Imaginiertes Österreich: Erzählung und Diskurs im internationalen Film 9783205206095, 9783205203971


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Imaginiertes Österreich: Erzählung und Diskurs im internationalen Film
 9783205206095, 9783205203971

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Franz Grafl

Imaginiertes Österreich Erzählung und Diskurs im internationalen Film

2017

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Veröffentlicht mit Unterstützung durch: Amt der N.Ö. Landesregierung Kulturabteilung der Stadt Wien – MA 7, Wissenschafts- und Forschungsförderung Amt der Kärntner Landesregierung Institut Pitanga

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildungen: The Case of Lena Smith, Josef von Sternberg, USA 1929 und Jadviga Párnája, Krisztina Deák, Ungarn, 2000

© 2017 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Rainer Landvogt, Hanau Einbandgestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung: Balto print, Vilnius Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-20397-1

Danke Martina für deine Geduld, deine Korrekturen und deine Gespräche. Danke Ilain.

Inhalt

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Inszenierter Spielraum 14 | Diachroner und synchroner Zugang 15 | Filmtheoretische Grundlagen 16 Zur Archäologie des Österreichbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Zur Strukturierung 21 | Erste Filme – erste Bilder 22 | Science-Fiction, Action und Agenten 24 | »Zu wenig Fantasie« 27 | Kriegspropaganda 28 | Bilder zur Geschichte 30 | Nachkriegsbilder 31 | Neuer Erzählraum 34 | Drei Stereotypen 34 Zwischen Merry-Go-Round und The Wedding March . . . . . . . . . . . . . 36 Wahl des Zeitraums 36 | »Andere« Bewegung 40 | Stadtporträt? 43 | Nachkriegsstimmung 45 | Wiener Medizinische Schule 47 | Zeitgenössische Literaturadaption 47 | Operettenstaat 49 | Neue Interpretation 49 | Erste Dissertation zum Film 55 | Filmkulturerbe 58 Zeitgenössische Rezeption  : The Case of Lena Smith, 1929 . . . . . . . . . 60 Filmische Sprechweisen am Übergang zum Tonfilm. . . . . . . . . . . . . . 65 Großaufnahme 65 | Analyse 66 | Schriftbild 67 | Veröffentlichte Meinung 68 | Übergang zum Ton 70 | Überblendungstechnik 74 Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Stimmen aus Österreich 79 | Ton und Farbe 81 | Genre und Subgenre 82 | Das Alte und das Neue 83 | Erzählrätsel 85 | Marketingbestrebungen 86 | Im Übergang 87 | Figuration von Kreativität 92 | Sonderform/Weiterentwicklung 95 Frauen und Männer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Durch Theaterstücke bewährt 96 | Genese einer Erzählung 100 | Kriegsfront als Attraktion 105 Das Jahr 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Old-fashioned« 106 | Zum Begriff »mise-en-abyme« 106 | Genrevielfalt 107 | Europäisches und US-amerikanisches Filmverständnis 109

106

7

Inhalt

Variationen und Tabus, zwei Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Filme von Pál Fejös  : Ítél a Balaton / Menschen im Sturm, 1933 111 | Einstellungsdauer 112 | Ein verlorenes Bild 119

111

Das Jahr 1934 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zensur  : Hays Code 121 | Europäische Produktionen 122 | Verfilmungen im Vergleich 123 | Montage bei Fritz Lang 124 | Ungarische Autoren 125 | Mythenbildung 126 | Musicals 127 | Kulturelle Wurzeln 127 | Entwicklung der Operette 129 | Außerfilmische Biografie 130 | B-Picture-Produktion 130

120

Ein Skandalfilm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drei Frauen und ein Mann 134 | »Vom Objekt Frau zur Liebe ohne Objekt« 135 | Kritik der Zeit 136 | Weinranken  : ein Stil 137 | Die Kraft der filmischen Sprache 138 | Ein neues Geschlechterverhältnis 140

134

1935 bis 1937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Semantischer Raum 141 | Grundmotive 143 | Filmsprache 143 | Kulturtransfer 146 | Prater 146 | Image und Literatur 147 | Literarische Bearbeitung 148 | Wien als Ort existenzieller Entscheidungen 148 | Filmstoffe 154

141

Filmisches Echo  : 1938 bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gattung und Genre 156 | Horror und Naziterror 157 | Inszenierungsmethode 159 | Literatur 163 | Kreativer Impuls 163 | Produktdesign 164 | Radio als neues Medium 165 | Stereotyp  : Arzt aus Wien 166 | Filmsprache 166 | Operette 170 | Erinnern/Vergessen 171 | Englischer Beitrag 173 | Im Vergleich 175 | Ein Touristenfilm 175 | Historische Themen 176

156

Rekonstruktion von Gefühlen und Gedanken (Eine Versuchsanordnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jetztzeitfilme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lebensläufe 191 | Zum Begriff Jetztzeitfilme 192 | Produktionsbeispiele 196 | Auto­ image/Heteroimage 196 | Stereotypische Botschaften 198

177 190

Sehen und Gezeigtwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Monstration 200 | Filmische Poetisierung 200 | Pathos/Empathie 203 | Agentengenre im Kalten Krieg 207 | Historische Wahrheit 208 | Entdeckung der Provinz 210 | Filmische Konstruktion 211

8

Inhalt

Verfilmung von Literatur am Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Mögliche Zusammenfassungen 214 | Adaption 215 | Zum Film Letter from an Unknown Woman 215 | Ironisierende Distanz 216 | Flashback 217 | Stimme/Musik 219 | Schreibweise und Zeigweise 220 | Phasen der Rezeption 222 | 1. Phase: Erstaufführung 223 | 2. Phase: Wiederentdeckung 226 | 3. Phase: Analyse und Interpretation 226 | Aktuelle Diskussion 229 Habsburg-Mythos. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Habsburger und Freud 237 | Mythos Mayerling 239 | Das Narrativ 241 | Filmästhetischer Vergleich 242 | Cinégeschrieben/Syuzhet 243 | Inszenierungsstile 243 | »Die von der Realität geschriebene Sprache« 247 | Zwischen zwei Schüssen 248

237

Genre des Agenten- und Kriegsfilms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genrecodes 255 Diachrones Panorama 258 | Bild-/Ton-Montageformen 260 | Krieg, Verweigerung und Heimkehr 261 | Karneval 265 | Einstellung zwischen den Bildern 265 | Farben und Emotionen 267 | Emotionen in Zeitlupe 268

255

Inhaltliche und formale Wende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein neuer Blick 271 | Parodie 274 | Stereotypen 275 | Horrorfilme 275 | Revitalisierung 275 | Disney 276 | Neue Geschichtsbilder 279 | Neue Welle 281 | Film als Sprache 281 | Prolog/Epilog 285 | Literatur und internationale Reputation 288

271

Aufbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . An der Peripherie 294 | Das Eigene im Fremden 295 | Vergangenheit in der Gegenwart 298 | Kontrastmontage 299 | Flashbacks in die unerzählte Geschichte 300 | Neue Bilder aus alten Zeiten 301

294

Tafelteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

305

Neue Erzählungen – nach 1989.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Ein neuer Blick 321 | Landschaften 321 | Art der Landschaft 323 | Heldenplatz 325 | Fallbeispiel  : Before Sunrise 326 | Autorenanteil 327 | Filmzitat 328 | Fallbeispiel  : Jadviga párnája / Jadvigas Kopfkissen 329 | Kinder 330 Biografie und Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klimt, Raúl Ruiz, 2006 333 | Versionenvergleich 334 | Eine Annäherung 336 | Das Prinzip Echo 337 | Ton als Vervollständigung 339 | Lernen 339 | Verkürzungen 343 | Querverweise 345

332

9

Inhalt

10

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kino/Film 347 | Kulturraum 347 | Untersuchungsgegenstand 348

347

Filmographie.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

351

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

359

Bildquellennachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

368

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

369

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

374

Man stelle sich vor  : Vergleichbar mit dem zeitlichen Abstand von heute zur Pharaonenzeit werden in viertausend Jahren neben einigen Steinfunden, die als Aufzeichnungsmethode von allen bisherigen Trägermaterialien am längsten überlebten, wie die Monumente der ägyptischen Pyramiden als Zeichen aus der Vergangenheit, auch zufällig erhaltene Filmrollen geborgen. Es ist eine fast vollständige Sammlung jener Kinofilmproduktionen, die das Bild Österreichs im fremdsprachigen Film zeigen. In einem weit größeren Ausmaße als der einheimische Film, der die Sprachgrenze des Deutschen nur selten überschreiten konnte, wird der nichtdeutschsprachige Film kultureller Botschafter Österreichs. Welches Bild können sich zukünftige Generationen von uns mit Hilfe dieser mit Bild und Ton in unterschiedlichen Filmsprechweisen erzählten Schicksale und Ereignisse machen  ?

Einführung Inszenierter Spielraum – Diachroner und synchroner Zugang – Filmtheoretische Grundlagen

Die filmhistorische und rezeptionsorientierte Arbeit begibt sich auf die Spuren von Wien und Österreich, sei es in skizzierten Charakteren, sei es in den erzählten Geschichten der weltweiten nichtdeutschsprachigen Filmproduktion, und stellt diese in den Kontext der vielfältig sich entwickelnden Filmsprechweisen. Diese Untersuchung aktualisiert sich aus der Überzeugung, dass das Image von Wien, das mit dem von Österreich in siebzig Prozent der untersuchten Fälle gleichgesetzt wird, im 20. Jahrhundert vor allem durch filmische Erzählungen geprägt wird, die im Kino, im Fernsehen und in digitalen Übertragungsmodi gesehen und erlebt werden. Österreich vor/nach 1918 wird als ein semantischer Raum begriffen, der durch Grenzziehungen oder durch vorherrschende Ideologien zwar beeinflusst und definiert, jedoch ebenso durch langfristige kulturelle Faktoren wie Religion, Mentalitäten, durch topografische und klimatische Besonderheiten geformt wird. Als Grundthesen dienen dabei das Konzept von Braudel1, der von den unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten spricht, und das von Durand2, der die unterschiedlichen qualitativen und quantitativen Einflüsse auf eine bestimmte kulturelle Ausprägung hin zu differenzieren weiß. Neben der Diskussion zur Multitemporalität in der Geschichtsschreibung, die von Lagny3 zusammengefasst für die Filmgeschichtsdarstellung produktiv gemacht wird und die als Verständnisgrundlage zu dieser Arbeit dienen kann, wird auch die Gleichzeitigkeit von Entwicklungen im Mikrobereich der Filmherstellung berücksichtigt, die sich im Wechselverhältnis von Technik, Ästhetik und persönlichem Stil der Autorenauswirken. Durch die steigende Zahl an TV-Sendern und deren unterschiedliche Spartenprogramme rücken jene Filmproduktionen, die bis vor Kurzem ausschließlich in den Archiven lagerten und kaum veröffentlicht und damit gewürdigt werden konnten, wieder stärker in das Interesse der Öffentlichkeit und der filmwissenschaftlichen Forschung. Aus diesem Grund ist eine Auseinandersetzung mit allen Produkten, welcher Qualität auch immer, notwendig und sinnvoll, um den Zeitgeist ihrer Entstehung und die in ihnen erzählte Zeit verstehen zu können. 1 Braudel, Écrits sur l’histoire, 1969, 44–56. 2 »Orientation sémantique globale d’une culture donnée à une époque donnée«, in Durand, Introduction à la mythodologie, Mythes et sociétés, 1996, 81 f. 3 Lagny, De l’Histoire du cinéma. Méthode historique et histoire du cinéma, 1992, 32–35.

13

Einführung

Wie Untersuchungen der österreichischen Werbewirtschaft4, das Präsentationskon­ zept für die Weltausstellung in Japan 20055 und ein aktuelles Foto des Besuchs der chinesischen Regierungsdelegation6 zeigen, möchte man auch heute noch das Land ausschließlich als natur- und traditionsverbunden international positionieren. Es wird zu einem zeitlosen und ahistorischen Bild gedrängt, das zwar seine wirtschaftlichen Zielsetzungen im Tourismusbereich immer wieder erreicht, aber wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat, wie sie uns täglich begegnet. Es kommt zu einer von wirtschaftlichen Zielen bestimmten Idealvorstellung. Schon in der Frühzeit des Kinos werden Wien und damit Österreich durch Filmerzählungen bekannt gemacht. Um einem ungewollten, möglichen Nationalismus zuvorzukommen, soll unterstrichen werden, dass Österreich als Stoff, als Thema oder als Motiv nicht öfter in der internationalen Filmproduktion vertreten ist als andere vergleichbare Länder Europas, wie Dänemark, Norwegen oder Liechtenstein, die sowohl in der politischen Entwicklung als auch in einer global gesehenen Filmgeschichte eine ähnliche Rolle wie Österreich spielen. Es kommt in seinen Grenzen vor bzw. nach 1918 in der internationalen Filmproduktion unter unterschiedlichen Blickwinkeln, auf differenzierten Ebenen und in oft detaillierten Personen- und Handlungskonstellationen vor.

Inszenierter Spielraum Die Arbeit geht jenen Spuren von Österreich nach, die in den Augen von anderen ein bestimmtes, typisches Lebensgefühl widerspiegeln. Als Wegweiser für diese Arbeit gilt, dass sich innerhalb eines inszenierten Spielraumes, des Kinofilms, behutsam ein Bild von einem Land und von dessen Menschen konstituiert, wie es von anderen – sozusagen aus der Fremde – gesehen wird. Gesellschaftspolitische Umbrüche von der Monarchie zu bürgerlichen und »realsozialistischen« Demokratien und einschneidende Grenzänderungen nach 1918 fordern vor allem nach 1945 die nichtdeutschsprachigen Nachfolgestaaten der Donaumonarchie heraus, sich neben den literarischen Arbeiten auch in filmischen Erzählungen mit dieser gemeinsamen Geschichteauseinanderzusetzen. Gibt es vor 1938 in den USA eine Reihe von Filmen, die für das »image« bzw. für das »mirage« relevant werden, gewinnen nach 1945 vor allem Filme aus den östlich und südlich angrenzenden Ländern, wie Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn oder Jugoslawien, an Bedeutung. In all diesen Werken wird direkt oder indirekt Österreich angesprochen, das als Kulisse, als Location oder aber allgemein als semantischer Raum genützt wird, in dem 4 Schweiger, Österreichs Image in der Welt, 1992. 5 Tabor, »Apfelstrudel, Lodenmantel. Die Weltausstellung in Japan 2005«, 28.5.2004. 6 Der Standard, 2.11.2011.

14

Diachroner und synchroner Zugang

Schicksale verhandelt und aus dem geschichtliche Daten als Ausgangspunkt von filmischen Erzählungen genommen werden. Neben diesen Erzählungen zum Thema wird mit dem ausgewählten Filmkorpus einer Geschichte des sich entwickelnden Filmdiskurses in Stil und Ästhetik nachgegangen. Die thematisch fixierte Auswahl von »Bilder Österreichs in der internationalen Filmproduktion« erlaubt es, genauer als eine Rekapitulation kanonisierter Filmtitel, eng mit der eigenen Kultur verbundene Aussagen über Entwicklungen und Grenzen filmrhetorischer Fragen zu treffen. Bleibt die Massenwirkung von amerikanischen Einzelproduktionen, die nach 1945 entstanden wie The Sound of Music / Meine Lieder  – meine Träume, oder englischen Produktionen wie The Third Man / Der dritte Mann bis heute ungebrochen, erkennt man ab den siebziger Jahren in der Produktion des europäischen Films einen Paradigmenwechsel bei der Annäherung an die österreichische Geschichte. Zunehmend wird dabei auch der Wechsel vom Bewegungsbild zum Zeitbild nachvollziehbar, den Deleuze in detaillierter Weise an oft bekannten Filmbeispielen festmachen kann7 und der in der Folge theoretisch und kritisch gegenüber den genannten Beispielen und gegenüber dem Übergang der beiden Bildmodi weiterentwickelt wird.8 Der neue Zugang zum Image Österreichs, das von den Erfahrungen des Nationalsozialismus und der Suche nach einer eigenständigen kulturellen Identität in den Nachfolgeländern der Habsburgermonarchie geprägt ist, wird unmittelbar in der filmästhetischen Ausdrucksweise des ungarischen Films Szegénylegények / Die Hoffnungslosen, 1966, von Miklós Jancsó nachvollziehbar. Als das das 20. Jahrhundert begleitende Erzählmedium, das auf Grund seiner über die Sprache hinausgehenden differenzierten Aufzeichnungstechnik imstande ist, zu beobachten, zu analysieren und zu interpretieren, ist die Erzählung in Bildern und Tönen, auf welchem Datenträger auch immer, auf Grund des verstärkten Einflusses der Bildkultur notwendiger denn je, um »Vergangenes Gegenwart«9 werden zu lassen, um Zukunft gestalten zu können.

Diachroner und synchroner Zugang Die »Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen«10 mit Hilfe des filmischen Diskurses zu erkennen ist die Basis der Überlegungen zu den aufgefundenen filmischen Artefakten.   7 Deleuze [1983], Das Bewegungs-Bild, 1989  ; Deleuze [1985], Das Zeit-Bild, 1991.   8 Rancière, »D’une image à l’autre  ? Deleuze et les âges du cinéma«, 2001  ; Zabunyan, Les cinémas de Gilles Deleuze, 2011, 145–163.   9 Ricœur, Temps et récit, vol. I–III, 1983–1985. 10 Jauß, »Literarische Tradition und gegenwärtiges Bewußtsein der Modernität«, Literaturgeschichte als Provokation, 1970.

15

Einführung

Die ausgewählten und im Detail untersuchten Filmbeispiele stellen bei einer diachronen Ansicht thematische und ästhetische Wendepunkte dar, die das Image Österreichs und von Wien vermitteln. Filmproduktionen werden aus »Monumenten« ihrer Zeit zu »Dokumenten« für ihre Zeit, um Foucaults11 Gedanken weiterzuführen, die den Wandel von Kunstwerken im Sinne von Jauß12 recht einprägsam und auch für die Filmgeschichtsschreibung gültig beschreiben können. Um die Funktion für den filmischen Diskurs zu vertiefen, nimmt Foucault im Jahr 1974 aktuell Bezug13 auf einen Film, Il portiere di notte, 1974, der für den Imagewandel Österreichs in der Filmproduktion von Bedeutung sein wird. Im Gegensatz dazu erlaubt eine diachrone Sicht auf den Untersuchungsgegenstand, Filmgenres und -themen in ihrer zeitgenössischen filmtechnischen Umsetzung ebenso wie in ihrer mentalen und topografischen Verankerung als differenziertes auktoriales, persönliches Filmkunstwerk zu erkennen. Erst unter diesen synchronen und diachronen Sichtweisen wird sich das Gesamtspektrum der Arbeit erschließen lassen. Das Aufsuchen des Österreichbilds in der internationalen Filmproduktion wird zu einem Einblick in Fragen, die an das im Vergleich zu anderen Erzählmedien wie Theater und Literatur noch junge Medium gestellt wurden und noch immer gestellt werden. Durch die Einbeziehung von bisher in diesem Zusammenhang nicht genannten Filmbeispielen lassen sich die formalen Vorbedingungen, mögliche ästhetische Abschweifungen und kreative Umwege auch in bisher weniger beachteten, aber durch die vorgegebene Thematik ins Blickfeld gerückten Produktionen auffinden. Können Filme zum Thema zwar nicht die gesamte Filmgeschichte einfassen, nähert sich der zusammengestellte Filmkorpus jedoch einem Abriss der Filmgeschichten Europas und Hollywoods an, die unter anderem durch Regisseure von Josef von Sternberg und Alfred Hitchcock über Miklós Jancsó bis Raúl Ruiz geprägt werden. Beide Produktionszentren werden umkreist, Fermente in vergessenen oder unbekannten Arbeiten gefunden und Fährten für weitere Überlegungen und Untersuchungen gelegt.

Filmtheoretische Grundlagen Um einen Einblick in die unterschiedlichen Filmtheorien zu erhalten, die für die Arbeit auf Grund bisheriger Erfahrungen produktiv weiterentwickelt und angewandt werden können, sei die Arbeit von Casetti14 genannt, und zu Fragen der Publikumsforschung 11 12 13 14

16

Foucault, L’Archéologie du savoir, 1969. Jauß, 1970, 90 f. Foucault, »Anti-Retro«, 1974, 20. Casetti [1990], Les Théories du cinéma depuis 1945, 1999.

Filmtheoretische Grundlagen

sind die Untersuchungen von Casetti15 und Esquenazi16 Ausgangspunkte von Überlegungen. Abhängig vom subjektiven Vermögen der Autoren und deren filmischem Zugang zur Erzählung wie aber auch von den gesellschaftlichen und politischen Zeitumständen, in denen die Produktionen verwirklicht werden, wird der filmsprachliche Zeitstil entweder nicht erreicht, reproduziert oder als Höhepunkt gesehen und als möglicher filmhistorischer Wendepunkt bewertet. Alle gewählten Beispiele zeigen eine bestimmte, aber qualitativ unterschiedliche Einbindung in die internationale Filmkunstentwicklung auf. Sie gehen ein auf und spiegeln den Erfahrungshorizont des zeitgenössischen Publikums. Sie sind nicht in erster Linie für nächste Publikumsgenerationen gemeint. Die Bild-/Ton-Produzenten denken nicht an die Zukunft, sondern sie wollen ihr unmittelbares und zeitgenössisches Publikum erreichen, bewegen und im besten Falle mit Neuem konfrontieren. Die Komplexität der filmsprachlichen und filmästhetischen Mittel erfordert ein qualitatives Herangehen, das Erfahrungen literaturwissenschaftlicher und erzähltheoretischer Methoden weiterentwickelt.17 Um dem Ziel gerecht zu werden, den Spielfilm in seiner dokumentarischen und erzählerisch-imaginativen Kompetenz zu erkennen, sind Ricœurs Ausführungen18 zur historischen und fiktionalen Erzählung Grundlage und gleichzeitig Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung. Der Untersuchungsgegenstand, der das Bild Österreichs neben diplomatischen Noten, journalistisch-tagesaktuellen Eindrücken und literarischen Reiseberichten formt, wird aus seinem »Innersten«, aus dem Detail heraus, gesehen. Die »Theorie der kleinsten Einheit«, die bei Lermolieff19, bei Barthes20 oder bei Pasolini21, der als »die kleinste Einheit im Film (…) die Objekte innerhalb des Einzelbildes« bezeichnet, in der Praxis erprobt wurde, findet Anwendung. Voraussetzung für alle Analyse- und Interpretationsversuche ist das genaue Hinsehen, das Freud mit seinem Aufsatz über die Mosesstatue exemplarisch vorführt. Nicht nur der Untersuchungsgegenstand ist Neuland, sondern auch das Analyseverfahren, das auf medienspezifische Erzählmodi eingeht, um Mentalitäten der Filmautoren, der Filmcharaktere und jene des zeitgenössischen Publikums erkennbar zu machen. 15 16 17 18 19

Casetti [1986], D’un regard l’autre. Le film et son spectateur, 1990. Esquenazi, Film, perception et mémoire, 1994. Bogdal, Neue Literaturtheorien. Eine Einführung, 2005. Ricœur, 1983–1985. Lermolieff, zitiert nach Freud, »Der Moses des Michelangelo (1914)«, Sigmund Freud, Bildende Kunst und Literatur, 1969, 207. – Lermolieff, Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. 1880  ; Kunstkritische Studien über italienische Malerei. 3 Bände. 1890–1893. 20 Barthes [1970], »Le Troisième sens«, in L’obvie et l’obtus, 1982, 43–61, deutsch  : Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, 1992. 21 Pasolini [1966], »La langue écrite de la réalité«, L’expérience hérétique, 1976.

17

Einführung

Neben einer inhalts- und dramenanalytischen Übersicht werden in der Untersuchung jene Zwischentöne einer Imagebildung durch filmspezifische Redeweisen, die tiefenstrukturell in der Rezeption wirken und an der Erzähloberfläche das kommunizierte und gedeutete Bild transformieren, isoliert und dadurch intensiver nachvollziehbar wiederholt dargestellt. Dass das Filmkunstwerk neben der kommunikativen Ebene und neben dem symbolischen Wert des Bildes sich des »dritten Sinns« bedient, der sich aus Bild, Ton und deren Verhältnis zueinander ergibt, ist Ausgangspunkt der Annäherung. Es ist jene als Begriff von Kristeva22 eingeführte »signifiance« der Zeichen, die auch die »Poetik des Tagtraums«23 bestimmt. Der vorliegende Arbeitsansatz unterstützt auch die These, dass die Tätigkeit im Tagtraum dem Aufbau des Filmes und dessen Rezeption näher steht als die im Traum.24 Jedes einzelne der vierundzwanzig Bilder pro Sekunde des Filmes eröffnet einen »dritten Sinn« innerhalb eines umfassenden Erfahrungsraums, der durch Beschreibung und Analyse gefasst werden kann. Im Gegensatz zu »bedeutsamen«, in der Begrifflichkeit Lotmans25, lassen vorerst bedeutungslose Gesten, Mimiken oder Objekte Bilder zwischen den Bildern entstehen, die unbewusst oftmals zur Voraussetzung für den Gesamteindruck eines Filmwerkes werden, wie sie für Lermolieff26 zur Unterscheidung von Original oder Kopie eines Gemäldes unumgänglich wurden. Die auf diesen Überlegungen aufbauenden, nachfolgend dargestellten Analyseschritte werden an konkreten Filmbeispielen, die das Image Österreichs und Wiens aus der Sicht des Anderen, des Fremden, zum Thema haben, immer wieder unter der Perspektive einer Poetisierung von Wirklichkeit aufgesucht. Im Sinne von Pasolinis Ausführungen27 über die Analyseschritte für Film werden vier Stufen für einen Erkenntnisgewinn unterschieden. Der Nachvollzug in Form der Verschriftlichung der filmischen Orthografie(a) ist Ausgangspunkt für die Überprüfbarkeit getroffener Interpretationen. Neben dieser schriftlichen Abstraktion des Bildund Tontraktes können sie auf DVD analog zum Text abrufbar gemacht werden. Die Substantivierung der Erzählebene, die unter der Prämisse der »Aktion« als Vorbedingung von Sprache28 steht, lässt ebenfalls die bildliche Umsetzung in Worte fassen. Unterscheidende Qualifizierungen von vorfilmischen und filmischen Verfahrensweisen weisen auf dargestellte und vermittelte Mentalitätsstrukturen der Filmcharaktere, der Autoren und des zeitgenössischen bzw. gegenwärtigen Publikums hin. Die Beachtung 22 Kristeva [1969], Die Revolution der poetischen Sprache, 1978. 23 Bachelard, La poétique de la rêverie, 1960. 24 Metz [1973], La signifiant imaginaire, 1993, 123–131 (deutsch, 2000, 79–85). 25 Lotman [1973], Probleme der Kinoästhetik. Einführung in die Semiotik des Films, 1977, 53–55. 26 Freud, »Der Moses des Michelangelo«, 1914, 207. 27 Pasolini [1966], »La langue écrite de la réalité«, 1976, 47–76. 28 Martinet, Fonction et dynamique des langues, 1989, 66–73.

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Filmtheoretische Grundlagen

der Syntaxierung von Bild- und Tonebenen rückt die Stellung zur Zeit- und Raum­ dynamisierung in den Mittelpunkt der Analyse, die dem Medium Film eigen und für den filmischen Diskurs konstituierend ist. Ein zusätzlicher Untersuchungsschritt, der den rezeptionsorientierten Ansatz unterstreicht, berücksichtigt die zeitgenössische Pragmatik des Kinos als Aufführungspraxis und deren rezeptionsästhetische und rezeptionshistorische Folgen in Kino, Fernsehen, Reproduktion durch Video und Internet. Daher liegt es nahe, als Untersuchungsmaterial sich des Fotogramms zu bedienen, das sich vom Werbefoto und von den Fotos während der Dreharbeiten dadurch unterscheidet, dass es keinen unmittelbaren Sinn verfolgt und deshalb keine vordergründige Lesbarkeit zulässt. Diese beigefügten Kaderbilder (englisch stills, französisch photo­ grammes) sind nicht als Illustrationen, sondern als Zitate zu verstehen. Ihnen ist die Qualität des bewegten Bildes eingeschrieben. Es ermöglicht ein »Zwischen den Zeilen« Lesen. Es wird zu einer »signifiance ohne signifié«29 und gewinnt die dem Medium eigene Fähigkeit des Zeigens, »monstrare«, aus dem der »dritte Sinn« generiert werden kann, der vor dem »studium«, dem dichten Betrachten, dem Analysieren und Interpretieren aktiviert werden kann. Barthes nennt diesen spontanen Zugang »punktum«30. Das heißt zwischen den Zeilen lesen. In erster Linie bedeutet diese Suche nach dem »dritten Sinn«, bewusstes Augenmerk und sensible Sorgfalt auf Details, auf »refuses«, zu legen, um formale Besonderheiten herauszuarbeiten und archetypische Sehweisen und Interpretationsverfahren, die den Blick auf mögliche spezifische Filmverfahrensweisen verstellen, bereits im intendierten Erkenntnisprozess zu reduzieren. Ausgehend von einer exakten Beschreibung der gewählten Fotogramme und deren dramaturgischer und formaler Position innerhalb der Erzählzeit wird die induktive Vorgangsweise bevorzugt, die die davon abgeleiteten informativen, kommunikativen und symbolischen Bedeutungen mit dem Wissen um den Gesamtfilm, um dessen Produktionshintergund und um die unterschiedlichen Phasen der Rezeptions- und Interpretationsversuche erweitert. Auf die Suche nach dem Filmischen, »das im Film vorhanden ist, was jedoch nicht beschrieben werden kann«,31 begeben sich in Theorie und Praxis bereits Louis Delluc32 und Jean Epstein33 in Frankreich. Aus dem zu untersuchenden Kulturkreis können Zofia Lissa34 und Karol Irzykowski35 in Polen Ende der zwanziger Jahre genannt 29 Barthes [1970], 1992, 49. 30 Ebenda, 52. 31 Ebenda, 63. 32 Delluc [1920], Photogénie, Gesammelte Texte, 1985–1990. 33 Epstein, 1974, vgl. dazu Aumont (Hg.), Jean Epstein. Cinéaste, Poète, Philosophe, Cinémathèque française, 1998. 34 Lissa [1937], erweitert [1964], 1965. 35 Irzykowski, »Die X. Muse. Ästhetische Probleme des Kinos«, in Gwóźdź, Andrzej (Hg.), Filmtheorie in Polen. Eine Anthologie, 1992, 23–44.

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Einführung

werden. Sie beschreiben die Poetik des Filmes auf Grund neuer Formen wie der des Tonfilms. Bei methodisch ähnlichen Untersuchungen, die nach tiefer liegenden Images in Filmen zu Städten36, über Religionen37, über Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit38, über Berufe39 oder Epochen nationaler Geschichte40 forschen, fällt auf, dass immer dann, wenn von Einzelbildern oder von kleinen Einheiten im Film auf größere Zusammenhänge geschlossen wird, nachvollziehbare und überprüfbare, das heißt wissenschaftliche Ergebnisse erzielt werden können. Nicht nur in den genannten Arbeiten fällt diese phänomenologisch-hermeneutische Praxis für die Filmanalyse positiv auf, sie wird auch durch bekannte Überlegungen aus der Medientheorie, aus der Psychoanalyse und den Arbeiten der Gegenwartsphilosophie gestützt.41 Ein Bild von einem Land kann man er-fahren, er-reisen, er-lesen oder er-sehen und er-hören. In der zweiten Hälfte des 20.  Jahrhunderts war dieses Erforschen fremder Länder neben den Reisen, durch Fotos und Artikel, vor allem durch die Bilder und Töne im Kino und Fernsehen möglich geworden. Das Thema Selbstbild/Fremdbild kann ohne Klischees und Stereotypen nicht gedacht werden. Gilt für Klischees, dass sie bis zum Löschen aus dem Repertoire des Denkens unveränderbar bleiben, stellen Stereotypen veränderbare, zum Denken anregende Modellvorstellungen einer bestimmten nicht sofort fassbaren Realität dar. Für die nachfolgenden Ausführungen scheint diese Unterscheidung wichtig, möchte man über die reine Beschreibung eines Zustandes hinauskommen. Von Wien sieht man nichts. Aber was soll es  ! Die Idee von Wien zählt  : Liebesschwüre, Walzer, Freiheit, der Schatten von Strauß und Schnitzler …

schreibt ein Filmkritiker42 über The Marriage Circle / Die Ehe im Kreise von Ernst Lubitsch 1924 anlässlich der Premiere in New York. Und »Vienna and the film – that is a strange chapter in the history of cinema  ; a story of platonic love«, heißt es in den dreißiger Jahren in »Variety«43, der führenden amerikanischen Filmzeitschrift.

36 Douchet  ; Nadeau, Paris-Cinéma, 1987. 37 Erens, The Jew in American Cinema, 1984. 38 Bobo, Black Women as Cultural Readers, 1995. 39 Baticle, Le prof à l’écran, 1972  ; Dehée, Les mythes policiers, 1997. 40 Prédal, La société française à travers le cinéma, 1972  ; Dalle Vacche, The Body in the Mirror, 1992. 41 Michaud, Aby Warburg et l’image en mouvement, Paris, Éditions Macula, 1998  ; Tisseron, Comment Hitch­cock m’a guéri, Paris, Hachette, 2003  ; Didi-Huberman, L’image ouverte, 2007. 42 Nacache, Lubitsch, 1987, 50. 43 Variety, 12.4.1932.

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Zur Archäologie des Österreichbildes Zur Strukturierung – Erste Filme – erste Bilder – Science-Fiction, Action und Agenten – »Zu wenig Fantasie« – Kriegspropaganda – Bilder zur Geschichte – Nachkriegsbilder – Neuer Erzählraum – Drei Stereotypen

Die Reiseliteratur und Zeitungsartikel um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert formen ein Bild Österreichs44 in den Köpfen und Herzen jenes Publikums, das zwanzig Jahre später die ersten Filme in den »Nickelodeons« zu sehen bekommt. Sie erzählen in unterschiedlichen Formen, dramatisch oder episch, in verschiedenen Genres und verschieden in den Gattungen wie Dokumentarfilm oder Spielfilm die persönliche und soziale Geschichte von Österreicherinnen. Eine wichtige Gruppe des Filmpublikums besteht aus jenen Immigrantinnen, die direkt persönlich oder in zweiter Generation über Österreich Bescheid wissen.45 Eine andere Zielgruppe sind Liebhaber von Literaturverfilmungen, von Opernaufführungen und von Kriminal- und Spionagegenres, in denen Österreich in unterschiedlicher Weise thematisiert wird. Persönliche Reiseberichte, tagesaktuelle Nachrichten oder filmische Dokumente von Edwin S. Porter und den Brüdern Lumière sowie Theaterinszenierungen nach Übersetzungen von Arthur Schnitzler und Karl Schönherr sind bis 1914 Quellen über das Leben in der Habsburgermonarchie.

Zur Strukturierung Die erzählte Zeit kann als Grundlage einer Strukturierung ebenso herangezogen werden wie geografische und filmsprachliche Topoi, die formal-ästhetische Auswirkungen auf die Fabelentfaltung, auf deren ideologische und mentale Ausrichtung und auf das Niveau der künstlerischen Umsetzung des Filmes haben können. Die ersten Filme zum zeitgenössischen Österreich, die sich in ihrer erzählten Zeit (jener Zeit, in der die Geschichte angesiedelt ist) eng an die Produktionszeit (jene, in 44 Einige englischsprachige schriftliche Dokumente über Österreich vor 1939  : Clark, Sydney, Old Glamours of New Austria, New York, 1932  ; Flambeau, Victor, Red Letter Days in Europe. With a Glimpse of Nor­thern Africa, New York, 1925  ; Granger, Alain, The Spirit of Vienna, New York, 1935  ; Germains, v. W., Aus­tria of Today, London, 1932  ; Laughlin, Claude, So You’re Going to Germany and Austria, Boston, New York, 1930  ; Thompson, Dorothy [1921], Head, Morell, »Transatlantic Vistas  : American Journalists in Europe  : 1900–1940«, Kent State UP, 1988  ; Steed, William, The Doom of the Habsburgs, Arrowsmith Press, 1937. 45 Ferris, Aspects of the Image of Vienna (1910/1933) in North American Fiction, 1990  ; Zippel, Die österreichische Bevölkerungspolitik auf der Grundlage der Statistik und der sozialen Strukturen, mit besonderer Berücksichtigung von Dr.Viktor Mataja und Dr. Eugen von Pilippovich, 1850–1918, 2003  ; Pollak, Kaiser von Amerika, 2010.

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Zur Archäologie des Österreichbildes

der ein Film gemacht wird) und an die erlebte Zeit (jene, in der das Publikum den Film sieht) anlehnen, werden in den USA produziert. Die frühesten zeitlichen Ereignisse aus der österreichischen Geschichte werden nach 1945 in einer ungarischen und in zwei tschechischen Filmproduktionen als Komödien thematisiert. Ideologischer Hintergrund zu dieser Suche nach Geschichten ist die neue Identität jener Länder, die auf dem Gebiete der Habsburgermonarchie und im Zeichen der »realsozialistischen« Staaten entstehen.

Erste Filme – erste Bilder Mit der technischen und ästhetischen Entwicklung des Films zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstehen bereits die ersten ausländischen Filme, die durch reale oder imaginierte Bilder und Sequenzen Österreich darstellen und vermitteln. Die Produktionen der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts werden dadurch geprägt, dass Filmautorinnen innerhalb der tschechoslowakischen und ungarischen Filmindustrie Bilder aus dem Österreich des 16. Jahrhunderts imaginieren, indem sie historische Episoden aus persönlichen Lebensläufen sowohl von historisch überlieferten Einzelpersonen, wie zum Beispiel Rudolf  II., als auch von jenen in Szene setzen, die gar nicht oder nur in Nebensätzen in den Geschichtsbüchern vorkommen. Die beiden Begriffe Klischee und Stereotyp begegnen uns mehrfach im vorliegenden Thema, da sie wesentliche Elemente eines »imaginierten« Bildes ausmachen. Bleibt ein Klischee in meinem Selbstverständnis unbeeinflusst gegenüber Veränderungen, sehe ich ein Stereotyp als beweglich, formbar, dem Denken förderlich und damit auf der Ebene der Erzählstruktur durchaus aktiv nutzbar. Ein wiederholtes Auftreten von Themen und Motiven, die sich unter anderem als Stereotypen oder Klischees äußern, lässt Beobachtungen ebenso zu wie es sensible Fragestellungen, Erwartungen und Unsicherheiten der Zeit sichtbar macht und mit Hilfe der filmsprachlichen Rhetorik unterschiedliche Interpretationen vorschlägt. Wenn wir zusammenfassen, kommen wir auf drei wichtige Punkte. Zuerst bringt das Kino eine Art zu sehen ein  ; es erlaubt zwischen Sichtbarem und Nichtsichtbarem zu unterscheiden und dadurch die ideologischen Begrenzungen der Rezeption zu einer bestimmten Epoche zu erkennen. Weiters unterstreicht es sensible Zonen, die wir »Fixpunkte« genannt haben, das heißt Fragen, Erwartungen und Unsicherheiten, die anscheinend zweitrangig erscheinen, deren systematisches Aufscheinen von Film zu Film jedoch die Wichtigkeit bestimmt. Schließlich schlägt es unterschiedliche Interpretationen der Gesellschaft und der Beziehungen vor, die sich dadurch weiterentwickeln46 46 »S’il faut résumer, nous reviendrons sur trois points essentiels. D’abord le cinèma met en evidence une

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Erste Filme – erste Bilder

beschreibt der Filmsoziologe Pierre Sorlin die Interessen an der Rekonstruktion von Filmerzählungen. Die Kriegserklärung Österreichs an Serbien am 28. Juli 1914 wird zu einem Wendepunkt in der zeitgenössischen medialen Berichterstattung über Österreich. Mit With Serbs and Austrians, 1914, wird erstmals filmisch eine Erzählung vorgestellt, die die Monarchie als aktive Kriegspartei in einer Handlung zeichnet,47 die dreißig Jahre zuvor stattfand. Dieser US-amerikanische Film mit der Länge von vier Filmakten wird im August 1914 in den USA uraufgeführt. Prinz Rudolph von Habsburg erhält den Auftrag, serbische militärische Pläne zu stehlen. Aber er verliebt sich in die Tochter des serbischen Königs Peter. Schließlich zerstört er die Pläne, um die Liebe zu Prinzessin Vera zu retten. Beachtet man das Aufführungsdatum, kann man annehmen, dass trotz der damals üblich kurzen Produktionszeit von wenigen Tagen der Film knapp vor Kriegsausbruch produziert wurde. Dies lässt auf eine bereits bemerkbare Vorkriegstimmung schließen, in der Österreich eine tragende Rolle innehat. Mehr als dreißig Produktionen, die in den USA, aber auch in Europa, vor allem in Italien und Dänemark, zwischen 1914 und 1918 hergestellt werden, präsentieren ein Bild Österreichs, das als Krieg führende Partei der Kritik ausgesetzt ist. Ein Rundgang durch die New Yorker East Side und deren Filmangebot im September 1914 lässt das »fake war pictures stir the East Side«-Angebot nachvollziehen.48 Über die Produktionspraxis der »war movies« kann man 1914 lesen  : Practically every motion-picture company in the business is searching its fireproof vaults for anything which contains more than a Corporal’s guard of actor-soldiers. I wish to say for the benefit of the public that not a single foot of film showing scenes from the present war has been revived from Europe since the beginning of hostilities. All views purporting to have been received from the front are merely reissues of old films.49

Um sich die Vielfalt an Charakteren und an sich wiederholenden Plots sinnlich vorstellen zu können, folgt ein auf das Wesentliche reduzierter Überblick, der die Grundsujets, die handelnden Personen und die Lösungsvorschläge des dargestellten Konflikts nachfaçon de regarder  ; il permet de distinguer le visible du non visible et, par-là, de reconnaître les limites idéologiques de la perception à une certaine époque. Ensuite, il révèle des zones sensible, ce qe nous avons appélé des ›points de fixation‹, c’est-à-dire des questions, des attentes, des inquiétudes, en apparence tout à fait secondaires, dont la réapparition systématique en film souligne l’importance. Enfin il propose différentes interprétations de la socièté et des rapports qui s’y devéloppent.« Sorlin, Sociologie du cinéma, 1977, 242. 47 Motography, 15.8.1914, 224  – The Moving Picture News, 22.8.1914, 70  – The Moving Picture World, 15.8.1914, 1005 – The New York Dramatic Mirror, 19.8.1914, 3. 48 Variety, 6.9.1914. 49 The Moving Picture World, 6.9.1914.

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Zur Archäologie des Österreichbildes

vollziehen lässt, um ein Gefühl für das Angebot zu erhalten, das regelmäßig in ».The Film Index. Exhibitor’s Guide«50 veröffentlicht wird. Einer der ersten Dokumentarfilme kommt mit The Battle and Fall of Przemysl, 1915, als Koproduktion mit der deutsch-österreichischen Armee über den Atlantik in die USA und zeigt die Arbeit des Roten Kreuzes ebenso wie die Zerstörung einer Brücke in Galizien durch die russische Armee und deren Wiederaufbau durch die österreichischen Pioniere. Diese für die damalige Kinovorführpraxis lange Achtzig-Minuten-Kompilation von Bildern über die ersten Monate des Krieges zeigt »authentische Kriegsbilder«, wie die Bewerbung suggeriert. Bereits in der Frühzeit des Kinos entstehen aus den schriftlichen Erzählungen bekannte Genres, die den weiteren inhaltlichen und formalen Filmkanon mitbestimmen.

Science-Fiction, Action und Agenten Parallel zu With Serbs and Austrians kommt Envoy Extraordinary in die US-amerikanischen Kinos, der in der Zukunft, im Jahre 1916 spielt. Er ist einer der ersten Science-­ Fiction-Filme, der seinen Plot auf den Grundlagen der politischen Situation der Jahre 1913 und 1914 glaubwürdig entwickelt, für seine weitsichtige politische Lageeinschätzung zeitgenössisch gerühmt wird und die Bedeutung Österreichs als Kriegsnation unterstreicht. Mit »Austria anticipates picture story«51 wird auf die Aktualität der erzählten Geschichte hingewiesen. Den im Filmtitel angekündigten Spezialgesandten spielt der Athlet und Schauspieler Jack Nelson, der die Kriegserklärung des Kaisers verschwinden lässt und damit die Welt vor dem Krieg rettet. Wie auch im Kriegsfilm Maciste alpino am Beispiel des Hauptdarstellers Bartolomeo Pagano zu sehen ist, sind Körpereinsatz und gestische und mimische Ausdrucksfähigkeit Voraussetzungen für eine männliche Schauspielerkarriere in der Frühzeit des Kinos, in dem Aktionsszenen und theatrale Körperlichkeit als kinematografische Attraktionen lustvoll und ausgiebig ausgestellt werden.52 Neben den in Tableaus und durch Szenenauftritte und entsprechende Szenenabtritte strukturierten Erzählungen, die sich in ihrer Inszenierung kaum vom Theater unterscheiden, hebt sich die Verfilmung von The Song of Hate, 1915, ab, in der ein gewisser Baron Scarpia gefoltert wird, um Informationen über einen österreichischen 50 Das US-amerikanische Angebot wurde regelmäßig in »The Film Index. Exhibitor’s Guide« veröffentlicht, The Moving Picture World, Vol. 21, Nr. 6, 8.8.1914. 51 The Moving Picture World, 21.9.1914. 52 Zu diesem Thema gibt es eine ausführliche Darstellung. Claudia Preschl stellt in Lachende Körper. Komikerinnen im Kino der 1910er Jahre Komikerinnen vor, die in lustvoller Weise die »mainstream«-Darstellung männlicher Charaktere der Zeit zu unterlaufen wissen. Preschl, Lachende Körper. Komikerinnen im Kino der 1910er Jahre, 2008.

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Science-Fiction, Action und Agenten

Spion herauszugeben. Obwohl der Film wie die Oper »Tosca« von Giacomo Puccini auf dem Theaterstück von Victorien Sardou basiert, werden in Branchenblättern wie »Variety«53 die Schuss-/Gegenschuss-Montagen und die in der Frühzeit noch unüblichen Flashback-Konstruktionen hervorgehoben. Diese filmrhetorischen Akzente sind der künstlerischen Verantwortung von Rex Ingram zu verdanken, der zu den ersten US-amerikanischen Filmautoren gezählt wird, die die Filmsprache bewusst einsetzen.54 Auf die Gegenwart authentisch und aktuell zeitgenössisch reagierende Geschichten findet man während des Krieges 1917 dagegen im Film Three of Many, in dem mit Emil Vorstman erstmals ein nichtadeliger US-Immigrant in die filmische Bilderwelt eintritt. Emil und Paul Cardoza, ein italienischer Emigrant, lieben dasselbe Mädchen Nina Antinni, eine aus Italien immigrierte Frau. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, stellen sie sich ihren jeweiligen nationalen Armeen zur Verfügung. Als Krankenschwester an der Front ist Nina von der Brutalität ihres Freundes Paul geschockt. Obwohl dieser versucht, Nina zu vergewaltigen, hilft sie ihm schließlich, den einrückenden italienischen Truppen zu entkommen. Gewalttätige Übergriffe selbst auf angeblich verehrte und geliebte Frauen zur Durchsetzung sexueller Ansprüche sind ein wiederholter Topos, der in dieser Deutlichkeit heute verwundert und den Blick auf Mentalitäten öffnet, die sich hier in Form des zeitgenössischen Geschlechterverständnisses manifestieren. Dem gewalttätigen Mann wird trotzdem geholfen. Aus zeitgenössischer Sicht wird dieser Film sogar ein Beispiel dafür, wie Freundschaft über den nationalen Hass hinaus Bestand haben kann. Eine Parabel auf die aktuellen Ereignisse, die in einem mythischen Königreich am Balkan in der Zeit eines unbestimmten Kriegs angesiedelt ist, stellt Paddy O’Hara, 1917, dar. Bemerkenswert ist diese geografisch und zeitlich transzendierende Verortung, die später zu einem Identitätsmerkmal für ähnliche Geschichten der MGM-Produktionsfirma werden wird. Mit American Buds, 1918, kommt ein Agententhriller in die Kinos, in dem der Verehrer von Cecile, der Tochter eines amerikanischen Colonels, Capt. Bob Dutton, als österreichischer Spion enttarnt und als Vater zweier Kinder, Jane und Katherine, die in einem Waisenhaus untergebracht sind, aufgedeckt wird. Mit diesem Film verfestigt sich der Erfolg der beiden Kinderdarstellerinnen der Fox Film Corporation, Jane und Katherine Lee, die durch ihre »screen mimic« und ihre »cleverly worded titles« auch ein jüngeres Publikum ansprechen können. Serielle Genreproduktionen und die beginnende Vermarktung von Schauspielerinnen setzen mit dieser und ähnlichen Produktionen während des Krieges ein  : Bezeichnenderweise wird das Starsystem erst nach 1914 mit dem neuen industriellen Kino wirklich triumphieren, dieser Moment, in dem die optische Illusion nicht mehr nur mit der Illusion des Lebens, sondern mit jener des Überlebens verwechselt werden wird 53 Variety, 8.9.1915. 54 O’Leary, Rex Ingram, Master of the Silent Cinema, 1993.

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Zur Archäologie des Österreichbildes

Maciste alpino / The Warrior (Luigi Maggi, Luigi Romano Borgnetto, Italien, 1916) »Wegzulassen ist die Szene, in der Maciste auf einem toten Soldaten sitzt, der im Schnee liegt.« (italienische Zensur)

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»Zu wenig Fantasie«

schreibt Paul Virilio.55 Mit Sujets über Verschwörungen am österreichischen Hof während des Kriegs, bei denen eine Agentin des französischen Geheimdienstes entlarvt und getötet wird, Kul­ tura, 1918, oder mit I Want to Forget, 1918, von einer Doppelagentin im Dienste der USA und Österreichs, werden die späteren internationalen Kinoerfolge von Filmen über Spioninnen, Fred Niblos Mysterious Lady, 1928, Josef von Sternbergs Dishonored, 1931, oder Harry Joe Browns A Woman of Experience, 1931, vorbereitet.

»Zu wenig Fantasie« Aus der damals in Europa führenden dänischen Filmproduktion kam Ned med våbnene / Die Waffen nieder  !, 1914, eine literarische Adaption von Bertha von Suttners Roman »Die Waffen nieder  !« (1889). Das Drehbuch schrieb Carl Theodor Dreyer, der später mit Werken wie La Passion de Jeanne d’Arc / Die Passion der Jungfrau von Orléans, 1928, oder Ordet / Das Wort, 1955, internationale Filmgeschichte schreiben wird. Wenn Franz Kafka zu Beginn der zwanziger Jahre feststellen wird, dass »dieser Krieg aus Mangel an Phantasie zustande kam«, trägt der Film Die Waffen nieder  ! dazu bei, diesem Defizit Abhilfe zu schaffen. Mein Vater schenkte mir zum Geburtstag die Gedichte von Georg Trakl. Franz Kafka erzählte mir, dass Trakl Selbstmord durch Gift verübt habe, um den Schrecknissen des Krieges zu entgehen. »Fahnenflucht in den Tod«, bemerkte ich. »Er hatte zuviel Phantasie«, sagte Kafka. »Darum konnte er den Krieg nicht ertragen, der vor allem aus einem ungeheuren Mangel an Phantasie entstanden ist.«56

Mit der Adaptierung von Suttners Roman57 beginnt für Dreyer der künstlerische Durchbruch als Drehbuchautor und Filmregisseur.58 Der Film wird am 4. September 1914 bei seiner Uraufführung in »Harrison’s Reports« wegen seiner Massenszenen gelobt, die Regiearbeit von Holger-Madsen hervorgehoben und das pazifistische Grundbekenntnis der Nobelpreisträgerin in den Sequenzen erkannt. Der Film wird infolge der verbreiteten Friedenskonferenzen, bei denen Bertha von Suttner auftritt, weltweit gezeigt. Zum Beispiel berichtet man über die Aufführung des Filmes Lay Down Your 55 »Significativement, le star systeme ne triomphera vraiment qu’après 1914 avec le nouveau cinéma industriel, ce moment où l’illusion d optique ne se confondra plus seulement avec l’illusion de la vie, mais avec celle de la survie«, Virilio, Guerre et cinéma I. Logistique de la perception, 1984, 40. 56 Janouch [1951], Gespräche mit Kafka, Aufzeichnungen und Erinnerungen, 1961, 28. 57 Oerke, Die Waffen nieder  ! Ein Film gegen den Krieg. Zur Verfilmung Ned med Vaabnene (1914) nach Bertha von Suttners Roman »Die Waffen nieder  !« (1889). 58 Sadoul, 1952, 438.

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Zur Archäologie des Österreichbildes

Arms (englischer Titel), dass er mit »a wild outburst of enthusiasm and gratitude« im Sing-Sing-Gefängnis am 14. März 1915 gefeiert wurde.59 Die Kritik verweist auf die Aufführungspraxis dieses Filmes, die darin bestand, dass die Produktion außerhalb des Kinos in organisierten Sondervorführungen gezeigt wird und dort mehr Erfolg als im gewöhnlichen Kinoangebot erfährt. In diese Epoche fällt in Österreich-Ungarn auch die erste Verfilmung einer Operette, Der tapfere Soldat, von Oscar Straus im Libretto von Rudolf Bernauer und Leopold Jacobson, die bereits am 14. November 1908 in Wien uraufgeführt wird. In der öffentlichen Wahrnehmung steht Suttners literarische Verfilmung konträr zu dieser Operettenverfilmung. Ned med våbnene wird nicht nur wegen seines Engagements gelobt, Kritiker heben den Realismus der Schlachtszenen hervor und stellen vor allem eine Szene heraus, in der einer der Hauptcharaktere, Graf von Althaus, seine Tochter Rosa auf Grund ihres Choleratodes verbrennen muss.

Kriegspropaganda Nach Eintritt Italiens in die Kriegshandlungen 1915 erhält die italienische Zuschauerin die Möglichkeit, sich die Propagandafilme A Trieste  ! Vincere o morire / In Triest sie­ gen oder sterben, Oberdan, über einen Triestiner Märtyrer, Vipere d’Austria, a morte  ! / Öster­reichische Vipern, in den Tod, über österreichische Agenten, oder Il sopravvissuto / Der Überlebende anzusehen.60 Der italienische Film La campana muta / The Silent Bell, 1914, zeigt, wie1865 in Italien der Kampf gegen Österreich organisiert wurde. In L’esplosione del forte B 2 / The Explosion of Fort B 2, ebenfalls eine italienische Produktion, wird der Erfinder einer neuen Waffe durch österreichische Agenten gekidnappt, um sich mit Hilfe seiner Wunderwaffe schließlich zu befreien. Mehr als zehn weitere Filme aus der italienischen Produktion könnten genannt werden, wobei Maciste alpino, 1916, ein herausragendes Beispiel bleibt, weil der Hauptheld Maciste als Kunstfigur sich bereits auch in der Vorkriegszeit großer Beliebtheit erfreut und Mussolini ihm in Gestik und Mimik nachzueifern sich bemüht.61 Es ist ein Film im Film  : Ein Filmteam der Itala Film dreht im Jahr 1915 in einem kleinen Tiroler Dorf in der Nähe der Grenze. Maciste, der nationale italienische Star, ist der berühmte Hauptdarsteller. Obwohl das Filmteam vor der Kriegsgefahr gewarnt wird, dreht es weiter. Durch eine spektakuläre Aktion Macistes wird das verhaftete Filmteam befreit. Eine Schlacht um das Schloss Pratolungo beginnt. Mit Maciste alpino wird ein neues Genre, dessen Grenzen fließend sind und das damit bereits einer postmodernen

59 The Moving Picture World, 3/27, 1915. 60 D’Osualdo, Feinde und Geliebte, 2002, 18. 61 Sorlin, Italian national cinema, 1896–1996, 1996, 44–51.

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Kriegspropaganda

Genredefinition entsprechen würde,62 in die europäische Filmgeschichte eingeführt  : »ein schönes Drama, ein bemerkenswerter Kriegsfilm und ein netter Liebesroman«, schreibt man anlässlich seiner Erstaufführung in Paris.63 Maciste bekämpft die Österreicher mit Mitteln, die selbst der italienischen Zensur zu brutal erscheinen. Wie aus Zensurberichten jener Zeit nachvollziehbar wird – Italien ist im August 1915 in den Krieg eingetreten –, verbietet man Szenen, in denen Maciste den österreichischen Feind an den Haaren aus dem Wasser zieht, ihn so brutal gegen einen Baum schleudert, dass abgerissene Haarbüschel in seiner Hand verbleiben. »Wegzulassen ist die Szene, in der Maciste auf einem toten Soldaten sitzt, der im Schnee liegt«, heißt es in einem der Zensurberichte jener italienischen Behörde. Es ist eine Geschichte, in der die Österreicher, in diesem Falle die österreichischungarischen Soldaten, als grausame Schwächlinge dargestellt werden. Der gesetzlose Maciste, der trotz Uniform seine eigenen Wege zur Befreiung des Grafen Giorgio Lanfranchi geht, wirbelt die »grauen Ratten«, die österreichischen Soldaten, durcheinander, als wären sie Luft. Kampfszenen erlauben immer wieder von Neuem, die Muskeln und die Akrobatik von Maciste in den Vordergrund zu rücken. Durch diese Kriegspropaganda steigert sich seine Popularität noch mehr, und er gehört nun zu den ersten großen Stars Italiens. Colette, die französische Starschriftstellerin der dreißiger Jahre, deren Drehbuchbearbeitung von Lac aux dames / Frauensee noch gesondert Erwähnung finden wird, schreibt als Filmkritikerin über ihre Erlebnisse bei diesem Film im Kino  : »… and a thousand grown-up persons would be amusing themselves like children. We heard in the theaters murmurs of ›Terrific  !‹ ›Well done  !‹ and even, from the women, ›Isn’t he handsome.‹«64 Am Beispiel dieses Filmes lassen sich nicht nur die werbewirksamen und filmischen Mittel der frühen Stummfilme zeigen, die nicht nur das neue Medium etablieren können, sondern sie verweisen darauf, in welchem Ausmaße Krieg als Ausgangspunkt und Motor nationaler Produktionsbemühungen benutzt wird und publikumswirksame Stars dabei eine besondere Rolle zur Identifikation spielen können. Dieser Film wird weder aktuell noch nach dem Krieg in Österreich gezeigt. Österreichische Filmproduktionen, zum Beispiel Mit Herz und Hand fürs Vaterland, 1916, Der Nörgler, 1916, oder Mit Gott für Kaiser und Reich, 1916,65 stehen jedoch keineswegs in ihrer Propaganda zurück und nutzen das bewegte Bild ebenfalls für menschenverachtende Erzählungen über den Gegner.

62 Jullier, L’écran post-moderne, 1997, 71 f. 63 Le cinéma et l’Écho du cinéma, 16.3.1917. 64 Le Film, 18.6.1917. 65 Fritz, Die österreichischen Spielfilme der Stummfilmzeit (1907–1930), 1967.

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Zur Archäologie des Österreichbildes

Das italienische Beispiel betreibt nicht nur für einen »notwendigen und gerechten« Krieg Propaganda, sondern nutzt Komik und Aktion, ähnlich wie in späteren Kriegssatiren, für Unterhaltung, die immer auf Kosten des Gegners geht. »Der größte Erfolg des Jahres, voll gepackt mit Aktion, wie sie noch niemals auf der Leinwand zu sehen war.«66 In der Zeit vor dem Tourismusboom der fünfziger Jahre, in dem österreichische Familien zum ersten Mal nach Italien fahren, vor Fernsehbildern und vor Internetzugang bleiben diese Bilder lange im Gedächtnis bestehen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Person Maciste auch durch weniger gegen Österreich gerichtete gewalttätige spätere Produktionen zu Beginn der sechziger Jahre, wie zum Beispiel Maciste besiegt die Feuer­ teufel, 1961, oder Maciste, der Rächer der Verdammten, 1962, in Erinnerung behalten werden konnte.

Bilder zur Geschichte Zu Beginn jener Bilderwelt, die aus der österreichischen Geschichte schöpft und eine – im Sinne des Wortes – Vorstellung von der Zeit im 16. und 17. Jahrhundert gibt, stehen drei tschechoslowakische Produktionen, zwei historische Komödien und ein Heldenepos, und zwei ungarische Abenteuerfilme.67 Diese Filmtitel, die von allen bekannten am weitesten in die Vergangenheit zurückreichen, eröffnen auf der Kinoleinwand den fiktionalen Erlebnisraum zur österreichischen Geschichte. Wird im ersten Film am Hofe Rudolfs  II., er lebte zwischen 1552 und 1612, wie bereits der Titel schließen lässt, das der Operette nahe stehende Genre der Verwechslungskomödie bemüht, findet im zweiten Film die zeitgeistige Sexualmoral der Produktionszeit, die in die Vergangenheit versetzt wird, ihren Niederschlag. Das Buch zum ersten Beispiel schreibt der tschechische Schauspieler Jan Werich, und es ist voll von Einfällen in der Tradition des Prager Komödientheaters, das er lange durch seine Arbeit mit prägen kann. Ein anderer, sehr beliebter Topos der osteuropäischen Filmproduktion sind die wiederkehrenden Varianten des Widerstandes gegen die Habsburgermonarchie. Sie spielen am Rande des Reiches und handeln von Aufständen und Verschwörungen. Als Beispiel soll die Verfilmung eines Romans von Kálmán Mikszáth genannt werden, die als Familienunterhaltung mit dem Titel A beszélő köntös / Der wundersame Kaftan, 1969, augenzwinkernd68 umgesetzt wird und von der Erhebung einer ungarischen Kleinstadt, Kocskemét, gegen Türken und Österreicher erzählt. Was hier mit 66 The Bioscope, 9.8.1917. 67 Cisaruv pekar – Pekaruv cisar / Der Kaiser und der Bäcker, 1951  ; Svatby pana Voka / Die Hochzeiten des Herrn Peter, 1970  ; Jánošik / Jánošik, der Held der Berge, 1962/63  ; A beszélő köntös / Der wunderbare Kaftan, 1969  ; Hajdúk / Unbändige Heiducken, 1974. 68 Katholisches Institut für Medieninformation, Filme in der DDR, 1945–1986, 1987, 506.

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Nachkriegsbilder

»augenzwinkernd« bezeichnet wird, ist jene Mischung aus märchenhaftem und komödiantischem Abenteuerfilm, die ein breites Publikum ansprechen kann. Eine weitere Variante des Abenteuerfilms, der erste »Eastern«, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts angesiedelt ist und ähnlich dem »Western« die Nations- und Identitätsbildung in filmischer Form mythisiert, stellt sich mit Hajdúk / Unbändige Heiducken vor. Die Weiten der Puszta werden, nicht unähnlich der Prärie im »Western«, zu einem Fluchtraum für die Verfolgten, die Heiducken, verdichtet. Sie treiben Rinder zur dalmatinischen Küste, um sie dort gegen Waffen zu tauschen. Doch sie werden von Türken und der österreichischen Armee gleichermaßen bedroht und Mensch um Mensch wird in den Mooren der nahen Küste massakriert. Die raumgreifende Bildgestaltung der Plansequenzen in Form von kreisenden Kamerabewegungen in Anlehnung an Filme von Miklós Jancsó ist nicht zu übersehen. Einzelne Kompositionen im Raum der Kader dynamisieren das Geschehen, ohne dass äußerlich Entscheidendes stattfindet. Wenn dann doch aus dieser Ruhe heraus Gewalt und Kampf entstehen, werden die Nacktheit der Körper, ebenfalls nicht unähnlich Jancsós Darstellungskonzept, und die brennenden Hütten im Hintergrund zum Ausdruck größter Hilflosigkeit gegenüber den brutalen staatlichen Sanktionen. Die elektronische musikalische Untermalung dieser Sequenzen animiert zeitlich die Bilder und führt sie in die Möglichkeitsform einer vorstellbaren Gegenwart, jener der Produktionszeit, über. In der gleichen erzählten Zeit, aber etwas nordöstlicher, in der Slowakei, hält der Volksheld Jánošik/Jánošik, der Held der Berge die staatliche Ordnungsmacht in Atem. Doch völlig anders als die vorangegangenen Beispiele zielt dieser Film auf genrespezifische Schaueffekte ab. Die Geschichte, die als Fortsetzung in zwei Teilen in die Kinos kommt, wird in klassischer theatraler Manier erzählt. Da die zwei letzten Beispiele in der gleichen historischen Epoche angesiedelt sind, lassen sich die Unterschiede in der filmischen Herangehensweise umso deutlicher erkennen, die in der filmästhetischen Tradition der beiden Länder ebenso wie in der persönlichen Entwicklung der Filmautoren und im unterschiedlichen Anspruch an den Grad einer Fiktionalisierung von nationaler Geschichte begründet sind.

Nachkriegsbilder Mit 1918, dem Jahr des Kriegsendes, beginnt für das Bild Österreichs im Medium Film eine neue Ära. Die nachgenannten Filme können die These stützen, dass diese den Weg für die Produktion von Merry-Go-Round, 1923, bereiten, weil diese Art von Film für ein spezifisches Zuschauersegment, die österreichischen Immigranten, an Interesse gewinnt. Die klassische Filmgeschichtsschreibung erinnert sich jedoch an und diskutiert immer wieder bestimmte Schlüsselfilme, die sich durch vorangegangene Werke 31

Zur Archäologie des Österreichbildes

inspirieren lassen und an denen sich nachfolgende Produktionen orientieren oder sich messen lassen müssen. Ein offizieller, von der US-Regierung produzierter Dokumentarfilm Under Four Flags, 1918, stellt die verschiedenen Zeremonien der vier Siegermächte, USA, Italien, England und Frankreich, in den Mittelpunkt und wird in allen großen Städten der USA präsentiert. Die beiden Spielfilme, die 1918 gezeigt werden, stehen noch unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges. Zwei Agenten, ein weiblicher und ein männlicher, sind Mittelpunkt der jeweiligen Handlung. In I Want to Forget, 1918, bricht eine aus Österreich in die USA immigrierte Tänzerin, Varda Deering (Evelyn Nesbit) mit ihrer Vergangenheit, um von dieser jedoch in ihrer neuen Heimat wieder eingeholt zu werden. Als »deus ex machina« fungiert hier ein Autounfall, der die Lösung bringt. Die aktuelle Fachpresse unterstellte der Produktionsfirma Fox, Frau Nesbit engagiert zu haben, da der »Kriminalfall des Jahrhunderts« im Jahre 1906, bei dem es sich um den Mord ihres Liebhabers durch ihren Ehemann handelte, noch immer das Publikum anziehe. Der Kinofilm besitzt dieses außerdiegetische Flair, bei dem der Intertext, Frau mit Vergangenheit, die Sensationslust schürt. I Want to Forget gehört auch zu den ersten Filmen, bei denen der Name der Schauspielerin genannt wird. Das Starsystem beginnt sich langsam zu etablieren. Mit diesem Hintergrundwissen ist es nicht uninteressant, dass der Filmfigur eine dunkle Vergangenheit vorausgeht, bevor sie sich als österreichische Immigrantin in den USA reinwaschen kann. Auch im zweiten Film des Jahres 1918, American Buds, gesteht der österreichische Agent, Capt. Roland Duncan (Albert Gran), am Sterbebett seine Tätigkeit ein. In beiden Filmen verbindet eine Liebesgeschichte, die jeweils zu einem Happyend führt, die Schilderungen der Agententätigkeit und das Leben von Immigranten in den USA. Im Gegensatz zu diesen beiden US-Produktionen zeigt die Dokumentation Starvation, 1920, das Nachkriegselend in Wien und in Europa. Ein Liebesdrama stellt der erste bekannte und einzige von Erich von Stroheim verantwortlich bis zur Aufführung selbst autorisierte, wenn auch um 20 Minuten gekürzte, Film Blind Husbands, 1919, dar. Er führt uns in die italienisch-österreichische Bergwelt, in der es zu einer Eifersuchtsgeschichte kommt, die Erich von Stroheim laut seiner eigenen Aussage in einem österreichischen Militärgefängnis schrieb, als er auf Grund eines tödlich endenden Duells einsaß. Zumindest wissen Biografen davon zu berichten. Andere wissen von seiner damaligen Frau Valérie Germonprez, dass er ihr Szene für Szene in seinem Krankenstand, bei dem er sich von einer spanischen Grippe erholte, vorgespielt hatte, bevor er wieder sein Drehbuch überarbeitete.69 Mit der Rolle als österreichischer Kavallerieoffizier schafft sich Erich von Stroheim mit diesem Film seinen Ruf, Offiziere und Liebhaber in unnachahmlicher Distanziert69 Lignon, Erich von Stroheim  : Du Ghetto au Gotha, 1998, 79.

