Korruption, Gewalt und die Welt der Polizisten: Deutschland, Chile, Bolivien und Venezuela im Vergleich 9783964565877

Den Hauptteil der Studie bilden die Befragungen von Schutzpolizisten aus den Hauptstädten Chiles, Boliviens und Venezuel

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German Pages 424 Year 2007

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort und Einleitung
1. Der Befund: Rechtsbrüche und Gewaltakte von Polizisten
2. Die Methode: Wie erforscht man die Polizei?
3. Die Exploration: Geschichte und Struktur der Polizei(en)
4. Die Deskription: Die Perspektive der Polizisten im Alltagsdienst
5. Die Analyse: Polizeiliche Gewalt und Korruption in vier Ländern
Literatur
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Korruption, Gewalt und die Welt der Polizisten: Deutschland, Chile, Bolivien und Venezuela im Vergleich
 9783964565877

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Carola Schmid Korruption, Gewalt und die Welt der Polizisten Deutschland, Chile, Bolivien und Venezuela im Vergleich

Schriftenreihe des Instituts für Iberoamerika-Kunde • Hamburg Band 64

Carola Schmid

Korruption, Gewalt und die Welt der Polizisten Deutschland, Chile, Bolivien und Venezuela im Vergleich

Vervuert Verlag Frankfurt am Main 2007

Institut für Iberoameiika-Kunde - Hamburg

G l

A

GIGA German Institute of Global and Area Studies Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien Das Institut für Iberoamerika-Kunde bildet zusammen mit dem Institut für Asienkunde, dem Institut für Afrika-Kunde und dem Deutschen Orient-Institut die Stiftung GIGA German Institute of Global and Area Studies / Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg. Aufgabe des Instituts für Iberoamerika-Kunde ist die gegenwartsbezogene Beobachtung und wissenschaftliche Untersuchung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Lateinamerika. Das Institut für Iberoamerika-Kunde ist bemüht, in seinen Publikationen verschiedene Meinungen zu Wort kommen zu lassen, die jedoch grundsätzlich die Auffassung des jeweiligen Autors und nicht unbedingt die des Instituts darstellen.

Die vorliegende Arbeit wurde im März 2004 an der Philosophisch-Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg als Habilitationsschrift eingereicht.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. (Schriftenreihe des Instituts für Iberoamerika-Kunde, Hamburg; Band 64) ISBN 978-3-66527-228-7 D L: B-12.755-2007 © Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 2007 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Konstantin Buchholz Gedruckt auf säure- und chlorfrei gebleichtem, alterungsbeständigem Papier Printed in Cargraphics Printed in Spain

Inhaltsverzeichnis Vorwort und Einleitung

7

1.

Der Befund: Rechtsbrüche und Gewaltakte von Polizisten

13

1.1.

Korruption und andere Formen des illegalen Gelderwerbs

16

1.2. Polizeiliche Gewalt 1.2.1. Bundesrepubl ik Deutschland 1.2.2. Venezuela 1.2.3. Bolivien 1.2.4. Chile

31 31 44 51 56

2.

Die Methode: Wie erforscht man die Polizei?

63

2.1.

Das Forschungsprogramm und die Fallauswahl

64

2.2. Der Untersuchungsplan 2.2.1. Der Sonderfall BRD 2.2.2. Die methodologische Basis 2.2.3. Die Zugangsprobleme und der Zwang zum Pragmatismus 2.2.4. Die Auswahl der Erhebungsmethoden

68 68 70 72 74

2.2.5. Der Fragenkanon

76

2.2.6. Die praktische Vorgehensweise

82

2.3.

Die Datenlage

84

2.4.

Die Auswertung: „Dichte Beschreibung" und qualitative Inhaltsanalyse

85

3.

Die Exploration: Geschichte und Struktur der Polizei(en)

91

3.1. Geschichte und Struktur der deutschen Polizei 3.1.1. Die Geschichte der deutschen Polizei

92 92

3.1.2. Die Struktur der deutschen Polizei Exkurs 1: Die Polizei der DDR und deren Eingliederung in die bundesdeutsche Polizei nach der Wiedervereinigung Exkurs 2: Die Öffnung des Polizeiberufs für Frauen

98 105

3.1.3. Personalstärke, Rekrutierung, Ausbildung, Hierarchien

112

3.2. Geschichte und Struktur der chilenischen Polizei 3.2.1. Die Geschichte der chilenischen Polizei

122 122

109

3.2.2. Die Struktur der chilenischen Polizei

127

3.2.3. Personalstärke, Rekrutierung, Ausbildung, Hierarchien

131

3.3. Geschichte und Struktur der venezolanischen Polizei 3.3.1. Die Geschichte der venezolanischen Polizei

134 134

3.3.2. Die Struktur der venezolanischen Polizei

142

3.3.3. Personalstärke, Rekrutierung, Ausbildung, Hierarchien

148

3.4. Geschichte und Struktur der bolivianischen Polizei 3.4.1.Die Geschichte der bolivianischen Polizei

152 152

3.4.2.Die Struktur der bolivianischen Polizei

160

3.4.3.Personalstärke, Rekrutierung, Ausbildung, Hierarchien

163

4.

167

Die Deskription: Die Perspektive der Polizisten im Alltagsdienst

4.1. Wie wird man (ein guter) Polizist? Remedy-agents, crime-flghters und action-seekers 4.1.1. Wer wird Polizist?

168

4.1.2. Wie wird man Polizist?

181

4.1.3. Was ist ein „guter" Polizist?

191

168

4.2.

Geschichten vom polizeilichen Gegenüber: Gangster, Gauner und andere Bürger 4.2.1. Das Image der Polizei

197 198

4.2.2. Rückhalt in der Bevölkerung?

208

4.2.3.Tatverdächtige und Kriminelle

223

4.2.4. Exkurs: Polizeigewalt in Caracas

243

4.3. Gute oder schlechte Nachbarn: Justiz, Medien, Politik und Militär 4.3.1. Straftäter und Polizisten vor Gericht

254 254

4.3.2. Unausgewogene Medienberichterstattung?

261

4.3.3.Rückendeckung durch die Politik?

265

4.3.4.Militarisierte Polizei oder das Militär als (Hilfs-)Polizei?

269

4.4.

Die Polizisten und die Polizei: Kollegen, Vorgesetzte und Arbeitsbedingungen 4.4.1. Wie gut arbeiten andere Polizeieinheiten?

276

4.4.2. Die Verlässlichkeit von Vorgesetzten und Kollegen

285

4.4.3. Kolleginnen, „Politessen" oder Sekretärinnen?

298

276

4.4.4. Was die Arbeit behindert: Ressourcenmangel und Vorschriften

310

4.4.5. Warum die Polizisten (un-)zufrieden sind

323

5.

Die Analyse: Polizeiliche Gewalt und Korruption in vier Ländern

335

5.1.

Zum Befund und zum Aufbau der Analyse

335

5.2. Der Vergleich: Einstellungen von Polizisten und Merkmale von Polizeien 5.2.1. Was Polizisten oder Polizeien eint und wenig zur Erklärung von polizeilicher Gewalt und Korruption beiträgt 5.2.2. Differente Korruptionsniveaus

340 341

5.2.3. DifFerente Niveaus polizeilicher Gewalt

354

53.

371

Gewaltmonopol und Steuermonopol

Literatur

348

387

Creo que ese es el negocio de los medios de comunicación. Por ejemplo, nunca se han preocupado de ir a una comisaría y preguntar ,en esta semana qué carabinero salió lesionado'. Nunca se han preocupado de los carabineros lesionados, de cómo viven los carabineros, ni cómo perciben su situación los mismos carabineros. Siempre se preocupan de consultarle esto a los jefes, que son los oficiales, y no al personal que, el personal que es el que anda en la calle. Si no, porque ellos pueden decir que estamos muy bien, estamos trabajando con los medios adecuados (...). Hay que preguntarle al carabinero, al que está en la calle, a ese, cómo es su función policial, qué necesita, qué lo que está malo, qué está bueno, se es el que da respuesta precisas. Empezando desde abajo. (Carabinero de Chile: C 3)

Vorwort und Einleitung Dass „die" Polizei Lateinamerikas korrupt und brutal ist, ist bekannt. Jeder Reiseführer warnt vor lateinamerikanischen Polizisten, jeder heimgekehrte Tourist hat eine Geschichte von drohenden und Gelder einfordernden Polizisten zu erzählen. Immerhin begleitet die Korruption die Gesellschaften dieser Weltregion seit ihrer Kolonisierung, die Gewalttaten insbesondere lateinamerikanischer Militärregime machten internationale Schlagzeilen und an all dem sind und waren die jeweiligen Polizeien nicht unbeteiligt. Als dann Ende des 20. Jahrhunderts Lateinamerika von einer Demokratisierungswelle erfasst wurde, waren damit große Hoffnungen verbunden, auch die, die Polizei würde sich fortan an die Regeln halten. Aber diese Hoffnungen wurden in vielerlei Hinsicht enttäuscht. Mittlerweile macht sich die Erkenntnis breit, dass die Demokratisierung nicht zwangsläufig in eine Konsolidierung der Demokratie mündet, dass erhebliche „ilusiones sobre la consolidación" (Illusionen über die Konsolidierung. O'Donnell 1997) bestanden. Deshalb wird inzwischen in der wissenschaftlichen Literatur der Qualität der Demokratie jenseits ihrer deflnitorischen Minimalkriterien höchste Aufmerksamkeit gewidmet, darunter dem Zustand des Rechtsstaats. Eine bedeutende Akteurin des Rechtsstaats ist die Polizei, aus der Perspektive der Bevölkerung vielleicht sogar die bedeutendste, weil sie den Staat am nachdrücklichsten zu spüren bekommt, wenn sie mit der Polizei zu tun hat. Auf die Bedeutung dieser Institution für die Gesellschaften Lateinamerikas hat frühzeitig Peter Waldmann (1994) aufmerksam gemacht. Er war es auch, der das der nun vorliegenden Publikation zugrunde liegende Forschungsprojekt initiiert, Tagungen organisiert, Forschungsgelder akquiriert hat und er hat die Autorin über die Jahre hinweg kritisch betreut. Dafür sei ihm an dieser Stelle in aller Form gedankt. Finanziert hat das Projekt zuvorderst die VW-Stiftung, der, namentlich Hagen Hof, ebenfalls mein Dank für das entgegengebrachte Vertrauen 7

und die kooperative Zusammenarbeit gilt. Eine Vorbereitungstagung in Guatemala übernahm in finanzieller Hinsicht das CIEDLA in Buenos Aires und Norbert Lösing hat die Zusammenkunft organisiert. Aber gibt es überhaupt „die" korrupte und brutale lateinamerikanische Polizei? Das ist eine der Grundfragen dieser Studie. Ist die lateinamerikanische Polizei in allen Ländern gleich? Wo nimmt die Bindung der Polizisten an rechtliche Normen zu, wo gar ab? Und vor allem: was treibt Polizisten zu ihrem Handeln? Darüber erfährt man in der Regel wenig. An den die Polizei betreffenden rechtlichen Grundlagen liegt es selten allein. Wenngleich auf diesem Gebiet sicherlich Reformen anzustreben sind (vgl. das Projekt von Ambos), fehlt es im (formal-)demokratischen Lateinamerika des beginnenden 21. Jahrhunderts grundsätzlich weder an modernen Verfassungen noch an einem entsprechenden Polizeirecht, das deutet bereits der Titel des jüngst erschienen Buchs von Ambos (2003) an: La Policía en los Estados de Derecho Latinoamericanos (Die Polizei in den lateinamerikanischen Rechtsstaaten). Nur halten sich die Polizisten nicht an die rechtsstaatlichen Regeln, zu diesem Schluss kommt auch der die vierzehn Länderstudien des eben angesprochen Bandes zusammenfassende Malarino: En líneas generales puede concluirse que los ordenamientos jurídicos de los Estados latinoamericanos, aunque en ciertos aspectos deficitarios, poseen una normativa adecuada para conformar una policía al servicio de la comunidad, respetuosa de los derechos humanos y ajena a cualquier tipo de práctica delictiva. (...) Sin embargo se verifica en general una divergencia notoria entre el plano normativo y el plano práctico.1 (Malarino 2003: 6211)

Damit wird freilich fraglich, ob man überhaupt von lateinamerikanischen Rechtsstaaten sprechen darf. Diese Kluft zwischen Regelwerk und Praxis darf in vielen Ländern Lateinamerikas nicht gleichgesetzt werden mit der allerorts unvermeidlichen Diskrepanz zwischen Recht und Rechtswirklichkeit. Sicher kann es kein Recht geben, das nie gebrochen wird, es wäre gar unsinnig solches Recht aufzustellen, aber polizeiliche Gewalt und Korruption sind in manchen Ländern derart üblich, dass man sich jenseits der strikt normativen Perspektive nicht mehr sicher sein kann, was noch Abweichung und was schon Normalität ist, denn Normalität konstruiert sich in Alltagspraxis. Die normative Ebene kennen wir, aber die Alltagsebene lateinamerikanischer Polizisten kennen wir nicht. Wo über die lateinamerikanische Polizei geschrieben wird, erscheint die Institution oft wie eine unbemannte „black box". Dabei ist es äußerst sinnvoll, die Perspektive der Akteure kennenzulernen, denn erst das Wissen um die das Handeln jenseits des Rechts

„Grundsätzlich kann man sagen, dass die Rechtsordnungen der lateinamerikanischen Staaten, wenngleich sie in manchen Aspekten defizitär sind, angemessene Normen beinhalten, um eine Polizei zu schaffen, die der Gesellschaft dient, die Menschenrechte respektiert und sich von jeder illegalen Praxis fernhält." „Im Allgemeinen ist jedoch eine offensichtliche Diskrepanz zwischen der normativen Vorstellung und der Praxis festzustellen."

8

wirklich anleitenden Motive, Grundsätze, Einstellungen usw. macht sie überhaupt verhandelbar. Behr (2000a, 2000b; vgl. Steinert 1997) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen „Polizeikultur" und „Polizistenkultur". Die Polizeikultur, das ist das offizielle und manchmal veröffentlichte Bild, das die Polizei von sich selbst schafft. Über sie erfahrt man etwas, wenn man an der Spitze der Institutionen nachfragt. Die Polizistenkultur hingegen besteht aus den praxisbewährten Handlungsmustern normaler Straßenpolizisten. Über sie erfährt man nur dann etwas, wenn man diese Straßenpolizisten selbst fragt, ganz wie es der Eingangs zitierte chilenische Carabinero fordert. „Die" Polizisten Lateinamerikas zu befragen ist ein Ding der Unmöglichkeit, zu groß ist die Region. Eingegrenzt wurde die Befragung deshalb auf die Schutzpolizeien der Hauptstädte dreier Länder: Chiles, Boliviens und Venezuelas. Auf Schutzpolizisten, weil sie es sind, die den alltäglichen Streifendienst leisten und auf diese drei Länder, weil sie in einem unterschiedlichen Verhältnis zur Demokratie stehen und sich in ihrer ethnischen Zusammensetzung unterscheiden. Bolivien ist im Gegensatz zu den beiden anderen Ländern zu hohen Anteilen von indígenas besiedelt und politisch chronisch instabil. Chile hatte nach einer langjährigen Diktatur an der jüngsten Demokratisierungswelle teil. Venezuela schließlich ist eine der ältesten lateinamerikanischen Demokratien, zumindest konnte man das zu Beginn des Projekts so formulieren. Inzwischen ist dieses Land eher ein Fall für die Regressionsforschung. Um dem mit Lateinamerika nicht so vertrauten Leser Einblick in die politische Entwicklung dieser Länder zu geben, wurde den Befragungsergebnissen ein Kapitel (3.) vorangestellt, das die Geschichte dieser drei südamerikanischen Staaten zusammenfasst. Eingebettet darin sind zugleich Informationen über die Entwicklung und Struktur der Polizei in Chile, Bolivien und Venezuela. Der vierte Fall ist die Bundesrepublik Deutschland. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine deutsche Forscherin die Maßstäbe „ihrer" Polizei ohnehin implizit in die Interpretation der fernen Fälle einfließen lassen würde. Mit der Hineinnahme des deutschen Falles wird aus dem impliziten ein expliziter Vergleich. Am Anfang steht jedoch die Erhebung des Befunds (Kap. 1), der zum Resultat hat, dass eben nicht „die" lateinamerikanische Polizei korrupt und brutal ist. Für Venezuela trifft dies in der Tat in hohem Maße zu, für Chile nicht und Bolivien ist in der Mitte zwischen beiden Extremen anzuordnen. Beide Kapitel, der Befund und die Geschichte und Struktur der Polizeien in vier Ländern, werden in der abschließenden Analyse (Kap. 5) noch eine gewichtige Rolle spielen. Den Hauptteil der Studie macht aber die Perspektive der Polizisten im Alltagsdienst aus und um sie kennenzulernen mussten Interviews mit lateinamerikanischen Streifenpolizisten gefuhrt werden. Vor diesem Vorhaben wurde vielfach gewarnt. Entgegen steht ihm die Verschwiegenheit, für die polizeiliche Subkulturen in der Forschung sowieso bekannt sind, hinzu kommt noch, dass lateinamerikanische Polizisten wahrlich mehr zu verbergen haben als beispielsweise deutsche. Das könnte das Unternehmen auch gefährlich machen. Aber die

9

Polizisten haben geredet, mehr sogar und offener, als zu hoffen war. Das ist zum einen dem Fingerspitzengefühl unserer lateinamerikanischen Mitarbeiter zu verdanken: Felipe Mansilla, Isaac Caro, Yoana Monsalve Briceflo und Reynaldo Hidalgo Lopez, denen hiermit nochmals gedankt sei. Zum anderen ist es dem methodischen Weg geschuldet (Kap. 2), der gegangen wurde. Die zu erwartende Abwehrhaltung der Polizeiführung zwang dazu, die Erhebungsmethoden offen zu halten und den Genehmigungsbehörden ein Mitspracherecht einzuräumen, mithin pragmatisch vorzugehen. Zur Folge hat dies, dass aus den drei lateinamerikanischen Ländern ganz unterschiedliche Datenarten vorliegen: von offenen wörtlich transkribierten Interviews bis zu Angaben auf geschlossene Interviewfragen hin. 2 Manche Daten sind quantifizierbar, andere nicht, aber insgesamt entsteht ein aufschlussreiches Mosaik über die unbekannte Welt lateinamerikanischer Polizisten. An manchen Stellen gerät die Gegenüberstellung der Ergebnisse der quantifizierenden und der qualitativen Auswertung sogar zum methodischen Lehrstück über den „eigensinnigen Charakter der empirischen Welt" (Blumer 1973: 109). Wer zum Beispiel hätte gedacht, dass in zwei Ländern fast alle der sprichwörtlich machistischen südamerikanischen Polizisten es befürworten, dass mehr Frauen bei der Polizei eingestellt werden? Was diese damit meinen, geben erst die qualitativen Interviews preis: sie sollen den Straßenpolizisten die Verwaltungsarbeit und ähnliche unliebsame Tätigkeiten abnehmen. In Kapitel 4 werden dieses und die anderen Ergebnisse der Befragung in vier Themenblöcken dargestellt. Der erste dreht sich darum, wie man (ein guter) Polizist wird, der zweite um das Verhältnis zur Bevölkerung, zu Gangstern, Gaunern und anderen Bürgern. Dem folgt die Diskussion des Verhältnisses der Polizisten zu ihren Nachbarinstitutionen und zur Polizei selbst. Diese umfassende Deskription ist dabei bereits vergleichend angelegt, die Aussagen und Geschichten der Polizisten der untersuchten Länder werden laufend miteinander kontrastiert. Die abschließende Analyse (Kap. 5) zeigt: Es gibt sie, die Polizisten, und es gibt sie zugleich nicht. Die Polizisten haben einerseits international und nicht nur über Südamerika hinweg viel gemeinsam. Hierin zeigt sich die prägende sozialisatorische Kraft dieser gesellschaftlichen Spezialagentur fürs Grobe, die sich v.a. in einer Hinsicht von allen anderen Institutionen unterscheidet, dass ihre Mitglieder nämlich Gewalt ausüben dürfen und dies gegebenenfalls sogar müssen. Das fuhrt Polizisten in ihrer Relation zur sie umgebenden Gesellschaft in ein Dilemma, weil diese um der Reduktion von Gewalt willen von einer bestimmten Personengruppe - den Polizisten - verlangt, sie im Zweifel unmissverständlich und überlegen einzusetzen. Das folgt jedenfalls aus der Grundkonzeption des Gewaltmonopols. Andererseits gibt es „die" Polizisten nicht. Nicht nur 2

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Zu danken ist auch all denen, die mir bei den Ubersetzungen und der Redaktion geholfen haben. Die Erstübersetzungen stammen in der Regel von mir selbst, die der offenen chilenischen Interviews jedoch von L. Wehrmann. R. Keipl und A. Aichinger haben die Korrekturlesung des deutschen, J. Rausch die des spanischen Texts übernommen. Bei besonders schwierigen spanischen Passagen haben R. Steinitz und S. Fertig-Wesemann geholfen.

die Korruptions- und Gewaltlevel sind höchst divergent, sondern ebenso die Merkmale von Polizeien und Einstellungen von Polizisten. Diese stehen in einer engen Verbindung zu den jeweiligen gesellschaftlichen Hintergründen der korrupten und gewalttätigen Taten von Polizisten, besonders zur Ausprägung des Gewalt- und Steuermonopols der untersuchten Länder.

11

1. Der Befund: Rechtsbrüche und Gewaltakte von Polizisten Der Anlass der vorliegenden Studie sind Rechtsbrüche durch Polizisten, die Fälle also, in denen Polizeibeamte von Hütern der Rechtsordnung zu Straftätern werden und dabei oftmals das ihnen anvertraute Amt für private Zwecke ausnutzen. Solche kriminellen Akte kommen zwar überall vor, jedoch in unterschiedlicher Ausprägung und Häufigkeit. Am Anfang dieser Arbeit soll daher für Chile, Venezuela, Bolivien und die Bundesrepublik Deutschland ein Befund erhoben werden, der es erlaubt, sich einen Überblick über die Quantität und Qualität der Rechtsbrüche durch Polizisten in diesen Ländern zu verschaffen. Dies ist freilich nicht ganz einfach: aussagekräftige Quellen sind in vielen Ländern spärlich und selten dergestalt, dass sie einen direkten internationalen Vergleich zulassen würden, etwa im Sinne einer Gegenüberstellung von spezifisch auf die Polizei bezogenen Kriminalstatistiken. Inhaltlich können Straftaten durch Polizeibeamte prinzipiell sämtliche in Strafgesetzbüchern definierte Tatbestände umfassen, am gravierendsten sind aber ohne Zweifel der unverhältnismäßige Gewalteinsatz sowie korrupte Praktiken, die deshalb im Vordergrund der folgenden Ausführungen stehen. Da aber auch diese Delikte empirisch schwer zu fassen sind, müssen dem Befund einige allgemeine Bemerkungen zur Datenlage vorangestellt werden. Im Hinblick auf die Korruption muss in Betracht gezogen werden, dass sie selten angezeigt wird und mithin in Kriminalstatistiken zwar vorkommt, aber keineswegs angemessen abgebildet wird. Einer der Hauptgründe hierfür liegt in der Natur der Korruption selbst und zwar insofern, als sich in der Regel beide beteiligten Parteien, jene die das Geld oder die Leistung anbietet sowie jene, die es annimmt, strafbar machen und ebenfalls beide einen persönlichen Nutzen aus dem korrupten Akt ziehen. Keiner von beiden wird folglich ein Interesse an einer Anzeige der Tat haben. Das eigentliche Opfer, z.B. bei der Vergabe von Aufträgen unter der Hand und gegen entsprechende Schmiergelder, ist der Staat bzw. die Allgemeinheit, die von der Tat keine Kenntnis haben und deshalb keine Anzeige erstatten können. Diese grundsätzliche Problematik führt dazu, dass nur ein Bruchteil der Korruption registriert wird und deshalb mittels offizieller Zahlen wenig Uber die Verbreitung der Korruption in den betreffenden Ländern gesagt werden kann, geschweige denn, dass man durch sie erfahren würde, inwieweit die Polizei in die Korruption verstrickt ist. In der Bundesrepublik gibt es immerhin einige wenige empirische Erhebungen, bei denen Polizisten nach ihren Erfahrungen mit Korruption gefragt wurden. Sie werden im folgenden ersten Kapitel (1.1.) gemeinsam mit den erreichbaren Daten aus Südamerika referiert. Über den südamerikanischen Kontinent und insbesondere die drei untersuchten Länder sind zwar kaum wissenschaftlich-empirische Daten zur Korruptionsanfälligkeit der Polizei zu finden, es gibt 13

jedoch Erfahrungsberichte, Presseartikel, Einschätzungen von Fachleuten sowie theoretische Studien. Darüber hinaus ist es seit einigen Jahren möglich, auf eine ambitionierte international vergleichende Studie von Transparency International (2000) zurückzugreifen, die auch die hier untersuchten Länder beinhaltet. Diese Studie erlaubt es zwar nicht, auf die Verwicklung der Polizei selbst in die Korruption zu schließen, weil sie nur in allgemeiner Weise nach der wahrgenommenen Häufigkeit derselben fragt, sie vermag aber den Grad der Durchdringung dieser Länder mit Korruption darzustellen. Eingehen werden in das Kapitel über die Korruption zusätzlich Informationen Uber strafbare Handlungen, die zwar nicht eindeutig der Korruption zuzuordnen sind, aber ebenfalls Formen des illegalen Gelderwerbs im Amt und unter Ausnutzung öffentlicher Ressourcen darstellen. Das zweite Kapitel der Befunderhebung (1.2.) wird sich mit Gewalttaten von Polizisten beschäftigen, die von Schlägen bis hin zu Tötungen reichen können. Zu berücksichtigen ist zudem, dass prinzipiell zwischen legaler und illegaler Polizeigewalt zu unterscheiden ist, ist der Beruf des Polizisten doch gerade durch seine spezifische Gewaltermächtigung einerseits charakterisiert, andererseits jedoch begrenzt durch Gesetze, die, wie immer sie in einzelnen Ländern lauten, im allgemeinen vom Grundsatz der Angemessenheit der Mittel (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) ausgehen. Nachdem Grenzziehungen wie letztere aber unter den Bedingungen der lateinamerikanischen Korruption und impunidad (Straflosigkeit) extrem unzuverlässig sind, wurde auf sie bei der Analyse weitgehend verzichtet. Die meisten Daten über Gewalthandlungen südamerikanischer Polizisten sind auch gar nicht geeignet eine Aussage darüber zu treffen, ob es sich bei ihnen um illegale Gewalt handelt oder nicht. Eine Ausnahme davon stellen nur manche Einzelfallschilderungen dar, in denen offensichtlich wird, dass die Polizisten die Grenze der Legalität überschritten haben. Dabei ist zusätzlich zu bedenken, dass letztlich auch die für legal erklärte polizeiliche Gewalt de facto Gewalt ist und Aufschluss über das Gewaltklima zwischen Polizei und Bürgern gibt, zunächst unabhängig davon, von welcher Seite aus die Gewaltspirale jeweils in Gang gesetzt wird. Denn generell ist auch in Rechnung zu stellen, dass Polizisten von Bürgern angegriffen werden können und Gewalt als Mittel der Selbstverteidigung einsetzen. Chevigny (1991; vgl. Ales/Donza/Palmieri 2002) hat versucht dies zu berücksichtigen, indem er die Gewalttaten von Polizisten ins Verhältnis zu den an Polizisten verübten Gewalttaten setzt. So hat er zum Beispiel für eine Reihe von Ländern die Häufigkeit von Tötungen durch Polizisten einerseits mit der Tötung von Polizisten andererseits verglichen. Dieses Verhältnis betrug etwa in den brasilianischen Metropolen (1982 - 1987) rund 1 0 : 1 , in Buenos Aires (1983 - 1985) 25 : l, 3 während für die USA ein Wert von „nur" 3

Eigene Berechnungen auf der Basis der Daten von Chevigny (1991: 200ff.). In Jamaika betragen die Jahresdurchschnitte z.B. (1979 - 1988): 208 von der Polizei getötete Bürger; 10,5 von Bürgern getötete Polizisten; 445 von Bürgern getötete Bürger. In Säo Paulo und Rio de Janeiro betragen die Jahresdurchschnitte (1982 - 1987), 397 von der Polizei getötete Bürger; 39 von Bürgern getötete Polizisten. In Buenos Aires wurden zwischen Dezem-

14

5 : 1 errechnet wurde. 4 Solche Daten vermögen zu zeigen, dass sogar unter Berücksichtigung der Angriffe, denen die Polizisten selbst ausgesetzt sind, Bürger in Konfliktsituationen in den entsprechenden Jahren in Argentinien und Brasilien unverhältnismäßig oft getötet wurden. Für die Bundesrepublik könnten solche Messzahlen ebenfalls errechnet werden, weil seit den vierziger Jahren Statistiken über von der Polizei getötete Bürger ebenso gefuhrt werden wie solche über im Dienst zu Tode gekommene Polizisten. 5 Aus den in die Studie aufgenommenen südamerikanischen Ländern sind hingegen keine dementsprechend verlässlichen Zahlen zugänglich. Die Behörden sammeln bzw. veröffentlichen noch nicht einmal Informationen über getötete Polizisten, von in Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften getöteten Bürgern ganz zu schweigen. Deshalb kommen hauptsächlich die Daten internationaler und nationaler Menschenrechtsgruppen in Frage, wenn man sich Uber die Gewalttaten der Polizisten vor Ort einen Überblick verschaffen will. Diese Organisationen nehmen aber nur in Ausnahmefällen Quantifizierungen vor. Bei diesen Ausnahmen handelt es sich z.B. für den venezolanischen Fall um PROVEA (Programa Venezolano de Educación - Acción de Derechos Humanos 2000, 1997) und für den chilenischen um CODEPU (Comité de Defensa de los Derechos del Pueblo 1994a, 1994b).6 Aus Bolivien ist keine vergleichbare Institution bekannt. 7 Regelmäßig berichten über die Menschenrechtslage aller vier für diese Studie ausgewählten Länder verschiedene internationale Organisationen. Diese Regelmäßigkeit sowie das internationale Vorgehen haben gegenüber anderen Materialien den entschiedenen Vorteil, dass alle Fälle gemäß ähnlicher Kriterien beurteilt werden, so dass Vergleiche zulässig sind. Zudem können die Angaben in den beiden ausgewählten Hauptquellen, amnesty international (2000e) und das US Department of State (2000), miteinander konfrontiert und so überprüft werden. Dokumentiert wird von diesen beiden Institutionen die gesamte Palette polizeilicher Übergriffe und ein guter Teil dessen wird in dem ent-

ber 1983 und Juli 1985 304 Zivilisten von der Polizei getötet. Im selben Zeitraum wurden 12 Polizisten von Bürgern getötet (Chevigny 1991: 200ff.; vgl. Schmid 1997a). 4

Für Venezuela (1982 - 1986) wurde von Gabaldón (1996: 272) ein Wert von 3,45 : 1 berechnet, er dürfte aber nicht mehr aktuell sein, wie die Ausfuhrungen in Kap. 1.2.2. zeigen werden.

5

Sie werden von der Polizei-Führungsakademie geführt, begleitend kann man auf die Daten der unermüdlich recherchierenden Gruppe um die Zeitschrift CI LI P/Bürgerrechte und Polizei zurückgreifen (z.B. Pütter 1999). In der Bundesrepublik wurden seit 1950 jährlich zwischen 5 und 24 Menschen von der Polizei und zwischen 0 und 15 Beamte von Bürgern getötet (Jäger 1988: 8, 18; vgl. Kap. 1.2.1.)-

6

Außerdem für Chile um die Equipo Nizkor (1997), die sich allerdings hauptsächlich mit der chilenischen Militärdiktatur beschäftigt, nicht hingegen mit der Zeit danach.

7

Sehr gut ist die Datenlage hingegen für Brasilien. Zusammengetragen werden die Informationen dort v.a. von den Mitarbeitern des Núcleo de Estudos sobre Violéncia (Säo Paulo) und des ISER (Instituto de Estudos da Religiäo/Rio de Janeiro) (Pinheiro 1991, 1999; Chevigny 1991, 1995, 1999; Mingardi 1992, 1996, 1997; A d o m o 1993, 1995; Cano 1997, 1998). 15

sprechenden Kapitel auch dargestellt werden, das analytische Hauptaugenmerk wird aber aus pragmatischen Gründen auf den drastischsten Formen der polizeilichen Gewalt liegen, auf der Folter in Polizeigewahrsam sowie auf Tötungen durch Sicherheitskräfte. Beide Organisationen publizieren hauptsächlich Einzelfallberichte, die grundsätzlich eine nachträgliche Quantifizierung zulassen, dies ist aber bei Folter und Tötungen aussichtsreicher und zuverlässiger als bei geringgradigeren polizeilichen Gewalteinsätzen. Überprüft werden die Ergebnisse wo dies möglich ist nochmals mittels der Daten der oben genannten nationalen Menschenrechtsorganisationen. Insgesamt wird demnach für die polizeiliche Gewalt (1.2.) ebenso wie für die Korruption (1.1.) ein verschiedenste Quellen berücksichtigendes Gesamtpanorama für jedes Land erstellt. Im ersten der abschließenden Kapitel (5.1.) wird die Situation in den vier Ländern dann zusammenfassend und vergleichend dargestellt werden, weil der Befund dort als Basis der Analyse der Interviews mit den Polizisten dient.

1.1. Korruption und andere Formen des illegalen Gelderwerbs Korruption ist, d a r a u f h a t Pritzl hingewiesen (1997), eher ein sozial- als ein rechtswissenschaftlicher Begriff, deshalb sucht man nach ihm in der Mehrzahl der Strafgesetzbücher vergebens. In der Bundesrepublik wird das, was man gemeinhin unter Korruption versteht, in den §§ 331-334 des StGB abgehandelt, unter Bestechung und Bestechlichkeit sowie Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung (vgl. Vahlenkamp 1995; Knauß 1995). Die bekannt gewordenen Delikte, die unter diese Paragraphen fallen, werden gemeinsam mit den Straftaten nach dem § 12 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) (vgl. Vahlenkamp 1995; Knauß 1995) inzwischen in der polizeilichen Kriminalstatistik der Bundesrepublik sogar gesondert ausgewiesen. 8 Aus diesen Aufzeichnungen kann man allerdings keine Schlussfolgerungen hinsichtlich der Entwicklung der Korruption ableiten, v.a. wegen des oben bereits angesprochenen extrem großen Dunkelfelds. Erschwerend kommt hinzu, dass die genannten Straftatbestände der Bestechlichkeit, Vorteilsnahme usw. viele Handlungen nicht umfassen, die gemeinhin als korrupte Akte begriffen werden (können). 9 Dieselben Einschrän-

g Seit 1994 in der PKS (Polizeiliche Kriminalstatistik) des BKA, in Bayern bereits vorher (Zachert 1996; Vahlenkamp 1995; Knauß 1995). S.u.; auch werden die Delikte nach den §§ 331-334 StGB häufig von Betrug, Urkundenfälschung, Strafvereitelung im Amt usf. begleitet. Auf der Basis der PKS können diese Delikte aber nicht in einen Zusammenhang mit Korruption gebracht werden, weil die PKS es nicht zulässt, Betrugsdelikte u.a. im Zusammenhang mit Korruption von „normalen" Betrugsdelikten zu unterscheiden (Knauß 1995).

16

klingen betreffen auch die in lateinamerikanischen Kriminalstatistiken ausgewiesenen Korruptionsfälle. 1 0 In sozialen und sozial wissenschaftlichen Kontexten ist eine Vielfalt an Korruptionsdeflnitionen auszumachen (vgl. Liebl 2000). Z.B. hat Birkbeck hervorgehoben, dass die venezolanische Bevölkerung dazu neigt nicht nur Bestechung bzw. Bestechlichkeit, sondern gleichermaßen Steuerhinterziehung, die Unzufriedenheit mit der wenig effizienten Bürokratie usf. als Ausdruck von Korruption zu begreifen und im Alltag als solche zu bezeichnen (Birkbeck 1992: 118). Ebenfalls sind die in der Fachliteratur vorgeschlagenen Definitionen von unterschiedlicher Reichweite und unterschiedlichen Gehalts, was vor allem daran liegt, dass die Korruption selbst ein äußerst schillerndes und folglich begrifflich schwer zu fassendes Phänomen ist: der sich seit längerem mit Korruption beschäftigende Forscher Little sprach hinsichtlich dieser Problematik gar von einem „Minenfeld" (Little 1992: 4 2 ) . " Diese Definitionsdiskussion soll hier aber nicht im Einzelnen verfolgt werden, 1 2 stattdessen sei auf eine der breitesten Korruptionsdefinitionen verwiesen, die zugleich eine klassische ist. Senturia bezeichnete 1931 Korruption als die „mißbräuchliche Inanspruchnahme eines öffentlichen Amtes fllr private Zwecke" (Senturia 1931: 449; vgl. Pritzl 1997: 19; Liebl 2000; Höffling 2000). D.h. es ist erstens davon auszugehen, dass mindestens eine der beteiligten Personen ein öffentliches Amt innehat, zweitens, dass die Art der Ausnutzung der mit dem Amt verbundenen Befugnisse illegal ist und drittens, dass dabei ein privates Ziel verfolgt wird und nicht das Gemeinwohl. Der private Zweck kann die direkte Aneignung von Geld sein, aber auch die eines „Vermögenswerten" oder sonstigen Vorteils. Diese Definition umfasst die wichtigsten Erscheinungsformen der Korruption, die lt. Pritzl drei Grundtypen zugeordnet werden können: Bestechung und Erpressung, Unterschlagung und Veruntreuung sowie Patronage (Pritzl 1997: 5 7 f f ) . Sie seien im Folgenden vorgestellt um die Sensibilität für das facettenreiche Geschehen zu vergrößern. Patronage meint die Bevorzugung eines bestimmten Personenkreises (z.B. Familie, Freunde, Ethnie usw.) beim Zugang zu einem Amt oder zu einer Leistung eines Amts. Zwar ist diese Form der Korruption relativ unauffällig und sie wird im Alltagsverständnis nicht zwangsläufig als Korruption bezeichnet oder wahrgenommen, ein geldwerter Vorteil für die Beteiligten ist aber ohne Zweifel gegeben und die Interessen des Amts werden dabei oft hintangestellt. In Lateinamerika ist die Patronage sogar von großer Bedeutung, weil sie als vergleichsweise selbstverständlich gilt. Der Polizeiberuf ist dafür zudem anfällig, da Poli10

Vgl.: Pritzl (1996: 48), der zugleich daraufhinweist, dass die Strafgesetzbücher vieler lateinamerikanischer Länder im Hinblick auf die Korruption den europäischen ähneln; zu den polizeilich erfassten Korruptionsdelikten in Venezuela vgl. Birkbeck (1992).

11

Vgl. zu Erscheinungsformen der Korruption z.B. Liebl (2000).

12

Die einschlägige Literatur dazu wird z.B. von Transparency International (2000) zusammengestellt. Speziell mit lateinamerikanischem Bezug: Little/Posada-Carbö (1996); Pritzl (1996).

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zisten nicht selten die Gelegenheit haben, ihnen nahestehende Personen spezifisch nachsichtig zu behandeln. An diesem Beispiel zeigt sich des Weiteren ein wichtiges Charakteristikum der Korruption, nämlich dass sie sich nicht nur in aktivem Tun sondern desgleichen in Duldung oder Unterlassen äußern kann. Die zweite Form der Korruption subsumiert die Unterschlagung und die Veruntreuung. Öffentliche Gelder werden dabei zweckentfremdet und zum privaten Nutzen beiseite geschafft. Besonders hohe Summen gehen durch die sog. kick-backVerfahren verloren (s.u.). Z.B. sprechen bei Auftragsvergaben Unternehmer mit Mitarbeitern der zuständigen Behörde überhöhte Preise ab, die überschüssige Summe, um die der Staat betrogen wurde, wird später zwischen den Beteiligten aufgeteilt. Praktikabel sind solche Vorgehensweisen auch bei Fördergeldern u.ä. Eine von Polizisten leicht zu praktizierende Form der Korruption ist die Dritte, die die Bestechung und die Erpressung beinhaltet. Die einfache Bestechung ist gekennzeichnet durch die Freiwilligkeit, mit der beide Beteiligten in die Korruptionshandlung einwilligen. Einigen sich etwa ein Polizist und ein Verkehrssünder auf eine „Geldstrafe" die unter dem offiziellen Satz liegt, so sind beide im Vorteil: der Polizist kann die ausgehandelte Summe einstreichen und der Beschuldigte kommt billiger weg als bei einem legalen Vorgehen des Polizisten. Darüber hinaus kann die Bestechung eine große Zahl konkreter Erscheinungsbilder annehmen, die eng mit dem jeweiligen Amt zusammenhängen. Mal wird es sich um die Beschleunigung einer Amtshandlung handeln, mal um ihre Verzögerung oder Unterlassung, mal ist der Beamte passiver, mal aktiver Part. Bei der Erpressung schließlich setzt einer der Beteiligten einen Machtvorteil ein und zwingt sein gegenüber zur Erbringung einer Leistung. Gerade bei Polizisten ist es unmittelbar einleuchtend, dass sie aufgrund der ihnen zugestandenen Spezialermächtigung sowie ihrer Definitionsmacht Leistungen äußerst nachdrücklich einfordern können. Aber auch bei der Vergabe von staatlichen Genehmigungen, die für den Antragsteller eine hohe Bedeutung haben können, ist der Weg von der ausgehandelten Bestechung zur simplen Erpressung kurz. Dies trägt zu einem speziellen Zug der Korruption bei, ihrer ansteckenden Wirkung und ihrer Tendenz sich zu Systemen zu verflechten. So kann ein früherer korrupter Akt eines Beamten schon beim nächsten Zusammentreffen zum Machtmittel für Mitwisser werden, die dann ihrerseits den Beamten erpressen usf. Analog zu dieser Differenzierung von Bestechung und Erpressung wird laut Freda Adler in den USA im Polizeijargon übrigens zwischen grass eaters und meat eaters unterschieden (Adler u.a. 1995: 429). Während die „Pflanzenfresser" Gelder akzeptieren und dafür „ein Auge zudrücken", wird das Geld von den „Fleischfressern" aktiv einverlangt und sie sind darüber hinaus oftmals bereit, mit Kriminellen direkt zusammenzuarbeiten. Ist es schon mühsam, systematisches und aussagekräftiges Material über die Korruption im Allgemeinen zu beschaffen, so sucht man nach spezifischen Angaben über die Situation bei der Polizei oft vergebens. Dies gilt schon für die BRD und in noch verstärktem Maße für Lateinamerika. Eine wichtige Quelle 18

sind deshalb die Massenmedien, wobei man jedoch nie aus den Augen verlieren darf, dass diese hauptsächlich über größere Skandale berichten. Die gesamte kleine, alltägliche Korruption findet wenig Aufmerksamkeit, es ist jedoch davon auszugehen, dass dort, wo die große Korruption blüht, auch die kleine gedeiht. Deshalb kann aus den medialen Berichten zumindest ein Mosaik zusammengesetzt werden, das einen Einblick in die polizeilichen Praktiken der einzelnen Länder vermittelt. Gerade im Hinblick auf die drei südamerikanischen Länder sind dies mit die wichtigsten Informationsquellen (s.u.), vorab und gleichsam als Kontrastfolie sollen aber noch einige darüber hinausgehende Daten aus der BRD vorgestellt werden. In der Bundesrepublik finden sich sogar in Polizeizeitschriften Artikel über die Korruption. In der Mehrzahl wird dort aber nicht die polizeiliche Korruption thematisiert, sondern die Korruption in anderen Behörden, wobei die Autoren die Position von Fachleuten bei der Korruptionsaufdeckung und -Verfolgung einnehmen (Fätkinhäuer 1995; Roth 1997; Bleibtreu 1994; Walter 1993; Berg 1997). Als besonders korruptionsanfällig werden „Genehmigungsbehörden mit dem Schwerpunkt auf öffentliche Auftragsvergaben" (Holecek 1995b: 3; vgl. Zachert 1996; Roth 1997; Stüllenberg 1993) herausgestellt, insbesondere die mit der Baubranche befassten Behörden. Im Mittelpunkt der Artikel steht zudem die nicht von der Hand zu weisende Gefahr, dass die Korruption ein „Einfallstor" {Deutsche Polizei 1996c) oder eine „Andockstelle" (Sielaff 1992: 355; vgl. Walter 1993) für die organisierte Kriminalität darstellen kann. Immerhin lässt sich laut Brucken (1994) belegen, dass in Niedersachen im Jahre 1993 bei rund 27% der Verfahren im Rahmen der organisierten Kriminalität „eindeutig eine Einflußnahme der Täter auf die öffentliche Verwaltung oder die Politik festgestellt" wurde. 13 Wie weit die Korruption in der Bundesrepublik wirklich verbreitet ist, darüber gehen die Meinungen freilich auseinander, zumal solche Aussagen nur auf Schätzungen beruhen können. In der Mehrzahl der Publikationen innerhalb der Polizeizeitschriften wird ein recht hoher Verbreitungsgrad angenommen und ein Fachmann wie der Staatsanwalt W. Schaupensteiner kommt zu dem Schluss:

1:1

D.h. in 14 von 52 Verfahren (Bruckert 1994: 24). Etwas niedriger fallen die Angaben von H. Stüllenberg (1993: 24) aus, der sich auf Daten des Bundeskriminalamts stützt. Demnach wurden z.B. bei rd. 4 5 0 Verfahren im Rahmen der organisierten Kriminalität in jedem 6. Verfahren Verbindungen zu (oder mit) Beamten festgestellt. Angaben zum Berichtszeitraum macht Stüllenberg nicht.

19

Es handelt sich nicht nur um einzelne schwarze Schafe, sondern Korruption ist flächendeckend und auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung wie auch der Privatwirtschaft anzutreffen. Sie ist als Teil der organisierten Wirtschaftskriminalität fest etabliert. (Deutsche Polizei 1996c: 32)14

Von der Regel, dass nur selten über Korruption in der Polizei selbst berichtet wird, gibt es zwei hervorhebenswerte Ausnahmen. Das ist zum einen eine Publikation des Leiters des LKA Hamburg, Sielaff, der sich über „Bruchstellen im polizeilichen Berufsethos" (Sielaff 1992: 351) äußert, zum anderen eine neuere empirische Erhebung, bei der Polizisten zu ihren Erfahrungen mit „eindeutigen Angeboten" befragt wurden (Holz 1997). Sielaff befasst sich neben den Korruptionspraktiken im Umfeld der organisierten Kriminalität auch mit weniger spektakulären Fällen und legt eine ebenso ausführliche wie schonungslose Liste von Verfehlungen von Polizisten vor, deren Authentizität zwar nicht behauptet wird, die aber einen Erfahrungshintergrund haben dürften. Darunter sind solche, die sich in der „Grauzone zwischen rechtlich noch Zulässigem und disziplinar- und strafrechtlich Verbotenem" (Sielaff 1992: 354) abspielen und solche, die ohne Zweifel korrupte Praktiken darstellen. So gelten die oftmals unvermeidlichen beruflichen Kontakte von Polizisten ins Rotlichtmilieu als gefährdend, darüber hinaus spricht Sielaff von engen persönlichen Beziehungen mancher Polizisten zum kriminellen Milieu (Liebesbeziehungen, gemeinsame Urlaube etc.) sowie von Nebentätigkeiten in Szenelokalen, die Einflussnahmen begünstigen können. Unter den echten Korruptionsfällen finden sich in Sielaffs Liste der Verkauf von polizeiinternen Daten, die Wiederbeschaffung beschlagnahmter Führerscheine gegen Bezahlung oder von Aufenthaltsgenehmigungen für Prostituierte gegen entsprechende Dienste, der Schutz von Betreibern illegalen Glücksspiels gegen vierstellige Summen usf. (Sielaff 1992: 354f.; vgl. Walter 1993: 18ff.; Raisch 1995; Der Spiegel 1999c). Die Ausfuhrungen von Sielaff lassen selbstredend keine Schlüsse darauf zu, wie verbreitet solche Praktiken sind. Dagegen zeigt die empirische Untersuchung von Holz, dass viele der über 250 von ihm befragten Polizisten Erfahrung mit Korruptionsangeboten haben: 19% der Befragten bejahten die Frage, ob „Sie sich schon einmal durch „eindeutige Angebote" beeinflusst gefühlt" (Holz 1997: 409) haben. Dies erscheint um so mehr, wenn man bedenkt, dass in der zitierten Originalfragestellung nicht von einer versuchten Einflussnahme durch Bürger die Rede ist, sondern von dem Gefühl der Polizisten, beeinflusst worden zu sein. Trotzdem sollte diese Angabe nicht überbewertet werden, da sich die Frage auf

14

20

Vgl. die ähnlichen Positionen in: Zachert (1996: 8ff.), Stüllenberg (1993: 23ff.), Walter (1993), Berg (1997). In einigen wenigen Artikeln wird diese Auffassung weniger pointiert vertreten. Meist sind es jene, in denen über die Polizei selbst berichtet wird (Die Neue Polizei 1992b: 453; Bruckert 1994: 424f.; Händel 1993: 25ff.).

die gesamte langjährige Berufspraxis 15 der von ihm Befragten bezieht. In einer weiteren Frage hatten die Polizisten Gelegenheit anzugeben, um was für Angebote es sich konkret handelte. Von denen, die zuerst mit „Ja" geantwortet hatten, meinte etwa die Hälfte, 16 dass ihnen dies während der Erfüllung verkehrspolizeilicher Aufgaben passiert ist: Geldangebote vor Entzug der Fahrerlaubnis oder nach der Beauftragung bestimmter Abschleppunternehmer beliefen sich dabei regelmäßig auf drei bis vierstellige Summen. Angeboten werden aber auch Einladungen zum Essen und ,Sex'. (Holz 1997: 4 0 9 )

Neben den „eindeutigen Angeboten" geht es in Holz Fragebogen um „kleine Aufmerksamkeiten", die der Mehrheit der Polizeibeamten geläufig zu sein scheinen. Es geht dabei vor allem um Geschenke, meist Alkoholika, verbilligte Verpflegung, Rabatte bei Einkäufen und Vermittlungsprovisionen, etwa von Abschleppunternehmen oder von Unternehmen, die Mietwagen verleihen, was v.a. nach Autounfällen interessant ist (Holz 1997: 410). Wenngleich diese Studie von Holz geeignet ist, Licht in das Dunkel polizeiinterner Erfahrungen mit Korruption zu bringen, kann man auch aus ihr trotzdem nicht exakt ableiten, wie verbreitet Korruption in der deutschen Polizei ist. Einige Autoren folgern, die bundesdeutsche Polizei sei hinsichtlich der Korruption nicht besser und nicht schlechter als andere. Z.B. meint Bleibtreu: „Nun ist es keine Frage, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr oder weniger korrupt ist oder Straftäter im öffentlichen Bereich birgt, als jedes andere Land" (Bleibtreu 1994: 290; vgl. Bruckert 1994: 424f.). Dem sei energisch widersprochen, denn die bundesdeutschen Polizisten sind ohne Zweifel weniger bestechlich als ihre südamerikanischen Kollegen. Dort ist die Korruption nämlich flächendeckend und systematisch (Paul 1998). Gezeigt werden kann dies anhand einer aktuellen Publikation der Banco Fnteramericano de Desarrollo, in der versucht wurde, die „Herrschaft des Rechts" und das Korruptionsniveau zu messen, um diese beiden Faktoren einem weltweiten Vergleich zugänglich zu machen. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass, abgesehen von den afrikanischen Staaten, die lateinamerikanischen Länder am schlechtesten abschneiden, d.h. dort wird am meisten bestochen und dort werden die Gesetze am wenigsten geachtet (Banco Interamericano de Desarrollo 2000: 26ff.). Andere Untersuchungen aus Brasilien (Souza Martins 1996), Mexiko (Knight 1996), Venezuela (Birkbeck 1992; Little/Herrera 1996) und Bolivien (Mansilla 1999) machen gleichermaßen deutlich, dass die Korruption in Südamerika an der Tagesordnung und die Polizei davon nicht ausgenommen ist.

15

Bei den Befragten handelt es sich um Teilnehmer eines polizeiinternen Aufstiegslehrgangs. Nur 3 % von ihnen sind weniger als 5 Jahre im Dienst, 9 % sind mehr als 3 0 Jahre bei der Polizei (Holz 1997: 409).

16

Die Antworten der anderen Hälfte werden in dieser Publikation nicht referiert (Holz 1997: 410f.). 21

Abgeleitet wird die hohe Korruptionsneigung in lateinamerikanischen Staaten von etlichen Autoren aus der Kolonialgeschichte dieser Länder und aus ihrer daraus resultierenden heutigen politischen Kultur (vgl. insbesondere: McFarlane 1996; Miller 1996; Paul 1998; Pritzl 1997: 64 ff.; Werz 1999: 94). Die traditionelle Missachtung des Rechts, Autoritarismus, Paternalismus und Klientelismus laden zur Günstlingswirtschaft und zur Korruption geradezu ein. Die Conclusio des nordamerikanischen Forschers Miller, der sich dem Thema der historischen Verwurzelung der lateinamerikanischen Korruption ausführlich gewidmet hat, stellt eine geeignete Zusammenfassung dieser Einschätzungen dar. In the half-century following independence many continuities with behavior in the colonial era can be detected. Abuse of public office (...) could be well documented from almost any Latin American country. (...) There is also the obvious difficulty of determining where one should draw the line between legitimate and illegitimate behavior, especially if one remembers that one of the most persistent trends of current research on the nineteenth century is to emphasize the way in which Latin American elites where organized on the basis of clientelistic networks centered on the extended family and tied together by blood and by compadrazgo. Where does clientelism stop and corruption begin? (...) Indeed, corruption in Latin America became deeply rooted at all levels of government early in the colonial period, and after independence it was encouraged by the penury of the state, by investment bonanzas, and by superficially constitutional political systems. (Miller 1996: 86)

Die enorme Verbreitung der Korruption und die Gewöhnung an sie bewirken außerdem, dass nur noch die allergrößten Skandale echtes Aufsehen erregen. In den letzten Jahren waren das v.a. die Fälle von Amtsenthebungen von Staatspräsidenten aufgrund von Korruption in Brasilien (vgl. Little/Herrera 1996) und in Venezuela. Beispielsweise wurde laut Little/Herrera der venezolanische ExPräsident Pérez verdächtigt, eine Summe von US$ 17 Mio. fur persönliche und politische Zwecke unterschlagen zu haben (Little/Herrera 1996). Ebenfalls in Venezuela spielte sich in den achtziger Jahren ein Fall ab, bei dem laut Schätzungen rund US$ 11 Mio. mittels komplizierter kick-back-Verfahren unterschlagen und außer Landes gebracht wurden. Schon auf Grund dieser Beträge dürften dies zwei der spektakulärsten Korruptionsaffären Lateinamerikas gewesen sein und mehr noch, weil davon auszugehen war, dass die höchsten staatlichen Stellen in die illegalen Geschäfte verwickelt waren. Verurteilt wurde in diesem Zusammenhang nur eine einzige Person, eine typische Folge der lateinamerikanischen Krankheit impunidad (Straflosigkeit), die teils mit der oben angesprochenen Tradition der Rechtsverachtung zu tun hat und teils damit, dass oft die Justiz selbst in die systemische Korruption involviert ist (vgl. Little/Herrera 1996: 270 ff.). Gerade in Bolivien machte die fiir die vorliegende Untersuchung eigens initiierte Presseauswertung auf einige besonders eklatante Korruptionsfälle innerhalb der Polizei aufmerksam, die aufzeigen, dass die Polizei im Hinblick darauf nicht besser ist als andere lateinamerikanische Behörden und welche Systematik hinter polizeilicher Korruption stecken kann (Mansilla 1999; vgl. Mansilla 1996: 22

156f.). Schlagzeilen machten z.B. in fast schon kurioser Weise die sog. „Phantompolizisten" (policías fantasmas). 1993 stellten Journalisten fest, dass bei der bolivianischen Polizei real nicht existierende Polizeibeamte Gehälter beziehen, allein in der Generalkommandantur soll es über 500 solcher „Phantompolizisten" gegeben haben (Mansilla 1999). Für sie wurden weder Steuern noch Sozialabgaben abgeführt, wohl aber wurden Familienzuschläge und ähnliches abgerechnet. Überwiesen wurden die Gelder auf Konten fiktiver Personen. Auf diesem Wege sollen US$ 1,5 Mio. unterschlagen worden sein, zu erwähnenswerten rechtlichen Folgen für die Profiteure der Angelegenheit kam es nicht. Zudem finden sich jede Menge Fälle, in denen Polizisten mit Kriminellen direkt zusammenarbeiteten. Darunter zum Beispiel einer im Jahr 1992, bei dem ein hoher Polizeibeamter der Kriminalpolizei von La Paz angeklagt wurde, Taten einer bewaffneten Bande gedeckt zu haben. Im Zuge der Nachforschungen stellte sich heraus, dass dies kein Einzelfall war, sondern dem ein festes Handlungsmuster zugrunde lag, dessen sich weitere Polizisten bedienten. Verurteilt werden konnte aufgrund des ehernen Schweigegebots innerhalb der Polizei aber niemand. Es fand sich zwar ein aussagebereiter Kronzeuge, ein Polizist, aber der wurde daraufhin von seinen Kollegen verhaftet und gefoltert. Spektakulär war des Weiteren ein Einbruch beim bolivianischen Regierungssprecher im Jahr 1998, dessen Raubgut sich auf ca. US$ 200.000 belief. Die Gangster rekrutierten sich laut den Ermittlungen der Kriminalpolizei ausschließlich aus den Reihen der Polizei und auch im Anschluss an diesen Fall stellte sich heraus, dass es sich um keine Einzeltat handelte, vielmehr wurden solche Taten innerhalb der Polizei systematisch geplant. Dabei wurden polizeiliche Ressourcen und Kenntnisse eingesetzt, darunter speziell das Wissen darüber, in welchen Gebäuden besonders gewinnträchtige Beute zu erwarten ist (Mansilla 1999). Manchmal drohen den polizeilichen Gangstern doch rechtliche Folgen, wie damit aber im weiteren Verlauf umgegangen wird, zeigen folgende Beispiele. So kam es vor einigen Jahren auf Betreiben einer internationalen Organisation zur Entlassung von vierzig korrupten Polizisten, wenig später wurden dieselben aber wieder eingestellt. Dieser Vorgang kam deshalb ans Licht der Öffentlichkeit, weil diese Polizisten kurz darauf abermals in Verdacht standen, illegale Geschäfte abzuwickeln. Vorgeworfen wurde ihnen u.a. Protektion des Drogenhandels, Erpressung, Bestechlichkeit usf., was ihnen den Spitznamen narcopolicias (von narcotráfico'. Drogenhandel) einbrachte. In diesen Zusammenhang gehört auch der Skandal um den ehemaligen Comandante General der bolivianischen Polizei, Felipe Carvajal. 1990 wurden Polizisten illegale Beziehungen zu Drogenhändlern, exzessive Gewalttaten wie die Ermordung von 41 Häftlingen und groß angelegte Geschäfte mit dem Verkauf von Führerscheinen vorgeworfen. Daraufhin verteidigte er die Polizei mit folgenden Worten:

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Ich habe schon wiederholt darauf hingewiesen: die Institutionen sind weder kriminell noch korrupt, hier, bei der Polizei, wie in praktisch allen Sphären und Institutionen des sozialen Lebens, gibt es gute und schlechte Beamte. (...) Jetzt ist schon ein bisschen Zeit vergangen und wir können diese Vorfälle mit ein wenig Gelassenheit betrachten.

Etwas mehr als ein halbes Jahr später deckte derselbe Comandante Carvajal Mitglieder der Polizei, die einen Parlamentarier unrechtmäßig festgenommen hatten, statt disziplinarrechtlich gegen sie vorzugehen. Daraufhin wurde seine Entlassung „aufgrund seines vollständigen Mangels an Respekt gegenüber der Legislative" verlangt. Danach führten Solidaritätsbekundungen innerhalb der Polizei dazu, dass Carvajal auch dieses Mal glimpflich davonkam. Er wurde nur für einige Tage vom Dienst suspendiert. Nach einem weiteren halben Jahr konnte dem Comandante nachgewiesen werden, dass er selbst mit Drogenhändlern gemeinsame Sache machte. Erst dann konnte seine Entlassung nicht mehr verhindert werden (Mansilla 1999). Ihrem Grundmuster nach spielen sich solche Korruptionsskandale, wie sie eben für Bolivien beschrieben wurden, auch in anderen lateinamerikanischen Ländern ab. Eine von Maier u.a. aus Argentinien vorgelegte Liste polizeilicher Verfehlungen (Maier/Abregü/Tiscornia 1996: 177ff.) ähnelt der bolivianischen frappierend und „Phantomprojekte" ins Leben zu rufen, um an staatliche Gelder zu kommen, und „Phantomkonten" zu eröffnen, um die Summen möglichst geschickt verschwinden lassen zu können, gilt geradezu als brasilianische Spezialität (Paul 1998: 417ff.). Letzteres gilt gleichermaßen für die Verstrickung der Polizei in das illegale Glücksspiel (vgl. Mingardi 1992, 1996; Paul 1998). Neben der Equivalenz der Korruptionsmuster ist darauf aufmerksam zu machen, dass dort, wo sich derartige polizeiliche Korruptionsaffären ausmachen lassen, auch die alltägliche Korruption verbreitet ist, da das korrupte Verhalten der oberen Ränge auf die Truppe durchzuschlagen pflegt (vgl. Schmid 1996). Diese „kleine" Korruption besteht zum einen aus den Beträgen, die Straßenhändlern, Bettlern sowie Schmugglern, jugendlichen Bandenmitgliedern, Glücksspielbetreibern, Prostituierten und anderen Kleinkriminellen abverlangt werden, die routinemäßig bezahlen, um in Ruhe ihren Geschäften nachgehen zu können. Zum anderen verlangen die Polizisten Gegenleistungen für die Dienste, für die sie eigentlich ihren Lohn beziehen, nämlich für die Entgegennahme von Anzeigen, das präventive Auftreten vor Geschäften und die Abwicklung von Verkehrsverstößen und -Unfällen. Im Falle der echten Verkehrsverstöße profitieren die Bürger insoweit von dieser Praxis, als die anfallenden Bestechungssummen knapp unter den offiziellen Verwarnungsgeldern liegen. Nicht selten sind die Anschuldigungen jedoch völlig aus der Luft gegriffen und der Zahlungsaufforderung wird nur deshalb Folge geleistet, um offen oder subtil angedrohten Gewalttätigkeiten der Polizisten zu entgehen. Schließlich werden, selbstredend ebenfalls gegen Bezahlung, Akten „korrigiert" und Anzeigen fallen gelassen, manchmal dieselben, für deren Annahme vorher vom Gegenspieler bereits bezahlt wurde. Diese Beträge wandern aber nicht ausschließlich in die Taschen der 24

Polizisten, die sie erpresst haben. Jedenfalls in Mexiko werden die auf der Straße erzwungenen Gelder polizeiintern umverteilt, in Mexiko el entre genannt (Schmid 1996). Die Profiteure sind einerseits die jeweiligen Vorgesetzten, so dass am oberen Ende der Hierarchie beträchtliche Summen akkumuliert werden. Andererseits müssen die Straßenpolizisten Abgaben an Beamte im Innendienst leisten, die weniger Gelegenheit haben, ihr Einkommen selbst durch die Nötigung der Bürger aufzubessern. So werden z.B. bei der Ausgabe von Polizeifahrzeugen, Waffen, Gehältern usf. „Bearbeitungsgebühren" einbehalten (vgl. Schmid 1996: 310ff.). Die einfachen Streifenpolizisten beugen sich freiwillig diesem Abgabezwang in der vagen Hoffnung, nach einem beruflichen Aufstieg selbst von den Akkumulationseffekten zu profitieren. Außerdem bleibt ihnen im Grunde keine andere Wahl, da die cuota sonst von ihrem Gehalt abgezogen werden würde (vgl. Schmid 1996; Waldmann/Schmid 1998). Dass die Korruption in Südamerika gleichsam institutionalisiert ist belegt neben all diesen Informationen, dass es z.B. in Kolumbien regelrechte Tarife für bestimmte Vorgänge gibt. So nannten laut Waldmann und Riedmann (1996) alle dort befragten Bürger dieselbe Summe, wenn sie gefragt wurden, was man bezahlen müsse, wenn man Ausweispapiere vergessen hat, nämlich 2.000 Pesos (US$ 2,50) und in Venezuela gibt es sogar ein Diccionario de corrupción (Wörterbuch der Korruption: Paul 1998; vgl. Schwarz 1994). Symptomatisch für die Allgegenwärtigkeit der Korruption ist zudem der reiche Wortschatz, mit dem sie bezeichnet wird. Paul hat einen Teil davon zusammengestellt, der der Illustration wegen wiedergegeben sei (Tab. 1). Exakte Angaben über die Quantität der Korruption zu machen ist, wie bereits weiter oben begründet wurde, äußerst schwierig. Trotzdem ist es für die vorliegenden Zwecke von Bedeutung, eine Aussage über die Häufigkeit der Korruption in den hier untersuchten Ländern machen zu können. Das dafür zur Verfügung stehende Material ist zum einen eine Aufstellung von Paul ( 1 9 9 8 ) sowie zum anderen der Corruption Perceptions Index (Transparency International 2000), der von Transparency International erstellt wird. Beide Quellen sind zwar nicht speziell auf die Polizei sondern auf das jeweilige Land als solches bezogen, 17 sie bestätigen aber, wovon Lateinamerikaexperten seit längerem ausgehen: dass Chile nämlich insofern eine Sonderrolle einnimmt, als die Korruption in diesem Land vergleichsweise wenig verbreitet ist (vgl. Lösing 1996a: 397; Waldmann/Schmid 1998; Waldmann/Schmid 1996a). Die von Paul zugänglich gemachte „Schwarze Liste" darf sicherlich nicht überinterpretiert werden, sie zeigt aber zweierlei. Zum einen bestätigt sie, dass die Korruption in vielen Ländern derart institutionalisiert ist, dass feste Sätze angegeben werden können, d.h. es ist allgemein bekannt, für was man wie viel zu bezahlen hat. Zum anderen,

17

Allerdings wird z.B. laut einer in Bolivien durchgeführten Bevölkerungsbefragung die Polizei als die korrupteste Institution dieses Landes empfunden (vgl. La Razón 1998a; La Prensa 1998; Presencia 1998).

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dass zwar auch in Chile gelegentlich mit Korruption zu rechnen ist, dass sie aber nicht alle gesellschaftlichen Sektoren umfasst und dass die Führungsebene daran selten beteiligt ist, mithin, dass die Korruption in diesem Land nicht allgemein üblich und systemimmanent ist (Tab. 2).

Tab. 1 :

Korruption im Spiegel der lateinamerikanischen Alltagssprache

capilé cervejinha cohecho coima comisión conto-do-paco conto-do-vigário costo de mercado crema de mano jabá, auch jabaculé jeito, jeitinho lambedela, lambidela lubrificante lubrificar con coima mamata maracutaia mata-bicho molhar a m3o mordida negociata operado Uruguay, operado Panamá pagos peita por fora (PF) propina regalo, regalito soborno suborno tajada taxa taxa de urgéncia untar la mano, el carro unto Quelle: Paul 1998:431.

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bras. Kappilarsirup, süßer Köder bras. Bierchen, Biergeld span. Bestechung am., bes. arg. Schmiergeld am. Provision, Vermittlungsgebühr bras. Geldbeigabe bras. Schwindel am. Verhandlungskosten am., bras., mex. Handcreme, Schmiergeld bras, pernam. Dörrfleisch, Köder bras. Trick, Kniff, Dreh bras. Schmeichelei, Trinkgeld am., bras. Schmierseife am., arg. schmieren bras. Schiebung, Schwindel bras, maracuta, ehem. afrikan. Münze aus Angola bras, tötet Tier, beseitigt Problem bras. Hand befeuchten am., bras., mex., arg. Biß bras, unsauberes, verdächtiges Geschäft bras, illegale Finanztransaktion am. Zusatz-Zahlung bras. Bestechungsgeld Extrageld am., bras. Gebühr, Gratifikation; span. Trinkgeld am. Geschenk am. Bestechung, Zusatzzahlung bras. Bestechung, Schmiergeld, Schweigegeld am., venez. Scheibe bras. Zuschlag, Gebühr Eilzuschlag span., am. Hand schmieren, Karren schmieren span., am. Schmiere, Bestechungsgeld

Tab. 2:

Die Schwarze Liste der Korruption

Zollabfertigung Venezuela: Korruption ist normal. Taxe: bis 50% des offiziellen Ansatzes. Mexiko: man zahlt 3 - 5% vom Wert des Zollgutes, für US$ 100 geht alles durch. Kolumbien: um die 10% vom Wert des Zollguts. Peru: Korruption jeder Art, alles ist Verhandlungssache. Argentinien: für US$ 20-40 wird alles abgefertigt. Chile: Großabfertigungen erfolgen ordnungsgemäß, Korruption auf unterer Ebene. Brasilien: Taxe: 35-40% vom Wert des Zollguts. Verträge mit Venezuela: Mexiko: Kolumbien: Peru: Argentinien: Chile: Brasilien:

staatlichen Stellen normalerweise sind 5-10% vom Vertragswert zu zahlen. 5-8% vom Vertragswert. bei Bauaufträgen und Waffen häufig 5-10% des Vertragswerts. weitgehende Korruption mit variablen Taxen. wer nicht zahlt, bekommt keinen Vertrag. unübersichtlich. Kommt es zum Abschluss, etwa 5 % des Vertrages. Taxe: 10-15% vom Vertragswert.

Privatverträge Venezuela: Korruption ist üblich, bis 10% an die mittleren Chargen für Bankkredit. Mexiko: Korruption wenig üblich. Einige Unternehmen erwarten 2 % des Vertrages. Kolumbien: normalerweise keine Korruption. Argentinien: weniger als bei Verträgen mit staatlichen Stellen. 10% ist die Regel. Chile: normalerweise sauber, keine Korruption. Brasilien: weniger als bei Verträgen mit Staat. Man zahlt 1-5%. Erlaubnisse, Genehmigungen u. sonstige Scheine Venezuela: »Gestoren« übernehmen Behördengänge, die Inspektoren sind käuflich. Mexiko: US$ 20 kostet der Führerschein, US$ 1.000-4.000 die Arbeitserlaubnis und die Aufenthaltsgenehmigung. Kolumbien: transparente Kosten für Instanzenwege. Peru: für US$ 5-50 ist jeder Schein erhältlich. Argentinien: Führerschein kostet USS 50. wer nicht fahren kann, zahlt US$ 80. Alles hat seinen Preis. Chile: unnötig, Prozeduren zu schmieren, nur untere Inspektoren sind empfänglich. Brasilien: Alles ist möglich zu machen. Führerschein kostet US$ 50. Justiz Mexiko: Kolumbien: Chile: Brasilien:

Urteile nicht garantierbar, aber Korruption kommt vor. USS 200-2.000 kosten Verfahrensbeschleunigungen. Viele Richter sind unbestechlich. Doch in einigen unteren Instanzen ist ein Urteil (ür 25% des Streitwertes käuflich. Fälle von Korruption sind vorgekommen. Korruption der Strafjusti/. schwierig, leichter die der Ziviljustiz.

Steuerflucht/- hinterziehung Mexiko: ca. 80% der Steuerpflichtigen begehen sie. Kolumbien: Steuerflucht weitgehend üblich. Mit Schmiergeldern lassen sich Bußgelder drücken. Argentinien: 50% der Pflichtigen drücken sich. Chile: man zahlt, die Kontrollen sind streng, doch kann man untere Steuerinspektoren bestechen. Brasilien: Devise: blöd, wer zahlt. Q u e l l e : Paul 1 9 9 8 : 4 3 2

27

Der Corruption Perceptions Index (CP1) ist demgegenüber zuverlässiger. Er spiegelt die Ergebnisse der Bemühungen der NGO Transparency Internacional wider, Korruption einer Messung und einem groß angelegten internationalen Vergleich zugänglich zu machen. Bei diesem Index handelt es sich um einen zusammengefassten Wert, der sich aus verschiedensten renommierten Quellen zusammensetzt18 und er ist definiert als „Grad der Korruption, wie er von Geschäftsleuten, Risikoanalysten und der allgemeinen Öffentlichkeit wahrgenommen wird" (Transparency International 2000: o.S.). Nun weist Transparency International selbst zu Recht auf einige (unvermeidliche) methodische Schwächen dieses Index hin,19 der CPI ist aber trotzdem die einzige international vergleichende, quantifizierende Studie und seine Ergebnisse gewinnen in den letzten Jahren an Stabilität, so dass seine Verwendung legitim erscheint. Auf der Basis der von 0 („äußerst korrupt") bis 10 („äußerst sauber") reichenden Skala des CPI lässt sich eine Rangfolge bilden, die in der Tabelle 3 wiedergegeben ist. Betrachtet man die Platzierung der hervorgehoben dargestellten lateinamerikanischen Länder, so sieht man, dass sie in der Mehrzahl sehr schlechte Werte erreichen und erst in der zweiten Hälfte der Tabelle zu finden sind. Dazu gehören auch Bolivien und Venezuela. Beide Länder erreichen nur einen Wert von 2,7 und sie wurden gemeinsam mit Ecuador als korrupteste lateinamerikanische Länder bewertet. Chile hingegen befindet sich am entgegengesetzten Ende der Skala. Seine relativ guten Werte und seine Position direkt hinter der BRD bestätigen, dass dieses Land hinsichtlich der Korruption in Lateinamerika eine Ausnahmeerscheinung ist.

18

19

28

Für das Jahr 1999 handelte es sich z.B. um folgende: Freedom House Nations in Transit (FH), Gallup International (Gl), the Economist Intelligence Unit (EIU), the Institute for Management Development, Lausanne (IMD), the International Crime Victim Survey (ICVS), the Political and Economic Risk Consultancy, Hong Kong (PERC), The Wall Street Journal, Central European Economic Review (CEER), the World Bank and University of Basel (WB/UB), the World Economic Forum (WEF). Vgl. Transparency International (2000). Vgl. dazu im Detail: Lambsdorff (1999: 300ff.) und Transparency International (2000).

Tab. 3:

Corruption Perceptions Index 2000

Rang

Land

CPl-Wert'

Dz

SJ

1

Finnland

10.0

0.6

8

2

Dänemark

9.8

0.8

9

3

Neuseeland

9.4

0.8

8

Schweden

9.4

0.7

9

17

Deutschland

7.6

0.8

8

18

Chile

7.4

0.9

8

30

Costa Rica

5.4

1.9

4

41

Peru

4.4

0.5

5

43

El Salvador

4.1

1.7

4

49

Brasilien

3.9

0.3

8

52

Argentinien

3.5

0.6

8

59

Mexiko

3.3

0.5

8

60

Kolumbien

3.2

0.8

8

71

Bolivien

2.7

1.3

4

Venezuela

2.7

0.7

8

74

Ecuador

2.6

1.0

4

89

Jugoslawien

1.3

0.9

3

90

Nigeria

1.2

0.6

4

' CPI-Wert/CPI-Punktwert 2000 „bezieht sich auf den Grad der Korruption, wie er von Geschäftsleuten, Risikoanalysten und der allgemeinen Öffentlichkeit wahrgenommen wird und bewegt sich zwischen 10 (äußerst sauber) und 0 (äußerst korrupt)" (Transparency International 2000) 2

Standard Deviation/Standardabweichung „bezeichnet Unterschiede im Wert der Quellen: je größer die Standardabweichung, desto größer die Unterschiede zwischen den Quellen in den Wahrnehmungen eines Landes." (Transparency International 2000) 1

Surveys Used/V erwendete Untersuchungen „bezieht sich auf die Anzahl der Untersuchungen, die das Abschneiden eines Landes auflisten. 16 Untersuchungen wurden verwendet, und ein Land musste in mindestens 3 Untersuchungen vorkommen, damit es in den CP1 2000 aufgenommen wurde" (Transparency International 2000) Quelle: Transparency International 2000: ö S ; Ausschnitt und Hervorhebungen C. Schmid; vgl. Lambsdorff 1999

29

Der Corruption Perceptions Index wird bereits seit einigen Jahren, regelmäßig seit 1995 erstellt.20 Darüber hinaus wurden von Transparency International als „historical data" bezeichnete Werte für die Jahre 1980 - 1985 sowie 1988 1992 veröffentlicht. Die in diesem gesamten Zeitraum jeweils in die Untersuchung einbezogenen Länder sowie die Zahl der jeweils berücksichtigten Quellen unterscheiden sich von Jahr zu Jahr. Auch sind die ältesten Daten noch nicht von derselben Qualität wie die neuesten. Deshalb muss man sich vor einer Überinterpretation hüten, aber trotzdem interessiert die Entwicklung der chilenischen, venezolanischen, bolivianischen und deutschen Werte. Die daher aus den Angaben von Transparency International zusammengestellte Tab. 4 zeigt dann auch auf, dass die Ergebnisse der vier Länder trotz der methodischen Schwankungen ziemlich stabil sind. Lediglich das bolivianische Korruptionsniveau wurde zwischen 1980 und 1992 offensichtlich zu pessimistisch eingeschätzt, die damalige Einschätzung stützte sich allerdings auch nur auf eine einzige Quelle. In den jüngeren Jahren schneiden Bolivien und Venezuela regelmäßig ähnlich schlecht ab, Chile und die BRD ähnlich gut, wobei Chile sich im Laufe der Jahre eher verbessert und die BRD sich eher verschlechtert hat. Tab. 4:

BRD, Chile, Venezuela und Bolivien: Corruption Perceptions Index 2002 - 1980 BRD

Jahr

CPIWert"

D2

Chile S3

CPIWert'

D2

Bolivien

Venezuela s3

CPIWert'

D2

S3

CPIWert'

D2

S3

2002

7,3

1,0

10

7,5

0,9

10

2,5

0,5

10

2,2

0,4

6

2000

7,6

0,8

8

7,4

0,9

8

2,7

0,7

8

2,7

1,3

4

1999

8,0 0,5

10

6,9

1,0

9

2,6

0,8

9

2,5

1,1

6

1998

7,9

0,4

10

6,8

0,9

9

23

0,8

9

2,8

1,2

4

1997

8,23

0,4

6

6,05

0,5

6

2,77

0,5

5

2,05

0,9

4

1996

8,27

0,5

6

6,8

2,5

7

2,50

0,4

7

3,40

0,6

1995

8,14

0,6

4

7,94

1,0

3

2,66

3,2

4

88-92

8,13

-

3

5,51

-

2

2,50

-

3

1,34

1

80-85

8,14

-

2

6,53

2

3,19

-

2

0,67

1

-

~

4 ~

1, 2, 3. s.o. Tab. 3. Quelle: Transparency International 2000, 2004; Ausschnitt: C. Schmid.

20

30

Vormals wurde die Liste als Internet Corruption Ranking bezeichnet (Transparency International 2000).

1.2. Polizeiliche Gewalt Zu der Grundproblematik der Messung und des Vergleichs polizeilicher Gewalt wurde das Wichtigste bereits in der Einleitung des Kapitels über die Rechtsbrüche von Polizisten gesagt. Im Weiteren wird im Gegensatz zu den Ausführungen über die Korruption so vorgegangen, dass für jedes der vier untersuchten Länder ein eigenes Kapitel verfasst wird (Bundesrepublik Deutschland 1.2.1.; Venezuela 1.2.2., Bolivien 1.2.3., Chile 1.2.4.), um permanente Sprünge zwischen den Ländern zu vermeiden. So kann man sich zuerst ein Gesamtbild von den Zuständen in den jeweiligen Ländern machen. 1.2.1. Bundesrepublik Deutschland Gewalttaten von Polizeibeamten finden in der Bundesrepublik allenthalben hohe Aufmerksamkeit in Massenmedien. Liest man dort nach, findet man Berichte über Polizeibeamte, die sich z.B. als schlägemde Hooligans oder als Täter in Eifersuchtsdramen hervorgetan haben (vgl. z.B. Fisch 1998; AZ 1999). In diesen Fällen unterscheiden sich die Polizisten wenig von gewöhnlichen Kriminellen, abgesehen davon, dass sie in besonderer Weise mit ihrer Berufsrolle brechen. Brüsten hat hochgerechnet, dass in der Bundesrepublik jährlich immerhin rund 600 Polizeibeamte rechtskräftig verurteilt werden (Brüsten 1992a, b, c). Dagegen steht eine andere, in der Zeitschrift Die Streife zitierte, nicht exakt angegebene Quelle, laut der Polizisten „12mal seltener" straffällig werden als andere Männer derselben Altersgruppe und nur etwa 1% der Polizeibeamten jährlich wegen Dienstvergehen belangt werden (D/e Streife 1991: 10f.). Insgesamt weiß man jedoch wenig über solche gewöhnlichen Straftaten von Polizeibeamten, weil die Berufsgruppenzugehörigkeit in Kriminalstatistiken im Allgemeinen nicht gesondert ausgewiesen wird. 21 Von größerer Bedeutung als die gewöhnliche Kriminalität von Polizisten sind an dieser Stelle ohnehin jene Gewalttaten, die in direktem Zusammenhang mit dem Dienst ausgeübt werden. Geriet dabei die bundesdeutsche Polizei in den siebziger und achtziger Jahren vor allem wegen Fehlverhaltens bei Demonstrationen in die öffentliche Kritik, so steht in den Neunzigern das Vorgehen gegenüber Ausländern und Asylbewerbern im Vordergrund. Die verschiedenen „Polizeiskandale" und die kritischen Berichte von amnesty international sorgten für lautes Echo. Daraufhin kam es zu einer Reihe von Anfragen an Länderregierungen Uber die Zahl der Beschwerden gegen Polizeibeamte, deren publizierte Ergebnisse im ersten Teil dieses Kapitels vorgestellt werden. Ein anderes Thema ist der Schusswaffengebrauch durch deutsche Polizisten. Er wird seit 1976 von der Polizei-Führungsakademie sorgfältig registriert, parallel dazu werten die Mitarbeiter der Zeitschrift CfL/P/Bürgerrecht

21

Eine Ausnahme stellt die bayerische PKS dar, die Taten durch „Polizei/Rechtswahrer" aufTührt (Ahlf 1997). 31

und Polizei Presseberichte über „polizeiliche Todesschüsse" aus. Diese Daten werden im zweiten Teil des Kapitels referiert. Seit Beginn der neunziger Jahre ist in den Jahresberichten von amnesty international über die Bundesrepublik Deutschland regelmäßig nachzulesen, dass die Organisation „erneut von Vorwürfen über Mißhandlungen durch Polizeibeamte Kenntnis" erhielt (amnesty International 2000e: o.S.). In den Berichten von 1999 und 2000 wird zudem nachdrücklich daraufhingewiesen, dass es sich bei den jeweiligen Opfern hauptsächlich um Angehörige ethnischer Minderheiten und Asylsuchende handelt, was den längst bestehenden Vorwurf neu entflammte, innerhalb der Polizei gäbe es ausländerfeindliche Tendenzen. Berichte sprachen von Misshandlungen durch die Polizei. Bei den mutmaßlichen Opfern handelte es sich überwiegend um ausländische Staatsangehörige, die oftmals im Zuge von Abschiebungen misshandelt worden sein sollen. (...) Eine Person kam während ihrer Abschiebung, bei der Zwangsmittel angewendet wurden, ums Leben, ein deutscher Staatsbörger wurde von der Polizei unter fragwürdigen Umständen erschossen. (amnesty international 2000e: o.S.)

Bei den beiden aufgeführten Todesfällen handelt es sich zum einen um einen bei der Fahndung nach einem flüchtigen Straftäter erschossenen Touristen, den die Polizisten irrtümlich für den Gesuchten hielten. Die beteiligten Polizisten mussten sich den Vorwurf grober Fahrlässigkeit gefallen lassen, weil sie die Identität des Mannes vor dem Ginsatz nicht angemessen überprüft hatten (vgl. Der Spiegel 1999d). Der andere in obigem amnesty-Zitat angesprochene Tote ist ein sudanesischer Staatsbürger, der während seiner Abschiebung von Polizisten in einem Flugzeug niedergedrückt wurde und dabei erstickte (vgl. Der Spiegel 1999a). Die daran anknüpfende Kritik von amnesty bezieht sich auf die Abschiebepraxis der BRD und das Verhalten von Polizeibeamten bei Abschiebungen. Den Informationen von amnesty nach kam es in Flugzeugen zu „grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung", Abschiebehäftlinge seien außerdem von „Grenzschutzpolizisten physisch und verbal angegriffen worden" (amnesty international 2000e: o.S.). Ein besonders skandalöser Einzelfall sei exemplarisch aufgeführt. Der guineische Staatsbürger (...) erhob den Vorwurf (...) misshandelt worden zu sein, nachdem er sich geweigert hatte, ins Flugzeug einzusteigen. Er gab an, man habe ihn in einen Raum gebracht, in dem sich ein Tisch mit einem Durchmesser von rund einem Meter befand. Auf diesen Tisch habe er sich rücklings legen müssen und sei anschließend mit Händen und Füßen daran angekettet worden. Drei Stunden (...) habe man ihn so ausharren lassen, was sehr schmerzhaft gewesen sei, weil er mit dem unteren Teil des Rückens genau auf die Tischkante zu Hegen gekommen war. Einem der beteiligten Beamten warf (der Mann) ferner vor, ihm ein nasses T-Shirt auf das Gesicht gedrückt zu haben, sodass er nur noch mit großer Mühe atmen konnte, (amnesty international 2000e: o.S.)

32

Polizeireviere sind nach derselben Quelle ebenfalls Orte von Übergriffen gegenüber Verhafteten. Die Opfer sind häufig Mitglieder ethnischer Minderheiten. Die meisten, so amnesty, „machten geltend, wiederholt mit Fußtritten und Fausthieben traktiert und mit Knüppeln geschlagen worden zu sein. In einigen Fällen sollen Polizisten ihre Opfer in abfälliger und rassistischer Weise beschimpft haben" (amnesty international 2000e: o.S.). Daneben reichen die gegen die Polizei gerichteten Vorwürfe in den letzten Jahren von sexuellen Ausschweifungen und Vergewaltigung auf Polizeirevieren (Cerny 1994: 473), über Handgreiflichkeiten bei Hausdurchsuchungen (Polt 1998) bis hin zur „Verbringung" von Verhafteten an die Stadtgrenze, Besprühung mit Tränengas und Insektenspray, Scheinhinrichtungen (Geis/Schäfer 1995), Folter (Schmidt 1996: 6f), unterlassener Hilfeleistung nach Schüssen auf einen kurdischen Jugendlichen (Meyer-Ingversen 1989: l l f f . ) usw. (vgl. z.B. Ehrig 1994; Klose 1992; Kolmer 1994; Der Spiegel 1998; Gaserow 1996). In der Öffentlichkeit besonders bekannt wurden Fälle in Berlin und Bernau, wo Vietnamesen, vermutlich Zigarettenhändler, drangsaliert worden sein sollen (Wüllenweber 1995: 21 ff.), und in Frankfurt, wo ein 18-jähriger Algerier im Streifenwagen von drei Polizisten misshandelt worden sein soll. Dabei sei ihm unter anderem eine Dienstwaffe in bzw. an den Mund gehalten worden (Reinstädt 1997). Noch größere Schlagzeilen machte der Hamburger Polizeiskandal (Geis/Schäfer 1995). Dort baute sich Anfang bis Mitte der neunziger Jahre eine enorme Welle von Anzeigen gegen Polizisten auf, die mit der Suspendierung von 27 Polizeibeamten, dem Rücktritt des damaligen Innensenators sowie 3.324 Ermittlungsverfahren gegen namentlich bekannte Polizeibeamte endete (vgl. Reinstädt 1997; Die Polizei 1997; Deutsche Polizei 1996d; Diederichs 1995c; Diederichs 1995e). Daraufhin wurde ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt, der Ende 1996 zu folgendem Ergebnis kam: rd. 95% der Ermittlungen wurden eingestellt; in 10 Fällen (0,3%) ergingen rechtskräftige Strafbefehle (wegen Körperverletzung, Betrug und Urkundenfälschung, Bestechlichkeit sowie Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz); in 92 Fällen (2,9%) kam es zu Anklagen, die ebenfalls in der Mehrzahl eingestellt wurden; von 31 rechtskräftigen Urteilen lauteten schließlich 19 auf Freispruch, 12 Polizisten wurden verurteilt und zwar wegen Diebstahl, Körperverletzung, Unterschlagung, Verletzung von Privatgeheimnissen u.ä. (Geis/Schäfer 1995). Ähnlich hohe Raten an Verfahrenseinstellungen erzielen Ermittlungen gegen Polizeibeamte auch in anderen Bundesländern. 22

22

Das Instrument der „Kleinen A n f r a g e " im Bundestag und den Länderparlamenten ist laut Diedrichs (1994, 1995f: 70fF.) eine der wichtigsten Informationsquellen über Straftaten von Polizisten. In dem zitierten Aufsatz, der sich auf solche Anfragen bezieht, berichtet er, dass in Berlin zwischen 1980 und 1988 von 4.552 Verfahren 4.460 eingestellt wurden (98%). 92 Anklagen führten zum Freispruch, in nur 17 Fällen wurden Polizisten verurteilt. Heuer (1997) referiert eine parlamentarische Anfrage an die hessische Landesregierung. Demnach wurden gegen die rd. 15.900 hessischen Polizisten zwischen 1992 und 1994 520 Anzeigen

33

W ä h r e n d nun d i e s e r h o h e A n t e i l an E r m i t t l u n g e n g e g e n P o l i z i s t e n , d i e mit Verfahrenseinstellungen oder Freispruch enden, von der Polizei als Anzeichen dafür gewertet wird, d a s s die V o r w ü r f e seitens der Presse und der M e n s c h e n r e c h t s o r g a n i s a t i o n e n übertrieben sind, s i n d P o l i z e i k r i t i k e r d e r M e i n u n g ,

dass

sich P o l i z i s t e n b e s o n d e r s e f f e k t i v v o r j u r i s t i s c h e r V e r f o l g u n g z u s c h ü t z e n w i s sen. D a r ü b e r ist ein r e g e l r e c h t e r Polizeistreit entbrannt. D i e H a u p t a r g u m e n t e a u s P o l i z e i k r e i s e n lauten, e s k ä m e o f t z u g e h a l t l o s e n R a c h e a n z e i g e n g e g e n P o l i z e i beamte, die von der Justiz sehr wohl konsequent behandelt würden und zur Nied e r s c h l a g u n g d e r V e r f a h r e n f ü h r e n m ü s s t e n . A u c h w i r d unterstellt, m a n c h e Personengruppen würden Polizisten bei Festnahmen b e w u s s t provozieren, um s o d i e V e r f a h r e n s z a h l e n g e g e n P o l i z i s t e n künstlich in d i e H ö h e treiben zu k ö n n e n : „ E s fällt auf, daß die V o r w ü r f e i m m e r von der gleichen Klientel und den gleichen R e c h t s a n w ä l t e n a u f g e b r a c h t w e r d e n , d a ß F e s t n a h m e n in d i e s e m

Milieu

k a u m mehr ohne Widerstand a b g e h e n " (Reinstädt 1997: 4 9 9 ) . Schließlich berufen sich Medien und Menschenrechtsorganisationen ausschließlich a u f die A u s s a g e n d e r O p f e r , w a s zu F e h l e i n s c h ä t z u n g e n f u h r e n m ü s s e . S o l ä s s t s i c h z . B . ü b e r B e r i c h t e v o n a m n e s t y international in P o l i z e i z e i t s c h r i f t e n n a c h l e s e n ( v g l . K o l m e r 1996: 168f.): In diesem Zusammenhang sollte sich die angesehene Menschenrechtsorganisation insbesondere ihre deutsche Sektion - ernsthaft fragen, ob sie der deutschen Polizei weltweit auf Pressekonferenzen den schlimmen Vorwurf machen will, sie würde Ausländer foltern. Selbst wer ausschließlich den Aussagen von Betroffenen über Vorfälle in bundesdeutschen Polizeidienststellen Glauben schenkt, die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft als abgekartetes Spiel bewertet und den Freispruch eines beschuldigten Polizisten durch ein ordentliches Gericht mit dem Hinweis kommentiert, daß eine Krähe der anderen schon kein Auge aushacke - selbst wer also der Bundesrepublik Deutschland die Rechtsstaatlichkeit abspricht, sollte mit solchen Vorwürfen vorsichtig umgehen, weil sie die internationale Demokratisierungsarbeit und die Bemühungen des Auswärtigen Amts zur Eindämmung der Folter unterminieren. (Lutz 1995: 4) 2 3

erstattet, davon 180 durch ausländische Mitbürger. Eingeleitet wurden 444 Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt, Beleidigung und Freiheitsberaubung. 318 dieser Verfahren wurden eingestellt, 7 führten zu Verurteilungen, 7 wurden wegen geringer Schuld eingestellt. Von Friedl (1995) wurden mit Bezug auf dieselbe Anfrage im hessischen Landtag teils geringfügig abweichende, teils differenziertere Daten referiert: Auch er nennt die Zahl von 520 Strafanzeigen. Davon erfolgten 218 wegen Übergriffen bei Festnahmen, 68 wegen Übergriffen auf Polizeirevieren, 234 hatten „andere Gründe". Eingeleitet wurden 552 Ermittlungsverfahren, davon 364 wegen Körperverletzung im Amt, 35 wegen Freiheitsberaubung, 45 wegen Beleidigung, 108 wegen „anderer Verdachtsmomente". Laut Friedl sind 219 Verfahren noch nicht abgeschlossen, 318 wurden eingestellt, 15 führten zur Anklageerhebung (7 Verurteilungen, 1 Freispruch, 7 Einstellungen wegen geringer Schuld). „Amnesty international fordert seit geraumer Zeit die Polizei auf, dem Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit in den eigenen Reihen auf den Grund zu gehen. Als die Polizei das dann endlich tat, war es der Organisation (...) offenbar auch wieder nicht recht: Am gleichen 34

Zuletzt beschweren sich die Polizisten, dass zwar die mutmaßlichen Taten, nicht jedoch die Freisprüche und Verfahrenseinstellungen gegenüber den angeklagten Polizisten breit publiziert wurden, so dass die Öffentlichkeit von letzterem weniger erfahrt als von den Verdächtigungen selbst (Schmidt 1996: 6f.; vgl. Holecek 1995a: 3f; Lutz 1995: 4; Deutsche Polizei 1996a). Die Gegenseite ist demgegenüber der Meinung, dass zum einen ein hohes Dunkelfeld bestünde, weil sich viele Opfer von Polizeiübergriffen nicht getrauen, Anzeige zu erstatten. Betroffene Asylbewerber hätten etwa Angst vor Abschiebung, Ausländer davor, dass ihre Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert wird (Diederichs 1995a), vor allem aber würden Polizisten auf Anzeigen routinemäßig mit Gegenanzeigen wegen angeblichen Widerstands gegen die Staatsgewalt reagieren (Ehrig 1994; Diederichs 1995a). Zudem muss die Anzeige bei der Polizei selbst erstattet werden, was unzweifelhaft für Betroffene unangenehm und schwierig ist (vgl. Diederichs 1995a; CILIP 1985). Ist die Anzeige gegen einen Polizisten erst einmal vorgebracht, stellt sich das Problem ein, dass häufig keine Zeugen anwesend waren bzw. die polizeilichen Zeugen ihre Kollegen schützen und schweigen. 24 Schließlich wird von Polizeikritikern die Staatsanwaltschaft in die Vorwürfe einbezogen. Die institutionelle Nähe von Staatsanwaltschaft und Polizei führe dazu, dass Polizisten bei Ermittlungen und Verhandlungen geschont würden (Diederichs I995e; Diederichs 1995a; SZ 1998). Besonders angriffslustig argumentiert der Anwalt Gössner, der bereits verschiedentlich Opfer mutmaßlicher Polizeiübergriffe vor Gericht vertreten hat. Er wirft der Justiz schwere Versäumnisse und zu milde Urteile gegen angeklagte Polizisten vor und der Polizei selbst, sie würde z.B. Beweismaterial verschwinden lassen und angeklagten Polizisten vor den Vernehmungen Raum für Absprachen lassen (vgl. z.B.: Gössner 1995, 1996, 1997a, 1997b; Gössner/Neß 1996; Gössner/Herzog 1981). Seine teils gemeinsam mit Koautoren verfassten Publikationen provozieren regelmäßig kritische Beurteilungen und Rezensionen und zwar nicht nur durch die Polizei selbst. So meint Schüller in Bezug auf eine ältere Veröffentlichung von Gössner/Herzog (1981): Die Folgerungen aus den hier dargestellten Einzelfällen haben jedoch eher unrealistischen Charakter, insbesondere dann, wenn die Autoren Todesschusssituationen als „planmäßig gestaltete Fälle von Schnelljustiz" bezeichnen, die „die per Grundgesetz verbotene Todesstrafe" wieder einfuhren. (Schüller 1991: 57)

In der soziologischen Revue wird eine Arbeit von Gössner, in diesem Fall gemeinsam verfasst mit dem Journalisten Neß (Gössner/Neß 1996), der selbst eine

24

Tag, als die Polizeifiihrungsakademie in Hiltrup endlich grünes Licht erhielt, das Ergebnis des Forschungsprojekts ,Polizei und Fremde' vorzustellen und zu erläutern, startete amnesty international (ai) den publizistischen Overkill mit neuen Mißhandlungsvorwürfen gegen die Polizei." (Deutsche Polizei 1996a: 12; vgl. Holecek 1995a) Dem ist allerdings hinzuzufügen, dass im Falle des Hamburger Polizeiskandals ein Kronzeuge aus der Polizei selbst zur Verfugung stand (Geis/Schäfer 1995).

35

Anzeige gegen Polizisten erstattet hat und den Gössner anwaltlich vertritt, folgendermaßen besprochen: Dieses Buch trägt nicht zu einer sinnvollen sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Problemen innerhalb der Polizei und mit der Polizei im allgemeinen bei, sondern es dient nur einer Frontverhärtung und Polemik, wie sie nun im „Polizeistreit" Fuß gefaßt hat. [Sowie abschließend] (...) eine Veröffentlichung, die sich nur durch marktschreierische Skandalisierung und Plattheiten auszeichnet. (Liebl 1997: 230f.)

Eine Klärung, wer innerhalb des „Polizeistreits" Recht behält, wird an dieser Stelle nicht angestrebt. Immerhin führten die öffentlichen Vorwürfe hinsichtlich der Ermittlungen und Verfahren gegen Polizeibeamte im Hamburger Fall laut Schwind aber dazu, dass vormals eingestellte Verfahren überprüft und teils wieder aufgenommen wurden. Das Ergebnis ist jedoch fast dasselbe wie zuvor, die Mehrzahl wurde erneut eingestellt (Schwind 1996). Zu berücksichtigen ist dabei, dass sich laut amnesty international sogar der UN-Ausschuss gegen Folter mit der Situation in Deutschland beschäftigt hat und zu einem durchaus kritischen Ergebnis kommt. Der Ausschuß äußerte sich besorgt über die hohe Zahl bekanntgewordener Mißhandlungsvorwürfe, die sich zumeist auf den Zeitpunkt der Festnahme bezogen. Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf eine in offiziellem Auftrag erstellte Studie, die zutage gefordert hatte, daß es sich bei polizeilichen Übergriffen gegenüber ausländischen Staatsbürgern nicht um „bloße Einzelfälle" handelt. Der Ausschuß bemängelte darüber hinaus die „Existenz bestimmter Rechtsvorschriften, die es unter gewissen Bedingungen zulassen, daß gesetzliche Garantien zugunsten von Personen, die die Polizei verhaftet hat, nach Ermessen erheblich eingeschränkt werden können". Er nannte als Beispiel „Vorschriften, die es der Polizei in bestimmten Fällen erlauben, einer auf einer Polizeistation festgehaltenen Person die Benachrichtigung eines Familienangehörigen zu untersagen". Besonders beunruhigt äußerte sich der Ausschuß über die „offenbar geringe Zahl von Strafverfahren und Verurteilungen im Zusammenhang mit Vorwürfen über Mißhandlungen durch die Polizei, vor allem dann, wenn es sich (bei den mutmaßlichen Opfern) um Menschen ausländischer Abstammung handelt", (amnesty international 2000d: o.S.)

Für die Gesamtzahl der von der Polizei zwischen 1976 bis 1997 abgegebenen Schüsse und ihre jeweiligen Ziele stehen verschiedene Quellen zur Verfugung. Die vollständigsten Daten stammen aus der Zeitschrift CILIP/Bürgerrechte und Polizei (Pütter 1999, C1L1P 1990a), bis zum Jahr 1983 konnten zudem einige Angaben anhand jener von Busch u.a. (1985) überprüft werden. Dabei konnten zwar kleinere Abweichungen festgestellt werden, im Großen und Ganzen stimmen die Daten jedoch überein. Außerdem werden difFerente Untergliederungen vorgenommen. Während die ältere Statistik (Tab. 5) nur zwischen „Warnschüssen", „gezielten Schüssen auf Menschen" und „gezielten Schüssen auf Sachen" unterscheidet werden in der neueren Statistik (Tab. 6) zusätzlich Schüsse „auf Tiere oder Sachen" angeführt. Zur Erklärung ist zu sagen, dass sich Schüsse auf „Tiere oder Sachen" (Tab. 6, Spalte 3) von Schüssen „gegen Sachen" bzw. „gezielt auf Sachen" (Tab. 5, Spalte 5 bzw. Tab. 6, Spalte 6) dahingehend unter36

scheiden, dass im ersten Fall die Sache bzw. das Tier das eigentliche Ziel ist, z.B. beim Öffnen einer Tür mittels Schusswaffeneinsatzes. Im zweiten Fall ist das Handlungsziel eine Person, derentwillen auf eine Sache geschossen wird. Als Beispiel gelten gezielte Schüsse der Polizei auf Fluchtfahrzeuge, um Flüchtende zu stoppen (vgl. Pütter 1999: 2). Tab. 5: Jahr

BRD: Polizeilicher Schusswaffeneinsatz 1974 - 1989 Anzahl gesamt

davon Warnschüsse

davon gezielt auf Menschen

davon gezielt auf Sachen

1976

1.794

219

141

46

1977

1.827

192

160

76

1978

1.659

162

III

87

1979

1.875

161

104

102

1980

2.078

159

111

65

1981

2.145

150

93

86

1982

2.104

163

87'

77

1983

2.330

139

54

88

1984

2.420

114

35

51

1985

2.244

116

54

53

1986

2.199

105

53

66

1987

2.003

102

57

60

1988

2.056

114

56

45

1989

1.920

102

59

48

l ) L t Busch u.a. (1985) waren es 125 gezielte Schüsse auf Menschen. Quelle: CILIP 1990a; Busch u a 1985: 313.

Die Übergriffe durch Polizeibeamte in der Bundesrepublik Deutschland geben demnach durchaus zur Sorge Anlass, wenn die Zustände auch längst nicht so sind, wie manche Autoren glaubhaft machen möchten. Genaueres, etwa über die längerfristige Entwicklung der Menge an Übergriffen lässt sich allerdings schwerlich sagen. Zum einen, weil wegen des „Polizeistreits", in dem beide Seiten tragfähige Argumente vorbringen, nicht geklärt werden kann, ob die Menge an Verfahrenseinstellungen für oder gegen die Polizei spricht und zum anderen, weil sich Schläge, Tritte, und was der bundesdeutschen Polizei sonst noch vorgeworfen wird, einer Quantifizierung weitgehend entziehen. Ersatzweise kommt es allerdings in Frage, den Schusswaffengebrauch von Polizeibeamten zu untersuchen, der als Indikator für das Gewaltniveau bei Begegnungen zwischen Polizisten und Bürgern gelten kann. Darüber stehen seit 1976 fast lückenlose Daten zur Verfügung, die des Weiteren nach Einsatzsituationen, Folgen usw. aufgegliedert sind. 37

Tab. 6: Jahr

BRD: Polizeilicher Schusswaffengebrauch 1988 - 1997 Schüsse gesamt

davon auf Tiere oder Sachen

davon gegen Menschen

Warnschüsse

gegen Personen

gegen Sachen

1988

2.056

1.841

114

56

45

1989

1.918

1.709

102

59

48

1990

2.006

1.754

162

52

38

1991

2.359

1.873

271

114

101

1992

2.261

1.670

315

131

145

1993

2.369

1.854

307

101

107

1994

2.363

1.916

268

95

84

1995

2.368

1.964

221

119

64

1996

2.595

2.304

163

79

49

1997

2.657

2.379

172

60

47

Quelle: Pütter 1999.

Da die Jahre 1988 und 1989 in beiden Tabellen aufgeführt und die Angaben (fast) identisch sind, sind beide Tabellen direkt miteinander vergleichbar. Ablesen lässt sich, dass die Zahl der von Polizisten abgegebenen Schüsse zwischen 1976 und 1997 angestiegen ist, der Löwenanteil sowohl der Gesamtzahl als auch der Steigerung geht aber auf die harmloseren Schüsse auf Tiere und Sachen zurück. Zu den eigentlich interessierenden Schüssen gegen Menschen ist zweierlei zu sagen. Zum einen schwankt deren Zahl stark, zum anderen ist Mitte bis Ende der siebziger Jahre sowie Anfang der neunziger Jahre eine erhebliche Steigerung festzustellen. Eine weitere Tabelle über den Schusswaffengebrauch durch deutsche Polizisten zählt Todesopfer und Verletzte (Tab. 7). Sie zeigt, dass die Zahl der Verletzten fast konstant zurückgeht, während die Zahl der Getöteten stark schwankt. Außerdem folgt die Kurve der Getöteten nicht der Kurve der gezielten Schüsse gegen Menschen (Tab. 5 und 6). Zwar ist Ende der siebziger Jahre besonders viel geschossen worden und es sind zum gleichen Zeitpunkt, insbesondere 1977, besonders viele Getötete zu zählen, den hohen Zahlen an Getöteten im Jahr 1983 steht aber keine Zunahme der Gesamtzahl der Schüsse gegen Menschen gegenüber.

38

Tab. 7:

BRD: Personenschäden durch polizeilichen Schusswaffengebrauch

Jahr

Anzahl gesamt

Todesopfer

1976

1.794

8

1977

1.827

17(21)'

1978

1.659

7 2

II

davon Unbeteiligte

1979

1.875

1980

2.078

16

1981

2.145

17

1982

2.104

11

1983

2.330

24

1984

2.420

6

1985

2.244

10

1986

2.199

12

1987

2.003

7

1988

2.056

9

1989

1.920

10

Verletzte

1

davon Unbe- Personenschäden teiligte gesamt

73

6

81

80

5

97(101)'

1

65

1

72

1

64

8

74

56

2

72 3

56

5

73 4

~

-

2

74

3

85

42

2

66

32

3

42

32

2

44

23

-

2

33

-

1

1

In Klammern: inkl. der vier in Mogadischu Getöteten

2

Lt Busch u a. (1985): 10.

1

Lt. Busch u.a (1985): 82.

4

Lt. Busch u.a (1985): 83.

29

-

40

~

41

50

41

51

Quelle: C1L1P 1990a: 72; Busch u.a. 1985: 313

Tab. 8: Jahr

BRD: Polizeiliche Todesschüsse 1976 - 1997 Gesamt

Dokumentiert in C1LIP

Jahr

Gesamt 7

Dokumentiert in (TILI P

1976

8

6

1987

3

1977

17

15

1988

8

8

1978

8

8

1989

10

10

1979

11

11

1990

10

10

1980

16

13

1991

9

9

1981

17

13

1992

12

10

1982

11

10

1993

16

15

1983

24

21

1994

10

10

1984

6

6

1995

21

20

1985

10

9

1996

10

10

1986

12

12

1997

12

12

Quelle: Pütter 1999: 4

39

Auch die den Zeitraum bis 1997 darstellende Tabelle 8 lässt nicht den Schluss zu, dass die Zahlen der Getöteten in einem direkten Zusammenhang zur Zahl der auf Bürger abgegebenen Schüsse steht, selbst wenn 1995 ein Höhepunkt erreicht wird. Sie belegt außerdem, dass die periodisch und zeitnah veröffentlichten Angaben der Zeitschrift CILIP/Bürgerrechte und Polizei relativ zuverlässig sind, da sie weitgehend mit der später überprüften Zahl (Gesamt) übereinstimmen. Dies ist insofern von Bedeutung, als die jährlichen Berichte von CILIP über polizeiliche Todesschüsse damit für weitere Auswertungen herangezogen werden können. Tab. 9: Jahr

BRD: Waffenbesitz der Opfer tödlichen polizeilichen Schusswaffeneinsatzes 1988 - 1 9 8 9 Messer u.ä.

Sonstiges

1988

Schusswaffe 4

Gaspistole u.ä. --

2

l1

2

1989

5

--

2

l2

2

1990

5

4

1

--

3

1991

3

2

2

1994

2

l3

5

--

2

Unbewaffnet

2

1995

14

3

1

--

2

1996

1

3

3

-

3

1997

6

1

2

I3

2

1998

3

1

1

34

' Anfahren mit einem KFZ; 2

Das spätere Opfer griff nach der Waffe eines Polizisten;

3

Versuch einen Polizeibeamten zu überfahren;

4

Tötung eines Dritten durch einen Querschläger aus einer Polizeiwaffe.

Quelle: CILIP 1 9 8 9 - 1999;25 Eigene Auswertung.

In den Jahresberichten von CILIP/Bürgerrechte und Polizei werden die Fälle je eines Jahres kurz charakterisiert und man erfährt dabei auch, ob das getötete Opfer eine Waffe mit sich führte oder nicht. Die Auswertung der Angaben der Zeitschrift CILIP/Bürgerrecht und Polizei in Form einer Auszählung (Tab. 9) ergab, dass Polizisten zwischen zwei und fünf Mal pro Jahr Menschen erschießen, die ihrerseits unbewaffnet sind bzw. nicht angreifen. Diese Zahlen dürften sogar noch übertrieben sein, weil in die Sparte „unbewaffnet" auch jene Fälle aufgenommen wurden, in denen die Bewaffnung der Getöteten von CILIP nicht thematisiert wird sowie jene, bei denen angegeben wird, dass der Schuss aus der Polizeiwaffe sich „versehentlich" löste, meist bei Handgreiflichkeiten. Bei den meisten Tötungen durch Polizisten war das polizeiliche Gegenüber bewaffnet CILIP 1989b: 93f; CILIP 1990a: 70ff.; CILIP 1990c: 95ff; CILIP 1990d: 75; Diederichs 1991: 71ff; Diederichs 1992: 6Iff; Diederichs !995f: 69fT; Diederichs 1996a: 76fT; Diederichs 1996b: 72ff; Diederichs 1997a: 75ff; Diederichs 1998: 75fT; Diederichs 1999: 69ff.; Diederichs 2000: 54ff.

40

oder griff an. Es sei jedoch daraufhingewiesen, dass die in der Tabelle genannten Zahlen einerseits nichts darüber aussagen, ob die Waffe von dem späteren Opfer eingesetzt wurde. Andererseits kann aber allein das Ziehen einer Schusswaffe oder eines Messers von Polizisten als gefahrliche Bedrohung interpretiert werden, dasselbe gilt für das in Spalte 3 aufgeführte Zücken einer Gaspistole, Schreckschusspistole u.ä., weil diese Waffen täuschend echt aussehen können. Bei den unter „Sonstiges" zusammengefassten Situationen handelt es sich schließlich meist um solche, in denen jemand versucht, Polizeibeamte mit dem Auto anzufahren. Außerdem kann aus den CILIP-Jahresberichten entnommen werden, dass im Zuge der 101 Todesschüsse, die für die oben stehende Tabelle analysiert wurden, sechs Polizisten umkamen und 25 Polizisten verletzt wurden. 26 Neben der Frage der Bewaffnung des Täters ist es von Interesse, in welchen Einsatzsituationen Polizisten ihre Waffe ziehen. Eine solche Auswertung hat Pütter (Pütter 1999) vorgenommen und zwar abermals auf der Basis der Angaben der Zeitschrift C1LIP. Er unterscheidet zwischen sieben verschiedenen Einsatzsituationen (vgl. Tab. 10). Demnach fallen die weitaus meisten tödlichen Schüsse bei der sog. „ad-hoc-Straftatenvereitelung", eine Kategorie unter der der Autor Fälle subsumiert, in denen die Polizei gerufen wird, während eine Straftat verübt wird. Bei Geiselnahmen und vorbereiteten Festnahmen wurden 21 Menschen erschossen. Diese Situationen zeichnen sich im Gegensatz zu den anderen dadurch aus, dass der Polizei eine gewisse Planungszeit zur Verfügung steht. Dies gilt im stärksten Maße für den „finalen Rettungsschuß", „ein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich" wirkender Waffeneinsatz, der laut Pütter zwischen 1988 und 1997 fünf Mal und zwischen 1976 und 1997 elf Mal stattfand (vgl. Pütter 1999). Alle anderen Kategorien beziehen sich auf polizeiliche Alltagssituationen. Bei Routine-Verkehrskontrollen, d.h. solchen ohne spezifischen Anlass, wurden sieben Menschen getötet, bei sog. InitiativFestnahmen u.ä. weitere sieben. Gemeint sind mit letzterem Situationen, in denen Polizisten zufällig auf eine Straftat oder einen Straftäter aufmerksam werden und eigeninitiativ einschreiten. Familienstreitigkeiten und Hilferufe wegen Randalierern haben relativ häufig tödlichen Ausgang, innerhalb von Jahren starben dabei 16 Menschen durch Schüsse aus polizeilichen Dienstwaffen. Insoweit ist

26

Pütter kommt in seiner eigenen Auszählung der polizeiliches Todesschüsse zwischen 1988 und 1997 zu abweichenden Ergebnissen: „In 17 der 114 dokumentierten Fälle wurde der tödliche Schuß von einem Mitglied eines Sondereinsatzkommandos abgegeben (in den zehn Jahren davor war das Verhältnis 19 zu 106). In 41 Fällen war das Opfer nicht bewaffnet (weder mit Schuß-, Explosiv- oder Stichwaffen) - die tatsächliche Gefährlichkeit der Situation war also keineswegs immer der Auslöser für den tödlichen Schuß. In den Auseinandersetzungen, die zum tödlichen Polizeischuß führten, wurden im vergangenen Jahrzehnt 12 Polizisten getötet; davon drei durch Schüsse von Kolleginnen. Weitere 2 4 Polizistinnen wurden bei den Einsätzen verletzt. Damit kam es in maximal 36 bzw. 33 der 114 Fälle zu Personenschäden auf Polizeiseite. Auch dies kann als Indiz dafür gewertet werden, daß die Gefährlichkeit der Situation keine ausreichende Erklärung dafür ist, warum es zu polizeilichen Todesschüssen kommt." (Pütter 1999: o.S.)

41

Pütter zuzustimmen, der folgert, dass die polizeilichen Todesschüsse weniger während der Verfolgung schwerer Kriminalität fallen, sondern eher im Polizeialltag (Pütter 1999). Andere Autoren stützen diese Argumentation und stellen die Stressmomente heraus, die in eskalierenden ad hoc-Situationen ohne Zweifel eine Rolle spielen (vgl. z.B. Heuer 1997). Tab. 10:

BRD: Polizeiliche Todesschttsse 1988 -1997 nach Einsatzsituationen

Jahr

1988 1989 199« 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 Ges.

Familienstreitigkeit; Geisteskranke; Randalierer Geiselnahme (finaler Rettungsschuss in Klammer) RoutineVerkehrskontrolle; Kontrollstelle InitiativFestnahme; Initiativ-Kontrolle Ad-hocStraflatenvereitelung Fluchtversuch Vorbereitete Festnahme Unklar Gesamt

1

1

1(1)

2

(1)

2

2

3

2

2

1

2

1

7

6

5

12

3

3 4

2

2 1

1

15

10

20

10

7

3

2

1

1 2

1 2

1 2

1

10

10

10

10

9

4

1 2(1)

(2)

4

1

2

16

7(5)

1

7

7

6

51

10 14 1 12

1 115

Quelle: Pütter 1999: 6.

Eine letzte Tabelle (Tab. 11) über den tödlichen Schusswaffeneinsatz der deutschen Polizei verdeutlicht, dass es nicht die außergewöhnlichen Einsätze sind, die die meisten Todesopfer fordern. Die Kategorisierung der von der Polizei selbst geführten und von der Innenministerkonferenz publizierten Statistik lehnt sich an die rechtlichen Voraussetzungen des polizeilichen Schusswaffengebrauchs an. Demnach ist ein Schuss gegen Menschen nur dann zulässig, wenn der Einsatzzweck nicht durch Schüsse gegen Sachen erreicht werden kann und wenn weitere Bedingungen erfüllt sind. Unterschieden wird zwischen 1) Schüssen gegen Personen in einer Menschenmenge, eine Situation in der nur dann die Waffe gezogen werden darf, wenn eine „gegenwärtige Gefahr für Leib und 42

Leben abgewehrt werden soll"; 2) Verhinderung gewaltsamer Gefangenenbefreiung; 3) Fluchtvereitelung eines Gefangenen; 4) Fluchtvereitelung bei Verdacht eines Verbrechens od. „gleichgestellten Vergehens"; 5) Verhinderung von Verbrechen und „gleichgestellter Vergehen"; 6) Notwehr/Nothilfe, wobei diese Kategorie nichts mit der speziellen Gewaltermächtigung der Polizei zu tun hat, sondern zu den sog. „Jedermanns-Rechten" zählt (Pütter 1999). Laut den Angaben wurde im in Tabelle 11 dargestellten Zeitraum die Tötung in nur 25 Fällen durch die polizeilichen Spezialrechte legitimiert: von 584 abgegebenen Schüssen zur Fluchtvereitelung führten 17 zum Tod, von 175 zur Verhinderung eines Verbrechens acht. Die weitaus meisten Todesschüsse werden als Notwehr oder Nothilfe gewertet. Insgesamt wurde 806 Mal aus diesem Grunde geschossen, dabei kamen 84 Menschen um. Tab. 11:

BRD: Polizeiliche Todesschüsse: Rechtliche Zuordnung 1988

Gesamt davon Notwehr/Nothilfe

7 4

davon Verhinderung von Verbrechen 1

1

d a v o n Fluchtvereitelung 2

2

1989

9 7

2

1990

1991

10 6

9 7

2

2

2



1992

1993

12 9

16 II

1994

8 7

1995

19 16

1996

9 7

1997

10 10

3 3

5

1



Ges. 109 84 8

2



17

1) Verhinderung von Verbrechen oder „gleichgestellten Vergehen"; 2) Fluchtvereitelung bei Verdacht eines Verbrechens oder „gleichgestellten Vergehens" Quelle: Pütter 1999: 5 " .

Die Bewertung all dieser Daten ist schwierig. Einerseits ist jede Tötung zu vermeiden und bedarf der besonderen Rechtfertigung, v.a. wenn sie von Polizisten verursacht wird. Andererseits ist es vorstellbar, dass Polizisten in prekäre Situationen geraten, in denen sie glauben, von der Waffe Gebrauch machen zu müssen. Auch an dieser Ambivalenz macht sich der „Polizeistreit" fest. Während die Polizei selbst die hohe Zahl an Schüssen in Notwehrsituationen als Indiz für ihre berufliche Gefährdung wertet, sprechen Polizeikritiker angesichts der rechtlichen Zuordnung der Todesschüsse davon, dass „zur rechtlichen Rechtfertigung der tödlichen Schüsse auf die ,Jedermann-Rechte' der Notwehr oder Nothilfe zurückgegriffen" (Pütter 1999: o.S.) werde. Pütter argumentiert in dem Gesamtzusammenhang, dies bedeute, dass es der Polizei „praktisch nicht gelingt, die gesetzlichen Vorgaben (nur schießen, um flucht- oder angriffsunfahig zu machen) in die Praxis umzusetzen" (Pütter 1999: o.S.), was kaum nachvollziehbar ist. Allerdings herrscht Übereinstimmung dahingehend, dass nur selten von ge-

27

Unter B e r u f u n g auf die IMK-Statistik.

43

zielten Todesschüssen zu sprechen ist, meist eskaliert eine Situation bevor Polizisten einen tödlichen Schuss abgeben. Dass die bundesdeutsche Polizei besonders „schießwütig" wäre, kann auf der Basis der referierten Daten nicht behauptet werden. Busch u.a. haben dies unter Verweis auf andere europäische und die nordamerikanische Polizei ebenfalls verneint (Busch u.a. 1985: 310) und der folgende Vergleich mit südamerikanischen Ländern wird dies ebenfalls bestätigen. 1.2.2. Venezuela Venezuela ist ein Land, das dem südamerikanischen politischen Grundmuster häufiger politischer Wechsel und periodisch wiederkehrender Militärdiktaturen nicht folgt und auch wegen Menschenrechtsverletzungen geriet Venezuela nie derart in die internationalen Schlagzeilen wie insbesondere Argentinien, Chile und Uruguay während deren Militärdiktaturen, die das öffentliche Bild Südamerikas prägten. Höchstens der notorisch miserable Zustand venezolanischer Gefängnisse sowie hauptsächlich die Aufstände im Februar 1989 erfuhren größere Aufmerksamkeit (vgl. Welsch/Werz 1990; Sonntag/Thais Maingön 1992). Die damaligen Massenproteste in der Hauptstadt Caracas entzündeten sich, nachdem die Regierung Subventionen streichen musste, was zu einer erheblichen Verteuerung im Bereich der Grundbedürfnisbefriedigung führte. Neben dem eigentlichen Aufstand der breiten Bevölkerung kam es damals zu Plünderungen und auch organisierte Banden, Drogenhändler usf. versuchten das Durcheinander für eigene Zwecke zu nutzen. Niedergeschlagen wurden die Proteste durch Polizei und Militär und in der Bilanz verloren während der als Caracazco bekannt gewordenen Unruhen laut offiziellen Angaben rund 250 Menschen ihr Leben, inoffiziellen Schätzungen zufolge liegen die Opferzahlen weit höher. Zu finden waren die Opfer v.a. unter Bewohnern der barrios (Armenviertel) und es wurde bekannt, dass die Sicherheitskräfte dort gezielt Personen verfolgten und wahrscheinlich die Gunst der Stunde nutzten, um alte Rechnungen zu begleichen, indem sie ehemalige Kontrahenten und vermeintliche Kriminelle kurzerhand erschossen (vgl. Kap. 3.3.). Von einem ähnlichen Muster im Umgang mit Tatverdächtigen während eines Katastropheneinsatzes berichtet das US Department of State anlässlich der gewaltigen Überschwemmungen in Venezuela im Dezember des Jahres 1999. In December heavy rains triggered flooding and landslides that killed an estimated 20,000 persons. The authorities are investigating allegations of human rights violations by the military and security forces in the days immediately following the disaster. Witnesses claim that military and security forces beat, detained, and killed alleged looters and criminal suspects. (US Department of State 2000: o.S.)

Die Berichte der internationalen Menschenrechtsorganisationen der letzten Jahre sind im Hinblick auf die Zustände in Venezuela auch darüber hinaus übereinstimmend kritisch. Im Grenzgebiet zu Kolumbien sind die verfassungsmäßigen

44

G a r a n t i e n t e i l w e i s e a u s g e s e t z t 2 8 und die B e d i n g u n g e n in v e n e z o l a n i s c h e n

Ge-

fängnissen w e r d e n i m m e r n o c h als „ e x t r e m h a r t " b e s c h r i e b e n . Der körperliche Zustand der Gefangenen und der Mangel an Grundversorgung (...) kamen vielfach grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gleich. Zahlreiche Gefangene sollen aufgrund der unzumutbaren hygienischen Bedingungen und der unzureichenden medizinischen Versorgung gestorben sein, (amnesty international 2000e: o.S.) 2 " Prison conditions continued to be extremely harsh due to underfeeding, poorly trained and corrupt prison staff and national guard members, and overcrowding so severe as to constitute inhuman and degrading treatment. ( . . . ) Inmates often have to pay guards as well as each other to obtain necessities such as space in a cell, a bed, and food. (...) Many inmates also profit from exploiting and abusing others, and violence among prisoners is common. (US Department o f State 2000: o.S.) A u f g r u n d d e s s e n k o m m e n sehr viele V e r h a f t e t e in G e f ä n g n i s s e n u m , allein im J a h r 1 9 9 9 w a r e n es rund 4 0 0 M e n s c h e n . D a v o n g e h t z w a r ein nicht g e r i n g e r Teil a u f d a s K o n t o v o n F e h d e n z w i s c h e n G e f a n g e n e n , a b e r a u c h die G e f ä n g n i s a u f sicht ist in M o r d e v e r w i c k e l t und insofern m i t s c h u l d i g , als sie die Inhaftierten nicht zu schützen weiß. R o d l e y ( 1 9 9 9 : 2 5 f f . ) w e i ß z u m Beispiel zu berichten, dass in M a r a c a i b o im J a h r 1 9 9 4 eine G r u p p e v o n G e f a n g e n e n in den R ä u m e n einer anderen G r u p p e F e u e r legte und a u f diese W e i s e über 1 0 0 M e n s c h e n u m b r a c h t e , o h n e dass die W ä c h t e r eingriffen und die M e n s c h e n r e c h t s o r g a n i s a t i o nen berichten zur aktuellen L a g e : Security forces committed a small number o f killings in prisons. However, the majority o f the 390 inmate deaths resulted from gang confrontations, riots, fires, and generally unsanitary and unsafe conditions. (US Department o f State 2000: o.S.) 1999 sind mindestens 400 Insassen zumeist durch Gewaltakte von Mithäftlingen, in einigen Fällen aber auch nach Angriffen von Gefängniswärtern getötet worden, (amnesty international 2000e) L a u t R o d l e y sind die v e n e z o l a n i s c h e n G e f ä n g n i s s e um d a s z w e i - bis f ü n f f a c h e überfüllt ( R o d l e y 1 9 9 9 : 3 0 f f . ) . G r o ß e n Anteil daran hat ein Ü b e r h a n g an U n t e r s u c h u n g s h ä f t l i n g e n , die j a h r e l a n g a u f ihren P r o z e s s w a r t e n m ü s s e n und die G e f ä n g n i s s e b e v ö l k e r n , darunter u n s c h u l d i g e O p f e r willkürlicher

28

29

30

Festnahmen.30

„(...), darunter auch das Recht eines jeden Bürgers, nicht ohne Haftbefehl festgenommen zu werden, ( . . . ) . So konnten die dortigen Militärbehörden weiterhin Personen bis zu 20 Tage lang in Untersuchungshaft festhalten."(amnesty international 2000d: o.S.) „Hunderte Gefangene erhoben den Vorwurf, Mißhandlungen durch Gefängniswärter und Beschäftigte des Justizministeriums ausgesetzt worden zu sein." (amnesty international 2000d: o.S.) „(...) roughly 70 percent o f the approximately 24,500 prisoners had not been convicted o f a crime (...), the slow and secretive inquisitorial justice system o f the old code had led to an inefficient, overwhelmed, and corrupt justice system, which resulted in cases languishing 45

Mitursache dessen war das skandalöse Ley de Vagos y Maleantes von 1939, eine Art „Vagabundengesetz", das nicht Tat- sondern Personenmerkmale oder widrige Lebensumstände wie Landstreicherei zum „Straftatbestand" machte. Auf seiner Grundlage konnten Menschen bis zu fünf Jahre eingesperrt werden und der Polizei eröffnete es einen immensen Ermessensspielraum sowie die Chance, willkürliche Verhaftungen formal zu legalisieren (vgl.: Schmid 1997a; Chevigny 1999: 56ff.; Birkbeck 1992; Gabaldón/Bettiol 1991/1992). Dieses Gesetz wurde 1997 abgeschafft, aber dies bedeutet in der Praxis keineswegs, dass es keine willkürlichen Festnahmen mehr gäbe. Bei Großrazzien in barrios sind sie weiterhin üblich (vgl. Hernández 1991; Birkbeck 1992). Nach der Aufhebung des Gesetzes über Landstreicher und Kleinkriminelle (...) wurden mehr als 500 Häftlinge freigelassen. (...) Dennoch war in vorliegenden Meldungen von Tausenden Fällen die Rede, in denen Menschen offenkundig im Zuge sozialer Säuberungsaktionen, die sich in der Regel gegen Angehörige der ärmsten und wehrlosesten Gruppen der Gesellschaft richteten, willkürlich festgenommen wurden, (amnesty international 2000d: o.S.; vgl. US Department of State 2000: o.S.) In zahlreichen Berichten war weiterhin von Mißhandlungen und Folterungen durch Angehörige von Polizei und Armee die Rede. Zu den geschilderten Foltermethoden zählten Schläge, die Verabreichung von Elektroschocks sowie Scheinhinrichtungen, (amnesty international 2000d; vgl. US Department of State 2000: o.S)

In Polizeigewahrsam, nach Verhaftungen, während Verhören und in den Gefängnissen sind die Verhafteten offensichtlich routinemäßig Schlägen und degradierender Behandlung sowie zum Teil sogar äußerst schwerwiegenden Formen der Folter ausgesetzt (vgl. Chevigny 1999: 49ff.; Rodley 1999: 25ff.). Körperliche Misshandlung durch die Polizei ist so üblich, dass, wie eine Mitarbeiterin der venezolanischen Menschenrechtsorganisation PROVEA (Programa Venezolano de Educación - Acción de Derechos Humanos) betont, die niedrigen Zahlen der Anzeigen gegen Mitarbeiter der Sicherheitskräfte nur zu einem Teil auf die Angst der Opfer vor Racheakten der Polizisten zurückzuführen sind,31 vielmehr glaubten die Misshandelten die Behandlung durch die Polizei sei normal, so dass sie keinen Anlass für eine Anzeige sehen (Bolívar 1999: 42ff.). Was die Tötungen durch Polizisten in Venezuela anbelangt, so ist in den Berichten der Menschenrechtsorganisationen nicht nur von gewöhnlichen Tötungen bei bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Polizei und mutmaßlichen Kriminellen die Rede, rund die Hälfte der Tötungen tragen die Merkmale von

31

an average of 4 to 5 years in the courts during which time the accused usually remained in jail." (US Department of State 2000: o.S.) Vgl.: „Zahlreiche Opfer und ihre Familien haben aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen keine Anzeige bei den Behörden erstattet. Soweit überhaupt Beschwerde eingelegt wurde, sind nur in einigen wenigen Fällen unabhängige Untersuchungen durchgeführt worden (...)." (amnesty international 2000e)

46

extralegalen Hinrichtungen (s.u.) 32 Des Weiteren kam es zwar nicht 1999, wohl aber in den Vorjahren zu Fällen von „Verschwindenlassen" durch die Sicherheitskräfte. 33 Abschließend schätzen deshalb sowohl amnesty international als auch das US Department of State die Menschenrechtslage in Venezuela pessimistisch ein. Im Februar nahm die neue Regierung ihre Amtsgeschäfte auf. Trotz ihrer wiederholt bekundeten Verpflichtung zum Schutz der Menschenrechte mussten die angekündigten fortschrittlichen Verfassungsänderungen und andere auf den Menschenrechtsschutz abzielende Reformen indes erst noch in wirksame behördliche und praktische Maßnahmen umgesetzt werden. Erneut sind straftatverdächtige Personen willkürlich festgenommen und misshandelt und in manchen Fällen auch gefoltert oder extralegal hingerichtet worden. (amnesty international 2000e: o.S.) Human rights violations include extrajudicial killings of criminal suspects by the police and military, an increase in torture and abuse of detainees, failure to punish police and security officers guilty of abuse, arbitrary arrest and excessively lengthy detention, long delays in trials, illegal searches, and corruption and severe inefficiency in the judicial and law enforcement systems. Prison conditions remained harsh, and overcrowding and violence in the prisons were so severe as to constitute inhuman and degrading treatment. (...) Killings due to vigilante justice increased. (US Department of State 2000: o.S.)

33

„Im Berichtsjahr sollen mindestens 100 mehrheitlich straftatverdächtige Personen von Angehörigen der Polizei und der Streitkräfte getötet worden sein. (...) Ungefähr 50 Opfer sind unter Umständen ums Leben gekommen, die den Verdacht begründen, dass es sich dabei um extralegale Hinrichtungen gehandelt hat." (amnesty international 2000e); vgl. „The police often fail to investigate crimes allegedly committed by their colleagues and characterize incidents of extrajudicial killings as 'confrontations,' even when eyewitness testimony and evidence strongly indicate otherwise." (US Department of State 2000: o.S.) Comisión Andina de Juristas: 1986. Demnach und unter Hinweis auf Angaben der MAS (Movimiento al Socialismo) gab es „in den letzten Jahren" 46 Verschwundene und im Staat Zulia 300 „muertes extraños" (merkwürdige Todesfalle). Vgl.: „There were no developments in connection with the 1995 disappearances (...) or the 1994 disappearances (...). Members of the security forces reportedly had detained each of them prior to their disappearances." (US Department of State 2000: o.S.: vgl. amnesty international 2000d: o.S.) 47

Tab. 12:

Venezuela: Rechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte 1995-1999 1995

libertad personal

8.980

integridad personal

1996

1997

1998

7.823

12.442

11.638

01-06 1999 2.547

1.616

640

1.131

287

357

(tortura)

(74)

(64)

(31)

(31)

(23)

seguridad personal

809

150

247

137

44

Quelle: PROVEA 1997,2000.

Den Bemühungen der national agierenden Menschenrechtsgruppe PROVEA (1997, 2000) ist es zu verdanken, dass über einige Jahre hinweg numerische Angaben über Menschenrechtsverletzungen durch venezolanische Sicherheitskräfte zugänglich sind. Die Organisation unterscheidet dabei drei Gruppen von Rechtsverletzungen, nämlich erstens die Verletzung des Rechts auf persönliche Freiheit (libertadpersonal), worunter sie willkürliche oder illegale Festnahmen subsumiert und zwar sowohl von Einzeltätern als auch bei Großrazzien und Demonstrationen. Zweitens geht es um die Missachtung des Rechts auf persönliche Unversehrtheit (integridadpersonal), worunter jegliche grausame und inhumane Behandlung, Körperverletzungen und eigens ausgewiesene Folter (tortura) verstanden wird (Tab. 12). Die dritte Kategorie beinhaltet den Bruch des Rechts auf persönlicher Sicherheit (seguridad personal). Darunter werden im Sinne von PROVEA alle Arten der Bedrohung sowie illegale Hausdurchsuchung verstanden (PROVEA 2000). Wie die Tabelle 12 zeigt, sind alle drei Arten von Rechtsverletzungen durch venezolanische Sicherheitskräfte zwischen 1995 und dem ersten Halbjahr 1999 (Januar bis Juni) häufig. Willkürliche Verhaftungen erreichen 1997 und 1998 einen Höhepunkt, d.h. ab dem Jahr, in dem das bereits angesprochene „Vagabundengesetz" abgeschafft wurde. Dies mag daran liegen, dass dieses Gesetz ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zur Legalisierung (weiterhin) üblicher Polizeipraktiken herangezogen werden konnte. Im ersten Halbjahr 1999 gingen diese Rechtsverstöße allerdings zurück, ebenso wie die unter seguridad personal zusammengefassten polizeilichen Übergriffe zwischen 1995 und 1999. Die Häufigkeit von physischer Misshandlung und Folter schwankt, so dass keine einheitliche Tendenz festgestellt werden kann. Kam dies v.a. 1998 für venezolanische Verhältnisse relativ selten vor, so deuten die Zahlen für die erste Hälfte des Jahres 1999 an, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit wieder zunehmend missachtet wird.

48

Tab. 13: Jahr Opfer

Venezuela: Todesopfer von Sicherheitskräften 1992 - 2003

1992 195

1994 135

1993 181

1995 95/96 96/97 97/98 98/99 99/00 00/01 01/02 02/03 104 129 146 151 101 170 241 175 165

Quelle: P R O V E A 2000. 2 0 0 4 " .

Durch Sicherheitskräfte getötete Menschen werden von PROVEA eigens gezählt. An der Tabelle 13 lässt sich ablesen, dass seit 1992 nie weniger als 101 Opfer pro Jahr zu zählen waren, ein Höhepunkt mit 241 Toten wurde 2000/01 erreicht. Im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland, wo im Untersuchungszeitraum jährlich durchschnittlich 12 Personen bei Begegnungen mit der Polizei sterben (vgl. Kap. 1.2.1.), ist das enorm viel, insbesondere wenn man sich vergegenwärtigt, dass Venezuela nur knapp ein Drittel der Einwohnerzahl der Bundesrepublik zählt. Tab. 14:

Venezuela: Merkmale der Tötungen durch Sicherheitskräfte

Extralegale Hinrichtungen Exzessiver Gewalteinsatz Undifferenzierter Gewalteinsatz Machtmissbrauch Tod durch Folter und Misshandlung

01-03 04-06 01-03 1996 1996 1997 % (N) % (N) % (N) 44% (7) 43% (12) 37% (10)

04-06 1997 % (N)

01-12 1997 % (N)

30% (8) 37% (59)

01-03 1999 % (N)

04-06 1999 % (N)

43% (6)

28% (6)

0%(0)

4%(1)

8% (2)

4%(l)

7% (10)

36% (5)

10% (2)

6%(1)

4%(1)

4% (1)

7% (2)

5% (8)

7% (1)

19% (4)

19% (3)

31% (9)

0% (0)

26% (7) 25% (36)

14% (2)

29% (6)

6%(l)

4%(1)

12% (3)

Tod im Polizeigewahrsam Tod in militärischen Einrichtungen

19% (3)

4%(l)

27% (7)

0% (0)

1% (2)

4% (1)

4%(l)

ohne Angaben Verschwundene

6% (1)

4% (1)

...

...

...

0%(0)

4% (1) 4%(1)

11% (3)

0% (0)

0%(0)

...

...

...

7% (2)

5% (8)

11% (3) 17% (25)

0% (0)



4% (6)

14% (3) 0%(0)

Quelle: P R O V E A 2000

34

Estadísticas del Derecho a la vida (PROVEA 2000: o.S.) und Derechos a la vida (PROVEA 2004: o.S). Die Angaben der in beiden Quellen erfassten Jahre (1996 - 1999) weichen z.T. geringfügig voneinander ab. Der Vorzug wurde jeweils der aktuelleren Quelle gegeben.

49

In einem Teil der Vierteljahresberichte von PROVEA (2000) wurden die Tötungen durch venezolanische Sicherheitskräfte zudem nach ihren Merkmalen aufgeschlüsselt (Tab. 14). Die Definitionen35 der Begleitumstände der Tötungen sind allerdings nicht immer trennscharf und außerdem dürfte es relativ schwierig sein, exakt zwischen den verschiedenen Typen zu unterscheiden, z.B. zwischen „exzessivem Gewalteinsatz" und „Machtmissbrauch". Wahrscheinlich schwanken die Prozentangaben deshalb von Beobachtungszeitraum zu Beobachtungszeitraum manchmal erheblich: wird etwa der „exzessive Gewalteinsatz" meist für unter 10% der Tötungen verantwortlich gemacht, sind es im ersten Quartal des Jahres 1999 36%. Trotzdem kann man anhand der Daten Trendaussagen wagen, z.B. dass das „Verschwindenlassen" sowie der „Tod in militärischen Einrichtungen" nur geringe Anteile der gesamten Tötungen ausmachen. Häufiger sind der „Tod als Folge von Folter oder Misshandlung" sowie der „Tod in Polizeigewahrsam". Erschreckend hoch fallen die Prozentangaben für den durch „Machtmissbrauch" herbeigeführten Tod und für die „extralegalen Hinrichtung" aus. Letzteres zeichnet sich dadurch aus, dass der polizeiliche Täter sein Opfer ohne Umschweife intentional tötet. Dieser Typus macht in Venezuela in einigen Monaten fast die Hälfte aller Tötungen aus,36 allein im Jahr 1997 handelte es sich um 59 Menschen. Die Situationen, die in Deutschland dem tödlichen polizeilichen Schusswaffengebrauch häufig zugrunde liegen, werden in der Statistik von PROVEA überhaupt nicht genannt, darunter Fluchtvereitelung, Verhinderung von Verbrechen, Notwehr usw. (vgl. Kap. 1.2.1.). Dies wirft die Frage auf, ob die von PROVEA gezählten Tötungen durch Sicherheitskräfte das gesamte Ausmaß widerspiegeln, denn es ist natürlich anzunehmen, dass auch in Venezuela Menschen von Polizisten in Notwehrsituationen getötet werden. Diese Fälle werden von PROVEA voraussichtlich deshalb nicht gezählt, weil sie nicht zwangsläufig in das Ressort einer Menschenrechtsorganisation fallen. Analysiert man daher die Häufigkeit polizeilicher Gewalt auf der Basis der Daten von PROVEA (2000), so muss man davon ausgehen, dass noch nicht einmal sämtliche Tötungen erfasst sind. PROVEA unterscheidet zusätzlich zwischen den verschiedenen Polizeieinheiten, die den Tod von Menschen herbeigeführt haben. Dies ist in Venezuela besonders nahe liegend, weil in diesem Land äußerst viele polizeiliche Parallelorganisationen existieren. Ohne die verschiedenen Polizeiorganisationen an dieser Stelle detailliert vorzustellen (vgl. Kap. 3.3.2.) sei die Tabelle 15 erläutert. Das Militär (Fuerzas Armadas Nacionales) sowie die Nationalgarde (Guardia Nacional), die teils mit polizeilichen Aufgaben betraut ist, sind im Allgemeinen nur für einen relativ kleinen Teil der Tötungen verantwortlich. Ebenfalls kleine und außerdem abnehmende Anteile gehen auf das Konto der DISIP (Dirección de Servicios de Inteligencia y Prevención), einer Art politischen Polizei, sowie 35

Vgl. das Glossar von PROVEA (2000: o.S.).

36

Vgl. den oben zitierten Bericht von amnesty international (2000e).

50

der venezolanischen Justiz- bzw. Kriminalpolizei (Cuerpo Técnico Policial Judicial). Die Mehrzahl der Tötungen gehen zu Lasten der Polizeien der Einzelstaaten (Policías Estatales), der Gemeindepolizeien (Policías Municipales) und der Hauptstadtpolizei (Policía Metropolitana de Caracas), d.h. jener Organisationen die, abgesehen von verkehrspolizeilichen Aufgaben, am ehesten der deutschen Schutzpolizei entsprechen. Mitglieder dieser Policía Metropolitana sind es, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung interviewt wurden. Tab. 15:

Venezuela: Institutionelle Zugehörigkeit der polizeilichen Täter 1995-1999 01-03 1999 N (%)

04-06 1999 N (%)

1995 N (%)

1996 N (%)

1997 N (%)

Metropolitana

27 (23%)

23(18%)

18(12%)

3 (20%)

CTPJ

18(15%)

14(11%)

16(11%)

1

Policía

DISIP Guardia Nacional

13(11%) 8

(7%)

...

0 (0%)

8

(6%) (8%)

17(12%)

1

(7%)

0 (0%)

67 (47%)

7 (46%)

13(61%)

3 (20%)

1 (5%)

28 (23%)

41 (31%)

Policía Municipal

15 (13%)

17(13%)

(3%)

1 (5%)

11

Policía Estatal

5

(7%)

4(19%)

9

(6%)

2

(1%)



Gemeinsame Einsätze

1 (1%)

3

(2%)

Fuerzas Armadas Nacionales

5 (4%)

11

(8%)

9 (6%)



0

Andere und k.A.

4 (4%)

2

(1%)

3 (2%)

...

2(10%)



(0%)

Quelle: PROVEA 2000

1.2.3. Bolivien Verglichen mit der Bundesrepublik Deutschland und Venezuela ist über die bolivianische Lage wenig bekannt. Abgesehen von der eigens fiir die vorliegende Studie vorgenommenen Zeitungsanalyse (Mansilla 1999), stehen über Bolivien hauptsächlich die Angaben der internationalen Menschenrechtsorganisationen zur Verfügung. Deren Beschreibung bolivianischer Gefängnisse liest sich ähnlich wie die venezolanischer Haftanstalten. Auch hier hängen die wenigen Privilegien, die man in Haft genießen kann, wesentlich davon ab, wie man finanziell gestellt ist. Zellen werden unter den Insassen regelrecht verkauft, was dadurch begünstigt wird, dass die Gefängnisse überfüllt sind. Dabei schlägt wie schon im venezolanischen Fall zu Buche, dass die vielen Untersuchungshäftlinge sehr

51

lange auf gleich zu schrieben die Rede, zeichnet.

ihre Prozesse warten müssen. 3 7 Zu beachten ist allerdings im VerVenezuela (vgl. Kap. 1.2.2.), dass die Überbelegung als geringer bewird. Es ist nämlich von einer „nur" doppelten B e l e g u n g der Plätze zudem werden die Bedingungen als „hart" statt als „extrem hart" be-

Prison conditions are harsh. Prisons are overcrowded, and conditions can be life threatening for inmates without money. (...) there were 8,057 prisoners in facilities designed to hold 4,959 prisoners. (...) Ability to pay can determine cell size, visiting privileges, day-pass eligibility, and place or even length of confinement. Cell prices range from $ 20 to $ 5,000, paid to prior occupants or to prisoners who control cell blocks. (...) Crowding in some „low-rent" sections obliges inmates to sleep sitting up. (US Department of State 2000: o.S.) Außerdem ist in den Berichten über Bolivien im Gegensatz zu V e n e z u e l a nichts von Gefängnisrevolten zu lesen. Entsprechend wird in bolivianischen Gefängnissen auch weniger gemordet als in Venezuela. Zwar wurden 1990 in Santa Cruz 41 Inhaftierte von Polizisten umgebracht (Mansilla 1999: 28), dies scheint aber ein Einzelfall g e w e s e n zu sein, ähnliches wurde seitdem nicht mehr bekannt. Im Jahr 1999 berichtet amnesty international ( 2 0 0 0 d ) von einem im Gefängnis getöteten Menschen, der Report der US-Regierung zählt drei weitere Fälle auf. Zwei der insgesamt vier Getöteten verstarben im Krankenhaus nach Bränden in ihren Arrestzellen und es ist nicht geklärt, ob das Wachpersonal die Brände gelegt oder ob es sich um Unfälle gehandelt hat. 38 Der dritte Inhaftierte wurde vermutlich von Polizisten geschlagen und starb an den Folgen seiner Verletzungen, 3 9 eine vierte Person in Haft wurde geschlagen, außerdem wurde eine

37

„According to a 1998 study, approximately 60 percent of those jailed are still waiting for the processing of their cases to be finished, and of those, 30 percent already had served what would have been the maximum sentence for the crime they were accused of committing." (US Department of State 2000: o.S.) 38 „Rivero Siles, a 17-year-old prisoner accused of murder, suffered second and third degree burns over 80 to 90 percent of his body while in a solitary confinement cell (...). He died in a hospital (...). Prison authorities asserted that the fire was accidental, caused by a candle used for illumination. Rivero told the Ombudsman's office that he lit the candle, fell asleep, awoke to find the room on fire, and that the prison guards were very slow to come to his assistance." (US Department of State 2000: o.S.); „After Cano had spent several days in jail, his cell mysteriously caught fire and Cano suffered third degree burns over 50 percent of his body. (...) Before dying, Cano told his wife that the police had set his cell on fire. However, the police alleged that Cano set his cell on fire while burning incriminating photographs that he wished to conceal from his wife. (...)" (US Department of State 2000: o.S.) Vgl. den übereinstimmenden Bericht von amnesty international (2000e). 39 „(...) police in Santa Cruz arrested 18-year-old Marcelo Botelho; he died the next day in a hospital. The police said that they arrested Botelho after he was caught stealing a watch, that his alleged victims had beaten him, and that they had rushed him to the hospital later that evening when they noticed that he was suffering convulsions. However, there were al52

davon unabhängige Krankheit nicht ausreichend medizinisch

versorgt.40

Er-

schießungen, w i e in V e n e z u e l a , g a b es in d e m Berichtsjahr in bolivianischen Gefängnissen j e d o c h nicht. W o r i n sich Bolivien von V e n e z u e l a d a g e g e n k a u m unterscheidet, sind notorisch wiederkehrende Drohungen g e g e n Vertreter von Menschenrechtsorganisationen 4 1

(international

wurde

v.a.

der

Fall

Waldo

Albarracin bekannt 4 2 ), willkürliche Verhaftungen 4 3 s o w i e der brutale U m g a n g mit angeblichen Kriminellen und sog. „ A s o z i a l e n " . O p f e r von

Polizeigewalt

sind d e m n a c h in erster Linie Mitglieder unterprivilegierter G e s e l l s c h a f t s s c h i c h ten s o w i e gegebenenfalls andere Personengruppen mit geringer

Beschwerde-

m a c h t . 4 4 Einen besonders dramatischen Fall schildert Mansilla: Ein anderer Fall, der aufgrund seiner Begleitumstände, der Merkmale des Opfers und der letztendlichen Behandlung der in ihn verwickelten Polizisten symptomatisch ist, passierte in La Paz im September 1998. Man muss sich bewusst sein, dass Fälle dieser Art während der Aktionen der Polizei gegen sog. „Antisoziale", d.h. gegen sozial schwache Menschen, die keine Unterstützung aus prestigeträchtigen und mächtigen Kreisen genießen, sehr häufig sind. In der Nacht des 21. September 1998 feierte ein

legations that the police had beaten Botelho, although there were no eyewitness reports." (US Department o f State 2000: o.S.) 40

„Oscar Justiano, who was arrested and reportedly beaten by the FELCN in December 1998, died after being sent (...) to the hospital. An autopsy showed that he died from tuberculosis and other diseases, not as a result o f the beating he suffered upon arrest. Nonetheless, his family and human rights advocates charged the FELCN with responsibility for his death." (US Department o f State 2000: o.S.)

41

„Im Berichtsjahr blieben Menschenrechtler Zielscheibe anonymer Todesdrohungen und Schikanen seitens lokaler Behörden. Landesweit wurden führende Mitglieder der nichtstaatlichen Menschenrechtsorganisation (...) bedroht." (amnesty international 2000e: o.S.)

42

„Im Januar 1997 war (...) Waldo Albarracin von Polizisten entfuhrt und gefoltert worden. 1999 erhielt der Menschenrechtler anonyme Todesdrohungen, vermutlich im Zusammenhang mit den Ermittlungen zur Aufklärung seines Falles und dem Prozess gegen vier Polizisten (...)." (amnesty international 2000e: o.S.)

43

„There were some instances o f arbitrary arrest and detention. Arrests are carried out openly. The law requires a valid warrant, which a court must confirm within 48 hours. However, there were credible reports that these legal safeguards were violated in some cases. Denial o f justice through prolonged detention remains the most pervasive human rights problem." (US Department o f State 2000: o.S.)

44

Z.B. Studenten und Rekruten: „Im Juni wurden in La Paz mindestens 14 Studenten nach ihrer Festnahme während einer Demonstration gegen die von der Regierung geplante Reform des Bildungssystems von der Polizei mit Schlägen traktiert. ( . . . ) Das Amt der Bürgerbeauftragten bestätigte die Misshandlungen an den Studenten." (amnesty international 2000e: o.S.). „There were also credible allegations that military officers and sergeants beat and otherwise mistreated military conscripts." (US Department o f State 2000: o.S.) Ähnliches ist bei amnesty international nachzulesen: „Berichten zufolge wurden Wehrpflichtige mißhandelt, und mindestens zwei Rekruten kamen unter umstrittenen Umständen ums Leben. (...). Zunächst teilte man seiner Familie mit. daß er an den Folgen eines Sonnenstichs gestorben war. Der Autopsiebericht legte jedoch nahe, daß sein Tod durch schwere Schläge auf den Kopf herbeigeführt worden war." (amnesty international 2000d: o.S.)

53

Jugendlicher aus der sozial schwachen Schicht, Edgar Cortez, gemeinsam mit einer Gruppe Jugendlicher (...) und er sah sich in eine Schlägerei verwickelt, die aufgrund von übermäßigem Alkoholkonsum ausbrach. In den frühen Morgenstunden des 22. September wurde er festgenommen (...). Zwei Beamte (...) brachten Cortez in ein Wäldchen bei Munaypata, außerhalb von La Paz, sie prügelten ihn lange und brutal durch, was zu Knochenbrüchen und zahlreichen Blutergüssen führte, zogen ihn aus, überschütteten ihn mit Benzin und versuchten ihn lebendig anzuzünden. (...) Cortez, der durch Glück davonkam, wurde von Anwohnern geholfen (...); in dem Krankenhaus bekam er von Repräsentanten der Polizei Besuch, die ihm versprachen, dass die Institution alle Kosten der Rehabilitation übernehmen werde, wenn er im Gegenzug auf jegliche Anzeige verzichten würde. (...) Nachforschungen von Journalisten besagten im Ergebnis, dass 3 0 0 Zeugen bestätigten, dass diese Einschüchterungsmethoden gegenüber Festgenommenen - Prügel, Belästigung, Erpressung, Verbrennungen, Folter - im Wäldchen von Munaypata häufig seien. (...) Der Polizeichef ( . . . ) fügte an, dass es eine alltägliche Praxis sei, Betrunkene und Antisoziale an abgelegene Plätze zu bringen, um auf diese Weise eine „soziale Säuberung" zu erreichen (...) er stritt nur den Einsatz physischer Gewalt ab. (...) Der Polizeichef des Departments ( . . . ) erklärte, dass der Versuch einen Menschen lebendig zu verbrennen (...) eine „vereinzelte kleine Sache" innerhalb eines „Einsatzes der Säuberung" sei; was beabsichtigt war, war der Person ihre Kleider „abzunehmen", damit sie nicht an den Ort der Schlägerei zurückkehren kann und sich so von ihrer Trunkenheit erholt. Die Verbrennungen habe sie sich selbst zugefugt. Das Problem bestünde vielmehr darin, dass die Presse „einen einzelnen Vorfall" herausstelle um das Prestige der Polizei zu schädigen. (Mansilla 1999: 40ff.) Innerhalb B o l i v i e n s a m g e w a l t t ä t i g s t e n sind die S i c h e r h e i t s k r ä f t e a b e r

ohne

Z w e i f e l in den K o k a i n - A n b a u g e b i e t e n , in d e r G e g e n d u m E l C h a p a r e , w o ständig K o n f l i k t e z w i s c h e n d e r R e g i e r u n g u n d K o k a b a u e r n a u f f l a m m e n . V o r a l l e m im J a h r 1 9 9 5 , a l s v o n April bis O k t o b e r d e r A u s n a h m e z u s t a n d a u s g e r u f e n w o r den w a r , w u r d e n M e n s c h e n m a s s e n h a f t willkürlich f e s t g e n o m m e n 4 5 u n d D e m o n s t r a t i o n e n g e w a l t s a m n i e d e r g e s c h l a g e n . Im J a h r 1 9 9 9 h a t sich die Situation in E l C h a p a r e z w a r e t w a s g e b e s s e r t , die m a s s i v e n G e w a l t a k t i o n e n d a u e r n a b e r an. A u f f ä l l i g ist a b e r m a l s die e b e n s o e i g e n t ü m l i c h e w i e s a d i s t i s c h e V o r l i e b e b o livianischer Sicherheitskräfte, Brände zu legen. Erneut wurden Vorwürfe laut, denen zufolge die Sicherheitskräfte Bauern bedroht und geschlagen haben, gewaltsam in Ortschaften im Gebiet von El Chapare eingedrungen sind, den Bewohnern persönliche Gegenstände weggenommen sowie Feldfrüchte und Häuser in Brand gesteckt haben, (amnesty international 2000e: o.S.) E l C h a p a r e ist a u ß e r d e m d e r L a n d s t r i c h B o l i v i e n s , in d e m a m m e i s t e n

Men-

s c h e n v o n d e r Polizei g e t ö t e t w e r d e n . D i e H a u p t t ä t e r sind die P o l i z e i k r ä f t e d e r berühmt-berüchtigten U M O P A R , einer Spezialeinheit der bolivianischen Polizei ( v g l . K a p . 3 . 4 . 2 . , 3 . 4 . 1 . ) , e s sind a b e r a u c h a n d e r e A k t e u r e beteiligt, d a r u n t e r

45

54

„Vielerorts kam es zu - gelegentlich gewalttätigen - Protesten gegen die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Regierung. (...) Unmittelbar vor und in den Tagen nach der Verhängung des Ausnahmezustands wurden Hunderte Menschen festgenommen und auf Militärstützpunkten und Polizeistationen inhaftiert." (amnesty international 2000a: o.S.)

