für die digitale Aufnahme wurde das Computerprogramm Adobe Audition Version 1.0 verwendet. Dieses Programm ermöglicht es, die Sprecherstimme sofort digital in einer *.wav-Datei aufzunehmen (Aufnahmeparameter: 22 kHz, 16 bit, Mono). Im Verlauf der Aufnahme wurde regelmäßig die Lautstärke des Sprechsignals überprüft. Die akustische Analyse wurde mit den Computerprogrammen Zhenilo Signal Workshop und Signal Workshop 2.10. durchgeführt. Die Kommunikationspartner hatten Gelegenheit, ihre sprechsprachlichen Äußerungen mit dem Wechselspiel der Rollen und dem Übergang von der einen Sprache zur anderen zu aktualisieren. Diese Dialoge kann man als quasispontanen Diskurs mit Elementen von Code-switching betrachten. Als Probanden fungierten Germanistikstudenten des letzten (5.) Studienjahres der MSLU (n = 30: 15 weibliche und 15 männliche Sprecher). Alle Studenten hatten ein Praktikum in Deutschland gemacht. Das Ziel des Versuchs war den Probanden nicht bekannt. Alle Phonogramme wurden akustisch und perzeptorisch analysiert. Resümierend läßt sich bezüglich der akustischen Analyse feststellen, daß fast alle Tonaufnahmen russischer Sprecher drei Varianten der Durchschnitts31
I. Vorlesen des deutschen Textes; II. Nacherzählen des deutschen Textes; III. Vorlesen des russischen Textes; IV. Nacherzählen des russischen Textes.
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
253
grundtonfrequenzdaten (in Hz) für die sprechsprachliche Tätigkeit „Vorlesen“ zugeordnet werden können: etwas höheren Werten für auf deutsch vorgelesene Texte (50%), geringeren Werten (35%) und gleichen Werten (15%). Was quasispontanes Sprechen (Nacherzählung) betrifft, so ist es bemerkenswert, daß in der russisch-deutschen Code-switching-Situation fast dieselbe Tendenz festgestellt wurde: höhere Werte für auf deutsch gesprochene Texte (80%), gleiche Werte (50%) für auf deutsch nacherzählte Texte. Abweichungen blieben in beiden Fällen zwischen 10 Hz und 30 Hz. Der Vergleich der akustischen Werte für beide Arten der sprechsprachlichen Tätigkeit (Vorlesen und Nacherzählen) bezüglich russischer Muttersprachler, die beim Sprechen vom Russischen zum Deutschen übergehen, weist darauf hin, daß die Durchschnittswerte der Grundtonfrequenz eine bestimmte Tendenz manifestieren, nämlich eine Grundtonfrequenzerhöhung beim sprechsprachlichen Übergang von der Muttersprache (in diesem Fall vom Russischen) zur Fremdsprache (zum Deutschen). Die akustische Analyse des Sprechtempos (Zahl der Laute pro sec) bezüglich der genannten Arten der sprechsprachlichen Tätigkeit ergab folgendes: – Für maximale Tempowerte beim Lesen sind zwei Varianten vorhanden: größere maximale Werte (schnelleres Tempo) für auf russisch vorgelesene Texte (100%) und kleinere Werte für auf deutsch vorgelesene Texte (100%). – Dieselbe Tendenz wird bei minimalen Tempowerten beobachtet: größere Tempowerte für auf russisch vorgelesene Texte (100%). – Für maximale Tempowerte beim Nacherzählen sind auch zwei Varianten vorhanden: größere maximale Werte (schnelleres Tempo) für auf russisch nacherzählte Texte (67%) und kleinere Werte für auf deutsch nacherzählte Texte (33%). – Für minimale Tempowerte beim Nacherzählen sind zwei Varianten vorhanden: größere minimale Werte für auf russisch nacherzählte Texte (50%) und kleinere Werte für auf deutsch gesprochene Texte (50%). Der Vergleich dieser Ergebnisse der akustischen Analyse von Grundtonfrequenz und Tempo beim russisch-deutschen Code-switching weist darauf hin, daß keine sehr großen Unterschiede bezüglich akustischer Werte vorhanden sind. Es gibt aber eine bestimmte Tendenz, was Grundtonfrequenzerhöhung und Tempoänderungen in der russisch-deutschen Code-switching-Situation betrifft. Die akustische Analyse der russisch-deutschen Äußerungen im Rahmen des Code-switching-Dialogs hat gezeigt, daß es im großen und ganzen dieselbe Tendenz gibt: minimale Erhöhung der durchschnittlichen Grundtonfrequenzwerte in der Richtung und eine deutlichere Verlangsamung des Tempos beim Übergang vom Russischen zum Deutschen.
254
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
An der perzeptorischen Analyse beteiligten sich 20 Probanden (russische Muttersprachler ohne Kenntnisse des Deutschen im Alter von 18–25 Jahren). Im Laufe von Hörversuchen wurde die Aufgabe gestellt, sich experimentelles Material mehrmals anzuhören und folgende Charakteristiken zu bestimmen: – Stimmhöhe (sehr tief, tief, tiefer als mittelhoch, mittelhoch, höher als mittelhoch, hoch, sehr hoch). – Melodieverlauf (monoton, „Zickzack“-Verlauf, fallend, steigend). – Sprechtempo (sehr langsam, langsam, unterhalb mittleren Sprechtempos, mittleres Sprechtempo, oberhalb mittleren Sprechtempos, rasch, sehr rasch). – Pausierung (sehr lang, lang, mittellang, kurz, sehr kurz). – Pausenfüllung (ohne phonetische oder lexikalische Füllung, mit phonetischer Füllung z. B. mit Sonanten, Silbe(n), unbestimmten Pseudolauten, Vokalen). – Rhythmus (stark ausgeprägter Sprechrhythmus, schwach ausgeprägter Sprechrhythmus). – Sprechatmung (normal, stoßartig, gezwungen). – Stimmdynamik (gering, weniger als mittel, mittel, größer als mittel, groß). – Stimmfarbe (Timbre) (klangvoll, dunkel (keine Schärfe), weich, warm, rauh (heiser), angeregt, nasaliert, scharf, klar, hell). – Sprechweise (offiziell, ruhig, zurückhaltend, ungezwungen). Bezüglich der auditiv ermittelten phonetischen Parameter der russischen Sprecher in der russisch-deutschen Code-switching-Situation kann man für alle Arten der Sprechtätigkeit folgendes feststellen: – Beim Sprechübergang vom Russischen zum Deutschen wird ein Ansteigen der Stimmhöhe der russischen Muttersprachler wahrgenommen. – Die Wahrnehmung des Melodieverlaufs hängt auch vom Code-switching ab: die Rezipienten bewerteten die Melodieänderungen beim Nacherzählen (quasi-freies Sprechen) für die russische Sprechrealisation als im Zickzack verlaufende Kurve und für die deutsche Sprechrealisation als monotone oder monoton-fallende Variante. – Die Sprechgeschwindigkeit wird perzeptorisch im großen und ganzen beim Übergang von Russisch zu Deutsch als abnehmend bewertet. – Die Pausierung wird durch folgende perzeptorische Parameter charakterisiert: längere Pausen für das Russische und kürzere Pausen für das Deutsche. – Die Pausenfüllung unterscheidet sich für Code-switching-Varianten folgendermaßen: Das Vorhandensein unbestimmter Schwa-Laute ist typisch für die russische Variante, Sonanten für die deutsche Variante.
Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
255
–
Die Sprechrhythmusstrukturierung wird durch das folgende Merkmal charakterisiert: Das Übergehen vom Russischen zum Deutschen führt zu größerer Rhythmisierung der Sprechäußerungen. – Die Sprechatmung ist durch zwei Unterschiede gekennzeichnet: Sie entspricht der Norm bei der muttersprachlichen Variante und ist stoßartig-gezwungen bei der deutschsprachigen Variante. – Die Stimmdynamik ist durch zwei perzeptorische Parameter charakterisiert: mittlere Dynamik für die russische Variante und mittlere sowie weniger als mittlere Dynamik für die deutsche Variante. – Die Sprechweise wird, abhängig von der Sprache, verschieden bewertet: Ungezwungenheit in der muttersprachlichen Sprechsituation und „Förmlichkeit“/Zurückhaltung in der deutschsprachigen Situation. Dabei nahmen acht Probanden in der deutschen Sprechweise der russischen Muttersprachler zusätzlich ein Merkmal von Beunruhigung war. – Das Stimmtimbre ändert sich in der russisch gesprochenen Variante von Sprecher zu Sprecher; diese Varianz (Diskrepanz) vermindert sich in der deutschsprachigen Variante bis zum Hauptmerkmal „aufgeregte Stimme“. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Ergebnisse des Experiments die Haupthypothese bestätigt haben. Es existiert ein sprechsprachlicher Codeswitching-Effekt bei verschiedenen Arten der Sprechtätigkeit, und er äußert sich in einer Reihe von auditiven und akustischen Merkmalen, was für die sprechsprachliche Theorie der interkulturellen Kommunikation eine bedeutende Rolle spielt.
V.6. Der Einfluß von Fremdsprachenkenntnissen der Russen auf die Bewertung des Eindrucks deutsch-deutscher Kommunikation In diesem Kontext ist es notwendig, noch einen interessanten Aspekt zu berücksichtigen, und zwar das Thema der Wirkung des fremden Klanges der deutschen Sprache bezüglich paraverbaler (prosodischer, rhythmischer, stimmlicher) und nonverbaler Stimuli auf sprechsprachliche Reaktionen der russischen Probanden. Zur Zeit steht dieses Thema der sprechsprachlichen Wirkung im Mittelpunkt der unterschiedlichsten Untersuchungen. Eine dieser Untersuchungen widmete sich den Problemen der perzeptorischen, nicht muttersprachlichen Bewertung des kommunikativen verbalen und nonverbalen Verhaltens der Deutschen im Rahmen einer Reihe von deutschen Talk-Shows. Zwei Gruppen von russischen Probanden (Gruppe Nr. 1 n = 20 und Gruppe Nr. 2 n = 20; Alter 20–25 Jahre) beteiligten sich an diesen Untersuchungen. Die Gruppe Nr. 1 bestand aus russischen weiblichen (n = 10) und männlichen
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Bewertungen der kommunikativen Tätigkeit
Probanden (n = 10) mit deutschen Sprachkenntnissen, die Gruppe Nr. 2 aus russischen weiblichen (n = 10) und männlichen Probanden (n = 10) ohne deutsche Sprachkenntnisse. Als Experimentalkorpus wurden deutsche Talk-Shows verwendet, die anhand von speziellen Fragebogen durch russische Probanden perzeptorisch analysiert wurden. Folgende Differenzen sind in den Bewertungen der paraverbalen und nonverbalen Stimuli (für freie multimodale Kommunikation) bezüglich der beiden Probandengruppen deutlich geworden: 1. Die russischen Probanden mit deutschen Sprachkenntnissen bewerteten das emotionale Verhalten der deutschen an der Kommunikation Beteiligten als wohlwollend und ungezwungen (75%) bzw. als neutral (10%). Die russischen Probanden ohne deutsche Sprachkenntnisse bewerteten dasselbe Material als wohlwollend und ungezwungen (40%) bzw. als neutral (30%). Für russische Probanden mit deutschen Sprachkenntnissen ist eine eher positive Bewertung der deutsch-deutschen Kommunikation charakteristisch, was für Probanden ohne deutsche Sprachkenntnisse nicht typisch ist. Dabei nimmt der Anteil neutraler Bewertungen bei letzteren zu. 2. Die beiden Gruppen bewerteten die deutsche Diskussionsweise als klar und ausdrucksvoll (für die Gruppe Nr. 1 bei 65%; für die Gruppe Nr. 2 bei 60%) mit Schattierungen von Aggressivität (für die Gruppe Nr. 1 bei 30%; für die Gruppe Nr. 2 bei 40%). Das Wichtigste für die Diskutanten war es, ihren persönlichen Standpunkt sachlich zu vertreten. 3. Bei folgenden paraverbalen (melodischen, temporalen, timbralen, pausalen, dynamischen und rhythmischen) Hörparametern sind Bewertungsdifferenzen zwischen zwei Probandengruppen aufgetreten; für beide Gruppen sind perzeptorische Stimmklangmerkmale als Wirkungscharakteristiken am typischsten (für die Gruppe Nr. 1 bei 45%; für die Gruppe Nr. 2 bei 40%). Weiter folgen Pausierung (25%), Melodieverlauf (15%), Tempo (15%), Rhythmus (10%) und Lautstärke (5%). Es ist bemerkenswert, daß hier bei beiden Gruppen verschiedene Bewertungstrends fast zusammenfallen: die größere Wirkung des Stimmklangs auf Hörreaktionen der russischen Probanden mit deutschen Sprachkenntnissen (40%) und der russischen Probanden ohne deutsche Sprachkenntnisse, die gleiche Wirkung bei Pausierung (20%), Melodieverlauf (15%), Sprechtempo (10%), Lautstärke (5%) und Rhythmisierung (10%). Wenn aber die Summe aller prosodischen Mittel und aller Aspekte des Stimmklangs als zwei Oppositionsglieder der gesprochenen Sprache einander gegenübergestellt werden, so sieht die Konfiguration der Bewertungen folgendermaßen aus: Prosodie 60% – 65%, Stimmklang 40% – 35%,
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was mit den Ergebnissen einer Reihe früherer Untersuchungen übereinstimmt. Die deutsch-deutsche nonverbale Kommunikation (Gesichtsmimik, Augenmimik, Gestik, Körperbewegungen) wurde durch die zwei Gruppen von Probanden folgendermaßen bewertet. Für die russischen Probanden mit deutschen Sprachkenntnissen Gruppe Nr. 1 waren folgende Bewertungsparameter typisch: gemäßigte Körpermotorik (35%), gemäßigte Gestik (30%), Augenmimik (25%), aktive Gestik (4%), aktive Gesichtsmimik (4%), aktive Körpermotorik (2%). Der größere Teil der Hörer der Gruppe Nr. 2 (die Russen ohne deutsche Sprachkenntnisse) stimmte darin überein, daß für die deutschsprachige Kommunikation die gemäßigte Gestik (50%) und gemäßigte Körpermotorik (40%) typisch waren. Was Augenmimik betrifft, so wurde festgestellt, daß Augenkontakte nicht so oft perzipiert wurden (10%). Dabei wurde festgestellt, daß die russischen Probanden ohne deutsche Sprachkenntnisse der Gestik der deutschen an der Kommunikation Beteiligten größere Aufmerksamkeit schenkten, was darauf hinweist, daß in der realen Kommunikation für die Kommunikationspartner ohne Fremdsprachenkompetenz nonverbale Parameter eine größere Rolle spielen (48%) als für Kommunikationspartner mit Fremdsprachenkompetenz (20%). Die beiden paraverbalen und nonverbalen Kommunikationssignale bilden bezüglich russischer Probanden mit deutschen Sprachkenntnissen einen Komplex von semasiologischen Zeichen, was die intersprachliche Kommunikation realisiert. Ein deutlicher Unterschied ergibt sich für das Merkmal „ästhetische Wirkung“ der deutschsprechsprachlichen Kommunikation auf russische Perzipienten. Die Russen mit deutschsprachiger Kompetenz bewerten die authentische deutsch-deutsche Kommunikation am meisten als: – gemäßigt, – ernst, – mit straffem Rhythmus, – schneidend (markant), – monoton. Das paraverbale und nonverbale Verhalten der deutschen Gesprächspartner ruft bei russischen Probanden mit deutschen Sprachkenntnissen vor allem ästhetische Einschätzungen wie „gemäßigte ernste Redeweise“, „zurückhaltende Mimik und Gestik“, „straff rhythmisierte, markante und gleichzeitig monotone Sprechweise“. Einige der Probanden (die Minderheit) bewerteten die deutsch-deutsche Kommunikation als „schön“, „melodisch“, „interessant“, „hinreißend“.