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Nachkriegsbilder

heit bei gleichzeitiger kriecherischer Unterwürfigkeit darzustellen. In Fugitive Road, 1934, wird diese ausgeprägte Charakterzeichnung noch einmal die Erzählung beherrschen. Wie für I Want to Forget scheint die Geschichte rund um die Person Stroheims bereits wichtiger Bestandteil des Außen-Designs, des Marketings in der Frühzeit des Kinos zu sein, das sich wie hier als »Stargeflüster« immer wieder realisiert. Die Diskussion rund um den endgültigen Titel bringt Erich von Stroheim in die Öffentlichkeit, und sie wird als Werbestrategie für den Film ausgewertet. Stroheim verstand es immer wieder, auf sich aufmerksam zu machen. Mehr als vierhundert Titelvorschläge gingen bei der Produktionsfirma ein, nachdem der von Stroheim gewählte Titel »Pinnacle« durch den Produzenten der Universal, Carl Laemmle, mit der Begründung abgelehnt wurde, dass das Wort »Pinnacle« verballhornt als »pee nokkle« ausgesprochen wurde und damit den Ernst des Filmes als Melodrama unterliefe. Stroheim wusste auch diese Diskussion für die Bekanntmachung des Films zu nützen. Auch unabhängig von dieser »Aufregung« war die Wirkung des Filmes, vor allem die Handlung, die Regie und die schauspielerische Leistung, nach dem Branchenblatt »Variety« zu schließen, überwältigend. Es vergleicht Stroheim mit dem damals hochgeschätzten Schauspieler und Theaterregieneuling Gustav von Seyffertitz und mit den in den USA bekannten Autoren Hermann Sudermann und Arthur Schnitzler. »The flirtation scenes have a sex appeal that is at once charming and arousing«, zeigt sich der Kritiker angetan, der jedoch gleichzeitig einen Fehler in der Darstellung Stroheims als Liebhaber festzustellen glaubt, der allerdings in der späteren Karriere Stroheims zu dessen Markenzeichen wird  : »… but we think Stroheim made his one mistake in his own exceedingly sharp cut impersonation. It’s bad business to make a lover ridiculous.«70 Es sind jene Doppeldeutigkeiten, jene Abgründe der Seele, die keine eindimensionale Darstellung erlauben und die als Defizit in der Darstellung angesprochen werden, die jedoch auf Arthur Schnitzlers Menschenbeschreibungen verweisen, die von der Kenntnis menschlicher Tiefen und Untiefen zeugen, wie später auch Freud bei den Stücken von Schnitzler feststellt. In einem Hollywoodfilm ist diese Vielschichtigkeit der Darstellung etwas Neues  ! Als Echo auf die Kriegsereignisse lässt sich auch die englische Produktion The Bo­ hemian Girl, 1922, sehen, bei der ein polnischer Offizier von österreichischen Soldaten verfolgt wird, mit einer Zigeunerfamilie zusammenlebt, um schließlich die von ihm zuvor gerettete Tochter zu heiraten.

70 Variety, 12.12.1919.

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Zur Archäologie des Österreichbildes

Neuer Erzählraum Der Film ist an der Grenze von Tschechien und Österreich angesiedelt und bringt dieses Gebiet erstmals als Erzählraum in den Fokus des internationalen Filmpublikums. Innerhalb der USA gibt es zu dieser Zeit noch viele unterschiedliche Produktionszentren, die neben Hollywood an der Westküste durch New Yorker Produktionsfirmen bestimmt sind. Prokop bezeichnet diese Phase ökonomisch als die Zeit der Polypole, in der durch kleine Produktionsfirmen hergestellte Filme an bereits große flächendeckende Verleihfirmen zur Auswertung weitergegeben werden.71 Dieser arbeitsteilige Prozess bringt es zwar mit sich, dass unhabhängige Produzenten immer stärker in die Abhängigkeit von Majors kommen, garantiert jedoch aber auch, dass mit Filmerzählungen auch Minderheiten, wie sie die Immigranten aus Irland und aus Ungarn-Österreich darstellen, bedient werden können. Ein Beispiel für das Polypol der Filmindustrie zu Beginn der zwanziger Jahre stellt der Film Mothers of Men, 1920, dar, der in New York im Norma Talmadge Studio produziert wird. Marie Helmar (Claire Whitney) flieht aus dem Vorkriegsösterreich nach Paris, um dort auf ihren Liebhaber, Kapitän van Pfaffen, zu treffen, der als Diener arbeitet. Sie entlarvt ihn als deutschen Spion, und ihr Ehegatte vergibt ihr den Seitensprung. Trotz der einfachen Erzähl- und Charakterstrukturierung und einer technisch klaren, aber fehlerhaften und unambitionierten Kameraarbeit – »she (Miss Whitney) screens very well, although some of the camera work on the close-up shots shows her out of focus«72 – erzählt die Geschichte von einer für das damalige Publikum wiederholt aufgegriffenen Personenkonstellation.

Drei Stereotypen Die Emigration aus Österreich, sei es in die USA oder in ein westeuropäisches Land, wird ebenso zu einem Stereotyp zukünftiger Filmproduktionen wie das Problem des durch die Ausrufung der Republik 1918 verarmten Adels, der sich unter seiner »Würde« verkaufen muss, oder das durch psychische oder physische Vergewaltigung »entehrte« Mädchen, wie es auch Josef von Sternberg noch 1929 in The Case of Lena Smith glaubhaft erzählen kann.73 Wird mit A Trip to Paradise nach Ferenc Molnárs »Liliom« der Erzählraum zwar in die USA verlegt, bleibt die Verbindung mit dem alten Europa auf Grund des Hauptmotivs der »zweiten Chance« im Leben doch als religiös motivierter Hintergrund eines ka71 Prokop, Soziologie des Films, Neuwied, Luchterhand, 1982, 25 f. 72 Variety, 12.3.1920. 73 Sternberg, Ich. Josef von Sternberg, 1967, 12.

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Drei Stereotypen

tholisch orientierten Kulturbereichs, des Habsburgerreiches, aufrecht. Erst mit MerryGo-Round, mit dem auch Wien als Stadt der Erotik und der freizügigen Liebe etabliert wird, und mit dem zwei Jahre späteren Marriage Circle wird die Stadt als Ort der Operette in den Spielfilm eingeführt. Bezeichnenderweise spielen beide Handlungen nicht in der Produktionsgegenwart der zwanziger Jahre, sondern in der Vorkriegszeit, die durch die Stücke Arthur Schnitzlers auch den nicht deutschsprachigen Zusehern bekannt geworden ist.

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Zwischen Merry-Go-Round und The Wedding March Wahl des Zeitraums – »Andere« Bewegung – Stadtporträt  ? – Nachkriegsstimmung – Wiener Medizinische Schule – Zeitgenössische Literaturadaption – Operettenstaat – Neue Interpretation – Erste Dissertation zum Film – Filmkulturerbe

Erst durch das Vertrautwerden mit einer europäischen Kultur infolge einer Reihe von Vorläuferfilmen und durch deren kommerziellen Erfolge können für The Wedding March die künstlerischen und ökonomischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Briefe und Notizen in der Cinémathèque française74 in Paris aus den fünfziger Jahren unterstreichen nicht nur die Wichtigkeit dieses Filmes für die weitere künstlerische Entwicklung Erich von Stroheims, sondern auch die Bedeutung für das Wien-Bild der Zeit. Merry-Go-Round, 1923, The Wedding March, 1928, und dessen zweiter Teil The Honeymoon, 1929, wissen die Zeit des Untergangs der österreichisch-ungarischen Monarchie nachzuzeichnen.

Wahl des Zeitraums Fünf Jahre umfasst die Zeit zwischen den Filmen Merry-Go-Round und The Wedding March, die in der Filmgeschichtsschreibung als die beiden ersten, typischen Beispiele der Etablierung des Images von Österreich genannt werden. Natürlich finden sich eine Reihe weiterer Filme, die das Bild von Österreich in Hollywood und im europäischen Kino filmisch verhandeln. Sie neigen zu Kolportagen, die das Leben in Österreich verklären oder naturalistisch überzeichnete Interpretationen davon – vor und nach 1918 – liefern. Oft erfuhren diese größere Publikumserfolge als jene beiden Filme, an denen Stroheim kreativen Anteil gehabt hat. Eine konzentrierte chronologische Zusammenschau jener Filme, die das Bild von Österreich festigen, lässt durch die manifesten, immer erneut auftretenden thematischen Invarianten – vor allem verarmten Adel, kriegsbedingte Kulturlosigkeit oder das Hohelied auf die Wiener Medizinische Schule – erahnen, wie sich daraus in den nachfolgenden Jahrzehnten fantasievolle Varianten gleichbleibender Stereotypen herausbilden, wie sie ausgebaut und verfeinert werden. Sind in den ersten Filmproduktionen der (die) österreichische Agent(in) und der nach der Ausrufung der Republik sozial abgestiegene Adel thematischer Mittelpunkt, 74 Fonds Erich von Stroheim, Albatros 35 – B 31, Paris, Bibliothèque du film (eingesehen am 27.3.2013).

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Wahl des Zeitraums

befreit man sich später zunehmend von diesem Klischee. Wiener Baudenkmäler werden als imposanter Kulisse eingesetzt, um mit dem direkten oder indirekten Evozieren von Wien die örtliche Authentizität von imaginierter Unmoral und Verruchtheit mit Glaubwürdigkeit zu versehen. Im Zeitraum von fünf Jahren, die durch die beiden Filme von Erich von Stroheim markiert werden, verfestigt sich ein Bild, das durch die anhaltende Faszination für diese bewegten Bilderzählungen erst massenhaft rezipiert werden kann. Innerhalb dieser Zeitspanne gibt es eine Reihe von Filmen75, die entweder Personen oder Stoffe der Vorkriegszeit vorstellen und die in einzelnen Sequenzen das semantische Bassin der Habsburgermonarchie evozieren. Mit diesen Produktionen werden inhaltlich-emotionale Vorgaben und Vorstellungen generiert, auf die nachfolgende Stereotypen und Klischees verweisen und aufbauen. Aus Italien, vom einstigen Kriegsgegner Österreichs, kommen Spielfilmbilder, die den faulen und grausamen Österreicher in der Tradition von Maciste alpino zeigen. So werden in La leggenda del Piave / Legende des Piave, 1924, romanhafte, ins Melodramatische gesteigerte Ereignisse gezeigt, die in Gut und Böse unterteilt werden können.76 Ein österreichischer Spion schleicht sich in eine italienische Familie ein und gesteht der jungen Elena seine Liebe. Da sie ihn aber abweist, versucht er sie zu vergewaltigen. Es gelingt ihr die Flucht. Der Krieg bricht aus, und Elena meldet sich freiwillig als Krankenschwester beim Roten Kreuz. Als österreichische Soldaten die feindliche Linie überschreiten, treffen die beiden einander wieder. Die Szene des erneuten Zusammentreffens wird symbolisch mit der Metapher einer zertretenen Lilie visualisiert. Diese Metapher, deren Bedeutung bereits aus der Literatur bekannt war, wird im Zusammenhang mit der Handlung erneut aktualisiert. Als der Film The Wedding March Ende 1928 anläuft, können die in den USA und in Europa ins Kino gehende »Modellleserin« (Eco, 1990) oder der »implizierte Leser« (Iser, 1979) bereits auf ein ausgeprägtes Reservoir an Bildern von Österreich im Kopf zurückgreifen. Der Begriff Modellleserin aus der Literaturtheorie bezeichnet auch bei einer Filmrezeption jene(n), die (der) den Interpretationsvorschlägen der Autorin folgen kann, die (der) aber auch Leerstellen innerhalb des Textes auf Grund des Vorwissens von bereits bekannten gesehenen Filmerzählungen von Wien auszufüllen beginnt. Der Filmautor denkt in seinem weiteren Schaffen an diesen »implizierten Leser«, an das Vorwissen dieser möglichen Zuschauerin. Dass Merry-Go-Round Kitsch sei, weist ein Teil der deutschsprachigen zeitgenössischen Kritik zurück, weil die, »die dies sagen, keine Ahnung von der Psyche des Volkes (haben).« 75 Jeden z 36 / Einer von 36, 1924, Polen  ; Kuryri cisařovi ve stinu Napoleona / Die Kuriere des Kaisers, 1924, Tschechoslowakei. 76 Vgl. zu den Frühformen der (US-amerikanischen) Stummfilmdramaturgie, Tieber, 2011, 19–24.

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Zwischen Merry-Go-Round und The Wedding March

Echt Wiener Leben pulst, man vermeint, die weiche Wiener Luft zu atmen, so typisch hat man in Kalifornien ein Lebensbild aus der Kaiserstadt an der Donau eingefangen. (…) Unsere Industrie möge lernen von Amerika, der Erfolg wird nicht ausbleiben.77

Der endgültige Arbeitsanteil von Erich von Stroheim an Merry-Go-Round ist gering, da ihm die Produktion aus finanziellen Gründen aus der Hand genommen wird. Seine Erinnerungen an das Land, das er 1913 auf Grund von ungeklärten Umständen bzw. aus von ihm neu interpretierten Gründen verlässt, werden in den Film eingearbeitet. Zwar ist er maßgeblich an der Filmarchitektur, am Dekor und an den meisten Szenen aus dem Alltagsleben beteiligt, doch wird ihm der endgültige Schnitt und damit der Erzählrhythmus des Films aus der Hand genommen. Der Leichtlebigkeit und Frivolität des Adels im Umgang mit ehelichen Beziehungen steht die tragische Geschichte aus Merry-Go-Round gegenüber, die von der unerfüllten Liebe zwischen sozialen Schichten erzählt. Da das Milieu des Zirkus bzw. des Vergnügungsparks filmische Attraktionen bietet, entschließt sich Stroheim, die Geschichte im Wiener Prater anzusiedeln, den er seit seiner Kindheit kennt. Dem Film wird in Österreich große Aufmerksamkeit geschenkt. In der Publikumszeitschrift »Die Komödie« schreibt C.N. Williamson, die als »eine der berühmtesten modernen kritischen Autorinnen« vorgestellt wird, nach einer detailreichen Beschreibung der Kulissen zu Merry-Go-Round  : Nur nicht aufwachen aus diesem Traum, dachte ich. Jedoch bald hörte ich die Instruktionen des Direktors und Regisseurs, die er seinem Personal gab, und dann wusste ich es, dass ich diesen Leuten meinen Traum zu verdanken hatte. Ich hatte gemeint, Wien, das schöne Wien vom Frühling 1914, verloren zu haben, und nun hatte ich es hier in Universal City wieder gefunden  ; jenes Wien, das ich vor wenigen Monaten drüben vergeblich gesucht hatte.78

Die österreichische zeitgenössische Kritik lobt den Film, der in Wien unter dem Titel Prater gezeigt wird  : »Ungleich moderner« wirke diese Stadt. »Der Prater war niemals so herrlich elektrisch beleuchtet«. Ebenso spricht »Der Tag« davon, dass dieser Film »in seiner Sphäre die verkitschte Wiener Volkspoesie« rehabilitiert, und wundert sich  : »Und das haben Amerikaner gemacht.« Interessant mag dafür das Beispiel sein, das für diese Einschätzung angeführt wird  : Das arme Mädchen, das im Prater das Werkel dreht, sehnt sich nach guter Musik, bittet den feinen Offizier ihr einen Strauß-Walzer vorzuspielen und beginnt vor Rührung zu weinen. (…) Wir sehen Musik zu Traum werden, zu Schicksal werden, sich einsaugen in einen 77 Reichsfilmblatt, Nr. 3, 1924  ; Die Komödie, 18.11.1922. 78 Die Komödie, 18.11.1922.

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Wahl des Zeitraums

menschlichen Körper. (…) Diese zu Gebärde gewordene Musik, dieses »Gemüt« ist die Essenz des Films und wirkt trotz der primitiv sentimentalen Geschichte unwiderstehlich melodiös.79

Merry-Go-Round bleibt einer der wenigen Filme aus den USA, der als fremdsprachiger »Wiener« Film in der österreichischen Presse positiv aufgenommen wird. Für die »Neue Freie Presse« ist der Film bei seiner Premiere in Wien am 19. September 1924 (…) ein ausgezeichneter Propagandafilm gegen den Krieg und für die Republik Österreich. Die kurzen Szenen aus den Schlachten lassen an Grauen nichts zu wünschen übrig. Den Wienern wird es Spaß machen, ein Karton- und Pappe-Wien aus Los Angeles serviert zu bekommen, das dem wirklichen gar nicht so unähnlich ist.

In zweifacher Weise erweist sich das im Film vorgestellte Leben im Habsburgerreich als publikumswirksam, da Erinnerungsbilder für neue Immigrantinnen und Wunschbilder für die zweite Generation an Immigrantinnen, die die Heimat nicht mehr kennen, entstehen. Diese Thematik erlaubt, Bilder an eine für immer verlorene Jugend der ausgewanderten Immigrantengeneration mehr latent als manifest hervorzurufen. »Wie wäre es, wenn …« ist dagegen das mögliche Gefühl jener, die durch die fiktionalen Filmbilder angeregt werden. Beide Möglichkeiten dieser Bilder können vor allem in den »Cinemen« gefunden werden  ; in jenen Mikroeinheiten der Filmsprache, wie sie von Pier Paolo Pasolini bezeichnet werden  : »Die kleinsten Einheiten der cinematografischen Sprache sind die verschiedenen Objekte, die eine Einstellung ergeben.«80 Die »Mizzi« aus »Liebelei« muss es irgendwo noch in unserer Stadt geben. Mary Philbin ist das vertrauensvolle, liebende Mädchen aus dem Volke, so kindlich und rührend, wie wir es von amerikanischen Filmschauspielerinnen gewohnt sind.81

Der Autor stellt eine Affinität zwischen amerikanischen Filmschauspielerinnen und dem »Wiener Mädl« aus Arthur Schnitzlers »Liebelei« her, das auch bei Mary Philbin die Ausdrucksweise bestimmt. Derselbe Kritiker, der die authentische Ausstattung lobt, unterstreicht gleichzeitig, dass die Bewegungen der Körper im Raum andere sind als jene in Wien  : »Nur die Bewegungen sind anders.«

79 Der Tag, 23.9.1924. 80 Pasolini [1966], L’expérience hérétique, 1976, 51. 81 Neue Freie Presse, 19.9.1924.

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Zwischen Merry-Go-Round und The Wedding March

»Andere« Bewegung Mit der Bemerkung über die Bewegung der Körper im Raum berührt der Kritiker N. einen Bereich der filmischen Schauspielführung, dem bei der Rezeption von Film allgemein sowohl zeitgenössisch wie gegenwärtig zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Seine Anmerkung erscheint umso gültiger, bedenkt man die zeitliche Nähe zwischen Kritik und Erzählraum. Auf der Suche nach dieser »anderen« Bewegung fallen die statischen Körper innerhalb des Einstellungsraumes auf. Sie erstarren oft in Posen, die durch vor allem dialogorientiert gesetzte Inserts die handlungszentrierten Bewegungen immer wieder brechen. Aus einem Vergleich mehrerer Filme aus diesen Jahren lässt sich unschwer die These ableiten, die eher von technischen als von nationalen Einflüssen geprägt wird, dass der Körper durch die im Vergleich mit heute relativ unbewegliche Kamera in den Filmkader »gezwungen« wird, während einige Jahre später, in The Wedding March die Tendenz zunimmt, Einstellungen in Einstellungsfolgen aufzulösen und damit der Raum dynamischer gedacht werden kann. Ein Vergleich zweier Aktionsszenen aus Merry-Go-Round und The Wedding March unterstreicht sowohl die technische Entwicklung, die zunehmende Beweglichkeit der Kamera, als auch die Veränderung im filmsprachlichen Denken der Autoren, das durch die Auflösung der Aktion durch Montage von Einzeleinstellungen, sei es durch den zum Teil verantwortlichen Regisseur Erich von Stroheim oder durch dessen Kameramänner, geprägt ist. »Erreicht« nach Karel Reisz »das Narrativ bei Griffith-Filmen den Zuschauer durch Verhalten und Bewegung der Schauspieler, baut Pudowkin seine Szenen durch sorgsam geplante Details und erreicht seine Effekte durch deren Nebeneinanderstellung.«82 Mit dieser Beschreibung zur unterschiedlichen Herangehensweise lässt sich auch die mise-en-scène bei Merry-Go-Round und bei dem fünf Jahre späteren Wedding March erkennen. Der weiterentwickelte filmsprachliche Stil drückt sich in der durchschnittlichen Einstellungsdauer von drei Sekunden in The Wedding March im Vergleich zu zehn Sekunden in früheren Stummfilmen, wie in Merry-Go-Round, aus.83 Bleibt im ersten Beispiel der Blick von außen ausschließlich auf die Aktion gerichtet, tritt man im zweiten Beispiel 82 Reisz [1952], The Technique of Filmediting, 1996, 31. 83 Bordwell, Staiger, Thompson [1985], The Classical Hollywood Cinema. Film Style and Mode of Production to 1960, 1994, 61.

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»Andere« Bewegung

auch unmittelbar in das Geschehen ein. Eine differenzierte Veränderung im Gesicht des Mannes ist ebenso abzulesen wie die Angst der zusehenden Dritten. Dabei wird man als außerhalb des Geschehens stehender, als außerdiegetischer Betrachter, Teil der Handlung. Die zu beobachtende Entwicklung findet ihre Analogie in den beiden Perspektiven im Traumerleben, wie es Tisseron84 thematisiert. Er erkennt zwei archetypische Perspektiven von Träumenden  : Sie sehen von außen zu, oder sie sind unmittelbar an der Handlung beteiligt. Neben der unterschiedlichen Einstellungsdauer spielt ebenso die Einstellungsgröße eine Bedeutung gebende Rolle. Sie modelliert die Intensität und die Erzählperspektive. Von der ersten Produktion von Stroheim aus dem Jahre 1923 zur zweiten Arbeit aus 1928 kommt es zu einer veränderten Erzählperspektive und zu einem zunehmend fragmentarischen filmischen Denken, das sowohl durch die neuen technischen Möglichkeiten und durch das verstärkte Montagedenken der Zeit als auch durch den persönlichen Erfahrungszuwachs des Autors Stroheim und des Kameramanns Ben Reynolds geprägt ist. Reynolds gehört nicht nur zu den viel beschäftigten Fachleuten jener Epoche, sondern er arbeitet konkret mit Stroheim bei The Merry Widow, 1925, zusammen. Ein Jahr nach The Wedding March ist er auch wieder bei Is Everybody Happy  ? für die Kameraarbeit verantwortlich. Um den Publikumserfolg von Merry-Go-Round zu wiederholen, »to duplicate the success«,85 wird der Film Love Me and the World Is Mine, 1928, produziert, der Motive aus dem 1913 erschienenen deutschsprachigen Roman »Die Geschichte von der Hannerl und ihren Liebhabern« von Rudolf Hans Bartsch nimmt. Obwohl dabei der Bekanntheitsgrad der Hauptdarstellerin Mary Philbin wieder genutzt wird, »gelingt es hier aber nicht, die Erinnerung an ihren ersten Film ›Merry-Go-Round‹ vergessen zu machen«, resümiert das Fachblatt weiter. Der Grund scheint im einfachen Plot zu liegen. Das Drehbuch bearbeitet neben dem Regisseur E.A. Dupont auch der aus Wien emigrierte Friedrich Kohner86, der nicht wie sein Bruder Paul Produzent wird, sondern für einige Drehbücher deutscher und amerikanischer Filme als Koautor gewählt wird. 84 Tisseron, Comment Hitchcock m’a guéri, 2003, 7. 85 Harrison’s Reports, 25.2.1928. 86 Friedrich Kohner zeichnet für die erste filmwissenschaftliche Dissertation in Wien verantwortlich.

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Zwischen Merry-Go-Round und The Wedding March

Unter anderem zeichnet er für Sins of Man, frei nach Joseph Roths »Hiob. Roman eines einfachen Mannes«, das bereits 1936 ein Jahr nach dem Erscheinen in New York verfilmt werden kann, mitverantwortlich. Diese unmittelbare Nähe von literarischem Erscheinungsdatum zum Filmproduktionsbeginn unterstreicht die bereits große Bedeutung des Autors Joseph Roth im öffentlichen literarischen Leben der USA. Thematisch fordert eine Anzahl der Filme eine gedankliche Fortsetzung der Romane von Joseph Roth und der Theaterstücke von Arthur Schnitzler heraus, die die Gesellschaft vor dem Krieg und während des Krieges mit den zum damaligen Zeitpunkt am meisten entwickelten Erzählmedien Theater und Roman in unterschiedlicher Weise porträtieren. Österreichische Emigranten wie Erich von Stroheim, Josef von Sternberg und Billy Wilder kommen immer wieder auf Themen zurück, die die Affinität zu ihrer eigenen Erinnerung vor der Emigration unterstreichen. Die folgenden Zeilen geben darüber Auskunft, wie die erste Verfilmung vom profilierten Wiener Filmkritiker Fritz Rosenfeld aus österreichischer Sicht gesehen wird  : Die Macher des Films scheuten selbst davor nicht zurück, die Abfahrt der Soldaten in den Weltkrieg heute noch als ein fröhliches und erhebendes Ereignis zu zeigen und mit den blumengeschmückten Wagenladungen todgeweihter junger Menschen patriotische Gefühle wiederzuerwecken. Zu solchen Geschmacklosigkeiten hätte sich ein Filmkünstler wie Dupont niemals hergeben sollen.87

Dem stehen Lobeshymnen entgegen, die von der Lebensechtheit der in Szene gesetzten Wiener Atmosphäre sprechen  : »Die Wiener Atmosphäre von 1913–14 mit verblüffender Echtheit geschaffen«88 und  : »Dieses Wien, in großen und kleinen Modellen in Hollywood entstanden, (…) ist lebensecht.«89 1936 wird die literarische Vorlage »Die Geschichte von der Hannerl und ihren Liebhabern« von Rudolf Hans Bartsch durch Werner Hochbaum verfilmt. Dabei werden im Zuge der Zensur zwei Schlussszenen vorgelegt. Ist die erste als Happyend gestaltet, findet in der zweiten Variante das Mädchen den Tod. Acht Jahre nach der US-amerikanischen Adaption macht diese deutschsprachige Verfilmung aus dem Offizier einen Industriellen, der eifersüchtig seine Beziehung zu dem aus armen Verhältnissen stammenden Mädchen überwacht. Das Klischee von »weiblich, arm, bürgerlich, aber lieb« und »männlich, reich und adelig«, zweier Menschen, die nicht zueinander kommen können, wird ebenfalls in The Blue Danube, 1928, bemüht. Ein Zwischentitel im Film bringt das Thema der Erzäh87 Arbeiter-Zeitung, 1.1.1928. 88 Berliner Illustrierte Nachtausgabe, 16.4.1927. 89 Der Montag Morgen, 19.4.1927.

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Stadtporträt?

lung auf den Punkt, der in seiner schriftlichen Redundanz gegen eine entwickelte filmsprachliche Umsetzung spricht, wenn es heißt  : »Ich bin nur ein Bauernmädchen und Sie sind ein Baron.« Und der Baron antwortet  : »Ich bin ein Mensch und werde Sie bis an das Ende meiner Tage lieben.« Kurz darauf begeht ihr körperbehinderter Ehemann Selbstmord  ; enttäuscht darüber, dass sie seine Liebe nicht erwidert, obwohl er immer dann zu ihr gestanden hatte, wenn sie in existenzieller Not gewesen war. Dagegen werden in der Verfilmung von »Das zweite Leben« nach Rudolf Bernauer und Rudolf Österreicher mit Pola Negri als Baronin Gerda Wallentin in Three Sinners, 1928, Lebenslust und Eleganz der europäischen Gesellschaft ebenso wie ein genrenotwendiges Happyend imaginiert, das sich durch die Emigration in die USA verwirklicht. Ein versäumter Zug, der in einen Unfall verwickelt wird, ermöglicht Gerda, die irrtümlich als Todesopfer des Unglücks identifiziert wird, ein neues Leben zu beginnen. In einem Wiener Spielcasino trifft sie jedoch auf ihren Ehemann, gibt sich zu erkennen und empört sich über dessen Untreue. Einen Schlussstrich unter die Beziehung ziehend, nimmt sie ihr Kind mit in die USA, wo sie ein neues Leben beginnt. Mit dem »lebenden Leichnam« Gerda (Pola Negri) findet sich ein erzählerisches Schlüsselmotiv, das an »Liliom« erinnert. Die Chance auf ein »zweites Leben« scheint einer verbreiteten subjektiven Befindlichkeit von immigrierten Europäerinnen entgegenzukommen. Im Besonderen wird auch auf die erotischen Szenen verwiesen, die »have been in such a delicate way that it is unlikely that they will offend any one.«90 Ist der Film für europäische Gewohnheiten zu dialogkonzentriert, »der Film illustriert die Dialoge, sorgfältig, aber zuviel ›Theater‹«91, fasziniert er jedoch das amerikanische Publikum durch die üppige Ausstattung, die den Vorstellungen eines kontinentalen Flairs und eines großen schicksalhaften Lebens entgegenkommt. Der Schock des Ausrufs der Republik am 7. November 1918 und das damit verbundene Verbot, Adelstitel zu führen, wirken sich auf das Selbstbewusstsein dieser sozialen Schicht aus. Der Bruch mit den bisher gültigen Hierarchien führt zu einer – zumindest in der Anfangszeit – tiefgreifenden Auseinandersetzung, die sich nicht nur unmittelbar in entsprechenden Erzählungen ausdrückt, sondern sich auch durch eine charakterlichmoralische Devastation äußert.

Stadtporträt? Nicht nur der Filmstart von The Marriage Circle am 3. Februar 1924 fällt in diesen zur Beobachtung herangezogenen Zeitraum, sondern in Lubitschs Film schwingt auch Wien, das als Handlungsort nur durch ein einfaches Insert vorgestellt wird (»A few 90 Harrison’s Reports, 28.4.1928. 91 »Le film, lui, est une site d’illustrations de dialogues, soignés, mais par trop ›théâtre‹«, Pour Vous, 23.5.1929.

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days – and a few nights – in Vienna, still the city of laughter and light romance«), in der gesamten Erzählung als atmosphärischer Hintergrund mit und konfiguriert die mentale Personencharakterisierung. Die im Film unmittelbar folgende Einstellung karikiert das atmosphärisch aufgeladene Insert durch das Zeigen eines löchrigen Männersockens. In der Aneinanderreihung dieser beiden widersprüchlichen Einstellungen drückt sich jenes ironische Verhältnis zum Gezeigten aus, das im Weiteren zur tonangebenden Erzählperspektive wird. Im Sinne von Roland Barthes werden diese beiden widersprüchlichen Bildmotive der Montagefolge, dieses offensichtliche narrative »Rätsel«, das in ihrer kontrapunktischen atmosphärischen Evozierung liegt, zum Motor der Handlung, für die Zeichnung der Charaktere bestimmend und lassen die Dynamik der kontrastreichen menschlichen Beziehungen bereits in der Anfangssequenz erahnen. Liegen nicht nur in den »Cinemen« der Einstellungsfolgen zum Leben in dieser Stadt Widersprüche, die das zuvor Gezeigte relativieren und zu einer hermeneutisch produktiven Verunsicherung innerhalb und außerhalb der Diegese führen, erklären sich auch die Bildfolgen aus sich selbst, ohne dass zusätzliche Zwischentitel als Verständigungsmittler benötigt werden. The actors he used (…) developed means much more subtle and supple than the general equipment of screen actors at that period  ; they learned to use gesture and facial expression with the same sort of tact and humour with which he used pictorial detail. What is most surprising when one comes to analyse the plot of The Marriage Circle is how very elaborate a narrative Lubitsch was able to convey with purely pictorial means and a minimum of subtitles.92

Diesen »purely pictorial means« steht eine Unbeschwertheit von filmischer Tradition gegenüber, die auf die damals wie heute gewohnten Panoramaschwenks über bekannte Bauwerke als topografische Verweise verzichtet, aber trotzdem Wien als historischen Ort und als emotionale Zustandsbeschreibung bestimmter, imaginierter Mentalitäten zu suggerieren versteht. Diese profilieren sich zusätzlich durch eine differenzierte Charakterzeichnung. Für Ernst Lubitsch scheint die gleiche Überlegung zu gelten, dass eine emotionale Glaubwürdigkeit der Handlung durch konkrete Ortsangaben verstärkt wird, wie fünfzig Jahre später für Liliana Cavani in Il portiere di notte / Der Nachtportier, 1974, oder für Nicolas Roeg in Bad Timing/ Black out  – Anatomie einer Leidenschaft, 1980. Beide gehen davon aus, dass die gestaltete Erzählung und deren Handlungsmotive authentisch nachvollziehbar nur in dieser Stadt stattfinden können.

92 Robinson, Hollywood in the Twenties, 1968, 59.

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Nachkriegsstimmung

Nachkriegsstimmung Die Zeit in Wien kurz nach dem Krieg wird erstmals in The Crimson Runner, 1925, nachgezeichnet. Das Wiener Mädchen Bianca (Priscilla Dean), Tochter des Professors Schreiber, rächt sich an der reichen Wiener Gesellschaft mit der von ihr gegründeten Bande, nachdem sie und ihr Vater infolge der Kriegsereignisse verarmt sind. In geistiger Umnachtung zündet der Professor schlussendlich sein Wohnhaus an. Ein ähnliches Schicksal, Verarmung durch Krieg, erleidet eine andere Wiener Familie im Film The Greater Glory, 1926, der  – den damaligen ästhetischen Versuchen filmischer Grenzerweiterungen entsprechend – in eingeschobenen Farbsequenzen die Alpen als Attraktion zeigt. Fanny von Berg (Anna Q. Nilsson) bricht mit den Konventionen ihrer wohlhabenden Familie. Sie wird verstoßen. Bei Kriegausbruch wird ihr und ihrer Familie durch Gustav Schmidt, einen Kriegslieferanten und Spielcasinobesitzer, finanziell geholfen. Obwohl ihr gräflicher Verlobter sich mit ihr versöhnen will, steht dessen Mutter einer neuen Verbindung entgegen. But most of what is shown is misery – the misery of the Austrians in Vienna. Of the nobles as well as the masses, who were reduced to extreme poverty because of the war. The famous bread lines are shown with heart-rending effects.93

Den anonymen Kritiker erinnern die Szenen an »(…) three different pictures  : ›The Four Horsemen‹, ›Merry-Go-Round‹ and (…) Griffith’s potato picture, ›Isn’t Life Wonderful‹«. Bereits der Titel des für diesen Film adaptierten Theaterstücks »The Viennese Medley«, uraufgeführt in New York und von Edith O’Shaughnessy 1924 verfasst, verweist auf die gesellschaftlichen Umbrüche in Österreich und durch sein musikalisches Hauptmotiv »At Peace with the World« auf ein mögliches, schließlich auch erreichtes Happyend. Trotz der, wie in der Kritik wiederholt vermerkt, dramaturgisch konfus anmutenden Geschichte profiliert der Film ein neues Image, ein von Armut und nicht von Anmut gezeichnetes Wien, wie es bereits in den tagesaktuellen Zeitungsberichten der USA über die Stadt immer wieder vorkommt. Erschüttert, zum Beispiel über die Primitivität ungarischer Bauern, ist auch die amerikanische Diplomatenfamilie Lake in Silken Shackles, 1926, als sie das Nachkriegsgebiet in Ungarn und Österreich besucht. Das Bild, das von der ehemaligen habsburgischen Provinz und von dem nun selbstständigen Staat gezeichnet wird, wird zu einer filmerzählerischen Bestätigung der Presseberichte. Als kulturanthropologisches Gegenbild dazu erinnert The Outsider, 1926, dessen Handlungsorte ebenfalls in Ungarn angesiedelt sind, an die aus der Operettentradition 93 Harrison’s Reports, 8.5.1926.

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bekannte Faszination, zum Beispiel in »Gräfin Mariza«, tanzenden »Zigeunern« zuzusehen, die zur Gewissensberuhigung für die alltägliche Diskriminierung mit diesen Fähigkeiten aufgewertet werden. Als Treffpunkt für unterschiedliche Immigrationsbewegungen wird das Nachkriegswien in My Official Wife, 1926, gezeigt. Hélène flüchtet aus dem vorrevolutionären Russland nach Wien und vergibt dort ihrem ehemaligen Vergewaltiger Sascha, der während der Revolution ebenfalls nach Wien fliehen muss. Der Film vermittelt ein Bild, das von der Vorstellung des imperialen Glanzes der Stadt ebenso wie die zuvor genannten abweicht, das aber Erich von Stroheim zwei Jahre später durch die Szene der Fronleichnamsprozession in The Wedding March erneut zu entwerfen wissen wird. Verführungsszenen mit komödiantischen Aspekten machen My Official Wife, 1926, zu einer Fortsetzung von Lubitschs Marriage Circle und unterstreichen für das zeitgenössische Publikum die Faszination des Wiener erotischen Lebens. Ein Jahr später zeichnet Night Life, 1927, die Nachkriegsstimmung durch die Hauptpersonen Max (John Harron) und Anna (Alice Day) nach. Kriegsgewinnler und ein Chefdetektiv, gespielt von Leopold, einem Großneffen des letzten österreichischen Kaisers – einem »echten« Erzherzog von Österreich, der sich als Schauspieler auch in Four Sons, John Ford, 1928, versucht –, erschweren ihren Weg zurück in die Wiener Gesellschaft, in der Max vor dem Krieg als Zauberkünstler bekannt war. Einen wiederkehrenden narrativen Topos stellt die Verbindung von Musik und Emigration dar. Typisch dafür ist ein Musiker aus Wien, der Musiklehrer Anton von Barwig in The Music Master, 1927. Für den französischen Regisseur und Mitarbeiter bei Charlie Chaplin, Harry d’Abbadie d’Arrast, bietet Serenade, 1927, die Möglichkeit, leichte und humorvolle Szenen in einem Wiener Ambiente zu realisieren. Franz Sandór, Musiker am Theater an der Wien, heiratet Gretchen, eine Tänzerin am gleichen Theater. Durch wiederholte Untreue genervt, versucht sie seine Eifersucht mit zufällig vergessenen Herrenhandschuhen, mit einem Spazierstock oder einer Melone anzustacheln, bis sich Franz des wahren Wertes von Gretchen bewusst wird. Übereinstimmend positiv wird die Atmosphäre hervorgehoben, aber gleichzeitig die belanglose Darstellung kritisiert, die in der Wende zum Tonfilm immer öfter den Stummfilmen angelastet wird. Der Film Vanity’s Price von R. William Neill, 1924, Josef von Sternberg ist als Regie­ assistent beteiligt, begleitet die erfolgreiche Schauspielerin Vanna Du Maurier nach Wien, wo sie sich einer Verjüngungsoperation unterziehen möchte. Eifersüchtig schlägt sie ihren ehemaligen Mann, der erotisches Interesse an der Freundin ihres gemeinsamen Sohnes zeigt, mit einer Reitpeitsche. Nicht nur die Tatsache, dass eine Frau einen Mann schlägt, ist hier bemerkenswert, sondern auch, dass diese körperliche Züchtigung durch eine detailreiche Filmszene öffentlich gemacht wird. 46

Zeitgenössische Literaturadaption

Wiener Medizinische Schule In Youth for Sale, 1924, wird der Ruf der Wiener Medizin bemüht, um die Geschichte eines Mädchens, Molly, zu erzählen, das durch ihren ersten Alkoholgenuss erblindet und nach Wien kommt, um sich von ihrem Leiden befreien zu lassen. Mit Hilfe eines geheimnisvollen Jungbrunnens versucht die aus Österreich emi­ grierte verjüngte Gräfin Zatianny (Corinne Griffith) in Black Oxen, 1924, ein neues Leben in den USA zu beginnen und geht mit einem jungen Mann eine Ehe ein. Beschämt durch dessen ehrliche Zuneigung, gesteht ihm Mary Ogden, wie sich in den USA nennt, ihr Alter. Doch er hält an seiner Liebe fest. Sie zieht sich schließlich mit einem gleichaltrigen österreichischen Offizier von ihm zurück. Die zeitgenössische Kritik weiß zu berichten, dass der Titel der Novellen von Gertrude Atherton von einem Zitat des irischen Literaturnobelpreisträgers William Butler Yeats (1865–1939) inspiriert ist  : »The years like great black oxen, tread the world and God, the Herdsman, goads them on behind.« Diese beiden Filme, die gemeinsam die Verehrung der Wiener Medizinischen Schule als thematische Grundlage haben, verdichten positiv wie negativ ein Stereotyp über Wien, das immer wieder bis zur Gegenwart aufgerufen werden kann. Kommt der Begriff »Psychoanalyse« im Film The Boomerang, 1925, als Zwischentitel erstmals vor, steht Alex Linden, ein in Wien ausgebildeter Psychiater, in Bad Timing, 1980, im Mittelpunkt krimineller Aktivitäten. Für die Gegenwart sei an A Dangerous Method / Eine dunkle Begierde, 2011, von David Cronenberg erinnert, der den Fall Sabina Spielrein, mit der Carl Jung als Psychoanalytiker ein sexuelles Verhältnis beginnt, aus heutiger Sicht frei interpretiert. Die Schule der Psychoanalyse, in den zwanziger Jahren vor allem durch die Person von Sigmund Freud in den USA repräsentiert, wird zu einem weiteren Informationsbaustein des Bildes aus Österreich. Da Handlungsmuster, Begriffe oder historische Ereignisse als Teil des hermeneutischen Codes die Filmerzählung erweitern, sei es als handlungsorientierte, kulturelle oder als sinnstiftende Klammer konzipiert, kann man annehmen, dass die Autoren dieser ersten Filme davon ausgehen, dass dieses Wissen bereits in der vorfilmischen Öffentlichkeit, damals in erster Linie über Zeitungsmeldungen, bekannt geworden ist.

Zeitgenössische Literaturadaption Eine im Vergleich zu späteren Verfilmungen des Romans über Schwejk von Jaroslav Hašek authentische Fassung findet sich 1927 mit Švejk v civilu. Diese tschechische Variante des »Don Quijote«- oder »Ulenspiegel«-Themas verfilmt Karel Lamač in einigen Episoden erstmals im Jahr nach der Herausgabe der ersten Gesamtausgabe (1926). Karel Noll, mit dem der tschechische Schwejk in Physiognomie, Gestik und Mimik ver47

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Youth for Sale (William Christy Cabanne, USA, 1924) Connie (Sigrid Holmquist) ist die Erschütterung über Mollys (May Allison) alkoholisierten Zustand anzusehen.

bunden wird, ist im Jahre 1927 dreimal bei weiteren Verfilmungen durch die Regisseure Lamač, Innemann und durch Machatý zu sehen. Mit dieser literarisch-mythischen Gestalt des tschechischen Widerstandgeistes, die erstmals auf der Kinoleinwand erscheint, werden die Möglichkeiten einer in den Stummfilm übertragenen literarischen Fassung neu definiert. Vor allem die Lichtsetzung bei Lamač – der Held wird in Alltagssituationen immer wieder mit einem umstrahlenden Lichtkranz gezeigt – trägt ihren Teil zu der sich entwickelnden Heldensaga bei. Die in Form von Zwischentiteln wortwitzigen Dialoge werden im Gegensatz zu dem im deutschsprachigen Raum sinnverkehrenden »Böhmakeln«, ähnlich dem in der deutschsprachigen Synchronisation üblichen »Jiddeln«, nicht zur Quelle einer die deutsche Sprache entstellenden Belustigung. Im Vordergrund steht wie in der Originalfassung eine die Autoritäten verachtende, Begriffe und Sätze wortwörtlich nehmende und damit von einem hohen Sprachgefühl zeugende Situationskomik, die durch Gestik und Mimik unterstützt wird. Geheimpolizist Bretschneider bringt den Helden in die Psychiatrie, von wo er direkt in den Kriegsdienst einberufen wird. Er dient als Bursche des Leutnants Lukáš. Als Unzurechnungsfähiger kann er ungestraft beleidigen. Während 48

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des verfügten Fußmarsches nach Budějovice wird er als russischer Spion verdächtigt. Schließlich wird er mit einem Orden ausgezeichnet.

Operettenstaat Der vielfach zitierte – irgendwo in Mitteleuropa gelegene – »Operettenstaat« wird sowohl in Beverly of Graustark, 1926, wie in The Merry Widow in Bildern formuliert. Er wird als metaphorischer Stereotyp genützt, mit dem Erinnerungen an damals bereits bekannte und beliebte Operetten hervorgerufen werden. Für Kenner der Topografie und Mentalität ist dieses örtlich nicht festgelegte Reich in den Alpen94 unschwer als die untergegangene österreichisch-ungarische Monarchie zu erkennen  ; es wird erstmals in Paddy O’Hara, 1917, in einer Filmerzählung eingeführt und noch in Jancsós Vizi pri­ vati, pubbliche virtù / Die große Orgie, 1976, als emotionalisierendes virtuelles Prospekt mitreflektiert.

Neue Interpretation Erich von Stroheim adaptiert die damals bereits auch in den USA mit breitem Wohlwollen und großem Erfolg rezipierte Operette von Franz Lehár, »Die lustige Witwe«, in eigenwilliger Weise. Als Besonderheit dieser Operettenverfilmung im Stummfilm kann die die sprachlichen Möglichkeiten des Filmes nützende Bildfragmentfolge in Form eines »Syntagmas der zusammenfassenden Klammerung« hervorgehoben werden. Es stellt ein Beispiel dafür dar, wie Stroheim die Montage des Stummfilms entwickelt und der bekannten Operette eine neue Interpretationsebene, die der Frau als Objekt, hinzufügt. Der genannte Begriff bezieht sich auf den fragmentarischen Charakter jeder Filmerzählung, wie ihn Eisenstein bzw. später auch Bonitzer95 erkennen. Dieses Syntagma ist im Gegensatz zum Fragment, das durch die Notwendigkeit des Erzählens durch einzelne Einstellungen, durch Einstellungsparameter bestimmt wird, ein bewusster fragmentarischer Diskurs, um Überlegungen und Erkenntnisse durch diese Art des Erzählens zu gewinnen. Wird das Fragment durch die beschränkte Technik der Aufnahmezeit bestimmt, kann später das gewählte Erzählfragment, als Ausschnitt aus der erzählten Wirklichkeit, mit Überlegung genützt werden. Mit fortschreitender Technik gelingt den Autoren, sich über technische und materielle Vorgaben zu stellen und frei damit umzugehen. 94 Erstmals in einer Farbsequenz kommen die Alpen in The Greater Glory, 1926, vor. 95 Bonitzer, Le champ aveugle. Essais sur le réalisme au cinéma, 1999, 97.

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Bei der Kategorisierung von Sequenzen durch Metz fällt dieses Syntagma, das Syntagma der zusammenfassenden Klammerung, als dem Film eigene Figur auf, da durch optische Effekte, hier durch Irisblenden, eine »Biegsamkeit« innerhalb »der Sequenz eingebracht wird und damit dem Betrachter bestätigt, dass er sie als Ganzes auffassen und nicht etwa in Verbindung mit dem Erzählvorgang bringen soll.«96 Die Form der Blenden wird durch das benützte Fernglas erzähllogisch verankert. Männerblicke sind auf eine Tänzerin auf der Bühne gerichtet. Dieses gemeinsame Objekt ihrer Begierde wird in unterschiedlicher Weise betrachtet, wodurch die Männer bereits zu Beginn der Erzählung wortlos durch die Einstellungsfolge charakterisiert werden. Die jeweilige Konzentration auf verschiedene Partien der tanzenden Frau stellt das zukünftige Verhältnis der Männer zu ihrem Objekt der Begierde klar und wird für die weitere Erzählung konstituierend. Mit diesem Wissen können sich die ZuschauerInnen auf die männlichen Charaktere einlassen, deren Verhalten bewerten, und sie wissen gleichzeitig mehr als die tanzende Frau. Die den Rezipienten zugeordnete Erzählkompetenz wird mit dieser Montage unterstrichen. In der profilierten Anwendung dieser Bildmontagen sowie in der freien Interpretation der Charaktere und in Neubewertungen von gesamten Szenen der bekannten Operettenvorlage, die durch diese Inszenierung unterlaufen werden, liegt die Ausnahmestellung Stroheims begründet, deren Grundlage im bewusst filmischen Denken der Zeit zu liegen scheint. The Wedding March muss innerhalb einer Reihe von Filmen, einer Art Trilogie im Gesamtschaffen Stroheims, gesehen werden, die die letzten Jahre der Habsburgermonarchie als Folie der Erzählung nützt, um diese monarchistische Zeit, ähnlich wie Joseph Roths Literatur, in ihrer Auflösung zu begleiten. 96 Metz [1966], Sémiologie des Films, 1972, 174.

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Motivgeschichtlich steht The Wedding March in der Nachfolge von Merry-Go-Round, während das Projekt »La Dame blanche / Die weiße Frau«, 1939, die Apotheose dieser Wien-Trilogie darstellt. Es wird zu einem in Frankreich konzipierten Projekt, das nie realisiert werden wird, von dem jedoch ein ausführlicher Filmentwurf vorliegt. Diese Skizze basiert auf der Wiener Sage der weißen Frau, die im Schloss Schönbrunn ihr Unwesen treibt, bis sie es nach der Ermordung Erzherzog Ferdinands endgültig  – als böses Omen für einen kommenden Krieg – verlässt. Der Entwurf arbeitet intensiv mit den bis dahin in den Filmerzählungen vermittelten Stereotypen und deren Auflösung, wobei auf mythische Versatzstücke zurückgegriffen wird, die die österreichische Befindlichkeit besonders zur Geltung bringen können. Fehlt bei MerryGo-Round noch jegliche metaphorische Darstellung, setzt diese jedoch in The Wedding March mit der Evozierung des »eisernen Manns« und der »Donauweibchen« ein, vollendet sich Stroheims Trilogie über seine Heimatstadt Wien mit den schriftlichen Skizzen zur »Die weiße Frau«. Ist für die »Modernität« bezeichnend, dass diese immer weniger an »Phantome« glaubt, kommt es bei Stroheim, sichtlich als inszenatorische Gegenströmung, zu einer Verstärkung dieses Glaubens. Von Film zu Film, von Merry-Go-Round bis zum Projekt »Die weiße Frau« kann eine Zunahme der Bedeutung dieser »Phantome« für die Lebensläufe der Menschen auch filmsprachlich bemerkt werden. In Merry-Go-Round wird ein Mann, sei es Satan, sei es eine Variation des Wiener Rathausmannes, gezeigt, der das um ihn kreisende Ringelspiel voller Freude betrachtet. In The Wedding March kommt es durch Mitzis Vorstellungswelt – auch hier wird der »Iron Man« wiederholt evoziert – zu einer direkten Einflussnahme dieser Phantome auf die unmittelbare Lebenswelt. »Die weiße Frau« wird nachhaltig lebensbestimmend für die Mitglieder der Habsburgerfamilie und für das gesamte Kaiserreich. Der filmische Umgang mit diesen Phantomen gibt der Annahme recht, dass Stroheim den Einfluss nichtrealer Wesen auf menschliche Lebensläufe immer als dramaturgische Überlegung mitplant. In seiner Symbolkraft ist der teuflische »Koloss« Stroheims dem von Goya nachempfunden. Werden diese Vorstellungswelten vorerst filmsprachlich als eingeschobenes Insert, das Sequenzen verbindet, durch reale Bilder sturmbewegter Äste und des reißenden Stroms aktualisiert, wird »die weiße Frau« als für die Erzählung bedeutender Ausgangspunkt gestaltet, auf den im gesamten schriftlich vorliegenden Filmentwurf reagiert und dramaturgisch ge51

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antwortet wird. In The Wedding March formt der Autor neben verbal ausgedrückten Angstzuständen bildliche Assoziationen zur menschlichen Vergänglichkeit durch eine Folge von Überblendungen und lässt, ebenso in Überblendung, den »iron man«– den über das Schicksal der Menschen lachenden Wiener Rathausmann – als auktoriale Vorstellungswelt, im Gegensatz zur subjektiven Erlebniswelt Mitzis in Merry-Go-Round, lebendig werden. Im Sinne der Aussage von Maurice Maeterlinck, Modernität bestehe im Verlust des Vermögens, »an Phantome glauben zu können«,97 wirkt The Wedding March antimodernistisch. Dieser Glaube wird in Stroheims Narrativität dieser Trilogie durch den »Wiener Rathausmann«, das »Donauweibchen« und durch die »weiße Frau« ins Spiel gebracht. Bildfolgen aus The Wedding March drücken die Vorstellungswelt der handelnden Charaktere oder die des Autors in Bildern aus. Als kontrastierende Ergänzung steht Stroheims Umgang mit den modernen filmischen Erzählmöglichkeiten der Montage, s. The Merry Widow, oder im sprachlich differenzierten Gebrauch von Wortinserts in The Wedding March. Dabei fällt im Vergleich zu Merry-Go-Round auf, dass zwischen lautlos sichtbar Gesprochenem und für den Zuschauer schriftlich Nachvollziehbarem das Verhältnis drei zu eins ausfällt. Bei Stroheims produktionschronologisch späterem Film The Wedding March kommt es zu einer Verstärkung bildsprachlicher Sinnvermittlung gegenüber sprachlicher – im Stummfilm durch Inserts – vermittelter Sinnbedeutung. Dieser Aspekt zeichnet Stroheim als einen in Bildern Denkenden aus. Durch die dadurch für die Zuschauerin erzeugten Leerstellen im gesprochenen Sinnzusammenhang, der sich durch das gelesene Wort erschließen würde, entsteht eine kreative Irritation, die – mit dadurch angeregter Fantasieleistung aufgefüllt – neuen Sinn generiert. Der Stummfilm gewinnt in Bildern und durch Bilder an Dialogizität, die sich zeitgleich zu Stroheims Schaffen auf der Ebene der Bildmontage in Filmen von Dziga Vertov oder Jean Epstein dazu parallel entwickelt. Diese bei Stroheim konstatierte Offenheit gegenüber einer möglichen Fantasieleistung wird in The Wedding March zugunsten einer stärker erzählbezogenen Ebene, die eine klar gebaute Geschichte generiert, für das US-Publikum transformiert. Dabei sorgt nicht nur die Abfolge der Einstellungen, die aus einem Wechsel von Bildinformationen und Wortinformationen besteht, für diese zunehmende Rolle einer sich dynamisierenden Fantasie- und Imaginationsleistung, sondern auch die damit verbundene zeitliche Intensivierung der Erzählgegenwart, die durch die Kürze der einzelnen Einstellungen erreicht wird und in einem krassen Gegensatz zur Rezeptionssituation bei den beginnenden Tonfilmproduktionen steht. Bordwell98 erkennt »3.7 seconds« als Durchschnittswert der Einstellungslänge bei The Wedding March, der sich zwar bei vergleichbaren Stummfilmen ebenso findet, sich jedoch durch die Reduktion an vordergründiger Aktion besonders prägend bemerkbar 97 Maeterlinck [1886], Le trésor des humbles / Der Schatz der Armen [1996], 2008. 98 Bordwell, Narration in the Fiction Film, 1985, 61.

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macht. Dieser relativen äußeren Aktionsarmut stehen in der Fronleichnamssequenz Schauwerte gegenüber, die durch Architektur und durch die überraschend einsetzende Farbigkeit einiger Einstellungen erzeugt werden. Neben diesen optischen Attraktionen lässt sich auch die akribische charakterliche Beschreibung der Figuren in ihren mimischen und gestischen Präsentationen nachvollziehen. Mit beiden Aspekten wird die im gesamten Werk Stroheims ausdrucksintensive Konstruktionsweise sichtbar. Einem verstohlenen Augenaufschlag Mitzis in Richtung des Kavallerieoffiziers ­Nicki folgt eine Panoramaeinstellung des in den Stephansdom einziehenden Kaisers. Der Wechsel an Einstellungsgrößen, die in rhythmischer Verbindung mit der Länge der jeweiligen Einstellungen stehen, unterstreicht recht augenfällig und nachvollziehbar die Strukturierung dieses Filmtextes, der sich bereits in The Merry Widow vorbereitet hat. Ist die objektive Dauer dieser beiden Einstellungsfolgen gleich lang, wird die empfundene Länge jener, deren handlungskausale Begründung in einem Augenaufschlag besteht, der durch Nahaufnahmen intensiviert wird, und die über Dynamik von anfänglicher Unsicherheit und zunehmender Spitzbübigkeit zu erzählen weiß, entsprechend gedehnt und gewinnt – ohne äußere Schauwerte – an Gesamtbedeutung. »For pageantry, stylization and spectacle«99 werden die eingewobenen Technicolorszenen verwendet, die im weiteren Verlauf der Entwicklung der Filmkultur zu genrebestimmenden Merkmalen des Musicals, des Abenteuerfilms oder des historischen Epos werden. Für Stroheim steht der Gegensatz von Pomp und psychologischer Intensivierung im Vordergrund, wodurch die schauspielerische Leistung den Widerspruch zur artifiziellen Repräsentation von Spektakel verstärkt. Darüber hinaus kommt es bei der Verwendung von Zwischentiteln zu einer Visualisierung des Sprechaktes, der die unterschiedlichen sozialen Lebensräume nachvollziehen und sich verdichten lässt und wieder die dialektische narrative Grundstruktur in The Wedding March aufzeigt. Lautmalende phonetische Zeichensetzungen, veränderte Wortfolgen und veränderter Satzbau, Verkürzungen und Auslassungen prägen das Schriftbild. Die soziale Differenzierung der sprechenden Personen setzt sich in deren sprachlicher, schriftlich fixierter Ausdrucksweise fort. Theoretisch vorbereitet findet sich diese Praxis bereits bei Balázs, der mit seinen ästhetischen Forderungen, die er an den Film – den Stummfilm – stellte, wegweisend für die Nutzung der Schriftinserts in Verbindung mit Großaufnahme werden konnte  : Es gibt Stellen, an denen man die Empfindung hat, das Bild ertöne. (…) Solche Titel ermöglichen oft eine ganz besondere Feinheit des Mienenspiels, indem sie uns die seelischen Vorbedingungen wie mit einem »Vorwort« kurz mitteilen.100

 99 Bordwell, 1985, 355. 100 Balázs [1924], Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films, o.J., o. Orts- und Verlagsangabe, 137.

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In konzentrierter Form beschreibt Balázs Anforderungen, die an die Verwendung von Zwischentiteln gestellt werden sollten. Es sind »Skizzen zu einer Dramaturgie des Films«, die sich »an die Regisseure und alle anderen Freunde vom Fach« wenden und die gleichzeitig für den Kunstcharakter des Films plädieren. Balázs Gedanke, das Bild möge »ertönen«, wird bei Barthes für den Tonfilm in kreativer Weise weiterentwickelt, wenn er von »Bildern, die man hören kann«, und von »Tönen, die man sehen kann«, spricht, die gleichzeitig eine Voraussetzung dafür bilden, die »Signifikanz«, jenen »dritten Sinn«, generieren zu lassen.101 Gegenüber Merry-Go-Round findet sich in The Wedding March eine zweifache Weiterentwicklung des Einsatzes der den Dialog wiedergebenden Zwischentitel  : 1. Phonetisch lautmalerisch, den Wiener Dialekt imitierend durch »Schani«, den Verlobten, während der Fronleichnamsprozession. 2. Schnittfolge  : Mund spricht – Zwischentitel – Mund spricht weiter. Im Stummfilm bestand in Wahrheit ein Gegensatz zwischen Bild und geschriebenem Wort. Denn man musste das Bild, das visuelle Spiel, unterbrechen, um die Zwischentitel bringen zu können. Bild und Literatur, also zwei von Grund auf verschiedene seelische Dimensionen, lösten einander dauernd ab. Der Rhythmus der Montage blieb immer wieder stecken. Das war – mit heutigen Augen gesehen – eine fast unerträgliche, barbarische Angelegenheit. (…) Im Stummfilm war (…) der Kampf gegen das Wort berechtigt, weil die Aufschrift mitten in der Reihe der Bilder auf jeden Fall ein fremdes Element darstellte. Das vollkommene Ideal des Stummfilms wäre tatsächlich gewesen, ganz ohne Text auszukommen.102

Im Zusammenhang sei auf den begrifflichen Unterschied zwischen Zwischentiteln und Inserts hingewiesen. Zwischentitel werden diegetisch verwendet, während Inserts außerdiegetischen Charakter besitzen. Durch das hier genannte Schnittfolgebeispiel wird dieser diegetische Charakter verstärkt. In diesem Beispiel beginnt Mitzi zu sprechen, jedoch ihre Lippenbewegungen fehlen völlig. Der folgende Zwischentitel vermittelt ihre Worte, um in der dritten Einstellung die Lippenbewegungen zu generieren. Dem Schnitt während des Sprechaktes, der den Rhythmus des Bildflusses berücksichtigt, wird in The Wedding March besondere Beachtung geschenkt. Dabei wird durch diese Technik  – Bilder mit tonlosen Lippenbewegungen, die durch Schriftinserts unterbrochen werden  – das sichtlich Gesprochene ergänzt. Diese filmische Gestaltungsweise generiert die Aktivität des Zuschauers. Im Vergleich zu Merry-Go-Round wird dieses vertiefende Verhältnis von Text und sichtbarem Sprachakt – neben der lokalen Färbung im Text – in The Wedding March in besonderer Weise auffällig. Zwischentitel werden gesetzt, um in der folgenden Ein101 Barthes [1970], 1992, 49. 102 Balázs [1949], 1972, 207.

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Erste Dissertation zum Film

stellung entweder den geschriebenen Text sprachlich weiterzuführen oder die Reaktion auf das Gesagte durch Lachen, durch Gesten und Mimik der Verzweiflung mimisch gespiegelt zu erhalten. Bordwells Klassifizierung von Inserts schreibt dieser letztgenannten Form der Insertsetzung, bei der in der ersten Einstellung der Sprechakt beginnt, dann durch ein Insert unterbrochen wird, um schließlich zur Einstellung mit dem Sprechenden zurückzukehren, die bestmögliche Umsetzung von Wort und Bild zu. In früheren Filmen, betont Bordwell, wurden Versuche gemacht, Textinserts zu Beginn des Sprechaktes oder an dessen Ende zu setzen, wodurch es zu unrhythmischen Bildfolgen kam.

Erste Dissertation zum Film Im Zusammenhang sei an die erste Dissertation in Österreich zu filmästhetischen Fragen von Friedrich Kohner103 erinnert, der ausgehend von Beispielen aus dem österreichischen und deutschen Filmschaffen Fragen des Schnitts, der Montage, des Verhältnisses von Bild und Ton, des Starsystems und der Literaturadaption mit dem Wissen um seine Zeit und mit Beispielen aus seiner Zeit in Perspektive auf nachkommende Filmproduktionen zu beantworten sucht. Im Bemühen, sich von der schriftlichen Erzählung zu emanzipieren  – dies lag den Filmtheoretikern jener Tage besonders am Herzen  –, kommt er unter Einbeziehung eines breiten Panoramas an heute oft vergessenen Filmbeispielen zu differenzierten Aussagen über die Möglichkeit zukünftiger Entwicklungen. Kohner verweist zum Beispiel auf Craig104, der eine Unterordnung bzw. Auflösung des Schauspielers in die Gesamtidee des »Szenendirektors« forderte. Dieser Ansatz eines Schauspielverständnisses im Film kann in den Reflexionen von Robert Bresson wiedergefunden werden, wobei, im Gegensatz zu Craig bzw. Kohner, Bresson aus seinen direkten Erfahrungen als Filmautor schöpft. Kohner bezieht neben Béla Balázs105 und László Moholy-Nagy106 die Arbeiten von Robert F. Arnold107 ein  : In diesem Sinne kann die vorliegende Arbeit als eine Geschichte der Poetik des deutschen Films angesehen werden, oder, da ja Poetik selbst schon ein geschichtswissenschaftlicher Begriff ist, und keineswegs, wie man anzunehmen geneigt ist, die Systematik zeitlos gültiger Gesetze, schlechthin als der Versuch einer Poetik des deutschen Films, genauer einer Poetik

103 104 105 106 107

Kohner, Der deutsche Film. Tatbestand und Kritik einer neuen Dichtkunst, 1929. Craig [1921], On the Art of the Theatre, 1962. Balázs [1924]. Moholy-Nagy, Malerei, Fotografie, Film, 1927. Arnold, Das moderne Drama, 1912  ; Das deutsche Drama, 1925.

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des Films, nachgewiesen am deutschen Film. Dies soll ihr Untertitel »Tatbestand und Kritik einer neuen Dichtkunst«, den historischen und logisch-sondernden Sinn des Begriffs »Poetik« umschreibend, zum Ausdruck bringen.108

Die Filmerzählungen in dieser Epoche, zwischen 1923 bis 1928, werden in der Mehrzahl aus Kurzgeschichten genommen, die in Tageszeitungen veröffentlicht wurden. Es können entweder Kurzgeschichten oder Fortsetzungsgeschichten sein, die bei den Leserinnen und in den Produktionsbüros der Filmfirmen Interesse finden. In den US-Filmen kann von Reihen und innerhalb dieser Reihen wieder von Stereotypen gesprochen werden. Sowohl die Geschichten wie die Charaktere kommen in leicht abgewandelten Varianten immer wieder vor. Sie sind von der Zirkulation109 ihres wiederholten Auftretens bestimmt und können unter dem intermedialen Aspekt Adaptionsformen in den unterschiedlichen Medien wie Theater, Roman und Film annehmen und werden unter dem produktionstechnischen Aspekt als grenzüberschreitend – das heißt, verschiedene Länder greifen dieselben Stoffe, beispielsweise Liliom, The Merry Widow oder Mayerling, auf – erkannt und als eine »Migration der Bilder«110 begrifflich gefasst. Wird der Topos des verarmten Adels in den österreichischen Produktionen der zwanziger Jahre nicht thematisiert, erzählen US-Filme dagegen davon, sei es im Genre des Kriminalfilmes wie The Crimson Runner, 1925, sei es im Genre des Melodrams wie The Greater Glory, 1926, oder im Genre des Musikfilms. Zusammenfassend lassen sich die US-Filmproduktionen bis zum Ende der zwanziger Jahre, die auch das Ende der Stummfilmzeit markieren, nach folgenden Vorgaben strukturieren  : Die Produktionen und deren Inhalte sind publikumsorientiert. Sie zielen auf ein ganz bestimmtes vordefiniertes und vorstrukturiertes Zuschauerinteresse ab. Die Immigrantenströme der letzten zweihundert Jahre, ob aus Irland, aus ÖsterreichUngarn oder aus der Karibik, bestimmen die aufgegriffenen Erzählungen. Besonders die Filmproduktionen, die für das Publikum aus Mitteleuropa bestimmt sind, möchten in der ersten Phase, bis zum Übergang in die Tonfilmzeit, Immigranten der ersten und zweiten Generation ansprechen, indem sie die neuen Herausforderungen der Integration im Alltag der USA, wie in The Melody Man, 1930, oder in Is Every­ body Happy  ?, 1929, zum Thema machen. Für alle Interessen werden Filme in kleinen Produktionseinheiten hergestellt. Die Biografien der Autoren zeugen davon, dass sie oft nur wenige Monate Zeit hatten, eine Produktion fertig zu stellen. Die Hauptcharaktere sind Immigranten und deren Gegenspielerinder Person von meistens um eine Generation jüngeren US-Bürgern, die als Jazzmusiker das neue Le108 Kohner, 1929, 9. 109 Der Begriff wird im Sinne von Burch verwendet. Burch, La lucarne de l’infini, 1990, 189. 110 Aumont, »Migration der Bilder«, 1993, 35.

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Erste Dissertation zum Film

ben repräsentieren, oder eine unglückliche und/oder kriminelle Vergangenheit in Österreich haben, die die Neuankömmlinge wieder einholen wird. Opfert sich in The Me­ lody Man, 1930, Graf von Kemper (John St. Polis), ein ehemaliger Orchesterleiter aus Wien, für die US-Zukunft seiner Tochter Elsa (Alice Day) auf, emigriert in Is Everybody Happy, 1929, der junge Ted Todd (Ted Lewis) mit seiner Familie und mit einer Geige, einem Geschenk Kaiser Franz Josephs, in die USA, wo er erst durch den Freund seiner Tochter den Vater aus dem tristen Dasein als Klosettmann herausholen kann. Das Objekt der Erzählung sind die Schwierigkeiten, sich am Zielort, in den USA, ein neues Leben aufzubauen. In den meisten Fällen sind es Musiker, die mit ihrem Wissen um die Musik des »alten« Kontinents und um die Tradition der österreichischen Musik im Besonderen ein neues Leben beginnen. Der Generationssprung und der Beruf Jazzmusiker verfestigen sich über die Jahre zu Stereotypen. Einen weiteren »Gegner« im Lebensschicksal stellt der Wechsel zwischen der Alten und der Neuen Welt dar, dies wird körperlich und sichtbar nachvollziehbar  ; so, wenn sich eine ältere Baronin im neuen Leben in den USA als verjüngt zeigt und dadurch einen jungen US-Bürger an sich bindet, um schließlich diesem Liebhaber einzugestehen, dass sie schon um vieles älter ist. Nicht freiwillig macht sie das Geständnis, sondern sie wird in der Neuen Welt von einem alten Freund aus Europa erkannt. Ihr Versuch einer körperlichen Metamorphose, glaubwürdig durch das zeitgenössische Stereotyp der Qualität der Wiener Medizinischen Schule vermittelt, wird zu einer paradigmatischen Darstellung des Wunsches nach einem Neubeginn, der allen Filmsujets unterlegt ist. Die Haut der Alten Welt wird durch die für die Neue Welt als notwendig erachtete neue körperliche Hülle ersetzt. Eine weitere Filmserie dieser Jahre siedelt die zu erzählende Geschichte direkt in Wien an. In The Crimson Runner, 1925, gründet Bianca Schreiber eine Bande, um den Bruch in ihrem eigenen Lebenslauf, der durch den gewaltsamen Tod ihres Vaters hervorgerufen wurde, zu rächen. Unter der Führung des Kriegsgewinnlers Lionel Braham wird in Night Life, 1927, ebenso eine Diebesbande mit Max und Nick gegründet, um der Armut im Nachkriegswien zu entkommen. In beiden Fällen löst sich der Konflikt mit Hilfe Liebender in gesellschaftlichem Wohlgefallen auf. Bianca bzw. Nick und Max werden durch Liebe auf die rechte Bahn gebracht. Die Charaktere sind oft verarmte Adelige oder Kinder aus »gutem« Hause, die nach dem Krieg gegen ihre gesellschaftliche Deklassierung zu kämpfen haben. Dabei gewinnen die Bilder aus dem Wiener Vergnügungspark, dem Prater, metaphorischen Charakter. Ist der Wiener Prater bereits Haupthandlungsort in Merry-GoRound, 1923, wird in Night Life dagegen das Riesenrad im Prater, auf dem das Diebespaar Max und Anna eine Nacht verbringt, zum Symbol für Erotik und Romantik in Wien. Im Gegensatz zur Sequenz aus The Third Man / Der dritte Mann, bei dem die Fahrt am Riesenrad zum Ort philosophischer Betrachtungen wird, wird der Prater Fluchtpunkt und Kristallisationszentrum für Erinnerungen und Wünsche sowohl der 57

Zwischen Merry-Go-Round und The Wedding March

diegetischen Filmcharaktere als auch der immigrierten Zuschauer dieser Erzählungen. Das Auffinden und Beschreiben einer »Autrichienité«, analog zu den »Mythologies«111, in den unterschiedlichen Filmen dieser ersten Phase der Stummfilmzeit verbindet Erzählung, Charaktere und Publikum und lässt Schicksale und Mentalitäten aus den unterschiedlichen filmsprachlichen Formen, Genres und Produktionsniveaus zusammenführen, die disparat oft nur als sekundäre Bedeutungsträger wahrgenommen werden können. Mythen werden als Bewegungsgesetze von Handeln verstanden, wie sie auch Stroheim in seine Erzählungen einzuarbeiten wusste  : »Die Menschen stehen zum Mythos nicht in einer Beziehung der Wahrheit, sondern des Gebrauchs.«112 Als 1927 der erste von einem reproduzierbaren Ton begleitete Film, The Jazz Singer, in die Kinos kommt, beginnt jene lebendige Epoche, in der intensiv die entstehenden neuen Möglichkeiten des Mediums diskutiert werden. Diese Zeit steht sowohl technisch wie ästhetisch für jenen Umbruch, bei dem die Konzeption des Kinos und des Films neu hinterfragt und definiert werden wird, obwohl es den Film »nie ohne Ton gab«.113 Um diese produktive Auseinandersetzung zu unterstreichen, kann eine Fülle an Artikeln in Fachzeitschriften der Zeit genannt werden, sei es in »Sight and Sound«, »Journal of the Society of Motion Picture Engineers«, »Cinégraphie«, in »Photo-ciné«, in der Publikumszeitschrift »Pour Vous«, oder ein Artikel von Fritz Rosenfeld, der unter anderem folgende Perspektive für das Verhältnis von Bild und Ton formuliert  : Ganz Neues wird hier wachsen  : die Musik. Neues zweites Fundament des Films, erhält eine neue Dimension, die des Raumes  ; das Bild, immer noch Kern des Films, weitet sich durch den Ton und kommt der Wirklichkeit näher. (…) Man kann die Wirklichkeit nun besser, vollkommener kopieren, und wird sich diese Möglichkeit nicht nehmen lassen. Ob das aber Kunst ist  ?114

Filmkulturerbe In diesen Jahren beginnt sich der Tonfilm neben dem Stummfilm zu behaupten. Investitionen der großen Produktions- und Verleihfirmen, die in der ersten Phase ihre Marktpositionen durch eigene Tonaufzeichnungs- und Tonabspieltechniken sichern wollen, ermöglichen eine rasche Entwicklung. In dieser Phase, in der der Tonfilm im 111 Barthes [1957], Mythen des Alltags, 1964, 133. 112 Ebenda. 113 Millet, Bruit et Cinéma, 2007. 114 Rosenfeld, »Der Tonfilm«, 1929, 134–135.