A b t e i l u n g e n d e s Militärs, das b e i m K a m p f g e g e n den D r o g e n a n b a u w i e d e r k e h rend im Landesinneren e i n g e s e t z t wird. 1 9 9 9 kam in El Chapare z w a r n i e m a n d durch d i e Sicherheitskräfte zu T o d e , in den Vorjahren aber stets. Die Entscheidung der Regierung, die Armee einzuschalten, um die Unidad Móvil de Patrullaje Rural (UMOPAR) (...) bei der Vernichtung von Kokapflanzen im Gebiet von El Chapare (...) zu unterstützen, verschärfte den langjährigen Konflikt in dem Gebiet. Bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Kokabauern wurden mindestens 15 Personen, unter ihnen auch zwei Polizisten, getötet und zahlreiche weitere verletzt, (amnesty international 2000d: o.S.) Out of an original list of 13 possible civilian deaths that resulted from the clashes, in only 5 cases did it appear that the deaths could have resulted from clashes between security forces and illegal coca growers. (...) An investigation by the Inter-American Commission on Human Rights (IACIIR) found that security forces committed excesses resulting in the deaths of 9 civilians and 32 persons wounded. (US Department of State 2000: o.S.) D i e O p f e r der Sicherheitskräfte starben e n t w e d e r durch w i l l k ü r l i c h e S c h ü s s e in d e m o n s t r i e r e n d e M e n s c h e n m e n g e n , an den F o l g e n s c h w e r e r S c h l ä g e o d e r - und d i e s betraf v o r a l l e m Kinder - erstickten durch ü b e r m ä ß i g e n T r ä n e n g a s e i n s a t z in g e s c h l o s s e n e n R ä u m e n . 4 6 Z u extralegalen E x e k u t i o n e n , d i e in V e n e z u e l a sehr h ä u f i g sind (s.o.), k a m e s j e d o c h v e r g l e i c h s w e i s e selten. Für das Berichtsjahr 1 9 9 5 sprach a m n e s t y international v o n z w e i und für 1 9 9 7 v o n e i n e m Fall, deren U m s t ä n d e dergestalt sind, d a s s v o n Hinrichtungen a u s z u g e h e n ist. 4 7 Fälle v o n „ V e r s c h w i n d e n l a s s e n " sind in den letzten Jahren nicht bekannt g e w o r d e n . D i e G e s a m t s i t u a t i o n in B o l i v i e n ist d e m n a c h 46

so, dass Machtmissbrauch und

„Die von den Bauern (...) organisierten Massenkundgebungen und Straßenblockaden wurden von UMOPAR- und Armeeangehörigen aufgelöst. Im Zuge dieser Aktionen wurden zahlreiche Bauern festgenommen und mehrere von ihnen dem Vernehmen nach mit Schlägen traktiert. Mindestens fünf Zivilisten kamen ums Leben, und mehr als 60 Verletzte mußten in Krankenhäuser eingeliefert werden." „Berichten zufolge haben Angehörige von UMOPAR und Armee (...) wahllos Schüsse auf eine Menschenmenge abgefeuert und Tränengaskanister in eine Schule geworfen. Mindestens fünf Personen erlitten Schußverletzungen und mußten medizinisch versorgt werden. (...). Ein weiterer Zwischenfall (...) forderte zwei Todesopfer: Remigildo Cori erlag einer Schußverletzung in der Brust, und der einjährige Raul Daz Camacho starb an den Folgen von Vergiftungen, nachdem er Tränengas eingeatmet hatte." (amnesty international 2000d: o.S.)

47 „Mindestens zwei Personen wurden von der Polizei unter Umständen erschossen, die den Verdacht nahelegen, daß es sich um extralegale Hinrichtungen gehandelt hat. Die Opfer hatten sich an Protestaktionen von Koka-Bauern beteiligt." (amnesty international 1996); „Im Berichtsjahr soll mindestens eine Person extralegal hingerichtet worden sein. (...) Im April erschoß (...) ein UMOPAR-Angehöriger (...) eine Mutter von sieben Kindern. (...) Der Tod von Alberta Orellana löste Unruhen aus, (...). Die Polizei reagierte, indem sie dem Vernehmen nach wahllos Schüsse abfeuerte und Tränengaskanister in die Menschenmenge warf. Dabei wurden sechs Personen getötet, (...), ein 22 Monate alter Junge, starb an den Folgen von Vergiftungen, nachdem er Tränengas eingeatmet hatte." (amnesty international 2000c: o.S.) 55

übermäßige Gewaltanwendung durch die Polizei häufig (vgl. Mansilla 1999), Folter und extralegale Hinrichtungen im Vergleich zu Venezuela aber selten sind und in rein quantitativer Hinsicht werden in Bolivien wesentlich weniger Menschen von Sicherheitskräften getötet als in Venezuela. Insofern ist es nachvollziehbar, dass in dem Bericht des US Department of State des Jahres 2000 der Schluss gezogen wird, dass trotz aller Ausnahmen die Menschenrechte von der bolivianischen Regierung im Allgemeinen respektiert würden: The Government generally respected the human rights of its citizens; however, while the Government's human rights record improved somewhat, problems remain in certain areas. (...) There were several suspicious deaths of persons who had been in police custody. (...) There were credible reports of abuses by police, including use of excessive force, petty theft, extortion, and improper arrests. (...) The most pervasive human rights abuse continued to be prolonged incarceration of detainees due to antiquated procedures and inefficiency and corruption in the judicial system. (US Department of State 2000: o.S.)

Zählt man die verschiedenen Fälle zusammen, bei denen Menschen laut den Berichten der Menschenrechtsorganisationen in den letzten fünf bis zehn Jahren in Bolivien von Sicherheitskräften umgebracht wurden (Beteiligung des Wachpersonals an ungeklärten Todesfällen in Haftanstalten, Tötungen in El Chapare, zu Tode gekommene Rekruten) so wird eine jährliche Zahl von 20 in der Regel nicht überschritten. 48 Bezogen auf die bolivianische Bevölkerungszahl von nur rd. 8 Mio. sind dies sehr viel mehr Todesfälle als in der BRD und zugleich wesentlich weniger als in Venezuela (s.o.). 1.2.4. Chile Die Diskussion des Gewalteinsatzes durch Sicherheitskräfte in Chile ist auch nach der Demokratisierung nach wie vor von den tausenden Menschenrechtsverletzungen dominiert, die während des vorangegangenen Militärregimes verübt wurden. 49 Im Focus steht die juristische Aufarbeitung der Verantwortlichkeit von General Augusto Pinochet, aber dieser Fall ist nicht der einzige, dessen Klärung in Chile auf der Tagesordnung steht. Die Berichte der chilenischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen verfolgen weiterhin den Gang dieser Fälle durch die Instanzen und die Urteile sind von außerordentlichem und über Chile weit hinausgehendem Interesse. Für die vorliegende Arbeit ist aber die aktuelle Situation von größerer Bedeutung. Deshalb ist es bedauerlich, dass die Registrierung der von chilenischen Sicherheitskräften zurzeit begangenen Gewalttaten von dieser Auseinandersetzung überschattet wird. Eine der wenigen chilenischen Menschenrechtsgruppen, die Informationen über derzeitige Gewalteinsätze der Polizei gegenüber einfachen Kriminellen sammelt, ist die Or48

49

56

Zum Ausnahmejahr 1990, als in einem Gefängnis über 40 Menschen umkamen s.o. Stellvertretend für die vielen Publikationen zum Thema sei eine Veröffentlichung von Nolte genannt, in der das wesentliche Material auf wenigen Seiten übersichtlich aufgearbeitet wird (Nolte 1989: 33ff.).

ganisation CODEPU (Comité de Defensa de los Derechos del Pueblo 1994a, 1994b, 1995, 1999). Auf ihre Daten sowie die der auch bisher schon häufig zitieren Angaben der internationalen Menschenrechtsorganisationen wird bei der Beschreibung des chilenischen Falls zurückgegriffen. In Gegensatz zu Venezuela und Bolivien ist aus Chile fast nichts über massenhafte willkürliche Verhaftungen zu hören und der allgemeine Zustand der Gefängnisse wird wesentlich weniger negativ beschrieben. Amnesty international berichtet fur Chile über diese beiden Themengebiete meist überhaupt nicht und die Autoren des Reports des US Department of State äußern, die Zustände in den Gefängnissen seien nicht lebensbedrohlich, aber hinsichtlich der Überfüllung treten dieselben Probleme auf, wie in den beiden anderen Ländern. Viele Häftlinge sind Untersuchungsgefangene, die unbestimmte Zeit auf ihren Prozess warten und die formal existierenden Rechte werden in der Praxis nicht immer eingehalten. Prisons are often overcrowded and antiquated, but conditions are not life threatening. Food meets minimum nutritional needs, and prisoners may supplement the diet by buying food. Those with sufficient funds often can rent space in a better wing of the prison. (US Department of State 2000: o.S.) The authorities generally respect constitutional provisions for arrest and detention; (...) in practice many detainees are not promptly advised of charges against them and are not granted a timely hearing before a judge. At the end of 1998, 7 percent of the general prison population of 26,449 was under investigation but not charged with a crime; 44 percent were charged with an offense and were awaiting trial or had been convicted and were awaiting sentencing; and 49 percent were serving sentences. (US Department of State 2000: o.S.)

Die Behandlung der Verhafteten lässt ebenfalls zu wünschen übrig. In keinem der Berichte von amnesty international der letzten Jahre ist nicht von Misshandlungen im Polizeigewahrsam oder in den Gefängnissen die Rede (vgl. amnesty international 2000e) 50 ; auch äußerten in Chile anlässlich einer Befragung über 70% der Inhaftierten, sie seien geschlagen oder gefoltert worden (Lösing 1996a: 400; vgl. Waldmann/Schmid 1998: 93). Dabei kam es bei einer Verlegung von wegen terroristischen Akten verurteilten bzw. beschuldigten Häftlingen zu erheblichen Übergriffen, so z.B. dass (...) im Zuge der Verlegung von 56 Häftlingen (...) politische Gefangene von Wärtern misshandelt worden sind. Dem Vernehmen nach wurden die Insassen zu Boden gestoßen und anschließend mit Faustschlägen traktiert, mit Gewehrkolben geschlagen sowie mit Wasser begossen und mit Tränengas besprüht. Mindestens zwei Gefangene sollen mit Elektroschlagstöcken gefoltert, einige andere mit dem Kopf unter Wasser getaucht worden sein, (amnesty international 2000e: O.S.; vgl. US Department of State 2000: o.S.)

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Vgl. die Ausfuhrungen des US Department of State (2000): „Prison guards have been accused of using excessive force to stop attempted prison breaks. Although most reports state that the guards generally behave responsibly and do not mistreat prisoners, several prisoners have complained of beatings."

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Dass v.a. Menschen misshandelt und gefoltert werden, denen politische Delikte zur Last gelegt werden, ist für Chile geradezu typisch, Opfer sind aber teils auch einfacher krimineller Taten Verdächtigte. 5 1 Besonders schwere und v i e l e Fälle ereigneten sich im Jahr 1998, als eine Person unter schwerer Folter zu T o d e gequält wurde. D e s Weiteren sind, w i e in Bolivien, unter den Opfern von Misshandlungen Rekruten. 52 Ein Wehrpflichtiger „verschwand" in Chile im Jahr 1996, dies ist aber im Gegensatz zu den Praktiken während der chilenischen Militärregierung, als das „Verschwindenlassen" übliche Praxis war, ein Einzelfall. 5 3 Im März wurden in einer Höhle (...) die sterblichen Überreste einer Person entdeckt, die später als die Leiche des im Dezember 1996 „verschwundenen" Wehrpflichtigen Pedro Javier Soto Tapia identifiziert werden konnte. Während der 18jährige seinen Wehrdienst (...) ableistete, hatte er seinen Eltern von Mißhandlungen und übermäßig harter Bestrafung durch seine Vorgesetzten berichtet. Die Behauptung der Militärbehörden, daß der Rekrut Selbstmord verübt habe, wiesen seine Angehörigen entschieden zurück. Im April wurden im Zuge von Ermittlungen zur Aufklärung der Umstände des Todes von Pedro Javier Soto Tapia vier weitere Wehrpflichtige festgenommen und während ihrer Verhöre durch Armeeoffiziere dem Vernehmen nach gefoltert, (amnesty international 2000c: o.S.) Auffällig ist, dass in Chile elaborierte Foltertechniken eingesetzt werden, die aus der Zeit des Militärregimes bekannt sind. Die chilenische Menschenrechtsorganisation C O D E P U hat sich bemüht, die Häufigkeit des Einsatzes dieser ver-

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Einige Beispiele: „Im Januar nahmen Carabineros den Taxifahrer (...) fest (...). Wenige Stunden später wurde der Mann in ein Krankenhaus eingeliefert, wo er infolge von Atemstillstand verstarb. Der Autopsiebericht belegte Blutergüsse im Gesicht und einen Wirbelsäulenbruch." (amnesty international 2000d: o.S.); „(...) sollen die Brüder (...) in Santiago von Carabineros festgenommen, geschlagen und mit dem Tode bedroht worden sein. Anschließend brachte man die beiden Männer zur Kriminalpolizei (...), wo Luis (...) dem Vernehmen nach mit Handschellen gefesselt und an einer Eisenstange aufgehängt wurde. Seinen Bruder (...) haben die Beamten mit Elektroschocks an Anus und Lippen gequält." (amnesty international 2000d: o.S.); „Im September wurde bekannt, daß der 18jährige geistig behinderte Alejandro (...) nach seiner wegen Straftatverdachts erfolgten Festnahme (...) gefoltert worden war. Nach Darstellung seiner Mutter hatte man ihm Schläge versetzt, ihm eine Kapuze über den Kopf gezogen und anschließend durch beide Hände geschossen. (...) Später wurde er vor einem Militärgericht angeklagt, einen Polizeibeamten tätlich angegriffen zu haben." (amnesty international 2000c: o.S.)

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„Human rights groups continue to claim that military recruits sometimes are mistreated. The Commission on Juvenile Rights (...) claimed (...) that it had received 380 complaints of recruit mistreatment in the previous 5 years." (US Department of State 2000: o.S.)

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„There were no reports of politically motivated disappearances." (US Department of State 2000; vgl. amnesty international 2000e) Eine Sonderstellung nimmt jedoch die Colonia Dignidad ein: „(...) disappearances of persons at Colonia Dignidad (renamed ,Villa Baviera'), a secretive German-speaking settlement (...), led to an April 28 detention order (...) against Paul Schaefer for the kidnapping and disappearance of Alvaro (...). Schaefer, already wanted by the authorities on other charges, remained a fugitive at year's end." (US Department of State 2000: o.S.)

schiedenen Folter- und Misshandlungsmethoden auf der Basis der ihr bekannt gewordenen Vorfälle festzustellen. Allerdings sind nur Informationen über die ersten Jahre der Demokratisierung verfugbar: CODEPU (1994b) zählte zu Beginn der neunziger Jahre innerhalb von vier Jahren 140 Fälle, in denen Menschen Folter und Misshandlungen ausgesetzt waren. Davon mussten fast alle (85%) Schläge ertragen, 38% waren Todesdrohungen und ähnlichen psychologisch wirksamen Druckmitteln ausgesetzt. Darüber hinaus wurden Schlaf- und Essensentzug (25%), Elektroschocks (18%) und Vergewaltigungen (4%) praktiziert, um Verhaftete zu erniedrigen oder gefügig zu machen. Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass in Chile häufiger gefoltert wird als in Bolivien, vielmehr ähnelt Chile darin eher Venezuela, aus dem ebenfalls vom Einsatz von Elektroschocks u.ä. berichtet wird. Zwei Kenner der Szene, Rodley (1999) und Chevigny (1999) nennen daher die beiden Länder hinsichtlich der Folter auch in einem Atemzug. Während allerdings Rodley von einem ungefähr gleichen Niveau ausgeht meint Chevigny, dass die Folter in Venezuela häufiger ist als in Chile.54 Außerdem besteht für Venezuela die schlechtere Prognose. Die Daten von CODEPU für Chile stammen aus den ersten Jahren nach der Militärdiktatur, seitdem hat sich die Situation verbessert (Nolte 1989: 42f.; vgl. Schmid 1997a). In Venezuela ist die Menschenrechtssituation dagegen seit Jahren anhaltend schlecht (vgl. Kap. 1.2.2. bzw. amnesty international 2000e: o.S.). Eine Besonderheit bei den Folterungen in Chile in der Demokratisierungsphase ist zudem die Opferstruktur. Es sind nämlich nicht nur einfache Kriminelle, die derart unter der Polizei zu leiden haben, sondern vielfach Personen, denen politische Delikte zur Last gelegt werden (s.o.). CODEPU gibt an, dass 62,8% der Opfer bekannt gewordener Misshandlungen politischer Delikte verdächtigt waren, 15,7% standen im Zusammenhang mit sozialen Protesten und „nur" 20% hatten mit gewöhnlicher Kriminalität zu tun (CODEPU 1994b). Die Täter waren übrigens in der Mehrzahl Mitglieder der uniformierten Polizei, der Carabineros de Chile, der Rest geht im Wesentlichen auf das Konto der Policía de Investigaciones, der chilenischen Kriminalpolizei (CODEPU 1994b). Zu Tötungen durch chilenische Sicherheitskräfte sind in den von den Menschenrechtsorganisationen herausgegebenen Berichten unterschiedliche Angaben zu finden. Amnesty international (2000d) spricht für das Jahr 1999 von insgesamt vier Toten, dabei handelt es sich um drei Personen, die bei verschiedenen Demonstrationen erschossen wurden, sowie um ein Baby, das von der Polizei eingesetztes Tränengas einatmete und daran starb. Im Report der USamerikanischen Regierung werden nur zwei getötete Menschen erwähnt. Der eine Fall ist mit einem der von amnesty berichteten identisch, bei dem anderen 54

Folterberichte kommen laut Rodley (1999: 25ff.) innerhalb Lateinamerikas v.a. aus Kolumbien, Mexiko, Peru, Chile und Venezuela. Lt. Chevigny (1999: 49ff.) wird über Folter berichtet aus der Dominikanischen Republik, Honduras, Nicaragua, Paraguay, Peru und Venezuela, seltener aus Chile, Ecuador und Uruguay, relativ häufig aus Mexiko und Brasilien.

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handelt es sich um einen Mann der nach einer Verhaftung tot aufgefunden wurde. 55 Somit ist 1999 insgesamt von mindestens fünf Menschen auszugehen, die aller Wahrscheinlichkeit nach durch Polizisten zu Tode kamen. In den Voijahren sind von den genannten Organisationen jeweils weniger als fünf durch Sicherheitskräfte getötete Menschen gezählt worden (amnesty international 2000ae). Verlässt man sich darauf, dass die Kriterien der Materialsammlung bei allen untersuchten Ländern ähnlich sind, so kann vor dem Hintergrund der bisher referierten Daten geschlossen werden, dass in Chile weniger Menschen durch Sicherheitskräfte getötet werden als in Bolivien und Venezuela. Wird in Chile im Untersuchungszeitraum ein Maximum von fünf Menschen auf diese Weise getötet, so beträgt das Maximum in Bolivien ca. zwanzig und in Venezuela ist regelmäßig von „Hunderten" die Rede (vgl. Kap. 1.2.2., 1.2.3.). Insgesamt ist es deshalb für südamerikanische Verhältnisse nachvollziehbar, dass der Report des US Departement of State zusammenfassend für Chile zu folgender Einschätzung kommt: The Government generally respected its Citizens' human rights; however, problems remained in some areas. The most serious cases involved killings, torture, brutality, police use of excessive force, and physical abuse in jails and prisons. (US Department of State 2000: o.S.)

Eine weitere Publikation von CODEPU (1994a) erlaubt es zusätzlich, einen Vergleich mit jenen Daten aus der BRD und aus Venezuela zu wagen, die allem Anschein nach sämtliche Tötungen durch Sicherheitskräfte beinhalten und nicht nur jene, die im engeren Sinne als Menschenrechtsverletzungen geweitet werden müssen. Der Hauptgrund für diese Annahme ist, dass bei diesen Daten auch Tötungen bei gewöhnlichen Schusswechseln aufgeführt sind, in denen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von legaler Notwehr seitens der Polizisten ausgegangen werden kann. Laut dieser Statistik kamen in den Jahren 1990 bis 1994 in Chile insgesamt 96 Personen durch Handlungen von Sicherheitskräften um, d.h. mehr als 20 pro Jahr (CODEPU 1994a: 19ff.). Das sind mehr als in der Bundesrepublik Deutschland, selbst wenn man die niedrige Einwohnerzahl (rd. 16 Mio.) von Chile nicht berücksichtigen würde, aber es ist höchstens ein Fünftel „Im Mai erlag der Student (...) den Folgen einer Schussverletzung, die ihm ein Polizist während einer Studentendemonstration in Arica zugefügt hatte. Bei demselben Zwischenfall wurden drei weitere Studenten verletzt." (amnesty international 2000e, o.S.; Übereinstimmend das US Department of State 2000: o.S.); „Im September wurden (...) im Zuge von Demonstrationen anlässlich des 26. Jahrestages des Militärputsches (...) und zwei Personen unter umstrittenen Umständen erschossen. (...), und ein Baby starb, nachdem es Berichten zufolge Tränengas aus Kanistern eingeatmet hatte, die die Polizei bei dem Versuch, die Kundgebung aufzulösen, in die Menschenmenge geworfen hatte." (amnesty international 2000e: o.S.); „Moya's partially clothed and lifeless body had been found with its head buried in sand. The two Carabineros allegedly detained Moya illegally, citing a repealed law that allowed the police to stop, question, and detain persons based upon ,suspicion' (...)." (US Department of State 2000: o.S.)

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der aus Venezuela bekannten Zahlen (vgl. Kap. 1.2.1., 1.2.2.). Von diesen 96 Tötungen geschahen 30% im Zuge von Auseinandersetzungen oder Schusswechseln, 43% bei Verhaftungen oder Verfolgungen von Straftätern und weitere 5% fallen auf Rekruten, die während ihrer Militärzeit getötet wurden. Die übrigen 22% wurden bei Demonstrationen u.ä. getötet, Fälle die nach wie vor relativ häufig sind: Anfang der neunziger Jahre gab es pro Jahr zwei bis drei solcher Vorfälle. Außerdem wurde von CODEPU (1994a) die jeweilige Tötungsart registriert. Während 80% auf Schusswaffeneinsatz zurückzuführen sind, verteilen sich die übrigen 20% auf Erstickung, Untertauchen, Schläge usw. Auffallig ist wie bei der oben referierten Analyse der registrierten Folterfalle außerdem, dass ein hoher Prozentsatz (34%) der Umgebrachten einen politischen Hintergrund hat und „nur" 28% auf die einfache Kriminalität entfallen. 34% sind laut CODEPU (1994a) unbeteiligte Dritte. Zuletzt, und dies ist eine weitere Parallele zu der Analyse der Folterfälle durch die CODEPU (1994b, s.o.), ist zu sagen, dass die Täter sich in nur 5% der Fälle aus dem Militär rekrutieren, 9% gehören der die Gefängnisse beaufsichtigenden Einheit an, 11% der chilenischen Kriminalpolizei. Der größte Teil von 75% geht auf das Konto der Carabineros de, Chile (CODEPU 1994a: 19ff.). Das verbindet die Situation in Chile und Venezuela: die Täter bei Tötungen durch Sicherheitskräfte sind meist die Mitglieder der Polizeieinheit, die schutzpolizeiliche Aufgaben hat. Die in Kapitel 4 wiedergegebenen Interviews mit chilenischen Polizisten wurden mit Mitgliedern der Carabineros gefuhrt.

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2. Die Methode: Wie erforscht man die Polizei? Das eben dargestellte Ausmaß der Rechtsbrüche der lateinamerikanischen Polizei zeigt ohne Zweifel die Relevanz einer Polizeiforschung in diesen Ländern auf. Wie die Darstellung ihrer Rechtsbrüche offen gelegt hat, vernachlässigen manche Polizisten in Lateinamerika nicht nur ihre offizielle Funktion, Straftäter zu verfolgen und für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu sorgen, sondern sie pervertieren sie in ihrem Sinngehalt geradezu. Weit davon entfernt, den sozialen Frieden und die allgemeine Sicherheit zu verbürgen, stellt die Polizei dort selbst eine Quelle ständiger Verunsicherung der Bürger dar. Sie überwacht nicht die Einhaltung der Rechtsvorschriften, verfolgt nicht die Rechtsbrecher, sondern stiftet im Gegenteil zum Normbruch an oder verstößt selbst gegen die Gesetze (vgl. Waldmann 1994, 1995, 1996a; Schmid 1997a, 1998a, 1999; Waldmann/Schmid 1996a, 1996b). Lange Zeit galt im Hinblick auf den Umgang des Staats mit seinen Bürgern das Hauptaugenmerk der Lateinamerikaforscher dem Militär, das in vielen Ländern in die politischen Entscheidungsprozesse eingriff o r die Herrschaft an sich riss und die politische Opposition unbarmherzig auszuschalten suchte. Erst nach der Rückkehr der meisten lateinamerikanischen Länder zur Demokratie rückte die Polizei in den Vordergrund des Interesses (vgl. Zaffaro i 1987, 1993; Huggins 1991a, b; Waldmann 1995) weil festgestellt werden musste dass Menschenrechtsvprlptzungen nicht an Militärregime gekoppelt sind, sondern sowohl in redemokratisierten Staaten andauern als auch in längerfristig demokratisch regierten Ländern wie Venezuela zu beobachten sind. Allerdings dauerte es, bis die internationale Öffentlichkeit von den Zuständen Kenntnis bekam, was zum einen daran liegen dürfte, dass die Kraft der Demokratisierung überschätzt wurde, zum anderen daran, dass mit dem weitgehenden Wechsel der Aufgabe der „Garantie der Inneren Sicherheit" aus den Händen des Militärs in die der Polizei sich die Hauptopfergruppen änderten. Handelte es sich früher um intellektuelle Oppositionelle, die über ihre Kontakte wenigstens in der Lage waren, Misshandlungen zu Skandalisieren, so sind heute in erster Linie Mitglieder der untersten Schichten, Bewohner der Marginalsiedlungen, Straßenkinder, indígenas usf. von der illegitimen staatlichen Gewalt betroffen. Sie verfügen in der Regel über keine Plattform, von der aus sie international auf ihre prekäre Lage aufmerksam machen könnten und in den lateinamerikanischen Ländern selbst ist es so, dass wenigstens Teile der Mittel- und Oberschichten das brutale Vorgehen der Polizei gegen die classes dangereuses billigen. Menschenrechtsorganisationen haben sich der Problematik angenommen und stellen im Namen der misshandelten Opfer polizeiliche Willkür an den Pranger, so dass es zum Opferaspekt eine umfangreiche Dokumentation gibt (Kap. 1). Diese Perspektive, so wichtig sie ist, reicht aber allein nicht aus. Zu fragen ist 63

auch, was Polizisten zu ihren fragwürdigen Praktiken treibt, mit denen sie sich zudem in einen offenen Widerspruch zur Rechtsordnung ihres Landes und den Prinzipien ihres Berufes setzen? Sind es materielle Zwänge und Versuchungen oder situative Notwendigkeiten? Gibt es eine entsprechende Verhaltenstradition in der betreffenden Institution oder der politischen Kultur des Landes? Welche Erwartungshaltung gegenüber der Polizei besteht von Seiten der unterschiedlichen sozialen Schichten und Gruppen? Und wie sehen sich die Polizisten selbst, wie beurteilen sie ihre Aufgaben und Schwierigkeiten, ihre Rechte und Pflichten? Will man mittel- oder langfristig etwas am Status quo chronischer Rechtsverletzungen durch lateinamerikanische Polizisten ändern, so muss man sich dieser Gruppe zuwenden, d.h. die opfer- durch eine täterbezogene Sichtweise ergänzen (vgl. Schmid/PIOOM 1989). Genau dies soll in der vorliegenden Forschung geschehen.

2.1. Das Forschungsprogramm und die Fallauswahl Eine solche Forschung wird im Regelfall 56 mit der Sichtung des Literaturstands beginnen, um Anknüpfungspunkte zu finden und wenig nützliche Überlappungen der Forschungsbemühungen zu vermeiden. Die Recherche zum vorliegenden Projekt machte aber schnell deutlich, dass die Polizeien Lateinamerikas ein unbeschriebenes Blatt sind. Während in den Vereinigten Staaten die Polizeiforschung fest etabliert ist und über europäische Polizeien, darunter auch die deutsche, ansehnliches Material zur Verfügung steht, gibt es fast keine wissenschaftlichen Untersuchungen über die Polizisten im Süden Amerikas. Bei einer ersten, das Feld sondierenden Tagung 57 herrschte unter den eingeladenen Fachleuten aus süd- und mittelamerikanischen Ländern, Deutschland und den Vereinigten Staaten darüber Einigkeit. 58 Am ehesten finden sich noch Ausführungen über die Polizei in ihrer Rolle als Helfershelferin des Militärs während Militärdiktaturen oder im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Drogenanbau und -handel, 56

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Eine Ausnahme stellt die Grounded Theory dar (Glaser/Strauss 1979; Strauss 1991; Wiedemann 1991). In Panajachel/Guatemala 1995. Finanziert wurde die Tagung von CIEDLA/Buenos Aires (Centro Interdisciplinario de Estudios sobre el Desarrollo Latinoamericano).

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Beteiligt waren Sozialwissenschaftler, Juristen und Polizisten aus Brasilien, Argentinien, Chile, Bolivien, Venezuela, Guatemala, den Vereinigten Staaten und Deutschland, darunter die Juristen Julio Maier und Martin Abregu (Universität Buenos Aires), Ernesto Aguila (Bildungsministerium, Chile), der Jurist Santiago Escobar Sepúlveda (Chile), Raúl Barrios Morrón (Außenministerium, Bolivien), Guaracy Mingardi (Universität Sao Paulo), Luis Gerardo Gabaldón (Zentrum für Kriminologische Studien der Universität Mérida, Venezuela), Ennio Pinza (Innenministerium, Venezuela), Martha Huggins (Union College, New York), Angel Antonio Conté Cojulún (Direktor der Nationalpolizei, Guatemala) und seine zwei Stellvertreter, Wolfgang Heinz (FU Berlin), Norbert Lösing (CIEDLA/Buenos Aires), Peter Waldmann (Universität Augsburg) und Carola Schmid (Universität Augsburg).

v.a. in den Andenländern. Als Polizeiforschung im engeren Sinne kann man dies aber nicht bezeichnen. In einigen Ländern gibt es auch Abhandlungen über die Geschichte der Polizei, meist allerdings aus der Feder von Polizisten selbst und am ehesten als Festschriften charakterisierbar. 59 Die fiir die Aufnahme des Befunds (Kap. 1) verwendeten Daten der Menschenrechtsorganisation scheiden für die weiteren Ziele der Untersuchung ebenfalls aus, weil man dort zwar viel über die Opfer und die Taten, aber wenig über die polizeilichen Täter erfährt. Einige Ausnahmen von dieser Regel gilt es jedoch hervorzuheben. Zu nennen sind insbesondere die Arbeiten des Argentiniers Zaffaroni (1987, 1993), der brasilianischen Forschungsgruppe rund um das Núcleo de Estudos sobre ViolêncialSâo Paulo (Pinheiro 1991, 1999; Adorno 1993, 1995; Chevigny 1991, 1995, 1999; Mingardi 1992, 1996, 1997), des Venezolaners Gabaldón (v.a. Gabaldón 1993a, 1995, 1996; Gabaldón/Bettiol 1991/1992; Birkbeck/Gabaldón/ LaFree 1990) sowie ein Sammelband, herausgegeben von der New Yorker Wissenschaftlerin Huggins (1991a), der ins Englische übersetzte Texte der eben angesprochenen Autoren enthält und sie so einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht. Außerdem wurden die Beiträge der oben erwähnten, im Rahmen des vorliegenden Projekts erst initiierten Tagung von Waldmann publiziert (Waldmann 1996a). Dadurch liegen inzwischen weitere historische Arbeiten über die Polizei vor, z.B. aus Argentinien, Guatemala, Bolivien und Chile (Maier 1996; Riekenberg 1996; Gamarra/Barrios Morrón 1996; Aguila Zúftiga/Maldonado Prieto 1996), andere Aufsätze beschäftigen sich mit der Organisation, der Struktur und der Rolle der Polizei und tragen damit dazu bei, eine weitere Lücke im Literaturstand zu verkleinern (Mansilla 1996; Maier/Abregú/ Tiscornia 1996; Gabaldón/Monsalve Briceflo/Boada Tomé 1996; Riedmann 1996). Einige neuere Arbeiten über lateinamerikanische Polizeien beschäftigen sich sogar mit deren Rechtsbrüchen. Zaffaroni (1987, 1993), aber auch Chevigny (1991, 1995, 1999) und Pinheiro (Méndéz/O'Donnell/Pinheiro 1999; Pinheiro 1991, 1999) sowie einige Autoren in dem Sammelband von Waldmann 60 stellen Art und Ausmaß der Gewalttaten von Hand der Sicherheitskräfte dar, so dass man insbesondere über die brasilianische Lage gut informiert wird. Diese Autoren analysieren aber hauptsächlich die Daten der Menschenrechtsorganisationen oder Presseberichte. Darüber hinaus hat Cano (1997) eine Studie zu Brasilien veröffentlicht, die ganz andere methodische Wege einschlägt. Er schlüsselt polizeiliche Todesschüsse

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Z.B. die der Verfasserin von dem Polizeiinspektor Hilman Méndez Osuna überreichte Geschichte der Polizei Méridas (Méndez Osuna 1995). Waldmann (1996a); Gabaldón (1996); zu gewissen Anteilen Mansilla (1996) sowie Maier/Abregú/Tiscornia (1996); Der Datenteil von Maier u.a. zu Argentinien ist umfangreicher als in „Justicia en la Calle" (Waldmann 1996a) abgedruckt. Diese Daten wurden der Autorin von während der Tagung in Panajachel dankenswerterweise überlassen. Sie wurden ursprünglich von der Equipo de Antropología Política y Jurídica de la Facultad de Filosofía y Letras ( U B A ) und dem Centro de Estudios Legales y Sociales (CELS), beide mit Sitz in Buenos Aires, zusammengetragen (vgl. Schmid 1997a).

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zum einen nach Einsatzorten, der Anzahl der Schüsse usw. auf, zum anderen analysiert er Autopsieberichte mit Blick auf die getroffenen Körperregionen. Ein Großteil der tödlichen Schussverletzungen betrifft den Brustbereich, außerdem sind Rücken- und Kopfschüsse (letztere sowohl von hinten, als auch von vorn) häufig. Gerade bei den Kopfschüssen ist davon auszugehen, dass es sich bei diesen Tötungen um Exekutionen handelte (Cano 1997: 71 ff.). Die Mehrzahl dieser Studien hat aber den entscheidenden Nachteil, dass die Polizisten aus ihnen, wiewohl laufend von ihnen die Rede ist, gleichsam entschwunden sind. Außer ihren Taten erfährt man wenig über sie. Forschungen, in denen Polizisten selbst Gegenstand der Empirie sind, sind international rar und aus Lateinamerika mehr als das. Das mag daran liegen, dass die Zugangsbarrieren dieser Institution enorm hoch sind, aber auch daran, dass sich Forscher einer nicht unerheblichen Gefahr aussetzen, v.a. wenn sie geradewegs über Gewalt und Korruption berichten wollen. Dennoch gibt es einen Wissenschaftler, Mingardi, (1992, 1996), der eine verdeckte teilnehmende Beobachtung bei der brasilianischen Polizei gewagt hat. Er hat selbst drei Jahre lang als Polizist gearbeitet, sein Buch publizierte er nach seinem Austritt aus der Polizei. Weitere empirische Erhebungen bei der Polizei stammen aus Venezuela. Einer Forschergruppe des Instituts CENIPEC (Centro de Investigaciones Penales y Criminológicas Héctor Febres Cordero) ist es gelungen, das Vertrauen der Polizeifiihrung der kleineren Stadt Mérida zu gewinnen, so dass dort mehrere, meist quantitative Befragungen von Polizisten möglich waren (Gabaldón 1993a, 1996; Gabaldón/Bettiol 1991/1992; Birkbeck/Gabaldón/LaFree 1990). Gleichwohl sind die einzelnen Studien oft thematisch spezifisch und kleinräumig, weshalb sie nicht das gesamte Feld dessen abdecken, was für die vorliegenden Zwecke von Belang ist. Ergänzend gibt es zwei empirische Erhebungen, eine über die Polizei Kolumbiens, eine über die Mexikos, die im Zusammenhang mit dem vorliegenden Forschungsprojekt entstanden sind (Riedmann 1996, 1997; Schmid 1995, 1996).61 Der Überblick über den Forschungsstand zu dieser gewichtigen Institution zeigt, dass er allein in quantitativer Hinsicht defizitär ist. Eine nennenswerte Anzahl an Studien, die die Perspektive der Polizei berücksichtigen, gibt es allenfalls für Brasilien und Venezuela, der Rest des geographischen Großraums Lateinamerika ist dahingehend Niemandsland. Außerdem müssen Hintergrundinformationen über die gesellschaftliche Rolle, die Situation und den Zustand der untersuchten Polizeien bereit gestellt werden, damit die Aussagen der interviewten Polizisten angemessen eingeordnet werden können. Dem dient der Abriss der jeweiligen Polizeigeschichte und der Organisationsstruktur der Polizeien der vier Länder (Kap. 3). Nicht einmal diese Daten waren leicht zu beschaffen, da es in Südamerika nun einmal nicht selbstverständlich ist, dass man Informationen

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Es handelt sich um Magisterarbeiten, die im Rahmen dieses „Polizeiprojekts" erstellt wurden. Publiziert wurden die wichtigsten Ergebnisse in dem o.g. Sammelband von Waldmann (1996a).

über z.B. die Curricula an Polizeischulen, die Einkommenssituation von Polizisten oder auch nur die Anzahl an Polizisten einfach abrufen kann. Auf der Hand liegt, dass nicht über sämtliche Polizeien Lateinamerikas berichtet werden kann, folglich wurden einige Eingrenzungen des Themas vorgenommen. Zum einen wurde die Studie hauptsächlich auf die Polizisten in den Hauptstädten beschränkt, weil die Probleme in der Regel in den riesigen Metropolen Lateinamerikas und v.a. in ihren Marginalsiedlungen kumulieren. Der aus der rasanten Verstädterung der letzten Jahrzehnte und der wachsenden Verarmung breiter Bevölkerungsschichten resultierende steigende Kriminalitätsdruck stellt die Polizei dieser Länder in der Tat vor enorme Probleme (vgl. Schmid 1998b; Hernández 1991; Riedmann 1997; Waldmann/Riedmann 1996a; Schmid 1997a; Haas 1996). Zum anderen wird nur die jeweilige Schutzpolizei bzw. der schutzpolizeiliche Zweig der Nationalen Polizei in die Studie aufgenommen. Der Hauptgrund dafür ist, dass es diese Einheiten sind, mit denen die Bürger im Alltag am meisten zu tun haben und insofern repräsentieren diese Polizisten die Polizei im Land am stärksten. Außerdem haben die Ergebnisse des Befunds (Kap. 1) deutlich gemacht, dass es, ihren Namen ad absurdum führend, die Schutzpolizei ist, die für einen großen Teil der Menschenrechtsverletzungen und Tötungen verantwortlich ist. Die vier Länder wurden so ausgewählt, dass sinnvolle Ähnlichkeits- und Kontrastvergleiche möglich sind. An erster Stelle steht die bundesdeutsche Polizei mit der Aufgabe, als Kontrastfolie für den lateinamerikanischen Raum zu dienen. Die komparative Einbeziehung des deutschen Falls hilft dabei, internationale Konstanten in den Einstellungsmustern von Polizisten aufzuspüren, die in der Art der Institution selbst begründet liegen und schützt damit davor, dieselben vorschnell auf lateinamerikanische Spezifika zurückzuführen. Außerdem ist bei einem internationalen Projekt die Gefahr groß, dass die Forscher aus dem deutschen Raum hiesige Verhältnisse und Kriterien implizit und unbewusst voraussetzen. Deshalb ist es besser, solche Vorstellungen zu explizieren. In Lateinamerika werden drei Länder berücksichtigt. Dieser Entscheidung lagen ursprünglich u.a. pragmatische Überlegungen zugrunde. Nachdem es schwierig ist, Zugang zur Polizei zu bekommen, musste damit gerechnet werden, dass das Forschungsvorhaben in dem einen oder anderen Land scheitert. Wäre dies geschehen, hätten immer noch zwei Fälle aus Südamerika für den Vergleich zur Verfügung gestanden. Zuletzt konnte die Forschung aber in allen drei ausgewählten Hauptstädten durchgeführt werden: in Caracas (Venezuela), in La Paz (Bolivien) und in Santiago de Chile (Chile). Schwerer noch als das pragmatische wiegt bei dieser Auswahl jedoch das systematische Argument. Diese Selektion erlaubt, sich ein Urteil über in einigen Schlüsselfaktoren unterschiedlich gelagerte Fälle zu bilden. Für Venezuela, dessen Polizei ein hoher Grad an Korruption und Gewalttätigkeit bescheinigt wurde, ist dies das Gewicht seiner demokratischen Tradition, zählt dieses Land doch zu den wenigen in Lateinamerika, die auf eine jahrzehntelange, kontinuierliche Abfolge verfassungsgemäß an die Macht ge67

langter Regierungen zurückblicken kann. Den Gegenpol dazu bildet Chile, das erst 1990 aus einer über 15 Jahre währenden Militärdiktatur entlassen wurde. Die chilenische Polizei gilt als eine der am wenigsten korrupten in ganz Lateinamerika, zugleich aber stets als Einheit, die sich durch Härte im Umgang mit Kriminellen auszeichnet. Nach dem augenblicklichen Kenntnisstand ist es außerdem so, dass sich die Situation in Chile Zug um Zug verbessert wohingegen die venezolanische Polizei gleich bleibend brutal und korrupt ist. Zwischen diesen beiden Polen ist Bolivien angesiedelt, ein Land, das zwischen Militärregimen und parlamentarischen Regierungen hin und her pendelte und dessen Polizei hinsichtlich der Gewalt eher der chilenischen, hinsichtlich der Korruption eher der venezolanischen Polizei ähnelt. Ein wichtiger Umstand ist darüber hinaus, dass dort der Drogenanbau und -handel eine gewichtige Rolle spielen. Im Unterschied zu den beiden anderen Staaten weist Bolivien zudem einen hohen indigenen Bevölkerungsanteil auf (vgl. Kap. 1 und 3).

2.2. Der Untersuchungsplan Wie aber erforscht und vergleicht man die Schutzpolizei in drei südamerikanischen Ländern und der Bundesrepublik Deutschland? Allein die Anzahl der Fälle und ihre Verteilung auf dem Globus, aber auch spezifische Probleme, die bei dem Forschungsgegenstand Polizei auftreten, verlangten methodische, forschungspraktische sowie organisatorische Vorüberlegungen und Entscheidungen, die im folgenden offen gelegt seien. Sechs Elemente sollen dabei besonders hervorgehoben werden: die Behandlung des Sonderfalls BRD (2.2.1.); die methodologische Basis der Studie (2.2.2.); die zum Pragmatismus zwingenden Zugangsprobleme (2.2.3.); die davon abhängige Auswahl der Erhebungsmethoden (2.2.4.); der Fragenkanon (2.2.5.) sowie die konkrete Vorgehensweise bei einem Projekt dieser Größenordnung (2.2.6.). 2.2.1. Der Sonderfall BRD Im Vergleich zu Lateinamerika ist die Polizei der Bundesrepublik Deutschland eine vielfältig erforschte Institution (zusammenfassend Funk 1990). Gut bestellt ist seit einiger Zeit das Feld der historischen Polizeiforschung, die sich um die Darstellung der Genese und Entwicklung dieser Institution in Deutschland bemüht. V.a. die Wissenschaftler rund um den jährlich tagenden polizeihistorischen Arbeitskreis haben eine ebenso ansehnliche wie anschauliche Reihe an Publikationen erstellt (vgl. insb. die Sammelbände: Lüdtke 1992b; Nitschke 1996). Eine umfassende Datenbasis für die soziologische Polizeiforschung liefert außerdem das sog. Saarbrücker Gutachten aus dem Jahre 1975 (Helfer/Siebel 1975), auch wenn diese Studie nicht unkritisiert blieb (z.B. Gintzel/Möllers 1987), weil sie großräumig fast sämtliche für Polizeifragen relevanten Themengebiete behandelt. In den siebziger Jahren wurden weitere soziologische Studien über die deutsche Polizei veröffentlicht, darunter einige besonders 68

bekannt gewordene, die Selektionspraktiken von Polizisten im Alltagsdienst kritisch hinterfragen (vgl. Feest/Lautmann 1971, Feest/Blankenburg 1972). Teils als Reaktion auf diese Polizeistudien gründete die Polizei eigene Forschungseinrichtungen, die ebenfalls interessante empirische Erhebungen vorlegen, 62 in jüngerer Zeit z.B. über die Berufszufriedenheit und das Führungsverhalten innerhalb der Polizei (Kommission Innere Führung 1997) und über Korruption in der Polizei (vgl. Kap. 1.2.; Sielaff 1992; Stüllenberg 1993; Holz 1997). Feltes und Kollegen treten regelmäßig mit Polizeistudien in Erscheinung, die sich u.a. um die Themenkreise Community Policing und polizeilicher Alltagsdienst drehen (Feltes 1984, 1988; Feltes/Rebscher 1990; Feltes/Dölling 1993; Feltes/Dreher 1996; Feltes/Dreher 1997). Hinzu kommt eine große Anzahl an Wissenschaftlern außerhalb der polizeilichen Institutionen, die sich regelmäßig mit der Polizei beschäftigen, darunter z.B. Reichertz und Schröer, die Vernehmungssituationen u.ä. analysieren (Reichertz/Schröer 1992, 1996). Für die vorliegenden Zwecke besonders wichtig ist das von Busch u.a. (1985) herausgegebene opus magnum „Die Polizei in der Bundesrepublik", einer der Grundlagentexte über diese Institution. Eine Sonderrolle nehmen daneben die Publikationen von Maibach (1996) und Behr (2000a) ein, weil sie Polizisten selbst zu Wort kommen lassen. Auch wurden Forschungen von der Polizei bzw. den Innenministerien der Länder in Auftrag gegeben, die sich mit den Vorwürfen der übermäßigen Gewaltsamkeit der bundesdeutschen Polizei gegenüber Minderheiten und sozial Schwachen auseinander setzen. Schlagzeilen machte die Studie „Polizei und Fremde" von Willems/Eckert/Jungbauer (1996), zu nennen ist des Weiteren die interdisziplinäre angelegte Studie „Risikokonstellationen im Polizeialltag" (Backes u.a. 1997) die, so konnte die Autorin bei einem Vortrag von Backes kurz vor Beginn der empirischen Phase ihres internationalen Polizeiprojekts feststellen, die für ihr Projekt wichtigsten Themen in der BRD bereits abfragt. Angesichts dieser umfangreichen Literatur über die Polizei in Deutschland, 63 die all das abdeckt, was in Lateinamerika erfragt werden sollte, wurde in der Planungsphase entschieden, in der BRD keine neuen Daten zu erheben. Stattdessen wird die vielfaltige bereits publizierte Literatur gesichtet und ausgewertet, darunter die bereits genannten Titel, aber auch kleinere, z.B. in Polizeizeitschriften publizierte Forschungen. Ihre Ergebnisse werden an der jeweils geeigneten Stelle in die Vergleiche mit Südamerika einfließen (vgl. Kap. 2.2.5.).

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Die große Zahl empirischer Erhebungen durch polizeianhängige Institutionen übersteigt das Fassungsvermögen einer Fußnote. Verwiesen sei deshalb auf die einschlägigen Polizeizeitschriften.

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Vgl. die Literaturberichte bei Donk/Reichertz/Schröer (1996) sowie bei Funk (1990).

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2.2.2. Die methodologische Basis Die täterbezogene Sichtweise, die die bisherige Literatur ergänzen soll, fragt weniger nach den Folgen polizeilichen Handelns, sondern vielmehr, warum Polizisten handeln, wie sie nun einmal handeln. 64 Um diese Frage beantworten zu können, müssen zwei Dimensionen berücksichtigt werden. Zum einen handeln Polizisten innerhalb vorgegebener formeller, institutioneller und sozialer Strukturen. Diese Dimension enthält die Gesetze, die interne Organisation der Polizei, Ausbildungsrichtlinien, aber auch die Kriminalitätsstruktur etc. Zum anderen sind Polizisten informellen Zwängen ausgeliefert, d.h. einer Vielzahl von teils tradierten, teils spontanen Vorgaben seitens ihrer Kollegen, ihrer Vorgesetzten, der Bevölkerung und anderer Zugehörigkeits- und Bezugsgruppen. Beide Dimensionen wirken einerseits als handlungsbegrenzende Faktoren und beiden gegenüber haben Polizisten andererseits gewisse Handlungsfreiheiten. So bleibt der einzelne Polizist der letztentscheidende Handlungsträger und deshalb soll seine Perspektive in dieser Forschung im Vordergrund stehen, d.h. es interessieren z.B. nicht nur „objektiv" gegebene Kriminalitätsraten, sondern die Einschätzung der Kriminalitätsraten durch Polizisten, nicht nur das Polizeirecht, sondern die Beurteilung desselben durch Polizisten usf. Anders formuliert bedeutet dies das Bemühen, den subjektiven Sinn polizeilicher Handlungen zu erfassen, polizeiliches Handeln zu verstehen. Der Verständnisbegriff tangiert in der Alltagssprache freilich eine moralische Dimension, im vorliegenden Falle die, ob man Gewalt und andere Rechtsbrüche „verstehen" soll. Der Polizeiforscher Westley (1972: Preface) schrieb in seiner Studie über Polizei und Gewalt sogar von seiner regelrechten Angst, die Brutalität mancher Polizisten verstehen zu tnüssen. 65 Dennoch betont er die Notwendigkeit, das Menschliche zu sehen, das sich hinter Gewaltakten verbirgt. Dabei ist aber „verstehen" keinesfalls mit „akzeptieren" gleichzusetzen. Im soziologischen Sinn ist das Verstehen vielmehr die Basis des Erklärens. Dieser Ansatz findet sich bereits in der Weberschen Definition der Soziologie. Ihm gemäß ist Soziologie „eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will". Soziales Handeln soll „ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist" (Weber 1972: 1). Nur wenn die subjektive Perspektive der Handelnden nebst dem sich in ihr spiegelnden Hand-

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Vgl. die Unterscheidung von Cain zwischen Untersuchungen zu Bürgerrechten, Studien, die nach den. Gründen spezifischen Polizeihandelns fragen und Studien die sich mit den Folgen polizeilichen Handelns beschäftigen (Cain, 1973: 13). Geschrieben 20 Jahre nach Fertigstellung seiner Studie über die Polizei! (Westley 1972: Preface).

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lungsrahmen verstanden wird, kann das Handeln erklärt werden. 6 6 Dabei verbleibt der Forscher in einer möglichst wertfreien Haltung, auch wenn es um Gewalt geht. Im Vordergrund hat die subjektive Perspektive der handelnden Polizisten zu stehen, d.h. es ist aufmerksam zu verfolgen, was Polizisten selbst zu ihrer Situation vorzubringen haben. Methodisch hat dies zudem die Vorteile, dass versteckte, nicht vorhersehbare Handlungsbedingungen, Konfliktherde, Belastungen usw. erkannt werden können und dass eine solche Haltung erfahrungsgemäß die Auskunftsbereitschaft der Befragten erhöht. In obigem Zitat von Max Weber steckt die Anforderung, den Sinn, den das untersuchte Subjekt seinen Handlungen unterlegt, seine Intention, zu verstehen und zu beschreiben. Auf methodischer Ebene ist deshalb zu klären, wie der subjektiv gemeinte Sinn von Forschern erschlossen werden kann. 67 Das für unsere Zwecke geeignetste Vorgehen ist das der Ethnologie und Ethnographie entliehene, das der „verstehenden Beschreibung und dem Verstehen durch Beschreibung" (Honer 1989: 298) dient. Demnach sollen Forscher durch langfristige Aufenthalte im Untersuchungsgebiet Mitglieder der fremden Kultur werden und dadurch deren Sprache im vordergründigen wie im übertragenen Sinn verstehen lernen. 68 Die Chicagoer Schule argumentiert prinzipiell ähnlich, allerdings bezogen auf die eigene Gesellschaft. 6 9 Sie geht davon aus, dass sich die Symbolsysteme - Sprache, Gesten, Normen und Sanktionen - innerhalb einer Gesellschaft von Subsystem zu Subsystem ebenso voneinander unterscheiden können

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Bereits in Webers Formulierung, „verstehen" und „dadurch" „ursächlich erklären", ist sogar eine zeitliche Abfolge angelegt, die dem gewählten Ansatz entspricht: zuerst muss der gemeinte Sinn der sozialen Handlungen der untersuchten Polizisten bekannt sein, erst dann kann ursächlich erklärt werden. Graumann u.a. (1991) bezeichnen die Aufgaben der qualitativen Sozialforschung als „intentionale Deskription", wobei mit „intentional" die Intention des Handelnden gemeint ist. Laut Bonß (1991) ist der soziologische Auftrag die „induktiv-regelgeieitete Dechiffrierung von Sinnzusammenhängen mit hermeneutischer Absicht". Auf diese Frage wurden Antworten aus zwei Perspektiven formuliert. Entweder geht es darum, wie und warum Forscher den Sinn von Handlungen anderer Menschen interpretieren können, oder darum, wie Untersuchten der Sinn ihrer Handlungen entlockt werden könnte (vgl. Kleining 1991). Diese Vorgehensweise birgt durchaus die Gefahr dessen in sich, was als going native bezeichnet wird und fordert mancherorts zu der Kritik heraus, qualitative Studien seien distanzlos und wenig „objektiv". Bezüglich der Absicht, soziales Handeln zu verstehen, stellt sich das Problem aber eher umgekehrt, da es kaum möglich ist, den (untersuchten) Anderen restlos zu „verstehen". Die profunde Kenntnis der Lebenswelt einer untersuchten Gruppe stellt zwar nicht sicher, dass der von anderen Menschen gemeinte Sinn einer Hundertprozentforderung entsprechend verstanden wird, führt aber zu einem akzeptablen Annäherungswert, der dem üblichen gemeinsamen Wissensvorrat dieser Gruppe kaum nachsteht. Das going native wird somit geradezu zur Voraussetzung des Verständnisses der Untersuchten. In dieser Tradition steht z.B. die als klassisch zu bezeichnende Polizeistudie von Westley (1972). 71

wie verschiedene Kulturen.70 Deshalb müssen Forscher die spezifischen Symbole einer ihnen fremden Welt erst erlernen, ehe der subjektive Sinn von Handlungen der in ihr lebenden Menschen verstanden werden kann. Die dem angemessene Methode der Datenerhebung ist wie in der Ethnologie der Feldaufenthalt, die teilnehmende Beobachtung. Inwieweit dies bei einer vergleichenden Polizeiforschung in vier Staaten machbar ist, wird in den folgenden Kapiteln diskutiert. 2.2.3. Die Zugangsprobleme und der Zwang zum Pragmatismus Abgesehen von Auftragsarbeiten stellt bei Polizeiforschungen jenseits aller methodischen Idealvorstellungen die Zugangsfrage das Hauptproblem dar (vgl. Lindner 1981; Jeggle 1983; Wax 1979), das kann man aus der internationalen Polizeiforschung unschwer lernen.71 Insbesondere Forschungsvorhaben, die sich mit polizeilichem Fehlverhalten befassen wollen, werden nicht ohne weiteres genehmigt. Nach der Publikation einer Reihe von Untersuchungen, die sich z.T. dezidiert polizeikritisch gaben, war es beispielsweise in der BRD in den siebziger Jahren äußerst schwer, noch Forschungsgenehmigungen zu bekommen (vgl. Brüsten 1985). Einen Eindruck davon, wie verhärtet die Fronten zwischen manchen Polizisten und Wissenschaftlern sind, vermittelt eine Kontroverse, die in der Zeitschrift Kriminalistik nachzulesen ist (Donk/Reichertz/Schröer 1996; Pick 1995). Dort spricht ein Dozent einer deutschen Polizeihochschule mit Bezug auf die Studien von Feest und Blankenburg (1972) aus den siebziger Jahren von einer „polizeisoziologischen Erbsünde" (Pick 1995: 698), die das öffentliche Ansehen der Polizei nachhaltig beschädigt und zur Folge habe, dass der Wissenschaft der Zugang zur Polizei des Öfteren verwehrt wird. Zudem formuliert er „sechs Grundlagen für ein gedeihliches Verhältnis zwischen Polizeipraxis und empirischer Polizeiforschung" (Pick 1995: 702), die im wesentlich darauf hinauslaufen, dass Forschung der Polizei zuzuarbeiten habe statt deren Arbeit kritisch zu begleiten. In Anspielung auf den in der Soziologie für Polizisten gebrauchten Begriff der „Gewaltmonopolisten" unterstellt er einem Teil der Wissenschaftler anschließend die „typische Arroganz von Wahrheitsmonopolisten" (Pick 1995: 698). Die Regel sind solche Extrempositionen inzwischen aber nicht mehr. In den letzten Jahren wurden von der Polizei verschiedentlich Studien extern in Auftrag gegeben und Polizei und Wissenschaft veranstalten gemeinsame Fachtagungen.72

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Vgl. Girtler (1984: 15ff., 20ff.); Zur „lebensweltlichen Ethnographie" Honer (1989); Zur teilnehmenden Beobachtung Blumer (1973), Mayring (1990: 56ff.), Friedrichs/Lildtke (1971) und Dechmann (1978).

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Z.B. Busch u.a. (1985: 36, 478ff.), bei denen verschiedene Schreiben an die Polizei sowie einige Antworten abgedruckt sind. Vgl. Reichertz/Schröer (1992) und Behr (1990, 1989). Z.B. „Empirische Polizeiforschung: Forschung über die Polizei trifft Forschung flir die Polizei", eine Fachtagung veranstaltet von der Fachhochschule flir Polizei Sachsen in Zusammenarbeit mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen sowie der Sek-

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Systematisch betrachtet stellt sich die Frage des Zugangs zur Polizei auf doppelte Weise: zum einen auf der Ebene der Institution, zum anderen auf der der Polizisten selbst. Die Chancen, von den Institutionen selbst Zugang gewährt zu bekommen, waren für Lateinamerika nicht einfach abzuschätzen. Zwar haben dortige Polizeien noch wenig Erfahrungen mit sozialwissenschaftlicher Forschung, so dass das Problem einer „polizeisoziologischen Erbsünde" kaum zu furchten war, zu erwarten war jedoch ein gehöriges Misstrauen, da die Polizeiführungen die Anschuldigungen der Menschenrechtsorganisationen natürlich kennen. Nun hätte man versuchen können, das Problem zu umgehen, indem man Polizisten ohne Genehmigung der Polizeifiihrung kontaktiert. Dieser Weg wäre aber gleichermaßen mühsam und unsicher und nicht ganz ungefährlich gewesen. Immerhin sehen sich Menschenrechtsaktivisten, mit denen Forscher leicht verwechselt werden können, wenn sie hinterrücks Polizisten aushorchen, in lateinamerikanischen Ländern häufig Drohungen ausgesetzt (vgl. Kap. 1). Gänzlich unmöglich schien es außerdem nicht, das Vertrauen der Polizeiführungen zu erlangen, wenn nur klug genug vorgegangen wird. Die Absicht, den Behörden offizielle Forschungsgenehmigungen abzuringen, zwang allerdings dazu, den Pragmatismus über die Methodologie zu stellen. Unabdingbar sind gute informelle Kontakte zur Polizei oder wenigstens zu Mittelsmännern, insoweit kann der typisch südamerikanische Klientelismus der Forschung durchaus nützlich sein. Diese taktische Überlegung spielte neben anderen bei der Auswahl der Kooperationspartner und Mitarbeiter eine gewichtige Rolle. Angesichts der zugrunde liegenden methodischen Orientierung der Studie wurde des Weiteren alles dazu getan, die Polizeiführungen davon zu überzeugen, dass die Perspektive der Polizei selbst dargestellt wird und sie einen eigenen Nutzen aus der Erhebung ziehen können. Deshalb wurde den zuständigen Behörden bei den Erhebungsmethoden und den an die Polizisten gestellten Fragen ein Mitspracherecht eingeräumt, explizit auch um den Preis, dass methodische und inhaltliche Abstriche in Kauf genommen werden müssen (s.u. 2.2.4. und 2.2.5.). Was den Zugang zu den Polizisten selbst angeht, so muss man mit der für sie typischen Verschwiegenheit rechnen, die sich ebenfalls in vielen Polizeistudien als Problem erwiesen hat. Riedmann (1997: 12) hat beispielsweise berichtet, dass sich eine Streifenwagenbesatzung, die er in Kolumbien begleiten durfte, über drei Stunden hinweg hartnäckig weigerte, auch nur ein einziges Wort mit ihm zu wechseln, andere antworteten widerwillig, einsilbig und inhaltsleer. Im Zuge der Erhebung für die vorliegende Studie kam es zu ähnlichen Situationen (s.u. Kap. 2.3.). Im Einzelfall dürfte viel von der kommunikativen Kompetenz der Forscher und vom geschickten Einsatz von Interviewtechniken abhängen. Die Interviewer müssen Polizisten als Experten ihres Alltags betrachten und behandeln, sich glaubhaft an den Geschichten der Polizisten interessiert zeigen und

tion „Soziale Probleme und Soziale Kontrolle" der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Jahr 1999 (vgl. Behr 1989, 1990).

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dies in deutlicher Abgrenzung von den Perspektiven der Medien, der Vorgesetzten und der Menschenrechtsorganisationen usw.73 Der äußerst erfahrene nordamerikanische Polizeiforscher Bayley fasst diese Haltung folgendermaßen zusammen: „Policemen in most countries want their point of view to be presented. If they find a researcher sympathetic and Willing to listen, they seize the opportunity to present life as they see it and live it" (Bayley 1977: XIII). 2.2.4. Die Auswahl der Erhebungsmethoden Bei der Auswahl der Erhebungsmethoden war zunächst an die beiden Grundrichtungen der Sozialforschung zu denken, einerseits die qualitative, die sich v.a. der teilnehmenden Beobachtung und offener Interviews bedient, andererseits die quantitative, die mittels standardisierter Fragebögen arbeitet. Beide Forschungsrichtungen haben ohne Zweifel ihre generellen Meriten und Schwächen, beide hätten auch für die vorliegende Forschung spezifische Vor- und Nachteile gehabt. Vor einer Bevorzugung der einen oder anderen Variante war aber daran zu denken, dass die Institution Polizei ein äußerst empfindlicher Forschungsgegenstand ist, den man empirisch nicht wie eine beliebige Randgruppe behandeln kann (siehe Kap. 2.2.3.). Deshalb waren vor einer Entscheidung neben methodischen Erwägungen praktische Überlegungen ins Kalkül zu ziehen. Für den Einsatz qualitativer Erhebungstechniken sprechen eine ganze Reihe guter Gründe. Gerade mittels der wenig strukturierten teilnehmenden Beobachtung 74 gelingt es oftmals besonders gut, die Subjektperspektive weitgehend unverfälscht einzufangen. Insofern entspricht diese Erhebungsmethode den grundlegenden methodologischen Weichenstellungen dieser Forschung (vgl. Kap. 2.2.2.). 75 Außerdem kann alles, was mit abweichendem oder gar kriminellem Verhalten von Polizisten zu tun hat, kaum mit einem geschlossenen, von der Polizeiführung zu genehmigenden Fragebogen erfasst werden. Bei offenen Interviews kann das Gespräch dagegen vorsichtig in diese Richtung gelenkt werden. 73

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Manche Autoren empfehlen, an die Helferrolle der Polizisten zu appellieren oder sich äußerlich bis zu einem gewissen Grad anzupassen (vgl. Westley 1972: Preface; Feest/Blankenburg 1972: 9 ff.). Kürzinger (1979: 159ff.) trug bei seinen Beobachtungen eine Polizeiuniform. Z.T. wird die systematische statt der teilnehmenden Beobachtung bevorzugt (Reiss 1979). Die teilnehmende Beobachtung sowie offene Interviews erfüllen in diesem Zusammenhang mindestens vier Funktionen. Erstens kann sich der Forscher in die Welt der Erforschten hineinleben. Dadurch lernt er in einer Art Sozialisationsphase den subjektiv gemeinten Sinn der Handelnden zu verstehen (vgl. Kap. 2.2.2.). Zweitens kann der Forscher so eher Neues in Erfahrung bringen, als mittels geschlossener Fragebögen, denn in einen Fragebogen können all die Fragen nicht aufgenommen werden, die sich der Forscher in Unkenntnis der Welt der Erforschten vor Beginn der Forschung noch gar nicht stellen konnte. Drittens gehen die z.T. Kausalität behauptenden Schlussfolgerungen der Erforschten, die theoreti* sehen Konstrukte erster Ordnung, auf diesem Wege nicht verloren. Viertens kann diese Vorgehensweise bei einer international vergleichenden Studie den länderspezifischen Bedingungen gerecht werden, weil sie gegenstandsbezogen ist und Freiräume lässt.

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So ist es sicher kein Zufall, dass sich viele der besten Polizeistudien dieser Methodik bedienten. 76 Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass die Autoren dieser Studien meist über eine besondere Beziehung zu der Institution verfugten. Teils waren die Forscher entweder zum Zeitpunkt der Forschung oder unmittelbar vorher selbst als Polizisten tätig, so dass sie gute Kontakte in die Szene hatten und ihnen die Sprache der Polizisten geläufig war. Dies trifft vor allem auf zwei Studien zur Polizeigewalt zu, die von Mingardi und die von Holdaway. 7 7 Teils arbeiten bzw. arbeiteten sie in Polizeifachhochschulen als Dozenten (Behr 1993b; Maibach 1996; Feltes 1990 u.a.) oder hatten persönliche Kontakte zu Polizeibeamten. 78 Abgesehen davon, dass es kaum möglich gewesen wäre, für die vorliegende Studie einen derartigen Positionsvorteil aufzubauen, spricht gegen eine reine teilnehmende Beobachtung und offene Interviews deren komparatives Design. Es ist mit wesentlich mehr Aufwand verbunden, offene Interviews aus mehreren Ländern miteinander zu vergleichen als mühelos quantifizierbare Daten aus standardisierten Fragebögen. Geschlossene Fragebögen wurden ebenfalls bereits erfolgreich in der Polizeiforschung eingesetzt, wenn auch selten im direkten Zusammenhang mit illegalem Polizeihandeln. 79 Nachdem beide Grundvarianten unter den Erhebungsmethoden spezifische Vorteile bieten, wäre es die Ideallösung gewesen, sie miteinander zu kombinieren, z.B. in einem ersten Schritt mit einer explorativen, offenen Forschungsphase zu beginnen, dabei Hypothesen zu entwickeln und diese in einem zweiten Schritt mit Hilfe standardisierter Fragebögen zu überprüfen. Beispielhaft für einen solchen Untersuchungsaufbau ist die Studie von Cain (1973). Sie fußt zum einen explizit auf den Ergebnissen der qualitativen Forschungen von Westley (1972), zum anderen ging ihrer Fragebo-

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Whyte ( 1 9 4 3 ) z.B. lebte jahrelang in „Cornerville". Kürzinger (1979: 159ff.) bediente sich der Beobachtung und half bei einfachen polizeilichen Tätigkeiten mit. Holdaway (1979, 1984: lff.) war zum Zeitpunkt seiner Studie aktiver Polizeibeamter. Folgende weitere Autoren setzten die teilnehmenden Beobachtungen und offenen Interviews ein: Walsh (1977: 150), Werthman/Piliavin (1967: 45), Feest (1971), Feest/Blankenburg (1972: 9ff.), Westley (1972: Preface), Girtler (1980), Brown (1981), Schmid, R. (1995), Mingardi (1992), Savelsberg 1994, Behr (2000b), Maibach (1996), Haarr (1997), Riedmann ( 1 9 9 7 ) und Walter/Wagner (1997). Im weiteren Sinne offene Interviews (Einzelinterviews, Experteninterviews, Gruppendiskussionsverfahren usf.) führten: Willems u.a. (1988), Reichertz (1990), Schüller (1991), Gabaldon/Birkbeck (1995), Willems/Eckert/Jungbauer (1996), Harlan (1997).

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Holdaway ( 1 9 8 4 : lff., 1979) war Polizist, studierte dann Soziologie und ging für die Untersuchung zur Polizei zurück. Mingardi (1992, 1996, 1997) arbeitete bei der Polizei in S ä o Paulo. Fyfe war laut Jäger (1988: 80, Fußnote 3) 16 Jahre lang in New York Polizist. Behr war ebenfalls Polizeibeamter (Behr 2000b: 5).

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Z.B. kam Westley (1972: 13ff.) ursprünglich über einen Freund mit einem Polizeichef ins Gespräch. Kürzinger (1979) hatte schon vor seiner Forschung gute Kontakte zur später untersuchten Polizeieinheit. 79 Eine Ausnahme stellt eine Erhebung von Gabaldön/Birkbeck ( 1 9 9 6 ) dar.

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generhebung eine Phase der teilnehmenden Beobachtung voraus. Laut Cain machte diese Phase die Fragebogeninterviews in praktischer und methodischer Hinsicht erst möglich, sie sicherte darüber hinaus die Validität der Daten und steigerte die Interpretationskompetenz der Autorin. 80 Zu berücksichtigen waren aber die Vorgaben der Polizeiführung. Schon in der Literatur gibt es Hinweise darauf, dass die Polizei qualitativen Untersuchungen gegenüber besonders skeptisch reagiert. Der Hauptgrund dafür ist, dass sie wegen ihrer Kritikempfindlichkeit ein Interesse daran hat, die Ziele und Inhalte der Forschung zu kontrollieren (vgl. Reiss 1997: 295f.) und deshalb spricht aus ihrer Sicht zweierlei fiir standardisierte Fragebögen und gegen offene Interviews. Zum einen sind der Polizei die Möglichkeiten offener Interviews bekannt, weil sie bei Verhören und Befragungen mit ähnlichen Methoden arbeitet wie die Sozialwissenschaften. Reiss (1979: 271ff.) hat herausgestellt, dass Polizisten genau wissen, dass Interviewpartner in laufenden Gesprächen dazu verführt werden können, mehr zu sagen, als sie ursprünglich wollten. Zum anderen kann die Polizeiführung die offenen und verdeckten Ziele einer Forschung bei standardisierten Erhebungsinstrumenten besser durchschauen, beeinflussen und überwachen, weil dabei die Fragen von vornherein festgeschrieben werden (Reiss 1979: 295f.). In Anbetracht erstens der Idealvorstellung, qualitative und quantitative Erhebungsmethoden gemeinsam einzusetzen, zweitens der Anforderung, die interkulturelle Vergleichbarkeit zu gewährleisten und drittens der Problematik, dass die Ansprüche und Bedingungen, die die Polizeiführungen einbringen könnten, weder planbar waren noch in allen drei Ländern gleich ausfallen würden, wurde entschieden, einen Leitfaden zu entwickeln, der sowohl in offenen als auch in geschlossenen Interviews abgefragt werden kann. 2.2.5. Der Fragenkanon Da nicht abzusehen war, welche Interviewformen die Polizeiführungen befürworten würden, musste der vorzubereitende Leitfaden (Abb. 1) grundsätzlich für offene und geschlossene Interviews geeignet sein. Wegen seiner Funktion als geschlossener Fragebogen wurde er genau ausformuliert, enthalten sind auch Skalen für Fragen mit Antwortvorgaben usw. Sein wesentliches Charakteristikum sind aber die offenen Fragen, die der Mehrzahl der geschlossenen Fragen folgen. An diesen Stellen sollten die Interviewer sich nach Begründungen, Beispielen usf. erkundigen, mithin Narrationen anregen. Diese Fragen dienten demnach der „Hervorlockung" (Schütze 1976) von Geschichten auch in den Ländern, in denen vollständig offene Interviews nicht geführt werden könnten. Soll80

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Sofern die quantitativen und qualitativen Daten einander widersprachen, wurde zweiteren der Vorrang eingeräumt (Cain 1973: 7). Hinz (1971) beobachtete in einer ersten achtmonatigen Phase Polizisten bei der Arbeit. In dieser Zeit stattfindende Interviews waren an einem Leitfaden orientiert, der zunehmend modifiziert und gerafft wurde. Der daraus entstehende Fragebogen, der offene und geschlossene Fragen enthielt, wurde in einer zweiten Phase eingesetzt (Hinz 1971: 123f.).

ten die Behörden dagegen offene Interviews zulassen, sollten die Interviewer im Gegenzug versuchen, möglichst große Anteile der im Leitfaden gestellten Fragen anzusprechen. Auf diese Weise wurde eine Vergleichbarkeit offener und geschlossener Befragungstechniken erreicht, ohne auf die notwendige Flexibilität verzichten zu müssen. Der Fragenkanon des Leitfadens ist an der Notwendigkeit orientiert, flächiges Basiswissen über die Einstellungen südamerikanischer Polizisten zu erheben. Dabei sollten die wichtigsten Themenkomplexe abgedeckt werden, ohne den Fragebogen zu überladen. Die konkreten Fragestellungen sollen an dieser Stelle nicht einzeln begründet werden, dies wird im Datenteil nachgeholt (Kap. 4), vorausgeschickt sei aber, dass darauf geachtet wurde, dass die persönliche Meinung der Befragten direkt angesprochen wird, um möglichst die Subjektperspektive einzufangen. Nicht aufgenommen wurden Fragen, die direkt auf Korruption und Gewalt zielen, die Genehmigungsbehörden hätten sie ohnehin mit hoher Wahrscheinlichkeit gestrichen oder die Forschung verboten. Solche Fragen waren auch überhaupt nicht nötig, weil die Rechtsbrüche von Polizisten ausreichend bekannt sind (Kap. 1) und weil das primäre Ziel der Befragung darin bestand, etwas über die Mentalität südamerikanischer Polizisten zu erfahren. Erst abschließend (Kap. 5), in der Analyse, wird untersucht werden, ob typische Einstellungsmuster von Polizisten mit bestimmten Ausprägungen von Gewalt und Korruption einhergehen. Zugleich sollte man sich natürlich die Chance nicht entgehen lassen, aus dem Munde der Polizisten selbst etwas über Gewalt und Korruption zu erfahren. In informellen Neben- oder Nachgesprächen haben die Interviewer sehr wohl versucht etwas darüber herauszufinden, natürlich entsprechend vorsichtig. Manche Polizisten haben dann auch in unterschiedlichster Weise über solche Praktiken berichtet: als selbst erlebte Geschichten, als Erzählungen über andere Polizisten oder in Form von „Polizeimythen" (vgl. Reichertz 1996a). Die Grobstruktur des Interviewleitfadens bzw. des Fragebogens gliedert sich in sieben Themenblöcke: A. Basisdaten; B. Polizeischule; C. Verhältnis zur Bevölkerung; D. Verhältnis zur Familie und zu Freunden; E. Verhältnis zu wichtigen Institutionen; F. Kriminalität/Kriminelle; G. Alltagsdienst. Die Erhebung der so bezeichneten Basisdaten und einiger Informationen über die polizeiliche Ausbildung dient dem Zweck, einen Überblick z.B. über das Bildungsniveau, das Dienstalter, die Motive der Berufswahl und die Berufszufriedenheit der Polizisten zu bekommen. Außerdem werden die als ideal geltenden Eigenschaften eines „guten Polizisten" erfragt, die helfen sollen, die Berufsauffassung der Befragten zu rekonstruieren. Größeren Raum im Leitfaden nimmt das Verhältnis zur Bevölkerung ein. Einige Fragen innerhalb dieses Blocks haben das Ziel, die Einstellung der Polizisten zu verschiedenen Bevölkerungsgruppen kennen zu lernen. Dies ist insbesondere deswegen von Interesse, weil Polizisten laut verschiedenster Forschungen eine Tendenz haben, aufgrund „erfahrungsgesättigter Stereotype" (Willems/Eckert/Jungbauer 1996) zu Ungunsten niederer Schichten zu selektieren. Erhoben wurden auch das „geglaubte Fremdbild" und die ver77

meintliche Akzeptanz der Polizeiarbeit in der Bevölkerung. Der Abschnitt zu Familie und Freunden dient hauptsächlich dem Zweck herauszufinden, wie stark die berufliche Selbstrekrutierung innerhalb der untersuchten Polizeien ist, d.h. ob der Polizeiberuf über mehrere Generationen hinweg sozial vererbt wird. Als wichtige Nachbarinstitutionen der Polizei werden die Justiz, die Massenmedien, das Militär und die Politik bzw. die Parteien verstanden. Die meisten Fragen gelten hier den grundsätzlichen Einstellungen der Polizisten diesen Organisationen gegenüber, teils werden aber auch spezifische Themen angesprochen, z.B. wie die Polizisten sich dazu stellen, wenn das Militär polizeiliche Aufgaben wahrnimmt. Der Fragenblock zur Kriminalität befasst sich mit der subjektiv wahrgenommenen Arbeitsbelastung und Bedrohung durch Kriminalität. Ähnlich wie im Abschnitt über das Verhältnis zur Bevölkerung wird gleichzeitig „erfahrungsgesättigten Stereotypen" nachgespürt, indem gefragt wird, welche Personengruppen besonders zur Kriminalität neigen würden. Im letzten und verhältnismäßig umfangreichen Teil des Leitfadens sind schließlich alle Fragen aufgeführt, die sich auf den Binnenbereich der Institution Polizei beziehen. Darunter fällt v.a. das Verhältnis zu Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten. Abb. 1: Fragebogen/thematischer Leitfaden 81 FRAGEBOGEN/THEMATISCHER LEITFADEN Anmerkung: unterstrichener Text markiert Intervieweraufforderungen. A. BASISDATEN 1. 2. 3. 4.

Wie alt sind Sie? Wie viele Jahre haben Sie die Schule besucht? Evtl.: welchen Beruf hatten Sie ausgeübt, bevor sie Polizist wurden? Seit wann arbeiten Sie schon als Polizist?

B. POLIZEISCHULE 5. Aus welchen Gründen haben Sie den Beruf eines Polizisten gewählt? Beispiele? (offene Frage) 6. Welche Einstellungsvoraussetzungen sollten für Polizisten gelten? Nach allen folgenden Beispielen fragen Bildung, Ausbildung - Körpergröße - Körperkraft - Ruf - ohne Vorstrafen Andere? (offene Frage) ... und bewerten lassen:sehr wichtig - wichtig - indifferent - unwichtig - sehr unwichtig 7. Wie lange hat Ihre Ausbildung bei der Polizei gedauert? 8. Welche Fortbildungsveranstaltungen haben Sie besucht? (offene Frage) 9. Glauben Sie, dass die Polizei mehr Spezialisten braucht? Bewerten lassen: ja - nein Welche? (offene Frage)

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Der Fragebogen bzw. Interviewleitfaden wurde selbstverständlich in spanischer Ubersetzung verwendet.

10. Welche Ausbildungsinhalte waren für Sie nützlich, welche waren am unwichtigsten, welche wären nötig? Nach allen folgenden Beispielen fragen: Technik - Computerkurse - Schießausbildung - Sport - Selbstverteidigung Soziologie - Psychologie - Erste Hilfe und Medizin - Verwaltung - Sprachen Recht - Politik - Geschichte - Ethik und Menschenrechte Andere? (offene Frage) ... und bewerten lassen:sehr wichtig - wichtig - indifferent - unwichtig - sehr unwichtig 11. Welche Eigenschaften braucht ein Polizist Ihrer Meinung nach? Nach allen folgenden Beispielen fragen: Körperkraft - schnelle Reaktionsfähigkeit - Fähigkeit zu schneller Entscheidung Anpassungsfähigkeit - Verhandlungsgeschick Andere? (ofieneFrage) ... und bewerten lassen:sehr wichtig - wichtig - indifferent - unwichtig - sehr unwichtig 12. Sind Sie mit ihrer Arbeit zufrieden? Bewerten lassen: sehr zufrieden - zufrieden - indifferent - unzufrieden - sehr unzu frieden Aus welchen Gründen? (offene Frage) 13. Sind Sie mit ihren Aufstiegsmöglichkeiten zufrieden? Bewerten lassen: sehr zufrieden - zufrieden - indifferent - unzufrieden - sehr unzu frieden Aus welchen Gründen? (offene Frage) C. VERHÄLTNIS ZUR BEVÖLKERUNG 14. Haben Sie spezielle Sympathien oder Antipathien gegenüber bestimmten Bevölkerungsruppen?

f ympathie gegenüber welchen Gruppen? (offene Frage)

Antipathie gegenüber welchen Gruppen? (offene Frage) 15. Ist es Ihrer Ansicht nach einfacher mit Angehörigen der Unterschichten als mit Angehörigen der Oberschichten umzugehen? Bewerten lassen: leichter - schwieriger Aus welchen Gründen? (offene Frage) 16. Welche Bürger sind fiir Sie bei der Verbrechensaufklärung die besten Informationsquellen? Beispiele? (offene Frage) 17. Finden sie, dass bestimmte Gruppen der Bevölkerung die Polizisten gerecht beurteilen? Welche Gruppen beurteilen die Polizisten gerecht? (offene Frage) Welche beurteilen Sie ungerecht? (offene Frage) Warum beurteilen Sie sie ungerecht? (offene Frage) 18. Glauben sie, dass die Bevölkerung lernen muss, mehr Respekt vor der Polizei zu haben? Bewerten lassen: j a - nein Wie könnten die Bürger lernen, die Polizei mehr zu respektieren? (offene Frage) 19. Welche Bevölkerungsgruppen verhalten sich der Polizei gegenüber besonders respektlos? Beispiele? (offene Frage): Beschreiben sie typische Situationen: (offene Frage) 20. Sollte Ihrer Meinung nach das Wort eines Polizisten, z.B. vor Gericht, mehr gelten als das Wort eines Bürgers? Bewerten lassen: ja-nein Aus welchen Gründen? (offene Frage) 21. Wird Ihrer Meinung nach die polizeiliche Arbeit von den Bürgern genügend oder ungenügend gewürdigt? Bewerten lassen: ausgezeichnet-genügend -teils-teils - ungenügend - ä u ß e r s t ungenügend Aus weichen Gründen? (offene Frage) 22. Protestiert die Bevölkerung gegen Maßnahmen der Polizei? Bewerten lassen: zu oft - selten Aus welchen Gründen? (offene Frage)

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23. Welches Prestige hat die Polizei, verglichen mit anderen Berufen? Bewerten lassen: sehr hoch - hoch - normal - niedrig - sehr niedrig 24. Kümmert sich die Polizei darum, was die Bürger von ihr denken? Bewerten lassen: viel - ziemlich - wenig Aus welchen Gründen? (offene Frage) D. VERHÄLTNIS ZUR FAMILIE UND ZU FREUNDEN 25. Wie bewertet Ihre Familie Ihre Arbeit? Bewerten lassen: sehr gut - gut - indifferent - schlecht - sehr schlecht Aus welchen Gründen? (offene Frage) 26. Wie bewerten Ihre Freunde die Arbeit der Polizei? Bewerten lassen: sehr gut - gut - indifferent - schlecht - sehr schlecht Aus welchen Gründen? (offene Frage) 27 Welche Berufe haben Ihre Familienmitglieder und Freunde? Beispiele? (offene Frage) Gibt es Polizisten unter innen? (offene Frage) ... und bewerten lassen: sehr viele - viele - wenige - sehr wenige - keine E. VERHÄLTNIS ZU WICHTIGEN INSTITUTIONEN 28. Welchen Organisationen oder Gruppen sollte mehr oder weniger Einfluss auf die Polizeiarbeit eingeräumt werden? Nach allen folgenden Beispielen fragen: der Regierung - den Länderregierungen - den politischen Parteien - der Presse der Wissenschaft - den Gerichten, der Justiz - dem Militär - den Gewerkschaften der Bevölkerung -der Kirche - der Wirtschaft - den internationalen Organisationen ggf. den nationalen Minderheitenorganisationen Ändere? (offene Frage) ... und bewerten lassen: m e h r - weniger 29. Fühlen Sie sich unterstützt durch ...? die Politiker - die öffentliche Meinung - die Bürger Andere (offene Frage) Bewerten lassen: ja - nein Aus welchen Gründen? (offene Frage) 30. Was denken Sie über die Art, wie die Massenmedien ihre Arbeit darstellen? Bewerten lassen: sehr gut - gut - indifferent - schlecht - sehr schlecht Aus welchen Gründen? (offene Frage) 31. Hat die Polizei gute Beziehungen zum Militär? Bewerten lassen: sehr gut - gut - indifferent - schlecht - sehr schlecht 32. Gibt es Kooperation mit dem Militär? Bewerten lassen: ja - nein Finden sie dass mehr oder weniger Kooperation mit ihnen angestrebt werden sollte? (offene Frage) In welchem Arbeitsbereich ist mehr oder weniger Kooperation nötig? (offene Frage) 33. Wie beurteilen Sie selbst das Verhältnis zum Militär? Bewerten lassen: sehr gut - gut - indifferent - schlecht - sehr schlecht Aus welchen Gründen? (offene Frage) 34. Sind Sie der Meinung, dass die Kriminellen vor Gericht korrekt behandelt werden? Bewerten lassen: zu liberal - korrekt - zu hart 35. Finden Sie, dass die Polizei bei Reformen des Strafrechts genügend berücksichtigt wird? Bewerten lassen: ja - nein Aus welchen Gründen? (offene Frage)

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F. KRIMINALITÄT/KRIMINELLE 36. Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Kriminalität? (offene Frage) 37. Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass bestimmte Personengruppen besonders oft kriminell werden? Welche? (offene Frage) 38. Sind Sie schon einmal von Kriminellen körperlich angegriffen worden? Bewerten lassen: sehr oft - oft - selten - sehr selten - nie 39. Welche Tätergruppen müssen besonders hart angepackt werden? Beispiele? (offene Frage) 40. Meinen Sie, dass die Polizei eines Tages ohne Zwangsmittel auskommen wird? Bewerten lassen: ja - nein Aus welchen Gründen? (offene Frage) G. ALLTACSDIENST 41. Finden Sie, dass die Polizei gut ausgestattet ist? Bewerten lassen: senr gut - gut - indifferent - schlecht - sehr schlecht Was fehlt? Nach allen folgenden Beispielen fragen: Personal - Fahrzeuge - Computer - Waffen Anderes? (offene Frage) 42. Kann die Polizei im Alltagsdienst ihrer Meinung nach immer exakt nach den Buchstaben des Gesetzes handeln? Bewerten lassen: ja - nein Aus welchen Gründen? (offene Frage) 43. Wo lernt man das wichtigste für die tägliche Arbeit: in der Polizeischule oder im Revierdienst? (offene Frage) 44. Was ist es, was man im Revier lernt? Beispiele? (offene Frage) 45. Von wem lernt man im Alltagsdienst am meisten? Beispiele? (offene Frage) 46. Finden Sie, dass das Übermaß an Vorschriften ihre Effizienz im Alltagsdienst behindert? Bewerten lassen: j a - nein Aus welchen Gründen? (offene Frage) 47. Was für ein Verhältnis haben Sie zu ihren Kollegen? Bewerten lassen: sehr gut - gut - indifferent - schlecht - sehr schlecht Aus welchen Gründen? (offene Frage) 48. Ist das Verhältnis zwischen der Truppe und den Vorgesetzten gut oder schlecht? Bewerten lassen: sehr gut - gut - indifferent - schlecht - sehr schlecht Aus welchen Gründen? (offene Frage) 49. Sollten mehr Frauen als Polizistinnen arbeiten? Bewerten lassen: ja - nein 50. Welche Aufgaben könnten die Frauen übernehmen und welche nicht? Beispiele? (offene Frage) Aus welchen Gründen? (offene Frage) 51. Welche Schwierigkeiten haben Frauen mit dem Polizeiberuf? Beispiele? (offene Frage) 52. Ist das Arbeitsklima bei der Polizei gut oder schlecht? Bewerten lassen: sehr gut - gut - indifferent - schlecht - sehr schlecht Aus welchen Gründen? (offene Frage) 53. Kann ein Polizist sich auf seine Kollegen unter allen Umständen verlassen?

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54. Ist dies sehr wichtig oder mehr oder weniger unwichtig? Bewerten lassen: sehr gut - gut - indifferent - schlecht - sehr schlecht Aus welchen Gründen? (offene Frage) 55. Sind Sie schon oft von ihren Kollegen enttäuscht worden? Bewerten lassen: sehr oft - manchmal - selten) Zum Beispiel, in welcher Situation? (offene Frage) 56. Welches Verhältnis hat Ihr Revier/Ihre Einheit zu anderen Revieren/Einheiten? (z.B.: die Schutzpolizei zur Kriminalpolizei. Es sollte jede mögliche Konstellation berücksichtigt werden!) Bewerten lassen: sehr gut - gut - indifferent - schlecht - sehr schlecht Aus welchen Gründen? (offene Frage) 57. Funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Polizeieinheiten reibungslos? Bewerten lassen: sehr gut - gut - indifferent - schlecht - sehr schlecht Aus welchen Gründen? (offene Frage) 58.Finden Sie, dass ihre Bezahlung gerecht ist, verglichen mit anderen öffentlichen Angestellten? Bewerten lassen: ja - nein Aus welchen Gründen? (offene Frage)

2.2.6. Die praktische Vorgehensweise Eine qualitativ-empirische Forschung über drei südamerikanische Polizeien und den Kontrastfall Deutschland bedeutet einen immensen Aufwand, der von einer Person allein kaum in absehbarer Zeit geleistet werden kann. Hätte ein deutscher Forscher die Datenerhebung allein übernehmen wollen, so hätte er ausgedehnte Einarbeitungszeiten auf sich nehmen müssen, um tragfahige Kontakte zu den dortigen Polizeien aufbauen zu können. Gemeinsam mit der Datenerhebung selbst hätte dies in allen drei Ländern lange und entsprechend teure Forschungsaufenthalte zur Folge gehabt, die nicht zu finanzieren waren. Auch ist zu bedenken, dass selbst ein Forscher, der des Spanischen gut mächtig ist, beim Unterschichts- und Polizeijargon, der zudem in den drei Ländern voneinander abweicht, bald an seine Grenzen stößt. Das war ein Ergebnis eines Pretests, der in Venezuela durchgeführt wurde.82 Dabei hatte die Autorin die Gelegenheit, Polizisten im Streifendienst zu begleiten, ein venezolanisches Gefängnis zu besichtigen und gemeinsam mit dem Polizeichef von Merida eine Polizeischule zu besuchen (vgl. Schmid 1997a). Aufgrund dieser Erfahrungen und Überlegungen wurden mit Hilfe der finanziellen Unterstützung der VW-Stiftung für die Datenerhebung inländische Mitarbeiter eingestellt.83 Methodisch betrachtet birgt die Zusammenarbeit mit südamerikanischen Wissenschaftlern zudem nicht zu un82 83

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Die Reise wurde von der Universität Augsburg finanziell gefördert. Die Hauptkriterien bei der Auswahl der Mitarbeiter waren neben einer einschlägigen Ausbildung, dass sie Erfahrung mit empirischer Feldforschung haben und bereit sind, mit der Polizei in entsprechend engen Kontakt zu treten. Deshalb sollten sie möglichst Vorkontakte zur Polizei haben und sich bereits mit Polizeifragen beschäftigt haben. Hinderlich wäre eine enge Verbindung zu Menschenrechtsorganisationen gewesen, weil dies bei der Polizei ohne jeden Zweifel große Skepsis ausgelöst hätte.

terschätzende Vorteile in sich. Die Kopplung von externer und interner Perspektive befruchtet den internationalen Vergleich und schützt vor Ethnozentrismus auf der einen und vor „kultureller Betriebsblindheit" auf der anderen Seite. Auch konnte die Datenerhebung so parallel zueinander und damit Zeit sparend durchgeführt werden. Für die Mitarbeiterrekrutierung bot es sich an, jene Verbindungen zu nutzen, die ursprünglich für eine vorbereitende Tagung in Guatemala geknüpft worden waren. In Venezuela handelt es sich um das Institut CENIPEC (Centro de Investigaciones Penales y Criminológicas Héctor Febres Cordero) an der Universidad de los Andes/Mérida, geleitet von dem Polizeiforscher Luis Gerardo Gabaldón. Durch seine Vermittlung wurden die beiden Juristen Yoana Monsalve Briceño und Reynaldo Hidalgo López als Forscherteam eingestellt, die beide bereits über die Polizei gearbeitet haben (Gabaldón/Monsalve Briceño/Boada Tomé 1995, 1996; Hidalgo López 1995). In Chile bestanden bereits aus früheren Südamerika-Projekten gute Kontakte zum ILADES (Instituto Latinoamericano de Doctrina y Estudios Sociales), wodurch der Politologe Isaac Caro als Mitarbeiter gewonnen werden konnte. Er arbeitet seit Jahren über das chilenische Militär, hat internationale Erfahrung und hat verschiedentlich empirisch gearbeitet (z.B. Caro 1995). Um den bolivianischen Fall kümmerte sich der Politologe Mansilla, der die Strukturen und die Geschichte der bolivianischen Polizei bereits für die Tagung in Guatemala aufgearbeitet hatte und tragfahige Kontakte zur Polizeiführung besitzt (Mansilla 1996). Diese Mitarbeiter haben sich um die Datenerhebung gekümmert und parallel dazu weitere Quellen über die Polizei recherchiert. Gleichzeitig wurden von der Autorin der vergleichenden Studie Polizeizeitschriften und Literatur über die deutsche Polizei gesichtet und ausgewertet.84 Neben den Vorteilen, die die Zusammenarbeit mit Mitarbeitern in drei südamerikanischen Ländern bedeutet, gibt es vor allem einen Nachteil: den daraus entstehenden Koordinationsaufwand, der trotz der modernen Kommunikationstechnologie nicht immer einfach zu bewältigen ist. Begegnet wurde ihm dadurch, dass die Autorin und Waldmann die Mitarbeiter regelmäßig in Südamerika getroffen haben, um den Fortgang der Arbeit und eventuell auftretende Schwierigkeiten vor Ort besprechen zu können. Außerdem wurde ein Workshop in Chile veranstaltet, an dem alle beteiligten Wissenschaftler zusammenkamen, um einen direkten Austausch zwischen den südamerikanischen Forschern zu ermöglichen. Bei all diesen Reisen nahmen die deutschen Mitarbeiter außerdem die Gelegenheit wahr, selbst mit der Polizei zusammen zu treffen. Nach Ablauf der Feldforschung in Chile, Venezuela und Bolivien trafen die empirischen Materialien in Deutschland ein, so dass die vergleichende Untersuchung der Polizeien in vier Ländern beginnen konnte.

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Ein halbes Jahr lang unterstützt von der wissenschaftlichen Hilfskraft Christine Guggemos.

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2.3. Die Datenlage Erfreulicherweise konnten in allen drei Ländern offizielle Forschungsgenehmigungen erwirkt werden. Hilfreich war dabei neben den Beziehungen der kooperierenden wissenschaftlichen Einrichtungen in Südamerika der Umstand, dass die Forschung in ein größeres internationales Projekt eingebunden ist. Die Polizeiführungen wollten gerne etwas von anderen Polizeien ihres Kontinents und der BRD erfahren und konnten ihre Einwilligung kaum verweigern, wenn sie über die Ergebnisse aus den anderen Ländern informiert werden wollten. Eine weitere große Hilfe war die Grundposition der Forschung, die die Perspektive der Polizisten selbst in den Mittelpunkt rückt. Erwartungsgemäß hatten die Polizeichefs auch ein gewisses Interesse an dem Leitfaden, der offen vorlegt wurde. Angeboten wurde, dass die Polizei eigene Fragen einfügen kann, was zwar nirgendwo direkt wahr-, aber positiv aufgenommen wurde. Soweit mit Fragebögen gearbeitet wurde, mussten allerdings kleinere Modifikationen der Formulierungen vorgenommen werden, um die Polizei zufrieden zu stellen, aber auch um sie an die Gegebenheiten vor Ort anzupassen (z.B. sprachliche Gewohnheiten). Im Detail werden diese Änderungen im Datenteil (Kap. 4.) dann diskutiert, wenn sie das Antwortverhalten der Polizisten beeinflusst haben. Einfluss genommen haben die Polizeiführungen außerdem auf die Erhebungsmethoden. Im Falle Venezuelas waren vom Sub-Director General der Policia Metropolitana de Caracas ohne größere Umschweife offene Interviews und Beobachtungen genehmigt worden, gelenkt wurde dagegen die Auswahl des Reviers, in dem die Forscher arbeiten konnten. Ausgesucht wurde das Revier Francisco de Miranda (Zona Policial N° 7, vgl. Kap. 3.3.2.), das einige Stadtteile umfasst, die als Hochburgen der Kriminalität gelten. Dazu gehört das Stadtviertel Petare, in dem die Verfasserin selbst an Streifenfahrten teilnahm. Die venezolanischen Mitarbeiter begleiteten die Patrouillen regelmäßig und konnten sich daher ein gutes Bild von der Alltagsarbeit der Polizisten machen. Die insgesamt 67 offenen Interviews (im Datenteil gekennzeichnet durch V 1-67) wurden teils bei diesen Gelegenheiten, teils in einem Raum des Reviergebäudes geführt. Aufgezeichnet werden durften die Gespräche aber nicht, so dass alle Interviews als Gedächtnisprotokolle vorliegen. Hinzu kommen ausführliche Notizen zu den Streifenfahrten und zu den Gesprächen mit der Polizeiführung. Die bolivianische Nationalpolizei ließ sich dagegen auf offene Interviews und Beobachtungsstudien nicht ein, dafür konnte der Fragebogen zum Einsatz kommen. Insgesamt wurden 62 Mitglieder der Polizei von La Paz befragt (im Datenteil gekennzeichnet durch B FB/Bolivien Fragebogen), wobei die Qualität der Interviews schwankt. Manche Befragte haben relativ viele Antworten verweigert, aber als Gegengewicht dazu haben andere die offenen Fragen innerhalb des Fragebogens ausführlich beantwortet. Auch in Bolivien wurden darüber hinaus Gespräche mit Führungskräften der Polizei protokolliert und Polizeiexperten zu

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Rate gezogen, außerdem wurden die Presseberichte der letzten Jahre in die Analyse einbezogen. Der Director General de Carabineros de Chile genehmigte zunächst ebenfalls die Arbeit mit Fragebögen und zwar in einem Innenstadtrevier von Santiago de Chile, dem 2. Kommissariat. Zuerst ging die Befragung flüssig von statten, doch nach einiger Zeit verweigerten sich die Polizisten und stellten sich für Interviews nicht mehr zur Verfügung. Es steht zu vermuten, dass sie misstrauisch wurden, nachdem der Interviewer versucht hatte, die Gespräche über den Fragebogen hinaus fortzusetzen. In einem zweiten Anlauf gelang es nochmals, die Polizeiführung von dem Vorhaben zu überzeugen; dieses Mal durften offene Interviews geführt und aufgezeichnet werden. Vorher wurde das Revier gewechselt, um nicht wieder auf den bereits verstimmten Personenkreis zu treffen. Insgesamt kamen 12 geschlossene (C FB) sowie 10 offene Interviews (C 1-10) zusammen. Diese im Vergleich zu Bolivien und Venezuela geringe Anzahl an Interviews wird dadurch ausgeglichen, dass die aufgezeichneten offenen Interviews sehr detailliert sind. Außerdem stieß der Mitarbeiter bei seiner Recherche auf eine unveröffentlichte Promotion über die chilenischen Carabineros (Sepúlveda 1996), die Passagen aus offen geführten Interviews mit chilenischen Polizisten enthält. Bei der Auswertung dieser Daten besonders einzukalkulieren ist, dass die lateinamerikanischen Polizisten zu sozial erwünschten Antworten neigen. Dies deshalb, weil der Zugang über die Polizeiführung gewählt wurde, so dass die Befragten möglicherweise geglaubt haben, ihre Antworten würden ihren Vorgesetzten unverschlüsselt zugeführt werden. Dies trifft v.a. für den bolivianischen Fall zu, weil dort einige Polizisten an einer Ausbildungseinrichtung interviewt wurden. Darauf wird von dem dortigen Mitarbeiter verschiedentlich hingewiesen (vgl. Mansilla 1999) und dies muss bei der Auswertung auch berücksichtigt werden. Zugleich können solche Antworten für die Zielrichtung der Untersuchung aber insofern besonders gehaltvoll sein, als dadurch in Erfahrung gebracht werden kann, was die Polizisten für sozial erwünscht halten. Sollten beispielsweise die venezolanischen Polizisten sozial erwünschte Antworten gegeben haben, so wäre zu interpretieren, dieser Vorgriff auf den Datenteil sei um seiner Beispielhaftigkeit willen erlaubt, dass sie ein brutales Vorgehen für erwünscht halten, denn sie haben sich mit Geschichten von Erschießungen und ähnlichem geradezu gebrüstet.

2.4. Die Auswertung: „Dichte Beschreibung" und qualitative Inhaltsanalyse Der nordamerikanische Polizeiforscher Chevigny (1995) hat die bisher einzige vergleichende Forschung über lateinamerikanische und nordamerikanische Großstadtpolizeien vorgelegt. Seine Studie umfasst sechs Städte, die sich übrigens mit 85

den hier untersuchten nicht überschneiden.85 Methodisch geht er dabei so vor, dass er jeweils Einzelfallstudien angelegt hat und die Fälle erst abschließend miteinander vergleicht. Dafür hat er durchaus vor Ort recherchiert, aber empirisches Material im Sinne der vorliegenden Studie hat er nicht erhoben, insbesondere hat er keine Straßenpolizisten befragt. Deshalb mag es für seine Ziele sinnvoll sein gewesen, zuerst Einzelfalle darzustellen und erst abschließend zu vergleichen, für die vorliegende Studie ist das Gegenteil der Fall. Der Hauptgrund dafür ist, dass ihr Fokus auf den Interviews mit Polizisten liegt und sie deshalb sowohl im Detail wiedergegeben als auch verglichen werden. Die Heterogenität des eben dargestellten Datenmaterials (Kap. 2.3.) erschwert die Auswertung und komparative Analyse allerdings. Wie, so ist deshalb zu fragen, können Gedächtnisprotokolle narrativer Leitfadeninterviews mit Antworten auf geschlossene Fragen eines Fragebogens verglichen werden, wie wörtlich transkribierte Interviews mit protokollierten Antworten auf offene Fragen eines Fragebogens?86 Ursprünglich war geplant gewesen, auf das Verfahren der Grounded Theory zuzugreifen (Glaser/Strauss: 1979; Strauss 1991), die zu Recht als eine der elaboriertesten qualitativen Forschungsstrategien bezeichnet wird (Wiedemann 1991; Flick 1991), davon musste wegen der Charakteristika des Materials jedoch Abstand genommen werden. Z.B. konnte das Verfahren des theoretical sampling nicht eingehalten werden, v.a. aber sind nicht alle Interviews derart, dass sie gemäß dem Kodierverfahren der Grounded Theory behandelt werden könnten. Die Angaben aus den geschlossenen Teilen der bolivianischen und chilenischen Fragebögen sind den Kodiertechniken von Glaser und Strauss nicht zugänglich. Die anderen zur Verfügung stehenden qualitativen Auswertungsverfahren können mit Bonß (1991: 38) vier Grundrichtungen zugeordnet werden, der Phänomenologie, der Ethnomethodologie, der Hermeneutik und der (Ethno-) Psychoanalyse.87 Davon scheiden die Hermeneutik und noch viel mehr die (Ethno-)Psychoanalyse aus, weil die für diese Verfahren geforderte Interpretationstiefe weder geleistet werden kann noch soll und weil das Datenmaterial allenfalls im chilenischen Fall (C 1-10) eine geeignete Ausgangsbasis für solche Auswertungsmethoden darstellt. Dem Anspruch einer deskriptiven Studie näher sind phänomenologische Ansätze sowie die Ethnomethodologie, oder besser

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Es handelt sich um New York, Los Angeles, Säo Paulo, Buenos Aires, Mexico City und Kingston. Sämtliche Interviews wurden natürlich auf Spanisch geführt. Die Übersetzungen stammen in der Rohfassung i.d.R. von der Autorin selbst. Geachtet wurde bei den Obersetzungen v.a. darauf, dass der Jargon der interviewten Polizisten bzw. der Gedächtnisprotokolle so weit als möglich erhalten blieb. Bei besonders schwierigen Passagen halfen die in der Einleitung genannten Personen, zu verantworten hat die Übersetzungen aber die Autorin allein. Im Gegensatz zur Habilitationsschrift selbst wurde in dieser Publikation auf einen Abdruck der spanischen Originaltexte verzichtet. Diese stehen aber zur Verfugung. Zu weiteren Typisierungen, die denen von Bonß aber ähnlich sind vgl. Garz/Kraimer

(1991: 7ff).

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noch die Ethnographie, die auf die Beschreibung sozialen Handelns und sozialer Milieus sowie auf das „Sich-Hinein-Versetzen in die subjektive Wirklichkeit" (Garz/Kraimer 1991a: 8) der Untersuchungssubjekte zielt. Aber auch mit dieser Methode können geschlossene Fragebögen nicht direkt mit offenen Interviews verglichen werden. Als Kompromiss wird deshalb auf die Qualitative Inhaltsanalyse (Mayring 1990, 1991, 2000) zurückgegriffen, flankierend, und um die deskriptiven Schwächen der Qualitativen Inhaltsanalyse auszugleichen, werden ethnographische Verfahrensweisen eingesetzt werden. Die qualitative Inhaltsanalyse ist ein Verfahren, bei dem „Material aus Kommunikationen" (Mayring 1991: 209), meist vertextete mündliche Interviews, systematisch und regelgeleitet ausgewertet werden kann. Dabei werden Kategorien verschiedener Herkunft an das Material herangetragen und es wird festgestellt, wie oft und in welcher Ausprägung diese Kategorien in dem Datenmaterial vorkommen. Der Vorteil dieses Vorgehens gegenüber der quantitativen Inhaltsanalyse, aus der sie abgeleitet ist, besteht in der Fassung von Mayring darin, „die Systematik der qualitativen Inhaltsanalyse ohne vorschnelle Quantifizierungen beizubehalten, aber auch ohne den Weg zu Quantifizierungen zu verbauen" (Mayring 1991: 210; vgl. Mayring 1990: 85ff). In dieser Offenheit gegenüber Quantifizierungen liegt ein Vorzug, der für die vorliegende internationale Studie nutzbar gemacht werden kann. Zum einen kann dadurch eine Vergleichsbasis für von vornherein quantitative Fragebogendaten einerseits und qualitative Interviewdaten andererseits geschaffen werden, zum anderen erleichtern es Quantifizierungen, die Übersicht über die vier Länder zu behalten. Noch in einem weiteren Aspekt kommt die qualitative Inhaltsanalyse den Eigenheiten der Daten aus der Polizistenbefragung entgegen. Mayring unterscheidet zwischen drei Arten der qualitativen Inhaltsanalyse: der zusammenfassenden, der explizierenden und der strukturierenden Variante (Mayring 1991: 211 ff.; Mayring 1990: 86f). Während nun die explizierende Inhaltsanalyse das ohnehin reichliche Material aufblähen würde und die zusammenfassende zu sehr auf Kosten der Authentizität ginge, ist die strukturierende Inhaltsanalyse für die Daten aus Südamerika gut geeignet. Der Hauptgrund dafür ist, dass bei dieser Spielart das aus verschiedenen Kategorien bestehende Strukturierungsgerüst an die Daten von außen herangetragen werden kann, so wie es sich bei der vorliegenden Forschung aufgrund des vorab ausgearbeiteten Interviewleitfadens anbietet. Seinen qualitativen Anspruch verliert dieses Verfahren dennoch nicht, weil eng am Text gearbeitet wird. In mehreren Durchgängen durch die Originaltexte wird dabei festgelegt, welche Textpassagen unter eine Kategorie bzw. ihre konkrete Ausprägung fallen (Mayring 1991: 213ff.; Mayring 1990: 88). Gleichzeitig wurde bei der Kategorisierung eine Basis für den Vergleich zwischen offenen und geschlossenen Interviews geschaffen. Im Hinblick auf die offenen Interviews wurde festgelegt, welche Antwort auf eine Frage, welchem Skalenwert derselben Frage des geschlossenen Fragebogens entspricht. Neben der Kategoriendefinition wird bei der strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse ver87

langt, Ankerbeispiele zu bestimmen, d.h. festzulegen, welche Aussagen als typisch für eine bestimmte Ausprägung einer Kategorie zu gelten haben und zudem zu bestimmen, nach welchen Regeln verfahren wird, wenn Abgrenzungsprobleme entstehen. Die konkreten Definitionen und Ankerbeispiele sowie die Begründungen fiir die Zuordnungen und den Umgang mit schwer zuzuordnenden Problemfällen finden sich sämtlich im Datenteil der Studie und werden dort ausführlich diskutiert (Kap. 4.). Einige grundsätzliche Weichenstellungen der Auswertung in Anlehnung an die strukturierende Inhaltsanalyse bedürfen ebenfalls einer Erläuterung. Was die Auswahl des Textmaterials anbelangt, so wurden sämtliche Formen des freien Textes identisch behandelt. Darunter fallen die wörtlich transkribierten Leitfadeninterviews aus Chile (C 1-10), die teils wörtlich, teils sinngemäß notierten Antworten auf offene Fragen des Fragebogens in Chile (C FB) und Bolivien (B FB) sowie die Gedächtnisprotokolle der Leitfadeninterviews aus Venezuela (V 1-67). Wichtig ist, dass die Fallzahlen von Frage zu Frage schwanken, wobei v.a. zu Buche schlägt, dass nicht in jedem offenen Interview alle Fragen gestellt werden konnten. Manchmal kam es auch zu Antwortverweigerungen und zuletzt waren manche Antworten wegen der Handschriften schlichtweg nicht lesbar. Diese Faktoren betreffen aber v.a. Venezuela und Bolivien, wo die Ausgangssamples so groß sind, dass ihre Reduktion keine schweren Folgen für die Qualität der Auswertung hat. Die kleinere chilenische Stichprobe ist von diesen Effekten kaum betroffen. In die quantifizierende Auswertung wurden schließlich alle Daten aufgenommen, die eindeutig zugeordnet werden konnten. Die Datenbasis, auf die sich Prozentangaben usw. beziehen, beinhaltet also jene Interviews nicht, in denen keine Angaben gemacht wurden. Um des Vergleiches willen wurde deshalb bei der Auswertung der geschlossenen Fragen in analoger Weise auf die Zählung von Antworten verzichtet, die „weiß nicht" oder „keine Angabe" lauten. Das gleiche Bereinigungsverfahren wurde z.T. auf Datenbestände aus der Polizeiliteratur angewendet, das zu Vergleichszwecken herangezogen wird. Für eine rein quantitativ basierte Argumentation sind die Fallzahlen in allen Ländern dennoch nicht immer ausreichend, deshalb dürfen die im Datenteil dargestellten Tabellen nicht isoliert betrachtet und überbewertet werden. Die an sie regelmäßig anschließende, in ihren Grundzügen ethnographische Deskription der Perspektive der interviewten Polizisten erfüllt keineswegs nur illustrative, flankierende oder untergeordnete Zwecke, sondern enthält die wichtigsten Analyseschritte und Argumente. So sagt bei vielen Themen das nackte Zahlenmaterial nur wenig über die Antwortmotive der Polizisten, über die Details ihrer dargelegten Einschätzungen usf. aus, wohingegen sie bei den Nachfragen nach dem „Warum", nach „Beispielen" u.ä. ihre Einstellungen präziser formulieren. Fast immer tragen die offenen Antworten zur Ergänzung, Explikation und Differenzierung der Analyse viel bei und nicht selten konterkarieren sie die Schlussfolgerungen auf der Basis des Zahlenmaterials nachhaltig. Zum Zwecke der Deskription werden die befragten südamerikanischen Polizisten deshalb ausfiihr88

lieh zitiert. Diese Vorgehensweise hat neben dem bereits Gesagten eine ganze Anzahl wichtiger Haupt- und Nebenfunktionen, die teils als Gütekriterien qualitativer Sozialforschung gelten. Zum einen steht die ausfuhrliche Zitation der Polizisten in einem engen Verhältnis zur strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse, weil dadurch die gewählten Kodierkriterien offen gelegt werden. Auch gleicht dieses Vorgehen die Schwächen der strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse aus, die die prekäre Balance zwischen „Authentizität und Strukturierung" (Flick 1991) zu sehr in Richtung auf die zweitgenannte Alternative verschiebt. Zum anderen führt die Deskription ein von der Inhaltsanalyse unabhängiges Eigenleben mit zwei Hauptzwecken. Erstens wird durch Deskription die lebensweltliche Perspektive der Untersuchungssubjekte verdeutlicht und zweitens gilt der Ethnographie die „dichte Beschreibung" im Sinne von Geertz (1983) als eigenständiges Validitätskriterium. Die Gütekriterien empirischer Sozialforschung sind für quantitative Untersuchungen klar als Reliabilität und Validität definiert, im Bereich der qualitativen Forschung sind sie weniger eindeutig und werden teils heftig diskutiert.88 Mayring nennt neben „methodenspezifischen Gütekriterien" „sechs allgemeine Gütekriterien qualitativer Sozialforschung": „Verfahrensdokumentation", „argumentative Interpretationsabsicherung", „Regelgeleitetheit", „Nähe zum Gegenstand", „Kommunikative Validierung" und „Triangulation" (Mayring 1990: 102 ff.). Die vorliegende Polizeistudie kann aufgrund ihres schwierigen Forschungsgegenstands „Polizei" und dem daraus resultierenden Zwang zum Pragmatismus (s.o.) nicht all diese Gütekriterien umstandslos für sich reklamieren. So wäre es bestimmt nicht redlich, hinsichtlich der von Land zu Land unterschiedlich ausgefallenen Art der Datenerhebung ernsthaft von Methodentriangulation sprechen zu wollen. Bei der Auswertung wurde jedoch nach den vorstehend beschriebenen Regeln verfahren, außerdem finden sich bei Detailproblemen weitere methodische Ausführungen im Datenteil selbst. Eine kommunikative Validierung fand zwar nicht mit den Untersuchungssubjekten als Partner statt, wohl aber mit den Kollegen aus Südamerika (vgl. Kap. 2.2.6.). Was die Verfahrensdokumentation anbelangt, so dient ihr das gesamte zweite Kapitel, das zudem die Nachvollziehbarkeit der methodischen Entscheidungen ermöglicht. Über die Gegenstandsnähe wurde bereits einiges gesagt und sie ist letztlich durch die dichte Beschreibung gegeben. Zuletzt ist von der argumentativen Interpretationsabsicherung zu sprechen, die verlangt, dass „Interpretationen nicht gesetzt, sondern argumentativ begründet werden müssen" (Mayring 1990: 104) und dass „Alternativdeutungen zu suchen und (sie) zu überprüfen" (Mayring 1990: 104) sind. Ob dies gelungen ist, ist von der Autorin selbst nicht zu entscheiden: die Leser mögen sich ein Urteil bilden.

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Vgl. z.B. den Text von Reichertz (2000) im Forum qualitative Sozialforschung. 89

3. Die Exploration: Geschichte und Struktur der Polizei(en) Die Geschichte und die Struktur der Polizei(en) aus vier Ländern in allen Einzelheiten aufzuarbeiten und zu vergleichen (z.B. analog zu Knöbl 1998) wäre ein ehrgeiziges Projekt, das den Zweck dieses Kapitels, nämlich den Lesern einen raschen Überblick zu verschaffen, bei weitem sprengen würde. Es würde auch auf immense Schwierigkeiten stoßen. Auf der bundesdeutschen Seite (3.1.) ist es so, dass die Polizeigeschichte sich zu einem prosperierenden Forschungsfeld entwickelt hat, das sowohl umfangreiches Detailwissen als auch hervorragende Überblicksdarstellungen umfasst (z.B. Lüdtke 1982, 1992b; Funk 1986; Boldt 1992; Nitschke 1996).89 Die Struktur der Polizei, ihre Organisation, usw. bergen ebenfalls kaum Geheimnisse (z.B. Lisken/Denninger 1992a; Busch u.a. 1985). Aber auf der lateinamerikanischen Seite (3.2.-4.) sind die Verhältnisse gerade umgekehrt. Die Polizeihistorie ist nur in gröbsten Zügen erforscht, es klaffen große Lücken und die Geschichte der Polizei ist in der Literatur von der des Militärs derart überschattet, dass die interessierende Institution kaum mehr zum Vorschein kommt. Nicht besser steht es um Daten über die Polizeistruktur und -Organisation, sie sind nur mit Mühen zu beschaffen. Dennoch konnte im Rahmen dieses Forschungsprojekts einiges zusammengetragen werden. Ob der Datenlage wird es sich aber nicht völlig verhindern lassen, dass die Länderstudien ungleichgewichtig ausfallen: für die südamerikanischen Länder konnten nicht alle Fragen zufrieden stellend geklärt werden, wohingegen im deutschen Fall wegen des Überblickscharakters des Kapitels Verkürzungen in Kauf genommen wurden. Über jedes der vier Länder wird im Folgenden ein Gesamtpanorama zusammengestellt. Die jeweils ersten Kapitel (3.1.1.-3.4.1.) widmen sich der Entwicklung der Polizei im Kontext der Geschichte des jeweiligen Landes. Sie kennen zu lernen ist eine wichtige Voraussetzung für das Verständnis der Situation und Rolle der Polizei in den heutigen Gesellschaften. In den zweiten Kapiteln (3.1.2.-3.4.2.) werden die Strukturen und Organisationsformen der Polizei(en) vorgestellt, wobei bei den lateinamerikanischen Fällen der Schwerpunkt auf den Institutionen liegt, deren Mitglieder interviewt wurden. Im Hinblick auf die Bundesrepublik Deutschland wird ein davon abweichender Weg eingeschlagen und es werden zwei knappe Exkurse angehängt, die besonders markante Entwicklungen in der deutschen Polizei nach 1949 betreffen: die allgemeine Zulassung von Frauen zum Polizeidienst (Exkurs 2) und die Integration der Polizei der DDR bzw. der Neuen Bundesländer nach der Wiedervereinigung (Exkurs 1). Im jeweils dritten Kapitel (3.1.2.-3.4.2.) der 89

Wer besonders weit in die Geschichte von Vorläufern der modernen Polizei vorstoßen möchte (u.a. bis ins antike Rom), dem sei als Einführung der Text von Adler/Mueller/ Laufer (1995) empfohlen.

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Länderstudien werden die wichtigsten Kenndaten zum Personalstand, zu internen Hierarchien, zur Rekrutierungspraxis und zu den polizeilichen Ausbildungsgängen dargelegt.

3.1. Geschichte und Struktur der deutschen Polizei 3.1.1. Die Geschichte der deutschen Polizei Einen angemessen kurzen Überblick über die wichtigsten Entwicklungslinien der Geschichte der deutschen Polizei zu geben, stößt auf mancherlei Widerstände, die teils in dem Subjekt Polizei selbst zu suchen sind, da der Begriff „Polizei" im historischen Verlauf permanente Bedeutungsverschiebungen erfahren hat und keineswegs immer nur das umfasst, was heute unter Polizei verstanden wird, eine professionelle Institution nämlich, die sich der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung widmet (Boldt 1992: 2f.). Auch kann man beim Schreiben der Polizeigeschichte unterschiedliche Perspektiven einnehmen. Am verbreitetsten ist sicherlich jene, die rechtliche Definitionen der Polizei, ihrer Aufgaben, Befugnisse usw. abbildet und diskutiert. Aufmerksamkeit verdient aber auch der Bezug zur Militärgeschichte und zur Ausdifferenzierung der staatlichen Sicherheitskräfte. Von besonderem soziologischem Interesse ist darüber hinaus ihre „Einbettung in eine Gesellschaftsgeschichte" (Nitschke 1991: 76), die Fragen des Verhältnisses von Polizei und Gesellschaft zueinander aufwirft (vgl. Nitschke 1991). Dahingehend hat sich seit Beginn der achtziger Jahre einiges getan. 1989 wurde die Deutsche Gesellschaft für Polizeigeschichte e.V. gegründet und 1990 veranstaltete der „polizeihistorische Arbeitskreis" eine erste Tagung, die seitdem jährlich wiederholt wird. 90 Die in diesem Umfeld entstandenen Studien zeigen, dass es nicht sinnvoll ist, sich die Polizeigeschichte Deutschlands als linear verlaufende Entwicklung vorzustellen. Vielmehr fächert sich bei näherem Hinsehen ein buntes Mosaik verschiedenster Polizeien auf, die sich gegenseitig ablösen und zu manchen Zeitpunkten auch parallel zueinander bestehen. Wichtige Beispiele dafür sind die unmittelbare Nachkriegszeit, in der in den vier Besatzungszonen differente Organisationsformen implementiert wurden, aber auch die föderale Polizeiorganisation der heutigen BRD, in der trotz aller Vereinheitlichungstendenzen manche Unterschiede zwischen den Bundesländern überlebt haben. Für das 19. Jahrhundert ist ebenfalls von einer großen regionalen Vielfalt auszugehen, überwältigend war auf lange Sicht aber das preußische Polizeimodell, was u.a. dazu führt, dass sich ein Großteil der Forschungen auf dieses bezieht. Wohl wissend, dass Preußen in der Realität „nicht alles plattgemacht hat" (Nitschke 1992a: 30), wird seine Polizei in der folgenden Überblicksdarstellung eine dominante Stellung einnehmen. Für dar90

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Deutsche Gesellschaft für Polizeigeschichte e. V.: http://www.polizeigeschichte.de, 09.02.2005; Programme der Kolloquien zur Polizeigeschichte: http://www2.uniwuppertal.de/FBl/brusten/reinke/tagungsp.html#kollol3, 09.02.2005

über hinausgehende Differenzierungen sei auf die Publikationen der o.g. Institutionen verwiesen. Weitgehende Einigkeit besteht in der historischen Polizeiforschung darüber, dass die Polizei ein Produkt der Verstädterungsprozesse und den aus ihnen resultierenden neuen Ordnungs- und Verwaltungsanforderungen ist. Die ältesten bekannten Polizeiverordnungen sind städtische, deren Umsetzung verschiedenartig bezeichneter Helfershelfer der Magistrate oblag. Der Begriff „Polizei" selbst kam im 15. Jahrhundert auf, aber er bezeichnete nicht wie heute eine spezifische Institution und deren Personal, sondern den Zustand der „guten Ordnung des Gemeinwesens". Mithin beinhalteten die Polizeiverordnungen ein Sammelsurium an Vorschriften, die sich um Gotteslästerung, Kuppelei, Ehebruch, ständische Verhaltensvorschriften, Handel, Bettelei usw. drehten (vgl. Boldt 1992: 3). Diese Aufgabenkataloge waren ständigen Änderungen unterworfen, so dass es manchmal einfacher ist zu sagen, was nicht in den Bereich der Polizei Verordnungen fiel, als zu definieren, was im zugeordnet war. Das Heilige Römische Reich trat z.B. mit drei großen Reichspolizeiverordnungen in Erscheinung, doch fehlte es an einem eigenständigen Apparat, der die Gesetze hätte umsetzen können. Im Allgemeinen war daher der Wirkungsgrad der Polizeiverordnungen gering (Boldt 1992; Thomanek 1985). Der dieser Phase folgende Absolutismus des 17. und 18. Jahrhunderts brachte eine erhebliche Ausweitung der polizeilichen Verordnungen mit sich. Diese Entwicklung steht mit den zu überwindenden Folgen des Dreißigjährigen Kriegs im Zusammenhang, da die Ordnung des Gemeinwesens nun nicht mehr als etwas galt, das erhalten werden musste, sondern als etwas, was staatlicherseits (wieder) hergestellt werden sollte (Boldt 1992: 5). Die „polizeiliche Fürsorge" wurde auf Bevölkerungsfragen, das Bildungswesen und zunehmend auf die Ökonomie ausgedehnt, der Staat betrachtete sich als zuständig für den materiellen Wohlstand seiner Untertanen und sorgte fiir die „Verpolizeilichung aller Lebensbereiche", wobei die Ordnung im Zweifel auch mit Hilfe des Militärs aufrecht erhalten wurde (vgl. Lüdtke 1992a). 1742 wurde dann in Berlin eine erste staatliche Polizei Verwaltung eingerichtet, andere Städte folgten diesem Beispiel. Danach wurden „Polizeidirektoren" und „Polizeikommissare" eingesetzt, d.h. nun verstand man erstmals unter „Polizei" nicht einen bestimmten Ordnungszustand sondern wandte den Begriff auf eine Organisation und ihre Mitglieder an (Boldt 1992: 5ff.; vgl. Thomanek 1985). Zudem durchzog die Auseinandersetzung darüber, ob die Polizei ausschließlich für Sicherheit oder fiir „Sicherheit und Wohlfahrt" zuständig sein soll, das 18. Jahrhundert. Im Preußischen Allgemeinen Landrecht (1794) findet sich dann die bekannte Definition: „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publiko oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey" (Teufel 1996: 73; vgl. Boldt 1992; Lüdtke 1992b; Dieckmann 1988). Damit wurde zwar der Wohlfahrtsbegriff aus der Polizeidefinition eliminiert und die absolutistische All93

Zuständigkeit der Polizei beschnitten, gleichwohl blieb ihr Aufgabenbereich umfassender als heute üblich. Moralische Reglementierungen, diverse Leistungen des Bildungs- und Gesundheitswesen usf. blieben ein Ressort der Polizei. Die Wirtschaftsförderung und die Wohlfahrt wurden dem polizeilichen Hauptzweck, der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit untergeordnet und bekamen gar eine dienende Funktion, indem sie in quasi präventivem Sinn die Sicherheit befördern sollten (Boldt 1992: 9). Die industrielle Revolution und der immense Bevölkerungszuwachs im 19. Jahrhundert veränderten die Polizei nachhaltig. Insbesondere das explosionsartige Anwachsen der Stadtpopulation und die Herausbildung der teilweise verelendeten Arbeiterschaft brachten soziale und infrastrukturelle Probleme mit sich (die „soziale Frage") und konfrontierten Staat und Polizei mit neuen Herausforderungen (vgl. Jessen 1991). Dadurch und in Parallelität zur allgemeinen Ausdifferenzierung der Gesellschaft splittete sich die Polizei in Fachpolizeien auf, z.B. die Armen- und Medizinalpolizei, die Bahnpolizei, die Gewerbepolizei, die Baupolizei, die Kriminalpolizei, die „geheime" bzw. „politische Polizei" usf. Gerade die Gründung der „geheimen" Polizei (1815) und der Kriminalpolizei in den 1870er Jahren bedeutet außerdem eine Neukonnotierung von Polizeiaufgaben: Staatsschutz und Kriminalitätsbekämpfung. 91 Die Aufgliederung der Polizei in Fachpolizeien hatte zugleich mit dem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt zu tun. Die Polizei musste in vielen Bereichen Spezialkenntnisse erwerben, um ihre Aufgaben noch erfüllen zu können. Die Professionalität der Polizei wurde derart vorangetrieben, dass selbst US-amerikanische Quellen nicht ohne Bewunderung von der Effizienz und vorbildlichen Organisation der preußischen Sicherheitskräfte sprechen (Solsten 1995: o.S.; vgl. Waldmann 1996b). Zeitgleich wurde die nach der Revolution von 1848 gegründete, militärisch organisierte Schutzmannschaft ausgebaut und u.a. deshalb wurde die Aufgabenteilung zwischen Militär und Polizei zu einem wichtigen Thema. Traditionell war das Militär zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit eingesetzt worden, aber mit der Aufstellung militärisch organisierter Schutzmannschaften, die dieses Terrain für sich beanspruchten, war es zunehmend möglich, das Militär aus den inneren Angelegenheiten herauszuhalten. Bei größeren Unruhen, denen die Schutzmannschaften personell nicht gewachsen waren, wurde allerdings weiter auf das Militär zurückgegriffen. Dies alles trug zum personellen Ausbau der Polizei bei. Laut Boldt waren in den zwanziger Jahren in Berlin nur rund 100 Polizisten tätig, in den Siebzigern bereits 2.000 und das gesamte preußische Polizeipersonal wurde bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs von 10.000 auf 30.000 aufgestockt (Boldt 1992: 12f.). Gleichzeitig verbreiteten sich die im 18. Jahrhundert entwickelten Ideen der bürgerlichen Freiheiten und aus liberalen Kreisen wurde immer nachdrücklicher 91

Vgl. zur politischen Polizei ins. Schuster (1986) und - in internationaler Hinsicht - Fijnaut (1980).

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gefordert, die staatliche Repressionsgewalt zugunsten des „Nachtwächterstaats" zurückzudrängen. Auch dies steht in einem gewissen Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung der Polizei und der allgemeinen Verwaltung. Im Laufe der Zeit wurden die Fachpolizeien zunehmend unterschiedlichen, inhaltlich verwandten Ministerien unterstellt (z.B. die Gewerbepolizei dem Handelsministerium oder die Landwirtschafts-, Jagd-, Forst- und Fischereipolizei dem Landwirtschaftministerium) und die Gesellschaft gewöhnte sich an, nur noch die uniformierten, auf der Straße allgegenwärtigen und sichtbaren Mitglieder der Polizei mit dem Titel „Polizisten" zu belegen. Im Hinblick auf die anderen Funktionsträger verschwand der Polizeibegriff langsam aus dem allgemeinen Sprachrepertoire, es bürgerte sich der Begriff der „öffentlichen Verwaltung" ein. „Bei der hier beginnenden, sich im 20. Jahrhundert fortsetzenden „Entpolizeilichung" der Verwaltung hat es sich, abgesehen von der Herausnahme der WirtschafitsfÖrderung, nicht um eine Zurücknahme der staatlichen Tätigkeit, sondern um einen Begriffswandel im Zuge einer institutionellen Reform gehandelt" (Boldt 1992: 17; Thomanek 1985). Die Verwaltung kann weiterhin im Ernstfall auf die Polizei im heutigen Sinne zurückgreifen. Die Beschränkung der Staatsgewalt setzte sich insofern nur langsam durch, aber im Laufe des 19. Jahrhunderts gewann die Idee des Rechtsstaats als Gegenbegriff zum bevormundenden Polizeistaat an Einfluss. Staatliche Eingriffe in die Freiheit und das Eigentum der Bürger sollten ihm gemäß nur auf der Basis von Gesetzen erfolgen dürfen. Dies betrifft die Polizei ganz besonders, ist sie es doch, die die Eingriffe im Zweifel umzusetzen hat. Mitte des Jahrhunderts begann man deshalb damit, entsprechende Gesetze zu erarbeiten, die den Beginn des modernen Polizeirechts markieren (vgl. Harnischmacher/Smerak 1986; Funk 1986; Boldt 1992). Der in der Folgezeit etablierte Grundsatz der „Gesetzmäßigkeit der Verwaltung" verlangte nach einer Kontrollinstanz, die 1846 als Staatsanwaltschaft gegründet wurde. Dies führte wiederum zu Konflikten mit der Polizei, die darin endeten, dass die Polizei der Staatsanwaltschaft bei der Strafverfolgung unterstellt wurde (Boldt 1992: 20). Von der Rechtssprechung wurden die Eingriffsbefugnisse außerdem Zug um Zug präziser definiert. So begründete das Preußische Allgemeine Landrecht das vielleicht heute noch wichtigste Prinzip polizeilichen Handelns, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Er besagt, dass Eingriffe an die Voraussetzung gebunden sein müssen, dass die eingesetzten Mittel geeignet und notwendig sind, um eine drohende Gefahr abzuwenden (vgl. Boldt 1992:21). Diese Rechtstradition wurde fortgesetzt, aber die Polizeiorganisation hat im 20. Jahrhundert verschiedenste Brüche erlebt. Nach dem ersten Weltkrieg, insbesondere nach der Novemberrevolution verschwanden die „Pickelhauben", die sich als die „Vertreter des Kaiser in den Straßen" (Heuer-Schräpel 1993) verstanden hatten, aus den Straßen. Die inzwischen über 6.000 Berliner Schutzmänner hatten sich den anrückenden Revolutionären ergeben, ohne einen einzigen Schuss abzugeben. Ihnen war freigestellt worden zu bleiben, aber die meis95

ten zogen es wohl aus Angst vor Vergeltungsaktionen der Aufständischen vor, abzuziehen. Auf „Beschluß des preußischen Rates der Volksbeauftragten" wurde die Bevölkerung dann aufgefordert, „Sicherheitswehren" zu bilden. Dieser Typus einer Bürgerpolizei bestand aber nicht lange, weil er der Lage nicht gewachsen war (Leßmann 1989: 12ff.; vgl. Leßmann-Faust 1996). Bereits 1919 wurden diese Bürgerwehren durch die „grüne Sicherheitspolizei" ersetzt, die gleich dem Militär kaserniert und in Truppeneinheiten zusammengefasst war und über schwere Waffen verfügte (Maschinengewehre, Handgranaten u.a.). Da die alliierte Militärkontrollkommission die Aufstellung dieser Einheit als Übertretung der im Versailler Vertrag festgesetzten Höchststärke der Reichswehr ansah, wurde sie alsbald durch die „blaue Schutzpolizei" ersetzt. Sie trug insofern zur Vereinheitlichung der Polizei Deutschlands bei, als jeder Polizeibeamte seine Laufbahn bei ihr begann und erst später in andere Einheiten überwechseln konnte (z.B. in die kommunale Polizei) (Boldt 1992: 22). In Bezug auf diese Schutzpolizei verfolgte der damals dominante preußische Innenminister Carl Severing (1920 -1926 und 1928 - 1932) das Ziel, die zivile Polizei verstärkt vom Militär abzugrenzen. Seine Ansatzpunkte waren v.a. die Rekrutierungspolitik und die polizeiliche Ausbildung, in der zukünftig soziale Fähigkeiten gefördert werden sollten: „Je mehr der Polizeioffizier Wirtschaftler, Soziologe und nicht zuletzt Psychologe wurde, desto leichter wurde ihm die Erfüllung seiner Sendung." (Severing 1950: 315f.). Durchschlagend wirksam wurde dieser Ansatz aber nicht, u.a. deshalb, weil in den ersten Jahren ohne weitere (Um-)Schulung fast 3.000 Armeeoffiziere in die Polizei integriert wurden und diese es waren, die faktisch den Nachwuchs ausbildeten (vgl. Leßmann 1989). Weitere Trends der Polizeipolitik der Weimarer Republik waren die enorme Aufstockung des Personals, die fortdauernde Dominanz Preußens und die Verstaatlichung aller Polizeisparten. Waren zum Ende des Kaiserreichs rd. 80.000 Mann bei der Polizei beschäftigt, so waren es in der Weimarer Republik bald 150.000. Das dominante Preußen sorgte in der Folge für die Vereinheitlichung und Verstaatlichung der Polizei. Zwar gab es Ausnahmen von dieser Regel, z.B. wurde in Preußen selbst zwischenzeitlich eine Kommunalisierung der Polizei in Betracht gezogen und in Bayern galten Polizeidienste als Gemeindeaufgaben, sie spiegeln aber nicht den allgemeinen Trend wieder (vgl. Boldt 1992: 22ff.; Daenekas 1993). Der anschließende Zugriff der Nationalsozialisten auf die Polizei verlief in rasantem Tempo. Er begann mit der Unterstellung der wichtigen preußischen Polizei unter die Reichsgewalt, wodurch es Göring ermöglicht wurde, über sie zu verfügen. Auf der Basis der Notverordnungen zum Schutz des Deutschen Volkes und Staates und der Reichstagsbrandverordnung vom Februar 1933 wurden zudem die Polizeien der übrigen Länder vom Reich kontrolliert. Nicht einmal ein Jahr später wurde der föderative Aufbau des Landes eliminiert und die Polizeien wurden vollständig zentralisiert. Daraufhin wurde die Hälfte der Schutzpolizei der Wehrmacht zu deren Personalaufstockung einverleibt, vakante schutzpoli96

zeiliche Aufgaben wurden fortan von der SA übernommen. Die politischen Polizeien der Länder wurden 1936 zur G E S T A P O zusammengefasst, fast zeitgleich wurde das Reichskriminalpolizeiamt gegründet (Boldt 1992: 25; vgl. Pannbacker 1996) und die Polizei mit der Parteipolizei der N S D A P , der SS, verbunden. Damit wurde die Polizei zu einem schlagkräftigen Machtinstrument von H. Himmler, der ab 1936 Chef der Polizei im Reichsinnenministerium war. Vermehrt wurden dann Verfügungen der Polizei - insbesondere der politischen der Verwaltungsgerichtsbarkeit entzogen und sie war, sofern sie sich im „Sondereinsatz" befand, nur noch der SS- und Polizeigerichtsbarkeit unterworfen. Himmler untergliederte die mit der SS verschmolzene Polizei ab 1936 in das Hauptamt Ordnungspolizei und das Hauptamt Sicherheitspolizei, was in etwa der Unterteilung in Schutz- und Kriminalpolizei entspricht. Die Sicherheitspolizei umfasste aber des Weiteren die G E S T A P O und ab 1939 den Sicherheitsdienst der SS (Reichssicherheitshauptamt). Unter diesen institutionellen Voraussetzungen war die Polizei an den Verbrechen des Dritten Reichs beteiligt. Die Notverordnung von 1933, das Instrument der sog. Vorbeugehaft und die Umdeutung der polizeilichen Generalklausel, nach der schon dann von einer Störung der öffentlichen Sicherheit zu sprechen ist, wenn eine Handlung dem „nationalsozialistischen Staat gegenüber untergrabend, hemmend, verstimmend oder auch nur staatsentfremdend" wirkte, dienten der rechtlichen Bemäntelung des Vorgehens der Sicherheitskräfte (vgl. Boldt 1992: 26f.; Heuer-Schräpl 1993; Heuer 1995; Wehner 1989; Daenekas 1993; Thomanek 1985). Mit dem Ende des Dritten Reichs und des zweiten Weltkriegs übernahmen die Alliierten Besatzungsmächte die Kontrolle Uber Deutschland. Die Polizeigewalt wurde zuerst ausschließlich durch deren Militärpolizeien ausgeübt, bald wurden aber deutsche Hilfspolizisten eingestellt und eine Polizeischule gegründet. 9 2 Entsprechend den Prinzipien der Entmilitarisierung, Entnazifizierung, Demokratisierung und Dezentralisierung sollten beim Wiederaufbau der deutschen Polizei militärisch organisierte Einheiten vermieden, die Bewaffnung reduziert, ehemalige NSDAP-Mitglieder entlassen und eine föderale Struktur hergestellt werden. Auf ein darüber hinausgehendes einheitliches Konzept konnten sich die vier Besatzungsmächte aber nicht einigen, so dass in den Besatzungszonen differente polizeiliche Strukturen etabliert wurden, die jeweils von den Traditionen der Besatzungsmächte geprägt waren (Details z.B. in Boldt 1992: 28; Harnischmacher 1989; Thomanek 1985). In der sowjetischen Besatzungszone wurde die Polizei als Einheit der Länder aufgebaut, ab 1949 unter zentraler Leitung des Innenministeriums, in der französischen Besatzungszone hielt man nach einigen Kommunal isierungsversuchen an einer dem Innenministerium zugeordneten Polizei fest, in den beiden anderen gab es dagegen von den Innenministerien unabhängige Kommunalpolizeien und während in der amerikanischen Besatzungszone Pistolen und Revolver zulässig waren, blieb die Bewaffnung in der britischen 92

1945 in Hiltrup/Münster. Seit 1973: Polizei-Fiihrungsakademie.

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Besatzungszone ursprünglich auf Schlagstöcke begrenzt (vgl. Wego 1995; Heuer-Schräpel 1993; Boldt 1992; Harnischmacher 1989; Busch u.a. 1985; Bernet/ Groß 1967). Von diesen Anfangsjahren der deutschen Polizei „mit einem Schlagstock und Armbinde" (Wego 1995), von den Herausforderungen der Nachkriegskriminalität, den knappen Schulungen der neuen Polizisten und von deren Verhältnis zur Bevölkerung berichten besonders bilderreich Wego (1995) sowie der Polizeibeamte Hüttinger (1997), der selbst 1946 in die Polizei eintrat. Insgesamt hatte die Polizei der westlichen Besatzungszonen schon 1946 einen Personalbestand von 78.000 Mann, hinzu kamen ca. 60.000 Polizisten in der sowjetischen Besatzungszone (Boldt 1992: 29). Dieser schnelle Ausbau der Polizei hat auch zur Folge gehabt, dass die Entnazifizierung nicht so erfolgreich verlief wie geplant. Bald wurden auch Personen eingestellt, deren Biographien keineswegs über jeden Zweifel erhaben waren (vgl. Heuer-Schräpl 1993; Werkentin 1984; Such 1988: 52ff.). 3.1.2. Die Struktur der deutschen Polizei 1949, mit der Gründung der Bundesrepublik und der Formulierung des Grundgesetzes, wurde auf der Basis der Polizeipolitik der drei westlichen Besatzungszonen die heutige Polizei Deutschlands aufgebaut. Seitdem ist die deutsche Polizei föderativ aufgebaut, zugleich ist aber zu sagen, dass es seitdem zu einer zunehmenden Vereinheitlichung der ursprünglich äußerst heterogen aufgebauten Länderpolizeien gekommen ist. Neben den Länderpolizeien (v.a. Schutzpolizei, Kriminalpolizei und Bereitschaftspolizei) haben die Polizeien des Bundes (v.a. Bundesgrenzschutz und Bundeskriminalamt) ein stetig anwachsendes Gewicht, dies werden die folgenden Abschnitte zeigen, in denen die verschiedenen Einheiten im Einzelnen dargestellt werden. Die Polizeien des Bundes Laut dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sind die „Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben" (Artikel 30 GG) und damit auch die Polizei prinzipiell Ländersache, sofern nichts anderes bestimmt wird. Anderes bestimmt das Grundgesetz in den Artikeln 72 bis 74, 87 und 91. In Polizeiangelegenheiten gestatten sie dem Bund, die Regelung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Hinblick auf die Kriminalpolizei, den Verfassungsschutz, die Errichtung eines Bundeskriminalpolizeiamts und die Kontrolle der internationalen Verbrechensbekämpfung (Art. 73, Nr. 10 GG). Außerdem darf der Bund Bundesgrenzschutzbehörden aufstellen und Zentralstellen zur Informationssammlung für den Verfassungsschutz und die Kriminalpolizei aufbauen (Art. 87 I GG). Darüber hinaus dürfen der Bund und auch die Länder im Falle einer Gefahr für ihre Grundordnungen Polizeieinheiten anderer Länder anfordern (Art. 91 GG; vgl. Boldt 1992: 30). Die wichtigsten mit polizeilichen Aufgaben betrauten Organe des Bundes sind demnach der BGS (Bundesgrenzschutz), das BKA (Bundeskriminalamt) sowie bei einer weiten Ausle98

gung des Polizeibegriffs, das BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz). 93 Das BfV mit Sitz in Köln wurde 1950, direkt nach der Gründung der BRD eingerichtet. Es widmet sich vor allem der Informationssammlung und -auswertung im Hinblick auf Spionage, Verrat, Verschwörungen, subversive Organisationen, Terrorismus usf. und dient somit neben dem MAD (Militärischer Abschirmdienst: Sicherheit der Bundeswehr) und dem BND (Bundesnachrichtendienst: Auslandsaufklärung) dem Schutz vor verfassungsfeindlichen und sicherheitsgefährdenden Bestrebungen sowie der Absicherung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. In die Öffentlichkeit tritt das BfV mit periodischen Berichten zum politischen Radikalismus in der Bundesrepublik. Polizeiliche Befugnisse hat das BfV nicht, es arbeitet aber mit der Polizei zusammen (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz 2001; Thomanek 1985; Such 1988: 55ff.). Der Bundesgrenzschutz Trotz des ursprünglichen Tabus eine bewaffnete Bundespolizei aufzustellen, wurde der BGS 1951 ins Leben gerufen. Der Hintergrund war in erster Linie die Gründung der kasernierten Volkspolizei der DDR 1948 (vgl. Exkurs 1), der eine Kraft entgegengesetzt werden sollte. Beim BGS handelt es sich um eine militärisch organisierte und bewaffnete, kasernierte Polizei mit anfänglich 10.000, ab 1953 20.000 Mann Personal. Er ist dem Bundesinnenministerium unterstellt und hatte ursprünglich die Hauptaufgabe der Grenzsicherung bis 30 km Tiefe. Sein Aufgabengebiet hat sich inzwischen aber beachtlich gewandelt. Ein einschneidendes Ereignis für den BGS war die Gründung der Bundeswehr im Jahr 1956. Um des beschleunigten Aufbaus der Bundeswehr willen trat nämlich etwa die Hälfte der Grenzschutzbeamten zur Bundeswehr über, darunter ein erheblicher Teil des Führungspersonals, das in den Anfangsjahren des BGS hauptsächlich aus Offizieren der Wehrmacht rekrutiert worden war (Diederichs 1995b; Thomanek 1985; Such 1988). Mit der Notstandsgesetzgebung von 1968 wurden die Zuständigkeiten von Bundeswehr und BGS neu geregelt. Seitdem dürfen beide in bestimmten Situationen im Landesinneren eingesetzt werden: bei Naturkatastrophen, bei sehr schweren Unglücken sowie in spezifischen Fällen zur Unterstützung der Polizei. Letzteres v.a. wenn die freiheitlich demokratische Grundordnung in Gefahr ist, womit der BGS einen bereitschaftspolizeilichen Charakter bekommen hat (Boldt 1992: 33; zur Bereitschaftspolizei s.u.). Eine weitere wichtige Wegmarke ist das Jahr 1972. Als Reaktion auf den damaligen Terroranschlag auf die israelische Olympiamannschaft wurde innerhalb des BGS die Antiterroreinheit GSG 9 (Grenzschutzgruppe 9) aufgestellt. Sie erweckte 1977 durch ihren Einsatz bei der Geiselbefreiung in Mogadischu weltweite Aufmerksamkeit. In den siebziger Jahren wurde außerdem die Zusammenarbeit mit den Länderpolizeien intensiviert und die Ausbildung fiir den BGS an die der regulä91

Ursprünglich zudem die Bahn- und die Flughafenpolizei, beide sind hier aber von untergeordnetem Interesse, da ihre Aufgaben 1992 dem BGS zugeschlagen wurden.

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ren Polizeien angeglichen (Bundesgrenzschutz 2001). Beides, die Auslandseinsätze und die verstärkte Annäherung an die Polizei im Landesinneren, zeigt deutlich die Zwitterstellung des BGS auf. Zwei politische Großereignisse der neunziger Jahre, die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 und das Schengener Abkommen 1995, betreffen durch den Fall der innerdeutschen Grenze und die innereuropäische Freizügigkeit Kernaufgaben des BGS, so dass eine Neukonzeption des Arbeitsgebiets des BGS unausweichlich war. Als Ausgleich für die weggefallenen Zuständigkeiten hat er die Aufgaben der Bahn- und Flughafenpolizei übernommen (1992) und ist an der Kontrolle der Schengener Außengrenzen beteiligt. Außerdem obliegt ihm der Schutz von Bundesorganen, er nimmt auf Ersuchen der UN oder der EU an internationalen Einsätzen teil, hat bestimmte Aufgaben im Not- oder Verteidigungsfall und kann von den Bundesländern bei drohender Gefahr, Unfällen oder zur Sicherung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zur Hilfe gerufen werden (Bundesgrenzschutz 2001). Der BGS verfugt inzwischen über ein Personal von 29.000 Personen und gilt, dieses Tabu hat sich somit aufgelöst, als Polizei des Bundes (vgl. Thomanek 1985; Such 1988; Pfeiffer 1992; Boldt 1992; Diederichs 1995b; Solsten 1995; Bundesgrenzschutz 2001; Busch u.a. 1985). Das Bundeskriminalamt Das BKA wurde wie der BGS 1951 mit der Aufgabe gegründet, Informationen über Straftaten und Straftäter zu sammeln (Boldt 1992: 32). Diese Aktivitäten haben ein beträchtliches Ausmaß angenommen. Laut den Recherchen von Thomanek (1985) hatte das BKA im Jahr 1977 Daten über rd. 3% der Bevölkerung, das BKA selbst gibt an (BKA 2001), inzwischen Informationen über 2,5 Mio. Personen archiviert zu haben. Weitere Gebiete, in denen das BKA mittlerweile tätig ist, sind: Koordinationsaufgaben, sobald mehrere Polizeien zusammenarbeiten, die technische und wissenschaftliche Unterstützung der Landespolizeien sowie eigene Ermittlungen, sofern das BKA von der zuständigen Landesbehörde dazu aufgefordert wird. Bei besonders schweren Delikten, z.B. im Zusammenhang mit international organisierten terroristischen Vereinigungen u.ä. ermittelt das BKA darüber hinaus selbständig. Zudem hatte das BKA zum Zeitpunkt der Untersuchung Schutzaufgaben für die Regierung und für diplomatische Vertretungen, erhob jährlich die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), fungierte als Verbindungsstelle zu INTERPOL (eigentlich IKPO: Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation mit 177 Mitgliedsstaaten) und kooperierte mit EUROPOL (Europäisches Polizeiamt Den Haag mit 15 Mitgliedsstaaten zum Zeitpunkt der Untersuchung) (Thomanek 1985; BKA 2001).94 Ähnlich wie beim BGS nehmen die Aufgaben und die Bedeutung des BKA seit seiner Gründung 94

Näheres zum europäischen Sicherheitssystem und zu Europol z.B. in: Carr (1996); Cope/Starie (1996); Benyon (1996); Die Neue Polizei (1994: 282); Rupprecht (1991: 555ff.); Weichert (1991: 22ff.).

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ständig zu, dies kann man u.a. an der Entwicklung seines Personalbestands ablesen: er stieg von 500 Personen im Jahr 1955 auf 4.300 im Jahr 1998 an (vgl. BKA 2001; Such 1988; Thomanek 1985). Die Polizeien der Länder Von den bisher beschriebenen Institutionen und deren Aufgaben abgesehen, ist die Polizei in der Bundesrepublik Deutschland Ländersache. Die Bundesländer haben ab 1950 begonnen, eigene Polizeigesetze und Polizeiorganisationsgesetze zu erlassen. Sie weisen große Unterschiede auf, die von historischen Vorläufern herrühren, von den ehemaligen Besatzungsmächten geprägt sind und die spezifische Situation der einzelnen Länder widerspiegeln. Trotzdem sind aber ähnliche Grundstrukturen vorzufinden und die stattgefundenen Vereinheitlichungstendenzen lassen es gerechtfertigt erscheinen, sich an dieser Stelle auf die Grundzüge des Polizeiaufbaus zu beschränken. Die Polizeien der Bundesländer sind, um die allgemeine Formel zu zitieren, für die Aufrechterhaltung der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung" zuständig. 95 Damit haben sich ihre Hauptaufgaben seit dem Ende des 19. Jahrhunderts kaum gewandelt (s.o. Kap. 3.1.1.). Aufgliedern kann man die Leistungen der Polizei in die Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung, wobei ersteres hauptsächlich in den Bereich der Schutz- und letzteres in den der Kriminalpolizei fallt. Außerdem leisten die Polizeien anderen Behörden Amts- und Vollzugshilfe, oft genau jenen, die Aufgaben wahrnehmen, die früher der Polizei oblagen, aber im Zuge der Entpolizeilichung ausgelagert wurden (Details in Denninger t992). Der oberste Dienstherr der Polizei ist der jeweilige Innenminister, der dem Parlament gegenüber für die Polizei verantwortlich ist. In der Regel verfugen die Länder über ein Landesamt für Verfassungsschutz und ein Landeskriminalamt (LKA). Sie haben auf der Ebene der Länder etwa dieselben Aufgaben und Befugnisse wie die oben beschriebenen vergleichbaren Institutionen auf Bundesebene und sollen deshalb nicht mehr im Einzelnen charakterisiert werden (vgl. Boldt 1992: 32; Bayerisches Landeskriminalamt 2001). Beschrieben werden hingegen die Vollzugspolizeien der Länder, die mindestens aus der Kriminalpolizei, der Schutzpolizei und der Bereitschaftspolizei bestehen. Außerdem gibt es Wasserschutzpolizeien, spezielle Verkehrs- und Autobahnpolizeien sowie verschiedenste SpezialVerbände (z.B. Hubschrauberstaffeln, berittene Polizeieinheiten usw.), die im Folgenden aber nicht abgehandelt werden. Die Schutz- und Kriminalpolizei Der organisatorische Hauptunterschied zwischen den verschiedenen Landesvollzugspolizeien liegt darin, auf welcher Hierarchieebene die Kriminalpolizei von der Schutzpolizei abgetrennt ist. Nach dem Polizeiorganisationsgesetz von 95

Lt. Gundlach (1997) wurde auf den Begriff „öffentliche Ordnung" in neueren Polizeigesetzen verzichtet.

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Schleswig-Holstein von 1968 war es beispielsweise so, dass beide polizeilichen Zweige direkt unterhalb der „Abteilung fiir Polizei" des Innenministeriums eigenständige Organisationen bildeten und von eigenen Polizeichefs geleitet wurden. Der Schutzpolizei unterstand außerdem die Bereitschaftspolizei (Thomanek 1985). Dem ist allerdings nicht mehr so: laut dem aktuellen Organigramm der Landespolizei Schleswig-Holstein findet inzwischen eine Ausdifferenzierung in Kriminal- und Schutzpolizei erst auf regionaler Ebene statt (Polizei SchleswigHolstein 2001). % Diese Entwicklung entspricht der allgemeinen Tendenz in der BRD, Kriminal- und Schutzpolizei unter einem gemeinsamen organisatorischen Dach zu vereinen 97 und eine „inhaltsgleiche Ausbildung" aller Polizisten anzustreben, ein Trend, der von Teilen der Kriminalpolizei heftig bekämpft wird. Gegen die Zusammenfiihrung wird u.a. vorgebracht, dass die Kriminalpolizei nur 15-20% des Gesamtpersonals ausmacht und in einem vereinten Polizeiapparat wegen dieser numerischen Unterlegenheit ihre spezifischen Bedürfnisse und Interessen nicht mit entsprechendem Nachdruck geltend machen könnte (Bleibtreu 1995; vgl. Jaeger 1997).98 Abb. 2:

BRD: Organisation der Bayerischen Polizei (Bayerische Polizei 2001) BAYERISCHES STAATSMINISTERIUM DES INNEREN

Präsidium der Bayerischen Bereitschaftspolizei

Bayerisches Landeskriminalamt

7 Landespolizeipräsidien

39 Polizeidirektionen

Polizeiverwaltungsamt

4 Kriminalpolizeidirektionen

Quelle: Eigene Darstellung.

