Italienische Flugschriften des Cinquecento (1500-1550): Gattungsgeschichte und Sprachgeschichte [Reprint 2011 ed.] 9783110938821, 3484522798, 9783484522794

This study sees itself as a contribution to a history of communication, with special reference to changes in the textual

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German Pages 627 [628] Year 1997

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Table of contents :
I. Gattungsgeschichte und Sprachgeschichte
1. Pavia 1525 – Die Problemstellung
2. Textsorten und Gattungen
3. Gattungen und Sprachen
4. Methoden der historischen Gattungsbestimmung
5. Die Flugschriften zwischen Volkskultur und Literatur
II. Der Flugschriftenbegriff, die Flugschriftenforschung
1. Der Terminus ‹Flugschrift› und seine italienischen Entsprechungen
2. Flugschriften, pamphlets, pliegos sueltos, folhetos
3. Italienische Flugschriften des 16. Jahrhunderts
4. Definition der Textsorte Flugschrift
5. Zur Repräsentativität des Textkorpus
III. Die italienischen Flugschriften des Cinquecento in ihren sozialgeschichtlichen Bezügen
1. Die Produktion der Flugschriften
2. Die Rezeption der Flugschriften
3. Die drucktechnische Form
4. Die Themen der Flugschriften
5. Die Gattungstraditionen der Flugschriften
IV. Der paratextuelle Rahmen der Flugschriften
1. Haupttext, Anhangstext, Paratext
2. Formen und Funktionen des Flugschriftentitels
3. Der fakultative Paratext
4. Paratextuelle Gattungen und metakommunikativer Diskurs
V. Flugschriften in ottava rima: die historia
1. Zeitliche Distribution, materielle Form, Thematik
2. Gattungsnamen und Gattungsbewußtsein
3. Textaufbau und Textgliederung. Die Funktion der Formeln
4. Mündlichkeit und Schriftlichkeit der historie
5. Intentionserklärungen
6. Die Literarisierung der Flugschriften in ottava rima
7. Vers und Prosa: Das Ende der Flugschrift in ottava rima
VI. Flugschriften in Briefform: der avviso
1. Zeitliche Distribution, materielle Form, Thematik
2. Gattungsnamen: von der copia di una lettera zum avviso
3. Intentionserklärungen als gattungsindizierende Signale: Geschichte und Funktion des dare avviso
4. Textaufbau und Textgliederung: die lettera
5. Vom Brief zur Flugschrift: die copia
6. Die avvisi in der Vorgeschichte des Journalismus
7. Parodie und Imitation: die avvisi und die Literatur
VII. Die kleineren Gattungen im Bereich der Flugschrift
1. Vers und Prosa: der pronostico
2. Besprechende Versflugschriften: die frottola-barzelletta
3. Die Elaboration volkstümlicher Gattungen durch Pietro Aretino: die eigentliche frottola
4. Formen der Gattungsinterferenz: der lamento
5. Literarische Versflugschriften: die canzone
6. Vom Primärdiskurs zur Flugschrift: die orazione
7. Polemische Prosaflugschriften: der dialogo
8. Die Öffentlichkeit der Flugschriften: die epistola
9. Die Kürze der Flugschrift: der commentario
VIII. Der metasprachliche Diskurs: Reflexionen über die Sprache der Flugschriften
1. Gattungsgeschichte als Grundlage der Sprachgeschichte
2. Die Festsetzung einer sprachlichen Norm im Bereich der Flugschriften
3. Die Flugschriften und die Questione della lingua
IX. Die semplice lingua comune und das scelto parlar toscano in der sprachlichen Praxis der Flugschriften
1. Die Flugschriften in der italienischen Sprachgeschichte des frühen Cinquecento
2. Die mailändischen Flugschriften: Vers- und Prosasprache
3. Von der volkstümlichen zu der gelehrten Versflugschrift: Die sprachliche Form der venezianischen historie
4. Die volkstümlichen Prosaflugschriften: Die sprachliche Form der römischen avvisi
5. Die semplice lingua comune: Projektion oder Realität?
X. Die ‹Einfachheit› der semplice lingua comune: Die Syntax der historie und die Syntax der avvisi
1. Die sprachliche Einfachheit der Flugschriften
2. Von der volkstümlichen zu der gelehrten historia
3. Die volkstümlichen avvisi
4. Die traditionelle Sprachform der historie und der avvisi
XI. Die Flugschriften und die Literatur – Die Flugschriften und die Literatursprache
1. Literatur und Literatursprache
2. Die Flugschriften und die Literatur
3. Die Flugschriften und die Literatursprache
4. Die Traditionalität der Gebrauchstexte
XII. Das Textkorpus
1. Italienische Flugschriften 1500–1550
2. Italienische Flugschriften des Quattrocento
3. Italienische Flugschriften nach 1550
4. Flugschriftenähnliche Texte
XIII. Bibliographie
1. Zitierte Textausgaben
2. Studien
XIV. Illustrationen
XV. Register
1. Sachwortverzeichnis
2. Autoren- und Textverzeichnis
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Italienische Flugschriften des Cinquecento (1500-1550): Gattungsgeschichte und Sprachgeschichte [Reprint 2011 ed.]
 9783110938821, 3484522798, 9783484522794

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BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE PHILOLOGIE BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER FORTGEFÜHRT VON WALTHER VON WARTBURG UND KURT BALDINGER HERAUSGEGEBEN VON MAX PFISTER

Band 279

RAYMUND WILHELM

Italienische Flugschriften des Cinquecento (1500-1550) Gattungsgeschichte und Sprachgeschichte

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1996

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Edizioni Panini, Modena, und der Biblioteca Trivulziana, Mailand

D 16

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme [Zeitschrift für romanische Philologie /Beihefte] Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie. - Tübingen : Niemeyer Früher Schriftenreihe Reihe Beihefte zu: Zeitschrift für romanische Philologie NE: HST Bd. 279. Wilhelm, Raymund : Italienische Flugschriften des Cinquecento (1500-1550). - 1996. Wilhelm, Raymund: Italienische Flugschriften des Cinquecento (1500-1550) : Gattungsgeschichte und Sprachgeschichte / Raymund Wilhelm. - Tübingen : Niemeyer, 1996 (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie ; Bd. 279) ISBN 3-484-52279-8

ISSN 0084-5396

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1996 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: Memminger Zeitung Verlagsdruckerei GmbH Einband: Heinr. Koch, Tübingen

Vorbemerkung

Der ungeheure Erfolg elektronischer Medien in den letzten Jahrzehnten - von den traditionellen Formen der Audiovision bis zu den des Internet - hat unsere Sensibilität für den Zusammenhang zwischen den medientechnischen Neuerungen und dem tiefgreifenden Wandel unserer kommunikativen Gewohnheiten geschärft. Die ermöglichen dabei nicht nur eine neuartige Verwendungsweise und somit eine neuartige textuelle Organisation unserer Diskurse, sondern sie führen gerade auch zu einer zunehmenden Toleranz gegenüber bislang marginalisierten einzelsprachlichen Normen. In dieser Perspektive kommt einer Arbeit zu den italienischen Flugschriften des 16. Jahrhunderts nicht allein ein antiquarisches Interesse zu; vielmehr bildet sie auch eine Fallstudie zu den Auswirkungen einer nicht minder radikalen medientechnischen Revolution (der Einführung des Buchdrucks an der Schwelle zur Neuzeit) in einem eng umgrenzten kommunikativen Bereich. Das auf öffentliche Wirkung bedachte aktualitätsbezogene Schrifttum der Jahre 1500 bis 1550 erlaubt uns weitreichende Einblicke in die gattungsgeschichtlichen und sprachgeschichtlichen Wandlungsprozesse zu Beginn der typographischen Ära. Ein besonderes Interesse gilt dabei der Abgrenzung dieser Textsorte gegenüber dem sich neu konstituierenden literarischen System. Der Hegemonieanspruch des literarischen Diskursuniversums, seine nur selten in Zweifel gezogene Vorbildfunktion für den gesamten Bereich der öffentlichen Schriftlichkeit kristallisiert sich insgesamt als eine der herausragenden Charakteristiken einer Epoche heraus, die hier in ihren Anfängen modellhaft dargestellt wird und die sich, wie einige Beobachter befürchten (oder hoffen?), nunmehr ihrem Ende zuneigt. Am Ende dieser lungafatica möchte ich allen denjenigen meinen Dank abstatten, die die Entstehung dieser Arbeit ermöglicht und gefördert haben. Dem Personal der Bayerischen Staatsbibliothek, München, der Biblioteca Alessandrina, Rom, sowie vor allem der Biblioteca Trivulziana in Mailand bin ich für die unkomplizierte Hilfestellung bei der Materialbeschaffung verpflichtet. Meinen Lehrern, Kollegen und Freunden in Mainz und Heidelberg habe ich für viele wertvolle Ratschläge zu danken, allen voran Prof. Dr. Peter Koch, Prof. Dr. Jörn Albrecht und insbesondere Prof. Dr. Edgar Radtke, der mich auf die Thematik der italienischen Flugschriften hingewiesen hat und der mir jederzeit für klärende und aufmunternde Gespräche zur Verfügung stand. Heidelberg, im Februar 1996

Raymund Wilhelm

Inhaltsverzeichnis

I.

Gattungsgeschichte und Sprachgeschichte

i

1.

i

Pavia 1525 - Die Problemstellung

2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4.

II.

Textsorten und Gattungen Die Krise der Textsortenlinguistik Literarische und nicht-literarische Texttypen Der Beitrag der Gattungstheorie Eine Wende in der Textsortenlinguistik? - Für eine neue Bestimmung der Begriffe und 2.5. Die historische Dimension: Gattungen als Diskurstraditionen 2.6. Eine Präzisierung: Gattungen als identites diachroniques . . .

3 3 4 6

ii 14

3.

Gattungen und Sprachen

16

4. 4.1. 4.2. 4.3.

Methoden der historischen Gattungsbestimmung Textsortendefinition und Gattungsbeschreibung Die Gattungsnamen Ebenen der Gattungsbeschreibung

19 19 22 25

5.

Die Flugschriften zwischen Volkskultur und Literatur

28

8

Der Flugschriftenbegriff, die Flugschriftenforschung 1.

33

Der Terminus und seine italienischen Entsprechungen

33

2.

Flugschriften, pamphlets, pliegos sueltos, folhetos

35

3.

Italienische Flugschriften des 16. Jahrhunderts

39

4.

Definition der Textsorte Flugschrift

45

5.

Zur Repräsentativität des Textkorpus

47 VII

III.

IV.

Die italienischen Flugschriften des Cinquecento in ihren sozialgeschichtlichen Bezügen

50

1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4.

Die Produktion der Flugschriften Die Autoren Die Redakteure Die Drucker Die Öffentlichkeit der Flugschriften

51 51 55 57 6l

2. 2.1 2.2 2.3

Die Rezeption der Flugschriften Strategien der Vermittlung des gedruckten Wortes Die semi-orale Verbreitung durch den cantastorie Das Bild des Flugschriftenhändlers

63 63 65 68

3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5.

Die drucktechnische Form Zur Materialität der Kommunikation Die der Flugschriften Die mise en page Die Drucktypen Die Physiognomie der volkstümlichen Druckschrift

73 73 75 77 78 80

4.

Die Themen der Flugschriften

82

5. 5.1. 5.2. 5.3.

Die Gattungstraditionen der Flugschriften Sozialgeschichte, Gattungsgeschichte, Sprachgeschichte . . . . Chronologie und Geographie der Gattungen Von der historia zu dem avviso

85 85 87 90

Der paratextuelle Rahmen der Flugschriften

93

1.

Haupttext, Anhangstext, Paratext

93

2. 2. i. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5.

Formen und Funktionen des Flugschriftentitels Die Grundform des Flugschriftentitels Die Typisierung der Ereignisse Die Gattungszuweisung Die Benennung von Gattungsnormen Die Syntagmatik des Flugschriftentitels

95 96 97 100 107 109

3. Der fakultative Paratext 3.1. Paratextuelle Elemente der gelehrten Flugschriften 3.2. Das Kolophon

114 114 116

4.

120

VIII

Paratextuelle Gattungen und metakommunikativer Diskurs

V.

VI.

Flugschriften in ottava rima: die historia

123

1.

Zeitliche Distribution, materielle Form, Thematik

123

2.

Gattungsnamen und Gattungsbewußtsein

127

3. 3.1. 3.2. 3.3.

Textaufbau und Textgliederung. Die Funktion der Formeln . Die Makrostruktur des traditionellen cantare Mjrrar/o-Signale und Überleitungsformeln Textgliedernde Formeln als gattungsindizierende Signale . . .

130 130 131 134

4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4.

Mündlichkeit und Schriftlichkeit der historic Der formelhafte Stil Vom Hörer zum Leser Die Thematisierung der Textrezeption Von der semi-oralen zu der literalen historia

136 138 142 147 157

5. Intentionserklärungen 5.1. Metakommunikative Verben und Aussageabsicht 5.2. Gattungsnormen: Die Abgrenzung der historia von dem romanzo

158 158 164

6. 6.1. 6.2. 6.3. 6.4.

171 172 178 186 190

Die Literarisierung der Flugschriften in ottava rima Formen des Exordiums Literarische Modelle Die unsterblichkeitverleihende Macht der Dichtung Die literarischen Flugschriften in ottava rima

7. Vers und Prosa: Das Ende der Flugschrift in ottava rima . . . 7.1. Vers und Prosa , 7.2. Das Eindringen der Prosa in die Flugschriften in ottava rima

192 193 198

Flugschriften in Briefform: der avviso

205

1.

Zeitliche Distribution, materielle Form, Thematik

205

2.

Gattungsnamen: von der copia di una lettera zum avviso

Intentionserklärungen als gattungsindizierende Signale: Geschichte und Funktion des dare avviso 3.1. Vom dare avviso zur Gattung avviso 3.2. Die Motivation des dare avviso

...

208

3.

213 214 218

IX

VII.

4- Textaufbau und Textgliederung: die lettera 4.1. Die Briefform des avviso 4.2. Eröffnungs- und Schlußsignale der narratio

221 222 227

5. Vom Brief zur Flugschrift: die copia 5.1. Die Briefflugschrift als wiederverwendeter Text 5.2. Redaktionelle Eingriffe in den Flugschriftentext: Das Zeugnis der Paralleldrucke 5.3. Primäre Briefflugschriften: die Briefform als Fiktion

231 232 236 246

6. Die avvisi in der Vorgeschichte des Journalismus 6.1. Wege der Informationsübermittlung 6.2. Die Serialität der avvisi

250 251 255

7. 7.1. 7.2. 7.3.

260 260 262 267

Parodie und Imitation: die avvisi und die Literatur Der volkstümliche Charakter der Briefflugschriften Die Parodie des avviso Von der Briefflugschrift zum Briefroman

Die kleineren Gattungen im Bereich der Flugschrift

274

1. Vers und Prosa: der pronostico 1.1. Von der Versflugschrift zur Prosaflugschrift 1.2. Der pronostico

274 274 278

2. Besprechende Versflugschriften: die frottola-barzelletta . . . . 2.1. Die zyklisch-kumulative Textstruktur 2.2. Die frottola-barzelletta und die historia

281 282 285

3.

Die Elaboration volkstümlicher Gattungen durch Pietro Aretino: die eigentliche frottola

289

4. Formen der Gattungsinterferenz: der lamento 4. i. Der lamento im Spannungsfeld unterschiedlicher Gattungstraditionen 4.2. Gattungsinterferenzen in den volkstümlichen Versflugschriften

294

5. Literarische Versflugschriften: die canzone 5.1. Traditionalität und Intertextualität 5.2. Intertextuelle Bezüge und Gattungsreflexion in den canzoni

299 299 301

294 296

6. 6.1. 6.2. 6.3.

Vom Primärdiskurs zur Flugschrift: die orazione Die orazione als Flugschriftentyp Von der Rede zur Flugschrift Die Kommunikationssituation der orazione

307 307 309 311

7.

Polemische Prosaflugschriften: der dialogo

315

8.

Die Öffentlichkeit der Flugschriften: die epistola

319

9. 9.1. 9.2. 9.3.

Die Kürze der Flugschrift: der commentario Die brevitas als Formprinzip Der brieve commentario und die lunga historia Weitere Flugschriften in Traktatform: Aspekte der Gattungsmischung

325 325 326 332

VIII. Der metasprachliche Diskurs: Reflexionen über die Sprache der Flugschriften 1. Gattungsgeschichte als Grundlage der Sprachgeschichte 1.1. Ein Gattungsspektrum im Umbruch 1.2. Die einzelsprachliche Charakterisierung von Gattungstraditionen Die Festsetzung einer sprachlichen Norm im Bereich der Flugschriften 2.1. Abweichungen der Flugschriften von der Literatursprache 2.2. Die semplice lingua comune als die den Flugschriften angemessene Sprachform

336 ...

336 336 339

2.

.

3. Die Flugschriften und die Questione della lingua 3.1. Die Bedeutung der Questione della lingua für die Gebrauchsgattungen 3.2. Das Sprachmodell der lingua comune

IX.

Die semplice lingua comune und das scelto parlar toscano in der sprachlichen Praxis der Flugschriften Die Flugschriften in der italienischen Sprachgeschichte des frühen Cinquecento 1.1. Das nicht-literarische Italienisch 1.2. Die Verbmorphologie als Indikator sprachlicher Variation . .

341 341 348 352 353 358

365

i.

365 365 370

XI

2. 2.1. 2.2. 2.3.

Die mailändischen Flugschriften: Vers- und Prosasprache . . Die sprachliche Form der historie Die sprachliche Form der Prosaflugschriften Vers- und Prosasprache

385 385 392 394

3.

Von der volkstümlichen zu der gelehrten Versflugschrift: Die sprachliche Form der venezianischen historie 396 3.1. Die traditionelle Sprachform der volkstümlichen historie ... 397 3.2. Die Bedeutung der correttori im Bereich der historie 400 3.3. Volkstümliche und gelehrte historie 404 4.

X.

XII

Die volkstümlichen Prosaflugschriften: Die sprachliche Form der römischen avvisi

407

5. Die semplice lingua comune: Projektion oder Realität? . . . . 5.1. Metasprachlicher Diskurs und sprachliche Praxis 5.2. Gian Giorgio Trissino als Grammatiker und als Flugschriftenautor 5.3. Die semplice lingua comune in der sprachlichen Realität des frühen Cinquecento

421

Die der semplice lingua comune: Die Syntax der historie und die Syntax der avvisi

427

1. Die sprachliche Einfachheit der Flugschriften 1.1. Die semplicita efacilita diparole e fräse 1.2. Die semplice lingua und das scelto parlare

427 427 431

2. Von der volkstümlichen zu der gelehrten historia 2.1. Die semi-orale Flugschrift in den ersten Jahren des Cinquecento 2.2. Die volkstümlichen historie im ersten Drittel des Jahrhunderts 2.3. Die historie der dreißiger und vierziger Jahre: Die historia des poligrafo und die literarische historia

437

462

3. Die volkstümlichen avvisi 3.1. Sprechsprachliche Syntax und latinisierende Konstruktionen 3.2. Die volkstümlichen historie und die volkstümlichen avvisi . . 3.3. & Accusativus cum Infinitivo und die semplice lingua . . . .

475 476 481 486

4.

491

Die traditionelle Sprachform der historie und der avvisi . . . .

412 412 417

437 450

XI.

XII.

Die Flugschriften und die Literatur Die Flugschriften und die Literatursprache

493

1.

Literatur und Literatursprache

493

2.

Die Flugschriften und die Literatur

500

3.

Die Flugschriften und die Literatursprache

508

4.

Die Traditionalität der Gebrauchstexte

516

Das Textkorpus

520

1.

Italienische Flugschriften 1500-1550

520

2.

Italienische Flugschriften des Quattrocento

541

3.

Italienische Flugschriften nach 1550

542

4.

Flugschriftenähnliche Texte

543

XIII. Bibliographie

544

1.

Zitierte Textausgaben

544

2.

Studien

545

XIV. Illustrationen

565

XV.

Register

599

1.

599

Sachwortverzeichnis

2. Autoren- und Textverzeichnis 2.1. Primärtexte 2.2. Forschungsliteratur

604 604 610

XIII

I. Gattungsgeschichte und Sprachgeschichte

i.

Pa via 1525 - Die Problemstellung

Am 24. Februar 1525 - «il medesimo di natale di Cesare», wie Guicciardini betont (Storia, p. 1758) - besiegt das Heer Karls V. die französischen Truppen vor Pavia. Franz I. und mit ihm «die Blüte der französischen Ritterschaft» (Brandi [1937]: 184) werden gefangengenommen. Am darauffolgenden Tag sendet der päpstliche Nuntius Bernardino Castellazo einen detaillierten Bericht der Ereignisse, die als die in die Geschichte eingehen werden, an den Datar Clemens' VII., Gian Matteo Giberti. Innerhalb weniger Tage oder Wochen erscheint der Brief als gedrucktes Heftchen, wahrscheinlich bei Francesco Minizio Calvo in Rom (Castellazo 1525)'. Noch im selben Jahr werden die Historla verissima de la memorabile Guerra de Paula eines gewissen Francesco Mantovano und der anonyme Assedio di Pavia publiziert. Diese beiden Dichtungen in ottava rima erfahren nach ihrer Erstveröffentlichung jeweils noch einen oder mehrere Nachdrucke2. Schriften wie die genannten Berichte und Stellungnahmen zu der Schlacht bei Pavia, die von den Zeitgenossen meist als historic oder avvisi bezeichnet werden, lassen sich hier unter dem Flugschriftenbegriff zusammenfassen. Als Flugschrift gilt somit ein Text, der sich auf aktuelle Ereignisse bezieht, öffentlich zugänglich, d.h. käuflich zu erwerben ist und in Form eines gedruckten Heftes Verbreitung findet (s.u. 11.4.). Diese oftmals nur zwei oder vier Blätter umfassenden Druckschriften, die in der Forschung bislang nur wenig Beachtung gefunden haben, können z.T. völlig neue Einblicke in die Prozesse der Informationsübermittlung in der frühen Neuzeit vermitteln. In der Flugschrift wird aktuelles Geschehen in eine auch breiteren Bevölkerungsgruppen zugängliche sprachliche und textuelle Form gebracht. In diesen Texten begegnen sich gelehrte und volkstümliche Traditionen. Die aufstrebende Druckindustrie greift auf mittelalterliche Formen des Nachrichtenwesens zurück und trägt somit erstmals zur Herausbildung eines schriftlichen Massenmediums bei. Die italienischen Flugschriften des Cinquecento bilden einen vielversprechenden Untersuchungsgegenstand für Zur Identifikation des Druckers dieser Flugschrift mit F. Calvo da Menaggio s.u. 111.1.3. Die Flugschriften des zugrundegelegten Korpus werden immer nach den unter XII. aufgeführten Abkürzungen zitiert. Vgl. Mantovano (nach) 1525 und Assedio nach 1530; vgl. GOR 1989,1, RB I, 153-159.

so unterschiedliche Disziplinen wie die Sprach- und die Literaturgeschichte, die Mentalitätsgeschichte und die Pressegeschichte, die Buchgeschichte und die Geschichte des Lesens. Die sozialgeschichtliche Einordnung dieser Schriften bleibt jedoch ein Desiderat, sie kann hier allenfalls in Ansätzen geleistet werden. Ausgangspunkt der philologischen Arbeit sind vielmehr die Texte selbst und die spezifischen Traditionen, in denen sie stehen. Hierbei sind grundsätzlich zwei Fragestellungen zu unterscheiden. Einerseits kann man die verschiedenen Textgattungen beschreiben, die als Flugschriften verbreitet werden. In dieser Perspektive ist etwa das Verhältnis zwischen dem Brief, der Dichtung in ottava rima und weiteren textuellen Formen im Medium der Flugschrift nachzuzeichnen: Die Flugschrift stellt einen Ausschnitt aus dem Gattungsspektrum der Epoche dar. Andererseits kann man der Frage nachgehen, auf welche Sprachformen die Flugschriftenautoren bei der Abfassung ihrer Texte zurückgreifen. Insbesondere werden hierbei die möglichen Beziehungen zu der zeitgenössischen Questione della lingua aufzuspüren sein: In dieser Hinsicht repräsentiert die Flugschrift einen Ausschnitt aus dem Varietätengefüge des Italienischen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Eine methodische Grundannahme dieser Arbeit liegt in der Hypothese, daß eine gattungsgeschichtliche Einordnung der Flugschriften ihrer sprachgeschichtlichen Bewertung vorauszugehen hat. Somit wird hier ein Ansatz vertreten, der in der Texttypengeschichte die Grundlage für eine differenzierte Betrachtung sprachgeschichtlicher Prozesse sieht. Dabei wird die Geschichte der Texttypen oder Gattungen (die Begriffe sind im folgenden zu klären) jedoch nicht schlichtweg mit der Sprachgeschichte identifiziert. Vielmehr läßt sich die Texttypengeschichte nur dann für die Sprachgeschichtsschreibung fruchtbar machen, wenn sie als ein eigenständiger Untersuchungsgegenstand im Rahmen der historischen Sprachwissenschaft betrachtet wird. Im folgenden soll zunächst das hier vertretene Modell einer Texttypengeschichte dargelegt werden, das insbesondere die Integration der aus unterschiedlichen Forschungsrichtungen stammenden Begriffe der Textsorte und der Gattung ermöglichen möchte (s.u. 2.). In einem zweiten Schritt kann das Verhältnis von und Sprachgeschichte präzisiert werden (3.). Die Skizzierung der hier angewandten Methoden der Gattungsbestimmung (4.) erlaubt sodann einen ersten Ausblick auf die historische Situierung der untersuchten Texte (5.). Die unter dem Flugschriftenbegriff zusammengefaßten Gebrauchsgattungen und die in ihnen verwendeten Sprachformen sind dabei nicht zuletzt auch in Abgrenzung von den entsprechenden literarischen Gattungstraditionen und von der seit dem Erscheinen von Pietro Bembos Prose della volgar lingua im Jahre 1525 verbindlich normierten Literatursprache näher zu charakterisieren.