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Filmkulturerbe

Kampf um die Gunst des Publikums gegen den Stummfilm antritt, fallen viele Stummfilme dem Vergessen zum Opfer. Auf der Ebene der Filmarchäologie, bei der Suche nach Artefakten, die dem Untersuchungsobjekt entsprechen können, waren die Jahre 1927 und 1929 – aus heutiger Sicht – für den vorgegebenen Korpus in besonderer Weise ergiebig. Erst 2007 findet das Österreichische Filmmuseum im Zuge der Recherchearbeit zu einem Buch über Josef von Sternbergs The Case of Lena Smith ein Stück des gleichnamigen Filmes auf einem Wochenmarkt in einer chinesischen Südprovinz. Mit ihren ökonomischen, technischen und stilistischen Implikationen markieren die beiden Produktionen den Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm. The Case of Lena Smith, 1929, und The Enemy, 1927, stellen paradigmatisch dar, wie aus einer Fülle vorliegender Sekundärquellen, Produktionsmitteilungen, Kritiken und Biografien künstlerisch Beteiligter115 die beiden Filme in ihrer filmsprachlichen Artikulation und ihre zeitgenössische Rezeptionssituation rekonstruiert werden können. Beide genannten Filmerzählungen sind im Wien vor und während der Zeit des Ersten Weltkrieges angesiedelt und geben Einblicke in eine versunkene Welt, die, vermittelt durch den subjektiven Blick der Autoren, zu wichtigen Beiträgen über das Image Österreichs in Europa und in den USA am Ende der zwanziger Jahre werden. Durch diese Rekonstruktion wird auch die Notwendigkeit der Erhaltung des filmkulturellen Erbes für das Gedächtnis der Menschheit und für historische Forschungen unterstrichen. Für die Geschichte von Mentalitäten, die sich im Bild der Frau, konkret in der Leiderfahrung einer Mutter mit einem unehelichen Kind in The Case of Lena Smith, bzw. allgemein in den Auswirkungen des Kriegs auf Lebensläufe in der Monarchie in The Enemy ausdrückt, können Filmerzählungen Sekundärquellen sein. Wie die internationale Filmgeschichte vor allem vor 1945 durch verlorene Filme umgeschrieben werden müsste, könnte sich auch der landläufige Blick auf das Wien der Monarchie aufklaren, könnte man diese Spielfilme als Erweiterung zu unserem Geschichtsgedächtnis nützen.

115 Von Sternberg, Esther Ralston, Fred Niblo u.a.m.

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Zeitgenössische Rezeption  : The Case of Lena Smith, 1929 Einem Film sich zu nähern, selbst dann, wenn wie im vorliegenden Fall dessen Kopien verschollen sind, heißt immer gleichzeitig, durch diesen Film über das in seiner Zeit aktuelle Kino, über den Stand der Technik, über die Industrie und über die künstlerische Ausdrucksvielfalt des Films Neues zu erfahren. Eine Rekonstruktion eines verschollenen Films wie The Case of Lena Smith / Eine Nacht im Prater oder Le Calvaire de Lena X, wie er in Frankreich heißt, bedeutet gleichzeitig, dem Zustand des Kinos und der Qualität der Filmkritik nachzugehen. Am Freitag, dem 23. Mai 1930, läuft Le Calvaire de Lena X im zentral gelegenen Pariser »Paramount«-Kino an, in einem der schönsten und größten Kinos Europas, wird jedoch bereits eine Woche später durch den französisch »sprechenden« Abenteuerfilm Le Chant du loup, mit Gary Cooper und Lupe Vélez, ersetzt. Ein neuer Film wird im Jahr 1930 in den Innenstadtkinos von Paris üblicherweise zwei bis drei Wochen vorgestellt, um dann die »Runde« durch die Stadt anzutreten. Das Abenteuer Kino wird noch als Grätzelvergnügen, als Alltagserlebnis im »Quartier«, gefeiert. Für Le Calvaire de Lena X als Stummfilm gibt es diese Möglichkeit jedoch nicht mehr. Vorstadtkinos wollen ihre neue Tonwiedergabetechnik mit geeigneten Produktionen publikumswirksam präsentieren. Die Beschränkung auf vorhandene schriftliche Aufzeichnungen aus Frankreich und auf einige Fotos zum Film lässt umso schärfer verschiedene »Lebensphasen« unterscheiden, die sich in zeitlich und qualitativ unterschiedlichen Rezeptionen ausdrücken. Nimmt die wöchentliche Filmkritik vom gestarteten Film kaum Kenntnis, wird man sich bei jeder erneuten Retrospektive des Werkes Josef von Sternbergs des Verlustes dieses Filmes mehr bewusst. In erster Linie ist das der englischsprachigen Fachliteratur zu verdanken, die auch in Frankreich die Suche nach den verlorenen bewegten Bildern von Le Calvaire de Lena X wach hält. So erscheint in der sechsten Nummer der »Cahiers du cinéma«, 1951, eine kommentierte Filmografie von Sternberg, die Curtis Harrington bereits 1949 veröffentlichte.116 Das Kinojahr 1930 wird in Europa durch die Diskussion um die Vielfalt der Tonwiedergabemöglichkeiten geprägt. »Tonfilm bedeutet nicht, dass auch gesprochen wird«, wird das Publikum vor falschen Bewerbungen gewarnt. Eine dieser irreführenden Ankündigungen ist auch die von Le Calvaire de Lena X. In »Le Petit Parisien« wurde ein großes Foto, Lena sitzt vor einem Klavier und wartet auf Franz, mit »Film sonore americain«117 übertitelt. 116 Sight and Sound, Nr. 17, 1949. 117 Le Petit Parisien, 23.5.1930.

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Zeitgenössische Rezeption  : The Case of Lena Smith, 1929

Die Produktionsfirma Paramount von Le Calvaire de Lena X bewirbt in Fachzeitschriften die kommende Saison, indem sie ihren Stolz über ihre neuen großen »sprechenden« Filme durch Vierfarbdrucke zeigt. Die reproduzierbare Technik der Tongestaltung, die neue Perspektiven auch für das französische Kino aufzeigt, wird bei René Clairs neuem Film Sous les toits de Paris / Unter den Dächern von Paris in der Fachpresse hoch gelobt. Auch die Dreharbeiten des neuen Films L’Argent / Das Geld von Marcel L’Herbier  ; der Drehorte außerhalb der Studios aufsucht, werden detailreich vorgestellt. Den Cineasten werden Mitte Mai 1930 À propos de Nice von Jean Vigo und der neue Film von Jean Epstein, Mor-Vran, angeboten. Diese nationalen Filmereignisse, der »tönende« und als Steigerung der »sprechende« Film und die ethnologische Dokumentation, Chez les mangeurs d’hommes / Bei den Menschfressern, der zeitgleich auch in der Wiener Urania anläuft, sind Gesprächstoff des kinointeressierten Publikums. In diesem Klima der technischen und künstlerischen Auf- und Umbruchstimmung muss sich Le calvaire de Lena X beweisen. Ein mögliches Interesse am gezeigten semantischen Bassin, einem durch gemeinsame geistige Strömungen, Mentalitäten und Politik verbundenen Raum wie den der österreichisch-ungarischen Monarchie, wird mit zeitgleich laufenden Filmen wie The Mysterious Lady / La Belle ténébreuse / Der Krieg im Dunkel, Tonka Sibenice / Tonitschka / Die Galgentoni und The Enemy / L’ennemi / Der Herzschlag der Welt, geteilt, die jedoch mit Namen wie Greta Garbo und Ita Rina, durch Erotikon bekannt, beworben werden können. Die fiktive Person Lena könnte dagegen dem Publikum aus den Theaterstücken Arthur Schnitzlers bereits bekannt gewesen sein  : »reizende Gestalt, geschaffen zum Tanzen, ein Mündchen, geschaffen zum Küssen  : Man ist nur einmal jung, meint sie mit einem halb gleichgültigen Achselzucken.«118 In Lenas Leben jedoch, das über neunzehn Jahre hinweg im Film weitererzählt wird, verlieren sich der Mythos des monarchistischen Wiens und der der »Stadt der Erotik«, wie sie einige Jahre zuvor durch The Marriage Circle gepriesen worden ist. Die Durchsicht der wichtigsten Tageszeitungen und deren Berichterstattung zum Film lassen erkennen, dass ihn nur jene Blätter wahrnahmen, in denen ein Text einem Inserat im gegenseitigen Geschäftsinteresse beigestellt wird. Nur wenige für die Charakterisierung bedeutsame eigene Überlegungen werden formuliert. Für »Le Figaro« »spielt Esther Ralston eine bemerkenswerte Rolle. Trotz einiger ausdrucksvoller Szenen ist sie ein wenig zu amerikanisch (…).«119 Der zweite Einwand folgt der Blattlinie  : Dass man »unter dem Husarenmantel, er war Österreicher, ein unehrenhaftes Herz schlagen lässt, gefällt uns kaum«. Der weitere Text verliert sich in der Beschreibung der Tanzgruppe »Tisserette Girls«, die als Vorpro118 Schnitzler, Arthur, Tagebücher, 1888. 119 Le Figaro, 24.5.1930.

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Zeitgenössische Rezeption  : The Case of Lena Smith, 1929

gramm auftritt. Germaine Decaris schreibt in »Le Soir« zum Film, dass er sie »durch seine Kargheit im Bild und durch die Bedeutung, die er einer Frau als Hauptakteurin beimisst«,120 beeindruckt hat. Eine weitere Tageszeitung, »L’Œuvre« – deren Motto täglich rechts oben auf der ersten Seite lautete  : »Eine Bombe ist mehr wert als hundert Gespräche. Mussolini 1910« – stellt Le Calvaire de Lena X neben L’ennemi und schreibt  : »Noch ein interessanter Film über Wien« und  : »Sie (Lena, F.G.) hat vor langer Zeit ihre Liebe verloren, jetzt verliert sie ihren Lieben.«121 Die damals modischen Nacherzählungen von Filmen122, die für Le Calvaire de Lena X auf fünf Seiten123 bzw. auf vierundneunzig Seiten124 vorliegen, können nicht als Quelle für die Rekonstruktion verwendet werden. Großem Raum wird der subjektiven Ausschmückung in Verbindung mit moralischen Einschätzungen gegeben. Für den heutigen Interessierten muss die Leere zwischen den Bildern, die beide Autoren in »Bewegung« sahen, mit Fantasie und mit dem heutigen Wissen über die zeitgenössische Ikonografie, über die menschliche Psyche und über den Filmstil Josef von Sternbergs aufgefüllt werden. Ein interessantes Beispiel für die zeitbezogene Rezeption stellt folgende Szene und deren sprachliche Kristallisation dar  : Lena weiß, dass sie es dem Hausmeisterehepaar verdankt, soeben als Dienstmädchen entlassen worden zu sein. André Hache, Autor der kürzeren Nacherzählung, erzählt diese Sequenz  : Sie schreit  : »Du Schurke. Sie haben von meinem Kind erzählt.« Sie springt wie eine Löwin zu ihm, reißt ihn an den Haaren, tritt ihn, dorthin, wo sie kann, mit den Füßen. (…) Aber die Nachbarn eilen herbei – und man muss annehmen, dass der Portier wenig geschätzt wurde –, setzen die Arbeit Lenas bis zum Erscheinen eines Polizisten fort (…).

Mit »Arbeit« ist das weitere Einschlagen auf den Hausmeister umschrieben. In anderer Weise sieht Maurice Aubyn, Autor der detaillierteren Nacherzählung, die Abfolge des Raufhandels. Er lässt diese fragwürdige Nachbarschaftshilfe aus, findet jedoch für das – für die Leserin nicht sichtbare – Gesicht des Portiers ein ihm geeignet erscheinendes Adjektiv. 120 121 122 123 124

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Le Soir, 30.5.1930. L’Œuvre, 23.5.1930. Baetens, La Novellisation, du film au roman, lectures et analyes d’un genre hybride, 2008, 39 f. Hache, Mon Ciné, 25.7.1930. Aubyn, Les grands romans filmés, 1930.

Zeitgenössische Rezeption  : The Case of Lena Smith, 1929

»Du«, knirscht Lena zwischen den Zähnen, »halten Sie sich zurück.« Sie hebt ihre Hand und zweimal schlägt sie in das bestialische Gesicht des Mannes. Blut tropft von seiner Nase.

Obwohl die Autoren dieselbe Szene sahen, erzählen sie diese in unterschiedlicher »Ausschmückung«. Der Hausmeister, nicht Lena, scheint Opfer der beiden Filmnacherzähler zu werden. Kommt es bei dem einen zu einer Art Verschiebung durch Verlängerung und Intensivierung der körperlichen Züchtigung, »auch die Nachbarn schlagen zu«, so wird im anderen Text das Gesicht zu einem »bestialischen« verdichtet, aus dem zusätzlich »Blut tropft«. Wird hier etwa in der Neufindung von Aktion bzw. Beschreibung eine latente Wunschvorstellung in Worte gefasst, die im typisierenden Aussehen des Hausmeisters – »typisch« sind auch die anderen auf dem Bild – begründet ist  ? Eingebettet in den in den dreißiger Jahren verbreiteten Bilderkanon liegt der Schluss nahe, dass die Autoren »den« osteuropäischen Juden vor sich sahen. Ein mit Le Calvaire de Lena X zeitgleich angekündigter Film, Two Worlds von Ewald A. Dupont, lässt Juden als Filmwerbeträger auf Pressefotos ähnlich wie den Hausmeister aussehen. Uns könnte genauso interessieren, was aus den Bildern über die mise-en-scène oder mise-en-cadre abzulesen ist. Josef von Sternberg verbindet, wie auch in Dishonored, zeitgleiche Ereignisse durch lang gehaltene Überblendungen oder durch Staffelung in der Bildebene, um raumlogische und/oder handlungslogische Handlungen parallel zu zeigen. Eine typische Einstellung dafür ist jene, bei der Lena vor dem Café wartet, bei dem der Mittelgrund durch die Fensterreihe konturiert wird. Rechts – in der Auslage – sitzt Franz, der Lena verbat, ihn in der Öffentlichkeit anzusprechen, bei seinen Kartenspielkameraden. In anderen Bildern fallen die weißen großen Flächen auf, die durch abgestufte Grauwerte den Blick lenken. Diese Inszenierung mit Hilfe von Licht und Schatten, die Josef von Sternberg bereits in früheren Filmen bzw. auch im zeitgleich produzierten Mo­ rocco anwandte, mag den Kritiker des »Petit Parisien« zu der Meinung gebracht haben, der Film sei »deutsch« inszeniert. Er dachte dabei an die expressionistischen Filme der frühen zwanziger Jahre wie auch an den parallel anlaufenden tschechischen Film Tonitschka, der sich durch ein Licht- und Schattenspiel auszeichnet. Bei von Sternberg wie bei Karl Anton werden die Räume und deren mögliche Umgebung jedoch als Schattenrisse weitergeführt. Dadurch wird das strahlende Weiß durch ortsgebundene Schatten gebrochen, die sich außerhalb des Kaders, aber nicht außerhalb der Diegese befinden. Ob dies zusätzlich als Code innerer Befindlichkeiten zu interpretieren wäre, bleibt jeder Beobachterin der Bilder selbst überlassen. Chavance, der seine Kritik nur wenige Wochen nach dem Erscheinen des Filmes für eine cineastisch orientierte Zeitschrift schrieb, spielt mit dieser Licht- und Schattenempfindung, die für ihn die Erinnerung an den Film generiert  : »Jede Person löst sich auf und wächst wie ein Schatten (…) gezeichnet durch Konventionen oder durch das Schicksal.« Für ihn ist der 63

Zeitgenössische Rezeption  : The Case of Lena Smith, 1929

Film darüber hinaus durch raschen Handlungswechsel geprägt. Er könne nicht alles erzählen, aber »das Interesse liegt nicht auf der Handlungsfolge, sondern auf der außergewöhnlichen Energie mancher Personen.« Diese Energie scheint nicht nur durch die dynamisierte Ereignisabfolge und durch den starken Charakter Lenas nachvollziehbar zu werden, sondern sie schreibt sich auch über die Bildgestaltung dem Gedächtnis des Zuschauers M. Chavance ein  : Die Sprache (langage) der Bilder ist ebenso stark wie jede andere. Jedes Bild ist ein Wort von diesem speziellen Vokabular. Es ist nur eine Frage der Syntax. (…) Aber muss man wirklich weiter etwas verteidigen, was nicht notwendigerweise verteidigt werden muss  ?125

Dies war eine Antwort, die zufällig neben einem Inserat zu Le Calvaire de Lena X erscheint, in »Le Temps« auf eine Polemik des Schriftstellers Georges Duhamel. Er bezeichnet das Kino als Unterhaltung und als Zeitvertreib für Idioten und Analphabeten. Vielleicht ist dieses zufällige Zusammenspiel zwischen Inserat und dem Nicht-Text zum Film der bedeutsamste zeitgenössische Kommentar zum Film.

125 Chavance, Le Temps, 31.5.1930

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Filmische Sprechweisen am Übergang zum Tonfilm Großaufnahme – Analyse – Schriftbild – Veröffentlichte Meinung – Übergang zum Ton – Überblendungstechnik

Großaufnahmen von Gesichtern, die die emotionale Zerrissenheit zeigen und die der Filmkritiker Béla Balázs die »polyphonen Möglichkeiten des Filmes« nennt, sind mit dem in die Tiefe gestaffelten Bild verbunden, das von einer wohlüberlegten Lichtsetzung zeugt. Surrender, USA, 1928, zeichnet detailreich die jüdischen Bräuche in einem Dorf an der Grenze der Habsburgermonarchie nach. Der Dorfrabbi wird in Surrender als Vertreter der Rechtsprechung im Dorf eingeführt, der die moralische Instanz mit listiger Klugheit personifiziert. Dafür mag die erste Sequenz stehen, in der er den Streit zweier Brüder schlichtet, die ihn als Richter befragen. Kosaken besetzen ein jüdisches Dorf in Galizien. Constantin, der Anführer, ruft die junge Lea zu sich. Wenn sie nicht kommt, wird das Dorf in Brand gesteckt. Sie geht zu ihm, verweigert sich ihm jedoch. Die Kosaken fliehen, als die Österreicher das Gebiet zurückerobern. Leas Vater, der Rabbi des Dorfes, kommt zu Tode, als sie von der eigenen Gemeinschaft, die sie verdächtigt, ein Verhältnis mit dem Kosakenführer gehabt zu haben, gesteinigt werden soll. Nach dem Krieg kommt es zu einer Wiederbegegnung mit Constantin. Diese Produktion gehört zu jenen seltenen Filmzeugnissen, die nicht von der Reichshauptstadt Wien, sondern von der Peripherie der Habsburgermonarchie erzählen. Sie vermag Ereignisse, Orte, Räume und vor allem Mentalitäten zu schildern und dadurch zu einer wichtigen fiktionalen Bildquelle über jene Zeit zu werden, die noch nicht lange, in diesem Falle kaum fünfzehn Jahre, zurückliegt.

Großaufnahme Für Jean Epstein werden das Gesicht und die Großeinstellung zu einem wichtigen Gestaltungs- und Ausdrucksmittel des Kinos. »Die Großaufnahme ist die Seele des Kinos. Sie kann kurz sein, da die Photogenie ein Wert von Sekunden ist.«126 Die Zeitdauer, die Intervalle und der Rhythmus der aufeinanderfolgenden Einstellungen sind wichtige Elemente, um diese »Photogenie« erlebbar zu machen. 126 Epstein [1921], »Grossissement«, Promenairs, Nr. 1 u. 2, Februar/März 1921, zit. in Écrits sur le cinema, 1975, 93.

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Filmische Sprechweisen am Übergang zum Tonfilm

Analyse Aus einem Film entnommene Kaderbilder (französisch photogrammes, englisch screen­ shots) können zu Erinnerungsfotos an eine spezifische filmische Diskursivität werden. Sie können neben einem persönlichen emotionalen Zugang in Form von einer unbewussten spontanen Erinnerung die historischen und auktorialen Besonderheiten unterstreichen. Nimmt man gegenüber der emotional und intellektuell fordernden Filmerzählung eine für die Arbeit in einem chemischen Labor übliche Beobachterhaltung ein, kann man klarer und objektiver deren narratives Potenzial differenzieren. Hin und her gerissen zwischen der Liebe zum feindlichen Russen Alexander und der Verantwortung gegenüber ihrem Vater, ihrer Religion und der Dorfgemeinschaft, wird Leassprachlose Verwirrung in einem kleinen Mädchen kondensiert, das in drei unterschiedlichen Interaktionen jeweils Lenas veränderten Charakter begleitet. Diese Wiederholung von Situationen, bei der die Empathie als statisch wiederkehrendes Erzählelement prägend bleibt, trägt zum vertiefenden Verständnis von Lea und deren für die Dorfgemeinschaft existenzieller Entscheidung bei. Jene feststehenden kulturellen Praktiken, »jene im Voraus assimilierten Grundmuster, jener Habitus, der als Strukturaffinität im Bezug zu einem System als verinnerlichtes soziales Muster verstanden wird«,127 werden innerhalb der konkreten Erzählung oftmals in kurzen Abständen dargestellt, dann variiert, dadurch hinterfragt und schließlich oftmals semantisch verändert. Dabei werden Mentalitäten hinterfragt, die in ihrer Brüchigkeit und Zerrissenheit offen und realistisch gezeigt werden  : Alexander, russischer Befehlshaber der Invasionstruppe, zum Beispiel wird zu einem rücksichtsvoll Staunenden und interessierten Beobachter fremder Gebräuche, gleichzeitig aber behält er den Gestus des aufbrausenden Befehlshabers bei, hinter dem ein einsichtiger Verliebter in einer Zeit, die durch Kriegshandlungen aus Menschen Bestien zu machen droht, sichtbar wird. Mit »Gott  ! Welche Bestien macht der Krieg aus Menschen« wird in den Zwischentiteln die Grundidee des Filmes vorbereitet, die im Gegensatz zu den Kamerafahrten auf der Hauptstraße des Dorfes steht, die das Alltagsleben, die arbeitsame Ausgeglichenheit des Landlebens und die Vorbereitungsarbeiten zum »heiligen Sabbat« zeigen. Vom übrigen Gebrauch der Zwischentitel in diesem Film ist diese Titelfolge als gefühlsbetonte Orientierung abgehoben. Eine formale Variante der verwendeten Schriftzeichen stellt der Satz »Die Kosaken kommen« dar, der das Sichtbare – nämlich  : Kosaken kommen reitend  – zwar verdoppelt, aber durch die schriftliche Wiederholung in großen Buchstaben lautmalend die Gefahr nochmals emotional vergrößern lässt. 127 Bourdieu, La distinction. Critique sociale du jugement, 1979.

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Schriftbild

Mit diesem Film wird das für das Ostjudentum bestimmende Lebensgefühl in der Monarchie verdichtet, wodurch auf ein Publikum verwiesen wird, das damit vorrangig erreicht werden soll. Aus den ehemaligen Gebieten der Monarchie sollen jene Emigranten als Zielgruppe angesprochen werden, deren individuelle Erfahrungen und Erinnerungen die vorgestellte Erzählung zusätzlich generieren kann. Die akribisch dokumentarisch präsentierten kultischen Handlungen für den jüdischen Festtag müssen, um authentisch und glaubwürdig zu wirken, im Detail mit jenen übereinstimmen, die das Zielpublikum auch traditionell praktiziert. Stimmig müssen die Zutaten zum Essen sein und das Verhalten gegenüber andersgläubigen Gästen, exakt das Nachzeichnen der religiösen Rituale des Tages. In Esther wird der Grundkonflikt des Filmes, sich zwischen Liebe und Pflicht zu entscheiden, personifiziert und gewinnt durch seine religiös-historische Authentizität an existenziellem Gewicht. Dabei verweisen Großaufnahmen auf Details, die durch ergänzende Halbnaheinstellungen in größere Zusammenhänge gestellt werden. Ein wie zufällig kombinierter Durchblick durch ein Fenster oder ein ruhiger Rundblick von einem Balkon auf die Dorfstraße, ein überraschtes Kopfschütteln, verstohlene Blicke oder eine zustimmende Handbewegung zeigen eine Auswahl an Gefühlsregungen, die in ihrer Zusammenschau den noch friedlichen Alltag repräsentieren. Bildkomposition, Schnitt, Montageformen und die räumliche und zeitliche Dimensionierung der Erzählung füllen mögliche Verständnislücken des sichtbar gesprochenen, jedoch nicht hörbaren Wortes aus. Die besondere Darstellung der Gefühlswelt, die durch Großaufnahmen in ihrer Wirkung verstärkt wird, wird mit Hilfe des Reichtums an Gesten und Mimiken auf die Ebene des Sehens verlagert.

Schriftbild Grafisch gestaltete Affektinserts wie »Traitor to your God  !« heben ein mögliches Verständnisdefizit gegenüber einer direkten verbalen Intervention auf. Der Aspekt der Tonlosigkeit, die eine technische Voraussetzung für das filmische Geschichten erzählen zur Zeit des Stummfilms gewesen ist, und die besondere Weise des Autors, dieses aus heutiger Sicht narrative Defizit mit filmischen Mitteln zu kompensieren, stellen den Schlüssel der heutigen Bewunderung gegenüber dem Film dar. Geben in den meisten Fällen Zwischentitel nur selten Gefühle wieder, spiegeln sie sich beim vorliegenden Film ausdrucksstark pantomimisch in den oft wie zufällig beobachteten Mimiken und Gesten wider. Sie stellen innere Widersprüche aus  : Ein zärtlicher verhaltener Kuss in Großaufnahme, dem sich Lea hingibt, zeigt die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation und unterstreicht den Konflikt zwischen ihrer Handlung und ihrem Gefühl, in dem sie durch die moralischen Verpflichtungen gegenüber ihrem Volk gefangen ist. 67

Filmische Sprechweisen am Übergang zum Tonfilm

Das vorliegende Beispiel, das in der Filmgeschichte bis vor Kurzem unterschätzt und erst in den letzten Jahren vor allem im nichtdeutschsprachigen Ausland neu entdeckt worden ist, lässt recht gut diese für die Zeit typischen formalen Gestaltungsweisen nachvollziehen.

Veröffentlichte Meinung Stellen zeitgenössische Kritiken die fremden religiösen Rituale und die unbekannte Location in den Vordergrund, wird der Film 1968 bei seinem Wiedereintritt in die Filmgeschichtsschreibung vor allem unter Bezugnahme auf die für seine Zeit wohldurchdachten Mittel gesehen, mit denen die Autoren erzählen. In der Würdigung des Werkes heißt es  : Eine derartige Kameraarbeit (durch Gilbert Warrenton, F.G.) war zeitraubend und teuer. (…) Die Atmosphäre eines Dorfes an der österreich-ungarischen Grenze ist wunderschön beschrieben, die Realität wird durch den intelligenten Einsatz langer Brennweiten erhöht.128

Ein Filmerzählung, The Woman Disputed, 1928, in Wien im Jahre 1930 unter dem Titel Die Stunde der Entscheidung angelaufen, ist in Lemberg, Galizien, angesiedelt, wo sich ein russischer Soldat, Nika Turgenov, und ein österreichischer, Paul Hartman, privat um die Zuneigung von Mary Ann Wagner bemühen. Wie bereits bei der Erstaufführung bemerkt wird, erinnert der Verlauf der Geschichte an Hotel Imperial / Hotel Stadt Lemberg, der ein Jahr zuvor gestaltet worden ist  : Die stummen Filme der Woche sind noch weniger aufregend als die synchronisierten. (…) Ihn hat aber kein Stiller gedreht, sondern nur zwei amerikanische Routiniers, die Hauptrolle spielt keine Pola Negri, sondern nur Norma Talmadge.129

Die Wiedergabe des Liedes »Woman Disputed I Love You« von Hugo Riesenfeld hebt den dramaturgischen Wendepunkt in der Handlung des Filmes hervor. Sie wird als technische Meisterleistung des United-Artists-Movietone-Systems gewürdigt, zeigt aber gleichzeitig die kommenden Schwierigkeiten der am Höhepunkt ihres Erfolgs stehenden Stummfilmstars auf  : »In 1929, Norma Talmadge made an ill-advised entry into talking pictures, where her flat Brooklyn accent was at odds with her glamorous screen personality.«130 128 Brownlow, Hollywood, the Pioneers, London, Collins, 1979, 3. 129 Arbeiter-Zeitung, 23.2.1930. 130 Harrison’s Reports, 23.5.1929.

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Veröffentlichte Meinung

Inhaltlich wiederholt sich die Aufopferung einer Frau zugunsten des positiven Ausgangs einer Schlacht, ähnlich wie in Hotel Imperial, oder zugunsten der Rettung einer Dorfgemeinschaft, wie in Surrender. Elsa Elsbergen (Helen Twelvetrees) wird im Vorkriegswien der Prostitution überführt, um sie als Spionin zu gewinnen. Die moralische weibliche Verpflichtung, sich für das Staatsganze einzusetzen, wird mit einem Film wie A Woman of Experience ungebrochen fortgeführt, um in der Darstellung Marlene Dietrichs in Dishonored / Entehrt ihren empathischen Höhepunkt zu erleben, der, nicht ohne Selbstironie inszeniert, bereits die moralische Fragwürdigkeit dieser Opferung sichtbar macht. Das Sujet der opferbereiten Frau, die sich im vorliegenden Beispiel für die reine Liebe entscheidet, feiert in der Gegenwart mit Breaking the Waves, Lars von Trier, 1996, in neuer, aktualisierter Form Auferstehung. Frauen gegenüber gewalttätig zu werden, stand im Vorkriegsösterreich, glaubt man den Filmerzählungen, nicht nur Soldaten, sondern auch Erzherzögen zu, wie es der Film Yellow Lily / Die gelbe Lilie, 1928, vorführt. Darin wird Erzherzog Bela von Judith, die der »bekannte Don Juan mit Gewalt nehmen will«,131 angeschossen. Trotzdem verlieben sie sich ineinander. In ähnlicher Weise ist auch die Geschichte rund um Lillia Ludwig (Vera Reynolds) in The Divine Sinner erzählt, die aus einer verarmten Adelsfamilie aus Wien auf der Suche nach Arbeit Paris kommt und dort schon nach kurzer Zeit aus Liebe zu einem Falschmünzer arretiert wird. Aus dem Polizeigefängnis kann sie sich nur befreien, wenn sie sich einem korrupten Polizeibeamten hingibt. Diese Serie an geschlechtsspezifischem Verhalten, die eine gesellschaftliche Konstante spiegelt, wird von einem Bild heterosexueller Beziehungen bestimmt, das vorgibt, dass das »Sich-Zieren« der Frau durch gewalttätige Aktionen des Mannes durchbrochen werden muss. Das wiederholte Auftreten derartiger Verhaltensweisen in fiktiven Erzählungen prägt den alltäglichen Umgang zwischen den Geschlechtern mit. Der Bekanntheitsgrad von Schauspielerinnen, die durch diese Art von Geschichten auch für kosmetische Produkte werben, steigert sich nicht nur durch Filme, sondern durch ihr Auftreten auch außerhalb des Filmbereiches. In für Europa unbekanntem Ausmaß werden Darstellerinnen wie zum Beispiel Vera Reynolds für die Bewerbung eingesetzt  : »exquisite smooth skin  : Lux Toilet Soap«, heißt es in einer ganzseitigen Anzeige in »Photoplay«  : »A star must have the smoothest skin in the world. Lux Toilet Soap keeps my skin like satin.« In einem beigefügten Artikel werden Regisseure interviewt, die feststellen, dass Schauspielerinnen eine attraktive Haut haben müssen  : »The close-up is the final test of a screen star’s popularity. (…) under the huge new incandescent ›sun-spot‹ lights used for close-up.«132

131 Neues Wiener Tagblatt, 8.2.1929. 132 Cruze, Photoplay Magazine, The National Guide in Motion Pictures, 1929, 87.

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Filmische Sprechweisen am Übergang zum Tonfilm

Durch den kolportagehaften Erzählduktus und durch Schicksalsschläge, die vor allem den verarmten österreichischen Adel treffen, geraten diese Geschichten aus Mangel an filmtechnischem und inhaltlichem Interesse für das Publikum bald in Vergessenheit. Trotzdem gab es jene kurze Zeitspanne um die Mitte der zwanziger Jahre, in der sie die Stimmung der Kinozuschauerinnen gut zu treffen schienen, da sie in großer Anzahl produziert worden sind. Filme, die in einem zeitgenössischen Wien spielen, werden Ende der zwanziger Jahre wiederholt angeboten. Diese Filmerzählungen sind auf die zweite und dritte Emigrantengeneration gerichtet, deren Eltern Ende des Jahrhunderts aus der Monarchie in die USA emigriert sind. »Sprechfilm« als werbetechnische Bezeichnung wird gefunden, um größere Tonteile innerhalb eines Stummfilmes zu bezeichnen und für das Publikum schmackhaft zu machen. Auch die beiden Partner beginnen am Ende des Filmes wieder miteinander zu sprechen. Darüber hinaus wird festgestellt, dass von diesen Filmen Frauen mehr angezogen werden. »Women may be more attracted by the story than the men.«133 Vera wird mit einem von ihr verursachten Tod nicht fertig und wandert nach New York aus, um schließlich in einem Happyend-Finale ihrem Ehemann wieder in Liebe in die Arme zu sinken.

Übergang zum Ton »Die letzte Perfektionierung des Stummfilms« nennt Chion134 die Phase, bei der die Autoren nicht nur über die »talking sequences«, sondern im gleichen Ausmaße über die Stummheit im Film als kreatives Moment bestimmen können. Die dramaturgische Selbstständigkeit des Tons gegenüber dem bewegten Bild wird theoretisch diskutiert und in Filmen der Zeit praktisch umgesetzt. Vielleicht vergleichbar mit der Diskussion in den fünfziger Jahren, als das Fernsehen seinen Siegeszug in Europa antrat, sind diese theoretischen Überlegungen Ende der zwanziger Jahre kreativ und richtungweisend. Weit stärker kommt es hier jedoch darauf an, nicht eine Antwort auf ein anderes, neues Medium, das Fernsehen, zu finden, sondern die Aneignung der Welt und deren Reproduzierbarkeit mit Hilfe mechanischer Hilfsmittel, die die Sinne ergänzen oder ersetzen können, zu erweitern. Mit dem Tonfilm kommt es mittelfristig auch zu einer Innovation, die den internationalen Vertrieb beeinflussen wird. Aus der internationalen Kunst, die weltweit verstanden wird, wenn auch Gesten und Mimiken von Kultur zu Kultur variieren, wird eine komplizierte Kommunikation, die durch einen zusätzlichen Produktionsvorgang, den der Synchronisation, ihre internationale 133 Variety, 15.1.1930. 134 Chion, Un art sonore, le cinéma. Histoire, esthétique, poétique, 2003.

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Verständlichkeit erhalten kann. Werden in den dreißiger Jahren vor allem verschiedene Sprachversionen hergestellt, wobei oft national bekannte Schauspielerinnen je nach Sprachraum die Rollen übernehmen, kommt es bereits Ende der dreißiger Jahre zu der Postproduktion der Synchronisation. Der aus Sopron exilierte Regisseur Pál Fejös nützt die tontechnischen Erfahrungen, um mit Broadway und Lonesome, beide 1929, beeindruckende Filmgeschichten aus der Großstadt New York zu inszenieren. Aus der heutigen Kenntnis über jene Filmproduktionen lassen sich Parallelen im dramaturgisch bedingten Schnittrhythmus zu Sun­ rise – A Song of Two Humans, 1927, von Friedrich Wilhelm Murnau, und in verhaltenen Toneinsätzen bei Sous les toits de Paris / Unter den Dächern von Paris, 1930, von René Clair, erkennen. In prononcierter Weise finden sich in Lonesome die beiden Liebenden trotz der unübersichtlichen Großstadt New York nach längeren Umwegen und Missverständnissen über ein Lied. Im wahrsten Sinne des Wortes und optisch durch entsprechende Kamerabewegungen unterstrichen schwingt sich sowohl bei diesem Film wie im wohl meistzitierten Film zum Thema, Sous les toits de Paris, das Lied der Liebenden bzw. des Straßensängers und späteren Liebhabers leitmotivisch über die Dächer der jeweiligen Städte, New York und Paris. Es ist kein Zufall, dass beide genannten Filme – der europäische Beitrag von René Clair um zwei Jahre später als in Hollywood – aus der Euphorie über die neuen Möglichkeiten der mechanischen Reproduktion des Tones in Verbindung mit dem Bilde entstanden sind. Zusätzlich nützt Fejös den Kontrast zwischen Schwarzweißbildern und Technicolorsequenz, ähnlich wie Stroheim in The Wedding March, um die noch ungewohnte Sensation der Farbe als Teil einer emotionalen dramatischen Zuspitzung einzusetzen, die zu einem »corking picture« wird  : »The final scene of a carnival night in the cabaret was done in Technicolor, giving a corking finish to a corking picture.«135 Er gehört neben Friedrich Wilhelm Murnau und René Clair zu den wenigen Filmautoren der Übergangszeit zwischen Stummfilm und Tonfilm, die sich dieser neuen technischen Herausforderung mit filmkünstlerischen Überlegungen näherten und deren Filme die Zeit überdauern. Diese drei europäischen Autoren werden sich dem Wert des bewegten Bildes und dessen Montage in dieser kurzen Phase des Übergangs bewusst und prägen nachhaltig das Verständnis und die Möglichkeiten der Bild- und Tonmontageformen des klassischen Kinos. Aus der Fülle inhaltlich gleichförmiger Produktionen  – alte Traditionen kämpfen gegen neue Entwicklungen – entstehen auch Filmwerke wie die beiden genannten, die in der Filmgeschichtsschreibung mit Anerkennung vermerkt werden, da sie die wiederholt erprobten Techniken in verdichteter Form auch für anspruchsvolle Themen nutzen 135 Variety, 29.5.1929.

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Filmische Sprechweisen am Übergang zum Tonfilm

können. Zwischen diesen kanonisierten Filmen kommen wiederholt Produktionen in die Kinos, die zwar für zeitgenössische Gespräche sorgen, aber nach ihrer ersten Auswertungsphase aus dem täglichen Programmangebot rasch verschwinden. Zurück in die Heimat und versehen mit Motiven der Kunst der Verführung und der Ermordung führt eine Filmproduktion der Zeit, die sich längerfristig am internatio­ nalen Kinospielplan halten kann. Auf der Suche nach einem Modell für Erzengel Michael für ein Kirchenfenster der Sankt-Franziskus-Kirche findet der Maler Baron Palester seinen Freund Reiner, der ihm als stadtbekannter Don Juan vertraut ist. Er schickt seinen Nebenbuhler auf eine von ihm finanzierte Entdeckungsreise nach Borneo, überschüttet das Schulmädchen Virginia mit teuren Geschenken und großen, eigens für sie inszenierten Festen. Durch seinen zurückgekehrten Nebenbuhler zu Tode getroffen, erkennt er die wahre Liebe zu dem Mädchen. Diesem Film, The Masks of the Devil / Die Masken des Erwin Reiner, 1928, wird durch das »Grazer Tagblatt« auf Grund seiner ausgeprägten Technik der Überblendung, als »Schleierbilder« bezeichnet, große Bedeutung beigemessen  : Metro MGM-Kameramänner wissen, was sie können.136

Bei dieser journalistischen Qualitätsbewertung sind aus heutiger filmhistorischer Sicht zwei Überlegungen bemerkenswert  : Einerseits wird die Produktionsfirma explizit genannt, da die verschiedenen Firmen tatsächlich ihren eigenen unverwechselbaren Stil haben und entsprechend auf spezifische Genres spezialisiert sind und damit Erwartungshaltungen abrufen können, andererseits wird das Augenmerk auf die Qualität der Bilder als wichtiges Element eines Filmes gelenkt. Überblickt man die Kritiken jener Zeit zu den anlaufenden Filmen, kann festgestellt werden, dass diese Produktionsepoche von einem wachsenden Interesse auch im Bereich der Kritik, parallel zu den Autoren, an der Ästhetik und am Stil der Filmsprache geprägt war. Es kommt zu einer gegenseitigen kreativen Herausforderung, selbst bei an das Massenpublikum gerichteten Erzählungen die aktuellen filmischen Diskursmöglichkeiten nicht zu beschränken. Close-ups des Gesichts von Baron Erwin Reiner (John Gilbert) verbunden mit Long-Shots seines tatsächlichen Verhaltens verweisen auf die inneren Gefühle, die er gegenüber Virginia (Eva von Berne) hegt, oder innere Monologe werden durch Doppelbelichtung ausgedrückt. Der Reiz an diesem Verfahren liegt am unterschiedlichen Wissensstand der Triade von Hauptcharakter, Gegenspieler und Publikum  : Die inneren, nicht ausgesprochenen Überlegungen sind zwar dem Publikum bekannt, jedoch erfährt der jeweilige diegetische Partner nichts von diesen Gedanken. Die Bilddoppelungstechnik findet ihre Variation in einer Spiegelszene  ; ein sichtbares Objekt des 136 Grazer Tagblatt, 21.9.1928.

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Übergang zum Ton

alltäglichen Wohnungsinterieurs, in dem Reiner sein wahres Gesicht, das des Teufels, erkennen muss. Über das manifeste, sowohl den Filmcharakteren als auch dem Publikum zugänglichen Ereignissen hinausgehende Wissen wird die weitere Handlung durch diesen unterschiedlichen Erfahrungshorizont in Spannung gehalten, der sich auf der nur für das Publikum zugänglichen zweiten Bildebene materialisiert. In einer Weiterentwicklung des literaturwissenschaftlichen Ansatzes137 unterscheidet Gardies138 sechs ­verschiedene Spielformen, die das Wissen zwischen Autorin, Zuschauerin und Handelnden regelt. Dieser Film stellt dazu ein interessantes Beispiel aus der Frühzeit des Kinos dar, das sich darüber hinaus mit der inneren Montage der Bilder auf der Flächigkeit der Leinwand artikuliert. Eva von Berne, österreichische Schauspielerin, die als zweite Greta Garbo von Irving G. Thalberg in Wien entdeckt wird, kehrt jedoch bereits nach diesem Film wieder nach Europa zurück. Filmstilistisch dagegen unaufregend wird auf dem historischen Hintergrund des Attentats auf Erzherzog Ferdinand und dessen Frau in Storm at Daybreak, 1933, eine Geschichte rund um Deserteure, Eifersucht und Gewalt erzählt, die das historische Ereignis als populäre narrative Verankerung nützt, ohne jedoch – und dieser Film sei als Beispiel für die Ungleichzeitigkeit in der Gleichzeitigkeit genannt – wie die zwei Jahre jüngere Produktion Dishonored bereits erprobte filmische Sprechtechniken für eine Verdichtung des Plots zu nutzen. »Trotz der Unwahrscheinlichkeit und der Knalligkeit der Fabel, trotz der Starüberheblichkeit Marlene Dietrichs darf Entehrt als eine eindrucksvolle und fesselnde Tonfilmschöpfung empfohlen werden«139, zeigt sich Fritz Rosenfeld zufrieden, ohne seine Kritik an Marlene Dietrich zu vergessen, als der Film im September 1931 in den Wiener Kinos erscheint. Neben dem Einsatz der Großaufnahme und den Licht- und Schattenwirkungen, mit denen Dishonored / Entehrt, 1931, Stimmung und Wirkung erzielt, fällt beim ersten Sehen des Filmes von Sternberg auf, dass mit ungewohnt langsamen Doppelbelichtungen die filmische Syntax, vor allem der Rhythmus, zusätzlich geprägt wird. In Erinnerung bleibt der  – im Verhältnis zu anderen Filmen  – langsame und als Doppelbelichtung verbleibende chronologische Übergang von einer Einstellung zur nächsten und noch auffälliger zwischen logischem Erzählstrang und eingeschobenen Erinnerungsbildern, die dem Publikum bereits aus der bisherigen Filmerzählung vertraut sind. Die inhaltliche Ausgangssituation der vorgestellten Beispielsequenz besteht darin, dass »Agent X27« als Verdächtige im russischen Hauptquartier gefangen wird, jedoch 137 Todorov, »Les catégories du récit littéraire«, Communication, Nr. 8, 1966. 138 Gardies, Le récit filmique, 1993. 139 Arbeiter-Zeitung, 27.9.1931.

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Filmische Sprechweisen am Übergang zum Tonfilm

nur eine Partitur, die sie als Code für die russischen Aufmarschpläne anfertigte, wird als einziges Beweisstück gefunden. Deshalb versucht der russische Offizier, die Noten selbst zu spielen, um den Nachweis für ihre Geheimdiensttätigkeit zu bringen. Nach der Flucht rekonstruiert Agent X27 im Hauptquartier der österreichischen Armee mit Hilfe der Musiknoten die exakten militärischen Absichten. Diese Doppelbelichtung aus Dishonored lässt die Zuschauerin die Ereignisse erinnern, die für sie fünf Minuten zuvor stattfanden.

Überblendungstechnik »Technik und Magie«, die sich bei der filmischen Überblendungstechnik »die Hand geben«,140 gehen dabei eine Verbindung ein, die den Rhythmus des Filmes prägt und gleichzeitig auf den latent möglichen Erkenntniswert dieser Einstellung, der filmischen Einstellungen im Allgemeinen, verweist. Das grundlegende Gefühl, dass hinter Einstellungen auch noch andere Bedeutungen aktualisiert werden können, mit dem die mit Film kulturalisierte Betrachterin jeder Einstellungsfolge gegenübertritt, wird durch diese Bilddoppelung sichtbar ins Bewusstsein gerückt. Obwohl die Überblendung am Ende der zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre weit verbreitet gewesen ist – die entwickelte Labortechnik verfeinert dieses Stilmittel der Ab-, Auf- und Überblendung –, gibt es jedoch nur wenige Regisseure, die sie kreativ weiterdenken. Einer unter den wenigen ist Josef von Sternberg, der bereits, um aus dem Untersuchungskorpus zu zitieren, in The Case of Lena Smith diese technische Möglichkeit als sein persönliches Stilmittel, sein Syuzhet, erprobt. In der deutschsprachigen Filmliteratur wird die Doppelbelichtung/Überblendung als technisches Verfahren erklärt141 oder als narratives Mittel zur Überbrückung von Raum und Zeit142 besprochen. Von Metz bis Vernet reicht jedoch die differenziertere Systematisierung, die auf Beispiele aus der Filmgeschichte verweist, die innerhalb der entsprechenden Filmsprechweisen formale, unterschiedliche Umsetzungen isolieren. »Es ist eine Mischung aus Verschmelzung und Trennung, zwischen aussagen und sich erinnern, zwischen primären und sekundären Aspekten, zwischen metaphorischem und metonymischem Akt«, stellt Vernet fest,143 wenn er die Begriffsgeschichte nach Metz144 nachzeichnet. Es sei auch »eine Mischung aus figurativer und narrativer 140 141 142 143 144

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Morin [1956], Le cinéma ou l’homme imaginaire, Paris, 1978, 70. Kuchenbuch, Filmanalyse. Theorien, Methoden, Kritik, 2005, 92, 104. Mikos, Film- und Fernsehanalyse, 2003, 212. Vernet, Figures de l’absence. De l’invisible au cinéma, 1988, 60. Metz, 1972, 155.

Überblendungstechnik

Diskursform«.145 Fünfzig Jahre später überblickt Vernet146 die Entwicklung dieses filmtechnischen Verfahrens in all seinen Facetten und erkennt sieben verschiedene Typen der Anwendung. Die postmoderne Variante der Filmsprache verzichtet weitgehend darauf, auf diese Form der Interpunktion zurückzugreifen. Filme eines David Cronenberg oder eines David Lynch oszillieren zwischen den zeitlichen und räumlichen Ebenen, ohne uns, geschult an Hunderten von Filmen, auf die wechselnde Zeit- und Raumwahrnehmung aufmerksam zu machen. Die Quantität an bereits gesehenen Überblendungsvarianten, die zu einem differenzierten Verstehen der Überblendungsbedeutung führen, deren retrospektiver Nachvollzug ihrer Bedeutung innerhalb diverser Filmtexte und schließlich deren wiederholtes Erkennen dieser filmischen Markierungen schlagen sich heute in der Qualität des mühelosen Erkennens mancher filmgrammatikalischer Formen nieder. Der von den Formen der Postmoderne – unter anderem der Reduzierung filmsprachlicher Markierungen – geprägte Mensch erweitert durch seine mediale Praxis das Verstehen hermeneutischer Codes, wobei jedoch die grafisch formale Spannung, die sich aus einer Doppelbelichtung ergeben kann, noch oftmals in der Analyse vernachlässigt wird. In Dishonored verweigert der Offizier im Moment, in dem ihm das Schießen befohlen wird, den Befehl  : »Ich töte nicht diese Frau«, ruft er  : »Das ist ja kein Krieg. Das ist eine Schlächterei. Das ist nicht Patriotismus. Das ist Mord  !« »Ich habe keine Angst vor dem Leben, deshalb habe ich auch keine Angst vor dem Tod«, erklärt sie, als sie zur Spionage verpflichtet worden ist. Die Atmosphäre der Stadt 1915, im zweiten Weltkriegsjahr, wird durch die Prologszene charakterisiert. Maria steht als Prostituierte auf der regennassen Straße und wartet auf Kunden. Die erste und die letzte Einstellung innerhalb der Erzählung profiliert die junge Witwe als verführende und gleichzeitig als nonchalante Agentin des österreichischen Staates, die auch ihrem Versprechen treu bleibt, dass sie, Maria, weder Angst vor dem Leben noch vor dem Tod habe. Tritt sie mit der ersten Einstellung in das Leben der Agentin und in das der Zuschauerinnen ein, verabschiedet sie sich gleichfalls von diesem und von ihnen, indem sie wieder ihren Strumpf an ihrem rechten Bein zurechtrückt. In diesen beiden Einstellungen, die den Rahmen zur Erzählung bilden und Josef von Sternbergs Charakterisierung der Hauptakteurin zeigen, ersetzt Gestik die zu sagen145 Vernet, 1988, 60. 146 Ebenda, 1988, 60.

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Filmische Sprechweisen am Übergang zum Tonfilm

den Worte. Diese Bilder erweitern Marias Lebensphilosophie. Sie umrahmen die Handlung. Wird im vorliegenden ersten Bild die Person durch ihre Geste bekannt gemacht, zeigt das zweite Bild ihre Unbekümmertheit gegenüber dem nahen Tod. Das Bild ist der Blick des Mannes – von oben zu Boden – des Beamten des Kriegsministeriums, der die Frauenbeine ansieht. Nach einer prüfenden Provokation durch den Beamten, die jedoch nur ihre Treue zum Staat unterstreicht, wird sie als Geheimagentin angeheuert. Das zweite Bild ist das des Exekutionskommandos. Die Bildgrößen ändern sich von Naheinstellung auf Totale, wobei die Geste, Straffziehen des Strumpfes, gleich bleibt. Obwohl diese Geste die Erzählung einrahmt, lässt die Änderung in der Einstellungsgröße Assoziationen zu, die den Weg von persönlicher, gedankenloser Intimität zur öffentlichen Verfügbarkeit des Körpers, der in Kürze durch den Tod aus dem männlichen Interesse verschwinden wird, imaginieren. Die Veränderung der Bildgröße lässt zu, sich über diese Einstellungsfolge weiterführende Gedanken, die jenseits des Abgebildeten liegen, machen zu wollen. Bei der zweiten Einstellungsfolge spielt die Tonebene eine wichtige Rolle. Die Anklage des Soldaten, der sich weigert, die Frau zu erschießen, indem er Krieg als Schlächterei bezeichnet, wird durch nach Nachziehen der Lippen und das Zurechtrücken des Strumpfes auf die individuelle Ebene transferiert. Das konkrete Ereignis, Agentin vor dem Erschießungskommando, wird dieser Individualisierung gegenübergestellt, der Dualismus, der durch Bild und Ton entsteht, reichert das erzählte Geschehen um die Ebene des Gewissenskonfliktes des Soldaten an. Weniger die Erzählung als die filmsprachlichen Details werden bedeutsam, die die Form der Erzählung bestimmen und die auf die Sonderstellung des Regisseurs Josef von Sternberg in der Filmgeschichte aufmerksam machen können. Sternberg hatte einmal erwähnt, es wäre ihm durchaus recht, wenn man seine Filme gegenläufig projiziere, damit die Beschäftigung des Zuschauers mit der Story und den Charakteren nicht den Genuss des Bildes auf der Leinwand beeinträchtige. Bei der Produktion von Dishonored ist der Regisseur bereits durch Filme wie Thun­ derbolt, 1929, The Case of Lena Smith, 1929, und Morocco, 1930, bekannt, die den Gebrauch vielfältiger Überblendungstechniken nützen  : Einerseits dienen diese filmsprachlichen Mittel zur Effektsteigerung auf der Handlungsebene, andererseits zur Emotionalisierung der Rezeption und damit der Zuschauerinnen. Bei einer exakteren Überprüfung durch wiederholtes Ansehen erkennt man, dass diese Art der Überblendung in zwei unterschiedlichen Weisen verwendet wird. Folgt 76

Überblendungstechnik

man Edgar Morins147 differenzierter dualistischer Auffassung, dass die Überblendung den Raum verdichtet und die Abblende die Zeit filmisch modellieren kann, fällt auf, dass in Dishonored an dramaturgisch wesentlichen Stellen mit Überblendungen Erinnerungsarbeit, die durch das Publikum geleistet werden muss, entsteht. In diesem Falle dient die Technik der Doppelbelichtung dem Dialog zwischen Publikum und dem Geschehen  – im Unterschied zu anderen Fällen, in denen diese Doppelbelichtungen mentale Erinnerungsbögen für einen der Filmcharaktere werden. Der narrativen Funktion der Ab-, Aufblende bzw. der Überblendung als Mittel der Punktierung/Kennzeichnung des Übergangs von einer Sequenz zur nachfolgenden – wo jeweils der zeitliche Erzählraum in seiner unumkehrbaren Chronologie festgeschrieben wird  – wird die Doppelbelichtung als originäres filmsprachliches Mittel entgegengesetzt. Zwar wird sie seit der Frühzeit des Kinos, siehe Méliès-Filme, verwendet, doch findet sie erst in der entwickelten, klassischen Stummfilmzeit eine Vielzahl an syntaktisch-semantischen Ausdrucksmöglichkeiten, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg als Albtraumbilder von Kriegserlebnissen wieder an filmsprachlicher Aktualität gewinnen. In Dishonored werden diese Möglichkeiten durch die Verwendung differenzierter Längen und die Verklammerung zweier Tonebenen zusätzlich definiert. Die Doppelbelichtung verbleibt längere Zeit im statischen Zustand, während der Tontrakt aus der chronologischen Jetzt-Handlung des ersten Bildes aufrechterhalten bleibt. Die Überblendung ist also vom Begriff der Doppelbelichtung zu unterscheiden, die zwar morphologisch wie eine Überblendung aussieht, in ihrer Bewegung jedoch nicht chronologisch verbindet, sondern zur Entschlüsselung der Bedeutung dieser Zweifachbilder beiträgt. Analog zur Musikverwendung erhält diese Doppelbelichtung einerseits eine rein technisch-dramaturgische Funktion, die durch die besondere Geschwindigkeit, hier in ungewohnter Länge, in Verbindung mit der diegetisch motivierten Verwendung des Pianospielens – einer emotional-dramatischen, klassischen Verwendung von Musik – zum Ausdruck des Hörbarmachens eines seelischen Zustandes wird. Andererseits unterstreicht sie die Memofunktion und das Dechiffriermittel, die rationale Nutzung von Musik  ; in diesem Falle das von der Hauptdarstellerin interpretierte Klavierstück zur Rekapitulierung der militärischen Aufmarschpläne. Durch den wiederholten Einsatz dieses Musizierens – jede der Hauptdarstellerinnen kommt mindestens einmal in die Lage, das Piano zu nützen – scheint es Mittel zum Zweck zu werden, über den Ausdruck einer emotionalen Kommunikationsform hinaus, nämlich als Informationsträger für die Entschlüsselung von feindlichen Angriffsplänen. An den obengenannten Anfangs- und Schlusseinstellungen lässt sich die Darstellungsleistung Marlene Dietrichs als eine zur Technik der Doppelbelichtung ergänzende Rolle nachvollziehen. Der österreichische Filmkritiker Fritz Rosenfeld schreibt nach 147 Morin [1956], 1978.

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Filmische Sprechweisen am Übergang zum Tonfilm

der Wiener Erstaufführung  : »Das Entscheidende mag sein  : sie ist eine wirkliche Psychologin, und ein Augenaufschlag, ein halbes Lächeln vermag bei ihr viel über einen Menschen auszusagen«.148 Dabei klingt wieder die Suche nach der »Großaufnahme der Seele« an, der Bedeutung der Mimik und Gestik im Film, die sich in der speziellen Bild- und Rhythmusnutzung verdichtet und zusätzliche Bedeutung gewinnt. Gemeinsam mit der Darstellung menschlicher Mikrometamorphosen produziert eine lange Überblendung traumartige Situationen, die den Effekt des Traumes – oder hier in diesem Beispiel die Magie des Erinnerns an konkrete Gefühle, die zuvor durch die unruhige Augenbewegungen der Agentin ausgedrückt werden  – in einer konkreten Situation  – mögliches Aufdecken ihrer musikalischen Verschlüsselung – noch einmal beim Adressaten, dem Publikum, wachrufen können. Durch die neuen Möglichkeiten, Musik und Dialog zu nützen, kommt es zwar einerseits zu neuen Stoffen, die vor allem bei den Produktionen mit Österreichbezug den europäischen Fundus am Musiktheater, vor allem jenen der Operette, für das Kino entdecken, andererseits wird wiederholt die zunehmende Verarmung von filmrhetorischen Bildlösungen bzw. von Montagefiguren eingeklagt. Wenn im Vorspann in Evenings for Sale, 1932, beim »Donauwalzer« anstelle von Grau Rosafarbtöne überwiegen, die das Weiß noch besser zur Geltung bringen, erhält das von Österreich geprägte Operettengenre einen neuen optischen Höhepunkt, der Vorbehalte, das Genre veraltere, mit technischen »special effects« zu meistern versucht. In einem kreativen Austausch zwischen künstlerischer Praxis und schriftlicher Kritik  – Kritik im ursprünglichen Sinne als vergleichende und analysierende Auseinandersetzung verstanden  – wird der Ton als eigenständiges dramaturgisches Potenzial erkannt, und die technisch machbaren zunehmenden Bewegungsvarianten der Kamera bereiten neue Bildlösungen wie für den im Jahre 1938 produzierten The Great Waltz vor.

148 Arbeiter-Zeitung, 27.9.1931.

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Musik Stimmen aus Österreich – Ton und Farbe – Genre und Subgenre – Das Alte und das Neue – Erzählrätsel – Marketingbestrebungen – Im Übergang – Figuration von Kreativität – Sonderform/Weiterentwicklung

Das wohl bedeutsamste Image, mit dem Österreich im Ausland identifiziert werden kann, ist die Musik in ihren vielfältigen Darstellungs- und Ausdrucksweisen. Mit dem Siegeszug des Tonfilms Ende der zwanziger Jahre beginnt auch die Zeit des Musikfilms, in erster Linie mit der Walzermusik, die emotional spontan – damals wie heute – mit Österreich assoziiert wird. Am Ende eines zeitgenössischen Artikels, »The Vienna of the Films«, wird das stereotypische Happyend der operettenhaften Wienerfilmserie infrage gestellt  : The spectator in Berlin and Paris, in London and New York leaves the cinema under the impression that Vienna, Vienna alone must be a paradise. – This nuisance must come to an end.149

Aus der Bedeutung der Musik für den Film ergeben sich thematische Vorgaben, die die vielfachen Variationen in ihrer filmsprachlichen Umsetzung, die filmhistorischen und filmtechnischen Entwicklungen im Stil und im Syuzhet nachvollziehen lassen. Dieser letztgenannte Begriff, den die russischen Formalisten150 erstmals in ausgeprägter Weise verwenden und der von Bordwell151 produktiv für die Filmanalyse übernommen wird, unterscheidet sich vom Stil – der den technischen Prozess hervorhebt – indem er das Augenmerk auf den dramaturgischen Prozess in der persönlich geprägten filmkünstlerischen Gestaltungsweise richtet.

Stimmen aus Österreich Bereits 1924 denkt Béla Balázs über die Verfilmung von Musikstücken als »umgekehrtes Verfahren« zur üblichen Begleitmusik nach  :

149 Modern, »The Vienna of the Films«, Close Up, 9, Nr. 2, June 1932, 130. 150 Tynjanov [1926], »Le sujet et la fable au cinéma« [»O sjužete i fabule v kino«]  ; Albéra, Les Formalistes russes et le cinéma. Poétique du film, 1996, 197–198. 151 Bordwell, 1985, 344.

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Musik

Man könnte den Strom irrationeller Visionen, die man beim Anhören eines Musikstückes hat, an einem Film vorbeiziehen lassen. Vielleicht wird das noch eine eigene, neue Kunstgattung werden  ?152

Diese Vision wird sich in den uns bekannten Musikvideoclips der neunziger Jahre verwirklichen. Für Robert Stolz153 ist »der richtige musikalische Film nicht der Film mit zwei, drei Schlagereinlagen, sondern der durchkomponierte Film.« Dabei verweist er auf eines seiner verfilmten Werke  : Habe ich mir die »Lustige Witwe« vor der Wiener Erstaufführung in Paris angesehen. (…) Die beschwingte Regie Ernst Lubitschs, der Scharm und das Moussierende seiner Inszenierungskunst haben mir ungemein gefallen, und ich glaube, dass er den richtigen Weg, der zum musikalischen Film führt, gegangen ist.154

In einem Interview für eine Publikumszeitschrift155 schwärmt Franz Lehár von einer neuen Schule der Komposition, die Rücksicht auf den Rhythmus der Bilder nehmen muss. Ihm wird die Qualität der Aufnahmetechnik zu einem wichtigen Anliegen, und er ist eine Stimme im Reigen jener, die die neuen Tonaufnahmetechniken begrüßen  : Der Traum könnte sein, dass ein Mikrophon alle Instrumente in gleicher Intensität aufnehmen kann. Nicht die Nähe des Mikrophons zu einem Instrument soll bestimmend sein. Man muss unbedingt eine Technik finden, die jedem Instrument seinen Wert belässt.156

Lehár denkt an eine Verbesserung bei der Aufzeichnungstechnik, um die unverfälschte Wiedergabe zu erhalten, die für ihn zu einer wesentlichen Qualität wird. Die dramaturgische, stilistisch-ästhetische und narrative Auseinandersetzung mit der Klangdimension im Medium findet heute, angereichert um die verfeinert Tonaufzeichnung und Tonwiedergabe,157 ebenso noch statt.

152 153 154 155 156 157

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Balázs [1924], 144. Robert Stolz, österreichischer Komponist, 1880–1975. Mein Film, Nr. 523, 1933. Pour Vous, Nr.210, 24.11.1932. Franz Lehár, österreichisch-ungarischer Komponist, 1870–1948. Martin, Die Sichtbarkeit des Tons im Film. Akustische Modernisierungen des Films seit den 1920er Jahren, 2010.

Ton und Farbe

Ton und Farbe »The sound is fairly good«, stellt eine Fachzeitschrift158 zu Beginn der dreißiger Jahre, in denen besonders intensiv über Sinn und Unsinn des Tonfilms diskutiert wird,159 über Bride of the Regiment, einen bereits als Musical bezeichneten Film, der in Technicolor und in der Tontechnik von »Vitaphone« aufgenommen wird, im Mai 1930 fest. Man zieht qualitative Vergleiche zur Technik der bis dahin bekannten musikalischen Aufführungspraxis auf der Bühne. Dieser Film aus jener Produktionsserie ist nicht nur einer der ersten tatsächlichen Tonfilme, der ein Musiksujet verarbeitet, sondern er wird auch der erste Farbfilm in Technicolor, dessen Plot eng mit Österreich verbunden ist. Vor der Einführung des Hays Codes, der eine starke Zensur für die US-Filmproduktion ab 1933 darstellt, darf Sophie, Tänzerin und Geliebte von Vultow, noch sagen  : »Ich werde ihn zurückbekommen. Ich werde tanzen, bis sein Blut kocht«, und sie beginnt einen verführerischen Tanz. Bride of the Regiment, 1930, ist in Italien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an der Grenze zu einem Österreich angesiedelt, das »mächtig war«, wie das Anfangsinsert insistiert. Eingebettet in ein musikalisches Gesamtdesign erzählt der Film mit vielen Liedern die Rettung eines seit Kurzem verheirateten italienischen Ehepaares vor einer österreichischen Patrouille durch Tangy, einen Schattenspieler, der in der Zeit vor dem Aufkommen der Filmvorführungen mit seiner außergewöhnlichen Darstellungskunst durch das Land tingelt. Die Wahl dieser Profession und das Aussehen und der Charakter von Tangy sind Indizien dafür, wie glaubwürdig 1930 und nach wie vor bekannt dieses kulturelle Erbe des Schattenspiels als Möglichkeit von Information, Kommunikation und Zerstreuung vor den technisch reproduzierbaren Medien wie Radio und Kino war. Romantische Szenen, Musiken und Traumgebilde formen eine Operette, für deren neun Lieder und Tanzszenen Jack Haskell verantwortlich zeichnet, der als Choreograf im Zeitraum zwischen 1929 und 1938 zwölf Produktionen ausarbeitet. Neben der genannten Arbeit ist er unter anderem für die Tanzszenen in Viennese Nights, 1930, verantwortlich, der ein weiteres Beispiel für die Welle des an der österreichischen Musiktradition orientierten Tanz- und Musikfilms zu Beginn der Tonfilmära wird. Um das Lebensgefühl in Österreich in filmischer Form auszudrücken, bilden Musik und Farbe eine neue stilistische Einheit  :

158 Harrison’s Reports, 4.10.1930. 159 Bordeaux-Ciné, Nr.81, 18.4.1930  ; ebenso Pour Vous, Ciné Journal, Cinémonde, Le Courrier cinématographique.

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Musik

The Technicolor camera work is a little dark in some of the scenes, but it has its good points in others. In showing a butcher’s shop, the Technicolor camera men ought to beware of raw meat, for its tint is anything but real in a flash of this film. The glimpses of uniforms of officers and the gowns of women, however, benefit by this prismatic photography.160

In Kenntnis der Geschichte des Farbfilms lässt sich nachvollziehen, wie hoch der Stellenwert von Bride of the Regiment bei der Verfeinerung der technischen und ästhetischen Farbentwicklung in der zeitgenössischen Produktion gewesen sein könnte.161 Vor allem die erstmals erprobte Verbindung von Musikaufzeichnung und Farbdramaturgie lässt den Film bedeutsam für spätere Musicals werden, die immer neue Varianten der Farb- und Tondramaturgie suchen werden. Die Geschichte in Viennese Nights beginnt im Wien des Jahres 1880, in dem drei junge Männer zur österreichischen Armee gehen, und umfasst einen zeitlichen Bogen von mehr als vierzig Jahren, um in der Produktionsgegenwart, in den zwanziger Jahren, anzukommen. Der Film stellt Identifikationsmuster für die zweite Generation österreichischer Emigrationsfamilien aus Österreich zur Verfügung, bei denen er auch sein vorrangiges Zielpublikum findet, das sich an ein Wien der Operette um die Jahrhundertwende erinnern möchte. Darüber hinaus erlauben die drei unterschiedlichen zeitlichen Erzählepochen der Zuschauerin »eine Art Retrospektive der Kleidermode, die die Augen erfreute.«162 Lieder wie »Viennese Nights« oder »You Will Remember Vienna« von Oscar Hammerstein II und Sigmund Romberg können integrale Bestandteile einer Erinnerungsarbeit werden, die sich in diegetischer Weise im Lebenslauf der Hauptcharaktere ebenso wiederfindet wie in der zunehmend verblassenden Erinnerung der Zuschauer an ihr Leben vor der Emigration in die USA.