In Bayern, dessen polizeiliches Organigramm (Abb. 2) beispielhaft aufgeführt sei, haben Schutz- und Kriminalpolizeidirektionen eine gemeinsame Leitung: beide unterstehen den Landespolizeipräsidien, die direkt unterhalb des Innenministeriums angesiedelt sind. Damit sind die Polizeipräsidien auf derselben Organisationsebene zu finden wie das BLKA (Bayerisches Landeskriminalamt), das Präsidium der Bayerischen Bereitschaftspolizei und das Polizeiverwaltungsamt. Wie ein bayerisches Landespolizeipräsidium im Detail aufgebaut ist, lässt sich 96

97 9S

Dafür sind in diesem Bundesland die Verkehrs- und die Wasserschutzpolizeidirektionen verhältnismäßig eigenständig (Polizei Schleswig-Holstein 2001). Vgl. zur Polizeiorganisation sowie zu Reformbestrebungen: Händel (1993), Lentz (1988). Die Bestrebungen um die „inhaltsgleiche Ausbildung" von Kriminal- und Schutzpolizei hat in den Polizeizeitschriften zu einer Flut konfrontativer Artikel geführt. Quambusch (1998a) nennt dies eine „aberwitzige Entwicklung", Bleibtreu/Jäger (1997) einen „verhängnisvollen Weg" (vgl. Jaeger 1997; Bleibtreu/Jäger 1994; Bleibtreu 1995; Lentz 1988); Andere Autoren sind einer Verzahnung von Kriminal- und Schutzpolizei allerdings nicht abgeneigt (Seidel 1994; Dugas 1994).

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ebenfalls mit Hilfe eines Organigramms (Abb. 3) darstellen, hier am Beispiel des Polizeipräsidiums Schwaben. Die Abteilungen für Versorgung und Personal haben in erster Linie Verwaltungsleistungen wahrzunehmen. Die Abteilung Einsatz ist für die übergeordnete Einsatzplanung und -koordinierung zuständig. Sie enthält derzeit ein Sachgebiet für Organisation, eines für Ordnungs- und Schutzaufgaben sowie polizeiliche Verkehrsaufgaben und eines für die Kriminalitätsbekämpfung, dem außerdem die Beauftragte für Frauen und Kinder zugeordnet ist. Für den polizeilichen Alltagsdienst unterstehen dem Polizeipräsidenten vier regionale Polizeidirektionen mit unterschiedlichen Anzahlen an Polizei-, Kriminalpolizei- und Verkehrspolizeiinspektionen usw. (Polizeipräsidium Schwaben 1999). Abb. 3:

BRD: Organisation des Polizeipräsidiums Schwaben (Polizeipräsidium Schwaben 1999)

Quelle: Eigene Darstellung.

Die Bereitschaftspolizei Neben der Schutz- und der Kriminalpolizei sind die Bereitschaftspolizeien (BePo) die wichtigsten Polizeieinheiten der Länder. Sie wurden auf der Basis eines Verwaltungsabkommens zwischen Bund und Ländern 1950 gegründet und hatten damals eine Personalstärke von rd. 15.000 Mann. Wie kurz danach bei der Aufstellung des BGS auch, war der Hintergrund dessen der aufziehende Kalte Krieg und das Interesse, auf eine schnell verfügbare Polizeieinheit zugreifen zu können. Die Alliierten billigten die Gründung der BePo, hielten aber zunächst an ihrem Verbot für den Bund fest, selbst bewaffnete Truppen aufzustellen (Bis zu Gründung des BGS 1951 und später der Bundeswehr). Daher rührt die eigentümliche institutionelle Anbindung der BePos, die einerseits Polizeien der Länder sind, andererseits aber zentral ausgestattet werden. Damit sicherte sich der Bund ein Mitspracherecht beim Einsatz der Bereitschaftspolizeien der Länder und bei der Standortwahl (vgl. Boldt 1992: 31 f f ; Thomanek 1985). Dies steht außerdem in engem Zusammenhang damit, dass der Bund in Notstandsfallen auf die BePos zurückgreifen kann (Art. 91 GG), was Thomanek (1985: 154ff.) dazu verleitet, die Bereitschaftspolizei als riot police zu charakterisieren. Tatsächlich waren die Bereitschaftspolizeien von Anfang an militärisch geprägt. Die Wahl ihrer Standorte war in erster Linie von strategischen Überlegungen abhängig, die 103

Bereitschaftspolizei agiert stets in Verbänden und die ihr zugehörigen Polizisten sind in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Dabei wird von „internatsmäßiger Unterbringung" gesprochen, der v.a. von Kritikern verwendete Begriff „Kasernierung" wird gemieden, wohl auch um keine Vergleiche mit der kasernierten Volkspolizei der DDR aufkommen zu lassen (vgl. Such 1988; Deutsche Polizei 1993: 16ff.). Innerhalb der Länder sind die Hauteinsatzgebiete der BePo sog. „Großlagen", z.B. Naturkatastrophen, Demonstrationen, große Sportveranstaltungen und Staatsbesuche (Morie 1992; Deutsche Polizei 1993: 16ff.; Bayerische Bereitschaftspolizei 2001). Daneben wurde den Bereitschaftspolizeien in den fünfziger Jahren die Ausbildung sämtlicher Polizisten übertragen. Dass dies eine extrem wichtige Funktion ist, braucht nicht eigens betont zu werden, wohl aber, dass sich daran ein wesentlicher Strang der Kritik an der Polizei festmacht. Die Uniformierung und „Kasernierung" trage zu einem semi-militärischen Profil und Selbstverständnis junger Polizisten bei und fordere die Abschottung von der „nicht-polizeilichen Außenwelt". Des Weiteren hätten die Aufgaben der BePo wenig mit den späteren Anforderungen an die Polizisten im Einzeldienst zu tun. Last not least wurde befürchtet, dass die auszubildenden Polizisten, die bei gewalttätigen Demonstrationen eingesetzt werden, verheizt werden und ein schiefes Bild vom Verhältnis von Bürgern und Polizisten zueinander bekommen, das ihrer Bürgerfreundlichkeit Abbruch tun könnte (vgl. Maibach 1996; Busch u.a. 1985; Such 1988; Herrnkind 1995b; Schult 1992; Speckin 1993; Möller 1988, Weiß 1995). Dem ist allerdings hinzuzufügen, dass z.B. in Bayern mit der Strukturreform von 1995 die Einsatzhundertschaften von den Ausbildungshundertschaften, heute als Ausbildungsseminare bezeichnet, getrennt wurden (Bayerische Bereitschaftspolizei 2001). Die achtzehn bayerischen Ausbildungsseminare bestehen aus je fünf Klassen mit je 24 Beamten in Ausbildung, die zwölf bayerischen Hundertschaften (Einsatzhundertschaften, Technische Einsatzgruppen und Unterstützungskommandos) aus jeweils drei „Zügen", die ihrerseits in drei „Gruppen" untergliedert sind. Diese 30 Einheiten zzgl. den beigeordneten „Diensten" (Medizinischer Dienste, Zentrale Dienste) sind auf sieben Standorte (Bereitschaftspolizei-Abteilungen) verteilt. Hinzu kommen die bayerische Polizeihubschrauberstaffel sowie ein Fortbildungsinstitut, die ebenfalls dem Präsidium der bayerischen Bereitschaftspolizei unterstellt sind (Bayerische Bereitschaftspolizei 2001; vgl. Abb. 2)."

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Auch im Bereich der Bereitschaftspolizeien gibt es Entwicklungen, die darauf hinauslaufen, besonders schlagfertige, zentrale Einheiten zu schaffen. In Brandenburg wurde 1995 z.B. die LESE ins Leben gerufen (LandesEinSatzEinheit). Dabei handelt es sich um eine Zusammenlegung der bislang organisatorisch selbständigen brandenburgischen Bereitschaftspolizei mit den Spezialeinheiten SEK (Sondereinsatzkommando), MEK (Mobiles Einsatzkommando), der VG (Verhandlungsgruppe) und der Hubschrauberstaffel, die bislang dem Polizeipräsidium untergeordnet waren. Diese „märkische GSG 9", so die Be-

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Exkurs 1: Die Polizei der DDR und deren Eingliederung in die bundesdeutsche Polizei nach der Wiedervereinigung Die bisher noch vorenthaltene Geschichte der Polizei der DDR bzw. der sowjetischen Besatzungszone beginnt historisch gesehen kurz vor derjenigen der westlichen Zonen, da die Rote Armee bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs damit begann, kommunale Ordnungskräfte aufzustellen. Als Gründungstag der Polizei der sowjetischen Besatzungszone gilt der 1. Juli 1945, der in der DDR jährlich als „Tag der Volkspolizei" begangen wurde (Harnischmacher 1989: 6).100 Bei der Personalauswahl wurde die Entnazifizierung vergleichsweise ernst betrieben: i.d.R. hatten ehemalige Mitglieder der Sicherheitskräfte des NSRegimes keine Chance auf eine Einstellung. Bevorzugt wurden demgegenüber KPD-Mitglieder, Aufnahme fanden aber auch Männer, die in der Weimarer Republik als Polizisten gearbeitet hatten und vormals von den Nazis suspendiert worden waren. In dieser Phase der Auseinandersetzungen zwischen bürgerlichen und kommunistischen Kräften wurde dann auch ein Polizeimodell angestrebt, das an das Weimarer angelehnt war und eine ländermäßige Organisation vorsah (Arlt 1996: 207ff.). Ab 1948 wurde die kasernierte Volkspolizei aufgebaut, aus der später (1956) die NVA (Nationale Volksarmee) hervorging. Die kasernierte Volkspolizei, damals nach Arlt (1996) und Dietrich (1996) noch unter der Bezeichnung „Polizeibereitschaften" oder „Volkspolizeibereitschaften" (VPB) bekannt, rekrutierte ihre Mitarbeiter innerhalb des Personals der bereits bestehenden Polizeieinheiten (Dietrich 1996) sowie laut Arlt (1996) auch unter kriegsgefangenen Wehrmachtssoldaten. Letztere waren sich offenbar zu großen Teilen nicht darüber bewusst, dass die Anwerbung einer kasernierten Truppe galt und verließen deshalb die kasernierte Volkspolizei so bald wie möglich (Arlt 1996). Die Volkspolizeibereitschaften änderten in der Folgezeit den Charakter der Ausbildung zusehends: die polizeilichen Elemente wurden nach und nach durch militärische ersetzt und ab 1949, so meint Arlt, war für den aufmerksamen Beobachter klar, dass dies der Vorbereitung einer Armee diente (Arlt 1996: 221 ff.). Ab 1952 wurde diese Truppe als kasernierte Volkspolizei (KVP) bezeichnet und sie bestand inzwischen aus allen Waffengattungen einer Armee. Diese „getarnte Armee" umfasste 1953 bereits 113.000 Angehörige (Dietrich 1996: 231 f.). 1956 wurde sie endgültig aus der VoPo herausgelöst und bildete die Nationale Volksarmee (NVA) (Arlt 1996; Boldt 1992). Die kasernierte Volkspolizei wurde parallel zur NVA aufrechterhalten (Boldt 1992). Gleichzeitig wurde die ländermäßige Organisation der Volkspolizei aufgegeben. Vorbote dessen war eine Verlautbarung von Walter Ulbricht im April 1948, in der er ankündigte, dass die Polizei zentralisiert werde und zukünftig „politische Leiter" eingesetzt werden würden. Damit war in Polizeifragen der Macht100

Der Name „Volkspolizei" wurde erstmals ein Jahr später in der SED-Zeitung Neues Deutschland verwendet (Harnischmacher 1989: 6). 105

kämpf zwischen dem bürgerlichen und dem kommunistischen Lager beendet. Die Polizei wurde entsprechend der kommunistischen Vorstellung, der gemäß die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung keine unpolitische Aufgabe sondern eine wichtige staatliche Stütze ist, der KPD bzw. der SED untergeordnet (Arlt 1996: 208ff.). Mit der Einsetzung von „politischen Leitern" wurden außerdem die Weichen für die Schaffung des Staatssicherheitsdienstes (SSD bzw. Stasi) gestellt. Er wurde 1950 ins Leben gerufen und einem speziellen Ministerium für Staatssicherheit untergeordnet. Der Personalbestand der Stasi wurde mit hohem Tempo ausgeweitet. Nach Boldt beschäftigte der Stasi Ende der fünfziger Jahre „erst" rd. 13.000 Personen, zuletzt aber annähernd 100.000 Hauptamtliche sowie ein Heer an geheimen Mitarbeitern und Informanten, die Spitzeldienste für den Staat erledigten. Hervorzuheben ist, dass der Stasi im Gegensatz zu vergleichbaren Institutionen der BRD exekutive Aufgaben wahrnahm und eigenständig Verhaftungen, Vernehmungen u.ä. durchführte (Boldt 1992: 28f.). In den frühen 50er Jahren stellte sich die Struktur der Polizei der DDR wie folgt dar: Der gesamte Sicherheitsapparat der DDR umfasste fast eine Viertel Million Mann. Die Schutz-, Kriminal- und Verkehrspolizei sowie einige Spezialpolizeien waren mit einem Mitarbeiterstab von rd. 90.000 Personen der Führung der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei (HVDVP) unterstellt. Daneben gab es die Deutsche Grenzpolizei (später: Grenztruppen der DDR) und die Transportpolizei sowie die KVP und die Volkspolizeischulen (VPS), wobei die beiden letzteren der Hauptverwaltung für Ausbildung (HVA) angegliedert waren (Dietrich 1996; Harnischmacher 1989: 8f.). Besondere Erwähnung verdient der Betriebsschutz A der Volkspolizei, dem es oblag die Betriebskampfgruppen auszubilden (Boldt 1992; Harlan 1997). Aus der gesamten Staatsauffassung der DDR resultiert, dass die Volkspolizei entgegen ihrem Namen als politisches Instrument verstanden wurde. Auch wurde laut Harnischmacher im Zweifel nicht klar zwischen innerem und äußerem Notstand unterschieden, weil ein innerer Notstand auf der Basis der sozialistischen Ideologie als Ausdruck subversiver Aktivitäten des äußeren Feindes interpretiert werden konnte und damit als Anlass für den Einsatz von militärischen Einheiten gelten konnte (Harnischmacher 1989: 7f.). Allerdings ist nicht auszuschließen, dass die Polizisten selbst sich als Volkspolizisten im eigentlichen Sinne verstanden haben. Daraus ist ein Widerspruch im Berufsbild der Volkspolizei ableitbar, der bei den Ereignissen des 17. Juni 1953, beim Volksaufstand der DDR, sowie anlässlich der Demonstrationen im Jahr 1989, die letztlich zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten führten, am sichtbarsten wurde. Im Hinblick auf den Volksaufstand der DDR fragt der Historiker Dietrich (1996) zurecht, wieso die DDR-Führung trotz ihres personalstarken eigenen Sicherheitsapparats auf die Kräfte ihrer Besatzungsmacht zurückgreifen musste, um den Aufstand unter Kontrolle zu bringen. Laut seinen Nachforschungen war es so, dass die SED den eigenen Polizeieinheiten u.a. deshalb misstraute, weil nicht auszuschließen war, dass sich die Polizisten mit den Demonstranten soli-

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darisieren würden oder wenigstens Hemmungen hätten, mit voller Härte gegen die Demonstranten vorzugehen. Dies traf offenbar v.a. auf die Schutzpolizei zu, innerhalb der kasernierten Volkspolizei war diese Haltung seltener. Auch kam es in beiden Polizeieinheiten nach dem Volksaufstand zu einer Welle an Entlassungsgesuchen. Eine andere Folge des Volksaufstands war der weitere Ausbau der Polizei: Dietrich spricht für die Jahre 1953/54 gar von einer „Inneren Mobilmachung des SED-Staates" (Dietrich 1996: 255). U.a. wurde die Grenzpolizei personell aufgestockt, die Schutzpolizei um VP-Bereitschaften ergänzt und das Betriebsschutzsystem ausgebaut (Dietrich 1996: 233ff.; vgl. Ebeling 1995: 25f.). Das Verhalten der Polizisten, die während der Demonstrationen der DDRBürger vom Herbst 1989 eingesetzt waren, wird in der Literatur ähnlich dargestellt aber höchst unterschiedlich bewertet. Besonders gut dokumentiert sind die Gewalttaten anlässlich der Demonstrationen in Ost-Berlin am 7. und 8. Oktober. In der politischen Führung war damals die Meinung verfestigt, dass es sich bei den Aktivitäten der DDR-Bürger um eine von außen gelenkte Konterrevolution handeln musste und in Dresden war auf dieser ideologisierten Basis am Tag vorher bereits die NVA gegen Demonstranten eingesetzt worden (Anonym 1990). In Ost-Berlin wurde laut Schmidt/Strehmann (1990) dann ein Polizeiaufgebot von insgesamt 16.000 Mann gegen die Demonstranten los geschickt und im Laufe der Ereignisse wurden rd. 1.000 DDR-Bürger im dortigen Polizeijargon „zugeführt", d.h. in Gewahrsam genommen. Dabei kam es zu erheblichen Übergriffen, angefangen von Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen bis hin zu Schlaf- und Essensentzug, der Verweigerung, eine Toilette aufzusuchen, degradierender Behandlung und Körperverletzung. Zwei Umstände erschweren diesen Befund noch, weil sie darauf schließen lassen, dass die polizeilichen Übergriffe selten durch Widerstandshandlungen der Demonstranten zustande gekommen sein dürften. Zum einen gab es nämlich unter den Polizisten kaum Verletzte, dokumentiert sind nur sechs Fälle. Zum anderen zeigte eine Analyse von Gedächtnisprotokollen misshandelter Bürger, die von einem kirchlich initiierten Untersuchungsausschuss gesammelt wurden, dass die Mehrzahl der Übergriffe weder bei der Verhaftung selbst, noch beim Transport oder bei Verhören erfolgte, sondern im Gewahrsam (Schmidt/Strehmann 1990; CILlP/Bürgerrechte und Polizei 1989a; Anonym 1990). Die Härte des polizeilichen Vorgehens gegen die mehrheitlich friedlichen Demonstranten lässt sich nur aus der nervösen Angst vor einer „Konterrevolution" erklären, die die SEDFührung erfasst hatte, und die Polizisten, die bereit waren, die öffentliche Ordnung so wiederherzustellen, wie die SED-Führung es von ihnen verlangte, versuchten die „Störungen" schnell zu unterdrücken und Menschen Informationen über vermeintliche Rädelsführer abzupressen (vgl. Schmidt/Strehmann 1990; CHIP/Bürgerrechte und Polizei 1989a; Anonym 1990). Verfolgt man allerdings Berichte aus Kreisen der Volkspolizisten, so führten die Aufgabenzuweisungen an die Polizei während der Demonstrationen bei vielen Polizisten zu moralischen Bedenken und innerer Kündigung. Die Zweifel an 107

der polizeilichen Vorgehensweise seien außerdem, so ein Professor der Hochschule des Ministeriums des Inneren der DDR im Rückblick (Ebeling 1991, 1995; vgl. Anonym 1990), im Berufsbild der Volkspolizei angelegt gewesen. Denn einerseits war es die oberste Aufgabe der Volkspolizei, den Staat bzw. die SED zu schützen, aber andererseits wurde die Polizei auf die Bürgemähe festgelegt und war in ihrem Selbstverständnis und ihrer Benennung tatsächlich eine Volkspolizei. Dies ist in sozialistischer Lesart insofern kein Widerspruch, als von einer Interessenharmonie zwischen Bürger und Staat ausgegangen wird. Der Widerspruch brach aber hervor, als nicht mehr zu übersehen war, dass die Demonstrationen politischen Charakter hatten und von Massen getragen wurden. Sobald der These von der von außen initiierten Konterrevolution nicht mehr geglaubt wurde, musste deshalb bei den Volkspolizisten ein Gewissenskonflikt entstehen. In den Berichten, auf die sich dieser Absatz bezieht, ist daher von „tiefen moralischen Konflikten" sowie davon die Rede, einen politischen Konflikt nicht mehr mit den „untauglichen Mitteln polizeilicher Maßnahmen" lösen zu wollen (Anonym 1990: 257, 258). Ebeling verweist auf eine unveröffentlichte Befragung von 1989, laut der der Widerspruch zwischen dem Staatschutzgedanken und dem Anspruch, Polizisten des Volks zu sein, den Polizisten bereits vor dem Ende der DDR bewusst gewesen sei (Ebeling 1991, 1995). Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten stellte die Regierungen im Hinblick auf die Polizei vor die Herausforderung, in den dann fünf neuen Bundesländern in kürzester Zeit Polizeien nach westlichem Muster zu installieren. In personeller Hinsicht sind v.a. drei Maßnahmen getroffen worden: die Überprüfung der bisherigen Volkspolizisten, deren Weiter- bzw. Umschulung und die Besetzung von FUhrungspositionen mit Polizisten aus dem Westen. Die Überprüfung der Volkspolizisten bezog sich auf eine eventuelle ehemalige Zusammenarbeit mit dem Stasi, auf vormalige SED-Mitgliedschaften sowie auf Menschenrechtsverletzungen. Wer die Überprüfung nicht tadellos überstand, wurde nur zur Probe angestellt (vgl. Harlan 1997: 5320 und manche ehemalige Volkspolizisten, die diese Überprüfung nicht über sich ergehen lassen wollten, kündigten von sich aus. Viele können es aber nicht gewesen sein, denn It. Behr (1993b) hatten z.B. in Mecklenburg von rd. 5.500 Vollzugspolizisten nur 350 keine Wurzeln in der Volkspolizei, d.h. waren neu eingestellt worden oder aus den alten Bundesländern versetzt worden. Die im Dienst verbleibenden ehemaligen Volkspolizisten wurden außerdem mit Kursen auf die Aufgaben und die Rolle der Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat vorbereitet. Diese Umschulungen setzten bereits vor der Wiedervereinigung ein und wurden bis ins Jahr 1994 hinein fortgesetzt (Rodorf 1994). Trotzdem trafen die verschiedenen Polizeistile aus Ost und West nicht selten konfliktiv aufeinander und die Besetzung von Führungspositionen mit Polizisten aus den alten Bundesländern sorgte ebenfalls für Unmut (Behr 1993a, 1993b, 1996; Korfes 1995, 1997; vgl. Zinycz/Hahn 1991). Auf der organisatorischen Ebene wurden zuerst ein gemeinsames Polizeiaufgabengesetz für die gesamte Volkspolizei und ein LKA als 108

zentrale Anlaufstelle geschaffen. Im Übrigen wurde die Organisation der Volkspolizei vorübergehend beibehalten (Harlan 1997: 542f.), jedoch wurden schon 1990 die in der DDR verwendeten militärischen Dienstgradbezeichnungen in polizeiliche umbenannt. 101 In den Länderparlamenten wurden die neuen Polizeiaufgabengesetze und -organisationsgesetze erst sukzessive zwischen 1991 und 1993 verabschiedet (Harlan 1997: 542f.). In erster Linie galt es, die zentralisierte Polizei in eine föderative umzuwandeln und zu entscheiden, wie mit den besonders diskreditierten DDR-Institutionen sowie mit deren Mitarbeitern zu verfahren sei. Im Ergebnis wurden Stasi und Grenzpolizei vollständig aufgelöst. Wohingegen den Mitarbeitern des Stasi eine Einstellung bei den Sicherheitskräften der BRD aber generell verweigert wurde, konnten die ehemaligen Grenzpolizisten in den BGS eintreten. Die Voraussetzung dafür war eine umfangreiche Überpriifung und sie mussten sich im BGS mit untergeordneten Tätigkeiten begnügen. Die Mitarbeiter der NVA wurden ebenfalls übernommen und in die Bundeswehr integriert, ein heikles Unterfangen, handelte es sich doch um ehemalige Erzfeinde (vgl. Harlan 1997; Solsten 1995). Exkurs 2:

Die Öffnung des Polizeiberufs für Frauen

Die Öffnung des Polizeiberufs für Frauen ist unter dem Gesichtspunkt der vorliegenden Arbeit deshalb interessant, weil die Zulassung von Frauen in allen polizeilichen Sparten nicht nur die zunehmende Gleichberechtigung von Frauen im Berufsleben widerspiegelt, sondern darüber hinaus bei der Polizei und ähnlichen Institutionen ein Licht auf deren gängige Berufsbilder wirft. Schließlich galt die Polizei nicht zuletzt deshalb als Männerberuf, weil physische Stärke und körperliches Durchsetzungsvermögen unabdingbare Voraussetzungen für den Polizeiberuf zu sein schienen und bis heute sind körperliche Mindestvoraussetzungen Bestandteil der polizeilichen Eignungsprüfung (s.u. Kap. 3.1.3.). Natürlich gibt es innerhalb wie außerhalb der Polizei einen lauten Streit darüber, ob körperliche Durchschnittswerte von Frauen (und im Zweifel auch von Männern) etwas über die Verfassung von Einzelindividuen aussagen und somit einen generellen Ausschluss aus einer Berufssparte rechtfertigen, sowie darüber, wie die Durchschnittswerte von Frauen in Relation zu ihrer Körpergröße zu beurteilen sind usw. (vgl. Kap. 4.4.3.). Diese Diskussion soll aber zugunsten des geltenden Berufsbilds an dieser Stelle nicht geführt werden. Vielmehr kann man davon ausgehen, dass im Allgemeinen die Überzeugung vorherrscht, dass Frauen Männern körperlich unterlegen sind. Wenn sie dennoch allmählich zum Polizeidienst zugelassen wurden, so mag dahinter neben dem Gleichberechtigungsgrundsatz ein verändertes Bild davon stehen, welche Eigenschaften einer Person die Erfüllung der Polizeiaufgaben begünstigen. Damit einher geht die Überlegung, dass offenbar mehr und mehr davon ausgegangen wur101

Leutnants u. Hauptmänner wurden Kommissare, Majore Räte, Oberstleutnants Oberräte, Oberste Direktoren. Generalmajore Chefinspektoren usw. (Deutsches Polizeiblatt 1990: 25).

109

de, dass angeblich „typisch weibliche" Eigenschaften wie Konsensfähigkeit, psychologisches Einfühlungsvermögen usf. der Institution Polizei hilfreich sein könnten und zwar entweder im Hinblick auf bestimmte Aufgabenbereiche oder in Kombination mit den „typisch männlichen" Fähigkeiten. Ungeachtet dessen, ob dies den Frauen gerecht wird, weisen beide Wege auf einen Wandel des Verständnisses davon hin, auf welche Art und Weise der Polizeiberuf sinnvoll ausgeübt werden kann: von Konfliktbeherrschern zu Konfliktschlichtern. In der deutschen Polizeigeschichte lässt sich das Vordringen von Frauen in den Polizeiberuf dank detaillierter Studien gut nachvollziehen (z.B. Nienhaus 1992). Demnach wurde die erste Frau bei der Polizei bereits im Jahre 1903 eingestellt. 102 Ihr Arbeitsfeld war im Wesentlichen die „Fürsorge" für die weibliche Klientel der Polizei und dieses Modell wurde von anderen Städten übernommen und auf die Belange von Kindern ausgedehnt. Als echte Polizistinnen können diese Frauen aber kaum bezeichnet werden, da sie keine exekutiven Aufgaben hatten und noch nicht einmal ihnen bekannt gewordene Straftaten zur Anzeige bringen mussten. Grund dessen war, dass ihre sozialarbeiterischen Tätigkeiten das besondere Vertrauen der Bevölkerung voraussetzten und dies sollte nicht durch Anzeigen geschmälert werden. Eine erste Frauenpolizei war die 1923 im britisch besetzten Köln gegründete „Frauenwohlfahrtspolizei", die sich am englischen Vorbild orientierte und der neben deutschen britische Polizistinnen angehörten. Ihre Aufgabe war die Kontrolle der sich ausbreitenden Prostitution, aber dieses Projekt wurde zwei Jahre später wieder eingestellt (Albrecht 1996: 2ff.). Ab Mitte der 20er Jahre wurde auch in Preußen der Ruf nach einer weiblichen Polizei laut, gleichzeitig waren aber die Widerstände vielfältig. Einerseits forderte die Leiterin der „Frauenhilfsstelle" eine eigenständige uniformierte, gleichwohl unbewaffnete, Frauenpolizei einzurichten, andererseits waren dort arbeitende Frauen nicht damit einverstanden, „Spitzeldienste" zu übernehmen, da sie sich als Fürsorgerinnen bzw. Sozialarbeiterinnen definierten. Eine Opposition gegen eine weibliche Polizei formierte sich zudem im Berufsverband der Polizisten (Schräder-Verband), der Polizistinnen mit dem Argument der „natürlichen Bestimmung" von Frauen ablehnte. Dennoch wurde der Plan weiterverfolgt und ab 1927 wurde von Berlin aus die preußische Weibliche Kriminalpolizei (WKP) aufgebaut. Ihr Arbeitsfeld umfasste die Tätigkeiten, die als den Männern „naturgegeben fremd" angesehen wurden, d.h. sie waren hauptsächlich für Kinder und weibliche Jugendliche sowie für Sittlichkeitsdelikte zuständig. Fortgeführt wurde das Projekt von den Nazis, die die 1932 rd. 250 Frauen starke Gruppe bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs auf 370 aufstockten (Albrecht 1996; vgl. Nienhaus 1992). Danach ging es von Bundesland zu Bundesland und vor allem von Besatzungszone zu Besatzungszone mit der WKP unterschiedlich weiter, ab Ende der sechziger Jahre wurde die WKP aufgelöst und ihre Mitarbei102

Diesem Vorbild folgten andere europäische Länder, aber teils wesentlich später (Franzke

1997: 64). 110

terinnen innerhalb der Kriminalpolizei untergebracht (Rother 1999; vgl. Albrecht 1996). Dass Frauen in der Kriminalpolizei tätig waren, warf natürlich Fragen auf, auch die, ob Frauen bei der uniformierten Schutzpolizei arbeiten könnten. Auch dahingehend sind die Vorgaben der Alliierten und der Sowjets nach 1945 zu berücksichtigten. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gab es laut Franzke (1997) in Berlin 350 bewaffnete weibliche Schutzpolizistinnen im regulären Dienst. Der Hauptgrund dafür war neben einem Mangel an geeigneten männlichen Bewerbern, dass die heimischen Polizeimodelle der britischen und sowjetischen Besatzungsmächte Frauen bei der Polizei gestatteten. Ab 1950 wurden aber keine weiteren weiblichen Kräfte eingestellt und die verbleibenden Frauen wurden allmählich in den Innendienst abkommandiert. Dabei schlug zu Buche, dass die sozialen Dienste außerhalb der Polizei ausgebaut wurden und so die Polizei von gerade jenen Aufgaben entlastet wurde, die den Polizistinnen zugeschrieben worden waren (vgl. Franzke 1997: 65ff). Dass keine Schutzpolizistinnen mehr ausgebildet wurden muss außerdem zur Folge gehabt haben, dass in jenen Bundesländern, in denen die Kriminalpolizisten i.d.R. aus den Reihen der Schutzpolizei rekrutiert wurden, für Frauen der Zugang zur Kriminalpolizei verbaut war. Es blieb nur die Möglichkeit des „Seiteneinstiegs", d.h. der direkten Einstellung bei der Kriminalpolizei. Dies ist ein seltener und schwieriger Weg, weil Seiteneinsteigern, die nicht bei der Schutzpolizei begonnen haben, vorgeworfen wird, dass sie den Beruf nicht „von der Pieke a u f gelernt haben. Für Frauen kann dies zum doppelten Außenseitertum fuhren (vgl. Albrecht 1996). Die Diskussion um Frauen in der Schutzpolizei flammte in den siebziger Jahren erneut auf. Dabei wurde von den Gegnern argumentiert, Frauen seien wegen fehlender Körperkraft, zu geringer psychischer Belastbarkeit und wegen familiärer Ausfallzeiten für den schutzpolizeilichen Dienst nicht geeignet. Dennoch wurden im Laufe der Zeit in allen Bundesländern die Schranken geöffnet. Das erste Bundesland war 1978 Berlin, diesem Beispiel folgte 1979 Hamburg, Bayern zögerte bis 1990 und bildet somit das Schlusslicht unter den alten Bundesländern (Rother 1999; Franzke 1997; Albrecht 1996; Müller-Franke 1996). Der Grund für die Einstellung von Frauen in den allgemeinen Polizeidienst sei aber, so einige Autoren übereinstimmend, der Nachwuchsmangel bei der Polizei gewesen und nicht etwa eine emanzipatorische Grundhaltung in der Institution (Hamm 1993; Pfarr 1993). Mittlerweile sind die Einstellungsvoraussetzungen für Frauen und Männer mit Ausnahme der Bewertungstabellen beim Sport (Magazin für die Polizei 1990: 17) identisch, Frauen werden teils sogar bei den SEK eingesetzt (Flocke 1996). Bei Neueinstellungen liegen die Frauenanteile zwischen 30% und 40% (vgl. Albrecht 1996; Müller-Franke 1996; Flocke 1996; Hamm 1993; Lückemeyer 1993; Pfarr 1993). Wegen der zurückliegenden Praxis

III

sind die Prozentwerte für die gesamte Schutzpolizei aber noch niedriger 103 und höhere Positionen haben Frauen selten inne.104 Das liegt zum einen daran, dass die Frauen innerhalb der kurzen Zeit ihrer allgemeinen Zulassung zum Polizeidienst noch nicht entsprechend aufsteigen konnten, zum anderen dürften dem auch Vorurteile entgegenstehen, die bei der Polizei ohne Zweifel ebenso zu finden sind (vgl. Kap. 4.4.3.) wie in anderen Institutionen. Ungebrochen ist zudem die Tendenz, Frauen vorzugsweise bei Amtshandlungen im Zusammenhang mit weiblichen Tätern und Opfern, mit Kindern und bei Familienstreitigkeiten einzusetzen. Laut Müller-Franke (1996) herrscht bei der Polizei eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung vor, bei der Frauen sozialarbeiterische Tätigkeiten übernehmen, Männer die „echte" Polizeiarbeit. Im Hinblick auf diese Tätigkeitsfelder der Frauen wird besonders betont, man habe gute Erfahrungen mit Polizistinnen gemacht und es entwickelten sich aus dieser Arbeitsteilung positiv zu wertende SynergieefFekte (vgl. Franzke/Wiese 1997; Flocke 1996; Magazin für die Polizei 1990: 17). 3.1.3. Personalstärke, Rekrutierung, Ausbildung, Hierarchien Zu den wichtigsten Kenndaten der Polizei zählen Informationen über deren Personalstärke, über die Kriterien, nach denen neues Personal rekrutiert wird, über Ausbildungsdauer und -inhalte, Uber Aufstiegskriterien und, damit verbunden, über die internen Hierarchien und die entsprechenden Verdienstmöglichkeiten. Die Hierarchieebenen zu kennen ist für das Verständnis der Interviews mit Polizisten teils unumgänglich. Interessant ist aber auch die soziale Zusammensetzung der Polizei, die hinter den Rekrutierungskriterien stehenden Vorstellungen davon, was einen Polizisten auszeichnen soll oder ebenso der Stellenwert, der verschiedenen Ausbildungsinhalten von der Institution und von den Polizisten selbst eingeräumt wird (vgl. Kap. 4). Zu beginnen ist mit der Personalstärke der Institution. Boldt (1992) gibt für das Jahr 1955 eine Gesamtzahl von 150.000 Polizisten an, darin enthalten sind sämtliche Sparten der Polizei, und laut Feltes (1984: 11) standen den Schutzpolizeien allein im Jahr 1960 etwa 100.000 Personen zur Verfügung. Danach, v.a. in den siebziger Jahren, wurde allein das Personal der Länderpolizeien um fast 60.000 Mann aufgestockt. Bei den Institutionen des Bundes (BGS, BKA und BfV) betrug der Personalzuwachs zwischen 1968 und 1974 7.000 Mann und von den achtziger Jahren aus betrachtet verdreifachte das BKA seine Mannschaft gegenüber 1960: von 500 auf 1.500 Mann. Den Hintergrund dieses massiven 103

Laut Franzke (1997) haben Thüringen und Sachsen mit 13% den höchsten Frauenanteil, in Bayern und Baden-Württemberg sind es z.B. nur 6%. Vgl. Lückemeyer (1993), Der Spiegel (1999b).

104

Müller-Franke (1996) gibt unter Berufung auf eine Studie der Polizei-Führungsakademie an, dass der Frauenanteil bei der Kriminalpolizei im gehobenen Dienst 9,9%, im höheren Dienst bei 5,1% beträgt. Bei der Schutzpolizei sind es im gehobenen Dienst 2,5%, im höheren Dienst 1,2% Frauen. Vgl. Flocke (1996). 112

Ausbaus der Polizei bildeten die ab ca. 1968 datierenden politischen Ereignisse, die Studentenproteste, Bürgerproteste und Demonstrationen auf der einen Seite sowie der Terrorismus und die aufkommende organisierte Kriminalität auf der anderen, die die Polizei vor neue Herausforderungen stellte (Boldt 1992: 35; Busch u.a. 1985: 76ff.; Heuer-Schräpel 1993; Such 1988; vgl. Kap. 3.I.2.). 105 Für die alten Bundesländer wurde Ende der achtziger Jahre bei Bund und Ländern ein Personalbestand von mindestens 200.000 Mann angegeben (Busch u.a. 1990; Jäger 1991) und inzwischen dürften es noch wesentlich mehr geworden sein. So ist auch das erklärte Ziel der Innenministerkonferenz von 1972 erreicht, zu einer Polizeidichte von 1 : 400 (Polizist pro Einwohner) zu kommen. 106 Allerdings sind solche Angaben, die sich auf das gesamte Bundesgebiet beziehen, wenig aussagekräftig, weil die Polizeidichte in den Bundesländern stark differiert: z.B. lag sie schon 1974 im Stadtstaat Berlin bei 1 : 141, im Flächenstaat Niedersachsen dagegen bei nur 1 : 615 (Helfer/Siebel 1975). Ein Vergleich zwischen den länderspezifischen Angaben von 1974 (Helfer/Siebel 1975) und 1994 (Harlan 1997, Tab. 16)107 zeigt außerdem ebenfalls den Personalzuwachs der Polizei auf. Die Polizeidichte von Niedersachsen hat sich in diesen zwanzig Jahren von 1 : 615 auf 1 : 4 1 5 gesteigert. Der Berliner Wert von 1 : 141 im Jahr 1974 wurde laut den vorliegenden Quellen aber nicht mehr unterschritten. Außerdem belegen die Daten von Harlan zweierlei: dass die Polizeidichte in den Stadtstaaten am höchsten ist und dass die neuen Bundesländer im Jahre 1994 bereits dieselbe Polizeidichte erreicht haben wie die alten Bundesländer. Z.T. liegen sie sogar über dem Durchschnitt.

105

Weitere Angaben finden sich u.a. bei: Feltes (1984), Busch u.a. (1990), Jäger (1991), Helfer/Siebel (1975).

106

Z.B. 1 : 430 laut Boldt (1992) und I : 366 laut Feltes (1984).

107

Außer diesen beiden Quellen liegen Angaben von Bleibtreu (1995) vor, die die folgende Argumentation stützen. Er gibt an, dass die Polizeidichte in den Bundesländern zwischen 1 : 180 und 1 : 429 liegt, in dem Text sind aber die zugehörigen Bundesländer nicht ausgewiesen. 113

Tab. 16:

BRD: Polizeidichte nach Bundesländern 1994

Bundesland Baden-Württemberg

Polizeidichte

Bundesland

1 446

Niedersachsen

Polizeidichte 1 415

Bayern

1 411

Nordrhein-Westfalen

1 433

Berlin

1 193

Rheinland-Pfalz

1 427

Brandenburg

1 294

Saarland

1 347

Bremen

1 222

Sachsen

1 402

Hamburg

1 200

Sachsen-Anhalt

1 320

Hessen

1 431

Schleswig-Holstein

1 414

Mecklenburg-Vorpommern

1 335

Thüringen

1 414

Quelle: Harlan 1997: 544.

Aber auch die Messgröße „Polizeidichte" zeichnet nur ein unscharfes Bild der Realität. Zu Recht wurde von Feltes und seinen Koautoren (Feltes 1984; Feltes/Gramckow 1994) darauf aufmerksam gemacht, dass sie wenig über die Präsenz der Polizei auf der Straße aussagt. Abzuziehen seien erstens all jene Polizisten, die im Innendienst arbeiten, zweitens sämtliche Ausfallzeiten, z.B. wegen Krankheit, Urlaub oder Fortbildungen. Berücksichtigt man außerdem, dass der Polizeidienst in mehrere Arbeitsschichten unterteilt ist, so kann man eine „sichtbare Polizeidichte" von etwa 1 : 10.000 errechnen (Feltes 1984: 12). In einem Artikel im Deutschen Polizeiblatt merkt der Dienstgruppenleiter Werner (1988) außerdem nicht zu Unrecht an, dass in Großstädten und an (internationalen) Verkehrsknotenpunkten die nur auf die regionale Wohnbevölkerung berechnete Polizeidichte z.B. Touristen und Pendler nicht berücksichtigt, obwohl die dortige Polizei auch für sie zuständig ist. Trotzdem wird sich die Argumentation beim Vergleich mit den lateinamerikanischen Polizeien auf die durchschnittliche Polizeidichte beschränken müssen, weil entsprechend differenzierende Daten für Lateinamerika nicht existieren. Für den Vergleich mit Lateinamerika bedeutsam sind außerdem die Rekrutierungskriterien der Polizei. Sie bestehen in den einzelnen Bundesländern in der Regel aus einer Altersbegrenzung, bestimmten Anforderungen an die Körpergröße, gesundheitlichen Mindestanforderungen (Polizeidiensttauglichkeit), Bestimmungen zur Staatsbürgerschaft und zum geforderten Bildungsabschluss sowie einer Eignungsprüfung. Teils werden außerdem ein „guter Ruf', 1 0 8 „geordnete wirtschaftliche Verhältnisse" 109 sowie eine „charakterliche und geistige

108 Z.B. bei der Polizei in Bayern und in Berlin: Polizei Bayern (2001), Polizei Berlin (2001). 109

Polizei Nordrhein-Westfalen (2001), Polizei Bayern (2001), Polizei Sachsen-Anhalt (2001), Polizei Hessen (2001).

114

Eignung" für den Polizeidienst" 0 gefordert und erwartet, dass die Bewerber nicht vorbestraft 111 und jederzeit bereit sind, „für die freiheitlich-demokratische Grundordnung" einzutreten" 2 (vgl. Fiedler 1993). Die gesundheitlichen Mindestanforderungen, die zukünftige Polizeischüler erfüllen müssen, sind bundeseinheitlich geregelt, alle anderen Kriterien variieren in den Bundesländern." 3 Im Hinblick auf die Staatsbürgerschaft geben die Polizeien der meisten Bundesländer an, dass Deutsche und EU-Ausländer freien Zugang zum Polizeidienst haben und gleich behandelt werden. Für andere Ausländer, benannt werden v.a. Menschen mit türkischer, jugoslawischer und polnischer Staatsbürgerschaft, gelten Sonderregelungen. Manche Bundesländer sind bei der Anwerbung von Ausländern noch verhalten. Sachsen-Anhalt und Bayern etwa geben als Einstellungsbedingungen die deutsche Staatsbürgerschaft an und verweisen nur vage darauf, dass „Ausnahmen möglich" (Polizei Bayern 2001) sind bzw. dass „bei Ausländern das Innenministerium entscheidet" (Polizei Sachsen-Anhalt 2001). Wo solche Sonderregelungen publiziert sind, bestehen sie hauptsächlich in einem gesicherten Aufenthaltsstatus, einer gewissen Verweildauer in der Bundesrepublik und der Beherrschung der deutschen Sprache sowie der eigenen Muttersprache (vgl. Polizei Nordrhein-Westfalen 2001; Polizei Berlin 2001; Polizeischule Hessen 2001; Polizei Hamburg 2001; Polizei Rheinland-Pfalz 2001)." 4 Die Forderung der Beherrschung der eigenen Muttersprache macht deutlich, dass man sich von der Einstellung von Ausländem verspricht, dass die Sprachbarrieren, die im Umgang mit dem polizeilichen Klientel eine gewichtige Rolle spielen, mit den personellen Ressourcen der Polizei selbst überwunden werden können. Mit dem Verzicht auf die deutsche Staatsbürgerschaft ist aber auch die Hoffnung verbunden, möglicherweise bestehende Vorbehalte gegen Ausländer

110

In unterschiedlichen Formulierungen: Polizei Nordrhein-Westfalen (2001), Polizei Sachsen-Anhalt (2001), Polizei Berlin (2001).

" ' P o l i z e i Nordrhein-Westfalen (2001), Polizei Bayern (2001), Polizei Rheinland-Pfalz (2001), Polizei Hamburg (2001), Polizei Sachsen-Anhalt (2001), Polizeischule Hessen (2001), Polizei Berlin (2001). 112

Polizei Nordrhein-Westfalen (2001), Polizei Rheinland-Pfalz (2001), Polizei SachsenAnhalt (2001), Polizei Berlin (2001).

" 3 Z.B. sind die Ansprüche an die Körpergröße höchst unterschiedlich. Genügen in Rheinland-Pfalz 162 cm, so müssen in Niedersachsen die männlichen Bewerber 168 cm groß sein, die weiblichen 163 cm. In manchen Ländern wird auch eine körperliche Maximalgröße angegeben, z.B. in Hessen (195 cm). Vgl. für Einzelheiten Polizei Berlin (2001), Polizeischule Hessen (2001), Polizei Sachsen-Anhalt (2001), Polizei Hamburg (2001), Polizei Niedersachsen (2001), Polizei Rheinland-Pfalz (2001), Polizei Bayern (2001). 114 Laut Funk (1995b) war Brandenburg bei der Einstellung ausländischer Mitbürger Vorreiter. Dort wurden 1994 erstmals 38 von 4 0 0 Ausbildungsplätzen nicht mit Deutschen besetzt. 115

in Polizeikreisen reduzieren zu können (vgl. Diederichs 1994, 1995d; Maurer 1995).115 Bei dem für die Einstellung in den Polizeidienst geforderten Bildungsniveau sowie dem Minimal- und Maximalalter dominieren in der BRD zwei Modelle, die ihrerseits von der polizeilichen Ausbildung mitbestimmt sind: in einem Teil der Bundesländer kann man sich entweder für den gehobenen oder für den mittleren Dienst bewerben, im anderen Teil nur für den gehobenen Dienst. Der gehobene Dienst bei der Polizei setzt ein Fachhochschulstudium (i.d.R. an einer Fachhochschule für Verwaltung - Abteilung Polizei) voraus und deshalb ist die Fachhochschulreife oder die allgemeine Hochschulreife die Grundvoraussetzung für eine Bewerbung bei den Polizeien der Länder, die diesem Modell folgen." 6 Die obere Altersgrenze ist in diesen Bundesländern meist verhältnismäßig großzügig und liegt bei 31 oder 32 Jahren. Die Bundesländer (z.B. Berlin, Bayern, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein), die wahlweise für den gehobenen oder den mittleren Dienst ausbilden, stellen unterschiedliche Anforderungen. Im Bereich des gehobenen Dienstes sind die Anforderungen ähnlich wie eben beschrieben: Bewerber dürfen maximal 31 oder 32 Jahre alt sein und müssen die Fachhochschulreife oder darüber liegende Schulabschlüsse belegen. Außerdem können sich dort aber 16- bis 25-Jährige für den mittleren Dienst bewerben." 7 Der für den mittleren Dienst geforderte Schulabschluss ist i.d.R. die Mittlere Reife, aber auch hierbei werden Ausnahmen gemacht. Hamburg und Bayern lassen Hauptschulabgänger zu, wenn sie eine abgeschlossene Berufsausbildung nachweisen können und in Berlin genügt die Absolvierung der erweiterten Hauptschule, um Polizist zu werden (Polizei Sachsen-Anhalt 2001; Polizei Hamburg 2001; Polizei Bayern 2001; Polizei Berlin 2001; Polizei SchleswigHolstein 2001). Können die Interessenten die beschriebenen Einstellungsvoraussetzungen erfüllen, so folgt die Teilnahme an einem Auswahlverfahren oder einer Einstel115

'16

117

Vgl. die Debatte um die Vorwürfe, in der Institution gäbe es fremdenfeindliche Tendenzen. Z.B.: Diederichs (1995c), Jaschke (1994a, 1994b), Murck (1994, 1996), Kap. 1 u. 4.2. Z.B. Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz. Eine Ausnahme macht Niedersachsen. Dort sind zwar Bewerber zugelassen, die nur über einen mittleren Schulabschluss verfügen, sie müssen die Fachhochschulreife aber an einer speziellen Fachoberschule für Verwaltung und Rechtspflege (Schwerpunkt Polizeivollzugsdienst) nachholen, d.h. im Endeffekt wird auch hier die Fachhochschulreife gefordert (Polizei Nordrhein-Westfalen 2001; Polizeischule Hessen 2001; Polizei Rheinland-Pfalz 2001; Polizei Niedersachsen 2001). Bayern ab 17, Berlin und Hamburg bis 24: Polizei Bayern (2001), Polizei Hamburg (2001), Polizei Berlin (2001). Darüber hinaus gibt es Sonderregelungen. Beispielsweise wird die Altersgrenze in Hamburg nach oben gesetzt, wenn Bewerber über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen, beim Polizeipräsidium München gibt es ein Sonderprogramm für „Altbewerber" zwischen 24 und 34 und Berlin hält Sonderregelungen für 25- bis 39-jährige bereit (Polizei Hamburg 2001; Polizei Bayern 2001; Polizei Berlin 2001).

116

lungsprüfung. Neben der oben bereits aufgeführten Feststellung der Polizeidiensttauglichkeit, bei der es sich im wesentlichen um eine ärztliche Untersuchung handelt, die feststellen soll, ob die Kandidaten den körperlichen Belastungen des Polizeiberufs gewachsen sind, müssen eine Reihe an Tests bestanden werden. Beim Sporttest müssen in allen Bundesländern bestimmte Mindestleistungen erbracht werden," 8 die mehrheitlich für Frauen und Männer unterschiedlich definiert sind. Die schriftlichen und mündlichen Prüfungen sind von Bundesland zu Bundesland verschieden. In Hessen z.B. werden „Intelligenz-, Konzentrations-, Leistungs-, Wissens- und Rechtschreibtests" verlangt und eine Gruppendiskussion sowie ein Einzelgespräch gefuhrt, um die „AusdrucksfUhigkeit" der Bewerber festzustellen und um einen „Eindruck von der Persönlichkeit" derselben zu bekommen (Polizeischule Hessen 2001). Bayern baut auf einen „Sprach- und Grundfähigkeitstest", auf ein „Einstellungsgespräch in Form eines strukturierten Interviews" zur „Feststellung der sozialen Kompetenz, der Belastbarkeit und der Leistungsmotivation" sowie auf eine „Gruppendiskussion" zur „Feststellung der kommunikativen Fähigkeiten, der Initiative und des Kooperationsvermögens" (Polizei Bayern 2001). In jedem Fall kann damit unter den Bewerbern streng selektiert werden, weil deren Zahl die Anzahl der Ausbildungsplätze meist übersteigt (Die Streife 1989). Bei der Darstellung der an das Auswahlverfahren anschließenden Ausbildung zum Polizeibeamten (vgl. Heuer 1997: 381 f.) kann abermals zwischen den beiden beschriebenen Hauptmodellen differenziert werden. Für den mittleren Dienst dauert die Ausbildung z.B. in Bayern 30 Monate und findet hauptsächlich in den Ausbildungsseminaren der Bayerischen Bereitschaftspolizei statt (vgl. Kap. 3.1.2.). Im ersten zwölfmonatigen Ausbildungsabschnitt werden Polizeitheorie und Polizeipraxis gelehrt. Unter Polizeitheorie werden die für die Polizei relevanten Rechtsgebiete (Verkehrsrecht, Allgemeines Polizeirecht, Strafrecht, Beamtenrecht) sowie politische Bildung, Englisch, Berufsethik und Kriminalistik verstanden. Die Polizeipraxis umfasst Einsatztraining, Polizeidienstkunde, Sport, Techniken des geschlossenen Einsatzes, Waffen- und Schießausbildung, Kommunikations- und Konfliktbewältigung, EDV und Erste Hilfe. Diese Lehrinhalte werden im zweiten zwölfmonatigen Ausbildungsabschnitt fortgeführt. Außerdem muss in dieser Zeit ein Praktikum von drei Monaten absolviert werden. In den letzten sechs Monaten wird die Anstellungsprüfung für den mittleren Polizeidienst vorbereitet. Während der Ausbildung verdienen die Polizeischüler als Polizeimeisteranwärter bzw. Polizeioberwachtmeister bereits zwischen DM 1.500,- und DM 2.500,- netto (vgl. Tab. 17). Nach Ausbildungsabschluss werden sie zu Polizeimeistern befördert (Polizei Bayern 2001).

11R

Details z.B. in: Polizei Sachsen-Anhalt (2001); Polizei Bayern (2001).

117

Tab. 17:

BRD: Dienstgrade und Besoldung der Bayerischen Landes polizei

Dienstgrad

Kriterien der Berechnung der Besoldung in Spalte 3

MITTLERER DIENST (Schulterstück mit grünen Emblemen) Polizeimeisteranwärter/in ledig, 1. Dienstjahr, Steuerklasse I Polizeioberwachtmeister/in Bes.-Gruppe A5, 18 Jahre, ledig, 2. Dienstjahr, Steuerkl. I Polizeioberwachtmeister/in Bes.-Gruppe A5, 20 J., ledig, 3. Dienstjahr, Steuerkl. I Bes.-Gruppe A7, 22 J., ledig, Steuerkl. I Polizeimeister/in Polizeiobermeister/in Bes.-Gruppe A8, 27 J., verh., 1 Kind, Steuerkl. III Polizeihauptmeister/in Bes.-Gruppe A9, 31 J., verh., 2 Kinder, Steuerkl. III GEHOBENER DIENST (Schulterstück mit silbernen Emblemen) Polizeikommissaranwärunter 19 J., ledig, 1. Dienstjahr, Steuerkl. I ter/in Polizeioberwachtmeister/in Bes.-Gruppe A5, 20 J., ledig, 3. Dienstjahr, Steuerkl. I Polizeikommissar/in Bes.-Gruppe A9,24 J., ledig, Steuerklasse I Polizeioberkommissar/in Bes.-Gruppe AI0, 27 J., verh., 1 Kind, Steuerkl. III Polizeihauptkommissar/in Bes.-Gruppe AI 1, 32 J., verh., 2 Kinder, Steuerkl. III Polizeihauptkommissar/in Bes.-Gruppe AI2, 40 J., verh., 2 Kinder, Steuerkl. III Erste/r Polizeihauptkom- Bes.-Gruppe AI3, 50 J., verh., keine Kinder, missar/in Steuerkl. III HÖHERER DIENST (Schulterstück mit goldenen Emblemen) k.A. Polizeirat k.A. Polizeioberrat Polizeidirektor k.A. Leitender Polizeidirektor k.A. Leitender Medizinaldirek- k.A. tor k.A.

Polizeipräsident

Besoldung in DM (Netto) 1.497,2.517,2.605,2.858,3.863,4.344,-

1.575,2.636,3.201,4.367,5.091,5.673,6.210,-

k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. k.A.

119

Quelle: Polizei Bayern 2001

119

Diese Angaben werden durch die aus anderen Bundesländern im Wesentlichen bestätigt. Vgl. Polizeischule Hessen (2001); Polizei Nordrhein-Westfalen (2001); Polizei SachsenAnhalt (2001).

118

Die Ausbildungszeit für den gehobenen Dienst der bayerischen Polizei beträgt drei Jahre. Im jeweils ersten Halbjahr werden die Grundausbildung bei der Bereitschaftspolizei und verschiedene Praktika absolviert. 120 Das jeweils zweite Halbjahr dient der theoretischen Ausbildung an der Beamtenfachhochschule. Die zukünftigen Polizisten müssen dort die Anstellungsprüfung ablegen, erhalten daraufhin den Titel „Diplomverwaltungswirt FH" und werden anschließend zum Polizeikommissar ernannt (Polizei Bayern 2001; vgl. Heuer 1997). Exakte Angaben über die Struktur des Fachhochschulstudiums in den Bundesländern, die ausschließlich in den gehobenen Dienst einstellen, liegen nicht vor. In der Regel dauert das Studium an den dortigen Fachhochschulen aber ebenfalls drei Jahre und es ist ebenfalls mit Praktika durchsetzt. Im theoretischen Teil gelehrt werden laut den Angaben der Polizei Nordrhein-Westfalen (2001; vgl. Polizei Hessen 2001; Polizei Niedersachsen 2001) verschiedenste Rechtsgebiete (Staatsrecht, Straf- und Strafprozessrecht, Zivilrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht, allgemeines Verwaltungsrecht, Eingriffsrecht, Verkehrsrecht) sowie Einsatzlehre, Kriminalistik, Führungslehre, Politikwissenschaft, Soziologie, Psychologie, Pädagogik, Ethik und Verhaltenstraining (vgl. Heuer 1997). Wie sich die Inhalte auf die Gesamtstundenzahl der zukünftigen Polizisten verteilen, geht aus den Quellen der Polizei selbst nicht exakt hervor, im Allgemeinen ist aber davon auszugehen, dass die juristischen Gebiete, die Polizeitheorie und die Polizeipraxis gegenüber den gesellschafts- und sozialwissenschaftlichen Themen dominieren. Letztere machen laut Heuer (1997: 328; vgl. Anonym 1982) zwar inzwischen 14,8% des gesamten Lehrstoffs aus, an der Grundtatsache ändert dies aber wenig. Die oberste Hierarchieebene bei der Polizei ist der höhere Dienst. Der Aufstieg in diese Kategorie ist seit 1972 mittels eines Bund-Länderabkommens bundeseinheitlich geregelt 121 und führt seitdem Uber die Polizei-Führungsakademie 1 2 2 (Anonym 1982). Dort werden sowohl Kriminal- als auch Schutzpolizisten ausgebildet, die für höhere Führungspositionen geeignet sind. Darunter fallen z.B. die Leitung größerer Polizeidienststellen oder Einheiten, spezielle Aufgaben in den Zentralbehörden des Bundes und der Länder und die Mitwirkung bei der Aus- und Fortbildung. Die Polizisten, die sich für den höheren Polizeidienst qualifizieren wollen, werden von den für sie zuständigen Behörden beim Bund bzw. bei den Ländern ausgewählt. Voraussetzung ist, dass die Beam-

120

Innerhalb der Dienstgruppe und beim Dienstgruppenleiter einer Polizeiinspektion (fünf Monate); bei der Bereitschaftspolizei (eineinhalb Monate einsatztaktische Ausbildung); in der Polizeidirektion (eineinhalb Monate. Sachgebiet Einsatz und Einsatzzentrale); schließlich bei einer Kriminalpolizeidirektion (zwei Monate Sachbearbeiter gehobener Dienst) (Polizei Bayern 2001).

121

1992 erfolgte der Beitritt der neuen Bundesländer zu diesem Abkommen.

122

Die PFA dient außerdem als Fortbildungsinstitution für den gehobenen und höheren Dienst, der polizeirelevanten Forschung und sie pflegt internationale Beziehungen (Polizei-Führungsakademie 2001).

119

ten mindestens vier Jahre im gehobenen Dienst tätig waren (Polizei Niedersachsen 2001) und sich entsprechend bewährt haben (dienstliche Beurteilung, Fortbildungen usw.). Die Polizei-Führungsakademie führt kein eigenes Auswahlverfahren mehr durch. Das Studium für den höheren Dienst dauert abermals zwei Jahre. Davon wird das erste Jahr in den verschiedensten polizeilichen Institutionen bei Bund und Ländern durchgeführt, das zweite Jahr an der Polizei-Führungsakademie. Während dieser Zeit studieren die Polizeibeamten in drei Fachbereichen: dem Fachbereich I „Führung, Organisations- und Wirtschaftswissenschaften", dem Fachbereich II „Polizeiliches Management", und dem Fachbereich III „Rechts- und Sozialwissenschaften". Die jeweiligen Stundenzahlen sind der Tabelle 18 zu entnehmen. Wie sich unschwer erkennen lässt, gilt der Schwerpunkt des Studiums der Einsatzlehre und den Rechtsfächern. Sie machen gemeinsam mit 681 Stunden 41% der Ausbildung aus. 123 Die die Kernaufgaben der Polizei berührenden Fachgebiete Kriminalistik/Kriminologie und Verkehrslehre (gemeinsam 26% der Ausbildungsstunden) sowie die auf die kommenden Führungsaufgaben zugeschnittenen Fächer Führungslehre und Organisation (gemeinsam 15% der Ausbildungsstunden) sind ebenfalls stark vertreten. Sozialwissenschaften und Ethik haben die Aufgabe „Aussagen zum zunehmenden Legitimationsbedarf der Polizei für die Tätigkeiten und Maßnahmen im Innen- und Außenverhältnis" zu machen und für die „Erhöhung der Führungskompetenzen" (Polizei-Führungsakademie 2001) zu sorgen. Sie machen rd. 13% dieses Studiums aus.

123

Während für Außenstehende über die Inhalte der Rechtsfächer eine Vorstellung bestehen dürfte, bedarf das Fach Einsatzlehre einer Erläuterung. Laut der PFA selbst beinhaltet die Einsatzlehre folgendes: „Die Bewältigung besonderer Polizeilagen, die nur durch planvolles Zusammenwirken von Polizeikräften unter der Führung von Beamtinnen und Beamten des höheren Polizeivollzugsdienstes gelöst werden können, bilden den Kern der Studieninhalte, die in diesem Fach analysiert und strategisch/taktisch gelehrt werden. Ein Großteil der Inhalte des Fachs wird nach theoretischer Vorbereitung durch Lehrveranstaltungen in Form von (Plan-) Übungen vermittelt" (Polizei-Führungsakademie 2001).

120

Tab. 18:

BRD: Studieninhalte der Ausbildung für den höheren Polizeidienst (Aufstiegsbeamte) 124 Stunden im 1. Studienjahr

Stunden im 2. Studienjahr

Gesamt

Gesamt

Fachbereich 1: Führung, Organisations- u. Wirtschaftswissenschaften Führungslehre

54

84

138

Organisationswissenschaften

46

63

109

25

25

--

272

Wirtschaftswissenschaften Gesamt

272

Fachbereich II: Polizeiliches Management Einsatzlehre

101

216

317

Kriminalistik

55

128

183

Kriminologie

56

56

112

Verkehrslehre

60

73

133

Polizeitechnik

45

5

Gesamt

50 795

795

Fachbereich III: Rechts- und Sozialwissenschaften Rechtswissenschaften

280

84

364

Sozial Wissenschaften

74 i

120

194

Ethik Gesamt Gesamt

30

30 588

588 1.655

1) in Sozialwissenschaften enthalten Quelle: Polizei-Führungsakademie 2001

Insofern kann die in den siebziger und achtziger Jahren häufig vorgebrachte Kritik, Sozialwissenschaften würden innerhalb der Ausbildung von Polizeibeamten einen sehr geringen Stellenwert einnehmen (vgl. Anonym 1982; Busch u.a. 1985: 155f.), im Hinblick auf die Lehrinhalte für Führungskräfte nur noch modifiziert aufrecht erhalten werden. Markant ist in diesem Zeitraum auch die vermehrte Rekrutierung von Polizeianfängern mit höheren Bildungsabschlüssen und die enorme Expansion der polizeiinternen Aus- und Fortbildung (vgl. Anonym 1982). Waren in den Fünfzigern und Sechzigern noch mehrheitlich Hauptschüler zur Polizei gegangen und kämpfte die Polizei damals noch mit Nach-

124

Neben der Ausbildung für Aufstiegsbeamte, d.h. Polizisten, die ursprünglich in den mittleren oder gehoben Dienst eingestiegen sind, besteht für Personen mit bestimmten Hochschulabschlüssen die Möglichkeit, an der PFA zu studieren (Polizei-Führungsakademie 2001; Polizei Nordrhein-Westfalen 2001).

121

wuchsmangel, so konnte die Wochenzeitung Die Zeit bereits 1976 von der „Sensation" berichten, dass Hauptschulabgänger bei der Polizei so gut wie keine Chance auf Einstellung mehr haben (Anonym 1982). Daran, dass mehr Realschüler und Gymnasiasten den Weg zur Polizei fanden, waren mehrere Prozesse beteiligt. Zu nennen sind die allgemeine Bildungsexpansion, die das Angebot Höherqualifizierter verbreiterte, die Verschlechterung des Arbeitsmarktes und Besoldungsverbesserungen bei der Polizei. Dies alles macht den Polizeiberuf für Menschen mit höheren SchulabschlUssen attraktiver und so wurde innerhalb weniger Jahre aus dem Nachwuchsmangel ein Überangebot an Bewerbern (vgl. Busch u.a. 1985: 148ff., 153ff., 159ff.). Bezogen auf alle Ausbildungsniveaus bleiben aber Ausbildungsmerkmale erhalten, die seit langem in der Kritik stehen. Nach wie vor Bestand hat das Prinzip, dass Polizeischüler „internatsmäßig" untergebracht (vgl. Kap. 4.1., Busch u.a. 1985: 156ff.) und die Ausbilder zugleich Vorgesetzte sind. Dadurch sind Polizeischüler und -Studenten von ihren Lehrern sehr abhängig und werden von Mitgliedern anderer Berufe abgeschirmt. Auch nehmen die „gewaltbereiten Techniken der Konfliktaustragung" von der Waffenkunde bis zur Selbstverteidigung (Busch u.a. 1985: 158) immer noch einen hohen Stellenwert ein, ebenso wurde wenig an der Dominanz der Rechtsfächer geändert. Gegen die Rechtskunde ist zwar an sich nichts einzuwenden, sie geht aber zu Lasten anderer Fächer, die einen konsensualen statt legal istischen Standpunkt der Konfliktaustragung begünstigen könnten, so die Kritik (vgl. Steinen 1991).

3.2. Geschichte und Struktur der chilenischen Polizei 3.2.1. Die Geschichte der chilenischen Polizei Die Geschichte der chilenischen Polizei ist bis in die jüngste Vergangenheit aufs Engste mit der des chilenischen Militärs verknüpft. Dies zeigt sich bis heute im Selbstverständnis der Carabineros de Chile als „kleine Brüder" des Militärs und in ihrer institutionellen Anbindung an das Verteidigungsministerium (vgl. Kap. 3.2.2., 4.3.4.). Das im Verhältnis zu anderen lateinamerikanischen Polizeien und trotz der Gräueltaten des letzten Militärregimes relativ hohe Ansehen der Carabineros de Chile in der Bevölkerung (vgl. Kap. 4.2.) steht ebenfalls in einem engen Zusammenhang mit der Rolle des Militärs in der Geschichte des Landes und während seiner staatlichen Konstituierung. Chile hatte mit Beginn der Unabhängigkeitsbestrebungen Anfang des 19. Jahrhunderts eine professionelle Armee aufgestellt, die sich in sämtlichen bewaffneten Auseinandersetzungen im Süden Lateinamerikas als schlagkräftig und siegreich erwiesen hat. Die ersten entscheidenden Schlachten waren die Unabhängigkeitskriege der verbündeten argentinisch-chilenischen „Armee der Anden" unter José de San Martin und Bernardo O'Higgins gegen die Spanier, die 1818 die formelle Unabhängigkeit Chiles ermöglichten. Eine weitere wichtige Rolle für den Ruf der chilenischen 122

Sicherheitskräfte spielt die Ausdehnung des chilenischen Territoriums auf den Süden des heutigen Chile. Die dort ansässigen indígenas vom Stamm der Araukaner hatten bereits im 16. Jahrhundert wirkungsvoll zu verhindern gewusst, dass die Spanier südlich des Flusses Bio Bio bzw. der Stadt Valdivia Fuß fassen konnten. Diesen Status hielten die kampferprobten Araukaner annähernd drei Jahrhunderte aufrecht. Immer wieder wurden im Grenzgebiet verlustreiche Schlachten geschlagen und dies hatte zur Folge, dass sich in die kollektive Psyche der Bewohner des damaligen Chile fest einbrannte, dass militärische Organisationen und Aktionen ein dauerhafter Bestandteil des gesellschaftlichen Zusammenlebens sind. Erst ab Mitte des 19. Jahrhundert konnte die chilenische Armee in das Gebiet eindringen und damit die Eroberung des heutigen Staatsgebiets zu Ende bringen (Hudson 1994). Weitere Kriege gegen Spanien (1865 1866) sowie gegen die peruanisch-bolivianische Konföderation (1836 - 1839, 1879 - 1883) im sog. Salpeterkrieg, die zu Gunsten Chiles ausgingen, beförderten zusätzlichen den Ruf der chilenischen Armee, besonders effektiv zu sein. Seitdem brauchte sich die chilenische Armee allerdings nicht mehr in internationalen Konflikten zu beweisen, so dass ihre Geschichte in der Bilanz insoweit ruhmreich ausfällt (Hudson 1994; vgl. Hudson/Hanratty 1989). Kurz nach dem Ende des Salpeterkriegs 1885 kam zudem Emil Körner, ein preußischer General, als Militärberater ins Land (Hudson 1994). Dies gilt als entscheidende Weichenstellung für das chilenische Militär und trug neben dem Ruf des Militärs dazu bei, dass Chile bis heute als das Preußen Lateinamerikas etikettiert wird (Hudson 1994; Miller 1992). Erste polizeiliche Ordnungsdienste wurden in Chile schon mit der Gründung der Stadt Santiago (1541) eingerichtet (Carabineros de Chile 2000), professionelle chilenische Polizeikräfte wurden wie das Militär aber erst mit Beginn des 19. Jahrhunderts aufgebaut. Folgt man den heutigen Selbstdarstellungen der chilenischen Polizei (Carabineros de Chile 2000; Policía de Investigaciones 1998), so geht ihre Gründung in erster Linie auf das vorher bereits (ab ca. 1780, vgl. Carabineros de Chile 2000) existierende Nachtwächtersystem in den chilenischen Städten zurück. Aber bereits im kolonialen Chile waren die Queens Dragons bzw. ab 1810 die Dragones de Chile (vgl. Caro 1999a; Hudson 1994) tätig. Bei ihnen handelte es sich um eine berittene Truppe, die dem Militär zugehörig war, aber in ruralen Gebieten polizeiliche Aufgaben erfüllte (Caro 1999a; vgl. Hudson 1994). Diese Vorläuferschaft erklärt, warum noch heute berittene Carabineros in Santiago patrouillieren und als Aushängeschild der chilenischen Polizei gelten (Cuadro Verde). Die weitere Entwicklung der chilenischen Polizei im 19. Jahrhundert ist am anschaulichsten darzustellen, indem zwischen städtischen und ländlichen Polizeien unterschieden wird. Beginnend in Santiago, wurde die Polizei auf der Basis des Nachtwächtersystems (Cuerpo de Serenos) organisiert und die anderen Städte zogen nach. Ergänzt wurde sie im Laufe der ersten Hälfte des Jahrhunderts durch den Cuerpo de Vigilantes de Policía Diurna, eine Parallelorganisati123

on, die fíir die Tagesstunden zuständig war. Beide wurden 1850 zu einer Brigada de Policía zusammengefasst. Nach etlichen Namensänderungen und Umstrukturierungen ging daraus 1896 die Policía Fiscal (Überwachungspolizei) hervor (Carabineros de Chile 2000). Zusätzlich bekamen Städte und größere Gemeinden das Recht zugestanden, weitere Polizeieinheiten aufzustellen. Sie nutzten dies v.a. dazu, um zivil auftretende Truppen zu bilden, die kriminalpolizeiliche Aufgaben wahrnahmen. Dazu zählen z.B. die Policía Secreta (Geheimpolizei) in Valparaiso und die Guardias Comisionados (Wachbeauftragte) in Santiago de Chile, die 1864 gegründet wurden {Policía de Investigaciones 1998). Ab 1887 wurde fíir Santiago mit dem neuen Gemeindegesetz festgelegt, dass jeder Polizeidienststelle, die mindestens 100 Mann Personal hat, eine eigene Abteilung für kriminalpolizeiliche Ermittlungen (Secciones de Pesquisas, ab 1896 Secciones de Seguridad) angegliedert wird (Policía de Investigaciones 1998). Insofern kann gesagt werden, dass in Chiles Städten mit der Policía Fiscal und den Secciones de Seguridad zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowohl Schutz- als auch Kriminalpolizeien existierten. In den ländlichen Regionen waren ganz andere Probleme zu bewältigen als in der Stadt. Im eben erst den Araukanern abgerungenen Süden von Santiago hatte Chile im 19. Jahrhundert mit ausufernder Bandenkriminalität zu kämpfen (Hudson 1994; Carabineros de Chile 2000; Caro 1999a). Um sie in Schach zu halten wurde das berittene Cuerpo de Gendarmes125 gegründet, dem es bis etwa zur Jahrhundertwende gelang, die Aktivitäten der Banden einzudämmen. Auch in den nördlichen Gebieten und insb. im Bereich der für Chiles Wirtschaft bedeutenden Salpeterminen waren Teile der militärischen Kavallerie für die Sicherheit zuständig. Diese Einheit wechselte wie die anderen öfter ihren Namen: zuerst wurde sie als Gendarmes del Ejército, dann als Regimiento de Carabineros und schließlich als Cuerpo de Carabineros bezeichnet. Die genauen Zeitpunkte der Namenswechsel sind kaum zu ermitteln,126 wichtiger sind ohnehin drei Grundmerkmale der ländlichen Polizei Chiles im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Zum einen waren sämtliche Polizeieinheiten ursprünglich militärisch geprägt. Zum anderen unterstand die Polizei schon damals dem Verteidigungsministerium (Hudson 1994). Außerdem wurden in diesem Zeitraum die Gendarmen des Südens und die Carabineros des Nordens miteinander vereinigt. Daran war in der Person von Körner das Militär beteiligt und damit wurde die preußi-

125 126

In Anspielung auf die erst kurz zurückliegende Eroberung des Gebiets auch Gendarmes de las Colonias. U.a. da sich die Quellen widersprechen. Hudson (1994) legt die Gründung der Gendarmes de la Frontera auf das Jahr 1902, laut Caro (1999a) wurden im selben Jahr die Gendarmes del Ejército aufgestellt. Laut Caro ging 1906 das Regimiento de Carabineros aus den Gendarmes del Ejército hervor. Hudson gibt an, dass dasselbe Regimiento de Carabineros ein Jahr (1907) später entstanden sei und nicht die Weiterentwicklung der Gendarmes del Ejército sondern der Gendarmes de la Frontera (d.h. de los Colonias) darstellt.

124

sehe Prägung chilenischer Sicherheitskräfte auf die Polizei ausgeweitet (Caro 1999a; vgl. Aguila Zúfliga/Maldonado Prieto 1996). Die nächste Phase in der Geschichte der chilenischen Polizei galt deren Professionalisierung und Zentralisierung. Für die in ruralen Gebieten eingesetzten Truppen wurde eine erste Ausbildungsstätte eingerichtet und es galt wie in Deutschland auch, neu entwickelte Techniken in die Polizeiarbeit einzubeziehen (Hudson 1994; Policía de Investigaciones 1998). Die Zentralisierung begann 1924 mit der Vereinheitlichung der kommunalen Polizeien. Zu diesem Zweck wurde Chile in fiinf Zonen eingeteilt und die Polizeien in drei funktional differente Divisionen untergliedert (Hudson 1994). Der wichtigste Zentralisierungsschub wird aber durch den 27. April 1927 markiert, den Tag der Gründung der heute noch so bezeichneten Carabineros de Chile (Hudson 1994; Caro 1999a; Aguila Zúñiga/Maldonado Prieto 1996). Zusammengefasst wurden dabei von der damaligen militärisch dominierten Regierung sämtliche kommunalen Polizeien, die Kriminalpolizeien, die städtische Policía Fiscal und der Cuerpo de Carabineros. Seitdem sorgen die Carabineros im gesamten chilenischen Territorium für Sicherheit und Ordnung (Carabineros 2000; Caro 1999a; Policía de Investigaciones 1998). Bemerkenswert ist an dieser Zusammenlegung, dass ausgerechnet der Name der Carabineros weitergeführt wurde, jener Einheit nämlich, die besonders stark im Militär verwurzelt war (vgl. Aguila Zúfliga/Maldonado Prieto 1996). In der demokratischen Phase Chiles (1932 - 1973) wurden manche der vorhergehenden Entwicklungen rückgängig gemacht. Bereits 1932 wurde die Kriminalpolizei als Servicio de Investigaciones, Identificación y Pasaportes (Abteilung für Ermittlungen, Personalkontrollen und Pässe) aus den Carabineros de Chile ausgegliedert (Hudson 1994), 1939 wurden die Carabineros von der damaligen zivilen Regierung aus der direkten Abhängigkeit vom Militär entlassen und dem Innenministerium zugeordnet (Caro 1999a) und ab 1960 wurden die Carabineros nicht mehr als Organisation „militärischen Charakters" (carácter militar) bezeichnet. Nach dem chilenischen Militärputsch von 1973 wurden die wichtigsten Reformen der demokratischen Regierungen aber revidiert: die Carabineros und die Policía de Investigaciones wurden den Streitkräften zu- und dem Verteidigungsministerium untergeordnet und das Polizeigesetz von 1975 nahm den Passus wieder auf, der die Carabineros als Institution „militärischen Charakters" bezeichnet. Noch im Jahr 1973127 wurde des Weiteren die berüchtigte Geheimpolizei DINA (Dirección de Inteligencia Nacional) gegründet und innerhalb der Carabineros die Sondereinheit DIMOCAR (Dirección de Comunicaciones de Carabineros) (Nolte 1989; vgl. Caro 1999a). Die ersten Jahre (1973 - 1976) des Militärregimes waren jene, in denen sich die Oppositionellen einer besonders scharfen Verfolgung ausgesetzt sahen und in denen am meisten aus politischen Gründen Ermordete, „Verschwundene", l"?7

Hudson (1994); laut Nolte (1989) war dies erst 1974 der Fall.

125

Gefolterte und Vertriebene zu beklagen waren (Nolte 1989; vgl. Kap. 1.2.4.). Die Täter vieler dieser massenhaften Menschenrechtsverletzungen sind bei den Militärs und den Carabineros zu suchen, aber die Hauptakteurin war schon kurz nach ihrer Gründung die DINA unter der Leitung von Oberst Contrera (Hudson 1994; Nolte 1989). Die DINA begann mit einem Personalstand von gerade einmal 600 Mann. Die Bedeutung, die ihr zugemessen wurde, sowie die Unterstützung, die ihr zuteil wurde, lässt sich daran ablesen, dass ihr Personalstand in den wenigen Jahren bis 1977 auf 9.300 Mitarbeiter aufgestockt wurde. Außerdem arbeiteten ihr mindestens 20.000 Informanten zu (Nolte 1989). 1977 wurde sie schon wieder aufgelöst, wohl auf Druck der amerikanischen Carter-Regierung. Aber auch innerhalb des Offizierskorps und der Unternehmer hatte sich gegen die DINA aufgrund deren Methoden und Machtposition Widerstand geregt (Nolte 1989). Auf einen internen Nachrichtendienst verzichtet hat das PinochetRegime danach indes nicht: 1977 bis 1990 bestand das CNI (Centro Nacional de Información), das eine enorme Machtfülle hatte, aber nicht mehr in der Weise der DINA repressiv wirkte (Hudson 1994). Nach der beschriebenen ersten Phase des Pinochet-Regimes ließ die Repression nach. Das heißt nicht, dass es nach 1977 keine Tötungen und keine Folter durch die Sicherheitskräfte mehr gegeben hätte, aber quantitativ betrachtet waren es sehr viel weniger Fälle als vorher (vgl. Nolte 1989). 1980 wurde in Chile per Plebiszit eine neue Verfassung eingesetzt, die u.a. fiir 1988 ein Referendum vorsah, mittels dem über eine weitere achtjährige Präsidentschaft Pinochets (d.h. bis 1996) abgestimmt werden sollte. Pinochet und seine Gefolgsleute hatten wegen der positiven Wirtschaftsdaten damals guten Grund anzunehmen, dass dieser weiteren Amtszeit zugestimmt werden würde. Ab 1983 trieb der wirtschaftliche Einbruch Chiles aber die Arbeitslosigkeit nach oben und die folgenden politischen und sozialen Proteste wurden von Polizei und Militär gewaltsam niedergeschlagen. Mehrmals wurde der Belagerungszustand ausgerufen. Gleichzeitig reetablierte sich die Opposition. Bis zum Plebiszit von 1988 gelang es ein Bündnis von 16 Parteien (Concertación de Partidos por el No) zu schmieden, das es in Angriff nahm, die Bevölkerung Chiles auf ein „Nein" beim Plebiszit einzuschwören, d.h. gegen eine weitere Amtszeit Pinochets zu stimmen. Die Opposition siegte am 5. Oktober 1988 knapp: 55% stimmten gegen, 43% für Pinochet (Nolte 1989; vgl. Lauga 1996). Bei den anschließenden Wahlen (1989), siegte der Kandidat des Bündnisses, Patricio Aylwin, und es wurde eine Überarbeitung der Verfassung in Gang gesetzt, die in einem weiteren Volksentscheid angenommen wurde (Lauga 1996; Nolte 1989). Aufgrund des extrem knappen Ergebnisses des Plebiszits von 1988 konnten sich Pinochet und das Militär aber gehörigen Einfluss auf die neue Verfassung sichern und dies hatte zum Ergebnis, dass die Sicherheitskräfte in ihrer Macht nur wenig beschnitten wurden. Die wichtigste Änderung in Bezug auf diese Institutionen war, dass die Zusammensetzung des Nationalen Sicherheitsrates gegenüber 1980 geändert wurde. Vormals hatten die Streitkräfte gemeinsam mit 126

dem Vertreter der Carabineros die Stimmenmehrheit (Lauga 1996: 120), nun wurde der Nationale Sicherheitsrat (Consejo de Seguridad Nacional, COSENA) um eine Person erweitert, und zwar um den Präsidenten des Obersten Rechnungshofs. Eine Vetomacht haben die Vertreter der militärischen und polizeilichen Organisationen gegenüber den Zivilisten aber weiterhin (je vier Stimmen) (Lauga 1996; vgl. Hudson 1994). Ein weiterer Effekt der starken Stellung des Militärs sind die Amnestiegesetze, die die Menschenrechtsverstöße zwischen 1973 und 1978 abdecken und eine Verfolgung der Täter erschweren (Hudson 1994). 3.2.2. Die Struktur der chilenischen Polizei Im Hinblick auf die Strukturen und Aufgaben der beiden wichtigsten Polizeien Chiles, den Carabineros de Chile und der Policía de Investigaciones (Kriminalpolizei) hatte die Demokratisierung wenige Auswirkungen. Laut der angesehenen Menschenrechtsorganisation CODEPU (Comité de Defensa de los Derechos del Pueblo) fanden zwar in den Reihen der Policía de Investigaciones, nicht aber in denen der Carabineros „Säuberungen" statt (CODEPU 1994b). Außerdem blieb der hohe Zentralisierungsgrad beider Institutionen erhalten und ebenso die national wie international kritisierte Anbindung an das Verteidigungsministerium (vgl. CODEPU 1994a, 1994b; Caro 1999a). Aber es wurden einige Maßnahmen ergriffen, die Folter durch Polizisten verhindern helfen sollen. So wird die physische und psychische Integrität von Verhafteten inzwischen stärker betont und es wurden z.B. neue Bestimmungen über die Einzelhaft erlassen. Deren maximale Dauer wurde auf zehn Tage begrenzt und sie kann nur noch von Richtern verhängt werden (CODEPU 1994b). Seit 1989 wird außerdem für jede Form von Folter eine Gefängnisstrafe angedroht und selbst Mitwisser laufen Gefahr, bestraft zu werden. Gleichzeitig wurden die Rechte der Polizei bei Festnahmen eingeschränkt und Polizisten müssen Verhaftete über ihre Rechte informieren (US Department of State 1999a). Eingehalten werden diese Gesetze freilich nicht immer (vgl. Kap. 4). In der chilenischen Verfassung (Art. 90 (c)) werden die beiden Polizeien wie folgt charakterisiert: „Die öffentlichen Sicherheits- und Ordnungskräfte bestehen nur aus den Carabineros und der Policía de Investigaciones, sie stellen die Exekutivgewalt dar und existieren, um dem Recht Geltung zu verschaffen, um die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit zu garantieren, sowie es die Polizeigesetze vorschreiben. Die Carabineros arbeiten außerdem mit den Streitkräften zusammen, um die institutionelle Ordnung der Republik aufrecht zu erhalten" (Base de Datos Políticos de las Américas 1998a, 1998b). Beide Institutionen seien im Folgenden im Detail charakterisiert. Policía de Investigaciones Die Policía de Investigaciones de Chile ist eine Anfang der neunziger Jahre gegründete, 4.000 Mann (Hudson 1994) starke „polizeiliche Institution mit professionellem, technologischem und wissenschaftlichem Anspruch, sie hat Verfas127

sungsrang, ist Bestandteil der Sicherheitskräfte, dem Nationalen Verteidigungsministerium zugeordnet und ihr Personal ist der Hierarchie und der Disziplin unterworfen. Ihre Hauptaufgabe ist die Aufklärung von Straftaten, außerdem (...) einen Beitrag zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu leisten; die Verübung von Straftaten und von Attentaten gegen die Verfassungsorgane präventiv zu verhindern; für die Einhaltung der Anweisungen seitens der Judikative und der Exekutive zu sorgen (...); mit der Justiz zu kooperieren (...); die Ein- und Ausreise von Personen in das und aus dem nationalen Territorium zu kontrollieren; den Aufenthalt von Ausländern im Land zu überwachen; Chile bei der Internationalen Polizeiorganisation (Interpol) zu vertreten; und andere Funktionen entsprechend den Gesetzen zu erfüllen" (Policía de Investigaciones 1998). Aus dieser gesetzlichen Aufgabenbestimmung resultiert, dass die Policía de Investigaciones eine Polizei mit den typischen Funktionen einer Kriminal- oder Justizpolizei ist, im Vergleich z.B. zur BRD allerdings erweitert um die Grenzkontrolle und die Aufgaben einer Fremdenpolizei. Des Weiteren kümmert sie sich um die Ausgabe chilenischer Pässe (Policía de Investigaciones 1998; vgl. Hudson 1994), eine Aufgabe, die ihr historisch seit längerem zugeordnet ist (s.o.) und problematisch sein kann, weil die Policía de Investigaciones damit Zugriff auf Personaldaten sämtlicher Chilenen haben kann. Die chilenische Kriminalpolizei arbeitet außerdem mit den Ermittlungsabteilungen (Servicios de Inteligencia) der Carabineros und der drei Sparten des Militärs (Heer, Luftwaffe, Marine) zusammen (Hudson 1994), was den militärischen Charakter, der sich in der Anbindung an das Verteidigungsministerium (Caro 1999a) sowie der Betonung von Hierarchie und Disziplin manifestiert, noch verstärkt. Außerdem wurde z.B. im Jahr 1992 von der Regierung Aylwin ein pensionierter General der Armee zum Polizeichef (Director General) berufen (Hudson 1994). Carabineros de Chile Die Carabineros sind die wichtigste Polizeiorganisation Chiles. Sie werden offiziell beschrieben als „(...) die einzige uniformierte polizeiliche Institution des Landes. Sie sind definiert als eine Polizeieinheit professionellen und militärischen Charakters. Sie existieren, um das Recht umzusetzen und ihr Ziel ist es, die innere Sicherheit und öffentliche Ordnung auf dem gesamten nationalen Territorium zu gewährleisten." „Sie sind direkt an das Nationale Verteidigungsministerium angebunden (...). Außerdem unterhalten sie enge Beziehungen zum Innenministerium, wo immer es um die Sicherheit und öffentliche Ordnung geht" (Carabineros de Chile 1998). Diese Definition macht klar, dass mit den militärischen Zügen der Carabineros immer noch nicht gebrochen und die Zentralisierung aufrechterhalten wurde. Das zeigt sich auch darin, dass die Carabineros als Reserve der Streitkräfte gelten (vgl. Hudson 1994; Caro 1999a). Was die Carabineros zusätzlich von anderen Polizeien unterscheidet, ist ihr breites Aufgabenspektrum. Sie sind nicht nur für die Sicherheit und Ordnung zuständig, sondern übernehmen darüber hinaus soziale Aufgaben: „(...) erfüllen 128

ihre Funktionen im Hinblick auf ihre Rolle in der Prävention, der Bildung, der sozialen Solidarität, des öffentlichen Wohlstands, der nationalen Zusammengehörigkeit und der Kontrolle der öffentlichen Ordnung" (Carabineros de Chile 1998). Diese offizielle Aufgabenliste wird im Alltag so umgesetzt, dass die Carabineros de Chile z.B. im ländlichen Raum Alphabetisierungskampagnen durchfahren, medizinische Hilfsdienste anbieten, Behindertenarbeit absolvieren, Jugendsozialarbeit leisten und einen Radiosender betreiben, der zur „Stärkung der kulturellen Identität" in erster Linie nationale Musik abspielt und Aufklärungsprogramme sendet. Außerdem fallen in ihren Aufgabenbereich die Grenzsicherung, verkehrspolizeiliche Aufgaben, die Tätigkeiten einer Forstpolizei, die Bewachung des Präsidentenpalastes usw. usf. (Caro 1999a; Hudson 1994; Carabineros de Chile 1998). Dies erinnert an das weite Polizeikonzept aus der deutschen Geschichte („Sicherheit und Wohlfahrt"), in der die Polizei eine Allzuständigkeit hatte, die weit über den modernen Polizeibegriff hinaus geht (vgl. Kap. 3.1.1.; Lüdtke 1992b). Abb. 4:

Chile: Organigramm der Carabineros de Chile

Quelle: Caro 1999a; Carabineros de Chile 1998

128

128

Die Organigramme der Carabineros de Chile (1998) und von Caro (1999a), der sich seinerseits auf eine Quelle der Carabineros beruft, weichen leicht voneinander ab. Wesentliches ist davon aber nicht betroffen.

129

Die Organisationsstruktur der Carabineros de Chile ist in der Abbildung 4 dargestellt. Die oberste Hierarchieebene stellt die Dirección General (Generaldirektion) dar. Generaldirektor ist zum Zeitpunkt der Untersuchung der General Manuel Ugarte Soto, der seit 1959 bei den Carabineros Dienst tut (Carabineros de Chile 1998). Die Generaldirektion stellt die prinzipiellen politischen und strategischen Weichen gemeinsam mit dem Consultivo de Generales (Rat der Generäle). Dem beigeordnet ist ein Consejo Asesor Superior (Oberster Beraterstab), der sich v.a. mit der alltäglich-institutionellen Leitung befasst, und eine Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit (Departamento de Relaciones Públicas). Unterhalb der Generaldirektion steht die Subdirección General de Carabineros, ein ausführendes Organ, flankiert von einer Rechtsabteilung (Caro 1999a). Auf der nächsten Ebene finden sich gleichberechtigt die Direktionen, die einerseits die Administration der Carabineros bilden und andererseits ihre verschiedenen Arbeitsgebiete widerspiegeln.129 Die Direktion für Sicherheit und Ordnung (Orden y Seguridad) ist jene, die die Alltagsaufgaben der Carabineros im Sinne einer Schutzpolizei wahrnimmt. Sie ist streng hierarchisch und in sieben Ebenen gegliedert. Die erste Ebene folgt der allgemeinen Verwaltungsstruktur, die Chile in dreizehn regionale Zonen einteilt. Pro Zone gibt es (1) eine Jefatura de Zona (Polizeipräsidium). In absteigender Reihenfolge sind den Polizeipräsidien die Prefecturas (2), die Comisarías (3), die Subcomisarias (4), die Tenencias (5), die Retenes (6) und die Avanzados (7) untergeordnet. Die eigentliche operative polizeiliche Arbeit beginnt auf der Ebene der Kommissariate und ihren Subkommissariaten (3, 4), Tenencias heißen die Polizeistationen in kleinen Kommunen, Retenes in ruralen Gebieten. Die Avanzados sind eine Art Grenzstationen (vgl. Caro 1999a; Carabineros de Chile 1998; Hudson 1994). Manche der Prefecturas sind spezialisiert und stehen deshalb neben der allgemeinen Hierarchie, z.B. die mit Flugzeugen und Hubschraubern ausgestattete Einheit der Carabineros (Hudson 1994). Die Hauptstadt Santiago de Chile (Zona Metropolitana) ist allein in fünf Prefecturas (Zentral, Nord, Süd, Ost, West) untergliedert und sie erfährt dadurch bespndere Betonung, dass dort sämtliche zentralen Einrichtungen der Carabineros untergebracht sind, darunter das Hauptquartier der Carabineros, ein Großteil der Verwaltung und die Mehrzahl der Polizeischulen (vgl. Hudson 1994).

129

Bildung (Educación), Personal (Personal), soziale Sicherheit (Bienestar), Gesundheit (Salud), Familie (Familia), Logistik (Logística, z.B. zuständig für die Kommunikationsmedien), Ermittlungen (Inteligencia), Straßenverkehr (Tránsito y Carreteras), Drogen und Kriminalitätsprävention (Drogas y Prevención Delictual), Verwaltung (Intendencia) und Sicherheit und Ordnung (Orden y Seguridad). Der Direktion für Sicherheit und Ordnung ist im Übrigen direkt eine Abteilung für Grenzkontrollen und „Spezialaufgaben" (Subdirección Fronteras y Servicios Especiales) zugeordnet.

130

3.2.3. Personalstärke, Rekrutierung, Ausbildung, Hierarchien Die Carabineros de Chile hatten A n f a n g der 90er Jahre eine Personalstärke von 31.000 Mann, die Regierung Aylwin genehmigte aber eine jährliche Aufstoc k u n g (Hudson 1994; vgl. Caro 1999a), so dass inzwischen von mindestens 33.000 Carabineros auszugehen ist, davon ca. 5 % Frauen. 1 3 0 D e m n a c h läge die chilenische Polizeidichte bei 1:420, 131 d.h. k n a p p unter den deutschen Zahlen (vgl. Kap. 3.1.3.). Stellt man aber in Rechnung, dass die Carabineros ein breites A u f g a b e n s p e k t r u m w a h r n e h m e n (Kap. 3.2.2.), das Arbeiten beinhaltet, die in Deutschland vom Personal der allgemeinen Verwaltung erledigt werden, fallt die tatsächliche Schutzpolizeidichte in Chile niedriger aus als in der B R D . Seit Januar 1999 wurden laut Caro (1999a) allerdings 12.000 Carabineros f ü r ausschließlich operative Einsätze abgestellt. Außerdem w u r d e ein Teil der A u f g a ben der Carabineros ausgelagert, um m e h r Personal f ü r die Aufrechterhaltung von Sicherheit und O r d n u n g im engeren Sinne zur V e r f ü g u n g zu haben. Die Einstellungsvoraussetzungen der chilenischen Polizei sind im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern anspruchsvoll (vgl. Hudson 1994) und den deutschen in manchen Elementen ähnlich. W e r den Beruf eines Carabinero ergreifen will, m u s s medizinische und sportliche Tests bestehen und einen guten R u f nachweisen. M ä n n e r müssen zudem ihren Wehrdienst abgeleistet haben, d.h. sie sind bereits militärisch vorsozialisiert, bevor sie der Polizei beitreten. Die Carabineros greifen auch weiter in die Privatsphäre der Kandidaten ein als die deutsche Polizei. Sie verlangen, dass Rekruten ledig sind und keine Kinder haben. Ausländer werden nicht zugelassen, Polizeischüler müssen chilenische Staatsbürger und ins Wählerverzeichnis eingetragen sein. Carabineros sollen sich außerdem politisch neutral verhalten und dürfen bei der Einstellung keiner politischen Partei angehören. Weitere Rekrutierungskriterien unterscheiden sich j e n a c h d e m , o b die Offizierslaufbahn (Personal de Nombramiento Superior. Tab. 19) oder eine Einstellung bei der Truppe (Personal de Nombramiento Institucional: Tab. 19) angestrebt wird. Offiziersanwärter müssen einen höheren Bildungsabschluss nachweisen als einfache Polizisten. Genügt es bei letzteren, wenn sie das zehnte Schuljahr erfolgreich hinter sich gebracht haben, so müssen Offiziersanwärter in derselben Einrichtung vier Jahre verbracht und nach dem 12. Schuljahr eine A b s c h l u s s p r ü f u n g bestanden haben (Carabineros de Chile 1998). Dies entspricht in beiden Fällen in etwa dem deutschen Standard. Interessant ist, dass einfache Polizisten beim Berufseintritt älter sein dürfen (Männer 18 - 25, Frauen 17 - 23) als zukünftige Offiziere ( 1 7 - 2 1 ) (Carabineros de Chile 1998), obwohl sie weniger Schuljahre absolviert haben. Dies lässt sich damit erklären, dass bei Offizieren ein direkter Übergang von der Schule zu den Cara-

130

Diese Angaben wurden Isaac Caro bei einer persönlichen Anfrage im Ministerium genannt. 131 Errechnet nach den Daten (31.000 Carabineros kommen auf knapp 13 Mio. Einwohner) von Hudson (1994). 131

bineros erwünscht ist, während es bei der Truppe geduldet wird, wenn die Kandidaten anderen Berufen nachgegangen sind, bevor sie sich entschließen konnten, Polizisten zu werden. Außerdem müssen die Offiziere körperlich größer (Männer 170 cm, Frauen 165 cm) sein als einfache Polizisten (Männer 167 cm, Frauen 160 cm). Was beide Ausbildungsgänge wiederum verbindet, ist die Unterbringung der Polizeischüler in Kasernen (Carabineros de Chile 1998). Dies wird in Chile aber weniger kritisiert als in Deutschland. Viele Carabineros sind froh, wenn sie eine Unterkunft gestellt bekommen und wohnen dort lange über die Ausbildung hinaus (vgl. Kap. 4.1.). Das Ausbildungssystem der Carabineros de Chile ist schwer zu durchschauen. Vor allem für die Weiterbildung zuständig sind die ESUCAR (Escuela de Suboficiales de Carabineros) fílr die niederen Ränge und das INSUCAR (Instituto Superior de Carabineros) für die höheren Ränge. Wichtiger sind die ESFOPOLCAR (Escuela de Formación Policial de Carabineros), der die Ausbildung der Truppe obliegt, und die ESCAR (Escuela de Carabineros), die Offiziersschule. Letztere ist das Aushängeschild der Carabineros de Chile, was sich u.a. daran ablesen lässt, dass die Institution die Offiziersausbildung in ihren Veröffentlichungen ausführlich und differenziert darstellt, wohingegen über die ESFOPOLCAR fast nichts herauszufinden ist (Carabineros de Chile 1998).132 Die Ausbildung an der ESCAR setzt neben den o.g. Rekrutierungskriterien eine eigene Aufnahmeprüfung voraus. Die Kandidaten müssen Prüfungen in Englisch, Mathematik, Landesgeschichte und Geographie abschließen, sich psychologischen Tests unterziehen und ihre verbalen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Das Studium an der ESCAR, der der Rang einer Universität zugesprochen wird, dauert sechs Semester. Die Schwerpunktfächer sind Recht (z.B. Verfassungsrecht, Strafrecht, Strafprozessrecht, Verwaltungsrecht) und Sport, gelehrt werden außerdem polizeipraktische und -theoretische Fächer, Administration (EDV, Verwaltung), aber auch Englisch, Sozialwissenschaften (z.B. Sozialanthropologie, Psychologie) und Ethik (Carabineros de Chile 1998). Im Gegensatz zur Fachhochschulausbildung in der BRD sind keine Praktika oder Praxissemester vorgesehen (vgl. Kap. 3.1.3.).

132

Ähnlich ist die Ausbildung bei der Policía de Investigaciones aufgebaut. Ihre Grundausbildung bekommen Polizeischüler niederer Ränge im Centro de Capacitación Profesional. Offiziere besuchen die Escuela de Investigaciones Policiales, Führungskräfte werden in der Academia Superior de Estudios Policiales geschult (Policía de Investigaciones 1998).

Tab. 19:

Chile: Dienstgrade und monatliche Einkommen der Carabineros

Dienstgrad

Jahre bis zur Beförderung

Verdienst vor 03/1998 chilen. Pesos

SUS 1

Verdienst nach 03/1998 chilen. Pesos

$us'

PERSONAL DE NOMBRAMIENTO SUPREMO / OFFIZIERE —

k.A.



k.A.





k.A.



k.A.



General

2

1.048.614

Coronel

4

k.A.

Teniente Coronel

4

k.A.

Mayor

4

599.011

Capitán

6

k.A.

-

k.A.

Teniente

4

k.A.

-

k.A.

Subteniente

3

266.278

General Director 2 General Inspector

2.140



1.222

543

1.228.097

2.506

k.A.

-

k.A.



802.806

337.580

1.638 ---

688

PERSONAL DE NOMBRAMIENTO INSTITUCIONAL/ MANNSCHAFT -

418.476

854

535.469

1.092

Suboficial

3

354.422

723

465.369

949

Sargento Primero

3

k.A.

Sargento Segundo

3

257.267

525

345.861

705

Cabo Primero

3

204.583

417

285.442

582

Cabo Segundo

3

k.A.

Carabinero

3

144.487

Suboficial Mayor

1 2

~

-

294

k.A.



k.A. 181.840

371

1998 entsprachen 490 Pesos 1 $ US. Gewählt vom Präsidenten der Republik unter den fünf ältesten Generälen.

Quelle: Carabineros de Chile 1998; Segunda Comisaría 2001; Caro 1999a.

Schon die strikte Trennung der Ausbildungsgänge für die Truppe und die Offiziere zeigt, dass es bei den Carabineros de Chile zwei Welten gibt, die kaum miteinander verbunden sind. Ein Aufstieg von Angehörigen der Mannschaft in Offiziersränge ist nicht vorgesehen. Wie die in der Tabelle 19 notierten Gehaltsstufen zeigen, ist die Hierarchie nicht fortlaufend: sonst hätte eine Beförderung von Suboficial Mayor zum Subteniente finanzielle Einbußen zur Folge. Aufstie133

ge innerhalb der beiden Hierarchieteile sind nach einer festgelegten Anzahl an Jahren („Jahre bis zur Beförderung") in einer bestimmten Position vorgesehen (Carabineros de Chile 1998). Eingehalten wird dieser Beförderungsrhythmus aber nicht, wie viele Carabineros in den Interviews angeben (vgl. Kap. 4.4.5.). Die Löhne wurden im Jahr 1998 beachtlich angehoben, sind bei den niedrigsten Rängen aber immer noch niedrig. Bei den Rangbezeichnungen handelt es sich übrigens um militärische Titel, um Generäle {Generat), Oberste {Coronet), Majore {Mayor), Hauptmänner {Capitán), Leutnants {Teniente), Unteroffiziere {Sargento) und Gefreite {Cabo), ein weiterer Beleg für die militärische Prägung der Carabineros.

3.3. Geschichte und Struktur der venezolanischen Polizei 3.3.1. Die Geschichte der venezolanischen Polizei Über die Geschichte der Polizei in Venezuela ist wenig bekannt. Eine historische Polizeiforschung, die diesen Namen verdienen würde, gibt es nicht und die polizeilichen Institutionen selbst publizieren kaum über ihre Vergangenheit. Die venezolanische Polizeigeschichte, sollte sich jemand eines Tages daran machen, dürfte auch schwer zu schreiben sein, da man in diesem Land eine komplexe Vielfalt an Sicherheitskräften findet (vgl. Kap. 3.3.2.). Fm Folgenden werden nur die wichtigsten historischen Entwicklungslinien Venezuelas dargestellt, die die Sicherheitskräfte in der einen oder anderen Weise betreffen. Zu beginnen ist mit der Situation vor den Unabhängigkeitsbestrebungen, weil sie Einfluss auf die weitere staatliche Entwicklung hat. Als die Region des heutigen Venezuela ab 1498 von den Spaniern und zwischenzeitlich (1528 - 1546) von den Welsern in Besitz genommen wurde, stand wie überall in der Neuen Welt die Idee im Vordergrund, auf ausbeutbare Bodenschätze zu stoßen. Mit diesem Ziel wurde das Hinterland durchstreift, aber die Hoffiiung, Gold und ähnliches zu finden, erfüllte sich nicht. So verlor sich das Interesse an vielen Landstrichen Venezuelas und die Aktivitäten der Conquistadoren beschränkten sich auf die Küstenregion, die als strategisch günstig gelegener Handels- und Verteidigungsstützpunkt galt. Dort wurden um die Mitte des 16. Jahrhunderts Städte an oder in unmittelbarer Nähe der Küste gegründet, darunter die heutige Hauptstadt (Santiago de León de) Caracas (Haggerty 1990). Diese Situation hatte weit reichende Folgen. Venezuela wurde meist von weit entfernt gelegenen und wechselnden Positionen aus verwaltet. Mal lag die Zentralverwaltung bei Santo Domingo in der heutigen Dominikanischen Republik, mal bei Santa Fé de Bogotá, das später zum Vizekönigtum Neu Granada aufgewertet wurde. Für die in Venezuela angesiedelten Kreolen bedeutete dies, dass sie von den Spaniern weitgehend unbehelligt und untereinander verhältnismäßig unverbunden blieben. Diese relative Autonomie nutzten sie früh, um eigenständig zu handeln und die Kolonialgesetze, v.a. die spanischen Steuern, zu unter134

laufen. Caracas beispielsweise galt in jenen Jahren als Schmugglerhochburg (vgl. Waldmann 1997b). Als 1777 in Caracas ein Generalkapitanat eingesetzt wurde (Haggerty 1990), war es vielleicht schon zu spät, um den Landstrich via Caracas von Spanien aus wirksam zu kontrollieren. Damit soll nicht behauptet werden, dass die bald folgende Unabhängigkeitsbewegung nur aus den spezifisch venezolanischen Bedingungen heraus erklärt werden könnte, schließlich beginnt sie fast zeitgleich (vgl. Kap. 3.2.1.) auch im Süden des Kontinents. Aber im Hinblick auf Venezuela sind andere Voraussetzungen in Betracht zu ziehen, insbesondere die lange Gewöhnung daran, das Recht der Zentralgewalt zu unterlaufen, sowie die interne Zersplitterung und die Autonomie der mächtigen Kreolen. Entsprechend verliefen auch die Unabhängigkeitskämpfe und die Staatsbildung in Venezuela vollständig anders als etwa in Chile. Die venezolanische Unabhängigkeitsbewegung ist aufs Engste mit dem 1783 in Caracas geborenen Simon de Bolívar (Palacios) verbunden, unter dessen Führung der gesamte Nordwesten Südamerikas befreit wurde. Noch vor ihm unternahm allerdings Francisco de Miranda mehrere Versuche, Venezuelas Unabhängigkeit zu erringen, er scheiterte aber u.a. daran, dass einige wichtige Städte die Vorherrschaft von Caracas und der dortigen weißen Kreolenelite nicht anerkannten. Miranda starb schließlich im Gefängnis und Bolívar, der bereits an Mirandas Seite gekämpft hatte, floh. 1813 unternahm er einen neuen, zunächst gelungenen Anlauf, aber die junge Republik konnte sich nicht lange halten. Ihre Widersacher waren dieses Mal die Llaneros (Llanos: Tiefland), die Bewohner der weitläufigen agrarischen Gebiete im Landesinneren, die sich nicht beugten und Bolívar wurde erneut ins Exil gezwungen. Schon 1816 war er auf der politischen Bühne zurück und in den Folgejahren versank Venezuela in einem Befreiungskrieg, der sich gleichermaßen gegen die Spanier wie gegen die oppositionellen Lianeros und Caudillos richten musste. Im Ergebnis wurden Venezuela, zuletzt Caracas, und Neu-Granada befreit und Bolívar, der máximo caudillo (der größte Caudillo), als Präsident Groß-Kolumbiens (1821) ausgerufen (Haggerty 1990). Die Befreiungsgeschichte Venezuelas zeigt im Hinblick auf die Sicherheitskräfte, dass zunächst nicht von professionellen Streitmächten gesprochen werden kann. Spanien hatte im heutigen Venezuela nur ein kleines Heer unterhalten und die innere Sicherheit der Region lag in Händen von Milizen. Sie waren es, die die Unabhängigkeitskriege führten und der historische Ablauf zeigt, dass sie eher ihren regionalen Lianeros und Caudillos als der Idee einer geeinten „Nation" gegenüber loyal waren. Unter Bolívar, v.a. nachdem er Präsident von GroßKolumbien war, verwandelte sich das Milizsystem allerdings in eine professionelle Armee, deren Prestige wegen der Befreiung Venezuelas und anderer Länder vergleichsweise hoch war. Lange blieb die Situation aber nicht so. Während Bolívar trotz seines Präsidentenamts in Ecuador, Bolivien und Peru weiter gegen die Spanier ankämpfte, wurden die Venezolaner zusehends damit unzufrieden, wie zu Kolonialzeiten von Kolumbien aus regiert zu werden. Das Land trennte 135

sich deshalb 1829 von Groß-Kolumbien ab. Kurz darauf starb Bolívar und die einst ruhmreiche Armee, die nach der endgültigen Vertreibung der Spanier ihre Aufgabe und mit dem Tod Bolivars ihre Leitung verloren hatte, brach auseinander. Eine nationale venezolanische Armee sollte erst rund einhundert Jahre später wieder aufgestellt werden. Um 1830 brach in Venezuela das sog. „Jahrhundert der Caudillos" an, das phasenweise weitgehend friedlich, phasenweise extrem kriegerisch verläuft. Dazu zählt ein einähriger, völlig chaotischer Bürgerkrieg, in dem sich die venezolanischen Landherren gegenüberstanden und auch während vorübergehenden Befriedungen ordneten sich die Caudillos nicht wirklich unter, sondern setzten im Hinterland ihr Eigenleben fort. Dort walteten sie nach eigenen Gesetzen und verließen sich wie schon vor den Unabhängigkeitskriegen auf ihre loyalen regionalen Milizen. Insofern unterschied sich die Situation vor und nach der Unabhängigkeit eher graduell als grundsätzlich voneinander. Venezuela war nach wie vor zerrissen und weit davon entfernt eine Nation darzustellen. Nur während verschiedener Diktaturen jener Zeit konnten die Caudillos in Schach gehalten werden. Ende des 19. Jahrhunderts traten die sog. „Tachirense" auf den Plan. Bei ihnen handelt es sich um vier Caudillos aus der im Grenzgebiet zu Kolumbien gelegenen Andenregion Táchira, die Venezuela nacheinander diktatorisch regierten und für einige Weichenstellungen im Hinblick auf die Polizei sorgten (Haggerty 1990). Der erste dieser vier Tachirense zog mit seiner Privatarmee von den Anden aus nach Caracas und übernahm dort im Jahr 1899 die Regierungsgeschäfte. Dieser Vorgang ist ein weiterer Beleg dafür, dass sich die in den Randgebieten lebenden Caudillos der Zentralgewalt nach wie vor nicht widerspruchslos untergeordnet hatten. Aber dieser Caudillo legte in Caracas den Grundstein für eine funktionierende Zentralverwaltung und es gelang ihm, eine professionelle Armee aufzubauen. Wenig später gründete er die venezolanische Militärakademie. Der zweite Mann aus Táchira, Juan Vicente Gómez, wurde der langlebigste Diktator Venezuelas. Er stürzte seinen Vorgänger 1908 und hielt die Macht in unterschiedlichen Funktionen bis 1935 in Händen. In dieser Zeit erwarb er sich den zweifelhaften Titel „Tyrann der Anden" (Tirano de los Andes). Gómez pflegte zwar einen (pseudo)legalistischen Regierungsstil - allein in seine Regierungsjahre fallen sechs neue Verfassungen - tatsächlich stützte er sich aber auf die Armee, die er zusehends modernisierte. Parallel dazu entwaffnete er die übrigen Caudillos, indem er deren Milizen verbot und jede politische Opposition wurde von einer inzwischen gegründeten politischen Polizei erbarmungslos unterdrückt. Dies steht im Zusammenhang damit, dass in die Amtszeit von Gómez sowohl die Entdeckung des venezolanischen Ölreichtums fällt, von dem das Land bis heute lebt, als auch die Geburt der heutigen politischen Parteien Venezuelas. Ende der zwanziger Jahre riskierte eine Gruppe der Opposition mehrere Demonstrationen, in denen u.a. die ungerechte Verteilung der Ölgelder kritisiert wurde. Nach einem versuchten Sturm auf den Regierungssitz wurden die De136

monstrationen aber blutig niedergeschlagen und wer nicht zu Tode kam, ging ins Exil. Diese Exilanten der sog. „Generation 1928" gründeten die politischen Parteien Venezuelas und unter ihnen rekrutierte das später demokratische Venezuela lange Zeit seine Präsidenten (Welsch/Werz 1990; Haggerty 1990). Nach dem Tod von Gómez (1935) waren zwei weitere Tachirense in der venezolanischen Politik federführend. Sie ließen die Rückkehr der Exilanten sowie die Bildung von politischen Parteien und Gewerkschaften zu. Gleichzeitig blieb die starke Stellung des Militärs aber erhalten und im Offizierscorps wurde insofern eine extreme Cliquenwirtschaft betrieben, als Männern aus Táchira die wichtigsten Posten zugeschoben wurden. Der eigentliche Aufbau der venezolanischen Polizeikräfte ist ebenfalls eine Leistung der Tachirense, aber es gab natürlich Vorläuferorganisationen. Die Guardia Nacional beruft sich z.B. in ihren Selbstdarstellungen (Guardia Nacional 1998) auf eine Tradition die bis ins Jahr 1810/11 zurückreicht und damit auf den Mythos Bolívar. In der Tat wurde damals in Caracas eine gleichnamige Truppe gegründet und eine Einheit für den ländlichen Raum geschaffen, die gegen die dortigen Räuberbanden vorgehen sollte. Diese frühe Polizei und weitere Namensvettern überlebten in der Regel aber nicht länger als die Regierungen, die sie schufen und deshalb können sie nicht (Guardia Nacional 1998) als damalige venezolanische Polizei bezeichnet werden. Sie waren vielmehr die persönlich loyalen Sicherheitsinstitutionen der jeweiligen Machthaber. Ebenfalls im 19. Jahrhundert anzusiedeln sind verschiedenste kommunale Sicherheitskräfte. Aus der venezolanischen Geschichte ist jedoch zu schließen, dass sie mit den Milizen der Caudillos weitgehend identisch waren. Nachweislich ist nur, dass es vor 1930 in Venezuela eine Policía Uniformada (uniformierte Polizei) und eine politische Polizei gab (Birkbeck 1992). Der Zeitpunkt ihrer Gründung darf aber nicht zu früh angesetzt werden. Aus der nicht unbedeutenden Andenstadt Mérida im Nachbarstaat von Táchira ist zum Beispiel bekannt, dass die dortige Policía Uniformada erst 1900 ins Leben gerufen wurde (Méndez Osuna 1995), in anderen Regionen wird es ähnlich gewesen sein. Die tachirensischen Präsidenten Venezuelas sind für den Aufbau der politischen Polizei bekannt geworden, sie haben die Polizei und die mit Aufgaben der Inneren Sicherheit betrauten Militärorgane auch personell aufgestockt und ihr Salär erhöht, so dass der Beruf des Polizisten in dieser Zeit relativ attraktiv wurde (Riera Encinoza 1985: 77). Ab Mitte der dreißiger Jahre, angesichts aufkeimender sozialer Unruhen und steigender Kriminalität, forderte der dritte Tachirense, Eleazar López Contreras, die venezolanischen Einzelstaaten auf, bewaffnete Truppen aufzustellen. Da diese sich nicht einig wurden, gründete Contreras nach dem Vorbild der spanischen Guardia Civil eine zentrale Guardia Nacional, die auf dem gesamten Territorium eingesetzt werden konnte (Guardia Nacional 1998) und diese Guardia Nacional ist jene, die bis heute besteht. Das Gründungsjahr der ihr zugehörigen Polizeischule, der Escuela de Policía Nacional (1936) bzw. der Guardia Nacional selbst (1937) (Guardia Nacional 1998; 137

Birkbeck 1992), ist kein Zufall, sondern eine konkrete Reaktion auf politische Ereignisse. Kurz zuvor war Contreras nämlich durch einen Generalstreik in Schwierigkeiten geraten, so dass es für ihn nahe lag, eine schlagkräftige Truppe ins Leben zu rufen (Haggerty 1990). Contreras gilt einerseits als Person, die die Polizei äußerst hart gegen Demonstranten vorgehen ließ, andererseits steht er für eine gewisse politische Öffnung Venezuelas. Sein direkter Nachfolger, der vierte Tachirense, gründete selbst eine Partei und stellte sich 1944 Wahlen, die er auch gewann. In den Folgejahren wechselten sich gewählte Präsidenten und Putschisten in der Regierungsposition periodisch ab. Ab 1948 wurde Venezuela von einer dreiköpfigen Militärjunta regiert und nach der Ermordung eines dieser Männer im Jahr 1950 war Marcos Pérez Jiménez alleiniger Präsident. Diese Regierung Jiménez war für Venezuela ein echter Rückschlag, denn er trieb die Führer sämtlicher politischer Parteien außer Landes und beutete die Öleinnahmen noch mehr für private Zwecke aus, als in Venezuela ohnehin üblich. Jede Art von Opposition wurde mittels der politischen Polizei verfolgt und deren Methoden waren drastisch (vgl. Haggerty 1990). In diesen Jahren (1954) wurde außerdem die Guardia Nacional den Streitkräften (Fuerzas Armadas) zugeschlagen (Haggerty 1990), d.h. aus einer nationalen Polizei wurde der sog. „vierte Arm des Militärs" mit polizeilichen Aufgaben. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Am 1. Januar 1958 putschte die reorganisierte vereinigte Opposition (Junta Patriótica) gemeinsam mit der Luftwaffe. Dieser Putsch schlug zwar fehl, löste aber eine ganze Kette von Ereignissen aus, die zuletzt dazu führten, dass sich Jiménez keine zwei Wochen später nach Miami absetzte. Eine Übergangsregierung bereitete dann die Wahlen von 1958 vor, das Datum, das für den Beginn der langlebigsten Demokratie Südamerikas steht. Als Siegerin aus diesen Wahlen ging die sozialdemokratisch zu charakterisierende AD (Acción Democrática) hervor, aber die wichtigsten Parteien hatten bereits vorher den Pacto de Punto Fijo geschlossen, der sie u.a. dazu verpflichtete eine gemeinsame Regierung der Nationalen Einheit zu bilden (vgl. Welsch/Werz 1990; Sonntag/Maingón 1992). Von der Regierungsbildung 1959 an gerechnet waren es dann genau 40 Jahre, in denen Venezuelas Politik von der AD und der zweiten wichtigen Partei, der christdemokratischen COPEI (Comité de Organización Político Electoral Independiente), bestimmt wurde und unter diesem Gesichtspunkt war Venezuela ein stabiles Zwei-Parteien-System. Beeinträchtigt wurde die Stabilität allerdings durch mehrere Ereignisse. Für die 60er Jahre sind die Aktivitäten der FALN (Fuerzas Armadas para la Liberación Nacional: Streitkräfte für die Nationale Befreiung) zu nennen, einer LinksGuerilla, die sich enttäuscht von der AD abgewandt hatte und dieser den Vorwurf des Ausverkaufs Venezuelas an die USA machte. Alles in allem ist deren Bedeutung aber nicht hoch zu veranschlagen, da ihre Aktivitäten nur wenige Jahre anhielten und sie in der Bevölkerung nur wenig Rückhalt fand (Welsch/Werz 1990; vgl. Zago 1977). Wichtiger sind die wirtschaftlichen Prob138

lerne Venezuelas. Als vom Öleinkommen abhängiger Rentierstaat traf der Verfall des Ölpreises dieses Land Mitte der achtziger Jahre hart (vgl. Welsch/Werz 1990; Sonntag/Maingón 1992; Ashoff 1992; Haggerty 1990). Die Wirtschaftskrise nutzte bei den Wahlen von 1988 dem AD-Mann Carlos Andrés Pérez insofern, als er in einer vorhergehenden Amtszeit wirtschaftspolitisch relativ erfolgreich gewesen war und man ihm deshalb am ehesten zutraute, Venezuela aus der Krise zu fuhren. Die folgende Phase der Austerity-?o\\l\k brachte aber die ohnehin schon angespannte soziale Situation innerhalb kurzer Zeit zum Überkochen. Dabei spielt der ausgeprägte venezolanische Paternalismus insofern eine Rolle, als die Sparpolitik den Eindruck erwecken musste, dass der Staat die Fürsorgepflichten eines Padre aufs Gröbste verletzte (vgl. Boeckh 1988). Neben einer Verteuerung der Grundnahrungsmittel wurden zuletzt die Benzinpreise und die Bustarife angehoben. Dies war für die Angehörigen niederer Schichten von enormer Bedeutung, allein um in der riesigen Stadt Caracas zu ihren Arbeitsstätten zu gelangen, und trieb sie auf die Straße. Dieser „Aufstand der Armen" vom 27. Februar 1989, auch Caracazco genannt, forderte in wenigen Tagen die Leben von 250 bis 1.000 Menschen, je nachdem, welcher Quelle man Glauben schenken möchte. Die Akteure waren die örtlichen Polizeien und die Guardia Nacional (vgl. Welsch/Werz 1990; Haggerty 1990; amnesty international 1993; Kap. 1.3.2.). Diesem Aufstand von unten folgte knappe drei Jahre später ein Aufstand von oben. Am 4. Februar und am 27. November erlebte Venezuela zwei Putschversuche aus den Kreisen jüngerer Offiziere heraus (vgl. Sonntag 1995). Beide scheiterten zwar, zeigten aber deutlich auf, dass die Unzufriedenheit mit der Politik nicht nur die Armen betrifft und der Zustand der venezolanischen Demokratie prekär ist. Hinzu kommt die enorme Korruption (vgl. Kap. 1.2.). Sie zwang den venezolanischen Präsidenten jener turbulenten Jahre vollends in die Knie: Carlos Andrés Pérez musste wegen Korruptionsverdachts sein Amt 1993 vorzeitig niederlegen. Dies darf allerdings nicht zu der Schlussfolgerung verleiten, die korrupten Praktiken in der venezolanischen Gesellschaft und Politik seien durch dieses prominente Bauernopfer nachhaltig zurückgedrängt worden. Vielmehr gelten in Venezuela Posten beim Staat nach wie vor als Positionen, die man, solange man sie innehat, bestmöglich ausbeuten sollte (Kap. 1.3.2.; vgl. Boeckh 1988). Venezuela fing sich zunächst trotz dieser Ereignisse wieder. Nach einer Übergangsregierung konnte Rafael Caldera eine reguläre Amtszeit durchlaufen. Gleichzeitig wurde einer der Hauptakteure der Putschversuche von 1992, der damalige Oberstleutnant Hugo Chávez Frias, zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt und wanderte ins Gefängnis. Von dort aus verkündete er, dass er „für den Augenblick" („por ahora") aufgeben werde, im Nachhinein lesbar als Vorankündigung einer neuen Attacke, die er auch baldmöglichst in Planung nahm (vgl. Sonntag 1995; Sonntag/Maingón 1992; Bodemer/Nolte 1999). Chávez wurde 1994 von Caldera begnadigt und meldete sich umgehend auf der politi139

sehen Bühne zurück, wenngleich mit einer anderen Taktik. 1997 gründete er eine Partei, die MVR (Movimiento V República: Bewegung 5. Republik), um die er alsbald ein Bündnis 13 weiterer Parteien scharen konnte, den Polo Patriótico (Patriotisches Zentrum) (Bodemer/Nolte 1999; Welsch/Werz 2000). Dem Populisten Chávez, der seit 1992 nicht zu unterschätzende Sympathien in der Bevölkerung genoss, gelang es tatsächlich, die Wahlen von 1998 aus dem Stand zu gewinnen. Seitdem, v.a. seit den „Megawahlen" 2000 (Welsch/Werz 2000; Boeckh 2000/2001: 79f), hat Venezuela mit dem jahrelang stabilen Zwei-Parteiensystem vollständig gebrochen und die Traditionsparteien spielen nur noch auf regionaler Ebene eine nennenswerte Rolle. Auf allen anderen politischen Ebenen hat Chávez in der Regel eine bequeme 2/3-Mehrheit hinter sich (Welsch/Werz 2000; Bodemer/Nolte 1999). An diesem enormen Erfolg hatte sicherlich die Verdrossenheit der Bevölkerung mit den ehemals etablierten Parteien Anteil. Sie ließ Chávez schon 1992 Sympathien zuteil werden, hatte er sich doch damals auf die Fahnen geschrieben, die venezolanische Politik gehorche voreilig den Austerity-Forderungen des IWF, sei den USA hörig, antinational und im übrigen vollständig korrupt (Sonntag 1995). Inzwischen ist er in der Lage, seine Vorstellungen von Politik umzusetzen. Dazu gehört ein weit reichender institutioneller Umbau Venezuelas, vor allem aber wurde die Position des Staatspräsidenten selbst erheblich gestärkt (vgl. Welsch/Werz 2000). Chávez, der in ersten internationalen Reaktionen als eine Art zweiter Fujimori Lateinamerika charakterisiert worden war, gilt inzwischen als dem um Längen überlegen und zwar deswegen, weil er ebenso autokratisch ist, aber geschickter in der Aufrechterhaltung einer demokratischen Fassade. Charakterisiert wird diese Politik auch als „autoritärer Neopopulismus" (Boeckh 2000/2001) oder „Neuauflage des traditionellen Caudillismus" (Welsch/Werz 2000). Dass er die venezolanische Politik entscheidend verändert hat, symbolisiert auch seine Umbenennung Venezuelas. Nach Chávez' Zählart beginnt mit seiner Wahl zum Staatspräsidenten 1999 nämlich die 5. venezolanische, die Bolivarianische Republik (Welsch/Werz 2000). Was all dies für die Politik der Inneren Sicherheit und die verschiedenen Polizeien zur Folge haben kann, ist nicht abzusehen. Im Jahr 2001 waren etliche Reformkonzepte zu beziehen,133 die aufzeigen, dass der institutionelle Umbau Venezuelas auch die Polizei betreffen wird. Aus den Papieren geht z.B. hervor, dass eine verbesserte Kooperation der verschiedensten venezolanischen Polizeieinheiten angestrebt wird und offenkundig gibt es Bestrebungen, Polizeien zusammenzufassen (Seguridad al dia 2001; Secretaría de Seguridad Ciudadana 2001; Papel de Trabajo de la Comisión Permanente de Política Interior 2001). So diskutabel dies im Kontext der zergliederten venezolanischen Polizeiorgani-

133

Es ist schwer abzuschätzen, welchen Status diese Papiere haben, z.B.: Papel de Trabajo de la Comisión Permanente de Política Interior (2001), Secretaria de Seguridad Ciudadana (2001), Seguridad al dia (2001), Pérez Carapaica (2001), El Día Digital (2001).

140

sation (s.u. Kap. 3.3.2.) sein mag, ist dies doch eher vor dem Hintergrund der allgemeinen Zentralisierung und Zusammenfassung der Gewalten in Händen des Staatspräsidenten zu beurteilen. In eine repressive Richtung weist darüber hinaus, dass die New Yorker zero tolerance-Strategie in Caracas Anklang findet (Ruiz 2001; Secretaría de Seguridad Ciudadana 2001). Diese Politik, die davon lebt, dass Kleinkriminelle, Schwarzfahrer, Betrunkene, Bettler oder Personen, die die öffentliche Ordnung beeinträchtigen könnten, von der Polizei aufgegriffen werden, sieht vor dem venezolanischen Hintergrund so aus, als ob die erst 1997 abgeschaffte Ley de Fagos y Maleantes versteckt wieder eingeführt werden sollte.134 Ende 2000 wurde laut Angaben von Ruiz (2001) außerdem der Chef der Policía Metropolitana, der Hauptstadtpolizei (s.u.), früher und traditionell ein ranghoher Offizier der Guardia Nacional, durch einen Mann aus den Reihen der Policía Metropolitana selbst ersetzt und es wurde angekündigt, die „in die falsche Richtung weisende Militärdoktrin" („equivocada doctrina militar") werde durch eine „echte Polizeidoktrin" („verdadera doctrina policial") ersetzt. Dahingehend kommen aber Zweifel auf, weil es wenig wahrscheinlich ist, dass ausgerechnet ein autokratischer Militär die Entmilitarisierung des venezolanischen Polizeiwesens vorantreiben wird. Im Jahr 2002 geriet die Hauptstadtpolizei dann auch unter Druck. Nach einem nur kurzfristig gelungenen Putsch gegen Chávez, der sich schließlich mit Hilfe des Militärs ins Amt zurückretten konnte häuften sich in Caracas die Massendemonstrationen der unzufriedenen Bevölkerung gegen Chávez (Welsch/Werz 2002). Die dem inzwischen als Chávez-Gegner geltenden Oberbürgermeister von Caracas unterstellte Hauptstadtpolizei (Policía Metropolitana) schlug sich währenddessen auf die Seite der Oppositionellen und schützte die Protestmärsche. Seitdem wird die Policía Metropolitana von der von Chávez befehligten Guardia Nacional sowie gerüchteweise von illegalen Einheiten aus den Reihen des Militärs und der Guardia Nacional attackiert. Eine Absetzung der Polizeiführung der Metropolitanos und die Übernahme der Befehlsgewalt durch Chávez konnte Ende 2002 gerade noch auf juristischem Weg verhindert werden (Czymmeck 2002; Lingenthal 2002). Insgesamt scheint Boeckh (2000/2001: 85) Recht zu behalten, der für Venezuela bereits vor Längerem eine „autoritäre Regression" befürchtete.

134

Die skandalöse Ley de Vagos y Maleantes von 1939, eine Art „Vagabundengesetz", wurde im Jahr 1997 abgeschafft. Dieses Gesetz machte nicht Tat- sondern Personenmerkmale oder widrige Lebensumstände wie Landstreicherei zum „Straftatbestand" und auf seiner Grundlage konnten Menschen bis zu fiinf Jahre eingesperrt werden. Der Polizei eröffnete es die Möglichkeit willkürliche Verhaftungen zu vertuschen. Vgl. Schmid (1997a), Chevigny (1999: 56ff.), Birkbeck (1992). Gabaldön/Bettiol (1991/1992).

141

3.3.2. Die Struktur der venezolanischen Polizei Ungeachtet der eben angesprochenen neuesten Entwicklungen gibt es in Venezuela nach Angaben von Haggerty (1990) rund 450 eigenständige Polizeien. Diese enorme Zahl geht in erster Linie auf das Konto der Policios Municipales, die venezolanische Gemeinden in Eigenregie aufstellen dürfen. Andere regionale Polizeien sind die Policios Estatales bzw. Uniformadas, die Schutzpolizeien der Einzelstaaten, und die Policía Metropolitana, die Schutzpolizei der Hauptstadt Caracas. Auf nationaler Ebene agieren darüber hinaus die Vigilancia de Tránsito (Verkehrspolizei), die DISIP (Dirección de los Servicios de Inteligencia y Prevención: Direktion für Aufklärung und Prävention), eine politische Polizei, der Cuerpo Técnico de Policía Judicial (CTPJ/PTJ), die Kriminalpolizei bzw. Justizpolizei und die Guardia Nacional (GN, Nationalgarde). Dirección de los Servicios de Inteligencia y Prevención Über die DISIP (Dirección de los Servicios de Inteligencia y Prevención) ist wenig bekannt. Schon ihr Gründungsjahr ist kaum auszumachen. In gewisser Hinsicht ist sie eine Nachfolgeorganisation der politischen Polizei, die Anfang des 20. Jahrhunderts von Gómez gegründet wurde (vgl. Kap. 3.3.1.), andere Quellen geben an, ihre direkte Vorläuferorganisation sei 1958, d.h. im eben demokratischen Venezuela errichtet worden (Birkbeck 1992). Eine herausgehobene Rolle spielte sie im Hinblick auf die Herausforderung durch die Guerilla und die Angst vor kommunistischen Bewegungen (vgl. Kap. 3.3.1.). Heute ist die dem Innenministerium unterstehende DISIP im gesamten Staatsgebiet Venezuelas mit den Aufgabenfeldern Terrorismus, politische Delikte, organisierte Kriminalität, Drogenhandel und Waffenschmuggel befasst. Organisiert ist sie zentralistisch, ihr Personalbestand beträgt ca. 3.000 Mann (Haggerty 1990). Guardia Nacional Die Guardia Nacional (auch: Fuerzas Armadas de Cooperación) wurde bereits im vorausgehenden Kapitel (Kap. 3.3.1.) stellvertretend ftlr die Geschichte der Sicherheitskräfte Venezuelas verschiedentlich angesprochen. Gegründet wurde sie 1936/37 (Guardia Nacional 1998; Birkbeck 1992) und sie hat ihre Wurzeln somit in einer der venezolanischen Diktaturen. Vor dem Hintergrund steigender Kriminalität und sozialer Unruhen wurde damit erstmals eine auf dem gesamten Staatsgebiet tätige Institution mit polizeilichen Aufgaben geschaffen. Die Guardia Nacional war angesichts ihres Vorbilds, der spanischen Guardia Civil, schon damals paramilitärisch ausgerichtet, verstärkt und festgeschrieben wurde dieser Wesenszug während der Diktatur der Regierung Jiménez: 1954 wurde die Guardia Nacional dem Militär untergeordnet und sie gilt als „Vierter Arm des Militärs", nimmt aber weiterhin die Aufgaben einer nationalen Polizei wahr (vgl. Haggerty 1990). Dementsprechend ist die Guardia Nacional dem Verteidigungsministerium unterstellt. Ihre grundsätzlichen Funktionen beziehen sich auf 142

die Innere Sicherheit und die Kontrolle der Landesgrenzen. Im Einzelnen wird dazu gezählt: die Überwachung von Landesgrenzen und ggf. auch von „Sicherheitszonen" in Grenznähe, z.B. an der wegen des Drogenhandels besonders zu kontrollierenden kolumbianischen Grenze; die Kontrolle der Überlandstraßen, wofür in regelmäßigen Abständen kleine Polizeistationen eingerichtet sind; die Gewährleistung der Sicherheit der wichtigsten staatlichen Industriebetriebe und öffentlichen Gebäude; die Sicherheit in ländlichen Gebieten; die Verwaltung der Gefängnisse; teils übernimmt die Guardia Nacional zusätzlich soziale Aufgaben, z.B. im Bereich des Gesundheits- oder Bildungswesens; außerdem wird die Guardia Nacional bei Unruhen und Demonstrationen eingesetzt (Haggerty 1990; Guardia Nacional 1998), so auch beim viele Todesopfer fordernden Caracazco (vgl. Kap. 3.3.1.). Die paramilitärische Ausprägung der Guardia Nacional manifestiert sich neben den bisher genannten Merkmalen in ihrer Ausrüstung mit relativ schweren Waffen und darin, dass die Dienstränge der Offiziere denen des Militärs und nicht denen der Polizei entsprechen (Haggerty 1990; vgl. Kap. 3.3.3.). Organisiert ist die Guardia Nacional straff und zentralistisch. Dem Comando General (Generalkommando) in Caracas unterstehen in regionaler Hinsicht drei Zonen, erst auf der darunter liegenden Ebene findet sich eine Regionaleinteilung, die den venezolanischen Einzelstaaten entspricht (Haggerty 1990). Außer den an diese regionalen Kommandanturen gebundenen Einheiten verfugt die Guardia Nacional über eine große Anzahl an Reserve-Einheiten, die jederzeit im gesamten Land eingesetzt werden können (Haggerty 1990; vgl. Guardia Nacional 1998). Insgesamt sind bei der Guardia Nacional rd. 20.000 Mann Personal beschäftigt, das ist fast die Hälfte des Personalstands aller venezolanischen Polizeien. Dies, ihr weites Aufgabengebiet, ihre enge Zusammenarbeit mit dem Militär und ihre vergleichsweise gute Ausstattung machen deutlich, dass die Guardia Nacional einen wichtigen internen Machtfaktor darstellt. Entsprechend stark ist das Selbstbewusstsein der Institution. Auf ihren Internetseiten charakterisierte sie sich bis vor kurzem als „ständige Wache des Vaterlands" („Centinela Permanente de la Patria") (Guardia Nacional 1998). Cuerpo Técnico de Policía Judicial Die CTPJ, bzw. in der Kurzform die PTJ (Policía Técnica Judicial), ist die venezolanische Kriminal- bzw. Justizpolizei. Gegründet wurde sie erst spät, nämlich im Jahr 1958. Im selben Jahr wurde eine Polizeischule fur die zukünftigen Kriminalpolizisten eingerichtet (Cuerpo Técnico de Policía Judicial 2001). Sie untersteht dem Justizministerium und soll der Judikative zuarbeiten, indem sie zur Aufklärung von Kriminalfällen beiträgt. Demnach hat sie typische Aufgaben einer Kriminalpolizei. Ihre Fälle bekommt die PTJ von den anderen Polizeien Venezuelas, die alle Vorkommnisse mit strafrechtlicher Relevanz an die PTJ weiterleiten sollen (Cuerpo Técnico de Policía Judicial 2001; Haggerty 1990; Gabaldón/Monsalve Bricefio/Boada Tomé 1996). Aufgebaut ist die 3.000 Mann 143

(Haggerty 1990) starke PTJ ähnlich wie die Guardia Nacional, nämlich streng zentralistisch. Ihr Hauptquartier hat sie in Caracas, auf der nächsten Ebene unterhält sie 24 Kriminalpolizeidirektionen in den größeren Städten Venezuelas. Letztere sind ihrerseits in Delegaciones und Sub-Delegaciones untergliedert, die die Alltagsarbeit erledigen. Horizontal gibt es einerseits Abteilungen für die verschiedenen Deliktgruppen, z.B. Eigentumsdelikte, Gewaltdelikte, Drogendelikte usf. und andererseits Abteilungen für bestimmte kriminalistische Ermittlungstechniken, wie etwa die forensische Medizin, Ballistik u.ä. (Haggerty 1990; Cuerpo Técnica de Policía Judicial 2001). Ein Problem scheint aber zu sein, dass die Gerätschaften für elaboriertere Fachtechniken in der Provinz kaum zur Verfugung stehen. Seit 1980 gibt es außerdem ein Sondereinsatzkommando, die Brigada de Acciones Especiales (B.A.E.). Ihre Mitglieder sind eigens dafür ausgebildet, bei besonders gefährlichen Kriminalfällen einzugreifen, z.B. bei Geiselnahmen, Entführungen, Sprengstoffanschlägen, terroristischen Angriffen u.ä. Insofern entspricht diese Gruppe deutschen Sondereinsatzkommandos, der Unterschied besteht darin, dass sie bei der Kriminalpolizei angesiedelt sind. Diese Gruppe ist nur dreißig Mann stark. Drei davon gehören zum Führungsstab, je neun verteilen sich auf drei unabhängige Einsatzgruppen. Jede davon verfügt über zwei Scharfschützen und einen Sprengstoffspezialisten (Cuerpo Técnica de Policía Judicial 2001). Policías Estatales, Policías Municipales und Policía de Tránsito Die Policías Estatales und die Policías Municipales (Gesamtpersonalstärke ohne Policía Metropolitana ca. 9.000) sind abhängig von den Gouverneuren der Einzelstaaten bzw. von den Bürgermeistern der Gemeinden (Haggerty 1990). Sie sind die Nachfolgeorganisationen der kommunalen Polizeien des 19. Jahrhundert, die ihre Eigenständigkeit wahren konnten, und stellen insofern das föderale Element der venezolanischen Polizeilandschaft dar. Zuständig sind diese beiden Organisationen für die allgemeine Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung, d.h. es handelt sich um typische Schutzpolizeien (vgl. Méndez Osuna 1995). Ob eine Policía Municipal aufgestellt wird oder nicht, liegt im Ermessen der jeweiligen Bürgermeister, so dass es Gemeinden gibt, in denen diese Polizei nicht existiert. Wo aber beide Einheiten vorkommen, hat dies wegen der fast identischen Aufgaben Kompetenzüberschneidungen zur Folge, so z.B. in Caracas, wo neben der Policía Metropolitana (PM) in den Stadtvierteln die Municipales arbeiten (vgl. Kap. 4.4.1.). In der Regel ist immer jene Polizei für ein Vorkommnis zuständig, die als erste vor Ort ist, danach wird der Fall an die formal zuständige Einheit oder Abteilung weitergegeben. Aber darüber, wer das ist, gibt es nicht selten Unstimmigkeiten. Darüber hinaus haben die Gemeindepolizeien Aufgaben, die in Deutschland nicht (mehr) der Polizei zugewiesen sind (vgl. Kap. 3.1.1.). Dazu gehören wohlfahrtsstaatliche Elemente wie die Prüfung der Lebensmittelhygiene, die Kontrolle von Maßen und Gewichten im Handel, Aufgaben in der Gesundheitsfürsorge u.a.m. Auch Anteile der Straßenverkehrs144

regelung sind mitunter der Policía Municipal zugeordnet. Dies bringt sie wiederum in ein Konkurrenzverhältnis zur Policía de Tránsito, der venezolanischen Verkehrspolizei (vgl. Haggerty 1990). Die Policía de Tránsito hat im gesamten Venezuela etwa 3.000 Mann Personal (Haggerty 1990) und ist im Übrigen die einzige venezolanische Polizei, die in der Regel unbewaffnet auftritt, obwohl sie über Schusswaffen verfugt. Policía Metropolitana de Caracas ( P M ) Die Policía Metropolitana de Caracas ist einerseits in einer Linie mit den Policías Municipales bzw. Estatales zu sehen. Wie sie nimmt sie schutzpolizeiliche Aufgaben wahr und ist regional angebunden. Andererseits hat die Policía Metropolitana als Hauptstadtpolizei ein besonderes Gewicht. Dies drückt sich darin aus, dass die Mitglieder dieser Polizei als vergleichsweise gut ausgebildet gelten (s.u.) sowie darin, dass sie einen hohen Personalbestand hat. Von den insgesamt 18.000 Mann bei allen Policías Municipales, Estatales und der Metropolitana sind allein 9.000 bei letzterer beschäftigt (Haggerty 1990). Gegründet wurde die Policía Metropolitana erst 1969 (Monsalve Bricefio/Hidalgo López 1999), zur Amtszeit des Staatspräsidenten Caldera (COPEI). Die Hauptbetreiber der Polizeigründung waren die Regierungen des Distrito Federal (dem Hauptstadtbezirk) und die Regierung des an den Distrito Federal unmittelbar angrenzenden und in die Hauptstadt hinein ragenden Estado Miranda (einem Bundesland). Das hat zur Folge, dass die Policía Metropolitana grenzüberschreitend tätig ist und als Nebeneffekt, dass sie mit anderen kommunalen Polizeien beider Bezirke zu tun hat, ein Umstand, der die ohnehin schwierige Kooperation zwischen den verschiedensten Polizeieinheiten nochmals verkompliziert. Davon wird in den Interviews mit den venezolanischen Polizisten des Öfteren die Rede sein (vgl. Kap. 4.4.1.). Die der Policía Metropolitana zugewiesene Aufgabe ist es, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten und für die „Aufrechterhaltung der Moral, der Gesundheit und der öffentlichen Ordnung" (Monsalve Bricefio/Hidalgo López 1999) im Distrito Federal und im Distrito Sucre des Estado Miranda zu sorgen. Laut Monsalve Bricefio/Hidalgo López (1999) wurden darüber hinaus nur wenige spezifisch auf die Policía Metropolitana zugeschnittene Polizeigesetze erlassen und diese sind sehr offen gehalten, so dass hinsichtlich der Organisation der Institution und ihrer Aufgaben große Auslegungsspielräume bestehen. Im Jahr 1999 war die Policía Metropolitana so aufgebaut wie in der Abbildung 5 dargestellt.

145

Abb. 5:

Venezuela: Organigramm der Policía Metropolitana de Caracas DIRECCIÓN GENERAL

División de Planificación

Asesoría Legal Oficina de Información y Relaciones Interinstitucionales

Auditoria Inspectoría General División Aérea

SUBDIRECIÓ N GENERAL l

i

División de Personal

l

División de Inteligencia

| División de Orden Público

i División de Operaciones

1 División de Logística

1

División de AcDivisión de Seguridad Social ción Comunitaria

[

1

|

División Motorizada

Comando de Servicios Especiales

División de Patrullaje Vehicular

1 División de Educación

Comisan ÍS Policiales (del al 10)

Quelle: Monsalve Briceflo/Hidalgo López 1999.

Der Generaldirektion (Dirección General) unterstehen direkt verschiedene Abteilungen für Planungen (Division de Planificación), Finanzen (División de Finanzas) und „interinstitutionelle Beziehungen" (Oficina de Información y Relaciones Interinstitucionales). Außerdem unterhält die Generaldirektion eine eigene Rechtsabteilung (Asesoría Legal), diverse Beratungsgremien (Auditoría, Inspectoría General) sowie eine zentrale Division (Division Aérea), die über Flugzeuge, Helikopter u.ä. verfugt. Die Subdirección General hat die direkte Verantwortung für die anfallenden Verwaltungsarbeiten und die Polizeieinsätze. Dazu gehören die Personalabteilung, die Abteilung für Sozialleistungen für Mitarbeiter der Policía Metropolitana, die Ausbildungsabteilung usw. und die zehn Polizeikommissariate (Comisarías policiales) die ihrerseits in Sub-Kommissariate untergliedert sind. Eines der zehn Polizeikommissariate der Policía Metropolitana ist das Kommissariat Francisco de Miranda. Die Mitarbeiter dieses Kommissariats waren es, die für die vorliegende Arbeit interviewt wurden und deshalb sei dessen Struktur beispielhaft dargestellt. Geführt (.Jefatura) wird es von einem Comisario Jefe (Chefkommissar) und seinem Stellvertreter. Direkt beim Comisaría F. de Miranda angesiedelt sind neben den Sub-Kommissariaten und den Reserveeinheiten (Subcomisarias und Grupos de Apoyo, s.u.) drei Abteilungen. Die Sección de Planes y Servicios (Planungsabteilung und Dienstleistungen) stellt zentrale Dienste zur Verfügung, etwa im Bereich der EDV und der Koordination der verschiedenen Gruppen innerhalb des Reviers. Die Sección de Investigaciones macht Ermittlungsarbeiten, soweit dies der Policía Metropolitana zusteht. Die dritte Abteilung für Gemeindearbeit (Sección de Trabajo Comunitario) unterhält 146

Unterabteilungen, die die Beziehungen zur Bevölkerung des Reviers pflegen sollen und kulturelle oder sportliche Veranstaltungen planen (Monsalve Bricefio/Hidalgo Lopez 1999; Hidalgo Löpez/Monsalve Bricefio 1998). Die eigentliche schutzpolizeiliche Arbeit erledigen die in den drei Reserveeinheiten und den vier Subcomisarias tätigen Polizisten. Insgesamt sind beim Comisaria F. der Miranda 875 Personen tätig, davon 317 in den Sub-Kommissariaten und 558 im Haupt-Kommissariat (Monsalve Bricefio/Hidalgo Lopez 1999; Hidalgo Löpez/Monsalve Bricefio 1998). Die hohe Zahl der Mitarbeiter im HauptKommissariat erklärt sich dadurch, dass die Reserveeinheiten der Zentrale angegliedert sind. Diese Reserveeinheiten spielen eine nicht unbeträchtliche Rolle. Sobald sich Einsätze nämlich verkomplizieren oder Gewalthandlungen erwarten lassen, werden die Reserven herbeigeholt (vgl. Kap. 4.2.3., 4.2.4.). Abb. 6:

Venezuela: Organigramm des Polizeikommissariats Francisco de Miranda JEFATURA D E P A R T A M E N T O DE O P E R A C I O N E S Secretaría

Sección de Trabajo Comunitario

Grupo de Apoyo Operacional Grupo „A" Grupo „B"

Subsección de Actividades Deportivas y Culturales

Grupo „C"

Sección de Planes y Servicios

Sección de Investigaciones

Subsección de Informática

Subsección de Retenes

Subsección de Coordinación de Servicios

Subsección de Procesamiento y Búsqueda

Subsección de Seguridad Interna

Subcomisarias

Chacao Leoncio Martínez Petare Mariche

Quelle: Monsalve Bricefio/Hidalgo Lopez 1999; Hidalgo Lôpez/Monsalve Bricefio 1998.

Zuständig ist das Kommissariat F. de Miranda fur einen großen Teil des Ostens von Caracas sowie für Teile des Distrikts Sucre des Estado Miranda. Dadurch ist dieses Kommissariat deshalb in einer Zwitterposition, weil es gerade dieses Revier ist, das auf dem Gebiet von zwei Bezirken tätig ist (s.o.). Außerdem ist dieses Revier im Hinblick auf seine soziale Zusammensetzung alles andere als homogen. Im Osten von Caracas finden sich nämlich sowohl einige Wohnviertel der dünnen mittleren und gehobenen Schichten (El Marqués, Urb. Horizonte, La California) als auch das auf einem Hügel gelegene Petare, das zu den barrios pobres (Armenvierteln) zählt und als Ort besonders häufiger Gewaltkriminalität gilt (Monsalve Bricefio/Hidalgo Lopez 1999; Hidalgo Löpez/Monsalve Bricefio 1998). Diese räumliche Nähe von Arm und Reich ist problematisch, da dadurch die ifwno-Bewohner den Überfluss, in dem andere leben, ständig vor Augen haben. 147

3.3.3. Personalstärke, Rekrutierung, Ausbildung, Hierarchien Betrachtet man nur die venezolanischen Schutzpolizeien im engeren Sinne (Policía Metropolitana, Policías Estatales, Policías Municipales), so erweckt das Polizeisystem den Eindruck einer vergleichsweise weit gehenden Dezentralisierung, weil diese Polizeien von den Gouverneuren der Einzelstaaten, teils sogar von Gemeinden organisiert werden. Aber die anderen Polizeien (PTJ, DISIP, GN) sind im gesamten Venezuela tätig. Besonders wichtig ist die Guardia Nacional., weil sie die Schutzpolizeien im Zweifel zu dominieren vermag. Zum einen dadurch, dass die Führungspositionen der Schutzpolizeien häufig an hochrangige Offiziere der Guardia Nacional vergeben werden (vgl. Méndez Osuna 1995) und zum anderen durch ihre bloße Personalstärke. Von den insgesamt rund 46.000 Polizisten Venezuelas tun allein 20.000 bei der Guardia Nacional Dienst.135 Alle Schutzpolizeien gemeinsam haben demgegenüber nur einen Personalstand von 18.000 Mann (davon 9.000 bei der Policía Metropolitana). Die übrigen Polizisten gehören zur DISIP, zur PTJ und zur Policía de Tránsito (Haggerty 1990). Inklusive der paramilitärischen Guardia Nacional kann man daraus eine Polizeidichte von 1:402 errechnen. 136 Stellt man die Ungenauigkeit solcher Angaben in Rechnung (vgl. Kap. 3.1.3.) und misst deshalb kleineren Unterschieden keine zu große Bedeutung zu, dann kann damit davon ausgegangen werden, dass Venezuela eine ähnliche Polizeidichte hat wie die BRD und Chile. Die Rekrutierungskriterien für venezolanische Polizeien betreffen in den Grundzügen die üblichen Elemente. Im Detail konnten nur die Einstellungsvoraussetzungen bei der Guardia Nacional und bei der Regionalpolizei der Stadt Mérida in Erfahrung gebracht werden, nicht jedoch die der Policía Metropolitana. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die Guardia Nacional vergleichsweise hohe Ansprüche stellt, die Polizei aus Mérida dagegen relativ niedrige und dass die Anforderungen bei der Polizei der Hauptstadt dazwischen liegen dürften. Die Guardia Nacional setzt laut den offiziellen Angaben der Institution (Guardia Nacional 1998) im Hinblick auf die schulische Vorbildung eine educación media (mittleres Bildungsniveau) voraus, d.h. wie in Chile das abgeschlossene zehnte Schuljahr. Entsprechend liegt das Mindestalter bei 16, das Höchstalter bei 21. Die körperlichen Grundvoraussetzungen sind eine Größe von mindestens 165 cm und ein dafür nicht zu hohes Körpergewicht. Die Guardia Nacional geht darüber aber weit hinaus: u.a. dürfen die zukünftigen Polizisten keine Tattoos oder Ohrringe tragen, weder verheiratet noch verlobt sein und keine Kinder haben. Zudem müssen sie nachweisen, dass sie keine extremen politischen Anschauungen vertreten, keine Vorstrafen haben, nie einer Schule verwiesen wurden und einen untadeligen Ruf haben. Ausländer sind fur den Dienst 135

136

Nach neueren allerdings auch unzuverlässigen Angaben hat die Guardia Nacional sogar 35.000 Mitarbeiter (Hernández Gonzalez 2001). Errechnet aus den Angaben von Haggerty 1990, d.h. ausgehend von 46.000 Polizisten und 18.500.000 Einwohnern.