2.

Textsorten und Gattungen

2. i. Die Krise der Textsortenlinguistik Obwohl sich eine «Linguistik der Textarten» bereits seit geraumer Zeit als eine anerkannte Fragestellung der Textlinguistik etablieren konnte (Coseriu in Stempel 1971:190)-^, wurden in diesem Bereich bislang nur teilweise befriedigende Ergebnisse erzielt. E.Gülich (1986:16) führt «die skeptische Einschätzung des Forschungserfolgs der bisherigen Textsortenlinguistik [...] aufgrundlegende Defizite sowohl in methodologischer als auch in empirischer Hinsicht zurück». In ähnlicher Weise werfen Heinemann/Viehweger (1991:133; 143) den textlinguistischen Typologisierungsversuchen einerseits «methodologische[...] Fehleinschätzungen» und andererseits die weitgehende Vernachlässigung empirischer Untersuchungen vor. In methodologischer Hinsicht ist vor allem zu beklagen, daß sich bislang «nur wenige Autoren» mit der Frage befaßt haben, «was überhaupt eine Typologie ist» (Gülich 1986:16). Erst nach zwei Jahrzehnten der wird verstärkt die «Frage nach dem Status von Textsorten» (Wilske 1988:246) gestellt. Die genannten empirischen Defizite dagegen betreffen in erster Linie die Rolle der Textsorten in der Kommunikationspraxis. Bisher ist noch sehr wenig darüber bekannt «wie Kommunikationsteilnehmer sich in ihrer kommunikativen Praxis an Textsorten orientieren» (Gülich 1986: ig)4. Eine weitere Ursache für das in den letzten Jahren verstärkt ins Bewußtsein tretende Ungenügen des textsortenlinguistischen Ansatzes ist jedoch auch in der weitgehenden Vernachlässigung der Geschichtlichkeit der Textsorten zu sehen. Erst in jüngster Zeit wird verstärkt berücksichtigt, daß es sich bei den um «historisch-wandelbare Regelkomplexe» handelt (Koch: Schriftlichkeit 1992:11), die somit überhaupt nur in einer historischen Perspektive angemessen beschrieben werden können. Der historische Aspekt fehlt fast völlig in den bisherigen Bemühungen um eine linguistische Bestimmung von Textsorten5. Einen Ausweg aus der hier nur sehr schematisch dargestellten der Textsortenlinguistik könnten nun einerseits die kritische Diskussion der literaturwissenschaftlichen Gattungstheorie und andererseits der Rückgriff auf die von Eugenio Coseriu angeregten Überlegungen zu dem Verhältnis von Einzelsprachen und Text- oder Diskurstraditionen eröffnen. In der Tat wird oft übersehen, daß die von der Gattungstheorie diskutierten Fragestellungen zu einem er-

3

4 5

Auf «die Notwendigkeit einer Textklassifikation» wurde schon in den sechziger Jahren hingewiesen; cf. Isenberg 1983:303; vgl. auch de Beaugrande 1990:175. Vgl. jedoch unten 2.4. Vgl. die Forschungsüberblicke in Dimter 1981:5-27; Gülich 1986:15-17; SchliebenLange 1988:12095.; Heinemann/Viehweger 1991:129-145; Vater 1992:159-173; Rolf 1993:81-124. - Eine stärkere Berücksichtigung der «Evolution von Textsorten» fordert de Beaugrande 1990:186.

heblichen Teil mit den Problemen der Textsortenlinguistik identisch sind. Ein Dialog zwischen den beiden Disziplinen6 könnte jedoch zur Erarbeitung eines Modells der Texttypologie und Texttypengeschichte führen, das für die Sprachund Literaturwissenschaft gleichermaßen Gültigkeit besitzt. Wichtige Voraussetzungen eines solchen Texttypenbegriffs sind dabei bereits in Coserius Entwurf einer Textlinguistik enthalten, die geradezu «mit der Theorie und der Erforschung der Textsorten und der Gattungen» zusammenfällt, bzw. diese «umfaßt» (Coseriu 2 i98i: 152). 2.2. Literarische und nicht-literarische Texttypen Während sich die Textsortenlinguistik als eine relativ neue Forschungsrichtung begreift, kann sich die literaturwissenschaftliche auf eine lange Tradition berufen. Als «pere fondateur» dieser Disziplin wird dabei kein geringerer als Aristoteles beansprucht (Schaeffer 1989: io)7. Zweifellos könnte jedoch auch die linguistische Texttypologie nach möglichen Ausschau halten und (wie etwa Berruto 1981:29) ebenfalls Aristoteles als «il primo », als den ersten , apostrophieren. In einer solchen wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive könnten sodann die (teilweise) gemeinsamen Ursprünge von Gattungstheorie und Textsortenlinguistik aufgezeigt werden8. Von größerer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang jedoch der Hinweis auf die wiederholt vorgetragene These von einer «Konvergenz von sprach- und literaturwissenschaftlicher Forschung» im Bereich der Texttypologie (Lämmert 1977: VI). Diese 9 dürfte jedoch ohne praktische Konsequenzen bleiben, solange sich Sprach- und Literaturwissenschaft nicht auf einen einheitlichen Texttypenbegriff verständigen können. Eine umfassende Übersicht, die die verschiedenen sprach- und literaturwissenschaftlichen Ansätze einer Texttypologie miteinander in Beziehung setzen und bewerten würde, wurde seit Hempfers Gattungstheorie (1973) jedoch nicht mehr versucht10. Folglich werden der Gattungs- und der Textsortenbegriff nach wie vor oftmals für inkompatibel gehalten. Jauß (1977:36) lehnt die Verwendung des Text-

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Während sich W.Raible 1980:339 vor einigen Jahren fragte, ob «die literarische Gattungslehre in irgendeiner Krise stecken und Hilfe von einer Textsortenlehre erwarten» sollte, könnte heute möglicherweise gerade eine kritische Rezeption der literatunvissenschaftlichen Forschung der neue Impulse geben. Zur literaturwissenschaftlichen Gattungstheorie insgesamt vgl. v. a. die kritische Diskussion in Hempfer 1973; Schnur-Wellpott 1983; Segre 1985; Kuon 1988:2375.; Verweyen 1989:263-268. Auf die rhetorische Tradition einer Beschreibung «der idealen Textgattungen, der «Textsorten»» weist etwa Coseriu 2i d'un texte dont l'auteur implicite, ä l'instant present, importe peu». Die Interaktion zwischen dem cantastorie und seinem Publikum wird nun in besonderer Weise bei dem Verkauf der Flugschriften anschaulich. Der Erwerb des gedruckten Heftchens ist die des Zuhörers auf den Vortrag des Sängers. Diese Verschränkung der Darbietung und des Vertriebs von Druckschriften macht im eigentlichen Sinne die Semi-Oralität der Flugschriften aus. Sie wurde bereits anhand von außerhalb der Flugschriftentexte selbst liegenden Zeugnissen dargestellt (s.o. III.2.2.). Hier soll nun untersucht werden, inwieweit diese vor allem für die ersten zwei Jahrzehnte des Cinquecento belegte Verkaufssituation in den Texten selbst thematisiert wird. Besonders die Schlußteile dieser Dichtungen enthalten dabei in ihrer Hinwendung an das Publikum wertvolle Aufschlüsse über die Modalitäten ihrer Rezeption32. 4.3.1. Viele der hier untersuchten historic schließen mit einem Ausdruck des Typs für den Parteienstreit nutzbar zu machen. Der commentario, dem die längsten der hier untersuchten Schriften zuzurechnen sind, erlaubt es schließlich, bei dem Problem der der Flugschrift von einer nur quantitativen zu einer qualitativen Bewertung der brevitas zu gelangen. Die hier angesprochenen Themen - Vers vs. Prosa, besprechende vs. erzählende Texte, volkstümliche vs. gelehrte Flugschriften, Kürze vs. Länge - verweisen auf wesentliche Kriterien, die auch bei der Analyse der historie und avvisi bestimmend waren. Die Darstellung der neun kleineren Gattungen im Bereich

Diese neun Gattungen stellen keineswegs ein vollständiges Inventar der neben der historia und dem avviso als Flugschriften verwendeten textuellen Formen dar. Allerdings können sie bereits die große Formenvielfalt im Bereich der hier untersuchten Textsorte illustrieren. Einen weiteren, in dem zugrunde gelegten Korpus nicht dokumentierten Flugschriftentyp bildet etwa die im frühen Cinquecento beliebte Gattung des capitolo (s.u.3.). 275

der Textsorte Flugschrift verfolgt somit eine doppelte Zielsetzung: Zum einen soll die Formenvielfalt im Bereich der definierten Textsorte dokumentiert werden; hierdurch kann ein getreueres Bild der kommunikativen Realität des frühen Cinquecento vermittelt werden als durch die alleinige Konzentration auf die beiden Leitgattungen historia und avviso. Zum zweiten dient der Vergleich mit den Gattungen pronostico, frottola-barzelletta, epistola, commentario usw. auch dazu, die Charakteristiken der Gattungen historia und avviso noch deutlicher hervortreten zu lassen und ihre insgesamt einsichtiger zu machen. Dabei wird insbesondere deutlich werden, daß die Geschichte einer Einzelgattung nur im Rahmen des sie umgebenden Gattungsspektrums angemessen zu beschreiben ist. Auf die textexterne Einordnung der Flugschriften kann dagegen auch hier nur am Rande eingegangen werden. Einen besonderen Hinweis verdient dabei das antivenezianische Propagandaschrifttum zur Zeit der Liga von Cambrai. Zehn der 32 hier zu besprechenden Texte sind dieser thematisch und intentional relativ einheitlichen Gruppe von Flugschriften zuzurechnen: ein pronostico (Pronostico 1510), sechs frottole-barzellette (Bighignol 1509; Barzeleta ca. 1510; Frotola nemici ca. 1510; Frottolla papeschi ca. 1510; Frotula rouina ca. 1510; Triumpho ca. 1510), ein lamento (Lamento 1509), eine eigentliche frottola (Sermone ca. 1510) und eine epistola (Giulio II [nach] 1509). Zu ergänzen wäre Bighignol 1510 aus dem Bereich der Flugschriften in ottava rima. Diese in gattungsgeschichtlicher Hinsicht sehr unterschiedlichen Schriften der Jahre 1509/1510 gehorchen einer einheitlichen politischen Wirkungsabsicht. Es handelt sich hierbei um eine gezielte antivenezianische Flugschriftenkampagne2. Die Verwendung der verschiedenen Vers- und Prosagattungen im Dienste eines spezifischen politisch-publizistischen Zwecks belegt die enge Verbindung zwischen den Einzelgattungen, von der epistola bis zu dem lamento und der frottola-barzelletta, von dem pronostico und der eigentlichen frottola bis zur historia. Man kann hier eine Bestätigung für die historische Angemessenheit eines weitgefaßten Flugschriftenbegriffs sehen, der sowohl Prosa- als auch Verstexte, sowohl besprechende als auch erzählende Texte einschließt (s.o. 11.4.). 1.1.2. Die Opposition Vers/Prosa wird von den Verfassern der untersuchten Flugschriften z.T. in sehr pointierter Form zum Ausdruck gebracht: E uno dir in prosa, et altro in uersi, heißt es bei Albicante (1549, XCIVj). Die Unterscheidung

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Die tatsächliche Wirkung dieser Texte, ihre Rolle in den Auseinandersetzungen zwischen der Liga von Cambrai und der venezianischen Republik, kann hier nicht diskutiert werden. Die politische Funktion dieses Schrifttums muß fast völlig außerhalb des hier verfolgten Untersuchungsinteresses bleiben: In dieser Arbeit geht es in erster Linie um die textuelle und sprachliche Form der Schriften, um ihre , nicht um ihren Einfluß auf die Ereignisgeschichte. - Eine detaillierte Darstellung der kriegerischen Ereignisse der Jahre 1509/1510 findet sich etwa in dem Libra ottavo von Guicciardinis Storia d'Italia. 276

zwischen Versflugschriften und Prosaflugschriften stellt somit nicht etwa eine nachträgliche Klassifikation im Sinne einer Textsortendifferenzierung dar, sondern sie entspricht der Wahrnehmung der Flugschriftenautoren selbst. Die Begriffe verso und prosa reflektieren eine bereits im Cinquecento vorgenommene Unterteilung der Textsorte Flugschrift. Die meisten Einzelgattungen im Innern der untersuchten Textsorte lassen sich dabei den mit verso und prosa bezeichneten Diskurstraditionen eindeutig zuordnen. Dem Bereich des verso entsprechen die historia, die frottola-barzelletta, die eigentliche frottola, der lamento und die canzone; dem Bereich der prosa gehören der avviso, die orazione, der dialogo, die epistola und der commentario an. Als einziger Flugschriftentyp ist der pronostico indifferent gegenüber der Opposition Vers/Prosa: Während der anonyme Pronostico 1510 in Versen abgefaßt ist, bedienen sich Pietro Bono Avogaro (1496/1497) und Pietro Aretino (Pronostico 1534) in ihren Texten der Prosa. Die Gattung pronostico erweist sich somit für eine Untersuchung der Verwendung von Vers und Prosa in der Textsorte Flugschrift als besonders aufschlußreich. Die jeweilige Funktion von Vers und Prosa kann dabei nicht ohne weiteres mit ihrer heutigen Funktion identifiziert werden. Insbesondere ist die Verknüpfung des aktualitätsbezogenen Schrifttums mit der Prosaform keineswegs als notwendige oder universelle Gegebenheit zu betrachten. Ebensowenig darf die Versform zu Beginn des 16. Jahrhunderts in jedem Fall als ein Erkennungszeichen literarischer Werke verstanden werden. Die funktionelle Differenzierung von Vers und Prosa ist in unterschiedlichen kulturellen Kontexten oftmals auf sehr unterschiedliche Weise geregelt (s.o. V.y.i.). Wesentliche Hinweise vermittelt bereits die zeitliche Distribution der 32 Vers- und Prosaflugschriften. Nicht zuletzt lassen sich dabei die anhand der beiden Leitgattungen historia und avviso gewonnenen Ergebnisse bestätigen. Während sich die volkstümlichen Versgattungen frottola-barzelletta, lamento und frottola auf die ersten zwei Jahrzehnte des Cinquecento beschränken, stammt die Mehrzahl der orazioni, dialoghi und commentari aus den dreißiger und vierziger Jahren. Wiederum wird somit die Bedeutung der Mitte der zwanziger Jahre des Cinquecento deutlich: Sämtliche 15 Versflugschriften stammen aus der Zeit bis 1524/1525, 14 der 17 Prosaflugschriften aus der Zeit ab 1524. Ohne dieses Ergebnis über Gebühr verallgemeinern zu wollen, ist eine Tendenz unverkennbar: Der Dominanz der Versflugschriften in den ersten zwei Jahrzehnten des Cinquecento steht eine Dominanz der Prosaflugschriften in den dreißiger und vierziger Jahren gegenüber. Die Distribution der Gattungen in der Textsorte Flugschrift entspricht somit sehr genau der aufgrund eines weit umfangreicheren Datenmaterials skizzierten zeitlichen Distribution der Flugschriften in ottava rima und der Briefflugschriften (s.o. V.l.; VI.i.). Das Verhältnis zwischen historia und avviso ordnet sich in den weiteren Rahmen der Opposition zwischen Vers- und Prosaflugschriften ein. Die sich klar abzeichnende Entwicklung von der Versflugschrift zur Prosaflugschrift läßt sich einerseits mit einer gewandelten Rezeptionsform der Flug277

Schriften in Verbindung bringen. Eine die Versform privilegierende semi-orale Aufführungsform - die sowohl für die historia (s.o. ¥.4.) als auch für diefrottolabarzelletta nachweisbar ist (s.u. 2.2.2.) - weicht der individuellen oder gemeinschaftlichen Lektüre. Parallel zu dieser der Flugschrift kommt es zu einer Neubestimmung der Funktion des Verses im Rahmen der hier definierten Textsorte. In den ersten zwei Jahrzehnten des Cinquecento besitzt die oft mündlich vermittelte Versflugschrift einen meist volkstümlichen Charakter, während die (wenigen) Prosaflugschriften in der Regel einen höheren Bildungsgrad des Adressaten voraussetzen. Nach etwa 1525 jedoch wird der Vers in immer stärkerem Maße als ästhetische Qualität verstanden und impliziert einen literarischen Anspruch. Die volkstümliche, praktisch ausgerichtete Flugschrift zeigt somit seit den dreißiger Jahren eine immer deutlichere Präferenz für die Prosa. Bis etwa zum Jahre 1525 ist die Versflugschrift gewöhnlich als , die Prosaflugschrift als zu bezeichnen. Seit den dreißiger Jahren dagegen lassen sich deutlich volkstümliche und gelehrte Texte im Bereich der Prosaflugschriften unterscheiden. Der Vers, als eine nunmehr literarische Form, kommt dagegen für die rein praktisch ausgerichtete Flugschrift immer weniger in Betracht. Die Versflugschriften tendieren jetzt eindeutig zur Literatur. 1.2. Der pronostico Der pronostico stellt eine bezüglich der Redeform besonders Gattung dar. Er kann sich nicht nur unterschiedlicher Metren, sondern auch der Prosa bedienen. Während die auf die Versform festgelegten Flugschriftentypen (wie die historia oder die frottola-barzelletta) seit den zwanziger Jahren des Cinquecento insgesamt dem im Medium der Flugschrift zu konstatierenden Funktionswandel des Verses unterworfen sind und unweigerlich zur Literatur tendieren oder aufgegeben werden, besitzt der pronostico die Möglichkeit, entsprechend seiner jeweiligen Redeabsicht und des jeweils intendierten Adressatenkreises, zwischen Vers und Prosa zu wählen. Die Gattung pronostico wird somit für eine Funktionsbestimmung von Vers und Prosa innerhalb der Textsorte Flugschrift besonders interessant. Bei den pronostici handelt es sich um jeweils zu Jahresbeginn veröffentlichte Horoskope, die politische Entwicklungen, Kriegsereignisse, Krankheiten, klimatische Bedingungen usw. für das neue Jahr voraussagen3. Am Ende des Quattrocento und in den ersten Jahrzehnten des Cinquecento werden zahlreiche Texte dieser Art in Form von Flugschriften verbreitet. Die Autoren der pronostici sind z.T. bedeutende Astrologen und Astronomen der Zeit, z.T. handelt es sich um 3

Zu den pronostici vgl. Luzio 1888/1981:5-9; Luzio i90o:IX-XLI;Fava i93o;Cantimori 1957; Hösle 1969:57-65; Quondam 1983:6085.; Chastel 1984:106-120; Biondi 1986; Vasoli 1988. - Zu den astrologischen Flugschriften im deutschen Sprachraum vgl. Schottenloher 2i985:191-196; Talkenberger 1990. 278

, um «ciurmatori, ehe speculavano sulla credulitä popolare» (Fava 1930:128). Oftmals erscheinen die Texte in zwei Versionen: einer lateinischen für die Gebildeten und einer volkssprachlichen (in Versen oder in Prosa) für das breite Publikum. Angesichts der großen Bedeutung, die der Astrologie in der italienischen Renaissance zukommt, werden die meist kurzen, kaum mehr als vier bis zwölf Blätter umfassenden Schriften zu einem beliebten Mittel der politischen und religiösen Propaganda. Seit der Mitte der zwanziger Jahre des Cinquecento bedient sich auch Pietro Aretino wiederholt des pronostico, der ihm als ein geeignetes «Instrument für seine Attacken» erscheint (Hösle 1969:57). Das hier zugrunde gelegte Textkorpus italienischer Flugschriften der Jahre 1500 bis 1550 enthält zunächst nur einen Text dieser Art, die anonyme, acht Blätter umfassende Versdichtung Pronostico e profecia de le cose debeno succedere giiralmente maxime de le guere comentiate per magni potentati contra Venetiani (1510), die dem antivenezianischen Propagandaschrifttum der Jahre 1509/1510 zuzurechnen ist. In dem aggressiven Ton ähnelt der Pronostico 1510 insbesondere dem Sermone de lira de dio Contra venetiani (ca. 1510). Auch die kunstlose metrische Gestaltung - es handelt sich um mehr als 900 meist paarig gereimte Verse unterschiedlicher Länge - erinnert an gewisse Formen derfrottola (s. u. 3.). Der Rückgriff auf eine Flugschrift vom Ende des Quattrocento (Avogaro 14967 I497)4 und auf einen allerdings nur handschriftlich überlieferten pronostico von Pietro Aretino (Pronostico I534)5 ermöglicht es, die wesentlichen Charakteristiken dieser Gatttung in ihren Grundzügen herauszuarbeiten. Der in allen drei Schriften bereits im Titel verwendete Gattungsname pronostico erlaubt eine eindeutige Zuordnung zu einer gemeinsamen Gattung. Die meist durch Zwischenüberschriften hervorgehobene Unterteilung des Textes in oftmals sehr kurze Kapitel kann als ein typisches Merkmal dieser Gattung gelten (cf. Luzio 1888/1981:5; Fava 1930:128). In dem Pronostico 1510 lassen sich neben dem Prooemium insgesamt 51 solcher Kapitel unterscheiden. Auf De Julio secodo (3r) folgen De Imperatore, De Rege Francorum, De Rege hispanorum und de maumento (4r~5r). Mit De Venetos (5v) beginnt die Reihe der den italienischen Mächten gewidmeten Abschnitte. Darauf folgt eine große Zahl von Kapiteln über einzelne Kardinale (6r-yv). Der Text schließt mit Themen allgemeinen Charakters (De Infirmitate, Dela Guerra, DelRecolte, yv-8r) und klimatischen Voraussagen für die einzelnen Monate (8r-8v). Jedes neue Kapitel wird dabei durch einen drucktechnisch hervorgehobenen Absatz und durch das die