Genre und Subgenre Drei Formen an Subgenres des Musikfilms lassen sich unterscheiden, die sich im thematisch ausgewählten Filmkorpus wiederfinden  : Liederfilme, Operettenfilme und Filme, in deren Mittelpunkt Lebensabschnitte von Musikern stehen und die damit durch das Hörbarmachen der Werke des Porträtierten an biografisch authentischer Qualität gewinnen. Dieses Subgenre erfreut sich seit Beginn des Filmes großer Beliebtheit. Man denke an die sogenannten »Film und Bühne«- Präsentationen, die in Wien vor allem 160 Hall, Mordaunt, The New York Times, 27.11.1930. 161 Mouren, La couleur au cinéma, 2012  ; Masson, Comédie musicale, 1981  ; Chion, La musique au cinéma, 1995. 162 Pour Vous, 24.3.1932.

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Das Alte und das Neue

eng mit Erzählungen über Komponisten verbunden sind.163 Dabei geht die Wiener Theatertradition mit dem neuen, oftmals noch abgelehnten Medium eine neue formale Verbindung ein. Rezeptionsberichte schildern neue Inszenierungsformen, die in ihrem ästhetischen Einsatz von Sprache, Bild und Ton Parallelen zur zeitgenössischen Theaterpraxis von Meyerhold und Piscator164 herstellen, ohne jedoch deren gestalterische und gesellschaftspolitisch orientierte Effekte zu erreichen.

Das Alte und das Neue In der Übergangszeit vom Stumm- zum Tonfilm behandeln zwei Filme mittels der Musik das Thema »das Alte und das Neue«, das stellvertretend für die europäische bzw. US-amerikanische Lebensweise steht. In Is Everybody Happy  ?, 1929, Archie L. Mayo (der auch später bei A Night in Casa­ blanca der Marx Brothers Regie führen wird), und in The Melody Man, 1930, spielen Geigen als Instrumente aus der Alten Welt eine wichtige dramaturgische Rolle. Mit den beiden Jazzkompositionen »I’m the Medicine Man For the Blues« und »Come on, Teddy, your dinner’s ready – then off to beddy« erobert Ted seine Fans, aber vor allem Helene, die vor Kurzem aus Budapest angekommen ist. Ähnlich wie in früheren Filmen wird eine Geschichte über Immigration, über Musikgattungen und Musikrichtungen und über den Generationskonflikt erzählt. In der Violine und im Saxophon spiegeln sich zwei Weltanschauungen und Generationen wider, die sich in den Liedtiteln der »Original Dixieland Jazz Band« ausdrücken. Im erstgenannten Film emigriert Victor Molnár, Orchesterleiter in Budapest, mit seiner Frau und Sohn Ted zu Beginn des Jahrhunderts in die USA. Eine Geige, die Ted bei einem Musikwettbewerb als Sieger von Kaiser Franz Joseph übereicht bekam, ist ihr einziges Gepäckstück. In der neuen Heimat findet Ted keine Arbeit als Orchestermusiker. Er bringt seine Geige in eine Leihanstalt, um sich Geld borgen zu können. Zu Hause gibt er vor zu arbeiten. Tatsächlich lernt er aber im Park Saxophon spielen. Dort trifft er Gail, die bei einer Theateragentur angestellt ist. Zufällig entdecken ihn seine Eltern, als er Jazz in einem ungarischen Café spielt. Eine Welt bricht für sie zusammen. Mit Hilfe von Gail gründet Ted eine eigene Jazzband. Die Versöhnung innerhalb der Familie findet am Weihnachtstag, einer emotional aufgeladenen Zeit der Familie, statt. Ted überrascht seinen Vater im Vorraum der Toilette jenes Musikpalastes sitzend, in dem Ted in Kürze seinen ersten Triumph feiern wird. 163 Meier-Halm, »Der Siegeszug der Wiener Operette«, Volkskunstvortrag um die Wiener Operette von Johann Strauß bis Franz Lehar, 1925. 164 Wsewolod Meyerhold (1874–1940)  : Äußere Anregungen formen die Emotionen der Schauspieler  ; Biomechanik. Erwin Piscator (1893–1966)  : Bühnentechnik mit den Mitteln des Laufbildes.

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Musik

Der Film wird nicht nur von Alt und Jung, sondern auch vom sozial determinierten Wechsel zwischen Innen und Außen geprägt. Nur Ted kann diesen fragenden und gleichzeitig ausrufenden Filmtitel mit Ja beantworten Die Umstellung auf die neue Lebenssituation macht der Elterngeneration Probleme, da die alte Musik aus Europa nicht gefragt ist. Dieses im Film gestaltete Emigrantenschicksal in New York wird von vielen Besuchern gerne gesehen, da es sie im alltäglichen neuen Leben in ähnliche Lebenssituationen verschlägt. Der Anpassungszwang und das Auf und Ab im Alltag werden durch die unterschiedlichen Musikstücke symbolisch unterstrichen. Die Erzählung nützt dramaturgisch den schicksalhaften Lebenslauf von Abstieg und Aufstieg in einer Musikerkarriere  ; dabei zählt nicht das unterschiedliche Alter, sondern Formen der Anpassung an das Neue, das durch die beiden Musikinstrumente ausgedrückt wird, die Geige und das Saxophon, die jeweils zu einem anderen semantischen Kulturkreis zu gehören scheinen. Des Grafen Tochter in The Melody Man dagegen verhilft die Rhapsodie, von ihrem Freund jazzig neu arrangiert, auch in der Neuen Welt zum Erfolg, der bis nach Wien dringt und damit die Polizei zum Aufenthaltsort des gesuchten Mörders führt. Nicht nur die Musiken, auch die Generationen stehen einander in diesen beiden Filmstücken fremd gegenüber und vertreten jeweils zwei unterschiedliche Lebensprinzipien. Obwohl es als Theaterstück – der Schlüssel ist die Musik – bereits 1924 in New York aufgeführt worden ist, erhält das Stück erst mit der filmtechnischen Entwicklung der Tonaufzeichnung neue Ausdrucksmöglichkeiten, die erneut das Interesse am Stoff wecken. Musiken spielen dabei eine bedeutende Rolle. Neben der »Sympathie für den Mörder (Graf von Kemper)«165 ist ein weiterer Minuspunkt dieser Sechsundsechzig-MinutenProduktion jedoch die mangelhafte technische Aufzeichnung der Musik im MovietoneVerfahren, wie die zeitgenössische Kritik zu berichten weiß. Mit ihrer persönlichen Geige kommen sowohl Ted aus Is Everybody Happy  ? wie Graf von Kemper, Dirigent des Wiener philharmonischen Orchesters, Komponist der viel bejubelten »Traum-Rhapsodie« und späterer Mörder eines Kronprinzen, in die Neue Welt. Die neue Jazzeuphorie Teds, der sich für die vom Kaiser geschenkte Geige ein Saxophon kauft, wird mit »Jazz ist Ausdruck des amerikanischen Wesens, während die alten Klassiker zur Vergangenheit gehören«166 selbstbewusst zusammengefasst. Dieser Film ist jedoch nur eine Kopie des Films The Singing Fool, der die Fortsetzung von The Jazz Singer darstellt. Sind diese beiden Filme die ersten, die in einer hierarchisch verstandenen Filmgeschichte emblematisch für das Tonfilmzeitalter stehen, wird der Film Champagne Waltz als Höhepunkt der Serie zum Thema »Alt und Neu« gesehen. Selbst wenn zu Beginn der Tonfilmära der Filmton gegenüber dem Bild eine untergeordnete Rolle spielt, indem er die Bilderabfolge emotional tonmalend verstärkt und 165 Harrison’s Reports, 22.2.1930. 166 The New York Times, 2.11.1929.

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Erzählrätsel

kommentiert, rücken diese spezifischen Subgenres bereits erzählerische Interessen in den Mittelpunkt. Beliebt dabei sind Musikenduelle, die den Kampf zwischen der »Alten« Welt, symbolisiert durch Walzer und Geige, und der »Neuen« Welt, verdichtet im Jazz und im Saxophon, widerspiegeln. Als Echo entsteht eine allgemeingültige Bedeutungszuweisung, die die Walzermusik und Österreich als identisch erleben lässt. Selbst in Gegenwartsfilmen, wie in Heaven’s Gate / Das Tor zum Himmel, 1980, zum Beispiel, wird ein bestimmtes Lebensgefühl imaginiert und mit dem Walzertanz physisch signalisiert. Einzelpaare tanzen. Mehr und mehr umfasst der Kamerablick den gesamten Campus, der von den Tanzenden in seiner Gesamtheit genützt wird. Erleichterung, Freude und der Beginn eines neuen Lebensabschnitts werden mit dieser »Befreiung« der Kamera von der Schwerkraft der Erde in Verbindung mit dem Walzer vermittelt. Die statische Bildfolge sagt jedoch nichts darüber aus, ob sie aus einem Travelling mit Aufwärtsbewegung besteht oder ob sie sich aus unterschiedlichen Einstellungen zusammensetzt. Beide Möglichkeiten könnten unterschiedliche Bedeutungen und Interpretationen suggerieren. Der Filminterpretation mit Screenshots sind Grenzen gezogen, Vorteile sieht jedoch Barthes  : Film und Fotogramm stehen in einer Palimpsestbeziehung, ohne dass man sagen könnte, dass das eine über dem anderen liegt oder das eine dem anderen entnommen ist. Das Fotogramm hebt schließlich den Zwang der Filmzeit auf (…).«167

Erzählrätsel Ein Musikinstrument als Rätsel für eine Erzählung, als Ausgangspunkt, von dem eine Geschichte in Bewegung gesetzt wird, oder als Schlüssel für eine mögliche Lösung, auf die die Handlung zusteuert und die diese zusätzlich dynamisiert, wird bereits in der ausgehenden Stummfilmzeit genützt, wenn zum Beispiel ein Orchesterleiter oder Komponisten aus Wien im Mittelpunkt der Handlung stehen. In The Music Master, 1927, der als eine ausgezeichnete Sonntagsunterhaltung bewertet wird,168 sucht Anton von Barwig, Orchesterleiter in Wien, seine Tochter, die ihm 167 Barthes [1970], 1992. 168 Harrison’s Reports, 22.1.1927.

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Musik

von seiner Frau Jahre zuvor entzogen wurde. Er findet sie zufällig in der Person von Helene Stanton, die ihn nicht als ihren Vater erkennt und bei ihm um Musikstunden für ihren Verlobten anfragt. Um nicht das Glück seiner Tochter zu gefährden, kehrt der verarmte Anton von Barwig nach Europa zurück. Die Hauptcharaktere in diesen Filmen sehen die Stadt New York als erste Anlaufstation ihres Emigrantenschicksals und als möglichen Wendepunkt ihres Lebens. Gründe für ihre Auswanderungspläne sind Hoffnungen auf eine Verbesserung ihrer Lebenssituation gegenüber ihrem alten Leben in der Habsburgermonarchie bzw. gegenüber ihrem sozialen Abstieg nach dem Ende des Krieges.

Marketingbestrebungen Durch den Tonfilm, durch den Lieder und Sängerinnen bekannt gemacht werden, kommt es auch zu einer umfassenden Auswertung und breiten Popularisierung des künstlerischen Sängerinnenpotenzials. Dadurch werden umfassende MerchandisingMaßnahmen ermöglicht und erste Marktuntersuchungen durchgeführt. Trotz des polnischen Akzents von Pola Negri, die mit A Woman Commands / Um eine Fürstenkrone, 1932, ihren ersten Tonfilm macht, wird das Lied »Paradise« zu einem weltbekannten Hit auch außerhalb des Kinos. Dreißig Jahre nach den tatsächlichen historischen Ereignissen am 11. Juni 1903, als der serbische König Alexander gemeinsam mit seiner Gattin Draga in Belgrad ermordet wird, bleibt vom Film dieses Lied im Gedächtnis. Ein verschmitztes Grinsen oder ein Sich-kaum-zurückhalten-Können vor Lachen zeigt an, in welchem Genre – in dem der Komödie – diese Erzählung angesiedelt ist. Mit Maurice Chevalier als Leutnant Nikolaus »Niki« von Preyn und Claudette Colbert als Franzi. Sind Press-Sheets zur ersten Charakterisierung eines Films wichtig, sind veröffentlichte Presse- und Werbebilder intendierte Interpretationsangebote, Vorschauen ähnlich den Filmtrailern, die oft nicht eingelöst werden. For years The Smiling Lieutenant was considered »lost.« (…) Within the past few years, however, a print of the English-language version was discovered. Since then it has been shown at university film retrospectives and at revivals with great success.169

The Smiling Lieutenant / Der lächelnde Leutnant, 1931, der heute durch die Arbeit von Filmmuseen wieder fast vollständig rekonstruiert werden konnte, wird als romantische Komödie gesehen und stellt historisch gesehen den Übergang zwischen Operettenfilm zum Filmmusical dar, obwohl die Handlung  – deren zeitliche Fixierung wird oft als 169 Gene, 1973.

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Im Übergang

Unterscheidungsmerkmal der beiden Genres genannt – vor dem Ersten Weltkrieg in Wien angesiedelt ist. Als Quelle wird die Operette »Ein Walzertraum« (1907) mit sechs ausgewählten Liedern von Felix Dörmann und Leopold Jacobson bezeichnet. Libretto und Musik des Films stammen von Clifford Grey und Oscar Straus. Die Zuneigung der Geigerin Franzi zum Leutnant Niki wird durch die Prinzessin Anna bedroht, die Niki mit Einwilligung des Kaisers heiratet, obwohl sie einem USBürger versprochen ist. Franzi, die mitleidig die unglückliche Ehe beobachtet, führt Anna in das moderne Leben ein. Sie zeigt ihr modische Unterwäsche oder die neueste Haarmode und macht sie mit Jazzmusik bekannt. Im Gegensatz zu The Music Master wird durch die Auseinandersetzung mit der neue Musik, dem Jazz, nicht die Existenz bedroht, sondern die Absicherung von (Ehe-)Glück erst ermöglicht. Diese Hauptmotive tragen inhaltlich den Film, dem durch witzige und schlagfertige Dialoge und durch die kurzweilige Inszenierung von Bild-/Ton-Montagen der historisch bedingte melodramatische Anteil, der bei The Wedding March noch vorherrscht, genommen wird. »Anything for a laugh«170scheint das Motto von The Smiling Lieutenant zu sein. Jedoch wird in derselben Kritik für die amerikanischen Leserinnen bereits eingeschränkt, gibt es doch von den sechs »Nummern« des Komponisten Oscar Straus keine, die »click« macht, die die Zuschauer packen kann.

Im Übergang Deshalb kommt es mit diesem Film zu keiner Wiederaufnahme des Operettengenres, sondern er stellt im Sinne des französischen Filmwissenschafters Jean-Louis Leutrat171, der die Typologie der Genreentwicklung am Beispiel des Western erarbeitet hat, eine Variation des Genres dar. Selbst das die meisten Operettenfilme aus den USA ablehnende »Neue Wiener Tagblatt« gesteht ein, dass der »Wiener Zauber« geblieben ist  : »Leise, ganz leise klingt er durch den Raum und übertönt doch alle Konzessionen, die man dem amerikanischen Geschmack gemacht hat.«172 Beide Kritiken unterstreichen die Annahme, dass ein Film jeweils am vorbestimmten Geschmack der verschiedenen Kulturen noch differenzierter als heute gemessen werden konnte, und vor allem, dass diese Art von Filmen nicht für mögliche Grenzüberschreitungen eines vorgegebenen ästhetischen Bewusstseins konzipiert worden sind. 170 Variety, 27.5.1931. 171 Leutrat, Le Western, 1987. 172 Neues Wiener Tagblatt, 30.8.1931.

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Während die US-Kritik ihr Augenmerk auf die mangelnde Modernität der Lieder und deren Interpretation richtet, vergleicht ein zweiter österreichischer Artikel in der bereits zitierten Zeitung einen Tag später den Film mit den bekannten Liedern aus der Operette »Ein Walzertraum« und vermerkt den Wandel der »Wiener Mädel«, die jetzt Zigaretten rauchen, eine neue modische Frisur tragen und Jazz hören. (…) denn das Idealbild des süßen Wiener Mädels, das diese Operette verherrlichte, wird für Hollywood ja ewig unverständlich bleiben. (…) Manchmal wundert man sich ein wenig über dieses Filmösterreich und erinnert sich eines Liedes aus dem alten »Walzertraum«, das im »Lächelnde Leutnant« nicht mehr vorkommt  : »I waß net, i waß net, ob i wein oder lach’«.173

Eine weitere zeitgenössische Kritik, die nicht mit nationalen Stereotypen spart, befasst sich mit den unterschiedlichen Darstellungs- und Ausdrucksweisen von Humor  : Dieser (der amerikanische Humor, F.G.) ist drastischer, von unangenehmer Deutlichkeit und die parodistische Note weist trotz des deutschen Regisseurs die ausgesprochen angelsächsische, trockene Manier auf. – (…) in Amerika, irgendwo in Hollywood, muss es noch ein zweites, ganz anderes Wien geben.174

Ist diese sentimentale Suche nach dem »Wienerischen« und nach dem Original nur ein österreichisches, mentales Problem oder werden allgemein unterschiedliche Auffassungen bei Adaptierungsarbeiten sichtbar  ? Diese die Frage vertiefenden Beispiele stellen Kritiken aus Frankreich dar, die vor allem ihrem exilierten Star Maurice Chevalier Aufmerksamkeit schenken. In einem Vorbericht aus New York schreibt Raymond Lange  : Wäre man streng, könnte man sagen, dass der Satz ohne Zweifel abgedroschen ist, dass ihm an Originalität fehlt  ! Aber das Publikum, das ins Kino geht, sucht nicht so sehr starke Emotionen als eine angenehme Zeit, ein wenig Lachen und ein wenig Vergessen. Sein Wunsch wird hier völlig verwirklicht.175

Die Einschätzung, dass das Sujet »abgedroschen« (»battu et rebattu«) sei, unterstreicht die ähnliche Kritik in den USA, wo der Film im Verhältnis zu dem neuen Genre, dem Musical, keinen Erfolg hatte. Dazu stößt im Gegensatz der Film in Frankreich auf Grund des Staraufgebotes auf großes Interesse. Das Auftreten Maurice Chevaliers und seine Botschaft, dem Leben immer mit Lachen zu begegnen, sind dafür Garant. Formal 173 Dr. H.H., Neues Tagblatt, 31.8.1931. 174 Elko, Illustrierte Kronen-Zeitung, 4.9.1931. 175 Pour Vous, 18.6.1931.

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nicht nur mit Worten vermittelt, sondern vor allem durch die Inszenierung von Ernst Lubitsch und die Drehbuchautoren Ernest Vajda und Samson Raphaelson in Form der »mise-en-jeu«, erlangt diese optimistische Weltsicht figuralen Ausdruck. Wenn die verloren gegangene Sentimentalität bei den neuen Interpretationen der Lieder eingeklagt wird, hört man den unterschiedlichen Anspruch zwischen Europa und den USA erneut heraus  : »Bei Parisern versteht man es unausgesprochen, bei Wienern auch, dessen bin ich mir sicher.«176 Bizets Kritik stützt sich auf den Hinweis auf jene Gesten im Film, die den Worten folgen und die zwar vordergründig Gefühle ausdrücken, jedoch keine zusätzliche »Finesse« aufzuweisen haben. Bizet reproduziert die europäischen Erwartungen, ohne jedoch die mögliche Weiterentwicklung der filmischen Darstellung von musikalischen Formen entsprechend mitzureflektieren. Bereits mit Serenade, 1927, nach einem Drehbuch von Ernest Vajda und in der Regie von Harry d’Abbadie d’Arrast, einem französischen Regieemigranten und Mitarbeiter von Charlie Chaplin, wird die Musikform der Operette dem Kinopublikum bekannt gemacht. Da der Autor ähnlich wie Chaplin dem Tonfilm Misstrauen entgegenbringt,177 wird der Film überwiegend in wortlosen Bildern – das heißt ohne Zwischentitel – erzählt, die sich umso stärker im Gedächtnis der zeitgenössischen Rezipientinnen einprägen. Die Erzählung beginnt im »Theater an der Wien«, wo die Operette »Gretchen« mit großem Erfolg aufgeführt wird. Franz Sandór verliebt sich in die erste Tänzerin, obwohl er mit Grete, die ihn zu dieser erfolgreichen Operette inspirierte, verheiratet ist. Als er eines Abends zu spät zur Aufführung kommt, sitzt seine Frau mit einem männlichen Begleiter am Balkon. Nach dem ersten Akt überlässt Franz dem zweiten Dirigenten den weiteren Abend und verfolgt seine Ehefrau, die in der Zwischenzeit einen Fiaker für die Fahrt ins Hotel Schönbrunn ruft. Im Hotel angekommen macht sich Franz in seinem Anzug eines Dirigenten lächerlich. Eifersüchtig sieht er vor dem Hotelzimmer zwei Paar Schuhe stehen. Im Zusammenhang sei an jene wortlose Einstellungsfolge erinnert, in der die von ihrem Ehemann verratene Frau die Eifersucht ihres Mannes anstachelt, indem sie wie zufällig in ihrer gemeinsamen Wohnung Handschuhe, Hut und den Spazierstock eines fremden Mannes liegen lässt, die, wie das Publikum bereits weiß, von ihr am gleichen Morgen gekauft wurden. Andeutungen, Verweise oder Erinnerungen an frühere Einstellungen fordern in dieser Phase des Kinos vom Publikum ein bildliches Gedächtnis, das durch Assoziationen und Vergleiche das Genre, den Sinn und in diesem Falle den Witz fantasievoll zu ent176 Bizet, »Entre Parisiens, on se comprend à demi-voix, entre Viennois aussi, j’en suis sûr«, Pour Vous, 28.1. 1932. 177 Pour Vous, 7.11.1929.

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wickeln weiß.178 Ernst Lubitschs The Marriage Circle gilt als eines der herausragenden Beispiele für diese Art der Aufmerksamkeitslenkung. Der Begriff des bildlichen Gedächtnisses beschreibt mögliche Beziehungen zwischen dem, was der Erzähler sagt/zeigt, und dem, was der Spielcharakter weiß. Im Film können diese erzählperspektivischen Modalitäten über die Ebene der Bilder und deren Montage, später in der Tonfilmära über den Dialog hergestellt und ausgedrückt werden. Das Zeigen von Ereignissen, die in diesem Beispiel der männliche Hauptcharakter nicht kennt, wird zu einem Spiel mit unterschiedlichen Fokalisationen, das heißt mit drei unterschiedlichen Wissensständen  : dem Wissen des Erzählers, jenem der Filmpersonen und jenem der Zuseherin.179 Als dramaturgisches Verfahren werden diese unterschiedlichen Sichtweisen zu einem prägenden Gestaltungsmittel, das als Gegenpol zum bereits alles »besprechenden« Film im kurzen Zeitfenster des Übergangs vom Stummfilm zum Tonfilm besonders detailliert kultiviert wird. Künstlerisch ist es ein Verlust  : die Hauptkraft des Kinos, die visuelle Kunst, liegt im Sehen. Im täglichen Leben arbeiten alle Sinne. Vor der Leinwand konzentriert sich alles (selbst die Seele) auf die Augen. Was soll dabei ein Dialog machen  ?180

»In New York kommt es zu der für das Genre gewohnten Versöhnungsszene. Es wäre nicht Wien, würde diese Szene nicht unter den Klängen des Walzers aus ›Gretchen‹ stattfinden«, schreibt René Bizet.181 Es ist der gemeinsame Walzer der Liebenden, der von den aus dem »Theater an der Wien« herbeigeeilten Musikern intoniert wird. In dieser Szene dialogisiert in ausgeprägter Weise die Musik im Film mit den gehäuft vorkommenden Zwischentiteln. Ein Beispiel dafür sind die Bemerkungen der Musiker, die durch die grafischen Zwischentitel ausgedrückt werden, über die Schönheit einer Frau – es ist Grete – am Balkon. Diese Inserts werden mit einem Violoncello je nach Sinn der Aussage, ironisch oder ernst, und nach Typ der Musiker in jeweils differenzierten Klangfarben, Melodien und Rhythmen gezeichnet. Sie wirken wie die vielstimmigen Bemerkungen der Orchestermusiker. Die Partitur der Begleitmusik im Kino spielt im Detail eine dramaturgisch leitmotivische Rolle, weil sie in Stimmung und Ausdruck für die Zwischentitel eine Erweiterung darstellt. Die unterschiedlichen schriftlich vorgetragenen Meinungen und Überlegungen werden musikalisch illustriert, erhalten ein Eigenleben und beginnen aufeinander zu reagieren. Diese differenzierte musikalische Erweiterung von schriftlichen Inserts 178 Ernst Lubitschs The Marriage Circle gilt als das herausragende Beispiel für diese Art an Aufmerksamkeitslenkung. 179 Gardies, 1993, 107 f. 180 Harry d’Abbadie d’Arrast. 181 Bizet, Pour Vous, 3.1.1929.

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ist im Gegensatz zur musikalischen Stilisierung von Geräuschen selten zu finden. In der zeitgenössischen Aufführungspraxis werden der genaue Einsatz, die Lautstärke und der Verlauf des Musikstückes zu einem inszenatorischen Bestandteil der Spannung zwischen der Filmerzählung auf der Leinwand und der Begleitmusik im Orchestergraben des Kinos, die jeden Abend in der Live-Aufführung erneut abgerufen werden muss. Jede Filmaufführung wird in der Stummfilmzeit zu einem neuen Abenteuer für die Musikakteure und für das Publikum. Die Nähe zu einer Theateraufführung, vor allem zu der reichen Tradition an Operettenerfahrung, ist nicht zu übersehen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass in der Stummfilmzeit Operettenkompositionen als Filmsujet entdeckt werden. Walzer und Zigeunerchor, mit denen der dynamische Prozess von Annäherung, Eifersucht und Versöhnung in einer Liebesbeziehung ausgedrückt werden, verweisen mit musikalischen Klängen das Grundmotiv, verratene Liebe im vorliegenden Falle, in das durch diese Emotionen aufgeladene imaginierte Wien. Komponist und Dirigent als wiederkehrende Berufe und die Frau als Quelle männlicher Inspiration werden in Bildern und durch diegetisch motivierte Begleitmusik erzählt und durch die differenzierten musikalischen Ausdrucksformen aufgebaut, im Besonderen durch das besondere Klang- und Gefühlsvolumen der unterschiedlichen Musikinstrumente, die sich in der Operette bereits bewährt haben. Die Erzählform des 20. Jahrhunderts, Film, verstärkt und modifiziert im Zusammenspiel zwischen Bild und Musik diese bekannten Qualitäten für eine neue Publikumsschicht, die der Kinogeherinnen. Im noch neuen Medium Film werden die langjährigen Musikerfahrungen der erzählenden Kompositionen genützt. Die Stereotypen über Wien werden in dieser Phase der Filmentwicklung verfestigt, in der die Musik als Ergänzung zum Bild immer stärker als gleichberechtigter Partner in den Vordergrund tritt. Trotz oder gerade wegen der Einfachheit der Erzählung lassen sich diese ausgeprägten Charakteristika gut ablesen. Die ersten Jahre der Einführung des Tonfilms sind geprägt von Experimenten mit der Audiospur, die Geräusche, Dialoge und Töne immer detailgetreuer und exakter technisch reproduziert. Mit dieser Erweiterung der Technik werden auch Formen des Tonfilms aktualisiert, die das Genre der Wiener Operette für eine Kinoauswertung interessant machen und an denen auch der jeweilige Entwicklungsstand der Technik gemessen werden kann. In der theoretischen Auseinandersetzung zum Thema Ton kommt es zu einer substanziellen Verfeinerung der Verwendung des Tones, die sich über den Umweg von Adorno und Eisler182 in den Arbeiten Chions183 in differenzierter Weise niederschlägt. Erst mit der technischen Weiterentwicklung der Tonaufzeichnung und Tonwiedergabe, mit Lucas-Ton, Dolby 5.1 etc., werden auch die Feinheiten und Zuordnungen 182 Adorno, Eisler [1944], Komposition für den Film, 1977. 183 Chion, 2003.

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zwischen Bild und Ton sichtbar und hörbar. Parallelen dazu lassen sich im Stummfilm bei der Verwendung von Zwischentiteln und Inserts finden. Bei Filmautoren wie Luis Buñuel, Andrej Tarkowski, David Lynch und John Woo zum Beispiel kommt es erneut wieder zu einem überlegten Umgang mit dem Ton, der über die naturalistische Anwendung von Off-Ton, In- und On-Ton hinausgeht. Der Ton ist in Form von Geräuschen, Dialogen oder Musik gehalten, die Übergänge des Tons können von einer Einstellung zur anderen kontinuierlich oder unterbrochen sein, intensiv oder zurückhaltend das Bild animierend oder illustrierend. Der Ton ist dabei synchron oder asychnron, diegetisch oder nichtdiegetisch bzw. außerdiegetisch eingesetzt. Es sind Fragen, die Michel Chion in seinen Büchern immer wieder stellt. Mit dieser systematischen Übersicht als Hintergrund wird es möglich sein, sich dem Sample dieser Untersuchung zu nähern und eine Neuorientierung in dieser von der Filmgeschichtsschreibung oft vergessenen Epoche und diesem Genre vorzunehmen.

Figuration von Kreativität Ein wiederkehrendes Thema, das eng an die Entwicklung der Tonaufzeichnung angebunden ist bzw. erst durch die neue Technik an Interesse gewann, ist die filmische Figuration musikalischer Kreativität. Neue Stoffe können mit der technischen Reproduzierbarkeit von Ton, der dem Laufbild beigesellt wird, erschlossen werden. So werden Biografien von Musikerpersönlichkeiten nicht nur durch entsprechende Musikzitate vorwiegend in emotionalisierender Weise angereichert, sondern der musikalische Kreativakt wird detailreich durch entsprechende Szenen und »Hörproben«, die das Entstehen der Komposition zeigen, imaginiert und erhellt auch das historische Bild des Künstlers und dessen Stellung in der Gesellschaft. Vier Beispiele können stellvertretend genannt werden, die diachron die Filmgeschichte umschließen. In Alfred Hitchcocks Film Waltzes from Vienna / Wiener Wal­ zer, 1934, erhält Johann Strauß die Idee zum »Donauwalzer« durch den Besuch einer Backstube. Das Sortieren der Backware auf einem Backblech und die rhythmischen gleichmäßigen Rotationen der Teigmaschine lassen ihn die ersten Takte des Walzers erkennen. In The Great Waltz / Der große Walzer, Julien Duvivier, 1938, erhält Schani Strauß die Eingebung für den gleichen Walzer bei der Betrachtung der rhythmischen Arbeitsbewegungen von Wäschermädeln, die an das Ufer des Flusses kommen. Die zeitgenössische Presse, zum Beispiel die »New York Times«, erinnert in differenzierter Weise an die Aufführung. Sie zeigt auch die unterschiedlichen Einschätzungen von Filmstudios. 92

Figuration von Kreativität

Metro, of course, makes the most beautiful bores in the world. They are designed by Cedric Gibbons, gowned by Adrian and have dollarsigns all over them. No other studio in Hollywood can build such ballrooms and fill them with such lovely, lacy ladies. No other studio makes such enchanting beer-gardens, with the moonlight just right and the dance floor perfection. No other studio can make so big a picture out of so small a script. (…) The screen seems not to have learned, after all these years, that voices should be heard, not seen in closeup. Dental work may be good, but it isn’t art.184

In den beiden Beethovenfilmen Un grand amour de Beethoven / Beethovens große Liebe, Abel Gance, 1937, und The Magnificent Rebel / Schicksals-Symphonie, Georg Tressler, 1961, ist eine zunehmende Verarmung in der Bild- und Tonumsetzung in der Produktion aus dem Jahre 1960 gegenüber jener des Jahres 1937 zu bemerken. Das gleiche Thema – der taube Beethoven erkennt die Geräusche der Natur – wird in unterschiedlichen filmsprachlichen Gestaltungsweisen sichtbar. Heißt es über die Taubheit Beethovens in der für die Produktionszeit beliebten omnipotenten Off-Stimme »Die grausame Stille war mit einem Klang durchdrungen« in Schicksals-Symphonie, wird in Beethovens große Liebe das bis dahin entwickelte Repertoire an Bild- und Tonmontagen ausgespielt, um den gleichen Sachverhalt zu vermitteln. Die Stille des Gehörlosen wird beim gemeinsamen Spaziergang mit dem blinden Jungen Stefan durchbrochen. Er erkennt und hört die Melodie der Natur, des Wassers und der Vögel. Durch genaue und klar definierte Großaufnahmen von Geräuschen aus der Natur und in einem Off-Kommentar wird dieses neue Hören-Können glaubhaft gemacht. Wird in Schicksals-Symphonie die Taubheit ausschließlich in Off-Worten suggeriert, wodurch die auktoriale Sprachlosigkeit in der Verwendung filmischer Mittel umso stärker hervortritt, erhält die Krankheit in Un grand amour de Beethoven durch Rhythmus und Montage physische Präsenz. Im Film des Jahres 1937 lässt Abel Gance den Zuschauer physisch an der Leiderfahrung Beethovens teilhaben. Das Ein- und Aussetzen des drehenden Mühlenrades im Bewusstsein Beethovens wird durch den gleichen Effekt, durch das Ein und Aus des Tons, hörbar gemacht. Durch die wiederholte Anwendung wird dieser technische Effekt als bewusst gewählte Vermittlungsform und nicht als mögliches technisches Defizit erkannt. Großaufnahmen des Tons in Form von Vogelgezwitscher, Glockenläuten oder menschlichem Lachen und optische Doppelbelichtungen werden zu Markierungen einer filmischen Sprechweise, die sowohl in der technischen Umsetzung als auch durch die spezifische Künstlerpersönlichkeit von Abel Gance zum Ausdruck kommt. Kurze Einstellungen und Tonmarkierungen wechseln mit zwei von der Einstellungsgröße her identischen Bildern, in denen Beethoven im Vordergrund auf einem Feld steht bzw. auf eine Brücke hinunterblickt. Der Ruhe der beiden Totalen mit der Person Beethovens sind kurze Stakkatoeinstellungen entgegengesetzt. 184 Nuhente, Franz S., The New York Times, 25.11.1938.

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Mögliche bewusst hergestellte Identifikationsvorgaben werden zu einem selbstständigen Wert in der Beurteilung von jenen Filmen, die das Nachempfinden als integralen Teil ästhetischer Ausdruckskraft schätzen. Durch diese qualitativen Diskussionen zu formalen Fragen erweist sich die zeitgenössische Kritik als Mittler und Wegbereiter zwischen Publikum und Filmautoren, die sich durch diese Sensibilisierung des Publikums auf filmische Sprechweisen der Stärken und der zu erwartenden Genauigkeit bei der Anwendung dieser filmischen Mittel immer wieder von Neuem bewusst werden. Mr. Gance’s cameras do, however, assist the score in one heartbreakingly tragic, gloriously exultant sequence. It is that when Beethoven goes deaf and stumbles through a village which has suddenly become a nightmare. A street fiddler is scraping away, the blacksmith is ringing sparks from his anvil, women are chattering at the river bank, birds are singing, a light breeze is laughing through the trees. But it is only mocking pantomime when he draws near, soundless and hateful. Then, back in his mill, he hears the thunder and, shaking a defiant fist at the skies, screams »I will match you  !« and sitting at his organ pours out the throbbing music of his Sixth Symphony, the Pastoral.185

In der konkreten Filmerzählung war allen hier gezeigten kreativen Bemühungen die persönliche Krise des Komponisten vorangegangen, die auf Grund erfolgloser Frauenverehrung entstand, wie Biografen zu berichten wissen. Mit episodenhaften Erzählungen über das Leben berühmter Musiker wird nicht nur dem Klatsch und Tratsch Genüge getan, sondern man reagiert damit auf das latente Interesse des Publikums an Weiterbildung, Information und Unterhaltung und kann gleichzeitig auf den bereits hohen Bekanntheitsgrad des behandelten Sujets zählen, der gewährleistet, dass den Produktionsausgaben kalkulierbare, sichere Einnahmen gegenüberstehen. Am Beispiel dieser Biografien, dieser Biopics, die eine Konstruktion öffentlicher Geschichte darstellen, lässt sich nicht nur aufzeigen, in welcher Weise die psychologische Auslotung eines Musikergenies im Lauf der Zeit einem Wandel unterworfen ist, sondern eine diachrone Betrachtung lässt Aussagen über die jeweilige Zeit zu, in der der Film produziert wird. Persönliche, künstlerische Motivation bei Abel Gance oder die optische Opulenz in Ken Russells Mahler, 1974, lassen sich dabei ebenso gut festmachen wie vorhersehbare Jahrestage oder die Überzeugung der Autoren, mit diesen Biografiefilmen dem Werk und dem Künstler näherzukommen. Dabei beruft man sich oft und gerne auf den jeweiligen zeitgenössischen Forschungsstand über die ausgewählten Persönlichkeiten. Nur zu oft werden filmspezifische Lösungen, die zum Medium Musik komplementäre ästhetische Umsetzungen anbieten wollen, zugunsten einer biografisch orientierten 185 The New York Times, 22.11.1937.

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Sonderform/Weiterentwicklung

Erzählweise, die oftmals von bekannten Musikbeispielen aus dem Schaffen der behandelten Person und von bekannten, für das Schaffen markanten Punkten im Leben der Künstler getragen ist, nicht genügend erkannt und umgesetzt. In den Schnittpunkten von unterschiedlichen Kunstformen – Literatur–Film, Malerei–Film oder Musik–Film – entscheidet sich die Qualität des jeweils vorgelegten Filmes. Wie bei Biografien über Maler, Schriftsteller oder Tänzer wird auch bei denen über Musiker der Filmautor mit jener Aufgabe konfrontiert, deren Lösung oft über die Qualität der künstlerischen Arbeit Auskunft geben kann. Bei allen genannten filmgestalterischen Ausdrucksformen wird das Bild des Filmes die ästhetische Konfrontation mit den vorgegebenen Werken schöpferisch aufnehmen müssen, um dem naheliegenden chronologischen Ablauf der Ereignisse etwas Eigenständiges hinzufügen zu können. Die Namen Ken Russell für Mahler, 1974, und Lisztomania, 1975, Miloš Forman für Amadeus, 1984, stehen für Filme, die auch die Besonderheiten cinematografischer Sprache und filmischer Narration nutzen, dem Musiker als Menschen näherzukommen. In gleicher Weise gilt dies auch für einen Film von István Császár, Csontváry  – Lebensbilder eines Malers, 1980, der einen im deutschsprachigen Raum unbekannten Maler angelehnt an dessen Bilder in interessanten Bildfolgen zu porträtieren weiß.

Sonderform/Weiterentwicklung Eine Sonderform, die aktuelle Ereignisse der Produktionsgegenwart einschließt, auch wenn sie nur in einer Rahmenhandlung ausgedrückt sind, lässt sich in dem Film Adieu Vienne, 1939, Jacques Séverac, auffinden. Zwei 1938 emigrierte Österreicher, eine Sängerin (Lisl Heinzel) und ein begnadeter Erzähler (Gustav Fröhlich), finden sich in einem französischen Kabarett wieder. Unter den Klängen von Straußwalzern wird das Leben dieses Komponisten in Rückblenden erzählt. Interessant ist die Rahmenhandlung aus dem Jahre 1939, die darauf verweist, dass 1938 Menschen aus politischen und rassistischen Gründen Österreich verlassen mussten.

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Frauen und Männer Durch Theaterstücke bewährt – Genese einer Erzählung – Kriegsfront als Attraktion

Obwohl zu Beginn der dreißiger Jahre die infrage kommenden Produktionen nur wenige Spuren in der Filmgeschichtsschreibung hinterlassen, bleiben sie konstituierend für das heutige Bild von Österreich.

Durch Theaterstücke bewährt In den US-Produktionen der Zeit wird nicht nur die Zielgruppe der Immigranten bedient, sondern die Stereotypen zu Wien finden ihre Fortsetzung in neuen Variationen. Die Vernetzung von unglaubwürdigen Verwicklungen für eine bestimmte Publikumsklientel, bei der die Frauen an der Entscheidung, ins Kino zu gehen, einen großen Anteil haben, und von ebenso wirklichkeitsfremden Modellvorstellungen über eine Stadt bringen nachwirkende Images hervor, die auf Grund mangelnder Selbsterfahrung ein tief gefühltes Echo hinterlassen. Ein erfolgreicher Wiener Banker, Baron Thomas von Ulrich, erliegt dem Charme einer Stenotypistin in Beauty and the Boss, der 1932 als US-Produktion in die Kinos kommt. Ladislas Fodors Theatervorlage »A templom egere« wird, durch Felix Salten bearbeitet, auch im deutschsprachigen Raum, unter dem Titel Arm wie eine Kirchenmaus produziert, ein Film, in dem SchauspielerInnen wie Grete Mosheim, Hans Thimig oder Fritz Grünbaum mitspielen. Die Praxis von eingefügten Liedern, wie »Arm wie eine Kirchenmaus« als Slowfox und »Ich bin immer am Schreibtisch gesessen«, irritiert die »Deutsche Filmzeitung«  : Trotz der »liebevollen Verherrlichung des Arbeitswillens im Proletariat« wird das Singen, »das recht unvermittelt dem naturalistischem Stil aufgepfropft wird«,186 als Anleihe an die Operette im Film abgelehnt. In dieser Erzählung scheinen alle jene Attribute einer erfolgreichen Gesellschaftskomödie auf, die Siegfried Kracauer bereits in seiner Untersuchung zu den Filmen der Weimarer Republik feststellen kann  : Kein Kitsch kann erfunden werden, den das Leben nicht überträfe. (…) Filmkolportage und Leben entsprechen einander gewöhnlich, weil die Tippmamsells sich nach den Vorbildern 186 Deutsche Filmzeitung, 27.11.1931.

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auf der Leinwand modeln  ; vielleicht sind aber die erlogensten Vorbilder aus dem Leben gestohlen.187

Unkritisch affirmiert auch The Woman from Monte Carlo, 1932, der Stereotyp von Wien, indem er zusätzlich zu einem der dramaturgischen Schlüssel der Erzählung wird. Wenn Deanna (Lil Dagover) am Ende der Erzählung nach Wien zurückkehrt, um dort über ihr Leben als »gefallene« Frau nachzudenken, hat sie einen Beschuss des Schiffes »La Fayette« erlebt, das ihr Ehegatte kommandierte und das nach einem feindlichen Angriff gesunken ist. Als blinde Passagierin versteckt auf diesem Schiff, kann sie jedoch später vor dem Kriegsgericht aussagen, vor das ihr Mann gestellt wird. Deanna kann zu wenig auf ihre Reputation verweisen, da sie aus Wien kommt, der Stadt der Leichtlebigkeit und der schönen Frauen. Ähnlich mehrdeutig werden in Tomorrow and Tomorrow, 1932, zwar die medizinischen und psychologischen Fertigkeiten aus Wien gerühmt, um Eve Redman (Ruth Chatterton) und ihrem Gatten Gail (Robert Ames) Nachwuchs zu ermöglichen, aber gleichzeitig die ärztliche Methode in Misskredit gebracht. In den Gesprächssitzungen eröffnet Eve ihrem Wiener Psychologen, Dr. Michael Faber (seiner Behandlungsmethode nach eher als Psychotherapeut zu bezeichnen, diesen Begriff gab es in den dreißiger Jahren jedoch noch nicht), dass sie ihr schönstes romantisches Erlebnis mit sechzehn Jahren unter Lorbeerbäumen hatte. Die vertrauten Gespräche zwischen Eve und Michael führen dazu, dass sie, Patientin und Psychologe, sich unter Lorbeerbäumen lieben. Im Glauben, es sei sein Sohn, der neun Monate später geboren wird, ist ihr Gatte mit dem Baby Christian glücklich. Als sieben Jahre später Christian vom Pferd fällt, wird Dr. Faber gerufen, pflegt Christian und bittet Eve, mit Christian zu ihm nach Chicago zu kommen. Im Wissen, dass sie mit dieser Entscheidung ihren Mann Gail zerstören würde, bleibt sie zurück, während sich Christian und sein vermeintlicher Vater zum Abschied umarmen. Ähnlich wie in Tomorrow and Tomorrow wird in Alias the Doctor, 1932, vom exilierten Michael Curtiz, die Wiener Medizinische Schule negativ gezeichnet. Als Anna, Freundin von Stefan, schwanger wird, übernimmt Karl als Medizinstudent die Abtreibung, wobei es zu Komplikation kommt. Als Stefan stirbt, schlüpft Karl in dessen Identität, um schließlich aus Liebe zu Lottie, seiner Halbschwester, auf das Land zurückzukehren. Sind es zuerst sexuelle Kontakte mit einer Patientin, ist es in diesem Beispiel die illegale Durchführung einer Abtreibung, die das positive Bild des Arztes verändert. Dem Verwertungsselbstverständnis der Zeit entsprechend werden eine englische, eine französische und eine deutsche Version, mit jeweils muttersprachlichen Schauspielerinnen, erstellt. In der englischen Fassung sind es Richard Barthelmess als Karl 187 Kracauer [1927], »Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino«, 1992.

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Müller, der das Landleben und seine Pflegeschwester Lottie (Marian Marsh) liebt, und Norman Foster als sein Stiefbruder Stefan, die nach Wien zum Studium der Medizin gehen. In der französischen Fassung sind Simone Genevois (Lottie), Jean Marchat (Dr. Karl Brenner), der 1945 in Robert Bressons Les Dames du bois de Boulogne spielen wird, und Maurice Rémy (Stéphan Brenner) zu sehen. Basierend auf einem Theaterstück von Ladislas Fodor, »Ekszerrablás a Váci-uccában«, 1931 unter dem Titel »Jewel Robbery« in New York uraufgeführt, kommt die gleichnamige Verfilmung, durch William Dieterle realisiert, Mitte 1932 in die Kinos. Diese »Kriminalromanze« erzählt von der gelangweilten Wiener Baronin Teri, die sich von einen charmanten Dieb angezogen fühlt, den sie bei einem Überfall auf ein Juweliergeschäft in der Kärtnerstraße in Wien kennenlernt. Sie – und damit indirekt das Publikum im Kino – sammelt Erfahrungen mit dem Rauchen von Marihuana, das ihr von ihm während des Überfalls angeboten wird. Er schlägt vor, gemeinsam nach Nizza zu fliehen. Der Film stellt eine neue Variante des Kriminalfilms dar, indem er anstelle von »stick ’em up and shoot ’em down« eine gewaltlose Möglichkeit eines Überfalls zeigt. Als der Film 1934 in Wien unter dem Titel Juwelenraub in der Kärtnerstraße in die Kinos kam, war die Theatervorlage bereits bekannt. Das »Neue Wiener Tagblatt« spricht von einem Geschmackswandel, (…) und man hat für Damen, die ihr Leben nur mit Stimulantien wie Liebesabenteuern mit Räubern inhaltsreich gestalten können, nicht viel übrig. (…) Um den Film als vollständige Belanglosigkeit zu übergehen, dazu hat er zuviel Witz, um ihn aber irgendwie voll zu nehmen, dazu fehlt ihm selbst das Mindestmaß an Charakter, das man auch bei ganz harmlosen Lustspielen voraussetzen darf.188

Dagegen liest man im »Neuen Wiener Journal«, dass der Film »heiter und pikant, ja zuweilen sogar frivol« ist, »(…) überschreitet jedoch nie die Grenze des guten Geschmacks, was nicht zum wenigsten den kultivierten Übersetzungstiteln des Films zu danken ist.«189 Ende Dezember 1934 wird Österreich bereits durch das Dollfußregime regiert, dessen Moralvorstellungen wenig kompatibel mit dieser Filmerzählung zu sein scheinen. Der Film kommt im Verleih der Kiba heraus, einer sozialdemokratischen Kinobetriebsund Verleihorganisation, die zu dieser Zeit bereits von Vertretern der »Vaterländischen Front«190 übernommen worden ist. Bemerkenswert ist auch, dass der Film in Original188 Neues Wiener Tagblatt, 11.12.1934. 189 Neues Wiener Journal, 12.12.1934. 190 Die Vaterländische Front, eine politische Sammelbewegung, wurde am 21. Mai 1933 von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß gegründet.

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fassung mit deutschen Untertitelungen präsentiert wird. Dass das Wien-Bild, das hier vermittelt wird, so wenig mit dem Bild von Österreich, das nach außen getragen werden soll, übereinstimmt, beeinträchtigt noch nicht die Auswertung des Filmes in Form von Zensur. Mit den psychischen Folgen des Ersten Weltkriegs beschäftigt sich As You Desire Me nach dem Stück »Come tu mi vuoi« von Luigi Pirandello (1930). Zara (Greta Garbo), Erotiksängerin in einem Budapester Nachklub, wird von Tony, einem Gast, als Maria, die im Krieg vermisste Frau seines Freundes, erkannt. Mit einem großen Staraufgebot  : Neben Greta Garbo spielen Erich von Stroheim (ihr Lebensgefährte Karl Salter) und Melvyn Douglas (Graf Bruno Varelli, Tonys Freund). In intensiven Gesprächen werden Erinnerungen aufgefrischt, ein Bildnis wird zum Ausgangspunkt für eine mögliche gemeinsame Vergangenheit herangezogen. Der Film wird zu einem einer der ersten Beispiele im Tonfilm für die Darstellung einer gespaltenen Persönlichkeit. Basierend auf einer Originalstory von John Gilbert, der die Idee zur Geschichte für einen Dollar an MGM verkauft hat, wird Downstairs zu einem Filmstück, wie Daney anlässlich einer Ausstrahlung in FR 3 schreibt, »wie Stroheim, aber ohne ihn«191 auf Wunsch des Produzenten Thalberg. Damit wird auf die Atmosphäre der Erzählung verwiesen, die sich in der Nähe von Wien auf dem Gut des Baron Burgen abspielt  : Der neue Butler Karl (John Gilbert) verführt das weibliche Personal und stellt sich mit der Herrschaft gut. Nach seiner Entlassung arbeitet er schon bald wieder als Chauffeur einer neuen Madame. Der Film wirkt durch Andeutungen nächtlicher Eskapaden innerhalb der Dienerschaft erotisch aufgeladen. Damit steht er stellvertretend für eine Produktion vor der Einführung des Hays Codes. Über das geistige Klima, in dem dieser Film entstand, schreibt Daney  : Die Bearbeitung hat nichtsdestotrotz den kargen Charme der Anfänge des sprechenden Films. 1932 vergießt man noch nicht Hektoliter von Musik in den Filmen, man hört Radio, die Stimmen, die »Surprises de la TSF«. 1932 breitet man soziale Fresken wie bei Griffith oder mondäne Schauspieler wie bei de Mille aus.192

Für ihn ist der Film eine Skizze, ein Versuch, der über die »Fabrik der Träume« – in diesem Falle über die »Fabrik« des Produzenten Thalberg193  – Auskunft geben kann, über den Jean-Luc Godard in seinen »Histoire(s) du cinéma« schreibt, um das Denken in Bildern in den dreißiger Jahren nachvollziehbar zu machen  : »Irving Thalberg war 191 »[À] la Stroheim mais sans Stroheim«, Daney, 1988. 192 Ebenda  : »L’ébauche, néanmoins, a le charme (austère) des débuts du parlant. En 1932, on ne déverse pas encore des hectolitres de musique dans les films, on écoute la radio, les voix, les ›surprises de la TSF‹. En 1932, on élingue des fresques sociales à la Griffith ou des comédiens mondaines à la de Mille.« 193 Godard, Histoire(s) du cinéma, 1998.

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der Einzige, der täglich 52 Filme reflektierte, (…)« – und Godard setzt diesem einen Fernsehdirektor entgegen, der »an maximal 200 Filme pro Jahr denkt.«194

Genese einer Erzählung Eine Prostituierte verbringt mit einem zum Tode Verurteilten dessen letzte Nacht. Von allen geächtet, stirbt sie auf der Straße im Schnee. Die Geschichte von Tonka Sibenice, die vor dem himmlischen Gericht ihre Geschichte erzählt, einem zum Tode verurteilten Mädchenmörder den letzten Wunsch nach einem Liebesdienst erfüllt zu haben – deshalb wird sie von ihrer Umgebung mit dem Namen »Tonka Sibenice« (Galgentoni) belegt  – existiert neben der Dramatisierung in fünf Prosafassungen und lieferte den Stoff für diesen ersten tschechoslowakischen Tonfilm. Die Bearbeitungsgeschichte des Theaterstücks »Die Himmelfahrt der Tonka Sibenice«, einer alten Prager Legende, durch Egon Erwin Kisch mehrfach variiert, beginnt mit der sogenannten Berliner Fassung, 1924. Das Stück verwandelt sich in ein Dramolett und kehrt mit dem Titel »Marktplatz der Sensationen« als Reportage zurück, die in den Prager Cafés ihren Ausgang nimmt und im Himmel endet. »Der Sammelplatz der Seelen« und »Im Fegefeuer« heißen die Handlungsorte der Vorlage aus dem Jahre 1926, die die Grundlage des Filmdrehbuches wird, das der einflussreiche Berliner Filmkritiker Willy Haas gemeinsam mit Benno Vigny schreibt. Eduard Hösch, der für die Kamera verantwortlich zeichnet, ist zur damaligen Zeit bereits im österreichschen Film beheimatet. Ita Rina, die im selben Jahr in Erotikon ebenfalls die Hauptrolle spielt, wird zur Prostituierten Tonitschka im Prag des Jahres 1892. Die genaue Datumsangabe lässt sich aus dem Theaterstück entnehmen. Im Film wird diese Zeitangabe durch die vier Jahreszeiten und durch religiöse Festtage, die am Land gefeiert werden, noch genauer festgelegt, und es kann zum Beispiel die Dauer des Aufenthaltes von Tonitschka zu Hause bei ihrer Mutter nachvollzogen werden. Gleichzeitig wird damit auch die unterschiedliche Wahrnehmung von Zeit am Land, die vom Rhythmus der Festtage bestimmt wird, dem Stadtleben und dessen Zeiterfahrung, die durch die nächtlichen Barbesuche strukturiert wird, unausgesprochen sinnlich gegenübergestellt. Kischs erste Theaterproduktion mit dem Untertitel »Eine sehr Prager Legende in drei Bildern« hat am 22. Oktober 1921 in der tschechischen »Revolutionären Bühne«, wie bei fast allen Prager Kisch-Aufführungen unter der Regie von Emil Artur Longen, Premiere. Die Hauptrolle spielt Longens Frau Xena Longenová, ein weiblicher Bühnenstar jener Zeit in Prag. 194 »Irving Thalberg a été le seul qui chaque jour pensait cinquante deux films, ›pense au maximum deux cents films par an‹«.Godard, 1998, 28.

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Auf den ersten Blick fällt bei den vier ausgewählten Einstellungen auf, dass mit starken Licht- und Schattenwirkungen und auf diese hin gearbeitet wird. Die Einstellungsfolge dauert zwei Minuten. Diese Licht- und Schattenkomposition kennt man aus zeitgleichen Filmen wie M  – Eine Stadt sucht einen Mörder. In der ersten Einstellung (1) bedeckt im Verlauf der Einstellung immer stärker der Schatten des zum Tode verurteilten Mörders Prokupek das verängstigte Mädchen. Die nachfolgende Einstellungsfolge (2–4) unterstreicht jenen dramatischen Gestus, der hier spürbar wird, und zeigt die Änderung durch das entsprechende Medium, das vom Ausdruck in Form des Theatermonologs zum Zeigen mit Licht und Schatten wechselt. Zwischen der literarischen Vorlage und dem vorliegenden Film ändert sich ebenso der entsprechende moralische Impetus. Die Kritik an der gesetzgebenden Institution in der Person des Gerichtspräsidenten verliert sich im Film ebenso wie die Frage, ob sie sich dem Mörder auch körperlich zur Verfügung gestellt hat, da ohne markierte Zeitellipse, wie es sonst vor allem in den USProduktionen der Zeit üblich war, in der Einheit der Zeit weitererzählt wird. Im Theatertext erzählt Tonitschka dem Präsidenten des himmlischen Obersten Gerichtshofes ihre Begegnung mit dem Mädchenmörder in der Zelle  : Sein Bild hab ich schon aus dem Kurýr gekannt, das hab ich Ihnen, glaub ich, schon erzählt. Aber er war noch viel ähnlicher als auf der Fotografie. (…) Sie macht einen langen Zug aus der Flasche. Wie ich ihn gesehen hab, hab ich mir gedacht, wenn ich nur schon wieder draußen wäre. (…) Ich weiß, was ich meinem Beruf schuldig bin. Ich hab ihm also gleich gesagt  : »Ihr Bild habe ich schon im Kurýr gesehen, hat mir gleich gefallen, deshalb bin ich gekommen«. Da hat er mir etwas ganz Ordinäres gesagt, ich soll ihn am …195

Ihre Schilderung vor dem himmlischen Gerichtshof ist im Gegensatz zum Film von Selbstreflexionen geprägt. Sie unterscheidet in einer Art Selbstgespräch zwischen ihren Gefühlen und ihrem Tun, wodurch die Frau in ihrer Suche nach Moral, Gefühl und Verantwortung vielschichtig der Zuschauerin gegenübertritt, während im Film die Suche des Mörders nach der Mutter und Tonitschkas Selbstmitleid mit ihrer eigenen Situation ins Zentrum der Handlung gerückt werden. Einwänden des Präsidenten begegnet sie mit selbstironischen Bemerkungen und bringt dadurch hörbar ihre unentschiedene, zwischen Gut und Böse, zwischen Unten und Oben angesiedelte Gefühlswelt ein.

195 Kisch, »Die Himmelfahrt der Galgentoni«, Marktplatz der Sensationen, 1997, 183 ff.

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In der filmischen Umsetzung wird diese erste Begegnung in der Zelle mit dem auf sie zukommenden übergroßen Schatten als angsterfüllt dargestellt. Der immer größer werdende Schatten, der sie immer mehr bedeckt, dominiert das Bild und damit die Gefühlswelt der Dargestellten und die des Zuschauers. Es fehlt in dieser Darstellung, wie im gesamten Film, die selbstironische, abgeklärte Sichtweise auf ihre Entscheidung, in die Zelle des Todeskandidaten zu gehen. Nach einer halben Stunde sagt er zu mir  : »Jetzt kannst du gehen.« Ich war sehr froh, ich hab ja so eine Angst gehabt, er wird mich vielleicht auch erwürgen, wie die drei Mädeln, aber wie ich ihm die Hand geben will, hat er mir plötzlich leid getan. Ich hab mir gedacht, morgen holt ihn der Wohlschläger … (…) und da hab ich zu ihm gesagt  : »Ich möchte gern noch ein bisschen bleiben.« Es hat ihn doch sehr gefreut, das hab ich schon gemerkt.

Diese emotionale Annäherung erfolgt im Film über eine differenzierte Einstellungsfolge, der Mörder sagt, als er die ängstliche Tonitschka sieht  : »Ich wollte eine Frau«. Um ihre Angst zu überwinden, fragt sie ihn nach seiner Mutter (Einstellung 2), und er antwortet, er habe niemanden. Sie nimmt einen Tanzbären aus ihrer Tasche, mit dem sie bis zum Morgengrauen spielen (3 + 4). Dabei trocknet sie ihm seine Tränen. Er möchte ihr Taschentuch behalten. Der Vorteil filmischer Erzählung wird hier in sensiblen Bildern sichtbar, die die Annäherung der beiden Menschen in wenigen, kurzen Einstellungen zu erzählen wissen. Nichts bleibt jedoch in der Filmfassung von der satirischen Note des Monologs im Himmel über. Wird im Stück der mögliche Beischlaf mit dem Mörder noch mit »Nach einer halben Stunde …« intendiert, lassen die Einstellungsfolgen des Filmes, die eine durchgehende Einheit von Zeit und Handlung suggerieren, keinen Zweifel, dass Tonitschka sich sofort ohne sexuelle Annäherung zu einem Mutterersatz für den Mörder wandelt. Der sentimentale soziale Gestus, der sich im männlichen Wunschbild von der Frau als Hure und Mutter in einer Person ausdrückt, wird gegenüber dem Theaterstück verstärkt. Die Tendenz, einer Prostituierten mit Mitleid zu begegnen, scheint in Filmen der Zeit ein allgemeingültiges Grundmotiv zu sein. In Kenntnis ähnlicher Sujets der Zeit kann verallgemeinert von der Opferrolle der Frau und deren Darstellung im Film gesprochen werden – deren Lösung jedoch in unterschiedlicher Weise ausfallen kann. Französische Kritiken sehen überwiegend ein gelungenes Werk. Der Traum am Ende des Filmes, nachdem Tonitschka von einem Wagen überfahren worden ist, weckt die Aufmerksamkeit des Autors René Girard  ; er sieht diese Einstellungsfolge, die zwischen Detailtreue und Irrealität oszilliert, als »cinéma poétique« an  : Sie träumt, dass Jean sie in das Dorf zurückbringt. Sie sieht den kleinen Zug ihrer Heimat, der das leere Land quert und die Waggons sind leer  ; das Elternhaus ist beflaggt, und Jean und sie sind dort alleine. In dieser Vision gibt es eine Mischung aus exakter Erinne102

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rung und von einer Irrealität im Detail, die daraus Fantastisches macht. Das ist poetisches ­Kino.196

»Vom literarischen zum filmischen Text« ist jene Kurzformel, die Fragen nach dem Hyper- und Architext197 stellen lässt und zu Überlegungen einer gelungenen Transmodalität führen kann. Es sind Begriffe, von denen Modellvorstellungen entwickelt werden können, um die Vielzahl der Erscheinungsformen von Adaptionsarbeiten näher untersuchen zu können. Vor allem das Medium Film bedient sich oft und gerne der schriftlichen literarischen Vorlage  ; sei es als Theaterstück, als Novelle oder Roman. Ökonomische Gründe, die vorab eine Einschätzung möglicher Verwertungschancen versprechen, sind für die Auswahl von Texten für die Filmproduktionen relevant. Entweder mit dem gemeinsamen Kind alleingelassen (wie in Marie, eine ungarische Legende), von einem lebensschwachen Mann abhängig (in The Case of Lena Smith) oder die beschworene »ewige« Liebe wird durch gesellschaftliche Konventionen verunmöglicht (in Liebelei und in Flesh and the Devil / Es war) – die Frauen finden ihren Tod – freiwillig oder unfreiwillig – am Ende des Filmes. Sternbergs The Case of Lena Smith wird auf Grund seines Schlusses zu einer Ausnahme. Nicht sie, sondern ihr Sohn Franz wird Opfer der Verhältnisse. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs macht ihre Mühen um ihr Kind zunichte, da es zum Militärdienst eingezogen wird. Obwohl The Case of Lena Smith oder Flesh and the Devil in den USA realisiert wurden, gehören sie zur Kultur Mitteleuropas und verweisen auf ein gemeinsames gesellschaftliches Denkmodell, in dem die Frauen nicht nur als Mutter oder Hure, sondern auch als Opfer der bestehenden Ordnung, einer männlichen Ordnung, gedacht werden. In der Verbindung mit Moralvorstellungen, die wie in Tonitschka die Sexualität ausblenden, verändert sich die aktive, selbstbestimmte Haltung Tonitschkas aus der literarischen Vorlage im Film zu einer individuellen sozialen Kolportagegeschichte. Hauptthema wird der Widerspruch zwischen Dorf und Stadt. Dem Glück im Dorf, in der Person der Mutter und ihres dörflichen Verehrers, steht in der Stadt das »Unglück« gegenüber, Herz und Mitleid gezeigt zu haben. Demgegenüber verallgemeinert der Autor Egon Erwin Kisch in einer episierenden Öffnung der Handlung durch eine zusätzliche Beschreibung der Caféhausszene und der Gäste des Cafés in seiner Fassung aus 1928 das Schicksal Tonkas (Tonitschkas Rufname) als Reportage, indem als paratextliche Verwendung Dr. Ungers Schicksal aus dem Theaterstück »Bataillon« vorangestellt ist. Kisch kehrt aber zur Schilderung des 196 »(…) elle rêve que Jean la ramène au village. Elle voit le petit train de son pays qui passe à travers des champs déserts et les wagons sont vides  ; la maison maternelle est pavoisée, et Jean et elle y sont seuls. Il y a, dans cette vision, un mélange d’exactitude dans le souvenir et d’irréalité dans le détail qui en fait du fantastique pur. C’est du cinéma poétique.« Girard, Cinémonde 85, 5.6.1930. 197 Genette, Palimpsestes. La littérature au second degré, 1982, 7–73.

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himmlischen Verhörs zurück und unterstreicht mit »Mehr und mehr hat sich die Toni in die Wut hinein gelebt« den Seelenzustand der Frau während ihrer Schilderung der Ereignisse. Ihre Sprechweise, geprägt von umgangssprachlichen Ausdrücken und Sinnverdrehungen von Worten, ihre anzüglichen Bemerkungen – »Herr Rat, wie Sie ja wissen«, wenn sie aus dem Puff berichtet  – oder ihre Liebe zum Grammophon und zu ihrem blauen Empirekleid, das »so gut zu ihren Augen passt«, profilieren für das Publikum die Person. Ihre Glücksvorstellung, in ebendiesem blauen Kleid mit dem blonden Willy zu tanzen, wird im Film zu einem tontechnischen Höhepunkt gestaltet, wenn sie beginnt, das Lied »Das Glück« zu singen. Die Frage stellt sich unweigerlich, ob das Massenmedium Film die am Beispiel skizzierte Veränderung von Personen, Charakteren und Accessoires gegenüber der literarischen Vorlage herausfordert und ob zwingend die Eigengesetzlichkeit des Marktes, des Geschmacks und der Mentalitäten eines breiten Publikums die tendenziell vorhandenen melodramatischen Akzente verstärkt. Das Motiv des »Freudenhauses« als Lebensschulung begegnet uns wiederholt in der deutschsprachigen Literatur des Jahrhundertwechsels  : So sei an Franz Werfels »Das Trauerhaus«198 oder an den Schluss von Hugo Bettauers Roman »Die freudlose Gasse«199 erinnert  : Grete  : »Und doch, ich werde die hässliche, freudlose Melchiorgasse nie vergessen  ! Not, Elend, Gemeinheit, Mord und düstere Verbrechen birgt sie in sich, und doch auch Menschlichkeit und Liebe  ! Sie ist mir zum Symbol geworden für eine ganze Stadt, die ganze Welt und das ganze Leben  !«

Die Metapher, das Bordell »als Symbol für die Stadt, die ganze Welt« zu sehen, wird in den Filmproduktionen der siebziger Jahre neu aufgegriffen, wenn in Strah / Angst, 1974, und in Egy erkölcsös éjszaka / Eine moralische Nacht, 1977, ein Bordell zum Inbegriff des Niederganges der Monarchie wird oder wenn der Mayerlingmythos als erotisches Spiel in Vizi privati, pubbliche virtù, 1976, dargestellt wird. Egon Erwin Kischs Beschreibung des Cafés »Bataillon« in der Fassung aus dem Jahre 1928 als Einstimmung auf Tonitschkas Himmelfahrt erinnert an eine zweite Geschichte aus Prag, die zweimal, 1927 als Stummfilm und 1937 als Tonfilm, mit dem Titel Batalión verfilmt wurde  : In der Kaschemme »Bataillon« gibt es keine Teller, nur Mulden, die in den Tischen eingeschnitten sind. (…) Hier bezog Doktor Unger, Universitätsdozent für Staatsrecht und Abgeordneter des Landtags, seinen permanenten Aufenthalt, als er erfuhr, dass seine Frau Orgien mit seinen Kollegen feierte (…). 198 Werfel, »Das Trauerhaus«, 1933. 199 Bettauer, Die freudlose Gasse, Wien, 1924.

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Kriegsfront als Attraktion Mit der englischsprachigen Version von Berge in Flammen, Luis Trenker, als The Doo­ med Battalion wird 1932 das Genre des Bergfilms, der in diesem Falle während des Ersten Weltkriegs an der österreichisch-italienischen Grenze angesiedelt ist, in die USA exportiert. Der Film wird zu einem der ersten Beispiele für die Übernahme europäischer Themen für ein amerikanisches Publikum, das sich für die Bilder des Kameramannes Sepp Allgeier begeistern konnte. Eine »wide-screen«-Projektion macht »among the most impressive photographic effects ever caught by a film camera«200 mit Skifahrten und Bergstillleben bekannt. Der Hintergrund, die Tiroler Alpen, wird zum Inbegriff österreichischer Naturschönheit. Mit nur wenigen Dialogpassagen – »the best part is the scenery«201 – erzählt der Film die durch den Krieg unterbrochene Freundschaft zwischen einem italienischen und einem österreichischen Bergsteiger. Trotz Beibehaltung der italienischen und deutschsprachigen Akzente  – »the talk is clear«202, damit wurde am Beginn der Tontechnik auf die technisch einwandfreien Tonaufnahmen verwiesen  – wird dieser Film euphorisch als »man’s picture«, ein Film für Männer, begrüßt. Er hat zusätzlich den Vorteil, »that the Tyrolian mountain scences on the ice-clad Austro-Italian frontier shape up visually as good hot weather atmosphere.«203 Die Kämpfe tragen zum Mythos der Alpen bei. Filme über die Dolomitenfront wie Maciste alpino, 1916, oder Berge in Flammen, 1931, werden zum Kinohit, Schützengräben nach dem Krieg zur Sehenswürdigkeit. Mit diesen Worten bewirbt das Südtiroler Landesmuseum den Besuch seiner Dauerausstellung. für Tourismus für sein Museum.204

200 Motion Picture Herald, 18.6.1932. 201 Harrison’s Reports, 16.6.1932. 202 Ebenda. 203 Variety, 14.6.1932. 204 www.touriseum.it (eingesehen am 23.1.2015).