148

bei der Guardia Nacional nicht zugelassen. Können Bewerber diese Bedingungen erfüllen, so durchlaufen sie eine ganze Reihe an medizinischen, sportlichen und schulischen Tests (Guardia Nacional 1998). Die Einstellungsvoraussetzungen bei der Polizei von Mérida sind hinsichtlich der moralischen Komponente und der persönlichen Lebensumstände nicht so umfangreich wie die bei der Guardia Nacional, ansonsten werden ähnliche Kriterien abgefragt. Aber das Eintrittsalter ist höher (mindestens 18) und die verlangte Schulbildung etwas niedriger. Für die Laufbahn einfacher Polizisten genügt es, neun Schuljahre hinter sich gebracht zu haben, zukünftige Offiziere müssen den Abschluss Bachiller (Hochschulreife) besitzen (Méndez Osuna 1995). Alles in allem wird demnach von den Polizeirekruten ein relativ hoher Bildungsabschluss verlangt. Es sei dabei dahingestellt, ob diese Schulabschlüsse den deutschen entsprechen, zu sagen ist aber, dass laut den Angaben mancher Polizisten diese offiziellen Einstellungsvoraussetzungen nicht immer eingehalten werden. Z.B. werden Interessenten, die besondere sportliche Leistungen vollbringen, auch ohne die verlangten Bildungsabschlüsse eingestellt und bei einer knappen Bewerberlage werden ohnehin Ausnahmen gemacht (vgl. Kap. 4.1.). 137 Weiterhin wurden die Einstellungsvoraussetzungen bei der Polizei in Mérida erst 1980 auf das augenblickliche Niveau angehoben. Vorher wurde eine nur sehr geringe Schulbildung verlangt und in den sechziger Jahren seien die meisten einfachen Polizisten noch Analphabeten gewesen (Méndez Osuna 1995). Diese ältere Polizistengeneration, die teils noch im Dienst ist, schlägt sich auf das durchschnittliche Bildungsniveau nieder. Nach den statistischen Angaben der Polizei Mérida hatten Anfang der neunziger Jahre 2 5 % der Polizisten eine sechsjährige Schulbildung, 4 0 % hatten die Sekundärschule besucht, 2 0 % das Abitur erworben und 15% eine Universität besucht. Darin enthalten sind Bildungsabschlüsse, die auf Polizeischulen erworben wurden und als gleichrangig zu denen normaler Schulen behandelt werden (Méndez Osuna 1995), d.h. die erworbenen Abschlüsse vor dem Eintritt in die Polizei können deutlich darunter liegen. Mehr als an den formalen Schulabschlüssen lässt sich das Ausbildungsdefizit venezolanischer Polizisten an den Anforderungen der Polizeischulen aufzeigen. Dies gilt für die Mitglieder der tropa (Truppe), weniger dagegen für die oficiales (Offiziere). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass es wie im chilenischen Fall (Kap. 3.2.3.), recht einfach ist, Detailinformationen über die Offiziersausbildung zu recherchieren (Guardia Nacional 1998; Instituto Universitario de la Policía Metropolitana 2001; s.u.). Über die Ausbildung der Truppe erfährt man hingegen wenig. Bekannt ist aber, dass die Grundausbildung sogar bei der Guardia Nacional (Escuela Ramo Verde) nur ein Jahr dauert (Haggerty 1990; Guardia Nacional 1998), bei der PTJ „several months" (Haggerty 1990) und bei der Schutzpolizei von Mérida sechs Monate (Méndez Osuna 1995). Bei

117

Interview der Verfasserin mit einem Polizeioffizier in Mérida.

149

anderen Polizeien dürfte die Ausbildungszeit ähnlich kurz sein. Unterrichtet werden laut einem Interview der Autorin mit dem Polizeichef von Merida hauptsächlich sportliche Fähigkeiten, rechtliche Grundlagen der Polizeiarbeit sowie Waffenkunde und Schießen. Außerdem spielt die sog. Formalausbildung eine gehörige Rolle. Selbst fertig ausgebildete Polizisten müssen zumindest in Merida jeden Morgen zu Dienstbeginn im Innenhof der Polizeistation antreten. Tab. 20:

Venezuela: Dienstgrade venezolanischer Polizeien138

OFICIALES der GUARDIA NACIONAL

OFICIALES

TROPA

anderer POLIZEIEN

General de División General de Brigade

Comisario General

Sargento Mayor Sargento Primero

Coronel

Comisario Jefe

Teniente Coronel

Comisario

Sargento Segundo

Mayor

Sub-Comisario

Cabo Primero Cabo Segundo

Capitán

Inspector Jefe

Teniente

Inspector

Distinguido

Subteniente

Sub-Inspector

Agente/Funcionario

Auf der Offiziersebene ist der Ausbildungsstand wesentlich höher. Bei der Guardia Nacional dauert das Offiziersstudium an der EFOFAC (Escuela de la Formación de Oficiales de las Fuerzas Armadas de Cooperación) vier bis fünf Jahre (Guardia Nacional 1998).139 Nach erfolgreichem Abschluss tragen die Absolventen den Titel eines Licenciado (akademischer Abschluss) und treten innerhalb der Hierarchie der Guardia Nacional ihren Dienst als Subteniente (Unterleutnant) an (Guardia Nacional 1998). Analog verhält es sich bei der Polizei von Mènda, der PTJ und der Policía Metropolitana. Auch bei diesen Polizeien setzt die Offizierslaufbahn ein Studium an polizeieigenen Hochschulen voraus (Méndez Osuna 1995; Cuerpo Técnico de Policía Judicial 2001; Instituto Universitario de la Policía Metropolitana 2001). Zu beachten ist, dass die Offiziere nur bei der Guardia Nacional militärische Bezeichnungen tragen, bei den übrigen Polizeien werden zivile Titel vergeben (vgl. Tab. 20). Genauere Einblicke in die Studiengänge lassen die PTJ und die Policía Metropolitana zu. Beispielhaft und weil sie der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung im engeren Sinne ist, seien jene der Policía Metropolitana dargestellt. An deren Hochschule, dem Instituto Universitario de la Policía Metropolitana (I.U.P.M.), gibt es mehrere Fortbildungsmöglichkeiten und Studiengänge. Am wichtigsten ist jener, der innerhalb von acht Semestern auf den Titel eines 138 Laut Interviews mit Polizisten in Mènda und Caracas. 139

Haggerty (1990) gibt vier, die Guardia National (1998) selbst fünf Jahre an. Dabei bleibt allerdings unklar, ob in den fünf Jahren die Grundausbildung enthalten ist.

150

Licenciado en Ciencias Policiales en la Mención Seguridad y Orden Público (Polizeiwissenschaft mit dem Schwerpunkt öffentliche Sicherheit und Ordnung) hinführt und den Eintritt in den untersten Rang der Offizierslaufbahn der Policía Metropolitana ermöglicht (Sub-Inspector) (Instituto Universitario de la Policía Metropolitana 2001). Nachzulesen (Instituto Universitario de la Policía Metropolitana 2001) ist auch, welcher Fächerkanon für den Titel des Licenciado acht Semester lang studiert werden muss. Zu berücksichtigen ist bei der Interpretation des Studienplans aber, dass aus der abgedruckten Fächerliste nicht hervorgeht, wie viele Unterrichtsstunden den verschiedenen Themengebieten gewidmet sind. Auch sind die Fächerbezeichnungen oftmals wenig präzise und schwer zu übersetzen. Was etwa unter der „Kasuistik polizeilicher Einsätze" (casuística de procedimientos policiales) oder unter „Bolivarianischem Denken" (pensamiento bolivariano) zu verstehen ist, bleibt der Phantasie überlassen und ob mit supervisión policial die polizeiliche Überwachung oder die Kontrolle der Polizei gemeint ist, geht aus dem Material nicht hervor. Auffällig ist aber in der Gesamtbetrachtung, dass dem Sport (educación física) und der Selbstverteidigung ( d e f e n s a personal) viel Raum gegeben wird. Fünf Semester lang wird außerdem der Schusswaffengebrauch trainiert und Waffenkunde gelehrt. Der größte Teil der Ausbildung ist von Inhalten bestimmt, die einen direkten Bezug zur Polizeipraxis haben. Einen nicht unerheblichen Teil davon nimmt die Vorbereitung auf sog. polizeiliche Großlagen ein, z.B. das Auftreten der Polizei in geschlossenen Verbänden (orden cerrado) und die Kontrolle von Menschenmassen (orden público y control de muchedumbres). Hinzu kommen fünf Kurse über Polizeitechniken und Einsatzlehre (Técnicas Policiales und Procedimientos Policiales) sowie 15 Kurse, die sich auf die Kriminalistik, auf kriminologische Spezialkenntnisse und die zukünftigen Führungsaufgaben der Absolventen beziehen. In Relation dazu und im Vergleich zur B R D wird das Rechtsstudium vernachlässigt. Nur sieben Kurse sind für diese Themen reserviert, darunter auch einer über Menschenrechte. Relativ breit behandelt werden sozialwissenschaftliche Themen, auffällig ist aber, dass sie vorrangig in den frühen Semestern abgehandelt und danach ad acta gelegt werden. Nach diesem Studiengang können die Offiziere der Policía Metropolitana Aufbaustudiengänge wahrnehmen. Angeboten wird z.B. eine zweisemestrige Zusatzausbildung zum Especialista en Gerencia Policial (Spezialist für Leitungsaufgaben) oder eine ebenso lange zum Especialista en Prevención de la Criminalidad (Spezialist für Kriminalitätsprävention). Darüber hinaus haben die Polizeioffiziere gute Fortbildungsmöglichkeiten, teils an den polizeieigenen Hochschulen, teils gibt es Abkommen mit regulären Universitäten (Guardia Nacional 1998, Instituto Universitario de la Policía Metropolitana 2001; Méndez Osuna 1995; Cuerpo Técnico de Policía Judicial 2001; Haggerty 1990). Die Teilnahme an diesen Fortbildungen ist wenigstens formal eine Voraussetzung für den theoretisch alle vier Jahre möglichen Aufstieg innerhalb der Polizei151

hierarchie. Das Angebot für die Offiziere ist umfangreich, und so bringen es die Generäle bzw. die General Kommissare zu einer wahren Titelflut. Dagegen klagen die Mitglieder der tropa darüber, dass kaum überwindbare Zugangsbarrieren bestehen (vgl. Kap. 4.4.5.), die die Weiterbildung und damit den Aufstieg behindern. So zieht es sich durch, dass viel Mühe und Geld für die Aus- und Weiterbildung der gehobenen Ränge aufgewendet wird, wohingegen am unteren Ende der Rangskala gespart wird. Dies ist ein wichtiges Element der strikten Trennung zwischen Offiziersrängen und einfachen Polizisten. Hinzu kommt, dass Sozialleistungen und andere Vergünstigungen meist nur den Offizieren zustehen. Über die genauen Monatseinkommen ist nur wenig bekannt. Klar ist aber, dass der Zugang zu solchen Vergünstigungen eine erhebliche Gehaltsaufbesserung darstellt. Bekannt ist auch, dass die Gehälter von Institution zu Institution sehr unterschiedlich sein können. In den zentral verwalteten Polizeieinheiten sind die Gehälter pro Rangstufe im ganzen Land gleich, aber die Einkünfte der regionalen Polizeien werden von den dortigen Verantwortlichen festgelegt. So kommt es laut den Aussagen des Chefs der PTJ Mérida z.B. dazu, dass ein Agente der dortigen Regionalpolizei das gleiche Grundgehalt verdient wie ein Inspector der PTJ mit zehnjähriger Berufszugehörigkeit, nämlich 70.000 Bolívares (rd. 242 US$). 140 Das schürt Konkurrenzgeftlhle und verschlechtert die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen venezolanischen Polizeien noch über das Maß hinaus, das durch die häufigen Aufgabenüberschneidungen bereits angelegt ist (s.o.).

3.4. Geschichte und Struktur der bolivianischen Polizei 3.4.1. Die Geschichte der bolivianischen Polizei Die Kolonialgeschichte des heutigen Bolivien ist außerordentlich vielschichtig und überdies eng mit der Perus verbunden. Beide Gebiete, Peru und die damals als Hochperu bezeichnete Region des heutigen Bolivien wurden zunächst gemeinsam als Vizekönigreich Peru verwaltet. Bereits 1545 wurden umfangreiche Silbervorkommen in der Region Charcas, südöstlich von La Paz, entdeckt. Ganz anders als in Venezuela war die Präsenz der Spanier in Hochperu entsprechend groß. Die dort liegende Stadt Potosí galt bald als Inbegriff des Reichtums aus den Kolonien und wurde zu einem der wichtigsten Zentren der spanischen Kolonialwirtschaft (Moreno Cebrián/Martínez Riaza 1992; Hudson/Hanratty 1989). Im 18. Jahrhundert hatte das Vizekönigreich Peru dann zusehends mit Krisen140

Nach dem Kurs des Jahres 1996 berechnet, dem Jahr, aus dem die venezolanischen Angaben stammen (1 Bolivar = 0,003457 US$ (Inforunner Wirtschaft 2002). Laut einem Interview mit einem Polizeioffizier betrug damals das Grundgehalt eines agente bei der Regionalpolizei Mérida 70.000 Bs. Zuschläge gab es z.B. für Nahrungsmittel (6.000 Bs.), für Verheiratete (10.000 Bs.), für Kinder (3.000 Bs. pro Kind) und für jeweils fünf Jahre Polizeizugehörigkeit (3.000 Bs.).

152

Phänomenen zu kämpfen. Dazu gehören eine bereits damals ausufernde Korruption, gleichzeitig warfen die Silberminen nicht mehr dieselbe Ausbeute ab wie vorher und die dort eingesetzten indígenas begannen, sich aufzulehnen (Hudson/Hanratty 1989). 1776 wurde die Region schließlich dem Vizekönigreich La Plata zugeschlagen, dessen Hauptstadt Buenos Aires war (Moreno Cebrián/ Martínez Riaza 1992; Hudson/Hanratty 1989). Ende des 18. Jahrhunderts drangen auch in dieses Gebiet Südamerikas die Gedanken der Aufklärung vor. Die dortigen Kreolen blieben der spanischen Krone gegenüber relativ loyal, aber es kam zu inneren Machtkämpfen, weil sich die Royalisten verschiedenen politischen Flügeln zurechneten (Moreno Cebrián/ Martínez Riaza 1992). Ab 1810 war Hochperu zudem das Schlachtfeld, auf dem die bereits unabhängigen Argentinier und die spanischen Truppen ihre Konflikte austrugen. Erst nach der Schlacht von Ayacucho 1824, die das Ende der spanischen Kolonialherrschaft in ganz Lateinamerika markiert, konnten die letzten royalistischen Kreolentruppen in Hochperu besiegt werden (Moreno Cebrián/ Martínez Riaza 1992; Hudson/Hanratty 1989). Das offizielle Unabhängigkeitsdatum des Landes, nun unter dem Namen Bolivien, ist deshalb erst der 6. August 1825. Der erste Präsident war für wenige Monate Simon Bolívar selbst (Moreno Cebrián/Martínez Riaza 1992; Hudson/Hanratty 1989). Unter der Federführung seines Nachfolgers wurde noch im Jahr 1826 eine bolivianische Polizei gegründet. 141 Zu diesem Zweck wurden die im Land verstreuten Milizen Hochperus zusammengefasst und eine zentralisierte Institution mit Unterabteilungen in den Hauptstädten der Departements geschmiedet. Unter Leitung der sog. Intendentes de Policía (Polizeiverwalter) sollte die neue Polizei nach der Ley Reglamentaria de Policías (Polizeigesetz) für die „Aufrechterhaltung der Ruhe und öffentlichen Sicherheit („conservación de la quietud y seguridad públicas") sowie für die Verfolgung von „Unruhestiftern, Gaunern und Krawallbrüdern" („inquietos, ladrones y escandalosos") sorgen. Auch durfte diese Polizei leichtere Delikte selbst bestrafen (Mansilla 1999). Aus den wenigen zur Verfügung stehenden Quellen geht nicht klar hervor, ob diese Polizei schon als nationale Polizei Boliviens bezeichnet werden kann. Hudson/Hanratty (1989) gehen z.B. im Gegensatz zu einigen von Mansilla (1999; vgl. Gamarra/Barrios Morón 1996) zitierten Quellen davon aus, dass die eigentliche Policía Nacional erst 1886 aufgestellt wurde. Dafür spricht in der Tat der weitere historische Verlauf, in dem rivalisierende Caudillos um die Macht in Bolivien rangen, eine Situation, in der es schwierig ist, nationale Polizeikräfte zu organisieren bzw. aufrecht zu erhalten. Zudem war direkt nach der Unabhängigkeit das Militär bedeutender als die Polizei. Dies erschließt sich aus der Rolle des Militärs in den folgenden Jahrzehnten (s.u.) und lässt sich daran ablesen, dass das Militär (Colegio Militar: 1835) über 100 Jahre früher als die Polizei (Escuela de Policía: 1937) eine Ausbildungsstätte bekam (vgl. Mansilla 141

Anderen Quellen nach erst 1827 (Gamarra/Barrios Morón 1996).

153

1999; Mansilla 1995; Hudson/Hanratty 1989; vgl. Gamarra/Barrios Morón 1996). Laut Gamarra/Barrios Morón (1996) war die Polizei dem Militär im 19. Jahrhundert untergeordnet und beide Institutionen nahmen Aufgaben im Landesinneren wahr: die Polizei vorrangig in den Städten, das Militär in ruralen Gebieten. Bolivien war im 19. Jahrhundert schweren Belastungen ausgesetzt. Der Unabhängigkeitskrieg hatte die finanziellen Ressourcen geschmälert, die Silberminen und die Landwirtschaft waren teils aufgegeben, teils zerstört worden. Zudem geriet Bolivien gemeinsam mit Peru bald in einen militärischen Konflikt mit Argentinien und Chile, in dem Bolivien unterlag (Hudson/Hanratty 1989; vgl. Miller 1992). Auch innenpolitisch waren die Zeiten unruhig. Zwar hatte Bolivien ab 1825 sieben Präsidenten, die sich für längere Zeit im Amt halten konnten (Miller 1992), doch dieser vordergründige Eindruck politischer Stabilität trügt. Fünf davon gelangten durch Staatsstreiche an die Macht; von 20 Regierungen zwischen 1826 und 1879 wurden nur drei von Zivilisten geführt; nur vier Präsidenten traten freiwillig von der politischen Bühne ab und allein sechs wurden ermordet! Die internen Konflikte führten außerdem dazu, dass der Regierungssitz zwischen den Städten Sucre und La Paz des Öfteren hin und her verlegt wurde, je nachdem, welche Region und welche Caudillos gerade die Oberhand gewonnen hatten (Miller 1992). Was „wie ein irrwitziges Machtgerangel" (Miller 1992: 644) anmutet, war laut Miller nichts anderes als der Versuch der Caudillos, die Position jener Region zu verbessern, für die sie jeweils standen. Endgültig durchsetzen konnte sich aber auch keiner der Akteure, weil die Macht von keinem von ihnen fiir eine Alleinherrschaft ausgereicht hätte (Miller 1992, vgl. Hudson/Hanratty 1989). 1879 hatten sich zudem die Grenzscharmützel zwischen Chile einerseits und Bolivien und Peru andererseits zugespitzt. Sie drehten sich zuletzt um die schürfbaren Materialien im Grenzgebiet, insbesondere in der Küstenregion der Atacamawüste, und mündeten im Salpeterkrieg (vgl. Kap. 3.2.1.). Bolivien hatte dem chilenischen Heer nichts entgegen zu setzen, die Peruaner hielten sich besser, aber im Ergebnis gewann Chile und Bolivien verlor mit dem Atacama-Territorium auch den wichtigen Zugang zum Pazifik (Miller 1992: 648ff.; Hudson/Hanratty 1989). Des Weiteren hatte das Land um die Jahrhundertwende fortgesetzt mit sozialen Auseinandersetzungen zu tun, wobei die Konfliktlinie typischerweise zwischen den indígenas und den hellhäutigen Mitgliedern der Oligarchie verlief (Hudson/Hanratty 1989). Auch das 20. Jahrhundert begann mit internationalen Konflikten, bei der sich Bolivien geschlagen geben und Territorialverluste hinnehmen musste. 1902/03 unterlag Bolivien in einem Krieg mit Brasilien und musste das Acre-Gebiet im Nordosten abgeben. Von 1932 bis 1935 dauerte der Chaco-Krieg. Bei dem Gran Chaco handelt es sich um ein schwer zugängliches Gebiet an der Grenze zu Paraguay. Warum darüber ein großer Konflikt entbrannte, ist nicht vollständig geklärt. Teils wird auf dortige Ölvorkommen verwiesen, teils darauf, dass sich Bolivien einen einfachen, aber prestigeträchtigen Sieg erhofft hatte, denn das bolivianische Militär glaubte sich nach einigen Professionalisierungsbemühungen 154

(z.B. die Gründung bzw. Wiedereröffnung der Militärakademie 1891) in einer starken Position (Bieber 1996; Hudson/Hanratty 1989; Gamarra/Barrios Morón 1996). Bolivien unterlag aber in sämtlichen wichtigen Schlachten, zuletzt war die Frontlinie fast 500 km zum Fuß der Anden hin vorgeschoben worden und laut Bieber hatten 52.000 Menschen ihr Leben gelassen. 142 Verantwortlich für diese desaströse Entwicklung waren sowohl eine ineffiziente militärische Führung und Koordination als auch Korruption und Vetternwirtschaft. Außerdem bestand die Armee hauptsächlich aus Hodúaná-Indígenas, die wenig kämpferische Ambitionen hatten und die klimatischen Bedingungen des Chaco-Tieflands nicht gewohnt waren (Bieber 1996). Für das bolivianische Militär markiert die Niederlage im Chaco-Krieg den Endpunkt einer Serie von verlorenen Kriegen. Seit fast 60 Jahren hatte es die Landesgrenzen in keinem einzigen der Konfliktfälle erfolgreich verteidigen können. Laut Polizeifachleuten hat diese Erfahrung das Selbstverständnis und die Mentalität der bolivianischen Militärs bis zum heutigen Tag tief beeinträchtigt (Mansilla 1999; Gamarra/Barrios Morón 1996; Hudson/Hanratty 1989) und dies unterscheidet das bolivianische Militär vom chilenischen, das äußerst selbstbewusst ins 20. Jahrhundert ging (vgl. Kap. 3.2.1.). Neben der Landesverteidigung hatte das bolivianische Militär in dieser Phase aber stets auch Aufgaben im Landesinneren und griff je nach Anlass mal stärker, mal weniger stark in den Aufgabenbereich der Polizei ein (Gamarra/Barrios Morón 1996). Für die Polizei selbst war 1886 ein Polizeigesetz formuliert worden, laut dem die Aufgabe der Policía Nacional die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung" ist (Gamarra/Barrios Morón 1996: 103). Was dabei unter öffentlicher Ordnung verstanden werden sollte, war nur vage definiert, dafür war eine klare Zielgruppe auszumachen: es galt v.a. der „Bedrohung durch die Indígenas (amenaza indígena) zu begegnen (Gamarra/Barrios Morón 1996: 103). Dahingehend arbeiteten Polizei und Militär zusammen, wobei die Polizei die untergeordnete Institution war (vgl. Bieber 1996). Während des Chaco-Konflikts selbst waren manche Polizeieinheiten an den Kriegshandlungen beteiligt. Durch diese Bindung des Militärs und Teilen der Polizei entstanden im Landesinneren Sicherheitslücken. Sie wurden wiederum mittels einer neuen Einheit geschlossen, der sog. Legión Cívica (Zivilschutz), die zusammengesetzt war aus „elementos civiles de reconocida honorabilidad que deseaban prestar voluntariamente su concurso" (Zivilisten mit unzweifelhaften Ruf, die freiwillig Hilfsdienste leisten) (Gamarra/Barrios Morón 1996: 104). Dieser Zivilschutz übernahm nun gemeinsam mit den verbliebenen Polizeieinheiten schutzpolizeiliche Dienste sowie die Aufgabe, erneute soziale Unruhen niederzuhalten (Gamarra/Barrios Morón 1996; vgl. Bieber 1996). Durch die Niederlage im Chaco-Krieg war nicht nur das Militär blamiert, sondern auch die traditionelle Führungselite. Dies gab der Opposition Auftrieb. Innerhalb des Militärs waren die Oppositionellen hauptsächlich unter jüngeren 142

Hudson/Hanratty (1989) geben höhere Zahlen an: 65.000 Tote auf bolivianischer Seite. 155

Offizieren zu finden, die schließlich erfolgreich gegen die angeschlagene Oligarchie putschten und einen socialismo militar zu implementieren suchten (Gamarra/Barrios Morón 1996; vgl. Bieber 1996). Die von ihnen ehrgeizig in Gang gesetzten Reformen umfassten auch die Polizei. Mit Hilfe italienischer Berater und an den italienischen Carabineri orientiert wurde 1937 der Cuerpo Nacional der Carabineros143 gegründet, der 1962 mit der Policía Nacional vereinigt bzw. in Policía Nacional umbenannt wurde (Mansilla 1999). Dabei handelt es sich um eine streng zentralistisch organisierte Einheit mit militärischen Zügen. Im selben Jahr, d.h. sehr spät, wurde die bolivianische Polizeischule gegründet, die Escuela de Policía (später: Academia Nacional de Policía) (Hudson/Hanratty 1989; Gamarra/Barrios Morón 1996). Der socialismo militar hatte nur bis 1939 Bestand. Danach nahmen Polizei und Militär gemeinsam die polizeilichen Funktionen wahr. Die entstehenden Kompetenzkonflikte blieben jedoch dadurch unter Kontrolle, dass beide Institutionen dem Verteidigungsministerium zugehörig waren und die Polizei dem Militär unterstand (Gamarra/Barrios Morón 1996; Hudson/Hanratty 1989). In politischer Hinsicht waren die Jahre bis zur Revolución Nacional von 1952 von einem zähen politischen Ringen zwischen der Oligarchie und den neuen Kräften geprägt, darunter etliche linke Parteien (Hudson/Hanratty 1989; Bieber 1996). Beide Lager wechselten sich in den Regierungsgeschäften ab, aber die alten Führungseliten verloren zunehmend an Unterstützung. Der Hauptprofiteur der politischen Umwälzungen war eine neue Partei, die 1941 gegründete MNR (Movimiento Nacionalista Revolucionario: Revolutionäre Nationalistische Bewegung). Inhaltlich stand bei dieser Partei ursprünglich der Nationalismus im Vordergrund, lt. Bieber (1992; vgl. Hudson/Hanratty 1989) vertrat sie sogar faschistische Positionen und verstand sich als Alternative zu den Parteien des linken Spektrums. Später rückte sie aber selbst weiter nach links und galt als Partei der Mittelschichten (Bieber 1996; Gamarra/Barrios Morón 1996; Hudson/Hanratty 1989). Die MNR war bereits 1943 an einem Putsch beteiligt (Hudson/Hanratty 1989), bedeutender ist aber, dass sie bei den Präsidentschaftswahlen von 1951 klar siegte. Trotz dieses Wahlsiegs verweigerten die alten Machthaber die Übergabe des Präsidentenamts, deshalb plante die MNR die Regierungsgeschäfte mit Unterstützung der Polizei und Teilen des Militärs mit Gewalt zu übernehmen. Dieser Aktion schlössen sich unvorhergesehen die Minenarbeiter an und sie führte in einen dreitägigen blutigen Kampf, der die soziopolitische Landkarte des Landes umstülpte (Bieber 1996; Hudson/Hanratty 1989). Die nächsten zwölf Jahre regierte die MNR Bolivien (Víctor Paz Estenssoro 1952 - 1956, Hernán Siles Zuazo 1956 - 1960, Víctor Paz Estenssoro 1960 - 1964).

143

Laut Hudson/Hanratty (1989) handelt es sich bei den Carabineros um eine Verschmelzung der „Military Police", des „Gendarmerie Corps", der paramilitärischen „Security Police" und des der Armee zugehörigen „Carabineer Regiment".

156

Im Hinblick auf die Sicherheitskräfte wurde das Militär, das stets in engem Zusammenhang mit der Oligarchie gestanden hatte, in seinem politischen Einfluss weitgehend ausgeschaltet. Auch wurden die Militärausgaben beschnitten und der Personalstand von 20.000 auf 5.000 reduziert (Hudson/Hanratty 1989; Gamarra/Barrios Morón 1996). Im Gegenzug dazu, und weil die Nationalpolizei 1952 auf Seiten der MNR gestanden hatte, wurde die Unterordnung der Polizei unter das Militär zurückgenommen. Die Polizei wurde erstmals dem Innenministerium unterstellt. Außerdem wurden Modernisierungsprojekte in Angriff genommen, von denen die Polizei profitierte und sie konnte Aufgabenfelder besetzen, die ehemals dem Militär vorbehalten waren. Diese Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen Polizei und Militär nach 1952 hat die Beziehungen zwischen beiden Institutionen nachhaltig beeinflusst und wirkt bis heute fort (Gamarra/Barrios Morón 1996; Hudson/Hanratty 1989). In jenen Jahren gab es aber noch einen dritten sicherheitspolitischen Akteur in Bolivien, die milicias populares (Arbeitermilizen). Sie wurden rasch zur stärksten bewaffneten Gruppe des Landes und zählten auf ihrem Höhepunkt Ende der ersten Amtszeit Estenssoros 1956 It. Hudson/Hanratty (1989) 50-70.000 Mann! Die Betonung der milicias populares steht im engen Zusammenhang mit der Beteiligung der Minenarbeiter am 52er Putsch. Auch die Central Obrera Boliviana (COB), der Dachverband der bolivianischen Gewerkschaften, gewann dadurch an Macht und konnte durchsetzen, dass wichtige Ämter aus ihren Reihen besetzt wurden (Bieber 1996). 1956 wendete sich das Blatt erneut und dies hatte vor allem mit der wirtschaftlichen Lage des Landes zu tun. Ironischerweise, so meint Bieber (1996), warfen die Zinnminen ausgerechnet in jener politischen Phase nur noch wenig Profit ab, in der die Minenarbeiter zum ersten Mal in der Geschichte von den erwirtschafteten Geldern hätten profitieren können. Dies bedeutete auch, dass die Versprechungen, die den Arbeitern gemacht worden waren, nicht eingehalten werden konnten. Folglich flammten abermals soziale Proteste auf (Bieber 1996). Deshalb wurden die nun möglicherweise unzuverlässigen Arbeitermilizen reduziert, das Militär wieder ausgebaut und parallel dazu die Polizei abermals in den Hintergrund gedrängt (Hudson/Hanratty 1989; Gamarra/Barrios Morón 1996). Dies setzte natürlich voraus, dass die Regierung das Militär für loyal hielt, dem war aber nicht so. 1964 ließ der nach Wahlen als Vizepräsident vorgesehene General Barrientos Ortufio den Präsidentenpalast besetzen und sich selbst als Präsident ausrufen (Hudson/Hanratty 1989). 144 Das Militär hatte schon seit längerem Unterstützung aus den USA erhalten und sie wurde noch aufgestockt, als im Osten des Landes eine Guerillagruppe, die ELN (Ejército de Liberación Nacional: Nationale Befreiungsarmee) unter der Führung des berühmten Ernesto Che Guevara die Bühne betrat. Nicht dass die kleine Gruppe besonders schlagkräftig gewesen wäre, in der Welt des Kalten Krieges war die Verfolgung der ELN aber eine prestigeträchtige Aufgabe. 1967 144

1964 - 1965 und 1 9 6 6 - 1 9 6 9 , dazwischen gemeinsam mit General Alfredo Ovando Candia.

157

wurde die ELN gestellt und das bolivianische Militär konnte sich rühmen, Che Guevara exekutiert zu haben (Hudson/Hanratty 1989; Gamarra/Barrios Morón 1996). Für die Polizei bedeutete die Regierung Barrientos, dass sie gemeinsam mit der MNR in eine Art Sippenhaft genommen wurde, weil sie sie ehedem unterstützt hatte. Die innere Sicherheit war fortan in erster Linie Angelegenheit des Militärs, hohe Polizeiposten wurden von Armeeoffizieren übernommen und die Polizei musste sich unterordnen (Gamarra/Barrios Morón 1996). Nach drei weiteren Militärputschen in nur rd. drei Jahren war Colonel Hugo Banzer im Amt, der zu den langlebigeren bolivianischen Präsidenten zählt. Seine Regierung war in den ersten Jahren in einer ökonomisch vergleichsweise günstigen Situation und es hätten Jahre der Stabilität werden können. Gleichzeitig steuerte diese Regierung aber einen äußerst repressiven Kurs gegenüber der Linken und den Gewerkschaften. Unter anderem führte ein Protest gegen Preiserhöhungen in Cochabamba 1974 zu einem Massaker des Militärs an der Zivilbevölkerung. Dem folgten einige Putschversuche, die Banzer aber überstand. Das Verhältnis zwischen Polizei und Militär ist in jenen Jahren komplex. Einerseits hatte sich die Polizei laut Gamarra/Barrios Morón (1996) der Militärregierung angepasst und untergeordnet, so dass ihr eine gewisse Autonomie eingeräumt wurde, die sie nutzen konnte, um die eigene Institution zu stabilisieren. Andererseits betraf dies nicht alle Sparten der Polizei gleichermaßen. Die kriminalpolizeiliche Abteilung der bolivianischen Polizei (Dirección Nacional de Investigación Criminal, DNIC) hatte ein vergleichsweise gutes Verhältnis zu den Streitkräften, insbesondere im Hinblick auf die Verfolgung Andersdenkender. Die uniformierte Schutzpolizei (Guardia Nacional de Seguridad Pública, GNSP) hingegen war mit dem Militär weniger eng verbunden, dies auch deswegen, weil sie nur eine Randposition innehatte, da die Streitkräfte die innere Sicherheit als ihre eigene Aufgabe ansahen. Das Hauptcharakteristikum jener historischen Phase war aber, dass die Macht zunehmend allein in Banzers Händen zusammenlief. So hing auch für die Polizei vieles davon ab, wie eng ihre Führungskräfite mit Banzer verbunden waren (Gamarra/Barrios Morón 1996). Mit der Zeit und mit der zunehmenden Repression wurde aber der politische Druck auf Banzer größer und er sah sich gezwungen, demokratische Wahlen für das Jahr 1978 anzukündigen. Die wurden abgehalten, jedoch kurz darauf annulliert, weil dem Ergebnis offensichtlich ein Wahlbetrug zugrunde lag. Die Reaktion darauf war ein erneuter Staatsstreich (Hudson/Hanratty 1989) und dem folgte eine Serie von Putschen und Gegenputschen, die weltweit ihresgleichen sucht (Tab. 21). In nur vier Jahren, zwischen 1978 und 1982 zogen Uber Bolivien neun Regierungen hinweg, darunter sieben Militärregierungen.

158

Tab. 21: Period

Bolivien: Regierungen zwischen 1971 und 1989 llead of Government

Nature of Government

Source of Authority

Outcome of Government

1971-78

Hugo Banzer Suárez

Military, de facto

Coup d'état

Coup d'état

1978

Juan Pereda Asbún

-do-

-do-

-do-

1978-79

David Padilla Arancibia -do-

-do-

Stepped down

1979

Walter Guevara Arze

Civilian, constitutional

Elected by Congress

Coup d'état

1979

Alberto Natusch Busch

Military, de facto

Coup d'état

Forced to step down

1979-80

Lidia Gueiler Tejada

Civilian, constitutional

Elected by Congress

Coup d'état

1980-81

Luis García Meza Tejada

Military, de facto

Coup d'état

Resigned

1981

-doCelso Torrelio Villa, Waldo Bemal Pereira, Oscar Pammo Rodríguez

Named by -doGarcia Meza

1981-82

Celso Torrelio Villa

Named by -domilitary junta

1982

Guido Vildoso Calderón -do-

Named by Stepped down armed forces

1982-85

Hernán Siles Zuazo

Civilian, constitutional

Elected by Congress

Forced to call early elections

1985-89

Víctor Paz Estenssoro

-do-

-do-

Completed term

1989-

Jaime Paz Zamora

-do-

-do-

in power 1989

-do-

Quelle: Hudson/Hanratty 1989

Das Jahr 1982 markiert die Rückkehr Boliviens zur Demokratie. Seitdem kennt Bolivien nur noch reguläre Regierungswechsel (vgl. Zuber 1996; Birle 1996a, 1996b; Mercado 1996). Die Wahl von 1997 konnte schließlich die ADN für sich entscheiden: Hugo Banzer, der ehemalige Putschist, wurde Präsident und leitete eine heterogene Vielparteienkoalition bis zu seinem Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen im August 2001. Bis zur Wahl im Jahr 2002 wird die Regierung von seinem Vize Jorge Quiraga Ramirez geführt werden (Minkner-Bünjer 2000; Hudson/Hanratty 1989). Bei den bolivianischen Sicherheitskräften dreht sich seit 1982 fast alles um das Kokain und die teils mit dem Kampf gegen den Anbau und die Weiterverarbeitung dieser Droge zusammenhängenden, teils aufgrund der sozialen Ungleichheit entstehenden sozialen Unruhen in Bolivien (Minkner-Bünjer 2000). Das Kokain ist der wichtigste Faktor im Verhältnis Boliviens zu den Vereinigten Staaten und zugleich der wichtigste Faktor in der Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem Militär und der Polizei. 1983 wurde die UMOPAR (Unidad Mobil de Patriillaje Rural) (und 1987 die FELCN: 159

Fuerza Especial de Lucha Contra el Narcotráfico) gegründet, eine von den USA ausgebildete und finanzierte, paramilitärische Einheit, die sich auf den Kampf gegen die Droge spezialisiert hat. Dass diese Einheit bei der Polizei angesiedelt ist, hat zur Folge, dass die Gelder aus den USA fortan an die Polizei gehen und bedeutet, dass die Polizei Funktionen übernommen hat, die früher dem Militär zustanden (Gamarra/Barrios Morón 1996; Hudson/Hanratty 1989). Mit der zunehmenden Bedeutung des Drogenkampfes wurde das Militär aber doch wieder parallel zur Polizei eingesetzt, leitende Institution ist nun aber die UMOPAR. Auch wenn offiziell verlautbart wird, die Zusammenarbeit funktioniere reibungslos, ist von Spannungen zwischen beiden Einheiten auszugehen (Gamarra/Barrios Morón 1996). Die Polizisten der UMOPAR, wegen ihres Wappentiers auch leopardos genannt, sind überdies bald in Verruf geraten. Sie ist die Organisation, die in Bolivien am häufigsten im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen genannt wird (vgl. Kap. 1.2.3.). Der Kampf gegen das Kokain wurde gemeinsam mit der Armutsbekämpfung von der Regierung Banzer nochmals verstärkt ins Zentrum der Regierungspläne gestellt. Aufgestellt wurde ein Fünfjahresplan, der bis zum Jahr 2002 zum Ausstieg aus der Koka-Wirtschaft führen soll. Dieser Plan, Por la Dignidad (um der Würde willen) genannt, gleicht in vielen Elementen den alten Praktiken. Neu ist u.a. die Einsetzung einer Ombudsfrau, die die Menschenrechtssituation überwachen soll. Dennoch ist der repressive Anteil des Plans Dignidad nicht zu unterschätzen. Trotz der Versuche, wirtschaftliche Alternativen für die Kokabauern zu schaffen, sind diese längst nicht ausreichend. Entsprechend demonstrieren die cocaleros gegen die Vernichtung ihrer Kokapflanzungen. Zusammenstöße zwischen den Sicherheitskräften und den radikalisierten Kokabauern sind eine regelmäßige Folge mit nicht selten tödlichem Ausgang. Minkner-Bünjer spricht gar von einer sozialen „Zeitbombe" (Minkner-Bünjer 2000: 165; vgl. Birle 1996a, 1996b; Matussek 2001). 3.4.2. Die Struktur der bolivianischen Polizei In einem eigenartigen Gegensatz zur politisch wechselvollen Geschichte des Landes Boliviens steht die Tatsache, dass seine heute dem Innenministerium (.Ministerio de Gobierno) unterstellte Polizei streng zentralistisch aufgebaut ist und dass dies seit 1825/26 durchgängig der Fall ist (vgl. Kap. 3.4.1.; Mansilla 1999: 5f; Hudson/Hanratty 1989). Geändert hat daran auch das Ley de Participación Popular von 1994 nichts, das den Verwaltungsbezirken einen gewissen Handlungs- und Finanzspielraum erlaubt: „Dieses Gesetz tangierte die polizeilichen Kompetenzen überhaupt nicht" (Mansilla 1999: 6; vgl. Birle 1996b). Der Zentralismus der bolivianischen Nationalpolizei kommt zuvorderst im Artikel 215, Abs. I der bolivianischen Verfassung zum Ausdruck. Demnach hat die Nationalpolizei

160

(...) die spezifische Aufgabe der Verteidigung der Gesellschaft, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sowie der Vertretung und der (Überwachung der) Einhaltung der Gesetze auf dem gesamten nationalen Territorium. Sie übt die polizeilichen Funktionen in einheitlicher Weise und unter einer gemeinsamen Führung aus, entsprechend dem Polizeigesetz und den Gesetzen der Republik. (Base de Datos Políticos de las Américas 1998b)

Neben den bereits in diesem Artikel allgemein definierten Aufgaben geht aus dem Ley Orgánica de la Policía Nacional (Artikel 7o, a-x) hervor, dass die bolivianische Nationalpolizei gleichermaßen ftir schutzpolizeiliche, kriminalpolizeiliche, verkehrspolizeiliche und grenzpolizeiliche Arbeitsgebiete zuständig ist, zudem hat diese Polizei, wie auch die chilenischen Carabineros und die venezolanische Guardia Nacional (vgl. Kap. 3.2.2., 3.3.2.), z.T. soziale Aufgaben (República de Bolivia 1985; vgl. Mansilla 1999). Der administrative Aufbau der Policía Nacional (Abb. 7) ähnelt auf der ersten Ebene stark dem der venezolanischen und der chilenischen Polizeien. Unterhalb der höchsten Führungsebene (Comando General und Subcomando General) findet sich eine Reihe an „Direktionen", die für Aufgaben wie das Personalwesen {Dirección Nacional de Personal), die Gesundheitsversorgung der Polizisten und ihrer Angehörigen (D.N. de Salud y Bienestar Social), die Ressourcenbeschaffung und -Verwaltung (D.N. Administrativa) usw. zuständig sind. Zudem bestehen Abteilungen wie die D.N. de Inteligencia (Sammlung von Informationen u.a.), die D.N. de Planeamiento (Ausarbeitung der Polizei-Politik; Spezialeinsätze), die D.N. de Servicios Técnicos Auxiliares (Laboratorien, Fragen des Straßenverkehrs und dessen Sicherheit), die D.N. de Identificación Personal (Ausweispapiere, Archiv, Ausländer) usw. Auch die Polizeischulen (D.N. de Instrucción y Enseñanza) sowie die Verbindungsstelle zu Interpol (D.N. de Interpol) haben entsprechende Vertretungen (vgl. República de Bolivia 1985; Mansilla 1999).145 1993 wurde auf der Basis des Ley del Ministerio Público eine spezielle PTJ (Policía Técnica Judicial: Justiz- bzw. Kriminalpolizei) gegründet, sie untersteht aber dem Comando General der Policía Nacional und ist nicht, wie beispielsweise die venezolanische PTJ, eine von der Schutzpolizei unabhängige Institution (La Razón 1998c). Die etwa 1.200 Mann starke PTJ ist für schwere Straftaten zuständig, gilt dabei aber als nicht besonders effektiv: für das Jahr 1997 wurde eine Aufklärungsquote von gerade einmal 12% veröffentlicht (La Razón 1998c, La Razón 1998d, La Razón 1998e).

145

Die Angaben von Hudson/Hanratty (1989) weichen davon zum Teil ab. Der Vorzug wurde der aktuelleren Quelle (Mansilla 1999) und dem formalen Gesetzestext (República de Bolivia 1985) gegeben, die außerdem untereinander im Wesentlichen übereinstimmen. 161

Abb. 7:

Bolivien: Organigramm der Policía Nacional de Bolivia

Quelle: Mansilla 1999; vgl. República de Bolivia 1985. 146

Unterhalb dieser Ebene ist die bolivianische Polizei entlang der Departements (Comandos Departamentales) gegliedert. Der Polizeichef eines jeden Departements muss die höhere Polizeischule erfolgreich durchlaufen und mindestens den Rang eines Coronel (Oberst) erreicht haben (Kap. 3.4.3.). Ernannt werden diese Polizeichefs direkt vom höchsten Polizeioffizier des Landes, dem Comandante General. Die Aufteilung in spezialisierte Branchen der Nationalpolizei erfolgt erst unterhalb dieses institutionellen Niveaus. Unterschieden wird zwischen Unidades de Orden y Seguridad (Schutzpolizei), Unidades de Tránsito (Verkehrspolizei), Unidades de Criminalística y Policía Judicial (Kriminal- und Justizpolizei), Unidades de Aduanera (Zollpolizei), Unidades de Policía Provincial y Fronteriza (Provinz- und Grenzpolizei) und Unidades de Control de Sustancias Peligrosas (Einheiten zur Kontrolle gefährlicher Substanzen: gemeint ist laut dem Ley Orgánica, Artikel 480, v.a. Rauschgift). Es gibt sogar eine Policía Feminina („weibliche Polizei"), deren Aufgaben aber in erster Linie Hilfsdienste für die übrigen Einheiten und soziale Dienste umfassen (Ley Orgánica Artikel 460). Eine weitere spezielle Einrichtung sind die Juzgados Policiales („Polizeirichter": Ley Orgánica Artikel 500). Sie sollen kleinere Rechtsübertretungen regeln und „Arbeitsscheue und Herumtreiber" („vagos y malentretenidos") unter Kontrolle halten. Auch haben sie das Recht, kleinere Strafen zu verhängen, was sie in einer Weise tun, die oft zu Beschwerden führt (República de Bolivia 1985; Mansilla 1999). Spezialeinheiten wie die etwa 6.000 Mann (Hudson/Hanratty 1989) starken paramilitärischen Drogenpolizeien (FELCN: Fuerza Especial de Lucha Contra 146 Eine davon abweichende Darstellung findet sich in: Hudson/Hanratty (1989).

162

el Narcotráfico; UMOPAR: Unidades Móviles de Paírullaje Rural', vgl. Kap. 3.4.1.) sind meist direkt dem Innenministerium unterstellt, ihr Personal gewinnen sie aber unter den besten Absolventen der höheren Polizeischulen (Mansilla 1999). Außerdem gibt es weitere Spezialeinheiten, deren rechtlicher Status laut Mansilla (1999) nicht klar ist, die de facto aber dem Comando General zugeordnet sind. Dazu gehören die Patrulla de Auxillio y Cooperación Ciudadana (PAC), die allgemeine Hilfsdienste für Bürger leisten soll, die Brigada Especial de Rescate, Salvamento y Auxilio (BERSA), die bei Unfällen und Naturkatastrophen helfen soll, die Policía Ecológica, die formell für Nationalparks u.ä. zuständig ist, die Patrulla Caminera, die auf Überlandstraßen kontrolliert, die interne Kontrolleinheit Cuerpo de Control Policial und schließlich die Grupos Especiales (GES), die für die Gewährleistung der Sicherheit hochrangiger Personen sowie für Fälle mit Bezug zur Staatssicherheit eingesetzt werden. Ob all diese Einheiten ihre Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen, wird indes häufig angezweifelt (Mansilla 1999: 78f). 3.4.3. Personalstärke, Rekrutierung, Ausbildung, Hierarchien Die bolivianische Policía Nacional hat zurzeit einen Personalstand von ca. 22.000 Mann, davon 4.500 Mitarbeiter der Administration und 17.500 aktive Polizisten (Mansilla 1999; vgl. Presencia 1999; Hudson/Hanratty 1989). Die Polizeidichte beträgt bei etwa 8 Mio. Einwohnern demnach 1 : 363 bzw. 1 : 457 (vgl. La Razón 1998b), je nachdem, ob man nur das uniformierte oder das gesamte Personal in Rechnung stellt. Über die Rekrutierungskriterien und die Ausbildung der Polizisten schweigt sich das Ley Orgánica de Policía Nacional weitgehend aus. Zu finden sind lediglich formale Kriterien, die hohe Offiziere (Generales und Coroneles) erfüllen müssen, die Ausbildung wird inhaltlich nicht näher charakterisiert (República de Bolivia 1985). Laut den Nachforschungen von F. Mansilla (1999) sind neben lokalen und spezialisierten Ausbildungsstätten (z.B. Escuela de Frontera Rural, Escuela de Capacitación Policial) drei Institutionen von Belang: die Escuela Básica Policial, die Academia Nacional de Policías und die Escuela Superior de Policías. Die Escuela Básica Policial mit Hauptsitz in La Paz und Nebenstellen in einigen Provinzstädten soll den einfachen Polizisten die Grundkenntnisse des Berufs vermitteln, sie ist mithin die niederrangigste der drei genannten Ausbildungseinrichtungen. Gegründet wurde sie erst 1973 und damit bezeichnenderweise erst nach der Academia (1937) und der Escuela Superior (1969), was den Stellenwert, der der Ausbildung der Straßenpolizisten eingeräumt wurde, verdeutlicht. Die zweite Einrichtung ist die Academia Nacional de Policías, die sämtliche Rekruten durchlaufen müssen, die in einen Offiziersrang aufsteigen wollen. Nach erfolgreichem Abschluss werden sie als Subtenientes eingruppiert. Die Escuela Superior bietet Spezialkurse für Postgraduierte an, ihr Angebot zielt auf zukünftige Mitglieder der Führungsebene (Mansilla 1999).

163

Offizielle Informationen über die Art der Grundausbildung der Polizisten in der Escuela Básica gibt es wie in Chile und Venezuela nicht (vgl. Kap. 3.2.3., 3.3.3.). Einige Informationen konnten aber verstreuten Zeitungsartikeln entnommen und während der Interviews in den Polizeischulen gesammelt werden. Demnach sind die Schulen überfüllt. Die Schüler sind in engen Schlafsälen für jeweils ca. 45 Personen in Stockbetten untergebracht und entsprechend der Überbelegung sind die Gemeinschaftsduschen unhygienisch. Die Ausbilder haben laut Mansilla (1999) kaum didaktisches Vermögen, der Unterrichtsstil ist autoritär und lässt keinen Raum für kritisches Denken, die Kontrollen sind unerbittlich. Das einzige, was lt. Mansilla (1999: 64f) nicht streng gehandhabt wird, sind offenbar die Prüfungen. In der Academia Nacional de Policías sind die Verhältnisse demgegenüber besser und die Prüfungen werden ernster genommen. Nur die Hälfte der Bewerber hält bis zum Abschluss durch: es gilt das Prinzip muchos entran y pocos salen („es gehen viele hinein und wenige hinaus"). Zwei Wege fähren zum Abschluss, der die Offizierslaufbahn ermöglicht. Zum einen können sich Personen bewerben, die die Sekundärschule mit dem Bachiller (Abitur) erfolgreich beendet haben, zum anderen können sich aktive Polizisten bewerben, sofern sie noch nicht über 28 Jahre alt sind. Die erste Gruppe muss vier Jahre an der Academia lernen, die zweite steigt im vierten Ausbildungsjahr ein und verbringt folglich nur ein einziges Jahr an dieser Einrichtung (Mansilla 1999). Daraus wird deutlich, dass selbst ein Teil der Offiziere der bolivianischen Polizei nur wenig Ausbildung genossen hat. Lt. Mansilla (1999: 66f.) widmen sich 12% des Unterrichts dem Recht (Verfassung, Polizeirecht u.a.), 28% im weitesten Sinne sozialen und administrativen Inhalten und die Mehrheit von 60% Polizeitechniken und -praktiken. Die psychosozialen, rechtlichen und ähnlichen Inhalte genießen außerdem ein bei weitem niedrigeres Prestige als jene, die sich mit Kriminalität, Waffen, Technik und Sport beschäftigen.

164

T a b . 22:

Bolivien: D i e n s t r ä n g e u n d V e r d i e n s t d e r Policía N a c i o n a l d e Solivia Rang

Bolívares

$ US

Generales Comandante General1

11.800

2.107

Subcomandantes Generales1

9.980

1.782

Generales

8.000

1.428

4.495

803

Teniente Coronel

k.A.

k.A.

Mayor

k.A.

k.A.

Capitán

k.A.

k.A.

Teniente

k.A.

k.A.

Subteniente

k.A.

k.A.

Suboficial superior

1.200

214

Suboficial mayor

1.150

205

Suboficial primero

1.100

196

Suboficial segundo

1.050

187

Sargento primero

950

169

Sargento segundo

850

151

Cabo

600

107

Agente/Policía

400

71

Jefes Coroneles

Oficiales

Suboficiales

Clases y Policías

1) Funktionsstellen. Quelle: Presencia

1999; Mansilla 1999; República de Bolivia 1985: 147

1998, und d a s ist eine d e r positivsten N e u e r u n g e n , w u r d e n die M e n s c h e n r e c h t e in den Unterrichtsstoff a u f g e n o m m e n und z w a r über die g e s a m t e n vier J a h r e d e r regulären A u s b i l d u n g h i n w e g (Mansilla 1999: 70). Laut d e m Direktor der Academia Nacional w e r d e n seit einigen Jahren den Polizeischülern g e g e n ü b e r a u c h keine körperlichen Strafen m e h r verhängt, diese A u s s a g e m a c h t a b e r indirekt deutlich, dass solche Strafen f r ü h e r d u r c h a u s üblich w a r e n und d e s h a l b sind sol-

147

Kleinere Unstimmigkeiten zwischen Mansilla (1999) und Presencia (1999) im Hinblick auf die Gehaltsangaben wurden zugunsten der Primärquelle (Presencia 1999) korrigiert. Die Dienstränge sind in beiden Quellen nicht vollständig. Komplettiert wurden sie mit Hilfe des Ley Orgánica de Policía Nacional (República de Bolivia 1985).

165

che Methoden im Repertoire der Ausbilder immer noch präsent (Mansilla 1999: 71). Auch unabhängig davon ist der Strafenkatalog für Verfehlungen lang. Er enthält Verweise, Notenabzüge, die Absolvierung bestimmter schwieriger sportlicher Leistungen, Gefängnis, Suspendierung auf ungewisse Zeit, Verlust der Alterszuschläge beim Gehalt, Verlust des Dienstgrades (Degradierung) und Versetzungen in eine abgelegene oder unangenehme Region. Solche Strafen werden entsprechend dem autoritären Stil selbst für kleinste Vergehen verhängt, wie etwa das Tragen einer nicht völlig sauberen Uniform, Antworten, die vom Vorgesetzten als unangemessen wahrgenommen werden usw. Am schlimmsten trifft es die Rekruten des ersten Jahrgangs, weil sie nicht nur von ihren Vorgesetzten, sondern auch von den Polizeischülern der älteren Jahrgänge gegängelt und geschliffen werden. Des Weiteren ist der Alltag in der Institution rigide geregelt und lässt keinerlei Freiräume.148 Vermutlich hat das Prinzip des muchos entran y pocos salen mindestens ebensoviel mit dieser Behandlung und dem Zwang zur bedingungslosen Unterordnung unter die Vorgesetzten zu tun, wie mit dem Niveau des Lernstoffes und der Prüfungen. Die hohen Bewerberzahlen an der Academia Nacional werden dagegen durch den verhältnismäßig großen finanziellen Anreiz verursacht sein. Ist die bittere Zeit an der Academia erst einmal erfolgreich überstanden, so winkt ein nicht unerheblicher Gehaltssprung. Die Tabelle 22 zeigt die Größenordnungen an. Dabei sind bei den dortigen Angaben die äußerst wichtigen Sozialleistungen und Zuschläge noch gar nicht berücksichtigt und diese kommen hauptsächlich den Offizieren zu Gute. Bemessen am Einkommen ist die soziale Kluft zwischen Offizieren und einfachen Polizisten extrem breit (vgl. den chilenischen Fall, Kap. 3.2.3.), erschwerend kommt das ethnische Element hinzu: indígenas kommen kaum über die niedrigsten Ränge hinaus. Am unteren Ende der Skala, wo das Gehalt ohnehin gerade filr das unmittelbare Überleben ausreicht, werden die Gehälter zudem unregelmäßig bezahlt (Mansilla 1999; Presencia 1999).

148

Aufstehen um 5:30, waschen, Sport bis 7:30, danach Frühstück. 8:00-12:00 Theorieunterricht, danach Mittagessen und Ruhephase. 15:00-17:00 Unterricht, 17:00-20:00 Sport, danach Abendessen. 21:00 Bettruhe. (Presencia 1999; Mansilla 1999).

166

4. Die Deskription: Die Perspektive der Polizisten im Alltagsdienst Die Deskription der Situation der Polizeien Chiles, Venezuelas und Boliviens hat primär das Ziel, die Perspektive der Polizisten selbst einzufangen. Deshalb werden die Polizisten in diesem Kapitel ausführlich selbst zu Wort kommen. Die Grundlage dieser Deskription ist die oben beschriebene empirische Arbeit (Kap. 2) in drei südamerikanischen Ländern, die die Erfassung der Subjektperspektive anstrebte und auf die narrationsevozierende Wirkung offener Fragen setzte. Das so gewonnene Material wird durch weitere in Südamerika gesammelte Informationen ergänzt. Die deutsche Polizei wird als Vergleichsmaßstab hinzugezogen, Daten über diesen Fall wurden der umfangreichen empirischen Polizeiforschung in der BRD entnommen. In die Deskription wird zugleich die komparative Ebene einbezogen, d.h. die vier Länderstudien werden nicht einzeln abgearbeitet, sondern jeweils parallel zueinander behandelt. Die Aussagen der Polizisten aus den verschiedenen Ländern werden direkt miteinander konfrontiert, so dass die Deskription eine erste Interpretationsebene enthält (vgl. Kap. 2, Kap. 5). Zu diesem Zweck wurden die Materialien vier größeren Themenblöcken zugeordnet: 1. Wie wird man (ein guter) Polizist? Remedy-agents, crime-fighters und action-seekers 2. Geschichten vom polizeilichen Gegenüber: Gangster, Gauner und andere Bürger 3. Gute oder schlechte Nachbarn? Justiz, Medien, Politik und Militär 4. Die Polizisten und die Polizei: Kollegen, Vorgesetzte und Arbeitsbedingungen Das erste Kapitel widmet sich der Vorgeschichte der Polizisten sowie ihren Vorstellungen vom Polizeiberuf. Die Geschichten vom „polizeilichen Gegenüber" im zweiten Kapitel handeln zum einen vom Image des Polizeiberufs in der Bevölkerung, zum anderen sind dort alle Erzählungen über das Verhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung untergebracht. Dass die venezolanischen Polizisten der Interviewerin lange Geschichten über polizeiliche Einsätze erzählt haben, und zwar auch viele, in denen Bürger misshandelt werden, rechtfertigt einen Exkurs zum Thema „Gewalt in Caracas" am Ende des zweiten Kapitels. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den Institutionen, mit denen sich Polizisten auseinandersetzen müssen und zuletzt stehen schließlich die Binnenbeziehungen der Polizei zur Diskussion. Darunter fällt das Verhältnis zu weiteren polizeilichen Organisationen genauso wie das zu Vorgesetzen, Kollegen und Kolleginnen. In dieses Kapitel wurden zudem die Einstellungen von Polizisten zum Polizeirecht, ihre Berufszufriedenheit usw. aufgenommen. 167

4.1. Wie wird man (ein guter) Polizist? Remedy-agents, crime-flghters und action-seekers Wie wird man (ein guter) Polizist? Das ist die Überlegung, mit der sich dieses erste Kapitel der Deskription beschäftigt. Die Darstellungen der Polizisten zu diesem Thema lassen sich in drei Unterkapitel gliedern. Einmal geht es um die berufliche und schulische Vorgeschichte der Menschen, die Polizisten geworden sind, sowie um deren Motive, ausgerechnet diesen Beruf zu ergreifen (4.1.1.). Dazu gehört auch die sog. soziale Vererbung des Polizeiberufs - vornehmlich vom Vater auf den Sohn - die in der Vergangenheit in vielen Studien herausgestellt wurde. Danach wird referiert, was die Polizisten über den daran biographisch unmittelbar anschließenden Schritt zu sagen hatten. Es geht darum, was sie während ihrer Ausbildung gelernt haben und wie sie das Gelernte beurteilen (4.1.2.). Im letzten Kapitel (4.1.3.) entwerfen die Polizisten dann anhand einer Frage dazu, was ihrer Meinung nach einen „guten Polizisten" ausmacht, ihre Positionen und Leitvorstellungen. Daraus kann abgeleitet werden, welches Berufsbild die Befragten vertreten: sehen sie sich in einer Rolle als „Freund und Helfer", als remedy-agent, wollen sie als crime-fighters Kriminalität verfolgen oder steht für sie das aufregende Element des Berufs im Vordergrund, die actionl Auf diese Begriffe, mit denen Polizeistile charakterisiert werden können, wird zum Ende dieses Kapitel zurück zu kommen sein. 149 4.1.1. Wer wird Polizist? Um herauszufinden, wer Polizist wird, wurde nach den Motiven der Berufswahl und nach der beruflichen und schulischen Vorbildung der Polizisten gefragt. Damit kann bis zu einem gewissen Grad überprüft werden kann, ob die formalen Einstellungsvoraussetzungen (vgl. Kap. 3) auch tatsächlich eingehalten werden und welches Bildungsniveau Polizisten tatsächlich haben. Um den Stellenwert der angegebenen Berufsmotivation abschätzen zu können, wurde in Südamerika zudem abgefragt, ob der Polizeiberuf der erste Beruf der Befragten ist oder ob sie früher in anderen Berufssparten gearbeitet haben. Das Bildungsniveau von Polizisten kann man nur bedingt an den geltenden Einstellungsvoraussetzungen bemessen. Dass in allen vier untersuchten Ländern bei der Einstellung bestimmte Bildungsabschlüsse gefordert werden heißt nämlich nicht, dass alle Mitglieder dieser Polizeien diese Abschlüsse tatsächlich haben. Dabei kommen zwei Prozesse zum Tragen. Erstens werden bei Neueinstellungen manchmal Ausnahmen gemacht, z.B. wenn die Bewerberlage ungünstig ist oder weil bestimmte Bewerber für die Institution interessante Vorzüge (sportliche Leistungsfähigkeit, seltene Qualifikationen) aufweisen, die eine Ausnahme gerechtfertigt erscheinen lassen. Zweitens ist die Anhebung der Mindestvoraussetzungen oft neueren Datums. In dieser Situation kann das Bildungsniveau der 149

Zu den Begriffen vgl. Behr (1996: 20).

168

wenigen jungen Polizisten das durchschnittliche Bildungsprofil nicht wesentlich anheben, weil die älteren Jahrgänge in der Überzahl sind. Das kann ftir den deutschen Fall gezeigt werden, indem zwischen Berufsanfängern und Polizeibeamten im aktiven Dienst unterschieden wird. In der Bundesrepublik erfasste die vor rd. dreißig Jahren einsetzende Bildungsexpansion auch die Polizei, seitdem stieg das Bildungsniveau der Berufsanfänger beständig an. Mitte der sechziger Jahre waren noch etwa 60% der Berufsanfanger Hauptschulabsolventen (Helfer/Siebel 1975), inzwischen wird dieser Abschluss nur noch selten akzeptiert (2-13%). Die Mehrzahl der Berufsanfänger hat mindestens den Realschulabschluss erreicht (über 60%) und zwischen 26% und 33% haben die Schule mit dem Abitur oder der fachgebundenen Hochschulreife verlassen (Lesnik 1998; Die Streife 1989). Bei den aktiv im Dienst befindlichen Polizisten ist ebenfalls ein Anstieg der Bildungsabschlüsse zu verzeichnen, aber nicht im selben Maße. Kamen laut Helfer/Siebel 1975 noch 69% der Polizeibeamten nicht über einen Hauptschulabschluss hinaus, so hat sich dieser Anteil Ende der achtziger bis Mitte der neunziger Jahre auf unter 5% eingependelt (vgl. Busch u.a. 1985: 152). Eine dem widersprechende höhere Zahl von 30%, die der Bericht der Kommission Innere Führung (1997) ausweist, dürfte darauf zurückzufuhren sein, dass in dem zugrunde liegenden Sample die Arbeiter und Angestellten der Polizei enthalten sind. Die Daten zum Realschulabschluss und zum Abitur schwanken aus denselben Gründen. Im aktiven Dienst haben je nach Quelle zwischen 52% (Kommission Innere Führung 1997) und 73% (Schüller 1991) einen Realschulabschluss und zwischen 7,3% (Feltes/Hermann 1987) und 24,9% (Schüller 1991) Abitur. Bei diesen Zahlen ist aber in Rechnung zu stellen, dass zum einen bei manchen Angaben das Fachabitur als Abitur gewertet wurde (z.B. Lesnik 1998), bei anderen nicht (Die Streife 1989) und bei manchen keine entsprechenden Angaben zu finden sind (Schüller 1991). Zum anderen ist in der Regel nicht ersichtlich, ob Abschlüsse enthalten sind, die durch polizeiinterne Aufstiegsprozesse erworben wurden. Schließlich spricht aber v.a. ein Argument dafür, dass die geforderten Bildungsabschlüsse bei der Einstellung nur langsam auf das durchschnittliche Bildungsniveau der Mitglieder der Institution durchschlagen. Die ähnliche Jahre abdeckenden Angaben von Feltes/Hermann (1987) einerseits und der Zeitschrift Die Streife (1989) andererseits zeigen, dass in dieser Zeit bereits 26% der Polizeischüler aber erst 7% der Polizisten Abitur hatten. Den deutschen entsprechende Daten über die Schulbildung lateinamerikanischer Polizisten gibt es nicht, aber dort, wo ein geschlossener Fragebogen verwendet werden konnte, wurden die Polizisten nach ihrem Bildungsabschluss gefragt. Die Carabineros de Chile gaben alle an, die Schule zwischen 11 und 13 Jahren besucht zu haben, d.h. sie haben mittlere und darüber liegende Abschlüsse. Dies kann zu einem Gutteil damit erklärt werden, dass das Durchschnittsalter der dort Befragten niedrig ist und ftir diese Polizistengeneration bereits relativ strengere Einstellungsvoraussetzungen gelten. Die durchschnittlichen Schulzei169

ten der chilenischen Polizisten in ihrer Gesamtheit dürften aber darunter liegen. Linter den befragten Bolivianern haben 8% nur die achtstufige Primarschule besucht, 37% die Sekundärschule ohne einen Abschluss gemacht zu haben, 16% haben den Abschluss Bachiller (Abitur) nach vier Jahren Sekundärschule erreicht, waren also zwölf Jahre in der Schule, und 27% waren an einer Universität.150 Bei diesen Prozentwerten ist aber zu bedenken, dass diese Titel auch an den Bildungseinrichtungen der Polizei selbst vergeben werden. Davon ist das bolivianische Ergebnis am stärksten betroffen, weil der Offiziersanteil in dieser Stichprobe sehr groß ist. So kann man in der Gesamtschau urteilen, dass das Bildungsniveau der bolivianischen Polizisten unter dem der chilenischen liegt. Informationen über die Schulbildung venezolanischer Polizisten können nur der spärlichen Literatur entnommen werden. Gabaldón und Birkbeck meinen, dass die älteren Polizistengenerationen nur über eine Basisbildung verfügen, wohingegen die jüngeren nach der Sekundärschule teils Universitätskurse belegen (Gabaldón/Birkbeck 1995; vgl. Kap. 3.3.3.). Außerdem wurde der Autorin in Mérida, einer in den Anden gelegenen Mittelstadt, von einem PolizeiofTizier ein Manuskript überlassen (Méndez Osuna 1995), das Angaben über die Schulbildung der Mitglieder der dortigen Policía Uniformada enthält. Demnach erreichten 25% den Bildungsgrad Sexto, 40% gingen in die Sekundarstufe (ohne Abschluss), 20% haben mit dem Bachillerato (Abitur) abgeschlossen und 15% haben die Universität besucht. Durchschnittlich haben demnach die venezolanischen Polizisten noch weniger Schulbildung genossen als die Bolivianer, berücksichtigt man aber, dass der Offiziersanteil im venezolanischen Sample niedriger ist als im bolivianischen, so dürfte das Gesamtniveau ähnlich sein. In Bezug auf die Vorbildung der Polizisten ist es des Weiteren interessant nachzufragen, welcher Beschäftigung sie nachgegangen sind, bevor sie zur Polizei gingen. Laut einer neueren Umfrage wechselten in der BRD 59,5% auf direktem Wege von der Schule zur Polizei, die übrigen machten zuerst eine andere Berufsausbildung.151 In den drei südamerikanischen Ländern sind die entsprechenden Anteile etwas geringer. In Bolivien waren es 57%, in Chile 50% und in Venezuela 46%. Dies bedeutet, dass der Anteil der Personen, die sich erst für den Polizeiberuf entschieden haben nachdem sie andere Wege gegangen waren, in allen Ländern recht hoch ist, am höchsten aber in Venezuela. Was sie in der Zwischenzeit gemacht haben, ist nicht immer nachzuvollziehen, aber den bolivianischen Interviews lässt sich entnehmen, dass ein Drittel der Befragten vorher einer ungelernten Arbeit nachgegangen ist. Dieser Umweg über andere Berufe, 150

151

11% machten keine Angaben (vgl. Mansilla 1999). Für die Auswertung wurden die Daten bereinigt: zur Begründung dessen siehe Kap. 2.4. Die Originaldaten wurden um k.A. bereinigt (vgl. Kap. 2.4.). „Abgeschlossenes Studium" (bereinigt 2,2%) und „keine abgeschlossene Berufsausbildung" (d.h. voraussichtlich direkt von der Schule zur Polizei gegangen: bereinigt 57,3%) wurden addiert (vgl. Kommission Innere Führung 1997). In der BRD lag der Anteil der Polizeischüler mit abgeschlossener Berufsausbildung in den sechziger Jahren bei 81 % (Spiegelberg 1971: I I I ) .

170

den manche heutigen Polizisten gewählt haben, kann als Indiz dafür gelesen werden, dass der Polizeiberuf nicht der ursprüngliche Berufswunsch war. Immerhin belegt eine Erhebung unter deutschen Polizeischülern, dass rund 16% eigentlich andere Vorstellungen hatten. 152 Beides legt auf seine Weise die Frage nahe, was dazu motiviert, Polizist zu werden. Noch Anfang der siebziger Jahre wurden junge Polizisten in der Bundesrepublik zu einem großen Anteil unter Hauptschulabgängern rekrutiert (s.o.) und eines der Hauptmotive der Berufswahl war ohne Zweifel der Wunsch nach einem relativ gut bezahlten und sicheren Arbeitsplatz, wie es das Beamtenverhältnis bietet (vgl. Spiegelberg 1971; Brüsten 1974). Dies hat sich inzwischen geändert. Auch wenn beides stets wesentliche Faktoren bleiben werden, bestimmen Einkommen und Sicherheitsdenken die Berufsentscheidung nicht mehr allein. In Frage kommen daneben Wertvorstellungen, Vorlieben für bestimmte Tätigkeiten usf., in New York wurde sogar festgestellt, dass für immerhin 11% der Polizisten diverse Krimiserien eine Rolle spielten (Aartsma 1992). Nun ist die Erforschung der Berufsmotivation, die mittlerweile zum Standardrepertoire der Polizeiforschung gehört, ein relativ kompliziertes Forschungsfeld. Dessen Verästelungen sind für die hiesigen Zwecke jedoch nicht von allzu großem Interesse. Wichtiger ist, dass ein direkter Vergleich der Daten aus Südamerika mit den in der Literatur veröffentlichten Ergebnissen schwierig ist, weil oftmals ganz unterschiedliche Antwortalternativen vorformuliert sind. Außerdem finden differente Fragetechniken Verwendung. Mal soll von den Befragten eine Rangfolge unterschiedlichster Motive gebildet werden, mal sind Mehrfachantworten gestattet, mal wird jede vorgeschlagene Antwortalternative einzeln erhoben. So kann es vorkommen, dass in nur kurzem zeitlichem Abstand in einschlägigen deutschen Polizeizeitschriften einerseits dargestellt wird, 80% der Polizisten hätten den Beruf vorrangig gewählt, weil sie helfen wollten (Richthofen 1994) und andererseits haben laut der nächsten zitierten Studie 90% auf die Frage, warum sie Polizisten wurden, geantwortet „um versorgt zu sein" (Raisch 1995). Am nützlichsten für den hiesigen Zweck sind Befragungen, deren Resultate es ermöglichen, Rangfolgen der Motive der Berufswahl zu bilden, weil sie am ehesten ein Abgleich mit den Ergebnissen der offenen Befragungen in Lateinamerika zulassen. Zudem sollten die Kategorien vergleichbar sein. Drei Studien über die deutsche Polizei erfüllen diese Bedürfnisse (Tab. 23). Eine davon ist das Saarbrücker Gutachten von 1975 (Helfer/Siebel 1975). Demnach stehen bei den Schutzpolizisten 153 die Motive „sicheres Einkommen und Versorgung" sowie „abwechslungsreiche Tätigkeit und interessante Erlebnisse" mit deutlichem Abstand an der Spitze.

152

„Ist Polizeibeamter ihr Wunschberuf?" Ja: N = 86; Nein: N = 17 (Lesnik 1998).

153

Das Gutachten unterscheidet zwischen den verschiedenen Polizeizweigen. Ausgewählt wurde wegen des Vergleichs mit Südamerika die Schutzpolizei.

171

T a b . 23:

BRD: Motive der Berufswahl

Helfer/Siebel 1975 Backes u.a. 1997 Motiv Motiv A sicheres 59 Abwechslung Einkommen Abwechslung 58 Vielseitigkeit

1.30 Sicherer Arbeitsplatz u. Aufstieg 1.32 mit Menschen arbeiten 1.34 Menschen helfen

52

28 sinnvolle Arbeit f. d. Allgemeinheit 18 selbständige Tätigkeit

1.62 Verdienst

13

1.67 Wunschberuf

11

15 Arbeitsplatzsicherheit

1.78 Gerechtigkeit einstehen 1.85 Beamtenstatus

Selbständigkeit

30 Menschen helfen

Kontakt zu Menschen Menschen helfen

28 Kontakt mit Menschen

Allgemeinheit dienen Aufstiegsmöglichkeiten Freude a. d. Tätigkeit Ansehen bei der Bevölkerung Verdienst geordnete Tätigkeit

Lesnik 1998 B Motiv C 77+12' 1.11 Abwechslung

15 Gerechtigkeit schaffen

45 15

9 + 42 4

8 gute Arbeitsbedingungen

1.91 Vorbildfünktion

3

8 gutes Betriebsklima 8 Sicherheitsbedürfnis

1.93 Schichtdienst 2.12 Sport

3 3

2.14 nichts anderes gefunden 2.22 Ausbildung a. d. Waffe 2.30 Uniform 2.35 3.21 3.66

3

Arbeit mitgestalten können soziale Anerkennung Aufstiegsmöglichkeiten gute Bezahlung Geltungsbedürfnis Bedürfnis Macht auszuüben

1 1

A) Nennungen in % (Schutzpolizei); B) Mittelwerte auf einer Skala von 1 (eher ja) - 4 (eher nein); C) Anzahl der Nennungen (Mehrfachnennungen); 1 „Anspruchsvoller B e r u f (4), „kein Bürojob" (4), „Einsatzbereiche verschieden" (3) und „Herausforderung" (1) waren in der Primärauswertung nicht unter „abwechslungsreicher und interessanter B e r u f subsumiert worden; 2

„Dienst zur inneren Sicherheit" (4) war in der Primärauswertung nicht unter „für Gerechtigkeit einstehen" subsumiert worden. Quelle: Helfer/Siebel 1975: 962; Backes u.a. 1997: 34ff.; Lesnik 1998: o.S.

D i e n ä c h s t e n R a n g p l ä t z e n e h m e n die B e d ü r f h i s s e n a c h „selbständiger T ä t i g k e i t o h n e ständige A u f s i c h t " ( 3 0 % ) , „ h ä u f i g e m K o n t a k t zu M e n s c h e n " u n d d e r „ M ö g l i c h k e i t M e n s c h e n zu h e l f e n " (je 2 8 % ) ein. N u r unter 2 0 % d e r S c h u t z p o l i zisten n e n n e n die „ M ö g l i c h k e i t d e r A l l g e m e i n h e i t ( d e m Staat) zu d i e n e n " , d i e „ A u f s t i e g s m ö g l i c h k e i t e n " und die „ F r e u d e an d e r Tätigkeit". N o c h seltener

172

spielten die „guten Verdienstmöglichkeiten", das „Ansehen bei der Bevölkerung" und die „geordnete Tätigkeit, überschaubare Aufgaben" eine Rolle (Helfer/Siebel 1975: 962). Insgesamt wird in dieser Befragung deutlich, dass die Schutzpolizisten 1975 nicht an der Höhe des Verdienstes und auch nicht an einer Karriere interessiert waren, sondern am sicheren Beamtenstatus, gepaart mit einer möglichst kurzweiligen Tätigkeit, die Freiräume zulässt und den Kontakt mit Menschen ermöglicht. In der zweiten Studie (Backes u.a. 1997) wird zwischen der Motivation zum Zeitpunkt der Befragung und der erinnerten Motivation vor Beginn der Ausbildung unterschieden. Letzteres stimmt mit der Fragestellung des Saarbrücker Gutachtens in etwa überein, so dass die Vergleichbarkeit gegeben ist. Laut dieser Erhebung nahmen bei der Berufswahl der Abwechslungsreichtum der Tätigkeit und die „Vielseitigkeit der Aufgabenstellung" die ersten Plätze ein. Verglichen mit 1975 ist offenbar die erwartete Abwechslung im Beruf noch wichtiger geworden. Das Sicherheitsbedürfnis, das 1975 die wichtigste Motivationsquelle war, wird in der Studie von Backes am ehesten durch „Arbeitsplatzsicherheit" und „Bedürfnis nach Sicherheit" repräsentiert. Diese beiden Motive sind 1997 aber erst auf den Rangplätzen sieben und elf zu finden.' 54 Zentral sind laut beiden Untersuchungen Merkmale, die sich auf die Zusammenarbeit mit Menschen beziehen. „Anderen Menschen helfen" sowie „häufiger Kontakt mit Menschen" sind - gemeinsam mit dem Wunsch eine „sinnvolle Arbeit für die Allgemeinheit" zu leisten - diejenigen Motivationsquellen, die v.a. nach einigen Dienstjahren als wichtig empfunden werden. Der Faktor der Selbständigkeit wird hingegen erst später genannt als 1975. Die Aufstiegsmöglichkeiten sowie die Bezahlung bilden nach wie vor Schlusslichter. Neu hinzugekommen und am seltensten genannt wurden „Geltungsbedürfnis" und das „Bedürfnis, Macht auszuüben". Allerdings wird man davon ausgehen können, dass derartige Motive ungern zugegeben werden, das gilt jedenfalls für Deutschland (s.u.). Die Studie von Lesnik (1998) schließlich ist deshalb besonders interessant, weil die Frage nach der Berufsmotivation offen gestellt wurde und die Polizisten folglich Faktoren nennen konnten, die bei den anderen Untersuchungen nicht berücksichtigt wurden. Bemerkenswert ist, dass dadurch auch die Uniform und die Waffe als Anziehungspunkte des Berufes genannt werden konnten. Beides kommt zwar selten vor, dieses Randergebnis erlangt aber im Vergleich mit den lateinamerikanischen Polizisten Relevanz. Ungeachtet dessen steht der Abwechslungsreichtum des Berufs abermals auf dem Spitzenplatz. Der große Abstand, mit dem dieser Faktor die Liste anführt, sollte jedoch nicht überbewertet werden, da er sicherlich mit dem Umstand geschuldet ist, dass in der Untersuchung von Lesnik Polizeischüler befragt wurden. Aber trotzdem sind auch die übrigen Ergebnisse denen der beiden anderen Studien ähnlich. Trotz ihres ju54

„Zum Zeitpunkt der Befragung" rücken sie aber auf die Plätze zwei und sieben vor (Backes u.a. 1997). 173

gendlichen Alters ist den Polizeischülern die Sicherheit des Arbeitsplatzes wichtig und der Kontakt zu Menschen hat große Bedeutung. Die idealistischen Motive (Gerechtigkeit schaffen, Dienst an der Allgemeinheit etc.) stehen dahinter deutlich zurück (vgl. Liebl 2003).' 55 In Lateinamerika wurde die Berufsmotivation mittels offener Fragetechniken erhoben, so dass die Polizisten frei antworten konnten und entsprechend breit ist das Antwortspektrum. Für die Auswertung wurden diese Antworten so weit als möglich Kategorien zugeordnet, die sich an jene der bundesdeutschen Untersuchungen anlehnen (Tab. 24). In einigen Fällen war das aber nicht möglich, weil die Äußerungen der lateinamerikanischen Polizisten völlig andere Richtungen nehmen als die der deutschen Polizisten. Beispielsweise sprachen die Bolivianer wortwörtlich von der „Noblesse des Berufes" (B FB) oder meinten: „Das Hauptmotiv, das (mich) dazu anregte Polizist zu werden, ist die noble Aufgabe, die man hat, aber inzwischen ist sie (die Polizei) unerwünscht und wird missverstanden" (B FB). Auch wenn das letzte Zitat die Enttäuschung zum Ausdruck bringt, die sich bei dem Polizisten inzwischen eingestellt hat, ist es doch ungewöhnlich, dass solche Motive genannt werden. Tab. 24:

Bolivien, Venezuela und Chile: Motive der Berufswahl

BOLIVIEN Motiv Gesellschaft dienen, Menschen helfen Kriminalität bekämpfen berufliche Sicherheit, Versorgung Berufung, Idealismus „Noblesse" des Berufs Liebe zur Uniform familiäre Einflüsse

VENEZUELA Motiv 48,5 berufliche Sicherheit, Versorgung 11,8 Berufung, Idealismus 11,8 keine Berufung

%

11,8 Liebe zur Uniform und zu Waffen 7,4 Gesellschaft dienen, Menschen helfen 5,9 Kriminalität bekämpfen 2,9 Fortbildung von Herkunftsfamilie unabhängig machen

% 26,9 19,2 15,4 15,4

CHILE Motiv Wertschätzung der Institution Berufung, Idealismus berufliche Sicherheit, Versorgung familiäre Einflüsse

11,5 Gesellschaft dienen, Menschen helfen 3,8 Liebe zur Uniform 3,8 Gefühl zum Militär zu gehören 3,8 Kriminalität bekämpfen Vielfältigkeit des Berufs

% 19,2 15,4 15,4 15,4 11,5 7,7 7,7 3,8 3,8

Am stärksten besetzt ist in Bolivien die Kategorie der „Gesellschaft dienen und Menschen helfen". Dabei heben die bolivianischen Polizisten aber mehr auf die Gesellschaft ab, als auf die direkte Hilfe für Menschen. In der Bundesrepublik trifft das Gegenteil zu. Zudem ist anzumerken, dass die Mehrzahl der befragten 155

Z u funktionellen, inhaltlichen und idealistischen Motiven vgl Willems u.a. (1988).

174

Bolivianer völlig identische Formulierungen benützt, meist die vom „Dienst an der Gemeinschaft" (B FB). Dies ist ein erster Hinweis darauf, dass die Bolivianer nicht so frei geantwortet haben, wie es wünschenswert wäre. Möglicherweise wurden die Polizisten von ihren Vorgesetzten auf die Befragung „vorbereitet". Dies ist ein Problem, dass bei der Auswertung der bolivianischen Interviews noch öfter auftreten wird. Wie schon beim vorher besprochenen Motiv klingt bei manchen aber auch eine gewisse Desillusionierung durch. Wörtlich sprach z.B. einer von der „Utopie des Dienstes am Nächsten" (B FB). Den zweiten Rangplatz teilen sich in Bolivien drei Motive der Berufswahl: die „Berufung", die „Bekämpfung der Kriminalität" und die „berufliche Sicherheit und finanzielle Versorgung" (B FB). Der Kategorie „Berufung" wurden z.B. Formulierungen wie „Berufung zum Dienst"; „Die Berufung, Polizist zu sein"; „Einfach weil ich Polizist sein wollte" (B FB) zugeordnet. Solche Äußerungen sind allerdings sehr unspezifisch, weil nirgends angegeben wird, welche Inhalte des Berufs gemeint sind. Dieselbe Menge an Nennungen bezog sich auf die Verfolgung der Kriminalität. Meist wird vom „ K a m p f ' gegen die Kriminalität u.ä. gesprochen, in einigen Fällen auch vom „ K a m p f gegen die Ungerechtigkeit (B FB: „Kampf gegen das Verbrechen"; „Kampf gegen die Kriminalität"; „gegen das Unrecht und die Kriminalität kämpfen"). In den drei anderen Ländern wird die Eindämmung der Kriminalität seltener als Motivationsquelle bezeichnet. Gleich häufig genannt wird das Bedürfnis nach beruflicher Sicherheit und finanzieller Versorgung. So will z.B. ein bolivianischer Polizist „auf einen Beruf bauen, der einem finanzielle Sicherheit gibt" (B FB), ein anderer sprach von der schlichten „Notwendigkeit einen Beruf und eine Einkommensquelle zu haben" (B FB), die meisten einfach von „ökonomischer Notwendigkeit" u.ä. (B FB: „die ökonomische Situation"; „um Arbeit zu haben"). Zu ergänzen ist, dass die bolivianischen Polizisten in den informellen Gesprächen nach Abschluss der eigentlichen Interviews oft betonten, dass die finanzielle Absicherung das wichtigste Motiv der Berufswahl war. Deshalb wird im Folgenden davon ausgegangen, dass dieses Motiv wichtiger ist, als es laut Tabelle 24 den Anschein hat. Von den übrigen Motiven der Berufswahl wurde die „Noblesse der Profession" bereits angesprochen. Diese Leerformel soll voraussichtlich die allgemeine Wertschätzung der Institution widerspiegeln, dasselbe gilt fiir die „Liebe zur Uniform" (B FB). Eine untergeordnete Rolle spielen zumindest laut den Antworten in diesem Teil des Fragebogens (s.u. zu den Berufen von Familienmitgliedern und Freunden) die familiären Einflüsse, die am Ende der Rangskala zu finden sind. Der venezolanische Fall ist anders gelagert. Die dortigen Polizisten scheuen sich im Gegensatz zu den bolivianischen nicht, eigennützige Motive in den Vordergrund zu rücken. Fragt man die sie, warum sie Polizist wurden, dann geben sie als Hauptmotiv umstandslos den finanziellen Aspekt an. Die Polizisten der Policia Metropolitana werden zwar nicht besonders gut bezahlt, verglichen mit

175

anderen Berufen ist das Gehalt aber ansehnlich und zudem fallen Sozialleistungen ins Gewicht. Zum Einkommen sagt er, dass er bei der PM arbeitet, weil es dort Arbeitsplatzsicherheit gibt und er und seine Familie genießen durch die Versicherung für Krankenhaus, Operationen und Mutterschaft besonderen Schutz. (V 22) In der PM „gaben sie dir drei Kartoffeln statt einer", während sie bei ihm zu Hause nicht immer zu Essen hatten (...), und wenn er sich fiir die Offiziersausbildung entscheiden würde, würde er sein Gehalt weiter bekommen. (V 55)

Es ist aber nicht so, dass die Polizisten aus Caracas überhaupt keine idealistischen Motive angeben würden. Immerhin stehen Aussagen, die der Kategorie „Berufung, Idealismus" zugeordnet werden können, wie in den anderen beiden südamerikanischen Ländern auf dem zweiten Rangplatz (Tab. 24), wenngleich sie oft im direkten Anschluss daran doch den finanziellen Aspekt anschneiden. Dabei benutzen die Venezolaner selten den Begriff Berufung, dafür sprechen sie von Hingabe, Enthusiasmus u.ä. Dieses Zwischenergebnis ist in seiner Bedeutung aber dadurch eingeschränkt, dass fast ebenso viele Polizisten entweder umgekehrt betonen, selbst keine Berufung zu verspüren oder anderen Polizisten den Idealismus absprechen. Er ging nach Caracas, begeistert von der Idee, Polizist zu werden. (V 20) Sein wichtigstes Prinzip war immer die Gerechtigkeit, was seiner Meinung nach ein Synonym der Polizei ist, aber außerdem bot die Polizei bessere Sozialleistungen. (V 52) Er findet, dass es wenig Polizisten aus Berufung gibt, die Moral „ist am Boden". (V 41) Viele arbeiten in der PM wegen dem Geld, nicht aus Berufung. (V 46)

Ein großer Unterschied zu den anderen Ländern ist auch, dass die Wertschätzung des uniformierten Lebens von den venezolanischen Polizisten häufig als Motiv der Berufswahl angeführt wird. Dabei ist außerdem eine spezifische Betonung zu beachten, denn die Polizisten aus Caracas heben dabei zugleich sehr stark auf die Uniform als bloßes Machtsymbol sowie auf den Zugang zu Waffen ab. Er träumte schon immer davon „mit Waffen umzugehen und zu befehlen". (V 6) Hinsichtlich seiner Berufsmotivation (...) sagt er, dass er mit 18 eingetreten ist und „Rambo spielen" wollte. (V 8)

Der Gesellschaft dienen und Menschen helfen zu wollen steht zwar auf dem nächsten Rangplatz, wird aber im Vergleich zu den bolivianischen und deutschen Polizisten nur selten angeben, z.B.: Unterstützung und Hilfe für die Bürger. Er ist stolz, Polizist zu sein. (V 23)

176

Auf diese Komponente der Berufsmotivation folgen drei Motive, die allerdings quantitativ kaum ins Gewicht fallen (Tab. 24): die Bekämpfung der Kriminalität, ein gewisses Interesse an den Fortbildungsangeboten der Policía Metropolitana und den Wunsch, sich von der Herkunftsfamilie unabhängig zu machen. Insgesamt betrachtet stellen sich demnach die venezolanischen Polizisten bei dieser Frage als Personen dar, die ihren Beruf hauptsächlich deshalb gewählt haben, weil sie eine Arbeit suchten, die möglichst große soziale Absicherung bietet. Abgesehen davon schätzen sie die Uniform als Machtsymbol, wobei noch offen ist, ob sie damit ihre berufliche oder ihre persönliche Macht unterstreichen wollen. Bei den Carabineros de Chile steht wieder ein anderer Faktor im Vordergrund, der so in keinem der anderen Länder vorkommt. Sie nennen an erster Stelle (Tab. 24) eine generelle Wertschätzung der Institution. Diese positive Grundeinstellung der Carabineros zu ihrer eigenen Institution mag teils noch den Aussagen der Bolivianer zur „Noblesse der Institution" entsprechen. Die Carabineros sagen aber auch, dass sie die Institution schon von Kindesbeinen an bewundert haben und dies macht klar, dass der Polizeiberuf ihr Wunschberuf ist. Auch nur annähernd ähnliche Aussagen wurden in Venezuela und Bolivien nicht gemacht. Ich wollte immer Carabinero werden, ich wollte es immer, ich hatte mich sogar oft beworben, als ich noch nicht alt genug war. (C 3) Es hat mir immer gefallen und heute, wo ich dabei bin, noch mehr. (C FB)

Eine ähnliche Betonung haben die Ausfuhrungen der chilenischen Polizisten, die sich um die „Liebe zur Uniform" drehen (Rangplatz 6, Tab. 24). Sie hören sich dabei völlig anders als die Venezolaner, die im Hinblick auf die Uniform vor allem an die dahinter stehende Macht und den Zugang zu Waffen denken (s.o.). Bei den Chilenen geht es weiterhin um die Bewunderung der Institution und explizit auch um deren militärische Komponente. Alle drei Kategorien, die Wertschätzung der Institution, die Liebe zur Uniform und der Wunsch, einer militärischen Organisation anzugehören, liegen sehr nahe beieinander. Die Institution hat mir gefallen, (...) die Uniformen, die Aufgaben der Carabineros ben mir gefallen. (C I)

ha-

Eigentlich hat es mir immer gefallen, (...) am meisten hat mich der Ordnungssinn der Militärs angesprochen, (...) früh aufzustehen, zu marschieren, (...), was sie uns später beigebracht haben, die Gesetze, all das, aber das Wichtigste war das mit der Ordnung des Militärdienstes. (C 6) Ich wollte immer zu den Streitkräften gehören. Es hat sich ergeben, dass ich zu den Carabineros konnte, und ich kam gern. (C 2)

Drei Motive der Berufswahl kommen bei den Chilenen gleich oft vor: die „Berufung", die finanzielle Sicherheit und Versorgung sowie familiäre Einflüsse. 177

Was die familiären Einflüsse anbelangt, so stehen sie ebenfalls im Zusammenhang mit den oben aufgeführten Zitaten, die belegen, dass der Berufswunsch Polizist bei manchen Carabineros schon in der Kindheit entstand. Familiäre Einflüsse wurden im Zusammenhang mit den Gründen für die Berufswahl in Bolivien selten und in Venezuela überhaupt nicht vorgebracht. Bei der Einschätzung der Bedeutung familiärer Einflüsse ist aber zu berücksichtigen, dass es, wie weiter unten gezeigt werden wird (Tab. 25), in allen drei Ländern eine beachtliche soziale Vererbung des Berufs gibt, z.T. existieren regelrechte Polizistenfamilien. Wohingegen die bolivianischen und venezolanischen Polizisten dies aber nur beiläufig und auf Nachfragen hin anführten, stellten die Chilenen es von sich aus in den Vordergrund. Deshalb wird davon auszugehen sein, dass die familiäre Tradition bei den Carabineros de Chile besonders gepflegt wird. Weil mein Opa Polizist war, um die Tradition fortzusetzen. (C FB) Es ist etwas, was schon da war, als ich sehr klein war, (...) mein Papa ist Unteroffizier bei den Carabineros (...). Ja, ich habe es schon in meiner Kindheit erlebt, ich bin in Polizeieinheiten groß geworden, wir wohnten in Staatswohnungen, in Wohngebieten von Carabineros. (C 10)

Bei der „Berufung" und dem Wunsch nach finanzieller Sicherheit und Versorgung ergeben sich inhaltlich kaum Unterschiede zu den anderen Ländern und überall nehmen diese Motive vordere Rangplätze ein. Der Begriff der Berufung wird von den Chilenen auch ebenso unspezifisch verwendet wie von den anderen Polizisten und deshalb bleibt es schwer abzuschätzen, was sich dahinter verbirgt. Es muss einem gefallen und es ist ein sicherer und stabiler Arbeitsplatz. (C FB) Man muss sich berufen fühlen, um zu den Carabineros zu gehen, wenn man keine Berufung spürt, sollte man nicht zu den Carabineros gehen. (C 1)

Ein letztes Motiv der Berufswahl der Carabineros, das Gewicht hat, fällt unter die Kategorie „der Gesellschaft dienen, Menschen helfen". Die Bolivianer nannten solche Faktoren zwar häufiger als die Chilenen, ein Unterschied besteht aber auch darin, dass die Chilenen den Begriff des Helfens stärker hervorheben als die Bolivianer. Dies gilt auch im Vergleich mit Venezuela und insoweit scheint die Helferrolle (remedy-agent) in Chile stärker verankert zu sein als in Bolivien und Venezuela. Seit meiner Kindheit, immer schon wollte ich Carabinera sein, ich habe allen erzählt, ich würde Carabinera werden, und was ich tun wollte, um zu helfen. (C 5) Zum einen, der Wunsch zur Polizei zu gehören, zum anderen (...) versuchen den Leuten zu helfen so viel man kann. (C 2)

Dem folgen auf den letzten Rangplätzen noch zwei schwach besetzte Motive, die „Kriminalitätsbekämpfiing" und die „Vielfältigkeit des Aufgabenspektrums". 178

Letzteres ist insofern interessant, als dieses Motiv in den anderen südamerikanischen Ländern nicht vorkommt, in der Bundesrepublik hingegen regelmäßig. Der Unterschied zwischen Chile und der BRD ist allerdings, dass der Abwechslungsreichtum des Berufs bei Befragungen deutscher Polizisten stets einen Spitzenplatz einnimmt. In einem Zitat ist dieses Motiv direkt mit der Helferrolle verknüpft. Es hat damit zu tun, was die Polizei macht, wenn sie hilft, Unterstützung geben, das heißt, bei der Polizei ist ein Carabinero Feuerwehrmann. Sozialarbeiter, Rechtsanwalt. Jedenfalls, wenn man uns ruft, ist man ein wenig von allem, man muss Probleme immer lösen, nicht verschlimmern oder vergrößern, das ist in etwa die Idee (...), zu den Carabineros zu gehen: von allem etwas zu sein, ich war schon immer hilfsbereit. (C 8)

Nach alledem kann gesagt werden, dass bei dem Bild, das die Carabineros von ihrer Berufsmotivation zeichnen, die Wertschätzung der Institution und ausdrücklich auch ihrer militärischen Elemente im Vordergrund stehen. Eine Besonderheit ist darüber hinaus die starke familiäre Anbindung und deren große Bedeutung für die Polizisten selbst. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt im Übrigen eine chilenische Studie über die Carabineros (Sepúlveda 1996). Dort wird allerdings der beruflichen und finanziellen Sicherheit eine größere Rolle zugestanden, als bei den bisherigen Ausführungen und dies geschieht zu Recht, wie einige später referierte Ergebnisse noch zeigen werden (Kap. 4.4.5.). Weiter oben wurde bereits angesprochen, dass die chilenischen Polizisten bei der offenen Frage nach den Gründen für die Wahl dieses Berufs die familiären Einflüsse stärker betont haben als die Polizisten der beiden anderen Länder und sie haben sie auch von sich aus angesprochen. An dem Thema der Selbstrekrutierung der Polizei und der sozialen Vererbung des Berufs besteht deshalb ein großes Interesse, weil auf diesem Weg informelle Verhaltensnormen fortgetragen werden. In jedem Beruf wird durch das sog. training-on-the-job (vgl. Kap. 4.1.2.) Wissen darüber weitergegeben, wie man mit den verschiedensten Situationen umzugehen hat. Bei der Polizei, insbesondere der südamerikanischen, steht zu befurchten, dass dadurch auch unerwünschte Praktiken erlernt werden, z.B. im Zusammenhang mit Korruption und Gewalt. Über die Selbstrekrutierung werden diesem Weg zwei zusätzliche hinzugefügt und zwar zum einen dadurch, dass die Polizisten in der Freizeit unter ihresgleichen sind und zum anderen werden dabei entsprechende Vorstellungen sogar intergenerational übertragen, z.B. vom Vater auf den Sohn. Außerdem befördern enge Beziehungen zu anderen Polizisten in Familie und Freizeit die soziale Abgeschlossenheit der Polizistenkreise noch über das Maß hinaus, das durch die enge Zusammenarbeit von Polizisten, ihren Schichtdienst und ihr ambivalentes Verhältnis zur Bevölkerung (vgl. Kap. 4.2.; Schmid 1996) ohnehin gegeben ist. Um sich ein Bild über den Grad der Selbstrekrutierung und der sozialen Abgeschlossenheit machen zu können, wurde deshalb nach den Berufen der Väter gefragt, einbezogen wurden aber auch andere Familienmitglieder sowie Freunde, weil durch sie im Prinzip dieselben Effekte auftreten können (Tab. 25). 179

Tab. 25:

BRD, Chile, Venezuela und Bolivien: Polizisten unter Familienmitgliedern und Freunden BRD 1

Väter Verwandte keine Verwandten Freunde 1

Hinz 1971.

2

Mehrfachnennungen.

Chile 2

Venezuela 2

Bolivien

7%

9%

17%

29%

12%

64%

74%

k.A.

24%

16%

k.A.

23%

9%

> 68%

~

13,5%

Studien über die Selbstrekrutierung der Polizei in der Bundesrepublik sind relativ selten, meist wird auch nur der Beruf des Vaters erfasst. 156 Lediglich in einer älteren Studie von L. Hinz (1971: 131) wird detailliert vorgegangen. Laut ihrer Erhebung unter Polizeibeamten hatten 7% Väter, die ebenfalls Polizisten waren. Aber dieses Datum unterschätzt die soziale Abgeschlossenheit, denn weitere 12% der Befragten hatten Verwandte und 13,5% „Bekannte", die bei der Polizei arbeiten. Im Hinblick auf die Väter ist der Grad der Selbstrekrutierung bei den chilenischen Carabineros nur geringfügig höher als in Deutschland, dafür sind es wesentlich mehr Polizisten, die verwandtschaftliche Kontakte in die Polizei hinein haben. Rund zwei Drittel geben an, dass weitere, teils mehrere Familienmitglieder bei den Carabineros beschäftigt sind, darunter v.a. Brüder, Großväter, Onkel, Cousins usf. und nur ein knappes Viertel der Befragten hat überhaupt keine Polizisten in der näheren Verwandtschaft (vgl. Sepúlveda 1996). Bei den Carabineros de Chile ist demnach von äußerst starken familiären Traditionen auszugehen, Freundschaften sind hingegen nicht allzu verbreitet (vgl. Kap. 4.4.2.). In Venezuela liegen die entsprechenden Zahlen noch höher. Die familiäre Bindung ist dabei zum größten Teil im engsten Umfeld zu suchen. Bei 17% sind die Väter Polizisten, bei 52% Geschwister und (Ehe-)Partner, hinzukommen 22% bei denen weitere Familienangehörige (Onkel, Cousins usf.) als Polizisten arbeiten und nur 16% haben überhaupt keine Verwandten innerhalb der Polizei. Dass nur 9% der Mitglieder der Policía Metropolitana davon sprachen, dass Personen aus ihrem Freundeskreis Polizisten sind, dürfte die realen Verhältnisse allerdings unterschätzen, wie die später referierten Berichte Uber die Beziehungen zu Kollegen belegen werden (Kap. 4.4.2.). Bemessen am Beruf der Väter herrscht bei der bolivianischen Polizei der höchste Grad an beruflicher Selbstrekrutierung. 29% der Befragten gaben an, dass ihr Vater ebenfalls Polizist ist. Nach der weiteren Verwandtschaft wurde in diesem Land nicht gefragt, dafür geben darüber hinaus 68% an, sehr viele oder viele Freunde in der Institution zu haben.

156

Z.B. arbeiten laut Helfer/Siebel (1975) 11% der Väter in „öffentlichen Ordnungs- und Sicherheitsberufen", definiert als Soldaten, Polizeibeamte, Berufsfeuerwehr u.ä., Polizisten werden in dieser Quelle nicht gesondert ausgewiesen.

180

4.1.2. Wie wird man Polizist? Die Ausbildung zum Polizisten in der BRD, in Chile, in Venezuela und in Bolivien wurde bereits in einem der vorigen Kapitel (Kap. 3) behandelt. Dabei musste für die lateinamerikanischen Fälle festgestellt werden, dass die Institutionen selbst zwar die Offiziersausbildungen umfangreich darstellen, Informationen über die Polizeischulen für die einfachen Straßenpolizisten sind aber kaum zu beschaffen. Diese Lücke kann nun teilweise durch die Erzählungen der Polizisten über ihre Ausbildung geschlossen werden. Befragt wurden sie hauptsächlich zu den Inhalten der erhaltenen Ausbildung. Zudem sollten sie einschätzen, welche Elemente der Ausbildung für die Bewältigung des Alltagsdienstes nützlich sind und weiterhin angeben, ob sie sich an Fortbildungskursen beteiligt haben. Verzichtet wurde darauf, die Ausbildung pauschal bewerten zu lassen, ersatzweise wurde gefragt, ob man als Polizist das Wesentliche auf der Polizeischule oder in der Praxis lernt. Die Ergebnisse dieser Fragestellung werden das Kapitel abschließen. In der Bundesrepublik ist die Ausbildung der jungen Polizisten bei der Bereitschaftspolizei ohne Zweifel einer der meist diskutierten Themen. In der Kritik stehen dabei vor allem militärisch anmutende Elemente wie die sog. „internatsmäßige Unterbringung" der Polizeischüler, von ihren Kritikern als „Kasernierung" bezeichnet, und die Zusammenfassung der jungen Polizisten in Hundertschaften. Die Ausbildungsinhalte seien des Weiteren zu sehr an Großeinsätzen (z.B. Demonstrationen) statt am später typischen Einzeldienst (Streifendienst) orientiert, die Formalausbildung sowie die rechtlichen und technischen Inhalte würden außerdem gegenüber sozialen Inhalten überbetont und schließlich diene der fast ausschließliche Einsatz von ranghöheren Polizisten als Ausbilder weder der Kritikfähigkeit des Nachwuchses noch ihrer Bürgernähe, sondern vielmehr einer Einübung in Befehlsgehorsam und der Abschottung der Polizei von der Gesellschaft (vgl. Kap. 3.1.3.). Diese Argumente taugen aber kaum dazu, die hier interessierende Perspektive durchschnittlicher Polizisten sichtbar zu machen. Meist handelt es sich um allgemeine Abhandlungen, die wenig empirisches Material enthalten. Außerdem sind zwar einige der Autoren Polizisten und insofern Insider, meist zählen sie sich aber zur Gruppe der „Kritischen Polizisten", die sich in ihren Einstellungen vom Durchschnittspolizisten deutlich abheben dürften. In einigen Studien wurden jedoch Polizisten zu ihrer Ausbildung befragt und man kann feststellen, dass sie in Bezug auf ihre Ausbildung sehr viel weniger skeptisch sind als ihre Kollegen von den „Kritischen Polizisten". Schüller beispielsweise belegt mittels einer Umfrage in einer großstädtischen Schutzpolizei, dass nur 8,4% die Aus- und Fortbildung generell kritisieren (Schüller 1991: 270) und in einer älteren Untersuchung (Helfer/Siebel 1975) wurde sogar der direkte Bezug zu militärischen Elementen in eine Fragestellung integriert. Demnach waren 1975 nur 32% der Meinung, die Bereitschaftspolizei sei „nach wie vor eine zu militärische Organisation", die größere Gruppe stellten mit 37% aber 181

jene, die dem nicht zustimmten. Inzwischen dürfte die Sensibilität der Polizisten gegenüber militärischen Elementen der Ausbildung gestiegen sein. Dass militärische Charakteristika keine Anziehungskraft haben, zeigte sich bereits bei der Untersuchung der Berufsmotivation (vgl. Kap. 4.1.1.), bei der zu sehen war, dass etwa das Tragen einer Uniform nur von einer Minderheit positiv gewertet wurde. Die Uniform, der „Drill" und die sog. internatsmäßige Unterbringung, mithin alles, was die persönlichen Freiheiten und die Privatsphäre einschränkt, werden vielmehr als Belastungsfaktoren wahrgenommen (Willems u.a. 1988; Speckin 1993; Fiedler 1993). Eine empirische Erhebung bei auszubildenden Polizeibeamten stammt von Fiedler (1993), der die „Lebenswelt Bereitschaftspolizei" untersuchte. Dort wird gezeigt, dass die „heimatferne" Ausbildung den Verlust alter Freundschaften und ehemaliger Freizeitaktivitäten mit sich bringt, wodurch die Auszubildenden untereinander näher zusammenrücken müssen. Insbesondere die noch nicht Volljährigen verbringen mangels Mobilitätschancen den größten Teil ihrer Freizeit auf dem Ausbildungsgelände und nehmen die dort angebotenen Sportmöglichkeiten wahr. Ihr Verhältnis zu den Ausbildern, die zugleich Vorgesetzte sind, wird laut einer anderen Untersuchung (Lesnik 1998) zwar von der Mehrzahl als „freundschaftlich und ungezwungen" und nur selten als „problematisch" (rd. 12%) beschrieben, gleichzeitig vermissen die Berufsanfänger laut Fiedler (1993) aber Ansprechpartner für persönliche Belange, eine Funktion, die die Ausbilder offenbar nicht erfüllen können. 157 Dennoch fühlen sich 70% der Befragten bei der Bereitschaftspolizei generell wohl (Fiedler 1993). Die Situation der lateinamerikanischen Polizisten in der Ausbildung mit der der bundesdeutschen zu vergleichen ist aufgrund der unterschiedlichen sozialen Situation nicht leicht. Was z.B. die Wohnsituation anbelangt ist eine Kritik an einer institutionell organisierten Unterbringung kaum zu erwarten. Die jungen lateinamerikanischen Polizisten sind eher froh, wenn ihnen eine Bleibe gestellt wird und in Chile leben sogar von den befragten, fertig ausgebildeten Polizisten noch 41% in polizeieigenen Unterkünften. Sie beschreiben ihre Berufsausbildung in den offenen Interviews auch mehrheitlich als nützlich, v.a. wenn man den Vergleich zu Venezuela sucht (s.u.), die meisten wünschen sich aber Verbesserungen. Die (Kurse, die) mir am nützlichsten waren sind, eigentlich alle, Gesetzesanwendung, Vorschriften, (...), Ethik, Moral, die noch nützlicher waren, was noch? Sport (...), generell nützen dir alle, alle erfüllen einen Zweck für die Institution. (C 5) Sagen wir mal die Grundlagen, die Verfassungsgesetze, alles, was mit dem Recht zu tun hat, die typischen Kurse an Waffen, um mit einer Waffe umgehen zu können. (C 2)

157

Ober 50% genügen die Vorgesetzten als Ansprechpartner nicht. Entsprechend wünschen sich 19% der Jüngeren und 23% der Älteren eine Sprechstunde für persönliche Anliegen, 26% bzw. 31% würden einen „Kummerkasten" nützen (Fiedler 1993: 165-173).

182

Zum Beispiel Rechtsanwendung, man müsste eine Gruppe Carabineros hier von dieser Abteilung abstellen, eine Fortbildung zu besuchen, um uns weiterzubilden (...)• Warum? Weil es täglich etwas Neues gibt, Gesetzesänderungen. (C 5) Ich sage dir, die Psychologie lernen wir mehr schlecht als recht mit der Zeit (...), Psychologie, es müsste einen Kurs geben (...), wenn ich später in der Unteroffiziersschule studiere, gibt es Psychologiekurse. Aber wir als einfache Carabineros ... (C I)

Tab. 26:

Chile: Bewertung der Ausbildungsinhalte

CHILE

5 sehr wichtig

4 wichtig

WafTenkunde

75,0%

25,0%

Ethik/ Menschenrechte

75,0%

25,0%

Selbstverteidigung

50,0%

50,0%

3 indifferent



Sport

33,3%

66,6%

Erste Hilfe

66,6%

16,6%

8,3%

Recht

41,6%

50%

8,3%

Technik

25,0%

75,0%

Geschichte

36,4%

45,5%

--

2 unwichtig

1 sehr unwichtig

Mittelwert/ Rang

-

4,75/1



-

4,75/1

--

-

4,50/3

-

4,33/4

---

8,3%

4,33/4 4,33/4

-

18.2%

-

4,25/7

-

4,18/8

Soziologie

33,3%

58,3%

8,3%

-

4,17/9

Psychologie

30,0%

50,0%

20,0%

--

-

4.10/10

Computer

41,6%

41,6%

8,3%

--

Sprachen

27,3%

54,5%

Verwaltung

18,2%

45,5%

27,3%

--

9,1%

3,63/13

9,1%

18,2%

63,6%

--

18,2%

3,00/14

Politik

.

-

8,3%

4,08/11

18,2%

3,73/12

In den geschlossenen Fragebögen wurde den chilenischen Carabineros zum selben Thema eine umfassende Liste von Ausbildungsinhalten vorgelegt, deren jeweiligen Nutzen sie beurteilen sollten. Der Übersicht halber wurden aus ihren Angaben Mittelwerte errechnet, die die Bildung einer Rangfolge zulassen (Tab. 26). Demnach teilen sich bei den Chilenen die kämpferisch-physischen Komponenten (Waffenkunde, Selbstverteidigung, Sport) und die sie einhegenden rechtlichen Komponenten (Ethik/Menschenrechte und Recht) fast gleichgewichtig die ersten Plätze. Ebenfalls weit oben angesiedelt sind Erste Hilfe, Technik und Geschichte. Erst danach rangieren die Ausbildungselemente, die soziale Fähigkeiten betonen (Soziologie, Psychologie) und, weit abgeschlagen, alles was mit den bei Polizisten selten beliebten Bürotätigkeiten (Computer, Verwaltung) zu tun hat. Auf dem letzten Platz findet sich schließlich die „Politik" (vgl. Kap. 4.3.2.).

183

In Bolivien wurde dieselbe Frage mit fast denselben Antwortvorgaben gestellt (Tab. 27). 158 Vergleicht man ihre Angaben mit denen der Carabineros de Chile*59 so ist der augenscheinlichste Unterschied der, dass Psychologie an der Spitze steht und Soziologie nicht weit dahinter folgt. Dies sollte aber nicht vorschnell dahingehend interpretiert werden, dass die bolivianischen Polizisten soziale Fähigkeiten in den Vordergrund stellen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich in diesem Fall um sozial erwünschte Antworten handelt und zwar vorrangig aus drei Gründen. Erstens ist eine Positionierung der sozialen Komponenten im letzten Drittel, so wie es die Chilenen getan haben, typisch für Polizisten. Auch in der BRD würden Polizisten kaum Psychologie vor dem Recht oder der Selbstverteidigung platzieren. Zweitens kamen die Bolivianer in der entsprechenden offenen Fragen ohne Antwortvorgabe von sich nicht auf die Idee, Psychologie u.ä. als wichtig zu bezeichnen und drittens tauchte schon mehrfach der Verdacht auf, dass die teils in einer Polizeischule befragten Bolivianer von ihren Vorgesetzten auf die Interviews „vorbereitet" wurden. Abgesehen davon sind die Ergebnisse aus Bolivien den chilenischen ähnlich. Waffenkunde und Ethik/Menschenrechte stehen ebenfalls an der Spitze. Auch Uber Erste Hilfe, Recht unji Technik kann gesagt werden, dass sie wie in Chile rangieren, wenn man in Rechnung stellt, dass die etwas niedrigere Platzierung in Bolivien nur durch das Vorziehen der sozialen Inhalte verursacht ist. Eine weitere Parallele zu Chile sind die niedrigen Rangplätze, die die administrativen Fähigkeiten einnehmen. Hinsichtlich zweier Ausbildungselemente weichen die Bolivianer jedoch deutlich ab. Zum einen werden Selbstverteidigung und Sport schlechter bewertet und zum anderen zeigen sie wesentlich weniger Interesse an Geschichte als die chilenischen Carabineros.

158 Nach 159

Politik wurde in Bolivien nicht gefragt.

Die Mittelwerte sind wegen der unterschiedlichen Skalen (s.u.) nicht vergleichbar, wohl aber die Rangplätze.

184

Tab. 27: Bolivien: Bewertung der Ausbildungsinhalte 160 BOLIVIEN Psychologie

3 Sehr wichtig 44,3%

2 wichtig

1 unwichtig

Mittelwert/ Rang

45,9%

9,8%

2,34/1

Waffenkunde

50,0%

21,7%

28,3%

2,22/2

Ethik/Menschenrechte

35,0%

41,7%

23,3%

2,12/3

Soziologie

26,7%

46,7%

26,7%

2,00/4

Erste Hilfe

32,8%

34,4%

32,8%

1,98/5

Recht

29,5%

34,4%

36,0%

1,93/6

Technik

21,3%

49,2%

29,5%

1,92/7

Selbstverteidigung

20,0%

51,7%

28,3%

1,92/7

Sprachen

26,2%

27,8%

45,9%

1.80/9

Sport

16,7%

21,7%

61,7%

1,55/10

Computer

18,0%

18,0%

63,9%

1,54/11

Geschichte

11,5%

26,2%

62,3%

1,49/12

Verwaltung

9,8%

22,9%

67,2%

1,43/13

Die Chilenen hatten ihre Ausbildung in den offenen Interviews relativ neutral bewertet und Verbesserungen eingefordert (s.o.). Ähnliche Urteile finden sich vereinzelt bei venezolanischen Polizisten. Sie betonen zudem, dass sich die Ausbildung in den letzten Jahren entscheidend verbessert habe und einer glaubt sogar, die Policia Metropolitana sei anderen Polizeien Lateinamerikas darin voraus, was aber angesichts der nur sehr kurzen Grundausbildung zu bezweifeln ist (vgl. 3.3.3.). Wörtlich fügt er an: „Die Ausbildung wurde verbessert", (...) und wenn man bei der Polizei die Basisausbildung hat, eröffnet sich ein Fächer an Möglichkeiten, andere Kurse zu besuchen, die zur professionellen Weiterbildung beitragen. (V 53) Zurzeit, versichert der Sargento, ist die PM die am besten ausgebildete Polizei Lateinamerikas. (V 53)

Bei der Mehrheit der venezolanischen Polizisten überwiegt aber ein negativer Grundtenor. Inhaltlich, so einer der Polizisten, ließen sie ihn „den letzten Dreck machen" (V 39) und meint damit eine militärisch geprägte Art der Körperertüchtigung: „körperliches Training, wie über den Boden kriechen, im Dreck robben, eine Wand hoch klettern, Liegestützen machen." (V 39). Andere erzählen, sie hätten „etwas über das Recht gelernt, aber ,nicht viel'" (V 10). Weitere

160

Die Fragebögen wurden von den Bolivianern unsorgfältig ausgefüllt. Sie notierten nur, was ihnen „sehr wichtig" oder „wichtig" erschien, die übrigen wurden als unwichtig bezeichnet, ohne näher zu differenzieren.

185

Beispiele sind die folgenden, in denen unter anderem die Meinung vertreten wird, schon die Auswahl der Polizeischüler sei fehlerhaft. Der Gehalt der Ausbildung in der Polizeischule war mager, wenngleich es eine Basis ist, aber sie genügt nicht, um mit der Bevölkerung umzugehen. (V 29) Er macht klar, dass das, was er in der Schule gelernt hat, notwendig war, aber mein bräuchte mehr, vor allem Schießausbildung, die als sehr wichtig eingestuft wird. (V 6) Die Hauptprobleme beim Streifendienst kommen davon, dass die Berufsanfänger nicht richtig ausgewählt werden. Heutzutage sind die Polizisten junge Gewalttäter und man erleichtert ihnen den Waffengebrauch. (V 35)

Zumindest einige Mitglieder der Policia Metropolitana verbindet wiederum mit den Carabineros de Chile (s.o.), dass sie durchklingen lassen, dass sie sich Verbesserungen bei der Ausbildung und Fortbildungsveranstaltungen wünschen würden. Fragt man dann, welche Fortbildungsinhalte eigentlich angeboten und tatsächlich besucht werden, so ergibt sich für die drei untersuchten Länder ein divergentes Bild. Die bolivianischen Polizisten haben nur über Kurse in „Kriminalistik" und „Ermittlungstechniken" (B FB) gesprochen, andere Inhalte scheinen nicht vorzukommen. Woher diese Orientierung kommt, bleibt unklar, aber das Ergebnis deckt sich in etwa damit, dass auch bei der Berufsmotivation die Kriminalitätsbekämpfung für die Bolivianer eine vergleichsweise wichtige Rolle spielt (vgl. Kap. 4.1.1.). Bei den Chilenen und Venezolanern streuen die besuchten und Erwähnung findenden Fortbildungsveranstaltungen inhaltlich wesentlich breiter. Auf die entsprechende offene Frage hin wurde eine Vielzahl an Kursen benannt, die sehr differenten Kategorien zugehören. Vergleicht man die beiden Länder, so ist zuerst auf die abweichenden Angaben hinsichtlich der Fortbildung in den Bereichen Straßenverkehr und Führungsaufgaben hinzuweisen. Was den Straßenverkehr anbelangt, so sind die Unterschiede damit zu erklären, dass die venezolanische Policia Metropolitana im Gegensatz zu den Carabineros de Chile keine verkehrspolizeilichen Aufgaben hat. Folglich haben nur die chilenischen Polizisten Kurse zum „Straßenverkehrsrecht" (C FB) besucht. Die kleine Gruppe der Venezolaner, die eine Ausbildung im Umfeld des Straßenverkehrs haben, hat sich als „Polizeifahrer" (V 3) schulen lassen. Und dass nur die venezolanischen Polizisten auf „Führungsaufgaben" (V 16, V 53) vorbereitet wurden, liegt am Sample. In Chile wurden hauptsächlich junge Polizisten befragt, die dafür kaum in Frage kommen. In Chile folgen dem Straßenverkehrsrecht in der Häufigkeit der Nennungen Fortbildungsveranstaltungen zu Ethik und Recht sowie polizeipraktische Kurse. Unter „Polizeipraxis" kann man Lehrgänge zusammenfassen, die ihrer Bezeichnung nach direkt auf typisch polizeiliche Aufgaben bezogen sind, in Chile z.B.: „Anwendung des Rechts", „Einsatzlehre", „polizeiliche Taktik", „Bewaffnung" usw. (C FB). Solche Kurse sind aber in Chile innerhalb des Fächerkanons nicht so dominant wie in Venezuela, wo sie fast die Hälfte der besuchten Kurse stel186

len. Dort wurden außerdem andere Inhalte genannt, die teils eher Sondereinsätze betreffen (V: „Industrieschutz"; „Zivilschutz"; „Kontrolle von Menschenmassen"; „Helikoptereinsätze") und teils eher kriminalistischen Inhalts sind (V: „Ermittlung"; „Vernehmungstechniken"; „Fingerabdruckverfahren"; „Sprengstoffkunde"; „Schießausbildung"), wobei letzteres im engeren Sinne nicht Aufgabe der Policía Metropolitana, sondern der venezolanischen Kriminalpolizei (PTJ) ist (vgl. Kap. 3.3.2. u. 4.4.1.). „Ethik und Recht" ist in Chile häufiger Bestandteil der Weiterbildung als in Venezuela, und die Venezolaner machen hierbei weniger exakte Angaben als die Chilenen. Während die venezolanischen Polizisten nur in allgemeiner Weise von Recht sprechen, unterschieden die Carabineros zwischen „Strafrecht", „Verfassungsrecht", „Ethik und Moral", „Berufsethik", „Doktrin und Geschichte der Institution", „Militärjustiz" und „Gesetzgebung" (C FB). Deshalb, und weil „Ethik und Menschenrechte" schon bei den Fragen zur Grundausbildung in Chile eine größere Rolle spielte als in den anderen beiden südamerikanischen Ländern (s.o.), kann davon ausgegangen werden, dass die Rechtslehre dort einen vergleichsweise gewichtigeren Part bei der Ausund Fortbildung spielt (vgl. Kap. 4.3.4.). Unter „Prävention, Öffentlichkeit, Familie und Gesundheit" zusammenfassbare Bereiche werden in Venezuela an zweiter Stelle genannt, in Chile erst an fünfter, aber wie schon im Hinblick auf die juristischen Inhalte gaben die chilenischen Polizisten präzisere und detaillierter Auskunft über ihre Fortbildungskurse. Während die Venezolaner nur „Erste Hilfe" und „Öffentlichkeitsarbeit" (V) thematisierten, kommen bei den Chilenen Kurse über „innerfamiliale Gewalt", „Drogen", „Jugendrecht" (C FB) hinzu. Die übrigen Nennungen spielen nur eine untergeordnete Rolle. „Sport und Selbstverteidigung" wurde überhaupt nur von den Chilenen aufgeführt, z.B. „Konditionstraining" sowie Ausbildungen als „Yudo-Lehrer" und für den Einsatz bei der „berittenen Polizei" (C FB). Manchmal genannt wurden zudem Fähigkeiten, die für die Büroarbeit von Nöten sind (C FB: „Computerkurse"; „Maschineschreiben"; „Spanisch"; Venezuela: „Computerkurse"; „Englisch"). Unterschiede finden sich auch bei der Häufigkeit des Besuchs von Fortbildungsveranstaltungen. Von den Carabineros de Chile haben trotz ihres niedrigen Alters alle Befragten bereits mindestens einen Kursus belegt, in Bolivien waren es rund zwei Drittel (Mansilla 1999) und in Venezuela hat nur ein Bruchteil der interviewten Polizisten angegeben, eine Fortbildung genossen zu haben. Auf die Weiterbildung angesprochen gaben vielmehr einige Venezolaner zu Protokoll, dass sie gerne solche Veranstaltungen besuchen würden, dass aber Zugangsbarrieren bestehen, die sie daran hindern. Seiner Meinung nach sollte es mehr Polizisten mit Spezialausbildung geben und mehr Möglichkeiten sich weiterzubilden. Er würde gern Englisch- und Computerkurse machen, aber er muss abwarten bis eine Liste mit ungefähr 200 Beamten abgearbeitet ist, die in Gruppen zu 70 oder 80 Polizisten die Kurse besuchen können. Das verzögert alles und vielleicht interessiert ihn der Kurs schon gar nicht mehr, wenn er dran ist. (V 4)

187

Er gibt an, dass die PM Kurse für die Beamten anbietet, aber (...) er meint, dass die Mehrzahl der Möglichkeiten für Offiziere reserviert sind und nicht für die Mitglieder der Truppe. Der Agente erklärt: „In der Generalkommandantur können sie den Kurs genehmigen, aber wenn mich mein Vorgesetzter nicht lässt, habe ich Pech gehabt". (V 39)

Im Großen und Ganzen kann man aber davon ausgehen, dass in Deutschland bei der polizeilichen Fortbildung dieselben Themenbereiche abgedeckt werden wie in den bisher besprochenen südamerikanischen Ländern. Im Detail ist das Spektrum in der Bundesrepublik aber breiter und erstreckt sich auf speziellere Themen, wie z.B. den angemessenen Umgang mit Vergewaltigungsopfern oder die Aufklärung Uber Korruption (vgl. Holz 1997: 407ff.; Scholz/Greuel 1992: 328ff.). Was den deutschen von den drei lateinamerikanischen Fällen außerdem unterscheidet, ist das Gewicht, das den sozial-psychologischen Inhalten sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite zugestanden wird (z.B. Konflikt* und Stressbewältigung, Kommunikation), in empirischen Untersuchungen werden diese Ausbildungselemente jedenfalls öfter benannt als in Lateinamerika (vgl. Dohm 1997, Savelsberg 1994; Helfer/Siebel 1975; Wanderer/Thieme 1992). Trotzdem kommen Kritiker in der Regel zu dem Ergebnis, dass die Fortbildung ungenügend ist Dohm (1997: 209ff.), z.B. weil sogar Polizisten die Häufigkeit krimineller Taten bei weitem überschätzen würden (Thomas 1989a: 2). Die Polizisten selbst sind laut Umfragen ebenfalls an einer Verbesserung der Fortbildung interessiert. So meinten 1975 74%, die derzeitige Fortbildung sei unzureichend161 und 1997 fanden rd. 60% der Befragten, dass der Zugang zu Fortbildungskursen auf eine Weise erschwert sei, dass sie daran nicht teilnehmen können.162 Insoweit erinnern die Ergebnisse durchaus an die lateinamerikanischen. Dies darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass das Fortbildungsangebot in der Bundesrepublik besser ist als in Chile und viel besser als in Bolivien und Venezuela. Die Kritik an der Ausbildung hat in allen vier Ländern sicherlich auch damit zu tun, dass Bildung zum einen ein prinzipiell nicht zu sättigendes Bedürfnis ist und es zum anderen im Allgemeinen als sozial erwünscht gilt, sowohl eine gute Ausbildung zu haben, als auch sich bildungswillig zu zeigen. Bei den Polizisten selbst äußert sich dies auch in einer spezifischen Kritik an der Ausbildung, nämlich deren unterstellte Praxisferne, sowie darin, dass sie zuletzt dem training-onthe-job stets den Vorrang vor der Grundausbildung oder irgendwelchen Fortbildungsveranstaltungen einräumen (Tab. 28). Was die geglaubte oder tatsächliche Praxisferne anbelangt, vermissen die bundesdeutschen Polizeischüler die praktische Einübung von Fähigkeiten und erleben den Unterricht als zu theoretisch. So meinte z.B. ein für die Studie von H. Willems interviewter Polizeibeamter: „Wir 161

162

Helfer/Siebel (1975) Addition der Prozentwerte für „Stimme völlig zu" und „stimme eher zu". 57,4% fühlen sich über Fortbildungsangebote nicht ausreichend und 59% nicht rechtzeitig informiert. Kommission Innere Führung (1997), vgl. Backes u.a. (1997: 73ff.).

188

kriegen alles so theoretisch eingebleut (...) aber trotzdem, die Situation, wenn man in die hinein gerät (und) man soll das theoretische Wissen anwenden, dann ist das schlecht zu machen, weil wir überhaupt keine praxisbezogene Erziehung in dieser Hinsicht haben" (Willems u.a. 1988: 63), und ein weiterer sagte „ich glaub' in der Praxis handelt man mehr so nach dem Menschenverstand" (Willems u.a. 1988: 63). Diese beiden sind keine Einzelfalle. Laut einer neueren Befragung (Lesnik 1998) finden 64% der Polizeischüler die Ausbildung sei „auf den späteren Berufsalltag bezogen" nicht angemessen und Backes u.a. (1997) kommen zu nur wenig besseren Ergebnissen. 163 Offenbar ahnen die Auszubildenden den Praxisschock, der sie beim Eintreten in den polizeilichen Einzeldienst (Streifendienst) erwartet, bereits voraus. Der Praxisschock hat aber nicht nur mit den Ausbildungsinhalten zu tun, sondern auch mit den älteren Kollegen, auf die sie treffen, denn die haben ihre eigenen Vorstellungen davon, wie die tägliche Arbeit zu verrichten ist. Dementsprechend gibt es in der qualitativ orientierten Polizeiforschung eine ganze Reihe an Aussagen von Polizisten, die berichten, dass ihnen an ihrer ersten Arbeitsstelle nach der Ausbildung von den Kollegen eingeschärft wurde, sie sollten zuerst einmal alles vergessen, was sie in der Polizeischule gelernt haben, sie brauchten nicht zu glauben, sie könnten „neue Sitten" einführen u.ä. (Opitz 1993: 42-45; vgl. Steinert 1997). Dies ist ein Phänomen, das nicht nur im Polizeiberuf zu beobachten ist, dort aber spezifische Relevanz hat, weil die Polizisten gerade im Einzeldienst einerseits große Freiräume haben und andererseits junge und vielleicht sogar nach reformierten Lehrplänen ausgebildete Polizisten von ihren Partnern besonders abhängig sind. So wird man davon ausgehen müssen, dass im Streifenwagen eine gewichtige berufliche Nachsozialisation stattfindet und man wird fragen müssen, inwieweit dabei das ursprünglich Erlernte überlagert wird. Auf dieses Thema angesprochen klagen die südamerikanischen Polizisten ebenso wie die deutschen über die Theorielastigkeit und Praxisferne der Ausbildung. Ein Polizist aus Caracas ist sogar folgender Ansicht: Laut Meinung des Interviewten muss man sich vor frisch geschulten Polizisten und vor Gaunem gleichermaßen in Acht nehmen. (V 58)

Tab. 28:

Chile, Venezuela und Bolivien: Lernt man das Wichtigste während der Ausbildung oder im Alltagsdienst Alltagsdienst

neutral/beides

Chile

92%

Venezuela

91%

9%

Bolivien

60%

38%

163

8%

Ausbildung -

2%

Die Frage lautete „Hat die Ausbildung ausreichend auf den Vollzugsdienst vorbereitet?" und die Antworten verteilen sich wie folgt: ja absolut (rd. 5%), eher j a (rd. 20%), teils/teils (rd. 45%). nein (rd. 25%), nein überhaupt nicht (rd. 1%). Backes u.a. (1997: 72).

189

Zum Verhältnis der Lemeffekte in der Ausbildung und im Alltagsdienst äußern die Polizisten in den offenen Fragen im Allgemeinen, dass beides wichtig sei. Wenn sie sich aber entscheiden mussten, dann votiert in allen Ländern die Mehrzahl für den alltäglichen Streifendienst auf der Straße: in Venezuela sind es 91%, in Chile 92% (vgl. Sepúlveda 1996), nur die bolivianischen Polizisten waren bei dieser Frage vorsichtiger (Tab. 28). Für die Relevanz dieses Themas für die Polizisten selbst spricht außerdem, dass es dabei kaum Aussageverweigerungen gab (vgl. Kap. 2) und die Befragten in den offenen Interviews (Santiago de Chile und Caracas) ungewöhnlich flüssig und ausführlich berichteten, z.B.: Sie versichert, dass das, was sie dort (in der Polizeischule) gelernt hat mit der Realität nicht übereinstimmt, „dort ist alles wie im Paradies". Mit dem Ende der Ausbildung und nachdem sie ihren Abschluss gemacht hat veränderte sich alles „das habe ich wirklich nicht erwartet". Die Befragte glaubt, dass der Moment, in dem man mit der Realität konfrontiert ist, ein „echter Schock" ist. (V 10) Seine Ausbildung zum Polizisten dauerte nur einige Monate, aber auf die Straße zu gehen und Delinquenten zu begegnen „ist eine andere Sache, eine andere Welt". (V 20) Er erinnert daran, dass das, was man auf der Straße sieht, mit der Theorie nichts zu tun hat „dies (die Theorie) ist etwas Fiktives". (V 38) Die schulische Ausbildung ist nicht praxisorientiert (...), erst wenn man auf die Straße geht, die Arbeit macht, dann kann man das Gelernte umsetzen. (C 4) Das ganze theoretische Wissen, das ein Schüler hat, nützt ihm später auf der Straße nicht viel, denn wenn man es einmal in die Praxis umsetzt, ist alles anders (...), die Streifenpolizisten, die werden mit der Zeit eingeschliffen. (C 10)

Nachdem der größte Anteil der Polizisten ohne Umschweife deutlich macht, dass die Straße die bessere Schulung darstellt und man auf das in der Schule erlernte weitgehend verzichten kann, ist zu schließen, dass Ausbildungsreformen allein keine durchschlagende Verhaltensänderung zur Folge haben werden. Als Lehrmeister während des training-on-the-job werden dabei in erster Linie die Kollegen und an zweiter Stelle die Bevölkerung genannt, ein weiterer Beleg für die starke in-group-Orientierung der Polizisten. Dies gilt wenigstens für Chile, aus dem die notwendigen Informationen vorliegen. Ich höre von ihren Erfahrungen, von ihren Fällen (...), davon habe ich etwas gelernt, von den älteren Beamten, die mehr Erfahrung haben. (C 5) Ich fühlte mich erst zwei Jahre nachdem ich raus war als Carabinero, erst dann habe ich begriffen, was ein Carabinero ist, ein Carabinero, der erst ein Jahr im Dienst ist, ist wie ein Wesen, das sich die Riemen umschnallt und in den Dienst geschickt wird, in Begleitung eines anderen und wenn er keinen guten älteren Kollegen hat, der mit ihm rausgeht, der ihn anlernt, wird er es nie lernen. (C 9)

190

Ein interessanter Unterschied zwischen den venezolanischen und den chilenischen Polizisten lässt sich aufzeigen, wenn man die Aussagen betrachtet, in denen die Polizisten beschreiben, was sie denn glauben, im Streifendienst gelernt zu haben. In Chile geht es den Carabineros um Menschenkenntnis, den persönlichen Erfahrungsschatz, Reife, Verantwortungsgefühl, Kommunikationsfahigkeit usw. Im Vergleich dazu drehen sich die Themen der Venezolaner hauptsächlich um die Gefahren des Berufs und die Härte, die man zeigen muss, eine Berufsauffassung, die noch öfter durchscheinen wird (vgl. Kap. 4.2.3., 4.2.4.). Mir sagen alle Kollegen, ich hätte etwas hinzu gewonnen, ich wäre reifer geworden und würde die Dinge verantwortungsvoller angehen. (C 5) Den Umgang, wie man es macht, wie man Menschen behandelt, wie man in bestimmten Situation weiterkommt, denn nicht alle Menschen sind gleich. (C 9) Er berichtet, dass man ihm bei der Ausbildung beigebracht hat, friedfertig zu sein, dass die PM präventive Aufgaben hat, aber er meint nachdrücklich, dass man jeden Augenblick der Gewalt ausgesetzt sein kann und man dann nicht viel denken darf, sondern „das Schwert schmieden und benutzen" muss. (V 3)

4.1.3. Was ist ein „guter" Polizist? In der Bundesrepublik und Nordamerika gibt es Literatur, die sich damit beschäftigt, welchem Polizisten-Typus die örtliche Polizei zugehört und welchen Idealtypus Polizisten favorisieren. In der BRD konkurrieren hauptsächlich die Typen des crime-fighters und, besonders in der Schutzpolizei, des remedyagents miteinander, dies wurde in jüngerer Zeit z.B. von Rafael Behr (1996; vgl. Harnischmacher 1993: 39f., Hülsmann 1995: lOf.) in seiner Untersuchung der ostdeutschen Polizei bestätigt. Die Konkurrenz der beiden Modelle liegt schon in der Aufgabenstruktur der Schutzpolizei begründet, die sowohl die Bekämpfung der Kriminalität als auch die Lösung von Konflikten und das Auftreten als „Freund und Helfer" verlangt. Im Alltag überwiegt laut Behr (1996) die Funktion des „Problemlösers", wohingegen die Polizeibeamten sich selbst lieber als „Kriminalitätsbekämpfer" verstehen (Alex 1980: 257ff.). In einem Artikel einer Polizeizeitschrift liest sich das folgendermaßen: „Die Polizei ist nicht vorrangig Freund und Helfer. Zwar hilft sie den Schwachen, Unkundigen und Hilflosen in entsprechenden Situationen, aber in erster Linie ist sie Auge und Arm des Gesetzes" (Schwarz 1992: 3). Der Betonung des Ideals des crime-fighters muss aber entgegen gestellt werden, dass die Helferftinktion zunehmend akzeptiert wird.164 Dies belegen Umfragen, die nach der Beliebtheit verschiedener polizeil64

Laut Malinowski/Brusten (1975: 4fT.) gibt es bei der Polizei eine „Ideologie" des Helfens. Sie behaupte, dass sowohl der Gesellschaft als auch dem Täter geholfen werden. Letzterem, da ihn ein Geständnis erleichtere und die Strafe hilfreich sei. Vgl. die Ausfuhrungen des Polizeibeamten Maurer über die Vernehmung und das Geständnis, die in der Tat in diese Richtung weisen (Maurer 1988).

191

licher Tätigkeiten fragen. Bei einer Studie an Auszubildenden (Lesnik 1998) konnte festgestellt werden, dass fast ebenso viele an Streifendienst, Umgang mit Menschen, Prävention und Öffentlichkeitsarbeit interessiert sind wie an Kriminalitätsbekämpfung, Kriminalistik und Strafverfolgung.165 Neben den beiden eben besprochenen Typen ist in der Literatur des Öfteren vom sog. action-seeker (vgl. Holdaway 1979: 192ff, Cain 1973) die Rede. Die ac//o«-Orientierung entsteht lt. Willems/Eckert/Jungbauer (1996) oft in Großstadtrevieren mit enormem Problemdruck. Weil dort der Kontakt zu „normalen" Bürgern eingeschränkt ist, vermehrt sich der Glaube, man brauchte „harte Männer" bzw. man müsse ein solcher sein. Dieser Typus bevorzugt jene Elemente der Arbeit, die aus Krimiserien bekannt, im Alltagsdienst jedoch eher selten sind. Mittelschwere Verbrechen, flüchtende Täter, Verfolgungsjagden usf. sind im positiven Sinne aufregender als Familienstreitigkeiten und einfache Temposünder und diese Tätigkeiten rangieren als seltene Ereignisse, die die u.U. langweilige Alltagsroutine durchbrechen, in der Beliebtheitsskala weit oben (Savelsberg (1994): „Das ist diese GSG-9-Mentalität. Die brauchen halt die action, sonst würden sie sich wahrscheinlich langweilen" (Polizeibeamter, zitiert in: Willems/Eckert/Jungbauer 1996: 30). Der action-seeker ist eng mit dem crime-fighter verwandt, unterscheidet sich von ihm aber dadurch, dass er weniger den Ausgang eines solchen Ereignisses betont, etwa die Festnahme eines Täters oder Tatverdächtigen, sondern die Aktion als solche. Der Typus des action-seekers kommt voraussichtlich in allen Polizeien vor, meist ist er aber nicht dominant, sondern mit Bestandteilen anderer Typen vermengt. Seine Verbreitung hängt außerdem vom Lebensalter der Polizisten ab. Relativ hoch sind seine Anteile unter sehr jungen männlichen Polizisten, ein Befund, der mit dem Ergebnis zur Berufsmotivation harmoniert (Kap. 4.1.1.), nach dem die bundesdeutschen Auszubildenden auf einen interessanten und abwechslungsreichen Beruf hoffen. Zur Illustration sei als Beispiel für eine action-Orientierung folgendes der Literatur entnommene Zitat eines Beamten der Bereitschaftspolizei angeführt, das in dieser Ausprägung in der BRD allerdings ein seltener Fall sein dürfte. Sehr viele Polizisten hatten bei den Einsätzen an der Startbahn West politische Bedenken und auch Angst vor der Konfrontation mit den dortigen Demonstranten. Ich wär' gern noch mal dabei gewesen (Demonstrationen gegen die Startbahn West). Das hat mir richtig Spaß gemacht. Das fehlt mir irgendwie (...). Ich mein', ab und zu braucht man ein bisschen action in den jungen Jahren. Ich provozier' das ja nicht. Aber ich mein' ich hab was davon. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, das war für mich wie ein bezahlter Abenteuerurlaub teilweise. Ich mein', jetzt nur allein die ganzen Abende da am Feuer und Würstchenbraten, das war auch schön. (Polizeibeamter, zitiert in: Willems u.a. 1988: 139f.) l65

Bei den zitierten Kategorien handelt es sich um die am häufigsten genannten. Die übrigen betrafen hauptsächlich Spezialgebiete wie die Arbeit in einer Hubschrauber- oder Hundestaffel usw. (Lesnik 1998).

192

Tab. 29:

Chile und Bolivien: Bewertung von Eigenschaften „guter Polizisten"

CHILE Schnelle Reaktion Schnelle Entscheidung Anpassungsfähigkeit Verhandlungsgeschick Körperkraft BOLIVIEN Schnelle Reaktion Schnelle Entscheidung Anpassungsfähigkeit Körperkraft Verhandlungsgeschick

5 sehr wichtig

4 wichtig

83% 75%

8% 25%

33%

67%

33%

3 unentschieden 8%

2 unwichtig

1 sehr unwichtig

Mittelwert/ Rang



-





4,75/1 4,75/2







4,33/3

59%

8%

8%



4,08/4

25%

58%

8%

8%

-

4,00/5

77% 69.5%

20,5% 28%

2,5% 2,5%









4,74/1 4,66/2

63,5%

36,5%





4,63/3

71,5% 54%

. 21,5% 38%

-

3,5% 2%

3,5%

-

6%

4,60/4 4,34/5

Typisierungen wie die vorgeschlagenen sind freilich stets ein hochinterpretativer Akt, der einer spezifisch auf diesen Zweck ausgerichteten Datenbasis bedarf. Solche Daten in Südamerika zu sammeln war aber aufgrund der flächigen Anlage der Gesamtuntersuchung nicht möglich (vgl. Kap. 2). Zu einem Bild Uber typische Berufsauffassungen dortiger Polizisten kann man aber anhand von zwei Fragestellungen kommen, die in die Leitfäden bzw. Fragebögen aufgenommen wurden. In der einen sollten die Polizisten angeben, welche Einstellungsvoraussetzungen sie für gerechtfertigt halten würden (Tab. 30), in der anderen, welche Eigenschaften ihrer Auffassung nach ein „guter Polizist" haben sollte (Tab. 29). Zu der Frage nach den Eigenschaften eines „guten Polizisten" wurden in den geschlossenen Fragebögen in Chile und Bolivien fünf Eigenschaften vorgegeben und von den Polizisten bewertet. Danach konnten in einer offenen Frage weitere Qualitäten benannt werden. In Venezuela wurde versucht, dieselben fünf Merkmale anzufragen, im Übrigen kann die Idealvorstellung der dortigen Polizisten aus ihren frei erzählten Geschichten erschlossen werden. Auf den beiden ersten Plätzen stehen in Chile und Bolivien übereinstimmend die Fähigkeiten zu schneller Reaktion und schneller Entscheidung. Dasselbe gilt für Venezuela, wo sich rund 50% der Antworten auf entsprechende direkte Fragen sowie viele freie Erzählungen auf die Entscheidungs- und Reaktionsgeschwindigkeit bezogen. Hauptsächlich wird dies mit der Begründung versehen, dass auf der Straße unvorhersehbare Ereignisse zu erwarten sind, die keine Zeit zum Nachdenken 193

lassen. Diese beiden Faktoren decken innerhalb der drei Typen am ehesten die action- bzw. die crime-fighting-Ovienúerung ab, gleiches gilt für die Frage nach der Körperkraft. Sie ist zwar sowohl für die bolivianischen als auch für die chilenischen Polizisten von relativ untergeordneter Bedeutung, die Carabineros betonen sie aber noch weniger als die Bolivianer, und zwar unabhängig davon, ob man die Mittelwerte, die Rangplätze oder die Prozentangaben betrachtet (Tab. 29). Dasselbe Ergebnis ist das Resultat einer zweiten Fragestellung, in der ebenfalls physische Merkmale eine Rolle spielten (Tab. 30). Tab. 30:

Chile und Bolivien: Bewertung von Einstellungsvoraussetzungen für Polizisten 5 sehr wichtig

4 wichtig

3 indifferent

2 unwichtig

1 sehr unwichtig

Mittelwert /Rang

CHILE keine Vorstrafen

91,7%

8,3%

guter Ruf

83,3%

16,7%

Bildung

58,3%

41,7%

Körpergröße

-

66,7%

33,3%

8,3%

58,3%

16,7%

keine Vorstrafen

95,1%

4,9%

Bildung

90,3%

9,7%

Körperkraft

-

-

4,92/1

-

-

4,83/2

-

-

4,58/3 3,67/4

-

16,7%

3,58/5

BOLIVIEN -

-

-

4,95/1

-

-

4,90/2

-

4,44/3

Körperkraft

46,8%

51,6%

guter Ruf

63,9%

8,2%

24,6%

1,6%

1,6%

4,31/4

Körpergröße

41,9%

46,8%

1,6%

8,1%

1,6%

4,19/5

-

1,6%

Die Venezolaner halten die Körperkraft aber noch für wesentlich wichtiger als die Bolivianer. Bei den meisten ist herauszuhören, dass sie eine gute körperliche Verfassung in vielen Situationen für entscheidend halten (vgl. Kap. 4.2.4.), nur ein Befragter wendet sich explizit dagegen. Seine Begründung ist, dass es ein Vorteil sei, klein und schmächtig wie er selbst zu sein, weil er sich im Falle einer Schießerei schneller unter einem Streifenwagen verschanzen könne als seine Kollegen! Körperkraft ist unverzichtbar um zu unterwerfen und Schachmatt zu setzten. (V 64) Er meint, dass die Körpergröße kein besonders wichtiger Faktor ist, dass er zum Beispiel ein kleiner Mann ist, der sich unter einen Jeep werfen kann, was einem starken und robusten Mann nicht möglich ist. (V 5)

194

Auch bei anderen Fragestellungen (vgl. Kap. 4.1.1.) fiel bereits auf, dass die venezolanischen Polizisten mehr Merkmale von crime-fighters und action-seekers tragen als insbesondere die Chilenen, und die wiederum dem remedy-agent näher stehen als die Venezolaner. Entsprechend räumen die Chilenen und auch die Bolivianer der Anpassungsfähigkeit und dem Verhandlungsgeschick bei den Eigenschaften eines „guten Polizisten" relativ viel Raum ein (Tab. 29). Diese beiden Charakteristika sollten auf den Umgang mit Bürgern verweisen und damit die Ebene des remedy-agents abdecken. Allerdings konnte dies bei den schriftlichen Interviews nicht immer angemessen betont werden, so dass Missverständnisse nicht ausgeschlossen werden können. Die Anpassungsfähigkeit kann auch einen Bezug zur Unterordnung unter Vorgesetze haben und die Frage nach dem Verhandlungsgeschick ist im korrupten lateinamerikanischen Kontext zweideutig. Deshalb muss die Interpretation dieser Merkmale und eine Aussage zur Akzeptanz der Funktionen des remedy-agent noch zurückgestellt werden. Weitere Auskunft geben aber die Antworten auf die offenen Fragen nach idealen Eigenschaften „guter Polizisten". Was dabei übereinstimmend in allen drei Ländern zu etwa je einem Drittel als äußerst wichtig bezeichnet wird, sind personenbezogene Eigenschaften. Polizisten brauchen nach Meinung der Befragten „Intelligenz" (B FB) und „Persönlichkeit" (C FB), müssen „Charakter" (B FB) haben, sich durch menschliche „Reife" (C FB) auszeichnen und einen guten „Ruf' (B FB) nachweisen. Von einem weiteren Drittel wird in jedem der drei Länder eine gute Ausbildung genannt. Dies ist angesichts der vielen Fragen, die vorher zu diesem Themenkomplex gestellt wurden, nahe liegend. Allerdings fällt auf, dass am meisten die Chilenen, teils aber auch die Venezolaner diese Frage zum Anlass nehmen, nochmals auf Verbesserungen der Ausbildung zu dringen. Er hält das Ausbildungsniveau der Polizisten für sehr wichtig, das zeigt sich im Umgang mit den Bürgern und bestimmt das Image, das die PM in der Öffentlichkeit hat. (V 3) Um Polizist zu werden, ich finde, man muss (...) eine gute Haltung haben! (...) es gibt Carabineros, die klein sind aber hochprofessionell, (...) man muss gewissenhaft sein, (...), man muss eine bestimmte persönliche Bildung haben, man braucht nicht mit acht Grundschuljahren anfangen, wie man es früher gemacht hat, man sollte wenigstens mit dem Abitur anfangen, und dann hat ein Carabinero eine andere Art zu denken. (C I) Ich denke, man sollte an Berufsanfänger bei den Carabineros höhere Anforderungen stellen, Abitur verlangen (...), außer dem, was sie von der Schule mitbringen und all dem, was sie vom Elternhaus vermittelt bekommen, sie sollten es haben: Anstand. Ehrlichkeit, nicht klauen, solche Dinge, denn bei den Carabineros kann man alles erleben. (C 8)

Die Hauptunterschiede zwischen den drei Ländern tauchen erst im letzten Drittel der Antworten auf. In Chile wird hier hinsichtlich der Eigenschaften „guter Polizisten" das Verhältnis zum Klientel der Polizei hervorgehoben. Explizit angesprochen werden z.B. ein „guter Umgang mit der Bevölkerung", „Verständnis" für die Bürger oder auch ein psychologisch geschicktes Vorgehen (C FB) „psychologisch vorgehen und clever sein", worin sich Bestandteile eines Selbstbildes 195

als remedy-agent erkennen lassen. Einer hebt zudem auf das Verhalten in der Öffentlichkeit ab, das den Ruf der Institution nicht schädigen dürfe: Ich zähle mich zu ihnen (den guten Polizisten), weil ich versuche, mich anständig zu benehmen, versuche die Institution nicht zu entehren. (C 10)

Dies erlangt umso mehr Gewicht, als den bolivianischen Polizisten überhaupt keine auf das Verhältnis zur Bevölkerung zielenden Antworten einfallen. Vielmehr rezipieren sie knapp allgemeine Moralbegriffe wie „Moral" selbst, „Ethik", „Rechtschaffenheit", „Gewissen", „Verantwortung", „Neutralität" usf. (B FB), die ohne weiteres einem Lehrbuch für Polizei-Ethik entnommen sein könnten. Dadurch stellen sie zwar einen positiven Bezug zum Rechtsstaat her, bleiben dabei aber reichlich abstrakt. Und die Venezolaner schließlich schlagen genau den umgekehrten Weg ein und werden sehr deutlich. Einer sagt z.B. direkt, dass ein „guter" Polizist einer sei, der sich nicht korrumpieren lässt (V 46: „sich sauber verteidigen, nicht für Geld"). Ein anderer „hält sich für einen guten Polizisten, weil er Orden bekommen hat, als Auszeichnung für die Leistungen, die er erbracht hat" (V 56). Wann immer die Mitglieder der Policía Metropolitana aber direkt nach den Qualitäten „guter Polizisten" gefragt wurden, kamen sie ebenso wenig auf die Art ihres Umgangs mit den Bürgern zu sprechen wie die bolivianischen Polizisten. In freien Erzählungen hingegen bringen die venezolanischen Polizisten gelegentlich Geschichten vor, in denen die Funktion eines remedy-agent Akzeptanz zu finden scheint. Manche Polizisten stellen sich geradezu als Sozialarbeiter dar und andere sind besorgt um das Bild, das Kindern von ihnen vermittelt wird. Diese Tätigkeit der PM ist wichtig, weil es nicht die Darstellung von Aggression ist, (...), sondern Hilfe und Unterstützung für die Bürger. Er ist stolz, Polizist zu sein und diesem Verhafteten geholfen zu haben. Er wusste, dass er erst vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen wurde. (V 23) Die Frau sagte zu dem Kind, als sie am Befragten vorbei gingen, dass der Polizist es einsperren würde, wenn es weiter weint. Der Sargento meint dazu, dass das nicht die richtige Vorstellung von der Polizei ist, dass er, um mit der Bevölkerung zu arbeiten, Freund der Frau und des Kindes sein muss. Er glaubt, dass auf diese Weise eine negative Vorstellung von der Polizei produziert wird. (V 59)

In der großen Mehrzahl der frei erzählten Geschichten wird aber ein Selbstbild vermittelt, das sich deutlich von der Funktion des „Freundes und Helfers" abhebt. Zum einen wird von den venezolanischen Polizisten laufend über wilde Schießereien berichtet, Geschichten, die in einem eigenen Kapitel behandelt werden (vgl. Kap 4.2.4.). Zum anderen betonen viele, dass sie hart durchgreifen wollen und müssen. Die Hauptfigur in den Geschichten ist somit der crimefighter, der für seine Aufgabe sein Leben aufs Spiel setzt.