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Pietro Bono Avogaro lehrt als berühmter Wissenschaftler seiner Zeit an dem Studium von Ferrara und veröffentlicht zwischen 1477 und 1501 fast jährlich einen pronostico^ vgl. Fava 1930:126; Biondi 1986:415.; Vasoli 1988:3455. Pietro Aretino hat sich offenbar mindestens fünfmal der Gattung pronostico bedient (Romano 1989:282). Dabei dürfte zumindest der Pronostico 1534, in dem Aretino seine «Fähigkeit, sich zum Sprachrohr der öffentlichen Meinung aufzuwerfen», eindrucksvoll unter Beweis stellt (Hösle 1969:64), «in forma d'opuscolo», d.h. als Flugschrift verbreitet worden sein (Luzio 1900: XV). 279

neue Thematik einleitende De signalisiert. Eine Verknüpfung der Einzelkapitel untereinander wird jedoch sprachlich kaum geleistet. Das Verfahren der Textkonstitution erinnert an die von P. Koch beschriebene 6. Die Einheit des Textes wird weder durch eine narrative Ordnung (wie in der historia) noch durch einen argumentativ-fortschreitenden Aufbau (wie in der canzone) gewährleistet. Der Textzusammenhang ist vielmehr gerade durch die Insistenz auf der den Text hervorbringenden Autorinstanz garantiert. Als hervorstechendes Charakteristikum der pronostici kann in der Tat das hohe Maß an Autoreflexivität gelten, das diese Texte auszeichnet. Während in den meisten übrigen Flugschriftentypen nur vereinzelt gattungsmäßige Konstanten thematisiert werden, steht die Grundlage des pronostico, der Wert astrologischer Voraussagen, in allen vorliegenden Texten dieser Gattung zur Diskussion. Die Selbstrechtfertigung des Astrologen und des von ihm verbreiteten Textes scheint eine gattungstypische Argumentationsfigur darzustellen. Es ist nicht auszuschließen, daß gerade auch diese traditionelle Autoreflexivität des pronostico die Gattung für Pietro Aretino besonders interessant macht, der sie unter anderem auch als ein wirkungsvolles Mittel der Selbstdarstellung weiterentwickelt (vgl. nur den letzten Abschnitt des Pronostico 1534: Del Flagello dei Principi; s.u. 3.). Vor allem sind die drei pronostici hier jedoch wegen der Verwendung von Vers und Prosa bemerkenswert. Die anonyme, auf Breitenwirkung bedachte Propagandaschrift des Jahres 1510 ist, wie die meisten antivenezianischen Flugschriften der Jahre 1509/1510, in der volkstümlichen Versform abgefaßt. Die gelehrte Flugschrift des Universitätslehrers Pietro Bono Avogaro greift dagegen bereits um die Jahreswende 1496/1497 auf die Prosa zurück. Pietro Aretino schließlich bedient sich für seine seit 1527 entstehenden pronostici (cf. Romano 1989:282) selbstverständlich der Prosa. Die drei Texte illustrieren somit auf exemplarische Weise die skizzierte Distribution der Vers- und Prosaflugschriften. Bis ins zweite Jahrzehnt des Cinquecento hinein sind der aktuelle Wirklichkeitsbericht und die politische Satire sowohl in Versen als auch in Prosa möglich und üblich. Dabei ist die Versform (Pronostico 1510) volkstümlicher als die Prosa (Avogaro 1496/1497). Seit etwa 1525 und insbesondere seit den dreißiger Jahren jedoch ist die praktisch ausgerichtete Behandlung aktueller Stoffe mit dem Ziel der Beeinflussung der öffentlichen Meinung> fast ausschließlich an die Prosa gebunden (Aretino: Pronostico 1534). Die Prosa wird volkstümlich, während die Versform zur Literatur tendiert. In den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts kommt es zu einer völligen Neubewertung der Opposition Vers/Prosa im Bereich der Textsorte Flugschrift. Die nunmehr unzweifelhaft Konnotation der Versform stellt einen der wesentlichen Aspekte jener «costituzione del sistema letterario» (Quondam: Tipografia 1989: i) dar, die in der Zeit 6

Vgl. Koch: Kaufmanns brief 1988:38-41; zur Signalisierung eines neuen Abschnitts dient in den mittelalterlichen Kaufmannsbriefen oftmals «eine explizite Themaangabe mit di + bestimmtem Artikel» (ibid., p.39). 280

nach 1525 parallel zu der Durchsetzung einer einheitlichen Literatursprache erfolgt.

2.

Besprechende Versflugschriften: die frottola-barzelletta

Drei frühe Versflugschriften des untersuchten Textkorpus werden im Titel als frottola bezeichnet (Frotola nemici 1510; Froüolla papeschi ca. 1510; Frotula rouina ca. 1510). Für zwei weitere Schriften erscheint der Terminus barzelletta als Gattungsname (Barzeleta ca. 1510; Barzelette ca. 1513). Die beiden Bezeichnungen verweisen auf dieselbe Gattung: ist ein vor allem in Norditalien gebräuchliches Synonym von frottola. Elwert (1973, §91) charakterisiert diese, zur besseren Unterscheidung von der eigentlichen frottola (s. u. 3.) auch als/roitola-barzelletla bezeichnete Gattung als eine «ballata a carattere popolare». Derselben Gattung gehören noch drei weitere Texte an, die andere Gattungsnamen aufweisen. Die Bezeichnung historia (Historia [nach] 1503) läßt sich aus dem relativ großen Raum erklären, den hier die Erzählung einnimmt; diese Dichtung nähert sich insbesondere den Flugschriften in ottava rima an. Der Bezeichnung istorieta im Titel der Flugschrift von Bighignol (1509) entspricht dagegen kein erzählender Text7. In Triumpho (ca. 1510) fehlt ein eigentlicher Gattungsname. Die Gattung frottola-barzelletta erscheint in dem zugrunde gelegten Korpus als der dominierende Texttyp im Bereich der Versflugschriften. Die acht Schriften des Jahrzehnts 1503 bis 1513, die ganz oder teilweise von einer oder mehreren frottole-barzellette gebildet werden, dokumentieren einen deutlich charakterisierten Flugschriftentyp. Auf ein ausgeprägtes Gattungsbewußtsein verweist die Tatsache, daß fünf der acht Schriften den Gattungsnamen frottola bzw. barzelletta im Titel führen. Allerdings läßt sich auch hier die mehrfach herausgestellte Vagheit der Gattungsbezeichnungen konstatieren. Auffällig ist bereits die offenbar beliebige Verwendung der Bezeichnungen frottola und barzelletta. Dabei kann in der ersten Hälfte des Cinquecento zugleich eine formal sehr anders geartete Gattung bezeichnen (s.u. 3.). In einem Fall dient sogar der Terminus canzone, der hier allerdings generisch, im Sinne von , zu verstehen ist und nicht auf die Kanzonenform verweist, zur Bezeichnung einer frottola-barzelletta. So ist die dritte der (insgesamt vier) im Titel angekündigten barzellette in der Flugschrift zum Tod von Papst Julius II. mit «Canzone Delia fede» überschrieben (Barzelette ca. 1513, 2r). Trotz dieser Unscharfen in der .Gattungsbenennung erlauben es die acht Schriften, die mit den Termini frottola und barzelletta verknüpfte Gattungsvorstellung in ihren Grundzügen zu erkennen.

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Zu s.o. V.2.; der Terminus istorietta in Bighignol 1509 erlaubt eine deutliche Rückdatierung des im CDU VIII, 1973:614 mit angegebenen Erstbelegs. Zu einer Verwendung von istorietta im Jahr 1471 cf.Nies 1973:425. 28l

Die frottola-barzelletta bedient sich des Achtsilblers, der im Quattro-Cinquecento - im Unterschied etwa zum endecasillabo - einen volkstümlichen Charakter besitzt. Nach Elwert (1973, §91) besteht diese Art von Dichtung aus einem nach jeder Strophe zu wiederholenden vierversigen Refrain mit dem Reimschema xyyx und einer Anzahl von sechs- oder achtversigen Strophen. Die Verwendung des Refrains (der ripresa) verleiht der frottola-barzelletta einen zyklischen Charakter, der sie für ein insistierendes Anklagen oder Auffordern geeigneter erscheinen läßt als für ein kontinuierlich fortschreitendes Erzählen. Dies wird etwa in dem Kriegslied Frotola noua de Madonna Ferrara al campo de sol nemici (1510) deutlich. Die stark rhythmisierte ripresa macht den auffordernden Charakter der Dichtung augenfällig: Su su auanti ho compagnon su ueniti ha questa impresa di ferrara cha diffesa ue aspitian su/i/bastion (Frotola nemici 1510, ripresa)

Der erste Halbvers (Su su auanti ho) erscheint in dem Druck nach jeder Strophe und deutet die Wiederholung des Refrains an. Die einzelnen Strophen folgen dem Schema ababbx. Sie enden somit mit einem Reim, der in der Strophe selbst keine Entsprechung hat, der vielmehr jeweils auf die ripresa zurück- bzw. vorverweist. Dieses beharrliche Zurückkehren zu dem Refrain unterstreicht dessen zentrale Bedeutung. Die 19 Strophen stellen lediglich Variationen des in dem Refrain ausgedrückten Inhalts dar. Der vollständige Abdruck der ripresa am Ende des Gedichts verdeutlicht auch visuell den zyklischen Charakter des Textes. 2. i. Die zyklisch-kumulative Textstruktur In den durchweg als volkstümlich zu bezeichnenden frottole-barzellette sind explizite Intentionserklärungen, wie sie sich etwa in zahlreichen Flugschriften in ottava rlma finden, äußerst selten; metakommunikative Verben, die die Sprechhaltung der Texte benennen, treten nur ganz vereinzelt auf. Auch gattungstypische Gliederungssignale, die im Bereich der historie und avvisi erheblich zur ausdrucksseitigen Charakterisierung der Texte beitragen, fehlen hier weitgehend. Ausgangspunkt bei der Beschreibung der Gattung frottola-barzelletta muß somit die metrische Struktur bilden, die die gesamte Textgestaltung auf der Ausdrucks- wie auf der Inhaltsseite - nachhaltig prägt. Dabei läßt sich zeigen, daß eine andere sprachliche Verfahren der Textkonstitution ersetzen kann8. 8

Die Unterscheidung zwischen lyrischen Gattungen) und (Elwert 1961, § 11) wäre somit in dem Sinne zu präzisieren, daß die sog. festen Formen v. a. im metrischen Bereich charakterisierte Gattungstraditionen darstellen, während die meisten übrigen Gattungen stärker durch spezifische textuelle Verfahren ausgezeichnet sind. - Auf einen analogen Sachverhalt scheint Hempfer 1973:148 anzuspielen, indem er feststellt, «daß in Gedichten mit fester Form das Gattungshafte primär nicht Ergebnis der Tiefen-, sondern der Oberflächenstruktur ist». 282

In der Tat wird der Zusammenhalt der frottola-barzelletta nicht so sehr durch die Verknüpfung der einzelnen Strophen untereinander als vielmehr durch die Anknüpfung jeder einzelnen Strophe an den Refrain gewährleistet. Dies läßt sich etwa an der dem Tod von Papst Julius II. gewidmeten frottola-barzelletta zeigen. Die ripresa gibt den Grundton des Gedichts an: Morto e il gran pastore ehe uolgeua tutto il mondo e molti a messo al fondo con gran pianto con dolore (Barzelette ca. 1513,1, ripresa)

Jede einzelne der neun Strophen thematisiert eine der Handlungen, mit denen der verstorbene Papst die und vielen Schaden zugefügt hat. Hierbei entsteht keine durch ein und ein gegliederte Lebensgeschichte, vielmehr deutet jede Strophe aufs neue den Refrain aus. Es handelt sich hier nicht um eine linear fortschreitende, progressive, sondern um eine kumulative Struktur. Dies wird bereits formal deutlich gemacht. Jede Strophe beginnt mit der den ersten Vers der ripresa wiederaufgreifenden und gleichzeitig spezifizierenden Fügung Morto e quel ehe: Morto e quel ehe la gran liga fece contra Venitiani (Barzelette ca. 1513,1,I,is.) Morto e quel ehe in geradada fe condur el gran drapello ( , , s.) usw.

Die Formel Morto e quel ehe erlaubt es dabei, jede Einzelstrophe an das dominierende Textthema (Morto e il gran pastore...) anzubinden. Ein grundlegender Unterschied zwischen den meist erzählenden Dichtungen in ottava rima und den meist besprechenden (auffordernden, klagenden, anklagenden) frottole-barzellette wird hier bereits sichtbar. Während die frottola-barzelletta kumulierend vorgeht und einzelne Gedanken weitgehend unverbunden aneinanderreiht, ist die Erzählung in ottava rima um eine möglichst klare Festlegung der zwischen den Einzelepisoden bestehenden Relationen der Vor-, Nachund Gleichzeitigkeit bemüht. So setzt die Erzählung in ottava rima zu Beginn des Textes einen einmaligen Ausgangspunkt, etwa in Form einer als /Varrafi'o-Signal fungierenden Datumsangabe. Sämtliche weiteren Daten des Textes können zu diesem Anfangspunkt nur im Verhältnis der Nachzeitigkeit stehen, eine Rückkehr zu diesem Anfang ist nicht möglich. Die Verknüpfung von Erzähleinheiten leistet sodann insbesondere die Überleitungsformel ora lasciamo stare/ritorniamo a (s.o. V.3.2.). Während die historia somit von einem progressiven Fortschreiten geprägt ist, wird der Zusammenhalt der frottola-barzelletta durch ihre zyklische Struktur gewährleistet. Dieser zyklische Charakter liegt im metrischen Bereich in der Verwendung eines nach jeder Strophe zu wiederholenden Refrains begründet. Er wird zusätzlich durch die formale Anknüpfung der einzelnen Strophen an diesen Refrain hervorgehoben. 283

Es wird deutlich, daß der Zusammenhalt der frottola-barzelletta zum großen Teil schon durch ihre metrische Form gewährleistet wird, während in der relativ freien Form der Dichtung in ottava rima weitere sprachliche Mittel zur Textorganisation nötig sind. Da die Einheit der frottola-barzelletta in erster Linie auf der Wiederholung der ripresa beruht, ist die sprachliche Ausgestaltung der im metrischen Bereich allerdings deutlich festgelegten Strophe relativ frei. Das grundlegende Gliederungselement ist hier in der Form des Refrains bereits vorgegeben. In der weit beweglicheren Dichtung in ottava rima dagegen, die die Aneinanderreihung einer großen Zahl von Einzelstrophen erlaubt, muß offenbar zusätzlich auf verschiedene Arten von Gliederungssignalen (Narratio-Signale, Überleitungsformeln usw.) zurückgegriffen werden, die den Zusammenhalt und die Strukturierung des Textes leisten. Auffällig ist jedoch noch ein weiteres Charakteristikum, das diese Texte auszeichnet: der häufige Gebrauch von Verbformen in der ersten und zweiten Person. Während sich das Erzählen der Flugschrift in ottava rima ausnahmslos der dritten Person bedient9, liegt der frottola-barzelletta in den meisten Fällen eine prosopopoeia (im Sinne von Lausberg ^987 §425) zugrunde. Das sprechende Subjekt der frottola-barzelletta ist meist die Personifizierung einer Stadt (Neapel, Ferrara) oder eines Kollektivs (die Venetianer, die Ferrareser). Dies wird z.T. schon in den Flugschriftentiteln deutlich: Frotola noua de Madonna Ferrara al campo de soi nemici (1510) Barzeleta de Venetiani con la resposta de Ferraresi (ca. 1510)

Die Titel veranschaulichen gleichzeitig den dialogischen Charakter dieses Sprechens. Madonna Ferrara, die übrigens durch eine entsprechende Bildumschrift mit der kriegerisch gerüsteten Frauengestalt der Titelillustration10 identifiziert wird, spricht zu ihren nemici, die barzelletta der Ferraresi antwortet auf die der Venetiani. Folglich richtet sich die in den Texten verwendete zweite Person (tu, voi) nicht an den Zuhörer oder Leser, sondern an den Gegenspieler der personifizierten Stadt oder Gemeinschaft. Die Texte sind somit meist stark von der Opposition io (noi) vs. tu (voi) geprägt. Dies kann etwa Triumpho (ca. 1510) veranschaulichen: [...] ehe venetia i fatti toi son condutti a trista sorte (1,55.) tu venetia sei potente di ql ehe hai robato altrui (VII,3S.) ma di te ciaschun si lagna (VIII.4)

9 10

Eine Ausnahme bilden hier die lamenti in ottava rima; s. u. 4. Diese Xylographie, die sich identisch auf dem Titelblatt von Barzeleta (ca. 1510) findet, entstammt offenbar einer 1497 in Ferrara gedruckten Ausgabe von Boccaccios De claris mulieribus und konnte als «ora la regina Semiramide, ora Camilla regina dei Volsci, ora la regina Giovanna di Sicilia» gedeutet werden (Santoro 1964:815.). 284

Venetian! il vi ual poco finir male e far gra mostre voi cercasti a fiama e foco assalir le gente nostre nui ne laqua habia le uostre tutte tutte pse e morte (V)

Die Opposition io vs. tu, die oftmals die gesamte Dichtung durchzieht, trägt wesentlich zur Textkonstitution bei. Die Einheit des Textes wird unter anderem durch die Wiederholung der Personalpronomina und Verbformen der ersten und zweiten Person gewährleistet. Gleichzeitig charakterisiert die starke Präsenz von Ich und Du die frottola-barzelletta als eine besprechende Gattung (cf. Weinrich 4i985:222-226). Der Gegensatz von Ich und Du, bzw. Wir und Ihr unterstreicht weiterhin die starke Polarisierung, die diese propagandistischen Texte auszeichnet. Etwa eingefügte erzählende Passagen erscheinen dagegen, wie in der zuletzt zitierten Strophe (voi cercasti usw.), oftmals als oder aber Erzählen in der ersten bzw. der zweiten Person11. Es läßt sich somit eine klare zwischen den materiell ähnlichen, offenbar an den gleichen Rezipientenkreis gerichteten Flugschriftentypen der (frühen) Dichtung in ottava rima und der frottola-barzelletta beobachten. Die zyklisch und kumulativ gebaute frottola-barzelletta, die durch die Präsenz eines Ich und eines Du von einem persönlichen, emotionalen Ton geprägt ist, erscheint besser für eine auffordernde, klagende oder anklagende Sprechhaltung geeignet. Die Dichtung in ottava rima dagegen ist zwar nicht notwendig eine Erzählung, doch herrschen die berichtenden, informierenden Flugschriften in ottava rima eindeutig gegenüber den auffordernden, klagenden oder lobenden Texten vor (s.o. V.S.L). Die progressiv-fortschreitende, offene Textstruktur prädestiniert diese Art der Dichtung in besonderer Weise für das Erzählen. Die Verwendung der dritten Person des Verbs verleiht diesen Erzählungen, die allerdings fast immer im Dienste eines präzisen Parteieninteresses stehen, den Anschein der Objektivität, während selbst in den erzählenden Passagen der frottole-barzellette, die sich der ersten oder zweiten Person bedienen, eine solche Objektivität gezielt zugunsten einer , gefühlsbetonten Aussageweise aufgegeben wird. 2.2. Die frottola-barzelletta und die hlstoria 2.2.1. Vor diesem Hintergrund werden nun vor allem diejenigen Flugschriften interessant, die, obwohl sie sich der Gattung frottola-barzelletta bedienen, als erzählende Texte angesprochen werden können. Es handelt sich hier um die Historia dl quel Regno isfortunato ([nach] 1503) und um die Barzellet[a] noua de Italia, den kurzen Text, der in Barzelette (ca. 1513) unmittelbar auf La morte de Papa iu" Zu dem Erzählen in der zweiten Person vgl. Janik 1973/1985:32, der hier von einer («per uom divino / l'ha datario tenuto»: vv.4i5s.). Trotz der zahlreichen Berührungspunkte kann die jeweils unterschiedliche Funktion dieser Selbstcharakterisierungen in den zwei frottole nicht übersehen werden. Die in Sermone (ca. 1510) für die Sprecherinstanz beanspruchte Autorität dient in erster Linie dazu, dem Text selbst und den in ihm enthaltenen Anschuldigungen gegen Venedig Glaubwürdigkeit und Gewicht zu verleihen. Um die Selbstbeschreibung eines individuellen Autors geht es in der anonymen Schrift naturgemäß nicht. Ganz anders in Pietro Aretinos frottola. Zwar vermögen hier bereits der Name und das Ansehen des Autors dem Text einen gewissen Nachdruck zu geben; insofern steht die Selbstcharakterisierung des Autors im Dienste der im Gedicht enthaltenen Aussage. Vor allem jedoch bietet die politische Analyse dem Verfasser einen willkommenen Anlaß zur eigenen Profilierung und zur Abrechnung mit seinen Feinden in der römischen Kurie. In der Tat wird der Schilderung des Verhältnisses zwischen Pietro Aretino und Papst Clemens VII. gegen Ende des Gedichts ein breiter Raum gewidmet: Parti onesto fra.nnoi sopportar[e] ehe tradito sia un che.tt'ha servito giä sette anni? Con quanti crudi affanni stato e predicatore l'Aretinfo] del tuo onore a piü signori! E ha scemati gli onori per chi vuol darti male e 'n premio d'un pugnale gli fu dato. (Aretino: Frottola 1527, vv. 718-726)

Aus der Zeit Pietro Aretinos am Hofe Clemens' VII. sind in der Tat drei canzoni überliefert, in denen Aretino sich als Propagandist der päpstlichen Politik hervortut (s.u. 5.). Nach dem im Juli 1525 gegen ihn verübten Attentat (e 'n premio d'un pugnale glifu dato), für das er Giberti und indirekt den Papst selbst verantwortlich macht, betrachtet Aretino sich jedoch als Feind des römischen Hofes, den er nun aufs schärfste bekämpft (cf. Romano 1991:15-25). In dem Pronostico dello anno .MDXXXIUL heißt es hierzu: Pietro Aretino e stato famigliare di Leon e di Clemente, dal quäle parti per lo scellerato assassinamento ehe sua Santitä tollerö ehe gli fosse fatto, per lo cui sdegno si e vendicato con le arme della lingua, delle penne e degli inchiostri. (Aretino: Pronostico 1534, p-314)