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Das Jahr 1933 »Old-fashioned« – Zum Begriff »mise-en-abyme« – Genrevielfalt – Europäisches und US-amerikanisches Filmverständnis

Auch im Jahre 1933 fügt sich ein Bild zu Österreich durch mehr als zehn Filme. Rein theoretisch hätte die »ideale« Kinozuschauerin, deren Freizeitvergnügen es gewesen sein könnte, sich Filme zu Österreich auszuwählen oder Bilder und Geschichten über ihre Heimat – wenn sie Immigrantin wäre – im täglichen Kinoprogramm zu suchen, alle sechs Wochen Gelegenheit dazu  : um in Erinnerungen zu schwelgen oder ihren neuen Freund oder ihre neue Freundin mit ihren persönlichen Erinnerungen vertraut zu machen.

»Old-fashioned« Basierend auf »Die Fledermaus« verfilmt Wilhelm Thiele in England diese bekannte Operette unter dem Titel Waltz Time, die zusammen mit Bitter Sweet eine filmische Belebung und gleichzeitig den Abschluss dieses Filmgenres werden wird, obwohl es mit Bitter Sweet, 1940, bei der Produktionsfirma MGM noch zu einem Remake kommt, das endgültig den Übergang zur Form des Musicals markiert. Zwei Begriffe beherrschen die Filmkritik des Jahres 1933, sobald über Filme wie Bitter Sweet berichtet wird  : Sie werden als »old-fashioned« und »slow-moving« abgetan. Mit »old-fashioned« bezieht man sich auf die die Geschichte bestimmenden Charaktere und auf die zeitlich und räumlich bevorzugten Topoi, während mit »slow-moving« das Verhältnis zwischen der Erzählzeit und den dargestellten Konflikten und deren Umsetzung berücksichtigt wird. Wenn darüber hinaus bemerkt wird, die Qualität sei »für einen britischen Film gut«, wie bei Bitter Sweet, kommen auch wieder jene Vorurteile zum Vorschein, die die damalige US-amerikanische Kritik gegenüber europäischen Produktionen bestimmen. Die Erzählung beginnt in beiden Versionen als Rahmenhandlung in der Gegenwart – im Jahre 1933. Dolly, die Ehegattin eines erfolgreichen Geschäftsmannes, ist in einen Jazzmusiker verliebt. Eine alte Dame, Sarah Millick, sieht die beiden Verliebten und beginnt aus ihrem eigenen Leben zu erzählen.

Zum Begriff »mise-en-abyme« Was auf der narrativen Ebene als Prolog ausgebreitet wird, wird als Reproduktion des Sujets innerhalb der Erzählung, als »mise-en-abyme« bezeichnet. Erzähltechnisch stellt 106

Genrevielfalt

diese Anfangsepisode ein »mise-en-abyme« in Form einer Rahmenhandlung dar, wodurch ein möglicher Interpretationsrahmen für die nachfolgende Erzählung angeboten werden kann. Diese Definition geht auf André Gide zurück, der ursprünglich diesen Begriff aus der Heraldik für bestimmte literarische Erzählkonstruktionen eingeführt hat. Entsprechende Varianten sind in Ergänzung zum literarischen Text mit den Mitteln des Filmes sowohl auf der sprachlichen Ebene als auch in der Variation von Bildeinstellungen, Geräuschen und Musiken möglich.

Genrevielfalt Die Exposition bei Bitter Sweet scheint eine Konzession an das zeitgenössische internationale Publikum zu sein, das nicht mehr an Duellen und Musiken der Operettenzeit interessiert ist, sondern Erzählungen aus der Gegenwart erwartet. Sarah, die mit einem Mann verlobt war, erzählt von ihrer gleichzeitigen unglücklichen Liebe zu einem armen Musiker, die fünfzig Jahre zuvor ihr Leben bestimmte. Ihre Entscheidung, einen der beiden Männer zu wählen, nimmt ihr ein Duell zwischen ihrem Verlobten und ihrem Geliebten ab, bei dem der Letztere getötet wird. Am Ende der Filmerzählung in die Gegenwart zurückgekehrt, entscheidet sich Dolly auf Grund der Erfahrungen aus der Erzählung für den armen Jazzmusiker, während Sarah jene Worte singt, die ihr Geliebter vor seinem Tod an sie gerichtet hat und die sie für immer in ihrem Herzen wach hält  : »I shall love you till I die, goodbye.« Neben weiteren fünf Liedern wird dieses zu einem, das eine »(…) pretentious music and scarcely the sort of pop jingles that captivate the mob, as in ›42nd Street‹ for instance«205 ist. Auch die filmische Ausführung sei »first rate«, aber »Photography is good in close-ups and middle distance shots, but the mass views are flat. One bit of panning was terrible, camera moving with an annoying quiver.« Die jeweilige Qualität der Aufnahme wird in gesonderter Weise kritisch betrachtet. Damit wird diese differenzierte Kritik Zeugnis für die damals übliche detaillierte Auseinandersetzung mit den jeweils anlaufenden Filmen. Sie steht aber gleichzeitig exemplarisch für die übereinstimmenden Pressestimmen in den USA, in denen der musikalische Teil hervorgehoben und die Kameraarbeit kritisiert wird. Legen die US-Kritiken ihr Augenmerk auf die unterschiedlichen filmischen Aspekte, Schauspielführung, Tonund Bildwiedergabe, ist die österreichische Filmkritik bei den genannten Filmbeispielen eher auf die Authentizität der Bilder von Wien bzw. Österreich ausgerichtet und vernachlässigt die Bewertung der filmsprachlichen Ausdrucksweisen. Eine Variante zur deutschsprachigen Produktion Arm wie eine Kirchenmaus, die als »Angestelltenkomödie« bezeichnet wird,206stellt Yes, Mr. Brown dar, in dem es zu einem 205 Variety, 30.8.1933. 206 Kracauer [1927], 156–171.

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Das Jahr 1933

Tausch von Identitäten kommt. Die Sekretärin Anne gibt sich als Ehegattin des Wiener Geschäftsführers aus, um schließlich die Frau vom amerikanischen Geschäftspartner Mr. Brown zu werden, der in Österreich ein Spielzeuggeschäft besitzt. Drei Lieder – »If You Would Learn to Live«, »Leave a Little for Me« und »Yes, Mr. Brown«, die nicht nur das inhaltliche Programm der Theatervorlage auf den Punkt bringen, sondern die die Handlung immer wieder auflockern  – unterstreichen das Subgenre »Liederfilm«, bei dem die Liedereinlagen, im Gegensatz zum »Operettenfilm«, die Funktion von akustischen Überblendungen auf nachfolgende Sequenzen annehmen. Im Gegensatz zum Operettengenre, bei dem Gesangseinlagen die Zeit stillstehen lassen, werden Gefühle und Überlegungen auf eine musikalische Ebene transformiert. Zum Genre des Agentenfilms können By Candlelight, 1933, dessen Handlungsort ebenso Wien, Drehscheibe eines Spionagerings, ist, wie After Tonight, 1933, gerechnet werden, in dem Carla, die als K-14 für Russland spioniert, sich in den deutschen Offizier der deutsch-österreichischen Spionageabwehr, Rudolph Ritter, verliebt. Wien ist auch in den dreißiger Jahren wiederholt glaubwürdiger Mittelpunkt politischer Agententätigkeit. »Endlich, nach der Überfülle an Gangsterabenteuern«, erscheint Wien als von Spionen durchsetzt«,207 indem sich Carla als Nachtklubsängerin, als Näherin und schließlich als Krankenschwester tarnt. Als Replik auf die US-Filmkritik vieler europäischer, vor allem englischer Filme lässt sich dazu die französische Kritik in »Cinémonde« lesen, wenn es heißt  : »Kurios zu erkennen, dass in diesem Film, der sich einer Tragödie nähert, die Amerikaner immer eine komische, fast burleske Note beifügen.«208 Kritische Sätze über die jeweils andere nationale Filmproduktion können nicht nur wiederholt gefunden werden, sondern sie haben aus heutiger Sicht deshalb Erkenntniswert, da sie auf die besonderen Eigenheiten des filmischen Geschichtenerzählens hinweisen können. Dabei handelt es sich nicht um Filme, die heute als Höhepunkte in der Filmgeschichte angesehen werden, sondern vielmehr um jene Produktionen, die den Alltag des zeitgenössischen Kinopublikums mit geprägt haben. So wird im März 1933 in Wien die französische Fassung von Hochzeitsreise zu dritt, einem deutschsprachigen Film, unter dem Titel Voyage de noces im »Rotenturmkino«, Wien 1, gestartet, während am gleichen Tag ein Prozess gegen Simmeringer Schutzbündler209 eröffnet wird.

207 The New York Times, 3.11.1933. 208 Cinémonde, Nr. 300, 27.9.1934. 209 Der Republikanische Schutzbund war die 1923/24 gegründete paramilitärische Organisation der Sozialdemokratischen Partei.

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Europäisches und US-amerikanisches Filmverständnis

Europäisches und US-amerikanisches Filmverständnis Das Aufkommen des »Sprechfilms« und damit die Abkehr vom Tonfilm – diese Unterscheidung trifft Michel Chion, um den Sprechfilm vom Tonfilm, der für ihn aus Inserts statt hörbaren Dialogen, aus Musiken und aus Geräuschen bestand, in seiner Entwicklung und Bedeutung für die gesamte Filmerzählung exakter zu unterscheiden.210 Diese technisch-inszenatorische Revolution animiert Emigranten wie Ivan Abramson und Sidney M. Goldin, den im Jahre 1923 in Österreich realisierten Spielfilm Ost und West zehn Jahre später in bearbeiteter Form in den USA neu unter dem Titel Mazel Tov, 1933, herauszubringen. Dabei spielte das seit der Jahrhundertwende angewachsene Immigrantenpublikum bei der Entscheidung zu diesen Wiederaufführungen eine wichtige Rolle. In ähnlicher Bearbeitung wird auch in A Daughter of Her People, ein in Österreich gedrehter Stummfilm, als Erinnerungspartikel in eine Rahmenerzählung eingebracht. Beide Filme sind in Galizien angesiedelt. Die Rahmenerzählung gibt jeweils die Motivation vor, weshalb die Erzählung in Form der Stummfilme vorgebracht wird. Ist es in Mazel Tov eine Frau, die Kindern erzählt, ist es in A Daughter of Her People ein Mann, der drei Freunden am Grab von Judith Trachtenberg deren Geschichte nachzeichnet. Integration in die Wiener bzw. in die US-Gesellschaft, Treue zum Glauben und zu ihrem ausgewählten Freund bestimmen die Welt der jungen Frauen Mollie und Judith. Kommt es in Mazel Tov zu einem kulturellen Schock für Mollie, die in ihre für sie unbekannte Heimat Galizien zurückkehrt, begeht Judith Selbstmord, da sie nach ihrer Heirat mit einem katholischen Grafen von ihrem Volk gemieden wird. Mit der britischen Produktion The Constant Nymph, die Ende 1933 in die US-amerikanischen Kinos kommt, wird in einem Melodrama nicht nur von der unglücklichen Liebe Tessas, einer der Töchter des in den Tiroler Bergen zurückgezogen lebenden Komponisten Albert Sanger, zu dem englischen Gast Lewis Dodd berichtet, sondern es wird durch Originalaußenaufnahmen an die Tiroler Landschaft erinnert  : In imaginative lighting, camera angles and restrained storytelling that starts from the premise that those watching the images upon the screen have intuitive intelligence and don’t have to have things spelled out.211

Eine Gelegenheit für die US-amerikanische Filmkritik, sich bewundernd über die filmische Arbeit zu äußern, aber gleichzeitig den vorauszusehenden Misserfolg an der Kino­ kassa zu bedauern. Einmal mehr kommen mit diesen Einschätzungen und Kritiken 210 Der theoretische Ansatz, dass der Film nie stumm gewesen ist, wird vor allem in den letzten Jahren durch die Diskussion rund um die ersten Filmvorführungen unterstrichen. S. dazu  : Millet, Bruit et cinéma, 2007, 17 f. 211 Variety, 10.4.1934.

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Das Jahr 1933

die unterschiedlichen Auffassungen von Filmsprechweisen zwischen den US-amerikanischen und europäischen Produktionen zum Ausdruck. Der nachfolgende komparatistische Untersuchungsansatz zu zwei Filmen von Pál Fejös, der auch in den USA mit Produktionen cineastische Achtungserfolge erzielt, differenziert dieses angesprochene europäische Kino genauer nach Kultur und Stil unterschieden, obwohl nur mit noch erhalten gebliebenen Filmfragmenten eingeschränkt argumentiert werden kann.

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Variationen und Tabus, zwei Beispiele Filme von Pál Fejös  : Ítél a Balaton / Menschen im Sturm, 1933 – Einstellungsdauer – Ein verlorenes Bild

Obwohl »erst durch die Erzählung Vergangenes vergegenwärtigt werden kann«,212 ist eine auf Filmmaterial gebannte Erzählung vergänglich und kann nicht als Ersatz für menschliches Erinnerungsvermögen dienen, auch wenn, wie bei Ítél a Balaton / Men­ schen im Sturm, 1933, oder Tavaszi zápor / Marie, eine ungarische Legende, 1932, die Filmerzählung Szenen, Gefühle und Mentalitäten einer Zeit durch die dichte Beobachtung des Autors Pál Fejös nachzeichnen kann. Nach mehr als siebzig Jahren bleiben nur noch Fragmente über, sei es auf Grund von nachträglichen Bearbeitungen, durch Kürzungen, durch Zensur oder Abnützung  ; sei es auf Grund von falscher Lagerung oder durch den natürlichen Zersetzungsprozess des Materials, der zwar verlangsamt, aber nie aufgehalten werden kann.

Filme von Pál Fejös  : Ítél a Balaton / Menschen im Sturm, 1933 Durch eine Fallstudie wird die Quellenunsicherheit, mit der die Filmgeschichte arbeitet, am Film Ítél a Balaton / Menschen im Sturm, 1933, und an dessen deutschsprachigen bzw. französischsprachigen Versionen, ähnlich wie bei The Case of Lena Smith oder bei The Enemy,aber auch bei Tavaszi zápor / Marie, eine ungarische Legende, 1932, offensichtlich. Fehlen wie im erstgenannten Beispiel mehr als fünfzehn Prozent der ursprünglichen Dauer, wird es schwierig, sich über Filmtexte zu unterhalten, Erzählvorgänge zu rekonstruieren oder Schlüsse auf Stil und ästhetische Überlegungen der Autoren zu ziehen. Das erste methodische Problem besteht darin, die Rekonstruktion der Handlungsbögen zu ermöglichen, eine zweite Schwierigkeit taucht auf, wenn man sich in den tatsächlichen Rhythmus der Montage einfinden möchte. Schließlich kann auch die Wirkung auf ein zeitgenössisches Publikum, vermittelt durch Filmkritiken, nur rudimentär erfasst werden. Kaderbildfolgen besitzen als Arbeitsmaterial im Sinne von Barthes den Vorteil, die Kontinuität der Erzählung und die Bewegung des Filmes zu unterbrechen, um Platz für Reflexionen zu bieten.213 Gleichzeitig lassen sich aus der Mikrostruktur, in diesem Falle  : an der unterschiedlichen Dauer einer Abblende, filmsprachliche Veränderungen »hochrechnen«. 212 Ricœur, Temps et récit, 1983. 213 Barthes [1970], 1992.

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Einstellungsdauer Nur selten kann man bei gleichem Ausgangsmaterial unterschiedliche dramaturgische Strategien gegeneinanderstellen, um veränderte filmische Bearbeitungsweisen im Vergleich zu erkennen, die für ein bestimmtes nationales Publikum gedacht sind. Das bewusste Weglassen von Einstellungen oder Einstellungsfolgen in der einen oder in der anderen Version, die Umstellung in der Chronologie von Sequenzen, die zu einer Neubewertung der handelnden Charaktere führt, und die beiden auch inhaltlich unterschiedlichen Dialogfassungen verändern Filmstil, Charaktere und Handlungsablauf in einer Weise, dass von völlig unterschiedlichen Filmen gesprochen werden kann. Die Schnelligkeit der Abblende auf Schwarz am Ende der Sequenz in der deutschen Version, in der Vater Kovacs seiner Tochter Maria die bevorstehende Verheiratung mit Jani mitteilt, lässt in diesem optisch-syntaktischen Ausdruck keinen Widerspruch aufkommen. In der französischen Version wird diese Einstellung länger gehalten, wodurch die Unsicherheit des Vaters ob seiner eigenen Ankündigung beobachtet werden kann. Er zuckt mit der Schulter und rückt sichtlich unsicher auf seinem Sessel herum. Der apodiktischen Aufforderung zur Heirat in der deutschen steht durch diese Dehnung des Einstellungsendes in der franzosischen Version die Unsicherheit des Vaters über seine Gefühle gegenüber. Dieses leicht erkennbare filmsprachliche Detail und dessen interpretierbare Bedeutung finden  – und das verifiziert diese Beobachtung– ihre Entsprechung in der narrativen Makrostruktur. Wird dem Mädchen Maria in der deutschen Version keine andere Entscheidungsmöglichkeit zugebilligt, gehen in der französischen der gleichen Sequenz zwei andere Einstellungsfolgen voraus. Die erste zeigt Maria als folgsame Tochter  : »Ich mache alles, was du willst.« Weiters zeigt eine eingeschobene Sequenz Maria und Mihaly in den Weinbergen, wo sie wortlos dem tierischen Liebeswerben von Erdmännchen zusehen. Er schenkt ihr ein Lebkuchenherz vom Jahrmarktsfest. Der Off-Ruf von Marias Vater stört die beiden jäh in ihren Gefühlen. Beim Abschied gibt sie dem darüber überraschten Mihaly einen spontanen Kuss auf die Wange. Durch das chronologische Umgruppieren dieser beiden Sequenzen in Tempêtes, die in Menschen im Sturm zwar ebenso, jedoch in linearer Aufeinanderfolge gezeigt werden, wird der eintretende Sinneswandel des Mädchens  – zuerst Zustimmung, dann Ablehnung der Heirat  – wortlos nachvollziehbar. Die hinausgezögerte Abblende am Ende der nachfolgenden Sequenz verstärkt die unbestimmte, vielschichtige Gefühlswelt des Mädchens und unterstreicht ihren inneren Kampf zwischen Gehorsam gegenüber dem Vater, der selbst unsicher wirkt, und ihren eigenen, neuen Gefühlen. Obwohl bereits im Dialog angedeutet, wird diese mögliche Vielfalt menschlicher Gefühle noch einmal filmisch emotional bedeutsam gemacht. Bleibt Maria in der deutschen Version stumm ihrem Schicksal ergeben, kann die französische mit Hilfe dieser den Sinn verdichtenden Umstellung als verhalten aufbegehrend gezeigt werden. Tempêtes führt 112

Einstellungsdauer

feine filmsprachliche Nuancen ein, die von der Motivwiederholung in Form von Metaphernbildung, von der unterschiedlichen Einstellungsreihung und vom veränderten Montagerhythmus bestimmt werden. Überraschend ist diese jeweils autonome Gestaltung der Versionen auch deshalb – und das kann nicht genug betont werden –, weil bei der Gestaltung vom gleichen Bildmaterial ausgegangen werden konnte. »Einen Führer brauchen die Fischer, und einen Mann brauche ich für meine Tochter«, schmettert Vater Kovacs in Menschen im Sturm seinem Neffen Jani entgegen  ; er wird als dominierende und alle überragende Führerpersönlichkeit der Dorfgemeinschaft gezeigt. In Naheinstellungen sieht man den Vater, wie er beobachtet, Streit schlichtet, entscheidet und nicht mit Widerrede rechnet. Ins Monströse wächst dieser Vater und gleichzeitig die Führerperson in der Sequenz des Sturms. Dabei steht er abgesondert von den ihn umgebenden Menschen, die Gott mit erhobenen Händen um Mitleid für die am See verschollenen Fischer bitten. Dieser Gegensatz zwischen kopfloser Masse und ausharrender, in sich ruhender Vaterfigur wird durch wiederholte Einstellungen unterstrichen. Der Höhepunkt dieser Charakterzeichnung wird in seiner Ansprache an die ängstlichen Frauen erreicht, mit der er, gemäß den uralten Gesetzen, seine Tochter dem sturmgepeitschten See übergibt, um die Natur über Treue oder Untreue richten zu lassen. Volksglaube und Ruhe in der Dorfgemeinschaft wird über Vaterliebe gestellt. Spätestens bei dieser Sequenz geht das mentale und ideologische Umfeld der frühen dreißiger Jahre in die filmische Bearbeitung von Menschen im Sturm ein und wird Ausdruck einer gesellschaftlichen Sichtweise, die zivilen Ungehorsam nicht duldet. Überraschend ist jedoch, dass diese Adaptierung von Werner Hochbaum durchgeführt wurde, der in der Filmgeschichte vor allem durch seine pazifistische Bearbeitung – trotz späteren von der staatlichen Zensur verordneten Korrekturen – von Vorstadtvarieté, 1935, bekannt wird.214 Ruft man sich noch einmal den Grundduktus der deutschen Version in Erinnerung, lassen sich immer wieder Varianten der Anfangssequenz, die die Tonalität des gesamten Filmes beherrschen, als bestimmendes Echo der Filmerzählung auffinden. Ein Beispiel dafür stellt der Filmbeginn dar, der von impressionistischen Bildern der Landschaft am Balaton bestimmt wird. Bleiben diese Bilder in der französischen Version unkommentiert, führt in der deutschen eine pathetische Frauenstimme in den Film ein  ; Vibrationen und Modulationen ihrer Stimme erinnern an den großen Monolog von Paula Wessely in Heimkehr, 1941, Gustav Ucicky, und verweisen auf die sprachlichen Nuancen, die die Zeit des Faschismus charakterisieren. Die über die Bilder gelegte Erklärung bestimmt Ort und Zeit des Geschehens und verdoppelt durch ihre verbale Schilderung die gezeigten Bilder der Seenlandschaft. Die Stimme erzählt auch von der Legende der untreuen Fischerfrau, über die der See zu richten habe, auf den sie bei Sturm in einem 214 Zwei unterschiedliche Schlüsse kennzeichnen den Film und die Arbeit der Zensur.

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kleinen Boot ohne Ruder geschickt wird. Kehrt sie unversehrt zurück, trifft sie keine Schuld. Ihre Schilderung suggeriert das ewig wiederkehrende und für immer unveränderliche Lebensprinzip, in dem die reinigende Kraft der Liebe eine wichtige Rolle spielt. Erkundet man ausgehend von einem kleinen Detail, nämlich der Länge einer Einstellungsabblende, die deutsche Version, lassen sich Beweise für diese filmästhetische Vorgangsweise im übrigen Film auffinden, die die Hypothese unterstreichen, dass Menschen im Sturm geschwätziger, dem Schicksal und gottergebener als Tempêtes in seinem Gesamtduktus erscheint. Die Länge der jeweiligen Einstellungen wird vom Ablauf der sichtbaren Aktionen bestimmt, bewusst gesetzte »unnötige« Längen werden zugunsten einer vordergründigen Klarheit vermieden. Die volksverbundene, mythische Komponente der Legende wird zu einer religiösen und naturalistisch begründeten Mystik verkürzt, wie es bei der Bearbeitung ähnlicher Stoffe durch die faschistische Ästhetik geschieht. So wenig wie in der untersuchten Sequenz von Tempêtes gesprochen wird, ebenso wenige Dialoge kommentieren in weiterer Folge die Bilder, die für sich selbst sprechen können. In diesem Sinne steht Fejös, der laut Quellen stärkeren Einfluss auf die französische Version nehmen konnte, trotz der Verwendung von Ton in der Tradition des Stummfilms  ; er wurde neben René Clair bekannt für seine Kunst, den Ton zum Bild als eigenständiges und gleichwertiges Gestaltungsmittel bewusst einzusetzen. Der zweite Teil beider Versionen besteht aus dem Kampf mit der Naturgewalt, der in der französischen Fassung durch epische Gestaltung hoher sturmgepeitschter Wellen und eines Gewitters auf dem Wasser, in der deutschen Fassung durch Gottes- und Naturergebenheit, Autoritätsgläubigkeit, Massenhysterie dargestellt wird. Trotz des Fehlens längerer Einstellungsfragmente bleibt nachvollziehbar, dass in der deutschen Version Marias Ehemann Jani, nachdem er seinen Widersacher vor dem Ertrinken gerettet und gesehen hat, wie dieser Maria freudig umarmt, im Wasser den eigenen Tod sucht und findet. Auch in der französischen Version wird die Rettung im Wasser gezeigt. Unklar bleibt, ob es zuvor zu einem Kampf der beiden Männer kommt. Während das Schlussbild von Menschen im Sturm zeigt, wie Maria und Mihaly in den Sonnenaufgang fahren, findet in Tempêtes das Begräbnis von Jani statt. Mit dieser Umstellung der Friedhofsequenz an den Schluss des Filmes in der französischen Version wird dem Pathos aus der deutschen Fassung die melodramatische Spitze genommen. Werden die Blicke von Mihaly und Maria in Menschen im Sturm zur ersten Begegnung, sind sie in der französischen Version eine Bekräftigung ihrer Zuneigung, die sich jetzt, nach dem Tode des Nebenbuhlers, frei entwickeln kann. In beiden Versionen werden großteils dieselben Bilder verwendet. Sie sind in der deutschen wieder kürzer im Rhythmus und geraffter im Verhältnis zu den gleichen Einstellungen in der französischen geschnittenen Version, wodurch das Ereignishafte des erstmaligen Sehens in den Vordergrund gerückt werden kann, während durch die Länge im zweiten Fall eine Art verinnerlichte Dynamik des Weiterdenkens der Einstellungen bei der Zuschauerin möglich wird. 114

Einstellungsdauer

Was mich interessiert und was mir auch Vertrauen gibt, ist die Existenz eines Publikums, das sich für Filme interessiert, die im Namen der Kunst gemacht werden, und wenn dieses Publikum auch zahlenmäßig gering ist, liegt es an uns, diesen Kreis zu erweitern, nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika,

erklärte Fejös215 seine Gründe, nach Europa zurückzukehren. Pierre Braunberger, Produzent von Jean Renoir ab 1929 bis Jean-Luc Godard 1959, unterstützte Pál Fejös dabei, in Europa wieder Fuß zu fassen. Als Fejös 1931 nach Ungarn zurückkommt, ist seine amerikanische Filmproduktion The Big House verboten worden. Da etwa sieben ungarische Eigenproduktionen damals jährlich auf den Markt kommen, werden große Hoffnungen in den international bekannten Heimkehrer gesetzt, der wiederholt von MGM aufgefordert wird, in die USA zurückzukehren. Vielleicht zählen aus den genannten Gründen gerade die beiden ungarischen Filme Ítél a Balaton und Tavszi zápor zu den besonders persönlichen Arbeiten von Fejös. Die subjektive Sicht der Ereignisse, die von Kenntnis und Zuneigung geprägt ist, lässt sich an jenen Szenen erkennen, in denen die Genauigkeit der Beobachtung – sei es der Csárdás oder die Arbeit der Fischer am See – der Zuschauerin aufzufallen beginnt, da sie deutlich durch die Dauer der Einstellung – oft wird der gesamte Bewegungsablauf oder der gesamte Arbeitsaufwand gezeigt – hervorgehoben sind. Man beginnt sich zu fragen, ob ein Gattungswechsel zu einem ethnografischen Dokumentarfilm stattfindet. In der Tanzszene von Ítél a Balaton werden die Freude der Tanzenden, aber auch die Lust des Autors, den Tanz in dieser Länge zeigen zu können, spürbar. Doch selbst dabei werden die Blicke der Hauptdarsteller sprechend. Eifersucht, Begierde und aufsteigender Hass werden über den lebendigen und mitreißenden Rhythmus des Csárdás gelegt. Füße führen die vorgeschriebenen Tanzschritte aus, während sich Blicke kreuzen, Mimiken erstarren oder Körper unmerklich näher rücken. Einer melodischen Dynamik der Gefühle wird Platz gegeben. Es ist eine Menschenbeobachtung der kleinen Veränderungen, eingebettet in den festlichen Alltag dieser Dorfgemeinschaft. Auch hier wirkt die französische Bearbeitung, weil sie über den Aktions­ film der deutschen Fassung hinausgeht und trotz ihres dramatischen Impetus, des Julia-­und-Romeo-Motivs, zu einer ethnologisch akribischen Beobachtung sowohl von Alltag wie von Festlichkeiten in der ungarischen Dorfgemeinschaft der dreißiger Jahre wird. Eine Affinität in ähnlich gestalteten Tanzszenen, in denen über Körper, Gesten und Mimiken kommuniziert und die Tanzfläche zu einem schicksalhaften Ort wird, findet sich in Revoluční rok 1848 / Frühlingsstürme, 1949, ebenso wie in Jadviga párnája / Jadviga’s Pillow, 2000, wieder, dabei werden während des unverfänglichen Tanzes Verschwörungen vereinbart und Attentate geplant. 215 Fejös, Nugat, 1932.

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Um diesen ersten emotionalen Eindruck der beiden unterschiedlich angelegten Tanzszenen in den beiden Fassungen von Menschen im Sturm durch Zahlen zu belegen  : Die Tanzszene ist in der deutschen Fassung um ein Viertel kürzer, anstelle von vier Minuten dauert sie nur drei Minuten. Sie ist um jene Einstellungen verkürzt, die die Stimmung am Tanzboden, die Kunstfertigkeit der Tanzenden oder die Freude aller Mitwirkenden zeigen. Dagegen spitzt sie zu, konzentriert sich auf den Konflikt, lässt nicht jene produktiven Leerräume in dem Maße wie die französische Version zu. Eine ähnliche Vorgehensweise erkannte man bereits in der Exposition, in der ein Monolog über die die Natur beobachtenden Bilder gelegt wird, wodurch es oftmals zu einer Verdoppelung von Wort und Bild kommt. Wortreiches Erklären überwiegt das bildliche Zeigen. Die dem Medium Film innewohnende Fertigkeit, die Monstration, wird zugunsten eines wortreichen Kommentierens aufgegeben. Ohne »Monstration«, denkt Gaudreault216 in Fortführung des Gegensatzpaares von Mimesis und Diegesis, »ohne diese Fertigkeit kann die filmische Erzählung nicht existieren.« Ohne mögliche Unterschiede in der autorenbedingten filmsprachlichen Umsetzung zu vergessen, lassen sich trotz des fragmentarischen Charakters der beiden Filme in den heutigen geretteten Fassungen Veränderungen feststellen, die auf unterschiedliche Mentalitäten und Ideologien des angedachten Zielpublikums zurückgeführt werden können. Tradition und Erfahrung mit dem französischen impressionistischen Film der zwanziger Jahre, etwa von Abel Gance oder Jean Epstein, um zwei Namen zu nennen, führten die französischen Bearbeiter zu anderen Ergebnissen als Werner Hochbaum, den deutschsprachigen Autor. Analog dazu findet sich eine filmsprachliche Profilierung in Marie, une légende hon­ groise, der französischen Version von Tavaszi zápor. Diese Ausarbeitung zeigt authentisch den künstlerischen Stil und den Gestaltungswillen von Fejös, da er persönlich auch die Erstellung dieser Version übernimmt. Für ihn ist es eine Untugend, Zwischentitel zu verwenden  : »Meiner Meinung nach sollte im Film alles ohne Zwischentitel erzählt und verstanden werden.«217 Die Verlesung einer staatlichen Anordnung, ein Ausruf oder ein unverständliches Stammeln genügen, um aus der sonst vorherrschenden Stummheit des Filmes heraus umso stärker die zunehmende Verzweiflung Maries zu begreifen. Nicht die Bedeutung der Worte und Sätze erscheint ihm wichtig, sondern die Geräusche und Töne bilden für ihn die Atmosphäre ab, in der die nachvollziehbaren Ereignisse subjektiv motiviert werden können. Das einfache und für die Zeit bekannte Grundthema der Tabuverletzung zwischen sozialen Schichten, siehe The Case of Lena Smith, 1929, wird mit Ausschluss aus der Ge216 Gaudreault, Du littéraire au filmique. Système du récit, 1988. 217 Baross, A film vilagabol, 1928.

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meinschaft geahndet  : Die schwangere Marie wird von Arbeit und Dorf verjagt. Durch Fejös wird dieser Plot sowohl formal wie inhaltlich im Gegensatz von These und Antithese erzählt. Glück löst Unglück ab, aus Widerstand wird schließlich ein Sich-Fügen. Das sprachlose Mädchen zeigt Stärke und Schwäche, wodurch es zu einer immer wieder neu gesteigerten dramaturgischen Spannung und vor allem zu einem differenziert gezeichneten Charakterbild dieser jungen Frau kommt. Der Autor wendet viele fein strukturierte filmsprachliche Details an, die den Film zu einer subtilen Charakterstudie werden lassen. Die Entscheidung der Bordellmutter über die Aufnahme Maries dauert die »Echtzeit« eines Chansons, während Gestik und Mimik ihre Gefühlswelt wiedergeben. In einer anderen Sequenz wird durch das Verlesen einer staatlichen Anordnung über die Einweisung von Maries Kind in ein Heim die Erzählzeit auf der Tonebene bestimmt. Während des Verlesens dieser Anordnung durchläuft Marie alle Emotionen der Überraschung, der Auflehnung bis hin zur völligen Apathie. Das dritte formale Gestaltungsprinzip ist die variierte Wiederholung von Handlungen, Gesten und Orten, die durch den psychischen Abstieg Maries in sprichwörtlich neuem Licht erlebt werden. Die Beschränkung auf wenige Handlungsorte– in der Kirche, am Gartenzaun  – und der neubewertete Gegensatz zwischen Stadt und Land – von der Idylle des Dorfes verjagt, wird sie vom Sündenpfuhl Stadt aufgenommen  – fokussieren den körperlichen und psychischen Verfall des Mädchens. In wiederholten Gesten und in der Reaktion darauf  – die Bäuerin verweigert abweisend ihren Handkuss, während die Bordellmutter Maries Geste der Dankbarkeit feinfühlig entgegennimmt – wird die Umkehrung von Moralvorstellungen ebenso klargestellt wie durch den wiederholten, jedoch emotional veränderten Handlungsort Kirche. Wiederholt durch die entfernten Kirchenglocken gerufen, kehrt Marie zweimal in ihre Dorfkirche zurück. Einmal schreitet sie stolz in ihrer Sonntagstracht mit dem Kind am Arm durch die vollbesetzte Kirche, wo sie es der Muttergottes-Statue zeigt. Das zweite Mal kehrt sie als menschliches Wrack zu ebendieser Statue zurück. Bittet sie das erste Mal vor der Muttergottes-Statue tonlos um Schutz für ihr Kind, verzweifelt sie später am selben Ort und stirbt in der Kirche. Das Gesicht ist Ausdruck der Seele. Im filmisch-mimetischen Bereich kommt es durch die Aufnahmetechnik der Großaufnahme zu einer Vergrößerung des Gesichts als Ausdruck des »Seins« in der Zeit. Verhaftet und verbunden mit dem Fortgang der Erzählung sprechen Großaufnahmen für die dramatische Situation. Was kein menschliches Auge einfangen kann, keine Schreibfeder, Bleistift noch Pinsel fixieren können, fängt deine Kamera ein, ohne zu wissen, was es ist, und fixiert es mit der gewissenhaften Gleichgültigkeit einer Maschine.218

218 Bresson [1975], Notes sur le cinématographe, 1988, 106.

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Den Verfall eines Menschen zeigt die Wandlung eines Gesichtes. Nicht das Gegenüber wird mit gesehen, sondern es kann am Gesicht abgelesen werden. Es kann die Situation imaginiert werden, ohne dass weitere Einzelheiten dazu benötigt werden. Licht, Perspektive, Kleidung und Hintergrund visualisieren den Gemütszustand ebenso wie der Ausdruck des Gesichts selbst. Die figurale Darstellung dieser zunehmenden Umdunkelung an Lebensfreude bei Marie wird durch Kopfhaltung, durch Erzählperspektive und durch den Hintergrund, der durch Unschärfe bzw. durch strenge Geometrie strukturiert wird, in diesem Film markiert. Zwischen diesen drei Einstellungen liegen jeweils mehr als fünfundzwanzig Minuten Erzählzeit. Erst in der Zusammenschau dieser Einstellungen lässt sich die gestalterische Kraft des Regisseurs Pál Fejös analytisch erkennen. In der figuralen Darstellung, die von einer Zentralperspektive bestimmt wird, werden die Variablen in der Bildlösung sichtbar. Auch an einen zweiten schicksalhaften Ereignisort, an jenen Gartenzaun, an dem sie ihren Liebhaber kennengelernt hat, kehrt Marie in einem wilden Ausbruch der Gefühle zurück. Damit unterbricht Fejös die Linearität der Zeit in den Ereignissen und profiliert die zunehmende Zerrissenheit der jungen Frau in Form von kreisförmigen Bewegungen ihres Handelns. Diese erzählerische Form setzt eine Sequenzmontage bei gleichbleibenden Orten und unterschiedlichen menschlichen Zuständen in Szene. Dabei lässt sich nicht ausschließlich der Blick in die Kamera erkennen, sondern in den drei vorgestellten Einstellungen auch der Übergang von Handlung zu Gebärde  ; direkte handlungsbedingte Abläufe werden zu Gebärden innerer Emotionalität. Kadrierung, Kleidung, aber auch Licht und Hintergrund sind weitere Indizien für eine umfassende Darstellung. Der Unterschied »liegt dann vor, wenn die dargestellte Figur Indikatoren aufweist, die auf eine direkte Kontaktaufnahme zur diskursiven Instanz, etwa zum Betrachter des Bildes, schließen lassen.«219 Die filmische Gestaltung kleiner strukturierter Einheiten, die »verdichtete«220 Beobachtung und Beschreibung alltäglicher, aber in diesem Sinnzusammenhang einmaliger, bewusst gesetzter Gesten und Mimiken ermöglichen– so den ersten Blick auf einen noch unbekannten Gegenstand bzw. auf eine bisher unbekannte Person – lässt bereits narrative Strukturen und dramaturgische Strategien erkennen. Sie können, eingebunden in das vorhandene zeitgenössische technische Wissen um Filmform und Filmsprache, Auskunft über Epoche, Stil und Menschenbild der jeweiligen Autoren geben. Gleichzeitig zeigen sie den Protagonisten zugeordnete soziale Verhaltenscodes, die für die erzählte Zeit ebenso aufschlussreich sein können wie für die Zeit, in der die Produktion entstand. Die abschließende Sequenz, in der Maries Kind nun als junges Mädchen im Begriff ist, das Schicksal ihrer Mutter zu wiederholen, kann als Indiz dafür gewertet werden, 219 Sierek, Eye-memory und mimische Entladung. Der Warburg-Kreis und die Darstellung des Gesichts im bewegten Bild, 2004, 80. 220 Geertz, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, 1999.

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Ein verlorenes Bild

den Vorgaben, ein Happyend zu gestalten, in ironischer Weise zu entsprechen. Ihre Arbeit des Fußboden-Schrubbens in der glitzernden Küche im Himmel zeugt von Fejös’ Humor, aber auch davon, dass er kein realistisch motiviertes glückliches Ende für Frauen wie Marie in seinem Heimatland sieht. Die gezeigte Hoffnungslosigkeit alleinstehender Mütter, die positive Darstellung des Bordells und die nicht zu übersehende Kritik an Kirche und Staat rufen im Ungarn der dreißiger Jahre große Empörung hervor. Die staatlichen Zeitungen des HorthyRegimes beklagen sich über die ungerechtfertigte Kritik dieser »Legende«. Vielleicht erinnert sich Fejös auch an Ferenc Molnárs »Liliom« oder an Egon Erwin Kischs »Tonitschka«, in denen selbst der Himmel den Menschen eine zweite Lebenschance auf der Erde zubilligt.

Ein verlorenes Bild Bei Recherchen stieß ich auf ein als Produktionsfoto katalogisiertes Bild, das in der vorliegenden Kopienfassung jedoch nicht Verwendung findet  : Eine Kutsche, die von einem Schimmel gezogen wird, kommt die Straße herauf. In der nächsten Einstellung wird Marie das Bordell betreten. Warum wurde dieses Motiv nicht verwendet  ? Es hätte mit seiner symbolischen Signalwirkung dem filmischen Denken des Autors, wie andere Beispiele aus dem Film zeigen, entsprochen. Hoffnung, nahende Erlösung oder Glück – das Cafébordell heißt auch »Fortuna« – assoziiert mit einem Schimmel, der unvermittelt auftaucht, dann durch das Bild läuft und schließlich für immer verschwunden bleibt. Dieser besonders im süd- und osteuropäischen Kulturraum verbreitete Topos aus der Mythenwelt, der im Medium Film als Bildpassage zwischen zwei Sequenzen eingesetzt wird, wie später in Paradjanovs Feuerpferde, 1964, oder in Kusturicas Underground, 1995, zeugt von Fejös’ Verbundenheit mit seiner eigenen kulturellen Erzähltradition. Als umso rätselhafter kann auch die Aussparung dieser Einstellung gesehen werden, begnügt man sich nicht mit vordergründigen Lösungen wie mit Zeitersparnis oder Produktionszwängen. Könnte man die Diskussion, die zur Aufgabe dieser Einstellung führte, rekonstruieren, könnte man auch Fejös’ künstlerisches Dilemma, das sich zwischen detailreicher Kreativität und struktureller Anpassung, zwischen eigenständiger schöpferischer Arbeit und Auftragsproduktion entfaltet, besser verstehen und es auch als konkreten Ausdruck seiner Zeit erkennen. So bleibt jedoch nur übrig, das zu sehen, was anstelle dieser Einstellung im Film tatsächlich vorkommt und vielleicht die zeitgenössische Situation realistisch-poetisch wiedergibt  : ein Polizist, der prüfend und beobachtend die Straße abschreitet, und ein Nachtwächter, der seiner Arbeit nachgeht. 119

Das Jahr 1934 Zensur  : Hays Code – Europäische Produktionen – Verfilmungen im Vergleich – Montage bei Fritz Lang – Ungarische Autoren – Mythenbildung – Musicals – Kulturelle Wurzeln – Entwicklung der Operette – Außerfilmische Biografie – B-Picture-Produktion

Bei dem mit Österreich in Verbindung stehenden Filmkorpus kann nicht von einer direkten Reaktion auf bestimmte politische und historische Ereignisse geschlossen werden, da vom Zeitpunkt der Stoffentwicklung bis zum Kinostart im zeitgenössischen Hollywoodstudiosystem durchschnittlich mit sechsunddreißig Monaten zu rechnen ist. Dagegen reagiert die Gattung des Dokumentarfilms, sei es als Dokument oder als gestalteter Dokumentarfilm, rasch auf aktuelle Ereignisse. In einem kompilierten Dokumentarfilm, World in Revolt, der im Juni jenes Jahres seine Uraufführung sieht, werden der Putschversuch der illegalen nationalsozialistischen Partei Österreichs gegen Dollfuß und die gewalttätigen Auseinandersetzungen in Wien angesprochen. Im Zusammenhang damit sei an eine Spielsequenz erinnert, die direkt das Jahr 1934 in Österreich thematisiert, die jedoch mehr als vierzig Jahre nach den Ereignissen durch den Regieemigranten Fred Zinnemann in Julia, 1977, realisiert wird. Die politischen Auseinandersetzungen werden für die Hauptperson, Julia, für ihr weiteres Leben entscheidend, da sie das erste Mal mit der Gewalt auf den Wiener Straßen, vor allem auf der Wiener Universität, konfrontiert und ihre Freundin L. als Widerstandskämpferin kennenlernen wird. Das Kinojahr 1934 ist zunehmend von einer Filmästhetik geprägt, die in ihren besten Momenten die Vielfalt der dramaturgischen Möglichkeiten der Bild-Bild-Montage, der Bild- und Tonmontage und des die Erzählung erweiterten Toneinsatzes pflegt. Die filmische Sicht auf Österreich aus Hollywood beginnt chronologisch mit einer Episode aus dem Film Orient Express am Wiener Westbahnhof, einem für ausländische Gäste nicht ungefährlichen Ort. Die Filmgeschichte basiert auf dem Roman »Stamboul Train« von Graham Greene und erlebt am 12. Januar in New York ihre Premiere. Der Reigen der ineinander verwobenen Personen und Ereignisse lässt sich gut an der Eingangssequenz ablesen. Während des Aufenthalts am Wiener Westbahnhof wird der Journalistin Mabel Warren das Portemonnaie durch den Dieb Josef gestohlen. Dieser flüchtet sich in ein Haus, in dem eine Frau, Anna, auf den Zugsführer Anton wartet. Josef gelingt es, den Safe der Frau zu öffnen. Von Anton überrascht, erschießt er ihn. Während Josef ein Ticket für Konstantinopel, die Endstation der Reise, kauft, kann Mabel Warren ihre Reise nicht mehr fortsetzen.

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Zensur  : Hays Code

Zensur  : Hays Code Sind die ersten Monate des Jahres in Österreich von zunehmender Einschränkung der persönlichen Freiheiten politisch Andersdenkender geprägt, werden sie in den USA zu den letzten Monaten, in denen unzensierte, nur dem Geschmack und der Moral der Autoren verpflichtete Filme zur Aufführung gelangen können. Es wird das Jahr der Verschärfung der Zensur und der Einführung des Hays Codes in Form der Production Code Administration, die jeden Film begutachtet und ändern oder auch verbieten kann. Die Folge ist eine rigide Selbstzensur der Produzenten, die zwar die direkte Abbildung und Darstellung einschränkt, aber auch Wege findet, Gewalt und Sexualität in verbalen Andeutungen oder durch neue Bildmetaphern filmisch auszudrücken. Abtreibung, Sexualität zwischen nicht verheirateten heterosexuellen Paaren oder ein Lied, das Marihuana besingt, werden in Filmen wie Men in White oder Murder at the Vanities zwar als integraler Bestandteil der Handlung thematisiert bzw. zur Differenzierung der Atmosphäre eingebaut, aber schließlich durch die Zensur gestrichen. Files contained in the MPAA/PCA Collection at the AMPAS Library indicate that because the film »suggested abortion,« it was »widely cut, and it was one of the pictures which was cited as unfit for public exhibition by the Legion of Decency.« At the time of the picture’s release, »a storm of protest broke out,« according to the Hays Office files.221

Wird in Men in White das geplante Studium in Wien durch eine tödlich endende Abtreibung von Dr. George Ferguson (Clark Gable) verunmöglicht, wird Elsies (Jessie Ralph) wahre Identität in Murder at the Vanities / Cocktail für zwei aufgedeckt. Sie arbeitet unter dem Namen Helene Smith, wie sie angeblich in ihrem früheren Leben in Wien hieß, wo sie auch einen Mord begangen habe, als Garderobefrau in einem Nachtklub, wo als Untermalung eines Tanzes nackter Mädchen das »Marihuana-Lied« gesungen wird  : Soothe me with your caress / Sweet Marihuana / Marihuana / Help me in my distress / Sweet Marihuana, please do / You alone can bring my lover back to me / Even though I know it’s only a fantasy / And then, put me to sleep / Sweet Marihuana / Marihuana

Auf Grund dieses Liedtextes entwickelt sich ein reger Briefverkehr zwischen der HaysKommission und dem Produktionsstudio der Paramount Pictures, der schließlich mit der Eliminierung der Szene endet.

221 American Film Institute, Catalog of Feature Films, Men in White, Note, http://www.afi.com/members/ catalog/DetailView.aspx?s=&Movie=7091 (eingesehen am 8.9.2014).

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Das Jahr 1934

Europäische Produktionen Mit Waltzes from Vienna, 1934, verfilmt Alfred Hitchcock in England die gleichnamige Operette, die 1931 und 1932 erfolgreich auf dem Theaterspielplan in London stand. Jessie Matthews und Esmond Knight, britische Stars der Zeit, stehen bereits in der Bühnenfassung zur Verfügung. Der Film ist der erste in der Tonfilmära, der Ausschnitte aus dem Leben der Familie Strauß zeigt. Die Feuerwehrleute finden nur auf Umwegen den Ort, an dem ein Feuer ausgebrochen ist. Es ist »Ebezedar’s Cafe«  ; sichtlich eine Verballhornung von »Ebeseder’ Cafe«. Obwohl das Haus brennt, sitzen Resi und Schani (Strauß) selbstvergessen singend vor dem Klavier. Im Stile einer Slapstick-Komödie kommt es zu einem Chaos auf der rettenden Leiter. Während die Zuschauer über so viel Ungeschick lachen, stolpern und fallen die Geretteten und ihre Retter übereinander. Die bekannten anekdotischen Erzählmotive der »Schani«-Strauß-Geschichte können durch den komödiantischen Stil der Inszenierung neu gesehen werden. Wortspiele und Situationskomik lockern dieses Biopic auf. Mit den für die Gestaltung Wiens typischen Charakteren, mit den stereotypischen Kulissen und mit jener Musik, »die in der Luft liegt«, garantiert dieser Film ein besonderes Flair. Der Einsatz der Musik, der noch in der traditionellen Stummfilmtradition steht, bleibt lautmalend oder kontrapunktisch und unterstreicht die Atmosphäre, indem Instrumente reale Geräusche weiterführen, auf den Gesichtern sich abzeichnende Gefühle verstärken und in ausgeprägter Weise bestimmte Charaktereigenschaften karikieren. Dieses Werk bleibt Hitchcock selbst nicht gut in Erinnerung. Manchmal sagte er, er möchte diesen Film aus seiner Werkliste streichen  : »Das war ein Musical ohne Musik. Ganz billig. Es hatte überhaupt nichts mit meiner sonstigen Arbeit zu tun.« Oder  : »Ich hasse diesen Film, ich hasse dieses Filmgenre, und ich habe keinerlei Lust, es zu machen  ; was ich brauche, das ist das Drama und die unerwartenden Wendungen.«222 Aus heutiger Sicht, die den historischen Verlauf des Musikfilms und im Speziellen den des biografischen Films überblicken kann, stellt der Film jedoch eine interessante Variante zu den üblichen Walzerfilmen dar. Humorvoll wird das Entstehen einer neuen Walzermelodie »An der schönen blauen Donau« rhythmisch aus den Arbeitsabläufen einer Bäckerei abgeleitet. In der Backstube des Vaters seiner Freundin wird Schani mit dem Arbeitsablauf vertraut gemacht. Aus diesen Rhythmen entwickelt er die bekannte und als Erkennungsmelodie für Wien stehende Walzermelodie.

222 Truffaut [1966], Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht, 1995, 74  ; Chabrol, Rohmer [1957  ; 2013, dtsch.], Hitchcock, 2006, 49  : »Je hais ce film, je hais ce genre de films, et je n’ai aucun goût pour le faire  ; ce qu’il me faut, c’est du drame et des péripéties  !«

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Verfilmungen im Vergleich

Fünf Jahre später findet ein ähnlich kreativer Akt zur Entstehung derselben Melodie während einer Kutschenfahrt im Wienerwald in der US-amerikanischen Produktion The Great Waltz / Der große Walzer statt.

Verfilmungen im Vergleich In Paris kommt Liliom, dessen Thematik eng mit der Kultur Österreichs in Verbindung steht, am 16. März 1934 in der Regie von Fritz Lang zur Uraufführung. Es ist nach A Trip to Paradise 1921 und Liliom von Frank Borzage aus dem Jahre 1930 bereits die dritte Verfilmung, die nahe an die ursprüngliche Atmosphäre des Theaterstücks von Ferenc Molnár heranreicht. Für Fritz Lang als Österreicher ist die Alltagskultur in Budapest um die Jahrhundertwende nicht unbekannt  ; sie kontrastiert mit der Fassung von Frank Borzage von 1930. Borzages und Langs Verfilmungen bauen auf jene aus dem Jahre 1921 auf, in der jedoch der Handlungsort nach Coney Island, USA, versetzt wird. Dabei wird das himmlische Gerichtsverfahren als Traum des verletzten Liliom Curley Flynn filmisch bewusst markiert und unterstreicht die ungebrochene Faszination des Grundmotivs, eine zweite Chance im Leben zu erhalten, wie sie auch die weitere Verfilmung in Form eines Musicals, Carousel, 1956, zeigt. Die Gegenüberstellung der beiden ersten Tonfilmversionen von Borzage und Lang macht aber wieder die unterschiedlichen Auffassungen von Film und damit Kino auf den beiden Kontinenten klar, ohne dabei den spezifischen Autorenanteil zu übersehen, wie er sich bereits in früheren Filmen der beiden äußert. Abgesehen von den Verbesserungen, die sich innerhalb von weniger als fünf Jahren in der Qualität der Tonaufzeichnung ergeben, besitzt bei Borzages Liliom das expressionistisch beeinflusste Spiel mit Schatten, die den Raum strukturieren, noch eine große Bedeutung, während Langs Liliom auf die Wirkung von zeitauthentischen Interieurs und Details setzt. In beiden Beispielen wird in unterschiedlicher Weise das Medium Kino in seinen bekannten und auch gleichzeitig in seinen neuen Inszenierungsformen sichtbar. Beide Varianten dieser Adaption zeichnen sich durch eine unterschiedliche Handhabung formalästhetischer Anwendungen aus, die einerseits in der europäischen Denktradition von Film, andererseits im technischen Stand des zeitgenössischen Kinos, dem der Tonaufzeichnung, begründet sind. Die stilisierende Reduktion naturalistischer Aufzeichnung auf Indizien der Realität, Andeutungen in Licht und Schatten, hebt Borzages Film von dem Langs ab. Der Hall des gesprochenen Wortes, der durch die noch unausgereifte und reduzierte Aufnahmequalität des Tons hervorgerufen wird, korrespondiert jedoch ästhetisch interessant mit dem durch Licht und Schatten imaginierten, ärmlich anmutenden Dekor, das durch die vielfachen Schattenspiele größer und opulenter erscheint. Geometrische 123

Das Jahr 1934

Formen und figurale Fragmentierungen ersetzen die rekonstruierte Ausstattung bei Lang. Sie akzentuieren den Raum und scheinen die fantastisch anmutende Geschichte in Verbindung mit dem reduzierten Dekor umso stärker zu verfremden. Nähert sich diese US-amerikanische Verfilmung in verblüffender Weise der europäischen Tradition des Konstruktivismus oder des Machinismus eines László MoholyNagy, nimmt Fritz Langs europäischer Liliom im Gegensatz dazu den klassischen Erzähl- und Ausstattungsduktus der amerikanischen Kinoerzählung auf, um den spätromantischen Gehalt glaubwürdig auf der Höhe der Filmtechnik in die Gegenwart zu transferieren. Borzages mise-en-scène, die durch Licht- und Schattendramatisierung nachhaltig geprägt wird, lässt eindeutige Charakterzuordnung zu und bietet zur Profilierung dieser filmischen Gestaltungsweise ein neutrales Dekor an. Damit unterläuft er durch diese bewusst gesetzte Abstraktion tendenziell den durch die klassische Filminszenierung erzeugten Realitätseindruck.

Montage bei Fritz Lang Filmaufnahmen bei Lang aus dem Leben Lilioms (Charles Boyer) werden während der himmlischen Gerichtsverhandlung als Beweismittel herangezogen. Dabei wird die Möglichkeit der Filmaufzeichnung zu einem Vexierbild der Realität, gegen die der Angeklagte nur schwerlich argumentieren kann. Unabhängig vom Ablauf der manifest sichtbaren aufgezeichneten Bilder und Töne kann er sich durch eine zweite parallel aufgezeichnete Tonspur, die seine Gedanken als inneren Monolog einspielt, dem Unrecht, das er seiner Frau angetan hat, nur schwer entziehen. Es kommt zu einer zweifachen interpretierenden Begründung  : zu jener, die ihn zum Schlagen seiner Frau führt, und zu jener, die sich – oft entgegengesetzt – in seinem Inneren abspielt. Damit erweitert Lang diese Gerichtsszene im Himmel um den dem Medium Film immanenten Aspekt der technischen Aufzeichnung und Wiedergabe. Dieser besteht in seiner Wiederholbarkeit, in seiner akustischen und optischen Aufzeichnung und reproduzierbaren Wiedergabe von Bewegung. Als diegetischer Überraschungseffekt  : Auch Gedanken können aufgezeichnet werden. Wird auf der ersten Tonebene der hörbare Dialog wiedergegeben, werden auf der zweiten Tonspur Lilioms innere Stimme, seine Gedanken, hörbar. Die Richter nützen das Medium Film, um über das Leben Lilioms zu befinden und ihre Anklage zu entschärfen  : Er wäre im Grunde seines Herzens moralisch viel besser als seine äußeren, gewalttätigen Handlungen vermuten lassen. Der Filmausschnitt aus Lilioms Leben, genau am 17. Juli um 8.40 Uhr – in dieser Genauigkeit wird er aus dem himmlischen Archiv abgerufen –, nützt die Faszination der Tonaufzeichnung. Im wirklichen Leben ist das nur eine Utopie, die jedoch zu einer differenzierten Beurteilung der gezeigten Ereignisse führen könnte. Das Spiel mit dieser 124

Ungarische Autoren

technischen Möglichkeit des Films entmystifiziert das Grundthema der literarischen Vorlage. Die Szene des Kennenlernens von Julie und Liliom am Karussell wird in einer Bildfolge gezeigt, die die erotische Faszination der beiden füreinander zum Ausdruck bringt. Bevor sich beide in Karussellrichtung bewegen, wird in einer langen Einstellung das sich drehende Karussell gezeigt, wobei sich die Körper zusätzlich zur Bewegung auf- und abwärts bewegen. Die technisch logisch vorgegebene kreisende Bewegung des Karussells transferiert durch diesen differenzierten Bewegungsmodus eine für beide Menschen existenziell bedeutsame Bewegung im Raum des Lebens, die jedoch  – wie im Leben der beiden Charaktere – nicht linear, sondern kreisförmig immer wieder zum selben Platz zurückkommend konnotiert werden kann. Diese auffällige Rotation findet später ihr Echo im wiederholten Zeigen des Karussells im Hintergrund ihrer gemeinsamen Wohnung, in der sie nach ihrer Hochzeit leben und aus der heraus Liliom aufwärts in den Himmel enthoben werden wird. Durch die wiederkehrende Tonfolge wird diese Interpretationsmöglichkeit bestärkt und bereitet sich in Lilioms Sitzgelegenheit auf dem Tiger in der Zeitlogik der Filmerzählung vor. Er zieht Julie zu sich heran und hilft ihr, sich an einem Messingring festzuhalten. Das Auf- und Abschwingen des sich dabei drehenden Tigers zusammen mit dem Umfassen ihrer Taille durch Liliom lässt Julie flüchten. Der nachfolgende Blick des Karussellbesitzers Musquat bestärkt das Geschehen als erotisches Geplänkel, wie es die Bildfolge und die Musik zu suggerieren vermag. Die Phase des Kennenlernens stellt sich durch die von der Stummfilmsprache geprägte Bildund Tonmontage als eine erotisch aufgeladene Szene dar, die aus dem Nebeneinander von Ton und Bild sowie aus der akzentuierten Bewegung der Körper im Raum ihre Bedeutsamkeit zu bestärken weiß. Für eigenständige und weiterführende Gedanken und Gefühle werden der Zuschauerin durch Bild und Ton sowie durch die akzentuierten Bewegungsmodalitäten Bedeutungs- und Deutungsangebote gemacht, die jedoch nicht mehr ausschließlich direkt und unmittelbar durch die Montage in Stummfilmtradition Einfluss auf das Verständnis der Handlung nehmen. Sie öffnen durch differenzierte Bewegungsfolgen in der zweidimensionalen Flächigkeit des Bildes und durch Wiederholung und Variation auf der Tonebene neue Erfahrungsebenen für das zeitgenössische Publikum.

Ungarische Autoren Neben Ferenc Molnár zeichnet im Jahre 1934 ein weiterer ungarischer Autor für eine Filmerzählung, die in Wien spielt, verantwortlich. Der Film, The Firebird, stellt ohne 125

Das Jahr 1934

großes Dekor eine sublime Beschreibung gepflegter altösterreichischer bürgerlicher Verhältnisse dar. Der Kenner dieser Atmosphäre und Autor des verfilmten Theaterstücks »Művész Színház«, das bereits erfolgreich in London und in Paris unter dem Titel »Cette nuit-lŕ« aufgeführt worden ist, ist Lajos Zilahy. Mit The Firebird stehen ein Wiener Mietshaus und dessen Bewohner im Mittelpunkt, in dem die gesamte Erzählung angesiedelt ist. Ein egoistischer Schauspieler und bekannter Verführer, Brand, wird ermordet. Da der Hausmeister schwört, in der fraglichen Nacht sei niemand von außen gekommen, werden alle Hausbewohner verdächtigt. Mit der Einheit des Ortes, an dem die Erzählung angesiedelt ist, wird die kammerspielartige Situation der Stückvorlage beibehalten und die Aufmerksamkeit auf die psychische und soziale Zeichnung der handelnden Personen konzentriert. Sich in Variationen wiederholende Erzählmotive, die durch die wiederkehrende Tonkulisse verbunden, im Sinne von Chion223 sogar animiert werden, charakterisieren die Personen. In sich ähnelnden Sequenzen, in denen Brand seine Verehrerinnen empfängt, unter anderem die Mitbewohnerin Mariette, singt er als Signal für »reine Luft« das Lied »The Firebird« von Strawinsky. »Das ist ja nur für Wilde«, stellt eine andere Mitbewohnerin zu diesem Lied fest und zeigt damit ihre Abneigung gegenüber Brand. Nach Klärung des Falles kann der leitende Inspektor Smith zusammenfassen, wodurch die Verwobenheit zwischen der imaginierten Geschichte im unmoralischen Wien und der moralischen Selbstgefälligkeit in den USA sichtlich hörbar vermittelt wird  : »It’s modern youth, (…) trying to grope its way through the moral chaos that is all around us.«

Mythenbildung Ungarische Theaterstücke mit Wiener Lokalkolorit finden immer wieder Platz an den Theatern der Großstädte und können Erfolg versprechend verfilmt werden. Nicht nur an der europäisch orientierten Ostküste ist der Einfluss auf die kulturelle Geisteswelt neben Arthur Schnitzler, Joseph Roth und Stefan Zweig von österreichisch-ungarischen Autoren geprägt. Ferenc Molnár ist mit mehr als dreißig Verfilmungen seiner Stücke der meistbeschäftigte Zulieferer von Hollywood. No Greater Glory – der Film mag als Beispiel dafür stehen – baut auf seinem Roman auf, der 1906 unter dem Titel »A Pál utcai fiúk« erstmals erscheint und der wiederholt in den USA und in Ungarn verfilmt werden wird. Die Erzählung wird zu einem Mythos des beginnenden 20.  Jahrhunderts, dessen archetypischer Inhalt sich in immer neuen filmischen Formen wiederfindet.224 Columbia Pictures legt diese Erzählung 1938 und 1944 als Film vor. Bereits 1929 und dann 1969 223 Chion, L’Audio-Vision, 1990, 16 f. 224 Vgl. Barthes, Mythen des Alltags, 1964, S. 97 f.

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Kulturelle Wurzeln

kommt es zu ungarischen Verfilmungen dieses Stoffes  : The Paul Street Boys, 1929, und The Boys of Paul Street, 1969, deren Grundthema am Vorabend des Ersten Weltkriegs angesiedelt ist und zwei konkurrenzierende jugendliche Straßenbanden zeigt.

Musicals Im Jahre 1934 kommt es zu einer verstärkten Verwendung des neuen Begriffs »Musical« für Liederfilme, der bisher ausschließlich auf Bühnenmusikstücke angewandt wird, die aus Operetten bekannte, aber auch in zunehmendem Maße neue Stoffe nutzen. Ein Musical, das im Wien des Jahres 1838 beginnt, ist Beloved, in dem der erzählte Zeitraum mehr als achtzig Jahre umfasst. Drei Musikergenerationen, deren erster Vertreter, Carl Hausmann, nach dem Tode seines Vaters 1848 aus Österreich emigriert, führen durch die Erzählung. »Variety« vergleicht Beloved mit dem erfolgreichen Musical und späterem Film Only Yesterday, obwohl sich die Kritik gegen den großen Zeitraum der Erzählung richtet, wodurch »too much into too little time« hineingepackt werde. Genau genommen sind es eine Revolution und drei Kriege, wie es ein Branchenblatt225 akribisch vorrechnet. Auch steht hier nicht nur das personifizierte und mit Europa gleichzusetzende Alte, Großvater Carl mit seiner Wiener Musik, dem jungen aufstrebenden Talent, seinem Enkel Eric, und dessen Jazzkompositionen im Wege, sondern der Großvater klagt diesen auch als Plagiator seiner Komposition an, die Eric als populäre Jazzversion verkauft. Die Versöhnung gelingt, indem Eric die »Amerikanische Symphonie«, das Lebenswerk seines Großvaters, zur Aufführung bringen kann. Der verstorbene Großmutter Geist lächelt zufrieden und holt den Gatten zu sich. Mit dieser abschließenden Einstellungsfolge wird an die semantische Verbundenheit mit den zeitgenössisch beliebten romantischen Stücken eines Egon Erwin Kisch oder eines Ferenc Molnár erinnert, in denen die Ereignisse und Schicksalsschläge auf Erden vom Willen Dritter, entweder von Verstorbenen oder von Gott, vorherbestimmt, gelenkt und geleitet werden.

Kulturelle Wurzeln Diese spätbarocke Ideenprägung – das bekannteste Beispiel ist Hugo von Hofmannsthals »Jedermann« – entsteht in den Kronländern der Monarchie aus den dort regional intensiv gepflegten Mysterienspielen, die aus den Ritualen der katholischen Liturgie hervorgegangen sind und durch die Literatur zu einer auch außerhalb der katholischen Glaubensgemeinschaft akzeptierten theatralen Kunstform erhoben worden sind. 225 Kauf, Variety, 17.1.1934.

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Eine andere Quelle226 stellen die Rituale und Gebräuche, die den Übergang vom Leben zum Tod bestimmen, in den Karpaten dar, die an der Grenze zwischen den heutigen Ländern Ungarn, Ukraine und Rumänien liegen. Begleiter führen den Toten zu einem Gericht, damit er dort über sein Leben Rechenschaft ablegen und eventuell die Möglichkeit erhalten kann, auf Zeit in die irdische Welt zurückzukehren. Über den Einfluss des ungarischen Theaters auf Hollywood im Allgemeinen fasst Katalin Pór zusammen, wenn sie in ihrer Studie dazu schreibt  : Das Thema der Masken und der Komödie ist bereits vor den Wiener Modernisten (Schnitzler und Hofmannsthal, F.G.) in einer Anzahl von Dramaturgien präsent. Seine Behandlung in den Erfolgsstücken kann jedoch davon herrühren  ; von der Tatsache des Pessimismus, der allgegenwärtig das Spiel mit dem Schein und mit den unvollständigen Personen und den Situationen (bestimmt).227

Immer wieder wird in den Stücken und Filmen jene Weltsicht gestaltet, die von der Einsicht geleitet wird, die sich hinter selbst gewählten oder von Dritten verabreichten Masken zeigt, und von dem Blick auf eine Welt, die als große Bühne gesehen werden soll. Wichtige inhaltliche Aspekte der Erzählungen umkreisen auch den Widerspruch von »alt« und »neu«, wie er sich zwischen den Generationen in der Emigration etablieren kann. Ein sichtlich wichtiger Topos bei all diesen Filmerzählungen wird der musikalische Hintergrund, sobald die handelnden Charaktere aus Österreich kommen. Erinnert sei neben den bereits genannten Filmerzählungen The Music Master und Is Everybody Happy  ? an Champagne Waltz, 1937. Geht man davon aus, dass ein wiederholtes, viermal in neun Jahren thematisches Auftreten desselben hermeneutischen Grundcodes228 nach Barthes auf ein latentes gesellschaftliches Phänomen schließen lässt, kann angenommen werden, dass Fragen wie »Emigration« und der damit verbundene »Generationskonflikt«, der sich in der Desorientierung der Elterngeneration in einer »neuen« Welt ausdrückt, zeitgenössisch aktuell gewesen sind. In Beloved verdichten sie sich noch einmal.

226 Andreesco, Bacou, Mourir à l’ombre des Carpathes, 1986. 227 »Son traitement dans les pièces à succès peut cependant être lu comme une filiation de cette production, du fait du pessimisme qui accompagne l’omniprésence du jeu sur l’apparence et du manque de consistance des êtres et des situations.« in Pór, Katalin, De Budapest à Hollywood. Le théâtre hongrois et le cinéma hollywoodien 1930–1943, 2010, 51 f. 228 Barthes [1970], 24.