196

„Ich bin vorbereitet, mein Leben zu lassen", das ist etwas, was die Leute schwer verstehen. Er ist für sich überzeugt, dass er als uniformierter Polizist die Macht hat, Gewalt einzusetzen „wenn ich einen meiner Feinde erwische, auch wenn es in der Metro ist, greife ich ihn mir". (V 4) Sie erzählt, dass sie vergisst, dass sie eine Frau ist, wenn sie Uniform trägt. „Wenn ich einen Kriminellen schlagen muss, dann tue ich es" (...). „Die Uniform ist eine Verwandlung. Wenn man so gekleidet ist. vergisst man die Familie." „Ich bin das Gesetz." (V 29)

4.2. Geschichten vom polizeilichen Gegenüber: Gangster, Gauner und andere Bürger Dieses Kapitel handelt von dem, was Polizisten über Gangster, Gauner und andere Bürger zu sagen haben. Die Verwendung des Begriffs „andere Bürger" im Titel beruht dabei auf einem sprachlichen Dilemma, das zudem geeignet ist, die realen Probleme der Polizisten im Umgang mit der Bevölkerung widerzuspiegeln. Dem sprachlichen Problem nämlich, dass auch Kriminelle bzw. Tatverdächtige sowie die Polizisten selbstverständlich Bürger sind und es sich deshalb eigentlich verbietet, den Begriff „Bürger" u.a. in dieser Arbeit nur für die „nichtkriminellen" Anteile der Bevölkerung zu benutzen. Aber welcher Begriff vermag zu fassen, was zu bezeichnen ist? Mit „Normalbürger" oder „konforme" Bevölkerung wird zwar das Gemeinte assoziiert, diese Bezeichnungen sind aber reichlich sperrig. Derart für die Grundproblematik sensibilisiert wird deshalb im folgenden trotzdem mit den Begriffen Bürger und Bevölkerung operiert, wenn Personen und Gruppen gemeint sind, die, jedenfalls im jeweiligen Kontext, nicht verdächtig sind, eine Straftat begangen zu haben. Das begriffliche Problem trifft auf ein reales Pendant, denn es ist u.a. die Aufgabe der Polizisten Gangster von anderen Bürgern zu selektieren, was nicht einfacher ist als eine sprachlich korrekte Unterscheidung zu treffen, bei Irrtümern aber wesentlich schwerwiegendere Folgen hat. Das Verhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung ist der hochkomplexe Dreh- und Angelpunkt des polizeilichen Alltagsgeschäfts. Deshalb zählt es zu den wichtigsten Gebieten der nationalen und internationalen Polizeiforschung. Das vorliegende Kapitel wird sich der Thematik aus drei Perspektiven nähern. Das erste Kapitel fragt danach, was Polizisten glauben, dass Bürger von ihnen denken, d.h. nach dem geglaubten Fremdbild oder Image der Polizei (4.2.1.). Das nächste leuchtet die Beziehungen zwischen Polizisten und „normalen" Bürgern aus (4.2.2.) und das dritte Kapitel befasst sich mit den Zusammentreffen zwischen Polizei und tatsächlichen oder vermeintlichen Kriminellen (4.2.3.). Daran schließt ein Exkurs an (4.2.4.), in dem die vielen Geschichten über „Gewalt in Caracas" zusammengetragen sind, die den Interviewern von venezolanischen Polizisten erzählt wurden. 197

4.2.1. Das Image der Polizei Das Ansehen der Polizei in der Bevölkerung ist in Lateinamerika in der Regel gering. Die Bürger trauen ihr nicht über den Weg und halten die Polizisten eher für eine Quelle der Bedrohung und Unsicherheit als für eine Institution, die sie und ihre Habe schützt. Dies gilt auch für die hier interessierenden Fälle Venezuela und Bolivien, die chilenischen Carabineros werden hingegen besser bewertet (vgl. Schmid 1998a; Waldmann/Schmid 1996b; Kap. 5). In der deutschen Öffentlichkeit ist das Bild der Polizei verhältnismäßig gut, wenn sich auch gewichtige Unterschiede zwischen den verschiedenen Altersgruppen sowie im Ost-West-Vergleich ergeben. Im Folgenden wird aber nicht gefragt, was Bürger über die Polizei denken, sondern vielmehr, wie die Polizisten ihr Image bei der Bevölkerung einschätzen. Dieses geglaubte Fremdbild zu kennen ist wichtig, weil es die konkreten Interaktionen zwischen Bürgern und Polizisten vorformt und mitstrukturiert. Für Durchschnittspolizisten ist es nicht einfach, sich ein ausgewogenes Bild über die Einstellung der Bevölkerung gegenüber der Polizei zu machen. Dazu trägt jede Form der Isolierung von den „normalen" Bürgern bei, sei es durch gesonderte Unterbringung, z.B. während der Ausbildung, in Lateinamerika oftmals aber auch in späteren Berufsjahren, sei es durch die Ausbildung unter Verzicht auf Dozenten, die selbst nicht Polizisten sind, sei es durch die oftmals engen Kontakte zu Kollegen in der Freizeit (vgl. Kap. 3 u. 4.1.). Eine solche Abschottung verstärkt das ohnehin virulente Problem, dass bei Zusammentreffen von Polizisten und Bürgern im allgemeinen Konflikte im Vordergrund stehen, die geeignet sind, bei den Bürgern Ärger über die Polizei zu produzieren: beim vermeintlichen Täter, weil er sich zu unrecht verdächtigt glaubt oder die polizeiliche Behandlung für übertrieben hält, beim Opfer, weil es meint, die Polizei würde nicht konsequent genug gegen den Täter vorgehen, beim Verkehrsteilnehmer, weil er aufgehalten wird und der Meinung ist, Polizisten hätten Wichtigeres zu tun als Verkehrsvergehen zu verfolgen und bei Familienstreitigkeiten erfahren Polizisten nicht selten, dass sich eben noch zerstrittene Paare plötzlich gemeinsam gegen sie stellen: „Je nach Situation muss er (der Polizist) Autorität gegenüber dem Bürger oder Solidarität mit ihm praktizieren" (Dieckmann 1988: 513). Solche wiederkehrenden Erlebnisse können zur Folge haben, dass Polizisten glauben, die Bürger wären ihnen gegenüber generell ablehnend eingestellt. Intensiviert wird dieser Eindruck noch durch kritische Presseberichte (vgl. Kap. 4.3.2.). Bei der Düsseldorfer Polizei kann man in den mit „Lachen polizeilich verboten" betitelten Humorseiten pointiert wieder finden, wie sich die Rollenambiguität auf die Mentalität der Polizisten auswirken kann: Was ist ein Polizist? Von allen Menschen ist er einmal der am dringendsten benötigte und ein anderes mal der unerwünschteste. Er ist eine seltsame namenlose Kreatur, von vorn mit „Herr Wachtmeister" angesprochen, hinter seinem Rücken mit „Idiot". Er muß so diplomatisch sein, dass nach Beilegung einer Streitigkeit jeder der Beteiligten glaubt, er habe das Recht bekommen. (...) Wenn jemand auf ihn einschlägt ist er ein Feigling;

198

schlägt er zurück, ist er ein Rohling. (...) wenn er den Täter faßt, hat er Glück; faßt er ihn nicht, ist er ein Dummkopf. (Polizei Düsseldorf 1999)

Deutlich ambivalent ist die Einstellung der Bürger gegenüber der Polizei tatsächlich, wenn es um die Behandlung von Randgruppen und Demonstranten geht. Bei Einsätzen gegen z.B. Stadtstreicher, Punks oder auch Straßenmusikanten, die sich in der Regel vor den Augen der Öffentlichkeit abspielen, weiß die Polizei zwar den einen Teil der Bevölkerung hinter sich, und zwar jenen, der die Polizei zu solchen Anlässen ruft, ein zweiter Teil aber fordert, die Leute in Ruhe zu lassen und vermutet hinter der polizeilichen Aktion Intoleranz der Polizisten selbst (vgl. Ramsch 1991: 18ff.; Möller 1988: 16ff.; Dissen 1991: 2f.). Ein Polizist berichtete anlässlich einer Studie von Savelsberg folgendermaßen über einen Einsatz wegen Ruhestörung durch Straßenmusikanten: Da haben wir einen Anrufer, der sich gestört fühlt und viele, die darum herumstehen und es als angenehm empfinden, wenn sie spielen. Wenn wir es verbieten sind wir wieder die Idioten. (Savelsberg 1994: 67)

Bei Demonstrationen ist die Situation, wie insbesondere Willems u.a. (1988) herausgestellt haben, insofern besonders schwierig, als dort oftmals junge Beamte eingesetzt werden, die dadurch bereits in den ersten Berufsjahren den Eindruck bekommen können, die Bürger wären generell polizeikritisch oder gar feindlich eingestellt. Die Polizeizeitschriften sind voll mit Einsatzberichten, in denen die Beamten ihre Erfahrungen beschreiben. 166 Einer davon sei wegen der dort verfolgten Argumentationslinie herausgehoben, obwohl der Anlass bereits länger zurück liegt: während der Krawalle „stießen die Massenmedien überwiegend Parolen finsterster Verdammnis gegenüber der Polizei aus" wohingegen eine zu diesem Thema durchgeführte Befragung ergab, „daß 72% der erwachsenen Münchener Bevölkerung mit der Polizei im allgemeinen zufrieden waren." (Schwarz 1992: 2). Interessant ist daran zum einen, dass der Autor als Kontrastfolie zu dem von den Medien verbreiteten Eindruck korrigierend Umfrageergebnisse heranzieht und sich auf diese Weise gegen die Vorstellung wehrt, die kritische Haltung gegenüber der Polizei sei weit verbreitet. Zum anderen zeigt sich, dass die Rückendeckung durch die „normale" Bevölkerung manchem Polizisten als Schutzschild gegen Angriffe dient, mit dessen Hilfe Demonstranten mental als „Störer und Chaoten" 167 ausgegrenzt werden können. Schwierig wird es für die Polizisten deshalb, wenn Demonstranten sich nicht aus spezifischen Gruppen rekrutieren, sondern offensichtlich der „Normalbevölkerung" angehören, wie es bei vielen Demonstrationen im Umfeld des Umweltschutzes oder der

166

Lesenswert ist z.B. der Bericht von Schuldt (1987: 15fT.) über eine gewalttätige Demonstration, der fast schon einem Kriegsbericht ähnelt. Vgl. Deutsche Polizei (1997b: 22ff.).

167

Solche Begriffe kommen in den Polizeizeitschriften nicht selten vor. Vgl. z.B. Schuldt (1987).

199

Friedensbewegung der Fall ist. Deutlich wird dies bei folgendem Bericht über den polizeilichen Schutz eines Transports von atomarem Material: Uns wurde in den Geschäften nicht mal ein Brötchen verkauft und in den Gaststätten ließ man uns nicht auf die Toilette." „Kinder im Grundschulalter sind hinter meinen Kollegen hergelaufen, haben auf sie eingeschlagen, sie getreten und bespuckt. Ich frage mich, mit welchem Polizeibild und welchem Verhältnis zu unserem Rechtsstaat die wohl aufwachsen werden." „Ich habe bei diesen Demonstrationen, ob in Gorleben, Bonn oder Berlin nicht mehr die bekannten gewalttätigen Chaoten vor mir, sondern Bauarbeiter, Bergleute, Bauern. Genau so gut könnte mein Vater oder meine Schwester vor mir stehen. (Deutsche Polizei 1997a: 14)

Tab. 31:

BRD: Zufriedenheit mit der Arbeit der Polizei im eigenen Wohnbereich völlig zufrieden

Geglaubtes Fremdbild Fremdbild Quelle: Alex 1980: 260.

Tab. 32:

überwiegend zufrieden

teils-teils

überwiegend unzufrieden

völlig unzufrieden

2%

38%

45%

13%

1%

12%

39%

33%

11%

5%

168

BRD: Meinung zu: „Die Polizei, dein Freund und Helfer" völlig richtig

ziemlich richtig

ziemlich falsch

völlig falsch

Geglaubtes Fremdbild

3%

46%

37%

5%

Fremdbild

25%

58%

8%

3%

Quelle: Alex 1980: 261.

Auch unabhängig von solchen Spezialeinsätzen haben Polizisten häufig mit Personen zu tun, die ihnen gegenüber kritisch eingestellt sind. Laut einer von Murck (1989: 28) referierten empirischen Studie, in der u.a. die „Kontaktstruktur" von Polizisten erforscht wurde, sind die häufigsten Interaktionspartner der Polizisten junge, relativ hoch gebildete Männer, also genau jene Bevölkerungsgruppe, die die Polizei am heftigsten ablehnt (Harnischmacher 1993: 39f.). Studien zum geglaubten Fremdbild sind nun geeignet festzustellen, wie sich solche Erfahrungen auf die Wahrnehmung der Polizisten auswirken. Entsprechende Untersuchungen über die deutsche Polizei sind gar nicht selten, deren Vergleichbarkeit untereinander ist allerdings eingeschränkt, weil die Fragestellungen weit voneinander abweichen: mal sollen die Polizisten die „Einstellung" der Bürger zur Polizei einschätzen (Lesnik 1998), mal das „Ansehen" (Helfer/Siebel 1975) oder das „Image" (Riegl 1998) der Polizei. Für die Konfrontation der Er-

168

Bereinigt um k.A. vgl. dazu Kap. 2.4.

200

gebnisse mit denen aus Lateinamerika sind solche Details aber von untergeordneter Bedeutung, entscheidend ist die Gesamttendenz. An den Ergebnissen verschiedenster Forschungen, die das geglaubte Fremdbild erfassen (Tab. 31, 32), lässt sich erstens ablesen, dass unter Polizisten der Glaube an eine positive Einstellung der Bürger gegenüber der Polizei knapp überwiegt. Je nachdem, ob die Antwortvorgaben in den verschiedenen Fragebögen ein „Unentschieden" zulassen oder nicht, variiert der Prozentsatz dieser Gruppe zwischen 40% (Alex 1980: 260) und rd. 55% (Helfer/Siebel 1975: 1022; Lesnik 1998) und zwar unabhängig davon, ob Polizeischüler (Lesnik 1998; Alex 1980) oder fertig ausgebildete Polizisten (Helfer/Siebel 1975) gefragt werden. Die Ausnahmen von dieser Regel betreffen zum einen ausländische Mitbürger. Laut Lesnik (1998) glauben Polizeischüler mehrheitlich (73%), diese hätten eine negative Einstellung zur Polizei. Zum anderen waren die ostdeutschen Polizisten kurz nach der „Wende" in ihren Beziehungen zur Bevölkerung verunsichert. Damals glaubten nur 7%, dass man als Polizist „von der Gesellschaft und von den Menschen geachtet und anerkannt" wird, 26% waren gegenteiliger Meinung und 64% waren sich nicht sicher (Wanderer/Thieme 1992: 13). Das zweite wichtige Ergebnis der angeführten Forschungen ist, dass die Polizisten ihr Image regelmäßig unterschätzen. Wo immer dem geglaubten Fremdbild das tatsächliche Fremdbild gegenüber gestellt wird (Alex 1980, Tab. 31, 32; Riegl 1998, Tab. 33), meinen die Polizisten negativer beurteilt zu werden, als es tatsächlich der Fall ist. Z.B. nimmt die Bevölkerung die Polizei viel häufiger als „Freund und Helfer" wahr, als die Polizisten glauben und die von Riegl befragten Polizisten konnten sich offenbar nicht vorstellen, dass sie derart häufig als Respektspersonen und selten als „Bullen" gesehen werden. Tab. 33:

BRD: Image der Polizei (Riegl 1998) in % der Ja-Antworten (Mehrfachantworten)

Image d e r Polizei

Freund u. Helfer

Respektsperson

Bullen

Geglaubtes Fremdbild

52%

31%

22%

Fremdbild

65%

35%

13%

Um etwas über das geglaubte Fremdbild der lateinamerikanischen Polizisten zu erfahren, wurde in den chilenischen und bolivianischen Fragebögen eine Frage platziert, die vom Typus her etwa mit den oben referierten deutschen Studien vergleichbar ist (Tab. 34). Dabei konnten die Polizisten angeben, wie ihrer Meinung nach die Bevölkerung die Arbeit der Polizei einschätzt. Das chilenische Ergebnis ist den Daten aus Deutschland ähnlich. Die Carabineros de Chile, die nur zwischen drei Antwortalternativen wählen konnten, sind etwa zur Hälfte von ihrem positiven Image überzeugt. Ganz anders die Mitglieder der bolivianischen Polizei: nur 16% glauben an eine positive Einstellung der Bürger zur Polizei und über 50% sind gegenteiliger Meinung. Die Venezolaner, die sich in den offenen 201

Interviews zu diesem Thema äußerten, waren wie die Bolivianer mehrheitlich der Ansicht, ihr Beruf habe ein schlechtes Image. Der Hauptgrund dafür sei, so einer der Befragten, dass „in der Öffentlichkeit die Meinung herrscht, die Polizei sei ein Synonym für Ehrlosigkeit" (V 4). Tab. 34:

Chile und Bolivien: Geglaubte Einschätzung der Polizeiarbeit durch die Bevölkerung sehr gut

Chile Bolivien

-

6%

teils-teils

schlecht

50%

17%

33%

--

10%

31%

47%

5%

gut

sehr schlecht

Ergänzend wurde das geglaubte Berufsprestige im Vergleich zu anderen Berufen erhoben (Tab. 35). Bereits der erste Blick auf die quantitative Auswertung bestätigt das enorme berufliche Selbstbewusstsein der Carabineros. Keiner der dort Befragten wählte die beiden negativen Kategorien und die Mehrheit glaubt, dass die Carabineros ein sehr hohes oder hohes Berufsprestige haben. Dies deckt sich laut Hudson (1994) mit dem tatsächlichen Fremdbild. Er meint, dass der Ruf der chilenischen Polizei bei der Bevölkerung für lateinamerikanische Verhältnisse ungewöhnlich gut ist (vgl. Kap. 5). Die bolivianischen und mehr noch die venezolanischen fallen dagegen klar ab. In beiden Ländern sind nur 14% der Polizisten vom guten Image ihres Berufs Uberzeugt, die Polizisten aus La Paz erklären aber immerhin zum größten Teil, es sei „normal" während ihre venezolanischen Kollegen zu 57% der Meinung sind, das Prestige des Polizeiberufs sei schlecht. Tab. 35:

Chile Bolivien Venezuela

Chile, Bolivien und Venezuela: Berufsprestige der Polizei im Vergleich zu anderen Berufen sehr hoch

hoch

normal

niedrig

42%

16%

42%

-

3%

11%

14%

55% 29%

sehr niedrig --

26%

5% 57%

Anschaulicher werden diese Ergebnisse, wenn man die Begründungen der Polizisten für ihre Einschätzungen Revue passieren lässt. Die wenigen Mitglieder der Policía Metropolitana, die von einem hohem oder normalen Prestige ihres Berufes ausgehen, begründen dies damit, dass dieser Beruf notwendig sei und die „Menschen wissen, dass wir nützlich sind" (V 5), dass andere Polizeieinheiten noch schlechter funktionieren würden als die eigene (siehe Kap. 4.4.1.) oder auch damit, dass die Polizei wenigstens nicht korrupter sei als die Justiz:

202

Er behauptet in Bezug auf das Berufsprestige der Polizei, verglichen mit anderen Berufen, dass sie gleichwertig seien. Er glaubt, dass bei ihnen genauso viel Korruption vorkomme wie bei Anwälten, Richtern und anderen Gerichtsbeamten. (V 6)

Wenn sogar diese Begründungen für ein geglaubt positives Berufsprestige als schwach zu bezeichnen sind, weil sie vorrangig auf der Abgrenzung von anderen, noch negativer besetzten Institutionen aufbauen, fragt sich, wie erst diejenigen argumentieren, die meinen, die Policía Metropolitana habe ein schlechtes Prestige. Es zeigt sich, dass die Verantwortung zum Teil auf die Bevölkerung abgeschoben wird. Diese wüssten zu wenig von der Polizeiarbeit und unterlägen deshalb Fehleinschätzungen. Manche Polizisten verweisen aber auch auf das Verhalten der Polizisten und die Geschichte der Institution. Die Argumente der Bolivianer klingen ähnlich und seien deshalb gleich mit angeführt. Die Wertschätzung durch die Bevölkerung ist unzureichend, weil sie die Arbeit der Polizei nicht wirklich kennen. (V 5) Die Einschätzung durch die Bevölkerung variiert, ist aber im Großen und Ganzen negativ. Die Hauptschuld daran tragen die Massenmedien und die Ausbildung. (V 6) Die Polizei befolgt ihre eigenen Regeln nicht und verstößt so gegen die öffentliche Moral. (B FB) Ein Polizist ist niemandens Freund, er ist ein Synonym für Schläge, Tritte. (V 51) Der Befragte sagt, dass die öffentliche Kultur in Venezuela sich in Bezug auf die Polizei historisch auf die (Doktrin der) Nationale(n) Sicherheit bezieht, die mit Folter, (...) und Misshandlungen gleichgesetzt wird. Er ergänzt, dass die Überwachung eine Aufgabe der Polizei ist, es aber niemandem gefällt, kontrolliert zu werden. (V 48 ) Die Leute fühlen sich durch die Kontrollen belästigt. (B FB)

Für die Einschätzung des Fremdbildes ihres Berufs sind bei den chilenischen Polizisten teils völlig andere Begründungen zu finden. Unter denen, die meinen, dass das Image der Carabineros nur eingeschränkt positiv sei, meinen manche, dass dafür die langen und ungeregelten Arbeitszeiten sowie das vergleichsweise niedrige Einkommen verantwortlich sind. Solches wird auch in Venezuela und Bolivien beklagt, dort allerdings stets im Zusammenhang mit der eigenen Arbeitszufriedenheit (vgl. Kap. 4.4.5.) und nicht mit dem geglaubten Fremdbild. Wenn man das sagt, sagen die Leute: „Hör mal, du bist bei den Carabineros, schau, du verdienst weniger als ich und ich arbeite weniger und habe weniger Aufgaben als ihr." Daher sind wir schlecht angesehen, als Polizisten, weil wir schlecht bezahlt werden. (C 8)

Des Weiteren sind viele Carabineros der Ansicht, das Prestige der Polizei sei im Prinzip recht gut, die Bevölkerung wisse aber zu wenig von den ihre Möglichkeiten begrenzenden Gesetzen. Deshalb könnten sie nicht verstehen, warum die Carabineros nicht härter gegen Kriminelle vorgehen. So können auch die oben 203

angeführten Argumente aus Venezuela und Bolivien gedeutet werden, die darauf anspielen, dass die Bürger zu w e n i g über die Polizeiarbeit wissen. Die Aufgabe der Carabineros beziehen sich nicht allein auf die Verbrechen (...), die Leute verstehen das nicht (...). Die Menschen glauben, dass wir sofort losziehen, wenn eine Anzeige erstattet wird, und das ist nicht so, denn wenn die Anzeige erstattet wird, dann muss man sie prüfen, ermitteln und danach kann man handeln. Wenn die Leute sehen, dass wir nicht sofort handeln, fangen die Probleme an, die Leute sagen, „die Polizei funktioniert nicht mehr", aber sie wissen nicht, was wir alles zu erledigen haben. (C 4) Die Leute kritisieren uns oft, sie sagen „die Carabineros sollten dies tun", „sie sollten mehr in den Straßen sein, mehr überwachen, mehr kontrollieren", oft haben uns die Leute gesagt „warum nehmt ihr diese Bande von Verbrechern und Drogenabhängigen nicht fest und sperrt sie ein?" (...). Die Menschen sagten zu uns „wir haben es satt (...), warum können sie nicht einfach in die Häuser gehen und durchsuchen?" Aber das können wir ohne Befehl nicht tun (...), sie wissen nicht, dass wir, wenn wir keinen Durchsuchungsbefehl haben, das nicht machen können. (C 6) Nur w e n i g e Carabineros bringen die Kritik an der Institution mit aktuellem Fehlverhalten von Polizisten in Verbindung. Typischer ist, dass die Carabineros ein in manchen Gruppen existierendes schlechtes Image der Carabineros auf die Rolle der Polizei während des Pinochet-Regimes zurückführen. Ein Teil der Carabineros glaubt, dass die Institution darunter weiterhin leiden würde. Wir haben einen schlechten Ruf, man respektiert uns nicht besonders, wegen Problemen, die es 73 (Pinochet-Putsch) gegeben hat, (...). Ich glaube, man hält nichts von uns, aber wenn es darauf ankommt, rufen sie als erstes die Carabineros, auch wenn es der schlimmste Verbrecher ist, wenn er ein Problem hat, ruft er zuerst die Carabineros. (C 7) Es muss daran liegen, dass die Gesetze keine Geltung hatten (...). Mag sein, dass die Leute noch nachtragend sind, das Schlechte daran ist, das was vor Jahren passierte, dafür zahlen wir, aber was sollen wir tun? Wir sind völlig anders (...). Ich sage dir, wir müssen dafür büßen, denn wenn wir jemanden festnehmen müssen, fangen viele Leute an zu schreien „Lasst ihn los, wir leben ja nicht mehr in Zeit von ..." (C I) Andere sind der Ansicht, die militärischen Wurzeln der Carabineros würden von den Bürgern eher positiv gewertet. Die Institution habe ihr Image über einen längeren, über die Militärregierung hinausgehenden Zeitraum erworben und dies bessere ihr Image auf (vgl. Kap. 3.2.1.). Das Prestige der Institution, das Prestige, das über viele Jahre aufrechterhalten wurde (...), sie hat eine gewisse Glaubwürdigkeit, die nicht jede Institution hat. (C 9) Unsere Institution genießt ein hohes Ansehen, weltweit kann man sagen, ohne fürchten zu müssen, dass ich falsch liege (...). Man kann sehen, dass diese Institution (...) an der Disziplin festhält, an ihren Hierarchien, die man bei anderen Polizeien nicht findet (...). Die Menschen sind sehr stolz, die Chilenen, auf ihre Polizei, im Gegensatz zu, ich werde keine Namen nennen, (...) aber die Polizisten haben nicht die gleiche Disziplin, die die Carabineros in Chile gegenwärtig und seit ihrer Gründung haben. (C 10) 204

Eine dritte und letzte Gruppe hält es schließlich für wichtig, deutlich zu machen, dass sich das Verhältnis zur Bevölkerung und somit das Prestige der Carabineros seit der Demokratisierung wesentlich verbessert habe. Ich denke, dass die Menschen den Carabineros immer mehr vertrauen (...). Früher hatte man ein schlechtes Bild von den Carabineros, aber ich glaube mit der Zeit (...) haben die Carabineros sich auch von einer anderen Seite gezeigt. (C 8) Es mag sein, dass es daher noch immer irgendwelche Gefühle, Ressentiments (...) gegen die Polizei gibt, wegen früherer Aktionen (...), (aber) ich glaube, sie nähert sich einem Punkt, wie könnte ich das ausdrücken, der Versöhnung mit der Polizei. (...) nun ist es so, dass die große Mehrheit der Carabineros junge Leute sind, jünger als 25, die zu der Zeit nicht einmal geboren waren (...), so dass ich glaube, dass es eine gute, sehr gute Beziehung zur Bevölkerung gibt. (C 10)

Ob die chilenischen Polizisten tatsächlich an ein positiveres Fremdbild glauben als die bolivianischen und venezolanischen Polizisten wurde ergänzend überprüft, indem sie angeben sollten, wie ihr Beruf von Familienmitgliedern und Freunden eingeschätzt wird (Tab. 36). Ein Vorteil dessen ist, dass die Polizisten die Urteile von Personen aus ihrem sozialen Nahraum besser kennen als die der Bevölkerung im Allgemeinen, weil der Kontakt mit der Familie und mit Freunden enger ist. Auch fallen die oben beschriebenen Effekte weg, die dadurch auftreten, dass Polizisten Bürgern oft in Situationen begegnen, in denen die Bürger Ärger auf die Polizei verspüren. Erwartungsgemäß zeigt ein Blick auf die bolivianischen und chilenischen Werte, dass mehr Unterstützung durch die Familie als durch bloße Freunde empfunden wird. In allen drei Ländern ist es außerdem so, dass die Polizisten vermuten, dass die Menschen aus ihrem direkten sozialen Umfeld ihren Beruf besser bewerten als die Allgemeinheit. Wichtiger ist aber, dass die Rangfolge der drei Länder genauso ist, wie bei den vorhergehenden Fragen. Tab. 36:

Chile, Bolivien und Venezuela: Beurteilung der Polizeiarbeit durch Familienmitglieder und Freunde sehr gut

Chile: Familie

75%

gut

indifferent

schlecht

sehr schlecht

25%

-

Chile: Freunde

17%

58%

Bolivien: Familie

39%

54%

25% 5%

2%

Bolivien: Freunde

3%

58%

36%

2%

Venezuela: Familie/Freunde

31%

15%

54%

205

Den frei formulierten Antworten auf entsprechende Nachfragen in Chile und Venezuela ist darüber hinaus zu entnehmen, warum nach Meinung der Polizisten Familienmitglieder und der Freundeskreis den Polizeiberuf jeweils positiv oder negativ bewerten. Die von den venezolanischen Polizisten benannten Motive waren bei jenen, die von einer positiven Einschätzung des Berufs durch Freunde und Familienmitglieder ausgehen, nicht sehr vielfältig. Meist lautete die Begründung, die Familie unterstütze sie und insbesondere die Kinder bewunderten den Vater. Er sagt, dass seine Familie seine Arbeit als Polizist für „exzellent" hält und dass er als Familienvater ein Vorbild für seine Kinder, seine Brüder und seine Frau ist. Genauso glaubt er, sehen es seine Freunde. Alle respektieren es. (V 2)

Die Motive für eine Missbilligung des Polizeiberufs im Familien- und Freundeskreis sind laut den venezolanischen Polizisten vielfältiger. Dabei spielt teils die Vorerfahrung der Familie mit der Polizei eine Rolle: ein Polizist erzählt, dass seine Familie den Beruf ablehnt, weil sein eigener Sohn von einem Mitglied der Policía Metropolitana bedroht wurde. Hauptsächlich geht es aber darum, dass zu wenig Zeit für die Familie bleibt und der Beruf gefährlich sei. Zur Familie sagt er, dass sie seinen Beruf nicht billigt, weil sein Sohn mal im Viertel herumlief (...) und ein Beamter der PM ihn mit dem Maschinengewehr bedrohte. (V 54) Dies alles hänge damit zusammen, dass seine Arbeit es verlange, dass er jederzeit verfügbar ist und 24 Stunden am Tag arbeite, was von Frauen kaum akzeptiert werde. (V 50) Seine Verlobte sagt nichts zu ihm, aber er weiß, dass sie oft darüber nachdenkt, ob er von der Arbeit lebend zurück kommt oder nicht. (V 5) Als er als Polizist anfing, wollte seine Mutter es nicht, aber „nun hat sie resigniert". (V 30)

Besonders die Partnerinnen und Mütter der Polizisten haben laut den Aussagen der Polizisten des Öfteren versucht, die Befragten von ihrer Berufswahl abzubringen. Wenn in diesem Zusammenhang von den venezolanischen Polizisten begründet wird, warum sie den Beruf trotz der Widerstände gewählt oder beibehalten haben, so steht stets die relative soziale Sicherheit, die den Polizisten und ihren Familien gewährt wird, im Vordergrund. Dies ist eine starke Parallele zu den Ergebnissen der Motivation der Berufswahl in Venezuela (vgl. Kap. 4.1.1.). Von der Grundthematik her sind die meisten von den Carabineros angeführten Ursachen dafür, dass Familienmitglieder ihren Beruf positiv oder negativ bewerten, denen der Venezolaner ähnlich. Aber Argumente wie z.B. die Gefahren dieser Arbeit haben bei den chilenischen im Gegensatz zu den venezolanischen Polizisten nirgends zur Folge, dass sie glauben würden, ihr Beruf werde deshalb von ihren Familien überhaupt nicht geschätzt. Sie haben eher den Stellenwert eines Wermutstropfens. Was einmal ins Feld geführt wird, ist eine ent206

täuschte Aufstiegsorientierung der Eltern, die erwartet hatten, ihr Kind werde studieren, ein Motiv, das in Venezuela nirgends auftaucht. Ansonsten bemerken die Carabineros hauptsächlich, dass sie immer die volle Unterstützung ihrer Familie hatten. Sie haben mich voll unterstützt (...), aber trotzdem entstand täglich diese Leere: „Was wird ihr heute passieren, was wird ihr zustoßen!" Nun haben sie sich daran gewöhnt. (C 6) Meine Mutter hat mich unterstützt mein Vater nicht. Er wollte mich nicht in Uniform sehen, er wollte, dass ich studiere, aber es war mein Entschluss, völlig mein eigener. (C 1) Mein Vater hingegen war nicht einverstanden, aber er sagte seine Meinung nicht, meine Brüder auch nicht (...). Als ich bei den Carabineros eingetreten war, da änderte es sich: mein Vater war mit dem Beruf einverstanden, meine Brüder auch. (C 5) Meine Familie ist stolz auf meine jetzige Arbeit, meine ganze Familie, sie haben mich stets unterstützt (...), wenn man keine Unterstützung der Familie hat, ist es ein bisschen schwieriger, bei der Polizei zu sein. (C 2)

Die Frage nach der Meinung des Freundeskreises zum Beruf als Carabinero wurde allerdings relativ häufig zum Anlass genommen, darüber zu klagen, dass die Berufsentscheidung einen Verlust an Freundschaften mit sich brachte, denn die Befragten stammen oft aus der Provinz und wurden nach Santiago versetzt. Des Weiteren führt die Schichtarbeit dazu, dass vermehrt Kontakte zu anderen Carabineros gepflegt werden, die dieselbe Freizeitstruktur haben (vgl. Kap. 4.4.2. und 4.1.2.), was sich auf die geglaubte Bewertung des Berufs durch den Freundeskreis positiv auswirken dürfte (Tab. 36). Vergleicht man die Ergebnisse aus Südamerika mit deutschen Studien zu demselben Thema, so ist festzustellen, dass sie für diesen Beruf typisch sind. Laut Lesnik (1998: o.S.) besteht in 93% der Familien von Polizeischülern kein „Widerstand" gegen den Polizeiberuf und 68% haben im Freundeskreis keine „Probleme mit der Akzeptanz des Berufs". Damit nehmen auch deutsche Polizisten an, dass ihre Familie ihren Beruf etwas positiver einschätzt als ihr Freundeskreis. Die geglaubte Unterstützung durch das direkte soziale Umfeld ist sogar etwas größer als in Chile (vgl. Tab. 36), genaueres lässt sich nicht sagen, weil die in den verschiedenen Studien verwendeten Formulierungen doch sehr differieren: eine sehr gute oder gute „Beurteilung" ist nicht dasselbe wie kein „Widerstand". Da die von Lesnik (1998) gewählten Formulierungen eine sehr starke Ablehnung des Polizeiberufs implizieren, wird bei seinen Ergebnissen die positive Bewertung durch die Familien und den Freundeskreis vermutlich überschätzt. Kontrolliert man sie deshalb mittels der älteren Daten von Spiegelberg (1971), entsteht derselbe Eindruck. Damals glaubten befragte Polizisten, dass 71% der Eltern und 39% der Freunde dem Beruf positiv gegenüberstehen. Hinzuzufügen ist, dass Polizisten Mitte der siebziger Jahre laut Helfer/Siebel (1975) generell von einem schlechteren Ansehen der Polizei ausgegangen sind als in 207

den Neunzigern und dies dürfte sich auch auf die Ergebnisse von Spiegelberg und Lesnik niedergeschlagen haben. Die angenommenen Motive der Einschätzung des Berufs durch die Familien und durch Freunde sind in Deutschland und Lateinamerika ebenfalls verwandt. Einige zusätzliche Informationen gibt es aus Deutschland zu den Belastungen des Privatlebens. Laut Savelsberg (1994) geben 61% der Beamten des mittleren Dienstes an, ihr Familienleben werde nach dem Dienstplan gestaltet und dieselbe Prozentzahl spricht von Spannungen im sozialen Umfeld, die durch den Schichtdienst verursacht seien, laut Lesnik (1998) leidet das Privatleben ebenfalls bei rd. 50% der Befragten unter dem Beruf und die erhöhten Scheidungsraten von Polizisten sind vielfach beschrieben worden (vgl. z.B.: Schwind 1996: 161 ff.; Schüller 1991; Klingst 1996). 4.2.2. RQckhalt in der Bevölkerung? Das, was Polizisten Uber ihr Image bei der Bevölkerung zu wissen glauben (Kap. 4.2.1.), beeinflusst ihre alltäglichen Begegnungen mit ihr. Zusammenfassend kann man sagen, dass bundesdeutsche Polizisten am ehesten glauben, von der Bevölkerung geschätzt zu werden, ihnen folgen die chilenischen, bolivianischen und venezolanischen Polizisten in absteigender Linie. Nun findet ein Perspektivenwechsel statt. Das Thema ist nicht mehr das geglaubte Fremdbild sondern umgekehrt das Bild, das sich Polizisten von der Bevölkerung machen. Dabei bleibt ihr Blick auf tatsächliche oder vermeintliche Kriminelle noch außen vor, er wird erst im nächsten Kapitel vorgestellt (4.2.3.). Vielmehr geht es um das Verhältnis der Polizisten zu „Normalbürgern" (vgl. 4.2.), z.B. darum, ob sie bereit sind, Bedürfnissen der Bürger nachzukommen, Kritik aus ihren Reihen anzunehmen und ob sie sich in ihrer Arbeit von der Bevölkerung unterstützt sehen. Zuletzt wird von einer pauschalen Diskussion des Verhältnisses der Polizisten zur Bevölkerung abgerückt. Mit einer Reihe an differenzierenden Fragen an die Polizisten wurde versucht herauszufinden, welchen Personengruppen und sozialen Schichten sie besonders zuneigen und wo sie sich selbst am stärksten sozial verankert sehen. Es ist eine Sache, wenn die Polizisten glauben, die Polizei hätte ein gutes bzw. schlechtes Image und eine andere Sache, die Meinung der Bürger ernst zu nehmen, die eigenen Handlungen daran auszurichten und eine echte Bürgerorientierung zu zeigen. Und selbst wenn die politische Führung, mal mit, mal ohne die Unterstützung der Polizeiführung, einen solchen Weg verfolgt, so heißt dies noch lange nicht, dass eine angestrebte „Bürgernähe" auf die Ebene der einfachen Polizisten durchsickert. Deshalb wurde in den drei südamerikanischen Ländern die Einstellung der Straßenpolizisten zur Bevölkerung und deren Meinung erhoben. Bei einer ersten Frage zu diesem Themenkomplex wurden die bolivianischen und chilenischen Polizisten in den Fragebögen aufgefordert anzugeben, ob der Bevölkerung mehr oder weniger Einfluss auf die Arbeit der Polizei eingeräumt werden sollte (Tab. 37). Die Verteilung der Antworten der Polizisten beider 208

Länder unterscheidet sich kaum voneinander. Sie gestehen der Bevölkerung bei dieser pauschalen Frage jeweils großen Einfluss auf ihre Arbeit zu. Der knappe Vorsprung der bolivianischen Polizisten sollte dabei nicht überinterpretiert werden. Schon ihre Positionierung gegenüber der Bevölkerung, so wie sie im vorhergehenden Kapitel hervortrat, lässt Zweifel aufkommen und zudem haben die Bolivianer gerade bei dieser Frage sehr häufig die Antwort verweigert, wohingegen die chilenischen Polizisten sämtlich antworteten. Tab. 37:

Chile und Bolivien: Gewünschter Einfluss der Bürger auf die Arbeit der Polizei mehr

weniger

Chile

82%

18%

Bolivien

91%

9%

Die Antworten auf eine zweite geschlossene Frage zur Meinung der Bevölkerung bestätigt diese Vermutung (Tab. 38). Es ist interessant, dass die chilenischen Carabineros, die in der Bevölkerung ohnehin ein besseres Image haben als die Bolivianer und die sich dessen außerdem bewusst sind (vgl. Kap. 4.2.1. und Kap. 5), mehrheitlich von ihrer Institution behaupten, sie versuche die Meinung der Bürger auch tatsächlich zu berücksichtigen. In den offenen Antworten innerhalb des Fragebogens wird dies damit begründet, dass die Polizei auf die Kooperation der Bevölkerung angewiesen ist (s.u.), z.B. indem gesagt wird, „man muss sie berücksichtigen, um die Arbeit gut machen zu können" (C FB) oder „oft muss man auf sie zurückgreifen, um die Arbeit gut erledigen zu können" (C FB). Die bolivianische Polizei liegt bei allen drei eben genannten Dimensionen (Fremdbild, geglaubtes Fremdbild und Interesse an der Perspektive der Bevölkerung) weit hinter der chilenischen zurück. In der Fragestellung (Tab. 38) findet sich allerdings ein möglicher Verzerrungsfaktor, denn die Interviewten wurden nicht gefragt, ob sie selbst oder ob „die Polizisten" (los policías) sich darum kümmern, was die Bürger denken, sondern wie es ihre Institution (la policía) damit hält. Deswegen sind diese Daten aus Lateinamerika nur sehr vorsichtig mit dem wenigen, aus der BRD verfügbaren Material zu vergleichen. Helfer und Siebel wählten zwar 1975 eine Formulierung, die der in Tabelle 38 abgebildeten ähnlich ist, sie wurde aber suggestiv gestellt und ist daher für den vorliegenden Zweck nicht verwertbar.' 69 Darüber hinaus liegt eine Studie aus den Neuen Bundesländern vor (Wanderer/Thieme 1992), die kurz nach der Wende erstellt wurde, weshalb ihre Ergebnisse nicht verallgemeinert werden

l69

Die Formulierung lautete „Die Polizei kümmert sich zu sehr darum, was die verschiedenen Bevölkerungsgruppen über sie denken" und führte zu folgenden Ergebnissen: stimme voll zu 4%, stimme eher zu 9,1%, teils-teils 25,3%, lehne eher ab 3 6 , 9 % lehne voll ab 17,5%, k.A. 7,1% (Helfer/Siebel 1975: 1053).

209

dürfen. 170 Aber immerhin wissen wir von Backes u.a. (1997), dass die „Wertschätzung in der Bevölkerung" für 80,9% der befragten Polizisten ein wichtiger Faktor der Berufszufriedenheit ist (Backes u.a. 1997: 43), was wenigstens indirekt darauf verweist, dass es den deutschen Polizisten nicht egal ist, was die Bevölkerung von ihnen denkt. Tab. 38:

Bolivien und Chile: Wird die Meinung der Bürger über die Polizei berücksichtigt viel

ausreichend

Chile

75%

25%

Bolivien

27%

41%

Tab. 39:

wenig 32%

Bolivien und Chile: Proteste der Bürger gegen polizeiliche Maßnahmen zu oft

selten

Chile

66%

33%

Bolivien

93%

7%

Ob sich Polizisten dazu stellen, was die Bevölkerung von ihnen hält, kann natürlich davon abhängen ob die vertretene Meinung kritischer oder lobender Natur ist. Die chilenischen und bolivianischen Polizisten sollten deshalb einschätzen, ob die Bürger „zu oft" gegen polizeiliche Maßnahmen protestieren oder ob dies eher selten der Fall ist. Im Ergebnis findet in beiden Ländern eine Mehrheit der Befragten, dass zu viel protestiert wird, wohingegen aber in Chile nur zwei Drittel dieser Meinung sind, sind es in Bolivien fast alle. Bei der gewählten Fragestellung bleibt freilich offen, an welche Art von Protesten die Polizisten beim Ausfüllen der Fragebögen gedacht haben: an offizielle Beschwerden Uber polizeiliches Fehlverhalten oder an kleinere Konflikte bei Ordnungsmaßnahmen der Polizei. Sofern auf Nachfragen die Gründe der Proteste genannt wurden bezogen sich die Carabineros hauptsächlich auf Konflikte bei Maßnahmen im Straßenverkehr u.ä. Mit wesentlich geringerer Häufigkeit wurden aber auch Beschwerden über die Vorgehensweise der Polizei, über Machtmissbrauch und Gewalteinsatz genannt, u.a. im Zusammenhang mit dem Jahrestag des Militärputsches („polizeiliche Gewalt"; „sind mit den Einsätzen nicht einverstanden"; „der Jahrestag des 11. September 1973" (C FB)). Von den bolivianischen Polizisten wird ebenfalls zum Teil eingeräumt, dass Proteste auf polizeiliches Fehlverhalten zurückzuführen sind, dabei ist jedoch im Gegensatz zu Chile von Korruption und Ineffizienz die Rede, nicht von Gewalteinsatz. Außerdem neigen die Bolivianer

170

Demnach sind die Erwartungen der Bevölkerung für die große Mehrheit der Schutzpolizisten eine sehr wichtige (44,9%) oder wichtige (40,2%) Motivationsquelle (Wanderer/Thieme 1992: 6ff.).

210

dazu, sich beschwerende Bürger als überempfindlich und unvernünftig zu diffamieren, was den Eindruck verstärkt, dass die bolivianischen Polizisten sich mehr von der Bevölkerung abgrenzen als die chilenischen. Die folgenden Beispiele drücken diese Einstellung eines nicht zu kleinen Teils der bolivianischen Polizisten besonders drastisch aus. Die Polizei gibt den Protesten durch ihre Ineffizienz und Korruptheit Nahrung. (B FB) Bolivianer sind undiszipliniert. (B FB) Bolivianer sind es gewohnt, ohne Sinn und Verstand zu protestieren und die Polizei ist zum Sündenbock geworden, auf den die Gesellschaft ihre ganze Frustration abwälzt. (B FB)

Hinsichtlich der Einstellung der Venezolaner zur Bevölkerung und zu Protesten derselben ist das Material nicht geeignet, quantitative Aussagen zu machen, die einen direkten Vergleich mit Chile und Bolivien zuließen. Trotzdem können die Meinungen der Polizisten inhaltlich verglichen werden: obwohl ein Befragter zum Thema angab, täglich würden ein bis zwei Beschwerden über die Polizei vorgebracht, waren die meisten Mitglieder der Policia Metropolitana der Ansicht, Proteste seien selten und sie seien nicht sehr ernst zu nehmen. Außerdem finden sich wie in Bolivien Polizisten, die die Meinung der Bürger abqualifizieren. Im Hauptstadtbezirk gibt es täglich ein oder zwei Beschwerden über die Polizei. (V 2) Die Bürger protestieren nicht gegen die Polizei, weil sie im Grunde wissen, dass sie nötig ist. (V 3) Die Beschwerden sind oft ungerecht sind, „die Leute wissen nicht, was sie sagen". (V 4)

Häufiger wird von venezolanischen Polizisten aber zum einen die „Theorie der schwarzen Schafe" bemüht, d.h. es wird behauptet, es gäbe in Einzelfällen zwar gerechtfertigte Klagen, nicht gerecht sei es aber, dass die gesamte Polizei den Kopf für das Fehlverhalten einiger weniger hinhalten müsse. Zum anderen erklären sie sich zum „Buhmann der Nation", indem sie angeben, die Proteste seien inhaltlich gar nicht gegen die Polizei gerichtet, sondern gegen politische Entscheidungen, die sie durchzusetzen haben. Dies ähnelt der Aussage des Bolivianers, der glaubt, die Polizei sei ungerechtfertigt Zielscheibe allen Protestes geworden (s.o.). Der Beamte glaubt, dass es gerecht ist, wenn es Beschwerden der Bürger gibt, die sich auf schlechte Einsätze beziehen, aber oft muss die ganze Gruppe für das bezahlen, was ein oder zwei Polizisten gemacht haben. (V 3) Proteste der Bevölkerung gegen polizeiliche Maßnahmen sind selten, häufig sind Proteste gegen Maßnahmen der Regierung, gegen die die PM sich stellen muss. (V 5)

211

Eng mit Protesten und Beschwerden der Bevölkerung verbunden ist die Frage: „Müssen die Bürger lernen, die Polizei mehr zu respektieren". Nun ist es zwar nicht dasselbe, der Ansicht zu sein, dass die Bürger lernen müssen, Polizisten mehr Respekt entgegen zu bringen und zu glauben, dass man selbst häufig respektlos behandelt wird. Ersteres ist aber ein Indikator dafür, dass mehr Respekt und weniger Widerspruch erwartet wird. Dass sowohl in Chile (100%) als auch in Bolivien (94%) fast alle Polizisten der Meinung sind, dass mehr Respekt nötig wäre, zeigt wie schon die vorausgehende Frage nach der Einschätzung von Beschwerden über die Polizei, dass die Befragten sich ungerecht bewertet und behandelt fühlen. Die folgenden wörtlichen Zitate stammen sämtlich aus Chile, weil nur dort entsprechende Aufzeichnungen möglich waren. Bei dieser Fragestellung können sie aber als stellvertretend für alle untersuchten Länder gelten, weil sich die von den Polizisten beschriebenen Situationen jeweils kaum unterscheiden: Jugendliche und Unterschichtsmitglieder pöbelten Polizisten deren Meinung nach häufig an, Mitglieder der gehobenen Schichten versuchten, Polizisten unter Verweis auf ihren Status abzukanzeln (s.u.). Das typische, dem man begegnet, (...) sind die Schimpfworte, die man uns auf der Straße an den Kopf wirft. (...), bei der Unterschicht erlebt man es, die Anpöbelei. (C 2) Vor allem sind sie respektlos, (...), ich denke, dass es in allen (Klassen) so ist, aber häufiger in der unteren Mittelklasse. (C 7) Zum Beispiel die jungen Leute in der Disco, es ist zur Gewohnheit geworden, wenn ein Carabinero erscheint „Schau, der Bulle soundso!" Weil es Mode ist. (...), er hat nichts gegen den Carabinero, da es aber Mode ist und er mit einem Freund unterwegs ist, „haut ab Bullen" (...). Ja das ist mir passiert, aber man gewöhnt sich dran. (C 3)

Zwar werden von den chilenischen und bolivianischen Polizisten dieselben Gruppen als zu wenig respektvoll empfunden, gleich oft werden sie jedoch nicht genannt. Die Chilenen bezeichnen Mitglieder unterer Schichten, oberer Schichten sowie Jugendliche etwa gleich oft als die Personenkreise, die Respekt vermissen lassen. Im Gegensatz dazu gilt der Unmut der bolivianischen Polizisten eindeutig der Oberschicht. Von den Antworten auf die entsprechende offene Fragestellung, in denen der Schichtbegriff oder ein Äquivalent von den Polizisten selbst angeführt wird, bezeichnen 69% die Oberschichten (B FB: „gehobene Schichten"; „Leute mit viel Geld"; „diejenigen mit Einfluss und Geld"), 8% die Mittelschichten und nur 23% die Unterschichten als jene Personengruppe, die ihnen den Respekt verweigert. Von den übrigen Aussagen beziehen sich 34% auf die gesamte Bevölkerung (B FB: „Alle"), 20% auf junge Menschen, oft ebenfalls mit einem Verweis auf gehobene Schichten (B FB: „die von Beruf Sohn sind"; u.U. „Studenten/Schüler"), 29% auf gebildete Menschen (B FB: „Studierte"), 6% direkt auf „Politiker", jedoch nur 11% auf Rechtsbrecher und Randgruppen (B FB: z.B. „Kriminelle"; „Asoziale").

212

Das Gefühl, nicht ausreichend respektiert zu werden, tritt auch bei Polizisten anderer Länder häufig auf. So gaben z.B. anlässlich einer Erhebung in Österreich nur 17% der befragten Polizisten an, sie seien im Dienst noch nie beleidigt worden (Meggeneder 1988a: 130ff.). Für die BRD gibt es keine direkten Vergleichsdaten, wesentlich anders als in Österreich dürften sie aber nicht ausfallen. Gravierend ist dies, weil die Akzeptanz der Autorität ein wesentlicher Faktor der Polizeiarbeit und vielen Polizisten zudem persönlich wichtig ist, 171 weshalb die Pflege des „außenwirksamen Habitus" (Hüttermann 2000) ein bedeutender Teil polizeilicher Strategien im Umgang mit der Bevölkerung ist. Laut einer Umfrage unter Polizeischülern erwarten 70% „daß ihnen beim Auftritt in Uniform Respekt entgegen gebracht wird", lediglich 4 % tun dies nicht, für 2 6 % ist dies „nebensächlich" (Lesnik 1998). Außerdem löst Respektlosigkeit bei vielen Menschen und demgemäß auch bei Polizisten Stressgefiihle, Frustration und Ärger aus, der bei Polizisten leicht in Machtmissbrauch umschlagen kann. 172 Dies ist für den deutschen und den anglo-amerikanischen Raum längst belegt (Skolnick 1966; Reiss/Bordua 1967: 47f.; Lautmann 1971: 23 f.; Westley 1972: 150ff.; Holdaway 1984: 121; Cain 1973: 18; Endruweit 1979: 93 ff.; Backes u.a. 1997: 39, 41) und auch das venezolanische Forscherteam Gabaldön/Birkbeck (1995, 1996) stellt heraus, dass die Aktualgenese von polizeilicher Gewalt häufig mit respektlosem Verhalten zusammenhängt. 1 7 3 In der BRD geht dies zwar nur selten so weit, wie von einem in der Studie von Willems u.a. (1996: 29) zitierten Polizisten behauptet („Wenn mich jemand anbrüllt, gibt's den Knüppel"), aber immerhin bejahen rund 2 4 % der von Lesnik (1998) befragten Polizeischüler die Frage, ob sie aggressiv werden würden, „wenn ihnen beim Einsatz nicht genügend Respekt entgegengebracht wird". Was für Folgen Respektlosigkeit oder Beleidigungen in Caracas haben können, zeigen die folgenden beiden zur Illustration angeführten Beispiele. Die erste Geschichte muss inhaltlich als Selbstjustiz mit Amtshilfe bezeichnet werden. In der zweiten wird ein Extremfall dargestellt, der zeigt, wie willkürlich die Polizei mit Bürgern umgeht, denn die Empörung des Erzählers richtet sich weniger auf die Tat an sich, als vielmehr darauf, dass (unwissentlich) ein Kollege zum Opfer wurde.

171

Respekt zu verlangen darf nicht ausschließlich als persönliche Ambition gewertet werden. Insofern ist Westley zu widersprechen. Er argumentiert, Gewalt werde eingesetzt, wenn die Autorität des Polizisten angezweifelt wird. Die Wiederherstellung der Autorität ist lt. Westley (1972: 150ff.) ein persönliches Ziel. l72 Mehrere Autoren betonen, dass gerade bei Jugendlichen Respektbezeugungen entscheidende Faktoren sind (Wertham/Piliavin 1967: 68ff.; Westley 1972: 7fT.; vgl. Reiss 1979: 277ff.). m

A l s drittstärkster Faktor nach Aggressivität und Widerstandshandlungen, so man diese Verhaltensweisen klar voneinander abgrenzen kann (Gabaldön/Birkbeck 1996, 1995).

213

Einmal, sagt die Interviewte, erzählte ihr ihre Tochter, der Nachbar hätte sich an der Tür gezeigt (...) und zu ihr gesagt, „du bist eine Fotze, genauso wie deine Mutter." Der Mann war nackt und begann sich vor ihr selbst zu befriedigen. (...) Die Befragte erzählte, dass sie, als sie das erfahr, zu ihm ging (...) und ihn aufforderte, dass er das, was er zu dem Mädchen gesagt hatte, vor ihr wiederholen soll (...). Sie erklärte das Problem (dann) ihrem Vorgesetzten, der ihr eine Entschuldigung für die Arbeit zugestand, damit sie die Sache klären konnte, und zwar mit Hilfe der PM (...). Weil sie die Wohnung des Nachbarn nicht demolieren durfte, schlug sie ihn auf der Straße zusammen. Die Beamtin erklärt, dass die Frau des Nachbarn „eine Hure" ist und „die Kinder sind desorientiert." Während der Mann am Boden lag, rief sie ihre Kollegen über Funk. Die kamen sofort und nahmen ihn für 16 Tage fest. (V 29) Er unterrichtet mich über einen Vorfall, (...) (als) ein Mitglied der PM, der frei hatte (...), in Begleitung einer Kollegin zu einem öffentlichen Telefon kam, das ein Kommissar in Zivil gerade benutzte. Der andere Beamte sagte zu ihm „ich muss telefonieren". Der Kommissar sagte zu ihm „warte einen Moment" und der andere Beamte zog einfach seine Waffe, weil er sich ärgerte, schoss und tötete ihn. Offensichtlich wusste der Beamte nicht, dass der andere auch ein Polizist war. (V 58)

Gerade weil Polizisten häufig der Meinung sind, dass viele Bürger die Polizei nicht ausreichend respektieren und zu oft gegen ihre Maßnahmen protestieren, ist es für sie wichtig, dass wenigstens ein Teil der Bevölkerung mit der Polizei kooperiert, um die berufsspezifisch häufigen Konflikte auszugleichen. So zeigt eine deutsche Studie von Wanderer/Thieme (1992), wenngleich anhand der speziellen Gruppe ostdeutscher Polizisten, dass sich knapp 30% der Befragten mehr Unterstützung durch die Bürger erhoffen. Das ist in Lateinamerika nicht grundsätzlich anders. Zwar wurde im Fragebogen nicht gefragt, ob die sich mehr Unterstützung wünschen würden, dafür aber, ob sie sich unterstützt fühlen (s.u. Tab. 40). Zudem brachten die Polizisten die Thematik bei den Fragen ohne Antwortvorgabe sowie bei den offenen Interviews selbständig zur Sprache. In den offenen Interviews lautete die Begründung dafür, dass die Polizisten sich eine (vermehrte) Kooperation seitens der Bevölkerung wünschen meistens, dass dies ihre Aufgabenerfüllung erleichtere. Teils stellen sie dabei auf den grundsätzlich reziproken Charakter der Polizeiarbeit ab, teils hoffen sie, dass die Kriminalitätsbekämpfung dadurch effizienter wird. Man muss sich ihrer sicher sein, um die Arbeit gut machen zu können. (C FB) Er fügt an, dass die PM Einsätze ausführt, die mit den Erwartungen zu tun haben, die aus der Öffentlichkeit kommen, dass die Menschen ihnen helfen und dass dies wichtig ist. Allerdings betont er auch, dass nicht alle Bürger so sind. ( V I I ) Er fügt ausdrücklich hinzu, dass, wenn die Bürger die polizeiliche Arbeit nachfragen würden, dies die öffentliche Sicherheit verbessern würde. (V 53)

Neben der besseren Aufgabenerftillung hat ein gutes Verhältnis zu den Bürgern auch die Funktion puren präventiven Selbstschutzes. Dem folgenden Zitat aus Caracas muss jedoch vorausgeschickt werden, dass sich die Erzählung auf eines 214

der Armenviertel bezieht, das die Polizisten kaum gefahrlos betreten können, weil kriminelle Banden das Regiment übernommen haben (vgl. Kap. 4.2.3., 4.2.4.). Es ist für Polizisten wichtig, in den verschiedenen Sektoren und Gassen der Armenviertel zu patrouillieren, denn so kennt man die Leute in der Nachbarschaft, was spätere Einsätze sicherer macht, weil der mögliche Aktionsradius ( . . . ) direkt bessere oder schlechtere Überlebenschancen bedeutet ( . . . ) (da dies) ihm die Möglichkeit verschafft, bei Gefahr einen Unterschlupf in den Häusern der Anwohner zu bekommen. (V 64)

Der Wunsch der Polizisten nach Unterstützung durch die Bevölkerung ist aus den von den Polizisten genannten Gründen nachvollziehbar, Voraussetzung für die Kooperation ist jedoch, dass die Bürger der Polizei vertrauen, was in Lateinamerika mit Ausnahme Chiles nur selten der Fall ist (s.o.; vgl. Kap. 5; Schmid 1998a). Die Polizisten wurden deshalb gefragt, welche konkreten Erfahrungen sie mit der Kooperationsbereitschaft der Bevölkerung gemacht haben. Bei Schießereien „gibt es alles", traurige Angehörige der Opfer (ein Jugendlicher und ein Unteroffizier), andere Personen, die froh sind, dass man mit dem Leben eines Delinquenten Schluss gemacht hat und auf der anderen Seite geht es um die Menschenrechte, die von dem Jugendlichen (der in den Konflikt verwickelt war) eingeklagt werden. (V 9)

Wenngleich die letzte Einschätzung insofern realistisch sein dürfte, als die Mehrzahl der Polizisten in ihrem Berufsleben bereits sowohl die eine als auch die andere Position der Bürger erlebt haben dürften, generalisieren doch manche: es gäbe generell Kooperation oder es gäbe sie überhaupt nicht. Jene, die behaupten, die Bevölkerung würde sie unterstützen, begründen dies häufig damit, dass die Bürger wüssten, dass man auf die Institution Polizei nicht verzichten könne, deshalb würden sie die Zusammenarbeit nicht gänzlich verweigern. Die Carabineros erleben außerdem positive Rückmeldungen aus der Bevölkerung, wenn sie konkrete Hilfestellungen geben können und glauben, dass ihnen ein gewisses Vertrauen entgegengebracht wird. Dabei verweisen sie darauf, dass ihre Institution geachtet sei und deshalb auf Kooperation der Bevölkerung hoffen kann. Kritisch schränkt der letzte zitierte Carabinero ein, dass die erwünschte Kooperation natürlich voraussetzt, dass man seine Amtsmacht nicht missbraucht. Weil sie sich gut fühlen, wenn sie einen Carabinero können. (C FB)

sehen und sich sicherer bewegen

A m meisten, wenn man ihnen hilft, nicht jedoch bei Machtmissbrauch. (C FB)

In Venezuela stellt sich die Situation anders dar. Ein venezolanischer Polizist spricht zwar wie die Chilenen die Hilfsbedürftigkeit mancher Bürger an, aber er nimmt dabei eine arrogante Haltung ein, die an die Reaktionen mancher bolivianischer und venezolanischer Polizisten auf Beschwerden erinnert (s.o.).

215

Die Leute sind wehrlos und suchen bei der Polizei Unterstützung, „wenn sie auch Unsinn reden". (V 4)

Erstaunlich ist außerdem eine Form der Kooperation der Bewohner von Caracas mit der Polizei, die einem der venezolanischen Polizisten während des Interviews einfällt und insofern den Verdacht auf Korruption nahe legt, als die besagte Reparatur des Streifenwagens eine Gegenleistung seitens der Polizisten erwarten lässt. Er sagt, dass es Hilfe von manchen Anwohnern gibt. Das letzte Mal war es die Reparatur des Motors von einem der Streifenwagen. (V 24)

Jenseits der bisher beschriebenen Erlebnisse wird aber sowohl in Chile als auch in Venezuela am positivsten herausgestellt, wenn Bürger sich entweder bei den Polizisten für eine Maßnahme bedanken. Es Leute gibt, die direkt auf einen zukommen, um den Carabineros zu danken. (C FB) Er sagt, (...) dass die Gemeinschaft demonstriert hat, dass sie zufrieden ist, weil es sich um einen Gangster (den die Polizisten töteten) aus demselben Viertel handelte. (V 14) Radio Caracas (...) interviewte die Polizisten und machte ein Programm (...), in dem sie behaupteten, die Mitglieder der PM würden Menschen kaltblütig umbringen. In Wirklichkeit, sagt der Befragte, habe es Unterstützung aus den Stadtvierteln gegeben, in denen die Delinquenten lebten und sogar die Mutter von einem davon sagte, dass sie beruhigt ist darüber, dass die PM ihren Sohn getötet hat, der ihrer Meinung nach ein unkalkulierbarer Bursche war und schlechten Einfluss auf ihren anderen Sohn hatte. (V 25)

Während das erste Zitat aus Chile dieses Thema nur in allgemeiner Form anspricht, sind die Erzählungen der Mitglieder der Policía Metropolitana auf Einzelfälle bezogen und zeigen nicht nur, wie brutal es in Caracas mitunter zugeht. Zwar ist es kaum zu glauben, dass Eltern mit der Tötung ihres Kindes einverstanden sind, doch insgesamt machen die Geschichten, in denen sich Anwohner für die Erschießung von Verdächtigen, aus deren Sicht von bekannten Gangstern, bedanken, doch deutlich, dass die gewalttätige polizeiliche Vorgehensweise in den Armenvierteln (barrios) von Caracas eine gewisse Unterstützung bei der Bevölkerung findet. Ähnliches haben die Chilenen und Bolivianer nicht vorgebracht. Gemeinsam mit den Befunden über die Gewalt in Caracas (Kap. 1.2.2. und Kap. 4.2.4.) ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, dass polizeiliche Gewalt in Caracas nicht außergewöhnlich und teils sogar sozial erwünscht ist. Manchen Bürgern geht die Polizei noch nicht einmal weit genug: Sie sahen drei Verdächtige (...), einer der Männer bedrohte ihn von hinten mit der Pistole (...). Die Leute kamen aus ihren Häusern gelaufen, dann wurde der Verdächtige unvorsichtig und dem Polizisten gelang es, ihn zu entwaffnen. Etwa zwanzig Leute kamen hinzu und forderten, den Typen, der ständig Passanten überfällt, zu lynchen. (V 65)

216

Bei dieser einzelnen Geschichte ist es schwer einzuschätzen, ob der Erzähler sich von der Bevölkerung in seiner Position unterstützt fühlt, oder ob er aufzeigen will, dass die Anwohner sich gegen die Polizei wendeten, in diesem Fall gegen ein aus der Sicht der Bevölkerung zu mildes Vorgehen der Polizisten. Aber abgesehen davon berichten die venezolanischen Polizisten auch von Vorfällen, in denen sich die Nachbarn und Familienmitglieder gegen sie wenden und versuchen, bereits gestellte Verdächtige vor der Polizei zu schützen und in einer Geschichte empört sich der Befragte darüber, dass von den barrioBewohnern noch nicht einmal Morde angezeigt werden. Es ging um einen sehr gefahrlichen Kriminellen, der mit Drogen handelte (...) (er) wehrte sich gegen die Festnahme, sie waren jedoch (...) zu Dritt und konnten ihn mit Schlägen überwältigen. Als sie dem Dealer Handschellen angelegt hatten und versuchten ihn wegzubringen bewarfen die Nachbarn sie mit Steinen und Flaschen. Zuletzt verletzte eine Flasche die Hand des Interviewten und um den Ort verlassen zu können mussten die Polizisten einige Male in die Luft schießen. (V 17) Vor einiger Zeit war er auf der Suche nach einem Minderjährigen, der aus einem Gefängnis (...) ausgebrochen war und zwei Frauen sagten dem Polizisten er solle ihn in Ruhe lassen, da es sich um ein Kind handle. Der Polizist räumt ein, dass er unhöflich war, aber er (...) sagte nur, dass dieses Kind drei Morde verübt hat, davon einen an „einer Alten, so wie Sie es sind." Er sagt, dass die Frauen danach den Mund nicht mehr aufgemacht haben. „Man lebt und atmet so wie alle Menschen", sagt der Polizist, aber die glauben, dass die Gangster einen Polizisten verletzen können und „es passiert ihm nichts und es tut ihm nichts weh". (V 5) In einem Randgebiet der Stadt wurde eine Leiche gefunden. (...) Einer der Gangster hatte die Person umgebracht und nicht einer der Anwohner hat irgendjemand informiert. (V 53) Interessant ist, dass die venezolanischen Polizisten diese Haltung der Bevölkerung zwar ablehnen, die Gründe dafür aber nicht bei ihnen, sondern bei kriminellen Gangs suchen. Die haben ihrer Erfahrung nach die Kontrolle über die barrios und setzen die Bürger unter Druck. Das wissen die Polizisten nicht zuletzt deshalb, weil sie selbst in entsprechenden barrios wohnen. Der Kommissar erzählt, dass die Repressalien latente Angst auslösen und die Leute zum Teil aus Angst nicht kooperieren. (V 36) In den barrios muss man „mit Dieben zusammenleben". Der Polizist kennt Banden, aber er muss den Mund halten „und die, die sich als Sheriff aufspielen, sterben". (V 42) Der Interviewte erzählt, dass er sein (im eigenen barrio gestohlenes) Auto und alle Teile wiederbekommen hat, aber dass er im barrio nur mit wenig Leuten zu tun hat und er fügt an: „Solange sie sich nicht mit mir anlegen, kann man sich nicht gegen sie stellen. Ich habe meinen Kollegen bei der Polizei Informationen über Waffen und Drogen gegeben, aber ich mache selbst nichts. Ich lebe dort". (V 66)

217

In dem gesamten bisherigen Abschnitt über die Kooperation der Bevölkerung mit der Polizei kamen bolivianische Polizisten kaum vor, da sie sich darüber im offenen Antwortteil des Fragebogens kaum geäußert haben und von den wenigen, die es doch getan haben, erklärte kaum einer, die Bürger würden die Polizei unterstützen. Dies liegt laut den Polizisten selbst (66% der Antworten!) daran, dass „wir schlecht angesehen sind" (B FB) und von manchen wird darüber hinaus zugegeben, dass die Polizei die Menschenrechte nicht achtet. Eine kleine Gruppe verlegt sich auf die Behauptung, sie würden grundsätzlich ungerecht bewertet werden. Die Polizisten sind isoliert und für die Polizei gibt es keine Menschenrechte. (B FB) Weil für sie jede polizeiliche Handlung einen Machtmissbrauch darstellt. (B FB) Wir stehen im Zentrum des Wirbelsturms und alle suchen nur unsere Fehler. (B FB)

Tab. 40:

Chile, Venezuela und Bolivien: Geglaubte Unterstützung durch Bürger ja

nein

Chile

92%

8%

Venezuela

45%

55%

5%

95%

Bolivien

Bei der quantitativen Auswertung derselben Grundfrage wiederholt sich der anhand der offenen Antworten und Interviews gewonnene Eindruck. Fast keiner der Bolivianer, weniger als die Hälfte der Venezolaner, aber die Mehrheit der Chilenen fühlt sich von der Bevölkerung unterstützt. Bei der Interpretation der bolivianischen Ergebnisse ist allerdings Vorsicht geboten, weil die verwendete Fragestellung von der chilenischen abweicht. In Bolivien wurde gleichzeitig nach der Unterstützung durch die öffentliche Meinung und die Politik gefragt, die von Polizisten tendenziell negativ beantwortet wird (vgl. Kap. 4.3.2. und 4.3.3.) und daher das Ergebnis für die Bevölkerung verschlechtert haben könnte. Betrachtet man das bolivianische Ergebnis bei dieser Einzelfrage jedoch im Kontext der anderen Ergebnisse zum Verhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung, so ist zu resümieren, dass die durch dieses methodische Problem entstandene Verzerrung nicht allzu groß sein kann. Bei der Mehrzahl der bisher referierten Fragen zum Verhältnis zwischen Polizei und Bürgern wurde die Bevölkerung pauschal eingeschätzt, aber bei der Diskussion des Respekts gegenüber der Polizei (s.o.) deuteten manche Polizisten bereits an, dass sie u.a. zwischen verschiedenen sozialen Schichten differenzieren. Aus der BRD ist ähnliches seit längerem bekannt. Mitte der siebziger Jahre antworteten knapp 34% der befragten deutschen Polizisten auf die Frage, ob sie meinten, mit Verkehrsteilnehmern gehobener Schichten vorsichtig umgehen zu 218

müssen mit , j a " und weitere 21% mit „teils-teils". Daran hat zweifellos die Alltagserfahrung der Polizisten teil, dass diese Personengruppe eher dazu neigt „gegen die Maßnahmen der Polizei zu protestieren als Angehörige der niederen Schichten": rund 64% stimmten dieser Aussage zu (Helfer/Siebel 1975: 1039, 1048). Die gefiirchtete „Beschwerdemacht" der Mitglieder gehobener Schichten, so die Deutung, lässt die Polizisten ihnen gegenüber Zurückhaltung üben, wohingegen die Mitglieder niederer Schichten wenig rücksichtsvoll behandelt werden. Um zu erfahren, welchen Gruppen die Polizisten selbst zu- oder abgeneigt sind und wo sie sich sozial verankert sehen, wurde das empirische Material mit Blick auf die soziale Schichtung ausgewertet. In den geschlossenen Fragebögen wurden die Polizisten direkt gefragt, mit wem leichter umzugehen sei, den Mitgliedern der unteren oder denen der gehobenen Schichten. Daran anschließend wurde eine Begründung dessen erbeten. Das Ergebnis fällt in Chile und Bolivien ähnlich aus. Jeweils etwa gleich viele plädieren für die Unter- und für die Oberschichten, insoweit gehen die Antworten keineswegs eindeutig zu Lasten der Unterschichten. Auch die Begründungen sind in den beiden Ländern kaum voneinander zu unterscheiden. Wo die Mitglieder der gehobenen Schichten bevorzugt werden, wird gesagt, mit ihnen sei wegen deren Bildungsvorsprung leichter umzugehen, sie hätten mehr Verständnis für polizeiliche Maßnahmen und seien weniger aggressiv: Die Mitglieder der gehobenen Schichten sind „kultivierte" und „verständige Menschen", die die „soziale Realität besser verstehen". (B FB) Es ist aufwendiger sie (Unterschicht) zufrieden zu stellen, die Oberschichten verstehen es besser. (C FB) Es gibt Leute der Unterschicht, die Hilfe brauchen, auch wenn sie mit den manchmal aggressiv umgehen. (C FB)

Carabineros

Auch jene Polizisten, die sich bei diesen Fragen für die Unterschichtsmitglieder entschieden haben, geht es teils um das Verständnis für die Polizei. Es beruht aus der Perspektive der Polizisten aber im Gegensatz zu den Oberschichten nicht auf Bildung, sondern auf der sozialen Nähe zu einfachen Straßenpolizisten. Das wichtigste Argument dafür, dass mit den niederen Schichten leichter umzugehen sei, ist aber der weniger aufwendige Umgang mit ihnen. Öfter wurde geäußert, dass untere Schichten wegen ihrer „Wehrlosigkeit" bevorzugt werden und dass sie die Polizei besser „verstehen", weil sie auf „demselben Niveau" wie Polizisten stehen (B FB). Manche Polizisten sehen Mitglieder der Unterschichten deshalb als schutzbedürftig an, was aber überwiegt ist die Möglichkeit, nach Gutdünken mit ihnen umspringen zu können. Das sagen die Polizisten recht offen: Die Unterschicht ist leichter zu übertölpeln und Opfer der Korruption. (B FB) Wegen Angst und Respekt vor der Polizei. (B FB)

219

Man kann sie (Unterschicht) wegen ihrer Unbedarftheit reinlegen und täuschen. (C FB) Weil die Oberschicht uns einschüchtern kann und uns weniger zuarbeitet. (C FB) Die Oberschicht ist besser ausgebildet und kritischer und verlangt dadurch mehr von der Institution und ihren Mitgliedern. (B FB)

Diese Ergebnisse zeigen, dass die unterschiedlich ausgeprägte „Beschwerdemacht" und Gegenmacht der verschiedenen Schichten für die lateinamerikanischen Polizisten ebenso wie für die deutschen ein wichtiges Kriterium im Umgang mit der Bevölkerung ist und dass die Polizisten je nach Schichtzugehörigkeit anders agieren (müssen). Leichter fällt es der einen Hälfte der Polizisten, mit Mitgliedern gehobener Schichten zu arbeiten, bei der anderen Hälfte ist das Gegenteil der Fall (s.o.). Aber dies sagt wenig darüber aus, welcher Gesellschaftsschicht sie sich verbundener oder zugehörig fühlen. Besseren Aufschluss darüber geben Antworten auf Fragen, in denen Sympathien und Antipathien gegenüber verschiedenen Bevölkerungsgruppen angesprochen werden. Solche Fragen kamen sowohl in den offenen als auch in den geschlossenen Interviews vor. Die entsprechenden Antworten sind äußerst heterogen und betreffen alle möglichen Bevölkerungsgruppen, darunter auch Bezeichnungen für verschiedenste Arten von Straftätern, 174 in der folgenden Sonderauswertung werden aber nur jene berücksichtigt, in denen entweder der Schichtbegriff bzw. eines seiner Äquivalente fällt oder Gruppen benannt werden, die sich relativ eindeutig einer Schicht zuordnen lassen (z.B. Politiker). Die Bolivianer drückten selten eine gewisse Sympathie oder Verständnis für Angehörige niederer Schichten aus (B FB: „Proletarier"; „niedere Schichten"; „Arme und Unterdrückte"; „Unterprivilegierte"), hauptsächlich sofern sie sie als gesetzestreu einschätzen (B FB: „Jeder, der sich an das Gesetz hält"). Häufiger sagten sie, sie hätten für überhaupt keine soziale Gruppe besondere Sympathien und der Oberschicht gegenüber zeigen sich die bolivianischen Polizisten deutlich kritisch. Im Einzelnen brachten sie vor, sie hätten keine Sympathie für „die aus den gehobenen Schichten, weil die (das Recht) am meisten missbrauchen" (B FB) oder „gegenüber den Präpotenten" womit „Politiker und andere, die glauben, dass das Gesetz für sie nicht gilt" (B FB) gemeint sind. Damit nehmen die bolivianischen Polizisten v.a. „Politiker" und andere machtvolle Gruppen ins Visier, jene, „die ihre Position ausnutzen" (B FB) und die Antipathie eines Befragten gilt einem ganzen Sammelsurium von Menschen, nämlich „Gruppen, die andere angreifen und anschwärzen, ohne deren Funktion zu verstehen: Journalisten, Jugendgruppen und Jugendbanden, Alkoholiker, kriminelle Banden" (B FB). Insgesamt lässt sich aus diesen Antworten eher eine negative als eine positive Bezugsgruppe ableiten, und es entsteht der Eindruck, dass sie nicht nur ein

174

Die auf die Kriminalität bezogenen Antworten werden im nächsten Kapitel (4.2.3.) ausgewertet.

220

schlechtes Verhältnis zur Bevölkerung haben, sondern sich darüber hinaus keiner sozialen Schicht verbunden fühlen. Die Chilenen unterscheiden sich davon erheblich. Zwar klagen auch sie in für Polizisten typischer Weise über die spezifischen Probleme mit Unter- und Oberschichtsmitgliedern. Im Gesamtüberblick berichten sie aber über beide Gruppen ausgeglichener, und was sie vollständig von ihren bolivianischen und auch venezolanischen (s.u.) Kollegen abhebt, ist, dass sie betonen, dass sie den Mittelschichten zuneigen. Das mag insofern kein Zufall sein, als dies mit ihrer sozialen Herkunft und ihrer Wohnlage übereinstimmt: die chilenischen Carabineros leben teils in Mittelschichtsvierteln und zwar deshalb, weil die polizeieigenen Unterkünfte dort errichtet wurden. Die Polizei versteht sich besser (...) mit der arbeitenden Mittelklasse, so ungefähr. Die gehobene Schicht, ich finde sie sind sehr (...) arrogant, es sind Leute die Anweisungen geben, weil sie ein bisschen mehr Geld haben, die untere Schicht glaubt, dass wir Henker sind. Die mittlere Schicht, das sind die, die die Arbeit der Carabineros wirklich schätzen. (C 2)

Die Mitglieder der venezolanischen Policía Metropolitana schließlich machen überhaupt kein Hehl aus ihrer tiefen Abneigung gegen Angehörige gehobener Schichten. Wenn immer von diesem Personenkreis die Rede ist, werden deren Handlungen kritisiert, Gegenbeispiele dazu finden sich überhaupt nicht. Daran, dass rund zwei Drittel aller in Caracas befragten Polizisten ausführlich darüber sprechen, zeigt sich zudem deutlich, wie wichtig dieses Thema ihnen ist. Noch attraktiver sind für sie nur noch Geschichten über das Einsatzgeschehen (Kap. 4.2.3. und 4.2.4.). Vom Kontext her kommen die Angehörigen gehobener Schichten in zweierlei Form zur Sprache: zum einen ähnlich wie in Chile und Bolivien im direkten Vergleich zu den Unterschichten und zum anderen in Berichten über negativ bewertete Verhaltensweisen dieser Gruppe. Vorgehalten wird ihnen, sie seien arrogant und versuchten sich unter Einsatz ihrer sozialen Beziehungen der Polizei zu entziehen. Im Unterschied zu den Bolivianern zielt ihr Missfallen aber nicht so sehr auf die Politik (s.o.), sondern auf die Justiz (vgl. Kap. 4.3.1. und 4.3.3.). Die ausgewählten Zitate geben das Spektrum der vielen Aussagen wieder: Er beschlagnahmte eine kleine Menge Drogen für den Eigenkonsum. Als der Beamte sie zum Kommissariat brachte, erfuhren sie, dass es der Sohn eines Senator war, (...) sie bekamen ein bisschen Bammel und „seufzten, weil diese Sache sie erwischt hat". (V 3) Der Sargento stellt sich dazu wörtlich die Frage: „Welcher Polizist würde mich einsperren, wenn ich der Bruder eines Staatsanwalts oder Kommissars bin. So kann man keine Straftat einklagen. Das Gesetz wird nicht respektiert. Liberalismus und Demokratie werden missverstanden. Die hohen Tiere können sich alles erlauben und von dem geldgierigem Politikerhaufen muss man sowieso die Finger lassen". (V 58)

221

Sie sagt, dass es ihr zum Teil überhaupt nicht passt, wie die Leuten aus der sozioökonomisch höheren Klasse hochmütig in das Kommissariat kommen und die Beamten behandeln „als ob Polizisten weniger wert wären als sie selbst". Speziell die Anwälte „die behaupten zwar gesittet zu sein, aber hier sind sie unflätig". Sie sind daran gewöhnt dreist zu sein und „wenn sie mich nicht mit Respekt behandeln, behandle ich sie genauso". „Ich bin Anwalt und werde eintreten", sind übliche Worte, sagt die Polizistin, (...) (sie) öffnet ihnen die Tür aber nicht, verleugnet den Kommissar oder benutzt irgendeine Ausrede, um sie auf der Straße stehen zu lassen. (V 6)

Am anderen Ende der gesellschaftlichen Machtskala stellt sich die Situation in Venezuela komplizierter dar. Die Bewohner der barrios (Viertel niederer Schichten, im Gegensatz zu den urbanizaciones, den gehobenen Vierteln) sind es, die die untersten Schichten von Caracas ausmachen und sie stellen einerseits die heftigsten Widersacher der Polizei, darunter die Bandenmitglieder, die ihr schwer zu schaffen machen (vgl. Kap. 4.2.3. und 4.2.4.). Aber andererseits unterscheiden die Polizisten deutlich zwischen kriminellen und „normalen", weitgehend konformen fearWo-Bewohnern. Die eine Gruppe hält gegen die Polizei zusammen und das geht so weit, dass die Polizisten die Winkel mancher barrios gar nicht betreten können. Gleichzeitig gibt es für die Polizisten aber eine Reihe an Gründen, die Arbeit in den Vierteln der Unterschichten der in den reicheren Gebieten vorzuziehen. Das ist zum einen eine gewisse Vertrautheit mit den dortigen Zuständen, oft auch deshalb, weil die Polizisten selbst in solchen barrios aufgewachsen sind, und zum anderen spielt natürlich die geringe Beschwerdemacht der éa/r/'o-Bewohnern eine wichtige Rolle. Er zieht die niederen Schichten vor, weil die Reichen „einflussreich" sind und versuchen „einem den Mund zu verbieten, zum Nutzen der Verhafteten". (V 30) Die am respektlosesten sind, sind die mächtigen Leute und unter Gaunern fühlt er sich unter gleichen, im selben Schlachtfeld (...), es ist besser, mit einfachen Leuten zu arbeiten, die keine Macht haben. (V 4) Er sagt, dass er (...) wie fast alle seine Kollegen aus einem barrio stammt, aber abgesehen davon, dass es Marginalviertel von Caracas sind, sind der Umgang und die Erwartungen (der Bevölkerung) besser als in den Sektoren der Leute mit Geld und Macht. (V 59)

Außerdem zählt, dass es in den barrios neben den angesprochenen Segmenten auch solche gibt, in denen sie glauben, gern gesehen zu sein. Nicht, dass dies generalisiert werden könnte, insgesamt fühlen sich die venezolanischen Polizisten von der Bevölkerung kaum unterstützt (s.o.), aber wenn sie sich irgendwo sozial verankert sehen, dann nicht in den Ober- oder Mittelschichten, sondern bei den in ihren Augen „guten" Bürgern der Unterschicht. Das sind v.a. jene, die sich selbst von der Kriminalität bedroht sehen, sich deshalb in Nachbarschaftsorganisationen zusammen getan haben und die Arbeit der Polizei offenbar unterstützen.

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Er sagt, dass die einfachen Leute mehr von der Polizeiarbeit verstehen, wie etwa die Nachbarschaftsorganisationen in den barrios. (V 6) Um etwas zum Tempo der Einsätze beizusteuern fuhrt er ein Register über 250 Personen in einem Karteikasten. Das war eine gemeinsame Arbeit mit den Nachbarschaftsorganisationen (...). Er zeigt sie mir, es geht um Personen, die Vorstrafen haben und in der Zone leben. (V 24) Es gab viel Hilfe von den Nachbarschaftsorganisationen. Sie informierten über die Wohnorte der Kriminellen und ihre Tarnnamen. (V 24)

4.2.3. Tatverdächtige und Kriminelle Ein besonders spannendes Kapitel der Polizeiforschung sind stets die Erlebnisse mit Tatverdächtigen und Kriminellen, von denen Polizisten berichten können. Das haben von unseren Interviewten hauptsächlich die Venezolaner getan: sie sprachen ungewöhnlich freimütig über ihre Auseinandersetzungen mit Kriminellen bzw. Verdächtigen und ihre eigenen, teils äußerst gewalttätigen Aktionen (vgl. Kap. 2). Die Offenheit der venezolanischen Polizisten rechtfertigt es, die Berichte Uber die „Polizeigewalt in Caracas" in einem gesonderten Exkurs darzustellen (Kap. 4.2.4.). Vorher wird aber das Material zu den Themen vorgestellt, bei denen die Informationen aus den verschiedenen Ländern gleichgewichtiger sind. Im Einzelnen geht es um die Einschätzung der Entwicklung der Kriminalität, darum, innerhalb welcher sozialer Gruppen die Polizisten das höchste Kriminalitätspotential vermuten und inwieweit sie sich in ihrer Alltagsarbeit physisch bedroht sehen. Zuletzt werden Einstellungen zu repressiven polizeilichen Praktiken referiert. Der Blickwinkel von Polizisten auf die Kriminalität ist auf andere Weise subjektiv als der der Bevölkerung. Letztere speist ihre Einschätzung neben möglichen persönlichen Erfahrungen v.a. aus Massenmedien, was oft zu einer drastischen Überschätzung des Kriminalitätsaufkommens fuhrt. Diese Einflüsse wirken auf Polizisten ebenso und hinzu kommt noch, dass sie die Schattenseiten der Gesellschaft von Beruf wegen häufig sehen, insbesondere wenn sie in Großstädten oder sog. Problemrevieren tätig sind. Die permanente Konfrontation mit Kriminalität kann einen Gewöhnungseffekt erzeugen, wahrscheinlicher ist es aber, dass sie zu einer Überschätzung der Bedrohung durch Kriminalität führen wird. Zwar sollte eine sorgfältige Ausbildung gewährleisten, dass das Kriminalitätsvolumen realistisch eingeschätzt wird, aber offenbar verhindert nicht einmal die im Vergleich zu Lateinamerika sehr gute Ausbildung deutscher Polizisten Irrtümer, dies belegt eine Veröffentlichung des Deutschen Polizeiblatts, nach der „die Mehrzahl unserer Studierenden im Fachbereich Polizei, die durchschnittlich seit 10 Jahren ihren Beruf ausüben, die Zahl der jährlich begangenen Raubüberfalle, Mord- und Totschlagsdelikte sowie Diebstahlsdelikte weit überschätzen" (Thomas 1989a: 2). Laut den dort publizierten Daten vermuteten die befragten Polizisten 5,3 mal mehr Raubüberfälle und 11,3 mal mehr Mord- und Tot223

schlagsdelikte, als tatsächlich begangen wurden, was den Autor der Studie dazu verleitet, von einer „erschreckenden Unkenntnis" der Beamten zu sprechen.175 Bei öffentlichen Äußerungen über die Kriminalitätsentwicklung darf man außerdem nicht außer Acht lassen, dass ein tatsächlicher oder vermeintlicher Kriminalitätsanstieg ein Argument für die Einforderung von Ressourcen ist. Dies mag daran beteiligt sein, dass die Zunahme der Kriminalität, die Brutalisierung der Tatausführungen und eine Gefährdung durch neue Kriminalitätsformen in Polizeizeitschriften betont werden (vgl. z.B. Gemmer 1994: 17f). In der Zeitschrift „Der Kriminalist" wird die Bundesrepublik beispielsweise als „eine der am höchsten industrialisierten Exportnationen der Welt mit einer das Verbrechen magisch anziehenden Infrastruktur und Finanzkraft" (Bleibtreu 1995: 114) charakterisiert. Deutlich ist die Zielrichtung in einem Artikel, in dem sich ein Kriminaler über die mangelnde EDV-Ausstattung der Polizei enttäuscht zeigt. Er meint: „Unsere „Kunden" warten nur darauf, daß die in diesem Artikel artikulierte Wut in Frust und damit in Lethargie umschlägt" (Schneider 1995: 525). Wissenschaftlich interviewte Polizisten vertreten ähnliche Meinungen. Gemäß M. Brüsten waren 1974 96% der Polizisten der Meinung, dass „die rechtlichen, materiellen und personellen Möglichkeiten der Polizei verbessert werden" müssen „um der steigenden Kriminalität wirksam begegnen zu können" (Brüsten 1985: 208). Diese Kontinuität in der Einschätzung der Kriminalitätsentwicklung durch Polizisten in verschiedensten Positionen macht deutlich, dass die Meinung, die Kriminalität steige und werde fortlaufend raffinierter und brutaler, berufstypisch ist. Neben den strategischen Erwägungen (s.o.) kann dafür sowohl die häufige Konfrontation mit Kriminalität als auch ein reales Ansteigen von Kriminalitätsraten ursächlich sein. Auch in Lateinamerika überwiegt die Vorstellung, die Kriminalität steige, in Bolivien und Venezuela waren alle danach gefragten Polizisten dieser Meinung, in Chile 83% von ihnen. Das ist insoweit typisch für den Beruf, entspricht aber laut den verfugbaren Kriminalstatistiken (vgl. Kap. 5) auch der gesellschaftlichen Realität. Bei der Beschreibung der Ursachen und der Qualität der Kriminalität zeichnen sich die chilenischen Polizisten dadurch aus, dass sie vergleichsweise differenziert antworten. Zum einen versuchen einige von ihnen den Zeitpunkt, zu dem der Anstieg der Kriminalität begann, möglichst klar zu definieren und zum anderen geht wenigstens ein Teil der Polizisten nicht pauschal, sondern deliktspezifisch an die Frage heran: anwachsen würden v.a. die Raubdelikte (C FB: „Es gibt mehr Anzeigen wegen Raub"). Einer der Carabineros meint außerdem, die Presseberichterstattung würde einen falschen Eindruck erwecken. Die-

175

(Thomas 1989a: 2). Die befragten Beamten gingen von 150.000 jährlichen Raubüberfällen aus, während 1987 tatsächlich nur 28.122 Raubtaten registriert wurden. Bei den Tötungsdelikten (inkl. versuchte Tötungen) betrug die Schätzung 30.000, die tatsächliche Häufigkeit 2.632.

224

se Einzelmeinung darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass auch in Chile die Polizisten mehrheitlich von steigenden Kriminalitätsraten ausgehen. Es ist nicht so, dass es jetzt mehr Verbrechen gibt, die hat es immer gegeben, mal weniger, mal mehr (...). Nur hat man es früher nicht so verbreitet (...), wegen den Kommunikationstechnologien: Es wird irgendwo ein Überfall begangen, gleich wird informiert. (C 1)

In Bezug auf die Ursachen der Kriminalität wird von den Polizisten aller drei lateinamerikanischen Ländern auf die Arbeitslosigkeit, die Armut und die ökonomische Lage verwiesen. Die Bolivianer formulieren dies allerdings häufiger und eindringlicher als die Polizisten der anderen beiden Ländern: in fast 60% der Antworten wird diese Ursache genannt. Sie (die Kriminalität) hat sich stark erhöht, aber ich glaube, dass dies hauptsächlich der Armut geschuldet ist, die es in unserem Land gibt. (B FB) Zur Kriminalität sagt er, dass sie sich stark erhöht hat und dass er täglich mit Rückfälligen zu tun hat. (...) Es gibt keine Arbeit und der Staat kümmert sich kaum um die Ausbildung unserer Jugendlichen. (V 6) Es muss an der Krise liegen, die wir gerade durchlaufen, es gibt sehr wenig Geld, auch keine Arbeit, nun, stehlen ist kein Beruf, aber die Leute müssen auch überleben (...) und wenn man ihnen eine Arbeit anbietet, machen sie es nicht, sie ziehen es vor, zu stehlen (...), fuhren einen großen Raub durch und sind wieder für einen Monat versorgt. (C 8)

Besonders in Venezuela, weniger in Chile und Bolivien, nehmen die Polizisten zudem die Gelegenheit wahr, die ihrer Ansicht nach zu milde Justiz und Gesetzgebung für die wachsende Kriminalitätsbelastung mitverantwortlich zu machen (vgl. Kap. 4.3.1.). Die niederen Strafen hätten keine abschreckende Wirkung, die Straffälligen würden zu früh entlassen und die Polizisten würden sie bald auf der Straße wieder sehen. Die venezolanischen Polizisten klagen in diesem Zusammenhang auch über die Abschaffung des sog. Ley de Vagos y Maleantes, ein bis 1997 gültiges Gesetz, das willkürliche Verhaftungen und langjährige Untersuchungshaft erheblich erleichterte (vgl. Kap. 3.3.1.). Nach Meinung des Interviewten steigt die Kriminalität. In der letzten Zeit hat sie sich noch mehr verbreitet, z.B. wegen der Abschaffung des Ley de Vagos y Maleantes (Landstreichergesetz). Sie haben alle Festgenommenen frei gelassen. Jetzt sind sie auf der Straße und die Kriminalität steigt rasant. (V 5) Der Beamte sagt, dass das häufig ist, „sie (Rückfällige) laufen auf der Straße herum als ob nichts gewesen wäre, obwohl sie zwei oder drei Morde hinter sich haben". (V 4)

Außerdem wurde argumentiert, dass die Kriminalität von Tag zu Tag besser organisiert sei, brutaler und raffinierter werde, und dass die Ausstattung und Technisierung der Kriminellen voranschreite. Die Polizei sei demgegenüber unterausgestattet, weshalb sie der Kriminalität wenig entgegenzusetzen habe (vgl. 225

Kap. 4.4.4.). Das ist eine Parallele zu Deutschland (s.o.), der Unterschied besteht darin, dass in Lateinamerika bei polizeilichen Klagen Uber die Ausstattung Schusswaffen im Vordergrund stehen. Die Kriminalität wird in ihren Methoden und Techniken immer perfekter. (B FB) Sie (die Kriminalität) wächst täglich und wird immer gefährlicher. (B FB) Wenn man die Polizei nicht ausbaut, werden die Kriminalitätsraten stark steigen. (B FB) Die Kriminalität wächst. Wenn es einem Polizisten gelingt, ein Bandenmitglied zu töten, stehen tausend wieder auf. (...) Das hat damit zu tun, dass jeder der Chef sein will, wenn man einen eliminiert, vervielfachen sich die Delinquenten. (V 3) Die Gangster sind immer in Gruppen unterwegs, zwei vorne, einer in der Mitte und zwei hinten und das Opfer ist in Gefahr weil die Burschen (...) sehr gut bewaffnet sind. Er sagt wörtlich „so einem Typen geben sie 50.000 Bolívares und der tut alles. Wenn du so einen Jugendlichen anschießt, gehst du ins Gefängnis, und wenn du sie in die Besserungsanstalt bringst, kommen sie besser ausgebildet wieder raus". (V 58) Die Kriminalität wächst (...), sie werden dreister, nicht wahr? Denn früher hatten sie ein kleines Messer (...), heute haben diese sauberen Kerle ein Maschinengewehr, eine Pistole, überfallen Banken und maskieren sich nicht einmal, sie zeigen ihr Gesicht, haben keine Skrupel, Menschen zu töten (...), die Überfälle sind besser geplant als früher. (C 8) Die Delinquenten haben meistens Waffen, die besser sind als die der Polizisten. Er versichert, dass sie auch besser mit der Waffe umgehen können als die Polizisten, sie üben mit Flaschen, sie haben Munition, Waffen aus Diebstählen, aber das Wichtigste ist, dass sie über diese Ressourcen verfügen, die PM kaum. (V 8)

Die Frage der Waffen ist v.a. in Venezuela virulent und eine von den dortigen Polizisten permanent geführte Klage (vgl. Kap. 4.4.4.). Die Berichte der Polizisten über die Kriminalität klingen außerdem besonders drastisch. Auch die venezolanischen Kriminalitätsdaten (Kap. 5.) belegen tendenziell, dass Caracas sehr mit Kriminalität belastet ist und die Geschichten der Polizisten einen gehörigen Realitätsgehalt haben. Zudem ist auf einen Umstand hinzuweisen, der aus keinem der anderen Länder in dieser Weise berichtet wurde. Die auf den Caracas umgebenden Hügeln gelegenen Armenviertel mit ihren engen verwinkelten Gässchen können nämlich nachts von Außenstehenden kaum betreten werden. Selbst die Polizei hat zu einigen dieser Viertel, in denen Banden das Regiment übernommen haben, keinen Zutritt und die Polizei hat vor dieser Situation kapituliert. Die Tatsache, dass es für Polizisten eher unangenehm ist, dies zuzugeben, lässt den Schluss zu, dass die folgenden Erzählungen kaum übertrieben sein dürften. Die Berichte zeigen außerdem zweierlei: zum einen, wie venezolanische Polizisten über Kriminelle denken und zum anderen wie nahe die von ihnen und den „guten" Bürgern (s.o. Kap. 4.2.2.) bewohnten Gebiete der Unterschichten und die nicht betretbaren, von Banden kontrollierten Häuserblöcke beieinander liegen. 226

Der Sargento (...) erklärt, dass es sehr gefährlich ist zu später Stunde durch das barrio zu gehen, das er durchqueren muss, um zu seinem Haus zu kommen. Auf dem Weg gibt es immer Jugendliche, die Passanten überfallen und es ist besser nicht mit dem Wagen liegen zu bleiben, er sagt wörtlich „Die Kinder kommen wie die Schmeißfliegen". (V 60) Zurzeit lebt er in (einem barrio) (...) und in dem Gebiet gibt es den Sektor der Tupamaro genannt wird. Er behauptet, dass das ein barrio ist, das sich aus Guerrilleros und Kriminellen zusammensetzt, die ersten befehligen die zweiten. Sie haben dort Regeln aufgestellt, z.B. wird nicht akzeptiert, dass sie einander berauben und alle müssen ausgezeichnete Waffen haben. Der Beamte erzählt, dass sich die Polizei dort heraus hält. (V 50) Sie (die Opfer) erzählten ihm, dass sie um zu ihren Häusern zu kommen, wenn sie dabei durch irgendeinen Teil des barrio Petare müssen, die Geldscheine im Spielzeug der Kinder verstecken müssen, z.B. zwischen den Plüschtieren, oder zwischen den Einkäufen, z.B. in den Mehltüten. (V 27) Zum Beispiel ist El Valle ein Ort, den die Polizei nicht betreten kann (...). „Es geht zu wie auf einem Marktplatz, mit Konkurrenz- und Machtstreitereien." „Viele wollen den Ton angeben: Geschwister, Freundinnen." „Unter sich tauschen sie Informationen aus, weil sie im barrio (Macht-)Positionen erreichen wollen." „Der Anfuhrer ist der Kriminelle". (V 36) In der Pfarrei Caucaguita gibt es einen aus sechs Gebäuden bestehenden Sektor, den die Polizei nicht betreten kann, weil sie dort mit Kühlschränken und Gasflaschen beworfen werden (aus den Fenstern). In solchen Gebieten sind Kriminelle im Vorteil „nachts haben wir dort nichts zu suchen, tagsüber manchmal, aber in Zivil". (V 24) Die zuletzt aufgeführten Zitate deuten bereits an, dass die venezolanischen Polizisten zwar nicht in ihren eigenen Wohnvierteln, aber in anderen Unterschichtsvierteln eine hohe Kriminalitätsbelastung vermuten. Das kann sich auf die sog. Selektionspraktiken der Polizei auswirken, auf die sich in den siebziger Jahren ein großer Teil der empirischen Polizeiforschung bezog (vgl. z.B. Feest/Lautmann 1971; Feest/Blankenburg 1972; Brusten/Malinowski 1975). Die dahinter stehenden Überlegungen beruhen auf der Annahme, dass das Legalitätsprinzip im Alltag nicht streng gemäß den Buchstaben des Gesetzes umgesetzt wird bzw. werden kann (vgl. Hinz 1971: 122ff.; Waldmann 1977; K i t z i n ger 1979; Endruweit 1979: 20ff.). In der Praxis haben Polizisten einen gewissen Auslegungsspielraum und können entscheiden, welche Taten in welcher Weise verfolgt werden. So können die Beamten einerseits bei manchen Delikten oder Ordnungswidrigkeiten „ein Auge zudrücken" oder daraufhinwirken, dass sie als minder schwere Tatbestände aufgenommen werden. Andererseits besagt dieser Ansatz, dass die Bevölkerungsgruppen, die als besonders kriminalitätsbelastet gelten, schärfer beobachtet werden und schneller in Verdacht geraten, eine Straftat begangen zu haben. Deshalb werden sie von der Polizei häufiger aufgegriffen. In der Mehrzahl der empirischen Studien in verschiedensten Ländern wurde festgestellt, dass sich diese Selektionsprozesse zu Lasten der unteren Schichten, der Marginalgruppen und der ethnischen Minderheiten auswirken (vgl. z.B.

227

Wilson 1967: 158f.; Werthman/Piliavin 1967: 69f.; Cain 1973: 228ff.; Kelling/ Lewis 1979; Lersch 1998; Brüsten 1971; Feest/Blankenburg 1972; Brusten/Malinowski 1975; Helfer/Siebel 1975: 1049). Wenigstens zu einem unbestimmten Anteil wird damit außerdem die höhere offiziell registrierte Kriminalitätsbelastung dieser Gruppen erklärt, die ihrerseits vorhandene Stereotype stützt und die Selektionsneigung reproduziert. Die Polizisten haben im Alltag viel mit Mitgliedern niederer Schichten zu tun, was die Tendenz zum generalisierten Kriminalitätsverdacht ihnen gegenüber weiter verfestigen kann. In der Bundesrepublik liegt der Schwerpunkt dieser Diskussion in den letzten Jahren auf der polizeilichen Behandlung der heterogen zusammengesetzten Gruppe der Ausländer. Diese Thematik ist ftlr den internationalen Vergleich zwar insofern von geringem Interesse, als Ausländer in den lateinamerikanischen Ländern eine unbedeutende Rolle spielen, aber in der BRD sind die meisten Ausländer niederen Gesellschaftsschichten zugehörig, so dass aktuelle Forschungsergebnisse bis zu einem gewissen Grad auf Selektionspraktiken zu Ungunsten der Unterschichten übertragen werden können. Ähnliches gilt für Berichte Uber das Verhalten von Polizisten gegenüber Punks, Stadtstreichern usw. (vgl. Diederichs 1994; Herrnkind 1995a). Über solche Gruppen produzieren Polizisten „erfahrungsgesättigte Stereotype", die auf den oben geschilderten Prozessen beruhen. Der von Willems/Eckert/Jungbauer (1996) geprägte Begriff der „erfahrungsgesättigten Stereotype" ist im Original auf Ausländer bezogen, aber er beschreibt die gewachsenen Einstellungen zu anderen Marginalgruppen ebenfalls zutreffend. U.a. dies macht sie den in Kapitel 1.2. zitierten Berichten zufolge außerdem zu den häufigsten Opfern legaler wie illegaler polizeilicher Gewalt. Ähnliche Prozesse und Stereotype in Südamerika zu vermuten liegt nahe. Außerdem hat das Thema in diesen Ländern besondere Relevanz, weil in den wenigen lateinamerikanischen Studien, in denen Uber die Polizei gesprochen wird, ihr oft eine herrschaftssichernde Funktion zugesprochen wird, deren Aufgabe innerhalb des politischen Prozesses sehr direkt darin gesehen wird, die niederen Schichten zu disziplinieren (Aniyarde Castro 1990; Huggins 1991b: 5; Pinheiro 1991: 169; Rodrigues Fernandez 1991: 63ff.; Sepülveda 1996; Pinheiro 1999; Schmid, C. 1996). Auch wenn dem im Gesamtkontext nicht widersprochen werden soll, ist darauf zu bestehen, dass die politischen und sozialen Wirkungen auf der Makroebene nicht zwangsläufig linear mit den Intentionen der Menschen auf der Handlungsebene verknüpft sind. Daher ist nachzufragen, inwieweit politische Folgen polizeilicher Handlungen direkt intendiert sind, z.B. im Falle von militärisch angelegten Großrazzien in Armenvierteln auf Anweisung der Polizeifiihrung (Hemandez 1991), und inwieweit sie nicht-intendierte Folgen völlig anders motivierten polizeilichen Alltagshandelns darstellen (vgl. Kap. 5). Welchen Anteil die beiden Elemente am Ergebnis haben, ist nicht ohne weiteres zu klären, es ist aber deutlich zu machen, dass in diesem Kapitel nur die Stereotype einfacher Polizisten zur Debatte stehen, die sich eher graduell als grundsätzlich 228

von den Vorurteilen der Bevölkerung unterscheiden: immerhin unterstützen in Südamerika manche Gruppen der Bevölkerung, und zwar auch der Unterschichten, ein rigoroses polizeiliches Vorgehen gegen vermeintliche Kriminelle (vgl. Kap. 4.2.2.) und aus der BRD weiß man, dass die Selektionseffekte nur zum Teil den Polizisten geschuldet sind, zum anderen Teil ist die Bevölkerung maßgeblich an ihnen beteiligt, da bei Anzeigen bei der Polizei oft eine Vermutung über die Täterschaft ausgesprochen wird (vgl. Reiss/Bordua 1967: 29, 40ff.; Reiss 1979: 276; Steffen 1976; Cosmo 1979; Kürzinger 1979). Wie die Erfahrungen aus der BRD zeigen, reagieren Polizisten auf direkte Fragen nach ihren Vorurteilen und Stereotypen (vgl. Kap. 2.2.3.). In Südamerika wurde daher eher behutsam gefragt, ob die Polizisten beobachtet hätten, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen besonders oft kriminell werden und welche Kriminelle man härter anpacken sollte. Beide Fragen konnten offen beantwortet werden und sollten Hinweise darauf geben, welche Bevölkerungsgruppen von Polizisten besonders aufmerksam und kritisch betrachtet werden. Die daraus ableitbare „Negativliste" dient zudem der Überprüfting der Angaben im vorigen Kapitel (4.2.2.), in dem sich die Polizisten u.a. dazu äußerten, welche Bevölkerungsgruppen die Polizei unterstützen. Die chilenischen Carabineros waren sich zum größten Teil sicher, dass man Gruppen bestimmen kann, die in besonderer Weise zur Kriminalität neigen. Genannt wurden u.a. Demonstranten, was deutlich auf die tagespolitischen Ereignisse in Chile verweist (vgl. Kap. 1.2.4. und 3.2.1.). In erster Linie ging es ihnen aber um „Mitglieder der „Unterschichten", häufig ergänzt um die Begründung, sie würden die Delikte aus purer ökonomischer „Notwendigkeit" (C FB) begehen. An zweiter Stelle folgen „Drogenabhängige" und „Jugendliche" (C FB: „Menschen, die dem Laster verfallen"; „Jugendbanden"), wobei in Bezug auf die Jugendlichen sozialpsychologische Erklärungen überwiegen (vgl. Sepúlveda 1996): Es kommt vom Elternhaus, von Geburt an (...). So haben wir Kinder, die mit 14 von zu Hause weglaufen sind, gemordet haben, völlig drogenabhängig sind. Wieso? Vielleicht wollte die Mutter sie nicht haben, vielleicht sind sie Ergebnis einer Vergewaltigung, vielleicht sind die Eltem getrennt, haben ihm kein besseres Beispiel gegeben, oder, aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, sind es Leute aus anderen Verhältnissen, die ihre Kinder nur bei einem Kindermädchen haben, (...) fehlende Liebe, und sie werden drogenabhängig und wenn ihnen das Geld fiir die Drogen fehlt, fangen sie an zu stehlen. (C 6)

Sofern wie im letzten Beispiel gehobene Schichten ins Visier genommen werden, geschieht dies in Bezug auf Jugendliche, mehrheitlich werden aber Angehörige niederer Schichten angesprochen. Daran wird deutlich, dass die Stereotypen der Carabineros dem Muster der registrierten Kriminalität folgen, die stets eine erhöhte Kriminalitätsrate für männliche Jugendliche und Unterschichtsmitglieder ausweist. Insofern unterscheiden sie sich nicht von deutschen oder nordamerikanischen Polizisten, wenngleich dort das ethnische Merkmal hinzukommt. Auch die Begründungen sind ähnlich, lediglich das Armutsargument 229

wird aus nahe liegenden Gründen stärker betont als in Nordamerika oder Deutschland. Die bolivianischen Polizisten bezeichnen zu einem Teil dieselben Personengruppen als anfällig für Kriminalität und auch die Begründungen ähneln sich frappierend: „Jugendliche", „Kinder, die auf der Straße arbeiten", „Jugendbanden", „Drogenabhängige", „Alkoholiker", „Arme", „sozial Schwache" (B FB). Der Unterschiede zu Chile besteht darin, dass Jugendliche seltener und Arme häufiger genannt werden. Arbeitslose oder Personen ohne Einnahmequelle, meist aus Notwendigkeit. (B FB) Deren ökonomisches Niveau niedrig ist und deren Familie sich getrennt hat. (B FB)

Ein anderer Teil der Bolivianer gibt aber Mitglieder der gehobenen Schichten an, darunter „Politiker", „Kriminelle mit weißem Kragen" sowie Jene, die die Wirtschaft verwalten und lenken" (B FB). Dabei wurde explizit die Korruption ins Spiel gebracht (B FB: „Ja (es gibt solche Gruppen), weil die Korruption nicht auf allen Ebenen (vorkommt.)"). Dass die bolivianischen Polizisten den gehobenen Schichten ein erhebliches Kriminalitätspotential zutrauen, bestätigt, was schon bei der Beziehung der Polizei zur Bevölkerung gesagt wurde, dass nämlich die bolivianischen Polizisten heftige Antipathien gegenüber gehobenen Schichten hegen (vgl. Kap. 4.2.2.). Außerdem meinen manche Bolivianer, dass sie keine Gruppe nennen können, die besonders zur Kriminalität neigt, weil die Kriminalität sowohl in niederen als auch in gehobenen Schichten vorkommt: Die Armut verleitet zur Kriminalität und der relative Reichtum gleichermaßen. (B FB) Die Kriminalität und die Delikte kennen keine sozialen Klassen. (B FB)

Auch die venezolanischen Polizisten trauen den gehobenen Schichten ein gewisses Kriminalitätspotential zu. Diese Tendenz ist aber nicht so stark wie in Bolivien. Der Interviewte fügt an, dass es in den barrios Delinquente gibt, aber es gibt auch die mit den weißen Kragen in den besseren Wohnvierteln der Stadt. (V 59) Durch seine 20 Jahre Berufserfahrung weiß er, dass Randgruppen Probleme machen, durch Raubüberfälle, Drogenkonsum, aber dass es auch in mittleren und hohen Schichten Kriminelle gibt, die schwere Betrugsdelikte begehen (...), die in den Augen des Polizisten nicht weniger gravierend sind, als wenn ein Delinquent ein Haus ausraubt. (V 27)

Das Hauptproblem der Kriminalität verorten die Mitglieder der Policia Metropolitana de Caracas aber in den Unterschichten, hauptsächlich in den barrios bzw. an den Flanken der Hügel (cerros), an denen die Armenviertel in Caracas stets liegen. Die hügelige Gegend und die enge Bebauung stellen die Polizisten dabei vor zusätzliche Probleme.

230

Einen Hügel hinaufzugehen ist gleichbedeutend mit einer Auseinandersetzung. Heutzutage müssen die Polizisten mit einem Schnellfeuergewehr oder einer halbautomatischen Waffe hinaufgehen. (V 25) Diese Orte (die veredas, schmale Fußwege in den barrios) sind laut dem Beamten von Personen bevölkert, die wenig Mittel haben (...). Die veredas sind nach der Meinung des Beamten ein Synonym für die Schlupfwinkel der Delinquenten. (V 67)

Die wichtigste und gefährlichste Tätergruppe sind für die Polizisten in Caracas die Minderjährigen, meist jene aus den Armenvierteln. Manche der Berichte der venezolanischen Polizisten spiegeln noch ein gewisses Mitleid der Polizisten mit den Jugendlichen wider, v.a. mit drogensüchtigen Straßenkindem, andere würden die Jugendlichen aber am liebsten kurzerhand einsperren lassen. Die Probleme mit den Kindern sind schwerwiegend, vor allem wegen dem hohen Risiko zu töten oder getötet zu werden, in das sie hineingeboren sind. (V 27) Der Zugang zu Waffen ist leicht, , jeder hat eine" „sogar die Minderjährigen, die die Waffen kaufen und verkaufen, als wäre es Schokolade". (V 37) Er findet, dass die jugendlichen Täter zwischen 12 und 17 die gefahrlichsten sind. Diese Burschen wissen, dass sie jemanden umbringen können und keine Probleme bekommen, weil sie Minderjährige sind. (V 3) In Bezug auf die Jugendlichen sagt er, dass sie „eine tödliche Bombe sind, sie glauben nicht an ihre Väter und Mütter" (...), aber das Gesetz schützt sie. (V 64)

In Caracas ist bemerkenswert, dass die Polizisten auf der einen Seite die Kriminellen unter den Jugendlichen der barrios und anderen Bewohnern dieser Viertel vermuten und auf der anderen Seite angegeben hatten, sich den Menschen aus diesen Vierteln besonders verbunden zu fühlen (vgl. Kap. 4.2.2.). Offensichtlich sind die Polizisten aus Caracas in diesen Gemeinden sozial verankert, zumal sie auch häufig dort leben, sie unterscheiden aber strikt zwischen „guten" und „schlechten" Mitbewohnern. Im Übrigen ähneln sich die Vorstellungen der Polizisten aller untersuchten Länder hinsichtlich der sozialen Orte, an denen sie das größte Kriminalitätsaufkommen vermuten. Die Unterschichten und Marginalgruppen stehen im Vordergrund ihres Kriminalitätsverdachts. Kleinere Unterschiede sind in den Details zu finden. Die Chilenen und Venezolaner haben ein besonderes Augenmerk auf die Jugendlichen, wobei die Chilenen aber weniger repressiv orientiert sind. Die Drogenkriminalität spielt im Drogenanbauland Bolivien eine besondere Rolle, was keiner gesonderten Erklärung bedarf (vgl. Kap. 1.). Die größten Unterschiede zwischen den Einstellungen der Polizisten zeigen sich bei der Thematisierung der gehobenen Schichten. Manche Venezolaner und noch mehr Bolivianer trauen den gehobenen Schichten ein gewisses Kriminalitätspotential zu, dabei wird explizit die Korruption angesprochen. Die Chilenen, die bereits bei der Frage nach spezifischen Antipathien (vgl. Kap. 4.2.2.) wenig negatives über Angehörige gehobener Schichten zu sagen hatten, sprachen sol231

ches nicht an. Dies ist insofern stimmig, als die Korruption in Chile wesentlich seltener ist als in Bolivien und Venezuela (Kap. 1.1.). Dass der Kriminalitätsverdacht von manchen lateinamerikanischen Polizisten auf gehobene Schichten ausdehnt wird heißt aber nicht, dass die Methoden, mit denen ihnen begegnet wird, dieselben sind bzw. in den Augen der Polizisten dieselben sein sollten. Dies zeigen die Antworten auf die Frage, welche Tätergruppen besonders hart angepackt werden sollten. Bei den Antworten in den chilenischen und bolivianischen Fragebögen fällt auf, dass kein einziger Polizist ein härteres Durchgreifen gegen typische white-collar-Delikte und ihre Täter fordert. Dafür finden die bolivianischen Polizisten vergleichsweise oft, dass gegen den Drogenanbau und -handel härter durchgegriffen werden müsste. Im Vordergrund stehen aber die „klassische" Kriminalität und die Marginalgruppen. Meist werden die typischen Gewalttäter genannt, darunter v.a. Mörder, Vergewaltiger usw. (C FB: „Die jemanden umbringen"; „Mörder"; „Vergewaltiger"; B FB: „Mörder"; „Vergewaltiger"; Gewalttätige"). Die bolivianischen Polizisten erwähnten außerdem „Auftragsmörder", Täter, „die Kinder und Behinderte angreifen" und solche, die als „gewissenlos und bösartig" (B FB) gelten. Auch in Chile wurden von einigen Polizisten Motive hervorgehoben, die als besonders unverständlich gelten, z.B. „die, die nur um ein bisschen Geld zu bekommen fähig sind, jemanden umzubringen" (C FB). Die Bolivianer sprachen außerdem im Gegensatz zu den Chilenen häufig von „Gaunern" und „Asozialen" (B FB), die eine härtere Behandlung verdienten. Solche Begriffe bezeichnen nicht einen bestimmten Straftatbestand, sondern können als stigmatisierende Bezeichnungen für marginalisierte Unterschichtsmitglieder gelten. Benannt wurden schließlich noch Polizistenmörder, dies jedoch nur von einem einzigen Carabinero (vgl. dagegen Kap. 4.2.4.). Man weiß aber nicht nur aus Lateinamerika, dass Polizistenmorde unter Polizisten massive Hassgefühle auslösen. Die geringe Zahl der Nennungen hängt wohl damit zusammen, dass diese Täter bei der Fragestellung i.d.R. nicht assoziiert wurden. Die einen Carabinero umgebracht haben, würden die Todesstrafe verdienen. (C FB)

Auf eine wichtige Besonderheit der Reaktion der Carabineros auf die Frage, ob bestimmte Personengruppen mit besonderer Härte zu behandeln seien, ist nachdrücklich hinzuweisen. Immerhin ein Viertel der befragten Chilenen hat sich geweigert, solche Gruppen zu nennen und hat sich vielmehr darauf besonnen, dass es die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit gibt, d.h. sie wendeten sich sowohl gegen die spezifische Behandlung einer speziellen Gruppe als auch gegen polizeiliche Härte! In Bolivien kam das zwar auch vor, aber nur ein einziges Mal.

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Wenn es sich um Kriminelle handelt, muss man sie alle gleich behandeln. (B FB) Als Polizeibeamter behandelt man alle Verbrecher gleich, man macht keinen Unterschied, dass einer schlechter wäre als der andere, nein, man behandelt alle Verbrecher gleich, man nimmt sie fest und übergibt sie dem Gericht. Sonst nichts. (C 2) Man muss alle gleich behandeln, als Menschen und nicht mit großer Härte. (C FB) Es gibt keine Härte, sondern die Angemessenheit der Mittel. (C FB)

Im Gesamtkontext ist aber dennoch davon auszugehen, dass selbst in Chile die Marginalgruppen die Opfer der polizeilichen Selektionspraktiken sind. Gleiches gilt für Venezuela, das geht aus dem bisher Gesagten bereits hervor. Außerdem liefern Gabaldón/Birkbeck (1996) einen sehr guten Beleg dafür, dass in Venezuela die niederen Schichten einer stärkeren und brutaleren Verfolgung durch die Polizei ausgesetzt sind. Sie haben die wahrscheinlich einzige empirische Studie aus Lateinamerika vorgelegt, in der Polizisten selbst über ihren schicht- bzw. prestige-selektiven Gewalteinsatz Auskunft geben. Diese Studie ist u.a. deswegen so bemerkenswert, weil sie die an Naivität grenzende Offenheit der venezolanischen Polizisten im Hinblick auf Berichte über übermäßigen Gewalteinsatz belegt (vgl. Kap. 4.2.4. und Kap. 5.), von der schon des Öfteren die Rede war und die als Beleg für die miserable Ausbildung der dortigen Polizisten gelten kann. Beispielsweise gaben in dieser Studie immerhin 1,4% an, dass eine Situation, in der ein Straßenräuber einen Mann bedrängt, für sie ein Grund wäre, gezielt auf den Körper des Räubers zu schießen. Auch meinten 2,7%, dass eine Beleidigung durch eine Person, die sich nicht ausweisen kann, ein Grund ftir Schüsse auf die Beine ist (Tab. 41). Die Hauptzielrichtung der Studie von Gabaldón/Birkbeck (1996) ist es aber, festzustellen, ob Personen mit unterschiedlichem Prestige unterschiedlich behandelt werden. Zu diesem Zweck wurden den befragten Polizisten zuerst zwölf Bezeichnungen für „Typen von Bürgern" (Person ohne Ausweis, Gauner, Universitätsprofessor, Abgeordneter, etc.) vorgelegt. Die Polizisten sollten daraufhin auf einer Skala von eins bis vier deren gesellschaftlichen Einfluss einschätzen und angeben, wie viel Respekt man einer Person dieser Gruppe entgegenzubringen hat. Die Ergebnisse sind erwartungsgemäß. Bei der Frage nach der Respektabilität erreichen der „Abgeordnete", der „Anwalt", der „Mediziner", der „Professor/Lehrer" und der „höhere Angestellte im öffentlichen Dienst" die Höchstnote 4.0. Dem folgen „Studenten" und Personen, „die sich nicht ausweisen können", mit der Bewertung 3.0, sowie „Betrunkene" mit 2.0. Am Ende der Liste stehen mit nur 1.0 „Gangster", „Bandenmitglieder aus Unterschichtsvierteln", „Gewalttäter" und „Straßenräuber". Die Reihenfolge in Bezug auf die Frage, ob jene Menschen Einfluss hätten, ist mit einer Ausnahme identisch. Personen, die sich nicht ausweisen können, wird mit einer Bewertung von 2.0 weniger Einfluss als Respekt zugebilligt (Gabaldón/Birkbeck 1996).

233

Tab. 41:

Venezuela: „Einstellungen der Polizeibeamten zum Einsatz von Gewalt in zwölf hypothetischen Situationen" in % Diskussion o. Aushandlung

AGGRESSION Abgeordneter zielt auf Polizisten Gangster zielt auf Polizisten Professor o. Lehrer schlägt Frau Straßenräuber bedrängt einen Mann WIDERSTAND Arzt widersetzt sich Festnahme Bandenmitgl. widersetzt s. Durchsuchung Direktor weigert sich mitzugehen Gewalttäter weigert sich mitzugehen RESPEKTLOSIGKEIT Anwalt beleidigt Polizisten Betrunkener beleidigt Polizisten Student o. Schüler beleidigt Polizisten Person ohne Ausweis beleidigt Polizisten

Handschellen anlegen

Schläge

Schüsse auf die Beine

Schüsse auf den Körper

65,3 18,4 32,2 26,7

20,8 9,7 46,8 40,7

3,1 10,3 17,9 25,3

5,9 36,2 3,1 6,0

4,9 25,5 0,0 1,4

44,0 18,5

45,5 57,6

9,8 21,5

0,4 3,2

0,3 0,1

73,9 15,2

23,9 56,0

2,1 25,4

0,1 2,9

0,0 0,0

65,3 52,6 48,4

30,1 36,4 37,6

3,8 10,1 11,4

0,7 1,0 2,6

0,0 0,0 0,0

44,5

38,9

13,9

2,7

0,0

Quelle: Gabaldón/Birkbeck 1996: 47.

In einem zweiten Schritt (Tab. 41) wurden die Befragten mit hypothetischen Situationen aus dem Alltagsdienst eines Polizisten konfrontiert, in denen die eben beschriebenen zwölf „Bürgertypen" vorkommen und die sich in drei Hauptgruppen untergliedern lassen: Situationen, in denen das Gegenüber aggressiv ist, Situationen, in denen den Polizisten Widerstand entgegengebracht wird, sowie Situationen, in denen dem Polizisten nicht genügend Respekt entgegengebracht wird. Anschließend sollten die Polizisten angeben, welches ihre wahrscheinlichste Reaktion bei der beschriebenen Konfliktsituation sein würde: eine „mündliche Aushandlung/Diskussion", „Handschellen anlegen", „Schläge" mit der Faust oder dem Schlagstock, „Schüsse auf die Beine" oder „Schüsse auf den Körper" des Kontrahenten. Die Antworten der Polizisten sprechen eine deutliche Sprache. In allen Fällen, in denen in sehr ähnlichen Situationen Bürger von unterschiedlichem sozialem Status verwickelt sind, räumen die venezolanischen Polizisten ein, dass sie die Mitglieder niederer Schichten wesentlich brutaler behandeln. Die Bedrohung durch eine Schusswaffe führt etwa bei einem Abgeordneten zu nur 10,8%, bei einem „Gangster" dagegen zu 61,7% dazu, dass die Polizisten ihrerseits voraussichtlich die Waffe einsetzen. Mit diesen Antworten ha-

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ben die befragten Polizisten aus Venezuela selbst bestätigt, was ihnen von Menschenrechtsorganisationen vorgeworfen wird (vgl. Kap. 1.2.2.). Die zuletzt angesprochene Repressivität sollte gemäß der polizeilichen Aufgabendefinition nur ein Element des polizeilichen Berufsverständnisses sein, mindestens ebenso wichtig ist die Prävention, aber die Antworten auf die Fragen von Gabaldón/Birkbeck lassen vermuten, dass bei den Venezolanern das repressive Berufsverständnis vorherrscht. 176 Deshalb wurden die Interviews aus diesem Land einer Sonderauswertung unterzogen, in die sämtliche Aussagen einbezogen wurden, die repressive und präventive Berufsmerkmale betonen. Demnach vertreten drei Viertel (77%) der venezolanischen Polizisten die Meinung, dass die Policía Metropolitana hauptsächlich repressive Wirkung habe. In Rechnung zu stellen ist dabei, dass Polizisten ihre Repressionsaufgaben zu den aufregenderen und attraktiveren Tätigkeiten zählen, zur „eigentlichen Polizeiarbeit" (vgl. Kap. 4.1., 4.4.3.). Das wird sich auch darin niederschlagen, dass darauf bezogene (Helden-)Geschichten v.a. in offenen Interviews, wie sie in Venezuela geführt wurden, gerne erzählt werden. Das allein vermag den hohen Prozentsatz jedoch nicht zu erklären, das belegen die folgenden Zitate sowie die weiter unten angeführten Berichte, die zeigen, dass gerade die venezolanischen Polizisten durchaus auch Angst davor haben, von Kriminellen physisch angegriffen zu werden. Vorangestellt seien die wenigen Aussagen, die die präventive Seite des Berufes hervorheben oder repressive Akte kritisieren. Die Metropolitanos (Mitglieder der PM) sind präventiv, betont der Interviewte, wenn jemand ein Delikt begehen will und sie auf der Straße sieht, sagt er sich „Bingo, ein Polizist". (V 7) Er stellt klar, dass seine Uniform Prävention bedeutet. (V 46) Dies war der erste Schuss seines Lebens und er erzählt, dass er Angst hatte, als er das Blut sah:.,(...) nachdem ich ein Held war, war ich eine Memme." Er meint, dass es eine Frage der Gewöhnung ist und (...), dass bei diesem Einsatz der Fehler bei den Polizisten selbst lag, die den Umstehenden gegenüber aggressiv auftraten. Er findet inzwischen, dass sie ein Megaphon gebraucht hätten und keine (Plastik-)geschosse und Tränengas. (V 44)

176

Die Daten aus Bolivien und Chile konnten keiner vergleichbaren Auswertung unterzogen werden, weil die auf dieses Thema bezogene Frage des Fragebogens unterschiedlich ausgelegt wurde. In der Fragestellung ging es um den Einsatz von Zwangsmitteln (medios coercitivos), bei den Interviews konnten die bolivianischen Polizisten mit diesem Begriff aber wenig anfangen. Deshalb wurde von den dortigen Interviewern erklärend der Begriff der körperlichen Gewalt (fuerza fisica) hinzugefügt. Nun wecken aber gerade bei Polizisten die Begriffe Zwangsmittel und körperliche Gewalt höchst unterschiedliche Assoziationen, was die Vergleichbarkeit extrem einschränkt. Im Ergebnis waren 60% der Bolivianer der Meinung, dass man ohne Zwangsmittel/körperliche Gewalt auskommen kann, aber nur 9% der Chilenen glaubten, dass die polizeiliche Arbeit ohne Zwangsmittel zu machen ist.

235

Das Bild, das solche Polizisten von sich zeichnen, ist aber trügerisch, denn fast alle haben in anderen Abschnitten der Interviews Geschichten erzählt, die eine repressive Berufsauffassung dokumentieren. Dabei klingt normalerweise keine Kritik an der polizeilichen Vorgehensweise durch, geschildert werden eher Routinehandlungen, und die Begründungen und Motive für die Unverzichtbarkeit der Repression beziehen sich in der Regel auf die Gefahren des Berufs. Er glaubt nicht an eine unbewaffnete und lächelnde Polizei, sondern an eine respektable mit Uniform und Waffen. (...) Er fügt an, dass ein Polizist nicht sympathisch sein, sondern als Respektsperson auftreten muss. Er ist mit Autorität ausgestattet um dafür zu sorgen, dass das Gesetz befolgt wird. (V 2) Es gibt viele Einsätze, die nicht präventiv sind, sondern dem Zweck dienen, Kriminelle gefangen zu nehmen. (V 7) Heutzutage verheizt sich der Polizist in den barrios von Caracas, weil er nur mit Delinquenten zu tun hat (...) und die schlägt er. Es gibt keine Tendenz zur Prävention, sondern Repression. (V 35) In Deutschland wird die Mehrzahl der Polizisten ebenfalls der Ansicht sein, dass Zwangsmittel in g e w i s s e n Situationen nötig sind und die verfügbaren Aussagen aus Polizeikreisen machen deutlich, dass die Begründungen dafür kaum anders gelagert sind als in Venezuela (Gemmer 1994). Und es kommt g e m ä ß den folgenden Zitaten, die zwei Studien von Willems u.a. ( 1 9 9 6 , 1988, vgl. Herrnkind 1996a) entnommenen wurden, vor, dass Polizisten über Gewalteinsätze in Form von Heldentaten, berechtigt empfundener Gegenwehr oder ausgleichender Gerechtigkeit berichten. Verschweigen darf ich nicht, daß auch der Umgang mit der Polizei mehr und mehr von Aggression und Gewalt bestimmt ist. (...) „Das hat notwendigerweise auf unserer Seite die Folge - und dafür haben Sie sicher Verständnis - , dass wir die Maßnahmen der Eigensicherung nach solchen Erfahrungen ausrichten. Dies will nicht heißen, dass bei uns der Colt locker säße." (...) Vielmehr werde Deeskalation und Vermeidung von Gewalt trainiert, wir „müssen aber auf die Anwendung unmittelbaren Zwangs zunehmend mehr Bedeutung legen, darauf eingerichtet sein. Nichts ist schädlicher für unsere innere Sicherheit als eine Polizei, die sich nicht durchzusetzen vermag. (Gemmer 1994: 19) Die Prügel hat er, die nimmt ihm keiner mehr. (Willems u.a. 1996: 29) Hartgesottenen Verbrechern ist nun einmal nicht mit Glacehandschuhen beizukommen. (Willems u.a. 1996: 30) Wenn also da Steine fliegen, Gewalt angewandt wird, dann hau ich drauf, daß die Fetzen fliegen. (Willems u.a. 1988: 148) Bekomme ich ein's von dir, bekommst du ein's von mir. Oder nicht mal, daß der Betroffene direkt ein's bekommt, sondern daß sich das auf ähnlich aussehende Demonstranten verlagert. (Willems u.a. 1988: 148)

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Der Unterschied zwischen Venezuela und der BRD liegt aber darin, dass unter Gewalt etwas anderes verstanden und mit der Gewalt anders umgegangen wird. In Polizeizeitschriften finden sich dazu lesenswerte Artikel (z.B.: Krolzig 1998, Knubben 1995, Willems u.a. 1988, Wego 1996a, Deutsche Polizei 1995), in denen Polizisten entweder über ihre Schuldgefühle und psychischen Probleme nach einer Gewalthandlung berichten oder ihr gegenüber eine instrumentellrationale Haltung an den Tag legen. Im ersten nachfolgenden Zitat ist im Übrigen in Rechnung zu stellen, dass es von einem Präzisionsschützen stammt, der in der Ausbildung in besonderer Weise auf Erschießungen vorbereitet wurde. Er berichtet über eine Tötung im Zusammenhang mit einer Geiselnahme. „Ich bin grundsätzlich gegen Gewalt, obwohl ich sie in meinem Beruf als Polizist ausüben muß." (...) Aber: „Ich hatte und habe kein schlechtes Gewissen. Einmal habe ich nach Weisung gehandelt und zum anderen handelte es sich um einen Straftäter, der anderen Menschen viel Schlimmes angetan hatte." (...) Geholfen hat ihm laut seinen eigenen Worten: „dass ich mich im Vorfeld mental auf die Stunde X intensiv vorbereitet habe." (...) „Als ich den Schuss abgegeben hatte, sah ich plötzlich nichts mehr" (...) „Ich wusste in dem Moment nicht, ob und wie ich getroffen hatte. Ich schrie ins Mikrofon. „Nun sagt mir doch, was los ist." Die Sekunden wurden zur Ewigkeit" (...) „nachdem mir bestätigt wurde: Die Geisel ist gerettet. Danach war die Last wirklich weg." (Deutsche Polizei 1995: 6)

Aus einem Gesprächskreis von Polizisten, die im Dienst einen Menschen erschossen haben: „Ich bekam mit, daß Kollegen bei der Schilderung fast eine halbe Stunde weinten und kaum noch zu beruhigen waren" (Deutsche Polizei 1995:8). Eine der wenigen quantitativen Studien, die sich mit den Folgen polizeilichen Gewalteinsatzes für die Polizisten selbst beschäftigen, stammt aus den USA. Ihr zufolge versehen nach einem tödlichen Schusswaffeneinsatz nur 40% der Polizisten ihren Dienst ohne größere Schwierigkeiten, 40% brauchen eine psychologische Begleitung und weitere 20% müssen mit ernsthaften psychischen Langzeitproblemen umgehen (vgl. Heuer 1997: 386). Des Weiteren äußern laut einer empirischen Erhebung in den Neuen Bundesländern 15% der befragten deutschen Polizisten Angst, Gewalt einsetzen zu müssen (Wanderer/Thieme 1992) und gemäß einer zweiten Studie geben 50% zu, dass sie in manchen Fällen vollzogene Gewalt durch den Einsatz geeigneter Strategien hätten vermeiden können (Helfer/Siebel 1975). In Venezuela muss man nach den zuletzt behandelten Mustern dagegen lange suchen. Weder berichteten die Polizisten, die getötet haben, von psychischer Betreuung, noch äußern sie ein Bedürfnis danach (vgl. Kap. 4.2.4.). In den gesamten 67 Interviews, in denen laufend von gewalttätigen Auseinandersetzungen die Rede ist, bei denen Bürger und Polizisten umkommen, findet sich nur ein einziger Polizist, der Reue zeigt: nachdem er insgesamt sieben Menschen umgebracht hat!

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Er sagt, dass er sieben Menschen getötet hat. Das ließ ihn nicht mehr ruhig schlafen, bis er einmal zu einem Priester gegangen ist. Als er es dem unter dem Schweigegebot berichtet hat, sagte der Priester: „Sie sind eine Katastrophe", er empfahl ihm drei Monate lang Abbitte zu leisten. Er hielt sich daran. Er ging jeden Tag in die Kirche, wegen der Schuldgefühle. Jetzt sind sie weg. Zum Abschluss versichert der Beamte, dass er die Waffe nicht zieht, wenn es nicht nötig ist. (V 28)

Was zuletzt den Hauptunterschied zwischen Venezuela und der Bundesrepublik ausmacht, ist die Häufigkeit der Gewalttätigkeit durch Polizisten, dies wurde bereits in einem der ersten Kapitel belegt (Kap. 1.2.). Darüber hinaus stehen aus der älteren Studie von Helfer/Siebel (1975) Daten aus Deutschland zur Verfügung. Dort hatten Polizisten angegeben, ob sie selbst schon einmal mit der Dienstwaffe gezielte Schüsse auf Personen abgeben mussten. Demnach „antwortete die überwiegende Mehrheit der Befragten, daß dies noch nie der Fall gewesen sei, wohingegen bei 11 v. H. dies schon zweimal und bei zwei v. H. mehr als zweimal vorgekommen ist" (Helfer/Siebel 1975). Leider ist dieser Studie nicht zu entnehmen, wie viele Prozent der Polizisten „die überwiegende Mehrheit" darstellt, weil zwischen null und einem gezielten Schuss nicht unterschieden wird. Trotzdem kann man festhalten, dass relativ selten geschossen wurde und die Zahlen dürften inzwischen noch niedriger liegen, da 1975 auch Polizisten befragt wurden, die bereits in der unruhigen Nachkriegszeit Dienst taten. Außerdem ist für die Zeit nach 1976 belegt, dass gezielte Schüsse gegen Menschen abgenommen haben (CILIP 1990a; Busch u.a. 1985: 313; vgl. Pütter 1999; Kap. 1.2.1.). In Caracas dagegen sind gezielte Schüsse häufig, auch dies wurde in den vorigen Kapiteln (1.2.2.) nachgewiesen. Außerdem haben von den für diese Studie interviewten Polizisten 12,1% zugegeben, selbst einen Menschen getötet zu haben, von Verletzten ganz zu schweigen. Sicherlich hängt die Gewalttätigkeit von Polizisten, ihre Einschätzung der Entwicklung der Kriminalität und ihre Neigung, zu Ungunsten spezifischer Schichten zu selektieren, auch davon ab, inwieweit sie selbst gefährdet sind, von Kriminellen bedroht, verletzt oder gar getötet werden. In der BRD gibt es dazu Daten und die zeigen, dass tödliche Dienstunfälle und bei der Arbeit zugezogene Krankheiten das Leben von Polizisten weit stärker bedrohen als Rechtsbrecher (vgl. Jäger 1991, 1983, 1988: 6ff.). Diese Aussage darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass Polizisten auch emsthaft angegriffen werden. Zu massenhaften Verletzungen kommt es v.a. bei Großeinsätzen, z.B. bei Demonstrationen und Fußballspielen (Morié/Bensch 1993), und auch im schutzpolizeilichen Einzeldienst ist mit körperlichen Attacken zu rechnen. Laut Jäger werden jährlich rd. 650 Beamte so schwer verletzt, dass sie mehr als sieben Tage dienstunfähig sind (Jäger 1991, vgl. Jäger 1988: 11). Diese objektiv zu konstatierende Gefährdung wird aber, wie z.B. für den anglo-amerikanischen Raum nachgewiesen (Kappeler/Sluder/Alpert 1994: 97ff.), sowohl in der Öffentlichkeit als auch von Polizisten oftmals überschätzt und überbetont. Aber auch wenn Polizisten die Gefährlichkeit ihres Berufs überbetonen, ist deren subjektive Einschätzung ins 238

Kalkül zu ziehen, denn diese Komponente kann die Bereitschaft zur Gegenwehr erhöhen. Angst lösen bei Polizisten z.B. Demonstrationseinsätze aus, weil aus früheren Erfahrungen bekannt ist und in Polizeizeitschriften veröffentlicht wird, wie schwer bewaffnet Demonstranten manchmal sind. 177 Im Alltagsdienst bei der Schutzpolizei ist darüber hinaus die Ungewissheit von großer Bedeutung. Immer wieder kommt es bei vermeintlich harmlosen Verkehrskontrollen zu völlig unerwarteten Angriffen, wie etwa bei dem Doppelmord an zwei jungen Polizisten im Oktober 1991 (vgl. Solf 1991, 1993). Gerade solche Vorfälle werden im kollektiven Gedächtnis von Polizeibeamten lange Zeit gespeichert und tragen zur Überschätzung der durchschnittlichen Gefährlichkeit des Berufs bei. Diesen und weiteren empirischen Daten zur subjektiven Einschätzung der Bedrohung von Leib und Leben bei der deutschen Polizei kann man zweierlei entnehmen. Auf der einen Seite eine relativ verbreitete Angst vor Angriffen. Wanderer/Thieme (1992: 13f.) stellen z.B. fest, dass rd. 30% der Polizisten „ziemliche Angst" vor einem Angriff haben und 54,7% in dem Bewusstsein leben, „häufig Gefahren für Leben und Gesundheit ausgesetzt" zu sein. 178 In dieselbe Richtung weisen Ergebnisse zwei weiterer Studien: laut Backes u.a. (1997: 38f) erzeugen „Angst und Ungewißheit bei polizeilichen Einsätzen" bei 33% der Befragten Stress und laut Lesnik (1998) halten 75% der Polizeischüler ihren zukünftigen Beruf für gefahrlich (Lesnik 1998). Auf der anderen Seite zeichnet sich ein starker Verteidigungswille ab, der auf den Kollegenschutz ausgeweitet wird. Rund 60% der von Lesnik befragten Polizeischüler hätten keine Bedenken die Dienstwaffe zu gebrauchen und 86,5% behaupten, dass sie ihr Leben für einen Kollegen riskieren würden (Lesnik 1998). Bei der Interpretation der Ergebnisse der zuletzt zitierten Studie darf allerdings nicht verkannt werden, dass es sich um eine Befragung von unerfahrenen Berufsanfängern handelt und dass diese zu 40% durchaus Bedenken gegen den Waffeneinsatz haben. Außerdem ist das Erlebnis, das viele jungen Polizisten in ihrem Beruf „nie haben möchten", ein nicht zu vermeidender Schusswaffengebrauch und der tödliche Ausgang eines Einsatzes (Lesnik 1998). Tab. 42:

Chile und Bolivien: Häufigkeit erlebter körperlicher Angriffe sehr oft

Chile Bolivien

oft

selten

8%

25%

17%

11%

24%

43%

sehr selten -

12%

nie 50% 11%

177

Die Perspektive der Polizei wird z.B. in einem Artikel im Deutschen Polizeiblatt deutlich, der fast einer Kriegsberichterstattung gleicht. Dort ist die Rede von Angriffen mit Signalmunition, Molotow-Cocktails. Katapultgeschossen sowie höchst effizienten, selbst gebastelten Schusswaffen, die mit Stahlkugeln u.ä. geladen waren (Schuldt 1987: 15-19). 178 Weitere 37,5% finden, dass dies teilweise zutrifft (Wanderer/Thieme 1992: 13, 14).

239

Aus den drei untersuchten lateinamerikanischen Ländern gibt es kaum Daten über die Gefährdung von Polizisten, aber aus Kolumbien weiß man, dass von der dortigen Drogenmafia für Polizistenmorde bis zu US$ 8.000 bezahlt wurden, was u.a. zur Folge hatte, dass 1990 innerhalb von nur fünf Monaten 200 Polizisten ermordet wurden. 1993 starben dort 280 Polizisten im Dienst, 1.220 wurden verletzt (Waldmann/Riedmann 1996: 24). Aus Chile, Bolivien und Venezuela liegen keine vergleichbaren Informationen vor, aber die jeweiligen Raten der Gewaltkriminalität zeigen, dass die Polizisten dieser Länder wesentlich raueren Sitten ausgesetzt sind als ihre deutschen Kollegen (vgl. Kap. 5.2.3.). Um etwas Uber die subjektive Gefährdung der südamerikanischen Polizisten zu erfahren, die die Bereitschaft zur tatsächlich oder nur vermeintlich notwendigen Gegenwehr nachhaltig vergrößern kann, sollten die befragten Polizisten in den Fragebögen angeben, wie häufig sie im Laufe ihres Berufslebens körperlich angegriffen wurden (Tab. 42). Die Antworten auf diese Frage zeigen einerseits, dass in beiden Ländern etwa gleich große Anteile der Befragten sehr oft und oft angegriffen wurden. Andererseits gaben wesentlich mehr chilenische als bolivianische Polizisten an, nie angegriffen worden zu sein. An was für konkrete Vorfälle die Polizisten bei ihren Antworten gedacht haben, ist allerdings nur für den chilenischen Fall nachvollziehbar, weil die Bolivianer keine näheren Angaben gemacht haben. Die Carabineros de Chile dagegen berichteten über Drohungen, manchmal Morddrohungen, die Angst, Aggressionen und Vorsichtsmaßnahmen auslösen. Beschimpft, mit dem Tode bedroht, dass sie dich verprügeln, das ist alltäglich, es passiert jedem Carabinero. (C 9) Sie reden davon, dass wir uns eines Tages wieder sehen werden, und dann wird es einem von uns schlecht ergehen. Mir haben sie direkt mit dem Tod gedroht (...), „ich werde freikommen und dich töten". Ich glaube, das ist etwas, was Carabineros täglich erleben. (C 2) Ich kann es nicht leugnen, dass es mehr als eine Situation gab, in der ich Angst hatte (...), Einsätze, in denen man wirklich denkt, man kommt da nicht mehr raus (...). Allein die Tatsache, dass wir diese grüne Uniform tragen, macht uns zur Zielscheibe (...), aber trotzdem zieht man seelenruhig die Uniform an (...), man achtet auf jede Bewegung, jede verdächtige Handlung von Menschen, man lernt gut zu beobachten, nicht nur zu sehen, sondern zu beobachten. (C 10) Als Carabinero sollte man nicht spät Nachts herumlaufen und sich nicht an zweifelhaften Orten aufhalten (...), vorsichtig sein auf seinen Wegen, nicht immer die gleichen Straßen benutzen, die Routen wechseln, (...), denn man könnte plötzlich das Opfer eines Attentats sein, nicht durch jemand bestimmten, sondern einfach, weil man zur Institution gehört, uniformiert ist. Wir hatten schon genügend Märtyrer, die uns eine Lehre hinterlassen haben.(C 10)

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Einer der Carabineros erzählt eine solche Geschichte ausfuhrlicher. Er befand sich in seiner Freizeit auf den Hauptplatz von Santiago de Chile, auf der Plaza de las Armas, und wurde von fünf Männern überfallen, die er früher einmal festgenommen hatte. 1994 gab es einen Zwischenfall mit einigen Typen. Wir hatten sie festgenommen, es lief alles normal, einen Monat später hatte ich Dienst, sie waren festgenommen worden, weil sie Streit in einer Disco hatten, (...) dieselben Typen, sie wurden registriert. Sie hatten Schlagringe, Messer, sie waren üble Typen (...), dann wurden sie wieder freigelassen, es stand ihnen zu (...). Um 22.00 Uhr ging ich auf den Platz (...), ich traf einen Freund in Zivil und wir begannen zu plaudern und dann fingen die gleichen Typen an, um den Platz zu spazieren. Ich zählte sie und es waren fünf, sie schauten mich an und redeten miteinander (...). Ich sagte zu meinem Freund: „Schau die Typen dort drüben, sie suchen Streit mit mir." (...) Dann kam der Chef der fünf Typen und sagte, er will mit mir reden. „Nein", sagte ich, „ich spreche mit ihm (dem Freund)." (...) „Du bist ein Soundso, aus dem und dem Grund, steh a u f und er trat mir gegen den Knöchel, dann bin ich aufgestanden und die anderen vier Typen haben mich umstellt, ich habe mich verteidigt (...). Mir ist nichts passiert, aber sie habe ich zugerichtet (...). Sie waren sogar viel größer als ich und anschließend bin ich aufs Revier zurück und habe Bericht erstattet. Sie glaubten mir nicht, (...) weil (...) es Unteroffiziere gab, die Zivilpersonen mehr glaubten (...). Am nächsten Tage kam dieser Typ mit seiner Mutter und der Chef sagte ihm, hat sich seine Bescheinigung angesehen (...), er sagte ihm „gehen Sie in das Büro und erstatten Sie Anzeige gegen den Carabinero (...)." Um 17.00 Uhr erstatte ich wiederum Anzeige gegen ihn. Am nächsten Tag ging ich zum Gericht, mit dem einzigen Zeugen den ich hatte. (...) Endlich hat man sie festgenommen (...). Ich fing an, nach Vorstrafen zu suchen und sie waren nur Söhne von Kriminellen (...). Die Kommission, die den Fall untersuchte, fand es ebenfalls heraus, parallel zu meinen Ermittlungen (...). Danach hat mein Vorgesetzter sich bei geselligen Anlässen damit gebrüstet, dass ein Carabinero sich gegen fünf Leute verteidigt hat und ihm selbst nichts zugestoßen ist. (C 3)

Nach seinen eigenen Worten gewann dieser Carabinero zwei Mal, obgleich er beide Male in der schlechteren Position und ohne Unterstützung war: einmal bei der Schlägerei selbst und einmal bei der rechtlichen Auseinandersetzung. Dabei gibt es Grund genug, an der Version des Polizisten zu zweifeln. Denn zum einen ist es unwahrscheinlich, dass ein Einzelner, der sich mit fünf gewieften Gaunern prügelt, selbst überhaupt keine Blessuren hat. Zum anderen müsste es nicht nur einen, sondern viele Zeugen gegeben haben, da die Plaza de las Armas, auf der sich die Schlägerei abgespielt haben soll, gerade in den Abendstunden der belebteste Platz in Santiago ist. Dennoch hat die so vorgetragene Heldengeschichte das Zeug dazu, eine typische polizeiliche Legende zu werden, weil sie darstellt, wie erfolgreich ein Carabinero sich der Angriffe der Kriminellen zu erwehren weiß. Im Abschluss wird ja bereits angedeutet, dass der Vorgesetzte die Geschichte verbreitet. Auch die Polizisten aus Caracas wissen von Bedrohungen durch Kriminelle zu berichten, dies sogar besonders häufig: fast zwei Drittel aller Befragten erzählten von Angriffen aus der Bevölkerung und rd. ein Viertel von Fällen, in denen Kollegen zu Tode kamen. Insgesamt ist das berichtete Gewaltniveau 241

dabei deutlich höher als in den chilenischen Erzählungen. Manchmal geht es zwar auch um bloße Morddrohungen und Attacken, wie das Nachwerfen von Steinen und Flaschen, die Mehrzahl der Geschichten dreht sich aber um Schießereien, mithin um Taten, bei denen eine Tötungsabsicht unterstellt werden kann. Die pure Anzahl der Geschichten und ihre jeweiligen Eigenarten lassen darauf schließen, dass die Polizisten in Caracas nicht selten Gefahren ausgesetzt sind: die folgenden Zitate belegen dies stellvertretend. Er sagt, dass er Polizisten kennt, deren Körper wie Landkarten aussehen, von den vielen Schusswechseln und Schlägereien, die sie sich mit den Gangstem geliefert haben. (...) manche haben Glück gehabt, (...) andere nicht. (V 6) Wenn es um Frauen geht, sagt die Interviewte wörtlich, „vor denen habe ich am meisten Angst". Sie verstecken Rasierklingen im Mund und irgendwann, wenn man sie durchsucht, nehmen sie die Rasierklingen, um die Beamtinnen im Gesicht zu verletzen. (V 10) Er berichtet, dass er Angst bekam als er sich umdrehte und seine Kollegen nicht sah. Er fürchtete, dass sie ihn lynchen werden. Im Endeffekt haben sie ein paar Mal auf ihn geschossen, ein Schuss traf ihn ins Bein und ein anderer in die Hand. (V 12) Er war sehr jung und „ich bin da so reingeschliddert" „und die Verbrecher haben das voll ausgenützt". Er wurde getroffen, an der Leiste, ganz nah an der Wirbelsäule (...). Er erzählt, dass er den Schuss abbekam und nichts fühlte, er sah nur das Blut und fiel zu Boden. (V 25) Als sie die Bar verließen, sagten Anwohner, dass in Chacao ein Wagen der PM steht und dass Autos gestohlen wurden. Keiner der Polizisten, die die Bar verlassen hatten, hatte die Pflicht, dorthin zu gehen, weil alle frei hatten. Aber einige von ihnen beschlossen, an den Ort des Geschehens zu gehen, 15 Minuten später wurden sie angerufen und erführen, dass die zwei Polizisten, die ohne Unterstützung hingegangen waren, getötet wurden. (V 52)

Bei allen Geschichten der venezolanischen Polizisten sollte man nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass sie im objektiven Sinn wahr sind. Gerade über Polizistenmorde und besonders gefährliche Einsätze existieren häufig institutionelle Legenden. Aber bei der Durchsicht der Interviews konnte nicht festgestellt werden, dass sich die Geschichten verschiedener Polizisten allzu sehr ähneln würden, wie es der Fall sein würde, wenn ein und der gleiche Vorfall, verschieden ausgeschmückt, von unterschiedlichen Personen berichtet wird. Außerdem sind die Berichte zum Teil sehr detailliert (Angabe von Ort, Tag, Uhrzeit etc.), was es ebenfalls unwahrscheinlich macht, dass es sich bei ihnen um eine reine Fiktion oder mehrfach erzählte Legenden handelt. Weitere Merkmale, die für die Authentizität der Gewaltgeschichten sprechen sind, dass die Erzähler in zwei Dritteln der Geschichten über getötete Polizisten behaupten, persönlich dabei gewesen zu sein und die Tat nicht nur vom Hörensagen zu kennen. Oft wurde der erzählende Polizist selbst verletzt. Demnach sind die venezolanischen Polizisten tatsächlich gefährdet, allerdings sind sie auch bereit, sofort zurückzuschlagen und dabei die Angemessenheit der Mittel weit in den Hintergrund zu rücken (vgl. Kap. 4.2.4.). 242

4.2.4. Exkurs: Polizeigewalt in Caracas In den letzten Kapitel wurde bereits verschiedentlich geschildert, bei welch geringen „Verfehlungen" venezolanische Bürger damit rechnen müssen, von Polizisten ernsthaft bedroht, u.U. sogar angeschossen oder getötet zu werden, vor allem dann, wenn sie erkennbar den Unterschichten zugehören (vgl. Kap. 4.2.3.). Außerdem ist an Untersuchung von Gabaldön/Birkbeck (1996) bemerkenswert, wie offen die von ihnen befragten venezolanische Polizisten ihre gewalttätigen Reaktionen darlegen, obwohl Polizisten normalerweise versuchen, Gewalteinsätze und offensichtliche Gesetzesbrüche zu verschweigen. Bei den für die vorliegende Untersuchung interviewten Polizisten war es genauso. Innerhalb des Datenmaterials findet sich eine immense Anzahl an Erzählungen, die den alltäglichen gewalttätigen Umgang mit der Bevölkerung dokumentieren. Eine derartige Offenheit kann nur entweder damit erklärt werden, dass die dortigen Polizisten mangels einer geeigneten Ausbildung gar nicht wissen, wann sie das Polizeirecht übertreten (vgl. Kap. 3.3.3., 4.1.2., 4.4.4.) oder damit, dass die Gewalthandlungen informell als derart alltäglich und normal gelten, dass kein Anlass besteht, sie zu vertuschen (vgl. Kap. 5.). Die vielen Erzählungen über Gewalthandlungen wurden unter dem Gesichtspunkt des Gewalttyps ausgewertet und werden im Folgenden in einer Reihenfolge der „aufsteigenden Gewaltintensität" wiedergegeben. Begonnen wird mit Bedrohungen und Einschüchterungen, dem Einsatz von Prügeln, Tränengas und ähnlichen Mitteln, dem folgen die Geschichten über Schießereien. Darunter sind Schießereien ohne Todesopfer als auch polizeiliche Einsätze, bei denen Zivilisten umgebracht wurden. Jene Schießereien schließlich, bei denen Polizisten zu Tode kommen, nehmen eine Sonderstellung ein und haben besonders heftige Reaktionen ihrer Kollegen zur Folge. Zuletzt werden Einstellungen zur Gewalt referiert, die in den Interviews nicht mit Erzählungen über konkrete Einsätze verbunden sind, sondern unabhängig davon geäußert wurden. Bevor in diesem Exkurs nachgeforscht werden wird, unter welchen Umständen die Polizisten in Caracas welche Form der Gewalt einsetzen, soll festgehalten werden, wann von ihnen Gewalt und Festnahmen eigentlich vermieden werden. Dazu liegen nicht sehr viele Berichte vor, sie zeigen aber dennoch, dass vier Hauptmotive dominieren. Es handelt sich um Situationen, in denen das Kräfteverhältnis zwischen dem Polizisten und dem Kontrahenten wenig anderes zulässt, um Delikte, die in den Augen der Polizisten Bagatellen sind, um die Effektivierung der Arbeit sowie um private Gefälligkeiten und informelle Konfliktlösungen im Eigeninteresse. Diese Motive kommen teils gemeinsam zum Tragen. Bei den Situationen, in denen von einer Verhaftung abgesehen wird, weil der potentielle Gegner überlegen erscheint, ist der betreffende Polizist meist allein oder sein Gegner ist besser bewaffnet als er selbst:

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Sie arbeitete auf dem Hügel (...) und machte zusammen mit einem Kollegen einen Rundgang. An einer Stelle des Wegs ging sie allein weiter, als sie einen Jungen aus einem Gestrüpp rennen sah. Sie folgte dem Jungen, weil er ihr verdächtig erschien. (...) Als sie vor einer Mauer ankamen, drehte sich der Junge mit einer HK [Heckler & Koch: deutsche Waffenfirma] um und sagte ihr, er werde sie umbringen, wenn sie ihn weiter verfolgt. Sie dachte daran, dass ihre Waffe eine 38er [leistungsschwächer als die HK] ist, also musste sie ihn laufen lassen. Sie hält es für gerechtfertigt, ihn laufen zu lassen „an der Waffe hängt das Leben". (V 29)

Bemessen an der Anzahl der Berichte sehen venezolanische Polizisten aber am häufigsten von der Verfolgung von Straftätern ab, wenn ihnen die zugrunde liegenden Taten geringfügig erscheinen. Dies ist z.B. bei Drogenabhängigen der Fall, weil eine Festnahme den Polizisten als Zeitverschwendung erscheint. Außerdem fällt bei den Geschichten über „Bagatelldelikte", den Verzicht auf eine Festnahme oder die Verweigerung eine Anzeige aufzunehmen auf, dass sie oft Fälle als unwichtig einstufen, in die Frauen verwickelt sind: sei es als Anzeigende, sei es, dass es sich um typische Frauendelikte handelt, wie etwa bei illegalen Formen der Prostitution, sei es als Opfer, wie im folgenden letzten Zitat, das eigentlich ein Kapitalverbrechen darstellt: aber die Polizistin sagt dem Täter, er solle die Angelegenheit einfach vergessen. Die Typen blieben stehen, sie hatten Crack bei sich. Einer der Drogenabhängigen sagte zum anderen „siehst du nicht, dass diese Polizisten größere Gauner sind als wir?" (...) Der Distinguido (niedriger polizeilicher Rang) sagte zu seinem Kollegen, dass die Drogenabhängigen vertane Zeit sind und es besser ist, sie laufen zu lassen. (V 57) Er blieb beim Polizeigefängnis (...), wo 15 bis 20 Prostituierte waren. Er sollte eigentlich die Anzeigen schreiben, aber er öffnete ihnen die Zellentür und sagte, „wer gehen will, geht, aber eins ist klar, ihr taucht hier nicht mehr a u f . (...) der Interviewte versichert, dass das die effektivste Form war, sie „ohne Probleme" in den Griff zu bekommen. (V 57) Einmal kam ein junger Mann auf die Wache und entwaffnete einen Polizisten der PM. Er hatte vor, eine Frau zu töten (...), er schubste seine Freundin nach draußen, vor die Wache, und zielte mit seiner Waffe auf sie, bedrohte sie. Die Interviewte (...) sagte zu ihm: „Junge, lass sie, sie liebt dich nicht, sie will nicht mit dir zusammen sein. Du musst jemand anderes finden." (...) In diesem Fall wurde niemand festgenommen, sondern sie redeten lang über die Angelegenheit und sie versuchte den Typ zu überreden, die Sache zu vergessen. (V 54)

Die eben angeführten Beispiele stellen z.T. Mischformen des zweiten und dritten Motivs dar, Straftäter nicht festzunehmen. Die Vermeidung sinnlos erscheinender Arbeit und die Effektivierung der Arbeit spielen bei den Beispielen über Prostituierte und Drogenabhängige eine gewichtige Rolle. In den folgenden Zitaten meint der Beamte im ersten Fall, dass Festnahmen sinnlos sind, weil das zuständige Gefängnis derart überfüllt ist, dass Delinquente wieder freigelassen werden müssen, im zweiten Fall ist der Tatverdächtige dem Polizisten als Informant nützlicher als als Inhaftierter.