Die frottola «Pas vobis, brigate» ist nun zweifellos als ein Element dieser zu betrachten. Wenn man dem 1527 verfaßten und 1551 im Druck erschienenen Brief von Girolamo Montaguto AI stupendo ed miracoloso M. Pietro Aretino Glauben schenken darf, so hat diese frottola (in Form einer Flugschrift) ihre Absicht nicht verfehlt: 292

M. Pietro, io son vivo, et non lo credo, si mi parse esser gettato fuora di una finestra, essendo d'Arezzo, nel darsi a N S il Pax vobis, ehe la persuasione dei maligni, piü ehe lo sdegno, vi ha fatto uscir de la penna, stampato - per quel ehe si pensa - in Siena. E' cosi vituperosa novella, ohime, ehe piangendo se lo e lasciato cader di mano Sua Beatitudine, con esclamare: «E' possibile ehe si patisca ehe un potenfice si laceri in si crudel maniera? [...]». (zit. nach Romei 1986:433)

Die Selbststilisierung Pietro Aretinos in der Frottola 1527, in dem Pronostico 1534 und schließlich in dem 1551 von Marcolini herausgegebenen, aber von Aretino selbst beeinflußten ersten Band der Lettere scritte a Pietro Arelino, dem der Brief von Montaguto entstammt, interessiert hier vor allem als ein Bekenntnis zu der Macht des Wortes. Mit der Auffassung des geschickt placierten und vor allem des im Druck verbreiteten Wortes als einer Waffe (le arme della lingua) bringt Pietro Aretino eine Überzeugung zum Ausdruck, die zahlreiche Flugschriftenautoren leitet. Dem gebildeten, literarischen Autor gelingt es oftmals, indem er die Voraussetzungen und Absichten seines Schreibens formuliert, gleichzeitig die Prinzipien einer großen Anzahl von volkstümlichen, rein praktisch ausgerichteten Texten zu benennen (s.o. ¥.6.4.). Somit erlangt der sicher atypische, gelehrte Autor Pietro Aretino eine entscheidende Bedeutung in einer Geschichte der italienischen Flugschriften des frühen Cinquecento. Eine Würdigung Pietro Aretinos als Flugschriftenautor, die hier nur in Umrissen angedeutet werden kann, hat zwei Ebenen zu berücksichtigen. Zunächst sind die zahlreichen Äußerungen dieses Autors über das neue Kommunikationsmittel Flugschrift zu bewerten. Besonderes Interesse verdienen dabei - neben der Kampagne con le arme della lingua, delle penne e degli inchiostri gegen die römische Kurie - die Darstellung eines Flugschriftenhändlers im ersten Akt der Cortigiana (s.o. 111.2.3.) und die Invettiva deldivino Aretino contro l'Albicante, sopra la guerra del Piemonte (vgl. Aretino/Albicante 1539,3r-6v), die eine detaillierte Kritik von Albicantes Flugschrift des Vorjahres enthält (s.o. V.6.2.I.). Die genannten Texte weisen Pietro Aretino als denjenigen italienischen Autoren aus, der sich als erster und in besonders scharfsichtiger Weise über die ungeheuren Möglichkeiten des Buchdrucks zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung Rechenschaft gibt. Weiterhin werden hier die Texte Pietro Aretinos interessant, die sich tatsächlich der Textsorte Flugschrift zurechnen lassen. Zu nennen sind neben der Frottola (1527) und dem Pronostico 1534 (s.o. 1.2.), die allerdings nur handschriftlich überliefert sind, insbesondere die als Einzeldrucke erschienenen capitoü - II capitolo e il sonetto in laude de lo Imperadore (1543), Capitolo in laude del Duca d'Urbino (1547?) usw. (ed. Aquilecchia/Romano 1992) - und die im folgenden zu besprechenden canzoni (s.u. 5.). Von Interesse sind weiterhin der früher Francesco Guicciardini zugeschriebene Lamento d'Italia des Jahres 1527 (cf. Romei 1987) und die Parodie eines avviso in der Copia 1529 (s.o. VI.7.2.2.).

Insgesamt greift Pietro Aretino in seiner publizistischen Tätigkeit auf so unterschiedliche Flugschriftentypen wie den avviso, den pronostico, die frottola, 293

den lamento, den (in dem untersuchten Korpus nicht weiter belegten) capitolo und die canzone zurück. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Anknüpfung an volkstümliche Gattungen wie vor allem den pronostico und die frottola. So wird hier deutlich, daß die vor allem in der Frottola 1527 hervortretende Figur des inspiriert sprechenden , der schonungslos die Laster der feindlichen Partei aufdeckt und die Wahrheit ausspricht, ansatzweise bereits in den volkstümlichen Flugschriften des Jahrhundertanfangs wie insbesondere dem Sermone (ca. 1510) vorgeprägt ist. Pietro Aretinos publizistische Schriften sind gerade durch die volkstümlichen, nicht dem traditionellen Literaturkanon zuzurechnenden Gattungen bestimmt. In seinen meist polemischen Flugschriften erreicht er somit eine «Breitenwirkung» (Hösle 1969:57), die im Italien des frühen Cinquecento ihresgleichen sucht. Als Flugschriftenautor ist Pietro Aretino nur mit Savonarola oder mit Luther zu vergleichen (Quondam 1983:597).

4.

Formen der Gattungsinterferenz: der lamento

4. i. Der lamento im Spannungsfeld unterschiedlicher Gattungstraditionen Die lamenti sind in erster Linie durch ihre Redehaltung charakterisiert: Ein lamento ist ein klagender Text. Er beklagt einen unwiederbringlichen Verlust: den Verlust der Herrschaft über eine Stadt oder über ein Fürstentum, den Verlust eines Menschenlebens. Die lamenti scheinen vor allem auf die Pianti della Vergine zurückzugehen. Sie können als eine Form der auch als planctus, planh, plainte usw. bekannten Gattung betrachtet werden18. In formaler Hinsicht beruht der lamento - ähnlich wie die meisten frottole-barzellette - auf der Figur der prosopopoeia. Der gesamte Text bildet den Diskurs einer abwesenden oder toten Person oder einer Stadt: «[...] son veri Lamenti quelli ne' quali parla il lamentato stesso» (Medin/Frati I, 1887/1969: VII). Insofern die lamenti meist auch erzählende Abschnitte enthalten, ist die Funktion dieser zunächst mündlich verbreiteten Texte oftmals die der Nachrichtenübermittlung, der Information: Der cantastorie, der sie vorträgt, ist darum bemüht, «di porgere al popolo nella forma piü piacevole o meglio ricordevole la dei fatti» (Medin 189471969: XX). Somit kann diese volkstümliche Dichtungsgattung auch zu Propagandazwecken genutzt werden: [I lamenti] sono per lo piü composti su ordinazione da poeti di corte, per diffondere una determinata interpretazione di avvenimenti politici, o sono opera di cantastorie ehe si incaricano di portare al popolo le piü recenti notizie sulle guerre d'oltremare: hanno cioe una funzione molto simile a quella dei giornali moderni. (Liborio 1960:183)

18

Zu den lamenti vgl. Medin 1894/1969; Liborio 1960:1835.; Varanini 1968; Zumthor I987--53· 294

Ähnlich wie die historic in ottava rima finden die lamenti seit dem Ende des Quattrocento Eingang in das neue Druckmedium; der ursprünglich mündlich verbreitete lamento wird zu einem Flugschriftentyp. Zu Beginn des Cinquecento etwa verbreitet die Republik Venedig zahlreiche Texte dieser Art in Form von libelli. Bezeichnend ist jedoch auch hier, daß der Eintritt in die Schriftlichkeit zugleich das Ende der Gattung einleitet. Nach A. Medin setzt die «decadenza» des lamento bereits in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts ein: Die Gattung beginnt, sich selbst zu parodieren, sie wird zu einer , literarischem Form (Medin i894/i969:XXVIs.). Zwar wird der lamento meistens in Versen abgefaßt, doch ist er an kein festes Metrum gebunden. In dem zugrunde gelegten Korpus finden sich lamenti in ottava rima (Presa ca. 1527; Lamento ca. 1530; Presa ca. 1530; Pianto ca. 1535) und in terza rima (Lamento 1509) sowie in der Form der frottola-barzelletta (Historia [nach] 1503)'9. Der sich unterschiedlicher metrischer Formen bedienende lamento lenkt somit den Blick auf die Beziehungen zwischen den jeweiligen Texttraditionen. Insbesondere wird deutlich, daß einzelne Texte gleichzeitig mehreren Gattungen angehören können. Die Historia ([nach] 1503) etwa steht aufgrund ihrer metrischen Form zweifellos in der Tradition der frottola-barzelletta; der klagende Ton und die insistierende Verwendung von metakommunikativen Verben wie etwa piango20 weisen den Text jedoch ebenso eindeutig als lamento aus. Der Gattungsname historia schließlich, der in erster Linie auf die erzählenden Dichtungen in ottava rima verweist, läßt sich durch eine gewisse formale Affinität zu den historic erklären (s.o. 2.2.1.). Die Thematik der hier untersuchten lamenti betrifft die Kriege in Italien und die Türkenkriege. Es finden sich ein lamento Neapels (Historia [nach] 1503), ein in seinen Selbstanklagen als antivenezianische Propaganda aufzufassender lamento der Venezianer (Lamento 1509), sowie drei in ihrem Text ähnliche lamenti der vom Sacco zerstörten Stadt Rom (Presa & lamento ca. 1527; Lamento ca. 1530; Presa & lamento ca. 1530). Die Flugschrift El Crudelissimo pianto, & lachrimoso lamento (ca. 1535) stellt dagegen die Klage des von Karl V. aus Tunis vertriebenen Barbarossa dar. Besondere Aufmerksamkeit verdienen hier die große Konstanz des Gattungsnamens lamento und die insistierende Verwendung der Verben piangere, lamentarsi, dolersi etc., sowie der entsprechenden Substantive pianto, lamento, doglia etc., die den Charakter der Texte entscheidend be19

20

Der ottava rima bedient sich auch der Lamento (nach) 1494. Bei den vier Lamenti di Roma handelt es sich jedoch um verschiedene Fassungen desselben Textes. Die dem Sacco di Roma gewidmeten Flugschriften (Presa ca. 1527; Lamento ca. 1530; Presa ca. 1530) aktualisieren die bereits im Quattrocento mehrfach gedruckte Dichtung. - Zu der im gesamten Mittelalter belegten Tradition der Lamenti di Roma cf.Liborio 1960:183; vgl. auch Diamanti 1990. Vgl. etwa: Son quel regno sfortunato pien di pianto danni & guerra (Historia [nach] 1503, ripresa,is.) piango poi chio son quel regno (XXXV,5) usw. 295

stimmen. Man kann hier auf ein deutlich ausgeprägtes Gattungsbewußtsein schließen. 4.2. Gattungsinterferenzen in den volkstümlichen Versflugschriften 4.2.1. Die Ähnlichkeiten, die die hier untersuchten pronostici, frottole-barzellette, eigentlichen frottole und lamenti mit den frühen, volkstümlichen Flugschriften in ottava rima verbinden, sind offensichtlich. In den meisten Fällen handelt es sich um praktisch ausgerichtete, sich gelehrter Anspielungen enthaltende, mündlich aufgeführte, anonyme Dichtungen. Diese Entsprechungen treten besonders deutlich bei den in den Jahren 1509/1510 in Ferrara gedruckten antivenezianischen Propagandaschriften hervor, die - als eine kompakte thematische und intentionale Gruppe von Texten - das Zentrum der hier beschriebenen sonstigen Versflugschriften> bilden. Diese Ähnlichkeiten liegen zunächst im textexternen Bereich. So kann zumindest für die froltole-barzeüette und lamenti die anhand der historie ausführlich dargelegte semi-orale Aufführungsform angenommen werden. Diese semiorale Verbreitung, die auch Analphabeten gerecht wird, scheint jedoch auf die ersten zwei Jahrzehnte des Jahrhunderts beschränkt zu sein. So konstatiert A. Medin seit den zwanziger Jahren des Cinquecento das «trapassare del Lamento dal popolo o dai suoi canterini ai poeti piü culti» (Medin 1894/1969: XXVII). Der Kontakt mit dem Druckmedium führt nur zu einer kurzen der volkstümlichen Dichtungsgattungen. Auf lange Sicht wird die Versform im Bereich der Schriftlichkeit zu , zu einer gelehrten, elitären Kommunikationsform. Besonderes Interesse verdienen sodann die Ähnlichkeiten zwischen den einzelnen Gattungen in bezug auf ihre textuelle Organisation. Eine starke Präsenz der den Text hervorbringenden Autorfigur kennzeichnet den pronostico und die frottola. Es ist nicht auszuschließen, daß diese Gattungen gerade wegen ihrer traditionell starken Autoreflexivität für den immer um eine positive Selbstdarstellung bemühten Pietro Aretino interessant wurden. Demgegenüber sind die auf einer prosopopoeia basierenden Gattungen frottola-barzelletta und lamento, in denen meist eine Stadt (Rom, Venedig, Neapel) , durch das völlige Zurücktreten des Autor-Ichs hinter die jeweilige Personifikation charakterisiert2 '. Alle vier Gattungen sind jedoch in besonderer Weise durch die personale Deixis (Ich/Du; Wir/Ihr usw.) geprägt. Es handelt sich um primär besprechende

21

In einer Typologie der Redesituation könnte man den lamento - vor allem im Vergleich zur historia - als eine Form der outonomen Personenredo (Janik 1973/1985:32) beschreiben. Im Gegensatz zu der möglichen der in einen Erzählzusammenhang eingebetteten Klage einer der handelnden Personen (vgl. etwa den «lamento» von Ascanio Sforza in Storia ca. 1500, LXV-LXVIII) beruht der eigentliche lamento auf der Reduktion des gesamten Textes auf die Rede der Person selbst; diese in keinen Erzählrahmen mehr eingebettete Personenrede muß ihre gesamte Situation selbst erzeugen. 296

Texte, die allerdings in unterschiedlich starkem Maße Erzählrede integrieren können. Die pronostid, frottole-barzellette, frottole und lamenti stehen insgesamt den immer erzählenden, sich bis auf den Rahmen aus invocazione und congedo ausschließlich der dritten Person des Verbs bedienenden historic in ottava rima gegenüber. 4.2.2. Die verschiedenen Formen der Gattungsinterferenz im Bereich der volkstümlichen Versflugschriften lassen sich wie folgt terminologisch differenzieren (s.o. 1.4.2.): Von Gattungsüberschneidung kann man dann sprechen, wenn ein Text zwei in der Zeit selbst unterschiedenen Gattungen angehört. Solche Gattungsüberschneidungen können immer dann auftreten, wenn Gattungsunterscheidungen auf verschiedenen Ebenen vorgenommen werden. Es wurde bereits gezeigt, daß die Autoren des frühen Cinquecento sowohl eher ausdrucksseitig charakterisierte als auch eher inhaltsseitig charakterisierte Gattungskonzepte verwenden. So kann etwa derselbe Text einmal der Gattung avviso und einmal der Gattung entrata zugerechnet werden (s.o. VI.2.2.). Im Bereich der hier untersuchten Versflugschriften lassen sich solche Überschneidungen etwa zwischen den Gattungen frottola-barzelletta und lamento konstatieren. Die frottola-barzelletta ist in erster Linie im metrischen Bereich charakterisiert: Es handelt sich um eine Form der ballata. Demgegenüber ist der lamento durch seine Redehaltung definiert: Er bildet ein klagendes Gedicht, in dem der Beklagte selbst spricht. Diese beiden Gattungskonzepte schließen sich einander nicht aus: Eine frottola-barzelletta kann gleichzeitig ein lamento sein (wie die Historia [nach] 1503), sie kann aber etwa auch ein aufforderndes Kriegslied darstellen (wie die Frotola noua de Madonna Ferrara al campo de soi nemici 1510). Umgekehrt kann der lamento sich der metrischen Form der frottola-barzelletta bedienen, er kann jedoch auch auf die terza rima oder die ottava rima zurückgreifen. Die im frühen Cinquecento unterschiedenen Gattungskonzepte frottola-barzelletta und lamento sich. Von Gattungsmischung kann man dagegen in den Fällen sprechen, in denen Interferenzen zwischen solchen Gattungen auftreten, die sich grundsätzlich gegenseitig ausschließen, da die für sie charakteristischen Unterscheidungsmerkmale auf der gleichen Ebene angesiedelt sind. So bedient sich die frottola-barzelletta einer durch die Wiederholung des Refrains ausgezeichneten metrischen Struktur, die historia dagegen einer Reihe von Strophen in ottava rima. Die beiden metrischen Formen sind nicht miteinander vereinbar, ein Text kann nicht gleichzeitig eine frottola-barzelletta und eine Dichtung in ottava rima darstellen. Allerdings ist eine Gattung in den allermeisten Fällen nicht nur auf einer Ebene charakterisiert. So verfügt die im metrischen Bereich relativ freie historia über eine große Anzahl sprachlicher Organisationselemente wie vor allem die Gliederungssignale. Die für die historia gattungstypischen Gliederungssignale können nun auch in andere Gattungen Eingang finden. Diese Form der Gattungsmischung hat geradezu Zitatcharakter, insofern das Element der einen Gattung 297

- etwa die für die historia charakteristische Verwendung der genauen Datumsangabe als Narratio-Signal - in einem an eine andere Gattungstradition anknüpfenden Text wird (s.o. 2.2.1.). Eine Gattungskonvergenz liegt schließlich dann vor, wenn mehrere deutlich unterschiedene Gattungen eine analoge Entwicklung nehmen. Im textexternen Bereich konnte hier etwa gezeigt werden, daß sich die historia, die frottola-barzelletta und der lamento in weitgehend analoger Weise von einer mündlich aufgeführten über eine semi-oral verbreitete zu einer literarischen, nicht mehr Kommunikationsform entwickeln. Bei den ebenfalls zu konstatierenden punktuellen Entsprechungen im textinternen Bereich (der jeweils analogen Redesituation in a&npronostici undfrottole auf der einen und in denfroltole-barzellette und lamenti auf der anderen Seite) ist es in Ermangelung einer breiteren Materialbasis nicht möglich zu entscheiden, ob es sich um einen Fall der Gattungskonvergenz (der Annäherung unterschiedlicher Gattungstraditionen) oder etwa um den entgegengesetzten Fall der Gattungsdifferenzierung (der progressiven Auseinanderentwicklung ehemals ähnlicher Gattungen) handelt. Einen Fall von Gattungsdifferenzierung stellt dagegen zweifellos die oben skizzierte Herausbildung eines okkasionellen und eines periodischen Journalismus dar, der sich bereits in den avvisi der Girolama Cartolari des Jahres 1546 andeutet. Aus einer einzigen Gattung (der copia di una lettera) entwickeln sich hier mehrere verschiedene Gattungen, bis hin zur gazzetta und zum Briefroman (s.o. VI.6./7.). Die hier unterschiedenen Formen der Gattungsinterferenz - die Gattungsüberschneidung, die Gattungsmischung, die Gattungskonvergenz und die Gattungsdifferenzierung - bilden verbreitete Erscheinungen im Bereich der historisch beschreibbaren Gattungskonzepte. Sie können insgesamt dazu dienen, die bereits mehrfach angesprochene der Gattungsnamen und der mit ihnen verknüpften Konzepte präziser zu bestimmen. Gleichzeitig wird hier wiederum deutlich, wie sehr sich die Rekonstruktion historischer Gattungsvorstellungen von einer wissenschaftlichen Textklassifikation unterscheidet. In der vorliegenden Arbeit geht es darum, die Ordnung aufzudecken, die den tatsächlich in einem historischen Moment gebräuchlichen Gattungskonzepten zugrunde liegt. Eine Bewertung oder gar eine Kritik der historischen Gattungsvorstellung wäre dabei abwegig: Die Gattungen als kommunikationssteuernde Normen sind allein einem deskriptiven Ansatz zugänglich. Nur an eine wissenschaftliche Textklassifikation können somit die von Isenberg (1983:312-325) formulierten Anforderungen der «Homogenität», der «Monotypie», der «Striktheit» und der «Exhaustivität» gestellt werden (s.o. 1.2.4.). Obwohl der heuristische Wert einer Textsortenklassifikation im Sinne Isenbergs hier nicht bestritten werden soll, steht außer Frage, daß gattungsgeschichtliche Prozesse nur aufgrund einer möglichst realistischen Rekonstruktion der von den Kommunikationsteilnehmern unterschiedenen Gattungskonzepte einsichtig gemacht werden können. Der Wandel in dem kommunikativen Verhalten des frühen Cinquecento läßt sich nur dann beschreiben, wenn es gelingt, die die 298

Textproduktion und -rezeption bestimmenden Gattungsnormen nachzuzeichnen. Die Einführung des Buchdrucks verursacht eine grundlegende Neuorganisation der kommunikativen Praktiken. Die unterschiedenen Typen der Gattungsinterferenz erlauben es, das im Umbruch befindliche Gattungsspektrum der Epoche, das durch das Aufkommen zahlreicher, oftmals schnell wieder aufgegebener Kommunikationsformen geprägt ist, in seinen historischen Filiationen ausschnitthaft darzustellen. In einer historischen Perspektive werden in der Tat gerade die vermeintlichen der von den Kommunikationsteilnehmern selbst vorgenommenen Gattungsunterscheidungen interessant. So kommt den beschriebenen Gattungsinterferenzen eine herausragende Rolle in der Gattungsgeschichte zu. Eine neue Gattung entsteht niemals ex nihilo. Im Gegenteil läßt sich die Hypothese vertreten, daß eine neue Gattung - zumindest was ihre textinterne Organisation anbelangt - immer nur aus der neuartigen Kombination traditioneller Elemente entstehen kann. Jeder Text steht in einer gattungsmäßigen Tradition. Innovativ kann er somit nur dann werden, wenn er Elemente aus unterschiedlichen Gattungen miteinander kombiniert. Von einer neuen Gattung kann man allerdings nur in dem Fall sprechen, in dem eine solche Innovation selbst wieder traditionsbildend wirkt. Im Bereich der volkstümlichen Versflugschriften lassen sich durchaus innovative Ansätze beschreiben. Interesse verdient hier insbesondere die Historia (nach) 1503, die die unterschiedlichen Gattungstraditionen der frottola-barzelletta, des lamento und der historia zu verschmelzen sucht. Eine Traditionsbildung gibt sich hier jedoch nicht zu erkennen: Das Experiment einer volkstümlichen, aktualitätsbezogenen Versflugschrift muß - bedingt durch die grundlegende Neubewertung der Versform nach 1525 scheitern.

5.