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Die Wirkungsbewertungen der russischen Probanden ohne deutsche Sprachkenntnisse unterschieden sich von obengenannten Ergebnissen folgendermaßen: – sachlich, – ernst, – zu kompliziert, – grob, – schrill, – langweilig, – eintönig (monoton), – hart, – unnatürlich (zu gekünstelt). Wenn diese Ergebnisse verglichen werden, so kann man sowohl Konvergenz- als auch Divergenzmerkmale für beide Gruppen von Probanden feststellen: – Konvergenzmerkmale: ernst, gemäßigt, monoton und – Divergenzmerkmale: alle anderen, die von russischen Probanden mit deutschen Sprachkenntnissen positiv und von russischen Probanden ohne deutsche Sprachkenntnisse vorwiegend negativ bewertet werden. Was die Genderspezifik betrifft, so ergaben sich auch einige Beobachtungen, die als Tendenz interpretiert werden können. Für weibliche Probanden waren zahlreichere und mannigfaltigere Charakteristiken typisch. Dabei war die weibliche Gruppe der Probanden bezüglich des experimentellen Materials durch mehr negative Bewertungen als die männliche Gruppe gekennzeichnet. Es traten vornehmlich in den weiblichen Bewertungen Wirkungsreaktionen auf Stimuli wie „schrill“, „kompliziert“, „unnatürlich“ („gekünstelt“) auf. Die männlichen Probanden waren in bezug auf ihre Wirkungsreaktionen in der Meinung einig, daß die deutsch-deutsche Kommunikation als „sachlich“, „ernst“ und „sinnvoll“ bewertet werden kann. Weibliche Bewertungen waren durch größere Subjektivität und Emotionalität als männliche Bewertungen charakterisiert. Welcher Erkenntnisgewinn ergibt sich aus diesem Experiment? Es zeigt sich, daß es zwischen perzeptorischen verbalen und nonverbalen Bewertungen bezüglich der russischen Probanden mit deutschen Sprachkenntnissen und der russischen Probanden ohne deutsche Sprachkenntnisse bedeutende Unterschiede gibt, was unserer Meinung nach aufs engste mit dem Phänomen der Entwicklung und des Vorhandenseins der kommunikativen fremdsprachlichen Kompetenz verbunden ist. Die fremdsprachliche und fremdkulturelle Kompetenz der an der Kommunikation Beteiligten löst sozusagen Stereotypen auf und führt zu einer optimierten Bewertung und Wirkung im
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Prozeß der bilingualen (bzw. multilingualen) Kommunikation, was die Auffassung von I. I. Chaleeva (Chaleeva 1989; 2003) bestätigt. In diesem Fall vermindert sich die Zahl der negativen Reaktionen der an der Kommunikation Beteiligten in bezug auf Hören, Sehen und Verstehen der fremdsprechsprachlichen Stimuli. Der Prozeß der Kommunikationswirkung vertieft sich nur in der Situation der Kultur- und Sprachkenntnisse, die zur Formierung des intersprachlichen und interkulturellen Bewußtseins der Kommunikation führt.
VI. Multimodale Kommunikation und aktuelle Probleme der Kommunikationswirkung
VI.1. Grundbegriffe und Modelle der zwischenmenschlichen und interkulturellen Kommunikation Nach Meinung von E.-M. Krech sind „innerhalb der Sprechwissenschaft … bekanntlich Termini wie Sprechsprachliche Kommunikation bzw. Mündliche Kommunikation gebräuchlich. Sie verweisen auf ein außerordentlich vielschichtiges Komplexgefüge, das mit seinen Erscheinungsformen, Determinanten, Konstituenten, Wirkungen und Störungen die aufeinander bezogenen Sprech- und Hörhandlungen charakterisiert. Weitere Differenzierungen in Rhetorische, Sprechkünstlerische, Phatische Kommunikation usw. machen jedoch deutlich, daß es neben Gemeinsamkeiten zugleich Besonderheiten gibt, in denen sich das Kommunikative jeweils erweist“ (Krech 2003: 184). Das Phänomen der zwischenmenschlichen Kommunikation (MenschMensch-Kommunikation – MeMeKo32) gehört zu der Frühphase der Menschheitsentwicklung, der Evolution des Menschen als Homo sapiens. In jener Phase wurden alle verfügbaren Kommunikationsmittel miteinander und nebeneinander eingesetzt (z. B. taktile, visuelle, akustische, olfaktorische). Die Entwicklungsdynamik der Menschheit vergrößerte den Kreis der multimodalen Möglichkeiten der zwischenmenschlichen Kommunikation. Von diesem Standpunkt aus kann man folgende Hauptmittel der zwischenmenschlichen Kommunikation (MeMeKo) feststellen: – biologische; – psychische; – soziale. Diese Hauptmittel wurden zu Bausteinen des multimodalen Verhaltens des Menschen im Prozeß der MeMeKo. Der Begriff der Multimodalität wurde im Bereich der angewandten Linguistik zu Anfang des 21. Jahrhunderts besonders produktiv und effektiv, was im Zusammenhang mit der Erarbeitung von Systemen „Mensch-Maschine-
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In einer Reihe unserer Bücher (z. B. Potapova 1997b [Neuauflagen in 2001; 2003 und 2009]; Potapova 1989c [Neuauflage in 2005] u. a.) wird die Dichotomie „MenschMensch-Kommunikation“ (MeMeKo) und „Mensch-Maschine-Kommunikation“ (MeMaKo) als konzeptuelle Dominante vorgeschlagen.