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Entwicklung der Operette

Entwicklung der Operette Jene Vorzüge dieses Films, wie sie durch die zeitgenössische Kritik aufgezeigt werden, lassen das aufkommende Genre des Musicals von jenem der Operette unterscheiden  : »(…) there is deep human interest, and good music is interpolated into the story in such a way that it does not retard the action.«229 Die Verzögerung der Handlung durch eingeschobene Lieder, die die Zeit stillstehen lassen und Gefühle oder Überlegungen zum weiteren Verhalten abwägen, wird als eines der Unterscheidungsmerkmale bzw. sogar als Grund für den häufigen Misserfolg von Operettenfilmen vor allem zu Beginn der dreißiger Jahre angesehen. Interessant für den weiteren Verlauf der Selbstkontrolle der Verleiher und Kinobesitzer ist auch die Nachbemerkung in der nachfolgenden Kritik, die jene moralischen Einwände anklingen lässt, die schon bald zu den Moralkodizes eines Hays führen werden  : Because of the one situation in which it is intimated that Boles’ son had improper relations with a young girl, exhibitors will have to use their own judgement about showing it to children, adolescents, or on Sundays.230

Im Frühjahr des Jahres 1934 kommt mit One Night of Love ein weiteres Musical in die Kinos, in dem das Wiener Opernhaus in einer kurzen Episode eine Rolle spielt. Darüber ist das »Neue Wiener Tagblatt« jedoch nicht glücklich  : »Auch das Wiener Opernhaus spielt mit  ; doch was hat man in Amerika aus ihm gemacht  ?«231 Die Faszination durch die Oper – und im Besonderen durch das Wiener Opernhaus – im Kino kann durch diesen lokal geprägten Einwand jedoch nicht gebrochen werden. Im Gegenteil, sie wird durch Grace Moore232 nur noch stärker popularisiert, die auch zwei Jahre später in Josef von Sternbergs The King Steps Out in der Hauptrolle zu sehen sein wird. Der Film The Blue Danube, 1932, der bereits im Gegensatz zu früheren Produktionen selbstbewusst als Filmmusical beworben wird, erzählt eine Liebesgeschichte mit Joseph Schildkraut als Roma Sandór, der zwischen Yutka und einer blonden Gräfin (Brigitte Helm) seine Zuneigung aufteilt. Der Kritiker der »New York Times« zeigt sich, »obwohl ich kein Musikkritiker bin«, über die Musik euphorisch, die von einer achtzehnköpfigen Roma- bzw. Sintigruppe geprägt wird. They play the famous Strauss Waltz, some melodies by Liszt and a guitar song of Mr. Rode’s composition. Not being a music critic, nor possessing one’s technical vocabulary, this corner 229 Harrison’s Reports, 3.2.1934. 230 Ebenda. 231 Neues Wiener Tagblatt, 30.8.1935. 232 Moore, 1944.

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must be content to report that the selections are played in a manner that sets one’s blood to pounding.233

Außerfilmische Biografie Entgegen der üblichen Geschlechterdarstellung gestaltet Helen Twelvetrees in All Men Are Enemies mit Katha, einer Österreicherin, eine freigeistige Frau, die auf Capri Tony, einen englischen Aristokraten, kennenlernt. Die Darstellung von Katha kann damals bei den Zuschauerinnen als diegetisch biografische Fortsetzung des Charakters Elsa Elsbergen aus A Woman of Experience, 1931, gedacht werden. Mit diesen beiden Rollen wird sie nicht nur ein Vorbild für emanzipierte Frauen, sondern gleichzeitig eine der Werbeikonen dieser Jahre. Zu Beginn des Filmes, der nach der Originalstory desselben Titels von Richard Aldington gedreht wird, steht das Motto  : »The average life is the life of the crowd. To the adventurer, the idealist who sets out on a brave and solitary way. All Men Are Enemies.« Der dem Film vorangestellte Sinnspruch zeigt auch die zeitgenössische Vorliebe für eine Literarisierung bzw. vertiefende philosophische Betrachtungsweise, die mit sinnstiftender Wirkung die oft vordergründigen und kolportageartigen Ereignisse abmildert und auch für ein anspruchvolles Publikum konsumierbar machen möchte. Vielleicht war auch die Notwendigkeit gegeben, durch dieses Insert den beklagten Mangel an handlungslogischen Schnittfolgen auszugleichen.234 Kriegsereignisse bringen Katha und Tony auseinander. Da sie zwei verfeindeten Staaten angehören, werden ihre Liebesbriefe entdeckt und Kathas Vater wird von der österreichischen Polizei als vermeintlicher Verräter entlarvt. Nach Kriegsende verpassen sich die beiden Liebenden in den Straßen Wiens um Minuten. Deshalb heiratet Tony in England seine Jugendliebe, gibt sein Leben als Architekt jedoch bald auf, verlässt seine untreue Frau und kehrt nach Capri zurück, wo er Katha in demselben Lokal wie einst wiederfindet. Sie erneuern ihre Liebe und träumen von vielen Kindern und einem Haus mit einem großen Weingarten.

B-Picture-Produktion Eine Reise in die Umgebung von Budapest wird, wie jede Reise in den Osten in den dreißiger Jahren aus der Sicht von USA-Bürgern, zu einer Abenteuerreise in die Vergangenheit, bei der Österreich zum letzten ›zivilisierten‹ Haltepunkt wird  : 233 The New York Times, 8.11.1934. 234 »Chic«, in Variety, 29.5.1934.

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B-Picture-Produktion

Den Gästen erklärt der Chauffeur  : – Die Straße haben die Österreicher gebaut  ! – Hier war eines der größten Schlachtfelder des Krieges. Zehntausende sind hier gefallen. In der Schlucht türmten sich die Leichen. Der Bach war rot vom Blut. – Auf dem Hügel, wo Ingenieur Pölzig sein Haus baute und jetzt lebt, stand das Fort Marmaros. Marmaros, der größte Friedhof der Welt  ! Auf der regennassen Straße kommt das Auto ins Schleudern und stürzt in den Straßengraben. So beginnt der Film …

The Black Cat ist ein Film, dessen Locationdesign sich am Art déco orientiert. Die moderne Innenarchitektur der Villa, in der diese Horrorgeschichte erlebt wird, steht im krassen Gegensatz zu den teuflischen Ereignissen, die die Gäste zu erwarten haben. Einen Vorgeschmack darauf gibt bereits die kurz skizzierte Einleitungssequenz, in der neu eingetroffene Gäste in »Furcht und Schrecken« über ein Schlachtfeld gefahren werden. Das Ziel ihrer Reise ist eine Villa, die »auf den Gebeinen« der Kriegstoten erbaut wurde. Als Höhepunkt dieses Spiels mit der Einbildungskraft schlägt das Schicksal während der Autofahrt zu, einem Fingerzeig ähnelnd, dass das vom Chauffeur Geschilderte jetzt noch Nachwirkungen zeitigt. Mit dem Gefühl, jederzeit könne das geschehene Verbrechen die Gegenwart beeinflussen, werden die Neuankömmlinge ebenso wie die Zuschauerinnen in die weitere Erzählung entlassen. Jedes Bild und jede Einstellung ist von einer exakten Überlegung des Autors geprägt, die keine Improvisation der Darstellerinnen ermöglicht. Jede Geste wird zu einem Indiz235 im semiotischen Sinn. Der österreichische Immigrant Edgar G. Ulmer236, der zwischen 1931 und 1967 siebenunddreißig Filme in Regie durchführen wird, ist ein ambitionierter Vertreter der B-Picture-Produktion. Die Definition von »B picture« im angelsächsischen Raum und, »paracinéma« oder »bis-cinéma« im francophonen Raum leitet sich von einer Filmkritik ab, die Filme bezeichnet »(…) mit minderer Reputation, im Gegensatz zu jenen, die von der Filmkritik anerkannt werden.«237 Diese Filme, die auch »films for the second spots in the double-features«238 sind, kommen in allen Genres vor. Diese marktorientierte, funktionale Beschreibung verweist weniger auf eine Kanonisierung oder auf eine Hierarchisierung, sondern auf die Produktion von Billigware, um die Gesamteinnahmen einer in der damaligen Zeit üblichen Double-Feature-Praxis akkumulieren zu können, bei der zwei mittellange Filme mit etwa siebzig Minuten in einer Vorstellung projiziert werden. Sie werden oftmals als Experimentiermöglichkeiten für das junge technische und künstlerische Personal angesehen. 235 236 237 238

Index im semiotischen Sinne. Grissemann, Mann im Schatten. Der Filmemacher Edgar G. Ulmer, 2003. Montvalon, 1987, 50. Bordwell, Staiger, Thompson [1985], 144.

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Das Jahr 1934

Innerhalb dieser seriellen Produktion zu Beginn der dreißiger Jahre erscheinen Filme, die ihre Topoi aus dem kulturellen Umfeld der österreichisch-ungarischen Monarchie bzw. aus der Zeit der Ersten Republik nehmen. Im Gegensatz zu den Nachfolgestaaten der Monarchie, die in ihrer Filmproduktion in weit größerem Ausmaß auf identitätsstiftende Momente bei der Bearbeitung von historischen Stoffen Wert legen, sind die US-Produktionen von jenen kulturellen Signalen geprägt, die von der jeweiligen Zielgruppe gerne wiedergesehen werden. Eine kontinuierliche Arbeit, die über Jahrzehnte hinweg Produktionen mit kommerziellen Erfolgen und technischem Innovationsgeist realisieren kann, zeichnet die Autoren dieser Filmserie aus. Wird 1943 The Song of Bernadette, nach Franz Werfel, ebenso durch Henry King239 realisiert wie fünfzehn Jahre zuvor The Woman Disputed, 1928, dessen Handlung in Lemberg, Westgalizien, vor dem Ersten Weltkrieg spielt, zeichnen sich auch weitere Regisseure damit aus, im Laufe ihrer Karriere als B-Picture-Regisseure unter anderem Filme aus der Erzähllandschaft Österreichs zu realisieren.240 Die Berufskarrieren, die Vielfalt der Produktionen und die der verfilmten Stoffe lassen eine Langzeitbeobachtung zu, die zu sagen erlaubt, dass es sich überwiegend um Produktionen handelt, deren Adressaten oftmals bestimmte Zielgruppen wie die der immigrierten Volksgruppen der Iren, der Hispanoamerikaner oder eben die der Österreich-Ungarn gewesen sind. Die Auswanderung aus Europa stellt die Menschen in Fugitive Road, 1934,241 vor große Probleme. Diese heitere Erzählung – zu der Erich von Stroheims Dialoge, sein Sprachwitz und sein sicherer übergangsloser Sprachwechsel aus dem Englischen ins Deutsche und wieder zurück viel beigetragen haben  – steht stellvertretend für einen routinierten zweiten Film  : einen Zusatzfilm zum Hauptfilm innerhalb eines Gesamtkinoprogramms. An der italienisch-österreichischen Grenze macht Hauptmann Oswald Von Traunsee (Erich von Stroheim) Dienst. Er versucht eine russisch-ungarische Emigrantin zu verführen. Sie wird jedoch vor Ort von einem entflohenen amerikanischen Kriminellen geheiratet und erhält dadurch den Schutz der US-amerikanischen Staatsbürgerschaft. Ohne die eigenen unternehmerischen Perspektiven der jeweiligen Produktionsfirmen zu unterschätzen, wird von einer Diversifikation der Produktpalette zugunsten von konkreten Zielgruppen ausgegangen, die berechenbare Grundeinnahmen gewährleisten. Verbunden mit dieser Zielgruppenorientierung gibt es immer wieder technische Neuerungen, die ein zusätzliches Interesse des Publikums erwarten lassen. So wird Dil239 Kommerziell erfolgreicher Regisseur, dessen Arbeit sich über mehr als fünfzig Jahre erstreckt (1915– 1962). 240 Wesley Ruggles  : Street Girl, 1929, Alan Crosland  : Viennese Nights, 1930, John Francis Dillon  : Bride of the Regiment, 1930. 241 Im Produktionsjahr stellte Frank Strayer neben Fugitive Road weitere neun Filme her. Bekannt wurde er mit seinem Serienerfolg Blondie zwischen 1938 und 1942.

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B-Picture-Produktion

lons Bride of the Regiment in einem neuartigen Vitaphone- und Technicolorverfahren der Produktionsfirma First National Pictures erstellt. Das gleiche Bild- und Tonverfahren wird auch bei Viennese Nights als Weiterentwicklung aus The Jazz Singer verwendet. Inhaltlich werden wiederholt Themen herangezogen, die in Gegenüberstellung Jazz und klassische europäische Musik zeigen, aber auch die Adaptierungsschwierigkeiten bzw. die Assimilierungsbemühungen europäischer Immigranten für den »American Way of Life« narrativ sinnlich unterstreichen. Die genannten Filme sind in der Neuen Welt verortet, in die Immigranten aus der Alten Welt mit ihrer Kultur, mit ihren Mentalitäten und mit ihren persönlichen Schicksalen kommen.

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Ein Skandalfilm Drei Frauen und ein Mann– »Vom Objekt Frau zur Liebe ohne Objekt« – Kritik der Zeit – Weinranken  : ein Stil – Die Kraft der filmischen Sprache – Ein neues Geschlechterverhältnis

Lac aux dames von Marc Allégret und mit Dialogen von Colette und André Gide nach der Bestsellerautorin Vicki Baum242 in einem Dekor von Lazare Meerson  – das sind Namen, die die französische Filmlandschaft zu Beginn der dreißiger Jahre nachhaltig prägen. Der Film stellt eine europäische Schlüsselproduktion zum Thema dar, weil sie sich inhaltlich und formal von den übrigen Produktionen des Jahres abhebt und dadurch vom übrigen Angebot emanzipiert. Der Film, dessen Außenaufnahmen am Wolfgangsee, Salzburg, im August 1933 gedreht werden, wird zu Beginn des Jahres 1934 in Paris uraufgeführt und gehört zu jenen wenigen Beispielen aus jener Zeitepoche, die gespiegelt in unterschiedlichen Frauen eine eigenständige und unabhängige weibliche Existenz und deren Lebensentwurf vorzeigen. Colettes und Allégrets Filmsprechweise ist geprägt von der akribischen Beobachtung einzelner Gesten, die zur Verlängerung und Verdichtung des sprachlich bereits vermittelten Sinns und zu einem Ausdruck des inneren psychischen Zustandes einer in das Bild gebrachten Körperhülle werden können.

Drei Frauen und ein Mann Puck, das naturverbundene und träumende Mädchen, Danny, die sich immer wieder von Neuem absichernde Schwärmerin, Anika, die erfahrene und sexuell unabhängige Frau, und die sorgende Vefi himmeln vorerst den Mann an, um, während er sich, bestärkt durch so viel Aufmerksamkeit, treiben lässt, später in unterschiedlicher Weise Position zu beziehen. Von Vicki Baum in ihrem Roman »Hell in Frauensee« (1927) skizziert, werden sie von den Dialogautoren Colette und André Gide durch verknappte und zugespitzte Dialogpassagen zusätzlich geprägt. Dabei entstehen gegenüber dem in den Filmerzählungen bisher geprägten Frauentyp, der in den meisten Fällen an Schnitzlers Frauencharaktere erinnert, neue weibliche Wesen, die durch Landschaft und Autorin eng mit Österreich verbunden sind, obwohl sie durch Colettes Frauenbild zusätzlich aufgebrochen werden. Vor allem Puck scheint eine Variation früherer Frauendarstellungen aus den Romanen, im Besonderen aus »Die Welt ohne Sünde«, 1923, zu sein. Unter diesem Blickwinkel schuf der Film für seine Zeit eine Anreicherung und 242 1999 wird in Wien der Platz an der Wiedner Hauptstraße, Ecke Waaggasse, Vicki-Baum-Platz benannt.

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»Vom Objekt Frau zur Liebe ohne Objekt«

Erweiterung jenes weiblichen Stereotyps, das bis dahin oftmals mit Österreich in Verbindung gebracht wird. Der internationale Erfolg lässt darauf schließen, dass der Film latente Wünsche des weiblichen Publikums anspricht, die auf Verständnis stoßen, ohne sie auf nationale Besonderheiten zu reduzieren. Aber gleichzeitig darf nicht unterschätzt werden, in welcher Weise diese Erzählung, die bewusst und manifest in Topografie, Dekor, rustikalen Kostümen, typischen Tänzen und diegetischen Musiken im leicht als österreichisch identifizierbaren semantischen Raum angesiedelt ist, das bisherige Bild von Österreich modifiziert.

»Vom Objekt Frau zur Liebe ohne Objekt« Dieser Untertitel einer Untersuchung zur beginnenden Entmystifikation des Mannes als Held, wie Biolley-Godino243 selbst das Ziel ihrer Arbeit bezeichnet, beschreibt das Gesamtschaffen Colettes und exemplifiziert es gleichzeitig am Erzählten in Lac aux dames. Der Mann Erich wird durch die Präsenz der auftretenden Frauen, die verschiedene Arten von Liebe und Zuneigung personifizieren, zu einem schwachen, willenlosen Objekt gemacht. Für die Autorin gehört die Schriftstellerin Colette gemeinsam mit Hannah Arendt und Melanie Klein zum weiblichen Gesicht des 20. Jahrhunderts. Der Mann, das »Objekt der Begierden«, wird vielfältig in den Romanen Colettes variiert. Hier heißt er Erich, ein arbeitsloser Ingenieur, der von zwei Mädchen, Puck und Danny, geliebt wird. Anika, eine ehemalige Freundin, kommt auf Besuch und bringt Unruhe in die sommerliche Idylle am Wolfgangsee. Die literarische Vorlage ist »Frauen­ see« von Vicki Baum, einer emigrierten Österreicherin und erfolgreichen Schriftstellerin in den dreißiger Jahren. Licht und das Wasser, ebenfalls Hauptdarsteller des Filmes, werden sowohl atmosphärisch wie dramaturgisch gesetzt, während Volksmusikaufführungen und Tänze den Hintergrund des Geschehens bilden. (Im nachfolgenden Zitat wird Salzburg mit Tirol verwechselt.) Im Buch wie im Film gibt es die Geschichte des Sees, des Wassers, das von der Nachmittagssonne beschienen wird. In Lac aux dames ist das Wasser nicht nur ein ideales Dekor, sondern es spielt in einem gewissen Sinne die Hauptrolle. Sicherlich, wir kennen aus der deutschen Schule ein charmantes Werk »Huit jeunes filles en bateau«244, aber die Seen in den Vorstädten Berlins haben keineswegs die wunderbare Transparenz wie die in Tirol.245 243 Biolley-Godino, L’Homme-objet chez Colette, 1972. 244 Acht Mädels im Boot, Erich Waschneck, Deutschland, 1932. 245 »Il y a dans le livre et surtout le film un thème au moins aussi important que cette pauvre histoire  : c’est

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Ein Skandalfilm

Kritik der Zeit Die zeitgenössische französische Kritik ist von den Naturaufnahmen beeindruckt, indem sie einerseits immer wieder unterstreicht, dass diese Geschichte nur hier angesiedelt werden konnte, anderseits wird eine chauvinistisch orientierte Kritik zwischen den Zeilen spürbar, indem zum Beispiel die Frage gestellt wird, warum das französische Filmschaffen immer wieder auf ausländische Literaturvorlagen zurückgreifen müsse. Dazu kommt, dass weder Colette noch ­André Gide bei dieser nationalen Presse besonders beliebt sind. Ausgehend von einer zeitgenössischen Kritik246 wird sich dem Film und seiner ersten Rezeption genähert, um seine breite Wirkung beim zeitgenössischen Publikum ansatzweise rekonstruieren zu können. Der Autor der Kritik bezeichnet die junge Darstellerin von Puck, Simone Simon, als Entdeckung. Sie repräsentiere das junge melancholische Mädchen, das die reine und ungebrochene Liebe sucht, an die weder die Autorin Vicki Baum noch die Dialogschreiberinnen glauben. Deshalb werden Puck drei andere Frauen, Danny, Anika und Vefi, gegenübergestellt. Besonders hebt die Kritik den Rhythmus des Filmes hervor, der »nicht immer (…) von Schnelligkeit geprägt« ist. »Es ist eines der ersten Male, dass mir die Leinwand ein ruhiges und persönliches Gefühl gibt, das mir das Lesen eines Romans oder die Darstellung im Theater gibt.«247 Diese Beobachtung, die aus der zeitgenössischen Kenntnis der bis zum Zeitpunkt des Schreibens gesehenen Filme hervorgeht, bezieht sich auf Allégrets Konstruktion des Filmtextes, die durch epische Passagen am See und durch oft philosophisch geprägte Dialoge bestimmt wird. Dem gegenüber stehen Sequenzen, die das Leben im Kurort skizzieren. Ahistorizität  – die Sequenzen werden ohne Vorgeschichte fragmentarisch gereiht– und Unterbrechungen, die durch Passagen in der Natur und Bilder lokaler Volkstänze celui du lac, de l’eau, des après-midis ensoleillés. Dans Lac aux dames, l’eau est non seulement un décor ideal, mais elle joue en quelque sorte le rôle d’un personnage principal. Certes, nous devions à école allemande une œuvre charmante. Huit jeunes filles en bateau, mais les lacs de la banlieue berlinoisse n’avaient pas la merveilleuse transparance de ceux du Tyrol.« Chroniques, 2.6.1934. 246 Excelsior, 8.6.1934. 247 »(…) et c’est une des premières fois que l’écran m’a donné l’émotion tranquille et personelle que seule me procure la lecture d’un roman ou le représentation d’une pièce de théâtre.« Ebenda.

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Weinranken  : ein Stil

episierenden Charakter annehmen und die durch Tracht und Musik die Atmosphäre der Region zu assoziieren wissen, scheinen auf den ersten Blick die stilbildenden Momente des Filmes zu sein. Er realisiert Fragmente, in deren Mittelpunkt das Werben der Frau um den Mann steht, der in der jeweilig gezeigten Situation der Annäherung wie hilflos gegenüber steht. Kommt Colettes Stil und ihre Auffassung von Kino bei diesem Film nur sehr rudimentär zum Tragen, werden sie dagegen in Max Ophüls’ Film Divine weit sichtbarer, den sie ebenso wesentlich mitgestaltet hat, und der nach ihrer Romanvorlage von »L’ Envers du music-hall« (1913) gedreht worden ist.

Weinranken  : ein Stil In beiden Filmen wird die Handschrift Colettes erkennbar, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der filmische Ablauf mit einer bis damals unbekannten literarischen Erzählform in Einklang gebracht wird. Die Kondensierung eines sprachlichen Stils – der »vrilles de la vigne« (Weinranken) – und die Stille als Gegenpart zum Sprechen sind elementare Wesensmerkmale von Colettes Schreibweise. Diese in sich ruhenden Bilder werden im vorliegenden Film in Form von Einstellungsfolgen von Lichtspiegelungen am Wasser oder von Naturaufnahmen umgesetzt, bevor ein neues Erzählfragment aus dem Salzburger Sommerleben zu Beginn der dreißiger Jahre einsetzt. »Keine Erzählung, bon dieu  ! Herausgestellte, farbige Pinselstriche und keine Notwendigkeit eines Schlusses«, wird aus einem Brief Colettes (1924), der zehn Jahre vor der Vicki-Baum-Verfilmung geschrieben wurde, bei Kristeva248 zitiert. Ihre Modernität in Stil und Inhalt fällt auch François Truffaut auf, wenn er schreibt, »wie im Leben«249 sei die filmische Erzählung bei Colette/Ophüls und bei Colette/Allégret. Das Gemeinsame ist dabei die Flüchtigkeit der möglichen intra- wie extradiegetischen Wahrnehmungen. Die oft nur bruchstückhafte Verständlichkeit von Dialogpassagen  – Chion wird diese Art und Weise dieses In-Szene-Setzens von Sprechen erst späteren Filmen zuweisen250 – wird ebenso zu einem Teil dieser Ästhetik wie die angedeutete Gestik oder die wie zufällige Kadrierung eines Objekts, das im Verlauf der Erzählung jedoch mitunter an dramaturgischem Gewicht gewinnt. Der Erzählduktus erfordert die Zuschauerin und fordert sie heraus, macht sie mündig, ihre eigenen Entscheidungen zum Gezeigten zu fällen. Aus heutiger Sicht wird Colette mit ihren Arbeiten zu einer Vorläuferin des »nouveau roman« eines Alain Robbe-Grillet. Es kommt zu 248 »Pas de narration, bon dieu  ! Des touches de couleurs détachées, et aucun besoin de conclusion«, Kristeva, 2002, 471. 249 Ebenda. 250 Chion, 1990, 30  ; Chion, 2003, 436 f.

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einem Stillstand der Handlung, die durch das objektiv Sichtbare und dessen akribische Beschreibung ersetzt wird. In der ersten Sequenz rettet Puck den neuen Schwimmlehrer Eric aus dem nebeligen See. Sie gibt sich im weiteren Verlauf einer romantischen Verliebtheit hin, die sich durch Gesang emotional auch für Dritte nachvollziehbar auflädt, sich in differenzierter Weise immer wieder modifiziert und sich variantenreich neu einzuschreiben weiß. In seiner Beziehung zu Danny unterwirft sich Eric dem Recht des Vaters auf die Tochter, flieht vor der ihn mütterlich umsorgenden Vefi, um sich bei der vergeblichen Suche nach der verschwundenen Puck sich für das Ertrinken zu entscheiden. Dieses ›Privileg‹, bei enttäuschter oder unerfüllter Liebe sich durch Selbstmord aufzuopfern, wird in Filmerzählungen bis in die Gegenwart vor allem Frauen zugestanden, oder sie finden daraus nach einem misslungenen Versuch eine neue Lebenskraft. Christine stellt in Liebelei, filmisch zeitgleich mit Lac aux dames umgesetzt, eine Variante davon dar.

Die Kraft der filmischen Sprache Erics Entscheidung, sich zu töten, wird in folgender, von Zweifel unterbrochener Weise im Detail angeboten  : Unter Wasser löst er die Hand vom sicheren Netz, fasst doch noch einmal nach, um es schließlich endgültig loszulassen. Auf Grund dieser konkreten, wiederholten Bewegungsgestik ist die Interpretation naheliegend, an die Freiwilligkeit seines Todes zu glauben. Durch dieses Detail wird sein ihn verlassender Wille, wieder aufzutauchen, suggeriert. Das weniger werdende Licht an der Wasseroberfläche unterstreicht seinen abnehmenden Lebenswillen und lässt die andere mögliche Interpretation, es könnte ein Unfall sein, in den Hintergrund rücken. Selbst dieser persönliche Willensakt, sich zu töten, gelingt ihm, dem zunehmend  – um im Denken der Autorin zu bleiben  – emotional schwächelnden Mann, nicht. An seinem Krankenbett versammeln sich Danny und Puck, die ihrer Rivalin entgegenkommt und auf Eric verzichtet. »Tränen, nein, nein …, Tropfen vom Mond …«, singt Puck, während sie in einem Boot über den See rudert. Detailbeobachtungen häufen sich im Film und prägen den dramaturgischen Ablauf. Sie ähneln den bereits genannten Naturpassagen, die ein Fragment abschließen, ein neues beginnen lassen und die durch ihren Aufbau an die Verästelung von Weinranken, im Sinne von Colettes dramaturgischer Strukturierung, denken lassen. So bewegt sich, um für dieses Interpretationsraster ein weiteres Beispiel zu nennen, kontrapunktisch zum im Off Gesprochenen und zum überwiegenden Teil von Erics Körpers seine linke Hand, die wie zufällig kadriert wird, um die Ungeduld oder das vorgespielte Desinteresse an den Liebkosungen durch Puck für die Zuschauerin, jedoch nicht für Puck, kenntlich zu machen. Diese als eine Nebensache wahrgenom138

Die Kraft der filmischen Sprache

mene Handbewegung wird weder für den weiteren Verlauf der Handlung noch für die konkrete Beziehung bedeutsam, da, erzählchronologisch retrospektiv gesehen, Erics Verweigerung, Pucks Zuneigungen zu begegnen, für die Zuschauerin verständlich, für Puck völlig unverständlich bleibt. Die abschließende Kadrierung innerhalb dieser Einstellung, die vierzig Sekunden dauert, zeigt die Zufriedenheit Pucks. Ist Eric im chronologischen Ablauf der Einstellung nur in detaillierten Ausschnitten zu sehen, wird dadurch umso intensiver auf die Bedeutung seiner beschriebenen Handbewegung verwiesen. Während Puck ihn liebevoll kost, spielt er mit seiner linken Hand im Stroh, bevor der Kamerablick zum Paar zurückschwenkt. Die aufeinanderfolgenden Bildausschnitte erzählen die Episode innerhalb einer Einstellung. Die gewählte starre Kadrierung schwenkt zur Hand, die Stroh durch die Finger gleiten lässt  ; mit der Wiederholung dieser Handbewegung wird die Distanz des Mannes unterstrichen, bevor die Kamera zum Paar zurückkehrt. Die für Puck inzwischen im Nichtwissen um Erics Teilnahmslosigkeit veränderte Gefühlswelt wird durch die innige Stellung des Mädchens, das sich glücklich an ihn kuschelt, markiert. Der Kamerablick verweist zweifach auf Erics Geste. Dieser durch den Autorenblick geführte Blick der Betrachterin nimmt damit Einfluss darauf, was gesehen werden soll, und charakterisiert für Dritte, die Zuschauerin, Erics Stimmungslage. Wir wissen mehr über Eric als Puck. Die Einstellungsfolge wird zu einer auktorialen Erzählung, wenn sie sich in vier Einstellungen von der räumlichen Einheit mit der Person Erics loslöst. Die konkrete Geste bleibt durch die Verdoppelung, die sich sowohl im Schwenk als auch in der Handlung vollzieht, jedoch eng mit dem Körper und Erics Geisteshaltung verbunden. Seine Teilnahmslosigkeit wird durch diese mise-en-scène auffällig. In einem geschriebenen Text würde das Wort »während« diese filmische Textauflösung kenntlich machen. Neben den genannten Passagen verbindet Matz, ein Junge von zehn Jahren, die Fragmente, in denen die unterschiedlichen Annäherungen der Frauen gezeigt werden. Er ist der treue Verbündete, der immer dann wie aus dem Nichts auftaucht, wenn er gebraucht wird  : als Beschützer Erics vor den Nachforschungen Dannys ebenso wie als stummer Beobachter von Erics Treffen mit Puck. Er ist sein Führer durch das Liebesleben. Bereits in der ersten Einstellungsfolge, als Eric im Dorf ankommt, weist Matz ihm den Weg, um am Ende der Erzählung am Krankenbett zu bemerken  : »Du bist aufgewacht  !« Mit diesem fragmentarischen Erzählen haben die zeitgenössischen Kritiker ihre Probleme. Der Gegensatz von Lebensausschnitten und von Naturschilderungen, die weder psychische Zustände illustrieren noch kommentieren, sondern einfach trotz mancher emotionaler Aufgewühltheit das In-sich-Ruhen der Protagonisten zeigen, um das Außen der Natur den inneren Vorgängen zwischen den Menschen nicht gegenüber-, sondern zu ihnen parallel zu stellen, erzeugt auch jene rhythmisch fließende Filmmelodie, die an diesem Beispiel besonders auffällig wird. Die Strukturierung des Filmtextes ist klar nachvollziehbar  : Neben den Ruhepunkten der Natursequenzen – die in aufeinan139

Ein Skandalfilm

derfolgenden Einstellungen Regen zeigen, den aufgewühlten See, die sich verändernden Wolkengebilde – wird der Sprungturm zum Fixpunkt und unterteilt, gemeinsam mit schwarzen Auf- und Abblenden, zeitlich und geografisch die Tableaus der Annäherung, des Konflikts und der Aktion der handelnden Personen.

Ein neues Geschlechterverhältnis Das Ergebnis des Filmprojekts Lac aux dames stellt aus heutiger Sicht, die die unterschiedlichen Zugänge aus überblickender und wissender Distanz beobachten kann, ein multikulturelles Werk dar, das im Vergleich zu Werken der Zeit zusätzlich, besonders in der Darstellung der verlassenen Frau in Filmen zum vorgelegten Thema, seine emanzipatorische Kraft erkennen lässt. Colette führt wiederholt an, Puck erinnere sie an Vinca aus ihrem Roman »Le Blé en herbe« (»Erwachende Herzen«), 1923. Jedoch macht sie für Puck im Film die Einschränkung  : »Hier gab’s nur mehr eine verzweifelte kleine Vinca, eine Halbwüchsige – zu früh beladen mit der Demut, der Ungeschicklichkeit, der reizlosen Zähigkeit wahrhafter Liebe«. Und  : »Sie singt, wie Neger oder Kinder singen, oder chinesische Ruderer auf ihren Dschunken. (…) Sie ist ruhig, ganz in ihre Sache vertieft und nicht sehr traurig.«251 Die beiden genannten Liebesgeschichten enden ähnlich. In beiden Erzählungen singen die verlassenen, zurückgelassenen Mädchen. Führt im Roman der Mann das letzte Wort – »schadlos davongekommen«, wie es am Ende der Erzählung über Vinca heißt –, steht diesem Schluss das Ende des Filmes gegenüber, wenn Puck summt  : »Nicht Tränen, Tropfen des Mondes« und damit als »Siegerin« aus ihrer Beziehung hervorgeht. Vicki Baum schreibt über die singende Puck, indem sie die Leserin durch sprachliche Metaphern an ihrem psychischen Zustand teilhaben lässt, während der Film dasselbe Gefühl hörbar macht. Besteht dabei der Unterschied zwischen beschreiben und zeigen, ist in Colettes Roman zusätzlich die Erzählperspektive verändert, indem der Mann seine Einschätzung zu den Gefühlen des Mädchens macht. Mit diesem Film kommt es in der Darstellung des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern zu einem temporären und punktuellen Paradigmenwechsel im Filmkorpus der Zeit.

251 Colette [1923], Le Blé en herbe, 1980.

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1935 bis 1937 Semantischer Raum – Grundmotive – Filmsprache – Kulturtransfer – Prater – Image und Literatur – Literarische Bearbeitung – Wien als Ort existenzieller Entscheidungen – Filmstoffe

Italien, Tschechien und Ungarn, die mit Österreich unmittelbar geschichtlich verbunden sind, tragen zum Gesamtbild dieser Epoche bei, auch wenn sie, wie auch nach 1945, auf Erzählungen zurückgreifen, die vor 1918 liegen. Dieser Zeitabschnitt wird von neuen kreativen Überlegungen über die Bedeutung des Lichts für die Dramaturgie und über mögliche Formen des neuen Zusammenspiels zwischen Bild und Ton charakterisiert. Können zufällig bestimmte Jahre nicht mehr als ein ungefährer Orientierungspunkt im Verlauf der Filmgeschichte sein, unterstreichen sie jedoch das Prinzip des objektiven Zufalls, der durch die Auswahl eines willkürlichen Zeitraumes festgeschrieben wird, als ein die Erkenntnis förderndes Paradigma. Diese Überlegung bestätigt die Rezeptionsgeschichte des Films Liliom, 1934, der in Paris am 27. April 1934 Premiere hatte, aber in New York erst ein Jahr später, am 16. März 1935, in die Kinos kommt.

Semantischer Raum Bedingt durch die gesellschaftspolitische Situation steht auch das filmische Image Öster­reichs in Italien im Zeichen der politischen Versöhnung. Als einziges Bildtonmassenmedium der Zeit übernimmt Film im Kino den öffentlichen politischen Willen in anderer Weise als Maciste alpino, nämlich Österreich diesmal als Verbündeten zu sehen und die Freundschaft zwischen den Ländern, selbst in jenen Fällen, in denen die Geschichte umgeschrieben werden muss, zu mythologisieren. Dazu trägt die enge Bindung zwischen Mussolini und dem österreichischen Ständestaat bei. Die italienische Kinoindustrie unterstützt diese bilaterale politische Stimmung und lässt in diesen drei Jahren zwei Produktionen realisieren  : Der Film Le scarpe al sole / Schuhe in der Sonne, 1935, spiegelt das neue Verhältnis zwischen Italien und Österreich wider, das sich in einer Episode aus dem Ersten Weltkrieg materialisiert. In einem von österreichischen Truppen besetzten Dorf, in dem sich die Einwohner in ihren Häusern verschanzen, kommt es zu Versöhnungsgesten der verfeindeten Länder. Dieser Erzählung folgt ein Jahr später Tredici uomini e un cannone / Dreizehn Männer und eine Kanone, bei dem es nach dem Willen der Autoren zu einer noch stärkeren Identifikation des italienischen Publikums mit der österreichischen Armee kommen soll. 141

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Weit organischer durch die enge geschichtliche Anbindung an den tschechisch-slowakischen Kulturraum und die parallelen politischen Entwicklungen motiviert, werden im genannten Zeitraum in Tschechien drei Filme produziert und zur Aufführung gebracht, die das gemeinsame semantische Bassin nutzen. Zwei davon werden international als Aushängeschild der tschechoslowakischen Filmproduktion beim Festival in Venedig präsentiert. Auf die gemeinsame Vergangenheit geht der Film über den slowakischen Robin Hood Jánošík ein. Juraj Jánošík lebte von 1688 bis 1713, der gegen die Willkür der Wiener Behörden und gegen das Unrecht der ungarischen Großgrundbesitzer kämpfte. Bereits 1921 wird diese Erzählung erstmals in dem Film Jánošík dargestellt. Vierzig Jahre später wird seine Lebensgeschichte als zweiteiliges Epos mit gleichem Titel durch den Regisseur Palò Bielik noch einmal verfilmt. Dieses wiederholte Aufgreifen des Themas unterstreicht den für das slowakische Volk stark identitätsstiftenden Mythos. Ein Pressefoto aus dem Film 1935 lässt erahnen, dass es um eine Idealisierung des Helden geht, der – wie das Ende des Filmes zeigt – beschwingt tanzt und singt, bevor er den Galgen besteigt, auf dem zu sterben er verurteilt wurde. Typisch für den sozialen Kolportageroman und dessen wiederholte Verfilmung ist auch der 1937 in Tschechien entstandene Film Batalion / Le Bataillon des Regisseurs Miroslav Cikán zu nennen, der beim Festival in Venedig 1937 international als Länderbeitrag präsentiert wird.252 Der Film entstand nach dem gleichnamigen Roman und Theaterstück von Josef Hais-Týnecký und ist im Prag der Jahrhundertwende angesiedelt. Auch diese Geschichte wird bereits 1927 unter demselben Titel von Přemysl Pražský verfilmt. In Batalion, 1937, verteidigt František Uher, ein bekannter Prager Advokat, die arme Bevölkerung und tschechische Patrioten gegen die österreichische Justiz. Eines Tages überrascht er seine Frau Anna in den Armen eines Offiziers. Eine Welt stürzt für ihn zusammen. Man sieht ihn im Lokal »Batalion«, wo er inmitten der Gäste im Alkohol vergessen möchte. Als Advokat seiner neuen Freunde wird er bald verhaftet. Nach seiner Haftentlassung flüchtet er in ein Kloster, wo er Anna vergibt, mit der er aber nicht mehr zusammenleben möchte. Er kehrt ins Lokal Batalion zurück, wo er stirbt. Seinem Sarg folgen Menschen der Vorstädte. Eingebunden in das persönliche Schicksal des Mannes wird detailreich Lokalkolorit gezeichnet. Dieser Anwalt des Volkes, der einer historischen Person nachempfunden wird, schöpft seine Überzeugungskraft aus der Tatsache, dass er selbst ein vom Leben Gezeichneter ist und selbstlos und vergeblich für die Rechte von sozial Bedürftigen und politisch Verfolgten eintritt.

252 Haas, Willy, »Die Substanz des Filmes«, in Prager Presse, 3.10.1937– Schmitt, Julia, Kinorevue, 4, 1937.

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Filmsprache

Grundmotive Die vielschichtige und multimediale Verwendung, sei es als Roman, Theaterstück oder Filmerzählung, namentlich gleich bleibender wiederkehrender Charaktere oder in unterschiedlichen Personen sich widerspiegelnder ähnlicher Lebensläufe, wie das wiederholt mortale Ende junger Frauen, die vom Land in die Stadt kommen, um dort ihr Glück zu machen, unterstreicht das über Generationen tradierte Menschenbild, gefangen im scheinbar unveränderten Lebensweg. Nur selten nehmen Personen Volks­heldencharakter an. Neben dem Soldaten Schwejk gehört František Uher zum tschechischen Mytheninventar des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Trotz der für eine zeitgenössische Filmerzählung unausweichlichen Liebesgeschichte und des absehbaren Happyends gibt der Film Einblick in das Leben der politischen Umbruchsjahre um 1848. Dieses Jahr, das für die nationale Selbstfindung wichtig gewesen ist, wird mit dem Teilnehmerfilm bei den Filmfestspielen 1938in Venedig, Filosofská historie / Philosophen-Histörchen, gefeiert. Die Erzählung verfolgt die Entwicklung von vier Philosophen im Prag des Jahres 1848, die zum von Metternich verbotenen Festival der Philosophie kommen und in den Prager Aufständen gegen die Truppen von Windischgrätz mitkämpfen.

Filmsprache Aus ungarischer Sicht bringen 1935 bis 1937 sowohl Az új földesúr / The New Landlord, Café Moszkva / Only One Night / Café Moskau und Én voltam / Ich war es das österreichische Gesellschaftsleben in der Habsburgermonarchie ein. In Én voltam wird ein Psychiater, Dr. Mödlinger, als unverständiger Vermittler zwischen Verbrechen, Opfer und staatlicher Gewalt dargestellt. Die abschätzige Beschreibung des Berufs wiederholt sich im Hollywood, im New York und im Budapest jener Zeit und lässt diese negativ besetzte Darstellung einer Berufsgruppe als archetypische Vorstellung innerhalb des europäisch-amerikanischen Kulturkreises unschwer erkennen. Neue medizinische Behandlungsmethoden, die sexuell motivierte Krankheitsbilder durch die Analyse imaginierter Wirklichkeiten wie der des Traums therapieren, scheinen dem Vorurteil der medizinischen Scharlatanerie Nahrung zu geben und werden zu einem beliebten Spottobjekt im Massenmedium Film.253 253 Neben einer Reihe von Büchern zum Thema, die vor allem rund um den Jahrestag zu Sigmund Freud erschienen sind, möchte ich auf Glen O. Gabbard & Krin Gabbard, Psychiatry and the Cinema (2nd edition), besonders »Typology, Mythology, Ideology« (3–34), und auf den Sammelband mit Catherine Cléments Vorwort (8–13), Cinéma et psychanalyse, hinweisen. Beide umreißen historisch und quellenkritisch diese unterschiedlichen Rezeptionsweisen.

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1935 bis 1937

Én voltam aus dem Jahre 1936 stellt ein gutes Beispiel dar, wie Erfahrungen im Theater die Arbeit im Film kreativ beeinflussen können. Für den ungarischen Filmkritiker und Regisseur Artúr Bárdos ist sein Film wie das Kino im Allgemeinen eine »Projektion von Gefühlen«. Er legt Wert auf eine bewusste Unterscheidung zwischen Film und Theater. Nur selten gibt es sprachlich zugängliche theoretische Äußerungen zum Thema aus dem behandelten Kulturkreis, die sich anhand einer praktischen Arbeit als Nachweis für das kreative Verhältnis zwischen Theater und Film anführen lassen. Das Stück, das bereits zwei Jahre zuvor in seiner Regie mit Erfolg aufgeführt wird, bleibt zwar seine einzige Filmarbeit, aber deren dezidiert filmische Ausdrucksweise kann auch heutige Zuschauer beeindrucken. Ich bin mir völlig bewusst, dass der Film seine eigenen künstlerischen Gesetze hat, ich habe keine Mühe gescheut in dem Bestreben, die Verfilmung dieses Stückes so filmgerecht wie möglich zu machen.254

Besonders eine Einstellungsfolge unterstreicht in prägnanter Weise diese Suche nach filmischen Lösungen eines auf Dialogen basierenden Theaterstückes. Während Wanda leidet, die für ihren Geliebten Köhler ins Gefängnis ging, versucht dieser gemeinsam mit dem wahren Schuldigen, Bornemann, in einem Nachtclub seine Frau und seine eigene Situation, die durch Gewissensbisse belastet ist, zu vergessen. Der Verrat an seiner Frau wird sprachlos vermittelt. Dabei werden diese beiden Handlungsorte – das Gefängnis, in dem Wanda für ihn einsitzt, und die Tanzbar – durch Licht- und Tonverschränkungen in weniger als neunzig Sekunden – das ist die Länge dieser beiden Einstellungen – mittels originär filmischer Mittel zu einer emotionalen Einheit verbunden. So kreist die Lampe der Aufseherin um die schlafenden Gefangenen, unter denen auch Wanda zu erkennen ist. Der Strahl der Nachtlampe verengt sich, bis nur mehr einzelne Details, wie Köpfe, Schlafpolster und Beine, zu sehen sind. Die nun erneute Ausweitung des Spots lässt uns auf einer immer helleren Tanzfläche lautlos tanzende Beine, Körper und aneinander geschmiegte Köpfe sehen. Mehr und mehr tauchen Tische, die hohe Balkonbrüstung und die Bartheke aus der Dunkelheit der nun aufflammenden Leuchter in optischer Fortsetzung und Erweiterung der Spots auf. Zu den beiden Männern gesellt sich ein Animiermädchen. Parallel zum sich verstärkenden Licht wächst aus der Stille jene Tanzmusik, nach der sich die Paare bewegen. Bei der Erkundung filmischer Ausdrucksmöglichkeiten erscheint es notwendig, sollte man davon einen bestimmten Gestaltungswillen ableiten wollen, diese nicht nur als einzelne hervorgehobene Einstellungen, Einstellungsfolgen, Sequenzen oder filmische Sprechweisen in ihrer einmaligen Anwendung zu erkennen, sondern, um den be254 Bárdos, Szinházi Èlet, 1936, 17.

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Filmsprache

wussten Umgang mit filmgestalterischen Verfahrensweisen bewerten und würdigen zu können, sie als wiederholt vorkommende ästhetische Sprachmuster zu erkennen. Dies lässt sich dann nachweisen, wenn Varianten dieser – in diesem Falle bewussten – Montage aufzufinden sind bzw. wenn sich, wie in diesem Beispiel, die Gestaltung von Licht und Ton in ähnlicher Weise in anderen Sequenzen wiederholt. Auffällig wird eine spezifische filmische Sprechweise immer dann, wenn es zu einer gestalterischen Invariantenbildung kommt, die der Zuschauer durch deren erneute, variierte Verwendung als tiefenstrukturell bedeutsam zu erkennen vermag.255 Das Erkenntnispotenzial verlagert sich ähnlich wie bei einem linguistischen Stereotyp auf eine inhaltlich wie emotional neue Ebene. Im vorliegenden Film ist die Lichtführung noch expressionistisch beeinflusst, das heißt, das Bild wird durch harte Schatten strukturiert, die sich überdimensional an der Hinterwand abzeichnen. Eine durchzeichnete Licht- und Schattenführung bewirkt, dass die Gesichter von Sprechenden auch im Schatten belassen werden können. Dadurch entstehen neue zentrale Sinnzusammenhänge, die bei einer tradierten Lichtführung nicht in dieser Weise erkannt werden könnten. Zusätzlich erscheint die Szenengestaltung dabei aus perspektivischen Verzerrungen und unvorhergesehenen optischen Signalen zu bestehen, die das Seelenleben der Protagonisten optisch als grafischen Ausdruck in die äußere Wirklichkeit transzendieren. Eine Reihe von Filmen, die die ausdrucksstarke expressionistische Lichtführung mit assoziativen oder emotionalen Montagefiguren von Bild und Ton verbindet, kann typisch für den mitteleuropäischen Kulturraum genannt werden  ; sie wird in der Folge die US-Produktion– siehe den entstehenden »film noir« – beeinflussen. Dabei sei an europäische Filme wie Tonitschka, an Café Moskau oder an Marie, eine ungarische Legende erinnert, die alle jene starke Bild- und Tonwirkung trotz der bereits fortgeschrittenen synchronen Tonanwendung pflegen und weiterentwickeln. Solche Filme sind je nach Zeitpunkt der einsetzenden Transformierung des Übergangs vom Stumm- zum Tonfilm zwischen 1927 und 1935 sowohl in den USA wie in Europa aufzufinden. Das Oszillieren zwischen der damals bekannten westeuropäischen und der russischen Filmsprache lässt für diese im mittel- und osteuropäischen Kulturraum einzigartige Modifikation jene filmkünstlerischen Traditionen hervorheben, die sich in ihrer formal pointierten Ausdruckskraft von ähnlichen filmischen Erzähltraditionen anderer Kulturräume abheben. Erscheint die Wende zum Dialog- und Ausstattungsfilm in den USA Mitte der dreißiger Jahre bereits vollzogen, lassen die ungarischen Beispiele darauf schließen, dass dieser Entwicklungsprozess im mitteleuropäischen Raum durch den starken künstlerischen Einfluss der eigenen Filmavantgarde und durch die geografische und kulturelle Nähe zum russischen Film erst mit Verspätung wirksam wird. 255 Wuss, Die Tiefenstruktur des Filmkunstwerks, 1986.

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1935 bis 1937

Kulturtransfer Ohne die Ausstrahlung des österreichischen Filmes auf das nichtdeutschsprachige Ausland überbewerten zu wollen, kann man konstatieren, dass 1935 ein zweifacher Kulturtransfer aus Österreich stattfindet. Bei MGM wird in der Regie von Robert Z. Leonard der österreichische Film Maskerade als Escapade mit der Österreichemigrantin Luise Rainer und mit William Powell neu verfilmt. Ähnlich zu sehen ist auch die englische Version von Leise flehen meine Lieder mit dem Titel Unfinished Symphony, bei der Willi Forst mit Anthony Asquith Regie führt. Mit Escapade beginnt für Luise Rainer, die für ihre sensible Darstellung gelobt wird, der kurze Aufstieg in Hollywood. Beide Filme werden auf Grund ihres Plots und ihrer filmischen Sprechweise als veraltet eingestuft. Sie stellen jedoch zeitgenössische Beispiele für die Adaptierung von Stoffen dar, die in Europa konzipiert und für ein neues Publikum umgearbeitet werden. Beginnen diese Modifizierungsarbeiten bereits in den dreißiger Jahren, setzen sie sich bis in die Gegenwart fort.256 Die Gepflogenheit, europäische Filme erneut zu verfilmen, erinnert an die Jetztzeit, in der Erfolgsfilme in Hollywood noch einmal für den amerikanischen bzw. für den Weltmarkt aufbereitet werden. In demselben Jahr steht in den USA ein Liederfilm vom Massenfilmregisseur Frank Tuttle, All the King’s Horses, zur Auswertung bereit, bei dem es, von vielen Liedern begleitet, einen Heurigenbesuch und einen König zu sehen gibt, der Rudolf genannt wird und sich seinen Bart nicht abrasieren möchte.

Prater Mit diesem Film kehrt das durch ein derartiges Sujet angesprochene Publikum in den geografisch und zeitlich unbestimmten Erzählraum des Adels und der scheinbar unveränderlichen gesellschaftlichen Werte zurück, indem Lieder analog zur Operettentradition die Zeit innehalten lassen, um Gefühle ausdrücken, und indem der Biergarten oder der Heurige, kristallisiert im Wiener Prater, als unterhaltsamer öffentlicher Raum einmal mehr gestaltet wird. Diese drei örtlichen Topoi werden zu invarianten Standards bei der Darstellung österreichischer Geselligkeit und großstädtischer Befindlichkeit. Dafür sind Josef von Sternbergs Praterszenen aus The Case of Lena Smith und aus The King Steps Out, aber auch Max Ophüls’ Praterausflug in Letter from an Unknown Woman gute Beispiele. In The King Steps Out kommt es zu einer langen Sequenz, in der sich bei verschiedenen Pratervergnügungen das zukünftige Liebespaar näherkommt. Gesangseinlagen von Grace Moore als Cissy führen die Zuschauerin von Praterbude zu Praterbude. 256 Moine, Remakes, Les films françaises à Hollywood, 2007, 7–9.

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Image und Literatur

Als Elisabeth, die Tochter von Maximilian, Herzog von Bayern und Onkel von Kaiser Franz Joseph, den Kaiser kennenlernt, verlieben sie sich ineinander. Nach mehreren Verwicklungen finden sie zu einem Happyend zusammen, das in der »Sissy«Trilogie der fünfziger Jahre weitergeführt werden wird. Herbert und Ernst Marischka, die später für die deutschsprachige »Sissy«-Trilogie verantwortlich zeichnen, werden als Ko­autoren genannt. Die Lieder – »Stars in My Eyes«, »Learn How to Lose«, auch ­»Caprice Viennoise«, »What Shall Remain«, »The Old Refrain«, »Soldiers March« und »Call to Arms« – werden von Fritz Kreisler für die Operette »Sissy« komponiert, und die Texte stammen von Dorothy Fields. Bereits die Liedertitel verweisen auf Erzählung und Emotion in diesem Filmstück. Ist dieser Film für die einen eine »mittelmäßige Geschichte mit Liedern ange­rei­ chert«,257stellt er aus heutiger Sicht »(…) eine Art Zusammenfassung bisheriger mitteleuropäischer Operetten dar.«258 In Verbindung mit den Kameraschwenks, mit den Schärfebewegungen vom Vordergrund zum Hintergrund, durch Überblendungen und Doppelbelichtungen und mit seinen Licht- und Schatteneffekten kommt es beim Spaziergang durch den Vergnügungspark zu einer fließenden Bewegung der Körper und der Objekte. Diese Verbindung von Kamera, Licht, Überblendung und Musik bestimmt bereits in The Case of Lena Smith, soweit es durch die überlieferten Standbilder rekonstruierbar wird, das übermittelte Image des Wiener Praters. Wird hier die Atmosphäre des Wiener Vergnügungsparks lebendig gemacht, wie sie aus der Entfernung von Hollywood realistisch erscheinen kann, wird der Prater und dessen Vergnügen  – die Bahn der Zeitreise  – dagegen bei Ophüls in Letter from an Unknown Woman zur Charakterisierung der Hauptpersonen genützt. Josef von Sternberg schreibt in seinen Lebenserinnerungen  : »Prater, der große Unterhaltungspark. Das war die Luft, die meine Lungen füllte. (…) Es war die Zeit, in der meine Erinnerungen hervorbrachen.«259 Für ihn bleibt The Case of Lena Smith, der als deutscher Verleihtitel auch Frühling im Prater heißt, sein ganz persönlicher Film über Wien.

Image und Literatur Vertreter jener österreichischen Literatur, die vor und nach 1945 Eingang in die geschäftlichen Überlegungen amerikanischer und europäischer Filmproduktionen findet, wie Hugo von Hofmannsthal, Karl Schönherr, Franz Lehár oder Stefan Zweig, prägen das Image Österreichs in den internationalen Filmerzählungen wesentlich mit. Ar257 Land, Variety, 3.6.1936. 258 Hal Erickson, http://www.allmovie.com/movie/the-king-steps-out-v97808 (eingesehen am 23.11.2015). 259 Sternberg, Ich – Josef von Sternberg. Erinnerungen, 1967, 12.

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thur Schnitzler und Ferenc Molnár, deren literarische Vorlagen für jeweils zwanzig Verfilmungen dienen,260 werden zu begehrten Lieferanten von Stoffvorlagen aus dem österreichisch-ungarischen »Phäakenland«, wie das Leben in der Monarchie in den amerikanischen Zeitungen durch journalistische Reiseberichte vor 1914 charakterisiert und nach 1918 als Erinnerung an ein Goldenes Zeitalter wach gehalten wird. Mit der Literaturverfilmung The Bride Wore Red, 1937, nach Ferenc Molnár wird an Dorothy Arzner erinnert, die damals zu den wenigen Frauen gehörte, die in Hollywood Regie führen durften. Ihre spezifisch weibliche mise-en-scène wurde in der feministischen und Queer-Diskussion der achtziger Jahre neu gewürdigt. Wie zum Beispiel in ihrem Craig’s Wife, 1936, ein Jahr zuvor, entscheidet auch in diesem Film Anni Pavlovitch alias Anne Vivaldi in selbstbewusster Art über ihr Leben als Frau.

Literarische Bearbeitung In Sins of Man, 1936, nach Joseph Roths »Hiob. Roman eines einfachen Mannes«, erfährt ein verzweifelter Vater mit Hilfe eines Musikstücks, einer Glockensymphonie, von der Existenz seines taub geborenen Sohnes, der im Ersten Weltkrieg als vermisst gemeldet wurde und der durch den Schock des im Krieg zerstörten Tiroler Dorfes von seiner Taubheit geheilt worden ist. Ein Zeitsprung von zwanzig Jahren lässt den Vater und den Sohn, der zu einem bekannten Komponisten wurde, sich wieder vereinen. Neben dem erneut variierten Motiv der Emigration wird in dieser Erzählung die Taubheit zum dramaturgischen Schlüsselthema, an dem sich der Tonfilm erproben kann. Der Versuch, sich mit seinem Sohn zu verständigen, wird zu einem Spiel zwischen Bildern und nicht hörbaren Tönen, das in ähnlicher Form in Abel Gance’ Un grand amour de Beethoven bereits gestaltet wird.

Wien als Ort existenzieller Entscheidungen In einer Episode von Dodsworth / Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds, 1936, stellt sich neben Paris und Palermo ein Wienaufenthalt entscheidend für den weiteren Lebenslauf der Millionärsgattin Fran Dodsworth (Ruth Chatterton) heraus. Auf dem Europatrip, den sie mit ihrem Gatten gemeinsam unternimmt, um die Kultur Europas kennenzulernen, erfährt sie, dass sie Großmutter geworden ist. Auf der Flucht vor diesem Gedanken tanzt sie eine Nacht in Wien mit Kurt von Obersdorf (Gregory Gaye), der ihr gesteht, sie heiraten zu wollen, falls sie frei wäre. Sie bittet ihren Gatten, Sam Dodsworth (Walter Huston), sich scheiden zu lassen. 260 Costello (Hg.), International guide to literature on film, 1995.

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Wien als Ort existenzieller Entscheidungen

Bei dieser aus drei Sequenzen bestehenden Episode wird die Tanznacht für Fran Dodsworth unvergesslich bleiben, in der Wien als Ort der freien Gefühlsregungen und dessen Musik als lasterhaft, »gefährlich« für alte, überlebte Beziehungen konnotiert wird. Mit dieser Einschätzung gehen auch die mehr als zwanzig eingesehenen zeitgenössischen Kritiken konform, die Ende September und Anfang Oktober in New York und London zum Start des Filmes erschienen sind. In Wien beschränkt man sich in den ersten Kritiken darauf, zu erwähnen, dass der Film »schließlich in ein mit amerikanischen Augen gesehenes Wien führt.«261 In den französischen Zeitungen wird das Interesse auch auf jene anderen Episoden gelenkt, die in Paris und Neapel spielen. Der neue Konflikt – »eine Konstellation, die eine Handlung ins Laufen bringt«262 – in dieser Sequenzfolge entsteht aus dem Aufeinandertreffen des Wiener Lebens, das durch die Mutter von Kurt personifiziert ist, und der Sitten und Moralvorstellungen der »Neuen Welt« in der Person von Fran Dodsworth. Die Fähigkeit, mit wenigen Strichen Atmosphäre schaffen zu können, beschreibt Siegfried Kracauer  : Präzisionsarbeit  : Sie zeitigt Bildskizzen, die trotz ihrer Knappheit ein ganzes Milieu, eine ganze Stadt heraufbeschwören, und bewährt sich vor allem dort, wo es psychologische Entwicklungen zu veranschaulichen gilt. Nachklingende Walzermusik illustriert abgestufte Empfindungen, unscheinbare Gesten sind gleichbedeutend mit ausführlichen Kommentaren, und die Hotelinterieurs scheinen selber beseelt. Dadurch aber, dass sämtliche Geräusche und Dinge mitschwingen, gewinnen Nuancen, die sonst unbeachtet bleiben, das Leben, das ihnen tatsächlich zukommt.263

Die verschiedenen Städteansichten sind vom Blick des Kameramanns Rudolph Maté geprägt, der für Dreyers Michael, 1924, La Passion de Jeanne d’Arc, 1928, und Vampyr, 1932, aber auch für René Clairs Le Dernier milliardaire, 1934, und für Karl Antons Monsieur Albert, 1932, arbeitet.264 Ähnlich wie in The Marriage Circle von Ernst Lubitsch wird die Atmosphäre Wiens in Andeutungen – sei es in Familiennamen, im Dekor oder durch den Walzertanzpalast – als Europa, im Besonderen Wien, und den »American Way of Life« unterscheidendes Lebensprinzip subtil gezeichnet. Rückwärtsgewandt sich streng und gleichzeitig melancholisch der Etikette unterwerfend, wird in der Mutter die zentrale Metapher zu 261 Neues Wiener Journal, 25.12.1936. 262 »L’inventaire du code herméneutique consistera à distinguer les differents termes (formels), au gré desquels une énigme se centre, se pose, se formule, puis se retarde et enfin se dévoile (ces termes parfois manqueront, souvent se répéteront  ; ils n’apparaîtront pas dans un ordre constant.)« Barthes [1970], 3. 263 Neue Zürcher Zeitung, 29.12.1936, Kracauer, Kino, 1974, 230. 264 Riedout, The American Film, 1937.

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Wien erneuert. Die wenigen Sequenzen verbinden das Gefühl von dieser Stadt auch deshalb zu einem bleibenden Eindruck, der sich im Fortgang der Erzählung noch nachhaltiger profiliert, weil diese Episode mit dem übrigen Erzählrhythmus kontrastiert, der durch eine rasche Abfolge von Aktion im filmischen Raum wie in dem von Paris und später auch in dem von Neapel geprägt ist. Neben seinem spezifischen Einsatz von Licht und Schatten, der sein Markenzeichen in den dreißiger Jahren wird, besteht Wylers Filmarrangement darin, wie es später Bazin für Wyler zusammenfassen wird,265 die Tiefe des Raumes dafür zu nutzen, gleichzeitig verschiedene  – im vorliegenden Korpus zwei  – dramatische Pole in Form von zwei Aktionen (nicht unähnlich Orson Welles’ späterem Gebrauch der Tiefe in Citizen Kane, 1941) gestalten zu können. Eine filmsprachliche Formulierung, nämlich ausführliche Dialogpassagen durch akustische und optische Konstruktionen aufzulösen, stellt jene Sequenz dar, in der Fran von Karls Heiratsabsichten überrascht wird. Karl spricht zu einer Person außerhalb des Bildes. Diese Person, Fran, befindet sich zwar außerhalb seines Gesichtskreises, jedoch innerhalb der Kadrierung im Spiegel und für das Publikum zu sehen. Neben psychologischen Interpretationen, die über die tatsächliche Beziehung dieser beiden Menschen Auskunft geben könnten, unterstreicht dieses Bild zusammen mit der Tongestaltung wie die vorangegangenen Beispiele, in welcher Weise Wyler es versteht, Dialogsituationen mit Hilfe des Mediums Film zu dynamisieren, indem er durch Licht und Tiefenstaffelung einer Dialogpassage intellektuelle Dynamik und emotionale Perspektive verleiht. In dieser Phase der Filmgeschichte legt man verstärkt Wert darauf, mit der Technik, sei es mit Zeitlupe, Zeitraffer oder mit einer veränderten Beleuchtung, den erzählten Geschichten, die in den meisten Fällen Adaptionen von Theaterstücken sind, filmdramaturgische Dichte zu verleihen  ; jenes »Mehr an Kino«266 hinzuzufügen, das durch wiederholte technische Feinarbeit als Teil der Bedeutung vom zeitgenössischen Publikum verstanden wird. Deshalb werden auch weniger die angewandten filmsprachlichen Codes diskutiert als vielmehr die außerfilmische Bedeutung dieser Produktion, die 1937 nach der ersten Lockerung der Hays-Code-Restriktionen wieder außereheliche Beziehungen einer Familie der Upperclass zeigen kann. Die Erzählung wird zu einem heute kaum nachvollziehbaren Tabubruch für das Kinopublikum, wenn Fran Dodsworth ihren weiteren Europatrip alleine verbringen möchte, um Abstand zu ihrem Mann zu gewinnen. 265 Bazin, »William Wyler, ou le janséniste de la mise-en-scène«, 1948 266 Epstein, beschreibt die Aufgabe der Adaption vor allem in seinen Bemerkungen zu seiner Verfilmung von Edgar Allan Poe  : La Chute de la maison Usher. Eine ausführliche Würdigung der Arbeiten und Überlegungen finden sich in Aumont (Hg.), 1998, 39 f.

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Zur Darstellung von Wien bemerkt ein Kritiker der Stadt, dass »man Wien in nichts anderem als in einer leeren Bar, in der ein einziges Paar tanzt, zeigt.«267 Umso mehr spürt man die Atmosphäre, »mit amerikanischen Augen gesehen«,268 in der die auftretenden Personen sich zurechtfinden, deren Dialoge, wie Karel Reisz hervorhebt, detailreich und akribisch ausgearbeitet sind. Er nimmt vor allem Bezug auf die »planvolle, expressive Komposition«269 der Wortwechsel zwischen Fran und Karls Mutter. Das »Sinnbild«, den Kristallisationspunkt, dieser Wiensequenz stellt die Baronin hoch aufgerichtet in ihrem Lehnstuhl dar, die der Amerikanerin und dem kleinlaut gewordenen Sohn ihre Moral und ihre sittlichen Vorbehalte verkündet. Nicht für Paris oder für Neapel, sondern nur für Wien ist dieses Bild denkbar, das diese Stadt beim amerikanischen Filmpublikum der dreißiger Jahre verankert. Es setzt sich aus den beiden Wiener Typen, Mutter und Sohn, und jenen sichtbaren Teilen innerhalb der Einstellung, den Cinemen, wie dem Armstuhl, der Kleidung, der Zimmerausstattung zusammen. Der personifizierte Vorwurf in Schwarz verlässt, ohne sich noch einmal umzuwenden, siegreich das emotionale Schlachtfeld, auf dem um ihren Sohn gekämpft wird. Kurt folgt Fran jedoch nicht sprachlos, sondern die Situation noch verschlimmernd  : »Ich bringe sie zum Taxi«– im Wissen, dass er sie nie wiedersehen wird. Diese Schlüsseleinstellung, ein Urbild für die Vorstellung vom Österreich der Gegenwart, ist gleichzeitig die letzte in dieser Sequenz des Vorwurfes und der schonungslosen Klarstellungen, die mit dem Öffnen der Hotelzimmertüre beginnt und mit dem Schließen hinter Fran Dodsworth endet. Während durch Feigheit und durch falsche Versprechen das verharrende Prinzip des Alten über das Neue siegt, das für einen Augenblick die überlebten Konventionen aufzubrechen versucht, indem das »Leben gesucht« wird, wie Fran es ausdrückt, schneit es draußen vor dem Fenster, so als würde sich die emotionale Kälte von innen nach außen ausbreiten. Der Eindruck des nachhaltigen Beharrens auf kalten Konventionen verstärkt sich durch die Abblende und durch die folgende Aufblende (ohne weitere zeitliche und räumliche Markierung), die einen Blick freigibt auf das schier unendliche Meer, aus dem heraus ein Fischerboot mit Sam Dodsworth anlandet. Neapel wird als atmosphärischer und damit emotionaler Gegensatz zum verschneiten Wien eingebracht. 267 »Vor der Filmleinwand«, in Das kleine Blatt, 2.1.1937. 268 Neues Wiener Journal, 25.12.1936. 269 Reisz, 1951, 22.

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Dieser durch gegensätzliche Wetterverhältnisse gekennzeichnete Bildübergang, der durch die Off-Stimme Frans, die in akustischer Großaufnahme eine telefonische Verbindung zu ihrem Gatten in Neapel sucht, die emotionale Verbindung zur zwischenmenschlichen Situation herstellt, charakterisiert Wylers Suche nach filmsprachlichen Möglichkeiten, die über Dialogpassagen hinausgehen können. Die Winteransicht bildet zur Hafeneinfahrt einen sichtbaren Kontrast, der durch Tonweitaufnahmen von Hafengeräuschen verstärkt wird. Jene »Art und Weise« der Reproduktion. (…) das Wissen von der Kamera, um die Effekte der Einstellungen, die Probleme der Beleuchtung etc.; die Erfahrung der Komposition aus dem vorgegebenen Material. (…) Sie reproduzieren die Realität (…), als Voraussetzung, um die Einheiten der sekundären Artikulation zu ermöglichen.270

schreibt Pasolini dreißig Jahre später über die Bedeutung der filmischen Orthografie für Poesie, wie sie im konkreten Beispiel sichtbar und hörbar wird. Die Orthografie in der vorliegenden Sequenz besteht aus Halbnah- und Halbtotal­ einstellungen, die immer Blick auf das Interieur freilassen und damit jene Tiefe des Raumes mit einbeziehen, von der Bazin in der Würdigung des Werkes Wylers als »Stückwerk dieses Seelendramas« spricht, das sich in wenigen Minuten entwickelt. Für die europäischen Kameraleute begründet sich das Licht auf dem psychologischen Klima und als Konsequenz dem Thema entsprechend moduliert, während für die Amerikaner das Licht die Akteure ins rechte Licht rückt. Daher kommt auch die standardisierte Beleuchtung, bei der das Hauptlicht von oben und von vorne kommt.271

Einstellungen werden bewusst gewählt und durch Licht innerhalb der Einstellungsdauer verändert. William Wylers Lichtregie erlaubt, innerhalb einer langen Einstellung den Standort zu verändern und trotzdem ein anhaltend bedeutsames Licht und dadurch narrative Spannung zu erzeugen, ohne den gesamten Raum ausleuchten zu müssen. Das Licht wird zu einem Teil der Diegese. Es sucht weder bestimmten grafischen und technischen Voraussetzungen zu genügen noch den vorhandenen Raum als Hintergrund des 270 »Mode de la reproduction (ou orthographie) (…) connaissance de la camera, des effects de la prise de vue, des problèmes d’éclairage, etc.; expérience de la composition du materiel préparatoire. (…) Ils reproduisent la réalité donnée (…) indispensable pour obtenir les unités de seconde articulation.« Pasolini [1966], 57 f. 271 »Pour les chefs opérateurs européens, la lumière était principalment fondée sur le climat psychologiques (voir les films francais, italiens, danois, suédois, allemands, soviètiques des années 1922 à 1957 environ) et, par consequent, ›module‹ selon les thèmes, alors que pour les Américains la lumière devait d’abord – mettre en valeur les comèdiens. D’où un système d’éclairage standard don’t la lumière principale émane de sources d’éclairage placées en haut et de ace.« Alekan, 1991, 164.