Literarische Versflugschriften: die canzone

5.1. Traditionalität und Intertextualität Die beschriebenen Erscheinungen der Gattungsinterferenz und insgesamt die Beziehungen zwischen dem einzelnen Text und den Gattungsnormen, an denen er teilhat, werden oftmals unter dem Begriff der Intertextualität zusammengefaßt. Für Beaugrande/Dressler (1981:188) verweist der Terminus Intertextualität ganz allgemein auf «die Abhängigkeit zwischen Produktion bzw. Rezeption eines gegebenen Textes und dem Wissen der Kommunikationsteilnehmer über andere Texte». Somit wäre die gesamte Textsortenproblematik unter dem Stichwort der Intertextualität zu behandeln (ibid., pp. 188-193). Demgegenüber hat Cesare Segre zu Recht vor einer allzu extensiven Verwendung dieses Begriffs gewarnt, die ihn letztlich unbrauchbar machen würde. Segre (1984:111) möchte auf die «rapporti fra testo e testo (scritto, e in particolare letterario)» eingeschränkt wissen. Für die vielfältigen «rapporti ehe ogni testo, orale 299

scritto, intrattiene con tutti gli enunciati (o discorsi) registrati nella corrispondente cultura» prägt er dagegen den Begriff der interdiscorsivita22. Die Unterscheidung zwischen intertestualita und interdiscorsivita läßt sich in sinnvoller Weise auf die hier beschriebenen Beziehungen zwischen Texten anwenden. Wenn Pompeo Bilintano in seiner Flugschrift auf einen berühmten Autor wie Ludovico Ariosto Bezug nimmt, handelt es sich zweifellos um Intertextualität im engeren, von Segre präzisierten Sinn: Ein konkreter Text (Bilintanos Carlo Cesare .V. Affricano 1536) spielt hier auf einen vorausliegenden individuellen Text (Ariosts Orlando furioso) an (s.o. V.6.2.2.). Wenn dagegen die Barzellet[a\ noua de Italia (Barzelette ca. 1513, II) ein Element der Gattung historia (s. o. 2.2. i.), wird nicht etwa eine Verbindung zwischen zwei individuellen Texten, sondern zwischen einem Text und einer auf einer Reihe Texte beruhenden Gattungstradition hergestellt. Die Verwendung einer genauen Datumsangabe als Narratio-Signa\ in der Barzellet\a\ noua de Italia knüpft zweifellos an die Gattungstradition der historia an; eine Anspielung auf einen individuellen Text ist damit jedoch nicht impliziert. Der Terminus der Intertextualität soll hier für die bewußte Anspielung auf ein als bekannt vorausgesetztes, meist literarisches Werk reserviert werden. Die allgemeine Tatsache, daß jeder Text zu anderen, vorausgegangenen Texten in Beziehung steht (interdiscorsivita), kann dagegen unter dem Begriff der Traditionalität oder Gattungsgebundenheit beschrieben werden. Nur diese genauere Bestimmung des Begriffs erlaubt es, die Intertextualität als eine spezifische Eigenschaft literarischer Texte aufzufassen. Die Gattungsgebundenheit ist ein Charakteristikum jeglicher sprachlichen Kommunikation, sie ist nicht auf das literarische Diskursuniversum beschränkt. Das von Stempel (2i975:175) formulierte - «Es gibt keine Rede, die nicht generisch ist» - läßt sich hier auf der Grundlage einer breiten Materialbasis empirisch bestätigen. In der Tat gibt es keine italienische Flugschrift des frühen Cinquecento, die nicht an eine traditionelle Gattung anknüpft. In dieser Hinsicht betrachten Beaugrande/Dressler (1981:125.) die weit definierte (besser: ) zu Recht als ein Textualitätskriterium. Die gezielte Bezugnahme auf einen individuellen Text (auf eine ) ist dagegen allein für die literarischen Texte kennzeichnend. Sie findet sich nur in wenigen der hier untersuchten Flugschriften. Die so verstandene Intertextualität kann geradezu als ein Kriterium zur Unterscheidung der Flugschriften gelten: Die Anspielung auf einen vorausliegenden literarischen Text, auf ein Modell, stellt einen deutlichen Hinweis auf eine über die praktischen Erfordernisse der Flugschrift hinausgehende literarische Gestaltungsab-

Die Differenzierung von Intertextualität und Interdiskursivität läßt sich auch anhand der traditionellen Begriffe der und der (im Sinne von Bachtin) illustrieren: «[...] nel caso della fönte il testo si richiama a un altro testo, in quello del dialogismo generale il testo si richiama ad altri enunciati non firmati» (Segre 1984:106). 300

sieht dar. In den Poetiken des Cinquecento wird diese Form der Intertextualität mit den Begriffen der imitatio und der aemulatio thematisiert. Dabei kann die imitatio - als der meist mit einem (aemulatio) gekoppelte Bezug auf vorausgegangene modellhafte Werke - als ein prägendes Element des zeitgenössischen literarischen Normenkanons betrachtet werden (Kablitz 1985:33-35). Das hier als Intertextualität beschriebene Verfahren wird bereits im Cinquecento als Kriterium von benannt. Die Differenzierung von Traditionalität (als der Gattungshaftigkeit jeglicher sprachlichen Kommunikation) und Intertextualität (als der gezielten Bezugnahme auf ein literarisches Modell) verweist von neuem auf die bereits angesprochenen Unterschiede zwischen praktisch ausgerichteten und literarischen Gattungstraditionen (s.o. VI.2.). Eine Gebrauchsgattung konstituiert sich in einer Reihe anonymer oder, wie Segre sagt, Texte. Der Einzeltext knüpft an die in der Masse der vorausgegangenen Textmanifestationen gegebene Gattungsnorm an. Dagegen beruht die Geschichte einer literarischen Gattung auf einer Reihe individueller Texte. Gerade den besonders prestigeträchtigen kommt dabei oftmals eine normstiftende Funktion zu. Die Norm der novella, um noch einmal auf dieses Beispiel zurückzukommen, ist für lange Zeit weitgehend in einem einzigen Text (in Boccaccios Decameron) gegeben. Demgegenüber sind die Gattungsnormen des avviso oder der/roifo/abarzelletta allein in der Tradition der unzähligen anonymen Textvorkommen greifbar. 5.2. Intertextuelle Bezüge und Gattungsreflexion in den canzoni 5.2.1. Die Intertextualität als eine spezifische Eigenschaft literarischer Texte läßt sich exemplarisch anhand der als Flugschriften verbreiteten canzoni von Gian Giorgio Trissino (Canzone 1524) und Pietro Aretino (Esortatione 1524; Laude 1524; Canzone 1524/1525) illustrieren. Hier verweist bereits die Wahl der Gattung canzone, die seit ihrer Kodifizierung in Dantes De vulgari eloquentia als eine , vielleicht die italienische Dichtungsgattung gilt23, unmißverständlich auf eine literarische Ambition. Die vier in aufwendiger materieller Gestaltung von Ludovico Arrighi gedruckten canzoni (s.o. 111.3.4.) enthalten in erster Linie einen Lobpreis des neuen Papstes Clemens VII. und seines Datario Gian Matteo Giberti. Trissino und Aretino formulieren hier die in dem politischen Schrifttum der Zeit häufig zum Ausdruck gebrachten Anliegen des allge-

23

Vgl. auch die Quarta Divisions von Trissinos Poetica (1529, XLIXv): «Le Canzconi, ccome dice Dante, sconco i piu nobili di tutti i Italiani». - Es sei betont, daß sich die hier beschriebene allein auf den Anspruch der Flugschriftenautoren selbst bezieht. Eine literarische Wertung ist damit nicht verbunden. Die Frage nach dem ästhetischen Wert dieser Texte - Hösle 1969:228 spricht in bezug auf Pietro Aretinos canzoni von den «unbedeutenden Huldigungsdichtungen», Larivaille 1980:60 von ihrem «scadente valore letterario» - spielt hier keine Rolle. 301

meinen Feldzugs gegen die Türken, des Friedensschlusses zwischen Karl V. und Franz I., der Befriedung des von Kriegen verwüsteten Italien und der Auseinandersetzung mit der Lutherschen . Die Schriften ordnen sich somit in die päpstliche Propaganda zu Beginn des Pontifikats von Clemens VII. ein, in der dem römischen Drucker Ludovico Arrighi eine erhebliche Rolle zukommt (s.o. III.I.3.). Die Chronologie der vier Schriften läßt sich mit einiger Präzision bestimmen. Trissinos Canzone... alSantissimo Clemente VII ist auf vamente aggiunte (1524, [p.3]) erscheint die Canzone als der erste Text mit den neuen Buchstaben; sie geht also der im Juli 1524 gedruckten Sophonisba voraus; vgl. Richardson 1984:9 Anm.3Besonders deutlich sind hier die Entsprechungen zwischen Trissinos Canzone (1524) und Aretinos Esortatione (1524): Vgl. oriente/Clemente (Trissino, vv. los.) > Clemente/ Oriente (Aretino, vv. 95.); mondo/pondo (Trissino, vv. 15,17) > pondo/mondo (Aretino, W-55S.); mille/squille (Trissino, vv.67,69) > squille/mille (Aretino, vv. 935.). Die in den zwei Texten in derselben Reihenfolge auftretenden Reimpaare, wobei ihre innere Abfolge jeweils umgekehrt wird, belegen eine bewußte Anspielung Pietro Aretinos auf die Canzone Trissinos. 302

nos, die Bescheidenheitsbeteuerungen Trissinos mit einer noch größeren Ehrfurchtsbekundung zu 26. 5.2.2. Während die zahlreichen Entsprechungen zwischen den canzoni die oben diskutierte, auf einer Reihe individueller Werke basierende Traditionsbildung im Bereich der literarischen Gattungen () illustrieren können, wird nun gerade auch die inhaltliche Anknüpfung Pietro Aretinos an Trissinos Canzone (1524) interessant. In der Tat sind die hier untersuchten canzoni nicht zuletzt dadurch charakterisiert, daß sie ihre eigenen Entstehungsbedingungen und Wirkungsabsichten z.T. explizit verbalisieren. Die Hervorbringung der Dichtung wird somit in den Text selbst hineingenommen. Eine solche Vertiefung des metakommunikativen Diskurses () stellt einen weiteren eindeutigen Hinweis auf ein ausgeprägtes literarisches Bewußtsein dar. In der Antwort Pietro Aretinos auf Trissinos Canzone (1524) werden dabei zwei unterschiedliche Auffassungen der Flugschrift greifbar. Ähnlich wie in der Polemik gegen Giovanni Alberto Albicante (s.o. V.6.2.I.) gelingt es Pietro Aretino hier, seine Konzeption des aktualitätsbezogenen Schrifttums im Gegensatz zu Trissinos Auffassung zu entwickeln27. Die Reflexion über den eigenen Text drückt sich in den vier canzoni zunächst in der Thematisierung der dominierenden Aussageintention des aus. Besonders im Fall von Trissinos Canzone (1524) wird dabei auf den Topos der angespielt. Aretino greift diese Thematik wieder auf, versucht jedoch das celebrare Trissinos - in einem deutlichen Bestreben der aemulatio - mit seinem eigenen lodare zu überbieten. Dabei bezieht Aretino sich auf den weiteren, von ihm gern variierten Topos von der Sprache bzw. der . Trissinos Canzone ... alsantissimo Clemente Settimo stellt in erster Linie einen Aufruf zum Türkenkrieg dar. Als dringendste Aufgabe des Papstes wird « tor la Grecia da le man d'e cani» genannt (Trissino: Canzone 1524, v. 78). Die letzte Strophe des Gedichts enthält eine Vision, in der Clemens VII. ein glänzender Sieg vorausgesagt wird («Veggio ne la mia mente il grave scempio / Di quelle genti»; vv. 8os.). Dieser hypothetische Sieg wird sodann mit Triumphzügen gefeiert; vor allem jedoch - und diesem Aspekt räumt Trissino einen besonders breiten Raum ein - wird er von den Dichtern besungen:

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27

In der Tat spart Pietro Aretino hier keineswegs mit Ehrfurchtsbeteuerungen gegenüber dem nur knapp drei Jahre später aufs schärfste angegriffenen Papst. Allerdings liegt zwischen dem «miglior Clemente» (Aretino: Canzone 1524/1525, v. 98) und dem «papa cazzo» (Aretino: Frottola 1527, v. 201), dem «miglior Datario» (Aretino: Canzone 1524/1525, v. 98) und dem «Giammatteo bastardaccio» (Aretino: Frottola 1527, v. 246) der Anschlag auf Pietro Aretinos Leben (s.o. 3.). Auf einen Einfluß von Trissinos Canzone auf die drei Texte Pietro Aretinos hat bereits P.Farenga Caprioglio 1979:61 hingewiesen.

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Veggio legarsi in verso ougn'Idieuma, Per celebrar si gloriosi fatti; Veggio narrar sin le parcole, gliatti, Che si fer combattendo in quella parte; veggio impir le carte Del nome di Clemente, veggio anchora Che'n terra come Dio ciascun 1'adora. (Trissino: Canzone 1524, vv. 85-91)

Mit den Verben celebrare und narrare und mit den auf die sprachliche bzw. die materielle Form verweisenden Begriffen versa und carte werden einige wesentliche Charakteristiken dieser - hier nur hypothetisch genannten - hervorgehoben, die sich vor allem in einigen historic des frühen Cinquecento wiederfinden. Besonders die literarisierten Flugschriften in ottava rima - wie etwa die 1535 entstandenen Stanze di M. Lodovico Dolce composte nella vittoria Africana nuouamente hauuta dal Sacratis. Imperatore Carlo Quinta - scheinen Trissinos Beschreibung nahezukommen. Die Wirkung einer solchen Dichtung wird deutlich benannt: 'n terra come Dio ciascun l'adora\ und noch deutlicher heißt es im letzten Vers des congedo: Che lascerai nel mondo eterna fama. (v. 98)

Trissinos Auffassung zufolge wird der nicht durch die glorreichen Taten allein gewährleistet, sondern er bedarf der Vermittlung durch den Dichter. Die «bella impresa» (v. 66) und die «vittooria grande» (v. 80) führen erst dank dem celebrare und narrare, dank ihrer Konservierung im verso und in den carte zur eternafama. Hier bezieht sich Trissino auf den auch in den literarisierten historic häufig verwendeten Topos der (Machiavelli, Tolomei, Giambullari usw.), der u.a. eine impliziert vgl. Krefeld 1988:320-322. Auf die «posizioni piü democratiche inclini all'uso popolare di molti fiorentinisti» verweist auch Vitale 1984:43.

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Schrifttum eine - von dem im literarischen Bereich gültigen toscano unterschiedene - eigene Sprachform, ein Italiano puro et commune, zugesprochen wird20. Analoge Stellungnahmen lassen sich sodann auch im Bereich der volkstümlichen Erbauungsschriften finden, wie hier die in Genf im Jahre 1562 erschienene Bibelübersetzung belegen kann. In dem Vorwort Alpio lettore aus der Feder von Filippo Rustici aus Pisa heißt es: Imperoche havendo lasciati da parte tutti i mal composti et importuni toscanismi, ci siamo contentati senza obbligarci a le streite e superstitiose regole de la volgar lingua, di seguitare un parlare e stile comune e vario ancora, tanto ne le voci quanto ne l'ortografia, da molti e diversi perö hoggi usitato et accettato [...]. Imperoche non facciam poco conto, anzi riputiamo di grande importanza ehe nel tradur la santa Scrittura si debba usare ogni semplicitä e facilitä di parole e fräse per darla bene ad intendere a le persone semplici, si come noi ci siamo forzati di fare, senza far gran distintione tra l'alto o basso Stile o mediocre, e lasciando l'affettationi e toscanismi a quelli ehe si metteno a ridurre i libri profani ne la volgar lingua boccaccesca. (zit. nach Trovato 1990:63)

Wiederum wird hier eine Gemeinsprache definiert (un parlare e stile comune), die sich durch eine große Normtoleranz auszeichnet (senza obbligarci a le streite e superstitiose regole de la volgar lingua), die in Wortschatz und Syntax ist (vgl. semplicitä e facilitä di parole e fräse) und die dadurch gerade auch einem Publikum gerecht wird (per darla bene ad intendere a le persone semplici). Demgegenüber erscheint das Toskanische (importuni toscanismi, la volgar lingua boccaccesca) als eine streng normierte Sprachform (vgl. le streite... regole), die, zumindest in dem volkstümlichen Schrifttum, als zu gelten hat (vgl. affettationi). Auch hier wird sodann darauf hingewiesen, daß diese bereits in Gebrauch ist und akzeptiert wird (da molti e diversi perö hoggi usitato et accettato). Das Attribut vario (un parlare... comune e vario) verweist ausdrücklich auf den eklektischen Charakter, auf die unvermeidliche Polymorphie der intendierten Sprachform. 3.1.3. Die hier besprochenen Sprachwertungen aus den sechziger Jahren können insgesamt dazu beitragen, die metasprachlichen Äußerungen der Flugschriftenautoren besser zu situieren. Die von Britonio 1519 bis zu Domenico Manzonis Libro mercantile (1565) relativ konstant bleibenden Argumentationsmuster verweisen auf durchgehende metasprachliche Stereotypen, auf ein für den Bereich der Gebrauchsgattungen charakteristisches Sprachbewußtsein. Ungeachtet der Frage nach der sprachlichen Physiognomie der dabei wiederholt themati-

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Das Attribut puro verweist hier nicht auf eine sprachliche im Sinne eines puristischen Sprachmodells; vielmehr verteidigt Manzoni gerade auch die Aufnahme von Regionalismen (vgl. die Fortsetzung des Zitats in Trovato 1990:59). In erster Linie scheint puro sich hier der Bedeutung von anzunähern, wodurch das beschriebene italiano puro et commune genau Giovios sempüce lingua commune entsprechen würde. -Zupuro im Sinne von «Semplice, ingenuo (lo stile)» vgl. GDLI, XIV 1988:1048.

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sierten (lingua comune, italiano comune, parlor comune) kommt hier ein anhaltendes Unbehagen an der Ausdehnung der literatursprachlichen Norm auf den gesamten schriftsprachlichen Bereich zum Ausdruck. Gerade in den Flugschriften (den avvisi, historie, dialoghi und commentari), in dem kaufmännischen Schrifttum und in den volkstümlichen Erbauungsschriften erweist sich die literarische Bembosche Sprachnorm als unangemessen und wird zugunsten einer semplice lingua comune zurückgewiesen. Die Gemeinsprache ist dabei in der Sicht der Autoren von Gebrauchstexten insbesondere durch sieben Punkte charakterisiert: 1. durch den fehlenden rhetorischen Schmuck und somit durch eine niedrige (oder mittlere) Stilebene: Es handelt sich um eine lingua senza eleganza (Falconi 1538; s.o. 2.1.2.), die gezielt auf jeden ornamento ... nel scriuere, auf adorneuoli parole verzichtet (Britonio 1519; s.o. 2.I.I./2.). Die ästhetischen Anforderungen der eloquenza werden dabei als und bezeichnet (Giovio 1541; s.o. 2.2.1.), sie charakterisieren ein Sprechen (Manzoni: Libro mercantile, Rustici: Alpio lettore; s.o. 3.1.2.). In deutlicher Unterscheidung von dem literarischen (stile) alto & superbo wird hier ein stile temprato e mezzano verwendet (Valdes 1546; s.o. 2.1.3.); 2. durch ihre Einfachheit: Die angestrebte anti-literarische, anti-rhetorische Sprachform erscheint als eine semplice lingua (Giovio 1541; s.o. 2.2.1.), sie ist durch semplicita efacilita di parole e fräse ausgezeichnet (Rustici: Alpio lettore; s.o. 3.1.2.); 3. durch ihren entschieden referentiellen Charakter: Durch den niedrigen Stil und die sprachliche Einfachheit ist die Gemeinsprache dazu geeignet, die vera sustanza de le cose (Giovio 1541; s.o. 2.2.1.) klar auszudrücken (cf.Falconi 1538; s.o. 2.1.2.), einen praktischen Inhalt zu vermitteln (cf.Britonio 1519; s.o. 2.1.1.); 4. durch ihre Verständlichkeit: Die Vermittlung von Inhalten impliziert das Bemühen um einen Text [ehe] fusse letto & inteso (Valdes 1546; s.o. 2.1.3.) °der sogar molto ben letto e inteso (Giovio: Dialogo; s.o. 2.2.2.). Besonders die sprachliche Einfachheit dient hier dazu, per darla [= la santa Scrittura] bene ad intendere (Rustici: AI pio lettore; s.o. 3.1.2.); 5. durch die Anpassung an ein volkstümliches Publikum: Die Einfachheit und Verständlichkeit macht diese Sprachform gerade auch den weniger Gebildeten zugänglich: den tant'altre signore ehe non intendono U latino (Falconi 1538; s. o. 2. i .2.), den persone semplici (Rustici: Alpio lettore; s.o. 3.1.2.), ciascuna maniera di persone (Valdes 1546; s.o. 2.1.3.); 6. durch ihre im Gegensatz zu dem streng normierten Toskanischen hervorgehobene Normtoleranz und durch ihre Polymorphic: 356

Die hier umschriebene Sprachform entfernt sich dal dritto Sentiero de lo Idioma Thosco (Britonio 1519; s.o. 2.1.2.), von derseverita delle leggidiquesto sceltoparlar toscano (Giovio: Dialogo; s.o. 2.2.2.), von demparlar... ristrettamenie ... toscano (Manzoni: Libro mercantile; s.o. 3.1.2.), von den streite e superstitiose regole de la volgar lingua (Rustici: Alpio lettore; s.o. 3.1.2.). Dagegen erscheint das parlar comune als vario (Rustici: Alpio lettore;s.o. 3.1.2.); es enthält cose... impropriamente dette (Falconi 1538; s.o. 2.1.2.), die von einem puristischen Standpunkt aus als errori (Britonio 1538; s.o. 2.1.1.) zu bezeichnen wären; 7. durch ihre Anknüpfung an den zeitgenössischen uso: Die Polymorphic der Gemeinsprache ist durch einen realen Sprachgebrauch legitimiert. Während Britonio 1519 auf einen Normenkonflikt verweist (modernamente alcuni uocaboli si usano: ehe par altri Dettamenti della nostra Vernacula Lingua imprimere: ne intendere non si potrebbeno; s.o. 2.1.2.), steht die Berechtigung der durch eine Gebrauchsnorm gedeckten in den sechziger Jahren offenbar nicht mehr in Frage (quäl si conviene et usa: Manzoni: Libro mercantile; da molti e diversi pero hoggi usitato et accettato: Rustici: Alpio lettore; s.o. 3.1.2.). Diese sieben Punkte charakterisieren insgesamt die von Giovio thematisierte semplice lingua comune, die hier vor allem als die den Flugschriften angemessene Sprachform interessiert, die jedoch darüber hinaus für den gesamten Bereich der Gebrauchsgattungen Gültigkeit zu besitzen scheint21. Wie bereits bemerkt (s.o. 2.1.4.), verbinden die metasprachlichen Äußerungen des Cinquecento in unterschiedlich starkem Maße diskurstraditionelle (stilistische) mit im eigentlichen Sinne einzelsprachlichen Bewertungen. Die einzelsprachliche Relevanz ist insbesondere bei den Punkten 6 und 7 offensichtlich: Die und der werden hier vor allem anhand des Wortschatzes und der Orthographie illustriert (uocaboli: Britonio 1519; s.o. 2.1.2.; tanto ne le voci quanta ne l'ortografia: Rustici: Alpio lettore; s.o. 3.1.2.). Weiterhin wird jedoch auch die auf lexikalische und syntaktische Kriterien bezogen (semplicita efacilita di parole e fräse: Rustici: Alpio lettore; s.o. 3.1.2.); und selbst der referentielle Charakten, die Konzentration volja ch'ia) ame εί ami. (Trissino: Grammatichetta, p. 159)