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Kommunikation“ (MeMaKo), sogenannten „Multimodal Dialogue Systems“, steht. Multimodale Dialogsysteme werden heutzutage folgendermaßen definiert: „Dialogue systems can be classified according to several criteria. One is the communication modalities (or channels) used during the interaction. Regarding this criterion, these systems can be classified into unimodal and multimodal. In a unimodal system the information is transmitted using just one communication channel; this is the case of SDSs [spoken dialogue system R. P.] since the interaction is carried out using only speech… In the past few years there has been a notable research interest in the joint utilization of speech and other communication modalities, leading to the so-called Multimodal Dialogue Systems (MMDSs)…“ (López-Cózar Delgado, Araki 2005: 4). In diesem Fall vergrößern sich die Möglichkeiten der Optimierung der Mensch-Maschine-Kommunikation (MeMaKo) durch die Nutzung nicht nur der sprechsprachlichen, sondern auch der graphischen und taktilen Kanäle der Kommunikation. Die Multimodalität im Prozeß der MeMaKo schließt verschiedene Kanäle der Kommunikation (gesprochene Sprache, Gestik, Gesichtsmimik, Augenmimik u. a.) ein, was zum Ziel hat, die Effektivität der MeMeKo zu wiederholen. Die sogenannten Multimediasysteme sind durch das Vorhandensein mehrerer Kommunikationskanäle für Kodierung und Dekodierung der Information charakterisiert. Von ausschlaggebender Bedeutung ist vor allem die semantisch-pragmatische Interpretation des Begriffs „Kommunikation“. So bedeutet z. B. Kommunikation mehr als „Übermittlung von Informationen“ (Behr u. a. 1978). Abgeleitet von dem lateinischen Verb communicare mit seinen Bedeutungen „jemanden an etwas teilnehmen lassen“, „sich mit jemandem verständigen“ bezeichnet Kommunikation vor allen Dingen die soziale Interaktion, den sozialen Vorgang des Ausgleichens von gegensätzlichen Interessen und das Austragen von Konflikten. Durch Kommunikation entsteht eine bestimmte Gemeinschaft, und im Verlauf der Entwicklung dieser Gemeinschaft entstehen bestimmte kommunikative Regeln. Durch die Entwicklung der Nachrichtentechnik (der Kommunikationstechnologien) ist auch die Kommunikation ein Teil zahlreicher Wissenschaftsbereiche geworden. Man kann den Vorgang der Kommunikation am Beispiel eines Telegrafen beschreiben, der vor der Erfindung des Telefons die einzige Möglichkeit war, Informationen ohne großen Zeitverlust über weite Entfernungen zu übertragen. In Anlehnung an die Nachrichtentechnik wurden Grundelemente einer Kommunikationskette folgendermaßen definiert: – Information (z. B. „X ist Präsident geworden“. Zur telegrafischen Übertragung dieser Information werden Stromstöße verwendet);
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–
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Sender und Empfänger (der Sender muß die Information erst in eine Folge von Stromstößen umwandeln, damit der Empfänger aus der Folge der Stromstöße diese Information zurückgewinnen kann. Der Sender benutzt dazu den Kode des Morsealphabets. Im Morsealphabet werden den Buchstaben des normalen Alphabets eindeutig bestimmte Folgen kurzer und langer Stromstöße zugeordnet. Der Sender kann den Morsekode verwenden, weil er weiß, daß der Empfänger diese Art von Umkodierung versteht. – Kanal (es gibt einen speziellen zur Verfügung stehenden Kanal); – Nachricht. Durch die Einkodierung der Information entsteht eine für die Übertragung in dem zur Verfügung stehenden Kanal (Kabel) geeignete Nachricht. Der Sender sendet diese Nachricht durch eine Stromquelle und einen Schalter, womit er dem Kabel längere und kürzere Stromstöße zuführt. Das Kabel muß mit dem Empfänger verbunden sein und es soll möglichst nicht durch Rauschen so gestört sein (z. B. durch fehlerhafte Isolierung, Kurzschluß, Gewitter), daß die Nachricht beim Empfänger nicht mehr ankommt. Durch eine Lampe, einen Summer oder einen mit einer Schreibvorrichtung gekoppelten Elektromagneten wird es dem Empfänger ermöglicht, die ankommenden Stromstöße wahrzunehmen (zu perzipieren). Der Empfänger muß in der Lage sein, die an ihn gerichtete Information aus der Zeichenfolge zurückzugewinnen: er muß den Morsekode kennen, um die Nachricht zu dekodieren. Dazu ist es erforderlich, daß Sender und Empfänger über den gleichen Zeichenvorrat (über das sogenannte gemeinsame Repertoire) verfügen, d. h., zwischen ihnen besteht ein Einverständnis über die Zeichen und Regeln, die zur Formulierung der Nachricht verwendet werden (siehe Abb.1).
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Abb. 1. Graphische Darstellung der Kommunikationskette (nach K. Behr 1978) Man vergleicht die Kommunikation zweier Menschen miteinander mit der Kommunikationskette des Telegrafen, da die Informationsübertragung jeweils den gleichen Regeln folgt. Der Mensch als Empfänger ist mit verschiedenen Organen ausgestattet, mit denen er in der Lage ist, auf unterschiedlichen Kanälen einlaufende Nachrichten zu perzipieren: – das Ohr ist das Empfangsorgan für den Kanal der akustischen Schwingungen → akustischer Kanal, – das Auge ist das Empfangsorgan für den Kanal der Lichtwellen und Korpuskeln → visueller Kanal, – die druckempfindlichen Zellen der Haut sind Empfangsorgane für den Kanal der taktilen Zeichen → taktiler Kanal. Aufgrund dieser Leistungsfähigkeit bezeichnet man den Perzipienten als Mehrkanalempfänger (unserer Meinung nach als multimodalen Dekoder – R. P.). Außerdem ist der Mensch auch gleichzeitig mit Organen und Fähigkeiten ausgestattet, die ihn zu einem Mehrkanalsender (zu einem multimodalen Enkoder – R. P.) werden lassen: – über den akustischen Kanal durch seine Laut- und Spracherzeugung oder durch Händeklatschen, – über den optischen Kanal durch Gestik, Mimik oder unwillkürliche Erscheinungen wie Erröten, – über den taktilen Kanal durch körperliche Kontakte wie Händedruck, Kuß, Ohrfeige.
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In der alltäglichen Kommunikation MeMeKo lassen sich nun auf allen diesen Kanälen Nachrichten übertragen, unter der Voraussetzung, daß äußere Störfaktoren (Rauschen) nicht zu stark sind und die entsprechenden Sende- und Empfangsorgane funktionieren, d. h. keine pathologische Störung (Blindheit, Taubheit) und keine aus einer bestimmten Situation entstandene, vorübergehende Störung (Nebel, Lärm, großes Gedränge) vorhanden ist. Damit Menschen miteinander kommunizieren können, muß mindestens für die jeweilige Kommunikation ein gemeinsames Repertoire vorhanden sein. Darunter versteht man einen Speicher von Zeichen und Regeln der Nachrichtenübertragung. Man verwendet auch die Bezeichnung kommunikatives Repertoire (Behr u. a. 1978). Erst wenn ein Zeichen einer Information zugeordnet werden kann, wird es erkannt. Der Empfänger besitzt einen Speicher von Zeichen mit ihnen zugeordneten Informationen (Bedeutungen), wodurch diese Erkennung ermöglicht wird. Diesen Speicher bezeichnet man als Lexikon. (Das Zeichen „rot“ auf einer Ampel kann der Autofahrer der Information „anhalten“ zuordnen, das Zeichen „Kuß“ bedeutet „Zuneigung“.) Zeichen treten meistens im Zusammenhang mit anderen Zeichen und nicht isoliert auf. Im allgemeinen ist die Anordnung der Zeichen, die einem Empfänger übertragen werden, nicht zufällig, sondern regelhaft. Das heißt, eine bestimmte Person oder Verhaltensweise sendet kommunikativ wirksame Zeichen immer in einer bestimmten Konstellation, deren Anordnungsprinzipien Aussagen ermöglichen: Wenn die Zeichen Z1, Z2, Z3 auf die Weise R1 verknüpft sind, dann handelt es sich um die Information A. Sind diese Zeichen anders verknüpft (R2), dann handelt es sich um die Information B. Nur im syntaktischen Zusammenhang wird es überhaupt möglich, einem Einzelzeichen seinen exakten Informationsgehalt zuzuordnen. Der Empfänger muß hierfür aber nicht nur über ein Zeichen-Informationslexikon verfügen, sondern auch über einen Vorrat an Regeln, der das Aneinanderfügen von Einzelzeichen zu komplexeren Zeichenbzw. Informationsstrukturen bestimmt. Zu dem Lexikon kommt also die Syntax hinzu. Beide sind notwendige Bestandteile des kommunikativen Repertoires. So bedeutet z. B. das Zeichen „rot“ im syntaktischen Zusammenhang mit den Zeichen „gelb“ und „grün“ auf der Verkehrsampel „anhalten“. Dieser auf das kommunikative Repertoire bezogene Prozeß gilt natürlich auch für den Sender, denn nur jemand, der Zeicheninformationen zuordnen kann und in der Lage ist, Zeichenstrukturen (= Nachrichten) zu produzieren, kann Informationen übertragen, d. h. kommunizieren. Jeder Mensch lernt von Geburt an im Sozialisationsprozeß Regeln und Verhaltensmuster des kommunikativen Handelns. Für jedes Individuum verläuft dieser Prozeß anders. Die Erbanlagen, auf deren Basis sich das kommunikative Repertoire aufbaut, sind aber nur zum Teil für diese Unterschiede ver-