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Geschehens zu nützen, sondern es setzt Akzente, die die Situation affektiv aufladen können. Das trifft am Beispiel vor allem für jene Szenen zu, die auf Dialogen aufgebaut sind und denen ohne Wylers Lichtregie die Herkunft von der Theatervorlage auf Grund der Raumkomposition und der Kameraposition anzumerken wäre, da sie in Hinblick auf die vierte Wand, den Blick des Publikums, konstruiert sind. Einige Filmkader werden aus einer zusammenhängenden Sequenz isoliert, die in einem Wiener Hotel spielt, um die Überlegungen zur Lichtregie nachvollziehbar aufzuzeigen. Die Beispiele zeigen sensibel auf, dass die unterschiedliche Beleuchtung die Bewegung im Raum konturiert, die Unruhe der Person wortlos zeigt und die Raumarchitektur grundsätzlich zu betonen weiß. Das diegetisch motivierte An- und Ausknipsen des Lichtes verändert den Raum. Es ist aus der Bewegung des Mannes, der vom Fenster zum Lichtschalter geht, um besser den späten Gast am Fenster zu sehen, bzw. vom Badezimmer in sein Schlafzimmer geht und überall hinter sich das Licht abdreht, in der aktionslogischen Veränderung begründet. Gleichzeitig wird diese Tätigkeit zu einem dramaturgischen Mittel, um die Spannung im Raum zu erhöhen. Das Gegenteil wäre eine gleichmäßige Ausleuchtung des Raumes, bei der die Raum-Mensch-Beziehung nicht zur Geltung käme. Diese Lichtregie lässt nicht nur die Tiefe des Raumes spürbar werden,272 folgt nicht nur einer erzähllogischen Dramaturgie – nämlich dass die Innenräume unbeleuchtet sind, bevor jemand eintritt  –, sondern sie lässt zusätzlichen Spannungs- und Bedeutungsgewinn zu, indem bewusst das künstliche Licht eines Hotelzimmers gegen das kurz nachfolgende flache mediterrane Tageslicht in Neapel gesetzt wird. Durch diese überlegte Lichtsetzung wird eine zusätzliche Differenzierung der emotional und inhaltlich gegensätzlichen Orte ermöglicht. Der Rhythmus der vorbeiziehenden Bilder folgt der inneren Logik der Dialoge, deren Worte wiederum den Fortgang der Handlung und die Länge der Einstellungen bestimmen. Die Bedeutung dieses Films für die Konstituierung eines »Image« von Wien kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, wenn man berücksichtigt, dass der Film zu den zwanzig einspielstärksten des Jahres 1936 in den USA gehört. 272 Kracauer, Neue Zürcher Zeitung, 29.12.1936, Kracauer, Kino. Frankfurt, Suhrkamp, 1974, 230.

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Für die dreißiger Jahre ist grundsätzlich zu bedenken, dass aus interessanten Romanen nur mäßige Filme entstehen können, da viele der Themen, die den Zeitgeist und die gesellschaftliche Diskussion widerspiegeln, durch Auslassungen, Kürzungen und Neuinterpretationen ihre gesellschaftliche Aussagekraft verlieren. Für Wyler gilt dies im besonderen Maße bei These Three / Infame Lügen, 1936, nach Lillian Hellmans Stück über die lesbische Liebe zweier Lehrerinnen, die von einer Schülerin angeklagt werden.

Filmstoffe Während des Besuchs einer blinden Frau aus Tirol, Martha Lind, in Star for a Night, 1936, bei ihren nach New York emigrierten Kindern Anna, Fritz und Nina, die sie in Reichtum und Ansehen als Konzertpianistin, als Fabriksbesitzer und als berühmte Sängerin glaubt, wird sie vom Schüler eines österreichischen Arztes operiert, der ihr das Augenlicht zurückgibt. Unter Zuhilfenahme inszenierter Täuschungen  – so gestaltet ihre Tochter für ihre nun sehende Mutter in Abwesenheit des tatsächlichen Abendstars das Varieteeprogramm – bleibt sie stolz auf ihre Kinder. Eine negative Arztrolle dagegen spielt ein Wiener Psychiater in Mr. Deeds Goes to Town, der Mr. Deeds für verrückt erklärt, weil dieser, überraschend zu Geld gekommen, es für humanitäre Zwecke ausgeben möchte. Mit der französischen Mayerling-Verfilmung Mayerling und mit The King Steps Out von Josef von Sternberg in den USA kommt es im Jahre 1936 zu einer Wiederbelebung historischer Personen, die heute noch in Verbindung mit der österreichisch-ungarischen Monarchie gebracht werden. Ist Anatol Litwaks Mayerlingfilm der erste nichtdeutschsprachige Versuch, neue Daten zu diesem Kriminalfall zu verarbeiten und den Ereignissen eine neue filmformale Facette hinzuzufügen, wird The King Steps Out der erste Versuch Ernst Marischkas, das Sissy-Thema als Filmgeschichte zu verkaufen, wobei das direkte Vorbild für den Film das Bühnenmusical von Fritz Kreisler war. In einem weit stärkeren Ausmaß als zu Beginn der dreißiger Jahre findet die Musik Verwendung, sei es als Referent einer prekären gesellschaftlichen Situation – Nazideutschland in der Mitte der dreißiger Jahre – oder sei es als dominierender narrativer Code, als Schlüssel der Erzählung, um Handlungsorte zu emotionalisieren. Eine lebendige Metapher für die in Deutschland und Österreich zunehmende politische Zensur stellt der englische Sängerfilm Land Without Music / Forbidden Music mit Richard Tauber dar. In einem unbestimmt bleibenden Königreich, in jenem »ruritanian country« der MGM oder jenem aus dem Operettenuniversum, das immer wieder als Metapher der österreichisch-ungarischen Monarchie gilt, wird jede Art von Unterhaltung, besonders Musik, verboten, da die Schulden des Königs zurückgezahlt werden müssen. In einem ähnlichen Reich der Fantasie bewegt sich der Film The Robber Symphony, 1936, von Friedrich Fehér, einem weiteren Emigranten, der nach England gegangen ist. 154

Filmstoffe

Musik leitet die Szenen, gibt den Schnitt vor und bestimmt dadurch den Rhythmus des Filmes.273 Für einen oft von langen Musikpassagen unterbrochenen, trotz allem narrativen Spielfilm – Beispiele von Hans Richter oder László Moholy-Nagy sind durchaus bereits bekannt gewesen – ist diese musikzentrierte Dramaturgie ungewöhnlich. Eine zur Zeit der Erben der Strauß-Dynastie angesiedelte Auseinandersetzung zwischen den Musikformen Walzer und Jazz findet in einem Konzertsaal im Herzen der Walzermetropole statt. Billy Wilders Erinnerungen an Wien werden in Champagne Waltz, 1937, in Form eines Musicals umgesetzt. Damit reiht sich dieser Film in die Serie jener Filme ein, die das Gegenüber von Alt und Neu thematisieren, wobei Walzer und Wien für die Tradition stehen und Jazz und New York das Moderne aus Übersee repräsentiert. Der Film macht sich auch die fortgeschrittene Technik der Tonaufzeichnung zunutze, um beide Musikrichtungen ausführlich und in bester Qualität hörbar zu machen. Die Vertreterinnen dieser Musikrichtungen, die gleichzeitig auch bestimmte moralische Haltungen ausdrücken, werden durch die Sängerin Elsa Strauss (Gladys Swarthout), Enkelin von Franz Strauss, und durch den Jazztrompeter Buzzy Bellew (Fred MacMurray) personifiziert. Gemeinsam bauen sie ihre Zukunft in New York mit einem Walzer- und Jazzpalast auf, der mit einer musikalisch gemischten Tanznummer eröffnet werden wird. Für diesen Film nimmt Paramount mit Ann Ronell eine der ersten Komponistinnen unter Vertrag  ; sie zeichnet sowohl für den Text als auch für die Musik des Liedes »Merry-Go-Round-Waltz« verantwortlich. Auch wenn die europäische zeitgenössische Kritik dieser »Melange« aus Komödie, Musical und Melodrama nichts abgewinnen kann, wird der Film retrospektiv zu einem wichtigen Beitrag in der weiteren Karriere von Billy Wilder. Er steht in der Reihe jener Filme, die – inszeniert von Emigranten wie Erich von Stroheim, Josef von Sternberg, Otto Preminger  – ihre Erinnerungen an ihre Heimat damit materialisieren. Oftmals findet »Melange« als kritischer Begriff auch Eingang in deutschsprachige Kritiken über Filme mit österreichischem Sujet und lässt damit an die Wiener Caféhaustradition erinnern.

273 Mitry, Esthétique et psychologie du cinéma, II les formes, 1965, 153.

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Filmisches Echo  : 1938 bis 1945 Gattung und Genre – Horror und Naziterror – Inszenierungsmethode – Literatur – Kreativer Impuls – Produktdesign – Radio als neues Medium – Stereotyp  : Arzt aus Wien – Filmsprache – Operette – Erinnern/Vergessen – Englischer Beitrag – Im Vergleich – Ein Touristenfilm – Historische Themen

An einem Film wie Experiment Perilous, 1944, bei dessen Uraufführung in New York am 29. Dezember 1944 das Ende des Zweiten Weltkrieges bereits absehbar ist, erkennt der Filmhistoriker Marc Vernet, dass »in diesen Filmen Hollywood die europäischen Wurzeln der amerikanischen Nation ansprechen möchte.«274 Nicht nur Filme wie Rebecca, The Two Mrs. Carrolls oder Dragonwyck, sondern auch The Great Dictator, Three Faces West, The Mortal Storm oder The Strange Death of Adolf Hitler sind mit Europa und in besonderer Weise mit Österreich verbunden und halten die Erinnerung an die Kulturen und die Menschen aufrecht. Die Jahre 1938 bis 1945 stellen einen für Österreich entscheidenden gesellschaftspolitischen Zeitabschnitt dar. Ein zeitlich begrenzter Filmkorpus lässt symptomatisch Niveau und Profil von Stil und Form, von Sujet, Erzählung und Motiven, aber auch von Genrestrukturen hervortreten, die typisch für das zeitgenössische Know-how und für einen Blick auf Österreich aus der Ferne werden. Es werden jene Genres bedient, die schon bisher bestimmend für die Darstellung Österreichs in Hollywood und im europäischen Film waren.

Gattung und Genre Gleichzeitig kommt es in seinen beiden ausgeprägten Formen des gestalteten bzw. des reportagehaften Films275 zu einer Renaissance der Gattung Dokumentarfilm. Zunehmend werden die Produktionen zu intervenierenden und anklagenden Filmessays gegen das nationalsozialistische Regime und dessen Kriegspläne in Europa. Eine Ausgabe der Fortsetzungsserie Why This War  ? in Form von kommentierten kompilierten Dokumenten berichtet ab Oktober 1939 auch über den Einmarsch der deutschen Armee in Österreich. Als einer der besten Non-Fiction-Filme des Jahres wird Lights Out in Europe, 1940, bezeichnet, der in gestalteter Form wiederholt das Thema des Titels sinnlich variiert. Why We Fight heißt eine damals populäre Wochenschau274 Vernet, »La mise en scène de l’homme-araigné«, Camérastylo, Nr. 6, 1986. 275 Gauthier, Le documentaire un autre cinéma, 2008, 206 f.

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Horror und Naziterror

serie, die Bilder aus dem deutschsprachigen Europa bzw. den umliegenden Ländern zeigt.276 Musik, Emigration und Horror sind Stichworte zu bevorzugten Themen oder Genres, die in der Epoche zwischen 1938 bis 1945 von Österreich erzählen. Sie vermitteln Wunschvorstellungen, die sich aus musikalischer Vergangenheit und politischer Gegenwart, aus politischem Horror und leidvoller Emigration ergeben. Sie werden, nicht unähnlich den Filmen nach 1945 aus Osteuropa, oft in verschlüsselter Form angeboten, wobei historische Topoi verwendet werden, um über die gesellschaftliche Gegenwart zu erzählen. Filmgenrebedingte Modifikationen bekannter Sujets werden in den dreißigen Jahren in technisch zeitgenössischer Weise aufbereitet. Wie bereits in den zurückliegenden Jahrzehnten halten Musikfilme und Ärztefilme jene Assoziationen aufrecht, durch die das Bild von Österreich tradiert wird. Dabei kommt es jedoch zu einer weiteren überzeichneten Darstellung des in Öster­ reich ausgebildeten Arztes. Fährt man in Youth for Sale, 1924, nach Wien, um sich seelisch oder körperlich heilen zu lassen, nützen jetzt österreichische Ärzte unter dem Einfluss der Freud’schen Psychoanalyse ihr Wissen dazu, um als willfährige Gehilfen einer Weltverschwörung auf menschenleeren Inseln ein Terrorregime aufzubauen. Diese mit verbrecherischer Energie versehenen Mediziner finden sich als durchgängige Topoi im Schatten der Angst vor nationalsozialistischen Spionen wieder, die mit allen Mitteln die USA unterwandern wollen.

Horror und Naziterror In The Climax, 1944, der eine Vorwegnahme späterer Gothicthriller darstellt, konzentrieren sich musikalische und medizinische Themen. Durch dunkle Gassen, die zum Königlichen Opernhaus führen, schleicht der geheimnisvolle und unnahbare Arzt Friedrich Hohner (Boris Karloff). Mit diesen ersten Bildern wird er in die Handlung eingeführt. Zehn Jahre nach dem unaufgedeckten Mord an der Opernsängerin Marcellina glaubt Dr. Hohner in Angela Klatt, einer jungen Opernsängerin, die Reinkarnation der Ermordeten zu erkennen. Er hypnotisiert sie, damit er ihre Stimme tötet. Nach dem von ihm gelegten Brand in seiner Wohnung finden die Rettungskräfte die von Dr. Hohner einbalsamierte Leiche Marcellinas in einem gepflegten Mausoleum. 276 Dokumentarfilme, die über das Schicksal Österreichs berichten  : Crisis, 1939  ; Why This War  ?, 1939 (http:// www.afi.com/members/catalog/AbbrView.aspx?s=&Movie=6765, eingesehen am 9.12.2016)  ; The Ram­ parts We Watch, 1940 (http://www.afi.com/members/catalog/AbbrView.aspx?s=&Movie=1132, eingesehen am 9.12.2016)  ; The Lion Has Wings, 1940 (http://www.afi.com/members/catalog/AbbrView.aspx? s=&Movie=5198, eingesehen am 9.12.2016)  ; World in Flames, 1940  ; Lights out in Europe, 1940  ; United We Stand, 1942  ; The World at War, 1942  ; The Navy Comes Through, 1942.

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Filmisches Echo  : 1938 bis 1945

Das Gefühl einer ständigen Bedrohung durch Naziagenten und die Situation in den von Deutschland eroberten Gebieten werden mittels fiktionaler Hollywoodfilme thematisiert. Ausgehend von einer Deutschlandreise werden in dem Antinazifilm The Man I Married, 1940, für das amerikanische Publikum Eindrücke von der Situation in Nazideutschland gestaltet. Auf Grund von Interventionen des deutschen Außenministeriums durfte der vorgesehene Titel »I Married a Nazi Spy« nicht verwendet werden. In einer Sequenz sieht man einen Zug von Häftlingen nach Dachau, der auf Nachfrage der beiden Reisenden, Eric und seiner Frau Carol, als »Österreicher im Arbeitseinsatz« beschrieben wird. Stärker als Three Faces West, 1940, bleibt The Man I Married für die Kritiker in Erinnerung. Dieser Film macht »Amerikaner glücklich (…), in Amerika zu leben«,277 während in Three Faces West, dessen Handlung ausschließlich innerhalb der USA angesiedelt ist, innerstaatliche soziale Probleme nicht ausgespart bleiben. Bei diesem Film, der einen Ausschnitt aus dem Leben von zwei österreichischen Emigranten, Dr. Braun und dessen Tochter Leni, zeigt, die nach 1938 in die USA kommen, wird auch ein weiteres Erzählmotiv, die Gefahr der nationalsozialistischen Spionage, eingeführt. Sie wird in einer Sequenz in Three Faces West durch den Besuch Erics, des österreichischen Freundes Lenis, thematisiert, der sie in die Ostmark zurückholen möchte, jedoch als Spion im Auftrag der Nazis entlarvt wird. Eine Rundreise durch Europa in Once Upon a Honeymoon, 1942, bei der im Wien des Jahres 1938 Katie O’Hara den Baron von Luber (Walter Slezak) heiratet, öffnet die Augen des Publikums durch die Erlebnisse der jungvermählten Katie, die als ehemaliger Ballettstar auch als Katherine Butt-Smith (Ginger Rogers) bekannt ist. Sie erfährt mit ihrem Gatten, der als Diplomat für die Naziregierung unterwegs ist, die Politik des Regimes und dessen Gräueltaten. Neben Ernst Lubitschs To Be or Not to Be, 1942, stellt dieser Film einen der wenigen zeitgenössischen komödiantischen Beiträge dar, die trotz der ernsten Thematik diese Form – in der Gegenwart sind La vita è bella und Train de vie dafür bekannt – verwenden. Er ist in der Art der »screwball comedy« gestaltet, die von raschen Dialogen, schlagfertigen Antworten und vom Austausch origineller Wortspiele geprägt wird, die oft durch Grimassen und überzogene Gesten begleitet werden. Neben Stars wie Ginger Rogers und Cary Grant als ermittelndem Journalist spielt Walter Slezak als Baron von Luber eine Hauptrolle, die seinen Ruf als Nazikollaborateur mit österreichischem Akzent verfestigt. Wirkt er nach außen stumpfsinnig und dem Nationalsozialismus ergeben, kehrt er nach innen seine Überlegenheit listig und hinterhältig hervor. Eine ähnliche, unrühmliche Rolle spielt er auch in Lifeboat, 1944, nämlich Willi, einen deutschen Matrosen. Dieser Charakter wird in den USA bei der Erstaufführung als 277 Variety, 28.3.1940.

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Inszenierungsmethode

zu menschlich heftig kritisiert. Der Film, für den John Steinbeck die Geschichte schrieb, läuft nicht vor 1956 in Frankreich an und kann erst 1974 im ZDF ausgestrahlt werden. Ein beliebtes Insertbild, das die Kuppel der Karlskirche als Orientierungspunkt nützt, findet auch bei Once Upon a Honeymoon Verwendung. Der bewölkte Himmel stellt jedoch eine neue Variante zu anderen Panoramaansichten dar und lässt sich als auktorialer Hinweis – eine mögliche Bedeutungsvorgabe durch den Autor – auf das Thema des Filmes, der von politischen Wolken über Wien spricht, interpretieren. Eine Sequenz, in der eine jüdische Frau mit ihrem Kind durch Reisepasstausch aus den Händen der Gestapo gerettet wird, erregt sowohl in der zeitgenössischen wie in der Nachkriegsrezeption Aufsehen und lässt einen widersprüchlichen Eindruck zurück. Eher prangert der Film die Ungerechtigkeit der Gestapo an, die sich erlaubt, amerikanische Staatsbürger zu verhaften, als die kriminelle Vorgangsweise gegenüber der jüdischen Bevölkerung. In der zeitgenössischen Kritik wird deshalb sogar von einem gefühllosen Film angesichts des Krieges in Europa gesprochen, wobei die Wahl des Genres, der Komödie, dazu sicherlich beiträgt. Eine Sequenz thematisiert zum Beispiel das Schicksal der Juden, in der es zwar zu einem emotionalen Statement gegen rassistische Politik kommt, das jedoch durch flapsige Dialoge der Hauptdarsteller und durch das vordergründig theatrale Ins-Bild-Setzen neutralisiert wird. Der Widerstand und das Schicksal jüdischer Bürger werden in anekdotenhaften Bildzitaten erzählt, die die Geschichte fragmentarisch aufladen, um die gefährliche Situation der beiden US-Bürgerinnen erzähltechnisch besser zu akzentuieren.

Inszenierungsmethode Beispielhaft können zwei Sequenzen stehen. Die erste Passage spielt in Wien und dauert fünf Minuten. Zwei Drittel davon finden in einem Hotelzimmer statt, in dem sich O’Hara und der US-Journalist, kurzfristig unterbrochen vom zukünftigen Ehemann, näher kennenlernen. Umrahmt wird diese Einstellungsfolge von Dokumentarbildern aus dem Archiv, die das Parlament zeigen, und vom Balkonblick auf die Straße, auf der es zu Tumulten kommt. Eine dieser Straßeneinstellungen zeigt das jubelnde Volk. Im Hintergrund wird ein Mann verhaftet, der eine Pistole auf ein Ziel außerhalb des Bildes richtet. Bleiben die jubelnde Masse und der Attentäter unbeweglich, eilen zwei Polizisten auf den Mann mit 159

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der Pistole zu. Anekdotenhaft dem erzählenden Gesamtzusammenhang enthoben wird diese Gegenseite bei der Ankunft Hitlers in Wien gezeigt. Zwar stellt diese Aktion als eingefügtes Bildzitat eine Reminiszenz an mögliche Widersprüche innerhalb der öster­ reichischen Bevölkerung dar, doch bleibt sie im Erzählstrang eine einmalige Aktion, die O’Hara vom Balkonfenster mit dem Blick des Kinopublikums beobachten kann. Ist dieses Bildbeispiel ein Signal für den Widerstand in Österreich, wie er um 1940 auch in den USA mehr und mehr rezipiert wird, wird in dem zweiten ausgewählten Beispiel, in dem einer jüdischen Frau mit ihrem Kind die Flucht gelingt, die gefährliche Situation durch die mise-en-scène banalisiert. Lachendes Abschiednehmen und letzte Grußworte, die vor den Augen der SS-Männer ausgetauscht werden, erinnern an eine Abfahrt zu einem Ferienaufenthalt. Der Widerspruch zwischen »Geht dorthin, wo es sicher ist« und der gelächelten Antwort »Wohin  ?« öffnet Fragen nach der adäquaten Darstellung der damals bereits bekannten Tragik dieses Sammeltransports, der im Konzentrationslager endet. Dieses Lächeln berührt heute unangenehm, verweist jedoch auf den Informationsstand des Jahres 1941 in den USA, wo man den tödlichen Ausgang vieler dieser Transporte noch nicht kennen wollte. Dieses Zusammenspiel von Dialog und Mimik kann auch auf mangelhaftes schauspielerisches Vermögen verweisen. Es generiert jedoch aber auch jenen »dritten« Sinn, der daran denken lässt, dass die Autoren, in diesem Falle der Regisseur, sich des Ernsts der Szene nicht bewusst waren. Vielleicht ist es Unvermögen, vielleicht aber auch mangelnde Einsicht aus dem Zeitverständnis heraus, die gesamte Tragik einsehen zu können. Erst die letzte Einstellung dieser Sequenz lässt die zurückbleibende O’Hara nachdenklich werden. Für die Oberflächlichkeit der Bearbeitung sprechen aber auch Einstellungen, die die beiden US-Bürgerinnen im Anhaltelager zeigen. Deren schnippischer Dialog ist genrebedingt, und die theatralische Architektur und Lichtsetzung im Studio wirken realitätsfremd. Statische Bildkomposition, theatrale Nebelschwaden und eine Gruppe sitzender Juden metaphorisieren die Situation, die durch ein jüdisches Klagelied zusätzlich an emotionalem Gewicht gewinnt. Es bleibt eine mit Holly­ woodmitteln stilisierte Darstellung, die auf Grund ihrer inszenierten Einmaligkeit innerhalb der Diegese nicht als bewusster emotionaler Erzählduktus rezipiert werden kann. Eine antinazistische Erzählung wie The Mortal Storm, 1940, über die ersten Folgen der Machtübernahme der Nazis in Deutschland, geht diesen Beispielen zeitlich voran und reagiert aktuell auf den Kriegseintritt der USA. 160

Inszenierungsmethode

Im heutigen Österreich sind Filme der Produktionsjahre 1938 bis 1945 mit Ausnahme von The Great Dictator, 1940, der direkt Bezug zu den Ereignissen im März 1938 nimmt, noch immer unbekannt. Können sie bis 1945 in der Ostmark nicht gezeigt werden, fallen sie anschließend der zwischen den Siegermächten und Österreich vereinbarten Einfuhrproduktionsquote in den meisten Fällen zum Opfer. Die bisher meistgesehene Szene eines Grenzübergangs in Richtung Österreich, im Film als Oster­lich verballhornt, ist die aus The Great Dicta­ tor / Der große Diktator, 1940. Das Land Osterlich wird als Rettung für Vater und Tochter vor den Verfolgungen der Nazischergen gesehen. Die politisch weitsichtige Parabel Charlie Chaplins bezieht das Exilland Osterlich in die Erzählung ein. Der erste Teil dieser Sequenz zeigt das Leben bei Weinbauern, der zweite Teil berichtet in Form von als Dokumentaraufnahmen inszenierten Bildern über den Einmarsch und von der Rede am Helden­ platz. Nach einer Abblende auf den gefangenen Hinkel öffnet sich das Bild auf die beiden Flüchtlinge, die die Brücke nach Osterlich überqueren. Die nachfolgende Einstellungsfolge zeigt die Idylle eines Weinbauerns, bei dem sich die beiden Flüchtlinge wohlfühlen. Mit einer Montage der »umfassenden Klam­me­ rung«278 wird eine durch sentimentale Musik unterstützte Idyllenvorstellung evoziert. Die Bildfolge erscheint wie eine Vorwegnahme heutiger Werbebotschaften über Österreich  : Wein, Gesang und »die Seele baumeln lassen«. Bei gleichbleibenden Einstellungsgrößen illustrieren das Spielen mit Kindern, die fruchtbare Weinernte und das gemütliche 278 »Beim Syntagma der zusammenfassenden Klammerung werden die verschiedenen aufeinanderfolgenden Evokationen häufig durch bestimmte optische Effekte (…) miteinander verbunden«. Metz, Semiologie des Films, 1972, 174. Im vorliegenden Beispiel werden die Einstellungen durch einen musikalischen Effekt als zusammengehörig gedacht. Chion, 1990, 16.

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Zusammensitzen unterschiedlicher Generationen exemplarisch die Idee von Glück. Die Bilder strahlen eine romantische Zufriedenheit aus, die nach aufwühlenden Erlebnissen besonders intensiv erlebt werden kann.279 Die folgende Überblendung vom Bild des Weingartens zum einen Brief lesenden Hinkel im Gefängnis lässt diese Bilder wie eine Aufzählung wirken und als eine beruhigende Vorstellung des Inhaftierten erscheinen. Wie auch immer die kulturelle Vercodung dieser Sequenz subjektiv ausfällt, in allen Fällen bezieht sie sich auf Bilder, die sich mit einem friedvollen Land verbinden und für das amerikanische Publikum authentisch und glaubwürdig wirken können. Wenn sich Chaplin »Osterlichs« als Metapher für Österreich bedient, wird damit nicht nur aktuellen diplomatischen Verwicklungen aus dem Weg gegangen, sondern damit wird auch eine in österreichischen Operetten übliche Tradition aufgegriffen, die für ein bestimmtes nationales Stereotyp typische Lebensbereiche wie Trinkkultur, Musik, Kleidung, Natur und Bürokratie anspricht, ohne sie jedoch namentlich als Österreichtum zu benennen. Ein aus der Operettentradition bekanntes Beispiel dieser Nichtnennung ist das Land »Pontevedrin« in »Die lustige Witwe«. Sogenannte »ruritanian« Filme der Firma MGM greifen diese Tradition in Hollywood auf, indem immer wieder auf ein Fabelland, das irgendwo in Südosteuropa gelegen sein soll, als Ort der Handlung verwiesen wird. Ein letztes Beispiel dafür findet sich in Vizi privati, pubbliche virtù / Die große Orgie, 1976, bei dem es zu offenen Interpretationsmustern kommen kann. Benennt die deutschsprachige Kritik den Ort der Handlung sofort als Mayerling, Österreich, wird in der englischen Presse ein unbekannter Ort – irgendwo im Osten – assoziiert. 1938 werden sechs Filme in den Kinos der USA gestartet, die sowohl ein zeitgenössisches Erinnern ermöglichen wie auch Stereotypen und Klischees280 über Österreich verfestigen. Das Kinojahr 1938 spiegelt jene Genres wider, die die Gesamtjahresproduktion in Hollywood dominieren und bis 1945 bestimmend für das vermittelte Image werden, das ein Erinnern an ein von der Landkarte verschwundenes eigenständiges Land ermöglicht.

279 In einer Bewertung dieses Syntagme en accolade bemerkt G. Jacquinot  : »(…) eine Konstruktion, die auf ein erarbeitetes Konzept beruht  : sie lädt den Zuschauer ein, sich darauf einzulassen, was er in einer Serie von Einstellungen zu einem gleichen Thema sieht  ; sie ist auch im Besonderen ein pädagogischer Diskurs, der sich durch eine Klassifikation oder einem Vergleich der Vorgaben ergibt.« »(…) est une construction fondée sur la conceptualisation  : il invite le spectateur à retenir ce qui dans une serie de plans renvoie à un même thème  ; il est donc tout particulièrement à même de faire passer un discours pédagogique qui réside très souvent dans une classification ou une comparaison de données.« Odin, 1990, 199. 280 Zum Begriff  : im kollektiven Unbewussten gründende urtümlich Leitbild, die ältere menschliche und tierische Generationen gesammelt haben (C.G. Jung).

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Kreativer Impuls

Literatur Beachtenswert sind zwei Literaturverfilmungen, deren Autoren und Erzählungen eng mit Österreich verbunden werden. Neben Stefan Zweigs Roman »Marie Antoinette«, der unter dem gleichen Titel Marie Antoinette in der Regie von W.S. Van Dyke anläuft, kommt es am 4. März des Jahres 1938 zu der Premiere einer freien Bearbeitung von »Die gelbe Nachtigall«, Hermann Bahr (1907), unter dem Titel Romance in the Dark, 1938, mit Hollywoodstars wie Gladys Swarthout, John Boles und John Barrymore. Diese Liebesgeschichte spielt in Ungarn um die Jahrhundertwende. Ilona Boros, eine Volkssängerin, trifft auf den berühmten Opernsänger Antal Kovach, der Tony genannt wird. Es ist eine jener Geschichten, in der die weibliche soziale Anerkennung angeblich nur durch die Liebe zu einem Mann realisiert werden kann. Als Beweggrund der Verfilmung wird die Suche der Firma Paramount nach einem geeigneten Stück für ihren Star Gladys Swarthout angegeben. Bizets, Rimski-­Korsakows und Mozarts Melodien standen hier Pate, um die Musiktradition Europas zu präsentieren. Der Film reiht sich in die Produktionen der vorangegangenen Jahre ein, die ihr Stammpublikum mit vielen Musikeinlagen immer wieder finden und deren populärer Höhepunkt bereits sieben Jahre zuvor mit Filmen wie The Smiling Lieutenant und Bitter Sweet stattfand.

Kreativer Impuls Im Gegensatz zur englischen Produktion von Hitchcocks Waltzes from Vienna, in dem Backstubengeräusche die musikalischen Kreativität unterstützen, werden in The Great Waltz / Der große Walzer Vogelstimmen und das gleichmäßig rhythmische Klappern der Kutschenräder Impulsgeber für die ersten Takte zum bekannten Walzer »An der schönen blauen Donau«. Der Film wird auch als ambitionierter Versuch gesehen, eine Modifikation des bis dahin gewohnten Musikfilmsubgenres »Liederfilm« zu liefern. Diese Veränderung ist auch an der Anreicherung von Erzählmotiven zu bemerken. Strauß wird direkt in die Straßenkämpfe des Jahres 1848 einbezogen. Er und seine adelige Geliebte Carla Donner werden kurzfristig zu Helden der Studenten. Den musikalischen Werdegang von Schani Strauß, vorerst Bankbeamter, dessen Emanzipation von seinem berühmten Vater und den Aufstieg zum unumschränkten Walzerkönig von Wien begleiten verschiedene Frauen. Vor allem Poldi Vogelhuber (Luise Rainer) und Carla Donner (Miliza Korjus) sind in diesem gezeigten Lebensabschnitt seine unverzichtbaren Musen. Inspirationsquellen sind nicht nur die Revolutionstage im Wien des Jahres 1848, sondern auch Kutschenfahrten im Wienerwald. Der Regis163

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seur lässt jedoch das Leben nicht »zu einem Musical verkommen«, wie es »Variety«281 anerkennend vermerkt. Die Atmosphäre des frühen Wien wurde in großartiger Weise nachempfunden. Man fühlt sie so, als wäre man mitten drinnen  : in der fröhlichen, glitzernden Hauptstadt mit ihrer unterhaltungssüchtigen Bevölkerung. In einem Dutzend emotionaler Szenen hält uns Luise Rainer mit ihrer magischen Ausstrahlung gefangen.282

Die Sequenz der Kutschenfahrt wird zu einem kreativen Akt, bei dem das rumpelnde Geräusch der Kutschenräder und die zwitschernden Vögel den Rhythmus und die Melodie des »Donauwalzers« vorgeben, die sich als optisches Echo im Wechsel von Licht und Schatten wiederfinden lassen. Filmhistorisch ist diese Gestaltung von Interesse, weil in den Jahren des aufkommenden und sich entwickelnden Tonfilms noch weitere Filme genannt werden können, die diesen musikalisch kreativen Akt des Komponierens auf die Alltagsgeräusche zurückführen, die von den Zuschauerinnen mit der nun verfeinerten Technik gehört werden können.

Produktdesign Die Bedeutung von unterschiedlichen Filmdesigns, die mit verschiedenen Filmgenres identifiziert werden, lässt sich an der Premierenkritik der »New York Times« ablesen  : No other studio in Hollywood can build such ballrooms and fill them with such lovely, lacy ladies. No other studio makes such enchanting beer-gardens, with the moonlight just right and the dance floor perfection. No other studio can make so big a picture out of so small a script.283

Produktionsfirmen profilieren sich in den dreißiger Jahren durch Verträge mit Schauspielstars, mit Ausstattungsprofis wie Cedric Gibbons oder mit international renommierten Komponisten wie Dimitri Tiomkin, die über Jahre hinweg das spezifische optisch-­akustische Design der Firmen nach außen tragen. Bei diesen Filmen kann nicht von einzelnen Autoren gesprochen werden, die den Film prägen, sondern ein gesamtes Team steht für die Realisierung und für das künstlerische Ergebnis bereit.

281 Variety, 25.11.1938. 282 The Film Daily, 4.11.1938. 283 Nugent, Frank S., 25.11.1938, The New York Times.

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Radio als neues Medium

Radio als neues Medium Am 2. April 1938 startet die Paramountproduktion International Crime von Charles Lamont, die, wie die Länge von 65 Minuten schließen lässt, als B-Picture einzustufen ist. Das Mordopfer im Film finanzierte bestimmte mit Wiener Dialekt sprechende Gruppen, die als Agenten verdächtigt werden. Deshalb wird die Suche nach den Mordtätern in bekannten österreichischen Lokalen der Stadt begonnen. Der Detektiv, genannt »The Shadow«, gibt sich als österreichischer Baron aus. Gleichzeitig ist »The Shadow« auch eine erfolgreiche Zeitung und eine viel gehörte Radiosendung, die vor allem investigativen Journalismus betreibt. Charles Lamont, Autor des Filmes, ist ein typischer BPicture-Regisseur. Er stellt 1938 insgesamt drei Filme her und kommt in seiner gesamten Karriere auf fünfundachtzig Filme. Diese genannte Filmproduktion, die das neue Medium, das Radio, als Kommunikationsmöglichkeit propagiert und den Alltag von Detektiven schildert, gehört zu den beliebten Filmserials der Zeit. Kulturgeschichtlich bemerkenswert, da in den dreißiger Jahren die Bedeutung des Radios sprunghaft zunimmt. Es wird erstmalig als gesellschaftliches Phänomen wahrgenommen und geht wie in Three Faces West oder Citizen Kane in die Filmerzählungen der Zeit ein. Ebenfalls aus dem Paramountproduktionszentrum, läuft zwei Monate später Sto­ len Heaven an, dessen Handlung in einem Wiener Biergarten beginnt und in dem das Wiener »Mädl« Steffi der weibliche Hauptcharakter ist. Verkörpert wird es durch den neuen Star der Firma Paramount, Olympe Bradna, die als Tanzakrobatin in Paris bekannt wurde und nun mit diesem Film ihren Einstieg in Hollywood finden möchte. Steffi, unter dem Spitznamen »Will O’ the Wisp« auch als Taschendiebin bekannt, muss nach einem misslungenen Diebstahl mit ihrem Freund Carl fliehen. In einem unwegsamen Gebiet folgen die beiden einer entfernten Pianomusik und erreichen die Villa des Konzertpianisten Langauer, der sein Gedächtnis verloren hat. Mit Hilfe von Steffi kehren seine Musikkenntnisse zurück. Als Steffi und Carl über die Grenze fliehen wollen, erkennen sie, dass diese mit einem elektrischen Draht gesichert ist. Auch in diesem Film wird der Musik eine dramaturgisch wichtige Rolle zugesprochen  : Im Biergarten werden die Bestohlenen durch Steffis Live-Auftritte abgelenkt. Das Haus des Pianisten Langauer, der Liszt, Chopin und Grieg spielt, wird zum Zufluchtsort der Gejagten. An den genannten Beispielen lässt sich zeigen, dass die europäische Musiktradition zu einem wichtigen Element des Filmmarketings gemacht wird. Gleichzeitig verweist die Schließung und die elektrische Verriegelung der Grenze auf die gesellschaftlichen Zustände in Europa.

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Stereotyp  : Arzt aus Wien Howard Hawks’ Bringing Up Baby / Leoparden küsst man nicht, 1938, führt das Stereotyp des übereifrigen Wiener Quacksalbers in der Person von Dr. Fritz Lehman (Fritz Feld) weiter. Der Schauspieler Feld wird in Rollen wie der des verrückten Fremden, des exzentrischen Regisseurs oder des Oberkellners bekannt. Sein typisches Sprechmerkmal ist der »popping sound of a champagne cork, which he makes by bouncing the flat of his hand off his mouth.«284 Neben der langen Sequenz in The Great Dictator, 1940, erinnert ein gesamter Film direkt an das im deutschen Reich aufgegangene Österreich  : The Strange Death of Adolf Hitler, 1943, der in seiner Gesamtheit in Wien spielt. Drei Filme tun dies indirekt, indem sie Sequenzen der »Ostmark« widmen  : In The Mortal Storm, 1940, Three Faces West, 1940, und Once Upon a Honeymoon, 1942, wird Österreich Zufluchtsort für aus dem nationalsozialistischen Deutschland Emigrierte oder Handlungsort, um Charaktere durch ihre Reaktionen besser kennenzulernen. Die Erzählungen der Filme bilden ein unmittelbares zeitgenössisches Echo auf die Zeit zwischen 1933 und 1945. In The Mortal Storm wird die Erzählung im Jahre 1933 in einer kleinen deutschen Universitätsstadt bei einer Geburtstagsfeier aufgenommen, die von der Nachricht unterbrochen wird, dass Adolf Hitler Kanzler geworden ist. Professor Roth, seine Tochter Freya und deren ehemaliger Freund Martin Breit, der schon bald über die Grenze von Bayern nach Innsbruck flüchten muss, sind im Gegensatz zu Freyas neuem Freund Fritz erschüttert. Auf ihrer Flucht nach Österreich werden Freya und ihre Mutter überrascht. Freya gelingt mit Hilfe Martins die Flucht bis zur österreichischen Grenze, wo sie von der Grenzpatrouille unter dem Kommando von Fritz erschossen wird. Viele der Filme von Frank Borzage stellen sich gegen Krieg und Faschismus285 und sind von einer fein strukturierten und durchdachten Filmsprache geprägt. Der Film gehört in die Reihe jener positiven Bilder von Österreich, die wie The Mys­ terious Lady, 1928, The Great Dictator, 1940, oder Szerencsés Dániel, 1983, den Grenzübertritt als Hoffnung für ein freies Leben sehen.

Filmsprache Im Zentrum der Einstellungsfolge aus The Mortal Storm, die dem Todesschuss vorausgeht, steht eine lange Einstellung, die aus einem langsamen Schwenk von links nach rechts besteht. Die Grenzsoldaten zielen, schießen und erkennen beim automatischen Nachladen, dass sie bereits getroffen haben. Der starke Schwarzweiß-Kontrast und 284 The New York Times, 4.3.1938, 17. 285 A Farewell to Arms, 1932, No Greater Glory, 1934, Three Comrades, 1938, The Mortal Storm, 1940.

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Filmsprache

The Mortal Storm (Frank Borzage, USA, 1940) »Ich kann in deiner Welt nicht leben  !« Die Flucht nach Österreich über die Berge bleibt als letzter Ausweg.

Spring Parade (Henry Koster, USA, 1940) Am Kirchtag wird Ilonka Tolnay (Deanna Durbin) vorausgesagt  : »Deine Zukunft liegt in Wien. Dein Ehemann wird ein Künstler sein. Dein Freund in der Not wird ein großer und mächtiger Mann sein. Wahre Liebe wirst du finden.«

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die Perspektive aus der Sicht der Verfolger öffnen die Gefühle für die Verfolgten. Die drei Einstellungen stellen den Höhepunkt der Verfolgungsjagd an der österreichischen Staatsgrenze dar. Die Emotion der Protagonisten schreibt sich in diese Bildgestaltung ein und steht durch den besonderen, die Wirkung erhöhenden Rhythmus der Bildfolgen in ihrer Gestaltung isoliert zu den übrigen Einstellungen innerhalb dieser Sequenz. Der subjektive Blick der Täter und der klare Schwarzweiß-Kontrast finden sich in einem ähnlichen Filmzitat fünfundzwanzig Jahre später in Szegénylegények / Die Hoff­ nungslosen, 1966, wieder. Auch hier führt der Wechsel der Perspektive – der vom verdächtigten Studenten, dem vermeintlich die Freiheit geschenkt wird, zum unsichtbaren Schützen, der ihn erschießt – zu einer Intensivierung des Tathergangs durch Bildbau und Kadrierung. Im Gegensatz zu Szegénylegények, in dem nach dem zu Tode gestürzten Studenten am freien Feld eine neue Sequenz beginnt, kehrt die Kamera in The Mortal Storm zur tödlich Getroffenen zurück. Dieser Perspektivenwechsel verdichtet die Empathie um die Flüchtenden. Zwar kann die vom gesamten Film abweichende Gestaltungsvariante vermerkt werden, doch kann dieses Beispiel nicht als eine durchgehende Stilisierung, als eine Art lexikalischer Begrifflichkeit bei Bildung einer emotionalen »Sensation«, gesehen werden. Ein wiederkehrendes zeitlich begrenztes Gestaltungsmittel fördert die Verdichtung von Emotion, wie Thierry Kuntzel es in seiner Untersuchung286 am Beispiel von M – Eine Stadt sucht einen Mörder, im Besonderen am wiederholten Auftreten des Balles, nachweist. In die kleine Stadt Ashville Forks, in der John (John Wayne) Gemeindevorsitzender ist, kommen der freundliche Arzt Dr. Braun und seine Tochter Leni, beide Flüchtlinge aus dem Wien des März 1938. Leni trauert um den Tod ihres Wiener Freundes Eric. »In Zukunft werdet ihr nicht mehr Flüchtlinge, sondern Pioniere sein«, versucht John sie moralisch zu unterstützen. Er kann noch nicht wissen, dass er selbst bald in der gleichen Situation sein wird, da die stetigen Staubstürme sie zwingen werden, wegzuziehen. »Langsam schlage ich hier Wurzeln«, antwortet Leni auf das Ansinnen zum Umzug. Nur die Liebe zu Leni und die Hoffnung auf baldigen Regen lässt John den Kampf gegen den wütenden Sandsturm fortsetzen. Leni hört, dass Eric lebt. Diese Nachricht und das Ausbleiben des Regens sind für den nun verbitterten John das Signal, Ashville Forks für immer zu verlassen. Die Parallelhandlung mit den österreichischen Emigranten erinnert an die damals aktuellen politischen Ereignisse in Österreich. In Three Faces West wird das Radio als neues Medium der gesellschaftlichen Kommunikation wahrgenommen. In einer populären Radiosendung, »We, the people«, stellen sich der aus Wien geflüchtete Arzt Braun und dessen Tochter Leni vor, um in einer medizinisch unterversorgten Gemeinde Arbeit zu finden. 286 Kuntzel, »Le travail du film«, in Communications, Nr. 19, 1972, 38. Mit dieser Arbeit verbindet der Autor erstmalig in der Theorie des Films einen strukturalistischen mit einem psychoanalytischen Ansatz.

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Filmsprache

Als »ausgezeichnete populäre Unterhaltung mit Starbesetzung«287 wird dieser Film eingeschätzt, der damals im angelsächsischen Raum regulär in den Kinos gezeigt wird. Flüchtlinge, soziales Engagement und eine Vater-Tochter-Beziehung sind die Erzählmotive, die dieser Film anspricht. Er gibt einen Einblick in die Lebensgewohnheiten zu Beginn der vierziger Jahre und darin, wie die offiziellen, aber auch die inoffiziellen USA mit ihren Flüchtlingen, die damals aus Österreich kommen, umgeht. Wie es jemandem geht, der aus seiner Heimat flüchten muss, ist eine der Geschichten im Film, die durch das Schicksal der Farmer, die vor dem Wirbelsturm flüchten müssen, nochmals in einem neuen Licht erscheint. In seinem Sujet wird der Film mit The Grapes of Wrath, 1940, verglichen. Sigrid Gurie als Wiener Emigrantin erscheint den Kritikern »wenig adäquat« für die Rolle, während John Wayne in seiner Darstellung den zeitgenössischen Kritiken gut erscheint. »Nach achtzig Filmen (alleine 1939 arbeitete er an fünf Filmen) wurde ihm eine Rolle anvertraut, in der er ohne Claire Trevor der alleinige Star sein konnte.«288 Ein weiteres Beispiel zum Thema nach Erich Maria Remarques Roman »Liebe deinen Nächsten« stellt So Ends Our Night, 1941, dar, der eine Rückkehr in das Naziöster­ reich imaginiert und ohne Happyend für den seine Frau suchenden Josef Steiner tödlich endet. The Strange Death of Adolf Hitler, 1943, bewusst als Antinazifilm von Fritz Kortner konzipiert, spielt im ostmärkischen Wien, das in den Studios nachgebaut wird. Die aus The Great Dictator bekannte Doppelgängerrolle wird in der Person eines Wiener Magistratsbeamten, Franz Huber (Ludwig Donath), variiert. Das tragische Ende – seine eigene Frau Anna Huber erschießt ihn im Glauben, er sei Hitler, im Foyer des Hotels Imperial – verstärkt die allgemeine Ablehnung des Filmes in den USA. Fritz Kortner und Joe May beschreiben in ihrem Drehbuch, wie Franz Huber mit Erfolg Hitler imitiert. Am gleichen Abend wird er von der Gestapo verhaftet. Seine Frau glaubt an den Tod ihres Mannes. Aber nach einer Gesichtsoperation wird er als Doppelgänger bei öffentlichen Auftritten von Hitler eingesetzt. Während seine beiden Söhne zu Hitlerjungen erzogen werden, nimmt seine Frau Kontakt mit einer Widerstandsgruppe auf. Um die amerikanischen Zuschauer im Sinne einer antifaschistischen Publizistik zu beeinflussen, wird der Konflikt durch die bekannten filmischen Zeichen des Genrekinos vermittelt289

fasst Jan-Christopher Horak in seiner Studie die vordringliche Aufgabe der Anti-NaziFilmproduktion der Jahre 1939 bis 1945 zusammen. 287 Today’s Cinema, 2.10.1940. 288 Harrisons’s Reports, 22.6.1940. 289 Horak, 1984, 979.

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Einen ähnlichen Blick wirft dreißig Jahre später Georg Seeßlen auf Inglourious Bas­ terds, 2009, wenn er den Film mit Leni Riefenstahls Werk in Verbindung bringt. Mit historischen »Fakten« kann man, das haben unsere Faschismuserzählungen bewiesen, trefflich Fiktionen füllen. Quentin Tarantino verfährt umgekehrt. Mit einer historischen Fiktion kann man dem Mythos und der Ikonografie des Faschismus beikommen. Keine schlechte Art der Dekonstruktion.290

Beide Filme fragen, was wäre wenn, und gestalten diese Möglichkeitsform als fiktionale Realität. Als The Strange Death of Adolf Hitler in die Kinos kommt– »für jene, die die Sensation suchen«, beschreibt die »New York Times« den Film –, stellt sich die aktuelle Auseinandersetzung zwar anders dar – nämlich  : Wie kann man der konkreten Bedrohung des Faschismus beikommen  ?– das künstlerische und narrative Verfahren, Überhöhung und Zuspitzung, ist jedoch bei beiden Filmen ähnlich.

Operette 1940 werden mit der Operettenverfilmung Bitter Sweet, bereits als Operette 1929 in London uraufgeführt und 1933 von Herbert Wilcox erstmals filmisch bearbeitet, die Traditionen dieses Genres im Film fortgesetzt. Die der Wiener Mentalität nachgesagte Charaktereigenschaft »so lange a Musi spült« erhält mit der Schlussszene einen für das aktuelle Schicksal Österreichs metaphorischen Charakter, wenn Sarah erkennt, dass ihr Geliebter so lange am Leben bleiben wird, wie er seine Musik hören kann. Der Liederfilm Spring Parade, 1940, in der amerikanischen Presse als Musical bezeichnet, wurde bereits 1934 in Budapest erstmals produziert. In der amerikanischen Fassung kauft Ilonka Tolnay (Deanna Durbin) bei einer Tombola ein Los, auf dem steht  : »Dein Glück ist in Wien«. Am Ende des Films steht ein Walzer, der von Ilonka und ihrer Lebensliebe Harry mit Einverständnis des Kaisers getanzt wird. Beide Filme führen in eine sichtlich, glaubt man diesen Filmerzählungen, glückliche Zeit in der Monarchie zurück. Die Zielgruppe sind die Opfer der erzwungenen Immigration ab 1938, mehr als dreißigtausend,291 und die verschiedenen Einwanderungswellen in den Jahrzehnten zuvor. Auch der deutschsprachige Curtis Bernhardt292 bekommt in diesem kulturellen Umfeld seine erste Chance in Hollywood, indem er eine Filmfassung der österreichischen 290 Seeßlen, 2009, 45. 291 Eppel, 1999. 292 Belach, Aufruhr der Gefühle. Die Kinowelt des Curtis Bernhardt, 1982, 180–182.

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Erinnern/Vergessen

Operette My Love Came Back, realisiert, die bereits mit dem Titel Episode, ein Sequel von Maskerade, in Österreich in der Regie von Walter Reisch realisiert wurde. In Bernhardts Version werden die Personen amerikanisiert, das Grundmotiv Liebe zwischen junger Sängerin und älterem Gönner wird beibehalten. Die Wiener Opernbühne in The Climax, 1944, zusammen mit einem Hypnotiseur garantiert für Gruseln. In dieser bedeutungsschweren Verdopplung wird Undenkbares möglich und sogar wirklich. Das Medium Film im Allgemeinen besitzt die Tendenz, trotz aller Metaphern, Metonyme und Mythen, realitätsnahe das möglich Machbare zu zeigen. Diese beiden Topoi verfestigen sich durch den Nachhall der damals wissenschaftlich noch immer abzulehnenden Methode der psychoanalytischen Hypnose und, das darf nicht unterschätzt werden, durch die geografische und multikulturell geprägte Nähe zum Unbekannten, das durch den Furcht einflößenden slawischen Osten, aus dem die fahrenden Gaukler und Zauberer einst kamen, fassbar gemacht wird. Bereits 1930 unter dem gleichen Titel verfilmt, nützt dieses Remake das tradierte Mirage von Wien als Stadt der verrückten Psychiater und der geheimnisvollen Ereignisse, die das tägliche Leben bestimmen. Nicht zufällig wird, wie bereits in Edgar G. Ulmers The Black Cat, 1934, die geheimnisvolle Hauptrolle wieder mit Karloff besetzt, um den sich eine Serie von Bildern und Charakteren gruppiert, die vom Architekten Halmar Poelzig aus The Black Cat bis zum Wiener Opernarzt Dr. Friedrich Hohner in The Climax reicht. Wird in The Black Cat die Erinnerung, auf der neues Leben aufgebaut werden kann, als zentrale Grundthese der Erzählung aufgenommen, wird in The Climax der Verlust der Stimme thematisiert.

Erinnern/Vergessen Das Erinnern und die Sprachlosigkeit, die das Vergessen fördert, werden zu symptomatischen Grundthemen der untersuchten Filmproduktionen. Diese thematische Kontinuität ist auch für die Produktion nach 1945 bemerkenswert, wenn an die Weiterführung des Genres des Agentenfilmes gedacht wird. Als Beispiel mag vorerst Foreign Intrigue, 1956, genannt sein, das seine Atmosphäre unabhängig von der Technik der bekannten indirekten Beleuchtung, die aus den Filmnoir-Filmen bekannt ist, vor allem darauf aufbaut, dass die Einwohner der Stadt den Fremden feindlich gegenüberstehen und damit keine sprachliche Kommunikation zustande kommen kann. Darauf verweist auch die bekannte Szene kurz nach dem Mord am Hausmeister in The Third Man. Die beiden genannten Nachkriegsproduktionen können bereits auf dieses Mirage bauen, das durch die Filme der dreißiger und vierziger Jahre geformt worden ist. Die Satire auf die »Zombie«-Filmserie, King of the Zombies, 1941, und die Kriminalgeschichte The Mad Doctor, 1941, erweitern das Bild des verbrecherischen Arztes aus Österreich um weitere Varianten. 171

Filmisches Echo  : 1938 bis 1945

Treffen in King of the Zombies zwei abgestürzte Flieger auf einer Karibikinsel auf Dr. Sangre, ebenfalls einen österreichischen Arzt, der sie warnt, »dass eine offene Kopfwunde den Geist des Teufels anziehen kann«,293 wird im zweiten Film bei Nachforschungen ein Wiener Ärztejahrbuch entdeckt, in dem der verdächtige Dr. George Sebastian als Dr. Frederick Langamann angeführt ist, der, wegen eines Doppelmordes verurteilt, sich aus dem Gefängnis in die USA absetzen konnte. Er behauptet, dass niemand von seiner »Familie« die Insel verlassen könne, da sie österreichische Flüchtlinge ohne Reisepass sind. Abgeschnitten von jedem Funkverkehr, sind die Gestrandeten der Herrschaft Dr. Sangres ausgeliefert, der sich mit von ihm hypnotisierten Menschen umgibt und sich als Spion der deutschen Wehrmacht zu erkennen gibt. Die Angst machende Atmosphäre des Krieges wird ebenso wie das Bild des verrückten österreichischen Psychiaters genützt, der mit Hypnose Menschen für seine verbrecherischen Taten gefügig macht. Dem Darsteller von Dr. Sangre, Henry Victor, begegnet man in The Mad Doctor in einer kleineren Rolle als Mr. Thurber ebenso wieder wie in Once Upon a Honeymoon, in dem er einen deutschen Soldaten spielt. Seine Körpergröße von knapp 1,90 Meter und sein von Deutsch gefärbtes Englisch bringen ihm viele Nebenrollen, in denen er Deutsche und Österreicher glaubwürdig darstellen kann. Mit dieser Rollenfestlegung formt er nachhaltig das Bild des Deutschen bzw. des Österreichers. Wie die drei Filme auch zeigen, war es in Hollywood damals noch nicht üblich, zwischen Arzt, Psychologe oder Psychiater zu unterscheiden. Für das Jahr 1939 kann als erstes Beispiel für eine Erinnerungskultur, die sich auch nur in Sequenzen oder in der Herkunft der Hauptprotagonistinnen äußert, We Are Not Alone, 1939, genannt werden, das in einer englischen Kleinstadt des Jahres 1914 angesiedelt ist und in dem eine aufstrebende Balletttänzerin aus Österreich, Leni, Auslöserin für Eifersucht und für einen unaufgeklärten Todesfall wird. Einem historischen Thema widmet sich eine ähnliche, kolportageartige Produktion mit dem Detektivfilm Calling Philo Vance, 1940, in dem Philo Vance, der Hauptcharakter einer damals beliebten Detektivserie, nach Wien fährt, um dort Archer Coe, einen der Spionage Verdächtigen zu überwachen. Seine Gegenspieler sind japanische Agenten. Ein Beitrag zur unbekannten österreichischen Geschichte im Ausland stellt The Mad Empress dar, mit dem an den österreichischen Erzherzog Maximilian und dessen Frau Charlotte (hier  : Carlotta), Prinzessin von Belgien, erinnert wird. Aus den wenigen Tagen ihrer Regentschaft wird ein historisches Drama entwickelt, das Carlottas geistige Umnachtung im Verlauf des Filmes immer stärker in den Vordergrund rückt und Maximilian als den in die Weltpolitik unglücklich Verstrickten zeigt.294 Gleichzeitig mit 293 http://archive.org/details.php?identifier=KingOfTheZombies (eingesehen am 23.3.2015). 294 Die Skizzierung der Charaktere findet sich in überraschenderweise in Fernando del Pasos »Noticias del Imperio / Nachrichten aus dem Imperium«, 1987.

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Englischer Beitrag

The Mad Empress wurde auch Juarez, 1939, in die Kinos gebracht, in dem dieselben historischen Ereignisse nicht nur aus der Sicht von Maximilians Gegenspieler erzählt werden, sondern in dem auch Stars wie Paul Muni (Juarez), Bette Davis (Carlotta) oder Brian Aherne als Maximillian die Hauptrollen spielen. Zwei Jahre vor dem Kinostart von Bambi kommt im Jahr 1940 der Film Florian in die Kinos. Beide Filme basieren auf Vorlagen von Felix Salten. Nach Österreich für authentische Panoramaaufnahmen geschickt, wird der Second-Unit-Regisseur Richard Rosson für vierunddreißig Tage von der Gestapo eingesperrt, da er der Spionage verdächtigt wird. Im Zeigen des Werdegangs eines Lippizaners, der vor dem Ersten Weltkrieg beginnt und sich nach dem Krieg in New York fortsetzt, wird der Film zu einer Parabel auf die Emigration und auf das Lebensschicksal vieler österreichischer Adeliger, die, entwurzelt durch die revolutionären Nachkriegsereignisse und durch die Ausrufung der Republik, in den USA ein neues Leben beginnen müssen. Komödien wie die genannte zeigen auf, wie in den Jahren zwischen 1938 und 1945 das europäische Erbe – sei es in Musik, in Literaturvorlagen oder in der Immigration europäischer Schauspielerinnen – Einfluss auf die Filmproduktion nimmt. Ähnlich dem Musiker Franz Waxman, der zu diesem Film wie auch zu Liliom, aber auch später für den Film Man on A Tightrope, 1953,die Musik komponierte, finden weitere Immigranten wie Cedric Gibbons, Karl Freund oder Szöke Szakáll, in der kleinen Rolle des Max, Arbeit. Für ihn wird der Film der Beginn einer langen Karriere in Hollywood.295

Englischer Beitrag In den MGM-Studios in London wird Goodbye, Mr. Chips, 1939, produziert, in dem eine Episode in den österreichischen Bergen und eine weitere an der Anlegestelle am Wiener Donaukanal angesiedelt ist. Der damalige männliche Star des britischen Films, Robert Donat, spielt Charles Chipping, von seinen Schülern Mr. Chips genannt, Lehrer in Brookfield, der keine Karriere an der Schule machen kann, da er zu offen und zu persönlich mit den Schülern umgeht. Eingebettet in die Lebensgeschichte dieses Lehrers werden einige Wiener Ansichten in Szene gesetzt. Die Geschichte basiert auf dem Roman von James Hilton, die als Fortsetzung in »British Weekly« im Dezember 1933 erscheint. Deren zeitgenössischer Erfolg bei den Leserinnen gab den Ausschlag, sie 1939 filmisch zu dramatisieren. Zeitlich in den Zweiten Weltkrieg versetzt, kommt es 1969 zu einer Wiederverfilmung durch Herbert Ross, in der Wien als kultureller Fixpunkt jedoch keine Rolle mehr spielt. 295 Einen guten Überblick über aus Österreich emigrierte Künstlerinnen und Künstler im Film bieten Christian Cargnelli und Michael Omasta, Aufbruch ins Ungewisse, 1993.

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Wird bei Goodbye, Mr. Chips Wien als stimmungsvolle Kulisse und als Erinnerungsort der beginnenden Liebe von Chips (Robert Donat) und Kathy (Greer Garson) eingesetzt, muss sich Kathy, während sie und ihre Freundin mit den Rädern durch Österreich touren, auch persönlich mit dem gesellschaftlichen Klima in Österreich konfrontieren. Aus dieser Beschreibung lässt sich ein sentimentales Drama nachvollziehen, in dem Wien, ähnlich wie Paris, als Stadt der Verliebten eingeführt wird. Verglichen mit dem gesamten Film bleiben diese Szenen ähnlich wie in Dodsworth / Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds eine von Glück erfüllte Lebensepisode. Die erste Sequenz in Wien – sie kommen per Schiff – zeigt das neuerliche Treffen von Chips und Katherine bei der Schiffslandestelle. Am Steg treffen Mr. Chips und Katherine zufällig aufeinander, nachdem sie sich in den Bergen Österreichs bei einer Wanderung kennengelernt haben. Beide englischen Reisegruppen – Kathy mit ihrer Gouvernante und Chips mit seinem Freund Max – spekulieren über die Farbe der als blau besungenen Donau. Im Hintergrund hört man den Donauwalzer. Von Wien sieht Kathy den »vorbeifahrenden Kaiser, Schönbrunn und die Schlagsahne«, wie sie, um nicht ihre Zuneigung zu Mr. Chips zugeben zu müssen, in ihrer Verliebtheit hervorhebt. In einer langen Einstellung mit Schwenk über das Schiffsdeck des ankommenden Schiffs der DDSG (Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft) wissen Chips und Kathy unabhängig voneinander von der Legende zu erzählen, dass nur für Verliebte die Donau blau erscheint. Getrennt durch ein Schiffsdeck – ein Schwenk unterstreicht die zeitliche Parallelität ihrer Gedanken –, erzählt jeder der Freundin (dem Freund) diese Legende  : »Für mich ist die Donau … braun«, sagen Chips’ Freund ebenso wie Kathys Freundin. – »Es gibt eine Legende. Die Donau ist nur blau … für verliebte Menschen«, antworten gleichzeitig Chips und Kathy übereinstimmend, ohne sich zu sehen. Die zweite Sequenz, die in Wien angesiedelt ist, ist dem Walzertanzen gewidmet. Die Einstellungen  : weit auf den Ballsaal, halbnah auf die Tanzenden. Die einzige Naheinstellung zeigt das Vergehen der Zeit  : Kerzen werden kürzer. Nicht nur, dass hier Kerzen zur Beleuchtung des Saales gezeigt werden  – also zeitgenössisch authentisch rekonstruiert –, es wird auch die zunehmende Innigkeit, die durch die Musik ausgelöst wird, nachvollziehbar, weil im Verhältnis zur gesamten Erzählung diese Sequenz ungewöhnlich detailreich und akribisch genau ausgeführt wird. Die dritte Sequenz, die am Morgen des nächsten Tages nach einer intendierten Zeitellipse von einigen Stunden beginnt, deren zeitlicher Freiraum jedoch an nichts »Unmoralisches« denken lässt, verfolgt das Abschiednehmen vor dem Zug. Sie haucht einen Kuss, der ihn in Verlegenheit bringt.

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Ein Touristenfilm

Im Vergleich Im Vergleich mit Dodsworth wird der Unterschied zwischen diesen beiden Wiensequenzen erkennbar. Während in Dodsworth die US-amerikanische Industriellengattin Fran die Wiener Gesellschaft kennenlernt, sehen die beiden Verliebten in Goodbye, Mr. Chips Wien als Kulisse für ihre eigene Leidenschaft an. Es bleibt beim äußerlichen Bild auf eine Stadt, die Touristen vermeintlich finden können, wenn sie während einer Rundreise für eine Übernachtung nach Wien kommen. Mit Goodbye, Mr. Chips thematisch eng verwandt, jedoch mehr als zweitausend Kilometer von England entfernt und siebenundzwanzig Jahre später angesiedelt ist der ungarische Film Aranysárkány / Der goldene Drachen, 1966, in dem Erinnerungen an einen menschlichen Lehrer in dem engen und harten k. u. k. Schulsystem hervorgeru­ fen werden, ebenso wie der polnische Film Zmory / Gespenster in eindrucksvollen Sequenzen realistisch vom Drill in einem k. u. k. Gymnasium berichtet. In Menaces, 1940, leben in einem Emigrantenhotel im Quartier Latin in Paris Flüchtlinge aus ganz Europa. Ein österreichischer Arzt, Dr. Hoffmann (Erich von Stroheim), trägt eine Halbmaske. »Wie eine antike Göttin. Ein Teil ist die Seite des Krieges, der andere die des Friedens«, wird er gegen Ende des Filmes sein auf den ersten Blick verunsicherndes Aussehen aufklären. Eine Gasbombe im Ersten Weltkrieg zerriss die Hälfte seines Gesichts. Kinder werden davon jedoch nicht abgehalten, ihn zu fragen, woher er komme. Der Maske wächst neuer Sinn zu. Sie lässt uns von Beginn an fragen und wird zu einer unausgesprochenen Klage. Mit dem Klang seiner Stimme unterstreicht der Arzt seine Betroffenheit, wenn er seine Heimat für ausradiert erklärt  : »Sie existiert nicht mehr  !«

Ein Touristenfilm Zeitgleich mit Goodbye, Mr. Chips und Menaces wird mit Castelli in aria / Luftschlösser, 1939, in Italien eine Komödie produziert, die das Genre des unterhaltsamen Touristenfilms mitbegründet, der in den fünfziger Jahren seinen Höhepunkt erlebt und Auslöser für die erste Urlauberwelle in Italien werden wird. Im Mittelpunkt steht eine junge Wienerin, die in Begleitung eines großzügigen, österreichischen Industriellen Italien entdeckt. Als Fremdenführer wird ein neapolitanischer Geiger angeheuert, der sich als Prinz ausgeben soll. Nachdem seine wirkliche Identität entlarvt wird, gestehen sich 175

Filmisches Echo  : 1938 bis 1945

die Österreicherin und der Italiener ihre Liebe und verweisen damit am Vorabend des Weltkriegausbruchs auf eine mögliche Allianz zwischen diesen beiden Völkern.

Historische Themen In ungarischen Filmen der Jahre 1938 bis 1945 stehen historische Themen, die vor 1914 angesiedelt sind, im Zeichen einer Geschichtsschreibung, die das heutige, überwiegend deutschsprachige Österreich mit Ungarn verbindet. In der als Untersuchungszeitraum ausgewählten Epoche werden trotz Kriegsereignissen, Zensur und trotz zunehmender Eliminierung jüdischer Schauspieler und Filmtechniker über hundertfünfzig Filme produziert. Bereits fertig gestellte Filme mit jüdischen Schauspielern wie Fehér vonat, 1943, werden verboten und militant antisemitische Filme, wie Örségváltás / Changing of the Guards, 1942, in die Kinos gebracht. Zum Untersuchungsthema realisierte und während des Krieges aufgeführte Produktionen bestehen entweder aus Alltagsgeschichten der »kleinen« Leute, in denen das Schauspielermilieu eine große Rolle spielt, oder aus Verwechslungskomödien, wie Éjféli keringö / Midnight Waltz, 1944. Historische Ereignisse wie die Revolution 1848, Identifikationstopos der ständestaatlich organisierten Nation, werden wie in Szováthy Éva filmisch ausformuliert oder wie in A három galamb / The Three Pigeons, der in das Jahr 1910 zurückgeht, beispielhaft vorgeführt. Aber auch der erste ungarische Nachkriegsfilm, der im Herbst 1945 in die Kinos kommt, A tanítónö / The School-Mistress, geht in die Zeit kurz nach der Jahrhundertwende zurück  : Eine junge Lehrerin bekehrt durch Liebe den Landbesitzersohn und dessen Vater zu einem menschlicheren Verhalten gegenüber den von ihnen abhängigen Landarbeitern. Als in London am 1. Juni 1944 der Film Hotel Reserve Premiere hat, verfolgt man in diesem das Schicksal des jungen Studenten Peter Vadassy, der aus Österreich emigrierte, um in Frankreich nationalisiert zu werden. Die französischen Autoritäten sehen ihn jedoch als deutschen Spion. Wie der Autor Eric Ambler betont, bezieht er sich in seinem Roman auf die aktuelle politische Situation im Jahr 1938.

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Rekonstruktion von Gefühlen und Gedanken (Eine Versuchsanordnung)

Beispielhaft werden mögliche Gefühle und Gedanken aus der Perspektive eines fiktionalisierten französischen Soldaten im Wien des Jahres 1951 entworfen. Dabei soll die gesellschaftliche und individuelle Situation so genau wie möglich berücksichtigt werden. »Es wäre wert, zu versuchen, eine Geschichte, die die Transformation des Sehens beeinflusst, vom Kinozuschauer und von dessen Erfahrungen – notwendigerweise fragmentarisch und subjektiv – zu erzählen.«296

Uns gefällt ein Film, oder er gefällt uns nicht. Schwieriger ist es schon, einen Film einzuschätzen, wie er früher angekommen sein könnte. Wie er meinen Großeltern oder meinen Eltern vor dreißig Jahren gefallen hat. Man war mit anderen Erfahrungen und Mentalitäten vertraut, die auch andere Gefühle ausgelöst haben. Obwohl sich Mentalitäten nicht unähnlich zu Essensgewohnheiten am langsamsten verändern, können Alltagserfahrungen gemacht werden, die Meinungs- und Verhaltensmodifikationen beschleunigen. Ausgehend von den grundlegenden Prinzipien Umberto Ecos wird die mögliche Kooperation des Textes mit dem Zuschauer rekonstruiert, da der Text, ein Film, ohne Zutun der Zuschauerin »faul und hilfsbedürftig«297 ist. Er existiert nur in den Erfahrungen der Zuschauerin. Die Art und Weise der Filmrezeption individualisiert den Filmtext, da dessen Sinn sowohl in seinen latenten wie in seinen manifesten Strukturen unablässig einer Veränderung unterworfen ist. Der Film lebt nicht nur während seiner Projektion, sondern auch und unmittelbar durch den Zuschauer und durch dessen Fantasiearbeit, die auch noch nach Jahren aktiv sein kann. Vier unterschiedliche Zugänge, die die subjektive Rezeption leiten, sind dabei zu unterscheiden und werden innerhalb dieser Rekonstruktion beachtet. Nach Mikos wird die Rezeption von der sozialen Einbettung, von der thematischen Voreingenommenheit, von den Strategien der Rezeptionssteuerung und vom Medienverhalten und dessen Verkopplung mit der Lebenswirklichkeit und der Entwicklungssituation des einzelnen Rezipienten geleitet.298 296 Rancière, »Les mots de l’histoire du cinéma. Entretien avec Jacques Rancière«, 1996, 52. 297 Eco [1979], Lector in Fabula. Le rôle du lecteur, 1985. 298 Mikos, Fern-Sehen. Bausteine zu einer Rezeptionsästhetik des Fernsehens, 2002.