Im genauen Gegensatz zu Bembo betrachtet Trissino den Typ ame f r die erste und die dritte Person als die () Form, der ein oder markiertes ami gegen bersteht. Beide Grammatiker stimmen jedoch darin berein, da die Variation ame/ami in erster Linie innerhalb der Opposition von Vers- und Prosasprache zu erkl ren ist. Sowohl in Bembos als auch in Trissinos Sprachnormierung sind somit zwei in zahlreichen Elementen unterschiedene, gleicherma en diaphasische Variet ten des Italienischen vorgesehen: die Prosasprache und die Verssprache. 5. Im Bereich des Konjunktiv Pr sens der brigen Konjugationsklassen entscheidet sich Bembo f r das Muster vada: Quelle [voci] poi delle altre tre maniere ad un modo tutte escono nella A, lo voglia Tu legga Quegli oda. (Bembo: Prose, p. 256)

In der Folge verweist jedoch der Einwand Carlo Bembos - vergleichbar dem hypothetischen Einwand bez glich der Form seguiti in Fortunios Regole - auf eine tats chliche Normunsicherheit bei dem Gebrauch von vada/vadi: Egli sicuramente pare ehe cosi debba essere, Giuliano, come voi dεtto avete, a chi questo modo di ragionare dirittament8 consid8ra. Ma ε' si νεαε ehe i buoni scrittori non hanno cotesta regola seguitata. Percio ehe non solo n8gli altri poeti, ma ancora nel Petrarca medesimo, si leggono altramente dette queste voci: [...] (Bembo: Prose, p. 256)

Carlo Bembo zitiert Formen wie «conoschi», «rendi» bei Petrarca und «riconoschi», «sii», «muoi», «vogli» bei Boccaccio (ibid., pp. 2565.). Diese Beispiele veranlassen Giuliano de' Medici zu einer gewissen Einschr nkung seiner Regel: Egli si pare, e cosi nel vero e, messer Carlo, ehe in quella parte, della quak detto βνείε, la regola, ehe io vi recai, non tenga. E a questo medesimo pensava io teste, e volea dirvi, ehe solo nella seconda voce del ηυηιεΓΟ del meno, della qu le sono gli essempi tutti ehe voi raccolti ci avete, altramente si vede ehe s'e usato per gli scrittori, perci ehe non solo nella A, ma ancora nella I essi la fanno parimente uscire, come avete detto. Ne io in ci saprei accusare, chi a qualunque s'e l'uno di questi due modi nello scrivere la usasse; ma bene loderei pi , chiunque sotto la delta regola pi tosto si rimanesse. (Prose, p. 257)

Die Prose erlauben die Endung -i f r die zweite Person Singular, geben jedoch auch hier dem Typ vada den Vorzug. Diese Sanktionierung von Dubletten (ehe tu vada und vadi) impliziert gleichwohl eine drastische Reduzierung der tats ch377

lieh existierenden Polymorphic, indem analoge Formen der ersten und der dritten Person, die sich nicht nur bei Dante und im zeitgenössischen Sprachgebrauch, sondern teilweise auch bei Boccaccio nachweisen lassen (zu abbino vgl. RohlfsII, 1968, §555), nicht einmal erwähnt werden. Der Einwand Carlo Bembos zielt auf die Anerkennung des Typs vadi überhaupt. Die von ihm angeführten Beispiele erlauben es jedoch Giuliano de' Medici, diesen Typ auf die zweite Person Singular zu beschränken. Das scheinbare Zugeständnis der P rose an einen realen Sprachgebrauch erweist sich somit als eine rhetorisch äußerst geschickt präsentierte Beschneidung der zeitgenössischen und traditionellen Formenvielfalt. Auch Trissino kennt die Endung -i nur für die zweite Person Singular, er erachtet sie jedoch - im Gegensatz zu Bembo - für die Form (Grammatichetta, pp. 150; 152). Daneben nennt Trissino auch die der Dichtungssprache zugeschriebenen Parallelformen («ehe tu scrivi, scrive scriva»; Trissino: Grammatichetta, p. 159). Die von Bembo für die zweite Person Singular eingeräumte Polymorphic wird von Trissino noch verstärkt, aber gleichzeitig als dichtungssprachlich ausgewiesen. Die dichtungssprachliche Varietät des Italienischen scheint in den Augen Trissinos nicht nur durch spezifische, von der Prosasprache abweichende sprachliche Formen, sondern allgemein durch eine größere Normtoleranz ausgezeichnet zu sein22. 6. Für die dritte Person Plural des Perfekts kennt Bembo nur den Typ cantarono: [...] perciö ehe ne' verbi della prima maniera ella [la terza voce del numero del piü] in questa guisa termina, Amarono Portarono, la A nell'avanti penultima loro sillaba sempre avendo. (Bembo: Prose, p. 242)

Trissino dagegen kodifiziert die Form «quelli » (Grammatichetta, p. 146), gibt jedoch in dem Abschnitt über die Varianten der Dichtungssprache auch die etymologische Form an: 3

, destarcona» destorconio (Grammatichetta, p. 160)

Das grundsätzliche Bekenntnis Trissinos zu der (nicht-literarischen) Form der überregionalen koine ist hier um so bedeutsamer, als auch Fortunio Formen wie curorono, andorono, ritrouorono, salutorono usw. für inakzeptabel erklärt und die entsprechenden Belege in Boccaccios Decameron zweifelsfrei auf «error di stampa» oder «corruttion di testo» zurückführt (Regole, 2ir) 23 . 22

23

Gerade wegen der größeren Normtoleranz in der zweiten Person Singular werden die Typen ehe tu cante/canti und ehe tu vadi/vada bei der Untersuchung der Flugschriften nicht berücksichtigt: Insofern jeweils beide Formen sind, können die einzelnen Varianten nicht als Indikatoren für eine bestimmte sprachliche Varietät herangezogen werden. Noch G. Ruscelli (De' commentari della lingua toscana [1581], Venedig 1591, p. 524) ta-

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Alle drei Grammatiker führen weiter aus, daß der Typ cantorono/cantarono besonders in der Dichtungssprache häufig apokopiert oder synkopiert wird. Dabei ergeben sich weitere Unterschiede zwischen dem Bemboschen Modell des Toskanischen und Trissinos lingua italiana. Bembo läßt nur die Apokope gelten: [...] e alle volte ancora si gitta tutta intera l'ultima sillaba, Andaro Passaro Accordaro [...]. Ne mancö poi ehe eziandio due sillabe non siano via tolte di queste voci, non solo nel verso [...], ma ancora nelle prose; si come si vede nel Boccaccio, il qual disse: [...] Comperar Domandar Diliberar. (Prose, p. 242)

Während Bembo die Verwendung solcher apokopierten Formen auch in der Prosa hervorhebt, akzentuiert Fortunio stärker die Bedeutung dieser Formen als Varianten der Dichtungssprache: [...] ma presso i poeti si troua rimessa sempre quasi l'ultima sillaba. (Fortunio: Regole, 20v)

Auch Trissino ordnet die « » und die «syncoopa» der Sprache der « » zu (Grammatichetta, p. 158). Es gibt hier die folgenden Beispiele: ne le medesime terze perscone plur. de Ij'indeterminati di tutte le ccongiugazioni si rimuove l'ultima syllaba si dice: amara>n(o amarw [...]; anctu si fa per synccopa desttorno [...] (Trissino: Grammatichetta, p. 160)

Die wie beiläufig erfolgte Zuordnung der Synkope zum und der Apokope zum literarisch-toskanischen Sprachmodell ist hier durchaus bedeutsam24. Insgesamt ergibt sich somit das Muster cantorono, cantorno auf der einen und cantarono, cantaro, cantar auf der anderen Seite. Die verkürzten Formen sind dabei vor allem, aber nicht ausschließlich dem Vers zugewiesen. 7. Es fällt auf, daß Bembo bei der Bewertung des Typs cantaro/cantero verhältnismäßig ist (cf. Stella 1976:56): Era di necessitä eziandio ehe, in tutti i verbi della prima maniera, la A si ponesse nella penultima sillaba; si come in quegli della seconda e della terza la E, e in quella della quarta la I necessariamente si pongono. Ma l'usanza della lingua ha portato ehe vi si pone la E in quella vece, e dicesi Amerö Porterö. (Bembo: Prose, p. 245)

Gegenüber dieser Haltung Bembos, die eine gewisse Berechtigung der oder ) nicht möglich. - Zum Tempusgebrauch in den historic s. u. X.2. Vgl. Fatto ca. 1515, , s.: O muse/ o alto ingegno or me aiutato a racontare questa gran rouina... Die entsprechenden Reimwörter lauten «insanguinato» und «preggiato». 386

Beleg für die dritte Person Plural des Perfekts weist die Form «andorno» auf (Fatto ca. 1515, XII, 8). Im Futur dominiert eindeutig der Typ «domandaro» (Morte 03.1504, XXII,4), «lassaro» (Fatto 03.1515, XXVI,i) gegenüber dem nur einmal belegten «tornero» (Fatto ca. 1515, XXVI,2). Ebenso steht dem regelmäßig verwendeten «sars» (Morte ca. 1504, VIII,4 usw.; Fatto ca. 1515, XXX,8) ein einziges «sera» (Morte ca. 1504, XXII,s) gegenüber. Für den Konditional finden sich in Morte ca. 1504 Formen wie «parirebe», «sarebbe», «ociderebe» usw. (XI 2/4/6), in Fatto ca. 1515 ein einziges «potria» (XVII,2). Die hier zu konstatierende Formenvielfalt ist in einer Zeit fehlender grammatischer Normierung nicht verwunderlich. Dabei ist zu betonen, daß die konkurrierenden Formen - wie avemo neben abbiamo, seguitamo neben ritorniamo usw. - meist schon innerhalb des einzelnen Textes alternierend verwendet werden: Die Polymorphic im Text - d.h. in der parole des Autors und nicht nur in der zugrundeliegenden langue - ist ein Charakteristikum, das sich in den meisten älteren Schreibtraditionen nachweisen läßt. Eine eindeutige Sprachnormierung und deren konsequente Umsetzungen in den einzelnen Texten wird offenbar überhaupt erst in der typographischen Ära denkbar (vgl. etwa Giesecke 1992). Bemerkenswert ist weiterhin der Befund, daß die beiden Texte im Rahmen der gewählten Variablen (abgesehen von ehe io canta) keine regionalen oder dialektalen Formen aufweisen. Der überregionale Wirkungsradius der Flugschriften spiegelt sich in dem Bemühen um eine überregionale, wenn auch nicht streng an den literarischen Modellen orientierte Sprachform wider. Offenbar können die Flugschriftenautoren hier bereits auf einen die gesamte Halbinsel verbindenden Formenvorrat zurückgreifen, der erst von den Grammatikern der zwanziger Jahre in und , in und , in und Formen unterteilt wird. 2.1.2. Der in den dreißiger Jahren in Mailand tätige Alessandro Verini Fiorentino ist einer jener im Umkreis der Druckereien tätigen poligrafi, die die herumziehenden cantastorie als Flugschriftenautoren ablösen (s.o. V.4.3-). Die ursprünglich mündlich sufgeführte historia wird zu einem durch die sufstrebende Druckindustrie verbreiteten Text. Die Leseradressen (vgl. nur Verini 1533, XLV,i) lassen keinen Zweifel daran, daß die historic nunmehr eindeutig zur Lektüre (und nicht mehr zur Aufführung durch einen cantastorie) bestimmt sind. Der Abdruck einer historia und eines avviso in Verini/Brilla (nach) 1533 illustriert überdies die Gleichwertigkeit dieser beiden Gattungen in den frühen dreißiger Jahren (s.o. V.7.2.I.): Wie der avviso, so stellt auch die historia despoligrafo eine kurze (hier zwei- oder vierblättrige), volkstümliche Informationsschrift dar, die sich in erster Linie an ein städtisches Lesepublikum richtet. Eine literarische Gestaltungsabsicht gibt sich in den Flugschriften Verinis nicht zu erkennen. Vielmehr bedient sich der poligrafo großzügig der textuellen und sprachlichen Muster der älteren historie und schreckt dabei - vor allem im Reim - auch vor heterogenen Elementen (vgl. nur «gente gnaf» in Verini 1533, 387

XXXIV,4) nicht zurück36. So wird die Polymorphie der traditionellen Flugschriften in ottava rima in Verinis etwa ein Jahrzehnt nach Bembos Prose veröffentlichten Texten nur teilweise reduziert. Zwar werden die in Morte ca. 1504 und Fatto ca. 1515 nebeneinander verwendeten Typen cantamo/cantiamo und cantati/ cantate im Sinne der toskanischen Literatursprache vereinheitlicht: «ritorniamo» (Verini 1533, XL,i; Verini/Brilla [nach] 1533, , usw.), «bramate», «amate» (Verini 1533, XI,3/5). Doch auch hier findet sich im Reim die Form der koine («piu ehe uoi me amati»; Verini 1533, VII,3). In der dritten Person Plural verwendet Verini regelmäßig die toskanische Form: «eschon», «possono» (Verini 1533, XXXIIIj; XLVIIj), «paiono» (Verini/Brilla [nach] 1533, XV,4), z.T. jedoch auch die etymologische Form «hauen» (Verini 1533, XXIV,4; Verini/Brilla [nach] 1533, V,2)37. Während der Konjunktiv Präsens der ersten Konjugationsklasse der Bemboschen Norm entsprechend «guidi» lautet (Verini/Brilla [nach] 1533, XXXV,6), verdient der Typ (ehe io, egli) vadi/vada ein besonderes Interesse. Hier dominieren eindeutig die Substandardformen «senti», «uogli», «uadi», «perdi» (Verini T 533, XV,5; XVI,2; XIX,2; XXX,8), «uadi», «uogli» (Verini/Brilla [nach] 1533, , ; XXIV,3), «vadi» (Verini [nach] 1535, , ). Die von den Grammatikern vorgeschriebenen Formen tauchen dagegen vor allem im Reim auf: «possa», «goda» (R), «metta», «metta» (R) (Verini 1533, 1,4; XXIV,8; XXX.2/3), «arda» (R) (Verini/Brilla [nach] 1533, XXVI,4). Es fällt auf, daß Verini - im Vergleich zu den früheren historic, die allein den Typ possa kennen - die Polymorphie in diesem Bereich noch verstärkt. Eindeutig ist dagegen Verinis Option für die Form der dritten Person Plural des Perfekts der ersten Konjugationsklasse: «andorno», «cominciorno», «superorno» usw. (Verini 1533, XLVII,8; XLVIII.i; LIII,8). Im Futur finden sich sodann ausschließlich die literarisch-toskanischen Formen: «gridera», «aquisteren»38 usw. (Verini 1533, XVIII,6; XXV,8); 36

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In der Crudelissima Rotta ehe ha Dato Andrea Dona ...AI gran Turcho steht «quella canaglia sporca e gente gnaf» im Reim mit «e delle artiglierie far tif taf» und «[il principe Andrea Doria] ehe inteso il tutto no fe beff & baf» (Verini 1533, XXXIV, 2/4! 6). Das CDU VI, 1970:340 verzeichnet das als «popol. disus.» eingestufte gnaffo («persona spregevole, birbante») und erklärt es als Derivat von gnaffe. Zu gnaf/gnif\gl. jedoch auch DEAFG6,1989:9155. mit einem Beleg «francoit. av. 1252» («homme de rang et d'une condition tres inferieurs dans la hierarchic de la societe») und Hinweisen auf den argot. Nach Ferrero 1991:1655. ist gnaf «voce milanese del secolo scorso». - In Verinis Flugschrift ist gnaf als volkstümliches, möglicherweise dem Dialekt (vgl. mail. gniff) oder einem gergo zuzuordnendes Wort einzuschätzen. Haven ( mandor (VII,i);passonno > passorno (IX,i); ammazzonno > ammacciorno (XLI,4); cominciono > cominciorno (LIX,l); rinfrescon > rinfrescorno (XCIIj); assettonno > assettorno (XCVIII,i). Der gezielte normierende Eingriff zugunsten von cantorno verweist von neuem auf den hohen Signalwert, der dem Muster in den historie des frühen Cinquecento beigemessen wird (s.o. 2.1.3.; 3·1·)· 3.3. Volkstümliche und gelehrte historie 3.3.1. Die Typen cantati, cantor(o)no, cantarö, faria und (in etwas geringerem Maße) serö sind vom Ende des Quattrocento bis in die Mitte der dreißiger Jahre des Cinquecento für die sprachliche Form der volkstümlichen historie prägend. Die große Stabilität dieser Muster erlaubt die Hypothese einer mehr oder weniger deutlich umrissenen Sprachvarietät des Italienischen, die sich auch in den dreißiger Jahren nur unmerklich der Bemboschen Norm annähert und deren Angemessenheit für volkstümliche Texte offenbar außer Frage steht. Die hier zu verzeichnende Polymorphie ist dabei nicht notwendig im Sinne einer zu interpretieren. Daß diese etwa in Celebrino 1534 verwendete Sprachform über spezifische, wenn auch implizit bleibende Regeln verfügt, zeigt die konsequente Ersetzung von canton(no) durch cantor(no} in Maffeo Pasinis Nachdruck. Dem Wirken des Korrektors liegt eine präzise normierende Absicht zugrunde. Er richtet sich an einer - in keiner der zeitgenössischen Grammatiken in dieser Form festgeschriebenen - Gebrauchsnorm aus. Dagegen folgen die stark literarisierten, insbesondere auch an Ariosts Orlando furioso orientierten, durch den expliziten Ausschluß volkstümlicher Rezipientengruppen geradezu als zu bezeichnenden historie der dreißiger und vierziger Jahre weitgehend dem Bemboschen Modell der Dichtungssprache. Vergleichbar den mailändischen Schriften von Albicante (1538 und 1541) und Nardi (1546) (s.o. 2.1.3.) finden sich in Albicantes venezianischer Intrada di Milano di Don Philippo d'Austria Re di Spagna (1549) ausschließlich die literarischtoskanischen Formen «habbiamo» (LXVII,6), »date« (11,3), «escon» (111,5), im Futur «mostrero» (V,3), «saro» ( , ) und das poetische «fia» (XXXVIII,6).

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In einem einzigen Fall wird «passen» in «passaron» korrigiert (XXVI,2). Die erklärt sich hier aus dem Einfluß des zu Beginn des nächsten Verses stehenden «andaron». Die Durchbrechung des Versmaßes - gegenüber einem metrisch korrekten passor oder passorno - läßt an einen Fehler des Setzers denken: [passon >] passaron elpian d'Arezzo e iuer quarata andaron senza Hauer contra ripari (Celebrino 1534, XXVI,2S.) 404

Im Konjunktiv Präsens der ersten Verbklasse macht Albicante einen reichen Gebrauch von dem von Bembo als dichtungssprachlich eingestuften Typ (ehe io, egli) cante: «reste», «nome» (R), «aßotiglie» (R), «inchine» usw. (XV,6; LXXVIII,3; CVIII,4; CXIIIj). Ebenso verwendet er für das Verb essere regelmäßig das dichtungssprachliche «saria» (LX,8; LXI,s; CXXVIII.i; CXXXV,8 usw.), aber «vorrei», «farebbe» (XXI,5; LXVIII,8). Der vamente aggiunte verwendet (5.0.111.3.4.), macht die Oratione für eine kritische Betrachtung des Verhältnisses zwischen expliziter Sprächnormierung und tatsächlicher sprachlicher Praxis besonders aufschlußreich60. In der Vergangenheit wurden die (vermeintlichen) Widersprüche zwischen dem Grammatiker und dem Autoren Trissino - etwa im Fall der Typen vedeno und cante - herangezogen, um den unrealistischen, Charakter des Sprachmodells der lingua comune zu belegen. So hebt Vitale (1957/1988:2745.) hervor, daß Trissino nicht nur im Vers, sondern auch in der Prosa (in den Ritratti, den Dubbj grammaticali und in der Prima Divisione della Poetica61) neben Formen wie «diffundeno», «concorreno», «scriveno» usw. überwiegend die Formen in -ono verwendet. Für die Variable (ehe io, egli) cante/canti verzeichnet Vitale (1957/1988:3025.) in der Prosa (neben den drei genannten Werken wird hier auch die «Orazione ad Andrea Gritti» berücksichtigt) sogar eine ausschließliche Verwendung des von Bembo vorgeschriebenen Typs («il congiuntivo in -/ e assoluto»).

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Zu dem Espressionismo epistolare di Paolo Giovio vgl. Folena 1991. Insbesondere macht Folena deutlich, «quanto [...] la dimensione sia [...] sostanzialmente estranea alia lingua del Giovio, ehe fagocita e assimila con la stessa voracitä elementi espressivi di ogni provenienza [...], ehe rappresenta, per estensione ed escursione, la punta piü eccentrica della storia linguistica del nostro Cinquecento» (p. 239). Die von Folena vor allem im lexikalischen Bereich belegte Heterogenität und der Charakter seiner Sprache vermögen somit beispielhaft das von Giovio beanspruchte parlare alia cortigiana zu illustrieren (s.o. VIII.2.2.2,). Die Grammatichetta, die «per affermazione del Trissino doveva giä essere composta nel 1524» (Castelvecchi igSoiLlv), ist somit trotz ihres späteren Erscheinungsdatums (1529) als zeitgleich zu der Oratione zu betrachten. Vitale legt hier die Ausgabe von Vallarsi aus dem Jahre 1729 zugrunde, zieht jedoch zur Kontrolle jeweils die in Vicenza erschienenen (Erst-) Drucke des Jahres 1529 heran. 418

Dieser Befund führt Vitale (1957/1988:303) zu dem folgenden Schluß: [. . .] la regolamentazione grammatical trissiniana sembra piuttosto procedere da un intento teorico e normative ehe fondarsi su una realtä. Die zwischen den Normierungsbestrebungen und der sprachlichen Praxis Trissinos im Falle der Typen vedeno und cante bezeugen somit la sua disposizione e vocazione teorica antifiorentina, la sua fede, nei fatti illusoria, in una lingua italiana rispetto alia quäle le forme fiorentine rappresentavano una deviazione singolare. [...] E la sanzione della sua battaglia perduta, la conferma del valore polemico della sua posizione grammaticale e nelle sue stesse abitudini linguistiche in quanto, contro alle norme ch'egli dettava, il Trissino s'atteneva fedelmente alle forme della lingua letteraria fiorentina e toscana ehe la grammatica normativa del primo Cinquecento, pur nella varietä delle posizioni generali, con obiettiva coscienza storica, registrava puntualmente. (Vitale Dieser entschiedenen Ablehnung der Position einer lingua comune - auf deren ideologischem Charakter hier nicht im einzelnen eingegangen werden kann (s.o. I.I.2.) - sind insbesondere zwei Punkte entgegenzuhalten: Zum einen zeigt eine genaue Lektüre von Trissinos Oratione (1524), daß hier entgegen dem von Vitale erzielten Ergebnis die Formen der lingua italiana «mandeno» (2r), «viveno», «fuggeno», «richiedeno» (4v), «parteno» (gv) - eindeutig über die literarisch-toskanischen Formen - «scogliono» (6v), «pajono» (8v) - überwiegen. Auch im Bereich des Konjunktivs ergibt sich hier nicht etwa ein ausschließlicher Gebrauch der literarisch-toskanischen Form, vielmehr sind beide Typen (cante und canti) jeweils einmal belegt: «merite» (vv)62, «degni» ( ). Somit darf hier bereits festgehalten werden, daß sich das zahlenmäßige Verhältnis zwischen den Formen der lingua italiana und der lingua toscana in der Oratione (1524) weit weniger für Trissinos Position darstellt, als aus Vitales Ausführungen hervorgeht. Vor allem ist jedoch darauf hinzuweisen, daß eine rein quantitative Betrachtungsweise in diesem Zusammenhang keineswegs ausreichend ist. In der Tat ist die präzise Bestimmung des zahlenmäßigen Verhältnisses zwischen den Typen vedeno und vedono zweitrangig gegenüber der Feststellung, daß Trissino beide Typen verwendet. Dabei widerspricht eine Form wie vedono keineswegs Trissinos Sprachmodell, vielmehr verzeichnet die Grammatichetta (p. 159) neben den Formen der lingua italiana («scrivenco», «sentence») ausdrücklich die oder Sonderformen «scriviünco» und «sentomto». Dagegen widerspricht der Typ vedeno eindeutig der Bemboschen Normvorgabe, die nur den Typ vedono erlaubt. Analog stellt sich die Situation für cante/canti dar, wo Bembo in der Prosa nur canti gestattet, während Trissino neben cante 62

Die Stelle lautet im Zusammenhang: E quantunque Vwstra Serenita habbia sempre meritato, merite di havere wgni cwsa di pnospero; pure...