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antwortlich. Vielmehr spielen Quantität (z. B. Häufigkeit, Intensität) und Qualität (z. B. Grade der Differenziertheit) der kommunikativen Umwelt eine entscheidende Rolle. Hinzu kommen räumliche, zeitliche und soziale Faktoren, die die kommunikativen Einspeicherungsvorgänge bedingen. Aus diesen Gründen können sich die kommunikativen Repertoires der Kommunikationspartner, auch wenn sie einen gemeinsamen sprachlichen, kulturellen, ethnischen und familiären Hintergrund aufweisen, nie vollständig decken. Das ist auch gar nicht erforderlich, da in einer bestimmten Kommunikationssituation niemals das gesamte kommunikative Repertoire der beteiligten Kommunikationspartner benötigt wird. Noch bevor zwei Menschen untereinander sprachlichen Kontakt aufnehmen, liefern sie sich als Kommunikationspartner gegenseitig Informationen (z. B. nichtverbale durch das äußere Erscheinungsbild), die für den weiteren Verlauf der Kommunikation von Bedeutung sein können. K. Behr führt hierzu ohne Anspruch auf Vollständigkeit folgende Informationen auf: – Informationen über die Übertragungskanäle, die zur Verfügung stehen, sowie über mögliches Rauschen, – Informationen über den Kommunikationspartner, – Informationen über die eigenen Möglichkeiten im Bereich der Nachrichtenübertragung, – Informationen über den eigenen Zustand in bezug auf das kommunikative Verhalten in dieser bestimmten Situation mit diesem bestimmten Partner. In Abhängigkeit von den Möglichkeiten des eigenen kommunikativen Repertoires ist auch die Art und Weise des eigenen kommunikativen Verhaltens strukturiert. Es werden nicht nur Entscheidungen über den zu verwendenden Übertragungskanal, sondern auch Entscheidungen über Mimik, Gestik, Gesamtverhalten usw. getroffen. K. Behr bezeichnet die zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandene Kommunikationssituation, in der man sich gerade befindet, als Kommunikationslage. Dieser folgt dann die aktuelle Kommunikation, und hier wird laufend den sich verändernden Bedingungen entsprechend „nachgesteuert“: z. B. erfordert plötzlich auftretender Lärm eine die Sprache begleitende Mimik und Gestik oder die Erhöhung der Lautstärke, auch wenn das urprünglich nicht beabsichtigt war. Das heißt, interpersonale Rückkopplungen und Informationen über die Kommunikationssituation aktivieren intrapersonale Regelungsvorgänge. So kann sich also der Kommunikationsteilnehmer unter ständiger Verarbeitung der neu eintreffenden Informationen auf die veränderten Bedingungen der Kommunikationslage einstellen. Bei zwischenmenschlicher Kommunikation (MeMeKo) findet also ein interpersonaler Informationsaustausch statt. Der Unterschied zu einer medienvermittelten Kommunikationssituation besteht darin, daß bei letzterer nur ein
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intrapersonaler Rückkopplungsprozeß stattfindet, da kein Übertragungskanal vorhanden ist, der ein unmittelbares Feedback ermöglicht. Im Rahmen der semiotischen Konzeption ist die menschliche Sprache ein zur Informationsübertragung geeignetes System bestimmter Zeichen und Regeln, die es ermöglichen, Zeichen bestimmter Zeichenstrukturen als Träger komplexer Informationen zuzuordnen. Die Sprache macht den bedeutendsten Teil des kommunikativen Repertoires aus. In der sprachlichen Kommunikation werden also weder die informationstragenden Qualitäten konkreter Dinge, Sachverhalte, Vorgänge ausgetauscht noch gar diese Dinge selbst, sondern allein die Sprachzeichen dieser Qualitäten (Behr u. a. 1978). Die menschliche Sprache ist aufgrund ihrer metasprachlichen und metakommunikativen Möglichkeiten nicht nur das vielseitigste, sondern auch das sicherste Zeichensystem zur Übertragung von Informationen. Information bezeichnet eine Neuigkeit, eine Mitteilung über etwas, das vorher unbekannt gewesen ist (Wortursprung: informieren = etwas in Form bringen). In der Informationstheorie wird „Information“ statistisch als die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens eines Ereignisses definiert: Je geringer die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Zeichens in einer Nachricht oder der gesamten Nachricht (je größer also die Überraschung über das Auftreten) ist, desto höher ist der Neuigkeits- oder Informationswert dieses Zeichens oder dieser Nachricht. Mit anderen Worten: Der Informationswert ist gleich der Ungewißheit, die durch das Eintreffen einer Nachricht beseitigt wird. Jeder Empfänger einer Nachricht hat in bezug auf ein bestimmtes Thema auch einen gewissen Informationsstand. Was der Empfänger nun aus einer eintreffenden Nachricht tatsächlich an Information gewinnt, bezeichnet man als subjektive Information. In dem Maße, wie sich die subjektive Information verringert, nimmt die für den Empfänger eigentlich überflüssige Information der Nachricht zu. Diese überflüssige Information wird als Redundanz oder auch Weitschweifigkeit einer Information bezeichnet. Man bezeichnet die menschliche Sprache als das redundanteste Kommunikationsmittel überhaupt. Redundanzgewinnung über unterschiedliche Kanäle bezeichnet man als Transredundanz. In der alltäglichen Kommunikation wird sie häufig zur Ausschaltung von Störfaktoren eingesetzt. Bei der Diskussion der Kommunikationsmodelle tritt dieselbe Schwierigkeit wie beim Kompetenzbegriff auf. Prinzipiell ist auch hier die Möglichkeit eines deduktiven Modells mit Anspruch auf theoretische Vollständigkeit gegeben, d. h. die Bedingungen der Möglichkeit von Kommunikation werden als Faktoren genannt (Haueis, Hoppe 1972: 24–35). Im folgenden sollen einige Inhaltsblöcke erwähnt werden, die in Kommunikationsmodellen genannt werden.
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a) Information und Code Diese Begriffe stammen, wie schon erwähnt worden war, aus der Informationstechnik: Man kann eine artikulierte Information, um sie rationell transportieren zu können, z. B. in das Morsealphabet verschlüsseln. Dabei bezieht sich „Code“ nur auf die jeweilige Materialisierung der Artikulation. Diese wird vorausgesetzt und ist in der Regel sprachlich (verbal). b) Kanal Der Begriff „Kanal“ ist ins Kommunikationsmodell einzubringen, wo er die Information mitbestimmt. Der Kanal ist dabei in der Regel abhängig von der äußeren Situation der Kommunikation, besonders vom räumlichen Verhältnis der Partner zueinander. Auf der anderen Seite ist die Beziehung zwischen Sprecher und Hörer für die Kommunikation entscheidend, was weitgehend unabhängig von der räumlichen Distanz ist. Eine Mitteilung an einen persönlich bekannten Adressaten wird primär durch den Grad der Vertrautheit, nicht durch dessen Anwesenheit oder Abwesenheit beeinflußt (Haueis, Hoppe 1972: 24–28). c) Thema Zur Kategorisierung von Aussagen oder Inhalten von Texten wird ein Bezug der Kommunikation zur äußeren Wirklichkeit gesehen: das, worauf sich die Kommunikation bezieht, bzw. das, worauf sich Sprecher und Hörer in der Kommunikation beziehen. Diesen Faktor bezeichnet man gewöhnlich als „Thema“. d) Varianz und Konstanz der kommunikativen Faktoren Beim ersten Typ (der Varianz des Sprechers bei gleichzeitiger Konstanz aller übrigen Faktoren) tritt eine starke Tendenz zur Ritualisierung der Kommunikationssituation hervor. Es handelt sich um Situationen der Zulassung zu sozialen Bereichen, die unter maximalen Kontrollbedingungen stehen. Zu denken ist beispielsweise an Prüfungen, Initiationsriten, sekundäre Sozialisationsakte. Der zweite Typ ist, wie der erste, besonders ritualisiert, nur ist in diesem Fall eine Hörer-Varianz bei Konstanz der restlichen Faktoren gegeben. Dieser Typ ist als eine rezeptive Publikumssituation interpretierbar. Ein anderer Kommunikationstyp ist durch die Konstanz von Hörer, Übertragungskanal und Information gekennzeichnet.