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(Das) Gefängnis von Catia und weil es abgerissen wird, haben PM und PTJ große Schwierigkeiten mit den Häftlingen, weil die Plätze nicht reichen. Wenn die PM einen Festgenommenen zur PTJ bringt (...), wenn bei der PTJ (...) kein Platz ist, lassen sie ihn gleich frei. Das ist laut dem Beamten eine Zeit- und Ressourcenverschwendung. (V 27) Er versuchte gerade einen Verbrecher ausfindig zu machen (...) und er traf ihn auf der Straße und er findet, dass er sehr geschickt und clever vorging, da er ihn zum Kaffee einlud und sie unterhielten sich, als der Mann irgendwann während des Gesprächs sagte: „Schau, ich habe den Pepsi-Bus nicht überfallen." „Aber er redete dafür über ein anderes Delikt, nach dem ich gar nicht fahndete. Abends machten wir eine Razzia und es lief perfekt, weil zwei alte Fälle gelöst werden konnten". (V 50) Im Hinblick a u f private Gefälligkeiten und informelle Konfliktlösungen im Eigeninteresse, werden Vorfälle berichtet, in denen der E r z ä h l e r dafür sorgt, dass seine Bekannten f r e i k o m m e n . Der Interviewte begründet sein Handeln überdies damit, dass es sich bei den Haftgründen um Bagatellen gehandelt habe, w o r u n t e r er zum einen das Aufgreifen ohne A u s w e i s versteht, w a s in V e n e z u e l a unter normalen

Umständen

in die Untersuchungshaft

fuhren kann. Z u m

anderen

spricht er von häuslicher Gewalt, die, wenn sie polizeiauffällig wird, selten ein Bagatelldelikt ist. N a c h d e m bei häuslicher G e w a l t das Opfer wahrscheinlich weiblich ist, stützt dies obige Argumentation, laut der Polizisten Delikte, in die Frauen verwickelt sind, w e n i g e r ernst nehmen. Er hat Nachbarn von sich entdeckt, die wegen fehlenden Ausweisen oder häuslicher Gewalt verhaftet waren. Diese Ursachen sind seiner Ansicht nach nicht sehr schwer und so redet er mit seinen Vorgesetzten, damit „die Pechvögel" freikommen. (V 38) Bei der zweiten Geschichte, die in diesen Z u s a m m e n h a n g fällt, liegt der Reaktion des Erzählers z w a r tatsächlich eine Straftat zugrunde, aber die Art der Verfolgung ist deutlich v o m Eigeninteresse des Interviewten geprägt, man könnte auch von Erpressung sprechen. Außerdem macht er sich die Hilfe seiner Kollegen zu nutze, d.h. er missbraucht die Institution für private Z w e c k e . Dies hat das Ereignis mit der in Kap. 4 . 2 . 2 . zitierten Geschichte der Polizistin g e m e i n s a m , die eine Beleidigung und sexuelle Belästigung gegenüber ihrer T o c h t e r persönlich und mit Hilfe der Institution gewaltsam rächt. Zuletzt zeigt das Zitat n o c h m a l s auf, w i e sehr die Polizisten in den eigenen Wohnvierteln, die zu jenen der niederen Schichten zählen, zwischen anständigen und suspekten Bewohnern unterscheiden. Vor seinem Haus wird sein Auto geklaut, ein Volkswagen, die Person, die es mitnahm, hatte das Pech, dass (...) ihm ein Ausweis aus der Tasche fiel. (...) Er ging zusammen mit einer Einheit der PM auf die Suche nach dem Verbrecher. (...) Der Beamte sagt, dass er sich so geärgert hat, als er ihn sah, dass er den Jungen mit dem Ausweis unter Druck setzte „entweder du zahlst mir alles oder du gehst ins Gefängnis ( . . . ) . " Etwas vom Haus des Täters entfernt fanden sie das Auto, es war ausgeplündert, (...) der Polizist sagte: „Sag den Jungs, sie sollen dort klauen, wo es was zu holen gibt, nicht bei anständigen Leuten aus demselben Viertel." Am Ende, erzählt der Interviewte, hat er das Auto und das Zubehör wiederbekommen. (V 66)

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In eine ganz ähnliche Richtung weist folgende Geschichte: Er hat 20 Jahre in (einem barrio) gewohnt, wo die Leute wussten, dass er Polizist ist. (...) Wenn er dort die üblen Typen traf, sagte er ihnen, wenn sie nur daran denken würden, seiner Familie zu schaden, würde er sie „niedermachen". Einmal kam seine Tochter aus der Schule und erzählte ihm, dass ein Junge sich mit ihr angelegt (...) und ihnen Kleidung geklaut hat (...). Schließlich sagte ihm die Tochter, wer es war, „der, der einen Stock höher wohnt." Der Polizist ging in die Wohnung hoch und (...) sagte zu ihm „Danke Gott, dass du sie nicht angefasst hast, ich gebe dir 24 Stunden, damit die Kleidung auftaucht." Am nächsten Tag „packte ich ihn und legte mich mit ihm an". (V 28) Was immer der interviewte Polizist darunter versteht, wenn er sich mit jemandem „anlegt", wird doch deutlich, dass zunächst verbal Druck ausgeübt wird, und den Kontrahenten sicherlich klar ist, dass die verbale Aggression bald in physische umschlagen kann. Dies gilt hauptsächlich dann, wenn die Einschüchterung nicht wirken sollte, Widerstand gezeigt wird oder wenn die Polizisten beleidigt werden. Er verlangte von einem Autofahrer, der Medizinstudent war, die Papiere. „Er beleidigte mich." (...) er hat ihn sehr hart angepackt und danach sagte er zu dem Studenten: „Sie betteln wohl um Schläge. Nun steigen Sie ein und fahren Sie". (V 28) Manchmal ist der Umgang der Demonstranten mit den Polizisten unangenehm. Er berichtet, dass sie Sachen wie „du Fotze" schreien und die Reaktion der Polizisten ist in solchen Momenten physische und verbale Aggression. (V 23) Er gibt an, dass er schon physisch und verbal misshandelt hat, wenn der Verbrecher Widerstand gegen die polizeiliche Autorität leistet, die er darstellt. (V 26) Das nächste Niveau der Gewaltintensität ist erreicht, wenn die Polizisten Prügel, Schlagwaffen, Tränengas u.ä. einsetzen. In der Mehrzahl der Fälle geht es um ein vermeintliches Fehlverhalten der kontrollierten oder festgenommenen Personen. Von manchen Polizisten werden Prügel aber auch routinemäßig eingesetzt. Es sei nicht das Gleiche, mit einem normalen Bürger oder einem Verbrecher zu tun zu haben. Bei Zweiteren findet er, dass er sich nicht anständig benehmen muss, sonst würden sie ihn umbringen (...): „zuerst schlagen und später ermitteln". (V 3) Bei anderen Geschichten, in denen von Ohrfeigen, Faustschlägen oder dem Einsatz von Schlagstock und Tränengas die Rede ist, werden diese Mittel nicht routinemäßig sondern reaktiv eingesetzt. Die Gründe dafür sind meist Handlungen, die von den Polizisten als Fehlverhalten interpretiert werden. Setzt man voraus, dass die Situationen wahrheitsgetreu berichtet werden, könnte die Behandlung der Bürger durch die Polizisten bei einem Teil der Erzählungen u.U. als legal gewertet werden, etwa bei Widerstandshandlungen während Festnahmen, wie in folgendem Beispiel: 246

Es ging um einen sehr gefahrlichen Verbrecher, der mit Drogen handelte ( . . . ) . Der Verbrecher widersetzte sich der Festnahme, aber sie waren zusammen mit dem Interviewten drei Mann und sie schafften es, ihn mit Schlägen in Schach zu halten. (V 17)

Meistens erfolgen die Prügel jedoch nach einer bloßen Beleidigung der Polizeibeamten oder um Personen zur Ruhe zu bringen. Dabei kann es sich bei ihren Opfern gleichermaßen um Betrunkene, Drogenabhängige oder hilflose Gefangene handeln. Sie erzählt, wie sie ein Verhafteter einmal „völlig verrückt machte." Der Mann wurde aggressiv, war betrunken und stand zudem unter Drogen. Mehrmals ging sie auf ihn im Guten zu, sagt sie, „schau mal, bitte, ich wäre dir dankbar." Als er sie beleidigte, stellte sie sich vor den Mann und ohrfeigte ihn. (V 29) Er arbeitet bei den Verhafteten (...) und am besten sei der Einsatz des Schlagstocks, wenn sie nicht auf ihn hören. (V 45) In solchen Momenten wird sie gemeinhin aggressiv und sie erzählt an einem Beispiel, dass sie ein Kommissar einmal zur Überprüfung einer Zelle schickte, in der ein Verhafteter war. Der war aggressiv und schrie: „Wer ist die Fotze?" Sie sagte ihm „mit dir diskutiere ich nicht" „und ich besprühte ihn mit Gas, das ihn außer Gefecht setzt". (V 29)

Die Polizisten sind sogar bereit, es als Fehlverhalten zu werten, wenn ein Überprüfter „zu viel redet" oder ihnen sein Tonfall nicht gefällt. Das zweite der folgenden Beispiele zeigt zudem, wie leicht Konflikte mit der Polizei eskalieren können: Wenn ein Herumtreiber zu viel redet, geh ich hin und hau ihm ein Paar runter. (V 16) Sie kontrollierten einen verdächtigen Mann (...). Der Interviewte erzählt, dass es ihm nicht gefiel, wie er das sagte und sie schlugen sich und rollten dabei einen Hang hinunter (...). Dort in der Nähe war das Haus des Typen, wo er sich in die Garage flüchtete und zu dem Polizisten sagte: „Jetzt bist du aufgeschmissen." Er fuhr mit seiner Hand in seine Kleidung und zog einen Revolver heraus, den Finger am Abzug (...). Der Beamte sagt, dass er Angst hatte, es ihm aber gelang, ihn zum Fallen zu bringen. Gleichzeitig kam der andere Polizist (...). Sein Kollege schrie ihm zu „Bring ihn um, Reynaldo." Er legte ihm nur die Handschellen an und nahm ihn fest. (V 26)

Die Eskalation eines Konflikts während einer Festnahme unterscheidet sich von den nun angeführten drei Beispielen dadurch, dass die Schläge nicht im „Eifer des Gefechts" ausgeteilt, sondern vorbereitet werden. So etwa dann, wenn Verhaftete in einen abgelegenen Raum gebracht werden oder wenn Polizisten erst zur nächsten Polizeistation fahren, um dort wehrlose, gefesselte Tatverdächtige zu verprügeln. Auffällig ist außerdem, dass es im zweiten Zitat eine Rolle spielt, dass der Verdächtige freikommen und nicht vor Gericht gestellt werden wird, was zeigt, dass die Prügel für die Polizisten die Funktion einer „Ersatzstrafe" haben. Dies gilt auch für das letzte Zitat, in dem die Polizistin geradezu ein Strafmaß festlegt.

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Er hatte einen Sargento beleidigt und der hatte den Jugendlichen aus Rache zusammengetreten (...): „natürlich in einer abseits liegenden Zelle". (V 29) Er nahm den Verbrecher fest, sie legten ihm Handschellen an und brachten ihn auf die Wache, wo er die Möglichkeit hatte, den Verhafteten zu schlagen, als er erfuhr, dass er freikommen würde. Er ist sich jedoch darüber bewusst, dass Beamte dort im Vorteil sind, weil der Verhaftete Handschellen trug und sich nicht verteidigen konnte. (V 20) Eine Prostituierte, die alle acht bis fünfzehn Tage festgenommen wird (...). Sie bekam jedes Mal „einen Wutanfall", wenn sie sie einschlössen (...), dabei bekam die Beamtin Prügel ab. Sie sagt, dass das sie ärgerte, so ging sie irgendwann zur Zelle (...) und sagte: „Für jeden Schlag von dir gebe ich dir zehn zurück." (...) Sie sagt, dass sie sie gepackt und verprügelt hat. (V 29)

Dass in einer der weiter oben zitierten Geschichten der Polizist der Aufforderung seines Kollegen, den Kontrahenten zu töten, nicht nachkommt und dass die gesamte Situation nicht in einer Schießerei endet, ist innerhalb der Erzählungen der venezolanischen Polizisten eher die Ausnahme als die Regel. In den Interviews ist ständig von Schusswechseln die Rede, das trifft sich mit dem, was die Mitglieder der PM auch in anderen Zusammenhängen über die Qualität der Kriminalität in Caracas berichten, nämlich, dass Schusswaffen in Caracas sehr verbreitet sind (vgl. Kap. 4.2.3., 4.4.4.). Unterscheiden kann man zwischen den Geschichten, in denen Zivilisten zu Tode kommen und jenen, in denen niemand stirbt. Später wird noch über die Reaktionen der Polizisten auf Polizistenmorde zu sprechen sein. In allen Geschichten über Schusswechsel ohne Todesfolgen benützte das polizeiliche Gegenüber eine Schusswaffe. Interessant ist es zuerst festzustellen, wie derart gefährliche Situation für beide beteiligten Seiten ausgehen. Eine einfache Auszählung aller relevanten Geschichten ergibt, dass die Polizisten wesentlich seltener verletzt werden als die Zivilisten: mindestens sechs verletzten Zivilisten stehen nur zwei getroffene Polizisten gegenüber und dabei ist noch in Rechnung zu stellen, dass ohne Zweifel eher vergessen wird, die Verletzung eines Delinquenten zu berichten, als die eines Polizisten. Außerdem wurden laut den Interviews 23 in Schießereien verwickelte Bürger verhaftet, das sind rd. 80% aller in dieser Kategorie berücksichtigten Fälle. Solche numerischen Angaben dürfen allerdings nicht überbewertet werden, weil Schießereien für die venezolanischen Polizisten eine derart alltägliche Situation darstellen, dass nur die in ihren Augen erzählenswerten Ereignisse berichtet wurden. Darunter finden sich Berichte Uber die Lage in den Gefängnissen und über Schießereien im Zusammenhang mit gewöhnlicher Kriminalität. Die folgenden Beispiele geben die Bandbreite der Geschichten wieder. Er erzählt, dass die Gefangenen sehr gut bewaffnet waren, oft rebellierten sie und schössen (...). Zwar wurde er nie verletzt, aber er befand sich ständig in Lebensgefahr. Immer wenn die Gefangenen schössen, musste er zurückschießen und der Beamte meint, dass für die Häftlinge jeder, der im Gefängnis eine Uniform trägt, ein Feind ist. (V 66)

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Er kam zu einer Bäckerei (...), zusammen mit einem Kollegen. Zu dem Zeitpunkt überfielen zwei Typen die Besitzer und die Kunden, die dort waren. Ihm war gleich klar, dass die Situation schwierig war, da sie Geisein hatten. Die Bäckerei ist an einer Straßenecke und hat nur Fensterfronten, so dass die Verbrecher die Polizisten leicht sehen konnten. Die Beamten forderten schnell Unterstützung an und stürmten schießend hinein (...), die Verbrecher wurden verletzt (...). (V 23) Als sie dort ankamen, in der Nähe der Metrostation Petare, wurde von Seiten der Kriminellen geschossen. Als er darauf hinweist, dass die Delinquenten zuerst schössen sagt er wörtlich: „Das ist legal, wir sind nicht aus Stahl, aber wir müssen warten, bis die Kriminellen schießen und uns halb umbringen, bevor wir uns verteidigen dürfen." Der Interviewte verletzte einen der Delinquenten am Kopf und in der Magengegend. (V 64) Sie wurden von einem Hotel aus gerufen. Es ging um einen Überfall, eine Bande (...). Sie waren bewaffnet und hatten eine Gruppe von Leuten als Geiseln genommen. Die hatten sich alle hingekniet. Beim Eingang, der dem Interviewten gegenüber lag, sah er einen der Täter von hinten, er versichert, wenn er ihn hätte umbringen wollen, hätte er ihn umbringen können. Die anderen Delinquenten bemerkten aber einen anderen Polizisten und dann ging die Schießerei los. (...) Zwei der Delinquenten entkamen, sie schafften es, fünf festzunehmen. (V 41) S c h o n die letzte G e s c h i c h t e lässt aufhorchen, d a s s der Polizist ausdrücklich dara u f hinweist, dass er seinen Kontrahenten nicht getötet hat, o b w o h l e s i h m o h n e w e i t e r e s m ö g l i c h g e w e s e n wäre. In weiteren Berichten wird z u d e m begründet, w a r u m der G e g n e r nicht e r s c h o s s e n wurde. Meist g e h t e s darum, d a s s die Polizisten B e d e n k e n haben, e s könnte disziplinarische oder juristische F o l g e n haben, d i e s v.a. dann, w e n n Z e u g e n a n w e s e n d sind. Im ersten und z w e i t e n B e i s p i e l sind e s Passanten, im dritten die Eltern d e s potentiellen Opfers. O h n e sie wären die beschriebenen A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n mit einiger Wahrscheinlichkeit anders ausg e g a n g e n , auch w e n n der J u g e n d l i c h e im dritten Fall bereit war z u kollaborieren. Eine Person verletzte den Interviewten mit einem Messer. Der Polizist sagt, dass er die Waffe gezogen, aber in der nächsten Sekunde gemerkt hat, dass zu viele Passanten da waren. Ihm wurde bewusst, dass er nicht genügend juristischen Rückhalt haben würde, um sich vor Gerichten zu verteidigen, falls er den Angreifer töten würde. (V 58) „Der Chinese" (Spitzname) kennt mich, ich habe ihn gesucht. Als sie mich sahen, flüchteten alle, aber der „Chinese" ging auf mich zu. Ich schwitzte, mir zitterten die Hände. Entweder erschießt er mich oder ich ihn. Ich schrie ihn an: „Nimm die Hände hoch." Ich konnte ihn nicht umbringen, weil mir alle zusahen. (V 51) Andere Polizisten sagten, weiter vorne liefen zwei Verbrecher. Als sie das nachprüften, sahen sie, dass die (Verbrecher) eine Flinte und ein Messer dabei hatten (...). Einer der Verbrecher sah den Streifenwagen und schoss auf ihn, von weitem. Ein Beamter erwiderte den Schuss und tötete einen der Verbrecher (...), die restlichen Polizisten kesselten den anderen Verbrecher ein. Der hatte die Flinte gehabt und hatte sie (inzwischen) versteckt. Die Eltern des Burschen kamen auf die Straße hinaus und schrieen auf die Polizisten ein, sie sollten ihn nicht erschießen. (...) bis sie ihn überzeugten, die Waffe zu suchen „wenn du mir die Waffe suchst, helfe ich dir" (...), der .lugendliche gab die Waffe ab. Er wurde sofort festgenommen. (V 43)

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Oft gehen Schusswechsel mit der Polizei in Caracas allerdings für Kriminelle tödlich aus. Allein unter den in Venezuela interviewten Polizisten berichten 30% von Einsätzen, bei denen Menschen den Tod fanden. Fast 90% dieser Geschichten werden als persönlich erlebt geschildert und in knapp der Hälfte (47%) der Fälle sind die Erzähler selbst die Todesschützen! Insgesamt wurden laut diesen Berichten 28 Bürger getötet, auf Polizeiseite sind es sechs Personen. Wie bereits bei den Schusswechseln ohne Todesfolgen (s.o.) geht demnach das körperliche Risiko eindeutig zu Lasten des polizeilichen Gegenübers. Darüber hinaus werden viele Geschichten dergestalt erzählt, dass von intentionalen Tötungen auszugehen ist, obwohl die Polizisten eigentlich ein Interesse daran haben sollten, sich bzw. ihre Kollegen nicht als eiskalte Mörder darzustellen. Der Beamte berichtet, er sei einige Male auf offener Straße gefährlich bedroht worden. Einmal davon als er mit dem Motorrad auf der Autobahn unterwegs war und der Fahrer eines Autos ihn mehrmals anfahren wollte. Er war zu dem Zeitpunkt uniformiert und als er konnte, zog er die Waffe, beschleunigte und schoss auf den Fahrer. (V 4) Er erinnert sich, dass er (...) beschloss, einen Gauner zu stellen. Er bat den Fahrer langsam zu fahren. Der Interviewte sagt, er habe ein Maschinengewehr genommen und eine Salve abgefeuert. Einer der Schüsse tötete den Verbrecher. Der Typ hatte den Spitznamen „Plagatox", weil er mehr als 20 Tote auf dem Kerbholz hatte. Er war 16. „Er hat einmal zwei Schüsse auf mich abgegeben und beide Beine getroffen, zum Glück lebe ich". (V 31)

Im Gegensatz zu den eben zitierten Geschichten wird in anderen immerhin versucht, die Situation so darzustellen, dass eine Notwehr der Polizisten nicht auszuschließen ist. Oft ist einfach von einem Schusswechsel und seinen Folgen die Rede, ohne dass die Umstände näher erläutert würden, einige Berichte weisen aber Besonderheiten auf, die der Erwähnung verdienen. Vor allem zeigen manche Erzählungen, wie schnell und aus welch nichtigen Gründen von beiden Seiten aus geschossen wird und wie entschlossen die Bewohner der barrios und Bandenmitglieder sind, sich einer drohenden Verhaftung zu entziehen. Sie umzingelten das Haus und warfen eine Tränengasbombe hinein. Ziel der Aktion war, dass die Person heraus kommt, um Luft zu holen, doch als er draußen war, fing der Verbrecher an zu schießen und verletzte den Interviewten am Arm. Natürlich fiel er zu Boden, aber er hatte genügend Kraft um zu schießen, er traf, der andere starb. (V 8) Wir führten eine Großrazzia durch, d.h. den Ort einfach durchkämmen, um dann zu sehen, was man bekommt. (...), als er die Gasse verließ, beobachtete er einen Mann, der (...) eine Pistole hatte. Er wollte die näher kommenden Polizisten angreifen, er wandte dem Interviewten den Rücken zu. Dieser dachte „meine Kollegen sind in Gefahr." Plötzlich drehte sich der Mann um und schoss auf ihn. „Ich warf mich zu Boden und schoss auf ihn." Der Typ sprang und fiel ein Geländer hinunter. „Ich habe die Pistole nachgeladen. Ich sah den Mann am Boden und die Pistole neben ihm. Der Mann starb, wir brachten in ins Krankenhaus (...). Der Typ hätte mich umgebracht". (V 26)

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Nur einer der Befragten betont ausdrücklich, er habe sich an die Regeln gehalten, die er in der Polizeischule gelernt hat: indem er das Opfer wenigstens nicht hinterrücks erschossen hat! Es ging um die Entführung einer Familie (...). Als sie durch das Haus gingen, trafen ihn drei Schüsse: zwei an der (schusssicheren) Weste und einer am Arm (...), als er die Waffe entsichern wollte, um zu schießen, bewegten sich seine Finger nicht (...). Er versichert, dass er die Einsatzregeln eingehalten hat, die ihm in der Schule beigebracht wurden: nicht in den Rücken des Verbrechers schießen und die Waffe entsichern, wenn es um eine rechtmäßige Selbstverteidigung geht (...)• Es gelang ihm, die Waffe mit der anderen Hand zu entsichern, er schoss und brachte den Verbrecher um. (V 40)

Über diese Berichte von „normalen" Polizeieinsätzen hinaus haben Polizisten von der blutigen Niederschlagung von Gefangnisaufständen im berühmtberüchtigten Rehen de Catia und von den Ereignisse rund um den Armenaufstand Ende der achtziger Jahre (Caracazco) berichtet (vgl. Kap. 3.3.1.). Diese Augenzeugenberichte seien wiedergegeben, um ein Bild davon zu vermitteln, wie dramatisch sich solche Situationen entwickeln können. Die große Anzahl getöteter Menschen und das rigorose Vorgehen der Guardia Nacional (vgl. Kap. 3.3.2.) sind sogar für die erzählenden Polizisten erschreckend, wie man den Zitaten unschwer entnehmen kann. Etwa 2.500 - 3.000 Häftlinge hatten die Kontrolle des Gefängnisses übernommen (...). Umgehend schickte die GN erst einen Trupp mit 12 Mann, es kamen weitere Brigaden der GN hinzu, insgesamt ca. 50 Männer nahmen das Gefängnis ein (...). Der Sargento sagt, dass sie nicht erfahren haben, wie viele Tote es im Gefängnis gegeben hatte. Aber er erinnert sich sehr gut an einen Bus der GN, in dem sie auf Sitzbänken Leichen über Leichen sammelten (...). Verzweifelte Gefängnisinsassen stiegen auf die Wärterhäuser und kletterten auch über den Zaun, der den Fluss Guaire abtrennt. Die Soldaten schössen erbarmungslos auf die Häftlinge des Gefängnisses von Catia und stießen die Toten in den Fluss (...). Um ca. 19:00 wurde angeordnet, die Verhafteten freizulassen. Draußen warteten Soldaten mit dem Befehl zu schießen und all diese Leute sind gestorben. (V 58) Der Interviewte berichtet, dass der heftigste Einsatz, an dem er teilgenommen hat (...), die Meuterei war, die im Gefängnis von Catia geschah. Der Sargento berichtet, dass er selbst die Waffe benutzt und einen Häftling getötet hat (...). Nach Meinung des Interviewten hatte eine hohe Prozentzahl der Häftlinge Feuerwaffen und sie fingen drinnen an aufeinander zu schießen (...). Er sagt, die Behörden wussten nicht, wie viel Menschen an dem Tag starben, es gab für sie sogar Massengräber. (V 60) Er beschreibt seine Erfahrungen vom 27. Februar. Wörtlich sagt er „das möchte ich nie wieder erleben." (...) Die PM versuchte, Kontrolle zu gewinnen, aber sie waren im Vergleich zu der chaotischen Menge zu wenig Männer. Einige Polizisten starben (...). Bewohner der umliegenden Viertel trugen Essen, elektrische Geräte fort, Frauen mit Waschmaschinen, Trocknern. Die GM rückte aus und gepanzerte Fahrzeuge befanden sich bei den Einkaufszentren. Dennoch waren bereits viele Geschäfte geplündert (...). Die Polizisten beobachteten, wie ein Fiat vorbeifuhr, das Militär hielt ihn an, die Insassen mussten aussteigen. Es waren vier junge Männer. Acht Soldaten stiegen aus und erschossen die Männer auf offener Straße (...). (V 21)

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In den barrios (...) packten sich die Polizisten der PM die Taugenichtse, all diese Typen (...), wer rannte wurde getötet, wer gefasst wurde, wurde verprügelt, wenn ihm nicht mit Blei gedroht wurde. (...) Die Polizisten waren alle bereit zu töten. Als die Leute zum Plündern in die Einkaufszentren kamen, wurden die Streifenwagen zurückgezogen, weil man gegen 200 - 300 Menschen nichts machen kann, mit einem Streifenwagen mit zwei Beamten (...). Er sagt, dass sich auch manche Polizisten an dem Vandalismus beteiligt haben. (V 58) Eine Sonderrolle nehmen außerdem j e n e Fälle ein, in denen Polizisten getötet werden. V o n allen befragten venezolanischen Polizisten haben 2 3 % über die Tötung von Kollegen berichtet und fast zwei Drittel davon haben die Erschießung ihres Kollegen persönlich miterlebt. In den entsprechenden Erzählungen erfährt man zudem recht genau, w a s mit den Polizistenmördern nach ihrer Tat passiert ist. Die meisten werden getötet ( 6 6 % der Berichte). Festgenommen, angeschossen oder anderweitig verletzt werden dagegen nur w e n i g e , w a s als Hinw e i s dafür gelten kann, dass die Polizisten ihre Kollegen mit gezielten tödlichen Schüsse rächen und sich nicht damit aufhalten, die Täter kampfunfähig zu machen. In nur wenigen Fällen überleben die Täter, obwohl sie den Polizisten bekannt sind, z.B. in folgenden beiden Fällen. Zu dem Einsatz kam es wegen einem Hausfriedensbruch in der Gegend. Als der Inspector die Wohneinheit betreten wollte, verletzten sie ihn tödlich, sofort fielen die übrigen Beamten über die Verbrecher her. (V 39) Er musste einmal mit fünf weiteren Beamten drei Verbrecher suchen, die bei einem Einsatz einen Cabo (niedriger Dienstrang) getötet hatten (...). Als sie hinkamen, gab es einen Schusswechsel (...), der Kommissar berichtet, dass seine Kollegen die Verbrecher töten wollten, er ihnen aber riet, es nicht zu tun, da sie alle Probleme bekommen würden. (V 27) In allen anderen Geschichten, in denen von getöteten Polizisten erzählt wird, werden die Täter erschossen. Die folgenden Zitate zeigen dies beispielhaft: Jemand rief auf der Wache an und berichtete von einem Überfall auf ein Büro im Osten von Caracas. Für diesen Einsatz setzten sie ungefähr 15 Beamte ein. Als sie in das Büro kamen, fielen Schüsse. Das Ergebnis war, dass ein Sargento, zwei Cabos (Dienstränge) und ein Verbrecher starben. (V 59) Die Nachbarn meldeten, dass zwei Jugendliche auf der Straße Leute ausrauben. Als der Streifenwagen kam, stiegen drei Polizisten aus dem Wagen aus (...). Ein Sargento, der in Zivil war, rannte einem der Jungen hinterher und es kam zu einer Konfrontation. Der Sargento bekam einen Schuss in die Leiste, einen weiteren in den Bauch. Auch ein Cabo (Dienstrang) wurde am Bein verletzt und dem Jugendlichen wurde in den Kopf geschossen (...). Der Sargento und der Cabo wurden ins Krankenhaus gebracht und eine Stunde später starb der Sargento. Der Jugendliche starb noch am Ort des Geschehens. (V 9)

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In d i e s e n b e i d e n G e s c h i c h t e n erfährt m a n aber nur u n g e n a u , w i e und w a r u m d i e Kontrahenten u m g e b r a c h t wurden: i m m e r h i n k ö n n t e n e s

Notwehrhandlungen

der Polizisten g e w e s e n sein. B e i z w e i anderen E r z ä h l u n g e n sieht d i e S a c h e deutlich anders aus. Im ersten Fall führt die T ö t u n g e i n e s K o l l e g e n d a z u , d a s s d i e übrigen Polizisten d i e Täter mit e i n e m K u g e l h a g e l ü b e r z i e h e n , im z w e i t e n Fall w e r d e n d i e M ö r d e r e i n e r Polizistin g e z i e l t exekutiert. Die Verbrecher waren in jener Nacht (...) in einem Haus und tranken Bier. Die Polizei durchsuchte das Haus überraschend (...). Die Verbrecher kamen heraus. Bei einem Beamten, der gerade in der Gegend war, löste sich ein Schuss und er verletzte einen der Verbrecher. Die anderen Verbrecher gingen auf den Sargento los und brachten ihn um (...), die anderen Polizisten, erzählt der Interviewte, schössen gnadenlos. Es kam heraus, dass sie drei Verbrecher getötet hatten. (V 25) Ein Beweis dafür ist der Überfall auf die Bäckerei La Poma, an der Plaza Venezuela, wo eine Polizeibeamtin starb (...). Der Interviewte erinnert sich, dass die Beamten der PM in dem Fall die Angreifer festnahmen und (...) umbrachten. „Es waren vier Verbrecher, jeder bekam drei Schüsse in die Stirn". (V 25). D i e Einstellung, dass Polizistenmörder unverzüglich erschossen gehörten, wurde darüber h i n a u s ö f t e r g e ä u ß e r t und auch im Falle e i n e r a n g e n o m m e n e n L e b e n s b e d r o h u n g g e h e n e i n i g e v e n e z o l a n i s c h e Polizisten d a v o n aus, d a s s d i e Kontrahenten e r s c h o s s e n und nicht e t w a nur k a m p f u n f ä h i g g e m a c h t w e r d e n m ü s s e n . Bei einer Verfolgung muss man zu allem entschlossen sein, zu töten oder sie töten uns, man siegt oder man siegt nicht, man muss ins Schwarze treffen. (V 17) Ein Mann, der auf einen Polizeibeamten anlegt, ist ein toter Mann. (V 64) Immer wenn ein Polizist getötet wird, erzeugt das bei den anderen Beamten Hass und den Wunsch, den Kriminellen umzubringen. (V 25) Wenn sie uns umbringen, bringen sie uns um, sonst bringen wir sie um. Es gibt überhaupt keine Norm, die die Tat eines Polizisten kontrolliert, wenn sein Leben in Gefahr ist. (V 7) M a n c h e P o l i z i s t e n aus Caracas sind aber d o c h der A n s i c h t , d a s s e s M i n i m a l r e g e l n g e b e n m u s s : w e n i g s t e n s soll m a n ihrer A n s i c h t n a c h nicht als erster feuern und m a n soll d i e G e g n e r nicht hinterrücks e r s c h i e ß e n . B e i d e R e g e l n dürften d e m Z w e c k d i e n e n , nicht w e g e n M o r d e s a n g e z e i g t z u w e r d e n . Er erzählt, dass bei Einsätzen folgende Regeln gelten: „1. Schütze dein Leben und suche Deckung. 2. Fasse den Täter. 3. Töte nicht zuerst". (V 34) Nicht in den Rücken des Kriminellen schießen und die Waffe benützen, wenn es rechtmäßige Selbstverteidigung ist. (V 40) Der Waffengebrauch hängt von den Umständen und dem Ort ab, Schüsse in den Rücken sind gefahrlich, weil man daraus schließen kann, dass es ein Mordversuch ist. (V 59) 253

Was die Polizisten außerdem an einer Erschießung hindern kann, ist der Mangel an Munition, die in den Augen mancher zu wertvoll ist, um verschwendet zu werden, sowie die Aussicht, einen Bericht schreiben zu müssen. Ein Polizist zieht es fast immer vor (...) Körperkraft einzusetzen, bevor er zur Waffe greift. Das kann man als Missbrauch der Amtsautorität werten (...), aber „auf diese Weise verschwendet man keine Munition" und man muss sich nicht rechtfertigen und keinen Bericht schreiben. (V 31)

4.3. Gute oder schlechte Nachbarn: Justiz, Medien, Politik und Militär Eine der Eigenheiten der Institution Polizei ist es, dass sie viele Berührungspunkte mit Nachbarorganisationen hat und von ihnen teilweise in ihrer Alltagsarbeit beeinflusst wird und abhängig ist. Besondere Beachtung verdienen dabei die Justizorgane (4.3.1.), die Massenmedien als Kontrollorgan der Polizei sowie als Institution, die das Image der Polizei mitkonstruiert (4.3.2., vgl. Kap. 4.2.1.), die politische Ebene (4.3.3.) und - speziell in Lateinamerika - das Militär (4.3.4.). Diese Institutionen wurden von den Polizisten auch bei den bisher referierten Interviewthemen gelegentlich angesprochen, es wurden aber auch direkte Fragen über sie gestellt. In die bolivianischen und chilenischen Fragebögen wurden entsprechende Fragen aufgenommen und die venezolanischen Polizisten wurden in den offenen Interviews aufgefordert, ihre Meinung über diese Institutionen zu sagen. 4.3.1. Straftäter und Polizisten vor Gericht Das Verhältnis der Polizei zum Justizapparat ist besonders vielschichtig. Einerseits arbeitet die Polizei mit der Justiz zusammen und andererseits ist die Justiz ein Kontrollorgan der Polizei. Deshalb wurde das Verhältnis zwischen Polizei und Judikative von verschiedenen Seiten aus beleuchtet. Zum einen äußern sich die befragten Polizisten darüber, wie Tatverdächtige von der Justiz behandelt werden und zum anderen darüber, ob Richter dem Wort eines Polizisten mehr Glauben schenken sollten, als dem eines „normalen" Bürgers. Der Justizapparat, dem Polizisten begegnen, besteht aus Staatsanwälten, Richtern und der Anwaltschaft und aus einer älteren bundesdeutschen empirischen Erhebung ist bekannt, dass Polizisten zwischen diesen Funktionen deutlich differenzieren, wenn sie gefragt werden, ob den jeweiligen Institutionen Einfluss auf die Polizei zugestanden wird: damals erreichte die Staatsanwaltschaft sowohl bei den Ist- als auch bei den Soll-Werten etwas mehr Zustimmung als die Gerichte und sehr viel mehr als die Anwälte (vgl. Helfer/Siebel 1975: 1035). In einer Studie (Backes u.a. 1997: 64f.), die das Verhältnis von Polizisten zu diesen Institutionen behandelt, schneiden die Richter sogar besser ab als die Staatsan254

waltschaft. Die Anwaltschaft war in dieser Untersuchung nicht angesprochen. Auch in weiteren Untersuchungen wurde die Qualität der Zusammenarbeit mit der Justiz erfragt, z.B. im Hinblick darauf, wie die Justiz von der Polizei ermittelte Tatverdächtige behandelt. Einer Publikation von Brüsten (1985), der Daten aus den siebziger Jahren zugrunde liegen, ist zu entnehmen, dass Polizisten mehrheitlich finden, dass die Justiz im Umgang mit Tatverdächtigen zu milde ist.179 Überdies stimmte bei der Erhebung von Helfer/Siebel (1975) ein recht hoher Anteil von rd. 18% der Aussage zu, ein gerichtlicher Freispruch sei eine Art Niederlage für die Polizei, die das belastende Material gegen einen Angeklagten zusammengetragen hat. Weitere 26% gaben sich bei dieser Frage unentschieden. 180 Solcherlei skeptische Einschätzungen der Arbeit der Justiz wiederholen sich in Umfragen jüngeren Datums. Laut Schüller (1991: 397, 349) fühlen sich 19,8% der Polizisten von der Justiz „gar nicht" unterstützt und laut Lesnik (1998) bewerten 30% der befragten Polizeischüler die Arbeit der Justiz als „unzureichend". Darüber hinaus wird in vielen Aufsätzen (z.B.: Jaschke 1994a, 1994b; Schwind 1996; Lazai 1997; Die Neue Polizei 1992a, 1992b) zum Verhältnis von Justiz und Polizei zueinander betont, dass ein Freispruch ermittelter Tatverdächtiger Polizisten ihre Arbeit sinnlos erscheinen lässt und die daraus entstehenden Empfindungen der Ungerechtigkeit werden teils im Zusammenhang mit polizeilichen Gewalttaten diskutiert (Willems/Eckert/Jungbauer 1996). Polizisten gilt Gewalt in solchen Fällen als eine Art Ersatzstrafe, etwa mit der Begründung: „Die Prügel hat er, die nimmt ihm keiner mehr" (Polizist in: Willems u.a. 1996: 29). Der Illustration solcher Auffassungen sollen folgende der Literatur entnommene Zitate dienen. Beim ersten handelt es sich um eine Passage aus der Publikation eines Kriminalbeamten (Schaap 1994), beim zweiten um die Meinungsäußerung eines von Korfes interviewten ostdeutschen Polizisten (Korfes 1997), der die augenblickliche Situation mit den Handlungsweisen der Justiz vor der Wende vergleicht: Solche Rechtskonstruktionen sind nicht nur geeignet, Opfer und ihre schlimmen Schicksale nachträglich zu verhöhnen; als un- oder mittelbar Beteiligter - ich spreche wiederum aus der Sicht des Kriminalbeamten - möchte man zudem noch vor Scham in den Boden versinken. Kann es Recht sein, eine Aussage des Tatverdächtigen mit

179

91% meinten, Rechtsbrecher würden zu weich angefasst. Der sehr hohe Prozentsatz resultiert allerdings auch daraus, dass die Polizisten mit suggestiven Statements konfrontiert 180wurden (vgl. Brüsten 1985).

Stimme voll zu 7,5%, stimme eher zu 10,4%, teils-teils 26,5%, lehne eher ab 23,4%, lehne voll ab 29,6% (Helfer/Siebel 1975: 1044). Diesem Thema verwandte Fragestellungen führten zu folgenden Ergebnissen: „Das Haftrecht macht es dem Richter zu leicht, Untersuchungshaft anzuordnen": 79,9% Ablehnung (Helfer/Siebel 1975: 1063). „Es kann nichts schaden, wenn manche Straftäter von der Polizei im Ermittlungsverfahren etwas härter angefaßt werden, da sie von den Gerichten mangels Beweisen sowieso freigesprochen werden": 18,9% Zustimmung, 17,3% teils-teils, 60.7% Ablehnung (Helfer/Siebel 1975: 1034).

255

formal-juristischen Fallstricken gegenstandslos zu machen, eine Aussage die (...) Täterwissen enthält und damit in jedem Fall wahr ist? Wie ist es möglich, daß man sich statt auf die Aufklärung der vom Täter begangenen Straftat immer fragwürdigerer Raffinessen bedient, um die polizeiliche Ermittlungsarbeit zum eigentlichen Gegenstand des Prozesses zu machen? (Schaap 1994: 585) Und das schlimmste, was heute ist, ist natürlich die Justiz, nich, das ist ja die reinste Katastrophe, nich. Also sie haben Leute hier, die sind vierzig Mal gestellt worden, Jugendliche mit einem geklauten Auto, hier in X hier gibt es regelrechte Banden oder so. Rein, Vernehmung ((pfeift)), raus. Nimmt der sich das nächste Auto und so geht das ... immer weiter. Wäre ja früher undenkbar gewesen, ne. (...) Nun frage ich mich, was das noch soll. (Polizist in: Korfes 1997: 302; vgl. Korfes 1995) Vor diesem Hintergrund wirken viele der von den südamerikanischen Polizisten vorgebrachten Anschuldigungen an die Justiz vertraut. Z.B. lasten die Chilenen der in ihren Augen zu milden Justiz den Kriminalitätsanstieg der letzten Zeit an (vgl. Kap. 4.2.3.), insbesondere finden sie die Behandlung jugendlicher Straftäter unverständlich, da diese einen erheblichen Anteil der Kriminalitätsbelastung produzieren. Gerade für sie fordern sie härtere Strafen. Das Problem ist das chilenische Recht. Wir können unsere Arbeit gut machen, den Verbrecher festnehmen, dem Richter übergeben, aber die Richter sind es, die die Sache verbocken, sie urteilen nicht richtig, dass man für das büßt, was man getan hat, vieles lassen sie im Sande verlaufen. (C 2) Ich denke, ein Jugendlicher mit 16 oder 17 Jahren hat bereits einen Verstand, er weiss, was er tut, ein 12-jähriger weiss, was gut und schlecht ist, er wird noch nicht bestraft (...). Heutzutage sind fast alle Verbrecher Jugendliche, ein 15-jähriger, der schon gemordet hat und man tut nichts, weil er jung ist, das Gesetz ist zu lasch. (C 7) Aus meiner Sicht werden die meisten Verbrechen von Mindeijährigen begangen, (...) jünger als 17 und sie anonymisieren ihre Namen mit J. J. oder so181 (...) und warum gibt es soviel Verbrechen? Weil das Gesetz sie schützt, es gibt ein Gesetz, das die Jugendlichen schützt, sie kennen dieses Gesetz auswendig. (...) Als ich die Polizeischule abgeschlossen habe, wusste ich sehr wenig über die Gesetze, das musste ich draußen lernen und diese 12- oder 13-jährigen Kinder haben es mir beigebracht „(...) Sie dürfen mich nicht schlagen, wenn Sie mich schlagen, zeige ich Sie an und Sie werden entlassen". (C 5) Tab. 43:

Chile und Bolivien: B e h a n d l u n g Krimineller v o r G e r i c h t zu liberal

korrekt

zu hart

Chile

58,3%

25%

16,7

Bolivien

51,4%

17,1%

31,4%

181

In Lateinamerika ist es üblich, dass die Namen von Tatverdächtigen in der Presse vollständig ausgeschrieben publiziert werden. Eine Ausnahme davon wird bei Jugendlichen gemacht, bei ihnen werden nur die Initialen der Namen veröffentlicht. Diesen Hinweis verdanke ich René Steinitz.

256

Über die Hälfte der chilenischen und bolivianischen Interviewten gaben als Antwort auf eine entsprechende Frage in den Fragebögen an, dass die Gerichte Angeklagten gegenüber zu liberal seien und höchstens ein Viertel fand die dortige Behandlung korrekt (Tab. 43). Warum ausgerechnet in Bolivien ein relativ hoher Prozentsatz der Polizisten angibt, die Gerichte seien zu hart, ist schwer zu klären,182 wesentlicher ist aber ohnehin, dass diese Bewertung der Gerichte ebenfalls als Kritik an der Justiz gelten kann. Hervorzuheben ist der Unterschied zu Venezuela: in dem gesamten Interviewmaterial aus diesem Land findet sich nicht eine einzige Passage, in der einer der Polizisten mit der Arbeit der Justiz einverstanden wäre. Alle venezolanischen Polizisten, die sich zu diesem Thema äußerten, wünschten sich eine härtere Bestrafung der Kriminellen. Inhaltlich argumentieren die Venezolaner zum einen Teil ähnlich wie die bereits zitierten Chilenen: es geht um die ihrer Ansicht nach zu milden Jugendstrafen. Zum anderen Teil klagen die Polizisten aus Caracas außerdem darüber, dass die Gerichte und die Policia Judicial (Kriminal- bzw. Justizpolizei), die die Fälle von der Policia Metropolitana übernimmt, Tatverdächtige zu schnell frei lassen, sei es, weil die betreffenden Institutionen überlastet sind, sei es, weil die Gefängnisse überfüllt sind, sei es, weil Korruption im Spiel ist. Folgende Zitate stellen eine kleine Auswahl sehr vieler Textstellen ähnlichen Inhalts dar: Es ein 17. Dezember (...), aber am 6. Januar war der Delinquent wieder auf freiem Fuß. Der Beamte konnte herausfinden, dass es der Cousin eines Richters war (...). Mehrmals wurden die zwei Beamten, die an dem Einsatz beteiligt waren, vor Gericht gerufen (...), „solche Verhöre dauern länger, als die Zeit, die der Verbrecher eingesperrt war". (V 20) Die Kurse (fiir Polizisten) werden die Mechanismen nicht verbessern, sondern Rechtsreformen, vor allem in Bezug auf die Minderjährigen. Er sagt wörtlich: „ich hoffe dass Jugendliche härter bestraft werden". (V 40) Er sagt „mir würde es gefallen, wenn sie mich wie einen Verbrecher behandeln würden". Die Gerichte sind nachgiebig, die Anstrengungen der PM bei Festnahmen sind größer als die der Gerichte oder der PTJ (Kriminalpolizei), so dass sie wieder freigelassen werden. Es geht korrupt zu. (V 3)

Das letzte Zitat, in dem betont wird, dass bei Entlassungen aus dem Gefängnis oder wenn Verfahren fallen gelassen werden nicht selten Korruption im Spiel ist, könnte auch aus Bolivien stammen. Dort war der Verweis auf Korruption sogar der am häufigsten genannte Grund dafür, dass die Polizisten mit der Justiz unzufrieden sind (z.B. B FB: die Gerichte behandeln die Kriminellen „nicht 182

Dies wird v.a. mit der spezifischen Zusammensetzung des bolivianischen Samples zusammenhängen. Dort wurden zum einen Polizisten aus der Offiziersausbildung und zum anderen einfache Straßenpolizisten befragt. Erstere waren mehrheitlich der Meinung, die Strafen seien zu milde, zweitere häufig der Ansicht, die Strafen seien zu hart. Außerdem sind die einfachen Straßenpolizisten meist indígenas und Mitglieder ihrer Zugehörigkeitsgruppe haben unter den Selektionstendenzen der Justiz besonders zu leiden.

257

korrekt, wegen Korruption"). Bei den Carabineros war dagegen nie von einer korrupten Justiz die Rede. Tab. 44:

Chile und Bolivien: Sollten vor Gericht Aussagen von Polizisten mehr gelten als die normaler Bürger ja

Chile Bolivien

nein

91%

9%

91,5%

8,5%

Zum Umgang der Justiz mit Tatverdächtigen meinte ein bolivianischer Polizist außerdem, bei Strafverfahren ginge es „nicht korrekt zu, weil sie (die Kriminellen) mehr Privilegien oder Rechte genießen als die Polizisten" (B FB). Auf die Relation von Rechten der Polizisten zu Rechten von Tatverdächtigen, Zeugen u.a. zielt auch eine in die Fragebögen aufgenommene Frage. Die Polizisten sollten dort angeben, ob Aussagen von Polizisten von Gerichten als glaubwürdiger eingestuft werden sollten als die anderer Bürger (Tab. 44). Im Ergebnis bejahte die überwiegende Mehrheit der befragten Polizisten dies. Die wenigen, die verneinten und nicht für sich in Anspruch nahmen, besondere Glaubwürdigkeit zu besitzen, haben ihre Entscheidung selten begründet. Frappierend ist, dass nur ein einziger Interviewter als Reaktion auf diese Frage auf den Gleichheitsgrundsatz verwiesen hat: „Vor dem Gesetz sind wir alle gleich" (B FB). Die Erklärungen jener, die meinen, dass das Wort eines Polizisten vor Gericht besonderes Gewicht haben sollte, lauten meist, sie hätten durch ihre Ausbildung eine höhere Qualifikation, eine bessere Beobachtungsgabe usf., auf die man vertrauen könne. So äußerten die bolivianischen Polizisten,183 sie seien „qualifizierte(re) Zeugen", man müsse „einfach auf ihre Professionalität vertrauen" und dies gelte wenigstens „innerhalb ihres Fachgebiets oder ihres Berufs, bei der Ermittlung eines Delikts" (B FB). In Venezuela meinten alle entsprechend Befragten, dass ihre Aussage mehr Wert habe als die anderer Bürger und ihre Erläuterungen klingen ähnlich wie die der Bolivianer: Die Worte eines Polizisten sollten mehr Gewicht haben, weil die Kurse, die er bei der Polizei gemacht hat, und seine Erfahrung ausreichen, um ihn zum Spezialisten in seinem Arbeitsgebiet zu machen. Er ist kein normaler Bürger, wenn er Uniform trägt. (V 4) Der Inspektor findet, dass ein Polizist ein „Führer" ist, weil er (schwierige) Situationen meistert. So soll das gesehen werden und natürlich muss man dem mehr Wert beimessen als bei einem normalen Bürger. (V 2)

In den bundesdeutschen Studien über die Polizei wurden keine entsprechenden Fragen gefunden, aber Backes u.a. (1997: 65) schneiden das Thema des „Kräfteverhältnisses" zwischen den Eingriffsbefugnissen der Polizei und den Rechten 183

Die Chilenen haben bei dieser Frage ihre Einschätzungen nicht begründet.

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der Tatverdächtigen an. Es wird von 38% der Polizisten als „gerecht und angemessen" bewertet, 49% sind unentschieden und 13% der Ansicht, dass es „ungerecht und unangemessen" sei. Einer anderen Studie ist zu entnehmen, dass 63,7% der dort befragten Polizeischüler meinen, dass „Straftäter mehr Rechte in Anspruch nehmen (können) als Polizeibeamte" (Lesnik 1998). Die Ergebnisse dieser zwei Studien sind untereinander wegen der differenten Fragestellungen natürlich nicht direkt vergleichbar, sie zeigen aber doch auf, dass auch unter deutschen Polizisten im Hinblick auf die ihnen zugestandenen Rechte ein gewisses Unzufriedenheitspotential auszumachen ist. So ausgeprägt wie in den untersuchten lateinamerikanischen Ländern ist es aber nicht. Das Rechtsstaatsprinzip der BRD wird von den dortigen Polizisten zudem zur Selbstverteidigung eingesetzt. So verweisen die in den verschiedenen Organen der deutschen Polizei publizierenden Autoren auf die zuverlässige Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik, wenn Freisprüche oder Verfahrenseinstellungen gegenüber angeklagten Polizisten verteidigt werden. Gezeigt werden kann dies z.B. anhand der Auseinandersetzungen um die Vorwürfe von amnesty international gegen die Polizei der BRD (vgl. Kap. 1.2.1.): „Selbst amnesty gibt zu, dass in allen ihr bekannt gewordenen Fällen Ermittlungsverfahren eingeleitet worden waren. Wenn diese Organisation staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und Gerichtsverfahren nicht mehr traut und der Bundesrepublik Deutschland die Rechtsstaatlichkeit abspricht, läuft sie Gefahr, als Gesprächspartner nicht mehr ernst genommen zu werden" (Holecek 1995a: 3; vgl. Lutz 1995: 4). Dabei handelt es sich zwar einerseits um ein leicht zu durchschauendes Argumentationsmanöver, andererseits wird aber deutlich, wie stark das Argument der rechtsstaatlichen Verhältnisse in der BRD wirkt und dass die deutsche Polizei sich auf diese Wirkung verlässt. Des Weiteren fühlen sich Polizeibeamte lt. Backes u.a. von Richtern und Staatsanwälten mehrheitlich (62%) fair und gerecht behandelt, wenn sie in einem Prozess als Zeugen geladen sind (Backes u.a. 1997: 65). Dies ist in Venezuela völlig anders. Die interviewten Mitglieder der Policia Metropolitana haben sehr oft von sich aus erzählt, wie sie sich vor Gericht als Zeuge oder Angeklagter behandelt fühlen und sie lassen dabei kein gutes Haar an der venezolanischen Justiz. Mitgliedern des Justizwesens wird Bestechlichkeit vorgeworfen und wenn Angehörige von Richtern, Staatsanwälten oder Anwälten in die zu verhandelnde Sache verwickelt sind, würden Prozesse häufig und ungerechtfertigterweise zu Lasten der beteiligten Polizisten ausgehen. Wenn ich jemand auf der Straße festnehme, durchsuche ich ihn vorsichtshalber. Wenn er fünf, sechs oder sieben Steine (Crack) hat, nehme ich ihn mit und wenn der Kerl Sohn eines Anwalts ist, weiß ich, dass ich bei der nächsten Schicht ins Büro zitiert werde, Kündigung oder Versetzung. Ich mag solche Ungerechtigkeiten nicht. (V 46) Es ging um einen Jugendlichen, der einmal einer Patrouille aufgelauert hatte (...), als sie ihn erreichten gab es einen Schusswechsel zwischen dem Jugendlichen und der Polizei. Im Endeffekt wurde der Jugendliche erschossen (...). Überraschenderweise stellte sich heraus, dass der Junge mit einem Staatsanwalt des Ministeriums verwandt war und die

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Akten bei der PTJ wurden gefälscht. Laut den Akten haben die Polizisten den Jugendlichen umgebracht und den Verletzten mit einem Motorrad überfahren, um sicherzustellen, dass er tot ist. Der Beamte versichert nachdrücklich, dass es nicht so war, weil er bei dem Einsatz dabei war und der Jugendliche nur eine Kugel in der Stirn hatte. Der Beamte erzählt mit Unverständnis, dass der Polizist, der geschossen hatte, ein Jahr eingesperrt wurde. (V 47)

Egal welcher Version des Geschehens man im zuletzt zitierten Fall Glauben schenken möchte, erscheint die erwähnte Strafe sehr milde, zumal Schüsse in die Stirn als Indiz für intentionale Tötungen gelten können. Die Polizisten selbst empfinden die Strafen, von denen angesichts der vielen Geschichten über polizeiliche Gewalt nur selten berichtet wird, meist als ungerecht, weil sie ihrer Meinung nach die alltägliche Gefährdung im Streifendienst nicht angemessen berücksichtigten: Notwehr sei häufiger nötig, als die Richter glauben. Wenn man in den folgenden Geschichten die zugrunde liegenden Taten der Polizisten und das Strafmaß zueinander in Bezug setzt, entsteht dieser Eindruck bei Außenstehenden allerdings kaum. Nach einer lt. der Erzählung umstandslosen Erschießung eines bekannten Mörders von 16 Jahren: „Wegen dem Ausgang des Einsatzes ernannten sie ihn zum „Polizisten des Monats", sie gaben ihm nur eine Urkunde mit diesem Titel. Er findet, dass die PM hohe Belohnungen vergeben sollte, zum Beispiel einen Hin- und Rückflug auf die Isla Margarita (Ferieninsel vor der Küste von Caracas) und täglich 30.000 Bolívares für den Privatverbrauch. Im folgenden Jahr wurde er wegen Mord angeklagt. Er war zweieinhalb Monate im Gefängnis." (V 31) Der Beamte bezeugt, dass der Typ (ein Passant) ihn verbal angegriffen hat. Als der Passant sich umdrehte und weiterging, nahm er seine Waffe und verletzte ihn. Am nächsten Tag bekam er eine Vorladung (...). Schließlich musste er sich auf Anordnung des zuständigen Richters alle 8 Tage am Gericht melden und bekam ein Jahr lang keinen Lohn. Die Anwältin der PM kam nur einmal zum Gericht (...), er glaubt, die Umstände seien für Polizeibeamte sehr schwierig. (V 43)

Zwei interessante Erzählungen demonstrieren sehr spezielle Methoden der Polizisten, Strafen abzuwehren. Ein Polizist kündigt an auszuwandern, sobald ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt wird, ein anderer geht den psychologischen Weg. Er definiert die Strafe für sich persönlich als Gewinn um. Er sagt, dass er nicht weiß, wie er das Problem mit dem Gericht lösen soll, obwohl sein Vater bei der PTJ war und seine Brüder Anwälte sind, sie haben keine Zeugenaussagen für ihn (...). Die Geiseln und Zeugen wollen sich nicht einmischen und wenn sich diese Sache nicht so bald wie möglich klärt, so hat er bereits einen Antrag für ein Visa für Kanada, wohin er gehen wird, bevor ein Haftbefehl ausgestellt wird. (V 14) Er wusste, dass er die Studenten zur nächsten Wache der PM bringen musste, damit der diensthabende Beamte informiert ist. Als sie hinkamen, war nur ein Polizist da (...) und er dachte, dass es nicht gut ist, die vier Studenten bei nur einem Polizisten zu lassen. Da die Probleme auf dem Gelände der Universität andauerten, beschloss der Interviewte,

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die Studenten am Rand der Autobahn abzusetzen. In den folgenden Tagen kamen Anschuldigungen im Radio (...), der PM wurde vorgeworfen, Beamte hätten einige Studenten entfuhrt und sie würden keine Informationen über sie herausgeben (...). Am dritten Tag erschien ein Artikel in der Presse, in dem einer der „Kapuzenträger" mit einer unordentlichen rasierten Frisur und zwei Röntgenbildern abgebildet war, die einen Schädelbruch zeigten. Die Aussagen des Studenten in unterschiedlichen Medien lauteten, dass die Beamten der PM sie geschlagen hatten (...). Die PM ließ eine kriminalpolizeiliche Ermittlung einleiten, die ohne Ergebnis blieb ( . . . ) . Obwohl die Presse keinen Wirbel um die Sache machte, wurde der Interviewte bestraft. Er wurde zu einer der Einheiten von La Guaira (Küstenstadt) versetzt. Anfangs fand er die Entscheidung ein wenig ungerecht, aber mit der Zeit gefiel es ihm, in La Guaira zu arbeiten (...). „Sie haben mir einen Gefallen getan, ich hatte den Strand in der Nähe und trug fast die ganze Zeit Shorts." (V 18)

4.3.2. Unausgewogene Medienberichterstattung? Neben der Justiz sind die Medien ein wichtiges Kontrollorgan der Polizei. Deren Berichte über die Polizei werden aber von vielen Polizisten sehr kritisch bewertet. In der B R D betonen Polizeibeamte in öffentlichen Äußerungen zwar, dass sie die Kontrollfunktion der Medien selbstverständlich akzeptieren und keine Feindbilder aufbauen wollen, aber die Darstellung der Polizeiarbeit in den Medien ist oftmals Anlass für beträchtlichen Ärger. So schreibt etwa ein Autor im Fachmagazin Kriminalistik: „Ich weiß inzwischen, daß investigativer Journalismus ein unverzichtbarer Bestandteil einer funktionierenden Demokratie ist." „Wer aber, so frage ich mich immer wieder, schiebt die Dinge an? Wer liefert die ,skandalträchtigen' Informationen?" „Gemeint sind hier jene Nickeligkeiten, die erst zum Skandal hochgeputscht werden, die tagelang oder (...) wochenlang von den Medien ausgewalzt werden, ohne daß sich an der Substanz irgendetwas ändert." Und er fügt die Mitglieder der eigenen Institution kritisierend an: „Ich werde den Verdacht nicht los, daß der berühmt-berüchtigte Scheckbuchjournalismus inzwischen auch in den Reihen der Polizei nicht mehr gar so verachtet ist, wie es ihm zukäme" (Loos 1989: 121). Besonders verbittert Polizisten, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen (vgl. Stockmann 1996; Scholzen/Froese 1996; Stümper 1994; Dalski 1992; May 1993; Schmidt 1996; Die Streife 1994c: 2). Dies sticht v.a. bei Auseinandersetzungen über von Polizisten vermeintlich ausgeübte Gewalttaten ins Auge. Ein Beispiel dafür sind die Artikel in Polizeizeitschriften, die sich mit den im vorigen Kapitel (4.3.1.) erwähnten Berichten von amnesty international beschäftigen. In ihnen beschweren sich Polizisten darüber, dass zwar die mutmaßlichen Taten, nicht aber die Freisprüche und Verfahrenseinstellungen gegenüber angeklagten Polizisten breit publiziert worden seien (Holecek 1995a; Lutz 1995; Deutsche Polizei 1996a: 12ff). Ein weiteres Beispiel ist ein Fall (Bad Kleinen), bei dem Polizisten bei einer versuchten Festnahme einen mutmaßlichen Terroristen getötet haben. Die öffentliche Kritik an der polizeilichen Vorgehensweise, so meinen einige Vertreter der Polizei, stehe in einem ungerechten Verhältnis zu

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der quantitativ kaum ins Gewicht fallenden Berichterstattung über einen Polizisten, der sein Leben beim selben Einsatz ließ (z.B.: Zimmermann 1993). Dazu sei ausfuhrlich der Präsident des BKA zitiert: Die Landespressegesetze „verpflichten die Behörden zur Information der Pressevertreter. Diese Verpflichtung kollidiert gelegentlich mit polizeilichen, vor allem aber mit kriminalistischen Interessen, was dann regelmäßig zu Verärgerung und gelegentlich auch zu ,Retourkutschen' der Presse fuhrt" (Zachert 1994: 682). Und speziell zu Bad Kleinen: „War das ,Desaster' von Bad Kleinen ein ,PR-Fehler* bzw. eine ,Medienpanne'?" „Bei nüchterner Betrachtung und Analyse der Presseveröffentlichungen zu Bad Kleinen und ihrer Gegenüberstellung zu den eben aufgeführten .Schwachstellen' muss man sich die Frage stellen, ob die Berichterstattung ein ,GAU des deutschen Journalismus' (H. Lösch) war, ob nicht die Liste der ,Pannen und Fehler, Halbwahrheiten und Ungereimtheiten, Spekulationen und Falschmeldungen' der Medien wesentlich länger ist als die, welche den betroffenen Behörden nachgesagt wird" (Zachert 1994: 687). Die Perspektive der Gegenseite zum grundsätzlichen Thema dieser Diskussion (d.h. nicht speziell zu Bad Kleinen) soll nicht verschwiegen werden, da sie aufzuzeigen vermag, wo die Konfliktlinie zwischen Polizei und Medienvertretern verläuft. Beispielsweise meint ein Reporter man könnte verschiedentlich den Eindruck gewinnen, es gäbe ein Feindbild zwischen Polizisten und Journalisten, weil „Journalisten von Polizisten an ihrer Arbeit gehindert" (Viel 1996: 7) werden. „Nicht selten werden Reporter dabei geschlagen, verprügelt, mißhandelt" (Viel 1996: 7), aber er fügt zugleich einschränkend an, er sei sich bewusst, dass der Fall, um den es aktuell ging, ein Extremfall war. Im Folgenden formuliert er Ratschläge für den Umgang der Polizei mit Medienvertretern. Als ideal kennzeichnet er freundschaftliche Beziehungen zwischen Polizeireportern und Polizisten, da sie die Arbeit positiv beeinflussen würden und er schlägt vor: „Jeder Polizist sollte sich bei seiner Amtsausübung vorstellen, hinter ihm würden seine Kollegen gerade einen Werbefilm für die Polizei drehen ..." (Viel 1996: 7). Vielleicht sind es solche Ansprüche, die Polizisten gegen Massenvertreter aufbringen. Tab. 45:

Chile, Bolivien und Venezuela: Darstellung der Polizeiarbeit in den Massenmedien sehr gut

gut

indifferent

schlecht

Chile

8,3%

33,3%

16,7%

25%

Bolivien

3,7%

2,5%

12,5%

42,5%

Venezuela

12,5%

6,2%

sehr schlecht 16,7% 38,7% 81,2%

Verlässt man die Ebene der in Fachzeitschriften publizierten Äußerungen von Polizeibeamten und betrachtet, was Polizisten laut empirischen Studien von der Medienberichterstattung halten, so zeigt sich in allen Erhebungen dasselbe Bild: 91,4% finden, dass die Medien den Polizeiberuf nicht objektiv darstellen (Les-

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nik 1998: o.S.); 63,8% meinen, dass die Arbeit ihrer Dienststelle öffentlich nicht angemessen gezeigt wird (Kommission Innere Führung 1997: 52); 87% halten Medienberichte über polizeiliche Übergriffe für übertrieben (Diederichs 1995a: 47); 74,8% sagen, die Berichterstattung sei „stark verfälschend" oder „total falsch", nur 1,5% halten sie für „fair und angemessen" (Schüller 1991: 348, 397); 71% glauben, die Polizei käme im Hinblick auf Artikel über Ausländerfeindlichkeit „immer schlecht weg" (Backes u.a. 1997: 51); 4 2 % sind schließlich der Meinung, dass wenigstens manche Publikationsorgane zutreffend berichten (Backes u.a. 1997: 51). Abgesehen von der letzten Angabe zeigt dies, wie negativ der Eindruck der deutschen Polizisten von der öffentlichen Berichterstattung über ihre Arbeit ist (vgl. Backes u.a. 1997: 39f., 41). Deshalb ist es kein Wunder, dass sie den Einfluss der Presse auf ihre Arbeit lieber reduziert sehen wollen (Helfer/Siebel 1975: 1035). Wie die Tabelle 45 zeigt, sind lateinamerikanische Polizisten mehrheitlich mit der Medienberichterstattung ebenso wenig einverstanden wie ihre deutschen Kollegen. Nur die Chilenen können den Medien zu einem nennenswerten Anteil Positives abgewinnen. Diese finden, dass die Realität insgesamt angemessen dargestellt wird: Sie zeigen das, was wirklich passiert. (C FB) Weil gute Leistungen veröffentlicht werden, aber auch schlechte. (C FB)

Auch einige wenige Venezolaner äußern sich lobend über die Medien, der Unterschied zu den Chilenen liegt aber darin, dass sie das nicht in Bezug auf die gesamte Medienberichterstattung tun, sondern Einzelfälle ansprechen. Meist geht es um spezielle Einsätze, an denen sie selbst beteiligt waren und die in Presseartikeln positiv besprochen wurden. Sie veröffentlichten ein Dankesschreiben in der Presse. (V 43)

Abgesehen von den eben zitierten Polizisten sind aber alle Interviewten, die sich über Massenmedien äußern, einhellig kritisch. Die Argumente, die vorgebracht werden, sind dieselben wie in der Bundesrepublik: mittels der Artikel werde manipuliert, sie verdrehten die Tatsachen und verunglimpften die Polizeiarbeit. Des Weiteren würden die Medienvertreter dazu neigen, Verfehlungen einzelner „schwarzer Schafe" pauschal der gesamten Institution zuzurechnen. Sie zeigen nur die Handlungen der Carabineros, Carabineros kamen. (C FB)

nicht das, was passiert ist, bevor die

Die Presse verdreht Nachrichten über die Carabineros wirklich sehr (...), plötzlich wechseln sie das eine oder andere Wörtchen aus und es kommt heraus, dass die Carabineros nichts tun (...). Manchmal haben die Carabineros den Befehl, keine Nachrichten auszugeben, einen Ort für die Presse abzusperren und die Presse ist, schön, es ist auch ihr Beruf und sie müssen gründlich recherchieren (...), am Ende erfinden sie etwas (...) und behaupten die Carabineros, irgendein Beamter hätte es ihnen gesagt und manchmal ist es gelogen. (C 8)

263

Es gibt zu wenig echte Informationen in der Presse und außerdem Kommunikationsmedien, die es so machen, dass die Bürger sich gegen die Polizei stellen oder die Idee verbreiten, die Polizisten seien „der Bösewicht im Film". (V 5) Wenn einer einen schlechten Einsatz hatte, beschuldigen sie die ganze Institution. (B FB) Darüber hinaus beschwert sich ein Teil der Polizisten darüber, dass die Medien die Kritik an misslungenen Einsätzen der Polizei einseitig übertreiben, positive Leistungen der Polizei würden dagegen kaum erwähnt werden. Sie greifen uns die ganze Zeit an, suchen das Schlechte. (B FB) Wenn Carabineros etwas Gutes tun (...), es erscheint als kleiner Untertitel in der Zeitung, aber wenn Carabineros Fehler begehen, nicht wahr? erscheint es auf der Titelseite (...). Es ist gut, dass die Leute sehen, dass auch Carabineros Fehler machen, aber es ist auch schlecht, weil die Leute das Vertrauen in die Carabineros verlieren, wenn sie Fehler machen. (C 1) Sie (eine Polizistin) hat ihm vertraut und der Kerl hat sie umgebracht (...), aber die Zeitungsberichte waren kaum der Erwähnung wert, für so etwas gibt es keine Großbuchstaben, sondern sehr kleine. (V 6) Zu den Medien meint er, dass sie die kleinsten Ereignisse aufbauschen. In Wirklichkeit sind die Dinge nicht wirklich so, wie sie von der Presse beschrieben werden. Das ist schade und das Schlimmste ist, dass das die Wahrnehmung der Bürger beeinflusst. (V 5) Ein anderer Teil der Polizisten meint im Gegensatz dazu zwar, dass auch positiv e Leistungen der Polizei dargestellt werden, dabei würde aber ebenso übertrieben werden, w i e bei schlecht verlaufenen Einsätzen. Weil die Presse uns rühmt, wenn wir etwas gut machen und uns niedermacht, wenn es schlecht läuft. (B FB) Es gibt Tage, an denen sie uns hochloben und Tage, an denen sie uns niedermachen. Es gibt Tage, an denen im Fernsehen gezeigt wird, dass die Carabineros Gutes tun (...) und am nächsten Tag wird alles, was sie am Vortag behauptet haben, zunichte gemacht. Sie sind unzuverlässig, ich finde sie sollten eine einheitliche Linie verfolgen. Sie sollten weder zu sehr loben noch zu sehr diffamieren. (C 2) Wenn ein Polizist stirbt, ist die Reportage sehr klein, wenn es um eine „verlorene Kugel" (Querschläger) der PM geht, füllt die Nachricht eine gesamte Zeitungsseite. (V 3) Der Hauptgrund für die unfaire Berichterstattung ist, so einige Mitglieder der Carabineros de Chile, dass die Medien in erster Linie ihre Verkaufszahlen im Blick haben, die sie mit Skandalberichten in die Höhe zu treiben versuchten. A n echte Aufklärung dächten sie dagegen nicht. D i e s schade der Polizei und behindere ihre Arbeit, weil es das Vertrauen der Bürger in die Polizei beeinträchtige.

264

Die Medien, glaube ich, manipulieren stark (...), um polemisieren zu können, um mehr verkaufen zu können. Sie fragen und fragen, bis der Interviewpartner irgendetwas Provokantes sagt (...), sie suchen die Polemik um mehr zu verkaufen, ihr Geschäft ist es, zu verkaufen, ihr Produkt ist die Information. (C 3)

4.3.3. Rückendeckung durch die Politik? Über das Verhältnis von Polizisten zur Regierung ihres Landes sowie zu Politikern und politischen Parteien gibt es schon in der BRD nicht allzu viel empirisches Material und die in Südamerika befragten Polizisten antworteten auf solche Fragestellungen eher zögerlich, knapp und unpräzise (s.u.). Dennoch sollen die wenigen Informationen an dieser Stelle zusammengetragen werden. Einige Daten zur Situation in Deutschland können der älteren Studie von Helfer/Siebel (1975) entnommen werden. Damals sollten Polizisten innerhalb einer längeren Liste von Institutionen angeben, welchen Einfluss diese ihrer Ansicht nach „augenblicklich" auf die Polizei haben und welchen Einfluss sie haben sollten. Unter den aufgezählten Institutionen waren sowohl die Bundes- und Landesregierungen als auch die politischen Parteien. Dabei ist es interessant zu sehen, dass entsprechend der Organisationsstruktur der deutschen Polizei (vgl. Kap. 3.1.2.) die Länderregierungen sowohl bei den Ist- als auch bei den Sollwerten an erster Stelle standen, dicht gefolgt von der Bundesregierung. Die politischen Parteien wurden erst viel später genannt und ihr Einfluss wurde als größer angesehen als erwünscht (Helfer/Siebel 1975: 1035). Die Anerkennung des Einflusses der Regierung hat bei Polizisten aber keine kritiklose Haltung ihr und Politikern gegenüber zur Folge. Liest man die einschlägigen Polizeizeitschriften und schlägt in anderen empirischen Erhebungen nach, so sind vier Kritikstränge auszumachen: die Politik unternehme zu wenig für die innere Sicherheit; sie misstraue der Polizei zu sehr; sie missbrauche sie als Sündenbock für politisch umstrittene Entscheidungen und sie verteidige die Polizei im Falle öffentlicher Angriffe nicht ausreichend. Dass Polizisten glauben, die Politik vernachlässige die innere Sicherheit, lässt sich an manchen Forschungsergebnissen ablesen. Brüsten meinte 1985 unter Berufung auf älteres empirisches Material, dass rd. 84% der Polizisten die Ansicht vertreten, die politischen Parteien kümmerten sich zu wenig um die innere Sicherheit (Brüsten 1985). Dieser hohe Prozentsatz mag damit zu tun haben, dass es um Parteien ging, aber es ist auch in neueren Publikationen feststellbar, dass sich der Vorwurf der unzureichenden Maßnahmen der Politik im Bereich der inneren Sicherheit durch die Polizeizeitschriften zieht (vgl. z.B.: Stümper 1994; Walter 1994). Daran schließt direkt der zweite typische Vorwurf der Polizei an die Politik an. Er besagt im Kern, die Politik lasse dringend notwendige Neuerungen nicht zu, weil sie der Polizei nicht traue. Dieses Argument wird immer wieder dann vorgebracht, wenn die Polizei wünscht, dass ihre kriminalistischen Befugnisse und Handlungsfreiräume um ihrer Effizienz willen ausgeweitet werden, etwa im Hinblick auf die organisierte Kriminalität. Die dabei stets 265

notwendige Neudiskussion der Grenzen des Rechtsstaates wird des Öfteren als Misstrauen der Politik gegenüber der Polizei ausgelegt. In Polizeizeitschriften ist z.B. nachzulesen: „Im rechtspolitischen Bereich ist zunächst ein deutliches Mißtrauen gegenüber der Polizei festzustellen" (Burgmer 1994: 228). Und „Die ,Contrapositionen' sind in der Überzahl und stimmen - von wenigen Ausnahmen abgesehen - in zwei Aspekten überein: Sie sind stets von einem allgemeinen, jedoch kaum belegten Mißtrauen gegenüber der Polizei getragen; und zweitens: polizeitaktische und kriminalwissenschaftliche Argumente bleiben völlig außer Acht" (Burgmer 1994: 230; vgl. Holecek 1995b). Der dritte an die Politik gerichtete Kritikstrang kommt in erster Linie aus den Reihen der Schutzpolizei und von der bei Großeinsätzen tätigen Bereitschaftspolizei. Gerade bei Demonstrationen oder z.B. bei den umstrittenen Atommüll-Transporten haben die Polizisten das Gefühl als „Sündenbock" für politische (Fehl-)Entscheidungen missbraucht zu werden (vgl. z.B. Boland 1987; Willems/Eckert/Jungbauer 1996). Sie meinen, sie müssten auf der Straße vertreten was politisch gewollt, aber nicht angemessen ausdiskutiert ist und von vielen Bürgern abgelehnt wird. Erschwerend kommt hinzu, wenn eingesetzte Polizisten persönlich nicht zu den Befürwortern des fraglichen Projekts gehören (vgl. Willems u.a. 1988). Sie (die Polizisten) sind für die politischen Inhalte nicht verantwortlich. Sie sind Vollzugsorgan. Es ist eine große Versuchung fiir die jeweilige politische Opposition oder widerstrebenden Elemente einer Regierung, ihre parlamentarische Unterlegenheit durch Unterstellungen oder Angriffe auf die Polizei zu kompensieren, aber auch für Amtsinhaber einer Regierung, durch mangelnde Entscheidungsfreudigkeit möglichst viele Türen offen zu lassen, damit sie bei später eintretenden etwaigen Pannen herausschlüpfen können. Darum verstehen die Beamten nicht, warum nicht auch ein Politiker jener Unterscheidung fähig sein kann, die man ihm tagtäglich abverlangt, nämlich zwischen der persönlichen Meinung auf der einen und dem verfassungsmäßigen Auftrag auf der anderen Seite. Auch kann er sich im Einsatz nicht den Luxus eines Hintertürchens leisten. Er muß sich festlegen, oft ohne lange überlegen zu können - reflexartig. (Boland 1987: 24)

Zuletzt, darauf leitet das vorangegangene Zitat bereits hin, wird Politikern vorgehalten, sie würden im Falle öffentlicher Angriffe nicht hinter der Polizei stehen. 184 Besonders heftig angegriffen wurde z.B. die Haltung verantwortlicher Politiker nach einem größeren Polizeiskandal in Hamburg. Ihnen wurde vorgeworfen „Rufmord" an der Polizei zu begehen und sich vorschnell der „Vorverurteilung" von Beamten in den Medien angeschlossen zu haben (vgl. Lutz 1994). Außerdem kann zumindest fiir die Neuen Bundesländer festgehalten werden, dass fast zwei Drittel der Polizisten wünschen, Politiker würden polizeiliche Maßnahmen konsequenter vertreten (Wanderer/Thieme 1992). Dies drückt auch folgendes Zitat aus einer Polizeizeitschrift aus:

184

Die Gegenposition nimmt allerdings die Arbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten ein (Herrnkind 1995b).

266

Wir brauchen wirkliche Polizeifuhrer mit gesundem Augenmaß, Mut und breitem Kreuz und wir brauchen Politiker, die damit leben können, das (sie!) ein Einsatz in relativ seltenen Fällen bei ökonomischem Kräfteeinsatz auch mal schiefgeht. (Jaeger 1997: 270)

Tab. 46:

Chile

Chile und Bolivien: Unterstützung durch die Politik nein

ja

100%

0%

Dass die Kritik an der Politik und an Politikern innerhalb der Polizei keine Minderheitenposition ist, zeigt gleichfalls eine Erhebung von Schüller (1991: 397, 349). Demnach ist nicht einmal 1% der Polizisten der Meinung, dass Politiker ihnen „ziemlich" oder „sehr" zur Seite stehen, über die 51% fühlt sich von ihnen „gar nicht" unterstützt, 38% „etwas". Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse aus Lateinamerika zu sehen (Tab. 46), wo in den Fragebögen eine Frage gestellt wurde, die der von Schüller fast gleicht. In Anbetracht der Sachlage, dass den Polizisten in Bolivien und Chile nur die engere Antwortvorgabe „JaNein" zur Verfügung stand, sind die Ergebnisse denen aus der BRD sehr ähnlich. In allen drei Ländern (BRD, Chile, Bolivien) fiihlen sich nur wenig Polizisten von Politikern unterstützt und soweit das Thema in den offenen Interviews in Venezuela zur Sprache kam, wurde auch dort kritisiert, die Politik lasse die Polizei im Stich. Eine gegenteilige Position wurde überhaupt nicht vorgebracht. Zudem decken die von lateinamerikanischen Polizisten frei formulierten Ausführungen in den Grundzügen dieselben Argumente ab wie in der BRD (s.o.). Von Land zu Land werden aber differente Schwerpunkte gesetzt. In Venezuela wird auffällig oft darauf verwiesen, die Polizei müsse politische Konflikte aussitzen und die Polizei werde als Sündenbock für politische ( F e h l e n t s c h e i dungen missbraucht. Dies dürfte eine Wirkung der dortigen politischen Turbulenzen ab Ende der achtziger Jahre sein, die sich im kollektiven Gedächtnis der Polizisten aus Caracas niedergeschlagen haben. „Dann ist der Polizist der Schuldige", das hat mit seinen Funktionen zu tun und er glaubt, dass „an 80% die Regierung Schuld hat". (V 42) Er sagt (...), dass die Polizei mit Protesten konfrontiert ist, die direkt gegen die Regierung gerichtet sind, aber nicht gegen die Polizei. (V 6)

In Bolivien wird v.a. die Kritik der Politik an der Polizei angeführt, darüber hinaus aber auch die unterstellte Einflussnahme der Politik auf die Polizeiftihrung. Das besondere an den Antworten ist, dass Politikern unterstellt wird, sie würden versuchen, die Polizei für ihr Eigeninteresse einzusetzen. Begründet wurde die Ansicht, die Politik unterstütze die Polizei unzureichend, nämlich folgendermaßen: Es gibt keine Politiker, die wir auf unsere Seite bringen können. (B FB)

267

Weil sie (die Politiker) glauben, dass alles was wir machen schlecht ist. (B FB) Sie nutzen ihre Macht um die Führungskräfte der Polizei zu steuern. (B FB) Nein (es gibt keine Unterstützung), weil die Politiker die Institution ausbeuten. (B FB)

In Chile kreiden die Polizisten der Politik an, dass sie die Polizei zu häufig kritisiert. Inhaltlich klingt das ähnlich wie in der BRD und Bolivien. Darüber hinaus nahmen aber manche Carabineros de Chile die Frage nach der Unterstützung durch die Politik zum Anlass, auf einen „unpolitischen" Charakter der Institution bzw. ihrer Mitglieder zu verweisen. Letzteres hat voraussichtlich mit zwei Spezifika des chilenischen Falls zu tun. Zum einen ist es eine Einstellungsvoraussetzung bei den Carabineros, keiner politischen Partei anzugehören und sich als politisch neutral zu definieren (vgl. Kap. 3.2.3.). Zum anderen ist und war Chile zum Zeitpunkt der Interviews um der Person und Funktion Pinochets wegen in zwei Lager gespalten, die sich heftig befehden und regelmäßig zu Demonstrationen führen, mit denen die Carabineros wiederum umzugehen haben (vgl. Kap. 1.2.4.). Weil sie uns nur kritisieren und uns nicht unterstützen. (C FB) Weil sie nicht immer mit den Taten der Carabineros einverstanden sind. (C FB) Weil die Institution unpolitisch ist. (C FB) Ich hing nie von ihnen (den Politikern) ab, ich bin unpolitisch. (C FB)

Die Distanz der Carabineros gilt dabei eher den politischen Parteien als der Regierung. Das ist zwar auch in der BRD (s.o.; Helfer/Siebel 1975: 1035) und in Bolivien (Tab. 47) der Fall, in Chile ist dieses Phänomen aber wesentlich ausgeprägter. Fragt man nach dem gewünschten Einfluss verschiedenster Institutionen, so erreichen die politischen Parteien gegenüber den Regierungen in der BRD und in Bolivien mäßige, aber immerhin mittlere Plätze, in Chile werden sie dagegen auf den allerletzten Rang gesetzt: 185 Keiner der Carabineros würde ihnen eine wichtigere Rolle einräumen. Tab. 47:

Chile und Bolivien: Gewünschter Einfluss der Politik auf die Arbeit der Polizei Chile mehr

Bundesregierung

80%

Landesregierung politische Parteien

Bolivien weniger

mehr

weniger

20%

93%

7%

70%

30%

72%

28%

0%

100%

46%

54%

18S Gefragt wurde außer nach den in der Tab. 58 abgebildeten Institutionen nach der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Kirche, Gewerkschaften usw. vgl. Kap. 2.2.5.

268

4.3.4. Militarisierte Polizei oder das Militär als (Hilfs-)Polizei? Wegen der starken Stellung, die das Militär in lateinamerikanischen Staaten einnahm und z.T. weiterhin einnimmt, kann eine Polizeiforschung in diesen Ländern nicht auf die Betrachtung des Verhältnisses von Militär und Polizei zueinander verzichten. Dies gilt ebenso für Chile, ein Land mit einem erst kurz zurückliegenden, lang andauernden Militärregime und einer engen institutionellen Koppelung zwischen Polizei und Militär, wie für Venezuela, das lange als demokratische Festung in Südamerika galt, in dem sich das Militär inzwischen aber wieder offen als Machtfaktor zeigt. Außerdem ist der sog. vierte Arm des venezolanischen Militärs, die Guardia National, im Landesinneren mit Polizeiaufgaben betraut. Und auch in Bolivien verläuft die Aufgabenteilung zwischen Polizei und Militär nicht klar entlang der Dimension innere versus äußere Sicherheit. Von all dem war bereits in einem der vorigen Kapitel zu lesen (Kap. 3.1.), an dieser Stelle interessiert entsprechend der Grundfragen des gesamten Deskriptionskapitels (Kap. 4.) in erster Linie, wie die Polizisten der untersuchten Länder selbst über das innenpolitische Engagement des Militärs denken und wie sie ihr Verhältnis zum Militär beschreiben. Aus Deutschland ist darüber kaum etwas zu erfahren. Keine der zugänglichen empirischen Arbeiten Uber die deutsche Polizei beschäftigt sich mit diesem Thema, wohingegen in die Fragebögen für Südamerika vier Fragen zum Militär aufgenommen wurden. Zwei davon beziehen sich auf das Verhältnis zum Militär, zwei auf die dienstliche Kooperation (s.u.) mit ihm und obwohl solche Fragen aus hiesiger Perspektive eine gewisse Brisanz besitzen, haben die dortigen Polizisten selten die Antwort verweigert und ihre Meinung in offenen Fragen häufig ausfuhrlich dargelegt. Der Grund wird darin liegen, dass eine innenpolitische Kooperation zwischen Polizei und Militär in diesen Ländern eben kein Tabu ist. So kommt es auch, dass nicht wenige Polizisten offen für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen beiden Institutionen plädieren (s.u.). Tab. 48:

Chile und Bolivien: Verhältnis der Polizisten zu den Militärs und eigene Beurteilung des Verhältnisses zu den Militärs sehr gut

Chile: die Polizisten Chile: sie selbst

gut

indifferent

schlecht

_

91,6%

33,3%

58,3%

8,3%

15,8%

74,7%

6,3%

15,3%

59,2%

23,5%

8,3%

sehr schlecht

„ „

Bolivien: die Polizisten Bolivien: sie selbst

2,0%

3,1%

269

Hinsichtlich des Verhältnisses der Polizisten zum Militär sollte die Möglichkeit bestehen, zwischen den Polizisten als Gesamtheit und der persönlichen Meinung der Befragten zu unterscheiden. Deshalb sollten die Polizisten zum einen angeben, ob „die Polizisten" ein gutes Verhältnis zu den Militärs haben und zum anderen wie „sie selbst" ihr Verhältnis zu dieser Institution einschätzen. Trotz der Schwächen der Erhebungsinstrumente186 lässt sich aus der Tabelle 48 entnehmen, dass die Antworten auf beide Fragen tendenziell Ubereinstimmen. Bei den Bolivianern sind die Unterschiede etwas größer als bei den Chilenen und sie glauben, dass die Beziehung „der Polizisten" zum Militär etwas besser ist als ihre eigene. Wichtiger ist es jedoch festzuhalten, dass die Carabineros de Chile ihr Verhältnis zum Militär insgesamt als wesentlich besser charakterisieren als ihre Kollegen aus Bolivien. Sind es bei beiden Frageteilen in Chile mehr als 90%, die von einem sehr guten oder guten Verhältnis sprechen bzw. mit ,ja" antworten, so sind es in Bolivien nur unter 20%. Mehrheitlich meinen sie, das Verhältnis zum Militär sei bestenfalls indifferent. Interessanter noch als diese Grobeinschätzungen sind die Begründungen der Polizisten in den offenen Interviewteilen. Die Chilenen haben fast ausschließlich Positives über ihr Verhältnis zum Militär geäußert. Vorherrschend ist von gelungener „Kooperation" (C FB) sowie von „gegenseitiger Wertschätzung" (C FB) und „kameradschaftlichen Einstellungen" (C FB), teils sogar von „Freundschaftsbeziehungen" (C FB) die Rede. Von einigen wird überdies betont, dass gemeinsame Aufgaben und Wurzeln Zusammengehörigkeitsgefühle schaffen. Weil wir auch ein Zweig des Militärs sind. (C FB) Man geht davon aus, dass sie genauso uniformiert sind wie wir und Dienste fiir die Öffentlichkeit versehen. (C FB)

Die einzige skeptische Aussage über das Verhältnis zum Militär entspringt der Enttäuschung darüber, dass in der Hauptstadt die freundschaftlichen Beziehungen weniger eng sind als in der Provinz, hier der kleinen Stadt Puerto Montt, in der der Befragte früher Dienst tat. Als ich in Puerto Montt war, war die Beziehung zur Armee gut, es gab Gemeinsames, am Jahrestag der Armee wurden wir eingeladen und umgekehrt, dort hatte ich eine gute Verbindung mit der Armee, aber hier nicht, jeder lebt in seiner Institution. (C I)

D.h., dass selbst die Ausführungen der chilenischen Polizisten, die das Verhältnis zum Militär vordergründig als schlecht oder indifferent kennzeichnen und bei der quantitativen Auswertung auch so gewertet wurden (Tab. 48), nicht grundsätzlicher Natur sind. Bei den Bolivianern ist es gerade umgekehrt. Die 186

Es soll nicht verschwiegen werden, dass der mangelnden Einheitlichkeit der Skalen sowie dem Umstand, dass im bolivianischen Fall bei einer Frage die Antwortvorgaben nicht zur Fragestellung passen, leider ein Koordinationsproblem zwischen den Mitarbeitern der verschiedenen Länder zugrunde liegt.

270

bolivianischen Polizisten sprechen nämlich in den Antworten auf offene Fragen selbst dann nicht von guten Beziehungen zum Militär, wenn sie vorher auf der Skala der geschlossenen Frage angegeben hatten, das Verhältnis zum Militär sei gut. Die Begründungen für ihre Einschätzungen sind nicht vorbehaltlos positiv, sondern lauten in der Hauptsache, man müsse ein gutes Verhältnis wahren, weil beide Institutionen aufeinander bezogen sind. Von einigen wird abgrenzend ergänzt, dass man im Detail doch verschiedene Aufgaben erfülle. Aus der Perspektive der Institutionen müssen sie (die Beziehungen) gut sein, wir sind Teil eines größeren Systems. (B FB) Weil auch das Militär für Sicherheit sorgt. (B FB) Sie haben mit anderen Aktivitäten zu tun. (B FB)

Manche bolivianischen Polizisten antworteten zuletzt in unverbindlicher Weise, man müsse schließlich „mit jedermann gut auskommen" (B FB). Überwiegend sagten die bolivianischen Polizisten aber, das Verhältnis zum Militär sei indifferent oder schlecht und die Begründungen dafür sind von einer dezidiert kritischen Haltung gegenüber dieser Institution geprägt. Zurückzuführen sei dies auf die Arroganz der Militärs, die die polizeiliche Arbeit nicht wertschätzten, ein Motiv, das etwa von der Hälfte der Befragten als Grund ihrer negativen Einschätzung der Qualität der gegenseitigen Beziehungen vorgebracht wurde. Weil sie glauben mehr zu sein als wir Polizisten, jeder hält nur seine eigene Institution für gut. (B FB) Sie glauben, dass sie einer anderen Institution angehören, und schätzen die Polizeiarbeit nicht. (B FB)

Die andere Hälfte sprach an, dass ein heftiger Wettbewerb zwischen den beiden Institutionen existiert. Dabei versuchten die Militärs die Polizeiarbeit zu behindern, sich auf Kosten der Polizei zu profilieren und die Polizei von ihrem Platz zu verdrängen. Verschiedentlich wird darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Wettbewerb länger zurück reichende historische Wurzeln hat, was in der Tat der Institutionengeschichte entspricht (vgl. Kap. 3.4.1.). Sie versuchen nur ihre Beurteilung zu verbessern und ihre Schlagzeilen zu verkaufen, für die sie sich der Polizei bedient haben, um mehr Geld zu bekommen. (B FB) Es sind zwei wertvolle Berufe, aber völlig unterschiedlich, aber die Militärs haben schon immer versucht, Aufgaben zu erfüllen, die ursprünglich zur Polizei gehören. (B FB) Die Militärs suchen einen Platz in der Gesellschaft, auf Kosten der polizeilichen Funktionen. (B FB) Wegen Geschichten, die früher passiert sind, die Spannungen zwischen beiden Institutionen produziert haben. (B FB)

271

Tab. 49:

Chile und Bolivien: Gibt es Kooperation mit den Militärs ja 91,6%

nein

Chile Bolivien

16,8%

83,1%

8,3%

Im Gegensatz zur Kooperation, die in Chile betont wurde, stehen die Beziehungen zwischen Polizei und Militär in Bolivien demnach unter dem Zeichen der Konkurrenz. Nach der Kooperation mit dem Militär wurde in den Fragebögen in Chile und Bolivien außerdem eigens gefragt. Die in Tabelle 49 dargestellten Ergebnisse belegen für Chile dann auch, was zu erwarten war: die große Mehrheit der Carabineros antwortete positiv. Bei den bolivianischen Befragten ist das Gegenteil der Fall. Angesichts dessen, dass in Bolivien Militär und Polizei in einigen Aufgabengebieten tatsächlich kooperieren und die Polizisten dies sicherlich wissen, ist zu fragen, ob die Interviewpartner die Frage möglicherweise weniger auf die faktische Zusammenarbeit bezogen haben oder bei ihren Antworten vielmehr die wertende Begriffsbedeutung von (guter) Kooperation im Sinn hatten. Mangels weiterer Erläuterungen der bolivianischen Polizisten in diesem Fragebogenteil kann diese Frage allerdings nicht abschließend geklärt werden. Auf eine weitere Frage hin sollten die Polizisten angeben, ob sie sich mehr oder weniger Kooperation mit den Militärs wünschen würden (Tab. 50). Mehr Kooperation wünschen sich rund zwei Drittel der bolivianischen, aber nur rd. 42% der chilenischen Polizisten. Interessant ist, dass sich über 40% der befragten Carabineros weigerten, sich auf die Antwortalternative „mehr-weniger" einzulassen. Sie führten von sich aus handschriftlich eine dritte Antwortmöglichkeit ein: sie wollen, dass die Zusammenarbeit „genau so" bleibt, „wie es im Augenblick ist" (C FB). Damit sind die Antworten aus Bolivien und Chile quantitativ kaum mehr miteinander vergleichbar. Tab. 50:

Chile und Bolivien: Wäre mehr oder weniger Kooperation mit den Militärs nötig mehr

weniger

Chile

41,7%

16,6%

Bolivien

65,9%

34,1%

Um besser verstehen zu können, was die Befragten unter Kooperation mit den Militärs verstanden wissen wollen, konnten sie aber zusätzlich eintragen, in welchen Tätigkeitsfeldern sie die Zusammenarbeit reduzieren oder ausweiten wollen. Die Carabineros de Chile gaben dabei selten pauschale Antworten, und wenn sie es taten, so waren es hauptsächlich jene 16%, die für einen Abbau der Kooperation votierten (z.B. C FB: „In allen Gebieten braucht man weniger (Kooperation)"). Die Chilenen, die für einen Ausbau der Kooperation oder deren gewohnte Fortführung waren, betonten, dass beide Institutionen verschiedene 272

Aufgaben erfüllen und dass sie nur in Notsituationen kooperieren sollten oder sofern Mitglieder des Militärs von Straftaten betroffen sind (C FB: „Nur in Notsituationen, weil wir nicht dasselbe machen"; „Das sind verschiedene Dinge"; z.B. bei „Einbrüchen in Häuser von Militärs"). Daraus kann nicht auf den Wunsch einer weitergehenden Militarisierung der gewöhnlichen Polizeiarbeit geschlossen werden. Manche Bolivianer meinten, man solle in keinem polizeilichen Arbeitsbereich verstärkt mit dem Militär kooperieren: die Aufgaben beider Institutionen seien grundverschieden, weshalb eine Zusammenarbeit obsolet sei (B F B z.B.: weniger Zusammenarbeit „in allem was mit den polizeilichen Handlungen zusammenhängt"; „Jede Institution muss ihre eigenen Aufgaben bewältigen"), dies kam aber selten vor. Meist verdeutlichten sie in ihren offenen Antworten, welche Arbeitsfelder für eine Kooperation mit dem Militär geeignet wären. Genannt wurden drei Gebiete. Beim Ersten handelt es sich um Aufgaben, die weitgehend dem Militär zugeordnet sind, etwa die Nationale Sicherheit und die Sicherung der Grenzen (B FB: „Nationale Sicherheit"; „Im Schutz der Sicherheit und der Souveränität des Vaterlands (Grenzkontrollen und rurale Gebiete)"; „Im Schutz unserer Grenzen, die in Gefahr sind"). Eine zweite, kleine Gruppe dachte an spezielle polizeiliche Einsätze, z.B. Großeinsätze sowie die Bekämpfung von Drogenhandel und Terrorismus (B FB: „Im Bereich der Drogenhändler"; „Terrorismus"; „Mehr bei Demonstrationen, weniger bei friedlichen Aufmärschen"; „Bei öffentlichen Anlässen"; „Blockaden"). Dies ist deshalb bemerkenswert, weil auf die weiter oben behandelten Fragen u.a. geantwortet wurde, das Militär solle sich aus Polizeiangelegenheiten heraus halten und seine Versuche einstellen, sich auf Kosten der Polizei zu profilieren. Sinn bekommt dieser scheinbare Widerspruch, wenn man den dritten Teil der Antworten kennt, denn bei ihnen gewinnt man den Eindruck, dass die Polizisten wünschen, dass das Militär als Hilfstruppe der Polizei fungiert. Meist wird eine organisatorische und administrative Zuarbeit erwartet (B FB: „Organisation"; „Ermittlungen"; „Im logistischen Bereich") oder angeregt, das Militär solle seine überlegenen Ressourcen der Polizei für ihre ureigenen Aufgaben zur Verfügung stellen. Bei der Ausstattung und Bewaffnung der Polizei, weil wir weder über die Ausstattung ( . . . ) , noch über die Waffen verfugen, um die Kriminalität zu bekämpfen. ( B F B ) In Bereichen und bei Aktivitäten, bei denen personelle Hilfe nötig ist. ( B F B )

Für den letzten Fall, den venezolanischen, ist vorauszuschicken, dass die dortige militärische Hauptreferenzgruppe der Polizei die Guardia National ist, der sog. „vierte Arm des Militärs", der etliche Aufgaben im Landesinneren wahrnimmt (vgl. Kap. 3.3.2.). Die Beziehungen zwischen der Policia Metropolitana und der Guardia National konnten in den offenen Interviews nicht in derselben Weise recherchiert werden, wie in Chile und Bolivien, die zwei wichtigsten Fragestellungen können in dem Datenmaterial aber verfolgt werden. Das ist zum einen 273

das Verhältnis der beiden Institutionen zueinander und zum anderen die Frage, ob die Polizisten einer verstärkten Zusammenarbeit etwas abgewinnen könnten. Tab. 51:

Venezuela

Venezuela: Verhältnis der Policia Metropolitana zur Guardia National positiv

neutral

negativ

17,6%

29,4%

52,9%

Um festzustellen, wie das Verhältnis zwischen den beiden Institutionen ist, wurden sämtliche Berichte über die Guardia Nacional dahingehend ausgezählt, ob sie einen positiven, neutralen oder negativen Grundtenor haben (Tab. 51). Am Ergebnis lässt sich ablesen, dass die Guardia Nacional sehr schlecht beurteilt wird: nur 17% der Aussagen können als positiv gewertet werden, über 50% tragen einen negativen Zug. Soweit dieses Resultat mit den Daten aus Bolivien und Chile (Tab. 48) verglichen werden kann ist zu sagen, dass die venezolanischen Polizisten das Militär noch schlechter bewerten als die bolivianischen Polizisten. Dies wird noch deutlicher, wenn man die Aussagen im Detail betrachtet. Die wenigen, in denen die Guardia Nacional in ein positives Licht gerückt wird, sind entweder unverbindlicher Natur oder beziehen sich auf Erlebnisse, in denen ein Interviewter bevorzugt behandelt wurde. Beispiele sind folgende Zitate: Es gibt gute Verbindungen zum Militär, wenn es auch andere Aufgaben hat. (V 2) Er respektiert die Vorgehensweise der GN und ihre Einsätze. Er erzählt, dass sie ihn, wenn er in Zivil unterwegs ist, manchmal auf der Straße durchsucht haben und wenn sie merken, dass er Polizist ist, fragen sie ihn, warum er das nicht gleich gesagt hat. (V 3)

Die neutralen Berichte über die Guardia Nacional sind demgegenüber geeignet aufzuzeigen, dass die Zusammenarbeit zwischen Policía Metropolitana und Guardia Nacional hauptsächlich bei der Bewachung der Gefängnisse stattfindet. Außerdem wird die Guardia Nacional bei Großeinsätzen als Unterstützung der Policía Metropolitana herangezogen oder, laut einem der folgenden Zitate, wenn die Beamten der Policía Metropolitana streiken. Die nächsten Beispiele seien außerdem aufgeführt, um offen zu legen, welche Berichte als „neutral" eingestuft wurden (Tab. 51). Die Beziehung zu den Militärs ist normal, aber das hängt von der Situation ab, in der man einen Militär trifft. „Wenn man ihn zurechtweisen muss, tue ich es auch". Abgesehen davon sagt er, dass bei gemeinsamen Einsätzen alle zusammenarbeiten. (V 5) Die PM leistet ihre Arbeit in dem Teil des Gefängnisses von Catia, in dem die Gefangenen sind, die von der Präfektur abgeurteilt werden. Diejenigen der PTJ und der Gerichte stehen unter der Bewachung der GN und der Wachdienste. (V 60)

Überwiegend tauchen aber abschätzige Kommentare über die Guardia Nacional auf. Zu der eben von einem Interviewten angesprochenen Streiksituation meint 274

z.B. ein anderer Polizist, die Guardia Nacional habe als Vertretung der Policia Metropolitana versagt. Außerdem wird der Guardia Nacional vorgeworfen, sie missbrauche die Polizisten der Policia Metropolitana als „Kanonenfutter". Im letzten Juni legte die PM die Arbeit für 72 Stunden nieder, deshalb übernahm die Guardia Nacional das Kommissariat in Petare und das war ein Desaster und Gauner raubten Geschäfte aus. (V 3) Die Militärs handeln nicht immer verantwortungsvoll. Er meint, dass die PM damals „Kanonenfutter" war. Er war sich sicher, dass die Militärs zu dem Zeitpunkt voll informiert waren, aber sie schickten die PM als Erste auf die Straße, ohne genügende Ausrüstung und Waffen. Er meint, dass das Heer bei seiner Arbeit keine ethischen Grundsätze hat. ( V I I ) Auch in einem anderen Zusammenhang hatte ein Interviewter die Vorgehensweise der Militärs kritisiert, als er nämlich einen Einsatz während des venezolanischen Armenaufstands beschrieb. Dabei ging es darum, dass er beobachtet hatte, dass einige Militärs vier junge Männer auf offener Straße erschossen hatten (vgl. Kap. 4.2.4.). Aber auch jenseits solcher Fälle sind die Äußerungen der venezolanischen Polizisten über die Guardia Nacional ablehnend. Wie die Bolivianer sind sie häufig der Meinung, die Militärs seien arrogant und es gäbe ein Kompetenzgerangel zwischen beiden Institutionen. Solche Bemerkungen wurden von den Carabineros de Chile nicht gemacht. Zum Verhältnis der PM zum Militär sagt er, dass es zwar Verbindungen gibt, diese aber nicht geschätzt werden, weil es Machtüberschneidungen gibt. (V 3) Ein Mann, der in dem Sektor unterwegs war, sagte zum Interviewten „ich bin Militär, ich bin mehr als du". (...) Der Beamte behauptet, dass der Typ ihn beleidigt hat. Als er (Soldat) sich umdrehte und weiterging, zog er (Polizist) die Waffe und verletzte ihn. (V 43) Trotzdem wäre es aber allen venezolanischen Polizisten, die danach gefragt wurden, willkommen, wenn Polizei und Militär vermehrt miteinander kooperieren würden. Eigentümlicherweise vertreten sie diese Position selbst dann, wenn sie das Militär unmittelbar vorher kritisiert haben. Das verbindet die venezolanischen mit den bolivianischen Polizisten. Polizisten haben ein schlechtes Verhältnis zu Militärs, er erzählt, dass oft Schlägereien entstehen, wenn Mitglieder der GN und Polizisten zusammentreffen. „Nach der Prügelei gehen wir ins Gefängnis". Er erzählt, dass sie ihn schon einmal verhaftet haben und er hat auch schon ein Mitglied der GN festgenommen. Zurzeit ist das Verhältnis schlecht, aber er findet, dass es gemeinsame Gremien geben sollte, um die Kooperation zu verbessern, aber wenn es sie gibt, will jeder die Macht übernehmen. (V 4) Er findet, dass sie (Militär und Polizei) mehr zusammenarbeiten sollten, weil sie auf der Straße bis hin zu Granaten schon alles gefunden haben, das ist bedrohlich und gefährdet die öffentliche Sicherheit. (V 3)

275

Auf welche polizeilichen Arbeitsgebiete sich diese Kooperation erstrecken soll, geht aus den Interviewpassagen leider nicht hervor. Dem letzten Zitat nach würden sich die venezolanischen Polizisten aber nicht scheuen, das Militär bei Einsätzen in den Straßen von Caracas zur Hilfe zu nehmen. Der Verweis auf den Waffenbesitz der Straftäter deutet darauf hin, dass sie wie ihre bolivianischen Kollegen hoffen, von der Ausrüstung des Militärs profitieren zu können.

4.4. Die Polizisten und die Polizei: Kollegen, Vorgesetzte und Arbeitsbedingungen Der vierte und zugleich letzte Abschnitt des deskriptiven Teils beschäftigt sich ausschließlich mit den Interna der Polizeien der untersuchten Länder und ist seinerseits in fünf Kapitel untergliedert. In einem ersten Kapitel wird das Verhältnis der Polizisten der untersuchten Polizeien zu anderen Polizeieinheiten diskutiert (4.4.1.). Dabei kommen die in manchen Ländern existierenden Parallelorganisationen der Schutzpolizei (z.B. städtische Einheiten oder Gemeindepolizeien), die Kriminalpolizei oder auch polizeiliche Spezialeinheiten ins Gespräch. Im zweiten Kapitel geht es um die Zusammenarbeit mit Kollegen und Vorgesetzen, darunter um die Kriterien, die eine positive Wertung der Mitglieder der eigenen Institution bedingen (4.4.2.). Den Frauen in der Polizei wird ein eigener Abschnitt gewidmet, in dem untersucht wird, inwieweit sie den Polizisten als vollwertige Kolleginnen gelten (4.4.3.). Im folgenden Kapitel werden zwei Faktoren behandelt, die von Polizisten als arbeitsbehindernd betrachtet werden: mangelnde Ressourcen und die Fülle an Vorschriften, die sie bei ihrer Alltagsarbeit beachten sollten (4.4.4.). Zuletzt werden Daten über die Zufriedenheit der Polizisten mit ihren Aufstiegschancen und, eng damit zusammenhängend, ihrem Verdienst referiert (4.4.5.). 4.4.1. Wie gut arbeiten andere Polizeieinheiten? Auch wenn es weiten Teilen der Bevölkerung i.d.R. wenig bewusst ist, ist „die Polizei" in den meisten Ländern kein homogenes Ganzes, sondern besteht auf der institutionellen Ebene teils aus eigenständigen Einzelverbänden, teils aus verschiedensten Polizeizweigen unter einem gemeinsamen organisatorischen Dach. Aber selbst wenn ein einziger Organisationsrahmen existiert, haben die spezialisierten Abteilungen häufig ihr eigenes Selbstverständnis, mit dem sie sich von anderen Einheiten abgrenzen. So haben z.B. die Reformen in der Bundesrepublik, die darauf abzielen, ursprünglich voneinander weitgehend unabhängige Kriminal- und Schutzpolizeien zu vereinheitlichen und zu einer „inhaltsgleichen Ausbildung" zu kommen (vgl. Kap. 3.1.2.) noch lange nicht dazu geführt, dass die Polizisten selbst davon abrücken, ihr jeweils eigenes Profil zu pflegen. Da die verschiedenen Polizeien miteinander kooperieren müssen, ist es wichtig, was für ein Verhältnis die Mitglieder der unterschiedlichen Abteilungen 276

oder Organisationen zueinander haben. In Deutschland wurde diese Thematik nur selten in den Fragenkanon empirischer Erhebungen aufgenommen: die Untersuchung von Helfer/Siebel (1975) ist eine der wenigen, die sie explizit aufgreift. Gefragt wurde damals, ob die Kooperation zwischen Kriminal- und Schutzpolizei „reibungslos" funktioniere. Dem hat nur ein knappes Viertel der Interviewten zugestimmt, eine gleich große Gruppe war gegenteiliger Meinung (Helfer/Siebel 1975: 1057). Neuere Erhebungen gibt es leider nicht, bei entsprechend aufmerksamer Lektüre der Polizeizeitschriften kann man aber deutlich erkennen, dass sowohl zwischen Schutz- und Kriminalpolizei als auch zwischen unterschiedlichen Revieren durchaus Rivalitäten existieren. So ist z.B. folgendes zu lesen: Absprachen mit anderen Revieren oder dem Kriminaldauerdienst sind leider die Ausnahme; sie finden eigentlich immer nur dann statt, wenn eine gemeinsame Aktion, z.B. eine Razzia geplant und durchgeführt wird. (Möller 1988: 20) Es scheint gelegentlich so, daß sich Schutz- und Kriminalpolizei, zumindest bei manchen Dienststellen, nicht gerade freundlich gegenüberstehen. Nicht nur, dass ein Kriminalbeamter dort grundsätzlich keine Straftaten, die der Schutzpolizei zugewiesen sind, bearbeitet und dass kein Schutzpolizeibeamter bei Straftaten, die in den Kompetenzbereich der Kripo fallen, Erstmaßnahmen trifft: nicht selten werden auch Informationen zurückgehalten. Mangelhafte Kooperation und ständiges Mißtrauen bedingen eine Konzentration auf die Rivalität statt auf einen möglichen Straftäter. (Bereswill 1989: 23)

In einem anderen Beispiel geht es um die Umsetzung einer Neuordnung der Aufgaben von Schutz- und Kriminalpolizei, die im Fall darin bestand, Schadenssummen unter DM 10.000 von der Schutzpolizei bearbeiten zu lassen. Dazu meinen zwei leitende Kriminalbeamte: Zur Konsequenz hatte diese Deliktsaufteilung, daß die Beamten der Schutzpolizei (...) Schadenssummen unter DM 10.000 (...) in die eigene Zuständigkeit rückten, wenn die Taten geklärt werden konnten und andere Straftaten über die DM 10.000 Grenze hoben, wenn sie nicht geklärt werden konnten, um die Zuständigkeit der Kripo zu begründen. (Bleibtreu/Jaeger 1994: 402)

Gut ablesen lässt sich die zum Ausdruck gebrachte Rivalität auch an vielen Beiträgen, die sich mit der Idee auseinandersetzen, beide Sparten der Polizei zu vereinigen (z.B.: Jaeger 1997; Bleibtreu 1994, 1995). Publizistisch aktiv werden dabei v.a. Beamte der Kriminalpolizei, weil sie sich als Mitglieder der personell kleineren Organisation von diesen Plänen besonders bedroht fühlen. An einem Beitrag lässt sich pointiert ablesen, dass die verschiedenen Polizeizweige keine gemeinsame Berufsauffassung verbindet:

277

Die Kriminalpolizei bekennt sich zu ihren Denktraditionen und ihren Denkstrukturen. Sie bekennt sich zu ihrer Berufsethik und zu ihrem Berufsbild, zu ihrer Berufskultur, ihrer corporate identity und ihrem Korpsgeist. (...) Ein Bedürfnis nach einer identischen polizeilichen Denkstruktur wird hingegen überhaupt nicht gesehen. Kriminalbeamte sind aufgrund ihrer Denk- und Handlungstraditionen Meister der Improvisation, ein Begriff, der zumindest in der Musik positiv belegt ist. (...) Ganz anders die Situation bei der Schutzpolizei. Hier herrschen historisch militärisch geprägte Denktraditionen. (Jaeger 1997: 268f.)

In den lateinamerikanischen Ländern ist es mitunter schwierig zu entscheiden, ob die neben den untersuchten Polizeien existierenden anderen staatlichen Einheiten, die mit Aufgaben der Inneren Sicherheit befasst sind, noch zu den im Kapitel 4.3. behandelten Nachbarorganisationen zu zählen sind oder als Mitglieder der Polizei. Dies gilt z.B. für die venezolanische Guardia Nacional, die Polizeiaufgaben hat, aber zum Militär gehört (vgl. Kap. 3.3.2., 4.3.4.). Außerdem sind die Polizeien in den drei interessierenden Ländern Südamerikas sehr unterschiedlich organisiert. In Bolivien sind sämtliche Einheiten organisatorisch als Policía Nacional (Nationalpolizei) zusammengefasst, die ihrerseits intern untergliedert ist. In Chile stehen sich die Carabineros und die Policía de Investigaciones (chilenische Kriminalpolizei) gegenüber und in Venezuela gibt es eine kaum zu durchschauende Vielzahl nebeneinander agierender Polizeien (vgl. Kap. 3.). Anhand des Verhältnisses der Polizeikräfte zueinander kann man aufzeigen, wie weit die für Polizisten generell sehr wichtige Kollegialität (vgl. Kap. 4.4.2.) trägt und feststellen, ob Friktionen zwischen polizeilichen Organisationen bzw. Einheiten zu beobachten sind. Bei den Carabineros de Chile sind zwei Referenzgruppen ins Auge zu fassen, zum einen weitere Kommissariate der Carabineros und zum anderen die chilenische Kriminalpolizei. An den Ergebnissen (Tab. 52) ist abzulesen, dass die insgesamt positiven Wertungen anderer Polizeieinheiten erheblich abnehmen, je weiter der enge Kreis der eigenen Gruppe verlassen wird: zwar wird weder das Verhältnis zur Kriminalpolizei noch das zu anderen Kommissariaten als schlecht bezeichnet, aber nur ein Drittel der Befragten meint, das Verhältnis zur Kriminalpolizei sei gut, wohingegen dies mehr als 80% über andere Einrichtungen der Carabineros sagen. Die Gründe, die im offenen Antwortteil für positive Wertungen angegeben wurden, sind sich in einigen Bereichen im Hinblick auf andere Kommissariate und die Kriminalpolizei ähnlich. Hervorgehoben werden gemeinsame Ideale und Aufgaben sowie die offenbar gut funktionierende Zusammenarbeit: Wir arbeiten für gleiche Ideale. (Andere Kommissariate der Carabineros) (C FB) Weil man für dasselbe kämpft: die Kriminalität besiegen. (Kriminalpolizei) (C FB)

278

Tab. 52:

Chile: Verhältnis zu anderen Kommissariaten und zur Kriminalpolizei sehr gut

gut

normal

Kommissariate

27,3%

54,5%

18,2%

-

Kriminalpolizei

8,3%

25%

66,7%

--

schlecht

sehr schlecht

Dies sind jedoch Ausnahmefälle. Mehrheitlich werden das Verhältnis zu anderen Kommissariaten der Carabineros einerseits und das zur Kriminalpolizei andererseits unterschiedlich beschrieben. In Bezug auf andere Kommissariate der Carabineros betonen die Interviewten, dass die Carabineros eine über ganz Chile hinweg einheitliche und aufeinander eingeschworene Gruppe darstellen. Nur ein einziges Mal, im letzten Zitat der folgenden Serie, ist von Rivalitäten zwischen verschiedenen Polizeistationen der Carabineros die Rede. Weil man weiß, dass man Carabinero ist und es in allen Teilen (Chiles) ist. (C FB) Weil die Mehrheit der Polizisten sich schätzt und kennt. (C FB) Weil es Rivalität gibt, dass ein Kommissariat besser ist als das andere. (C FB)

Beziehungen zur Kriminalpolizei werden anders beschrieben. Zum einen sind die an sie gerichteten Ansprüche offensichtlich niedriger: für eine positive Bewertung des Verhältnisses zu ihnen genügt es, wenn die Zusammenarbeit keine größeren Schwierigkeiten macht. In den Fällen, in denen sie uns gebraucht haben, gab es keine Probleme. (C FB) Man hat zuletzt zu einem gegenseitigen Verständnis gefunden. (C FB) Ich hatte nie Probleme mit jemandem von der Kriminalpolizei, ich finde sie nicht schlecht (...), sie sind gleichwertig, jeder tut seine Arbeit (...), wir haben das gleiche Ziel vor Augen, nämlich die öffentliche Ordnung zu gewährleisten, Verbrechen zu verhindern. (C 2)

Zum anderen wird betont, dass im Gegensatz zum Verhältnis zu Carabineros anderer Kommissariate keine Primärkontakte zu Polizisten der Kriminalpolizei bestehen, dass es keine ausgesprochene Kameradschaft gibt und es wird vergleichsweise häufig von Rivalitäten zwischen Kriminalpolizei und Carabineros gesprochen. Man hat nicht viel Kontakt mit ihnen. (C FB) Es gibt zwei Polizeien und deshalb gibt es Rivalitäten. (C FB)

279

Um Einsätze wird rivalisiert, um die meisten Fälle zu bekommen und zu sehen, wer mehr erreicht. Was mich betrifft, ich verstehe mich nicht so gut mit der Kriminalpolizei, wegen einer Auseinandersetzung, die ich neulich bei einem Einsatz hatte, bei dem sie uns festnahmen, als Verdächtige, und die Verständigung klappte gar nicht (...). Wenn wir eine Person sehen, die uns verdächtig vorkommt (...) (wir) fragen nach dem Anliegen, was los ist. Aber sie gehen hin und greifen sofort rücksichtslos zu, ohne zu wissen, ob es Schuldige, in den Fall verwickelte Personen oder (Polizei-)Beamte sind, nichts. (C 5)

Tab. 53:

Chile: Zusammenarbeit zwischen den Carabineros und der Kriminalpolizei

sehr gut

gut

normal

schlecht

54,5%

27,3%

18,2%

sehr schlecht -

In einer weiteren Frage187 wurde erhoben, wie die Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei zu werten sei (Tab. 53). Dabei fallen die Beurteilungen der Kriminalpolizei noch etwas schlechter aus als vorher (Tab. 52) und immerhin fast 20% der Carabineros meinen, sie sei schlecht. Auch bei der offenen Nachfrage kommen erstmals deutlich negative Einschätzungen vor, überwiegend sind aber dennoch gute Wertungen. Folgende Zitate geben das Spektrum der Aussagen wieder. Weil sie den Carabineros immer helfen. (C FB) Wenn Kooperation zwischen beiden Institutionen nötig ist, sind sie da. (C FB) Nicht sehr gut, weil sie manchmal nicht so kooperieren, wie es nötig wäre. (C FB) Sie versuchen bei Einsätzen zu helfen, aber es gibt ständig Rivalitäten. (C FB)

Tab. 54:

Bolivien: Verhältnis zur Kriminalpolizei und Zusammenarbeit mit anderen Polizeidienststellen normal

schlecht

Kriminalpolizei

sehr gut 57,8%

33,3%

4,4%

4,4%

Dienststellen

44,0%

45,8%

5,1%

3,4%

187

gut

sehr schlecht 1,7%

Die doppelte Fragestellung kam dadurch zustande, dass die Interviewer vor Ort bei der Frage nach dem Verhältnis zu anderen Polizeien die Polizeiarten selbst einsetzen konnten (Tab. 65), wohingegen die Frage zur Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei fest vorgesehen war (Tab. 66). Grund dessen ist, dass klar war, dass es in allen Ländern eine Kriminalpolizei gibt, entweder als eigenständige Organisation oder unter einem gemeinsamen organisatorischen Dach mit der Schutzpolizei. Welche anderen Polizeiarten es in den drei Ländern sonst noch gibt, war aber zu dem Zeitpunkt, zu dem der Fragebogen erstellt wurde, nicht geklärt, deshalb sollte die erste Frage Spielraum offen lassen. Interessant ist allemal, dass, hier bezüglich der Kriminalpolizei, unterschiedliche Formulierungen unterschiedliche Ergebnisse produzieren.

280

Den bolivianischen Polizisten wurden ebenfalls Fragen 188 zur Kriminalpolizei sowie zu anderen Dienststellen der Schutzpolizei vorgelegt und zwar die nach der Zusammenarbeit mit anderen Polizeien sowie die nach dem Verhältnis zu anderen Polizeien, wobei hier explizit die Kriminalpolizei angesprochen war (Tab. 54). Zu beachten ist dabei, dass die Kriminalpolizei nicht wie in Chile eine eigene Organisation ist, sondern wie die Schutzpolizei auch Teil der Policía Nacional, wenngleich sie natürlich ein eigenes Profil hat. Im Vergleich zu Chile kann zu den Ergebnissen aus Bolivien deshalb zweierlei gesagt werden. Erstens wurden die anderen Polizeieinheiten etwas besser bewertet als in Chile und zweitens machen die Bolivianer im Gegensatz zu den Chilenen kaum Unterschiede zwischen anderen Dienststellen der Schutzpolizei und der Kriminalpolizei. Warum dies so ist, lässt sich weder mit Hilfe der offenen Antworten klären, in denen die Kriminalpolizei kritisiert wird, noch mit jenen, in denen die Zusammenarbeit zwischen Schutz- und Kriminalpolizei thematisiert wird. In beiden Antwortkategorien wird inhaltlich nur entweder die typische Kritik an anderen Institutionen wiederholt oder, und dies dominiert die Gesamtsicht, die Zusammenarbeit in allgemeiner Weise gelobt. Mangel an angemessener Kommunikation. (B FB) Verfolgung der Korruption, Nachlässigkeit, Einflussnahme. (B FB) Man koordiniert und verknüpft die Arbeit. (B FB) Man hilft sich und kooperiert miteinander. (B FB)

Die Gründe für die im Vergleich zu Chile bessere Bewertung der Kriminalpolizei dürften deshalb in der zweiten Hälfte der die Kriminalpolizei betreffenden Kommentare zu suchen sein: Die Policía Técnica Judicial ist Teil der Policía Nacional. (B FB) Weil die Arbeit der Polizei von einem Oberkommando koordiniert wird. (B FB) Einfach deswegen, weil wir Kameraden sind und bei unserer Arbeit jederzeit zusammenstehen müssen. (B FB)

Diese Antworten betonen die Einheit der polizeilichen Institutionen Boliviens, die sämtlich organisatorisch unter dem Dach der Policía Nacional zusammengefasst sind und einer gemeinsamen Leitung unterstehen (vgl. Kap. 3.4.2.). Dass sogar von Kameradschaft mit den Mitgliedern der Kriminalpolizei gesprochen wird, muss im polizeilichen Kontext als höchstes Lob verstanden werden. Diese Aussagen erklären auch die Unterschiede zu Chile, weil die dortige Kriminalpolizei von den Carabineros organisatorisch abgetrennt ist. Außerdem nehmen 188

Die Fragen sind mit den chilenischen nicht identisch, weil den Interviewern vor Ort ein gewisser Freiraum eingeräumt werden musste (s.o.).

281

Spezialeinheiten der Carabineros auch kriminalpolizeiliche Aufgaben wahr (vgl. Kap. 3.2.2.), so dass für Konkurrenzgefühle gesorgt ist. Interessant sind die in den letzten Abschnitten referierten Ergebnisse auch im Kontext der Angaben zum Verhältnis zum Militär (vgl. Kap. 4.3.4.). Die aus der Organisationsgeschichte herrührenden Zugehörigkeitsgefllhle der Carabineros zum Militär führen dort zu einer positiven Einschätzung des Verhältnisses zum Militär, wohingegen in Bolivien durch Kompetenzüberschneidungen Konkurrenz gesät ist, die sich vermehrt in kritischen Aussagen zum Militär niederschlagen. Tab. 55:

Venezuela: Bewertung anderer Polizeieinheiten positiv

neutral

negativ

23,1%

7,7%

69,2%

Während die chilenischen und bolivianischen Schutzpolizisten andere Polizeieinheiten überwiegend anerkennend bewerten, sind die Urteile der Venezolaner über ihre Kollegen anderer Polizeiorganisationen vernichtend: fast 70% sind ihnen gegenüber kritisch (Tab. 55). Von diesen Äußerungen über andere Polizeien ist der größere Teil (72%) jeweils auf eine bestimmte Organisation bezogen. Sie werden weiter unten gesondert behandelt, um feststellen zu können, welche der vielen Polizeien Venezuelas (vgl. Kap. 3.3.2.) bei der Policia Metropolitana den schlechtesten Ruf hat. Im kleineren Teil wird die gemeinte Organisation nicht bezeichnet. Unter diesen Aussagen finden sich manche, die als „positiv" gewertet wurden, weil von einer gewissen Zusammenarbeit und gegenseitigem Respekt gesprochen wird. Als „neutral" ging z.B. das im Folgenden zuerst aufgeführte Zitat in die Auswertung ein. Er sagt, dass kooperiert wird, vor allem seitens der PM gegenüber den anderen. (V 2) Die Polizeiarbeit ist Teamwork, auch meint er, dass die PM eine Institution ist, die von anderen Polizeien respektiert und ernst genommen wird. (V 12) Mit den anderen Polizeien, sagt er, hat er ein normales Kooperationsverhältnis. (V 5)

Von Kameradschaft zwischen den Mitgliedern der verschiedenen Organisationen, wie etwa in Bolivien, wird nirgends gesprochen und auch nicht von gemeinsamen Zielsetzungen. Kritisiert wird dagegen in direkter Gegenargumentation zu einigen der eben zitierten positiven Bemerkungen, es fehle an Kooperation, die anderen Polizisten seien nicht ernst zu nehmende „Fatzke" und es gäbe Spannungen zwischen den verschiedenen Institutionen. Hervorzuheben ist für den Vergleich mit Chile und Bolivien, dass mehrere Befragte andeuten, dass die Rivalitäten damit zu tun haben, dass die verschiedenen Polizeien differenten Dienstherren unterstehen, die unterschiedliche Interessen verfolgen.

282

Der Interviewte meint, dass das Verhältnis zu anderen Polizeien unterschiedlich ist. Die Grade der Kooperation sind unterschiedlich (...), „sie (die anderen Polizisten) sind wie feine Fatzke, wir sind anders". (V 9) Sie konkurrieren miteinander um das beste Auto, die beste Uniform. (V 31) Er meint, dass Koordination fehlt und die Probleme zwischen dem Gouverneur (der Provinz) und dem Bürgermeister von Sucre sich in der schlechten Zusammenarbeit der Beamten während der Einsätze widerspiegeln. (V 35) Es gibt viele Reibereien und sie können nicht immer mit „gegenseitiger Hilfe" rechnen. Seiner Meinung nach fehlt es an Absprache und guter Leitung. (V 38)

Tab. 56:

Venezuela: Bewertungen der Gemeindepolizeien (Policías Municipales: P. Chacao, P. Sucre) und der Kriminalpolizei (Policía Técnica Judicial) positiv

Kriminalpolizei Gemeindepolizeien

neutral -

20%

27,8%

negativ 80% 72,2%

Außer in den bisher zitierten Berichten haben die in Caracas interviewten Polizisten angegeben, über welche andere Polizeieinheit sie sprechen. Das wurde weiter oben bereits angeführt und eröffnet die Möglichkeit, nun zwischen den verschiedenen Organisationen zu differenzieren. Dem Vergleich mit Chile und Bolivien kommt außerdem entgegen, dass die Polizisten häufig über die venezolanische Kriminalpolizei sprachen (Policía Técnica Judicial, PTJ). Die übrigen Aussagen beziehen sich auf die Gemeindepolizeien (Policías Municipales), die innerhalb des Einzugsbereiches der Polizeistation in Caracas liegen, in der Polizisten interviewt wurden: die Policía de Chacao und die Policía de Sucre. Negative Bewertungen erfahren die Kriminalpolizei und die Gemeindepolizeien fast gleich oft, wohingegen über die in der Hierarchie unter der Policía Metropolitana stehenden Gemeindepolizeien aber gelegentlich auch Positives gesagt wurde, wird die Kriminalpolizei fast ausschließlich kritisiert (Tab. 56). Die wenigen (20%) neutralen Bewertungen der PTJ beziehen sich ausschließlich auf die Zusammenarbeit mit ihr. Dabei geht es hauptsächlich um Kriminalfälle, die zuerst von der Policía Metropolitana bearbeitet und dann an die PTJ abgegeben werden. Wie das folgende erste Zitat andeutet, gibt es unproblematische Kontakte. Aber schon die nächste zitierte Aussage lässt, wiewohl sie noch als „neutral" gewertet wurde, Kritik durchscheinen. Bezüglich des Verhältnisses zu anderen Polizeien sagt er, dass wöchentlich Kontakt zur PTJ hat, damit er weiß, wie es um die Tatverdächtigen steht. (V 67) Er glaubt, dass die PM normalerweise zu 90% für die PTJ arbeitet. (V 7)

283

In allen übrigen Äußerungen über die PTJ und deren Praktiken finden diese nicht die Zustimmung der Interviewten. Das Missfallen dreht sich um mehrere Umstände. Manche Befragte wurden in ihren Augen von Polizisten der PTJ unfair behandelt. Dabei kann es sich um Privatangelegenheiten handeln oder um Fälle, in denen die PTJ im Zusammenhang mit Einsätzen der Policía Metropolitana ermittelt. Außerdem wird der PTJ vorgeworfen, sie mache die Arbeit der Policía Metropolitana zunichte, indem sie Festgenommene ungerechtfertigt frei lässt und ihr wird relativ offen unterstellt, sie lasse sich bestechen. Das ist insofern sensationell, als damit mit dem typischen polizeilichen Verschwiegenheitsgebot nach außen gegenüber den Polizisten der PTJ gebrochen wird. Das weist diese als Nichtmitglieder der engeren Bezugsgruppe der Interviewten aus. Das Verhältnis zu anderen Polizeien ist miserabel. Einmal brachte er wegen irgendeiner Sache ein Auto zur PTJ und die verlangten die vollständigen Wagenpapiere. Er sagt, dass er seinen Führerschein vorlegte und den Dienstausweis der PM, aber sie haben ihn schlecht behandelt. „Ich lebe doch in der Hauptstraße der Siedlung, ich bin nicht irgendein Gauner, ich bin Polizeibeamter, ich verlange die Behandlung, die man sich für die Bevölkerung normalerweise erwartet." (V 33) Er meint, dass die PTJ die Fälle nicht weiterverfolgt, wenn es Geld gibt. Üblich sind Angebote von einer Million Bolívares. Und wenn der Delinquent mit einem Richter verwandt ist, ist das Entgegenkommen noch größer. (V 4)

Gegenüber den Gemeindepolizeien ist die Haltung der interviewten Mitglieder der Policía Metropolitana anders als gegenüber der Kriminalpolizei. Gelegentlich sind sogar positive Bemerkungen Uber sie zu finden, aus denen hervorgeht, dass die Policía Metropolitana sich von ihnen unterstützt fühlt. Die Mehrheitsmeinung ist das aber nicht (vgl. Tab. 56), sie wird vielmehr im Dritten der folgenden Zitate erstmals angedeutet. Vom Verhältnis zu anderen Polizeien sagt er, dass es gut ist, aber er stellt klar, dass die Gemeindepolizisten oft nicht weiter wissen, sie rufen immer die PM dazu. Jedenfalls erleichtern sie einiges, die PM kann sich nicht um alles kümmern. (V 4) In dem Viertel, in dem er arbeitet (...), ist die Gemeindepolizei eine Hilfe. (V 15) Zu anderen Polizeien sagt er, dass er ihre Anwesenheit respektiert und (...) dass sie bei Einsätzen nützlich, aber nicht wirklich notwendig sind. (V 8)

Viele Interviewte halten die Gemeindepolizisten nicht nur für überflüssig, sondern ihre Aussagen über ihre Kollegen sind von einer unverhohlenen Arroganz geprägt: sie seien keine „echten" Polizisten, unprofessionell und unfähig, die ihnen übertragenen Aufgaben zu erledigen. Sie seien auch nicht gegründet worden, weil man wirklich eine weitere Polizei brauchte, vielmehr sei es darum gegangen, Arbeitslose von der Straße zu holen.

284

Wenn man zusammen mit der Policia Sucre arbeitet, gehen die hinter den Beamten der PM (im tatsächlichen oder übertragenen Sinn). (V 34) Die Polizei von Chacao und von Sucre, das sind keine echten Polizeien, der PM wird aller Respekt entgegen gebracht und „man braucht keine anderen Beamten, um Verdächtige zu schlagen und in den Griff zu bekommen". (V 57) Er erinnert sich an einen Fall, bei dem die Polizisten von Sucre die Gauner laufen ließen, weil sie nicht genügend ausgebildet sind, um Waffen zu handhaben. (V 39) Um in den barrios von Petare zu arbeiten muss man „Brutalität und Härte" zeigen. Im Gegensatz dazu ist die Arbeit der Polizei in Chacao eine „mit Samthandschuhen". (V 35) Die Polizei von Chacao wurde nur gegründet, weil es nicht genügend Arbeitsplätze gab und deshalb ist es keine Polizei im eigentlichen Sinne. Sie ist nach seinem Verständnis die schlechteste Polizei. (V 48) Außerdem ärgert die interviewten Polizisten der Policia Metropolitana, dass Gemeindepolizeien wohlhabenderer Stadtbezirke besser ausgestattet sind als sie selbst. Darüber s o w i e über Kompetenzen und Zuständigkeiten kommt es immer wieder zu Konflikten, die zwischen den Polizisten durchaus handgreiflich ausgetragen werden. Die folgenden Geschichten stellen dies beispielhaft dar: Der PM fehlt es an Ressourcen wie Personal und angemessenen Waffen. Er versichert, dass die Polizei der Gemeinde Sucre dieses Problem nicht hat. Dort ist das Hauptproblem, dass die Beamten wenig Erfahrung im Einsatzgebiet haben. (V 40) Der Befragte sah einen Polizisten aus Chacao, „ein neues Gesichtchen", bei einer kulturellen Veranstaltung. Der Fehler eines Polizisten der PM war, dass er mit einer Flasche Rum auf der Plaza Altamira war. Die Polizisten der Gemeinde Chacao verprügelten ihn. Nach mehreren Treffen zwischen der PM und der Chacaito (Verkleinerungsform!) „hat man sich geeinigt und seit zwei Jahren gibt es keine Probleme mehr." „Hinige Polizisten aus Chacao leben im Country Club (gehobenes Wohnviertel)", er versichert, mehrere zu kennen. (V 46) Zum Verhältnis zu den Gemeindepolizeien sagt er, dass es Reibereien gibt, v.a. mit Polizisten von Chacao, die [...] „glauben, sie sind die Besitzer des Bezirks". Er erzählt, dass sie einmal einen Inspektor der PM in einer Kneipe festgenommen haben (...), weil er seine Dienstmarke statt des Ausweises vorgezeigt hat. Der Beamte ärgerte sich und der Inspektor wurde geschlagen, er kam mit blauen Augen davon. (V 46) 4.4.2. Die Verlässlichkeit von V o r g e s e t z t e n u n d K o l l e g e n Das Binnenverhältnis der Polizei, das Verhältnis von Kollegen untereinander und zu Vorgesetzten, ist für die alltäglichen polizeilichen Arbeitsabläufe von höchster Bedeutung und wurde deshalb in der B R D verhältnismäßig häufig empirisch untersucht. Dazu zählt eine ganze Reihe an Studien der polizeilichen Forschungsinstitutionen, die über das Führungsverhalten der Vorgesetzten und das Betriebsklima bei der Polizei Aufschluss geben. Wichtig ist die Erforschung der Beziehungen der Polizisten zueinander aber auch deshalb, weil der sog. 285

Korpsgeist ein herausragendes Merkmal der Polizei- bzw. der Polizistenkultur ist, der den spezifischen Strukturen und Anforderungen des Berufes entspringt. Polizisten, v.a. die derselben Dienstschicht bzw. die meist aus zwei Beamten bestehende Besatzung eines Streifenwagens, fühlen sich in hohem Grade aufeinander angewiesen, weil ihnen stets präsent ist, dass eine latente Gefahr besteht, attackiert zu werden (vgl. Kap. 4.2.3.). Ohne Zweifel werden die sich daraus entwickelnden Loyalitätsgefühle ihre Wirkung aber auch dann entfalten, wenn es gilt, ein eventuelles Fehlverhalten eines unmittelbaren Kollegen zu decken. Dabei kommt auch die Frage auf, ob Vorgesetzte als Kollegen oder als kontrollierende Instanz wahrgenommen werden und wovon eine solche Einschätzung abhängt. Im Folgenden wird deshalb zum einen das Verhältnis der Polizisten zu ihren unmittelbaren Kollegen und zu ihren Vorgesetzten miteinander verglichen, zum anderen wird referiert, was die befragten Polizisten zur Verlässlichkeit ihrer Kollegen, z.B. in Gefahrensituationen, zu sagen haben. Tab. 57:

Chile, Bolivien und Venezuela: Verhältnis zu Kollegen sehr gut

gut

Chile

33,3%

58,3%

8,3%

-

-

Bolivien

31,1%

65,6%

3,3%

-

-

Venezuela

90%

indifferent

10%

sehr schlecht

schlecht

-

Im vorigen Kapitel (4.4.1.) über das Verhältnis der befragten Polizisten zu anderen Polizeieinheiten wurde herausgestellt, dass in der Regel die Institutionen die höchsten Sympathiewerte bekommen, die die größte institutionelle Nähe zur untersuchten Polizeieinheit aufweisen. Beginnt man bei der Untersuchung des Binnenklimas der Polizeien mit dem Personenkreis, der den Befragten am nächsten steht, so wiederholt sich dieses Ergebnis. Das Verhältnis zu unmittelbaren Kollegen wird mit großer Mehrheit als positiv geschildert, darin sind sich die Polizisten aller drei untersuchten lateinamerikanischen Länder einig: jeweils über 90% der Befragten bezeichnen ihre Beziehungen zu Kollegen als sehr gut oder gut, schlechte Wertungen kommen überhaupt nicht vor (Tab. 57). Das ist überdies kein lateinamerikanisches Spezifikum, Untersuchungen aus der BRD und Österreich kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Beispielsweise konstatierten rd. 91% der von Backes u.a. befragten Polizisten ein sehr gutes oder gutes Verhältnis zu Kollegen (Backes u.a. 1997: 44). Bei anderen Studien sind zwar die Fragestellungen nicht direkt mit den in Südamerika gewählten Formulierungen vergleichbar, aber in der Regel wird auch dort laut ihnen das kollegiale Verhältnis positiv beschrieben (s.u.). Ein Teil der lateinamerikanischen Polizisten hat begründet, warum das Verhältnis zu Kollegen gut ist: wegen der gemeinschaftsbildenden Funktion der täglichen Zusammenarbeit sowie gegenseitigem Verständnis und gegenseitiger Unterstützung. Wie die Zitate zeigen, wird dabei die Gruppe der Polizisten meist als Einheit dargestellt, nur gelegentlich wird von 286

Befragten die individuelle Eigenleistung bei der Aufrechterhaltung des Gemeinschaftssinns betont. Die angeführten Beispiele stammen sämtlich aus Chile und Bolivien, in Venezuela stellt sich die Lage aber genauso dar. In den Erzählungen der Polizisten aus Caracas ist laufend von Teamwork und gegenseitiger Unterstützung die Rede, v.a. bei gefährlichen Einsätzen, bei denen in Bedrängnis geratene Kollegen geschützt werden müssen (vgl. Hüttermann 2000: 14). Weil wir Kameraden sind und aufeinander aufpassen müssen. (B FB) Weil wir eine Familie sind. (B FB) Weil wir täglich (zusammen)arbeiten und für dasselbe kämpfen. (C FB) Wegen der gleichen Arbeit, man w e i ß was der andere macht. (C FB)

Trotz der auffälligen Parallelen zwischen den verschiedenen Ländern ist eine Besonderheit der chilenischen Carabineros hervorzuheben. Die Frage nach ihren Beziehungen zu Kollegen nahmen nämlich einige von ihnen zum Anlass zu betonen, dass sie die insgesamt guten Beziehungen nicht als Freundschaften definiert wissen wollen. Ihr Verhältnis zu ihren Kollegen bleibt demnach distanziert und dies wird offenbar von der Institution gefordert und durch häufige Umbesetzungen der Arbeitsgruppen abgesichert! Wie unter Kollegen, nur in der Arbeit, sonst nicht, freundschaftliche Beziehungen kann es zwischen ihnen nicht geben (...), trotzdem bin ich mit Kollegen ausgegangen, nach der Arbeit sind wir essen gegangen (...). Aber am nächsten Tag war alles normal, rein kollegial. Ich glaube, dass der einzige Mensch, mit dem ich glaube so etwas wie eine persönliche Freundschaft gehabt zu haben (...), ist mit einem Kapitän, einem Offizier, und das ist selten, weil er ein Offizier ist, er ist kein „PNI" (Mannschaft) (...). Wir waren befreundet, ( . . . ) , aber wir haben es verheimlichen müssen, damit wir nicht gesehen werden. (C 3) Man weiß nicht, wer die Freunde sind, man hat immer Bekannte oder Kollegen (...), heute kann man in Santiago sein und ein Jahr später in Arica, in Concepción, nach 1quilque gehen (...) und wenn man wiederkommt, vielleicht ist der Andere, den man als Freund hatte, nicht mehr da. (C 8)

Interesse verdient aber auch die Minderheit der Polizisten, die das Verhältnis zu ihren Kollegen als indifferent bezeichnen (Tab. 57). Darunter ist z.B. ein Bolivianer, der seinen Kollegen mangelnden Korpsgeist vorwirft und ein Chilene, der anführt, dass möglicherweise zu große Gruppen Kollegialitätsgefuhle reduzieren können: er arbeitete früher in einer Einheit mit nur vier Mann Besatzung, jetzt in einer mit zwölf Personen. Wir müssen den Korpsgeist entwickeln, der uns fehlt. (B FB) Es ist nicht das gleiche Verhältnis (...), denn hier sind wir zwölf, dort waren wir vier Personen, dort haben wir zusammen zu Mittag gegessen, gefrühstückt, fingen zur gleichen Zeit an (...). Ja, dieser Gruppenzusammenhalt fehlt. (C 9)

287

Aber bei dem eben zitierten Carabinero war es so, dass der Wechsel von der kleineren zur größeren Einheit zugleich ein Wechsel vom Außen- in den Innendienst war. Und auch laut anderen Zitaten wird herausgestellt, dass nicht zum engeren Kollegenkreis gezählt wird, wer normalerweise im Büro tätig ist (Management cop culture vs. street cop culture Reuss-lanni/Ianni 1983; vgl. fiir die BRD Hüttermann 2000: 15). Wer nicht an Patrouillen teilnimmt, kann zum Kollegenschutz wenig beitragen und nicht an der Gefahrengemeinschaft teilhaben. Deshalb sind solche Polizisten in den Augen der Mehrheit keine „richtigen" Polizisten (vgl. Kap. 4.1.3., 4.4.3.). Was zuletzt den Kollegenstatus schwächt und den Gemeinschaftsgeist nachhaltig durchbricht ist jede Meldung eines Fehlverhaltens anderer bei Vorgesetzten. Wegen der Arbeit, die ich mache, Büroarbeit. (C FB) Er meint, dass der motorisierten Gruppe praktische Erfahrung mit Waffen fehlt, da sie Montag bis Donnerstag im Büro sind und nur freitags zu Einsätzen herauskommen. (V 57) Ich merkte hier (Santiago), dass diese Gruppe (frühere Dienststelle) wie eine Familie war (...), ich kam zu spät, dort war das kein Problem, hier wird die Sache prompt bemerkt (...), man muss sich immer den Rücken freihalten, da ein Kollege, der sich gerade sehr freundschaftlich gibt, kann eine Stunde später, kurz darauf fällt ihm etwas ein oder er schwärzt einen beim Chef an. (C 3)

Verlässt man die Ebene der ranggleichen oder wenigstens rangnahen Kollegen und wendet sich den eben bereits angesprochenen Vorgesetzten zu, so kann man zuerst deren Kontrollfunktion ins Auge fassen. Die Kontrollkapazität der Vorgesetzten über einfache Streifenpolizisten ist außerdem ein spezielles Thema, weil die in der Literatur auffindbaren Argumente dazu auseinander fallen. Des Öfteren ist zu lesen, Untergebene seien von ihnen äußerst abhängig. Zumindest in der BRD hängt dies mit dem Beurteilungswesen zusammen, das über Beförderungen entscheidet. Während der Ausbildung und beruflichen Sozialisation spielt außerdem die „heimatferne" und „internatsmäßige" Unterbringung eine Rolle, weil dadurch alternative soziale Kontakte zu Personen, die nicht der Institution angehören, erschwert werden und weil die Ausbilder zugleich Vorgesetzte sind (vgl. Mahr 1993). Trotzdem schildern laut einer Untersuchung189 Polizeischüler das Verhältnis zu ihren vorgesetzten Ausbildern mehrheitlich (89%) als „freundschaftlich und ungezwungen" (Lesnik 1998: o.S.). Sobald sich aber fertig ausgebildete Polizeibeamte zu Wort melden, wendet sich das Blatt. Das Verhältnis zu Vorgesetzten wird als weniger gut beschrieben als von den Polizeischülern (s.u.) und die Kontrollmöglichkeiten der Vorgesetzten werden als gering eingeschätzt. Im Wesentlichen sind sie auf Tätigkeiten beschränkt, die in189

Willems u.a. kamen zehn Jahre vorher noch zu anderen Ergebnissen. Die von ihnen Befragten meinten, das Verhältnis zu den Ausbildern sei unpersönlich und anonym (Willems u.a.: 1988).

288

nerhalb der Wache stattfinden (vgl. z.B.: Backes u.a. 1997: 71). Dies kann man z.B. in einem Text über die „Erfahrungen eines Streifendienstbeamten" (Möller 1988) nachlesen, auch wenn die folgende Passage ursprünglich einem anderen Argumentationszweck des Autors diente: Eine Kontrolle des Streifendienstes bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben durch vorgesetzte Dienststellen ist die Ausnahme. (...) Überschaubar für die Dienststellenleitung ist somit lediglich die schriftliche Arbeit eines jeden Beamten. Was an sonstigen Tätigkeiten noch geleistet wird, entzieht sich der Kontrolle und damit auch der möglichen Anerkennung der Dienststellenleitung. (Möller 1988: 20)

Was sich auf der Straße im Detail ereignet, entzieht sich oft der Kenntnis der Vorgesetzten, so dass der Zusammenhalt der Dienstgruppe und besonders der Streifenwagenbesatzung in Form von Verschwiegenheit nicht nur die Öffentlichkeit oder eine rechtliche Prüfung betrifft, sondern auch als Abwehrmaßnahme gegenüber Kontrollen durch Vorgesetzte eingesetzt werden kann. Dies wurde z.B. in der älteren britischen Studie von Holdaway (1979) sowie von Cain für die U S A belegt (Cain 1973). W o dennoch eine zu engmaschige Kontrolle angeprangert wird, kann man durchaus den Eindruck gewinnen, es mit strategischen Argumenten zu tun zu haben, die eingeführt werden, um die von Polizisten hoch geschätzte Autonomie während des Streifendienstes zu verteidigen. 190 Tab. 58:

Verhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten (Österreich) Kollegen

unmittelbare Vorgesetzte

höhere Vorgesetzte

leger, locker

71%

27%

2%

wenig förmlich

26%

50%

20%

2%

18%

45%

1%

5%

33%

förmlich sehr förmlich

Quelle: Meggeneder 1988a: 132.

190

Burghard schreibt in einem Kommentar zu einer kritischen Publikation, in der u.a. eine verstärkte Kontrolle der Polizeieinsätze gefordert wird: „Ich (...) kann aber feststellen, dass in Hessen, wie sonst vielerorts auch - die Polizeibeamten bereits im ganz normalen täglichen Dienst an der kurzen Leine des ehernen Prinzips von Befehl und Gehorsam geführt werden; eine Leine, die übrigens mit der Verbesserung der Funkausrüstungen immer kürzer geworden ist" (Burghard 1988: 51 lf.). Eine der wenigen Änderungen übrigens, die von ostdeutschen Polizisten nach der Wende positiv bewertet wurden, ist der Abbau der Berichtspflicht gegenüber Vorgesetzten (Korfes 1995).

289

Tab. 59:

BRD: Unterstützung durch Kollegen und Vorgesetzte Kollegen

gar nicht

0,4%

Vorgesetzte

Polizeiführung

3,2%

18,7%

etwas

4,1%

17,1%

45,4%

mittel

14,0%

25,7%

29,2%

ziemlich

45,8%

41,3%

6,2%

sehr

35,7%

12,8%

0,0%

Quelle: Schüller 1991: 349ff.

Zum Verhältnis der Polizisten zu ihren Vorgesetzten gibt es in der BRD etliche detaillierte Untersuchungen, die zeigen, dass ein beachtliches Kritik- und Konfliktpotential existiert. Zwar ist 66% der Befragten in den neuen Bundesländern die Anerkennung durch Vorgesetzte wichtig und ebenfalls 66% halten ihr Verhältnis zu Vorgesetzten für gut, andererseits meinen aber 25% desselben Samples, dass dieses Verhältnis eher schlecht ist (Wanderer/Thieme 1992: 14). Darüber hinaus ist die Liste der Kritikpunkte lang, denen in Fragebögen von erheblichen Anteilen befragter Polizisten zugestimmt wird: 42,1% meinen, Vorgesetzte vertragen keine Kritik; 55,6% fühlen sich in Entscheidungen von Vorgesetzten nicht ausreichend eingebunden; 46,8% ist der unmittelbare Vorgesetzte kein Vorbild; 33,9% sind der Ansicht, der unmittelbare Vorgesetzte schädige durch die Art seiner Führung das Betriebsklima (Kommission Innere Führung 1997: 44ff.); 37% finden, dass Vorgesetzte die Meinung Untergebener ungenügend akzeptieren (Wanderer/Thieme 1992: 14); von Vorgesetzten „abgekanzelt" zu werden ist der wichtigste Ärger auslösende Faktor (Backes u.a. 1997: 39f.); 52,3% wünschen sich mehr Rückendeckung durch Vorgesetzte; 37,9% hoffen, dass sich das Verhältnis zwischen Vorgesetzen und Untergebenen verbessert (Wanderer/Thieme 1992: 14f.) usf. 191 Auch geht aus einer bundesdeutschen sowie einer österreichischen Studie (Tab. 58 und 59), die das Verhältnis von Polizisten zu Kollegen einerseits und zu Vorgesetzten andererseits direkt vergleichend untersuchten hervor, dass das durch positive Wertungen ausgedrückte Zugehörigkeitsgefühl der Dienstschicht, aber nicht den Vorgesetzten gilt (vgl. Waldmann 1978; Willems u.a. 1996). Blickt man wieder nach Südamerika, so ist festzustellen, dass die Ergebnisse bei den vergleichbaren Fragen in Chile und Venezuela denen aus der BRD und aus Österreich in der Grundtendenz entsprechen. Das Verhältnis zu Kollegen wird sehr positiv bewertet, das zu Vorgesetzten schlechter (Tab. 60). Nur in Bolivien ist diese Tendenz vergleichsweise schwach ausgeprägt: die Bewertung der Vorgesetzten bleibt zu 87% im positiven Bereich. Dies ist gerade in Bolivien umso erstaunlicher, als dort zwischen einfachen Polizisten und Vorgesetzten 191

Vgl. weiterhin: Meggeneder (1988a: 130ff.); Behr (1996); Willems u.a. (1996); Deutsche Polizei (1996a).