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auch die Sonderform canti verzeichnet. Insgesamt ist somit in genauer Umkehrung von Vitales Schlußfolgerung zu betonen, daß Trissino keineswegs «contro alle norme ch'egli dettava» verstößt - denn an keiner Stelle bezeichnet Trissino die Typen vedono oder canti als falsch - und daß er keineswegs «fedelmente» die «forme della lingua letteraria fiorentina e toscana» im Sinne der «grammatica normativa del primo Cinquecento» verwendet - denn für einen Bembo ist die von Trissino verwendete Alternanz vedeno/vedono oder cante/ canti (in der Prosa) nicht akzeptabel. Die lingua comune ist grundsätzlich eine Sprachform, wie jede koine ist sie durch ihre Offenheit für heterogene Elemente ausgezeichnet (s.o. VIII.3.2.2.). Es kann somit gar nicht in der Absicht Trissinos liegen, dem streng normierten literarischen Toskanisch im Sinne Bembos eine ebenso eindeutig kodifizierte lingua italiana gegenüberzustellen. Das von Bembo allein aufgeführte vedono möchte Trissino nicht durch ein exklusives vedeno ersetzen, vielmehr fordert er die Anerkennung beider Varianten. Trissinos Grammatichetta kann geradezu als ein Plädoyer für die von Bembo gezielt ausgeschlossenen gemeinitalienischem Formen gelesen werden. Trissino geht es dabei weniger um eine tatsächlich - Ablehnung der Muster der toskanischen Literatursprache als vielmehr um die Bewahrung einer gewissen Polymorphic63. Gerade die größere Normtoleranz ist es jedoch, die die lingua comune für die gebrauchssprachlichen und volkstümlichen Schriften geeigneter erscheinen läßt als das streng normierte scelto parlar toscano (s.o. ¥111.3.1.3.). Dem gelehrten, literarischen Autor ermöglicht die Existenz von Dubletten insbesondere auch eine gezielte Verwendung der einen oder der anderen Variante zur Erzielung präziser stilistischer Effekte. Dies soll hier anhand von zwei Beispielen illustriert werden. In der Grammatichetta erlaubt Trissino ausdrücklich sowohl den Typ/aria, als auch den Typ farei (s.o. 1.2.2.). In der Oratione (1524) finden sich zunächst die Formen «sarebbe», «potrebbono» (6r; yr). In einer rhetorisch besonders ausgefeilten Passage verwendet Trissino sodann die von Bembo nicht zu Unrecht als eingestufte Form in -ia: Hora, Essendo esso Principato (come (ugniuno sä) il maggiore, et il piu honorato de tutti quanti i beni humani, divini, Quäle Oratore? Quäle Histcorico? (0 quäl Poeta? potria degnamente laudare colui, ehe habbia cosi honoratissimamente la piu honorata cü)sa del mondo acquistata? certo niuno. (Oratione 1524, 8r-8v)

Die dichtungssprachliche Form potria trägt hier zweifellos zu dem hohen, Ton der Stelle bei. Der Wechsel -emo/-iamo in einer anderen, ebenfalls

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Vgl. auch Castelvecchi 1986: LVs.: «E' interessante, ancora, ehe la presenza di allotropi, ad esempio nella morfologia verbale, [...] appaia funzionalizzata a quei casi in cui gli esiti antitoscani siano sentiti come prioritari, in quanto , ma non cosi perentoriamente da offuscare il prestigio delle concorrenti forme toscane.» 420

sehr bewußt konstruierten Passage, scheint dagegen in erster Linie dem Bedürfnis nach einer stilistischen variatio zu entspringen: E percb non tanto si dee reputare beata sua Serenitä, per essere si gloriosamente ascesa al Principato, quanto noi altri si devemo stimare felici, i quali siamo per dever essere governati da si buomo, si excellente Principe. (Trissino: Oratione 1524,9r)

Die Beispiele machen deutlich, daß die Existenz von Allomorphen für Trissino keineswegs negativ, als eine fehlende Sprachnormierung, sondern positiv, als ein besonderer Reichtum zu bewerten ist, der dem literarischen Autor eine individuelle stilistische Gestaltung ermöglicht64. Eine solche Sprachauffassung scheint bis heute teilweise auf Ablehnung zu stoßen. Nur wer die drastische Reduktion von Allomorphen als eine geradezu notwendige Entwicklung begreift, kann dem Bemboschen Purismus eine obiettiva coscienza storica zuschreiben. Immerhin sei hier darauf verwiesen, daß auch in den heutigen Standardsprachen und gerade im Italienischen z.T. ein mehr oder weniger großer «Variationsspielraum» gegeben ist (Albrecht 1990:56). Neben den Fällen visto/veduto, epiovuto/ ha piovuto, doveUdovetti können hier Dubletten wie devono/debbono, sieda/ segga usw. genannt werden, die jeweils nach stilistischem Kriterien ausgewählt werden. Die Sichtweise von Bembos Prose, die mehr oder weniger stark die Sichtweise der heutigen sprachgeschichtlichen Forschung prägt, erschwert eine unvoreingenommene Beurteilung der lingua comune in der kommunikativen Realität des frühen Cinquecento (s.o. VIII.3.I.I.). Insbesondere kann diese letztlich Perspektive zu einer Fehleinschätzung von Trissinos Grammatichetta, als des wohl bedeutendsten Kodifizierungsversuchs einer stärker auf dem Koine-Gedanken aufbauenden italienischen Standardsprache führen (s.o. I.I.2.).

5.3. Die semplice lingua comune in der sprachlichen Realität des frühen Cinquecento 5.3.1. Mit den hier untersuchten neun Variablen werden die aussagekräftigeren sprachlichen Muster im Bereich der Verbmorphologie des frühen Cinquecento erfaßt. Weitere Formen wie fo gegenüber fu, cantavono gegenüber cantavano usw. lassen sich weniger häufig belegen und können den dargestellten Ergebnissen insgesamt keine neuen Aspekte hinzufügen. Es darf davon ausgegangen

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Das stilistische Verfahren Trissinos unterscheidet sich deutlich von dem eines Albicante (s.o. 3.3.1.). Die Verwendung \onpotria neben potrebbono und von devemo neben siamo verweist hier auf den innerhalb derselben Sprachvarietät (der lingua italiana); das accompagnorno oder der Vers Por Dios verdadero que ben os digo in Albicantes Cappriccio stellen dagegen die einer anderen, von dem scelto parlar toscano deutlich unterschiedenen Varietät (der lingua comune bzw. des Spanischen) dar. 421

werden, daß die zugrundegelegten Muster für die Variation innerhalb der Verbmorphologie insgesamt repräsentativ sind. Weiterhin stellt der «settore verbale» zweifellos den «settore piü ricco di forme controverse» in der zeitgenössischen Normendiskussion dar (Tavoni 1992:1078). Die Bedeutung der Typen cantamo vs. cantiamo, cantati vs. cantate usw. für die Abgrenzung unterschiedlicher sprachlicher Varietäten des Italienischen wird durch die z.T. konträren Bewertungen in den zeitgenössischen Grammatiken belegt (s.o. 1.2.). Wenn somit die hier untersuchten neun Variablen allein nicht zur Konstitution eigener Sprachvarietäten ausreichen, so besitzt doch die Hypothese, derzufolge die Typen cantamo, cantati, vedeno, vadi, cantorono, cantarö, sero, faria auf die von Paolo Giovio den Flugschriften zugesprochene semplice lingua comune verweisen, eine große Plausibilität. Die im Bereich der neun Variablen anzutreffenden Verbformen können in der dargelegten Weise als relativ verläßliche Indikatoren des scelto parlar toscano oder der semplice lingua comune oder der Dichtungssprache gelten. Von einer Ausdehnung der Untersuchung auf weitere Bereiche der Grammatik - wie etwa die Personalpronomina oder die Artikel - kann hier somit abgesehen werden. Die erheblichen Differenzen zwischen der Vers- und der Prosasprache selbst im Innern der Bemboschen Sprachnorm belegen die Relevanz des von Albicante (1549, XCIV,7) formulierten Schlagworts E uno dir in prosa, et altro in versi. Die von den Autoren wiederholt hervorgehobene Opposition erweist sich als ein wesentliches Element bei der gattungsgeschichtlichen und der sprachgeschichtlichen Betrachtung der italienischen Flugschriften in der ersten Hälfte des Cinquecento (s.o. VII.i.i.). Die sprachliche Form der Versflugschriften verweist auf eine von den zeitgenössischen Grammatikern übereinstimmend angenommene, spezifische diaphasische Varietät: eine italienische Dichtungssprache. Weiterhin ist hier insbesondere die Ausbildung einer gebrauchssprachlichen, volkstümlichen semplice lingua comune von Bedeutung, die offenbar gerade nach der Bemboschen Sprachnormierung, in den avvisi der Jahre 1525 bis 1550, einen eigenen, an auffälligen Indikatoren wie cantati oder cantorono erkennbaren Charakter erlangt. Die sprachliche Form der volkstümlichen avvisi erlaubt die Hypothese einer deutlich charakterisierten Varietät des Italienischen der literarischen Prosasprache. Diese mit Paolo Giovio als semplice lingua comune bezeichnete Sprachform entspricht dabei sicher eher der «varietä media» als der «varietä bassa» in dem Modell von Pietro Trifone (1992:554-559): Bei den Verfassern der avvisi handelt es sich keineswegs um semi-analfabeti, sondern um berufsmäßige Schreiber, die am ehesten dem Bereich der semicolti zuzurechnen wären (s.o. 1.5.). Nur bei solchen hinreichend alphabetisierten, aber von keinerlei literarischem Ambitionen bewegten Autoren, die sich an ein überregionales, keineswegs ausschließlich gelehrtes Publikum wenden, um als wesentlich erachtete Inhalte (Nachrichten) mitzuteilen, ist die Verwendung einer von dialektalen Elementen weitgehend freien, aber bewußt der literarischen Norm liegenden Sprache zu erwarten. Hier trifft sich die Kommunikationssituation der Flug422

Schriften und insbesondere der avvisi mit den Charakteristiken fachsprachlicher Texte(s.o. VIII.3.I.3.). Wenn die in den avvisi verwendete Sprache hier als diaphasisch und diastratisch niedrig markierte (, ) Sprachform bezeichnet werden kann, so erfolgt diese Bewertung im Vergleich zur elitären zeitgenössischen Literatursprache, wie sie auch in einigen gelehrten Flugschriften verwendet wird. Die Existenz noch weit sprachlicher Praktiken, wie etwa der «ricevute e certificazioni emesse nel secondo Quattrocento da piccoli commercianti e artigiani», auf die sich P.Trifone (1992:559) bezieht, soll damit keineswegs in Frage gestellt werden. Gerade das Niveau der in den avvisi verwendeten Sprache, die sich sowohl von der literarischen Norm als auch von den stark durch dialektale und mündliche Muster beeinflußten Sprachformen nur okkasioneller Schreiber unterscheidet, macht sie für eine sprachhistorische Aufarbeitung interessant. Im zweiten Viertel des Cinquecento deutet sich hier geradezu die Herausbildung einer überregionalen, nicht-literarischen Schriftsprache des Italienischen, eines gebrauchssprachlichen, (relativ) volkstümlichen Standards an. Das Scheitern eines solchen , praxisbezogenen Sprachmodells an dem auf die Imitation der Modellautoren festgelegten Klassizismus Pietro Bembos konnte hier exemplarisch anhand der Literarisierung der Gattung historia nachgezeichnet werden. In den zwanziger und dreißiger Jahren des Cinquecento wandelt sich die Flugschrift in ottava rima von einer volkstümlichen, durch ihre semi-orale Darbietung selbst Analphabeten zugänglichen Kommunikationspraxis zu einer eindeutig literarischen, elitären Dichtungsform. Dieser sozio-kulturelle Wandel der Gattung ist mit einer Ersetzung der eher an der lingua comune ausgerichteten traditionellen Sprachform durch eine stärker an der Bemboschen Norm orientierte Dichtungssprache verbunden. Eine vergleichbare gattungsgeschichtliche Entwicklung, eine , tritt im Bereich der avvisi nicht ein. Gleichwohl wird die in den Drucken der Girolama Cartolari (1546) noch sehr stabile semplice lingua comune in den späteren Schriften schrittweise durch die Bembosche Norm ersetzt. Die Gründe für diese - sich über mehrere Jahrzehnte erstreckende - Entwicklung, die die sprachliche und kulturelle Situation des späten Cinquecento und z.T. noch des Seicento betrifft, können hier nicht im einzelnen diskutiert werden. Die Präsenz von Formen wie «lasciarö», «pioveno», «habbi», «sariano» in Dorico 1557 (pp. 1505.), von «potria», «appressorno», «sparorno», «habbi», «dispensaranno» in Descrittione 1571 (pp. 159-162), von «andorno», «sachegiorono», «stracciorono», «tagliorono» usw., «habbino», «avisaro» (Futur) in Crudelta 1572 (pp. 165-168) und sogar noch von «cadino», «auuisarä» in Copia 1686 (4v) bezeugen die beachtliche Fortdauer der von der Bemboschen Norm abweichenden Muster im Bereich des aktualitätsbezogenen Schrifttums. Die durch die Bembosche Kodifikation aus dem Standard ausgesonderten Sprachformen vedeno, vadi, cantorono, cantaro, faria sind in den avvisi selbst in 423

der zweiten Hälfte des Cinquecento noch relativ verbreitet. Sie besitzen eine z.T. bis ins Seicento reichende Tradition65. 5.3.2. Die den Flugschriften angemessene Sprachform wird von Paolo Giovio (1541, 2v) als eine «semplice lingua commune a tutta ITALIA» bezeichnet (s.o. VIII.2.2.I.). Der überregionale Charakter der vor allem in den volkstümlichen historie und avvisi verwendeten Verbformen cantamo, cantati, vedeno usw. konnte hier anhand der mailändischen, venezianischen und römischen Belege aufgezeigt werden (s.o. 2.-4.). Die untersuchten Variablen lassen tatsächlich auf eine von der Bemboschen Norm unterschiedene italienische schließen. Die vor allem für den nichtliterarischen Bereich gültige lingua comune a tutta Italia stellt in der ersten Hälfte des Cinquecento zumindest in einigen Bereichen der Grammatik (wie etwa der Verbmorphologie) eine Realität dar. Die wiederholt behauptetesemplicita dieser Sprachform (s.o. VIII.s.i/j.) gibt sich im morphologischen Bereich allerdings weniger deutlich zu erkennen66. Wenn man davon ausgeht, daß «die Analogie, durch die größere Regelmäßigkeit in einem Teilbereich der Sprache hergestellt wird,» ein sinnvolles Kriterium für sprachliche Einfachheit darstellt (Albrecht 1990:88), so kann hier lediglich die Generalisierung der Konjunktivendung -i als Hinweis auf die semplicita der lingua comune gewertet werden: Das Muster ehe io canti, vedi, senti ist regelmäßiger und somit als das Muster ehe io canti, veda, senta67. Die übrigen untersuchten Typen, wie cantati gegenüber cantate, cantorono gegenüber cantarono, lassen sich dagegen unter dem Gesichtspunkt der nicht sinnvoll bewerten. So scheint den Formen der lingua comune zwar eine größere Regelmäßigkeit im Hinblick auf die einzelnen Verbklassen zuzukommen: Dem Muster cantare, fernere, sentire entspricht cantamo, tememo, sentimo; cantaro, temero, sentiro usw. Auf diesen Aspekt weist Bembo hin, indem er feststellt, das Futur der ersten Verbklasse müßte «di necessitä» amarö lauten, während die «usanza della lingua» sich für amero entschieden habe (Bembo: Prose, p. 245)68. Dagegen ist das von Bembo normierte Toskanische oftmals in Hinsicht auf die einzelnen Tempora, wo z.T. eine Nivellierung zwischen den je-

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Zu dem Typ mancaro, der im Seicento einem volkstümlichen Sprachgebrauch zugewiesen wird, vgl. De Blasi 1993:905.; zu demselben Muster und dem Typ bramamo, prohibemo in einer «lingua scritta rivolta al popolo» vgl. ibid., pp.98; 115 Anm. 13. Zu der z.T. konträr geführten Diskussion um den Begriff der sprachlichen vgl. Ernst 1983; Albrecht 1990:74-102; Berruto 1990. Ernst (1983:112; 116), der dem Begriff der sprachlichen Einfachheit «eher skeptisch» gegenübersteht, spricht gleichwohl bei der Form vadi ausdrücklich von einer «Vereinfachung», da sie das Verb andare «besser in das Paradigma der übrigen Verben auf -are·» eingliedert. Zu dem Gegensatz von consuetude bzw. usus und ratio (»der durch Analogie hergestellten Regelmäßigkeit») vgl. Albrecht 1990:92.

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weiligen Verbklassen stattfindet (-iamo gegenüber -amo, -emo, imo; -ero, -irö gegenüber -arö, -ero, -irö}. Insgesamt sind die Formen cantamo, cantali, vedeno, cante, vadi, cantorono, cantaro, sero, faria somit nicht als die entsprechenden Typen des Bemboschen Sprachmodells. Sie sind auch nicht a priori für gebrauchssprachliche oder volkstümliche Texte besser geeignet als die literarisch-toskanischen Parallelformen. Die Zuweisung von Formen wie cantamo, cantati, cantorono usw. zu einer diaphasisch und diastratisch niedrigen Varietät, zu einem Substandard, erfolgt vielmehr ) oder als presente () interpretiert werden (s.o. IX.2.i.i.); aus rhythmischen Gründen ist hier wohl der Lesart )14. Ebenso ist die Antwort, die Alexander VI. dem Dämon gibt - tu m 'hai avuto a ingannare - weitgehend äquivalent zu : Der Papst will den Pakt mit dem Dämon nicht einhalten, weil dieser ihn betrogen hat (nicht: )15. Es wird deutlich, daß die funktional oftmals nicht mehr befriedigend zu erklärende Konstruktion avere a + Infinitiv> ebenfalls der Tendenz zu zusammengesetzten Verbformen entspricht, die die Sprache von Morte ca. 1504 insgesamt prägt. Die periphrastischen Formen werden hier bevorzugt, weil sie den leichten

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Zu der modalen Periphrase im heutigen Italienisch vgl. Bertinetto 1990; vgl. auch Rohlfs III, 1969, §702; Vitale 1983/1988:188 Anm.68. Auch hier zeugt ein Vergleich des Orlando innamorato mit dem Orlando furioso von einem innerhalb weniger Jahrzehnte vollzogenen sprachlichen Wandel: Während Boiardo auffällig häufig Formen wie «ebbe ad apparire» (Libra primo, Cantoprimo, XX,7), «ebbe a firmare» (ibid., LXXXIII,2) usw. im Reim verwendet, ohne daß ein modaler Wert nachvollziehbar wäre, findet sich dieses Verfahren der Reimfindung bei Ariost nicht mehr (kein Beleg im ersten Gesang des Orlando furioso). Zu = = vgl. Battisti/AlessioV, 1957:3410; das G D LI I, 1961:925. verzeichnet (auch ) mit der Bedeutung «dar commiato, congedare; allontanare, mandare via», in der reflexiven Verwendung «prendere commiato, partirsi (da una persona, da un luogo), allontanarsi». Das si in sebbe kann als Reflexivum () oder als sipassivanie ( wird hier (im Anschluß an Koch/ Oesterreicher 1990:11) der durch «vorherige und folgende Äußerungen und Äußerungsteile» gebildete verstanden. 476

Allerdings gelingt die syntaktische Integration in den volkstümlichen avvisi z.T. nur in unzulänglicher Weise. Konstruktionsbrüche sind hier keine Seltenheit. So setzt der Mzrraft'o-Teil der Copia de la littera venuta a la Signoria di Venetia del conquisto ehe ha facto el gran Turcho contra el Soldano di Babilonia folgendermaßen ein: Ora per fare intendere aquelli potter sapere / come nel mile cinque cento quatordece el gran Turchio si fece fatodarme con el Sophi di Persia & da lui fu rotto e scofitto del ehe el Soldano di Babilonia fu forte in aiuto al Sophi / & mai uolse dare aiuto di uictuaglia al gran Turcho / Et per questa causa sempre se a pensato di fare uendetta: & cosi ordino secretamente con li suoi primi Bassani de andare a questa impresa a destrugere e tore lo stato al Soldan (Copia [nach] 1514, Iv)

Der Beginn der Erzählung (nel mile cinque cento quatordece el gran Turcho si fece fatodarme con el Sophi di Persia) ist durch die Konjunktion come dem vorausgehenden sapere untergeordnet. Die syntaktisch nicht sehr einsichtige doppelte Infinitivkonstruktion (per fare intendere a quelli poter sapere41) ihrerseits fügt sich jedoch in keinen übergeordneten (*dico o.a.) ein. Vielmehr folgt hier eine Reihe von meist mit et eingeleiteten Gliedsätzen (& da luifu rotto ...;del ehe el Soldano di Babilonia fu forte in aiuto...; & mai uolse dare aiuto...; Et per questa causa sempre se a pensato ...; & cosi ordino ...). Dabei läßt sich nicht eindeutig entscheiden, wo das mit come eingeleitete Nebensatzgefüge endet. Wahrscheinlich hängt der mit del ehe angeschlossene Kausalsatz noch von dem Come-Satz ab. Spätestens mit Et per questa causa beginnt jedoch zweifellos ein neuer Hauptsatz. Der unvollständige Satz> per fare intendere a quelli poter sapere come ... sowie der schrittweise vollzogene Übergang von der syntaktischen Subordination (come, del ehe) zu der Koordination (et) können als deutliche Hinweise auf eine dem Gesprochenen nahestehenden Syntax gewertet werden. Eine vergleichbare Konstruktion findet sich zu Beginn einer mehr als dreißig Jahre später entstandenen Briefflugschrift, der Copia di una lettera del campo ecclesiastico aus der Zeit des Schmalkaldischen Krieges: Aacio V. S. sia per me, anche, se non in tutto in parte raguagliata del viaggio c'ha tenuto il nostro Reuerendiss. Legato dopo l'infirmita sua. Et dico ehe Märte il giorno .10. d'Agosto si parti da Trento ... (Copia campo 1546, ir)

Der finale Nebensatz (aacio [acciö] V. S. sia per me... raguagliata) entspricht der impliziten Konstruktion per fare intendere a quelli in der früheren Copia ([nach] 1514). Allerdings ist der übergeordnete Hauptsatz (dico ehe) hier vorhanden. Auffällig ist jedoch die Konjunktion et, durch die der Hauptsatz an den untergeordneten Nebensatz angeschlossen wird. Es handelt sich um eine charakteristische Form der sog. paraipotassi (s.o. 2.1.6.). 41

Inhaltlich ist poter sapere final zu verstehen (per fare Intendere a quelli si ehe sappiano); (fare) poter sapere ist somit synonym zu fare intendere und enthält keine neue Information.