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e) Sprechrollen (siehe Abb. 2)
Abb. 2. Faktoren der Sprechrollen (nach E. Haueis, O. Hoppe 1972: 35) f) Gesprächsarten (Dialoge – Gruppengespräche) Bei der Analyse der Gesprächsarten unterscheidet man in der Regel folgende Repräsentanten der MeMeKo (nach Ch. Winkler, umgearbeitet von R. K. Potapova, V. V. Potapov) (siehe Abb. 3).
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Abb. 3. Gesprächsarten der Kommunikation (in unserer Untersuchung „Gespräch (Diskurs)“ – Talk-Show-Diskurs) Dabei ist das Gruppengespräch durch eine Reihe von Merkmalen gekennzeichnet (Winkler 1969: 58): – Gegenstand (Thema); – begrenzte Zahl der Beteiligten; – Gruppendisziplin;
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Gruppenarchitektonik (Terminus von R. K. Potapova, V. V. Potapov 2006) (z. B. Kreis, Kette, Stern); Geschwindigkeit der Kontaktaufnahme (gering, groß); Genauigkeit der Mitteilungen (gering, groß); Dynamik der Entstehung der Festigkeit der Organisation (unstabil; langsam stabil; schnell stabil); Führerrolle (Grad der Neigung, einen Führer zu wählen) (unbestimmt, deutlich, sehr deutlich); Zufriedenheit, die ihre Kontaktaufnahme bei den Beteiligten hinterläßt (sehr groß, gering, sehr gering); Entstehung von Interesse.
Es werden folgende Stufen der Entstehung von Interesse im Rahmen des Kommunikationsmodells vorgeschlagen (siehe Abb. 4):
Abb. 4. Stufen der Entstehung von Interesse im Prozeß der MeMeKo (nach G. Huber 1987) Die allgemeine Dynamik der Modelle „Mensch-Mensch-Kommunikation“ (MeMeKo) kann man folgendermaßen darstellen und systematisieren: Modell Nr. 1
Abb. 5. Allgemeine biologische (physisch-physiologische) Grundlage jeder menschlichen Handlung (nach I. M. Sečenov 1935; 2006).
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Modell Nr. 2 In der großangelegten Untersuchung des Zeichenbegriffs (Bühler 1965) geht man von dem scholastischen „stat aliquid pro aliquo“ aus. Dieses „Für-etwasstehen“ kann in verschiedenen Modi auftreten, die nicht material, sondern funktional gekennzeichnet sind. Man faßt diese Modi des Zeichen-Seins in ein Organonmodell der Sprache (genauer müßte es heißen: des Zeichens) entsprechend dem Platonschen Satz, Sprache sei ein Werkzeug, ein Organum, um „dem anderen etwas mitzuteilen über die Dinge“. „Einer“ – „der Andere“ – „die Dinge“ die sind drei Punkte, zwischen denen das Modell Relationen herstellt:
Abb. 6. Dreieckiges Relationskommunikationsmodell (nach K. Bühler 1965) K. Bühlers Beispiel: Einer hört ein Prasseln, sagt zum andern „es regnet“, der hört die Worte und blickt aus dem Fenster (zitiert nach K. Behr u. a. 1978). Die erste Skizze läßt sich also in dieser Weise genauer ausführen:
Abb. 7. Zwischenphase des Modells Als nächsten Schritt schaltet K. Bühler sozusagen eine stärkere Vergrößerung ein, die es ihm gestattet, die Verschiedenheit der einzelnen Relationen zu erkennen. Im Mittelpunkt steht wieder das konkrete Phänomen:
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Abb. 8. Das summierende Phänomen der MeMeKo (nach K. Bühler 1965)
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Modell Nr. 3
Abb. 9. Das kognitive Modell der MeMeKo (nach R. Jakobson 1962)
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Modell Nr. 4
Abb. 10. Kommunikationskette auf der Basis der Informationstheorie (nach C. Shannon 1950, mit Ergänzungen von R. K. Potapova) In diesem Modell wird berücksichtigst, daß jeder Kommunikant zugleich Sender und Empfänger ist. Die Menge des kommunikativen Repertoires eines Senders/Empfängers A und eines Senders/Empfängers B soll entweder eine allgemeine Durchschnittsmenge des Repertoires oder, unserer Meinung nach, eine Zone der Überlappung des Repertoires bilden. Modell Nr. 5
Abb. 11. Die psychologische Modell- oder Analogierelation als Beziehung zwischen zwei Systemen der Kommunikationspartner (nach W. Tack 1962) Dieses Modell stellt die Beziehung zwischen zwei Systemen dar, für die strukturgleiche partielle Homomorphismen existieren. Isomorphie bezeichnet in die-
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sem Fall eine umkehrbar eindeutige Abbildung, bei der alle Relationen erhalten bleiben. Die Abbildungen von A auf das gedachte Hilfssystem A' und von B auf B' sind dagegen partielle Homomorphismen. Modell Nr. 6 Wenn man Sprache als soziales Handeln definiert, so bedeutet das, daß die Sozialstruktur Art und Weise der Kommunikation beeinflußt: wie ein Adressant und ein Adressat die im sprachlichen Regelsystem liegenden Möglichkeiten auswählen und ihre Sprechweise realisieren. Dabei verwenden Kommunikationspartner aus verschiedenen sozialen Schichten unterschiedliche Planungsstrategien, die zu unterschiedlichen Sprechweisen führen.
Abb. 12. Soziale Planungsstrategien im Prozeß der MeMeKo (nach D. Kochan, W. Wallrabenstein 1974) Modell Nr. 7 (nach D. Wunderlich 1971: 328). Dieses Kommunikationsmodell schließt eine Reihe von Komponenten ein: – Situation; – konkrete Kommunikationspersonen (Persönlichkeitsspezifik); – Situationseinschätzung (Interpretation, Antizipation);
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Sprachkode; Rhetorik, Hermeneutik (System von pragmatischen Regeln zur Realisierung von Rollenverhalten); – Motive, Interessen; – Themenspezifik; – Rollenstruktur, Rollenhandlungen; – Kooperations- und Herrschaftsverhältnisse; – Institutionen der Gesellschaft, ökonomische Verhältnisse; – kulturell geprägte Umwelt; – Konvergenz und mögliche Divergenz. Gemeinsamer Gegenstand dieser Konzeption ist der Prozeß der Kommunikation im Gesamtsystem gesellschaftlicher Handlungen. Modell Nr. 8 (nach R. K. Potapova 1989c; 1997b). Das Kommunikationsmodell Nr. 8 schließt folgende Kommunikationsebenen ein: I. in bezug auf den Adressanten: – äußere Einwirkungsebene (biologische (z. B. Gewicht, Größe, Alter), soziale, kulturelle, situative, sozioökonomische Faktoren u. a.); – bewegende, anregende Ebene (Motiv, kommunikative Absicht, „sinnbildende Hauptaufgabe der Kommunikation“ nach K. S. Stanislavskij); – sinnkonstituierende Ebene (innere, immanente Sprachform) auf der Basis der existierenden Sprachformen; – neuronale Ebene: Programmieren der aktiven kommunikativen Tätigkeit (Wahl und Koordinierung der verbalen, nonverbalen, paraverbalen und extraverbalen Signale; Planen der motorischen Programme); – Ebene der Programmrealisierung und der Kontrolle (Rückkopplungsprozesse); – sprechrealisierende Ebene (Phonation, Artikulation); – Ebene der akustisch-optischen Kommunikation: Phonations- und Artikulationsgestik, nonverbale Gestik und Mimik, Augenmotorik, Proxemik; – Ebene der auditiven Kontrolle der eigenen Sprachleistung; – Ebene der interpretatorischen Selbstkontrolle. II. In bezug auf den Kanal: – akustische Ebene; – optische Ebene. III. In bezug auf den Adressaten: – Ebene der Funktion der sensorischen (akustischen und optischen) Rezeptoren;
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Ebene der vorphonologischen Analyse des akustischen Signals (neuronale Ebene); Ebene der phonologischen (phonematischen) Bewertung des akustischen Signals (Linguistik; Sprachverstehen); Ebene der prosodischen Bewertung des akustischen Signals (Linguistik und Paralinguistik, verbale und paraverbale Zeichen); Ebene der kommunikativen Bewertung des optischen Signals (nonverbale und extraverbale Kommunikation); Ebene der kommunikativen Interpretation der Sprach- und Sprechäußerung; Ebene der Bewertung der Kommunikationssituation; Ebene der Interpretation der kommunikativen Absicht des Kommunikationspartners, seiner Absicht und „sinnbildende Hauptaufgabe der Kommunikation“ des Kommunikationsziels.