290

nicht nur eine hierarchische sondern auch eine ethnische Grenze verläuft. Vermutlich spielt dabei eine Rolle, dass die bolivianischen Polizisten innerhalb von Ausbildungseinrichtungen (vgl. Kap. 2.) befragt wurden, d.h. in einer von Vorgesetzten relativ leicht kontrollierbaren Situation, die sich auf die Bereitschaft ausgewirkt haben könnte, Vorgesetzte zu kritisieren. Die Daten aus Caracas bedürfen ebenfalls einer Erläuterung. Die dortigen Polizisten haben in manchen Aussagen nicht von ihren „Vorgesetzten" (superiores) oder der „Polizeifiihrung" (altos mandos policiales), sondern von „Anwälten der PM" (abogados de la PM) gesprochen und dabei geht es meist um die juristische Rückendeckung durch die Institution nach Beschwerden über Polizisten. Die in der Tabelle 60 außerhalb der Klammern stehenden Prozentangaben errechnen sich, wenn man die Berichte über diese „Anwälte" aus der Auswertung ausschließt, die eingeklammerten, wenn man sie in der Auswertung belässt. Man kann diese „Anwälte" als ranghohe, im Polizeidienst tätige Personen betrachten und in diesem Sinne wären sie Vorgesetzte, man kann diese Argumentation aber auch ablehnen. Unabhängig davon werden Vorgesetzte von venezolanischen Polizisten wesentlich schlechter bewertet als gleichgestellte Kollegen und darum geht es in der Gesamtargumentation. Interessant an der Sonderauswertung ist aber zugleich, dass die Bewertungen noch schlechter ausfallen, wenn die juristische Unterstützung durch die Institution mit ins Kalkül gezogen wird, weil dies den Polizisten ein sehr wichtiges Anliegen ist und weil damit die Argumentation zum schlechten Ruf der Rechtsberufe in Kapitel 4.3.1. gestützt wird. Tab. 60:

Chile, Bolivien und Venezuela: Verhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten sehr gut

Chile

Kollegen Vorgesetzte

Bolivien

Kollegen Vorgesetzte

Venezuela

Kollegen Vorgesetzte

33,3%

gut

indifferent

58,3%

8,3%

7,7%

38,5%

38,5%

31,1%

65,6%

3,3%

4,9%

82,0%

9,8%

90%

10%

6,7% (5%)

60% (45%)

schlecht

sehr schlecht

-

7,7%

-

7,7%

-

-

3,3% 33,3% (50%)

Bei der Beschäftigung mit den Antworten auf offene Fragen zu den Vorgesetzten ist auffällig, dass die Polizisten aller drei Länder wenig auskunftsfreudig waren. Besonders die Bolivianer verweigerten sich zum größten Teil, was dafür spricht, dass die vergleichsweise günstige Beurteilung der Vorgesetzten durch sie (Tab. 60 und s.o.) tatsächlich aus der Angst heraus entstand, bei kritischen Bemerkungen Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Aber auch die Chilenen wichen aus, indem sie nur vage Angaben machten, und selbst die venezolanischen Polizisten erzählten im Gegensatz zu ihrer Gesprächsfreudigkeit bei ande291

ren, auch brisanten Themen, selten längere Geschichten. Dennoch kann man aus dem Material auf die Beurteilungskriterien der Befragten schließen. Unterschieden wurde zwischen positiven, negativen und neutralen Wertungen. Bei den als neutrale Wertung zu verstehenden Berichten ging es hauptsächlich darum, dass man keine Schwierigkeiten mit Vorgesetzten zu befürchten hat, wenn man sich nichts zu Schulden kommen lässt. Gelegentlich wurde zurückhaltend gewürdigt, dass die Ausbildung der Vorgesetzten fundierter ist als die eigene. In Bezug auf ihre Vorgesetzten fügt sie an, dass es nie Klagen über sie (die Befragte) gab, weil sie ihre Aufgaben erfüllt und pünktlich ist. (V 29) Weil man sich bemüht die Anweisungen zu erfüllen und wenn man das gut macht, gibt es keine Probleme. (C FB) Normal: weil sie Offizieren etwas anderes beibringen, sie sind besser ausgebildet. (C FB) Weil sie am besten ausgebildet sind und ein rangniedriger Polizist von ihnen lernen kann. (B FB)

Entsprechend dem Ergebnis der quantitativen Erhebung finden sich in der zweiten Kategorie, d.h. unter jenen, die im offenen Frageteil begründet haben, warum sie das Verhältnis zu Vorgesetzten als gut einschätzen, in erster Linie Bolivianer. Sie bleiben bei ihren Antworten aber meist äußerst unpräzise und sprechen in nur allgemeiner Weise von Pflichtbewusstsein, Hochachtung usf. Gelegentlich wird auch die gemeinsam zu bewältigende Aufgabe hervorgehoben und insoweit werden Vorgesetzte von diesen Polizisten ähnlich bewertet wie Kollegen. Weil sie sich an ihre Pflichten halten. (B FB) Respekt und Hochachtung. (B FB) Wir sitzen im selben Boot und sorgen dafür, dass das Recht befolgt wird. (B FB) Weil wir für dasselbe kämpfen, um dasselbe zu erreichen. (C FB)

Hervorzuheben ist zudem eine der wenigen positiven Beurteilungen von Vorgesetzten durch eine venezolanische Polizistin, die berichtet, dass in einen Konfliktfall von einer Abmahnung abgesehen wurde: Ein Häftling verlangte bei seiner Entlassung Schmuckstücke zurück, die sie (Polizistin) nie gesehen hatte (...). Es kam zum Streit zwischen ihr und dem Häftling, später rief der Kommissar sie zu sich (...). Sie wurde nicht verwarnt, wenngleich sie (zunächst) fürchtete, der Zwischenfall könnte ihre Beförderung gefährden. (V 10)

Dieses letzte Beispiel ist deshalb von herausragender Bedeutung, weil das Verhalten der Vorgesetzten im Falle von Konflikten mit Bürgern der Hauptanlass für Kritik und schlechte Bewertungen der Untergebenen ist. Von den Vorgesetzten wird in erster Linie erwartet, dass sie ihre Untergebenen vor gesellschaftli292

chen und juristischen Attacken schützen. Dies wurde in allen drei untersuchten Ländern Südamerikas geäußert (vgl. für die BRD Schwind 1996), auffällig oft aber in Venezuela. Meist beklagen die Polizisten, die Vorgesetzten würden sie zu wenig unterstützen, hätten wenig Verständnis für ihre Lage und würden ihnen zu wenig Rückendeckung geben. Die Anwälte der Kommandantur der PM verteidigen das polizeiliche Vorgehen nicht so wie sie sollten. (V 17) Wenn es eine Beschwerde gibt, weil der Carabinero sich schlecht verhalten hat, und wenn sie (die Vorgesetzten) können, machen sie ihn fertig. (C FB) Weil sie nicht gut verstanden werden, die niedrigen Ränge. (C FB) Weil die Truppe viele Bedürfnisse hat, die die Polizeiftihrung nicht befriedigt. (B FB) Mangel an Kommunikation, sie (rangniedere Polizisten) fühlen sich isoliert, diskriminiert, übergangen, verlassen, benutzt. (B FB)

Ein weiteres Thema ist die Kontrollmacht von Vorgesetzten, aber hinsichtlich Disziplinarstrafen u.ä. ist nur ein einziges Mal, und zwar von einem Chilenen, davon die Rede, dass man dabei Ernstes zu befürchten habe (s.u. erstes Zitat) und bei den venezolanischen Polizisten finden sich Erzählungen, in denen Strafen dem Grundtenor nach zwar als lästig, aber als wenig problematisch eingestuft werden. Einer meint sogar, eine Strafversetzung habe sich im Rückblick eher als Beförderung erwiesen, da er an eine Küstenstadt versetzt wurde, wo es ihn sehr gut gefiel (Kap. 4.3.1.), und einer erklärt, dass er Anweisungen seines Vorgesetzten ohnehin ignoriert. Man hat Angst, dass sie etwas merken. (C FB) Obwohl er ihm angedroht hatte, die Sache vor Gericht zu bringen, ist das nichts, was man „furchten" muss (...), aber es ist lästig, weil es von dort an die Presse geht und „die verbreiten vulgäres Zeug über einen". ( V I ) Mehrere Male wurde er vom Kommissar der Zone, in der er arbeitet, zur Kommandantur geschickt, wo er mit einem Vorgesetzten sprechen musste, der ihm dabei riet, der Leuten gegenüber bei Ausweiskontrollen nicht aggressiv aufzutreten. Der Beamte fasst zusammen indem er sagt „ich bin bei meiner Vorgehensweise autonom". (V 23)

Allein daraus, dass die zuletzt referierten Zitate sämtlich aus Venezuela stammen, kann sicher nicht geschlossen werden, dass die Autonomie venezolanischer Polizisten gegenüber ihren Vorgesetzten besonders groß wäre, es kann aber als deutlicher Hinweis darauf gelten. Bestärkt wird die Folgerung noch dadurch, dass ein älterer Polizist aus Caracas ausdrücklich sagt, dass die Kontrollen durch die Polizeiftihrung legerer gehandhabt werden, seit er Polizist ist:

293

Die Hauptprobleme [...] kommen davon, dass es kein gutes System der Rekrutenauswahl gibt [...]. Vor 29 Jahren, wenn ein Beamter „gelogen hat, gewalttätig war, den Schlagstock grundlos benutzt hat, wurde er bei der Polizei sofort entlassen". (V 35)

Die Beschwerden chilenischer Polizisten über Vorgesetzte richten sich auf eine ganz andere Dimension, nämlich die Arroganz der Führungskräfte und die strikte Betonung der Hierarchie. In einem Fall geht diese Abgrenzung sogar soweit, dass eine zwischen einem Offizier und einem einfachen Polizisten entstandene Freundschaft geheim gehalten werden muss (s.o.). Es gibt einen Klassendünkel: von Offizieren gegenüber rangniedrigem Personal. (C FB) Wegen dem Ausmaß der Unterschiede zwischen dem höherrangigen und dem normalen Personal ist es (das Verhältnis) schlecht. (C FB)

Ähnliches ist von den Bolivianern zu hören. Auf eine Frage nach dem Betriebsklima („Wie ist das Arbeitsklima bei der Polizei?") berichten sie ebenfalls in negativer Weise von Vorgesetzten. Sie sagen, das Betriebsklima sei schlecht, wegen „der rigiden Disziplin" (B FB) und „dem Machtmissbrauch gegenüber den Untergebenen" (B FB). Zu ergänzen ist, dass einige Polizisten zwischen den Vorgesetzten des eigenen Kommissariats und den von außen kommenden bzw. nächsthöheren Vorgesetzten unterscheiden. Betont wird, dass das Verhältnis zu den Externen schlechter sei als zu den Internen, was den Ergebnissen der Studien aus anderen Ländern entspricht, die bei Vorgesetzten zwischen verschiedenen Ranghöhen unterscheiden (Tab. 58, 59). Wenn es innerhalb des Kommissariats ist (ist das Verhältnis gut), weil es Verständigung und Kameradschaft gibt. (C FB) (Schlecht), wenn sie (die Vorgesetzten) von außerhalb kommen. (C FB) Das Verhältnis zu Kollegen (...) ist gut, auch zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, aber die Polizeifuhrung ist unnahbar, es ist schwierig mit ihnen zu reden. (V 2)

Die Beurteilung der Vorgesetzten hängt demnach hauptsächlich davon ab, ob sie sich kollegial verhalten und das bedeutet in den Augen der Polizisten, dass sie sich nicht als höherwertig darstellen und ihre Machtposition nicht dazu einsetzen, die Polizisten im Streifendienst zu kontrollieren, sondern vielmehr dazu, sie gegen von außen kommende Angriffe verlässlich zu verteidigen. Verlässlichkeit und Kollegialität spielen aber auch unter ranggleichen Polizisten eine herausragende Rolle. Der internationalen Polizeiliteratur kann man entnehmen, dass die kollegiale Solidarität unter Polizisten eines der wichtigsten Merkmale dieses Berufs darstellt und in einigen vorhergehenden Abschnitten dieser Arbeit konnte man sehen, dass auch die Polizisten Südamerikas immer wieder von sich aus auf Kameradschaft, Kollegialität, gegenseitige Hilfe usf. zu sprechen kommen. Aber diese Solidaritätsvorstellungen können viele Facetten haben, die von der Hilfe in Gefahrensituationen über die „unbürokratische" Zusammenarbeit mit anderen

294

Dienststellen bis hin zur Vertuschung von Verfehlungen im Dienst reichen können. Es sei darauf hingewiesen, dass auch die Polizeiliteratur in Deutschland voll von teils mit Originalzitaten von Polizisten belegten Aussagen ist, die wenig Zweifel daran lassen, dass auch dort diese Praktiken zur Vorstellung von Kameradschaft gehören. 192 Die empirischen Erhebungen, die dieses Thema anschneiden, decken ebenfalls auf, dass Polizisten dazu neigen, die Dinge unter sich auszumachen und möglichst nicht einmal die unmittelbaren Vorgesetzten einzuweihen. In der Publikation von Backes u.a. (1997) kann man z.B. nachlesen, dass bei Bagatelldelikten durch Kollegen (in der Fragestellung definiert als leichte Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung) 33% eine Anzeige nicht für richtig halten - 67% sind gegenteiliger Ansicht - und dass 56% glauben, dass ein Polizist, der einen anderen Polizisten anzeigt, von seinen Kollegen gemieden werden würde. Verfehlungen eines Kollegen, so die Meinung der Mehrzahl der Befragten, soll man zwar mit ihm „unter vier Augen" (88%) oder „in der Schicht besprechen" (68%) und ggf. dem „Revierführer melden" (70%), aber nur eine Minderheit von 33% würde den Kollegen auch beim „Revierführer anzeigen" (Backes u.a. 1997: 67ff.). In einer anderen Studie von Holz, der sich speziell mit Korruption beschäftigt, finden sich ähnliche Hinweise: nur 24% der befragten Polizisten würden an sie gerichtete Korruptionsversuche im weiteren Kollegenkreis diskutieren, 53% dagegen im engeren Kollegenkreis. Außerdem sollten die Polizisten angeben, wie ein neuer Kollege vermutlich reagieren würde, wenn er feststellen müsste, dass seine Kollegen innerhalb ihres Reviers „umfangreiche Rabatte" in Anspruch nehmen können. Nur 2% meinten, dieser Kollege würde seine Beobachtung dem Dienststellenleiter melden, 32% fanden, dies sei schwer einzuschätzen, aber eine Meldung auf dem Dienstweg sei nicht zu erwarten, 19% glaubten, er würde das System dulden ohne selbst zu partizipieren, jeweils 16% glauben, er würde entweder aus Loyalität und Solidarität oder aus Angst vor Repressalien und schlechten Beurteilungen mitmachen, und 7% vermuten, er würde bedenkenlos mitmachen (Holz 1997: 407ff.). Tab. 61:

Chile und Bolivien: Verlässlichkeit der Kollegen immer

meistens

indifferent

Chile

16,7%

58,3%

25%

Bolivien

32,2%

16,9%

37,3%

192

selten

nie -

10,2%

3,4%

Siehe v.a. die Publikationen der „kritischen Polizisten", insb. in den Zeitschriften CILIP/ Bürgerrechte und Polizei und Unbequem sowie: Herrnkind (1995a); Schäfer (1995); Schwind (1996); Willems/Eckert/Jungbauer (1996); Willems u.a. (1988).

295

Tab. 62:

Chile und Bolivien: Bedeutung der Verlässlichkeit der Kollegen sehr wichtig

wichtig

Chile

58,3%

41,7%

Bolivien

56,9%

15,5%

indifferent

20,7%

unwichtig

3,4%

sehr unwichtig 3,4%

Alle Facetten der polizeilichen Solidaritätsvorstellungen in Südamerika auszuleuchten, wäre im Rahmen der vorliegenden Studie nicht möglich gewesen, und es konnte aufgrund der Situation in den südamerikanischen Ländern auch nicht allzu offen gefragt werden (vgl. Kap. 2), ob die Polizisten bereit wären, einen Kollegen wegen Verfehlungen oder Straftaten im Amt anzuzeigen, zumal es bei den Taten der lateinamerikanischen Polizisten oft nicht um Bagatellen, sondern um Kapitalverbrechen geht. Deshalb wurde in den Fragebögen 193 nur erhoben, ob die Polizisten meinen, sich auf ihre Kollegen „unter allen Umständen" verlassen zu können und wie wichtig ihnen dies ist. Die Verwendung des Begriffs der „Verlässlichkeit" hat dabei den Vorteil, dass er relativ offen ist und unterschiedliche Assoziationen zu wecken imstande ist. Auch belegt die Erhebung von Schüller (1991), dass die „Verlässlichkeit von Kollegen" für Polizisten bei einer ganzen Reihe polizeilicher Situationen relevant ist.194 Durch Situationsbeschreibungen abgefragt wurden z.B. Verkehrskontrollen, bei denen es zu unvorhersehbaren Zwischenfällen kommt, und monatelange juristische Prüfungen von dienstlichen Entscheidungen, die ursprünglich split-second-decisions (Geller/Karales 1981a) waren, d.h. äußerst schnell getroffen werden mussten (Schüller 1991:268). Die Tabelle 61 zeigt auf, dass die in Chile und Bolivien interviewten Polizisten mehrheitlich der Ansicht sind, sich unter allen Umständen auf ihre Kollegen verlassen zu können. Bei den Chilenen ist dieses Vertrauen in die Kollegen sogar noch stärker als bei den Bolivianern. Der hohe Stellenwert der Verlässlichkeit von Kollegen geht außerdem aus der Tabelle 62 hervor, aber zugleich zeigt sich, dass die Werte für die tatsächliche Verlässlichkeit in beiden Ländern etwas unter der erwünschten Verlässlichkeit liegen, d.h. die Erwartungen an die Kollegen werden nicht vollständig erfüllt.

193

Die Angaben der Polizisten aus Caracas nehmen nur vereinzelt Bezug auf diese Fragestellungen, so dass die dortige Polizei in diesem Abschnitt nur selten in den Vergleich einbezogen werden kann. 194 Den Befragten wurden verschiedene hypothetische Situation beschrieben und danach sollten sie in Bezug auf diese Situationen sagen, ob sie meinen, „daß die Kollegen in ihrer Dienstgruppe die einzigen sind, auf die Sie sich verlassen können?" (Schüller 1991: 381fF.).

296

Anlässlich einer offenen Frage sollten die Polizisten überdies angeben, in welchen Situationen diese Zuverlässigkeit besonders wichtig ist und dabei wurde mehrheitlich entweder in allgemeiner Weise von gegenseitiger Hilfe im Alltagsdienst gesprochen oder aber von gefährlichen polizeilichen Einsätzen, bei denen die Unterstützung durch die Kollegen überlebenswichtig sein kann. Dies trifft übrigens auch auf die venezolanischen Polizisten zu. Weil man fast immer Hilfe bekommt, wenn man sie bei der Arbeit braucht. (C FB) Weil er (Kollege) der ist, der einem bei der Arbeit täglich zur Seite steht. (B FB) In gefahrlichen Situationen muss man sich geschützt fühlen können. (B FB) Weil man immer versucht zu helfen, vor allem bei Gefahr. (C FB)

Tab. 63:

Chile und Bolivien: Enttäuschung durch Kollegen oft

Chile Bolivien

manchmal

selten

16,7%

25%

58,3%

8,2%

6,6%

85,2%

Beispiele für Situationen, in denen sich die Interviewten nicht auf ihre Kollegen verlassen konnten, haben bei der offenen Nachfrage weder die chilenischen noch die bolivianischen Polizisten angegeben. Beide Gruppen holen dies aber bei einer weiteren Frage nach, die nach konkreten Enttäuschungen durch Kollegen fragte. Im Hinblick auf die quantitative Auswertung (Tab. 63) ist zunächst bemerkenswert, dass es nun die Chilenen sind, die öfter als die Bolivianer angeben, von ihren Kollegen enttäuscht worden zu sein, wohingegen sie ihnen bei den vorausgehenden Fragen ein besseres Zeugnis ausgestellt hatten. 85,2% der bolivianischen, aber nur 58,3% der chilenischen Polizisten sagen, sie seien von den Kollegen selten enttäuscht worden und doppelt so viele Chilenen wie Bolivianer geben an, oft enttäuscht worden zu sein. Enttäuschung kann aber zwei Ursachen haben. Entweder resultiert sie aus dem Verhalten der Kollegen oder aus einem hohen Anspruch des Enttäuschten. Dies zeigt sich dann auch in den Antworten auf die offene Nachfrage nach den konkreten Anlässen der Enttäuschung: die Chilenen nennen mehr Kriterien der Enttäuschung als die Bolivianer. Die Polizisten beider Länder sprechen von Situationen, von denen sie persönlich betroffen sind, z.B. üble Nachrede im Kollegenkreis, nicht adäquate Reaktionen von Kollegen in Gefahrensituationen und unbegründetes Fehlen im Dienst:

297

Klatsch. (B FB) Bei Reaktionen in Gefahrensituationen. (B FB) Manche der Kameraden sind Verräter. (B FB) Wenn ich auf der Straße Probleme hatte. (C FB) Wenn sie sich schlecht benehmen, zu spät kommen. (C FB)

Aber die Carabineros gehen darüber noch hinaus und werten es als Enttäuschung, wenn Kollegen in Verbrechen verwickelt sind. Das tun die Bolivianer (und die Venezolaner) nicht, obwohl in diesen Ländern Straftaten durch Polizeikräfte allen Informationen zufolge häufiger vorkommen als in Chile (vgl. Kap. 1. 5.1.). Vielleicht müsste man das „obwohl" im letzten Satz auch durch ein „weil" ersetzen: die Abweichung wird erst durch die Normalität konstituiert und wo Abweichung normal ist kann man von ihr nicht enttäuscht sein. Wegen dem schlechten Verhalten einiger, manchmal demoralisieren sie einen. (C FB) Wenn sie Verbrechen begehen. (C FB) Bezüglich Kriminalität, wenn es Carabineros gibt, die Straftaten begangen haben. (C FB)

4.4.3. Kolleginnen, „Politessen" oder Sekretärinnen? Frauen in Männerberufen sind ein eigenes Thema, das gilt auch für die Polizei. Medienwirksame Schlagzeilen machen Polizistinnen in der Bundesrepublik v.a. durch zwei Umstände. Zum einen gab es eine Reihe von Selbstmorden von Polizistinnen, bei denen nachgeprüft werden musste, inwieweit sie durch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und Mobbing ausgelöst wurden (vgl. Die Zeit 1997, 1999; Augstein 1997; Albrecht 1994), und zum anderen wurden die wenigen Anzeigen wegen Straftaten im Dienst gegen Polizisten relativ oft von Polizistinnen in die Wege geleitet (vgl. Diederichs 1994; Die Zeit 1997; Augstein 1997). Diese Themen sind insofern miteinander verwoben, als beide auf den Außenseiterstatus der Frauen bei der Polizei verweisen. Im Falle von Mobbing, weil ihnen der Kollegenstatus offenkundig verwehrt wird und im Falle der Anzeigen insofern, als sie entweder bereits vorher, spätestens aber nach der Anzeige aus dem Solidaritätsverband ausgeschlossen werden bzw. worden sind. Die Frage der Selbstmorde und des Mobbing sollen an dieser Stelle jedoch nicht verfolgt werden, schon weil darüber aus Südamerika keine Angaben vorliegen. Es soll aber untersucht werden, ob Polizistinnen in diesen Ländern und in der BRD als vollwertige Kolleginnen angesehen werden oder ob sie den Status einer Hilfspolizistin, „Politesse" oder Sekretärin innehaben, auch weil sich an dem Grad der Akzeptanz von Frauen ablesen lässt, wie die Berufsauffassung der Männer aussieht. 298

In der Bundesrepublik waren noch 1975 nur rd. 18% der damals von Helfer/Siebel befragten Schutzpolizisten (mittlerer Dienst) der Meinung, dass Frauen auf demselben Dienstposten dieselbe Leistung erbringen könnten wie sie selbst, bei der Kripo waren es 34% (Helfer/Siebel 1975: 1324). Seitdem sollte sich, so steht zu vermuten, ein Wandel vollzogen haben, zumal inzwischen in allen Bundesländern Frauen im schutzpolizeilichen Dienst stehen und grundsätzlich dieselben Aufgaben wahrnehmen wie ihre männlichen Kollegen. Trotzdem scheint dies noch nicht für jedermann selbstverständlich zu sein. Liest man z.B. die Polizeizeitschriften, so fallen gelegentlich Beiträge auf, die aufzeigen, dass manche Polizisten Mühe haben, Kolleginnen zu akzeptieren. Eine der letzten männlichen Domänen unserer Zeit war rettungslos zerstört. (...) Sie brachen in die letzte Männerenklave Deutschlands ein wie der Habicht in den berühmten Hühnerhaufen. (...) So schmeichelte die erste Generation (...) dem Innenminister noch das Versprechen ab, nach der Ausbildung nicht in die Bereitschaftspolizei zurück zu müssen, sondern gleich die Wunschdienststelle zu erreichen. Dies geschah und die Männer waren sauer. Daher wurde das abgeschafft. (Dziony 1993: 164) Die ästhetische Katastrophe tritt unverzüglich dann ein, wenn die weiblichen Frisuren man sieht das noch hin und wieder - unter dem Einsatzhelm verschwinden und die gesamte polizeiliche Einsatzkraft von einem über-frau-großen Einsatzschild verschleiert wird. Die eleganten Springerstiefel, Abfallprodukt einer Pierre-Cardin-Studie über russische Bergmannsschuhe, runden das Erscheinungsbild ab und zerstören zumindest in diesem Stadium die letzte Hoffnung, daß es zwischen Männern und Frauen noch einen identifizierbaren äußerlichen Unterschied gibt. (Dziony 1993: 165) Äußerlich gesehen haben die „Frauenkritiker" j a recht, in die grünen Uniformen passen die Damen nun wirklich nicht hinein, da sehen sie nämlich immer noch so aus, als hätten sie mit ihren männlichen Kollegen die Hosen getauscht, von den Dessous ganz zu schweigen. (...) P.S. Auch wenn es die Ausbildung verlangt, in geschlossenen Verbänden sind Frauen vielleicht doch nicht die ideale Besetzung. Wer die jungen Damen bei den diversen Hundertschaften aus allen Bundesländern beim Weltwirtschaftsgipfel ihre schwere Ausrüstung schleppen sah, fand das doch weniger ladylike und unter ihren Fähigkeiten: Die angehenden Polizistinnen sollten doch so schnell wie möglich unter die Bürger gehen, wo sie ihre Fähigkeiten voll einbringen können. Und den Männern bleibt dann doch noch eine kleine Domäne. (Stengel 1993: 161 f.)

Allerdings gibt es auch die andere Seite. Zum Beleg sei ein längeres Zitat aus einem Beitrag eines Leiters eines SEK (Sondereinsatzkommando) angeführt. Er äußert sich dazu, dass sich Nordrhein-Westfalen noch 1996 als letztes Bundesland weigerte, Polizistinnen in ein SEK aufzunehmen, u.a. mit den Argumenten, sie seien aufgrund ihrer durchschnittlich geringeren Körpergröße physisch weniger leistungsfähig als Männer und würden den Beschützerinstinkt ihrer männlichen Kollegen stimulieren, was die wiederum zu unbedachten Handlungen verleiten könne (Küster 1996):

299

Sportmedizinische Erhebungen u.a. der Sporthochschule Köln attestieren den Frauen jedoch grundsätzlich gleiche physische Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit. Im Ausdauerbereich sind sie dem männlichen Geschlecht sogar überlegen. Will man eine Korrelation zwischen Gewicht und Leistungsfähigkeit und daraus resultierendem körperlichen Durchsetzungsvermögen herstellen, wird es dringend Zeit, auch für Männer ein Mindestgewicht für eine SEK-Verwendung festzulegen; doch dann wären wir unsere „wertvollen Terrier" los. Ein weiterer Ausschlußgrund ist das viel zitierte Beschützersyndrom. Aufgrund von angeblich gemachten Erfahrungen in Einsatzeinheiten sollen Männer ihrer Quasi-Grundkonditionierung erliegen und sich in kritische Situationen geratenen Kolleginnen beschützend zuwenden, was sich nachteilig auf ihre eigene Aufgabenerfüllung auswirke. Hierzu führt u.a. der wissenschaftliche Dienst der HLPS Münster aus, daß es sich dabei nicht um eine reflexartige Konditionierung des Mannes handelt, sondern diese Verhaltensweise eher dem mitteleuropäischen Erziehungs- bzw. Kulturgut entspringt. Fazit. Nicht die Frau, sondern der Mann ist durch adäquate Fortbildung auf eine aufgabenbezogene Verhaltenssteuerung zu trainieren. (Küster 1996: 6f.)

Abgesehen von den Artikeln aus Polizeizeitschriften wird in der BRD auch empirisch untersucht, inwieweit Frauen im Polizeidienst akzeptiert werden und was gegen sie vorgebracht wird, wenn ihre eingeschränkte Dienstfähigkeit belegt werden soll. Ungeachtet des eben zitierten besagt das Hauptargument, die körperliche Kraft von Frauen sei für einen vollwertigen Diensteinsatz nicht ausreichend. Zweitens wird des Öfteren angenommen, sie würden bevorzugt werden und wären zu wenig kameradschaftlich eingestellt. Eine dritte Deutung lautet, nicht etwa die Polizisten, sondern die Bevölkerung würde Polizistinnen nicht akzeptieren. Zuletzt wird behauptet Frauen hätten spezifische Fähigkeiten, die sie zwar nicht vom Polizeidienst ausschlössen, sie aber begrenzt einsatzfähig machten und für die Erledigung bestimmter Aufgaben prädestinierten. Die Annahme, Frauen seien physisch nicht ausreichend belastbar, findet bei Befragungen unter Polizisten breite Zustimmung. Von Lesnik (1998) interviewte Polizeischüler sollten z.B. angeben, ob es gegenüber Frauen im Polizeidienst Vorurteile gäbe. Obwohl bei seiner Fragestellung nicht exakt zu unterscheiden ist, ob Vorurteile der Bevölkerung oder der Polizisten gemeint sind, sind die Ergebnisse nennenswert. Nicht nur, dass mit 92,1% fast alle Befragten (Lesnik 1998: o.S.) meinten, es gäbe diese Vorurteile, auch bezogen sich in einem anschließenden offenen Antwortteil 55,8% der Bemerkungen der Männer und 57,6% derjenigen der Frauen auf eine so benannte „körperlich-geistige" 195 Unterlegenheit von Frauen. Zudem waren sowohl männliche als auch weibliche Befragte mehrheitlich der Ansicht, Frauen hätten „körperliche Probleme bei der Kampfausbildung", wenngleich mehr Frauen (32%) als Männer (18%) die entsprechende Frage verneinten (Lesnik 1998: o.S.). 196 Ein anderes zählebiges Argument gegen Frauen im Polizeidienst lautet, sie würden bevorzugt werden. Darunter fällt aus der Perspektive mancher bereits der Umstand, dass für 195 196

Zu diesem Begriff: Lesnik (1998). Bereinigt um k.A. Ähnlich ist es laut einigen von Franzke (1997) zitierten Studien in den USA.

300

Schwangere und junge Mütter (und ggf., aber selten Väter) Arbeitsstellen freigehalten, aber aufgrund der Finanzlage manchmal nicht vertreten werden, was bei den übrigen Mitarbeitern wegen der Mehrarbeit unweigerlich zu Unmut fuhrt. Andere glauben, Frauen würden generell oder aufgrund sexueller Reize privilegiert. 197 Bei der bereits angesprochenen offenen Frage von Lesnik (1998, s.o.) wurden solche Vorurteile von männlichen Polizeischülern am zweit(22,1%) und von Polizeischulerinnen am dritthäufigsten (9,1%) genannt, auch fanden nur 8% der weiblichen, aber 74% der männlichen Polizeischüler, Frauen hätten in der Ausbildung nicht näher beschriebene Vorteile (Lesnik 1998: o.S.). 198 Wie objektiv die Wahrnehmung bevorzugter Behandlung mitunter ist, hat ein Polizeibeamter in seiner Dienstgruppe festgestellt: Daraufhin beschwerten sich zwei Männer, die Kollegin bekäme ständig frei, während sie selbst am Wochenende immer Dienst verrichten müssten. Da die übrigen Männer diesen Eindruck verstärkten, habe ich die Dienstbefreiung der davorliegenden 30 Wochenenden geprüft und festgestellt, daß tatsächlich jedoch jeder der beiden männlichen Beamten mehr Wochenenden frei hatte als die Kollegin. (Lückemeyer 1993: 157)

Die angebliche Bevorzugung von Frauen im Polizeidienst beschädigt die Kollegialitätsgefuhle ihnen gegenüber ohne Zweifel erheblich und ihnen wird zudem insofern mangelnde Kameradschaftlichkeit vorgehalten, als Frauen untereinander ein spezifischer Konkurrenzkampf unterstellt wird. Einer entsprechenden Frage von Lesnik (1998: o.S.) wurde sowohl von Männern (87%) als auch von Frauen (56%) mehrheitlich zugestimmt. Das mag einerseits nicht ohne Grundlage sein, weil sowohl in der Ausbildung als auch im Berufsleben ein gewisser Konkurrenzkampf unvermeidlich ist. Andererseits ist bemerkenswert, dass männliche Polizeischüler die Frage häufiger bejahten als weibliche, und dass die Frage, ob ein Konkurrenzkampf unter Männern existiere, weder im Fragebogen gestellt noch im offenen Teil der Interviews von den jungen Polizisten selbst angesprochen wurde. Dass nicht die Einstellungen von Polizisten sondern die der Bevölkerung die Einsatzmöglichkeiten von Frauen bei der Schutzpolizei begrenzen würden, ist ein ebenfalls häufig vorgebrachtes Argument. Polizeischüler, hauptsächlich männliche, sind zu 52% der Meinung (weibliche Polizeischüler: 27%), Polizistinnen würde von Bürgern nicht derselbe Respekt gezollt wie Polizisten. (Lesnik 1998: o.S.). Das wird möglicherweise überbewertet. In einer anderen Studie (Riegl 1998) wurde nämlich gefragt, ob sich die Bevölkerung beim Einsatz weiblicher Polizisten sicher fühlen würde. Damit zielt diese Erhebung zwar auf eine andere Dimension des Verhältnisses zwischen Bürgern und Polizistinnen als die vorhergehende (Sicherheitsgefuhl versus Respekt), sie ist aber insofern vergleichbar, als sich in beiden Fällen Polizisten über vermeintliche Bedenken 107

Vgl. zu den USA und zur BRD Franzke (1997).

198 Bereinigt

um k.A.

301

gegenüber Polizistinnen äußern. Parallel dazu wurde in der Studie von Riegl einer Stichprobe der Bevölkerung dieselbe Frage gestellt. Die Ergebnisse zeigen nicht nur, dass das Sicherheitsempfinden beim Einsatz von Polizistinnen recht gut ist, sondern auch, dass die befragten Polizisten die Vorbehalte der Bevölkerung überschätzen (Tab. 64). Eine besondere Art der Beurteilung der Polizistinnen besteht zuletzt darin, ihnen Charakteristika zuzuschreiben, die sie dazu befähigen sollen, bestimmte polizeiliche Aufgaben zu übernehmen. Zeigen lässt sich dies abermals anhand der Erhebung von Lesnik (1998), in der gefragt wurde, ob die Polizisten glauben, dass es für Polizistinnen „Möglichkeiten spezifischer Problembewältigung" gäbe. Im Ergebnis existieren solche Urteile bei beiden Geschlechtern, mehr aber bei den Männern (65%) als bei den Frauen (50%). International recht gut belegt ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Aufgaben, für die Frauen prädestiniert seien, zumeist genau jene sind, die Polizisten nicht gerne übernehmen (vgl. Franzke/Wiese 1997; Franzke 1997; MüllerFranke 1996; Exkurs 2). Tab. 64:

BRD: Sicherheitseinpfinden der Bürger beim Einsatz weiblicher Polizisten sehr gut/gut

Bevölkerung

befriedigend

sehr schlecht/schlecht

38% 32%

33% 48%

Polizisten

29% 20%

Quelle: Riegl 1998: O.S. 199

In Chile, Bolivien und Venezuela konnten die Einstellungen zu Polizistinnen nicht so detailliert erforscht werden, wie in den erwähnten deutschen Studien. Es wurden aber drei Fragen zu Frauen im Polizeidienst gestellt. Zuerst, ob mehr Frauen bei der Polizei arbeiten sollten, dann, welche Tätigkeiten sie übernehmen könnten und zuletzt, welche speziellen Probleme sie bei der Dienstausübung hätten. Auch in diesem Abschnitt der Fragebögen konnten die Polizisten in Chile und Bolivien außerhalb der geschlossenen Fragen frei antworten und davon machten sie extensiven Gebrauch. Ebenso hatten die venezolanischen Polizisten zu diesem Thema ausgeprägte Meinungen. Tab. 65:

Chile, Bolivien und Venezuela: Sollen mehr Frauen als Polizistinnen arbeiten?

Chile Bolivien Venezuela

199

Bereinigt um k.A.

302

ja 50% 91,1% 100%

nein

50% 8,9%

Bei der Frage, ob mehr Frauen als Polizistinnen arbeiten sollten, unterscheiden sich die Antworten aus Chile einerseits und Bolivien und Venezuela andererseits erheblich (Tab. 65). Während von den Chilenen die Hälfte mehr Frauen im Polizeidienst wünscht, waren es in den anderen beiden Ländern fast alle Befragten. Dies ist nicht für Chile, aber für Bolivien und Venezuela ein unerwartetes Ergebnis, sollte man doch angesichts des viel beschriebenen lateinamerikanischen Machismos annehmen, dass der Polizeiberuf in besonderem Maße als Männerberuf gilt. Um so mehr interessieren die Gründe, die die Polizisten fiir ihre Einstellungen angegeben haben. Ablesen kann man sie an den Antworten auf die übrigen Fragen zu Polizistinnen, in denen die Interviewten frei formulieren konnten, und sie werden zeigen, dass die Ergebnisse aus Bolivien und Venezuela gerade nicht für eine gleichberechtigte Stellung von Polizistinnen sprechen. Ausgewertet wurden die Antworten in fünf Schritten. Zuerst werden die Fälle dargestellt, in denen die Meinung vertreten wird, Frauen könnten alle Aufgaben eines Polizisten erfüllen. In den übrigen Aussagen werden zweitens polizeiliche Tätigkeitsberichte genannt, die Polizistinnen nicht bewältigen könnten, und drittens solche, für die sie besonders befähigt seien. Danach gilt das Augenmerk den Problemen der Polizistinnen in ihrem Berufsalltag. Dabei werden zuerst jene Polizisten zu Wort kommen, die sagten, dass Polizistinnen keine spezifischen Schwierigkeiten hätten und danach jene, die vermeintlich typische Probleme von Frauen im Polizeiberuf aufzählen. Dabei wird im Folgenden auch zu bemerken sein, wie sehr sich die gegen den vermehrten Einsatz von Polizistinnen gerichteten Argumente in der BRD und Lateinamerika gleichen. Auf die Frage, welche Aufgaben Frauen bei der Polizei leisten können und welche nicht, hat ein Teil der Interviewten gesagt, sie könnten alle polizeilichen Aufgaben bewältigen. Dieser Anteil ist in keinem der drei Länder sehr groß, mit fast 23% aber in Chile am größten (Bolivien 11%; Venezuela 16%), was nun den Eindruck erweckt, dass es doch die Carabineros sind, die weibliche Polizisten am ehesten akzeptieren. Bezieht man die von den Polizisten ausformulierten Begründungen in die Interpretation mit ein, verstärkt sich dieser Eindruck noch. Unter den Carabineros finden sich nämlich auch Männer, die diese Position vertreten, in Venezuela dagegen ausschließlich Frauen. Man darf sie nicht deswegen benachteiligen, weil sie Frauen sind, sie können dasselbe tun wie wir. (C FB) Dieselben (Aufgaben) wie jeder, denn sie kommen ausgebildet aus der Polizeischule, um dieselben Aufgaben zu erfüllen. (C FB) Zur Arbeit der Frauen findet sie, dass es mehr werden sollten, die im Streifendienst oder Büro arbeiten (...), dass sie für alles ausgebildet sind. (V 6)

Beim Vergleich der bolivianischen mit den chilenischen Aussagen steht ein anderes Argument im Vordergrund. Wenn die bolivianischen Polizisten nämlich im Fragebogen angekreuzt haben, dass Frauen alle polizeilichen Aufgaben 303

wahrnehmen können, so meinen sie das laut den offenen Antworten ausschließlich mit Bezug auf weibliche Kriminelle. Manche Chilenen nehmen diese Einschränkung zwar auch vor, das ist aber nur sehr selten der Fall. Alle (Aufgaben), weil Frauen auch in allen Bereichen straffällig werden. (B FB) Weil Kriminalität nicht nach Geschlecht verteilt ist. (B FB) Dieselben (Aufgaben) wie die Männer, weil es auch weibliche Delinquente gibt, die von weiblichen Polizisten registriert werden müssen. (C FB)

Aber selbst wenn die Chilenen häufiger als die Bolivianer und Venezolaner von einer Gleichwertigkeit der Geschlechter im Polizeiberuf ausgehen, ist dies auch in Chile keine Mehrheitsmeinung. Eine erste von einem Carabinero vorgenommene Einschränkung lautet, Polizistinnen könnten zwar jede polizeiliche Aufgabe ausüben, mehrheitlich aber nicht in derselben Qualität wie Männer und sie würden sich vor unangenehmen Arbeiten drücken. Sie haben bei manchen Arbeiten schon Probleme, aber nicht so viele, wie sie denken (...), eine weibliche Carabinera kann es genauso, aber die Qualität der Arbeit ist schlecht(er). Zum Beispiel den ganzen Tag auf einem Platz stehen, das kann eine Frau perfekt machen, aber sie wird es nicht wollen „nein, das überanstrengt mich", tatsächlich ist es nur ihre Bequemlichkeit. Dennoch gibt es Frauen, die sehr gute Carabineras sind (...), die alles machen, sogar wenn man ihnen sagt „ich mach's". (C 3)

Mehr noch als die Polizisten, die weitgehend der Ansicht sind, dass Frauen alle polizeilichen Arbeitsgebiete bewältigen können, sind die 80 - 90% von Interesse, die die gegenteilige Auffassung vertreten. Sie nannten jeweils Arbeitsgebiete, für die Polizistinnen ihrer Meinung nach geeignet bzw. nicht geeignet sind. Nicht geeignet sind Frauen, darin sind sich die Polizisten aller drei Länder weitgehend einig, für Aufgaben, die als „eigentliche Polizeiarbeit" gelten. Die Gewichte der einzelnen Kategorien verschieben sich in den drei Ländern allerdings ein wenig. Die befragten Venezolaner meinten i.d.R. pauschal, Frauen seien für jegliche Art von Streifendienst untauglich, weil er zu gefährlich sei (vgl. Kap. 4.2.4., 4.2.3.). Symptomatisch ist aber auch ein Bericht, der zunächst einmal für Polizisten aus Caracas typisch ist: ein Passant wird erschossen, in diesem Fall von einer Polizistin. Außergewöhnlich ist, dass die Schutzin vom Interviewten nicht verteidigt wird, sogar eine Strafanzeige wird als gerechtfertigt dargestellt. Das mag daran liegen, dass sich herausstellt, dass der Getötete ein Polizist war, aber die Tatsache, dass eine Frau die Täterin war, spielt ebenfalls eine erhebliche Rolle, das lässt sich aus dem Gesamttenor unschwer erkennen. Alles in allem dient die Geschichte dem Zweck zu belegen, dass Frauen für den Streifendienst untauglich sind und offensichtlich wird ihr deshalb zugleich der Kollegenstatus entzogen. Auch mit dem Solidaritätsgebot wird gebrochen, die Tötung wird nämlich als Fehlreaktion der Polizistin dargestellt, was im gesamten Interviewmaterial sonst nicht vorkommt. 304

Zur Arbeit der Frauen meint er, dass sie besser in der Verwaltung arbeiten sollten und um das zu untermauern berichtet er (...). Eine Frau vom Wachdienst sah nachts einen Mann in Zivil, der zur Polizeistation kam. Sie befahl ihm, sich an eine Wand zu stellen und er sagte ihr, dass er Sargento ist. Als er die Waffe zog, schoss sie sechs Mal auf ihn. Die Version der Frau lautete, er habe sie erschießen wollen (...). Inzwischen wurde sie verurteilt, es gab Zeugen, die gegen sie aussagten. Der Interviewte fügt an, dass es ihr Fehler war. Er findet, dass man Frauen bei Durchsuchungen von Frauen braucht, aber nicht im Streifendienst. Vor allem will er nicht, dass Frauen bei Einsätzen dabei sind, weil er glaubt, dann größere Verantwortung zu tragen (...). Er sagt, diese Frau habe nicht vorsichtig genug gehandelt, sie vergaß, dass sie Polizistin war (...). Er weiß, dass es schwer ist rechtliche Vorgaben zu befolgen, wenn das eigene Leben in Gefahr ist, aber das war hier nicht der Fall. (V 12)

In Chile und Bolivien stellt sich die Situation ähnlich dar. Auch unter den dortigen Polizisten finden viele, dass riskante Einsätze und der Streifendienst keine Arbeit für Frauen sei (C FB: „Eigentliche Polizeiarbeit"; „Sie können nicht im Streifendienst arbeiten"). Manche sind sogar der Meinung, dass „Festnahmen" (C FB) und generell der Umgang mit delinquenten Männern (C FB: „Delinquente sind Männer!") nichts für Frauen sei, obwohl nicht jede Festnahme oder jeder kleinkriminelle Mann per se gefährlich ist. Außerdem eint die chilenischen und bolivianischen Polizisten die Ansicht, Frauen könnten bei Demonstrationen nicht eingesetzt werden (C FB: „Bei Protesten"; „Kontrolle von Menschenmassen"; B FB: „Konfrontationen bei Demonstrationen"). Dabei zeigt sich aber im Detail ein Unterschied zwischen Chile und Bolivien. Während die Chilenen nämlich in allgemeiner Weise von Demonstrationen sprechen, geht es den Bolivianern nur um Konfrontationen während Demonstrationen. Ähnliche Hinweise wiederholen sich bei anderen Arbeitsgebieten, die genannt werden. Z.B. sagten die bolivianischen Polizisten vergleichsweise selten, Frauen könnten überhaupt nicht an Patrouillen teilnehmen, vielmehr seien sie nur für gefährliche Einsätze ungeeignet (B FB: „Sehr gefährliche Fälle"; „Sie sollen nicht in Schlägereien verwickelt werden"). Die Gegenprobe zu der Frage, welche Aufgaben Polizistinnen nicht bewältigen können, stellt jene dar, bei der angegeben werden sollte, wofür Polizistinnen geeignet sind. In erster Linie denken die Polizisten daran, dass Polizistinnen Verwaltungsaufgaben erledigen und sich um die weibliche Klientel sowie um Familien kümmern sollen. Dies dürfte auch weitgehend der realen Aufgabenzuweisung entsprechen: hinsichtlich der Verwaltungsaufgaben treten die Chilenen und Venezolaner, hinsichtlich dem weiblichen Klientel und den Familien hingegen die Bolivianer hervor. In Bolivien mag das u.a. daran liegen, dass dort spezielle Frauenkommissariate existieren, es bestätigt aber zugleich, dass das Verhältnis der dortigen Polizei zu Polizistinnen anders ist als in den anderen beiden lateinamerikanischen Ländern. Im Übrigen sind sich die Polizisten aller drei Länder aber einig. Arbeitsfelder, die bei (männlichen) Polizisten wenig beliebt sind und von ihnen als nicht dem Berufsbild entsprechend abgelehnt werden, sind Frauensache (vgl. Kap. 4.1.; Franzke/Wiese 1997). Darunter fällt als erstes 305

die weibliche Klientel der Polizei, egal ob als Opfer oder als Täterinnen, und ebenso alles, was mit Familie und Kindern zu tun hat. Sofern für diese Aufgabenzuweisung Begründungen abgegeben wurden, lauten sie einvernehmlich, Frauen könnten besser als Männer mit anderen Frauen und mit Kindern umgehen. Beim folgenden ersten Zitat fällt außerdem auf, dass die typischen Anlässe für Polizeieinsätze in Familien nicht als das bezeichnet werden, was sie sind, nämlich häufig Körperverletzungen während Familienstreitigkeiten, sondern als „familiäre Probleme". Das erinnert daran, dass die venezolanischen Polizisten vergleichsweise oft auf Festnahmen verzichten oder sich weigern, Anzeigen aufzunehmen, wenn Frauen betroffen sind (vgl. Kap. 4.2.4.). Straftaten und Ordnungswidrigkeiten von Frauen und familiäre Probleme. (B FB) Kontakte mit Frauen, mit weiblichen Mindeijährigen, mit Mädchen. (B FB) Umgang mit Kindern und Familien, weil sie einen Mutterinstinkt hat und es zwischen Frauen größeres Vertrauen gibt. (C FB) Weil Frauen Frauen besser kennen, Frauen reagieren auf andere Frauen sicherer, haben mehr Fingerspitzengefühl, beobachten besser und arbeiten sorgfältiger. (B FB)

Das letzte Zitat leitet zu der von Polizisten angenommenen weiblichen Befähigung über, administrative Tätigkeiten zu übernehmen, weil deren angebliche Sorgfalt und ähnliches öfter in Zusammenhang mit schriftlichen Arbeiten erwähnt wurde. Die Administration, der „Schreibkram", gehört zudem zu den unbeliebten Aufgaben im Polizeiberuf, das verbindet die südamerikanischen Polizisten mit den deutschen. Welche Vorstellungen Polizisten von den Tätigkeitsfeldern der Frauen im einzelnen haben, zeigen ihre folgenden Bemerkungen: weibliche Mitglieder der Polizei haben den Status von Sekretärinnen oder Bürokräften, in einem Fall ist die Mitarbeiterin Köchin, und diese Rollenzuweisung wird von den Interviewten keineswegs kritisiert, sondern gutgeheißen. Die Polizistinnen werden demnach nicht einmal als „Politessen" akzeptiert, sondern sollen Hilfsdienste leisten. So wird auch deutlicher, was Polizisten u.U. meinen, wenn sie befürworten mehr Frauen bei der Polizei einzustellen (Tab. 65). In der Verwaltung und als Sekretärin. (B FB) Es sollten wirklich mehr Frauen in der PM sein, aber sie werden nicht als Polizistinnen aktiv, sie sind eher Sekretärinnen. (V 3) Wenn er auch findet, dass die Anwesenheit der Frauen nützlich ist, stellt er fest, dass es in dem Kommissariat, in dem er ist, nur eine gibt, die als Köchin arbeitet. (V 20)

Die Gründe, die dafür angegeben werden, dass Frauen die administrativen Tätigkeiten übernehmen sollen, zielen hauptsächlich auf ihren Schutz vor Übergriffen durch die polizeiliche Klientel. Andere meinen, dass ihnen diese „leichtere" Arbeit angemessener wäre, dass sie für diese Arbeit, z.B. das Maschineschrei306

ben, begabter seien und last not least, dass bei dieser Art der Arbeitsteilung das männliche Personal uneingeschränkt für die Aufgaben des Streifendiensts zur Verfugung steht. Sekretärin, Büro, weil sie auf der Straße nicht sehr gut behandelt werden. (C FB) Verwaltung ist eine leichtere Arbeit, man muss sich nicht in der Hitze aufhalten und nicht nachts arbeiten. (C FB) Büro, weil Frauen besser Maschine schreiben können, sie sind ordentlicher. (C FB) Weil man das männliche Personal für den Streifendienst braucht. (C FB)

Im Übrigen streuen die von den Polizisten aufgezählten Bereiche, in denen Frauen in ihren Augen arbeiten könnten, in Bolivien und Chile weiter als in Venezuela, was u.a. daran liegen dürfte, dass die Policía Metropolitana ein engeres Aufgabenspektrum zu bewältigen hat als die anderen beiden Polizeien (vgl. Kap. 3.2.2., 3.3.2., 3.4.2.). Dies gilt etwa für „verkehrspolizeiliche Tätigkeiten" (C FB, B FB), die bei der Policía Metropolitana kaum anfallen. Die Chilenen und Bolivianer sehen außerdem die Betreuung der Anwohner der Reviere (C FB, B FB: „Öffentlichkeitsarbeit"; B FB: „Dienstleistungen für die Gemeinschaft") als Arbeit an, die auch von den Kolleginnen erledigt werden kann. Eine kleinere venezolanische Gruppe ist zuletzt der Meinung, dass Polizistinnen wenigstens bei ungefährlicheren Einsätzen nützliche (Hilfs-) Dienste leisten können. Es gibt wenige Frauen und er findet, dass die Männer härter arbeiten. In Chacao gibt es nur drei (Frauen) (...) und die werden nur bei Großeinsätzen raus geschickt, wenn die Bevölkerung durchsucht wird, weil auch Frauen darunter sind und männliche Polizisten sie nicht anrühren dürfen. (V I)

In einem weiteren Teil des Fragebogens wurde mit Bezug auf weibliche Kollegen gefragt, welche speziellen Schwierigkeiten sie in diesem Beruf nach Ansicht der Interviewten haben. Analog zum Vorgehen beim vorhergehenden Thema wurden die offenen Antworten in zwei Schritten ausgewertet. Zuerst werden die Aussagen jener Polizisten vorgestellt, die sich von der Fragestellung nicht beeinflussen ließen und antworteten, Frauen hätten als Polizistinnen keine (besonderen) Probleme. Dies war in Chile und mehr noch in Bolivien ein sehr geringer Anteil (Chile 13%; Bolivien 2%). 200 Sie antworteten in der Regel einfach, dass Frauen „keine" (C FB, B FB) Schwierigkeiten haben (C FB: „Wir (Frauen) haben keine Schwierigkeiten") oder meinten beispielsweise: Ich würde sagen nein (...), sie sind uns fast gleichgestellt, um das Gleiche zu tun. (C 4)

200

Zu Venezuela liegen keine vergleichbaren Daten vor.

307

Tab. 66:

Chile und Bolivien: Spezifische Schwierigkeiten von Polizistinnen Chile

Körperkraft

46,4%

Bolivien 55,8%

Persönlichkeit

7,1%

7,0%

Machismus

3,6%

11,6%

21,4%

7,0%

3,6%

7,0%

7,1%

9,3%

10,7%

2,3%

Respektlosigkeit der Bevölkerung mangelhafte Ausbildung Familie sie sind F r a u e n -

Die Mehrheit der Interviewten wusste aber von spezifischen Schwierigkeiten von Polizistinnen zu berichten. Schon ein flüchtiger Blick auf die Tabelle 66 zeigt, dass typische tatsächliche oder vermeintliche Probleme genannt werden. Dominant ist in beiden Ländern wie schon in der Bundesrepublik (s.o.) aber die Annahme, die Körperkräfte von Frauen würden den Anforderungen nicht genügen und diese Annahme vertreten Männer wie Frauen. Dies relativiert im Übrigen die Angaben, die bei den Fragen zu Einstellungsvoraussetzungen und notwendigen Eigenschaften von Polizisten gemacht wurden (vgl. Kap. 4.1.). Auf diese Fragen hin hatten die Polizisten geantwortet, die Körperkraft sei relativ unbedeutend, was in einem eigentümlichen Verhältnis dazu steht, dass physische Merkmale nun zum Hauptargument gegen den Einsatz weiblicher Straßenpolizisten werden. Die Struktur ihres Körpers ist nicht so wie die eines Mannes. (C FB) Wenn ich einen Mann festnehmen soll, habe ich es lieber, wenn ihn ein Mann festnimmt (...) oder wenn es zu einer Konfrontation oder Schlägerei kommt, bei der mir etwas zustoßen könnte. Ich denke, wir sind schwächer (...), wir können es tun, aber für uns ist es schwieriger. (C 7) Die körperliche Unterlegenheit. (B FB)

In Deutschland werden solche Argumente ebenfalls vorgebracht (s.o.), der Unterschied besteht aber darin, dass dort zugleich angemerkt wird, dass Polizistinnen Konflikte besser zu vermeiden vermögen als Polizisten und deshalb die direkte physische Auseinandersetzung seltener nötig haben. Solche Einwände wurden von den chilenischen und bolivianischen Polizisten nicht vorgebracht, was ein Beleg dafür ist, dass diese Polizisten eine Berufsauffassung haben, die stark von einem (männlichen) Ideal physischer Stärke geprägt ist. Die Bemerkungen zur Physis von Frauen gehen außerdem insofern über das hinaus, was aus der BRD schon bekannt ist, als behauptet wird, Polizistinnen seien noch 308

nicht einmal belastbar genug, um die üblichen Arbeitszeiten einzuhalten oder um bei der Verkehrsüberwachung zu arbeiten. Vierundzwanzig Stunden Dienst, wenig Körperkraft. (B FB) Straßenverkehr, das ist sehr eintönig, man muss den ganzen Tag still stehen. (C FB)

Die Frage der Körperkraft wird des Weiteren mit anderen angeblichen Schwächen von Polizistinnen verknüpft, die auf Persönlichkeitsmerkmale zielen: Wegen dem Physischen und dem Geistigen. (B FB) Sie haben nicht den nötigen Charakter. (B FB) Mangel an Persönlichkeit. (C FB) Sie sind schwierig und schwach, weshalb sie nicht alles so gut machen können. (C FB) Unter Frauen gibt es viel Neid, viel Missgunst, Rivalität. Männer dagegen sind hilfsbereit, sie verstehen dich, sie schätzen dich. (C 5)

Die Carabineros, aber auch manche bolivianischen Polizisten verweben all das mit der Frage des Respekts der Bevölkerung der Polizei gegenüber. Insgesamt spricht einiges dafür, dass die Vorstellung vorherrscht, der Respekt der Bevölkerung habe ganz erheblich mit der körperlichen Durchsetzungskraft von Polizisten zu tun, dies wurde bereits in einem der vorigen Kapitel (vgl. Kap. 4.2.2.) angedeutet. Bei den Carabineros ist zudem auffallig, dass sie die verschiedensten polizeilichen Arbeitsgebiete aufzählen, sogar die scheinbar harmlose Kontrolle des Straßenverkehrs. Die Bevölkerung respektiert die weiblichen Polizisten nicht. (B FB) Es ist keine Arbeit für Frauen, die Delinquenten respektieren sie nicht. (C FB) Sie sind schwächer und bei Demonstrationen fehlt es an Respekt. (C FB) Die bei der Verkehrsüberwachung arbeiten haben Probleme mit Fahrern. (C FB)

Höhere Prozentwerte erreicht in Bolivien noch der lateinamerikanische Machismo. Die Polizisten meinen i.d.R. aber den Machismo der Bevölkerung und nicht etwa den der männlichen Kollegen der Polizistinnen. Deshalb fällt diese Kategorie weitgehend mit der Kategorie „Respektlosigkeit der Bevölkerung" zusammen. Zusammengenommen erreichen Chilenen und Bolivianer dabei ähnlich hohe Werte. Der Machismo in unserer Gesellschaft. (B FB) Die meisten Probleme mit Frauen im Streifendienst hängen mit dem Machismo zusammen. (C FB)

309

In Chile und seltener in Bolivien gibt es außerdem Polizisten, die tautologisch begründen, warum Polizistinnen ungeeignet sind: Frauen können in deren Augen nicht als Polizistinnen oder wenigstens nicht im Streifendienst arbeiten, weil sie Frauen sind: Weil sie Frauen sind, können sie nicht dieselben Qualitäten haben wie Männer. (C FB) Frauen können nicht dasselbe wie Männer. (B FB) Weil sie Frauen sind, können sie nicht im Streifendienst arbeiten. (C FB)

Die restlichen Begründungen dafür, warum Frauen im Polizeidienst nach Meinung der Befragten Probleme haben, sind schließlich von relativ untergeordneter Bedeutung. Die Hinweise auf die Familie stammen hauptsächlich von Polizistinnen und beziehen sich auf die Doppelbelastung berufstätiger Frauen. Die Behauptung, die Ausbildung der Frauen sei ungenügend, ist nicht unüblich, wenn es um weibliche Berufstätigkeit geht, ob sie im Falle der südamerikanischen Polizistinnen eine Grundlage hat, kann jedoch nicht nachgeprüft werden, weil die vorliegenden Informationen über die Ausbildung nicht nach Geschlecht aufgeschlüsselt sind (vgl. Kap. 4.1., 3.). 4.4.4. Was die Arbeit behindert: Ressourcenmangel und Vorschriften In diesem Kapitel werden zwei Themen gemeinsam behandelt, die auf den ersten Blick hin nicht allzu viel miteinander zu tun haben: die Beurteilung der Ausstattung der Polizei einerseits und das Verhältnis zu geltenden Dienstvorschriften andererseits. Bei näherem Hinsehen gehören sie jedoch unter zwei Perspektiven zusammen. Zum einen sind es beides Elemente, die die Spielräume der Polizisten begrenzen, von der Polizei selbst aber nur bedingt beeinflussbar sind. Zum anderen weil sich an diesen beiden Faktoren im Allgemeinen erhebliche Kritik festmacht, wie sich bei der Einschätzung der Unterstützung der Polizei durch ihre Nachbarinstitutionen bereits gezeigt hatte (vgl. Kap. 4.3.). Wie wichtig beide Elemente für Polizisten sind, demonstrieren auch zwei Studien über die Polizei der neuen Bundesländer. In der einen Untersuchung wird festgestellt, dass das neue System von ostdeutschen Polizisten u.a. in der Hoffnung auf eine neue und moderne Ausrüstung befürwortet wird (Wanderer/Thieme 1992: 6ff.), in der anderen, dass die Hauptkritik der dortigen Polizisten in der Übergangszeit der Einschränkung ihrer Ermittlungsfreiheit durch die Einführung bundesdeutschen Rechts galt (Korfes 1995; vgl. Korfes 1997).

310

Tab. 67:

BRD: Zufriedenheit mit der Ausstattung (0= trifft nicht zu bis 5 = trifft vollkommen zu)

Ich bin mit den äußeren Bedingungen an meinem Arbeitsplatz zufrieden hinsichtlich der... ...technischen Ausstattung

...persönlichen Ausstattung

...Diensträume

10,4%

8,5%

12,0%

18,7%

15,5%

12,1%

22,3%

20,6%

13,8%

25,7%

28,0%

24,3%

16,5%

19,7%

23,5%

6,4%

7,6%

14,4%

Quelle: Kommission Innere Führung 1997: 13ff.

Was zuerst die Ressourcenforderungen angeht, so wird sich wohl kaum eine Berufsgruppe finden lassen, in der nicht die Meinung vertreten wird, ihre Ausstattung müsse wesentlich verbessert werden, um die an sie gestellten Anforderungen adäquat bewältigen zu können. So ist es auch bei der Polizei. In der Bundesrepublik wurden z.B. Polizisten Mitte der siebziger Jahre von Brüsten gefragt, ob die „rechtlichen, materiellen und personellen Möglichkeiten der Polizei verbessert werden" müssen, um „der steigenden Kriminalität wirksam begegnen zu können", und sie stimmten dem zu 96% zu (Brüsten 1985: 208). Diese Klage über Ressourcenmängel zieht sich durch die gesamte Polizeiliteratur, egal ob man quantitative oder qualitative Erhebungen betrachtet und egal ob man Polizeizeitschriften oder andere Presseartikel durchgeht (vgl. z.B.: Schüller 1991; Willems/Eckert/Jungbauer 1996; Döllken 1994; Ettl 1998). In vielen Erhebungen fallen die Anteile der Polizisten, die mit ihrer Ausstattung unzufrieden sind, zwar nicht so hoch aus, wie bei der Untersuchung von Brüsten, i.d.R. bilden sie aber die Mehrheit. Backes u.a. (1997: 36f.) stellten fest, dass neben der „Wirkungslosigkeit polizeilichen Handelns" fehlendes Personal und fehlende Ausrüstungsgegenstände als Hauptgründe dafür genannt werden, dass der Polizeiberuf als anstrengend empfunden wird und selbst unter Polizeischülern sind bereits 63% von ihrer Dienstausrüstung enttäuscht (Lesnik 1998: o.S.). Willems u.a. schließen dahingehend auf eine „massive Unzufriedenheit mit politischen, rechtlichen und dienstpraktischen Rahmenbedingungen der Polizeiarbeit" (Willems/Eckert/Jungbauer 1996: 28), die größtenteils auf die miserable Ausstattung zurückzuführen sei. Bei einer Befragung in Rheinland-Pfalz wurde differenzierend zwischen verschiedenen Ausstattungselementen unterschieden (Kommission Innere Führung 1997: 13ff.; Tab. 67). Technische Defizite lösten demnach am meisten Missfallen aus, die persönliche Ausstattung und die Diensträume schnitten wenig besser ab. Alles in allem ist demnach in der Bundesrepublik je nach Befragung mindestens die Hälfte der Polizisten mit der Ressourcenlage unzufrieden. 311

Tab. 68:

Chile, Bolivien und Venezuela: Beurteilung der Ausstattung sehr gut

gut

indifferent

schlecht

-

41,7%

16,7%

33,3%

Bolivien

-

2,0%

24,5%

40,8%

Venezuela

2% (Ja)

Chile

Tab. 69:

sehr schlecht 8,3% 32,6% 98% (Nein)



Chile, Bolivien und Venezuela: Ressourcenforderungen Personal

Computer

Fahrzeuge

Chile

41,4%

24,1%

20,7%

Waffen 13,8%

Bolivien

33,6%

17,8%

24,0%

24,6%

Venezuela

33,8%

1,5%

11,8%

52,9%

Schon in der Bundesrepublik ist das Unzufriedenheitspotential unter Polizisten als nicht gering einzuschätzen und in Venezuela und Bolivien liegt es noch deutlich höher (Tab. 68). Fast alle venezolanischen und über 70% der bolivianischen Polizisten meinen, nicht ausreichend ausgestattet zu sein. Das Profil der Antworten der Carabineros ähnelt dagegen eher dem deutschen. Abgesehen von jenen, die sich indifferent gaben, beurteilten fast gleich viele die Ausstattung als gut bzw. schlecht. Über diese Einschätzungsfrage hinaus haben die Interviewten näher beschreiben, welche Ressourcen besonders dringend fehlen (Tab. 69). Im Fragebogen vorgegeben waren vier Kategorien (Personal, Fahrzeuge, Computer, Waffen) und auch darüber hinaus konnten die Polizisten anfügen, an welcher Ausrüstung es mangelt. Die Unterschiede zwischen den drei Ländern sind eklatant. Die Chilenen denken in erster Linie an die Aufstockung personeller Ressourcen, mit einigem Abstand an Computer und Fahrzeuge und erst zuletzt an Waffen. Dies ist ein markanter Gegensatz zu Venezuela, wo Polizisten hauptsächlich Waffen einfordern, aber kaum Interesse an Computern zeigen. Dies erweckt den Eindruck, dass venezolanische Polizisten gewaltorientiertere Vorstellungen davon haben, wie sie ihre Arbeit erledigen könnten, als die Carabineros. Die Bolivianer liegen zwischen diesen beiden Polen. Innerhalb der frei formulierten Antworten wiederholt sich dieses Ergebnis. Bei den Carabineros ist der Stellenwert der zivilen Komponente (Computer, Personal) deutlich höher als der der militärisch-technischen (Fahrzeuge, Waffen). Am häufigsten genannt wurden die „Änderung der Kleidung" (C FB: „Bekleidung"),201 die Aufstockung der Leistungen für die Polizisten, z.B. eine „Verbesserung der Quartiere" (C FB), eine „bessere Weiterbildung und Ausbildung" (C FB: "Weiterbildung in Universitäten") sowie neue „Kommunikationsmedien" (C FB). Einer der Interviewten

201

Der Unmut der Carabineros über ihre Dienstkleidung ist seit längerem bekannt (Hudson 1994).

312

fasst dies zusammen und bringt wie viele die Ressourcenfrage in einen direkten Zusammenhang mit der Effizienz der Arbeit: Heute haben Kriminelle Schnellfeuerwaffen und manchmal eine bessere Pistole als die, die die Carabineros benutzen. Also müsste man, wenn man den Carabineros nicht mehr Ressourcen gibt, eine bessere Ausrüstung (...), ich weiß nicht. (C 1)

Die mit der Ausstattung der Institution unzufriedenen bolivianischen Polizisten räumten ebenso wie die Carabineros der Personalaufstockung den höchsten Rang ein. An zweiter Stelle nannten sie aber im Gegensatz zu den Carabineros nicht Computer, sondern Waffen und Fahrzeuge (Tab. 69). Sofern sie dem in der offenen Nachfrage etwas hinzufügten, blieben sie i.d.R. relativ unpräzise. Gesprochen wurde von der „Infrastruktur", einer „adäquaten Ausrüstung" und „allem, was eine bessere Erfüllung der Aufgaben zulässt" (B FB). Nur einer wünschte sich so etwas wie „schusssichere Westen" (B FB). Auch wurden Kommunikationsgeräte genannt, allerdings solche, die hinsichtlich des Modernisierungsgrads hinter den zuerst erfragten Computern zurück liegen wie z.B. „Funkgeräte" und „Telefonanlagen" (B FB). Dies deutet daraufhin, dass die zivile Komponente von den bolivianischen Polizisten stärker betont wird als aus der geschlossenen Frage zunächst hervorgegangen ist. Die Mitglieder der venezolanischen Policía Metropolitana heben sich von den anderen interviewten Polizisten vollends ab. Computer oder andere Kommunikationsmedien waren ihnen wenig wichtig. Hingegen glauben sie, dass v.a. der Vorrat an Schusswaffen aufgestockt werden müsste, dem folgen die Hoffnung auf personelle Verstärkung sowie der Wunsch nach besseren Fahrzeugen (Tab. 69). Dass mehr als die Hälfte aller Ressourcenforderungen auf Waffen bezogen sind, stimmt bedenklich. Es mag einerseits sein, dass die dortige Befragungsmethode die Polizisten dazu verfuhrt hat, die „abenteuerliche" Seite ihres Berufs Ubermäßig zu betonen und das Bild somit ein wenig verzerrt ist, aber andererseits wurden ähnliche Effekte bei den offenen Interviews in Chile nicht bemerkt (vgl. Kap. 2). Auch wurden bei der Auswertung für die Tabelle 69 etliche Bemerkungen nicht berücksichtigt, weil sie nicht eindeutig genug zuzuordnen waren. Diese bezogen sich im Grundsatz aber ebenfalls auf Waffen und Fahrzeuge. Deshalb kann gesagt werden, dass die in Tabelle 69 ausgewiesenen Prozentsätze die Betonung der militärisch-technischen Komponente durch venezolanische Polizisten eher unter- als überschätzt. Die Interviewpassagen, in denen in erster Linie der Personalmangel beklagt wird, seien als erstes angeführt: Zurzeit arbeitet er 36 Stunden durch, danach hat er 36 Stunden frei. Dieser Schichtplan zeigt den Personalmangel des Kommissariats auf, zu dem er gehört. (V 56) Vor zwölf Jahren arbeiteten pro Subkommissariat 300 Mann (...), heute sind es normalerweise nur 90 Beamte. Er meint, dass der Personalmangel zu Lasten der Allgemeinheit geht und Kriminelle begünstigt. (V 59)

313

Bei den Fahrzeugen spielt die Topographie von Caracas und die Art der Bebauung der verelendeten Stadtviertel ([barrios) eine herausragende Rolle. Das hügelige Gelände und die engen Gassen (veredas) wecken das Bedürfnis nach Spezialfahrzeugen, z.B. geländetauglichen Motorrädern. Er sagt, dass die PM schlecht ausgestattet ist und erzählt, dass die Regierung einige Autos bereitgestellt hat, aber er findet, dass Waffen nötig sind und vor allem Motorräder, weil man mit dem Auto nur begrenzt in die barrios und veredas vordringen kann. „Bis man das Auto gewendet hat, ist der Kriminelle auf der anderen Seite entkommen". (V 4) Motorräder sind die effektivere Ressource, weil sie schnell sind und man Stellen erreicht, an die man mit dem Auto nicht käme, z.B. die engen Fußwege (der barrios). (V 67) Man braucht mehr Autos, v.a. um auf die Hügel kommen, die Bereitschaftswagen sind seines Erachtens nicht zweckmäßig, weil es sehr schwache Fahrzeuge sind. (V 22) Am häufigsten werden aber Schusswaffen gefordert, das hat bereits die quantitative Auswertung (Tab. 69) gezeigt. Aus der Sicht der Polizisten ist die Aufstockung des Waffenarsenals dringend notwendig, weil die Kriminellen besser bewaffnet seien als sie selbst. Laut den venezolanischen Polizisten verfügen sie Uber automatische und großkalibrige, meist gestohlene Waffen mit großer Reichweite und einer hohen Anzahl an Einzelschüssen, wohingegen sich die Polizisten mit „Revolverchen" zufrieden geben müssen. Er sagt: „Was macht ein Polizist mit einem Revolverchen und ein Krimineller mit einer ausgereiften Waffe". (V 43) Die Delinquenten tragen 9 Millimeter, Magnum 45, Maschinenpistolen und Maschinengewehre. Die Polizisten tragen Revolver Kaliber 38. (V 24) In den barrios kriegen sie halbautomatische Waffen (...), große und kleine Uzis, Granaten. (...) Letztere sind in Händen organisierter Gangsterbanden. (V 50) Bei den Waffen hat der Delinquent Vorteile, es sind 6 Schüsse gegen 14. (V 46) Was aus der Perspektive der Interviewten erschwerend hinzu kommt ist, dass die Kriminellen ausreichend Munition haben und das Schießen häufig üben können, während die Polizisten in beiderlei Hinsicht im Nachteil seien. Auch muss über verschossene Patronen ein Bericht geschrieben werden. In dieser Lage decken sich Polizisten ihren eigenen Aussagen nach privat mit Munition und Schusswaffen ein, weil der Gebrauch dieser nicht registrierten Ausrüstung schlechter nachgewiesen werden kann. Als Nebeneffekt erspart diese Vorgehensweise ihnen zusätzlich die unbeliebte Schreibtischarbeit. Die Typen kaufen fünf oder sechs Schachteln Munition, wir Polizisten können es nicht. Alle Patronen sind abgezählt und wenn man eine verliert, wird eine Untersuchung eingeleitet. (V 4)

314

Über die Patronen sagt sie, dass sie nur bei zwei Gelegenheiten welche bekommen hat, aber sie hat Schachteln zu Hause, die sie selbst gekauft hat. (V 39) „Wir Polizisten sind im Nachteil" (...). Er zeigt mir die Waffe und sagt, dass er eine andere zu Hause hat, nicht von der Polizei, und dass die besser ist, weil es eine automatische ist. (V 21)

Insgesamt verstärkt sich damit der Eindruck der quantitativen Auswertung, dass die venezolanischen Polizisten einen Waffenkult pflegen und eine ausgeprägt gewaltorientierte Vorstellung von den Möglichkeiten einer wirksamen Kriminalitätsbekämpfung haben. Die letzten beiden Zitate machen zudem deutlich, wie die Vorschriften, die den Waffeneinsatz reduzieren sollen, unterlaufen werden. Ebenso demonstrieren die nächsten beiden Aussagen, dass entsprechende Vorschriften als hinderlich empfunden werden und nach Meinung der Interviewten die Polizeiarbeit nur behindern: zur Erklärung des ersten Zitats sei angefügt, dass normalerweise die gesicherte Waffe im Holster zu tragen ist und sie erst im Falle einer Gefahr gezogen werden darf. Dem Interviewten wäre es zumindest in bestimmten Situationen offensichtlich lieber, wenn er die Waffe früher ziehen könnte. Zu fehlenden Ressourcen sagt er, dass die Waffen der PM nur kurze Reichweiten haben und „man verliert Zeit während man die Waffe zieht". (V 33) Als er anfing, waren in einer gefährlichen Region von Caracas 75 Mann und auch wenn es seiner Meinung nach damals weniger personelle und materielle Ressourcen gab, sie arbeiteten mit „dem Spielzeugrevolver", (aber) damals gab es keinen Druck durch Menschenrechte. (V 31)

Polizisten sind in ihrer Berufsausübung natürlich einer außerordentlich großen Zahl an Rechtsbestimmungen unterworfen, nicht nur den eben angesprochenen Menschenrechten, sondern z.B. dem Beamten- bzw. Dienstrecht, der Straßenverkehrsordnung, dem Strafprozessrecht, dem Strafrecht usf. Deshalb widmet sich in der BRD ein bedeutender Teil der Ausbildung dem Rechtsstudium (vgl. Kap. 3.1.3.). Zugleich zieht sich aber die Kritik an der permanenten Konfrontation mit rechtlichen Regelungen und der alltäglichen Verstrickung im Paragraphendschungel wie ein roter Faden durch die Argumentationen von Polizeibeamten, z.B. in den Polizeizeitschriften. Häufig diskutiert wird die pure Regelungsdichte, was in einem engen Zusammenhang mit der von den Polizisten verhassten Bürokratie und dem „Schreibkram" steht. 202 Auch in empirischen Untersuchungen wird das Thema zuweilen aufgegriffen. So kann man z.B. aus einer Studie erfahren, dass über 80% der interviewten Polizisten den „Bürokra-

202

Z.B. Richthofen (1994: 90fF.); Stümper (1994: 289ff.); Jaeger (1997: 266ff.). Vgl. Selbstbild und Berufsmotivation von Polizisten (Kap.4.1.) und die den Kolleginnen überlassenen Arbeiten (Kap. 4.4.3.).

315

tismus" als sehr belastend wahrnehmen (Kommission Innere Führung 1997).203 Laut einer anderen Umfrage (Savelsberg 1994) finden 46,3%, dass die „Richtlinien der Verwaltung" ihre beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten einschränken, 39% sehen ihre ursprünglichen Berufsvorstellungen wegen der „Einschränkung durch Formalismen" enttäuscht. Darauf aufbauend gehen die basalen Argumente in vier Richtungen. Erstens wird angeführt, zu viele Vorschriften würden die Ermittlungsfreiheiten einschränken und damit die polizeiliche Arbeit behindern. Dieses Muster ist häufig bei Diskussionen um Reformen zu beobachten, in denen zwischen den Ermittlungsrechten der Polizei und dem Eingriffsschutz der Bürger abgewägt werden muss (vgl. z.B. Burgmer 1994; Jaeger 1997; Stock/Klein 1994; Schüller 1991). Zweitens ist nachzulesen, die Regelungsdichte würde Polizisten verunsichern. Deshalb würden sie sich aus den Rechtsgebieten vorsorglich zurückziehen, von denen sie glauben, nicht sattelfest zu sein, und dies könne einer Aufgabe dieses Rechtsguts gleichkommen (vgl. Bereswill 1989). Eine dritte Gedankenführung bringt die Dienstvorschriften und den von ihnen eingegrenzten Ermessensspielraum in einen Zusammenhang mit der von Vielen geforderten und positiv konnotierten Bürgernähe. Die Nähe zum Bürger, so das Argument, verlange flexibles, situationsangepasstes Handeln und dem stünde ein zu enger Ermessensspielraum entgegen (Dieckmann 1988: insb. 513). Empirisch untersucht wurde diese Frage von Meggeneder. Nur 14% der von ihm befragten österreichischen Polizisten meinten, zwischen der Befolgung der Dienstvorschriften und der geforderten Bürgemähe bestünde kein Konflikt (Meggeneder 1989: 2 f f ; vgl. Meggeneder 1988a, 1988b). Gemeinsam ist diesen drei Argumentationslinien, dass sie gleichsam als Nebenprodukt die Autonomie von Polizisten verteidigen. Beim vierten Diskussionsstrang geht es dagegen um die Angst der Polizisten, wegen Rechtsbrüchen verklagt zu werden. Im Polizeialltag müssen zuweilen sog. splitsecond-decisions (Geller/Karales 1981a) getroffen werden, d.h. es muss in manchen Situationen reaktiv und rasch gehandelt werden, und dann ist es für Polizisten in der Tat nicht leicht, alle Dienstvorschriften im Auge zu behalten (vgl. Kolmer 1996; Schüller 1991; Herrnkind 1995a; 1996a). Letztlich wird durch eine solche Begebenheit (Der Artikel handelt vom Gewalteinsatz eines Polizisten und dessen Rechtsfolgen) jedoch deutlich (...) wie schmal der Grat zwischen konsequenter, rechtsmäßiger Amtsausübung einerseits und ggf. strafbarem Fehlverhalten andererseits für einen Polizeibeamten immer ist. (Kolmer 1996: 169) Ein Fehler und die Festnahme wird zur Freiheitsberaubung, die Entnahme der Blutprobe zur Körperverletzung. Wenn bei körperlichen Auseinandersetzungen die Gefühle mit einem Polizisten durchgehen, ist die Straftat im Amt nicht mehr fern. (Hennkind 1995a) 203

Als belastend wird empfunden: Bürokratismus 83,6%, Kompetenz/Zuständigkeitsgerangel 72,7%, organisatorische Probleme 71,3%, Vergeblichkeitserfahrung 68,0%, Zusatzdienste sowie Arbeitsmenge unter 50%, Arbeitsschwierigkeiten 30% (Kommission Innere Führung 1997:15ff.).

316

Die weit verbreitete Kritik am Recht und an Dienstvorschriften sowie das unter Polizisten gemeinsam geteilte Wissen darüber, wie schnell die Grenze des Zulässigen Uberschritten ist, ist eine wichtige Quelle der Solidarität unter Polizeibeamten. Dies hat auch zur Folge, dass recht offen darüber gesprochen wird, dass man nicht immer rechtstreu handeln kann. Bereits 1975 wurden dazu von Helfer/Siebel einige Fragen gestellt, deren Ergebnisse sämtlich zeigen, dass Dienstvorschriften als Hemmnis gesehen werden: 77,9% stimmten der Aussage zu, dass es mehr Dienstvorschriften gibt, „als der einzelne Beamte behalten kann", 62% meinten, dass man im Streifendienst einen „weiten Ermessensspielraum" braucht und 53,3% bejahten das Statement „Das Legalitätsprinzip ist in der Praxis nicht realisierbar" (Helfer/Siebel 1975: 1040; 1048; 1061).204 Tab. 70:

Chile und Bolivien: Das Übermaß an Vorschriften behindert die Arbeit ja

nein

Chile

50%

50%

Bolivien

59,3%

40,7%

In Südamerika wurde derselbe Themenkomplex behandelt (Tab. 70, 71). Gefragt wurde zum einen, ob die Polizisten finden, dass das Übermaß an Vorschriften bei der täglichen Arbeit ihre Effizienz behindert. Diese Formulierung wirft bei der Interpretation aber Probleme auf, weil aus der rein quantitativen Auswertung nicht zweifelsfrei hervorgeht, ob die Polizisten eher dem „Übermaß an Vorschriften" oder der Behinderung ihrer Effizienz zustimmten. Deshalb könnte man die Nein-Antworten z.B. so interpretieren, dass die Polizisten zwar die Menge an Vorschriften ablehnen, sich jedoch in ihrer Effizienz nicht behindert sehen, bzw. sich von den Vorschriften nicht behindern lassen, z.B. weil sie sie unterlaufen. Klarheit darüber sollten eigentlich die Angaben auf die im unmittelbaren Anschluss folgende offene Frage schaffen. An dieser Stelle verweigerten sich aber sowohl die chilenischen als auch die bolivianischen Polizisten. Tab. 71:

Chile und Bolivien: Die Polizei kann immer exakt gemäß den Buchstaben des Gesetzes handeln ja

nein

Chile

75%

25%

Bolivien

31%

69%

Venezuela

14,3%

85,7%

204

„Stimme voll zu" und „stimme eher zu" auf der insgesamt funfstufigen Skala wurden addiert.

317

Tab. 72:

BRD: Dienstliche Korrektheit in der Alltagsarbeit

Korrektheit meines dienstlichen Verhaltens ist das Wichtigste - da gibt es keine Ausnahme. In besonders schlimmen Fällen kann der gute Zweck schon mal die Mittel heiligen - da muss man aus übergeordneten Gründen schon mal von der übertriebenen Korrektheit abweichen. Meistens kann man nicht völlig korrekt handeln — man muss eine Reihe von Tricks und auch Härte einsetzen, um das Ziel polizeilicher Arbeit zu erreichen. Wenn ich im polizeilichen Alltag immer völlig korrekt wäre, dann könnte man auf die Polizei auch verzichten

36% 42%

14%

7%

Quelle: Backes u.a. 1997: 70.

Besser umzugehen ist mit der Frage, ob man als Polizist immer getreu den Buchstaben des Gesetzes handeln kann (Tab. 71) und sie zeigt deutliche Unterschiede zwischen den drei südamerikanischen Ländern auf. Unbedingte Normtreue behaupten 75% der chilenischen, kaum dagegen die venezolanischen Polizisten. Die Werte der Bolivianer liegen dazwischen. Vergleichbar mit diesen Ergebnissen aus Südamerika sind jene von Backes u.a. (1997) aus der BRD (Tab. 72). Die befragten Polizisten sollten sich bei dieser Erhebung in eine Situation hineinversetzen, in der ein „Konflikt zwischen Korrektheit und Härte" entstanden ist und angeben, „wie hoch man die dienstliche Korrektheit realistischerweise in der Alltagsarbeit einschätzen" soll. Die Autoren betonen zu Recht, dass nur eine Minderheit findet, dass die „Korrektheit" häufig zurückstehen muss. 36% versuchen dagegen stets normtreu zu handeln und weitere 42% geben an, davon nur in Einzelfällen abzuweichen. Bewertet man die beiden letzten Gruppen als (relativ) normtreu, so entsprechen sich die bundesdeutschen und chilenischen Ergebnisse fast vollständig (Tab. 71, 72). Zu ergänzen ist, dass sich auch (s.o.) bei dieser Fragestellung fast alle Polizisten geweigert haben, frei formulierte Antworten zu geben oder Beispiele zu nennen. Lediglich ein bolivianischer Polizist meinte lapidar: „Irren ist menschlich, niemand ist perfekt, aber wir versuchen es (die Gesetze einzuhalten)" (B FB). Daraus lässt sich freilich keine Interpretation ableiten. Gesprächig zeigten sich einzig die venezolanischen Polizisten. Betrachtet man die Inhalte der Aussagen, so zeigt sich, dass die in der Tabelle 71 angegebenen 14,3%, die als , j a " gewertet wurden, großzügig bemessen sind, weil von den Polizisten nur selten behauptet wird, sie würden sich generell normkonform verhalten. Schon das Zweite der folgenden Zitate zeigt, dass die behauptete Normtreue eher die Angst vor rechtlichen Folgen als eine innere Überzeugung widerspiegelt und bei anderen Berichten geht es lediglich darum, normative Minimalgrenzen einzuhalten, z.B. den Kontrahenten wenigstens nicht hinterrücks zu erschießen. Dies hindert den Befragten aber nicht daran, sich selbst als rechtskonform einzustufen!

318

Er glaubt, dass die Polizeiarbeit schon an das Gesetz gebunden sein muss, denn wenn dem nicht so ist, kann ein Verfahren eröffnet werden. (V 2) Er versichert, dass er die Regeln eingehalten hat, die ihm in der Polizeischule gelehrt wurden: nicht in den Rücken schießen und die Waffe ziehen, wenn es Selbstverteidigung ist. (V 40) D i e übrigen A u s s a g e n der v e n e z o l a n i s c h e n P o l i z i s t e n z u m T h e m a N o r m t r e u e lassen sich z w e i g r u n d s ä t z l i c h e n A r g u m e n t a t i o n s m u s t e r n z u o r d n e n . Ein Teil der P o l i z i s t e n gibt an, die G e s e t z e gar nicht z u k e n n e n und s i c h d e s h a l b nicht n a c h ihnen richten z u k ö n n e n . D a s erklärt auch, w a r u m s i e im G e g e n s a t z z u C h i l e n e n und B o l i v i a n e r n f r e i m ü t i g über d i e G e s c h e h n i s s e s p r e c h e n ( K a p . 4 . 2 . 4 . ) : w e i l sich w e n i g s t e n s m a n c h e nicht v o l l s t ä n d i g darüber b e w u s s t sind, d a s s sie über Straftaten berichten. Er kennt nicht alle Gesetze, die die Polizeieinsätze regeln (...), sie sind zahllos und „niemand kann alle kennen" (...), diese Gesetze behindern die Vorgehensweise, weil es so viele sind (...). Er löst die Fälle, mit denen er zu tun hat, mit Köpfchen. (V 5) Es gibt viele Normen, die er gar nicht kennt, er meint, dass das vom Rang jedes Beamten abhängt. Jedenfalls ist er der Meinung, dass es zu viele Gesetze sind. (V 3) Die Einsätze, glaubt er, werden nicht immer nach den Buchstaben des Gesetzes geführt und er fugt sogar an, dass er weder alle internen Regeln noch die Strafen kennt. (V 6) Er erzählt, dass es viele Gesetze gibt und dass er sie nicht alle kennt. Er weiß, dass es ein schwerer Verstoß ist, sich mit den Gesetzen nicht so genau auszukennen, 205 aber die große Mehrzahl der Gesetze behindert die polizeiliche Arbeit. (V 4) D e r andere Teil der v e n e z o l a n i s c h e n P o l i z i s t e n fuhrt ins Feld, d a s s A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n mit K r i m i n e l l e n in barrios

h ä u f i g äußerst riskant sind u n d dabei

j e d e r G e d a n k e an die V o r s c h r i f t e n die R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t g e f ä h r l i c h hera b s e t z e n könnte. D a b e i berufen sie sich aber kaum j e e x p l i z i t a u f das R e c h t der S e l b s t v e r t e i d i g u n g und in den Passagen, in d e n e n d i e z u g e h ö r i g e Situation detailliert geschildert wird, lässt w e n i g darauf schließen, d a s s e i n e N o t w e h r s i t u a t i o n v o r l a g ( v g l . 4 . 2 . 4 . ) . D i e f o l g e n d e n A u s s a g e n stellen e i n e k l e i n e A u s w a h l dar. Er sagt, dass man nicht immer an die Regeln gebunden ist, denn wenn sein Leben in Gefahr ist, ist dies das Wichtigste. Dies hängt mit der Autonomie zusammen, die Polizisten bei ihren Aktivitäten haben. Jeder entscheidet auf andere Weise was er tun wird. (V 5)

205

Die Passage war äußerst schwer zu übersetzen. „Perder el arma de reglamento" heißt wörtlich: „die Dienstwaffe verlieren", im übertragenen Sinn könnte aber auch das polizeiliche Regelwerk als eine Art Waffe bezeichnet worden sein. Da es dem gesamten Kontext nach um die Einstellung des Befragten zu Gesetzen geht, wurde die zweite Auslegung gewählt. Sollte dennoch der Verlust der Dienstwaffe gemeint sein, hat der Polizist offenbar Regeln gebrochen, die auf die sichere Aufbewahrung derselben zielen. Auch bei dieser Auslegung kann die Gesamtinterpretation aufrechterhalten werden. 319

Bei solchen Einsätzen kann es keine Rechtsbindung geben, weil es unvorhergesehene Situationen sind, in denen „das Leben vorgeht" und ein wichtiger Ratschlag ist „vorsichtig sein und nicht in den Rücken schießen". (V 15) Er glaubt nicht, dass man die Gesetze in gefährlichen Situationen beachten kann, es ist eine Frage des Überlebens „erstens komme ich, zweitens ich, drittens ich". (V 20) Darüber hinaus binden manche der venezolanischen Polizisten ihre Missachtung des Rechts noch nicht einmal an spezifische Situationen, sondern z w e i f e l n seine Geltung grundsätzlich an: Während Einsätzen, findet er, gibt es keine Normbindung, jedoch, die polizeiliche Präsenz, der Mann in Uniform ist in gewisser Weise ein Äquivalent des Gesetzes. (V 7) Im Moment des Handelns, sagt der Interviewte, ist das Gesetz „etwas zu unparteiisch" (...), er kann nicht warten, bis der Kriminelle auf die Polizei schießt. (V 22) Er fügt an, dass (...) „Gesetze Referenzpunkte sind, die weit in der Feme liegen". „Es ist nicht dasselbe, was sie im Klassenzimmer lehren und was auf der Straße passiert. (V 21) In der Gesamtschau ist die Rechtsbindung der Polizisten der Policia Metropolitana als offensichtlich gering zu veranschlagen. D i e s steht im engen Zusammenhang ihrer Verachtung des Rechtsstabs s o w i e der normsetzenden Institutionen (vgl. Kap. 4.3.) und der in Venezuela flächendeckenden Korruption (vgl. Kap. 1.1.). Zumindest haben viele venezolanische Polizisten bei Fragen nach der Rechtsgeltung die Korruption angesprochen bzw. auf sie angespielt. Nur sehr w e n i g e sagen von sich selbst, sie seien nicht korrupt. Die polizeiliche Arbeit dient der Allgemeinheit und es ist wichtig, dass seine Berufsauffassung am sozialen Frieden und den Bürgern orientiert ist. Diese Haltung gestattet ihm nicht, sich an korrupten Akten zu beteiligen und dabei die Uniform zu nutzen. (V 13) „Ich akzeptiere keine Korruption und keinen Handel mit Freiheiten Verhafteter." Er legt sich für niemanden ins Zeug. Er sagt wörtlich: „Das ist nicht die Grundidee". (V 29) Andere berichten erstaunlich offen über Korruption und zwar sowohl die ihrer Nachbarinstitutionen als auch die in der Policia Metropolitana, ja sogar über ihre eigene Beteiligung daran: auch wenn sie ihre eigenen „Geschäfte" nicht als Korruption begreifen und bezeichnen. Die Moral des Berufs „ist am Boden", „bei der Polizei sind Korrupte, da die Leute zahlen, um frei zu kommen und Vorgesetzte regeln die Dinge nicht aus ,Überzeugung', sondern für private Geschäfte". (V 41) Das Recht ist ein Privileg und bei der Polizei wird viel Einfluss genommen. (V 42) Es gibt schon korrupte und gewalttätige Polizisten, aber nicht alle sind so. (V 20)

320

Die Beamten bei der Truppe sind der Korruption ausgeliefert, la matraca („Klappet": vermutlich Jargon für die dortige Mafia), und deshalb entwickelt sich die Polizei nicht so, wie es sein sollte. (V 63) Der Streifendienst bietet sich mehr für Korruption an, weil man mehr Kontakt zu Bürgern hat. Es gibt weniger Kontrollen und es ist leicht Geschäfte zu machen, z.B. mit Leuten ohne Ausweis; wenn es ein Ausländer ist, der Dollar hat, Geld zu akzeptieren. (V 10) Korruption gibt es auf allen Ebenen und sogar er hilft Bekannten freizukommen, die aus geringfügigen Gründen festgenommen wurden, z.B. (...) ohne Ausweis. (V 4 5 ) Manche Leute haben ihm nach guten Einsätzen, wenn sie profitierten, manchmal dreioder viertausend Bolívares geschenkt oder eine Flasche Whiskey (...), ,.bei anderen Sachen erwarte ich nichts". Diese Danksagungen sind etwas anderes als Korruption. (V 17)

Weiter oben ließ sich den Zitaten mancher befragter Polizisten bereits entnehmen, dass sie die sie betreffenden Gesetze fiir wenig praxistauglich halten. Dem thematisch nahe ist eine Frage des Interviewleitfadens, auf die hin die Polizisten angeben sollten, ob ihre Perspektive bei Rechtsreformen genügend berücksichtigt wird (Tab. 73), wobei es auch hier neben der quantitativen Erfassung darum ging, im folgenden offenen Antwortteil Äußerungen über das Verhältnis der Polizisten zum Recht zu provozieren. Bei den Ergebnissen fallt zuerst auf, dass unter den südamerikanischen Polizisten abermals die Chilenen eine Sonderrolle einnehmen. Sie sind die Einzigen, die sich zu nennenswerten Anteilen bei der Ausgestaltung des Strafrechts berücksichtigt sehen. In Deutschland wurde vor längerer Zeit (Helfer/Siebel 1975) eine ähnliche Frage gestellt. Damals stimmten rd. 72% dem Statement zu, dass bei Reformen des Strafrechts und des Strafprozessrechts „bisher die Argumente der Polizei nicht genug berücksichtigt" wurden (Helfer/Siebel 1975: 1052). Bei einem Vergleich dieses Ergebnisses mit dem chilenischen ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese Formulierung einen etwas suggestiven Charakter trägt, weshalb nicht überinterpretiert werden darf, dass die bundesdeutschen Polizisten sich scheinbar weniger berücksichtigt fühlen als die chilenischen. Bei einer anderen Formulierung lägen die Ergebnisse dieser beiden Länder voraussichtlich näher beieinander. In jedem Fall ist ein deutlicher Kontrast zwischen Chile und der BRD einerseits und Bolivien und Venezuela andererseits zu sehen. Letztere sehen ihre Interessen bei Rechtsreformen kaum vertreten. Interessanter noch als die quantifizierbaren Ergebnisse sind aber die von den lateinamerikanischen Polizisten frei formulierten Bemerkungen. In deren Zentrum steht zum einen die Umsetzbarkeit des Rechts im polizeilichen Alltagsdienst (s.u.). Zum anderen äußerten sich einige Polizisten über die direkte Beteiligung der Polizei an Rechtsreformen sowie über die Gründe, die für bzw. gegen eine solche Beteiligung sprechen. Hauptsächlich ging es dabei um die Kompetenz von Polizisten in Rechtsfragen. Insgesamt vertreten nur einige chilenische Polizisten die Ansicht, die Rechtskenntnisse von Polizisten wären ausreichend, um bei Gesetzesänderungen mitzureden und deshalb würden Vertreter ihrer Position in den entsprechenden Gremien gehört. 321

Tab. 73:

Chile, Bolivien und Venezuela: Wird die Polizei bei Rechtsreformen berücksichtigt ja

nein

Chile

60%

40%

Bolivien

8,3%

91,7%

Venezuela

100%

Es wird immer ein General der Carabineros eingeladen. (C FB) Sie wird berücksichtigt, „weil Carabineros die Strafrechtsverfahren studieren". (C FB)

Dies sind aber Ausnahmen. Meist geht es vielmehr darum, dass es den Polizisten oder der Polizei an entsprechenden Fähigkeiten fehlt. Dabei sind manche selbst dieser Meinung. Sie argumentieren, dass Rechtsreformen von kompetenteren Gruppen ausgearbeitet werden müssen. Weil uns die Fähigkeiten dazu fehlen. (C FB) Um die Perspektive der Polizisten bei Reformen des venezolanischen Strafrechts in Betracht ziehen zu können, findet er, müssten Polizisten besser ausgebildet sein. Er sieht sich dazu nicht in der Lage. (V 6) Weil das auf einem ganz anderen Niveau ausgehandelt wird. (B FB)

Daneben finden Polizisten, dass sie von anderen nicht für kompetent genug gehalten werden. Dies ist ein bedeutender Unterschied, weil diese Gruppe von einem negativen Fremdbild ausgeht. Diese Auffassung tritt überall, vermehrt aber in Bolivien auf. Umgekehrt ist das Bild der Polizisten von staatlichen Institutionen aber auch nicht besser, wie das Kapitel 4.3. sowie das letzte bolivianische Zitat der folgenden Reihe zeigt. Weil man glaubt, dass ein Polizist das nicht kann und nicht die Fähigkeiten hat, um zu solchen Themen Ideen und Vorstellungen beizusteuern. (B FB) Zu Rechtsreformen sagt er, dass die Polizei dabei nicht berücksichtigt wird, weil der Polizeiberuf einen sehr niedrigen Status hat. (V 4) Weil es die padres de la patria (pathetisch: oberste staatliche Institutionen) sind, die die Reformen machen und man die Arbeit der Polizei dabei nicht in Betracht zieht. (B FB) Weil die Leute, die die Reformen machen, aus dem obersten Richterstand kommen und die Polizei nicht fragen. (C FB)

Neben der Frage der Sachkompetenz wird von den Befragten bezüglich der Berücksichtigung ihrer Perspektive bei Rechtsreformen v.a. die Praktikabilität neuer Gesetze thematisiert. Manche nehmen die Möglichkeit zur offenen Antwort wahr, um anzumerken, dass ihre Perspektive aus purer Notwendigkeit zur 322

Kenntnis genommen werden mtisste, weil es schließlich die Polizei ist, die die Gesetze umsetzen muss. Weil sie (die Polizei) Basis der Gerechtigkeit ist, wenn sie das Recht nicht repräsentiert, gibt es keine Gerechtigkeit. (B FB) Weil wir die sind, die sie (die Gesetze) im Alltag anwenden. (C FB) Andere nutzen die Gelegenheit um sich darüber zu beklagen, dass auf ihre Perspektive keine Rücksicht genommen wird, obwohl dies aus den eben genannten Gründen notwendig wäre. Im Effekt kann das aus der Perspektive der Polizisten sinnlos sein oder sogar gefährlich werden. Man fragt Polizisten nicht, ob die Arbeit (Rechtsreform) die Mühe wert ist. (C FB) Sie kümmern sich nicht darum, ob es was gebracht hat (...). Zum Beispiel wollten sie etwas Gutes machen, indem man Verhafteten ihre Rechte vorliest (...). Aber ich sage, das ist lächerlich (...). Es kann sein, dass man ihm seine Rechte vorliest und der Verhaftete kann dabei den Carabinero angreifen oder sogar töten. Heute kann man nicht mehr wie früher hingehen und sagen, einen Verdächtigen sehen und fragen, was er da macht und wenn er es nicht anständig erklären kann, ihn einfach auf die Wache mitnehmen. (...) Das war einer der großen Vorteile, die man uns kürzlich gestrichen hat. (C 3)

4.4.5. W a r u m die Polizisten (un-)zufrieden sind Die Berufszufriedenheit gehört zu den in der B R D recht gut untersuchten Gebieten der Polizeiforschung. Hervorzuheben sind u.a. Forschungen von Helfer/Siebe! (1975), Feltes/Hermann (1987) und Backes u.a. (1997), 2 0 6 aber auch in etlichen anderen Studien wurden entsprechende Daten erhoben (z.B. Alex 1980; Weiß 1992). Obwohl Polizisten häufig Verhaltensweisen zeigen, die auf großen Stress hindeuten, 207 wird übereinstimmend festgestellt, dass sie mit ihrem Beruf im Allgemeinen eher zufrieden sind, so z.B. sowohl laut der älteren Untersuchung von Helfer/Siebel (1975) als auch laut der neueren von Backes u.a. (1997) (Tab. 74, 75). 2 0 8 Allerdings wird von Feltes daraufhingewiesen, dass jüngere Polizisten unzufriedener sind als ältere und sich dabei zwei Effekte überkreuzen: ein Alters- und ein Generationeneffekt (Feltes/Hermann 1987: 7 5 f f ; vgl. Feltes 1984). Der Generationeneffekt besagt, dass ältere Jahrgänge in ihrem Beruf zufriedener sind, der Alters- oder besser Routineeffekt aber, dass

206

Sie untersuchen die Berufszufriedenheit sehr differenziert. Für Details vgl. die Studie selbst. Polizeibeamte haben ein hohes Scheidungsrisiko, gehen häufig in den Vorruhestand, haben hohe Suizidraten und Alkohol- und Drogenmissbrauch sind unter ihnen offenbar nicht selten. Vgl. Santos de Olivera/Kirkcaldy (1993); Klingst (1996); Jaschke (1994a, 1994b); Hartwig (1998); Adler/Mueller/Laufer (1995: 433f.); Williems u.a. (1988); Schüller 208 (1991). Gleiches gilt beispielsweise für Osterreich (Meggeneder 1988a: 130ff.).

207

323

die Zufriedenheit mit der Berufserfahrung abnimmt. Daraus folgert Feltes, dass abzusehen ist, dass die zum Zeitpunkt seiner Untersuchung schon wenig zufriedenen jüngeren Polizistengenerationen im Laufe ihres Berufslebens immer unzufriedener werden. Mangels Zeitreihen lässt sich dies jedoch derzeit weder bestätigen noch widerlegen. Tab. 74:

BRD: Berufszufriedenheit

zufrieden

eher zufrieden

eher nicht zufrieden

nicht zufrieden

42%

39%

15%

4%

Quelle: Helfer/Siebel 1975: 957.

Tab. 75:

BRD: Berufszufriedenheit

sehr zufrieden / zufrieden

teils-teils

nicht / Oberhaupt nicht zufrieden

55%

37%

8%

Quelle: Backes u.a. 1997: 42.

Tab. 76:

Chile Bolivien Venezuela

Chile, Bolivien und Venezuela: Berufszufriedenheit sehr zufrieden

zufrieden

63,6%

27,3%

16,1

71% 69,6%

indifferent -

3,2% 8,7%

unzufrieden

sehr unzufrieden

9,1% 9,7%

-

21,7%

Den Polizisten der lateinamerikanischen Länder wurden ebenfalls Fragen zur Berufszufriedenheit gestellt, darunter eine zur Zufriedenheit mit der Bezahlung (Tab. 78), eine zur Zufriedenheit mit den Aufstiegsmöglichkeiten (Tab. 77) und eine, die eine Gesamteinschätzung verlangt (Tab. 76). An den in der Tabelle 76 festgehaltenen Ergebnissen zur Gesamteinschätzung der Berufszufriedenheit kann man erkennen, dass wie in der BRD die Berufszufriedenheit insgesamt groß ist. Dennoch sind Unterschiede festzustellen. Am größten ist die Zufriedenheit mit der Arbeit in Chile, dem folgt Bolivien, weil dort mehr Polizisten nur zufrieden und nicht sehr zufrieden sind. Die Venezolaner schließlich sind am häufigsten unzufrieden, was sich negativ auf den Durchschnittswert niederschlägt. Außerdem sind die Carabineros abermals jene, deren Antwortprofil dem der deutschen Polizisten am nächsten kommt. Diese Wertungen haben die Polizisten ebenfalls in freien Antworten begründet. Im Folgenden soll zuerst referiert werden, welche Merkmale ihres Berufs Polizisten zufrieden machen und später, was zu Unzufriedenheit führt. Unter den Antworten, die Zufriedenheit mit dem Beruf ausdrücken, überwiegen in Chile solche, in denen vom Gefallen 324

an der Arbeit, von persönlicher Weiterentwicklung sowie davon die Rede ist, dass man der Gesellschaft nützlich sein kann. Es gefiel mir, gefällt mir täglich besser und erlaubt mir, mich weiterzubilden. (C FB) Weil ich mich als Person entwickelt habe. (C FB) Ich hatte Erfolge und ich bin vorangekommen. (C FB) Ich habe es geschafft einer Gesellschaft nützlich zu sein, die nahe daran war, sich selbst zu zerstören. (C FB)

Bei den bolivianischen Polizisten steht im Vergleich dazu die persönliche Weiterentwicklung nur im Hintergrund. Vielmehr neigen sie wie schon bei anderen Fragestellungen dazu, die Leistungen zu betonen, die sie der Gesellschaft erbringen. Auffallig ist, dass die Polizisten aus Bolivien selbst dann, wenn sie sich zufrieden zeigen, manchmal einschränkend bemerken, dass sich dies aber nicht auf ihr Einkommen bezieht. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Wegen der Befriedigung, dass man der Gesellschaft dienen kann. (B FB) Echte persönliche Befriedigung und hohe Selbsteinschätzung, außerdem die Chance die nützlichste Person der Gesellschaft zu sein. (B FB) Zufrieden mit meiner Arbeit, aber nicht einverstanden mit meiner Bezahlung. (B FB)

Die Situation in Venezuela ist der in Bolivien ähnlich. Auch hier ist es so, dass viele der Polizisten, die generell mit ihrem Beruf zufrieden sind, als Wermutstropfen anfügen, dass dies nicht für die Bezahlung gelte. Manche relativieren dies zugleich wieder und bemerken, dass die berufliche Sicherheit sowie die Sozialleistungen, die sie für sich und ihre Familie in Anspruch nehmen können, einen Ausgleich dafür darstelle. Vom Dienst an der Gemeinschaft o.ä. spricht hingegen niemand. Die große Mehrheit seiner Kollegen will Sicherheit, Bildung und Sozialleistungen. Drei Faktoren für die man den Staat in Kauf nimmt. (V 42) Er sagt, dass er „nichts auf die PM kommen lässt", w e g e n der Sozialleistungen, die er erhält und der Sicherheit, die er und seine Familie hat, auch wenn sein Verdienst nicht sehr hoch ist. (V 5) Zur Arbeitszufriedenheit sagt er, dass er in die Polizei nicht „verliebt" ist, er findet, dass die Arbeit „notwendig" ist, die Arbeitslosenquoten sind „eine Sauerei". Die Arbeit bei der PM hat für ihn viele Vorteile wie die Krankenversicherung. (V 4)

Bei den bisher zitierten Polizisten bewegte sich die allgemeine Einschätzung der Berufszufriedenheit (Tab. 76) im positiven Bereich, zum Teil sprachen die Bolivianer und Venezolaner aber bereits das ihrer Ansicht nach unzureichende Einkommen an. Damit haben sie den Faktor vorweggenommen, der bei Polizisten 325

hauptsächlich zu beruflicher Unzufriedenheit führt, denn das Einkommen wird von unzufriedenen Polizisten an erster Stelle genannt (B FB: „wegen des niedrigen Gehalts"; „der schlechte Verdienst"; „schlechtes Einkommen"). Die Polizisten aus Bolivien kritisieren darüber hinaus die „mangelnde soziale Absicherung" (B FB) und geben an, unter dem schlechten Image in der Bevölkerung sowie dem Verhalten der Politiker zu leiden. Dies deckt sich in sehr starkem Maße mit dem Meinungsbild über diese beiden Personengruppen, so wie es in den vorauslaufenden Kapiteln geschildert wurde (vgl. Kap. 4.2.1., 4.2.2. und 4.3.3.). Das Unverständnis der verschiedenen Schichten der Bevölkerung. (B FB) Der Machtmissbrauch der Politiker. (B FB)

Die venezolanischen Polizisten fügen dem Einkommen als Hauptmotiv ihrer Unzufriedenheit zwei weitere hinzu, nämlich zum einen die Gefahren des Berufs und zum anderen die mangelnden Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Policia Metropolitana, ein Faktor, der teils mit der Bezahlung verknüpft ist, teils auf die fehlende Anerkennung durch Vorgesetzte verweist. Seine Enttäuschung ist durch den Tod von Polizisten bei Einsätzen bedingt. (V 3) Er findet, dass es ein schwieriger Beruf ist (...), die Risiken im Streifendienst nehmen zu (...). Als er darüber spricht, stellt er klar, dass er ein eigenes Geschäft hat (...), er ist Geldverleiher und nimmt 15% Zinsen. Er spart seine Einkünfte bei der PM, aber er sagt, dass es sehr wenig ist und nur damit könnte er seine Familie nicht ernähren. (V 21) Er ist nicht stolz, Polizist zu sein (...). Er erklärt, dass er sich bemüht hat, aber er bekam Probleme mit einigen Vorgesetzten und vor zwei Jahren wurde er für ein Jahr zum Bürgermeisteramt von Caracas versetzt. Danach stieg er endlich auf und bekam den Posten, der ihm zustand. (V 55)

Darüber hinaus war von den Venezolanern oft zu hören, dass sie ihren Beruf nicht wieder ergreifen würden, wenn sie nochmals vor der Entscheidung stünden und dass sie ihren Kindern nicht empfehlen würden Polizisten zu werden. Diese Aussagen flössen nicht in die Daten für Tabelle 76 ein, weil solche Angaben nicht mit der Berufszufriedenheit gleichzusetzen sind. Wären sie einbezogen worden, hätten sie das Ergebnis für Venezuela noch verschlechtert.209

209

Vgl. Helfer/Siebel (1975: 782ff„ 958f.): Potentielle Wiederwahl des Berufs bei Schutzpolizisten (und Kriminalpolizisten): ja 29% (35%), vielleicht 39% (38%), wahrscheinlich nicht 23% (20%), sicher nicht 9% (7%); Lt. Wanderer/Thieme (1992: 6ff.) sind 92,2% gern Polizist, 14,5% würden nicht wieder Polizist werden, 22,3% sind unentschlossen, 63% würden den Beruf wiederwählen, aber 73,8% würden ihrem Kind nicht raten, Polizist zu werden; Kommission Innere Führung (1997): 66,8% würden ihren Beruf wiederwählen, 33,2% nicht; 49,6% würden ihren Beruf jungen Leuten empfehlen, der Rest nicht; Backes u.a. (1997: 33): mehr als 50% würden ihren Beruf wiederwählen, rd 20% würden das nicht tun.

326

Polizist zu sein ist inzwischen „der mieseste Beruf, heute würde ich nicht wieder Polizist werden". (V 59) In seiner Familie gibt es eine gewisse genetische Neigung zum Polizeiberuf. Er erzählt, dass sein Vater es war und auch ein Onkel, es ihm aber komischerweise nicht gefallen würde, wenn sein Sohn es werden würde. Er glaubt, dass es ein sehr gefährlicher Beruf ist und dass sie ihn eines Tages umbringen werden. (V 5) Er würde es vorziehen, wenn seine Söhne einen anderen Beruf wählen. Er sagt „wenn ich wieder auf die Welt käme, würde ich nicht Polizist werden". Er bewerte seine tägliche Arbeit und sagt, dass ihn die Umstände zwingen seine Arbeit weiter zu machen. (V 60)

Den wenigen unzufriedenen Chilenen (Tab. 76) schließlich ging es um das Verhalten von Vorgesetzten sowie um enttäuschte Erwartungen. Es gibt Dinge, die mir missfallen, wie Vorgesetzte, die dich am Kragen packen können. (C FB) Weil man mehr machen wollte, als man machen konnte. (C FB)

Eine nicht unwesentliche Besonderheit der Antworten der Chilenen ist eigens hervorzuheben. Im Gegensatz zu den bolivianischen und venezolanischen Polizisten haben sie nämlich bei der Frage nach der allgemeinen Berufszufriedenheit keinerlei Bezug zu ihrem Verdienst und ihren Aufstiegsmöglichkeiten gesucht. Das heißt aber nicht, dass sie in dieser Hinsicht besonders zufrieden wären (s.u. Tab. 77, 78), sondern nur, dass diese Elemente ftir sie nicht das Hauptkriterium der allgemeinen Berufszufriedenheit sind. Der Gesamtkanon an Gründen, die die lateinamerikanischen Polizisten für ihre berufliche Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit bisher angegeben haben, ist nicht untypisch. In Deutschland werden inhaltlich ähnliche Argumente vorgebracht. So kommen Helfer/Siebel (1975: 791 ff.) zu dem Schluss, dass die Besoldung und geringe Aufstiegsmöglichkeiten die wichtigsten Ursachen beruflicher Unzufriedenheit sind, während das Verhältnis zu Vorgesetzten und zur Bevölkerung sowie begrenzte Entfaltungsmöglichkeiten eine untergeordnete Rolle spielen. Die neuere Untersuchung von Backes u.a. (1997) führt hingegen zu davon abweichenden Ergebnissen. Zwar hängt die Berufszufriedenheit der von ihnen befragten Polizisten ebenfalls häufig von einer angemessenen Bezahlung (87,6%) ab, ebenso wichtig sind aber neuerdings z.B. das Betriebsklima, Mitsprachemöglichkeiten, die Chance eine interessante Arbeit auszuüben usf. (je über 88%). Die Aufstiegsmöglichkeiten werden innerhalb der Antwortvorgaben von Backes u.a. am ehesten durch „Karrierechancen" repräsentiert, gleichzusetzen sind beide Begriffe jedoch nicht, weil der regelmäßige Aufstieg innerhalb der Beamtenhierarchie nicht zwangsläufig eine „Karriere" impliziert. Vielleicht wurde dieses Kriterium deshalb nur von 59,9% der Befragten gewählt. Wichtiger als die Karrierechancen waren den 1997 interviewten Polizisten die Wertschätzung durch die Bürger, die Rücksicht auf private Verhältnisse, „Zeit für 327

Aussprache", Anerkennung durch Kollegen und Vorgesetzte sowie Fortbildungsmöglichkeiten (Backes u.a. 1997: 42ff.). Es ist anzunehmen, dass die differenten Ergebnisse der beiden referierten Studien von 1975 und 1997 auf gewandelte berufliche Ansprüche der jüngeren Polizistengenerationen zurückzufuhren sind, vielleicht gar auf einen Wertewandel; dieses Argument zu verfolgen liegt aber nicht im Interesse des Vergleichs mit den lateinamerikanischen Ländern. Festzuhalten bleibt, dass laut den referierten sowie weiteren Erhebungen (z.B.: Wanderer/Thieme 1992; Korfes 1995; Meggeneder 1988a, 1988b) die Aufstiegsmöglichkeiten 210 und der Verdienst für Polizisten wichtige Kriterien der beruflichen Zufriedenheit sind. Deswegen wurden diese Faktoren in Lateinamerika ergänzend abgefragt. Tab. 77:

Chile und Bolivien: Zufriedenheit mit Aufstiegsmöglichkeiten sehr zufrieden

Chile Bolivien

zufrieden

indifferent

unzufrieden

16,7%

50%

16,7%

16,7%

8,3%

80%

3,3%

6,7%

sehr unzufrieden -

1,7%

Beginnt man mit den Möglichkeiten des beruflichen Aufstiegs, so ist festzustellen, dass die Carabineros damit etwas unzufriedener sind als die Bolivianer, die Differenz ist aber gering (Tab. 77). Deshalb ist es interessant nachzufragen, wie die Polizisten ihre Einschätzungen begründet haben. Zunächst ist festzustellen, dass die mit ihren Aufstiegsmöglichkeiten zufriedenen Carabineros das berufliche Emporkommen als Frage der eigenen Leistung diskutieren. Sogar jene, die noch nicht befördert wurden, rechtfertigten dies mit dem Argument, dass es ihnen noch an Erfahrung fehle oder ihnen eine Beförderung wenig bedeute. Nur selten wird ein beruflicher Aufstieg so wie im folgend letzten Zitat als Glückssache interpretiert, d.h. als eine Angelegenheit, die nicht durch Leistung gesteuert wird. Es hängt von mir selbst ab, wenn ich mich verhalte, wie es erwartet wird, werde ich aufsteigen können. (C FB) Was ich gesehen habe ist, dass der, der aufsteigen will, es geschafft hat. (C FB) In der Zeit, die man braucht um zweiter Cabo (niedriger Dienstrang) zu werden, sammelt man Erfahrung. (C FB) Ich hatte die Chance, nach vier Jahren und zehn Monaten aufzusteigen, für mich war es Glück, nach so kurzer Zeit (...) aufsteigen zu können und ich kenne andere Carabineros, die jetzt sechs Jahre im Dienst sind und nicht einmal zum zweiten Cabo (niedriger Dienstrang) aufgestiegen sind. (C 8) 2,0

Vgl. weiterhin: Jaeger (1996); Möller (1988); Die Streife (1994a: 14); Die Streife (1994b: 14f, Leserbriefe); Deutsche Polizei (1996b: 4ff.).

328

Es gibt aber in Chile ebenso Polizisten, die mit der Beförderungssituation nicht einverstanden sind. Hauptsächlich fuhren sie an, dass die Prüfungen, die der Höherstufung vorausgehen, praxisfern seien und dass es einen Beförderungsstau gäbe, der durch die Personalstruktur verursacht ist. Angesichts der Häufigkeit solcher Äußerungen in den offenen Interviewteilen ist davon auszugehen, dass die Daten der Tabelle 77 die Zufriedenheit der Carabineros überschätzt. Nicht wenige ftihlen sich um ihren beruflichen Aufstieg betrogen. Es gibt Examen, die der Lage nicht gut angepasst sind, sie sind unrealistisch. (C FB) Sie fragen Blödsinn. (C FB) Unter normalen Umständen hätte (...), es gibt freie Stellen (...), weil ten, dies fiihrt zu Verzögerungen, abgemahnt worden wäre oder weil

ich schon mit vier Jahren befördert werden müssen es zu wenig Interesse gibt, in die Institution einzutredie Ränge sind wie eingefroren, aber nicht, weil ich ich eine Prüfung nicht abgelegt hätte. (C 10)

Das ist ein größeres Problem, vielleicht weil wir in einem pyramidenförmigen System sind, solange das Personal, das länger als zwanzig Jahre dabei ist nicht geht, steigen die unteren nicht auf (...). Ich habe Kollegen, die mit dreieinhalb, vier Jahren aufgestiegen sind und ich mit sieben Jahren, es reicht. (C I)

Die Bolivianer, die mit ihren Aufstiegsmöglichkeiten zufrieden sind, heben zum größten Teil die Notwendigkeit der „Konformität mit der Polizei" (B FB) hervor, diese Phrase wurde von vielen benutzt. Wenige sprechen indes von persönlichen Leistungen, die zum Aufstieg fuhren (s.u. erstes Zitat) und an den Aussagen der unzufriedenen bolivianischen Polizisten kann man sehen, dass auch in diesem Land das Kritikpotential groß ist. Angefiihrt wird, die Prüfungen seien schwer zu bewältigen und das Auswahlsystem sei nicht berechenbar. Außerdem würden gehobene Positionen auf dem Weg des Paternalismus verschoben werden. Aufopferung und Hingabe sorgen dafür, dass man erreicht, was man will. (B FB) Weil das Prüfungssystem nicht vertrauen erweckend ist. (B FB) Ein Aufstieg sollte eine Auszeichnung für Fähigkeiten, Disziplin, Überlegenheit sein und kein Akt der Großzügigkeit, Diskriminierung und Bevorzugung. (B FB)

Von den venezolanischen Polizisten schließlich sind nur sehr wenige mit dem Beförderungssystem einverstanden, die Daten reichen allerdings nicht aus, um eine Quantifizierung vorzunehmen, die einen direkten Vergleich mit den anderen beiden Ländern erlauben würde. Nichtsdestotrotz kann man an den Aussagen aber ablesen, dass nirgends von persönlichen Leistungen die Rede ist, vielmehr sind die wenigen zufriedenen Polizisten eher der Überzeugung, dass sie einen Aufstieg dem Glück verdanken oder dass er ihnen ohnehin regelmäßig zusteht. Unzufrieden sind die anderen, und sie bilden die Mehrheit, weil genau dieser Anspruch in der Praxis nicht umgesetzt wird. Außerdem sei der mit der 329

Beförderung verbundene Gehaltszuwachs zu gering um einen echten Leistungsanreiz darzustellen. Zu Beförderungen sagt er, dass er Glück hatte, weil er sie rechtzeitig bekam. (V 54) Es passt ihm nicht, alle vier Jahre aufzusteigen, aber das ist die Regel. (V 2) Zu den Beförderungen sagt sie, dass der Unterschied nicht erheblich ist (...). „Tausend Bolívares, nicht mehr". Die Anreize zum Aufstieg sind unzureichend. Außerdem (...) wird die erfolgreiche Arbeit im Streifendienst bei Aufstiegen nicht berücksichtigt. (V 6) Er sagt, dass sie das Benehmen zu sehr beurteilen und wegen jedem Streit mit Vorgesetzten ist der Aufstieg gefährdet (...). Er wäre letztes Jahr dran gewesen, jetzt erwartet er ihn für Dezember und das bedeutet eine Verspätung der Gehaltserhöhung. (V 4)

Die Zufriedenheit mit den Beförderungschancen ist mit der Zufriedenheit mit der Bezahlung insofern eng verbunden als mit einem beruflichen Aufstieg i.d.R. eine Gehaltserhöhung verbunden ist. Wohl deswegen haben die venezolanischen und bolivianischen Polizisten sowohl bei der Frage nach den Aufstiegsmöglichkeiten als auch bei der nach der allgemeinen Berufszufriedenheit kaum eine Gelegenheit ausgelassen, auf den in ihren Augen zu niedrigen Verdienst hinzuweisen. Anders die Chilenen, die dieses Thema bisher kaum angeschnitten haben. Trotzdem ist in Chile ebenso wie in Bolivien die überwiegende Mehrheit der Polizisten mit der Höhe ihres Gehaltes unzufrieden (Tab. 78). Daraus lässt sich schließen, dass die Bezahlung für die Chilenen eine eigene Kategorie der Beurteilung ihres Berufes darstellt, d.h. obwohl sie mit ihrem Einkommen unzufrieden sind, sind sie insgesamt betrachtet relativ zufrieden. Tab. 78:

Chile Bolivien

Chile und Bolivien: Gerechtigkeit der Bezahlung im Vergleich zu anderen Berufen ja 11,1% 5,3%

nein

88,9% 94,7%

Nun ist es sicherlich so, dass es die meisten Menschen begrüßen würden, mehr zu verdienen und auch unter den deutschen Polizisten gilt die Verdienstzufriedenheit als gering. Derart hohe Prozentzahlen von mit ihrem Gehalt unzufriedenen Polizisten, wie in den beiden genannten südamerikanischen Ländern werden allerdings in keiner Studie aus der BRD erreicht. Z.B. gaben bei einer Umfrage von 1997 66,2% der interviewten Polizisten an, sie würden nicht funktions- bzw. leistungsgerecht bezahlt werden (Kommission Innere Führung 1997: 24), in den neuen Bundesländern waren bei einer ähnlichen Fragestellung rund 50% dieser Meinung (Wanderer/Thieme 1992: 8). Lediglich eine Befragung unter Polizeischülern erreicht höhere Werte. Lt. Lesnik (1998: o.S.) finden 79,5% von ihnen

330

nicht, dass ihr „Gehalt ihrer Tätigkeit angemessen" ist, was auf das Alter211 der Polizeischüler sowie die Höhe der AusbildungsVergütung zurückzuführen sein dürfte. Demnach sind die südamerikanischen Polizisten mit ihrer Besoldung offenbar ein wenig unzufriedener als die deutschen. Anzufügen ist allerdings, dass der in Tabelle 78 dargestellte Anteil der mit der Bezahlung zufriedenen Carabineros unterschätzt sein dürfte. Es gab nämlich zum Zeitpunkt der Untersuchung in Santiago große und von den Medien aufmerksam verfolgte Demonstrationen von Carabineros und deren Angehörigen, die sich um die niedrige Bezahlung der Polizei drehten. Dieser aktuelle Anlass dürfte den Anteil der Unzufriedenen in die Höhe getrieben haben. Eine weitere Besonderheit in Chile ist, dass ein Teil der Befragten die Formulierung im Fragebogen wörtlich nahm und eine eindeutige Antwort mit dem Hinweis darauf verweigerte, dass sie nicht wüssten, was andere Beamte verdienen: Ich weiß nicht, wie viel andere Angestellte verdienen. (C FB) Ich kann keinen Vergleich ziehen, aber es (das Gehalt) ist nicht gut. (C FB)

Auch bei der Frage der Einkommenszufriedenheit bekamen die chilenischen und bolivianischen Polizisten Gelegenheit, ihre Einschätzung ausführlich zu begründen und diese Kommentare können mit denen der Venezolaner verglichen werden. Bei den Venezolanern fallt auf, dass die meisten derer, die über ihr Gehalt sprechen, darüber klagen und sehr viele sogleich anfügen, dass sie einem Nebenerwerb nachgehen. Weiter oben hatte ein Polizist in einem anderen Zusammenhang ja bereits berichtet, dass er gegen 15% Zinsen Geld verleiht, ein Gewerbe, bei dem ihm sein Hauptberuf als Polizist wahrscheinlich äußerst nützlich ist (s.o. V 21), andere geben an, als Händler, Sportlehrer oder private Sicherheitsleute zu arbeiten.212 Ursache dessen ist laut den Polizisten, dass ihr Gehalt nicht ausreicht, um eine Familie zu versorgen. Es ist in deren Augen aber immerhin eine regelmäßige, mit gewissen Sozialleistungen verbundene Geldquelle und insoweit eine sichere Basis: nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das Gehalt ist nicht gerecht (...), sie zahlen monatlich 130.000 Bolívares, aber „sie zahlen erst, wenn man schon Schulden hat". (V 3) Er erklärt, Händler zu sein, weil er vom Gehalt der Polizei allein nicht leben kann. (V 42) An seinen freien Tagen arbeitet er als Sportlehrer. (V 44) Die Bezahlung der Beamten ist niedrig. Er ist im privaten Sicherheitsgewerbe. (V 33)

211 S.o. Feltes stellt mehrfach fest, dass die Zufriedenheit mit verschiedensten Merkmalen des Berufs bei jüngeren Generationen niedriger ausfällt (Feltes/Hermann 1987: 75ff.; Feltes 212 1984). Solcherlei Nebentätigkeiten werden in der BRD sehr kritisch beurteilt (vgl. Sielaff 1992; Brucken 1994).

331

Er hat einmal einen Kollegen der PM in der Kleidung eines Sicherheitsbeamten gesehen, was laut dem Beamten bedeutet, dass die Leute auch dann arbeiten, wenn sie frei haben, wenn sie ausruhen sollten. Er erzählt, dass (...) sogar manche Vorgesetzte für Polizisten Arbeit organisieren (...), sie arbeiten als private Sicherheitsleute bei Politikern. (V 66) Es gibt die mampara (spanische Wand) im Polizeiberuf, damit staatliche Polizisten private Sicherheitsdienste leisten können. Er versichert, „das gibt es bei der Polizei überall". Es hat damit zu tun, dass die Beamten nicht gut bezahlt werden, aber er schätzt seine Arbeit bei der PM wegen der beruflichen Sicherheit. (V 41) V o n solchen Nebenjobs sprechen chilenische Polizisten nicht. W i e die V e n e z o laner finden aber einige, dass man mit dem Polizistengehalt eine Familie kaum ernähren kann und sie betonen ebenso, dass ihre Arbeit besondere Belastungen mit sich bringt, die eine höhere Bezahlung rechtfertigen würde. Genannt werden die Arbeitszeiten und die Gefahren für Leib und Leben: Weil ich viel arbeite, mehr als die. (C FB) Man riskiert viel und arbeitet zu viel, man hat keine festen Arbeitszeiten. (C FB) Wenn Sie gehen und eine verheiratete Person fragen, was sie verdient, den sie am 21. (des Monats) auszahlen, sie gehen am 25. hin und er hat schon kein Geld mehr. Er muss die Schule zahlen, Grundnahrungsmittel, Licht, Wasser, Gas, Telefon, wenn er hat, Miete, wenn er kein eigenes Haus hat, wenn es nicht Miete ist, die Ratenzahlung, er muss, wenn ein Kind krank wird (...), täglich morgens ins Krankenhaus fahren (...), muss seine Kinder einkleiden, ein Paar Schuhe kostet nicht weniger als 20.000, eine verheiratete Person, die 180.000 oder 200.000 Pesos verdient. (C 9) Abgesehen von den nicht benannten Nebenjobs unterscheiden sich die chilenischen von den anderen Polizisten auch dadurch, dass sie die Frage des Gehalts direkt mit ihrem Berufsprestige verknüpfen, um das sie furchten. Unser Gehalt ist niedrig und anderswo verdient man mehr, und was die Arbeitszeit angeht, ebenso, die haben feste Arbeitszeiten (...), die Carabineros nicht, man fängt zu irgendeiner Zeit an und weiß nicht, wann Feierabend sein wird (...), deshalb sind wir schlecht angesehen, als Polizisten, weil wir schlecht bezahlt werden. (C 8) Wir sind Polizisten, wir schützen die Freiheit und treffen auf Leute, die sagen „Du kannst gar nichts machen, weil ich mehr verdiene". (C FB) Das Verhalten der Bolivianer auf die Frage nach dem Verdienst hin ist zuletzt besonders hervorzuheben. Nicht nur, dass sie bereits bei anderen Fragen über ihr Gehalt sprachen, sie wurden zudem außergewöhnlich gesprächig, w e n n es um das Geld ging: bei keiner anderen Frage waren sie bereit, ihre Einschätzung derart häufig und ausführlich zu begründen. Inhaltlich decken sich manche ihrer Aussagen mit denen aus Chile und Venezuela.

332

Viel Arbeit für so wenig Geld und ein hohes Risiko. (B FB) Arbeitszeiten, Risiko, Sonn- und Feiertage, Nachtarbeit. (B FB) Weil es Angestellte gibt, die nichts tun und viel mehr verdienen als wir. (B FB) Das Einkommen eines Polizisten reicht nicht aus, um eine Familie zu erhalten und seine Kinder auszubilden. (B FB) In anderer H i n s i c h t unterscheiden s i e sich j e d o c h v o n den c h i l e n i s c h e n u n d v e n e z o l a n i s c h e n P o l i z i s t e n . Erstens b e t o n e n s i e a u f f ä l l i g h ä u f i g , der P o l i z e i b e r u f sei b e s o n d e r s a u f o p f e r u n g s v o l l u n d z w e i t e n s m e i n e n sie, h ö h e r e G e h ä l t e r k ö n n ten d a z u beitragen, d i e Korruption e i n z u d ä m m e n : Weil Polizisten für innere Sicherheit sorgen und ihre Arbeit mehr Aufopferung verlangt, als jeder andere Beruf. (B FB) Man bewertet die Aufopferung nicht, die geleistet wird. (B FB) Nach den Lehrern wird die Polizei am schlechtesten bezahlt, was kann ein Polizist mit Familie mit 380 Bolívares Lohn anfangen, die Gehälter müssen sich verbessern, damit die Leistungen besser werden und die Korruption verringert wird. (B FB) Oft bekommen wir nicht einmal den Jahresurlaub, der uns rechtlich zusteht und zuletzt, das wichtigste Argument, mit einem gerechten Gehalt könnten wir die Korruption verbannen. (B FB) Drittens s c h l i e ß l i c h , und d i e s ist b e s o n d e r s b e m e r k e n s w e r t , f i n d e n s i c h nur unter den B o l i v i a n e r n P o l i z i s t e n , die der M e i n u n g sind, das E i n k o m m e n der P o l i z i s t e n sei gerechtfertigt, w e i l d i e P o l i z e i s c h l e c h t e A r b e i t leistet. D i e s zeigt, d a s s e s auch P o l i z i s t e n gibt, die mit der A k t u a l v e r f a s s u n g der P o l i z e i nicht einverstanden sind. Die polizeilichen Leistungen sind insgesamt defizitär, gegenüber der gesamten Bevölkerung, deshalb kommt ihr kein gutes Gehalt zu, weder real noch nominal. (B FB)

333

5. Die Analyse: Polizeiliche Gewalt und Korruption in vier Ländern Gewalt und Korruption gelten seit längerem als typische Merkmale lateinamerikanischer Polizeien, das wurde bereits von verschiedensten Autoren herausgestellt. 213 Über die Unterschiede zwischen den vielen lateinamerikanischen Ländern, über die dortigen polizeilichen Institutionen selbst und über die Determinanten solchen Polizei Verhaltens war hingegen bisher wenig bekannt. Die vorliegende Studie schließt diese Forschungslücke für einen Teil dieser Länder. Empirische Polizeiforschung in Südamerika zu betreiben bedeutet allerdings, in vielerlei Hinsicht Neuland zu betreten, da der Literaturstand dürftig ist und nicht einmal die institutionellen Eckdaten polizeilicher Institutionen einfach zugänglich sind. Erhoben wurden deshalb sowohl institutionelle Daten (Kap. 3) als auch Einstellungen von Polizisten zu einem breiten Themenspektrum (Kap. 4). Der Deskription, in der die Informationen über Polizisten und Polizeien aus vier Ländern einander gegenübergestellt wurden, folgt nun ein systematischer Vergleich, der diese Daten auf die differenten Korruptions- und Gewaltniveaus bezieht (Kap. 5.2.). Vorab müssen diese auf der Basis des zugrunde liegenden Befunds (Kap. 1) aber noch genauer bestimmt werden, weil sich daraus der Aufbau der Analyse ableiten muss (Kap. 5.1.). Abschließend werden die Ergebnisse in einen größeren theoretischen Bezugsrahmen gesetzt (Kap. 5.3.).

5.1. Zum Befund und zum Aufbau der Analyse Die Häufigkeit und Intensität von Korruption und Gewalt zu bestimmen ist freilich nicht einfach, erst recht nicht mit Blick auf die Polizei. Zur Korruption ist zunächst zu sagen, dass die Auskunftsbereitschaft Uber sie in lateinamerikanischen Ländern einerseits groß ist. Gerade kritische Zeitgenossen wissen vieles über sie zu berichten und gelegentlich gipfeln die Aussagen darin, jegliche Verwaltungstätigkeit, bald jede zwischenmenschliche Beziehung sei von Korruption durchzogen, so dass manchmal der Eindruck entsteht, es existiere eine Art Negativwettbewerb, der darin besteht, dass einer den anderen mit noch haarsträubenderen Geschichten übertrumpfen möchte. In diesem Zusammenhang wird der Korruptionsbegriff aber oft reichlich inflationär gebraucht, so dass die Gefahr besteht, d a r a u f h a t u.a. Birkbeck (1992: 118) hingewiesen, dass das Ausmaß der Korruption überschätzt wird. Abseits von solchen Informationsquellen ist es andererseits so, dass die Korruption schwer zu erfassen ist. Generell

213

Chevigny (1991, 1995, 1999); Gabaldón (1996); Rodley (1999); Pinheiro (1991, 1999); Mingardi (1992, 1996, 1997); Adorno (1995); Cano (1997); Pritzl (1997); Little (1992); Little/Herrera (1996); Lösing (1996a); Schmid, C. (1996, 1997a, 1998a); Waldmann (1994, 1995); Waldmann/Schmid (1996b, 1998); Zaffaroni (1987, 1993).

335

kämen Kriminalstatistiken in Frage, aber abgesehen von den üblichen und in Lateinamerika besonders ausgeprägten Hemmnissen, Straftaten anzuzeigen (vgl. Schmid 1997b, 1998b) kommt bei der Korruption zweierlei erschwerend hinzu. Erstens machen sich prinzipiell beide beteiligten Akteure strafbar, womit deren Interesse an einer formellen Feststellung der Tat gegen Null geht und Zeugen sind normalerweise nicht zugegen. Zweitens ist die Korruption in manchen südamerikanischen Ländern derart alltäglich, dass sie insoweit als normal empfunden wird und daher eine Anzeige kaum in Betracht gezogen würde, wenn man von einer Tat erfahren würde. Nachdem Kriminalstatistiken und ähnliches als Messinstrumente ungeeignet sind, wurde bei der Befunderhebung hauptsächlich auf den von Transparency International (2000, 2004) erstellten Corruption Perceptions Index zurückgegriffen. Das ihm zugrunde liegende Erhebungsverfahren hat zwar Schwächen, die von den Verantwortlichen selbst ausführlich diskutiert werden (Transparency International 2000), das Ranking hat für die vorliegenden Zwecke jedoch den immensen Vorteil, dass der Index von vornherein international vergleichend angelegt ist und für alle beteiligten Länder weitgehend identische Maßstäbe gelten. Sehr nahe beieinander liegen auf dieser Skala Bolivien und Venezuela mit sehr hohen Korruptionsniveaus auf der einen Seite und, mit enormem Abstand, Chile und die Bundesrepublik auf der anderen, wobei sich übrigens Chile in den letzten Jahren verbessert, die BRD verschlechtert hat. Dieses Ergebnis deckt sich außerdem mit den Einschätzungen von Fachleuten (vgl. Kap. 1.1.). Aus diesem Ergebnis folgt, dass die Ländervergleiche hinsichtlich der Korruption anders zu lagern sind als ursprünglich geplant war. Es ist nicht etwa Deutschland mit dem korrupten Lateinamerika zu vergleichen, zu suchen ist im Datenmaterial vielmehr nach Gemeinsamkeiten zwischen Chile und der BRD sowie zwischen Bolivien und Venezuela und zudem nach Differenzen zwischen diesen beiden Ländergruppen (Kap. 5.2.2.). Tab. 79:

Korruptionsniveau und polizeiliches Gewaltniveau in vier Ländern Polizeiliches Gewaltniveau

Korruptionsniveau niedrig hoch

niedrig Deutschland

mittel

hoch

Chile Bolivien

Venezuela

Grundsätzlich reichen Gewalttaten durch Polizisten wie die anderer Bürger auch von leichten Formen der Körperverletzung bis hin zu Tötungen. Informationen über sie zu bekommen, ist in der Bundesrepublik relativ einfach. Den schnellsten Zugang bekommt man über die Zeitschrift CILIP/Bürgerrechte und Polizei, deren Autoren sich ihrerseits hauptsächlich auf die Statistik der Innenministerkonferenz und auf Presseauswertungen stützen (vgl. insb. Pütter 1999). Aus den drei 336

südamerikanischen Ländern sind hingegen entsprechende, auf offiziellen Zählungen beruhende Daten nicht zu beschaffen, noch nicht einmal Uber Tötungen durch Polizisten, von anderen Gewaltformen ganz zu schweigen. Gelegentlich werden Befragungen von Festgenommenen publiziert, die zeigen, dass Prügel im Polizeigewahrsam oder in Gefangnissen in vielen Ländern Lateinamerikas eher die Regel denn die Ausnahme sind (vgl. z.B. Rodley 1999; Lösing 1996a: 400; Waldmann/Schmid 1998: 93) und obwohl die entsprechenden Zahlen schon hoch genug sind, ist, wie etwa für Venezuela Bolívar (1999) bemerkte, davon auszugehen, dass die Angaben die Realität keineswegs vollständig abbilden. Der Hauptgrund ist, dass viele „mildere" Fälle nicht an die Öffentlichkeit kommen, da sie von den Opfern als derart gewöhnlich eingeschätzt werden, dass sie nicht der Erwähnung wert scheinen. Auch sind die Definitionskriterien für verschiedene Gewaltformen unklar. Aus einer Befragung von Rodley (1999) weiß man z.B., dass sich Häftlinge selbst nicht als gefoltert bezeichnet haben, obwohl sie schwer misshandelt wurden, und sie begründeten dies mit dem Argument, sie seien schließlich nicht mit Elektroschocks gequält worden. Wegen dieser Grundproblematik kann man bei den in den verschiedenen südamerikanischen Ländern publizierten Daten über diese Formen der Polizeigewalt, auch denen der nationalen Menschenrechtsorganisationen u.ä., nie ganz sicher sein, ob sie untereinander vergleichbar sind. Tötungen durch Polizisten sind demgegenüber recht eindeutig definiert und Informationen über sie sind in verschiedensten Publikationen enthalten. Deshalb sind sie ein wichtiger Indikator für das jeweilige Niveau polizeilicher Gewalt, zugleich werden in der Gesamteinschätzung aber auch die Informationen über andere Formen polizeilicher Gewalt berücksichtigt. Die Informationen internationaler Menschenrechtsorganisationen sind besser handhabbar als jene der zuletzt angesprochenen Quellen, weshalb sie als Hauptquelle dienen. Ähnlich wie Transparency International im Hinblick auf die Korruption haben ihre Daten den Vorteil, dass die Organisationen über Jahre hinweg kontinuierlich Uber sämtliche in der Studie berücksichtigten Länder berichten und die Maßstäbe für jedes Land und über die Zeit hinweg weitgehend identisch sind. Zudem können Angaben mehrerer Organisationen abgeglichen werden, im konkreten Fall die von amnesty international (2000 a-e) sowie die des US Department of State (2000), die i.d.R. weitgehend übereinstimmen. Der für die Menschenrechtsorganisationen typische Stil der Einzelfallberichte lässt es zudem in gewissem Umfang zu, Rückschlüsse auf Charakteristika und Zielgruppen polizeilicher Gewalt zu ziehen (vgl. Kap. 1.2.). All diese Daten, ergänzt um die Berichte der in Südamerika interviewten Polizisten, genügen, um sich ein Bild von den Niveaus polizeilicher Gewalt in den behandelten Ländern zu machen. Anzusprechen bleibt die bei polizeilichen Tätern allerdings stets aufkommende Frage, ob die beschriebenen Gewalttaten im Sinne der nationalen Polizeigesetze oder internationalen Standards als legal oder illegal einzuschätzen sind, ist der Beruf des Polizisten doch geradezu durch seine Gewaltermächtigung charakterisiert. Begrenzt ist der Einsatz von Polizeige337

walt durch die Gesetze, die, wie immer sie in einzelnen Ländern lauten, im Allgemeinen vom Grundsatz der Angemessenheit der Mittel (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) ausgehen. Diese Grenze wird bei einigen der beschriebenen Fälle ohne Zweifel überschritten, so z.B. bei Erschießungen, die wegen der konkreten Tatausführung als Exekutionen zu charakterisieren sind. Aber in anderen Fällen, etwa bei Schusswechseln zwischen Polizisten und Kriminellen, die laut den venezolanischen Polizisten geradezu zu den polizeilichen Standardsituationen in diesem Land zählen (Kap. 4.2.4.), ist die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Handlungen aus der Position der Autorin nicht auszumachen, schon weil mal mit Täter-, mal mit Opferberichten gearbeitet wurde. Auch weitere Nachforschungen, etwa über die justitielle Einschätzung wenigstens des geringen Anteils an Taten, die gerichtsanhängig werden, wären angesichts der typisch lateinamerikanischen „Impunidad" (Straflosigkeit, vgl. z.B. Ambos 1997) von Menschenrechtsverletzungen und der selbstredend auch bei solchen Fällen eine Rolle spielenden Korruption sinnlos. Eine entsprechende Einschätzung der polizeilichen Gewalttaten ist aber auch nicht nötig, weil das weder die Aufgabe noch das Ziel dieser Studie ist, denn nicht nur die illegale sondern auch die legale Polizeigewalt ist Bestandteil des darzustellenden und zu erklärenden polizeilichen Gewaltniveaus. Die Häufigkeit von Tötungen durch Polizisten, betrachtet als Indikator für polizeiliche Gewalttaten, nimmt von der BRD über Chile und Bolivien nach Venezuela deutlich zu. In der Bundesrepublik starben zwischen 1976 und 1997 jährlich sechs bis 24 Menschen durch polizeilichen Schusswaffeneinsatz, im Durchschnitt sind es etwa zwölf durch die Polizei Getötete pro Jahr. Enthalten sind in diesen Angaben sämtliche Tötungssituationen von Unfällen über Notwehr bis hin zum Einsatz des sog. finalen Rettungsschusses (vgl. Pütter 1999: 4; Kap. 1.2.1.). Die chilenische Situation ist wegen der Datenlage schwieriger zu beurteilen. Die Berichte der internationalen Menschenrechtsorganisationen (amnesty international 2000 a-e; US Department of State 2000) enthalten durchschnittlich etwa fünf von Carabineros getötete Menschen pro Jahr, die chilenische Menschenrechtsorganisation CODEPU (CODEPU 1994a: 19ff.) gibt hingegen 20 Opfer pro Jahr an. Diese Differenz zeigt, dass die Daten der internationalen Menschenrechtsorganisationen offenbar untertreiben und sie kann daher rühren, dass letztere nur offensichtliche Menschenrechtsverletzungen aufführen, CODEPU hingegen sämtliche Tötungen (vgl. Kap. 1.2.4.). Für den Vergleich mit der BRD sind deshalb die höheren Zahlen relevant. Rechnet man zu diesem Zweck die absoluten in relative Zahlen um, d.h. stellt die Zahl der Getöteten in eine Relation zur Einwohnerzahl,214 ein in der Kriminologie übliches Verfahren, so lassen sich die Unterschiede zwischen der BRD und Chile noch verdeutlichen: pro 100.000 Einwohner werden in der BRD jährlich 0,014, in Chile mindestens 0,12 Menschen von Polizisten getötet. Anzufügen ist noch, dass sich die 214

BRD: rd. 82 Mio. Einwohner, Chile rd. 16 Mio. Einwohner.

338

Situation in Chile tendenziell verbessert. Für Bolivien werden von den internationalen Menschenrechtsorganisationen jährlich etwa 20 durch Polizisten getötete Menschen gezählt. Verlässt man sich auf die Erfahrungen mit dem chilenischen Datenmaterial, so ist davon auszugehen, dass es tatsächlich mehr sind, weitere Angaben stehen aber leider nicht zur Verfügung. Deshalb können nur die Zahlen der internationalen Menschenrechtsorganisationen untereinander verglichen werden, d.h. es ist davon auszugehen, dass in Bolivien etwa vier mal so viele Menschen von Polizisten getötet werden wie in Chile (Kap. 1.2.3.). Über Venezuela liegen genauere Informationen vor, da die dortige Menschenrechtsorganisation PROVEA (2000, 2004) Tötungen durch Polizisten registriert: zwischen 1992 und 2003 kamen auf diese Weise jährlich mindestens 101 bis 241 Menschen um, die Daten der internationalen Menschenrechtsorganisationen bestätigen diese Angaben tendenziell (Kap. 1.2.2.). Durchschnittlich wurden im genannten Zeitraum demnach jährlich 158 Menschen von Polizisten getötet, bezogen auf die venezolanische Einwohnerzahl 215 errechnet sich eine Ziffer von 0,69 pro 100.000 Einwohner pro Jahr! Damit begeht die venezolanische Polizei innerhalb der Vergleichsfalle ohne Zweifel am meisten Tötungen. Überraschend daran sind weniger die Ergebnisse für die letzten Jahre unter der Regierung Chävez als vielmehr die Tatsache, dass die Werte vor seiner Amtszeit, als Venezuela noch als südamerikanische Vorzeigedemokratie galt, nicht viel besser waren (Kap. 3.3.1., 1.2.2.). Aber Tötungen sind nicht die einzigen Gewaltindikatoren. Zieht man Angaben über qualitative Merkmale der Tötungen, über Folter und andere körperliche Gewalt zusätzlich zu Rate, so verschlechtert sich die Position Venezuelas noch. In keinem anderen der vier Länder wird ein so hoher Anteil der Tötungen durch Polizeibeamte der Kategorie „Exekutionen" zugeordnet: es sind je nach Quelle und Jahr zwischen 28% und 50% (PROVEA 2000; amnesty international 2000e; US Department of State 2000; Kap. 1.2.2.). Zudem gilt Folter als in Venezuela häufig und es werden dabei elaborierte Foltertechniken eingesetzt. Letzteres gilt ebenso ftir Chile, der venezolanische Level wird jedoch nicht erreicht. Trotzdem verschlechtert sich damit die Position Chiles auf der Gewaltskala. Der Gewalteinsatz chilenischer und venezolanischer Polizisten unterscheidet sich noch dadurch voneinander, dass die Hauptopfer in Venezuela einfache Kriminelle sind, während in Chile des Öfteren ein politischer Hintergrund besteht (Kap. 1.2.2., 1.2.4.; s.u.). Während nun in der Frage der Gewaltausübung durch die Polizei Venezuela insgesamt die deutlich schlechteste und die BRD die deutlich beste Position einnimmt, ist zwischen Chile und Bolivien bezüglich des Gewaltniveaus schwer zu differenzieren. Zum einen, das wurde eben bereits angedeutet, steht die Polizeigewalt in Chile oft im Zusammenhang mit politischen Auseinandersetzungen, z.B. bei Demonstrationen für oder wider Pinochet, v.a. in der Hauptstadt (Kap. 1.2.4., 3.2.1.). In Bolivien dominieren dagegen die Spannun215

Rd. 23 Mio. Einwohner.

339

gen in den Drogenanbaugebieten im ruralen Raum, die gleichzeitig Züge eines sozioökonomischen Konfliktes um wirtschaftliche Überlebensweisen und Merkmale eines ethnischen Konfliktes zwischen bäuerlichen indígenas und Trägern der Staatsmacht tragen (Kap. 1., 3.4.1.). Zudem erreicht Chile bei Tötungen durch Polizisten bessere Werte, Bolivien hingegen bei Folter und anderer körperlicher Gewalt (Kap. 1.2.4., 1.2.3.; s.o.). Deshalb und weil die Datenlage insgesamt nicht so gut ist, dass quantitative Einschätzungen vollständig Uberzeugend belegt werden könnten, werden Chile und Bolivien gleichermaßen als Länder mit mittlerem Niveau polizeilichen Gewalteinsatzes eingeordnet, wobei Bolivien etwas schlechter abschneidet (s.o. Tab. 79). Zudem ist das Gewaltprofil der beiden Länder recht unterschiedlich, wovon noch zu reden sein wird. Zunächst wird jedenfalls in der Gewaltanalyse nach Faktoren gesucht, bei denen die BRD und Venezuela weit auseinander liegen und Bolivien und Chile mittlere Positionen einnehmen (Kap. 5.2.3.).