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Eine Reihung von syntaktisch z.T. kaum mehr erklärbaren Elementen findet sich in der ebenfalls von Girolama Cartolari im Sommer des Jahres 1546 gedruckten Presa dl Toneverth et di Ethin. In der folgenden Passage ist von der «Eccel. del Duca Ottauio» die Rede: Da poi la notte passata sua Maesta H comisse ehe con Quatro milla Italiani, & altre tanti todeschi, & mille Caualli leggieri & dodici pezzi d'artegliaria, & cosi marchiorno tutta la notte, al far del di li nostri animosamente assali & preseno li borghi di Toneuerth, & entrati ne i Rouelini brusiate le porte, il ehe auistosi ehe li soldati ehe erano di dentro si fugiuano de la del danubio per il ponte, & quelli de la Terra fatto cigno ehe si rendeuano alia buona gratia di sua Maesta, & cosi, lasciatoui da Cinquecento fanti Todeschi senza tochare cosa alcuna si sono ritornati con grandissimo honore de sua Eccel. (Presa 1546, 2r)

Der dargestellte Handlungsablauf wird unmittelbar deutlich: Der Kaiser schickt den Herzog mit einer genau quantifizierten Truppe aus; die Soldaten marschieren die ganze Nacht; im Morgengrauen erobern sie die Vorstädte von Donauwörth; sie dringen in die Vorstädte42 ein; die Tore brennen; die in der Stadt befindlichen Soldaten fliehen; die Bewohner der Stadt ergeben sich; von der kaiserlichen Truppe bleiben fünfhundert Soldaten in der Stadt; die übrigen kehren zum kaiserlichen Lager zurück. Die syntaktische Ordnung der Passage läßt sich dagegen nur annäherungsweise rekonstruieren. So das Prädikat des durch comisse ehe eingeleiteten Nebensatzes; von den zwei zu // nostri gehörenden Verben steht eines im Singular und eines im Plural (assali & preseno}; die Partizipialkonstruktionen (entrati ne i Rouelini; brusiate [bruciate] le porte) sind nicht in einen übergeordneten syntaktischen Zusammenhang integriert; in der Konstruktion il ehe auistosi ehe li soldati... si fugiuano ist das il ehe am ehesten als eine pleonastische Vorwegnahme des Nebensatzes (im Sinne einer Segmentierung) zu verstehen; die nach porte beginnende, durch ein Satzzeichen abgetrennte Periode bildet insgesamt eine paraipotassi: auistosi ehe ...(= avendo visto ehe ...), & cosi... si sono ritornati; in Abhängigkeit von auistosi werden ein expliziter und ein impliziter Nebensatz koordiniert: auistosi ehe li soldati... si fugiuano ...& quelli della Terra fatto cigno [signo]. Die geringe syntaktische Integration kann als charakteristisches Merkmal einer relativ spontan formulierten, dem Gesprochenen nahestehenden Sprachform gewertet werden. Die einzelnen Syntagmen werden aneinandergereiht, ohne daß die Relationen der Über- oder Unterordnung deutlich gemacht wür-

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Eine Beziehung zwischen Rouelini und rovello («stizza, rabbia, impeto, furia»; cf. Battisti/Alessio V, 1957:32895.) ist hier wenig wahrscheinlich. Vielleicht läßt sich das offenbar nicht ohne Grund mit Majuskel geschriebene Rouelini mit Toponymen wie Rovello Porro (Co) oder Rovellasca (Co) in Verbindung bringen, deren Herkunft (zu roa = «frana, smottamento, sassetto»?) allerdings als ungeklärt gelten muß (cf. Diz. toponomastica 1990:5575.). - Der Textzusammenhang legt es nahe, Rovelini als Synonym des vorher verwendeten borghi aufzufassen.

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den. Gleichwohl handelt es sich nicht um einen streng parataktischen Satzbau, wie er oftmals in den volkstümlichen historic greifbar wird (s. o. i .2. i.). Vielmehr kann man hier von jener « zwischen Hypotaxe und Parataxe» sprechen, die in der gesprochenen Sprache häufig anzutreffen ist (Koch/Oesterreicher 1990:99). Das satzverknüpfende & oder & cosi, die expliziten und impliziten Nebensätze zeugen von dem Bemühen, die einzelnen Informationen in ihrer semantischen Relation zu präsentieren. In der Tat kann die vorliegende Form des Textes unter dem Gesichtspunkt der reinen Informationsübermittlung (der Verständlichkeit) als angemessen gelten. Die anhand der literarischen Texte gewonnenen Maßstäbe syntaktischer Regelmäßigkeit scheinen in den oftmals unter Zeitdruck formulierten, auf eine praktische Wirkungsabsicht beschränkten avvisi dagegen keine Gültigkeit zu besitzen. Der Beginn der Entrata de la Santita di N. S. Paulo Papa Terzo in la Cilta di Genua con Carlo Quinta Imperatore kann einen weiteren Aspekt deutlich machen: Penso hauere uoi notitia dell'auenimento del Pontifice con Carlo Cesare Augusto Imperatore da noi a Genoua alii uetidua del presente, sua Maesta rimase al palazzo dell'IIlust. Principe Doria, poi fu sceduto a terra delle Galere, sua Santita in sedia fu portata al Duomo, incontro di cui gli andorono I'lllustris. Duca uestito della ueste Ducale di Cremisino, fodrata di pano d'oro, con ducento gentilhuomini tutti uestiti di rieche uestimente di seda, a cauallo sopra delle mule, et co loro a piedi da ducento, o ducento cinquanta giouani, armati in bianco alia leggiera, parte con allabarde, & parte con partefanoni nelle mani. Et finite le cosuete cerimonie al Duomo, fu portata S.S. in uiolato al palazzo del .S. Conte da Flisco. (Entrata [nach] 1538, Iv)

Anstelle der Hypotaxe wählt der anonyme Briefschreiber hier zunächst eine implizite Konstruktion (penso hauere uoi notitia) und eine nominale Wendung (dell'auenimento = ). Etwas unvermittelt setzt sodann die Reihe der Hauptsätze ein (sua Maesta rimase. ..;poifu scenduto. ..;sua Santita in sedia fu portata ...). Die nachfolgende Relativkonstruktion (incontro di cut gli andorono l'Illustris. Duca ... con ducento gentilhuomini...) ist durch das zwar , aber gleichwohl analytisch gebildete Relativpronomen di cui gli auffällig. Diese Form nimmt eine Zwischenstellung zwischen dem erst nachträglich durch ein Pronomen spezifizierten ehe polivalente (*che gli andorono incontro) und der syntaktisch voll integrierten Form (*cui andorono incontro) ein. Neben einem solchen zweifellos als oder einzustufenden Muster (s.o. 2.2.6.) findet sich hier jedoch auch eine implizite, stark latinisierende Form wie die absolute Partizipialkonstruktion finite le consuete cerimonie al Duomo. Während das anfängliche penso hauere uoi notitia als ein Accusativus cum Infmitivo zu betrachten ist, kann man im Fall von finite le cerimonie von einem Ablativus absolutus sprechen. Die syntaktische Form der volkstümlichen wist ist insgesamt durch zwei geT genläufige Tendenzen bestimmt: Neben der Verwendung sprechsprachlicher Muster wie der paraipotassi oder dem zweigliedrigen Relativpronomen läßt sich in diesen Texten eine Vorliebe für implizite, latinisierende Konstruktionen wie 479

den A.c.I. oder den Abi. abs. feststellen. Der z.T. deutlich hervortretende sprechsprachliche Charakter der in den avvisi verwendeten Sprachform verweist auf die oftmals relativ spontane Formulierung dieser aktualitätsbezogenen Briefberichte. Neben den genannten Elementen sind in diesem Zusammenhang insbesondere auch die häufigen Segmentierungen hervorzuheben43. Die Vorliebe für implizite Wendungen dagegen schlägt sich etwa auch in der Auslassung des unterordnenden ehe44 und in den zahlreichen mit gebildeten Kausalkonstruktionen45 nieder. Beide Tendenzen - die sprechsprachliche und die latinisierende Tendenz - können mit der Tradition der Kanzleisprache in Verbindung gebracht werden46. Die oftmals auf Botschafterberichte zurückgreifenden a vvisi entstehen in der Tat zumindest teilweise in dem sozialen und kulturellen Umfeld der Höfe und Kanzleien. Der Zusammenhang zwischen volkstümlichen oder sprechsprachlichen und latinisierenden Mustern soll im folgenden anhand des A. c. L ausführlicher dargelegt werden (s. u. 3.3.). Zunächst ist jedoch danach zu fragen, inwieweit die für die volkstümlichen historic charakteristischen syntaktischen Muster - , häufige Passivkonstruktionen, pleonastisches und , ) ist dabei oftmals nicht mehr gegeben. Die Periphrase wird zu einem Äquivalent der einfachen Verbform (analog pleonastischem im Deutschen). In den avvisi sind Konstruktionen mit dagegen selten. Insbesondere ist hier der kausative Wert der Periphrase immer bewahrt: el Turcho li fece taiar la testa (Copia [nach] 1514, 2v) Et [il Re Christianissimo] scusossi assai del esser tardato delle cause, rimettendosi a quello ehe per gli agenti suoi gli [= a Sua Santita] hauea fatto intendere (Ordlne 1538, 4r) vn'altro Colonello Todesco similmente ha fatto sapere a sua Maesta, ehe ... (Avvisi ritirata 1546, 2r)

Ähnlich wie bei den Vergangenheitstempora läßt sich hier feststellen, daß die avvisi eine semantische Differenzierung (far invitare vs. invitare), die sich in den

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Erwähnt sei jedoch der Gebrauch eines trapassato remoto - analog den von Brambilla Ageno 1964:299-314 angeführten Belegen - in der Copia de la littera venuta a la Signoria di Venetia ([nach] 1514, 2v): ma per questo el gran Turcho spiego le banalere al uento / e ando a la uolta di Baruti / e in pocho tepo Ihebbe coquistato. Das trapassato remoto läßt sich hier im Bereich des Verbaspekts erklären: Es bezeichnet ein compimento immediate dell'azione (vgl. in pocho tempo). Von einer Äquivalenz des trapassato und despassato remoto, wie es für die historie prägend ist, kann hier nicht gesprochen werden. 482

historic weitgehend nivelliert findet, zur größeren Präzision des dargelegten Inhalts beibehalten. Im Fall von far intendere und far sapere handelt es sich sogar um bereits weitgehend festgefügte lexikalische Einheiten (), die sich von den einfachen Formen (intendere, sapere: , ) deutlich unterscheiden. 3.2.4. Auch die Periphrase wird in den historie oftmals pleonastisch verwendet. Sie ist mit der einfachen Verbform weitgehend austauschbar. Die fast völlig freie Tempusverwendung führt sogar zu einer Äquivalenz der Konstruktionen ha cavalcare und ha cavalcato. Auch in den avvisi ist die mit dem Verb avere gebildete modale Periphrase ausgesprochen häufig. Die Form entspricht insbesondere auch der sprachlichen Praxis der Kanzleisprache49. Sie ist somit keineswegs auf die Verssprache beschränkt. Wesentlich ist hier jedoch die Feststellung, daß die Form in der Prosasprache nicht pleonastisch, sondern immer entsprechend ihrem - im folgenden noch genauer zu spezifizierenden - modalen Wert verwendet wird. Die zahlreichen Beispiele erlauben es hier, mehrere Typen zu unterscheiden. Zunächst drückt die Periphrase ein aus, ein aus den gegebenen Umständen notwendig resultierendes, unabdingbares Handeln: Ve scripsi per altra mia de apparato grandisimo chel Turcho haueua facto: a gli mesi passati: E per Märe E per terra: li quali erano de sorte ehe non potea se non hauere da dubitare & temere assai: tutta la Repu. iana (Littera [nach] 1531, 2r) ... Sultan Maumeth Secondo, il quäle in un tempo medesimo tolse a far tre diverse imprese [...]: & se morte non vi si interponeva, si sarebbe in tutti tre questi luoghi conosciuta la forza della potentia sua, dove ehe morendo l'una non potette seguire, dall'altra i suoi s'hebbero a retirare, & della terza rimasero perditori. (Baiul 1538, [pp. 1415.])

Wenn dagegen stärker der Wille oder die Entscheidung des Handelnden in den Vordergrund tritt, wird durch eher ein , ein verantwortungsgeleitetes Handeln zum Ausdruck gebracht: Barbarossa [...] se ne torno ä Tunizi, dove postosi per quella sera in Castello per pensare ä quanto havea da fare ... (Gonzaga 1535, [p. 136]) Pur se mi si domandasse, quäl delle due imprese s'havesse piu tosto a fare; direi ... (Baiul 1538, [p. 142])

Bei einem noch weiteren Zurücktreten des Gedankens des Unvermeidlichen erlangt die Periphrase den Wert eines Futurs:

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So hebt Vitale 1983/1988:188 Anm.68 den «uso frequente di (senza proposizione a, del tipo habeo dicere nel senso di )» in der mailändischen Kanzleisprache zur Zeit von Ludovico il Moro hervor. - Zu bemerken ist weiterhin, daß die Formen , und in den hier untersuchten Texten äquivalent sind (s.o. 2.3.1.). 483

Non se intende anchora quando se habbia ä fare il sposalitio (Triompho 1538,2v) Sperassi ehe si habbia a trattare qualche cosa di buono, ehe a Iddio piaccia (Copia [nach] 1540,4v)

Sie kann somit auch zum Ausdruck desfuturo delpassato dienen: e questo tale ordine fu fatto perche haueano andare in terra appresso al Chairo a sette giornate (Copia [nach] 1514, Iv) Talche con maraviglia grandissima staveno mirando, cio ehe da questo ne havesse ä succedere (Letera nach 1534, [p. 131]) Sua Maiesta Christianissima mando auanti settecento lanzi a pigliar certe Colline ehe sono sopra loro, doue si haueuono abboccare (Ordine 1538,3v)

Die modale Periphrase erscheint hier als eine analytisch gebildete Alternative zu dem im Cinquecento regelmäßig verwendeten condizionale semplice als Ausdruck desfuturo delpassato50. Eine stehende Wendung scheint dagegen die Form ebbe a dire zu bilden: Et una altra uolta [il primogenito del gran Turcho] hebbe a dire a suo padre p certo tu no sei Signore Anci e il tuo bassa Abbrayno (Llttera [nach] 1531,3r) ... benche il Conte di Burra hebe a dire ehe li rincresceua molto ehe sua Maesta non li haueua concesso di farsi honore (Presa 1546, 2r)

Die Konstruktion ebbe a dire dient hier - gegenüber einem schwächeren disse insbesondere der Hervorhebung. Sie leitet die provozierenden Worte des türkischen Thronfolgers und die kaum verschleierte Kritik Bürens an dem Kaiser ein. Im Deutschen könnte man den Ausdruck ebbe a dire mit einer umschreibenden Wendung wie oder wiedergeben. Die zahlreichen Beispiele machen deutlich, daß die Periphrase nicht nur in den historic, sondern auch in den avvisi eine große Rolle spielt. Dabei findet sich jedoch nur in den historie eine pleonastische Verwendung dieser Konstruktion. Gerade die große Funktionsbreite der Periphrase modaler Wert (analog dovere), temporaler Wert (analog dem Futur), idiomatische Wendung ebbe a dire -, die in den avvisi voll ausgeschöpft wird, mag jedoch mit dazu führen, daß die Verfasser der historie die Konstruktion oftmals geradezu äquivalent zu der einfachen Verbform verwenden. 3.2.5. Neben der Privilegierung periphrastischer Verbformen, die auf einer weitgehenden Nivellierung der funktionalen Differenzen zwischen zusammengesetzten und einfachen Formen basiert, findet sich in den volkstümlichen historie ausgesprochen häufig die Konstruktion t iccUoiOC fe fi £u(Ti fatco amodo dclli patroni cioe bar eturoli CttdOGmo coraad indriosma ]a uolonta grandiifima di ciax ^db^ciDo PrindpcÖC Signer e ehe era dandarc Inifpagna infie** ncool Sacro Itapcradorcfcciono ehe fi aadoauantii per la quaU cofaowltMÄinfinitiSigiiioriabreucG peritiröntTpefche el uen/ Kofilcuotaotb fatquoi ÖCafprochcminacciaua atutti naufragioj con diA^nco gencilhuomini tuen ucftici di rieche uefh'tnente di fcdd,a cauallo fopra delle naulc,ec co lo ro a piedi da duccnco,o ducento cinquanta giouani, f roiAti in biaacaaila leggiera ,partc con ällabarde,6C farce con partefanoni nellc raani.Ec finite le cofueco cenmonieal Ouotno,fo portata.S,S.IQ uiolaco alpa l^a^adcl^S.Cpnteda Fhico»Nel giornoduS.Giouä ni Battifta,fi fcce.Capclla papale nel Duomo prefen/ tc.S.S.Öd canco la mcffa il Reucrediss.Card.di Santa Croce«S.S.per laDomcnica precedece del detto gior QoduS.Gtouäni^pcrde^cogiornococeiieU Indul gctia plena na a tutet qlli uifitauono 11 predetto Duo naij^et ehe furono preieoti alia mcfla papale.La dorne nicadi feraadun*hdra,fifcccrograndiiTimi fuoghi pec lucta U Cirta,per ral maniera,che pareua bru ici retuttaGenoa.ConfumoriUuft.Principemilletor/ zp per fare fcfta, erfi uedeuono ucnti Galere di fua ec celleocia fuori del porto,diftefe col^anchene tucte ca rtcjxe de lumber ha u can o tutci liGaleocti nella raano uoacorza accefa^c cofi a poco a poco co fuoni,et cä/ ci ueaerono m-porto^et paflfarono al palazzo oue era iua Maied«» EC quiui cofi dalle dette Galere, come Abb. 4: S. 2 580

da tutte l'altri,et da turtele naue^equali erano quiut in gi-an numero,furono fbarratetäteartegliariejCt ti/ ratirantiaffocatiraggijcbcpareuadoueilefcoppiarc tuttoilraondo. Hieri.S.S.fece cociftorOjPaltro giorno.S*S. ando c6 quacrro Galere a uifitare.S.M* laquale alquanto indi fpofto fi fcnneua^i partito quefti giornt paffati di qua uerfa Meflfma uent'una naue gToiTe,canche de foldarijchepaifano cocra il Turcbo,eccofi di maao ia mano fi parcono deU'altri.Fui bicri fopra del Ga/ leonc del Prmcipe Capttaao di time le naui, cbe fo/ no da cmquaata in iefl[aata,Et uidi neldecco Gallic/ oe olcre di feflfanca pezzi di octime arreglfarie di me iallo,cioe,rretadui Canonigroifi,poi mezzi canoni, fpingarde,et talconecti,con.cata alcraartegliaria mi/ Dutacbeecofaftupeada. Delle cofe fuccederano di maao in mano ue ne daro autfo» Da Genua alli uea tifettediGiugno,M»D. X X X V i l l . Hauemo boggi lettere drizate aLS.Marcbefe del V a fto datealli.xyii.di que(lo,d'Acqua Morta 3 nellaqua le fi cotieae^come.S^M.giunfc alli,xüü.6d chcl Chn/ ßianifs.Reli maadoe mcocro uetiquattro Gallcre a farlircueretia^co gradilTimo crionfo. EC alia giunta di,S,M.gli ando il Reco la Regma^li dui figlioli, il graa Co£cftabile,co il Reuered.Card.di Lorena neL lapropriaGallera,con tanta allegrezza dt cuicuno di fueMaieftacijcbefugraamarauiglia.Ecqiiiui poi li graQdiabbracciaoacntijfacti tra l'uno et lalcro, ÖC il Re fi cauo di mano un beUiiTima diamamejche hauea occbio iatagliato^eclo prcfcntaali'impcratoreia Abb. 4: S. 3 58l

o. 3ί uolerla: m toriirc cofi i«tt£aalcutUmaipbia,£icomedeuc effere mameo to * v " " " * Tpitf hio. AU?iiiCQ»tro,S.M.fi eftrafle dal> cbllo I'ordi • · · » ' ^ , » .. ' *

accolTofoaudi.S.Giacopo,ctanchccglilQprcfeo/ . Et quiuiftcteroaoj me coo* gran.de letiria ,'cc fefla dalle.x· xu ho_ r ,a tin ο a *^ ^/ ». £arfi notte,Et poi u parti ilRe,rcmancndoui la Rcgi M.Od li «dui ftglioli. iegueme,cioealii.xy»fua.M.rccfeio tcrra,ii iorno ncl patazzo del Rc,ouc Γι fpcono tfitc fcfte,ct cbarezze in qucfli dui gioroi^che 4itcono ucramcDtc non cffcrc poflfibilc da ramentarc. ^c poi alluxyiumonto in Galera per andarfeae,£atte ta ρ π ma came proferte.da luna parte,ct da laltra,cbe ognuno dclli aftanti fcoppiaua dallegrczza« EC coifi dicjronpordiae.di man dare ciafcun lifuoi agenti,cc Procura'cori perferrareli Capicoli del maridazzo xxioclufo fra fua.M.di una deUefigliole del Re con il figliplo delUimperacore»Quefto e quellocbehora di nouo qui babbiamo,cofa in uero da rallegrarfe cucca la Chriftianita di tanta pace fatta fra quefti dui Prtn cipt CbridiaoiV . . Aapbora bauemo come ft daano quattro pagbe alii foldact ch.e eraoo nel ducaco,er fi fpacciaaq aGeaua, oue i i np roccaraao due alti:e,ec fe imbarcarano , EC co Γι per la diq gratia/imanera Iplia in pace,& fenza iuipicion di guerr.a,ec del tucco Iddio ne a laudato. DA Milatto allU xiiu»di L.u glio.M JP « χ χ χ y HL Abb. 4: S. 4 582

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