VI.2. Kommunikationsstörungsfaktoren und einige Aspekte der Kommunikationswirkung Alle angeführten Kommunikationsmodelle zeugen davon, daß die Prozesse der Kodierung und Dekodierung des semiotischen Verhaltens der Kommunikationspartner im Kommunikationsakt MeMeKo höchst variabel sind. Die Kompliziertheit dieses Phänomens vergrößert sich, weil jede Kommunikationsebene durch eine Reihe unterschiedlicher Kommunikationsstörungsfaktoren charakterisiert ist. Die Grundlage jeder Mensch-Mensch-Kommunikation bilden zwei Aspekte des menschlichen Wesens: der materielle (biologisch-physiologische, biologisch-chemische, biologisch-physische Strukturen) und der ideelle (psychische, intellektuelle Prozesse). Alle Strukturen und Prozesse variieren von Mensch zu Mensch, was ebenfalls den Kommunikationsprozeß beeinflußt. In der Folge entstehen verschiedene biologisch-physiologische, psychische und intellektuelle Störungsfaktoren, die individuell bedingt sind (z. B. physiologische Abweichungen, psychische Pathologie, intellektuelle Variabilität). Es gibt verschiedene Quellen der Verhaltensvarianz, die die MenschMensch-Kommunikation beeinflussen und stören können. Dazu gehören (nach C. F. Graumann 1963) z. B.: – natürliche Aspekte der Umwelt (Wetter, Klima, atmosphärischer Druck, geographische Landschaft u. a.); – Nahrungsquellenzustand;
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Zugehörigkeit zu sozialen Institutionen (z. B. Familie, Religion, Erziehung u. a.); – eigentliche Aufgabe-Situation-Einschätzung (z. B. Konkurrenz vs. Kooperation); – physikalische Charakteristika der momentanen Situation (komfortabel vs. nicht komfortabel); – Beziehungen zwischen Personen in der Situation (neue bzw. bereits bestehende Verbindungen); – biologisch definierte Varianz (Geschlecht, Alter, Gewicht, Aussehen, physische Normalität/Abnormalität, Pathologie u. a.); – physikalische Widerstände (z. B. Entfernung); – ethnisch-kulturelle Faktoren (materielle und immaterielle Kultur). Außerdem ist der Kommunikationskanal durch verschiedene akustische und optische Parameter charakterisiert, was auch die Effektivität und den Wirkungsgrad der Kommunikation beeinflußt (z. B. das Vorhandensein akustischer und optischer Störsignale, akustische Parameter der Digitalisierung und Komprimierung des Sprachsignals usw.). Es ist zweckmäßig, zur Zahl der intellektuellen Kommunikationsstörungsfaktoren geringere intellektuelle Fähigkeiten der Person, schlechte Sprachkenntnisse, das Fehlen logischen Denkens u. a. hinzuzufügen. So ist z. B. nach japanischen Untersuchungen der durchschnittliche IQ des Menschen 90–110. Das gilt als Norm. Ein IQ unter 70 ist Ausdruck stark unterdurchschnittlicher Intelligenz. Einen IQ über 110 betrachtet man als Korrelat eines höheren Grades der Intelligenz, einen IQ über 130 als Korrelat von Genialität. Dabei spielen Kombinationsformen bei der Synthese der einzelnen Kompetenzen der Kommunikationspartner eine große Rolle. Je größer die Anzahl der konstanten Faktoren, desto genauer und effektiver die Kommunikation (Potapova, Potapov 2006). Man unterscheidet drei Hauptarten der Kommunikationskompetenz: thematische, intentionale und soziale, die folgende Faktoren einschließen: – pragmatische (in Hinblick auf das Nutzen der Resultate der Kommunikation, z. B. bei der sachbezogenen Kommunikation); – soziologische (hinsichtlich des sozialen Kontexts der Kommunikation; symmetrische/asymmetrische Kommunikation); – psycholinguistische (in Hinblick auf Besonderheiten der Kodierungs- und Dekodierungsprozesse); – räumlich-zeitliche (bezüglich Kontakt- oder Distanzkommunikation, „face-to-face“ oder „on-line/off-line“-Kommunikation). Alle genannten Faktoren beeinflussen den Kommunikationswirkungseffekt, der folgende Bestandteile einschließt (Issers 2006):
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– soziale (z. B. Begrüßung, Eid, Gebet); – willensmäßige (z. B. Befehl, Bitte usw.); – informierende (z. B. Erklärung); – bewertende und emotionale (z. B. Beleidigung, Anklage). Die Sprachwirkung kann sowohl intentional (mit Absicht) als auch nicht intentional (ohne Absicht) realisiert werden. Dabei ist für die intentionale Sprachwirkung folgendes typisch: – Vorhandensein von Autorität (der Person auf der höheren sozialen Stufe); – Manipulation (die maskierte Macht); – Argumentation; – Kraft, Gewalt (physische, psychische). In jeder konkreten Situation, in jedem konkreten Kommunikationsakt verwendet man zwei Hauptarten von positiven und negativen taktischen Mitteln: – psychologische; – kommunikative. Zur Zahl der negativen psychologischen taktischen Mittel gehören z. B. folgende (Pankratov 2001): – Reizen des Kommunikationspartners; – Verwendung unverständlicher unbekannter Wörter und Termini; – Beschleunigung des Gesprächstempos; – kategorische Behauptungen nach dem Muster „Das ist banal!“ Daraus ergibt sich, daß für alle Kommunikationsmodelle biologisch-physiologische, psychische und gesellschaftlich-intellektuelle Subsysteme typisch sind. Somit ist die Mensch-Mensch-Kommunikation sowohl biologisch-physiologisch als auch psychisch und gesellschaftlich-intellektuell determiniert (Peipmann 1976). Nach verschiedenen Schätzungen treten bei der Nachrichtenübertragung auch in der MeMeKo folgende Informationsflüsse auf: Aufgenommene Information in bit/sec: – im optischen Kanal 106 ... 107; – im akustischen Kanal 104; – über Schmerz- und Thermorezeptoren 106; – über taktile Rezeptoren 105. Man sieht, daß der optische Kanal der wichtigste ist. Für den akustischen Kanal ist die Informationsreduktion typisch. Daraus folgt, daß für den Kommunikationswirkungseffekt nicht nur die Sprache als Zeichensystem, sondern auch alle anderen Zeichensysteme relevant sind. Die Aufgabe der Wirkungsoptimierung wird noch komplizierter, weil für jedes Individuum ein bestimmtes Zeichensystem dominierend ist (z. B. optische Zeichen, akustisch-auditive Zeichen, kinetische Zeichen usw.).