5.2. Der Vergleich: Einstellungen von Polizisten und Merkmale von Polizeien Der Sinn des systematischen Vergleichs der vier Fallstudien ist es, Aussagen darüber treffen zu können, was das Explanandum erklärt, in unserem Fall das korrupte und gewalttätige Polizeiverhalten. Die Leitfrage der Analyse ist mithin, welche der erhobenen Einstellungen von Polizisten und welche Merkmale der untersuchten Polizeien der vier Länder mit den differenten Gewalt- und Korruptionsniveaus variieren. Zu diesem Zweck wurde zunächst der Befund (Kap. 1) zusammenfassend rekapituliert (Kap. 5.1.). Daraus leitet sich ab, dass für die Korruptionsanalyse zwei Fallpaare einander gegenübergestellt werden müssen: die BRD und Chile einerseits und Bolivien und Venezuela andererseits. Das Augenmerk liegt folglich in diesem Teil der Analyse auf Gemeinsamkeiten innerhalb der beiden Paare sowie auf Unterschieden zwischen ihnen (Kap. 5.2.2.). Anders ist das Analyseraster im Hinblick auf die differenten Niveaus polizeilicher Gewalt zu setzen (Kap. 5.2.3.). Hier ist nicht von zwei Gruppen sondern von einem eher linear ansteigenden Niveau zu sprechen und zwar von der BRD mit dem seltensten Gewaltvorkommen ausgehend über Chile und Bolivien, zwischen denen bezüglich der quantitative Ausprägung dieses Merkmals schwer zu differenzieren ist, zu Venezuela hin, wo die Polizisten sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht am gewalttätigsten sind (Kap. 5.1.). Folglich richtet sich der Blick auf Merkmale und Einstellungen, die ebenfalls linear variieren. Wo ein besonderer Ertrag erwartet werden kann, werden einzelne Länder zudem gesondert miteinander verglichen (Kap. 5.2.3.). Der Grund für diesen letzten Schritt ist, wie zu sehen sein wird, dass sich die Erklärungsfaktoren für Gewalt und Korruption nicht selten überlagern: oftmals ist es schwierig, die Einstellungen von Polizisten und Merkmale der Polizeien der vier Länder, die mit Korruption einerseits und polizeilicher Gewalt andererseits einher gehen, exakt 340

auseinander zu halten. Dies hat u.a. damit zu tun, dass bei beiden Vergleichskonstruktionen dieselben Länder die Extrempositionen einnehmen: die Bundesrepublik schneidet sowohl bei der Korruption als auch bei der Polizeigewalt besonders gut, Venezuela besonders schlecht ab. Es ist aber auch zu prüfen, ob diese Überlagerung ihren Grund nicht vielmehr darin hat, dass die Phänomene Gewalt und Korruption unter bestimmten Randbedingungen enger zusammenhängen als auf den ersten Blick zu vermuten steht. Dem dient das letzte Kapitel (5.3.), diese Überlegung schwingt aber bereits in den nächsten drei Kapiteln mit. Ein Kapitel (5.2.1.) ist dem noch vorauszuschicken und zwar jenes, das sich mit den erhobenen Faktoren beschäftigt, die kaum etwas zur Erklärung des Explanandums beitragen können. 5.2.1. Was Polizisten oder Polizeien eint und wenig zur Erklärung von polizeilicher Gewalt und Korruption beiträgt Das Ergebnis eines Vergleichs kann nicht nur eine Bestimmung dessen sein, welche Faktoren ein Phänomen erklären, sondern auch welche dies nicht können. Diese werden nicht selten vernachlässigt. Aber ist es nicht auch bedeutsam sagen zu können, welche Faktoren geringen Einfluss auf die Häufigkeit korrupten oder brutalen Polizeiverhaltens haben oder erst in Kombination mit anderen Merkmalen ihre Wirksamkeit entfalten? Zwei Gruppen solcher Einstellungen von Polizisten und Merkmalen von Polizeien fallen darunter: jene, die in allen vier untersuchten Ländern annähernd gleichartig ausgeprägt sind, denn sie können länderspezifische polizeiliche Verhaltensmuster nicht erklären, und jene, die mit dem zu erklärenden Verhalten wenigstens allein in keinen logischen Zusammenhang gebracht werden können, weil sie mal gemeinsam mit hohen, mal gemeinsam mit niedrigen Gewalt- und Korruptionsniveaus auftreten. Letzteres gilt insbesondere für einige Merkmale der Polizeiorganisation und -geschichte. Einige Merkmale der Polizeistruktur und -geschichte der BRD, Chiles, Venezuelas und Boliviens (Kap. 3.) stehen vielleicht intuitiv mit gewalttätigen (und evtl. korrupten) polizeilichen Handlungen in logischem Zusammenhang, büßen aber bei einem systematischen Vergleich vieles von ihrer Überzeugungskraft ein. Zuvorderst, das lag allerdings schon der Fallauswahl zugrunde, ist darauf hinzuweisen, dass zwar (Militär-)diktaturen mit einiger Regelmäßigkeit neben militärischer immense polizeiliche Gewalt einsetzen, dass aber im Umkehrschluss nicht gesagt werden kann, eine demokratische Verfassung allein reduziere dieselbe. Alle vier untersuchten Länder sind (Formal-)Demokratien und tatsächlich geht in Chile die Polizeigewalt seit der Geltung der demokratischen Verfassung zurück. Von Venezuela - ein weiteres Beispiel wäre Brasilien kann ähnliches dagegen nicht behauptet werden (vgl. Schmid 1997a). Dort steigen die Zahlen der Tötungen durch Polizisten seit Antritt der Regierung Chävez zwar an, aber sie lagen auch vorher, als Venezuela noch als stabile südamerikanische Demokratie galt, auf außergewöhnlich hohem Niveau. Der zeitliche Abstand zur letzten Diktatur bzw. die durchgängige Dauer der augenblicklichen 341

Demokratie ist allein als Erklärungsfaktor ebenso wenig geeignet. Zwar ist die Bundesrepublik als das Land mit der vergleichsweise längsten demokratischen Epoche zugleich jenes, in dem die Polizei am wenigsten Gewalt einsetzt. Venezuela, das dahingehend nur 10 Jahre hinter Deutschland zurück liegt, ist unter den vier Fällen aber mit Abstand das Land mit der häufigsten und schwersten Polizeigewalt, wohingegen Bolivien und Chile, die Anfang bzw. Ende der achtziger Jahre zur Demokratie zurückgekehrt sind, im Hinblick auf die polizeiliche Gewalt mittelmäßig abschneiden. Das soll nun nicht heißen, dass Militärdiktaturen keine Spuren in polizeilichen Einstellungen und aus ihnen resultierenden Handlungsmustern hinterlassen würden. Während Diktaturen sozialisierte Polizisten können menschenrechtsverachtende Praktiken durchaus in die Demokratie hinein forttragen, durch das training-on-the-job sogar auf die nachwachsende Polizistengeneration übertragen. Gerade mit Bezug auf Chile, aber auch für weitere lateinamerikanische Länder, wird dieses Argument oft ins Feld geführt. Parallel dazu werden die militärischen Züge in Struktur und Organisation der Carabineros genannt, darunter deren institutionelle Anbindung an das Verteidigungsministerium, ihr zentralisierter Aufbau, die strikte und steile interne Hierarchie mit militärischen Rangbezeichnungen, die Unterbringung v.a. der Polizeischüler in polizeieigenen Unterkünften (Kasernen) sowie die militärischen Inhalte der Basisausbildung. Kritisiert wird an all dem, dass die Trennlinie zwischen Polizei und Militär nicht scharf genug gezogen ist und dass die militärische Prägung gewalttätiges Handeln von Polizisten befördert, folglich seien diese Elemente ausschlaggebend für die weiterhin erhöhten Gewaltraten der chilenischen Carabineros. Eine gewaltfördernde Wirkung militärischer Strukturmerkmale der Polizei mag am isolierten Fall Chile überzeugen (Bauer 2000), weniger wenn man dieses Land mit Venezuela vergleicht, dessen Polizei davon nur wenig hat und dessen Polizisten dennoch um ein vielfaches häufiger als die chilenischen töten und zudem extrem korrupt sind. Die verschiedenen venezolanischen Polizeien sind i.d.R. nicht dem Verteidigungsministerium, sondern dem Justizministerium, Gouverneuren und Bürgermeistern unterstellt, die Polizeiorganisation ist im Hinblick auf die vielen venezolanischen Regionalpolizeien relativ dezentral aufgebaut und militärische Rangbezeichnungen sind selten. Eine Ausnahme davon ist allerdings die militärisch geprägte und personell überlegene Guardia Nacional. Zumindest bis vor dem Amtsantritt von Chávez war sie jedoch nur für einen geringen Teil der polizeilichen Gewalttaten verantwortlich, die Haupttäter waren vielmehr Mitglieder der regional verankerten Policía Metropolitana. Eine direkte Konfrontation des chilenischen mit dem venezolanischen Fall kann sogar zu der vielleicht provozierenden Frage führen, ob manche militärischen Merkmale der chilenischen Polizei nicht unerwartet positiv funktionale Wirkungen entfalten. Könnte nicht eine einer strikten militärischen Disziplin unterworfene Polizei leichter zu kontrollieren sein - im Guten wie im Bösen - als eine dezentrale undisziplinierte (vgl. Kap. 5.3.)? In jedem Fall wird aber zu schlussfolgern sein, dass die militä342

rischen Strukturmerkmale bei der Erklärung gewalttätiger Verhaltensweisen von Polizisten kaum die einzig ausschlaggebenden sind. Geht man im Anschluss an diese Überlegungen die für die Studie geführten Interviews mit den Polizisten nach Parallelen zwischen den vier untersuchten Ländern durch, so wird schnell deutlich, dass sich viele Einstellungen von Polizisten international sehr ähneln. Wenn man die internationale Polizeiforschung betrachtet, kommt man zum selben Ergebnis, dass nämlich die spezifisch polizeiliche Berufssozialisation und die Ambivalenz des Berufs (vgl. Heuer 1997) eine ganz bestimmte Sicht der Dinge produzieren, unabhängig zunächst davon, in welchem kulturellen oder sozialen Kontext diese Sozialisation stattfindet. Dazu zählt unter anderem der Machismo, ein gewisses Sendungsbewusstsein, die klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse, zwischen Wir und Sie und, eng damit zusammenhängend, ein generalisiertes Misstrauen und Verschwiegenheit nach außen sowie Solidarität untereinander (Kersten 2 0 0 0 ; Ohlemacher 2 0 0 0 ) . So ist es auch in den drei untersuchten lateinamerikanischen Staaten. Diese und die sogleich referierten Gemeinsamkeiten sind aber nur auf einer allgemeinen Ebene identisch, im Detail können z.T. dennoch Unterschiede festgestellt werden. Beispielsweise gilt zwar in den Polizeien aller vier untersuchten Länder das Verschwiegenheitsgebot, die Vorstellungen darüber, welche polizeilichen Handlungen darunter zu fallen haben, klaffen aber auseinander. Darauf soll aber an dieser Stelle nur aufmerksam gemacht werden, abgehandelt werden diese Differenzierungen zu Gunsten der Konzentration auf die Parallelen zwischen den verschiedenen Polizeien erst weiter unten (5.2.2., 5.2.3.). a) Weitgehend einig sind sich die interviewten Polizisten aller vier Länder z.B. wenn sie ihre Berufsunzufriedenheit begründen (Kap. 4.4.4.). Allgemein verbreitet sind Klagen über die Arbeitszeiten, insbesondere den Schichtbetrieb, über mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten und, damit eng zusammenhängend, die in den Augen der Polizisten zu niedrige Bezahlung. Gerade letzteres ist für die Einschätzung der Korruptionsneigung von nicht zu unterschätzender Bedeutung, da gelegentlich die Meinung zu hören ist, polizeiliche Korruption habe mit ungenügender Besoldung und den dadurch eingeschränkten Lebenschancen zu tun (vgl. Ambos 2002). Auch abgesehen davon, dass auch oder gerade Polizisten (und andere Staatsbedienstete) in hohen Rängen mit entsprechenden Einkünften der Korruption Uberhaupt nicht abhold sind (Waldmann/Riedmann 1996), kann dies offensichtlich nicht in direkter Weise gefolgert werden, da sowohl Polizisten aus Ländern mit geringer als auch solche aus Ländern mit häufiger Korruption mit ihrer Bezahlung unzufrieden sind und man kann auch nicht sagen, dass die Bezahlung der chilenischen Polizisten relational zu ihren Lebenshaltungskosten wesentlich besser wäre als die der venezolanischen (Kap. 3).

343

b) In den Grundzügen werden die Nachbarinstitutionen der Polizei (Kap. 4.3.) von den Polizisten der vier Länder sehr ähnlich beurteilt und v.a. kritisiert. So lautet der gegen die Medien gerichtete Hauptvorwurf überall, deren Berichterstattung über die polizeiliche Arbeit und insbesondere die polizeiliche Gewaltausübung sei unausgewogen und gehe einseitig zu Lasten der Polizei: während gegen Polizisten gerichtete Gewalt kaum gezeigt würde, rückte man die polizeilichen Reaktionen so in den Vordergrund, dass der Eindruck ungerechtfertigter Härte entstünde. Auch werde über durch Polizisten verletzte Zivilisten ungleich ausführlicher informiert als über im Dienst verletzte Polizisten, und Medienvertreter würden dazu neigen, Verfehlungen einzelner „schwarzer Schafe" der gesamten Institution zuzurechnen. Gerade bei in der Medienöffentlichkeit ausgetragenen Konflikten um Polizeiaktionen stärke außerdem die Politik der Polizei zu wenig den Rücken und den politischen Institutionen wird zudem vorgehalten, sie missbrauche die Polizei als Sündenbock für politische Fehlentscheidungen. Dies wird von den Polizisten aller vier Länder hauptsächlich dann betont, wenn es um Demonstrationen geht, die gegen politische Maßnahmen gerichtet sind, denen sich die Polizisten aber unabhängig davon stellen müssen, welche Position sie selbst persönlich vertreten. Ebenfalls gegen die politisch Verantwortlichen sowie gegen die Justiz wird vorgebracht, sie stellten sich der Kriminalität nicht konsequent genug entgegen. Die Politik, weil sie der Polizei ausreichende und moderne Ressourcen vorenthalte, die zur Bekämpfung der Kriminalität notwendig seien, die Justiz, weil sie gegen von der Polizei ermittelte Tatverdächtige nur halbherzig vorgehe. Schließlich meint jeweils rd. die Hälfte der südamerikanischen Polizisten, dass das „Übermaß" der von der Legislative zu verantwortenden Vorschriften die polizeiliche Effizienz behindern würde und die Ergebnisse für die BRD weisen in eine ähnliche Richtung. Daraus kann in der Gesamtschau des entsprechenden Kapitels (4.4.4.) geschlossen werden, dass bei vielen Polizisten ein Spannungsverhältnis zu den rechtlichen Regelungen besteht, die sie zu beachten haben. Einer der wichtigsten Gründe dafür ist das von Polizisten gemeinsam geteilte Wissen darüber, wie schnell in der Alltagsarbeit, zumal in Auseinandersetzungen in denen rasch und reaktiv gehandelt werden muss, die Grenze des Zulässigen überschritten ist und sie sich zumindest de jure selbst einer Strafandrohung aussetzen. Dies ist eine wichtige Quelle der Solidarität von Polizisten untereinander und deren Bereitschaft, sich im Falle eines Falles gegenseitig zu decken. c) Unisono wird von Polizisten aller vier untersuchten Länder auch die Meinung vertreten, die Kriminalität wachse enorm, werde immer gewalttätiger und ihr Organisationsgrad steige permanent. Abgesehen davon, dass dies partiell der Realität entspricht (s. Kap. 5.2.3.; vgl. Nolte 2000, Ambos 1998; Schmid 1998b) ist es allerdings so, dass Polizisten das Ausmaß der Kriminalität häufig überschätzen (Kap. 4.2.3.). Das liegt nicht unwesentlich daran, dass sie im Alltagsdienst laufend mit den Schattenseiten der Gesellschaft konfrontiert sind, insbe344

sondere wenn sie in Großstädten oder in sog. Problemrevieren eingesetzt sind, und dazu neigen, diese Erfahrungen zu generalisieren. Aber dahinter steckt zugleich ein strategisches Manöver, denn diese Argumentation wird i.d.R. direkt mit Ressourcenforderungen für die eigene Institution verknüpft (s.o.). Einher geht diese Einschätzung der Kriminalität im übrigen in allen vier Ländern und unabhängig von der tatsächlichen Bedrohtheit mit der Überzeugung, als Polizist besonderen physischen Gefahren ausgesetzt zu sein (Kap. 4.2.3.), ein Risiko, das aus der Sicht der Polizisten wenigstens durch verbesserte Einkommen kompensiert werden sollte (s.o.). d) Hinsichtlich des Verhältnisses der Polizisten zur Bevölkerung sind gleichfalls Parallelen zwischen den vier untersuchten sowie weiteren Ländern zu konstatieren. Zu nennen ist zuvorderst die Tendenz zur polizeilichen Selektion zu Ungunsten der Unterschichten, der Marginalgruppen und ggf. der ethnischen Minderheiten (Kap. 4.2.3.). 2 1 6 An diesen sozialen Orten wird von Polizisten der größte Teil der Kriminalität vermutet und dementsprechend werden diese sozialen Gruppen verstärkt beobachtet und kontrolliert. Im Zweifel sind es dieselben Gruppen, die schneller und häufiger polizeilicher Gewalt ausgesetzt sind - international freilich auf höchst unterschiedlichem Niveau - schon, weil sie über weniger Beschwerdemacht verfugen und sich juristisch gegen solche Maßnahmen weniger zu wehren wissen. Dem liegt durchaus eine polizeiliche „Vorurteilshaltung gegenüber ethnischen Minderheiten" (Kersten 2 0 0 0 ) zugrunde, die international unter Polizisten beobachtet wird. Einschränkend ist aber zum einen zu sagen, dass solche Vorstellungen nicht nur unter Polizisten herrschen und zum anderen, dass diese aus der Sicht der Polizisten sowohl von Kriminalstatistiken als auch von ihren alltäglichen Erfahrungen laufend bestätigt werden. Polizisten haben tatsächlich besonders häufig mit Mitgliedern niederer Schichten zu tun, wodurch solche Grundeinschätzungen generalisiert und verfestigt werden. Zu bevorzugen ist deshalb der Begriff der „erfahrungsgesättigten Stereotype" (Willems/Eckert/Jungbauer 1996; vgl. Heuer 1997). Gerade weil Unterschichtsmitglieder Polizisten weniger entgegenzusetzen haben, gehen Polizisten mit ihnen im Allgemeinen lieber um als mit Angehörigen gehobener Schichten und Berufsgruppen (Kap. 4.2.2.). Ihr Verhältnis zu letzteren ist nämlich ebenfalls gespannt, wenngleich aus anderen Gründen und mit anderen Folgen: ihnen wird angekreidet, sie würden Polizisten gegenüber arrogant auftreten und mittels ihrer Beschwerdemacht und ihrer „guten Beziehungen" versuchen, gerechtfertigte polizeiliche Maßnahmen abzuwehren. Mehrheitlich meinten die befragten Polizisten zudem, dass die Bevölkerung der Polizei zu wenig Respekt zollt, dass ihr Informationsstand über die Schwierigkeiten der Polizeiarbeit gering ist und sie daher polizeiliche Maßnahmen oft nicht richtig

216

Vgl. zu anderen Ländern z.B. Wilson (1967); Cain (1973); Kelling/Lewis (1979); Lersch (1998).

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(ein)zuschätzen weiß. Dies entspringt wesentlich dem Dilemma, dass die konkreten Anlässe von Begegnungen zwischen Polizisten und Bürgern im allgemeinen Konflikte sind, die geeignet sind, bei Bürgern Ärger über die Polizei zu produzieren: vermeintliche Täter glauben zu Unrecht verdächtigt oder zu hart behandelt zu werden, Opfer dagegen finden, Täter müssten konsequenter verfolgt werden, aufgehaltene Verkehrsteilnehmer meinen, Polizisten hätten Wichtigeres zu tun als Verkehrsvergehen zu verfolgen usw. Aufsummiert hat dies zur Folge, dass Polizisten ihr Image unterschätzen und zu der Überzeugung kommen, die Bürger lehnten die Polizei generell ab (Kap. 4.2.1.). Gerade deshalb wünschen sich viele, die Bevölkerung würde vermehrt mit der Polizei kooperieren. All dies macht letztlich sehr deutlich, wie ambivalent das Verhältnis von Polizisten zur Bevölkerung ist, der sie mal als Freund und Helfer verständnisvoll gegenüber und mal als Staatsmacht energisch entgegen treten sollen. Auch das ist international für den Polizeiberuf typisch. e) Die Äußerungen der befragten Polizisten zu ihren Kollegen und Vorgesetzten (Kap. 4.4.2.) sind in den vier untersuchten Ländern oft bis in Details hinein identisch. Normalerweise, das ist die Meinung der großen Mehrheit, kann man sich auf Kollegen immer verlassen und dies wird als Fakt allerhöchster Bedeutsamkeit eingeschätzt (vgl. Hüttermann 2000). Die Begründungen dafür sind ebenfalls gleichlautend. Im Vordergrund stehen das kollegiale Verständnis, gegenseitige Hilfsleistungen im Alltagsdienst, die gemeinschaftsbildende Funktion der engen Zusammenarbeit sowie die Kollektivorientierung von Polizisten, die sie vor Angehörigen anderer Berufsgruppen auszeichne, bei denen eher Individualorientierungen vorherrschten (vgl. Hüttermann 2000; Skolnick/Fyfe 1993). Alles in allem bildet sich hier ab, dass die in der internationalen Polizeiliteratur häufig betonte Solidarität von Polizisten untereinander auch in den lateinamerikanischen Ländern eines der wichtigsten Merkmale dieses Berufs ist. Angesichts des Verhältnisses der Polizisten zu Nachbarinstitutionen und Bevölkerung (s.o.) kann diese durchaus als „defensive Solidarität" (Ohlemacher 2000: 13) bezeichnet werden. Die typisch polizeilichen Solidaritätsvorstellungen können allerdings verschiedenste Facetten aufweisen, die von der Hilfe in Gefahrensituationen über die „unbürokratische" Zusammenarbeit bis zur Vertuschung von Verfehlungen und Straftaten im Dienst reichen können (vgl. Heuer 1997). Polizistinnen werden in diese Solidarität jedoch von vielen nicht einbezogen (Kap. 4.4.3.). Der von den Polizisten genannte Hauptgrund dafür ist, dass sie die „eigentliche" Polizeiarbeit, d.h. deren gefahrvolle Anteile nicht erbringen könnten: entweder trauen ihnen dies die Polizisten selbst nicht zu oder sie argumentierten, die Bevölkerung würde weibliche Polizisten nicht respektieren, weshalb sie bei diesen Arbeiten auf zusätzliche Hindernisse stoßen würden. Besonders fehle es ihnen an Körperkraft, an Belastbarkeit und, so wird es vorgebracht, an Persönlichkeit. Da sie deshalb aus der Perspektive der gemeinten Polizisten die erwartete gegenseitige Hilfe nur eingeschränkt leisten können, verstoßen sie von 346

vornherein gegen die gemeinschaftlichen Werte. Das bedeutet auch, dass sie sie nicht als gleichwertige Partnerinnen akzeptieren werden, vielmehr sollen sie die Hintergrundarbeit sowie die wenig beliebten Tätigkeiten leisten, z.B. die anfallenden Verwaltungsarbeiten aber auch die Vermittlung bei Familienstreitigkeiten (vgl. Franzke 1997). Solche Sichtweisen zeigen nicht nur reservierte Haltungen gegenüber weiblichen Polizisten auf sondern auch ein Berufsverständnis, das die Gefahren des Berufs und dessen repressive Komponente in den Vordergrund stellt (s.u., Kap. 5.2.3.). Sofern männliche Kollegen kritisiert werden, geht es im Grunde um dieselbe Thematik, nämlich um Verhaltensweisen, die den institutionellen Werten entgegenstehen, die die Quelle der kollegialen Solidarität sind, darunter mangelnder Korpsgeist, die Verweigerung der Teilnahme an der Gefahrengemeinschaft sowie jeder Akt des „Anschwärzens" von Kollegen beim C h e f oder anderswo, z.B. bei Medienvertretern. Für Mitglieder anderer Polizeieinheiten und -Organisationen (und ggf. militärischer Organisationen, sofern sie Polizeiaufgaben wahrnehmen) sowie für Vorgesetzte gelten dieselben Kriterien. Bei Vorgesetzten ist von größter Bedeutung, dass sie sich im Falle öffentlicher Angriffe gegen Kollegen voll hinter diese stellen und im übrigen wird von ihnen erwartet, dass sie den Handlungsspielraum der Streifenpolizisten möglichst wenig einengen und ihre Disziplinarmacht sparsam einsetzen. Das Gegenteil wird ihnen als Überbetonung der Hierarchie und arrogantes Verhalten ausgelegt. Generell ist es darüber hinaus so, dass das Verhältnis zu anderen Polizisten als um so weniger gut beschrieben wird, j e weiter der soziale Abstand zu ihnen innerhalb der Polizeihierarchie ist: z.B. schneiden Vorgesetzte schlechter ab als unmittelbare Kollegen und der unmittelbare Vorgesetzte besser als der nächsthöhere usw. (Kap. 4.4.2.; vgl. Schüller 1991: 2 7 0 ; 2 4 9 f f ; Meggeneder 1988a: 132). Ein ähnliches Kriterium ist der institutionelle Abstand zwischen verschiedenen Polizeieinheiten. S o werden fremde Reviere der eigenen Institution besser bewertet als Reviere anderer polizeilicher Institutionen, etwa dort, wo eine von der Schutzpolizei organisatorisch abgetrennte Kriminalpolizei o.ä. existiert (Kap. 4.4.1.). Das eigene Revier, die eigene Dienstschicht ist folglich die Hauptbezugsgruppe, der die volle Solidarität gilt (vgl. Waldmann 1978; Cain 1973; Holdaway 1979; Richthofen 1994; Schüller 1991;), für andere Polizisten wird das Solidaritätsempfinden graduell abgestuft (vgl. Hüttermann 2 0 0 0 : 15), ist im Zweifelsfall aber immer noch relativ stark (vgl. aber die Spezifika in Venezuela: Kap. 5.2.2.). f) Polizeiliche Subkulturen erfahren deshalb auch in den Einzelrevieren ihre stärkste Ausprägung. Dass die Basiswerte polizeilicher Subkulturen Solidarität nach innen und Verschwiegenheit nach außen sind, wurde in der Polizei aus ver-

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schiedensten Ländern beschrieben 217 und dies ist in Lateinamerika prinzipiell nicht anders. Die Subkulturbildung unterstützende Faktoren finden sich ebenfalls in allen vier untersuchten Ländern. Bei den strukturellen Faktoren spielt dabei ein hoher Grad beruflicher Selbstrekrutierung und die häufige Unterbringung von Polizisten in polizeieigenen Unterkünften (v.a. während der Ausbildung) eine Rolle (Kap. 4.1.). Beide Faktoren sorgen dafür, dass Polizisten viel Zeit mit anderen Polizisten verbringen - in der Jugend mit Angehörigen und in der Freizeit mit Kollegen - und dadurch relativ wenig Gelegenheit haben, sich mit konkurrierenden Weltbildern anderer Professionen auseinander zu setzen. Hervorzuheben ist darüber hinaus, dass fast alle befragten Polizisten, egal aus welchem der vier untersuchten Länder, einhellig die Auffassung vertreten, dass man auf der Straße und von erfahreneren älteren Kollegen Wichtigeres lernt als während der Ausbildung auf polizeilichen Schulbänken. Dieser Erfahrungsschatz wird als im Alltagsdienst nützlicher und praktikabler bewertet als formale Ausbildungsinhalte (4.1.2.). Unabhängig von der Dauer der Ausbildung, die in den vier Ländern erheblich variiert, werden die für die Polizisten selbst wichtigsten Verhaltensregeln demnach in erheblichem Maß an den Ausbildungsinstitutionen vorbei auf den Revieren weitergegeben: von Polizistengeneration zu Polizistengeneration. Ein Unterschied besteht jedoch darin, dass längere Ausbildungen und berufliche Weiterbildung der informellen Weitergabe fachlichen Wissens und subkultureller Verhaltensnormen immerhin mehr Widerstand entgegen zu setzen vermögen. 5.2.2. Differente Korruptionsniveaus In dem den Befund zusammenfassenden Kapitel (5.1.) wurde der Aufbau der Korruptionsanalyse begründet. Gebildet wurden zwei Länderpaare, die sich in ihrem Korruptionsniveau deutlich voneinander unterscheiden. In Chile und der B R D ist die Korruption vergleichsweise selten, in Bolivien und Venezuela dagegen sehr häufig. Zu suchen ist im Datenmaterial demnach nach Faktoren, die zwei Bedingungen erfüllen: zum einen sollen sich die Paare untereinander darin möglichst ähnlich sein, zum anderen sollen sie sich darin voneinander möglichst stark unterschieden. Solche Faktoren fanden sich im Hinblick auf vier Themenblöcke, a) der Berufszufriedenheit und das Verhältnis zu diesem Beruf, b) der Einschätzung der polizeilichen Ausbildung, c) dem Verhältnis der Polizei zur Bevölkerung und umgekehrt sowie d) der Beurteilung von Institutionen, mit denen Polizisten in ihrem Berufsalltag zu tun haben. Diese Themengebiete wurden bereits im vorigen Kapitel über die Parallelen zwischen den Polizisten aller vier untersuchten und mancher weiterer Länder angesprochen. Während dort aber der Schwerpunkt auf den eben oftmals übereinstimmenden grundsätzlichen

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U.a. Wilson ( 1 9 6 7 ) ; Westley (1972); Cain (1973); Walsh (1977); Reiss (1979); Holdaway (1984); Skolnick/Fyfe (1993); Kappeler u.a. (1994); Adler u.a. (1995); Haarr (1997); Maibach (1996); zusammenfassend und bezogen auf Lateinamerika: C. Schmid (1996, 1998a).

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Meinungen usf. von Polizisten lagen, geht es im nun folgenden Analyseteil um die feinen Unterschiede, die jedoch nur dann angemessen eingeordnet werden können, wenn die groben Gemeinsamkeiten bekannt sind. a) Im vorhergehenden Kapitel wurde bereits dargelegt, dass fast alle Polizisten über den Schichtdienst, mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten, die Gefährlichkeit ihres Berufs und ähnliche polizeitypische berufliche Erschwernisse klagen, die sich in ihren Augen noch nicht einmal in einer diesen Belastungen entsprechenden leistungsgerechten Bezahlung niederschlagen würden. Dass diese Faktoren in allen vier untersuchten Ländern die prinzipiellen Wurzeln beruflicher Unzufriedenheit sind, heißt aber im Gegenzug nicht, dass die Berufsunzufriedenheit überall gleich groß wäre und dieselben Faktoren in gleicher Weise betont werden. Vielmehr lässt sich feststellen, dass zwar die Unzufriedenheit mit der Entlohnung überall ähnlich ausgeprägt ist, die allgemeine Unzufriedenheit mit der Profession in Bolivien und Venezuela aber größer ist als in den beiden anderen Ländern. Dieses Paradox erklärt sich aus der jeweiligen Bedeutung der Entlohnung für die allgemeine Berufszufriedenheit. Markant ist nämlich, dass sich die allgemeine berufliche Unzufriedenheit in den beiden korrupteren Ländern in erster Linie aus der Dimension „Unzufriedenheit mit der Bezahlung" speist, wohingegen sie in den beiden anderen Ländern auch von immateriellen Faktoren abhängig gemacht wird, z.B. der „persönlichen Weiterentwicklung", dem Glauben an den „Eigenwert des Berufs" sowie dem „Stolz einer angesehenen Institution anzugehören" (Kap. 4.4.5.). Ausschlaggebend ist demnach in den beiden korrupteren Ländern und insbesondere in Venezuela weder die Höhe des Soldes noch die Unzufriedenheit der Polizisten mit ihm, sondern die relative Wertigkeit dieses Faktors für die Polizisten, d.h. der Beruf wird in erster Linie an dem Kriterium bemessen, wie viel er finanziell abwirft. Die chilenischen Polizisten, darauf sei nochmals energisch hingewiesen, sind mit ihrer Bezahlung auch nicht zufrieden und dennoch kaum korrupt, und sie sind gleichzeitig zufriedener mit ihrem Beruf, weil er anhand anderer Kriterien bewertet wird. Für ein differentes Verhältnis der beiden Gruppen zum Polizeiberuf sprechen auch andere Ergebnisse. Während die Carabineros oft von Kindheit an Polizist werden wollten und dem Beruf einen Eigenwert zumessen, war die Berufswahl für die befragten Bolivianer und Venezolaner häufig eine Verlegenheitslösung: selten war es von vornherein ihr Ziel, Polizist zu werden, und oft haben sie vorher andere Berufe ausgeübt. Reizvoll an dem Posten als Polizist ist filr viele Befragte aus den beiden korrupteren Ländern neben den Einkommen hauptsächlich die Aussicht auf eine gewisse soziale Absicherung und auf geregelte Aufstiege, die wiederum mit Gehaltserhöhungen verbunden sind. Gerade dies ist den bolivianischen und noch mehr den venezolanischen Polizisten wichtiger als den chilenischen und zugleich beklagen sie sich besonders heftig über die Verfahren, die beruflichen Aufstiegen zugrunde liegen. Die entsprechenden Prüfungen empfinden sie als schwer und unkalkulierbar, die Resultate seien entweder reine 349

„Glückssache" oder von Beziehungen zu Prüfern abhängig, d.h. auch Beförderungen hängen möglicherweise von Gefälligkeiten ab (Kap. 4.4.5.). In diesen Gesamtzusammenhang reiht sich nahtlos ein, dass besonders die Venezolaner über - legale wie illegale - Nebenjobs berichtet haben. Sie arbeiten z.B. als Sportlehrer, Händler, sogar als Geldverleiher und für private Sicherheitsdienste und zwar nicht nur in ihrer dienstfreien Zeit, sondern auch während der Dienstzeit und unter Ausnutzung ihrer polizeilichen Ressourcen. Im Polizeiberuf selbst wird von ihnen nur der finanzielle Grundstock erwirtschaftet, er hat eine gewisse Wertigkeit als Garant einer einigermaßen sicheren Rente, nicht weniger aber auch nicht mehr. b) Soweit in den erhobenen Daten aus Lateinamerika Informationen über die Einstellungsvoraussetzungen und die polizeiliche Grundausbildung enthalten sind, kann gesagt werden, dass in den beiden korrupteren Ländern deutlich geringere Anforderungen an die Polizeischüler gestellt werden als in Chile und in der BRD. Die Ausbildungsgänge für einfache Straßenpolizisten 2 ' 8 dauern in Bolivien und Venezuela oft nur wenige Monate und enthalten zusätzlich zu den typischen Fächern (basale Rechtsgrundlagen, Polizeipraxis, Sport) wenig soziale Inhalte (Kap. 3). Gemeinsam ist den bolivianischen und venezolanischen Polizisten in Abgrenzung zu den chilenischen Polizisten außerdem, dass sie ihre Ausbildung häufig als schlecht beurteilen (Kap. 4.1.). Die Hauptkritik der Venezolaner lautete, man habe insgesamt wenig brauchbares gelernt und sei vielmehr von den Ausbildern herumschikaniert worden: so wie die Verhältnisse von manchen von ihnen beschrieben wurden, wird dabei eine militärisch anmutende sog. Formalausbildung eingeübt, deren Elemente bestens geeignet sind, Rekruten an den Rand ihrer Kräfte zu bringen. Relativ häufig klagen die bolivianischen und venezolanischen Polizisten auch darüber, dass ihnen zu wenige Rechtskenntnisse vermittelt wurden. Zudem scheint die Rechtsausbildung in Bolivien und Venezuela besonders wenig zu fruchten. Auf die quantitativ auswertbare Frage, ob bestimmte Gruppen von Kriminellen mit besonders „großer Härte" angepackt werden sollten, nannten die dortigen Polizisten ohne große Umschweife Personenkreise, denen sie eine solche Behandlung zumuten wollten. In Chile dagegen verweigerte immerhin ein Viertel der Befragten unter explizitem Hinweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz eine entsprechende Antwort. Sie betonten das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel und lehnten „besondere Härte" strikt als unangemessen ab. Ähnliches kam den bolivianischen Polizisten kaum und den venezolanischen gar nicht in den Sinn (Kap. 4.2.3.). 219 Ein weiterer Hinweis in dieselbe Richtung sind die Antworten auf die Frage, ob man als Polizist immer „exakt gemäß den Buchstaben des Gesetzes" handeln könne. Sie wurde in 218 219

Anders ist es freilich bei Ausbildungsgängen, die für gehobene Ränge zu durchlaufen sind (vgl. Kap. 3). Für die BRD fand sich keine vergleichbare Frage.

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der BRD und in Chile mehrheitlich positiv, in Venezuela und Bolivien mehrheitlich negativ beantwortet (Kap. 4.4.3.). Somit ist die Ausbildung in den beiden korrupteren Ländern objektiv schlechter und wird gleichzeitig von den Polizisten selbst als schlechter empfunden und das heißt auch, dass in diesen Ländern der informellen Weitergabe von Berufsnormen weniger entgegen gesetzt wird (s.o.). c) Das Verhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung ist in den beiden Ländern mit höherem Korruptionsniveau wesentlich schlechter als in Chile und der BRD, das gilt gleichermaßen für die Bewertung der Polizei durch die Bevölkerung (Fremdbild) und für die Vorstellungen der Polizisten davon, wie sie von der Bevölkerung bewertet werden (geglaubtes Fremdbild), wie für das Verhältnis der Polizisten zur Bevölkerung. Die positive Bewertung der deutschen Polizei durch die Bevölkerung ist vielfach belegt220 und das hohe Ansehen der Carabineros gilt schon lange als chilenisches Spezifikum, weil die Polizei ansonsten in ganz Lateinamerika einen äußerst schlechten Ruf hat (vgl. Lauga 1996: 121f.; Hudson 1994). In Deutschland hatten z.B. Anfang der 90er Jahre 67% der Bevölkerung eine positive Einstellung zur Polizei (Murck 1992)221 und laut neueren, den europäischen Vergleich suchenden Daten sind es in Deutschland 72%, die die Polizei sehr positiv oder positiv beurteilen (Murck 1997: 245ff.; vgl. Schneider 2001: 289).222 Die Carabineros erreichen ähnlich gute Werte. Bei einer Bevölkerungsumfrage in Santiago de Chile (Adimark 1997) sollten z.B. Vertreter verschiedener Institutionen dahingehend bewertet werden, wie sie ihre Aufgaben in Bezug auf die Eindämmung der Kriminalität erfüllen und dabei bekamen die Carabineros die besten Noten. 223 In derselben Publikation wird angegeben, dass 61% der Befragten meinen, dass die Carabineros der Bevölkerung in verschiedenster Hinsicht helfen. 224 Auch der Abstand zwischen der chilenischen und den anderen Polizeien kann mittlerweile mit empirischen Daten belegt werden. Laut dem Latinobarometer (Schneider 2001: 282, 287f.) vertrauen nur 22% der

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Z.B. Kriminalistik (1988: 103); Murck (1989); Die Polizei (1989); Jaschke (1994a); Hermanutz (1995); Scholzen/Froese (1996); Stein (1996); Riegl (1998). In den alten Bundesländern! In den neuen Bundesländern waren es kurz nach der Wende nur 45% (Murck 1992; vgl. Harlan 1997). Die anderen untersuchten Länder (Belgien, Frankreich, Niederlande) erreichen ähnlich hohe Werte (Murck 1997: 245fT.). Für die USA und Großbritannien vgl. Skogan (1998: 194). Die Bewertungsskala reichte von 1 bis 7. die folgenden Angaben beziehen sich auf die besseren Noten (5-7). Der Director General der Carabineros wurde von 60% positiv bewertet, der Director der Policía de Investigaciones von 57%. Der Presidente de la República und verschiedene Minister (Verteidigungsminister, Justizminister, Innenminister) erreichten nur 39-45%, der Corte Suprema 34% (Adimark 1997). Vier Jahre vorher (1993) waren nur 58% dieser Meinung (Adimark 1997).

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Bolivianer 225 und 23% der Venezolaner, aber 55% der Chilenen ihrer Polizei: das ist der beste Wert in Lateinamerika (vgl. Banco Interamericano de Desarrollo 2000: 86; Nolte 2000). Polizisten selbst neigen dazu, ihr Image in der Bevölkerung zu unterschätzen, dies lässt sich gerade für Deutschland gut belegen (Heuer 1997), aber ihre Einschätzungen sind insofern realistisch, als die Abstände zwischen den vier Ländern beim Fremdbild (s.o.) und beim geglaubten Fremdbild identisch sind. Jeweils mindestens die Hälfte der bundesdeutschen und chilenischen Polizisten glaubt, dass das Image der Polizei in der Bevölkerung positiv ist. Dieselbe Meinung vertreten in Bolivien und Venezuela nur verschwindend kleine Minderheiten der Polizisten und zwar unabhängig davon, ob das Berufsprestige der Polizei, die geglaubte Meinung der Bevölkerung über die Arbeit der Polizei oder die Bewertung des Berufs durch Familienmitglieder und Freunde abgefragt wird (4.2.1.). Das Verhältnis der Polizisten zur Bevölkerung ist in Bolivien und Venezuela ebenfalls schlechter als in den anderen beiden Ländern. Die Polizisten Boliviens zeigen sich wesentlich weniger als die chilenischen daran interessiert, was die Bürger von ihnen denken, und sie finden häufiger, dass Bürger sich ungerechtfertigt oft über polizeiliche Maßnahmen beschweren. Die venezolanischen und bolivianischen Polizisten neigen zugleich dazu, die Bürger als überempfindlich und unvernünftig abzuwerten (Kap. 4.2.2.). Dass alles in allem der Rückhalt der Polizei in der Bevölkerung von den Polizisten aus Bolivien und v.a. Venezuela als geringer eingeschätzt wird als in Chile ist insofern nur folgerichtig. Zwischen Polizei und Bevölkerung herrscht in Bolivien und Venezuela ein ausgeprägtes gegenseitiges Misstrauensverhältnis. d) Ein weiteres Merkmal, das bolivianische und venezolanische Polizisten auszeichnet, ist ihre betonte Abneigung gegen Angehörige gehobener Schichten, wobei die Bolivianer eher Vertreter der Politik, die Venezolaner solche der Justiz im Auge haben. Das ist ein Bindeglied zwischen ihrem Verhältnis zur Bevölkerung und zu ihren Nachbarinstitutionen. Fragt man die Polizisten etwa, warum die Polizei in der Bevölkerung schlecht angesehen ist, so bekommt man in den beiden korrupteren Ländern des Öfteren zu hören, nicht etwa das Verhalten der Polizisten sei dafür ausschlaggebend, vielmehr gelte der Unmut der Bürger eigentlich den verschiedenen Institutionen und diese unterminierten zudem das Image der Polizei. Dabei ist die grundsätzliche Kritik bolivianischer und venezolanischer Polizisten z.B. an der Medienberichterstattung durchaus die (polizei-) übliche (s.o.), der Unterschied zu Chile und der BRD ist aber darin zu sehen, dass in Bolivien und Venezuela kaum relativierende Äußerungen über die Medien fallen. Während in Chile und der BRD immerhin rd. 40% der Polizisten

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Für Bolivien können diese Angaben durch die Daten des Bolivia Web Poll (2000) untermauert werden. Dort gaben im November 1999 88,3% an, die Polizei sei keine vertrauenerweckende Institution.

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finden, dass wenigstens manche Publikationsorgane angemessen über die Polizei berichten, kommt dies in Venezuela und Bolivien kaum vor (Kap. 4.3.2.). Ähnlich eklatant sind die Differenzen, wenn die Gesetzgebung eingeschätzt wird. Im Gegensatz zu bolivianischen und venezolanischen Polizisten meinen wenigstens manche chilenische und deutsche Polizisten, dass die Perspektive der Polizei bei der Rechtssetzung berücksichtigt wird. Insbesondere die Venezolaner holen bei entsprechenden Fragen zu einer massiven Polemik gegen die Gesetzgebung aus. Hintergrund dessen ist, dass in Venezuela zum Zeitpunkt der Untersuchung zum Missfallen der Polizisten ein Gesetz zurückgezogen wurde, das es ihnen vormals erleichtert hatte, unliebsame Personen in Haft zu nehmen (Ley de Vagos y Maleantes). Aber auch unabhängig davon lauten die Begründungen bolivianischer und venezolanischer Polizisten für ihre Haltung besonders häufig, dass das gesetzte Recht im Alltag nicht umsetzbar sei, manche legen sogar relativ offen dar, dass solche Gesetze von Polizisten unterlaufen werden (insb. Kap. 4.4.4.). Dass die bisher angesprochenen Institutionen - Medien, Legislative, Judikative - in Bolivien und Venezuela von Polizisten derart negativ bewertet werden ist umso bedenklicher, wenn man sich vor Augen fuhrt, dass es sich bei ihnen um jene handelt, die eine Kontrollfunktion gegenüber der Polizei haben (sollten). Über die bisher besprochenen Institutionen hinaus wird von bolivianischen und venezolanischen Polizisten außerdem das Verhältnis zum Militär mehrheitlich als schlecht bezeichnet (Kap. 4.3.4.). Dabei spielt eine bedeutende Rolle, dass es in diesen beiden Ländern Aufgabenüberschneidungen zwischen Polizei und Militär (in Venezuela der Guardia National) gibt (vgl. Kap. 3), die Kompetenzgerangel und Rivalitäten zur Folge haben. Angekreidet wird den Militärs dann auch, sie verhielten sich gegenüber Polizisten arrogant. Dennoch finden viele Polizisten aus Venezuela und Bolivien, es solle mehr Zusammenarbeit zwischen Polizei und Militär geben, allerdings unter Vormachtstellung der Polizei. Manche chilenische Polizisten vertreten ebenfalls die Ansicht, die Kooperation mit dem Militär solle verstärkt werden. Dabei lässt sich aber ein bedeutender Unterschied zu Bolivien und Venezuela ausmachen: die Chilenen wollen die Kooperation auf einige wenige polizeiliche Aufgabengebiete begrenzt sehen, etwa Fälle an denen Angehörige des Militärs beteiligt sind oder auch Notsituationen wie z.B. Umweltkatastrophen. Die Bolivianer und Venezolaner, die für eine vermehrte Kooperation eintreten, denken hingegen an die Bewachung von Gefängnissen, die Bekämpfung der Drogenkriminalität sowie Großeinsätze und Razzien und sie stellen sich vor, dass das Militär die Polizei mit Ressourcen unterstützen könnte. Die chilenischen Polizisten unterscheiden sich von den Polizisten der beiden anderen südamerikanischen Länder außerdem dadurch, dass sie das Verhältnis zum Militär überwiegend als gut bezeichnen. Das ist sicher Ausdruck der gemeinsamen historischen Wurzeln beider Institutionen und dem Selbstverständnis der Carabineros als militärische Organisation, das von ihnen bis heute positiv bewertet wird und dies ist einerseits hinsichtlich des Ideals 353

einer strikten Trennung der Aufgaben der inneren und der äußeren Sicherheit voneinander gewiss bedenklich. Andererseits wird aber das Verhältnis zum Militär in Chile gerade deswegen als positiv geschildert - dies erschließt sich im direkten Vergleich mit Bolivien und Venezuela - weil es kaum Aufgabenüberschneidungen zwischen beiden Institutionen gibt. 226 Insgesamt werden die verschiedenen Institutionen durch die Polizisten in den beiden korrupteren Ländern wesentlich schlechter bewertet als in der BRD und in Chile. Diese Einschätzung teilen die Bürger. Nicht nur ihr Vertrauen in die Polizei (s.o.) sondern auch ihr Vertrauen in politische Institutionen und in die Verwaltung ist in Chile mit Abstand größer als in Bolivien und Venezuela und hinsichtlich des Vertrauens in die Gericht bzw. die Justiz sind die Unterschiede zwischen Chile und den anderen beiden Ländern zwar geringer aber ebenfalls vorhanden (Banco Interamericano de Desarrollo 2000: 86, 187, 201; Schneider 2001). 227 All diese Institutionen gelten in der bolivianischen und venezolanischen Bevölkerung als extrem unzuverlässig und schwach, was zeigt, dass die Misstrauenssysteme in diesen Ländern nicht nur Polizei und Bevölkerung (s.o.), sondern zudem die wichtigsten Institutionen umfasst. Diese Schwäche der Institutionen korrespondiert mit anderen Eckdaten, die diesen beiden korrupteren Ländern gemeinsam sind und darauf hindeuten, dass die Staaten selbst schwach und politisch fragil sind. 228 Was sie außerdem von den beiden anderen Ländern mit niedrigerem Korruptionsniveau trennt, ist das staatliche Gewaltmonopol, das in der Bundesrepublik und Chile weitgehend gegeben ist, in Bolivien und Venezuela dagegen nicht. Warum ausgerechnet die Ermangelung des Gewaltmonopols Korruption erklären hilft, wird in einem eigenen Kapitel behandelt (5.3.). 5.2.3. Differente Niveaus polizeilicher Gewalt Die polizeiliche Gewalt steigt innerhalb der vier untersuchten Länder von der BRD über Chile und Bolivien bis Venezuela kontinuierlich an (Kap. 5.1.). 229 Deshalb wird das Datenmaterial zur Erklärung dieser differenten Niveaus polizeilicher Gewalt zuerst dahingehend analysiert, welche Einstellungen von Polizisten und Merkmale von Polizeien in derselben Weise variieren. Während dieser Auswertung zeigte sich jedoch, dass mehrfach dieselben Faktoren zum Tra226

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Aus Deutschland ist über das Verhältnis der Polizisten zum Militär nichts zu erfahren. Keine der zugänglichen empirischen Arbeiten über die Polizei beschäftigt sich mit diesem Thema. Allerdings sind in allen drei interessierenden Ländern etwa gleich große Anteile der Bevölkerung der Meinung, dass nicht alle vor dem Gesetz gleich sind (Banco Interamericano de Desarrollo 2000: 87). In Bolivien an häufigen Regierungs- und Regimewechseln eher sichtbar, in Venezuela bis zum Verfall des Erdölpreises und bis zum politischen Auftreten von Hugo Chávez eher hinter der demokratischen Fassade verborgen (vgl. Kap. 3.3.1., 3.4.1.). Aktuelle Daten zu anderen lateinamerikanischen Ländern finden sich z.B. in Ales/Donza/ Palmieri (2002).

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gen kommen, wie bei der vorangegangenen Analyse unter der Perspektive der Korruptionserklärung. Dies hat zwei Konsequenzen. Zum einen ist in Erwägung zu ziehen, dass die Erklärungen der Korruptions- und der Gewalthandlungen näher beieinander liegen müssen als ursprünglich anzunehmen war. Dies ist eine weitere Begründung für das abschließende Kapitel (Kap. 5.3.). Zum anderen werden die vier Länder einander zusätzlich einzeln gegenübergestellt, soweit diese Vergleiche Ertrag versprechen (s.u. Tab. 84 u. 5.2.3. d)- f))- Für jene Ergebnisse der ersten Vergleichsebene, die mit der Korruptionserklärung identisch sind, sei auf das vorige Kapitel zurückverwiesen (5.2.2.). Über sie hinaus variieren aber weitere drei Faktoren gemeinsam mit dem Niveau polizeilicher Gewalt, die nun diskutiert werden, nämlich a) die Forderungen der Polizisten nach spezifischen Ressourcen, b) ihr Verhältnis zu Polizistinnen sowie c) die Kriminalitätsraten der vier untersuchten Länder. a) Ressourcenforderungen, das wurde bereits weiter oben festgehalten (Kap. 5.2.1.), gehören zum typischen Repertoire von Polizisten (vgl. z.B. Brüsten 1985; Backes u.a. 1997; Willems/Eckert/Jungbauer 1996). Wo immer die in für diese Studie gestellten Fragen irgendeine inhaltliche Verknüpfung mit der Ausstattung der Polizei zuließen, nutzten die befragten Polizisten die Gelegenheiten um anzugeben, welches Equipement ihrer Ansicht nach fehlt, zusätzlich wurden die Polizisten direkt gefragt, welche Ressourcen wünschenswert wären. Abgesehen davon, dass die deutschen und chilenischen Polizisten mit ihrer Ausstattung etwas weniger unzufrieden sind als die der anderen beiden Länder, sind sich die Polizisten in einer Sache weitgehend einig: darin dass es an Personal fehlt. Diese Antwortvorgabe wurde zumindest in den drei südamerikanischen Ländern fast gleich oft gewählt, aber bei den übrigen Antworten lassen sich deutliche Unterschiede aufzeigen. Die aufgeführten Ressourcen lassen sich zwei Komponenten des Polizeiberufs zuordnen, einer zivil-administrativen (Kommunikationstechnik, Computer, Berufskleidung) und einer militärisch-technischen (Waffen, Fahrzeuge) und die werden jeweils unterschiedlich betont. Während die Chilenen neben der Kritik am Personalstand am häufigsten administrative Güter, seltener Fahrzeuge und mit großem Abstand Waffen einfordern ist es bei den Venezolanern geradewegs umgekehrt. Dort denken die Polizisten in erster Linie an Waffen und Munition, an zweiter Stelle folgt der Wunsch nach mehr Personal und administrative Güter spielen eine nur marginale Rolle. Dies zeigt, wie ausgeprägt repressiv die Berufsvorstellungen der venezolanischen Polizisten im Vergleich zu den Carabineros sind (Kap. 4.4.4.). Zum selben Ergebnis führen deren Vorstellungen zu notwendigen Einstellungsvoraussetzungen, Ausbildungsinhalten usw. (Kap. 4.1.) und zu Frauen im Polizeiberuf (s.u.). Die bolivianischen Polizisten liegen bei Ressourcenforderungen genau zwischen diesen zwei Polen und es fällt auf, dass sie bei der Kommunikationstechnik auf Geräte mit sehr niedrigerem Modernisierungsniveau zu sprechen kommen, z.B. auf Telefone, nicht etwa auf Computer. Dies ist sicherlich Ausdruck der dortigen realen Verhältnisse. 355

b) Das Verhältnis der Polizisten zu ihren weiblichen Kollegen kann ebenfalls noch weiter ausgeleuchtet werden als dies weiter oben aus pragmatischen Gründen getan wurde. Wenn Polizisten meinen, Frauen seien nicht imstande sämtliche polizeilichen Aufgaben zu bewältigen, dann argumentieren sie alle in der oben skizzierten Weise (Kap. 5.2.1.). Hauptsächlich wird vorgebracht, ihre körperliche Konstitution sei für die „eigentliche", die harte und gefährliche Polizeiarbeit ungeeignet. Eine Aussage darüber, wie häufig diese Vorstellung in den einzelnen Ländern vertreten wird, wurde aber bisher nicht getroffen. Vor dem Hintergrund des bisher über die verschiedenen Polizeien gesagten ist das Ergebnis in dieser Frage zunächst überraschend. Quantitativ betrachtet sind ausgerechnet in Bolivien und Venezuela fast alle befragten Polizisten der Meinung, es sollten mehr Frauen als Polizistinnen arbeiten, während nur 50% der Carabineros dieser Auffassung sind. Dieses Paradox erklärt sich aus den verschiedenen Aufgaben, die Polizistinnen zugewiesen werden, wobei zwischen zwei Gruppen unterschieden werden muss, nämlich jenen, die den Frauen die „eigentliche" Polizeiarbeit nicht zutrauen und jenen, die dies tun. Erstere finden, Frauen sollten in erster Linie Verwaltungsarbeiten (vgl. Hüttermann 2000: 15) sowie leichtere Fälle insbesondere im Zusammenhang mit Jugendlichen, Frauen und Familien übernehmen, d.h. sämtliche bei Polizisten eher unbeliebte Tätigkeiten (vgl. Franzke 1997; Rustemeyer/Tank 2001). Innerhalb dieser Arbeitsgebiete ist die Verteilung nochmals länderspezifisch ausgeprägt. Die Bolivianer wollen Polizistinnen mehr bei polizeilich relevanten Familienangelegenheiten einsetzen, die Venezolaner in der Verwaltung, sie denken dabei sogar an Sekretariatsdienste für sich selbst. Und auch die Chilenen, die Polizistinnen gegenüber skeptisch sind, trauen ihnen hauptsächlich Büroarbeiten zu. Aber: mehr chilenische als venezolanische und bolivianische Polizisten meinen, dass Frauen sehr wohl alle polizeilichen Aufgaben wahrnehmen können und dabei keine geschlechtsspezifischen Schwierigkeiten zu meistern haben (Kap. 4.4.3.)! In den Grundzügen kann das angeführte Paradox damit erklärt werden. Wenn nur 50% der chilenischen Polizisten wollen, dass mehr Frauen als Polizistinnen arbeiten, so haben sie dabei relativ häufig deren Einsatz als vollwertige Polizeikräfte im Sinn, wohingegen die vielen venezolanischen und bolivianischen Polizisten, die sich mehr Kolleginnen wünschen, den Frauen sie unterstützende Tätigkeiten zuschreiben, als Verwaltungsangestellte und „Politessen". Weiterhin ist zu sagen, dass der Anteil an Polizisten, der Frauen (fast) alle polizeilichen Aufgabengebiete wahrzunehmen zutraut, in den Ländern mit häufigerer polizeilicher Gewalt geringer ist. Nicht, weil sie ein grundsätzlich anderes Frauenbild hätten, sondern weil dasselbe Frauenbild mit ihrem anderen Verständnis von den Anforderungen bei der „eigentlichen" Polizeiarbeit und ihrem anderen Selbstbild weniger kompatibel ist. Gerade die venezolanischen Polizisten verstehen sich vorrangig als crime flghters wohingegen unter den chilenischen Carabineros das konkurrierende polizeiliche Selbstbild des remedy agents etwas verbreiteter ist und dieses ist - und zwar auch bei identischem Frauenbild - eher mit 356

einem Einverständnis gegenüber Frauen im Polizeidienst vereinbar (vgl. Kap. 4.4.3., 4.1.). c) Kriminalitätsraten erwecken wie alle quantitativen Messungen den Eindruck großer Objektivität, aber sie sind einer Vielzahl an Verzerrungsfaktoren ausgesetzt, die zudem von Land zu Land unterschiedlich wirken können. Dennoch können anhand von Häufigkeitsziffem 230 umsichtige Vergleiche gezogen werden. 231 Angaben über das Kriminalitätsaufkommen sammelt in der BRD das Bundeskriminalamt (BKA 2002), für die lateinamerikanischen Fälle können entsprechende Informationen beim United Nations Crime and Justice Information Network (UNCJIN 2002, 1998a, b) und bei der Interpol (2002) bezogen sowie der wissenschaftlichen Literatur entnommen werden. Alle verfügbaren Daten wurden in den Tabellen 80 - 83 zusammengestellt, die zugleich die Schwächen solcher Messungen offenbaren. Immerhin sind die Angaben für die BRD recht zuverlässig. Ein Blick in die Tabelle 80 zeigt, dass die vom drei verschiedenen Institutionen (BKA, UNCJIN, Interpol) aufgelisteten Häufigkeitsziffern für die verschiedenen Delikte und Jahre weitgehend übereinstimmen, was daran liegen dürfte, dass das BKA die Daten an die anderen beiden Organisationen weiterleitet. Die wenigen Differenzen sind erklärbar. Beispielsweise nennt das UNCJIN für das Jahr 2000 eine Häufigkeitsziffer für Körperverletzung von 142. Interpol nennt dieselbe Zahl, aber nur für die schweren Formen der Körperverletzung. Das BKA wiederum gibt für Körperverletzung eine Zahl von 490 an (Tab. 80). Daraus lässt sich schließen, dass die BKA-Zahlen alle Formen der Körperverletzung (leichte, schwere, gefährliche) und die Interpol-Daten in der Tat nur deren schwerere Formen beinhalten, während beim UNCJIN die Häufigkeitsziffer für die schwere Körperverletzung fälschlich als Datum für Körperverletzung eingetragen wurde.

230

Angezeigte Fälle pro 100.000 der Bevölkerung.

231

Newman/Ferracuti (1980); Wilkins (1980); Schmid (1997b); mit Bezug auf Lateinamerika: Schmid (1998b).

357

Tab. 80:

BRD: Kriminalität, Häufigkeitsziffern

1987

Gesamt 7.265'

1988

7.093'

1989

7.031'

1990

7.108'

1991

7.3101

1992

7.920'

1993

8.336'

1994

8.037'

1995

8.178' 8.1685

1996

8.124' 8.1165

1997

8.030' 8.0225

1998

7.868' 7.8745

1999

7.682' 7.6765

2000

7.624' 7.6215

Mord 1,6' 5,72 1,5' 5,82 1,3' 5,02 1,3' 4,9* 1,4' 5,02 1,5' 5,72 1,6' 6,32 1,4' 5,72 1,5' 6,02 1,686 4,867 1,4' 5,42 1,536 4,327 1,3' 5,22 1,446 4,047 U1 4,62 1,196 3,537 1,2' 4,62 1,226 3,487 1,1' 4,52 1,176 3,377

Vergewaltigung 8,63

Raub 46,0'

8,5J

47,1'

8,03

48,6'

8,23

56,0'

8,43

68,7'

8,53

71,2'

7,93

76,3'

1,5'

71,0'

7,6J 7,565 7,578 7,6J 7,605 7,618 8,13 8,085 8,098 9,63 9,655 9,648 9,23 9,215 9,228 9,13 9,125 9,138

77,8' 77,745 19829 77,84" 82,6' 82,515 18519 82,60" 84,8' 84,745 17249 84,83" 78,5' 78,545 15859 78,49" 74,9' 74,815 14529 74,87" 72,3' 72,285 1.3449 72,31"

Körperverletzung 327' 1044 329' 1024 335' 1044 340' 1074 353' 1124 362' 1174 364' 1084 371' 1084 388' 1174 1175 117'° 409' 1234 1235 123'° 427' 1294 1295 129'° 449' 134" 1345 134'° 473' 1394 1395 139'° 490' 142" 1425 142'°

1) BKA 2002; 2) BKA 2002 (Straftaten gegen das Leben); 3) BKA 2002 (Vergewaltigung und sexuelle Nötigung); 4) BKA 2002 (gefährliche und schwere Körperverletzung); 5) UNCJIN 2002; 6) UNCJIN 2002 (vollendet); 7) Interpol 2002 (einschließlich Versuche: 64-66%); 8) Interpol 2002 (einschließlich Versuche: 20-32%); 9) Interpol 2002 (schwerer Raub); 10) Interpol 2002 (schwere Körperverletzung); 11) Interpol 2002 (Diebstahl mit Gewalt).

358

Solange solche Ungenauigkeiten aufgeklärt werden können, ist es - noch ungeachtet der Dunkelziffern - möglich ein einigermaßen scharfes Bild Uber die Kriminalitätslage eines Landes zu zeichnen. Das ist aber nicht regelmäßig der Fall. Für Chile (Tab. 81) hat z.B. die Interpol für das Jahr 2000 für schwere Körperverletzung eine Häufigkeitsziffer von 94 aufgezeichnet und diese Angabe ist mit denen des LTNCJIN überhaupt nicht in Einklang zu bringen (Körperverletzung: 349; schwere Körperverletzung: 25,8). Ebenfalls anhand des chilenischen Falls kann man sehen, dass den Daten des UNCJ1N über die Jahre hinweg nicht immer dieselben Kriterien zugrunde liegen können. Bei Mord und Vergewaltigung sind die dargestellten Entwicklungen noch nachvollziehbar, nicht jedoch bei den übrigen Daten. In den entsprechenden Spalten ist gleichermaßen zu beobachten, dass die Zahlen zwischen 1995 und 1997 immens einbrechen und nach 1997 wieder ein Niveau erreichen, das dem der Jahre vor 1995 entspricht. Nachdem es völlig unglaubwürdig ist, dass dem reale Entwicklungen zugrunde liegen sollen, ist davon auszugehen, dass die Statistiken der Jahre 1995 bis 1997 fehlerhaft sind. Hinzu kommt noch die Dunkelziffer, die hauptsächlich von der Anzeigeneigung der Bevölkerung bestimmt ist. Allgemein gilt die lateinamerikanische Bevölkerung als wenig anzeigebereit, als Ausnahme davon wird Chile genannt, und auch das Iässt sich begründen, denn die Bereitschaft zur Polizei zu gehen hängt ihrerseits vom Vertrauen der Bürger in die Polizei ab. Dazu wurde j a bereits ausgeführt, dass die Deutschen und Chilenen ihrer Polizei weit mehr vertrauen als die Bolivianer und Venezolaner (s.o.). Betroffen von diesem Mechanismus sind allerdings verstärkt die weniger schwerwiegenden Massendelikte wie z.B. der einfache Diebstahl. 2 3 2 Weil nun ausgerechnet die Masse der Delikte in manchen Ländern wesentlich häufiger angezeigt wird als in anderen, kommt es zu so sinnwidrigen Ergebnissen wie dem, dass die chilenischen und deutschen Gesamtkriminalitätsraten wesentlich höher liegen als die venezolanischen und bolivianischen (Tab. 80 - 83). Sie sagen wirklich wenig über die Kriminalitätswirklichkeit dieser Länder aus (vgl. Newman/Ferracuti 1980; Wilkins 1980; Schmid 1997b). Schwerere Delikte sind von diesem Mechanismus aber weniger betroffen. Das heißt nicht, dass bei ihnen überhaupt kein Dunkelfeld existieren würde, selbst Morde werden nicht sämtlich als solche erkannt

2,2

In Venezuela werden der Polizei laut Birkbeck nur 17-28% aller Taten gemeldet. Laut demselben Autor betrugen z.B. 1983 in Caracas die offiziellen Häufigkeitsziffern für Diebstahl 1.151 und für Raub 652, während eine Opferbefragung im selben Jahr Häufigkeitsziffern von 3.356 für Diebstahl und von 8.593 für Raub ergaben. Dass die Relation zwischen den beiden Delikten bei der Opferbefragung so stark verschoben ist dürfte darauf zurückzufuhren sein, dass die Befragten der Umgangssprache und nicht der juristischen Definition gemäß antworteten und deshalb viele Delikte, die eigentlich als Diebstahl zu klassifizieren sind, dem Raub zuordneten. Nichtsdestotrotz kann mit diesen Daten die extrem hohe venezolanische Dunkelziffer belegt werden (Birkbeck 1992; vgl. Schmid 1998b).

359

oder angezeigt, aber bei Kapitalverbrechen sind fast alle Fehlerquellen von Kriminalstatistiken weniger ausgeprägt. Deshalb sind Daten beispielsweise über Morde zuverlässiger als andere. T a b . 81:

CHILE: Kriminalität: Häufigkeitsziflern Gesamt

1986 1987

Mord 2,17' 1,4 - 2,23 (1980-1987)

Vergewaltigung 5,3-6,33 (1980-1987)

7.0275 6.9871 7.594 2

2,3" 2,07" 4,87' 3,972 3,004

5,94 4,44 5,755 5,74

1991

7.7575

2,6 4

1992 1993 1994

1995

8.1305 9.2875 8.7845 8.7841 10.0802 4.4875

5,715 5,64 6,425 5,885 6,875

1996

4.3385

1997

4.4025

1998

10.1715

1999

2000

1988 1989 1990

4,47' 3,122 5,09" 3,908 2,09 12 4,89 6 3,868 1,9514 4,68 6 2,0014 1,526 3,518

4,735 9,398 6,812 4,245 10,84s 6,814 4,215 7,614 7,II 5 10,638

10.7665

1,606 4,508

8,655 10,63s

9.2785

1,556 4,898 unter 5 16

8,225 12,118

Raub 567' 223-5463 (19801987) 469 4 469 4 5855 5821 9422 592 4 6125 676 4 5475 5435 5143 514' 8112 118' 40,47" 48' 3 1355 57,07" 68' 5 1225 7815 5935 542'° 77,6" 7235 601 10 25,86' 7285 660'° 119,25"

Körperverletzung

3435

3185 3095 3335 3245

so, r 171s 102" 75,27 1655 17,54" 7i, r 159s 22,97 2825 104" 23,37 3015 84" 25,8' 3495 94"

1) UNCJIN 1998a, b; 2) UNCJIN 1998a, b (Städte); 3) Hudson 1994 (Häufigkeitsziffer berechnet nach der Bevölkerungszahl Chiles im Jahr 1990 (rd. 13 M i o ) lt. UNCJIN 1998a, b); 4) Hudson 1994; 5) UNCJIN 2002; 6) UNCJIN 2002 (vollendet); 7) UNCJIN 2002 (schwere Körperverletzung); 8) Interpol 2002 (einschließlich Versuche); 9) Interpol 2002 (schwerer Diebstahl mit Gewalt); 10) Interpol 2002 schwerer Diebstahl); 11) Interpol 2002 (schwere Körperverletzung); 12) Caro 1999a (Häufigkeitsziffer berechnet nach der Bevölkerungszahl Chiles im Jahr 1990 (rd. 13 Mio.) lt. UNCJIN 1998a, b); 13) Caro 1999a (Raub mit Gewalt) (Häufigkeitsziffer berechnet wie unter 12 angegeben); 14) Caro 1999a; 15) Caro 1999a (Raub mit Gewalt); 16) Banco Interamericano 2000.

360

Tab. 82: 1992 1993 1994

B O L I V I E N : Kriminalität, Häufigkeitsziffern Gesamt 694' 8623 595' 788' 1.1073

Mord 25,822 28,673

1998

23,312 31,723 28,635

2000

31,98'

Vergewaltigung 41,804 22,874 31,244 20,69" 18,756

Raub 142' 3713 1744 159' 5543 102' 3,728 1047 4,258

Körperverletzung

59l) 6| l )

1) U N C J I N 2 0 0 2 , 1998a, b; 2 ) U N C J I N 1 9 9 8 a , b; 3 ) U N C J I N 1 9 9 8 a , b ( S t ä d t e ) ; 4 ) U N C J I N 2 0 0 2 ; 5 ) I n t e r p o l 2 0 0 2 ( e i n s c h l i e ß l i c h V e r s u c h e : 4 8 - 5 2 % ) ; 6 ) Interpol 2 0 0 2 ( e i n s c h l i e ß l i c h V e r s u c h e : 1 1 - 1 5 % ) ; 7) Interpol 2 0 0 2 (schwerer Diebstahl); 8) Interpol 2002 (schwerer Diebstahl mit G e w a l t ) ; 9) Interpol 2002 (schwere Körperverletzung).

Die A n g a b e n zum Mord in den Tabellen 80 bis 83 weisen entsprechend k a u m offensichtliche Fehler auf. In Deutschland beträgt die Häufigkeitsziffer f ü r vollendeten Mord in allen angegebenen Jahren nie m e h r als 1,6, darin stimmen die Daten vom U N C J I N (vollendet) und vom BKA überein. Die höheren Zahlen des B K A und der Interpol umfassen nicht nur den vollendeten Mord sondern zusätzlich die Mordversuche (Interpol) bzw. sämtliche „Straftaten gegen das L e b e n " ( B K A ) , worunter v.a. der Totschlag quantitativ ins G e w i c h t fällt ( B K A 2 0 0 2 ; U N C J I N 2002; Interpol 2002). Insoweit sind diese Daten eindeutig. Für den chilenischen Fall ist abermals auf kleinere Unstimmigkeiten hinzuweisen (Tab. 81). Z.B. hatte die U N C J I N 1995 eine höhere Ziffer f ü r vollendeten M o r d (5,09) aufgelistet als die Interpol (3,90), die die Mordversuche mitzählt, w a s schlechterdings unmöglich ist. A u ß e r d e m hatte das U N C J I N bis 1997 stets Häufigkeitsziffern f ü r vollendeten M o r d angegeben, die um die 5,0 lagen, danach fällt die Zahl abrupt auf 1,5 bis 1,6. D a es sehr unwahrscheinlich ist, dass Tötungen derart rasch a b n e h m e n , wird den Daten neuerdings eine andere Definition f ü r M o r d zugrunde liegen. Welche das ist, w a r nicht zu ermitteln ( U N C J I N 2 0 0 2 ; INT E R P O L 2002). Da aber auch die anderen Quellen (Hudson 1994; Caro 1999a; Banco Interamericano de Desarrollo 2000: 83) die niedrigeren Zahlen bestätigen ist davon auszugehen, dass Chiles Häufigkeitsziffer f ü r M o r d nur k n a p p über der deutschen und weit unter der durchschnittlichen lateinamerikanischen liegt, die v o m Banco Interamericano de Desarrollo (2000: 13) f ü r die neunziger Jahre mit 13 beziffert wird. Die f ü r Bolivien und Venezuela angegebenen Häufigkeitsziffern f ü r M o r d betragen zum Teil über 30, d.h. sie sind deutlich höher als in Deutschland und Chile und liegen zudem weit über dem lateinamerikanischen Durchschnitt (Tab. 82, 83). Die exakte Gültigkeit dieser Daten ist schwer zu beurteilen. Misstrauisch macht in erster Linie, dass diese beiden Länder ähnliche Mordraten haben sollen, obwohl Bolivien im Gegensatz zu Venezuela als Land mit vergleichs361

weise moderater Gewaltkriminalität gilt und es spricht auch manches dafür, dass die Angaben zu Gunsten von Venezuela verzerrt sind. Auffällig ist, dass die INTERPOL fllr Bolivien den Anteil der Mordversuche (48 - 52%) eigens ausgewiesen hat, für Venezuela hingegen nicht und dass die Daten der UNCJIN für vollendeten Mord fast vollständig mit denen der INTERPOL für Mord inklusive Mordversuch übereinstimmen (19$8 - 2000) (Interpol 2002; UNCJIN 2002). Möglicherweise wurden aus Venezuela an die INTERPOL nur die Daten zum vollendeten Mord weitergegeben. Tab. 83:

VENEZUELA: Kriminalität, Häufigkeitsziffern Gesamt

1986 1987

335 - l . l l l 2 (1962-1987)

1990 1993 1994 1996 1997 1998

1.0316

1999 2000

1.0426 9756

Mord 8,56' 6,0- 12,52 (1971-1987) 12,8' 15,643 25,833 23,21" 19,764 19,67 19,784 25,27 33, f 33,204

Vergewaltigung

Raub Körperverletzung 156'

200'

16,l4 15,94 14,286 14,414 13,236 12,II6 12,13"

1336 1446 1446 7,669

1435 1455 1388 1395 1328 1058 105s

1) UNCJIN 1998a, b; 2) Birkbeck 1992; 3) Builta 1997 (Häufigkeitsziffer berechnet nach der Bevölkerungszahl Venezuelas im Jahr 1990 (rd. 19 Mio.) lt. UNCJIN 1998a, b); 4) Interpol 2002 (einschließlich Versuche) (Für 1998 werden von Interpol (2002) nur absolute Zahlen angegeben. Die Häufigkeitsziffer wurde für geschätzte 23 Mio. Einwohner Venezuelas im Jahr 1998 errechnet (Interpol (2002) gibt für das Jahr 2000 24 Mio. und für das Jahr 1997 21 Mio. Einwohner an. 5) Interpol 2002 (schwere Körperverletzung) (Häufigkeitsziffer errechnet wie unter 4) angegeben ); 6) UNCJIN 2002; 7) UNCJIN 2002 (vollendet); 8) UNCJIN 2002 (schwere Körperverletzung); 9) Interpol 2002 (schwerer Diebstahl).

Die Interpretation, dass das Ausmaß der Gewaltkriminalität parallel zum jeweiligen Niveau polizeilicher Gewalt variiert, wird noch durch Daten der Viktimisierungsforschung erhärtet. Der Banco Interamericano de Desarrollo (2000) publizierte kürzlich eine entsprechende Studie. Befragte aus fast allen lateinamerikanischen Ländern sollten dabei angeben, ob sie selbst oder Familienangehörige im letzten Jahr Opfer einer Straftat waren. Mit unter 30% am wenigsten bejahende Antworten bekamen die Forscher aus Uruguay und Panama. Chile liegt bei knapp über 30%, Bolivien bei 35% und Venezuela bei 45%! Die ergänzende Frage, ob die Kriminalität sehr zugenommen habe, dupliziert die Ergebnisse insofern, als die Rangfolge der interessierenden Länder identisch ist: in Venezuela stimmten 95% zu, in Bolivien nur 75% und in Chile 70% (Banco Interamericano de De362

sarrollo 2000). Abgesehen davon ist es außerdem so, dass auch die fiir die vorliegende Studie interviewten Polizisten diesen Gesamteindruck bestätigen. Ihr eigener Eindruck, von Kriminellen bedroht zu werden, variiert ebenfalls gleichsinnig mit ihrem eigenen Gewaltniveau und dem Kriminalitätsniveau ihres Landes (vgl. Kap. 4.2.3.). Dies alles lässt erahnen, dass wenigstens ein Teil der polizeilichen Gewalttätigkeit mit dem allgemeinen Gewaltniveau der Länder verknüpft ist. Die bis hierhin diskutierten Elemente genügen aber noch nicht, um die dififerenten Gewaltniveaus in Abgrenzung von den Korruptionsniveaus zu erklären, weil die während der Korruptions- und die während der Gewaltanalyse behandelten Faktoren nah beieinander liegen. Nun könnte argumentiert werden, dies erkläre sich daraus, dass beide Phänomene Rechtsbrüche darstellen: wer die eine Norm übertritt, weicht vielleicht auch von der anderen ab und schließlich geht Korruption des Öfteren mit Gewalt oder Gewaltandrohung einher. Folglich können beide Erscheinungen mittels derselben Faktoren erklärt werden. Aber dann wäre die Frage nicht geklärt, warum die polizeilichen Gewaltniveaus weder in den beiden korruptionsarmen noch in den beiden korruptionsreichen Ländern übereinstimmen. Deshalb wurde ein weiterer Analyseweg eingeschlagen, der die vier Länder einander einzeln gegenüberstellt. Tab. 84:

Variation der vier Fälle und Kriterien der Gewaltanalyse BRD

BRD Chile Bolivien

Chile Unterschiede

Bolivien Unterschiede Gemeinsamkeiten

Venezuela Unterschiede Unterschiede Unterschiede

Venezuela

Wie in Tabelle 84 dargestellt, ergeben sich aus den vier Ländern sechs mögliche Paarungen fiir diese Vergleichsebene. In funfen davon wäre das empirische Material auf Unterschieden zwischen den Einstellungen der Polizisten usw. hin zu untersuchen, in einer nach Gemeinsamkeiten. Bei letzterem handelt es sich um die Gegenüberstellung von Chile und Bolivien, bei der zu fragen ist, ob sich das in beiden Ländern ähnliche Niveau polizeilicher Gewaltanwendung auch in ähnlichen Einstellungen von Polizisten niederschlägt. Bei den übrigen fünf Kombinationsmöglichkeiten differiert das Gewaltniveau. Auf die explizite Ausführung von drei dieser Vergleiche kann jedoch verzichtet werden (BRD - Bolivien, BRD - Venezuela und Chile - Venezuela). Sie würden keinen anderen Ertrag erbringen als bereits die Korruptionsanalyse (Kap. 5.2.2.), weil die Länder jeweils nicht nur in ihrem Gewalt-, sondern auch in ihrem Korruptionsniveau differieren. Somit bleiben drei Paarungen, die neue Gesichtspunkte versprechen. In den Vergleichen BRD - Chile und Bolivien - Venezuela trifft jeweils ein ähnliches Korruptionsniveau auf differente Gewaltniveaus, weshalb nach differenten Einstellungen von Polizisten und Merkmalen von Polizeien gesucht werden 363

muss. Bei der Konfrontation der Fälle Chile und Bolivien ist es gerade umgekehrt. Sie sind verbunden durch ähnliche Niveaus polizeilicher Gewalt, aber die Korruptionsniveaus fallen auseinander. d) Chile - BRD: Im Zuge der Korruptionsanalyse (Kap. 5.2.2.) wurde argumentiert, dass die Polizisten und Polizeien Chiles und der Bundesrepublik vieles gemeinsam haben. Jedenfalls bilden sie bei etlichen der analysierten Elemente einen gemeinsamen Block der auf einer gedachten Skala einen sehr deutlichen Abstand zu der Ländergruppe Venezuela/Bolivien hat, weshalb die entsprechenden Merkmale zur Korruptionserklärung taugen. Gleichzeitig gibt es natürlich Unterschiede zwischen diesen beiden Polizeien, die nun bei der auf die differenten Gewaltniveaus ausgerichteten Feinanalyse ins Gewicht fallen. In der Tat ist es so, dass die deutsche Polizei innerhalb dieses Blocks stets ein wenig besser abschneidet als die chilenische. Z.B. ist in der deutschen Polizei die Ausbildung v.a. niederer Ränge anspruchsvoller, die Unzufriedenheit der Polizisten mit ihrer Bezahlung ist weniger ausgeprägt und ihr Verhältnis zur Justiz besser. Frauen im Polizeidienst trauen die deutschen Polizisten mehr zu, was ein Hinweis dafür ist, wie verbreitet das berufliche Selbstverständnis des remedy agent ist (s.o.). Mit dieser Orientierung auf eine helfende Funktion hin hängt eng zusammen, dass sich deutsche Polizisten ihrer eigenen Einschätzung nach mehr als die chilenischen dafür interessieren, welches Polizeibild in der Bevölkerung herrscht. Und damit einher geht auch das Gefühl, die Polizei habe ein gutes Image in der Bevölkerung. Die Distanz zwischen Polizei und Bevölkerung ist damit in der Bundesrepublik geringer als in Chile. Auch bei der Berufsmotivation können neben der generell wichtigen finanziellen Absicherung differente Konnotationen aufgezeigt werden, die das zuletzt Gesagte stützen. Während nämlich die Polizisten der BRD erwarten, einen abwechslungsreichen Beruf zu ergreifen und hervorheben, dass sie sich besonders für die Arbeit mit Menschen interessieren (vgl. Helfer/Siebel 1975; Backes u.a. 1997), orientieren sich die Chilenen hauptsächlich daran, einer angesehenen Institution angehören zu wollen und sie betonen dabei durchaus die militärische Komponente der Carabineros. Aufgrund der Nähe zur Bevölkerung bzw. zum Militär kann sinnbildlich gesagt werden, dass die deutschen Polizisten sich mehr als Bürger in Uniform verstehen, die chilenischen als „kleine Brüder" - so lautet tatsächlich eine Selbstetikettierung der Institution - des Militärs. Zusätzliche Relevanz erlangt diese Selbstetikettierung der Carabineros, wenn die Rolle ihrer militärischen Strukturelemente einer erneuten Überprüfung unterzogen wird. Im Eingangskapitel der Analyse wurde im Vergleich aller vier Länder und v.a. im Vergleich Chiles mit Venezuela gezeigt, dass diese Elemente der chilenischen Polizei wenig zur Erklärung der unterschiedlichen Gewalt- und Korruptionsniveaus beitragen, aber zugleich sind genau sie es, die die chilenische Polizei von der deutschen am meisten unterscheiden (vgl. Bauer 2000; Sepúlveda 1996). Die chilenischen Carabineros sind schon historisch stark mili364

tärisch geprägt, sie vergeben ausschließlich militärische Rangbezeichnungen, unterstehen dem Verteidigungsministerium, sind streng zentralistisch organisiert und die Distanz zum Militär ist im polizeilichen Selbstverständnis gering (s.o.). Dass diese Faktoren die Variationen polizeilicher Gewaltsamkeit bei differenten Korruptionsniveaus (Chile - Venezuela) nicht erklären schließt aber nicht aus, dass sie genau dies bei ähnlichen Korruptionsniveaus tun, das legt der Vergleich zwischen Chile und der BRD nahe. Da im äußerst gewalttätigen Venezuela solche Faktoren nicht zu Buche schlagen, müssen dort andere wirken, die das Gewaltniveau offensichtlich noch wesentlich höher treiben können (s.u.). Dieselbe Grundargumentation gilt im Hinblick auf den zeitlichen Abstand zur letzten (Militär)diktatur, ein Element, das weiter oben vorläufig aus der Erklärung herausgenommen wurde (Kap. 5.2.1.). Es ist aber ebenfalls ein Merkmal, das die deutsche und chilenische Polizei voneinander abgrenzt und es ist unmittelbar nachvollziehbar, dass in Diktaturen praktizierte, stark repressiv orientierte polizeiliche Verhaltensweisen als dann informelle, aber gründlich eingeübte Verhaltensstandards mit in die Demokratie hinüber genommen werden. 233 Durch das training-on-the-job werden sie bis zu einem gewissen Grad auch noch in der Demokratie von der älteren an die jüngere Polizistengeneration weitergegeben. Bis zu welchem Grad, das hängt sehr davon ab, wie viel Personal beim Übergang zur Demokratie ausgetauscht wird und inwieweit die Aus- und Fortbildung der Polizei solchen informellen Praktiken gegenhält. Der chilenische Fall zeigt allerdings auch, dass sich diese Praktiken im Laufe der Zeit abschleifen, da sich die dortige Menschenrechtslage seit der Demokratisierung kontinuierlich bessert (Kap. 1.2.4.). Dieses Argument darf aber nicht zu dem Glauben verleiten, eine (formale) Demokratie reduziere polizeiliche Gewalt per se, das wiederum lehrt Venezuela. Eigens zu sprechen ist vom zentralistischen Aufbau der chilenischen Polizei, der stark mit dem grundsätzlichen Föderalismus der deutschen Polizei kontrastiert. 234 Wegen des Vergleichs mit Venezuela, das sehr wohl über dezentral organisierte Polizeien bis hin zu Gemeindepolizeien verfugt, wurde in einem früheren Kapitel argumentiert, dass die Aufsplittung polizeilicher Zuständigkeiten offenbar kein Faktor ist, der mit niedrigen Korruptions- und polizeilichen Gewaltniveaus einher geht. Einzuschränken ist diese Aussage nun insofern, als die venezolanische Dezentralität im Gegensatz zur deutschen unter dem Vorzeichen der hohen Korruptionsraten steht und mit einem regelrechten Kompetenzenchaos zwischen den verschiedenen Polizeien verbunden ist, das eigene Gewaltanlässe schafft. Dezentralität kann in einem solchen Fall die Kontrolle der Polizei erschweren und ihre Autonomie vergrößern, unter anderen Ausgangsbedingun-

233

Was im Übrigen nach der Gründung der BRD nicht anders war. Vgl. z.B. das Zitat eines

234

Wiewohl Kritikern Recht gegeben werden muss, die auf Zentralisierungstendenzen hin-

1952 in den Polizeidienst eingetretenen Polizisten bei Heuer (1997: 379). weisen.

365

gen kann sie dagegen Machtkonzentrationen entgegenwirken und verstärkte Bürgernähe bedeuten (vgl. Ambos 2002). Umgekehrt gewendet kann die zentralistische Organisation von Polizeien wegen derselben Machtkonzentration eine Gefahrenquelle darstellen, weil sie schnellere flächendeckende Aktionen erlauben, auch wenn Polizeigewalt gegen die eigene Bevölkerung gerichtet wird. Das sind zugleich die zwei Gesichter des Gewaltmonopols: Schutz und Bedrohung. Zuletzt können die chilenischen und deutschen Kriminalitätsdaten nochmals im Detail betrachtet werden (vgl. Tab. 80, 81). Die Daten der verschiedenen Institutionen für die Körperverletzung 235 sind im chilenischen Fall leider zu widersprüchlich, als dass sie eine Interpretation erlauben würden, bei den anderen drei aufgeführten Delikten ist dies mit einer gewissen Vorsicht aber möglich. Die Angaben zum Mord wurden bereits behandelt und im Ergebnis ist zu wiederholen, dass dieses Delikt in Chile etwas häufiger ist als in Deutschland. Im Hinblick auf Vergewaltigungen sind ähnliche Schlüsse zu ziehen. Die versuchte Vergewaltigung eingeschlossen wurde in Deutschland zuletzt (2000) eine Häufigkeitsziffer von 9,1 gemessen, in Chile eine von 12,11 (Interpol 2002). Der Raub schließlich wird von Interpol (2002) als „robbery and violent theft" und laut Caro (1999a) in Chile als „robo con violencia" 236 bezeichnet. Diese beiden Definitionen entsprechen sich untereinander und zugleich dem „Raub" nach deutscher Begriffsbestimmung. In beiden Ländern ist die Häufigkeitsziffer für Raub in den letzten zwei Jahrzehnten von einem ähnlichen Ausgangsniveau (40 - 50) aus angestiegen, in Chile auf 120 im Jahr 2000, in der BRD nur auf unter 80. Demnach ist auch bei der direkten Gegenüberstellung von Chile und der BRD nachzuweisen, dass vermehrte polizeiliche Gewalt gemeinsam mit höheren Häufigkeitsziffern für Gewaltkriminalität auftritt. e) Bolivien - Venezuela: Auch Venezuela und Bolivien haben ähnliche Korruptionsniveaus, aber differente Niveaus polizeilicher Gewalt. Der Einzelvergleich dieser beiden Länder ist v.a. dahingehend ertragreich, als die erhobenen Daten in Venezuela durchgängig schlechtere Werte annehmen als in Bolivien. Z.B. sind die venezolanischen Polizisten mit ihrem Beruf unzufriedener als die bolivianischen (30% vs. 13% indifferent bis unzufrieden) und sie geben öfter an, einer Nebenbeschäftigung nachzugehen. Ihr Einkommen bei der Polizei betrachten sie vermehrt als Sockelbetrag, der durch weitere Einkünfte, auch illegale, entsprechend aufgestockt wird (s.o.). Interessant daran ist nicht nur, dass die venezolanischen Polizisten solche Nebenjobs haben, denn das weiß man auch aus anderen lateinamerikanischen Ländern und vermutlich ist das auch in Bolivien der Fall, nur haben die dortigen Polizisten im Gegensatz zu den venezolanischen 235

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Vgl. z.B. die chilenischen Häufigkeitsziffern für Körperverletzung für das Jahr 2000. Selbst bei den formal identischen Definitionen (schwere Körperverletzung) von UNCJIN (2002) und Interpol (2002) liegen die Zahlen extrem weit auseinander (Tab. 104). Der „robo con violencia" meint Raub mit Gewalt gegen Personen, der „robo con fiienza" Raub mit Gewalt gegen Sachen (Caro 1999a).

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nicht darüber gesprochen. Diese Offenheit der venezolanischen Polizisten den Interviewern gegenüber zeigt, dass ihnen dieses Verhalten nicht als verbergenswert erscheint, was mehr über die Normgeltung aussagt als die Handlung als solche. Dieses Argument, für das an dieser Stelle nur sensibilisiert werden soll, wird später in Bezug auf die polizeiliche Gewalt noch gesondert diskutiert werden. Beim Themenkreis Ausbildung sind die venezolanischen Werte ebenfalls miserabel. Nicht nur, dass die Ausbildung bei vielen venezolanischen Polizeien äußerst kurz ist, sogar viele Polizisten bezeichnen sie selbst als schlecht. Der Effekt davon zeigt sich bei den Antworten auf die an sie gestellte Frage, ob man als Polizist immer „exakt nach den Buchstaben des Gesetzes handeln kann": über 85% der befragten Venezolaner sind gegenteiliger Meinung, bei den Bolivianern waren es nur 69%, bei den Chilenen 25%. Die Begründungen der Venezolaner für diese Antworten lauteten teils, sie würden die Gesetze gar nicht kennen, da sie die Rechtsgrundlagen der Polizeiarbeit nicht ausreichend gelernt haben, teils sie wären den Anforderungen des polizeilichen Alltags nicht angepasst und würden ignoriert, sobald es zu ernsthaften Auseinandersetzung mit Kriminellen kommt, da jeder Gedanke an Vorschriften die erforderliche Reaktionsgeschwindigkeit gefährlich herabsetze. Das wurde in dieser Radikalität in keinem anderen Land formuliert, auch nicht in Bolivien. Sogar die Aussagen der wenigen venezolanischen Polizisten, die angeben, getreu den Buchstaben des Gesetzes zu agieren, sind misstrauisch zu betrachten. Oft geht es lediglich darum, Minimalgrenzen einzuhalten, z.B. die Waffe nicht zuerst zu ziehen und vermeintliche Kriminelle wenigstens nicht hinterrücks zu erschießen. Ein weiterer Bereich, der im Vergleich Boliviens mit Venezuela der Hervorhebung verdient, ist das Verhältnis der Polizisten zu anderen Institutionen. Sie werden von den bolivianischen Polizisten regelmäßig positiver bewertet als von den venezolanischen und das Vertrauen, das die venezolanischen Polizisten in sie setzen, ist insgesamt denkbar reduziert. 237 Was spezifische Abneigungen anbelangt, so wenden sich die Bolivianer vor allem gegen Politiker. Ihnen wird wie weiteren Mitgliedern gehobener Schichten vorgeworfen, sie würden ihre Macht unverhohlen einsetzen und versuchen, die Polizei für private Interessen zu missbrauchen. Ähnliches ist von venezolanischen Polizisten zu hören, die zudem auffällig oft sagen, die Polizei werde von der Politik für die Eindämmung sozialer und politischer Probleme missbraucht, die nicht sie, sondern die Politik zu verantworten habe, was sich in der vorliegenden Untersuchung in der Tat bestätigt hat (vgl. Kap. 3.3.1.). Mit Abstand am meisten wird von venezolanischen Polizisten aber das gesamte Justizwesen kritisiert. Anwälte, Staatsanwälte, Richter und Juristen sind die Personengruppen, an denen sie kein gutes Haar lassen. Spezifisch angekreidet wird ihnen, sie versuchten sich selbst, ihre Angehörigen und ihre Klienten mittels unfair eingesetzter advokatischer Winkelzüge

237

Vgl. Keller (1995: 381), der eine ähnliche Grundeinstellung der Bevölkerung Venezuelas festgestellt hat.

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oder mittels sozialer Beziehungen polizeilichen Maßnahmen zu entziehen. Diese Vorbehalte gegen Juristen spiegeln sich auch dort wieder, wo direkt nach der Einstellung der venezolanischen Polizisten zur Justiz gefragt wurde. Häufiger als Polizisten anderer Länder sind die Venezolaner der Meinung, die Gerichte würden mit Kriminellen zu milde verfahren, von der Polizei mühsam Verhaftete zu schnell auf freien Fuß setzen und sie behandelten die Polizisten selbst ungerecht, als Zeugen und als Angeklagte. Spezifisch an Venezuela ist auch die Kritik der befragten Polizisten an polizeilichen Parallelorganisationen (s.o. zur Frage der Dezentralität beim Vergleich Chile-BRD), teils sogar an der eigenen Institution und dort insbesondere an Vorgesetzten. Nicht, dass die Bolivianer über sie überhaupt nicht klagen würden, aber in Venezuela fällt die Kritik ungewöhnlich hart aus. Inhaltlich sind die Anschuldigungen an die Funktion der jeweiligen Organisation gekoppelt: die Justiz- bzw. Kriminalpolizei trifft im Grunde dieselbe Polemik wie die Justiz selbst (s.o.); die semi-militärische zentralisierte Guardia Nacional, wird teils als unfähig, teils als brutal charakterisiert; die Gemeindepolizeien gelten den Befragten als unprofessionell und allenfalls für Handlangerdienste zu gebrauchen usf. Diese harsche Kritik hat zweifellos damit zu tun, dass es in Venezuela eine problematische organisatorische Zersplitterung der Polizei (vgl. Ambos 2002) sowie entsprechende Kompetenzüberschneidungen und Rivalitäten zwischen den Polizeisparten gibt sowie damit, dass sie unter keinem gemeinsamen organisatorischen Dach zusammengefasst sind: es wurde ja bereits festgestellt, dass typischerweise die soziale und institutionelle Nähe bzw. Entfernung Zusammengehörigkeitsgefühle stärkt bzw. schwächt. In Bolivien wird allenfalls das Militär auf solche Art kritisiert und zwar ebenfalls dann, wenn es um Kompetenzüberschneidungen geht. In der Beurteilung der eigenen Polizeieinheit sind ebenfalls Unterschiede zwischen Bolivien und Venezuela auszumachen. Die Vorgesetzten werden relativ häufig zur Zielscheibe der Kritik venezolanischer Polizisten, u.a. wenn sie Anerkennung, Aufstiege und die erwartete Rückendeckung versagen. Wichtiger noch und spezifisch für Venezuela ist, dass deren Kontrollmacht als gering veranschlagt wird. Bei Berichten venezolanischer Polizisten über Disziplinarmaßnahmen durch Vorgesetzte kann festgestellt werden, dass diese wenig ernst genommen werden, was vielmehr herausgestellt wird, ist eine gehörige Autonomie der Polizisten im Streifendienst. Im Verhältnis zur Bevölkerung sind sich die bolivianischen und venezolanischen Polizisten in vielem ähnlich, z.B. schätzen die Polizisten beider Länder ihr generelles Image realistischerweise als schlecht ein (s.o.), aber ein Unterschied ist doch hervorzuheben. Die Bolivianer betrachten sich als von der Bevölkerung isoliert während die Venezolaner glauben, in der Unterschicht sozial verankert zu sein. Dies bedarf einer Erläuterung und hat schwerwiegende Folgen. Zum einen heißt das nicht, dass die venezolanischen Polizisten bei ihrer polizeilichen Alltagsarbeit nicht zum Nachteil genau dieser Gruppe selektieren würden, das Gegenteil ist der Fall. Kriminelle werden von ihnen wie von Polizisten anderer 368

Länder auch hauptsächlich in den Unterschichten und Marginalgruppen vermutet und Mitglieder dieser Gruppe haben die größte Chance, polizeilicher Gewalt zum Opfer zu fallen (s.o.). Die venezolanischen Polizisten unterscheiden in der Unterschicht aber besonders stark zwischen „Gut und Böse" (s.o.; Kersten 2000; Ohlemacher 2000). Nur den „guten" Bürgern, die unter der Kriminalität leiden, gilt selbstredend ihr Zugehörigkeitsgefühl und darüber hinaus sind viele venezolanische Polizisten davon überzeugt, dass diese ihr brutales Vorgehen gegen „Kriminelle" akzeptieren, wenn nicht sogar wünschen. 238 Diese soziale Unterstützung - geglaubt oder tatsächlich - trägt zweifellos zur Routinisierung, Normalisierung und Veralltäglichung polizeilicher Gewalt bei. Darüber hinaus erreichen in Venezuela alle erhobenen Daten, die im weiteren oder engeren Sinn mit Gewalt zu tun haben, Spitzenwerte. Die venezolanischen Polizisten stellen sich am häufigsten als crime-fighters dar und sie betonen besonders die militärisch-technische Komponente ihres Berufs, darunter v.a. die Bedeutung von Waffen. Die Qualität der eigenen Bewaffnung, die Bewaffnung der Kontrahenten, die Verfügbarkeit von Munition, die eigenen Fertigkeiten beim Schießen usw. sind mit die wichtigsten Themen venezolanischer Polizisten. Auch sehen sie sich am stärksten Todesgefahren ausgesetzt. Entsprechende Bedrohtheitsgefühle können natürlich in eine nervöse Selbstverteidigungshaltung umschlagen. Was dem hinzugefügt werden muss ist, dass die Raten für Gewaltdelikte in Venezuela tatsächlich sehr hoch sind. Auch gegenüber Bolivien sind Gewaltdelikte in Venezuela extrem verbreitet, das zeigen die Ergebnisse der Viktimisierungsforschung und - soweit ihnen vertraut werden kann die Kriminalitätsdaten (s.o.). Das spricht dafür, dass das Gewaltsystem in Venezuela neben der Polizei die Bevölkerung umfasst. Ein letztes Argument, das für eine ausgeprägte „Gewaltkultur" in Venezuela spricht ist zugleich das wichtigste: in keinem anderen Land wird von Polizisten derart offen Uber die Gewalttaten von Polizei berichtet (vgl. insb. Kap. 4.2.4.). Während die bolivianischen Polizisten versuchen, wenigstens verbal Rechtstreue zu beteuern, unterziehen sich die Venezolaner dieser Mühe kaum. Die meisten der interviewten venezolanischen Polizisten berichteten über den selbst erlebten oder verübten Einsatz von Gewalt, rund 30% sogar von Fällen, in denen Zivilisten erschossen wurden, und bei fast der Hälfte dieser Berichte stellen sich die Befragten selbst als die Todesschützen dar. Selten handelt es sich dabei um Unfälle und dergleichen, vielmehr ist den Erzählungen zu entnehmen, dass die Mehrzahl der Opfer intentional erschossen wurde. Manche der venezolanischen Polizisten versuchen solche Tötungen immerhin noch so darzustellen, dass auf eine Notwehrsituation geschlossen werden könnte. Öfter noch werden die Gewalttaten aber als Routinehandlungen oder heldenhafte Taten geschildert und zwar selbst dann, wenn dem Verlauf der Geschichte zufolge kaum von einer 91R

Chevigny (1999: 4 9 f f „ 59ff.; vgl. Pinheiro 1999; Méndez 1999) beschreibt ähnliche Prozesse in anderen Ländern Lateinamerikas.

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Angemessenheit der Mittel gesprochen werden kann. Sogar offensichtliche Exekutionen wurden in den Interviews nicht verschwiegen, z.B. bei einem Bericht über eine getötete Polizistin. Der interviewte Polizist berichtet, dass die vermeintlichen Täter von der Polizei gestellt wurden und: „Es waren vier Verbrecher, jeder bekam drei Schüsse in die Stirn" (V 25). Exekutionen machen laut PROVEA (2000; vgl. Kap. 1.3.2.) in Venezuela übrigens bis zu 40% der Tötungen durch Polizisten aus, in den anderen untersuchten Ländern sind sie hingegen extrem selten. Das in der Polizei international geltende Gebot der Verschwiegenheit gegenüber Außenstehenden würde unter normalen polizeilichen Umständen mit Sicherheit verbieten, über solche Gewalttaten zu sprechen, selbst wenn sie weit unterhalb dieses Gewalt- und Illegalitätsniveaus liegen würden. Dass solche Geschichten erzählt wurden und die bloße Menge an Geschichten über Tötungen durch venezolanische Polizisten kann entweder bedeuten, dass diese polizeiliche Gewalt derart akzeptiert ist und den Polizisten als völlig normal gilt, so dass es keinen Grund gibt, darüber nach außen hin zu schweigen oder dass die Polizisten sich überhaupt nicht gewahr sind, dass sie die Gesetze übertreten. Für letzteres spricht, was die venezolanischen Polizisten selbst über ihre Gesetzeskenntnisse gesagt haben, für ersteres das Argument der spezifisch venezolanischen „Gewaltkultur" (s.o.). Beides ist gleichermaßen fatal. Zusammenfassend kann man deshalb sagen, dass der zur Beschreibung des lateinamerikanischen, aber besonders auch des bolivianischen Verhältnisses zum Recht oft herangezogene Satz „la ley se acata pero no se cumple" („das Recht ehrt man, aber man befolgt es nicht") (vgl. Garzón Valdés 1997, 1999; Mansilla 1995; Birkbeck 1992: 109; Schmid 1999) im Hinblick auf die venezolanischen Polizisten „la ley no se cumple, ni se acata" („das Recht wird weder befolgt noch geehrt") heißen müsste. f) Bolivien - Chile: Nach den oben ausgeführten Vorüberlegungen müssten zwischen den Strukturprinzipien der bolivianischen und chilenischen Polizeien bzw. zwischen den Einstellungen ihrer Polizisten Parallelen aufgezeigt werden können, da in beiden Ländern ein ähnliches Niveau polizeilicher Gewalt festgestellt worden ist. Abgesehen von den in Kap. 5.2.1. dargestellten Faktoren, die ohnehin wenig zur Erklärung der Gewalt- und Korruptionsniveaus beitragen, stellt sich im Ergebnis aber heraus, dass den Polizisten dieser beiden Länder kaum etwas gemeinsam ist. Interessant ist dieses Ergebnis deshalb, weil es darauf aufmerksam macht, dass Polizisten mit ähnlichem Gewaltniveau (BolivienChile) weniger verbindet als Polizisten aus Ländern mit ähnlichem Korruptionsniveau. Wie gezeigt wurde, sind bei den beiden Paaren mit jeweils ähnlichem Korruptionsniveaus (BRD-Chile und Bolivien-Venezuela) zunächst einmal etliche Parallelen festzustellen, die sie sehr deutlich von dem je anderen Paar unterschieden. Erst bei einer auf Details achtenden Analyse kann festgestellt werden, dass die für die jeweiligen Korruptionsniveaus typischen Merkmale in dem pro Paar gewalttätigeren Land ausgeprägter sind. Überschatten etwa die Unterschiede 370

zwischen den Polizeien Chiles und Boliviens, die den differenten Korruptionsniveaus geschuldet sind, sämtliche Gemeinsamkeiten, die sie haben könnten? Und hat die unterschiedliche Qualität polizeilicher Gewalt in Chile und Bolivien (s.o.) möglicherweise ebenfalls mit den differenten Korruptionsniveaus zu tun? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das folgende Kapitel.

Deadly force is neither democratic nor authoritarian; it is used as an instrument of terror where the control by the government is weak, and where the poor are seen as potentially dangerous. (Chevigny 1999: 56)

5.3. Gewaltmonopol und Steuermonopol Zwei Hauptprobleme durchzogen die bisher vorgetragene Analyse der Daten zur Polizei in Südamerika und Deutschland. Erstens sind jene Merkmale von Polizeien und Einstellungen von Polizisten, die unterschiedliche Korruptionsniveaus und jene, die unterschiedliche polizeiliche Gewaltniveaus erklären, nicht selten identisch. Dies deutet d a r a u f h i n , dass polizeiliche Gewalt und Korruption enger miteinander verwoben sind, als man meinen könnte. Zweitens, das zeigte insbesondere der direkte Vergleich zwischen Bolivien und Chile, ist es so, dass ähnliche polizeiliche Gewaltniveaus nicht mit ähnlichen Einstellungen von Polizisten und Merkmalen von Polizeien verbunden sein müssen. Ähnliche Korruptionsniveaus haben einen stärkeren Niederschlag auf die erhobenen Daten als ähnliche Gewaltniveaus. Gemeinsam machen diese beiden Ergebnisse darauf aufmerksam, dass Korruption und polizeiliche Gewaltsamkeit zusammenhängen und die Korruption sogar der etwas gewichtigere Faktor ist. Erklärt werden kann dies durch das Zusammenspiel des Gewalt- und des Steuermonopols des Staates. Zu diesem Zweck wird in diesem Kapitel in mehreren Schritten vorgegangen. Zuerst werden das Konzept des Gewaltmonopols und die Phänomene erörtert, die auf den Grad der Umsetzung des Gewaltmonopols schließen lassen: darunter insbesondere auch die private (kriminelle) Gewalt. Zugleich wird geprüft, inwieweit ein Gewaltmonopol in den vier interessierenden Staaten existiert und wie sich deren differente Korruptionsniveaus und Niveaus polizeilicher Gewalt zum Gewaltmonopol verhalten. Des Überblicks über das Kapitel willens sei vorweggenommen, dass die polizeiliche Gewalt weniger deutlich mit dem Gewaltmonopol variiert als die Korruption: dies hat damit zu tun, dass das Gewaltund das Steuermonopol aufs Engste miteinander verbunden sind. Die polizeiliche Gewalt folgt anderen Gesetzmäßigkeiten, weil sie sehr unterschiedliche Gewalt sein kann: v.a. unter dem Vorzeichen eines weitgehend umgesetzten Gewaltmonopols kann sie staatliche Gewalt sein, sie kann aber auch private Gewalt sein. Die Bedeutung dessen wird am Ende dieses Kapitels deutlich

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werden, wenn die vier Staaten nochmals abschließend und zusammenfassend diskutiert werden. Dass die Ausprägung des Gewaltmonopols des Staates eine Erklärungskraft hinsichtlich korrupter und gewalttätiger Alltagspraktiken von Polizisten hat, war eine Grundthese des Forschungsprojekts über die Polizeien Chiles, Venezuelas, Boliviens und der BRD gewesen. Der erfolgreich durchgesetzte Anspruch auf das „Monopol legitimen physischen Zwangs für die Durchführung der Ordnungen" (Weber 1972: 29) ist es, der laut Weber den Staat von anderen politischen Verbänden abgrenzt. Jene sind u.a. dadurch gekennzeichnet, dass sie auf einem bestimmten Gebiet die Geltung der Ordnung durchsetzen und dies, wie andere Formen der Vergesellschaftung auch, durchaus unter der Anwendung und Androhung von physischem Zwang, ein entsprechendes Monopol beanspruchen die politischen Verbände im Gegensatz zum Staat hingegen nicht (Weber 1972; Breuer 1998: 14fF.). So liegt laut Stefan Breuer die Weber'sehe Staatsdefinition nahe an der juristischen, die drei notwendige Elemente benennt: Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt (Breuer 1998: 18). Die Genese des Gewaltmonopols in Europa hat weniger Max Weber als vielmehr Norbert Elias (1992) (vgl. Knöbl 1998, 1999) als Jahrhunderte währende gewaltvolle Ausscheidungskämpfe zwischen Machthabern langsam größer werdender Territorien beschrieben. Im Effekt hatten die entstehenden Staaten auf ihrem Staatsgebiet die überlegene Fähigkeit zum Gewalteinsatz und die in dessen Einflusssphäre lebenden Menschen ihr „Werwolfrecht" (Narr 1980) an den Staat delegiert. Dass in Europa, darunter gerade auch im heutigen Deutschland ein Gewaltmonopol errungen wurde, daran besteht wenig Zweifel, aber Elias gesellte zur Analyse der Soziogenese des Staates die These von der Psychogenese seiner Bevölkerung. Kurz gesagt meint sie, dass die Staatenbildung von einer abnehmenden Gewaltsamkeit im Innern begleitet sei, die zunehmend nicht durch Fremd-, sondern durch Selbstzwänge der Menschen verursacht sei, d.h. die Gewaltlosigkeit werde von den Menschen gleichsam internalisiert. Gerade diese These sowie die Vorstellung, dass dieser Prozess linear ablaufe, wurde verschiedentlich kritisiert, denn die Gewalt ist natürlich nicht verschwunden, weder die private noch die staatliche (Hitzler 1999; Lindemann 2001). Was sich, von verdeckten Formen und Metamorphosen der Gewalt einmal abgesehen, hinsichtlich privater Gewalt aber geändert hat ist, dass sie - mit oder ohne Psychogenese vielfach unterdrückt wird und sich, wird sie doch ausgeübt, vor dem Staat rechtfertigen muss. Und die staatliche Gewalt ist bei realisiertem Gewaltmonopol zum einen stets gegenwärtig, weil sie angedroht im Prinzip hinter allem staatlichen Handeln steht und auch tatsächlich hervorbrechen kann. Gerade das 20. Jahrhundert gilt sogar als ein besonders gewalttätiges. Nicht unbeteiligt daran sind Technisierungs- und Rationalisierungsprozesse, die den Gewalteinsatz effizienter machen und den Staat gemeinsam mit der Konzentration der Gewaltressourcen in seiner Verfügungsgewalt mit überragendem Vernichtungspotential ausstattet. Aber zum anderen birgt das Gewaltmonopol doch auch die Chance 372

auf ein relativ friedliches alltägliches Zusammenleben, das ohne die Gewaltdelegation der Menschen an den Staat kaum denkbar wäre (Imbusch 1999; vgl. Narr 1980). Durchgesetzte Gewaltmonopole, wie man ihnen in Europa begegnet, sind aber international wie historisch eher die Ausnahme denn die Regel. Es gibt andere Entwicklungspfade interner Machtorganisation, wie Knöbl (1998, 1999) in einer vergleichenden Untersuchung der Polizeien Preußens, Englands und der USA gezeigt hat, und es gibt andere „Ordnungsformen der Gewalt" (Trotha 1995a; vgl. Trotha 1995b), die zu untersuchen gerade wegen der eben beschriebenen Ambivalenz des Gewaltmonopols lohnend ist. Ein weiterer Grund dafür ist, dass neuerdings zu beobachten ist, dass das Gewaltmonopol in der BRD und anderen Staaten mit „konstitutionell-wohlfahrtstaatlichen" „Ordnungsformen der Gewalt" (Trotha 1995a; vgl. Trotha 1995b; Breuer 1998: 272ff.) von verschiedenen Seiten aus unterhöhlt wird. Von Trotha genannt werden „fiinf Vorgänge: das „Anwachsen der privaten Sicherheitsindustrie und privaten Sicherheitsdienstleistungen, die Privatisierung des Gefängnisses, die Ausbreitung ,kommunitärer Kontrollordnungen', der Aufstieg des präventionsgerichteten Sicherheitsdiskurses und die Technisierung des ,Polizierens'" (Trotha 1995a: 153). Breuer teilt diese Diagnose tendenziell und spricht hinsichtlich der (Re-) Privatisierung der Gewalt, nun in Händen privater Sicherheitsdienste, davon, dass das Gewaltmonopol von diesem „Ausbau privater Sanktions- und Normdurchsetzungsmacht nicht unberührt bleiben kann" (Breuer 1998: 296; vgl. Lock 1998b: 14f.). Aber trotz dieser beginnenden Entwicklungen hin zu „oligopolistisch-präventiven Sicherheitsordnungen" (Trotha 1995a: 153ff.) kann man bis dato für die BRD noch von einer weitgehenden Geltung des staatlichen Gewaltmonopols ausgehen (vgl. Heuer 1997). Letzteres gilt im Vergleich zu großen Teilen der Welt, auch im Vergleich zu Lateinamerika. Von vielen Lateinamerikaexperten ist argumentiert worden, dass die Länder dieser Region Uber kein Gewaltmonopol verfugen, nie über eines verfugten, und dieses abschlägige Urteil ist kein „noch nicht" im modernisierungstheoretischen Sinn (Waldmann 2002; Pinheiro 1999; vgl. Mendez 1999; Chevigny 1999). Welche Kriterien fiir solche Aussagen heranzuziehen sind, darüber geben die Klassiker keine Auskunft, weil sie zwar die Entwicklung und Gestalt des Gewaltmonopols dargestellt, abweichende Fälle und Abstufungen des Anspruchs auf und der Durchsetzung des Gewaltmonopols hingegen kaum thematisiert haben. Die Überlegungen von Trotha (1995a, 1995b) und Breuer (1998) geben jedoch Anhaltspunkte dafür, auf welche Phänomene es zuvorderst ankommt, nämlich jene Gewaltphänomene, die den Monopolcharakter der staatlichen Gewalt in Frage stellen, sowie jene, die auf die staatliche Legitimität zielen oder für sich selbst Legitimität beanspruchen. Merkmale lateinamerikanischer Länder, die diese Bedingungen erfüllen, sind leicht ausfindig zu machen. Schon die Geschichte vieler lateinamerikanischer Staaten - auch insbesondere Boliviens und Venezuelas (vgl. Kap. 3.3.1., 3.4.1.) - zeigt, dass eine zentrale 373

Kontrolle des Staatsgebiets kaum durchgängig erreicht wurde. Daran haben die koloniale Vergangenheit und der typisch lateinamerikanische caudillismo Anteil. Sowohl in Bolivien als auch in Venezuela konkurrierten über lange historische Phasen hinweg verschiedene Machthaber und -Zentren miteinander, was zur Fraktionierung der Länder beitrug (vgl. Puhle 1994: 30ff.), und bis heute ist die Unterordnung mancher Gebiete des Hinterlands nicht wirklich sichergestellt, z.B. in den weitläufigen Llanos Venezuelas oder in Bolivien in der Region Santa Cruz (Waldmann 2002: 225ff.; Werz 1999: 95). Auch existierten und existieren z.T. Guerillas, terroristische Gruppierungen oder Drogenkartelle, die gesamte Landstriche unter Kontrolle nehmen. Hinzu kommen zähe Landkonflikte, u.a. in Bolivien; Gefangnisrevolten, die nicht selten in Massakern enden, u.a. in Venezuela; oft aus der Mitte der Gesellschaft unterstützte sog. Todesschwadronen; Lynchjustiz und andere Formen der „gewalttätigen Selbsthilfe" sowie eine unvollständige Entwaffnung der Bevölkerung. Gerade von letzterem wissen die venezolanischen Polizisten vielfach zu berichten und wer in Caracas war, weiß, dass Waffengeschäfte dort allerorts zu finden sind.239 Selbst in den Hauptstädten gibt es Viertel, die die Staatsgewalt nicht erreicht und die vielmehr von dort ansässigen Gangs regiert werden, die die Bewohner bedrohen und ihnen gegenüber gleichzeitig durchaus Schutzfunktionen übernehmen. Das haben die venezolanischen Polizisten in den Interviews sogar bestätigt, obwohl es Polizisten eher unangenehm sein sollte, solches zuzugeben. Z.B. erzählt ein venezolanischer Polizist von einem als „23 de Enero" (23. Januar) bezeichneten Stadtviertel von Caracas „und in dem Gebiet kennt er den Sektor, der Tupamaro genannt wird. Er behauptet, dass das ein barrio ist, das sich aus Guerrilleros und Kriminellen zusammensetzt, die ersten befehligen die zweiten. Sie haben dort Regeln aufgestellt, z.B. wird nicht akzeptiert, dass sie einander berauben und alle müssen ausgezeichnete Waffen haben. Der Beamte erzählt, dass sich die Polizei dort heraus hält, weil die Polizisten normalerweise keine entsprechend leistungsfähigen Waffen haben" (V 50). Solches führt ebenso zur Schließung vormals öffentlicher Räume wie die Abschottung wohlhabender Viertel, die von privaten Sicherheitsdiensten kontrolliert werden und zu denen die Polizei auch nur noch geringen (sozialen) Zugang hat. Überhaupt hat die private Sicherheitsindustrie in Lateinamerika ein Ausmaß erreicht, das das europäische bei weitem in den Schatten stellt. Auf der Basis konstitutionellwohlfahrtsstaatlicher Ordnungen liest sich solches als Entwicklung zu oligopolistisch-präventiven Ordnungen und als Unterminierung des Gewaltmonopols (Trotha 1995a: 153ff.). Dieselben Entwicklungen finden innerhalb der parastaatlichen Ordnungen fortgesetzt statt und sind auch dort verbunden mit der Mög-

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Entsprechende Beispiele werden von etlichen Autoren angeführt. Am stärksten im Mittelpunkt steht die Gesamtthematik aber in dem Band von P. Waldmann (2002) über den anomischen Staat. An weiteren jüngeren Publikationen sind zu nennen Méndez (1999); Chevigny (1999); Pinheiro (1999); Nolte (2000); Kurtenbach (1999); Werz (1999).

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lichkeit stetig technisierteren und effizienteren Gewalteinsatzes. Dass bei all den aufgezählten Gewaltphänomenen, die ein dem europäischen ähnliches Gewaltmonopol verhindern, Beispiele aus Bolivien und Venezuela, nicht aber aus Chile genannt wurden, hat seinen Grund. Ebenso einig wie über den im Allgemeinen desolaten Zustand der Gewaltordnungen lateinamerikanischer Länder, darunter Bolivien und Venezuela (vgl. Brodeur 1999; Birle 1996b; Trotha 1995a, 1995b), sind sich die Lateinamerikaexperten nämlich auch darüber, dass Chile, das „Preußen Lateinamerikas" (vgl. Kap. 3.2.1.), eine Ausnahme davon darstellt (Waldmann 2002; Chevigny 1999).240 Im Folgenden wird deshalb - ungeachtet zunächst der genaueren Charakterisierung der Gewaltordnungen der einzelnen Länder - davon ausgegangen, dass in Chile und der BRD das staatliche Gewaltmonopol weitgehend verwirklicht ist, in Bolivien und Venezuela dagegen nicht (vgl. Waldmann 2002; Kurtenbach 1999: 378). Dafür spricht auch ein weiteres Merkmal, das Chile und die BRD von Bolivien und Venezuela deutlich abhebt: das Ausmaß der gewöhnlichen Gewaltkriminalität. Das Verhältnis dieses Gewaltphänomens zum Gewaltmonopol des Staates ist allerdings nicht unumstritten. Breuer hebt zu Recht hervor, was bei der Diskussion gelegentlich in den Hintergrund gerät, dass es Max Weber nämlich nur um das Monopol der legitimen physischen Gewalt ging, keineswegs um die Monopolisierung der faktischen Gewalt (Breuer 1998: 19). Fraglich ist deshalb, ob jede Form der Gewalt Basis einer Aussage über das Gewaltmonopol eines Staates sein kann oder nur jene Formen, die „in Konkurrenz zur hoheitlichen Ausübung physischen Zwangs" (Waldmann 2002: 29) treten. Illegale Gewalthandlungen wie die gewöhnliche Kriminalität fallen darunter auf den ersten Blick eher nicht. Die Definition einer Handlung als illegal trägt im übrigen auch wenig zur Klärung ihres Bezugs zum Gewaltmonopol bei, schon weil die Entscheidungsmacht über die Definition „illegal" beim Staat, bei der Legislative liegt und die - von Ausnahmen wie der Notwehr abgesehen - grundsätzlich sämtliche private Gewalthandlungen als illegal einstufen wird. Wie es mit dem Legitimitätsbezug der Gewaltkriminalität steht, ist dennoch Überdenkenswert, denn zum einen erhebt manche Gewaltkriminalität durchaus Anspruch auf Legitimität oder greift sie direkt an. Gemeint sind die oben angeführten Beispiele der Selbst- und Lynchjustiz sowie Fälle, in denen kriminelle Banden als Ordnungsgaranten auftreten. Zum anderen wird die Bevölkerung bei hohen und zunehmenden Raten der (Gewalt-)Kriminalität die Zweckmäßigkeit der Delegation ihres „Werwolfrechts" (Narr 1980) an den Staat in Frage stellen, was den Legitimitätsglauben ins Wanken bringen muss und zuletzt ist daran zu erinnern, dass das gegen die gewöhnliche Kriminalität gerichtete Strafrecht zumindest in der BRD zum öffentlichen Recht zählt. Straftaten werden demnach aus dieser Perspektive weniger als Angriffe gegen andere Bürger als vielmehr als Angriffe gegen die geltende Ordnung gewertet. 240

Neben Chile werden von Chevigny (1999) u.a. Paraguay und Uruguay genannt.

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Wie immer in der eben aufgefächerten Diskussion entschieden wird, ist es substantiell sicher so, dass ausufernde (Gewalt-)Kriminalität eher für einen angegriffenen Zustand des „Monopol(s) legitimen physischen Zwangs für die Durchführung der Ordnungen" (Weber 1972: 29) spricht als für irgend etwas anderes. Breuer führt selbst in seinen Ausführungen über den „Abschied vom Staat" (Breuer 1998: 289ff.) neben niedrigen Aufklärungsquoten, dem zunehmenden Besitz von Feuerwaffen, dem Leben in bewachten Siedlungen und der Ausbreitung des privaten Sicherheitsgewerbes die steigende Kriminalität als Faktor auf, der die Staatsgewalt beeinträchtigt, „gehört zur Geltung doch auch die Wirksamkeit. Soweit diese auf der Fähigkeit des Staates beruht, ein bestimmtes Verhalten seiner Bürger zu erzwingen, gibt es heute vielerlei Gründe für Zweifel. Gewiss: Eine Rechtsordnung verliert ihre Geltung nicht schon dadurch, dass einzelne Normen nicht mehr wirksam sind. Wenn es sich bei diesen einzelnen Normen indes um den Schutz von Leben und Eigentum handelt, die nicht nur nach marxistischer Ansicht das Zentrum aller modernen Rechtsordnungen bilden, steht die Ordnung als ganze und mit ihr die Legitimität des sie garantierenden Staates in Frage" (Breuer 1998: 295). Und auch Max Weber ging davon aus, dass mit zunehmendem Gewaltmonopol die private Gewalt zurückgedrängt sein sollte. „Ist der Zwangsapparat des politischen Verbandes mächtig genug, dann unterdrückt er, je mehr er Dauergebilde wird und je stärker das Interesse an der Solidarität nach außen ist, desto mehr die private Gewaltsamkeit überhaupt" (Weber 1972: 518). Ob damit auch die Kriminalität gemeint ist, geht nicht klar hervor, private Gewalt kann aber als solche aufgefasst werden. Alle genannten Faktoren sind in Bolivien und Venezuela ungleich stärker ausgeprägt als in Deutschland und auch als in Chile. Noch nicht eigens besprochen wurde darunter die Frage der von Breuer (s.o.) genannten niedrigen Aufklärungsquoten, mithin den Anspruch, dass sich private Gewalt vor dem Staat verantworten muss. Und in der Tat ist es so, dass die lateinamerikanischen Staaten - auch hier ist Chile die Ausnahme - für ihre Impunidad bekannt sind: nicht nur Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte, auch die gewöhnliche Kriminalität wird selten angezeigt und wenn, dann sind die Aufklärungsquoten, so es Daten darüber gibt, außergewöhnlich niedrig. Insgesamt ist es beeindruckend zu sehen, wie sehr in den vier untersuchten Ländern die relevanten Gewaltphänomene mit dem Grad der Geltung des Gewaltmonopols variieren, darunter auch mit der privaten Gewalt. Aber wie steht es mit der Korruption und der polizeilichen Gewalt? Die Quantität der staatlichen Gewaltanwendung im Sinne der untersuchten polizeilichen Gewalt liegt nicht so eindeutig parallel zur Ausprägung des Gewaltmonopols. Zwar ist die deutsche Polizei unter den untersuchten Fällen die am wenigsten und die venezolanische die am häufigsten gewalttätige, was mit dem jeweiligen Geltungsgrad des Gewaltmonopols zusammenfällt. Aber die chilenischen und die bolivianischen Polizisten setzen ähnlich oft gewaltsame Mittel ein, obwohl das Gewaltmonopol in diesen beiden Ländern ganz unterschiedlich 376

stark umgesetzt ist. Kann ausgerechnet die polizeiliche Gewalt folglich nicht mit Hilfe des Konzepts des Gewaltmonopols erklärt werden? Länder mit niedrigen bzw. hohen Korruptionsniveaus sind dagegen wieder deckungsgleich mit jenen, die das Gewaltmonopol umgesetzt bzw. nicht umgesetzt haben. Sollte dies bedeuten, dass der Grad der Ausprägung des Gewaltmonopols das Korruptionsniveau besser erklärt als das Niveau polizeilicher Gewalt? Genau dies folgt aus zwei nun folgenden argumentativen Schritten. Sie betreffen erstens den Zusammenhang von Gewalt- und Steuermonopol und zweitens die Überlegung, dass ein mangelndes Steuermonopol sich unter anderem in Korruption ausdrückt. Der erste Schritt lehnt sich abermals an Elias (1992) an, der einer der wenigen Autoren ist, der die Genese des Gewaltmonopols explizit gemeinsam seiner Finanzierbarkeit diskutiert. Seine Überlegungen besagen, dass die historische Entwicklung des Gewaltmonopols und des Steuermonopols eng miteinander verwoben sind und zwar ursprünglich über von Territorialherren einforderbare Kriegsdienste der Bevölkerung. Alternativ zum persönlichen abzuleistenden Kriegsdienst wurde es im Laufe der Geschichte zusehends üblich, dass sich Teile der Bevölkerung von dieser Verpflichtung freikauften. Mit diesen Geldern konnten Territorialherren bezahlte Truppen aufstellen. Gezahlt wurde zunächst nur während kriegerischer Konflikte, nach einer Gewöhnungsphase wurden die Abgaben aber sukzessive zu einer festen Einrichtung. Auch die Bindung der Gelder an Ausgaben für Kriegszwecke wurde zusehends gelockert, bald dienten sie der Finanzierung des Hofs des Territorialherrn und der Besoldung des Verwaltungsstabs, dessen Aufbau überhaupt erst mit der Verfügung Uber entsprechende Geldvolumen denkbar ist. Durch sie waren Territorialherren erstmals in der Lage, dass sie nicht mehr Grund- und Boden als Gegenleistung für erbrachte Dienste zuteilen mussten. Dies erhöht die Abhängigkeit der Dienstleistenden vom Staat, da es leichter ist, monetäre Entschädigungen einzustellen als auf Lebzeit oder gar als vererbbarer Besitz vergebenes Land zurückzufordern (Elias 1992: 2791T.). Diese ursprünglich „gelegentlichen Geldabgaben bei außergewöhnlichen Anlässen nicht anders, als später die regelmäßigen Geldabgaben, die Steuern, zahlt niemand, der sich nicht mittelbar oder unmittelbar dazu gezwungen sieht" (Elias 1992: 283). Deshalb bedingen sich die Steuern und der Zwang gegenseitig. Denn nicht nur die Soldaten, die das Territorium nach außen sichern, werden über die Steuern bzw. ihre Vorformen finanziert, sondern gleichermaßen die Verwaltung und mithin jene Personenkreise, die wiederum für die Eintreibung der Steuern zuständig sind. Die Gewaltfähigkeit ist das Mittel, um Gegenwehr auch beim Eintreiben von Steuern zu brechen bzw. aussichtslos erscheinen zu lassen. Wo Gewalt- und Steuermonopol für legitim erachtet werden, erleichtert dies das Prozedere. Unter optimalen Bedingungen ist die Gewöhnung an widerstandslose Steuerleistungen außerdem längst Tradition und weder das Steuernoch das Gewaltmonopol werden ernsthaft hinterfragt. Dieser Mechanismus

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zeigt außerdem deutlich, wie sehr das Gewalt- und das Steuermonopol aufeinander angewiesen sind. Ungeordnete oder geordnete Monopole der physischen Gewaltausübung und der wirtschaftlichen Konsumtions- und Produktionsmittel sind unaufhebbar miteinander verbunden, ohne dass eines je die eigentliche Basis und das andere lediglich einen ,Überbau' darstellt. Beide zusammen bilden das Schloß der Ketten, durch die sich die Menschen gegenseitig binden. Und in beiden Verflechtungssphären, in der politischen, wie in der wirtschaftlichen, sind, in steter Interdependenz, die gleichen Verflechtungszwänge am Werk. (Elias 1992: 436f)

Deshalb wird überall dort, wo ein effektives Gewaltmonopol des Staats aufgebaut wurde, in der Regel auch ein Steuermonopol vorzufinden sein. Die Gegenprobe wären Fälle, in denen weder ein effektives Gewaltmonopol noch ein effektives Steuermonopol aufgebaut wurden (vgl. Kurtenbach 1999: 376). Während es nach obiger Diskussion aber klar ist, wie sich ein mangelndes Gewaltmonopol ausdrückt, ist noch nicht geklärt, in welchen Phänomenen sich eingeschränkte Steuermonopole manifestieren. In Frage kommen Erscheinungen, in denen mit dem Staat konkurrierende Akteure Gelder eintreiben, z.B. in Form von Schutzgelderpressungen, Revolutionssteuern u.ä., aber auch die Steuerhinterziehung, weil der Staat dann offensichtlich seinen Anspruch nicht durchsetzen kann, es also an Wirksamkeit im Sinne des obigen Zitats von Breuer fehlt (s.o.; Breuer 1998: 295). Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Steuerhinterziehung nicht vereinzelt zutage tritt, sondern ein etabliertes Verhaltensmuster ist und dies ist in vielen lateinamerikanischen Ländern der Fall (vgl. Waldmann 2002: 12; Werz 1999: 99; Paul 1998: 432; Kap. 1.1.), nicht sehr ausgeprägt jedoch in Chile. Neben die Unfähigkeit Steuern einzutreiben kann insbesondere in Rentierstaaten die mangelnde Notwendigkeit treten. Ein Staat, der sich durch Erdölrenten finanziert, braucht wenig Steueraufkommen und kann dennoch Leistungen erbringen, insbesondere kann er als Verteilungsinstanz des Geldsegens auftreten. Dies wurde ausführlich für den Vorderen Orient beschrieben (Pawelka 2002; Beck/Schlumberger 1999; vgl. Ellis 1998: 38), dieselben Prozesse spielen sich aber im Erdölland Venezuela ab, in dem enorme Steuerhinterziehung und Unterbesteuerung festgestellt werden können (Boeckh 2000/2001: 88; vgl. Boeckh 1997). Rent-seeking und Patronage sind in solchen Ländern zumindest ökonomisch rationale Strategien, um sich in der Verteilungshierarchie zu positionieren. Als Folge und Bedingung eines mangelnden Steuermonopols ist zudem die Korruption ins Auge zu fassen; nicht umsonst gilt Korruption als eine den Staat in seinem Bestand gefährdende Kraft. Steuern können als finanzielle Abgaben der Bürger an den Staat aufgefasst werden, die dieser aufwendet, um gemäß bestimmter Distributionsregeln die Kosten der allgemeinen staatlichen Aufgaben zu decken. Bei der Korruption verhält es sich geradezu spiegelverkehrt. An korrupten Akten sind i.d.R. zwei Akteure beteiligt, nämlich bestechende Bürger und 378

bestechliche Beamte. Konkret erwirkt der Bürger mit der Bestechungssumme beim Beamten entweder eine begehrte staatliche Leistung oder eine Vorzugsbehandlung (z.B. eine Genehmigung oder die Vermeidung einer Bestrafung), der Beamte hat den Vorteil, dass er die ausgehandelte Summe privat einstreichen kann. Wenn Beamte und Bürger auf diese Weise gemeinsam den Staat ausbeuten, dann ist das die Verkehrung des Steuerprinzips. Gleichzeitig ist es ein Bruch des Treueverhältnisses, das der Verwaltungsstab zum Staat haben sollte und zudem werden die Verteilungsregeln systematisch verletzt. Steuern werden nämlich gemeinhin zwar bezahlt, damit der Staat gewisse Leistungen erbringen kann, für welche spezifischen Leistungen die Summen verwendet werden und welche davon spezifische Bürger erreicht, ist aber nicht vom Bürger selbst bestimmbar, sondern gesetzlich verankert. Durch Korruption hingegen kann sich der bestechende Bürger die ihm angenehmste Leistung auswählen, und diese Möglichkeit steht denen am weitesten offen, die über die meisten Mittel verfugen. Daraus ist abzuleiten, dass hohe Korruptionsniveaus und hohe Niveaus privater Gewalt gemeinsam in Ländern zu finden sind, in denen das Gewalt- und Steuermonopol des Staates unzureichend umgesetzt sind, und im umgekehrten Fall gilt sinngemäß dasselbe. Aber die polizeiliche, mithin meist staatliche Gewalt folgt diesem Muster nicht. Sowohl die beiden Länder mit relativ ausgeprägtem Gewalt- und Steuermonopol als auch die beiden anderen Länder haben differente Niveaus polizeilicher Gewalt und zwischen Chile und Bolivien ist dahingehend schwer zu differenzieren. Das liegt zum einen daran, dass Staaten mit Gewaltmonopol wegen dessen ambivalenten Charakter (s.o.) eben nicht per se gewaltlos sind: das dürfte Chile und die BRD voneinander unterscheiden. Zum anderen liegt es daran, dass polizeiliche Gewalt nicht immer staatliche Gewalt ist, sondern auch private Gewalt sein kann. Gerade Staaten ohne gültiges Gewaltmonopol können nur wenig Kontrolle über private Gewalt haben, auch über private Gewalt von Polizisten. Daher können diese ihr öffentliches Amt für private Zwecke ausnutzen, in Form von Korruption und ebenso in gewalttätiger Weise. Das erklärt den venezolanischen Fall, in dem sich staatliche und private Gewalt aufaddieren. Der bolivianische Fall schließlich liegt einerseits in der Mitte zwischen Chile und Venezuela, andererseits quer dazu. Die beiden Hauptgründe dessen sind, dass zum einen um das Gewaltmonopol in diesem Land gar nicht in der entsprechenden Schärfe gefochten wird, schon weil der Staat gar nicht Uber die dafür notwendigen Ressourcen verfügt. Eine Ausnahme davon sind allenfalls die Drogenanbaugebiete. Zum anderen wird in Bolivien im Gegensatz zu den anderen beiden untersuchten südamerikanischen Ländern das Verhalten in größeren Regionen nicht durch die formelle staatliche, sondern durch die traditionelle soziale Kontrolle geregelt. Das senkt die durchschnittliche Gewaltbereitschaft der Polizisten, nicht aber die Korruption, weil die finanzielle Ausbeutung des Staats durch die traditionelle soziale Kontrolle kaum negativ sanktioniert sein kann. Diese Überlegungen seien anhand der vier Fälle

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nun noch abschließend und zusammenfassend diskutiert und mit den empirischen Daten verknüpft. In der Bundesrepublik Deutschland sind das Steuer- und das Gewaltmonopol des Staates immer noch weitgehend umgesetzt, obwohl den oben referierten Einschätzung von Trotha (1995a) und Breuer (1998) zuzustimmen ist, die Argumente dafür anfuhren, dass der Höhepunkt von deren Geltung überschritten ist. Deren Position untermauernd kann angefügt werden, dass auch die private Gewalt und die Kriminalität in den letzten Jahren zugenommen hat. Im Vergleich der vier untersuchten Länder sind die Werte für die BRD dennoch sehr günstig, das gilt für die Korruption, die private Gewalt und die polizeiliche Gewalt gleichermaßen. Was an privater Gewalt besteht - auch wenn Polizisten sie einsetzen - ist ein Sockel, der zwar etwas erniedrigt werden könnte, aber kaum je völlig verschwinden wird. Was innerhalb der polizeilichen Gewalt darüber hinaus allerdings bedenklich stimmt, sind die von Menschenrechtsorganisationen angeprangerten Fälle gewaltsamer Übergriffe, deren Opfer meist Angehörige ethnischer Minderheiten sind. Abgesehen davon und verglichen mit Südamerika ist die deutsche Polizei aber insgesamt eine staatlich kontrollierte Institution, die rechtsstaatlichen Grundsätzen folgt. Bei den empirisch erfassten Variablen wird dies ebenfalls deutlich. Zwar weichen die deutschen Polizisten bei vielen Antworten ebenso wenig wie die anderen von berufstypischen Positionen ab, aber durchschnittlich erreichen sie fast durchgängig die besten Werte. Wichtig ist darunter insbesondere, dass ihr Verhältnis zur Bevölkerung und zu ihren Nachbarinstitutionen gut und die Polizei eine jener Institutionen ist, denen die Bevölkerung am meisten Vertrauen entgegen bringt. In Venezuela und Bolivien herrscht demgegenüber ein ausgeprägtes gegenseitiges Misstrauensverhältnis. Das Vertrauen bzw. Misstrauen der Bürger in Institutionen wird hauptsächlich durch konkrete Erfahrungen mit Mitgliedern von Institutionen gespeist, die politische Entscheidungen implementieren, darunter die Polizei (vgl. Schneider 2001) und Polizisten sind gegenüber vielen Institutionen auch nichts anderes als Bürger, so dass sie von diesem Mechanismus gleichermaßen betroffen sind. Die Bedeutung solcher Ver- bzw. Misstrauenssysteme ist nicht zu unterschätzen, weil sie den Legitimitätsglauben betreffen und sich zu einem aufsteigenden oder absteigenden circulus vitiosus verdichten können (Nolte 2000): Der chilenische Fall ist dem deutschen zunächst nicht unähnlich. Chile ist ein Land mit ausgeprägtem Gewalt- und Steuermonopol (vgl. Kap. 3.2.1.; vgl. Waldmann 2002: 23ff.; Kurtenbach 1999) und dies ist umso bemerkenswerter, als dies im lateinamerikanischen Kontext die Ausnahme ist. Entsprechend selten sind die Korruption und die private Gewalt. Auch wenn die Kriminalität in Chile angestiegen ist, sind die Kriminalitätsraten für schwere Delikte gegenüber den deutschen nur wenig erhöht und wesentlich niedriger als in anderen Ländern Süd- und Mittelamerikas. Aber die polizeiliche Gewalt ist wesentlich häufiger als in Deutschland, und zwar sowohl hinsichtlich der Tötungen als auch hinsichtlich anderer Gewaltarten bis hin zu elaborierten Foltertechniken. Dem Cha380

rakter nach ist diese Gewalt staatliche Gewalt: viele Tötungen geschehen im Umfeld von politischen Demonstrationen. Auch ist die Opferstruktur bei den übrigen Gewaltakten insofern inzwischen untypisch, als die größte Gruppe unter den Geschädigten Menschen sind, denen politische Delikte zur Last gelegt werden und nicht wie sonst in Lateinamerika einfache Kriminelle. Polizeiliche Gewalt ist in Chile des Weiteren noch „part of the ordinary way of doing business by many law enforcement bodies" (Méndez 1999: 20), weil die gewaltsamen Alltagspraktiken während des Pinochet-Regimes von Polizisten als übliche Praxis gelernt wurden und diese Methoden bis zu einem gewissen Grad von älteren auf jüngere Polizistengeneration Ubertragen werden. Zudem ist der militärische Charakter der Carabineros bis heute nicht aufgehoben worden, was einen „militarized approach" (Chevigny 1999) im Umgang mit der Bevölkerung nahe legt. Das ist aber nur die eine Seite. Auf der anderen Seite ist es so, dass Menschenrechtsverletzungen und Gewalthandlungen durch Polizisten in Chile seit der Demokratisierung stetig nachgelassen haben. Das unterscheidet Chile beispielsweise vom ebenfalls demokratisierten Brasilien (Adorno 1995: 72ff.; vgl. Schmid 1999). Da die demokratischen Institutionen Chiles ihre Polizisten offenbar zivilisieren konnten, spricht dies dafür, dass die polizeiliche Gewalt in Chile nicht nur staatliche Gewalt ist, sondern auch staatlich kontrollierbare Gewalt und ein klarer Gegensatz zu den weiter unten zu besprechenden venezolanischen Verhältnissen. Dabei mag die Kehrseite des Militarismus eine Rolle spielen, nämlich die von den Carabineros auch in den Interviews betonte institutionelle Disziplin, die auch positive Folgen haben kann, weil eine gehorsame Polizei zwar leichter fiir politische Gewalt missbraucht, aber auch leichter kontrolliert werden kann. Damit soll keiner Militarisierung der Polizei das Wort geredet werden, wohl aber ihrer Disziplinierung. In der Bevölkerung ist das Ansehen der Uniformierten, und zwar sowohl der Carabineros, als auch des Militärs, trotz der Erfahrungen mit dem Pinochet-Regime groß und für die Polizisten selbst sind die militärischen Züge ihrer Institution eher ein positiver Anreiz als ein zu kritisierender Zustand. Zum fiir lateinamerikanische Verhältnisse sehr großen Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei kommt, dass die Polizisten ein vergleichsweise gutes Verhältnis zu ihren Nachbarinstitutionen und zur Bevölkerung betonen. Hierin ähnelt Chile abermals der BRD und all dies zeigt, dass Chile trotz seiner Charakterisierung als „Enklavendemokratie" (Thiery 2001) zuverlässige Institutionen und gute Chancen auf die Etablierung rechtsstaatlicher Zustände hat, eine Diagnose, die schon öfter gestellt wurde und auf der Basis der Ergebnisse dieser Polizeistudie unterstrichen werden kann (vgl. Waldmann 1995). Bolivien weicht von dem inzwischen aufgebauten Raster ab. Dem kaum ausgeprägten Gewalt- und Steuermonopol dieses Landes (vgl. Birle 1996b) entspricht zwar eine eklatante Korruption, die private und polizeiliche Gewalt ist aber seltener als man erwarten könnte. Vieles davon erklärt sich aus der mehrdimensionalen Zwiespältigkeit und der ethnischen Zusammensetzung des Landes. Die historischen internationalen Konflikte Boliviens gingen i.d.R. zu 381

Ungunsten Boliviens aus, schon das schwächt die Ausbildung einer effektiven Zentralmacht, es gab in diesem Land über lange historische Epochen hinweg intern stets mehrere Machtzentren, die sich gegenseitig heftig bekämpften, und bis heute ist der Gebietskonflikt um das Drogenanbaugebiet El Chapare nicht geklärt. All dies zieht Defizite im Gewalt- und Steuermonopol nach sich, die sich in einer hohen Korruption und anderen Formen illegalen Gelderwerbs durch Polizisten äußert, die zudem besonders raffinierte Formen annehmen (Mansilla 1999). Der Staat wird nach Möglichkeit ausgebeutet, aber die bolivianischen Polizisten sprechen im Unterschied zu ihren venezolanischen Kollegen (s.u.) weder darüber noch über polizeiliche Gewalttaten offen. Überhaupt äußerte sich in den Interviews ein spezieller Zug bolivianischer Polizisten, nämlich eine besonders ausgeprägte verbale Normtreue, die oftmals völlig überhöht klingt. Wortwörtlich und gleichlautend haben viele Interviewpartner geantwortet, was man auf einer Polizeischule über das offizielle Normensystem lernt, mit ihren Handlungen hat dies allerdings denkbar wenig zu tun: „la ley se acata pero no se cumple!" (s.o.). Dennoch ist die polizeiliche Gewalttätigkeit mäßig häufig. Es gibt zwar mehr Tötungen durch Polizisten als in Chile und Machtmissbrauch ist an der Tagesordnung, aber systematische Folter ist seltener als in Chile und zu extralegalen Hinrichtungen kommt es im Gegensatz zu Venezuela kaum. Nun sind zwar schwache Staaten oftmals besonders gefährliche Staaten, weil sie versuchen, ihr Gewaltmonopol mit allen Mitteln zu erreichen (vgl. Waldmann 2002), für Bolivien trifft dies aber nur eingeschränkt zu. In El Chapare, dem Ort, an dem sich die bolivianische Polizei und das bolivianische Militär mit den Drogen anbauenden und gegen die Maßnahmen der Regierung protestierenden Bauern auseinanderzusetzen haben, versucht der Staat noch die Oberhand zu gewinnen. Dort werden auch die meisten Menschen von Sicherheitskräften getötet. Die Sicherheitskräfte begnügen sich aber meist mit kurzfristigen Vorstößen, längerfristig erfolgreich sind sie bisher trotz der Unterstützung durch die USA und wegen der heftigen Gegenwehr der Bauern nicht (vgl. Birle 1996b). In anderen Gebieten, wie z.B. der Region Santa Cruz, entsteht hingegen der Eindruck, dass das Gewaltmonopol gar nicht ernsthaft beansprucht wird, vielleicht auch, weil die Chancen nicht allzu gut stünden und weil die dafür notwendigen finanziellen Ressourcen fehlen. Das Verhalten der Menschen solcher staatsfernen ländlichen Gebiete, die hauptsächlich von indígenas bewohnt werden, wird hauptsächlich auch nicht durch die formelle staatliche, sondern durch die traditionelle soziale Kontrolle geregelt, d.h. in Bolivien bestehen zwei Regelsysteme nebeneinander (Waldmann 2002: insb. 25, 225ff.; vgl. Werz 1999: 105). Dies senkt die Kriminalitätsraten in ländlichen Gebieten und im Durchschnitt, wohingegen in der Hauptstadt von höheren Kriminalitätsraten auszugehen ist (vgl. Schmid 1998b) und beide Umstände senken die durchschnittliche Häufigkeit polizeilicher Gewalt zumindest im Vergleich zu einem Fall wie Venezuela: der Verzicht auf ein Gewaltmonopol und die soziale Kontrolle auch der Polizisten durch traditionelle Reglements in manchen Regionen. Nicht von der traditionel382

len Kontrolle sanktioniert wird aber die Korruption, weil sie gegen den Staat und nicht gegen die Region gerichtet ist, so dass sie die beschriebenen Formen und die beschriebene Quantität annehmen kann. Venezuela ist der interessanteste Fall des internationalen Vergleichs von Polizeigewalt und Korruption, weil das Land fast einen (negativen) Idealtypus darstellt. Schon in der Kolonialzeit war das Gebiet des heutigen Venezuela kaum durchdrungen und im weiteren historischen Verlauf wurde die Zentralgewalt permanent von konkurrierenden Gruppierungen angegangen. Stabil schien Venezuela jedoch seit seiner frühen und für Lateinamerika vorbildhaften Demokratisierung von 1958 zu sein. Diese Stabilität hatte jedoch hauptsächlich damit zu tun, dass das Land es sich wegen seiner üppigen Erdöleinkommen leisten konnte, als großzügiger Verteiler von Geldern aufzutreten. Diese Phase des Rentierstaats hat die seit der Kolonialzeit vorkommende Einstellung gestützt, die den Staat als finanziell ausbeutbares Objekt betrachtet (vgl. Boeckh 1997; Keller 1995). Mit dem Sinken der Ölpreise und der folgenden Sparpolitik wurde diese Einstellung jäh enttäuscht. In rascher Folge kam es zum Armenaufstand von 1989, zu den Putschversuchen von 1992, zur Amtsübernahme des ExPutschisten Chävez 1998 und aktuell zu gegen Chävez gerichteten Generalstreiks und Demonstrationen (vgl. Kap. 3.3.1.). Gerade der venezolanische Fall zeigt, wie schnell sich selbst eine lateinamerikanische Vorzeigedemokratie, das „was einer konsolidierten Demokratie einmal nahe gekommen war, zu einer delegative democracy" (Boeckh 2 0 0 0 / 2 0 0 1 : 80f.) im Sinne von O'Donnell ( 1 9 9 4 ) verwandeln kann. Die Konsolidierung von Demokratien ist somit nicht die einzige erwartbare Entwicklung heutiger Demokratien (O'Donnell 1997). Anteil an dieser Regression hat, dass es in Venezuela um ein Gewalt- und Steuermonopol schlecht bestellt ist, das macht schon der historische Rückblick deutlich. Auch zeigt das Land die entsprechenden Symptome. Steuern v.a. bei den Mittel- und Oberschichten zu erheben hatten die Regierungen über lange Phasen hinweg kaum nötig, die Steuerhinterziehung erreicht laut Schätzungen bis zu 6 2 % des theoretischen Steueraufkommens (Boeckh 2 0 0 0 / 2 0 0 1 : 8 8 ) und sowohl das Korruptionsniveau als auch die Niveaus polizeilicher und privater Gewalt sind extrem hoch. Bemerkenswert an den in den Interviews erhobenen Einstellungen venezolanischer Polizisten ist, wie sehr die Merkmale des venezolanischen Staats durchscheinen. Unter anderem haben sie über ihre re/?/-seeÄz'«g-Strategien erstaunlich offen berichtet. Sie definieren ihren Beruf als Polizist wesentlich mehr als die Polizisten der anderen untersuchten Länder über die zugehörige Entlohnung, die aber nur als sichere Verdienstbasis gilt, für die man eine gewisse, aber eingeschränkte Leistung zu erbringen hat. Aufgestockt wird das Einkommen durch Nebentätigkeiten, wobei die berufliche Position als Polizist für private Zwecke funktionalisiert wird, indem während der Arbeitszeit anderen einträglichen Geschäften nachgegangen wird und dabei polizeilichen Ressourcen benutzt werden, z.B. bei Tätigkeiten als private Sicherheitskräfte. Unter den verglichenen

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Fällen erreichten die venezolanischen Polizisten auch bei allen anderen Interviewfragen regelmäßig die schlechtesten Werte. Hervorzuheben ist darunter nochmals das Verhältnis zur anderen Institutionen. Sämtliche Nachbarinstitutionen, deren Funktion u.a. in der Kontrolle der Polizei liegt, werden entschieden abgelehnt, zuvorderst die Justiz. Das Misstrauensverhältnis besteht zugleich von Seiten der Bevölkerung gegenüber den Institutionen inklusive der Polizei und inklusive der entsprechenden Legitimitätseinbußen. Nur von einer sozialen Gruppe glauben die Polizisten unterstützt zu werden. Ob das tatsächlich so ist oder nicht, jedenfalls meinen die venezolanischen Polizisten, dass die aus ihrer Perspektive „guten" Bürger der Unterschicht das brutale polizeiliche Vorgehen gegen die Kriminellen derselben Schicht gutheißen. Gewaltreduzierend wirkt sich diese geglaubte Unterstützung sicherlich nicht aus. Dies leitet über zur venezolanischen insbesondere auch polizeilichen „Gewaltkultur". Dieser Begriff ist umstritten und vielfach missverstanden worden,241 aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die polizeiliche Gewalt in Venezuela wie Méndez (1999) es ausdrückte, in andere Gewaltphänomene eingebettet ist. Die Gewaltkriminalität ist in Venezuela sehr häufig. Die Polizisten selbst bringen eine immens hohe Zahl an Menschen um, überdies müssen viele dieser Fälle als Exekutionen bezeichnet werden und auch Folter ist durchaus üblich. Dies spiegelt sich auch in den Interviews mit venezolanischen Polizisten. Sie sind es, die sich unter den Polizisten der vier untersuchten Länder am meisten von ihrem polizeilichen Gegenüber physisch bedroht sehen, aber sie sind es auch, die sich vorzugsweise als crime fighters darstellen und einen ausgeprägten Waffenkult pflegen. Nun ist aber die Frage zu stellen, inwieweit ein Staat mit sehr defizitärem Gewaltmonopol staatliche Gewalt ausüben kann. In diesen Zusammenhang zu stellen sind zum einen Razzien in den unter der Kontrolle von Banden stehenden Vierteln von Caracas, die fiir kleine Gruppen von Polizisten nicht zugänglich wären (s.o.). Dabei handelt es sich um groß angelegte „Säuberungsaktionen", bei denen die Viertel systematisch durchgekämmt und „Verdächtige" festgenommen oder auch unmittelbar erschossen werden (vgl. Hernández 1991; Waldmann/Schmid 1996a, 1996b).242 Der Zweck dieser Operationen liegt sicher darin, Macht zu demonstrieren und diese Gewalt ist sicherlich staatliche Gewalt im Sinne des Zitats von Chevigny zu Beginn des Kapitels (5.3.), die zeigt wie gefährlich ein schwacher Staat ist (vgl. Brodeur 1999), der versucht, „die ihm streitig gemachte Souveränität mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln fiktiv aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen" (Waldmann 2002: 13). Zum anderen fragt sich aber auch, ob ein Staat wie Venezuela seine Polizisten überhaupt so hochgradig kontrollieren kann, dass er sie durch-

241

Die Diskussion sei an dieser Stelle nicht wiederholt, stattdessen wird auf die Darstellung von Riekenberg (1999) verwiesen, dessen Position voll zugestimmt wird.

242

Ähnliche Aktionen finden in Brasilien Waldmann/Schmid 1996a, 1996b).

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und

Kolumbien

statt

(Pinheiro

1991;

gängig flir seine Zwecke einsetzen kann. Dem steht die oben beschriebene Berufsauffassung der venezolanischen Polizisten ebenso entgegen wie deren Betonung ihrer Autonomie im Alltagsdienst. So zeigt sich dann auch in den Interviews, dass vieles von der polizeilichen Gewalt in Venezuela keine staatliche, sondern private Gewalt ist. Die venezolanischen Polizisten nutzen ihr Amt nicht nur aus, um ihren privaten Geschäften nachzugehen (s.o.), sondern auch, um ihre privaten Rechnungen zu begleichen oder ihre Vorstellungen von gerechter Justiz umzusetzen, die vielmehr Selbst- und unter Umständen Lynchjustiz ist. Drei Beispiele seien als Belege nochmals angeführt. Im ersten Fall geht es um eine längere Geschichte (vgl. Kap. 4.2.2.), die sich darum dreht, dass ein Nachbar die Tochter einer Polizistin sexuell belästigt hat. Die regelt die Sache dann auf ihre Art und bemerkenswerter Weise mit Unterstützung der Institution: Sie erklärte das Problem ihrem Vorgesetzten, der ihr eine Entschuldigung für die Arbeit zugestand, damit sie die Sache klären konnte, und zwar mit Hilfe der PM. Einmal sah sie ihren Nachbarn, als er draußen war. Weil sie die Wohnung des Nachbarn nicht demolieren konnte, schlug sie ihn auf der Straße zusammen (...). Während der Mann geschlagen am Boden lag, rief sie ihre Kollegen über Funk. Die kamen sofort und nahmen ihn für 16 Tage fest. (V 29) Er erinnert sich, dass er (...) beschloss, einen Gauner zu stellen. Er bat den Fahrer langsam zu fahren. Der Interviewte sagt, er habe ein Maschinengewehr genommen und eine Salve abgefeuert. Einer der Schüsse tötete den Verbrecher. Der Typ hatte den Spitznamen „Plagatox", weil er mehr als 20 Tote auf dem Kerbholz hatte. Er war 16. „Er hat einmal zwei Schüsse auf mich abgegeben und beide Beine getroffen, zum Glück lebe ich". (V 31) Ein Mitglied der PM, der frei hatte (...) (und) in Begleitung einer Kollegin zu einem öffentlichen Telefon kam, das ein Kommissar in Zivil gerade benützte. Der andere Beamte sagte zu ihm „ich muss telefonieren." Der Kommissar antwortete „warte einen Moment" und der andere Beamte zog einfach seine Waffe, weil er sich ärgerte, schoss und tötete ihn. Offensichtlich wusste der Beamte nicht, dass der andere auch ein Polizist war. (V 58)

Diese Beispiele zeigen, dass nicht alle gewalttätigen Akte von Polizisten der staatlichen Gewalt zugeschlagen werden können und aus der hier verfolgten Argumentationslinie folgt auch, dass ein Staat mit beschädigtem Gewaltmonopol die private Gewalt weder bei seinen gewöhnlichen Bürgern noch bei seinen Polizisten kontrollieren kann. Zudem ist die Kontrolle in Venezuela so schwach, dass die venezolanischen Polizisten im Gegensatz zu den bolivianischen noch nicht einmal verbal Rechtstreue beteuern: „la ley no se cumple, ni se acata" (s.o.). Sowohl über ihre Strategien des rent-seeking als auch über ihre Gewalttaten erzählen sie frei. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Kriterien der Demokratietheorie, die betont, dass eine substantielle Demokratie(sierung) mehrere Ebene umfassen muss, die normative Ebene, die Verhaltensebene und die Einstellungsebene. Nicht nur müssen demnach die Gesetze demokratischen Grundsätzen entsprechen, diese müssen auch weitgehend eingehalten werden und sich in 385

den Einstellungen der Bevölkerung wieder finden (Linz/Stephan 1996; vgl. Krennerich 2003: 9; Schneider 2001: 277). Venezuela hält allenfalls die erste Bedingung vollständig ein (vgl. Brown Cellino 2003). Die beiden anderen Kriterien werden noch nicht einmal erfüllt, wenn man bescheidener an die Sache herangeht und nicht die breite Bevölkerung sondern nur die Polizisten ins Auge fasst: sie befolgen die Gesetze nicht und haben noch nicht einmal die Einstellung, dass Gesetzestreue prinzipiell wünschenswert wäre. Damit wird sogar gegen die von dem Rechtsphilosophen Hart (1961) formulierte basale Regel für einen funktionsfähigen Staat verstoßen. Er meinte, dass die breite Bevölkerung nicht unbedingt an die Regeln glauben muss, sie kann man nötigenfalls mit Sanktionen bzw. Sanktionsdrohungen zur Konformität bewegen. Der Glaube der Mitglieder des Rechtsstabs an die Regeln sei allerdings unverzichtbar, sie müssten zumindest mehrheitlich die Regeln aus eigenem Willen einhalten. Tun sie das nicht, ist zwangsläufig die Frage aufgeworfen, wer die Kontrolleure kontrollieren kann. Der schwache venezolanische Staat kaum.

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