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Für die Kommunikationsaktivierung eines Individuums, bei der optische Zeichen dominieren, ist es am wichtigsten, nonverbale Signale (Gestik, Mimik) zu verwenden. Es handelt sich um sogenannte Image-Kommunikation, die man heutzutage zu den effektivsten Kommunikationstypen zählt. Die Image-Kommunikation spielt eine besonders große Rolle unter Bedingungen des Zeitmangels, der Informationsknappheit und der Unaufmerksamkeit des Kommunikationspartners. Die Ergebnisse psychologischer und psycholinguistischer Experimente zeugen davon, daß im Laufe der ersten 10 sec. folgende Merkmale den ersten Eindruck vom Kommunikationspartner beeinflussen: – das Äußere des Partners: 55%; – die Stimme: 38%; – der Inhalt der Kommunikation: 7%. Wenn man die Hypothese von der führenden Rolle eines dominierenden Zeichensystems für jedes Individuum in Betracht zieht, erscheint es wünschenswert, für eine größere Wirkung nicht nur sprachliche und kulturelle, sondern auch psychische und intellektuelle Besonderheiten der Kommunikationspartner zu berücksichtigen. Außerdem werden folgende praktische Verfahren empfohlen: – Verwendung von Informationsmaterial, das schon früher genutzt wurde, mit neuen Akzentuierungen; – Allmähliche Verstärkung eines Signalparameters (z. B. des optischen nonverbalen Signals und/oder des akustischen verbalen bzw. paraverbalen Signals); – Die gesprochene Sprache soll durch alle Partner aufgenommen werden, d. h. daß die optimale Geschwindigkeit der auditiven Wahrnehmung im Durchschnitt nur einer sprechsprachlichen Einheit (z. B. einem Syntagma, einer Kette von Syntagmen) pro sec. entsprechen soll; – Die Kommunikation soll nach einer Reihe von kommunikativen Faktoren ausgerichtet sein (z. B. nach Gender, Alter, Beruf, Ausbildung, Konfession, Kultur, politischen Interessen u. a.); – Berücksichtigung des Vorhandenseins der psychischen (z. B. Emotionen) und intellektuellen Rückkopplung im Prozeß der Kommunikation; – Beherrschung der Normen der Etikette (z. B. in bezug auf die Höflichkeit) und mit Rücksicht auf intrakulturelle und interkulturelle Besonderheiten; – multimodale Art der Wirkung (z. B. soll die Verwendung der nonverbalen Signale etwa 65% betragen); – Eine besondere Rolle spielen kontaktaufnehmende Mittel (sowohl verbale als auch nonverbale und paraverbale). Neuere Informations- und Kommunikationstechnologien bieten die Möglichkeit, die MeMeKo als dreidimensionale Kommunikation zu bewerten (multilin-
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guale, multimodale und multimediale). Es ist zweckmäßig, hier noch eine Dimension hinzuzufügen, nämlich die multikulturelle, woraus sich eine vierdimensionale Kommunikation ergibt. All das vergrößert die Breite der Verfahren, die zum Ziel der Optimierung der Kommunikationswirkung führen. Die Mensch-Mensch-Kommunikation kann durch Mittel (sogar Manipulationen) der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) verstärkt werden (z. B. technische und künstlerische Formgestaltung, architektonische Kompositionen, Prozeßsimulation für Optimierungsaufgaben, interaktives Programmieren usw.). Die Möglichkeiten der optischen und akustischen Kanäle der Kommunikation erweitern sich, weil man mit Hilfe der IKT den Aufbau eines Abbildes der Außenwelt hat. Von den Objekten ausgehende informationstragende Signale (z. B. Lichtoder Schallwellen) erzeugen an den Rezeptoren der Empfangsorgane Reizzustände in Form von Energieverteilungen. Wahrnehmung heißt Aufbau eines relativ umfassenden internen Abbilds der Objekte. Durch IKT können störende bzw. unerwünschte Objekte oder Objektmerkmale unterdrückt werden. Die Aufmerksamkeit kann auf bestimmte Einzelheiten der Kommunikation gelenkt werden, die zur Präzisierung des Abbilds genauer analysiert werden kann. Komplexe Objekte können dabei in Bestandteile zerlegt werden (z. B. Bilder nach Kriterien der Nähe, das Timbre der Stimme nach Kriterien der Euphonie). Faßt man alle diese Überlegungen zusammen, so muß man zu dem Schluß kommen, daß: – MeMeKo auf biologischen, psychischen und geistigen (intellektuellen) Mechanismen beruht; – sprachliche, soziale und kulturelle Faktoren zusätzliche Eigenschaften der MeMeKo bilden; – das Phänomen der Kommunikationswirkung aufs engste mit der Absicht der Sprechenden verbunden ist; – das Hauptziel der Kommunikationswirkung darin besteht, die biologische (physisch-physiologische), psychische und intellektuelle Tätigkeit des Kommunikationspartners zu steuern (mit der Zieleinstellung in Einklang zu bringen); – das Potential der Kommunikationswirkung auf der Basis der neueren IKT vergrößert werden kann. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß das Phänomen der Kommunikationswirkung unserer Meinung nach durch eine mathematische Formel der funktionalen Abhängigkeit ausgedrückt werden könnte:
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y = f (x) Die Änderung der Größe x führt zur Änderung der Größe y, die als Funktion des Arguments x auftritt. In unserem Fall sind y der Wirkungseffekt (W ); x die Summe von Kommunikationsparametern (Σnp); n die Zahl der zu analysierenden Faktoren; p die Zahl der zusätzlich zu analysierenden Eigenschaften der Kommunikation. Der Wirkungseffekt läßt sich dann folgendermaßen darstellen: Wi = f (Σnp) Damit wäre es möglich, verschiedene Wirkungsvarianten zu klassifizieren, rangieren und systematisieren.
Zusammenfassung
Interkulturelle und intersprechsprachliche Kommunikation hat sich heutzutage in verschiedenen Gesellschaften der Welt zu einem Trendbegriff entwickelt. Die Forschung in diesem Bereich legt seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine stets wachsende Anzahl von Publikationen vor. Darunter trifft man sehr selten Publikationen zum Thema „Sprechsprachliche Kommunikation Deutsch-Russisch“ und meist nur in Form von Aufsätzen. Diese Monographie ist die erste grundlegende Veröffentlichung, die eine breit angelegte Systematisierung nicht nur von theoretischen Beschreibungen, sondern auch von Ergebnissen unterschiedlichster Experimente enthält. Dabei werden Taktik und Strategie der sprechsprachlichen Tätigkeit für die Kommunikation DeutschRussisch bezüglich Wahrnehmungsspezifik, verbaler, paraverbaler und nichtverbaler Kommunikation, Genderologie und Rhythmologie untersucht und beschrieben. Die einzelnen Kapitel des Buches spiegeln unterschiedliche Perspektiven des Forschungsgegenstands interkulturelle sprechsprachliche Kommunikation wider. Es wird gezeigt, daß Sprache nur von ihrer Funktion im kommunikativen Handeln her adäquat begriffen werden kann. Die Ergebnisse unserer Untersuchungen bestätigen die Theorie kommunikativer Kompetenz als Theorie der intersprechsprachlichen Handlungsfähigkeit, die durch das Modell „Kompetenz – Performanz“ aktualisiert wird. Im Buch werden zum ersten Male einzelne Aspekte der sprechsprachlichen Kommunikation Deutsch-Russisch behandelt, die im Rahmen interkultureller Kommunikation bzw. kommunikativer Strategien eine zentrale Rolle spielen.
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