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Rekonstruktion von Gefühlen und Gedanken (Eine Versuchsanordnung)

Denken wir an einen französischen Soldaten aus Paris, der im Jahre 1951 als Streife der vier Siegermächte dem Wiener Alltag begegnet und sich dabei an Erzählsequenzen und Bilder aus früher gesehenen Filmen über Wien und Österreich in tagtraumähnlicher Formerinnert. Nennen wir ihn zum Beispiel Jean-Paul. Für ihn findet eine Umkehrung der Erinnerungen statt. Nicht Filmbilder weisen auf früher Gesehenes und Erlebtes, sondern die wirkliche Stadt mit ihren Ruinen und mit den vom Nationalsozialismus und vom Krieg veränderten Menschen lässt Filme und die erlebte Situation aufleben, in der er diese bewegten Bilder vor dem Krieg gesehen hat. Diese Erinnerungen bleiben jedoch, ähnlich der Tagtraumbeschreibung bei Bachelard,299 ohne Struktur, ohne Anfang und Ende, und es gibt kaum mehr Rätsel zu lösen. Sie besitzen jedoch für den Tagträumenden der Jahre nach dem Krieg –im Gegensatz zum außerhalb der Zeit stehenden Tagträumer – keine Zukunft, die seit dem Filmerlebnis durch die realen Kriegserlebnisse nicht schon verblasst wäre. Es waren gleichzeitig subjektive Erinnerungen an Abende, an Gefühle und an Menschen, mit denen zusammen er diese Filme im Vorkriegsparis gesehen hat. In der Konfrontation mit dem bisher gelebten Leben und der tagtäglichen Wirklichkeit sind die Filmbilder bereits in dem Moment wieder verschwunden, in dem man glaubt, sie endlich verstanden zu haben.300 Erinnerung wird nicht zu einer jederzeit abrufbaren Quelle, sondern zu lebendigen und ständig sich verändernden, menschlichen Erfahrungswerten. So ergeht es wohl auch dem etwa vierzigjährigen Jean-Paul, der vielleicht jenem Franzosen aus dem Film Die Vier im Jeep ähnelt. Nehmen wir an, er möchte anonym bleiben. Aber stellen wir uns vor, er wäre vor dem Krieg ein Cineast, ein Filmliebhaber, gewesen, der Soldat werden musste. Wie wir heute aus Recherchen über das Kinofilmangebot in Frankreich wissen, könnte er bis zu diesem Tag insgesamt zweiundvierzig Spielfilme gesehen haben, die von den Menschen in Österreich erzählen. Dabei sind jene nicht mitgezählt, die während der Okkupation in Paris gezeigt werden, und jene aus dem nationalsozialistischen Österreich, die in der österreichischen Filmgeschichte euphemistisch »Überläufer« genannt werden, wie zum Beispiel Wiener Mädeln, 1945, das im Krieg gedreht worden war, aber erst nach dessen Ende aufgeführt wurde. Der französische Soldat aus dem Plakat soll als eine Person vorgestellt werden, die durch die ihr bekannten Filmbilder die Wiener Nachkriegswirklichkeit schärfer sehen lernen kann, wodurch sich »in allen neuen Zeichen und Bedeutungen ein beharrliches Umgestalten vergessener Vergangenheit in Form einer sogenannten zweiten Erinnerung zeigt.«301 299 Bachelard, 1960. 300 Scheffer, L’homme ordinaire du cinéma, 1980, 116. 301 Ebenda.

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Rekonstruktion von Gefühlen und Gedanken (Eine Versuchsanordnung)

Dieser Soldat überquert vielleicht an einem Herbstsonntag des Jahres 1951 beim Café Sperl die Gumpendorferstraße im Wiener 6. Bezirk. Gibt es tatsächlich so viele Agenten in Wien, wie es ihm die Filme, die er sich gerne im Apollo-Kino ansieht, weismachen wollen  ? Er hört ja ab und zu von einer Entführung, die ähnlich jener ist, von der The Red Danube, 1949, erzählt, in dem eine russische Balletttänzerin nach Moskau verschleppt werden soll. Sie wird jedoch von einem heldenhaften britischen Offizier gerettet. Sind die wenigen gezeigten Wiener Charaktere, die als Stichwortgeber, untergebene Diener oder als Mordopfer, ähnlich wie in The Third Man / Der dritte Mann, 1949, der Handlung Wiener Kolorit verleihen, tatsächlich auch in der Wirklichkeit zu finden  ? In seiner täglichen Arbeit als Patrouillenleiter im Außendienst trifft er viele Stadtbewohner, denen er mit seinen Klischees, Vorurteilen und Stereotypen begegnet. Obwohl er als Kinoliebhaber schon viele Filme gesehen hat, er wird als der Modellleser in diese Versuchsanordnung eingebracht,302 beeindruckt ihn der heutige Film besonders, den er im Apollo-Kino sieht. Le Signal rouge eine österreichisch-französische Koproduktion, erzählt von Dr. med. Berthold, dessen Frau bei einem Unglück des Arlberg-Express nahe bei Innsbruck umkommt. Zuvor las Jean-Paul mit Deutschkenntnissen die Kritik der österreichischen katholischen Filmkommission, die ein wichtiger Meinungsspiegel im Nachkriegsösterreich war. Er kann dadurch die Menschen in Österreich besser verstehen  : Wie sie denken oder wovor sie Angst haben. Die Kritik spricht dieses Gefühl an, nämlich die Angst, sich zu viel zu erinnern  : Doch fragen wir uns  : Warum einen Film, der in medizinischen Seminaren sicherlich problematischen Diskussionsstoff gäbe, einem breiten Publikum vorzuführen, das selbst nicht ganz von den Nervenzerreißproben des vergangenen Jahrzehnts genesen ist  ? (…) Leider haben sie selbst mit ihrem kunstvoll aufgebauten Film das warnende Rot seines Signals unbekümmert und verantwortungslos überfahren.303

302 Eco [1979]. 303 Katholische Filmkommission, Nr. 1037  : »nicht jugend- aber feiertagsfrei«.

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In der intensiven Darstellung durch Erich von Stroheim wird Dr. Berthold zu einem Zerrissenen in seiner Zeit und sichtlich, wie es die zitierte Filmkritik erkennt, wohlverstanden zu einer zeitgenössischen Metapher der Befindlichkeit eines Landes. Wenn ein französischer Soldat in den ersten Jahren nach 1945 über die Straßen Wiens ging, hatte er von den entgegenkommenden Einheimischen ganz bestimmte Bilder vor sich. Seine Schulung für den militärischen Auslandseinsatz sagt ihm, dass er möglicherweise Mitgliedern oder Mitläufern des besiegten Regimes begegnet. Vielleicht sind aber auch einige dabei, die unerkannt aktiv gegen die Nazis arbeiteten, oder einige wenige sogar, die Verfolgte versteckt gehalten haben. Einige Jahre später könnte Jean-Paul schon eigene Erfahrungen mit diesen Menschen gemacht haben und bereits wissen, dass es auch in dieser Stadt, wie überall, sympathische und unsympathische Begegnungen gibt, aber auch, dass die Klischees, die er über Wien bzw. über Österreich aus den Zeitungsmeldungen, aus den Erzählungen von Freunden und aus den gesehenen Filmen hatte, nur selten mit der Realität übereinstimmen. Vielleicht fährt er alle drei Monate über ein verlängertes Wochenende zu Freunden, die in Innsbruck stationiert sind, und er sieht aus dem Zug den Mondsee und denkt an den Wolfgangsee aus Lac aux dames, in dem dieser See eine dramatische Rolle spielt. Die darauffolgende Ankunft am Innsbrucker Bahnhof mit dem Spätzug gegen 20 Uhr könnte ihn an den entgleisten Arlberg-Express aus Le Signal rouge erinnern, dessen Hauptdarsteller Erich von Stroheim er aus Filmen vor dem Krieg kennt. Fährt er zum Beispiel mit der »International Patrol« im Jeep am zerbombten Wiener Dianabad im zweiten Bezirk vorbei, könnte ihn jemand daran erinnern, dass hier vor fast hundert Jahren die Uraufführung des »Donauwalzers« stattgefunden hat. Eher unwahrscheinlich ist es, dass er die zeitgenössische Kritik kennt, die geschrieben hat  : »Der liebliche Walzer mit seinen einschmeichelnden Rhythmen dürfte bald zu den populärsten der kreativen Tanzkompositionen gehören«.304Aber er erinnert sich genau an die Filmszene aus Toute la ville danse, die die Entstehung des Walzers bei einer Kutschenfahrt durch die Praterauen beschreibt. »Es ist der beste wienerische Film, der je in Hollywood gemacht wurde. Und er ist von einem Franzosen.«305 Vor allem die Schlusssequenz wird immer erwähnt, in der Paare aus verschiedenen Ländern, verbunden durch rhythmische Überblendungen, gemeinsam den angeblich so völkerverbindenden Tanz zeigen. Dadurch kann das Wiener Leben, im Gegensatz zu späteren Walzerfilmen, mit Hilfe der modernen Filmsprache als etwas Gegenwärtiges in der Fantasie bleibend nachwirken. Bildaufbau und Schnittrhythmus sind mit Filmen von Busby Berkeley306 vergleichbar, die in Frankreich vor dem Krieg mit großem Erfolg liefen. 304 Neue Freie Presse, 17.2.1867. 305 Campeaux, Georges, Gringoire, 12.3.1939. 306 Busby Berkeley, 1895–1976, Choreograf und Regisseur, filmte mit beweglicher Kamera in geometrischen Bildkompositionen Musicalstoffe  ; Erneuerer dieses Genres, zum Beispiel Gold Diggers of 1935, 1935.

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Auch das Café Sperl, an dem Jean-Paul am Heimweg vorbeikommt, erinnert ihn an diesen amerikanischen Film seines Landsmannes Julien Duvivier und an die emigrierte Österreicherin Luise Rainer. Sie spielt Poldi, die Ehefrau von Johann Strauß jun. – »so melancholisch, dass man glauben konnte, sie denke an ihr Österreich, dass vor Kurzem besetzt wurde.«307 Ähnliche topografische und symbolische Erinnerungsorte, die ihm durch die vor dem Krieg in Paris gesehenen Filme jetzt vertraut erscheinen, begleiten ihn durch ganz Wien. Trotzdem fand und findet er die Filme seiner Heimat immer wieder am sehenswertesten. Er kennt die Sprache und kann sich an den Schauspielerinnen orientieren. Natürlich ist die Rezeptionssituation in der Wirklichkeit – im Alltag – viel weniger »ideal«. Vielleicht findet man Gefallen daran, wie viele im Freundeskreis, alle Filme von bestimmten Schauspielerinnen zu sehen. Auch dadurch kann Jean-Paul sich mit Filmen bekannt gemacht haben, an die er sich jetzt in Österreich zurückerinnert. Vor allem dann steigt dieses unwillkürliche Erinnern in ihm auf, wenn er nach Hause Briefe schreibt und Österreich durch gemeinsame Filmerlebnisse plastisch werden lassen kann. Bekanntschaft mit der kulissenhaften Vergangenheit machte er bei Mayerling, dem Liebesdrama eines Erzherzogs und dessen Geliebter. Beide werden in den ihm bekannten Filmen aus den Jahren 1938 und 1948 jedoch von jeweils unterschiedlichen französischen Schauspieler(inne)n dargestellt  : einmal von Danielle Darrieux und Charles Boyer und im Remake von Dominique Blanchar und Jean Marais. Ein Film wie Un grand amour de Beethoven, in dem Beethoven (Harry Baur) taub seine Kompositionen erschafft, war für ihn die erste Bekanntschaft mit der Vergangenheit Österreichs. Er verbindet die genannten Schauspieler weniger mit früheren Rollen, in denen er sie bereits gesehen hat, als jetzt mit jenen Charakteren aus den Mayerling-Filmerzählungen  : mit der bis in den Tod ergebenen bürgerlichen Geliebten und mit dem kaiserlichen Liebhaber. Trotzdem kommt es zu unbeabsichtigten und zufälligen Verdoppelungen im Gedächtnis. Überblenden nicht zum Beispiel Erzherzog Rudolfs bzw. Charles Boyers Wesenszüge mit denen Lilioms aus dem gleichnamigen Film von Fritz Lang, in dem der Charakterdarsteller ebenfalls die Hauptrolle spielt  ? Die kaiserlichen Attitüden des einen werden durch die soziale Herkunft des anderen, eines Jahrmarktsbudenbesitzers, gebrochen. Die Summe der dargestellten Charakterzüge von Rudolf und Liliom wird in der Erinnerung oftmals einer gemeinsamen Person zugerechnet und im Gedächtnis eines ausländischen Publikums zum typisch habsburgisch-österreichischen Mann verdichtet. Noch 1949, als die Kinos auf den Champs-Élysées mit überlebensgroßen Pappfiguren vor ihren Eingängen für den Film The Emperor Waltz drapiert wurden, konnte ei307 Time Magazine, 27.11.1938.

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nem leicht Boyers Darstellung aus Mayerling, 1936, in Erinnerung kommen. In Gardeuniformen hielten monarchistische Soldaten Wache vor den Kinos. Alle, die den Film gesehen haben, erinnern sich sicherlich an die Szene, in der ein Psychiater dem Kaiser rät, sich einen Hund zu halten, oder an den Amerikaner, der mit den standesgemäßen Anreden und Gewohnheiten am Hof nicht zurechtkommt. Trotz der Lachen machenden Verunglimpfung überholter Lebensprinzipien verblassen im Alltagsleben, das aus den nicht überwundenen Kriegserlebnissen, dem jetzigen Wien in Ruinen und dem Selbsterhaltungstrieb des Menschen besteht, schon bald diese luftigen Erinnerungsbilder. Wäre nicht Billy Wilder der Regisseur gewesen, von dem man hört, dass er gute Komödien machen solle, wäre nicht wirklich jemand wegen dieses Filmes ins Kino gegangen. Dieser US-amerikanische Film entspricht jedoch ideal den offiziellen Bestrebungen französischer Kulturfunktionäre nach 1945, die die Kultur des habsburgischen Reiches als Anknüpfungspunkt für eine neue kulturelle Identität Österreichs in Abgrenzung zu Deutschland sehen wollen. In ihrer Studie zur französischen Kulturpolitik in Österreich kommt Porpaczy zu dem Schluss  : Um das »spezifisch Österreichische der österreichischen Kultur aufzuspüren, mussten die Franzosen die nahe Vergangenheit ausklammern und weiter zurückgehen. Aber auch die Zwischenkriegszeit schien kein Modell zu bieten (…).«308 Einen Anknüpfungspunkt vor dem Krieg für soziale und kulturelle Erfahrungen zwischen Frankreich und Österreich hätte jedoch ein Film aus den dreißiger Jahren, Gardez le sourire / Sonnenstrahl, bilden können. Der französische Soldat, der viel lieber nur Cineast geblieben wäre, unterscheidet Filme nicht nach Nationalität, sondern nach seinem tatsächlichen persönlichen Interesse an den erzählten Geschichten. Vielleicht sucht er bei der Filmauswahl nach dem kleinen »bisschen mehr, dem Surplus« in der Art und Weise der Erzählung, das ihn an Hoffnung denken und ihn Augenblicke einer möglichen Utopie erleben lässt. Für ihn ist es schwierig, über gemeinsame Filme in ein Gespräch mit Österreichern zu kommen, die ja seit fast zwanzig Jahren völlig von den ihm bekannten Filmen, namentlich von den französischen und amerikanischen Produktionen, abgeschnitten waren. Ein Schlüsselfilm für ihn als Kinofilmliebhaber ist Zéro de conduite / Betragen un­ genügend, 1933, der in Wien völlig unbekannt ist. Als junger Mann in den dreißiger Jahren hörte er bereits von dessen Zensurschwierigkeiten, um vierzehn Jahre später, im November 1945, im befreiten Frankreich wieder bei der endlich durchgeführten Zensuraufhebung auf ihn zu stoßen. Bisher sucht er im Wiener Kinotagesprogramm vergeblich nach einem ähnlichen Film, der ebenso Autoritäten und veraltete gesellschaftliche Normen, Zucht und 308 Porpaczy, »Frankreich – Österreich 1945–1960  : Kulturpolitik und Identität«, 2002, 127.

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Rekonstruktion von Gefühlen und Gedanken (Eine Versuchsanordnung)

Ordnung, mit filmkünstlerischen Mitteln infrage stellt. Als österreichische Filmproduktion über österreichische Jugendliche findet er nur Asphalt, 1951, einen Film, der in Stil und Moral das Gegenteil von jenen aufmüpfigen Internatszöglingen aus Zéro de conduite darstellt. Mit diesem am ehesten vergleichbar, weil manche Sequenzen in der filmsprachlichen Umsetzung ähnlich sind, dürfte noch Gardez le sourire sein, der das Wien der dreißiger Jahre zeitgenössisch schildert und in dem den Gefühlen und Schicksalen der Zeit ein bis heute gültiges filmisches Denkmal gesetzt wird. Im Gegensatz zu Frankreich war der Film in Österreich, dort unter Sonnenstrahl bekannt, nur kurz in den Kinos. Der Film musste bis in die achtziger Jahre warten, um endlich wieder gezeigt zu werden. Mit der für den Regisseur Pál Fejös eigenen filmischen Handschrift wurden einige Szenen gestaltet, die über die damals üblichen Stereotypen vom Wiener Leben hinausführen und die fantasievolle Entwürfe eines anderen Lebens als des ewig »singenden und klingenden« österreichischen Menschen entwerfen. Als dieser Film einige Tage im Herbst 1933 in den großen Städten Frankreichs lief, war der Soldat auf Saisonarbeit im Süden, in der Provence, da in der Großstadt keine Arbeit für einen technischen Zeichner zu finden war. Deshalb konnte er den Film nie sehen, von dem es eine französische und eine deutschsprachige Version gab. Aber er las in der Publikumszeitschrift »Ciné-Miroir« die sich über neun Ausgaben erstreckende Nacherzählung – ein damals übliches Werbemittel für neue Filme – von Gardez le sou­ rire und stellte sich, da er dieses nicht nur für Wien gültige gezeigte Lebensgefühl recht gut kannte, seine eigenen Bilder dazu vor. »Der Welt ging es schlecht, wirklich, und in Wien, oft als fröhlich bezeichnet, drehte sie sich auch nicht besser als anderswo«, ist der erste Satz dieser literarisierten Nacherzählung. Der letzte Satz hieß  : »Bewahrt das Lächeln  !« Zwischen der ersten und dieser letzten Zeile liegt ein Stück Leben des jungen Wiener Paares Maria und Hans, bzw. das von Marie und Jean in der französischen Fassung. Sie sind wie die Kinozuschauerinnen, ob in Frankreich oder in Österreich, meistens ohne feste Anstellung. Nachdem sich die beiden jedoch gefunden haben, verlassen sie nie mehr einander und ihre gemeinsamen Fantasiewelten. Obwohl sie das ungebundene Leben genießen, freuen sie sich, als sie endlich eine Wohnung im Wiener Karl-MarxHof erhalten. Der mögliche weitere Lebensweg von Maria und Hans bzw. von Marie und Jean während der Okkupation und während des Krieges ist aus den wenigen Indizien im Film nicht weiter nachvollziehbar. In den dreißiger Jahren sind sich jedoch die jungen Menschen über Sprachgrenzen hinweg, ohne dass man sich persönlich kennenlernte, in ihren Gefühlen und Sorgen sehr nahe. Jetzt, zu Beginn der fünfziger Jahre hat man nicht mehr viel gemeinsam. Die Personen aus Gardez le sourire wären jetzt in Jean-Pauls Alter. Haben sich die beiden gleichaltrigen Paare auseinandergelebt  ? Sind sie in den Kriegswirren verschollen oder auf Grund ihres politischen Widerstands ermordet oder als Kollaborateure entdeckt  ? 183

Rekonstruktion von Gefühlen und Gedanken (Eine Versuchsanordnung)

Wegen Annabella, die die Wienerin Marie spielt, hätte man heute noch Interesse, den Film wieder im Kino zu erleben. Da sie als Französin kein Wort Deutsch spricht, kann Pál Fejös, der dafür bekannt ist, möglichst ohne Dialoge auszukommen, sein Regiekonzept ohne Konzessionen verwirklichen. Die sprachlose Frauendarstellung irritiert bei diesem Film, aber umso stärker werden die gestischen und mimischen Ausdrucksmöglichkeiten Annabellas in den Mittelpunkt gerückt. Wenn Jean-Paul in seinem jetzigen Alltag über die Straßen Wiens geht und Menschen sieht, die ärmlich gekleidet an ihm vorbeihasten, oder andere, die ihn herausfordernd ansehen, vielleicht um ihn als Besatzer zu provozieren, oder in der Absicht, mit ihm, dem Sieger aus der großen weiten Welt, Bekanntschaft zu machen, verdichtet sich eine schmerzhafte Erinnerung an einen anderen Film. Er sieht in den Mädchen, die ihm in Wien entgegenkommen, vielleicht Anika oder Puck aus Lac aux dames. Die eine, Anika, lässt sich vom allseits begehrten neuen Schwimmlehrer fragen, wann ihr Zug fährt, obwohl sie bereits weiß, dass sie ihn versäumen möchte  ; die andere, Puck, nähert sich ihm am österreichischen Wolfgangsee mit scheuen Gesten. Er sah 1934 vielleicht mit Jeanine, seiner Freundin, die sich schon immer für die Bücher von Colette und Vicki Baum interessierte, Lac aux dames in einem der Vorstadtkinos von Paris. Sie stellten sich vielleicht vor, einmal auf Urlaub an den Wolfgangsee fahren zu können. Im Gegensatz zu den mehrheitlich nationalen Zeitungskritikern waren sie dafür, dass man in Kinofilmen auch Gegenden jenseits der Grenze kennenlernen sollte. Aber eine der Zeitschriften, die sein Vater regelmäßig las, erkannte auch die Qualitäten des Films  : »Das Wasser ist nicht nur ein ideales Dekor, es spielt in gewisser Weise eine Hauptrolle …«309 Diese Bilder erhält er sich bis heute  ; vor allem dann, wenn er in Richtung Innsbruck fährt und auf das Wasser der vorbeiziehenden Salzburger Seen sieht, das ihn an den möglichen gemeinsamen Urlaub erinnert. Das österreichische Mädchen Puck lebt verbunden mit der Natur bescheiden auf einer Insel, obwohl sie natürlich – nur selten kommen Filme über Österreich ohne Adelstitel aus  – eine Baronesse ist. Eine ihrer Mitwerberinnen um die Gunst des Jungen ist Anika, die, im Gegensatz zu ihr, am Ufer des Sees lebt und damit alle Vorteile – sowohl die tägliche Nähe wie ihre städtische Offenherzigkeit – gegenüber dem verwirrten Mann hat. Im Wissen, dass die literarische Vorlage von der emigrierten Österreicherin Vicki Baum stammt und aus Unkenntnis der Romane von Colette würde man diese Geschichte heute als einen ausgesprochenen Kitsch ansehen. Damals jedoch, als man hörte, dass Colette, die mit ihrem neuen Roman »Ces plaisirs …«,310 der 1941 mit verändertem Titel neu aufgelegt wird, für große moralische Entrüstung sorgte, zusammen mit Jean Genet für ihren gemeinsa309 Chronique, 2.6.1934. 310 1941 wird der Roman mit veränderten Titel wieder aufgelegt  : »Le Pur et l’impur«.

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Rekonstruktion von Gefühlen und Gedanken (Eine Versuchsanordnung)

men Freund, Marc Allégret, die Dialoge schrieb, war man begeistert. Die Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Von den französischen Jugendlichen wurde der Film begrüßt. Die Darstellung von offenen Beziehungen, die Gegenüberstellung von Stadt und Natur, die in den Mädchencharakteren gespiegelt wird, und Drehorte wie Wolfgangsee und Salzburg – damals waren sie der Inbegriff für Idylle und weite Ferne – konnten fesseln. Im Zusammenhang ist es wertvoll, sich der lobenden Einschätzung Jean Anouilhs zu erinnern, die er nach dem Erscheinen des Romans schrieb, um annähernd nachvollziehen zu können, welchen moralischen Stellenwert die Arbeiten Colettes in den dreißiger Jahren hatten, und damit auch indirekt den für heute so harmlos wirkenden Film in seiner zeitgenössischen Rezeptionssituation erkennen zu können  : Sie sind auf keinem Fall eine ordentliche Frau, Madame Colette … Sie sind die stolze Frechheit, das kluge Vergnügen, die zähe Intelligenz, die unverschämte Freiheit  ; der Typ von einem Mädchen, das die geheiligtsten Institutionen und Familien ins Verderben stürzt.311

Vor Kurzem hat der französische Soldat gelesen, dass 1952 angeblich wieder ein Film nach einem Vicki-Baum-Roman gedreht werden soll, in dem eine junge siebzehnjährige Französin ein Wiener Mädchen, Anna, darstellen wird. Diese verführt ihren Musiklehrer. Marc Allégret wird dabei noch einmal Regie führen. Aber kann überhaupt eine Französin eine Wienerin darstellen  ? Ob das mit dieser französischen Besetzung gut gehen wird  ? Jean Marais als Musiklehrer bürgt zwar für Qualität, aber die Geliebte des Drehbuchautors Roger Vadim, die Brigitte Bardot heißt, soll ein völliger Neuling sein. Er kennt die Beschreibung Arthur Schnitzlers noch nicht, dessen Tagebücher waren damals noch nicht veröffentlicht. Der Besatzer/Befreier/Cineast aber fühlt vielleicht, steht er nach der Überquerung der Straße wieder am sicheren Gehsteig und kommt als fremder Soldat in seiner Hast einer jungen Frau zu nahe, welche weiblichen Wesenszüge dieser Autor mit männlicher Eitelkeit beschreiben wollte  : »Sie ist lieb, ein wenig traurig, aber ein Geschöpf bereit zu lieben, das kurz danach verlassen werden wird.«312 Aber jetzt gibt es diese Wiener Frauen und auch dieses Wien nicht mehr. Es kommt im Morgengrauen zu keinen Duellen um männliche Ehre, und die Plätze, an denen man Bekanntschaften machen könnte, sind nur über Ruinenfelder und Bauschutt erreichbar. Soldaten wie er können sich auch keine romantischen Kutschenfahrten durch den Wienerwald wie in Une histoire d’amour leisten. Das lustige Wien ist im Jahre 1951 kalt geworden, könnte er sich gedacht haben. Die Freude fährt in den meisten Fällen nicht mit, wie es ihn seine Bilderwelt von der Fahrt in den verschneiten Wienerwald, die mit dem Schwur von ewiger Liebe  – »Ewig ist länger als das Leben  !« – verbunden ist, assoziieren lässt. 311 Anouilh, Jean, Gesammelte Werke. Stuttgart 1972. 312 Schnitzler, Gesammelte Werke, Bd. 2, 1968.

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Rekonstruktion von Gefühlen und Gedanken (Eine Versuchsanordnung)

Er kann der deutschen Filmfassung von Une histoire d’amour, bekannt als Liebelei – basierend auf dem Theaterstück des literarischen Sittenmalers Arthur Schnitzler, den auch Sigmund Freud wegen seiner psychologischen Erfassung menschlicher unbewusster Reaktionen sehr bewunderte – nicht mehr von jenem Wiener Flair abgewinnen als jener Fassung, die er 1934 auf Französisch sah. So habe ich den Eindruck gewonnen, dass Sie durch Intuition – eigentlich aber in Folge feiner Selbstwahrnehmung – alles das wissen, was ich in mühseliger Arbeit an anderen Menschen aufgedeckt habe. Ja ich glaube, im Grunde Ihres Wesens sind Sie ein psychologischer Tiefenforscher, so ehrlich unparteiisch und unerschrocken wie nur je einer war

schreibt 1922 Freud an Schnitzler anlässlich seines 60. Geburtstags.313 An der Darstellung Christines, die in beiden Sprachfassungen von Magda Schneider dargestellt wird, die dem Frauentyp entspricht, wie ihn Schnitzler beschrieb, liegt es nicht. Es ist vielmehr die Sprache, das Wienerische, das er jetzt mehr und mehr zu verstehen beginnt und das ihn in seiner Doppelbödigkeit irritiert. Wie unterschiedlich doch diese Erlebnisse, auch altersbedingt, sowohl im Theater – dort sah er das Stück einmal als Siebzehnjähriger und später als Achtundzwanzigjähriger  – wie im Kino gewesen sind. Der Filmregisseur Max Ophüls konzipiert aus einer kleinen Textstelle in der Stückvorlage eine große, einprägsame Szene. Christine zeigt im Theaterstück Fritz, ihrem Verehrer, ein Bild, das sie dem Theaterpublikum mit folgenden Worten beschreibt  : »Das ist ein Mädel, die schaut zum Fenster hinaus, und draußen, weißt, ist der Winter – und das heißt ›Verlassen‹«. Im Film wird dieser Dialog zum Anlass genommen, jene Szene der Kutschenfahrt durch den verschneiten Wald zu entwickeln, die Jean-Paul bis heute so gut in Erinnerung geblieben ist. Auch ein Gespräch nach einem anderen Film fällt ihm nicht nur wegen Charles Boyer wieder ein. Immer dann, wenn er mit den anderen alliierten Vertretern im Jeep durch die Praterauen patrouilliert, erinnert er sich an Liliom, das nach einem bekannten Theaterstück eines ungarischen Emigranten, Ferenc Molnár, verfilmt worden ist, der in Hollywood noch für viele andere Filme als Drehbuchautor zeichnet. Er bringt diesen Film jetzt unweigerlich mit der Stadt in Verbindung, auch wenn das Stück ursprünglich in Budapest spielt und obwohl er weiß, dass alle Dreharbeiten von Fritz Lang in Paris durchgeführt wurden. An die Atmosphäre des Filmes und an die Gespräche, die er mit Jeanine darüber führte, erinnert er sich schmerzhaft. Wie oft stritten sie sich ähnlich dem Paar im Film  ? Es wurde aber nie so körperlich gewalttätig. Die Rekonstruktion des ärmlichen Vorstadtlebens gelingt dem Autorenteam ganz ausgezeichnet. Die Kinder, die auf der Straße spielen mussten, litten unter den betrunkenen Vätern ebenso wie die Ehefrauen. 313 Freud, Sigmund, »Briefe an Arthur Schnitzler«, Schnitzler, Die Neue Rundschau 66, 1955, 95–106.

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Rekonstruktion von Gefühlen und Gedanken (Eine Versuchsanordnung)

Es überraschte sie damals auch, dass die Verhältnisse im Vorkriegsbudapest nicht viel anders waren als im Paris der dreißiger Jahre. Ihm gefiel der utopische Aspekt, bei dem das Leben nach dem Tode gleichberechtigt mit dem Leben vor dem Tode gesehen wird. Erst später erfuhr er, dass diese transzendente Haltung zum Leben zu einem besonderen Kennzeichen der Literatur im kulturellen Einflussgebiet des Habsburgerreiches wurde. Es wurde eine Art Selbstschutz vor dessen autoritärer Zensur und prekären Lebensbedingungen und eine Reaktion darauf. Im Leben eine zweite Chance zu haben, das wäre ein Privileg. Würden sie in diesem Falle etwas anders machen, hätten sie sich auch kennengelernt  ? Das könnten sie einander im billigen Selbstbedienungscafé nach der Vorführung neben dem Kino Rex am Boulevard Poissonnière in Paris an jenem Abend im November 1934 gefragt haben. Nur selten stellen Filme über Österreich Menschen, Geschichten und Konflikte der Gegenwart dar. Filme, die über Österreich erzählen, sind für ihn immer mit Musik, mit Walzermusik verbunden. Die Geschichten kommen aus der Vergangenheit, in denen es Mädchen und Soldaten, Duelle als männliches Ritual der Konfliktlösung, Probleme mit unstandesgemäßen Heiraten und geniale Komponisten wie Schubert und Beethoven gab. Die Vergangenheit wird geschönt und die Gegenwart als Übel gesehen. Angeblich soll nun auch bald ein utopischer Film in Österreich produziert werden, 1. April 2000, dessen Regisseur, Wolfgang Liebeneiner  – er war Fritz in Liebelei und während der Nazizeit ein hochdekorierter Schauspieler und willfähriger Produktionschef bei der nationalsozialistischen UFA – bereits feststeht. Obwohl im Bois de Boulogne von Paris ebenfalls ein, nicht ganz so großes, Riesenrad steht, weckt der Wiener Prater selbst nach fünf Jahren Krieg, die dazwischen liegen, auch jene Gefühle, die ihn damals bei den Kinoerlebnissen begleiteten  : die Aufregungen der Liebe und die Planung der eigenen Zukunft. Der Prater wird jetzt zum Ausgangspunkt, sich in an einen fremden Ort mit geliebten Menschen zu versetzen, um sich an eine andere, eine gemeinsame Zeit zu erinnern. Ähnlich wie Gerüche oder Töne scheint das sich drehende Riesenrad Erinnerungen zu wecken. In Wien wird es für ihn zum Wahrzeichen eines Lebensprinzips, wie es bereits Stroheim in Merry-Go-Round sichtbar macht. Dieser Erich von Stroheim wurde im Frankreich der dreißiger Jahre sehr gefeiert. Jean-Paul erinnert sich bestimmt noch an dessen Rolle in Fugitive Road, 1934. Mieselsüchtig nützt Hauptmann Oswald von Traunsee (Stroheim) seine überlegene Stellung gegenüber Sonya Valinoff (Wera Engels), einer von ihm abhängigen Emigrantin. Erst ein amerikanischer Kleinkrimineller, den es ebenfalls an diese Grenze verschlägt, kann sie vor der gewalttätigen Zudringlichkeit schützen. Das Zollamt, das irgendwo in den Bergen an der italienischen Grenze liegt, wird zu einem kleinen Universum österreichischer Befindlichkeiten, die sich im verächtlichen und überheblichen Benehmen gegenüber den auf Einreise wartenden Immigranten und Grenzgängern äußern. 187

Rekonstruktion von Gefühlen und Gedanken (Eine Versuchsanordnung)

Mit dieser unsympathischen Charakterdarstellung seines vor dem Krieg neben Michel Simon bevorzugten Schauspielers versöhnt ihn jedoch wieder die Darstellung von Dr. Berthold, dessen Verlust seiner Partnerin und dessen Einsamkeit in der österreichischen Provinz er sehr gut nachempfinden kann. Diese Rolle geht zu einem guten Teil in der Lebensgeschichte von Stroheim auf. Der in Österreich stationierte französische Soldat kann sich ganz gut vorstellen, wie sich Stroheim durch die Kritiken zu Le Signal rouge darin bestätigt sah, von Österreich bereits 1913 weggegangen zu sein. G.W. Pabst wollte ihn als berühmten Star in Wien halten. Während der Dreharbeiten zu Le Signal rouge – man drehte gerade in Perchtoldsdorf bei Wien, das aus produktionsökonomischen Gründen als Tiroler Dorf ausgegeben wurde – überreichte man ihm den Ehrenring der Stadt Wien. Stroheim saß jedoch schon bald lieber in Paris in der dortigen Cinémathèque und schnitt seinen frühen Hollywoodfilm über Wien, The Wedding March, 1928, neu und komponierte dazu eine Musik. »Wenn nur …« endet ein Brief einer Frau, die sich ihr Leben lang nach demselben Mann sehnte, der sich jedoch, als er dieses letzte Schreiben vor ihrem Tod erhält, an sie kaum erinnern kann. Der Regisseur ist wieder Max Ophüls, der so gut literarische Stoffe aus Wien zu verfilmen und in filmischer Sprache zu denken wusste. Letter from an Unknown Woman, 1948, nach Stefan Zweig, wurde erst knapp vor einem Jahr gezeigt. Diese Produktion, deren Erzählung in einer im Film schwer vermittelbaren Möglichkeitsform gehalten ist, sieht sich der französische Soldat vielleicht öfter als einmal an. Die Tragödie einer ungelebten Liebe erfasst ihn jedes Mal aufs Neue. Viele dieser Lebensläufe, seien es Frauen oder Männer, kennt er zu Hause ebenso wie jetzt in Wien aus dem eigenen Freundeskreis. Der Krieg machte ihnen allen einen Strich durch ihre Lebensplanung. Er selbst ist davon nicht ausgeschlossen. Ähnlich wie es Ophüls bereits in Liebelei schaffte, aus wenigen kleinen Regieanweisungen im Text Schnitzlers ein romantisches Universum einer aussichtslosen Liebe entstehen zu lassen, macht dieser Film in zwei Szenen dieses Gefühl klar. Die erste ist jene, in der sie, die unbekannte Frau, und Stefan, der unerreichbare Mann, selbstvergessen in einem Ballsaal tanzen, in dem es keine Gäste mehr gibt und die Musiker sich, für das Paar unbemerkt, langsam verabschieden. Die zweite Sequenz ist wieder im Prater angesiedelt, wo man mit einer Vergnügungsbahn eine Reise in Wunschländer buchen kann. Wie in Gardez le sourire wird das Wunschbild der Ferne imaginiert, das Jean-Paul und viele seiner Kriegskameraden schon lange ausgeträumt haben. Der französische Soldat auf dem Plakat wird hier als jemand vorgestellt, der durch die ihm bekannten Filmbilder die Wiener Nachkriegswirklichkeit schärfer sehen lernen konnte, wo durch sich »in allen neuen Zeichen und Bedeutungen ein beharrliches Umgestalten vergessener Vergangenheit in Form einer sogenannten zweiten Erinnerung zeigt.«314 314 Barthes [1953], Le degré zéro de l’écriture, 1972.

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Rekonstruktion von Gefühlen und Gedanken (Eine Versuchsanordnung)

Um noch einmal den Begriff des »idealen« Lesers aufzugreifen, bzw. diesen für den Film verfügbar zu machen, sei unterstrichen, dass der französische Bürger, der zum Soldaten wurde, erst durch die zitierten und bekannten Filme jener wurde, der sich hier als »Wissender« seine Gedanken machen kann. Erst diese Filme können ihm »Zeichen machen«, die er versteht. Aber gleichzeitig benötigen die Filme, die ohne den Zuschauer »faul und hilfsbedürftig sind«, ihn, seinen Lebenslauf, um erst dazu zu werden, was sie sind, nämlich Zeichen ihrer Zeit für sein Leben. Nachsatz  : Seine Freundin Jeanine, mit der er viele Filmbilder über Wien teilte, könnte als französische Jüdin von Mauthausen nach Auschwitz-Birkenau gebracht und dort vergast worden sein. Ob er da noch an ihre gemeinsamen Filmbilder von Wien und Österreich, die sie zusammen im Paris der dreißiger Jahre gesehen hatten, glauben konnte  ?

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Jetztzeitfilme Lebensläufe – Zum Begriff Jetztzeitfilme – Produktionsbeispiele – Autoimage/Heteroimage – Stereotypische Botschaften

Trotz der auf den ersten Blick bestehenden Zufälligkeit einstiger Produktionsbemühungen um diese Filme und deren künstlerischer, autorenabhängiger filmischer Auslotung, in der sich in Form eines stichprobenartigen Samples österreichische Schicksale kristallisieren, können Menschen, ähnlich wie in Alexander Kluges »Chronik der Gefühle«, erkannt werden, die »in ihren Lebensläufen hausen«.315 Die diegetischen Schicksale lassen einen kollektiven Lebenslauf erahnen, der sich jenseits von bestimmten österreichischen Locations zeitübergreifend zu formen beginnt. Die »schöne« Müllerstochter Brigitte wird in ihrer Zuneigung zwischen dem lyrisch und musikalisch veranlagten Franz und dem Grafen Christian hin- und hergerissen. Sie entschließt sich letztlich gegen die existenzielle Unsicherheit eines weltabgewandten Künstlers und verkauft ihre Jugend mit Unterstützung ihres Vaters an den Grafen in La Belle Meunière. Damit formt dieser Film ein kritisches Zeitbild über die moralische Verlogenheit der Zeit Franz Schuberts aus der gesicherten Sicht der Gegenwart. Die damals am Höhepunkt ihrer Schauspielerkarriere stehende Joan Fontaine verkörpert mit Lisa in Letter from an Unknown Woman und mit Johanna Franziska in The Emperor Waltz / Ich küsse ihre Hand, Madame zwei Seiten eines Frauenschicksals gegen Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie. Lisa als alleinerziehende Mutter, die ihren Sohn Stefan durch Typhus verliert, geht an der emotionalen Oberflächlichkeit des Vaters ihres Kindes zugrunde. Diese Thematik findet sich in vielen Stücken Arthur Schnitzlers wieder, die einige Jahrzehnte zuvor mit dem Film Liebelei popularisiert wurden. Johanna Franziska, Kaisertochter, dagegen, die sich zum modern denkenden, aus Übersee kommenden Virgil Smith hingezogen fühlt, kann ihre adelige Erziehung nicht ablegen. Eine Kommunikation zwischen diesen beiden unterschiedlichen Welten ist nur über die gemeinsame Zuneigung zu Hunden vorübergehend möglich. Hier lassen sich Parallelelen zu Filmen der dreißiger Jahre wie Dodsworth finden, die ebenfalls von den anachronistischen Moralvorstellungen österreichischer Sitten und Gebräuche erzählen. Marias Lebensentwurf, Klosterschwester zu werden, wird durch ihre Probezeit bei der Familie Trapp in The Sound of Music erschüttert. Auch sie findet, wie die »schöne Müllerin«, bei einem Grafen und dessen Kindern ihre tatsächliche Bestimmung.

315 Kluge, 2000.

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Lebensläufe

Lebensläufe Die genannten Filmerzählungen sind vom Widerspruch zwischen dem »alten« und einem »neuen« Lebensprinzip geprägt, das in mehr oder weniger expliziter Konkretheit gestaltet wird. Typisch für die meisten Geschichten, die Österreich als sinnliche Topografie mit einbeziehen, sind jene Grenzgänge zwischen Pflichterfüllung gegenüber katholisch kirchlicher bzw. staatlicher Moralvorstellung und jener vagen Hoffnung auf ein anderes, freieres Leben. Das scheint der Grundstoff – »aus der Sicht der Demoskopie«,316 wie es Serge Daney, ein französischer Filmjournalist, formuliert – jener erzählten Geschichten zu sein, die über Österreich gemacht werden. Bei jener erzählten Zeitepoche, die nach 1945 angesiedelt ist, findet eine Umorientierung der Lebensschicksale statt. Nicht mehr das von gesellschaftlichen Konventionen vorgegebene »Alte« steht gegen das »Neue«, sondern die neue Weltordnung, die individuelle Erfahrungswelt und die damit notwendige ethische Neuorientierung nach einer Zeit der entgrenzten Moralvorstellung, die den Wert des Menschenlebens auf den Kopf stellte, wird das neue Erzählrätsel317, aus dem Filme entstehen. Unter diesem Vorzeichen lässt sich die Verwirrtheit des Arztes Dr. Berthold verstehen, der aus seiner Lebensbahn geworfen wird, als er in Le Signal rouge Zeuge des Todes seiner Frau beim Unglück des Arlberg-Express wird. Dieser Film wie auch Abenteuer in Wien, in dem Toni Sponer (Gustav Fröhlich) mit durch das Kriegsende freigewordener krimineller Energie nach einer neuen Existenz sucht, die für »Freiheit und Sicherheit« zu bürgen scheint, können unter diesen neuen, noch nicht verarbeiteten Kriegserfahrungen gesehen/gelesen werden. Mit einem ähnlichen Bewusstsein agiert auch Harry Lime, wenn ihm das Schicksal kranker Kinder gegenüber seiner eigenen zukünftigen Existenz nachrangig erscheint. In seiner Person, in dem zynisch philosophierenden Kriminellen, der sich nur vage seiner Schuld bewusst wird, könnte auch die andauernde Faszination von The Third Man als immer aktuellem Menschencharakter mit begründet sein. Die im Zusammenhang annotierten Filme spiegeln neben dem Bild, das sich die Welt bis Mitte der sechziger Jahre von Österreich machte, gleichzeitig den technischen und künstlerischen Stand der Filmproduktion wider und lassen Genrevorlieben und Autorenanteile assoziieren. 316 Daney, Devant la recrudescence des vols de sacs à main, 1988, 147. 317 »[L]’inventaire du code herméneutique consistera à distinguer les différents termes (formels), au gré desquels une énigme se centre, se pose, se formule, puis se retards et enfin se dévolie (ces termes parfois manqueront, souvent se répéteront  ; ils n’apparaîtront pas dans orde constant).« – »Die Inventur des hermeneutisches Codes wird darin bestehen, die verschiedenen (formalen) Terme zu unterscheiden, in deren Verlauf ein Rätsel auf sein Zentrum ausgerichtet, gesetzt, formuliert wird, seine Auflösung verzögert und es schließlich aufgedeckt (diese Terme werden zuweilen fehlen, oft sich wiederholen, sie werden in keiner konstanten Ordnung erscheinen).« Barthes, S/Z, deutsche Ausgabe, 1970, 23.

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Jetztzeitfilme

Wie The Third Man im Genre des Kriminalfilms ein Beispiel unter anderen ist, ruft in Le Signal rouge Erich von Stroheim durch ein durchstrukturiertes Psychogramm noch einmal sein schauspielerisches Darstellungskönnen in Erinnerung, das in erster Linie mit dem In-Szene-Setzen des österreichischen männlich-militärischen Adels eng verbunden ist, der in alten Traditionen verfangen zu agieren weiß. Neben der konkreten Themenbezogenheit, dem Lebensabschnitt eines Musikers, ist auch Pagnols Alterswerk La Belle Meunière filmhistorisch von Interesse, da es von jener filmtechnischen Neuerung zeugt, dem Rouxcolor-Prozess, in der Herstellung von Farbfilmen einen eigenen französischen Weg zu finden. Filmhistorisch ähnlich zu bewerten ist auch Futures Ve­ dettes, in dem Éric Walter (Jean Marais), Lehrer am Wiener Konservatorium, von zwei jungen Schülerinnen verehrt und begehrt wird. Diese Filmarbeit kann zu den ersten Versuchen Brigitte Bardots gezählt werden, mit denen sie ihre erotische Ausstrahlung in Konkurrenz zu den damals bereits bekannten amerikanischen Sexsymbolen Marilyn Monroe und Jayne Mansfield überprüfen kann. Gleichzeitig aber erinnert der Film an die über Jahre hinweg für Bestseller wie zum Beispiel Grand Hotel sorgende Exilösterreicherin Vicki Baum. Bei diesen genannten Filmen, die repräsentativ für die ersten zwanzig Jahre nach Kriegsende sind, fällt auf, dass weder der internationale noch der nationale Spielfilm schon imstande sind, einen als filmische Auseinandersetzung mit der österreichischen Nachkriegsgeschichte verstandenen fundierten und wegweisenden Dialog aufzunehmen.

Zum Begriff Jetztzeitfilme Film ist ein komplexes Erzählmedium. Deshalb eignet er sich in besonderer Weise, sich mit Gefühlen und Mentalitäten, mit Ideologien und Geschichtsinterpretationen318 bekannt zu machen. Heute wissen wir, dass die Vergangenheit teilweise von der Gegenwart abhängt. Alle Geschichte ist auch Zeitgeschichte, in dem Maße, in dem die Vergangenheit von der Gegenwart erfasst wird und mithin auch ihren Interessen entspricht.319

In Anlehnung an den Begriff »Epoche der Mitlebenden« wird hier ein Zeitraum definiert, der Erfahrungen und Erinnern an Selbsterlebtes voraussetzt. Zu diesen »Jetztzeitfilmen« sind jene Arbeiten zu rechnen, die nach 1945 produziert werden und deren erzählte Zeit, die diegetische Zeit, innerhalb einer Generation zur Produktionszeit liegt. 318 Ferro, Cinéma et Histoire, 1993. 319 Le Goff [1986], Geschichte und Gedächtnis, 1992, 170 f.

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Zum Begriff Jetztzeitfilme

Es kommt in diesen Werken zu authentischen Bildern, die als Echo auf Ideologie und Mentalität sowohl der Produktionszeit als auch der Erzählzeit erkannt werden können. Die Wahl der Thematik, die Umsetzung von Syuzhet, Stil und Filmsprache, die Formung von Charakteren, aber auch Vorschläge für Konfliktlösungen, die sich entsprechend den landesüblichen Sitten und Gebräuchen, im Umgang in menschlichen Beziehungen wie zum Beispiel im Verhältnis zum eigenen und zum Tod anderer äußern – um nur einige Motive der Mentalitätsforschung aufzuzeigen –, werden zu tiefenstrukturellen Indizien einer bestimmbaren Produktionszeit. Diese ist der »zeitgenössische Seismograph Film«320 imstand aufzuzeichnen, ohne dass die Erzählung tatsächlich in der Jetztzeit angesiedelt sein müsste. Selbst wenn, wie es in den ersten Jahren nach den Kriegsereignissen bei den meisten Produktionen der Fall ist, die erzählte Zeit vor 1945 liegt, lassen sich Indizien für die Mentalität und Ideologie der Jetztzeit wie im Beispiel Letter from an Unknown Woman finden. Dafür sind zwei Gründe im Sinne Kracauers anzuführen  : Durch Vorgaben, Einwände und Vorschläge der institutionellen Vertreter, wie Staats- und Produktionsfirmenzensur, oder durch Auflagen von Finanzierungsgruppen, durch die jeweilige stilistische Umsetzung des In-Szene-Setzens, die dem technischen Stand der Zeit unterworfen ist, werden bereits ab der Drehbucherstellung die ästhetischen Erfahrungen der Zeit reproduziert, variiert oder modifiziert. Filmerzählungen geben einen Blick auf die Menschen und auf die gesellschaftliche Situation der Zeit frei, weil sie in der Entstehungsphase niemals Produkt von Einzelindividuen sind, sondern in einem arbeitsteiligen Prozess hergestellt werden. Ebenso für die vorliegende Untersuchung zielführend erscheint der zweite Aspekt, den Kracauer für den Film als zeitgenössischen Gradmesser erkennt. Diese rezeptionsorientierte Begründung lautet, dass sich der Film »an die anonyme Menge« richtet und damit als Wirtschaftsgut bestrebt sein muss, »herrschende Massenbedürfnisse«321 zu befriedigen. Der Massenfilm, der Mainstreamfilm wird zu einem zeitgenössischen Gradmesser des gesellschaftlichen Zustandes, einer Nahaufnahme verborgener geistiger Prozesse. Auf Grund des vorliegenden Filmkorpus erscheint es vorteilhaft, eine Differenzierung zwischen populären Filmen, die breit und wiederkehrend rezipiert werden, und populären Motiven und Themen, die in den Filmerzählungen wiederholt mehr oder weniger variantenreich abgewandelt werden, vorzunehmen. Dadurch bleibt das wirtschaftliche Kriterium als Voraussetzung im Medium Film zwar nicht ausgespart, kann aber als eines unter anderen erkannt und bewertet werden. Diese Unterscheidung kommt auch dem Untersuchungsobjekt entgegen, weil die meisten der infrage kommenden Produktionen zwar nicht zu den Kassenschlagern ihrer Zeit gezählt werden können, aber durch die Wiederholung der Themen und der erzählten Zei320 Kracauer [1947], Von Caligari zu Hitler, eine psychologische Geschichte des deutschen Films, 1984, 15. 321 Ebenda.

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Jetztzeitfilme

ten den Zeitgeist widerspiegeln, der sich durch die zeitgenössische Darstellung des »inneren Lebens (…) in den kaum wahrnehmbaren Oberflächenerscheinungen«322 abzeichnet. Zum Beispiel werden Nahaufnahmen, die im Laufe der Filmgeschichte in unterschiedlicher Frequenz filmische Sprechweisen prägen, zu einem Schlüssel von verborgenen geistigen Prozessen, akzentuieren Charaktereigenschaften und machen auf die kulturelle Historizität von Gesten und Mimiken aufmerksam. »Beiläufige Handlungen wie das zufällige Spiel der Finger, das Öffnen oder Schließen einer Hand, das Fallenlassen eines Taschentuches«323 werden ebenso zu Indizien gesellschaftlicher Konventionen wie die wiederholte Verwendung von Travellings oder Zooms, die die ethische Achtung oder mögliche Empathie der Autoren gegenüber den diegetischen Figuren ausdrücken können. Ein eindrucksvolles Beispiel für diese Diskussion bildet die Aussage Moullets zur Verwendung des Travellings in der Auseinandersetzung mit Filmen von Samuel Fuller  : »la moral est affaire de travelling«. Godard verkehrt und betont diese Feststellung für die filmische Sprache, indem er die Begriffe umkehrt  : »Le travelling est affaire de moral.«324 Diese filmsprachlichen Indizien können eine utopische Vorstellung von menschlichem Zusammenleben und gesellschaftlichen Entwicklungen vorführen und sich innerhalb der durchschnittlich zwei Stunden, die eine Filmerzählung im Normalfall dauert, modifizieren. Sie erhalten kompetente und nachvollziehbare Informationen, wenn sie vom jeweiligen Publikum als Chiffre mentalen und gesellschaftlichen Handelns verstanden werden können. Im kreativen Akt bauen Autoren ihre Charaktere, die sie aus ihrer Welt kennen. Die Personen sind je nach Positionierung in der Geschichte gefühls- und mentalitätsbedingt auf der Höhe der Zeit. Sie können zwar veraltete Ansichten vertreten, aus denen heraus sich jedoch andere, neue Figuren profilieren. Diese skizzierte dynamische Entwicklung setzt voraus, dass sich die Autoren und damit ihre Erzählungen auf der Höhe der wissenschaftlichen Erkenntnisse der Zeit befinden. Zur Bedeutung dieser Überlegung kann zum Beispiel auf Dadouns Kritik325 von Il portiere di notte / Der Nachtportier verwiesen werden, der der Darstellung des masochistischen Aspekts im Film vorwirft, zu wenig auf die Erkenntnisse von Freud und Jung oder auf die Untersuchungen zum Masochismus von Theodor Reik326 aufzubauen. Darüber hinaus findet sich als entscheidendes Moment der Gestaltung ein wiederkehrender Voyeurismus, den Dadoun eine »infantile Etappe des Antifaschismus«327 nennt. 322 Ebenda, 13. 323 Ebenda, 11. 324 »Le travelling de Luc Moullet«, in de Baecque, La cinéphilie. Invention d’un regard, histoire d’une culture 1944–1968, 2003, 206–209. 325 Dadoun, 2000, 288. 326 Reik, 1941. 327 Ebenda Dadoun.

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Zum Begriff Jetztzeitfilme

Für den filmimmanenten Beweis, der durch den Rhythmus in der konkreten Schnittfolge erkennbar wird, stehen die letzten Einstellungen, die »sehr mit ästhetischen und ideologischen Informationen befrachtet«328 seien, da seiner Meinung nach dabei »eine Einstellung zu viel« ist. Der Rhythmuswechsel wird in dieser Schnittfolge spürbar. Für Dadoun wird dieser letzte Teil der Einstellung, die aus einem Travelling auf die liegenden Körper besteht, zu einem »Blick des Voyeurs«329, der durch den Tod angezogen wird. Unterstützt von der Kamerafahrt in Vorwärtsbewegung, von der Wiederholung des musikalischen Anfangsmotivs und von der des bläulichen Morgenlichts aus der Anfangssequenz, erhält Dadouns Bewertung dieser filmsprachlichen Fakten zusätzlichen Sinn und lässt seine Argumentation zum zentralen Erzählduktus plausibel, das heißt nachvollziehbar und überprüfbar werden. Ausgehend von dieser für ihn auffälligen und typischen Einstellungsfolge untersucht Dadoun den Film auf dessen vielfachen Bezug zum Voyeurismus, der sich strukturell in der Auswahl der für den Autor erzählenswerten Ereignisse und des jeweils eingenommenen »point of view« manifestiert. Wenn von Einzelerscheinungen ausgegangen wird, die beim ersten Kontakt vom übrigen Stil, dem Syuzhet oder der Dramaturgie des Films auffällig abweichen, indem zum Beispiel der Rhythmus einer Einstellungsfolge als unstimmig wahrgenommen wird, erlaubt es die Methode des induktiven Zugangs, gegenüber Dritten nachvollziehbare Überlegungen zu formulieren. Dadurch kann auf umfassendere Strukturierungen und narrative Strategien – im vorliegenden Beispiel auf den Voyeurismus und auf die von bestimmten Formen und Inhalten aktualisierte Masochismustendenz  – geschlossen werden. Darüber hinaus können Hypothesen für eine weitere Untersuchung am Filmmaterial formuliert werden.

328 »En effects esthétiques et en messages idéologiques très chargées«, Dadoun, 2000, 287. 329 Dadoun, 288.

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Jetztzeitfilme

Produktionsbeispiele Die Jahre zwischen 1945 und 1989 sind in Europa von den beiden ideologischen Machtblöcken Kapitalismus und Sozialismus geprägt, die einen Einfluss auf die Auswahl der Thematik, den Stil und die mögliche Rezeption der entstandenen Werke in den beiden gesellschaftlichen Wertesystemen ausüben. Typisch für diese unterschiedliche Sicht aus der Gegenwart auf die Vergangenheit der Habsburgermonarchie erweisen sich bereits die beiden ersten Filme dieser konträren Gesellschaftssysteme. Geht Paul Stein mit dem Genre des »Operettenfilms« in Waltz Time, dessen Anleihen an die Operette »Die Fledermaus« nicht zu übersehen sind, zurück in die Vergangenheit, wird in der ersten Produktion der »democratic Hungarian film industry«, A tanítónö / Die Lehrerin, der auf der gleichnamigen Novelle des Schriftstellers Sándor Bódys basiert, das soziale Leben in einem Dorf um 1905 porträtiert. Beiden Filmen gemeinsam sind literarische Vorlagen, die auch in weiterer Folge konstituierend für Filmdrehbücher bleiben werden, wie es bereits zwei Jahre später Stefan Zweigs »Ungeduld des Herzens« als britische Verfilmung Beware of Pity / Ungeduld des Herzens unterstreicht. Angesiedelt im Ersten Weltkrieg wird die Liebe eines Leutnants zu einer durch eine Bombe köperbehinderten Aristokratin, Lili Palmer, in der Form eines fast die gesamte Erzählung einnehmenden Flashbacks ausgebreitet. Obwohl ihn die »New York Times« als »in a stiffly old-fashioned and tortured – not to mention tedious – dramatic style«330 inszeniert einstuft, zeugen der Film und seine Rezeptionsgeschichte von der Lebendigkeit von Artefakten und deren unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten. Interne und externe Flashbacks können dabei unterschieden werden. Flashbacks im modernen Film unterscheiden sich von jenen im klassischen Kino – zu diesem wird Beware of Pity gerechnet – dadurch, dass sie unmarkiert bleiben und sich oft erst im Fortgang der Erzählung erklären, wie zum Beispiel in Bad Timing, 1980, der zu den Vorläufern der postmodernen Dramaturgie gezählt werden kann.

Autoimage/Heteroimage Im Vergleich zur österreichischen Literatur331 entstanden im Film in den ersten zwanzig Jahren nach dem Krieg nur wenige Bilder von österreichischen Autorinnen über die aktuelle Situation des Landes. 330 The New York Times, 1.11.1947. 331 Vgl. zum Beispiel Hans Lebert  : Die Wolfshaut, 1960  ; Marlen Haushofer  : Die Wand, 1963  : Diese beiden Bücher, die mehr als dreißig Jahre spätere erst wieder einer breiteren Publikumsschicht bekannt gemacht werden konnten, bieten an die österreichische »Seele« eine Annäherung, die im Film der Epoche fehlt.

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Autoimage/Heteroimage

Dagegen finden aus Österreich immigrierte US-amerikanische Bürger wie Billy Wilder oder Erich von Stroheim oder von der Musik Schuberts wie von der Literatur eines Zweig bzw. einer Baum begeisterte, international anerkannte Filmregisseure wie Marcel Pagnol, Max Ophüls oder Marc Allégret Themen, die in Österreich verankert sind. Ihre Erzählungen sind in diesem Land angesiedelt und werden in indirekter oder direkter Form zu Repräsentanten österreichischer Mentalitäten und können bei entsprechender Quellenkritik, die die historischen formalen Eigengesetzlichkeiten der Filmsprache berücksichtigt, als Fakten zur Historiografie genützt werden. Während in Le Signal rouge, 1948, in The Third Man, 1949, und in Futures Vedet­ tes, 1955, die erzählte Zeit die Produktionszeit widerspiegelt, zeigen andere Filme Ausschnitte aus der Vergangenheit, die sowohl die Jahrhundertwende in Letter from an Unknown Woman, 1948, oder die dreißiger Jahre in The Sound of Music / Meine Lieder – meine Träume, 1965, umfassen als auch bis in das 19.  Jahrhundert wie The Emperor Waltz, 1948, oder bis in die Biedermeierzeit wie La Belle Meunière, 1948, zurückreichen. Da die meisten Produktionen Wien als Haupthandlungsort annoncieren, ist es nicht verwunderlich, dass Wien im Ausland immer mit Österreich gleichgesetzt wird, obwohl die Einwohnerinnen außerhalb der Hauptstadt mit Recht Vorbehalte dagegen anmelden. Linz wird zum Beispiel für Lisa in Letter from an Unknown Woman zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur ein kurzzeitiger Aufenthaltsort, der nicht nur den Gegensatz zu Wien hervorhebt, sondern gleichzeitig die Ahnung eines anderen Lebens für Lisa symbolisiert. »Das Wichtigste in Linz ist, dass es nicht wie Wien ist«,332 wie Perkins es in seiner detailreichen Untersuchung zum Film betont. Zeitlich weiter in die Vergangenheit zurück, aber ebenfalls vor die Tore der Stadt geht Marcel Pagnol, Literat und Filmerzähler des französischen Provinzlebens, in seinem Film La Belle Meunière, der ein Liebesabenteuer Franz Schuberts schildert. The Third Man und The Sound of Music gehören zu jenen publikumserfolgreichen Produktionen, die den internationalen Zuschauerinnen nach dem Zweiten Weltkrieg Österreich positiv in Erinnerung rufen. Entwickelt sich The Third Man zu jenem Filmmonument, das eine neue österreichische Identitätsfindung über filmische Bilder initiiert und bis heute nachwirkt, wird mit The Sound of Music die österreichische Musiktradition, wie sie vor dem Krieg bestand, mittels einer musikalischen Familie werbewirksam wiederbelebt. Auch Marcel Pagnols Film La Belle Meunière wertet Österreich nach 1945 als eigenständiges Land auf. Die Biedermeierzeit, Franz Schubert und seine Werke werden willkommene, weltweit akzeptierte Artefakte, um an eine österreichische Kultur zu erinnern. Den Produktionshintergrund für diesen Film wie auch für Le Signal rouge findet man im Abkommen zwischen Frankreich und Österreich, das vorsieht, dass ein Teil der 332 Perkins  : »The Linz Sequence«, Movie, 29–30, 1982.

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Jetztzeitfilme

Einnahmen französischer Filme im Land selbst zu verbleiben habe, um die Entwicklung einer neuen filmischen Infrastruktur zu finanzieren. In diesem Zusammenhang werden neben Futures Vedettes, dessen Regisseur Marc Allégret bereits in den dreißiger Jahren einen Roman von Vicki Baum, Lac aux dames, 1934, verfilmt hat, noch weitere Filme, wie zum Beispiel Fusillé à l’aube / Secret Document  : Vienna, 1950, André Haguet, realisiert. Zeigen winterliche Außenaufnahmen aus Futures Vedettes, die in Wien gedreht wurden, das imperiale Ambiente und Villen aus der Vorstadt, zeichnet die Koproduktion zwischen Österreich und den USA Abenteuer in Wien, 1952, zeitgenössische Stadtansichten. Eifersucht und der Wunsch nach einem Identitätswechsel durch den Krieg entwurzelter Schicksale sind Grundmotive des letztgenannten Titels, der in realistischer Weise nicht übersehbare Anklänge an den »film noir« amerikanischer Prägung zeigt. Ein ähnliches Grundthema findet sich auch in Le Signal rouge, dessen Hauptdarsteller Erich von Stroheim für diesen Film in sein Geburtsland Österreich zurückkehrt, wo jedoch seine intensive Darstellungskunst zu negativen Kritiken in den österreichischen Medien führt. Psychisch vom Verlust seiner Frau gezeichnet, die er bei einem Zugunglück verlor, wird Dr. Berthold, ein angesehener Arzt, von der Wahnvorstellung getrieben, sich in den täglichen Bahnverkehr auf schockierende Weise einschalten zu müssen.

Stereotypische Botschaften Bekannter sind jedoch The Third Man und dessen Rolle für die filmische Neudefinition Österreichs in der Welt. Die Stadt Wien wird zwar in zeitgenössischen Ruinen evoziert und entspricht den Vorstellungen eines umkämpften Raumes, aber Vertreter der Wiener Bevölkerung treten als xenophobe Stichwortgeber auf und tragen damit zu einem neuen Kennenlernen der Wiener Bevölkerung bei. Vielleicht ist es tatsächlich wahr, dass ein Fremdbild immer schärfer und gnadenloser als ein Selbstbild gezeichnet werden kann  ? Zwar ist der Film für den Regisseur Carol Reed nur eine Erzählung unter anderen, die in einer Art Trilogie neben Wien Städte wie Belfast und Berlin nach dem Krieg zu Handlungsmittelpunkten des beginnenden Kalten Krieges333 machen, doch er trifft vor allem mit diesem Film die Gefühle der Jury in Cannes, die ihm die »Goldene Palme« zuerkennt. Aber es spricht nicht für ein entwickeltes filmisches Selbstwertgefühl, wenn diese britische Filmproduktion nach wie vor als Höhepunkt filmischer Darstellung Österreichs zelebriert wird. In Filmländern wie Frankreich oder Deutschland, in denen eine breite, qualifizierte Filmkultur und eine stabile Filmproduktion lebendig sind, wäre es 333 Odd Man Out, 1947  ; The Man Between, 1953.

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Stereotypische Botschaften

undenkbar, dass sich das nationale Autoimage über Jahrzehnte hinweg über eine ausländische Produktion definiert. Seit diesem vielfach preisgekrönten Film wird das Wien der Gegenwart, die Zeit nach 1945, in den Bildern dieses Filmes gedacht. In immer neuen Erzählvariationen wird dieselbe Stadt in gleichen Bildkompositionen und durch das Zitherspiel gleichen Tonerinnerungen gezeigt. Billy Wilders Ausflug in die Vergangenheit in The Emperor Waltz stößt zwar auf großes Gelächter über die veraltete Moral- und Sittenvorstellung in Österreich, ihm selber gefällt die Arbeit aber weniger, sodass er sich bei Nachfrage nach diesem Film immer wieder davon distanziert. Dem steht The Sound of Music gegenüber, in dem eine idealisierte Familienidylle – die fehlende Mutter wird durch eine zum weltlichen Leben bekehrte Klosterschwester ersetzt– gezeichnet wird. Drei Filme, die exemplarisch für einen Bruch mit dem bisher gepflegten Wienimage stehen können, wirken diesem hedonistischen Trend entgegen  : Il portiere di notte / Der Nachtportier, 1974, Bad Timing / Anatomie einer Leidenschaft, 1980, und Before Sunrise / Eine Nacht in Wien, 1995. Allen dreien gemeinsam ist ihre erzählte Zeit, die die Gegenwart moduliert. Wird in Il portiere di notte, der Mitte der fünfziger Jahre angesiedelt ist, die Stadt erstmals als Sammelbecken alter nationalsozialistischer Parteigänger gezeichnet, steht in Bad Timing die Stadt und ihre Lage zwischen Ost und West, aber vor allem ihre Affinität zu den Lehren von Sigmund Freud, als Topos für eine von starken Obsessionen erfüllte Liebesgeschichte, so wird in Before Sunrise ein Wien der Gegenwart gezeigt, das von skurrilen Künstlertypen und vom kulturellen Einfluss aus dem Osten geprägt ist. Wien erscheint dem zeitgenössischen westlichen Publikum zusätzlich als ein Ort, an dem sich die Spione aus aller Welt treffen oder sich vordergründiger Horror auf dem Hintergrund dunkler Gassen, alter Gemäuer und verschlossener, verbitterter Einwohner billig in Szene setzen lässt. In einer Stadt, in der auch Freud wirkte, erscheinen psychische Extremsituationen umso glaubwürdiger, wie sie sowohl Liliana Cavani, Il portiere di notte, als auch Nicolas Roeg, Bad Timing, ausführen. Das Riesenrad bzw. dessen Umgebung, der Vergnügungspark, wird in vielen früheren Filmen bemüht. Es sei an Letter from an Unknown Woman, 1948, oder an The Living Daylights, 1987, als Hintergrund von Aktion – hier wird ein Agent erschossen – erinnert. Dieser James Bond-Film baut in Stimmung und Dekor auf Scorpio, 1973, oder auf Avec la peau des autres / Die Haut des Anderen, 1966, auf.

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Sehen und Gezeigtwerden Monstration – Filmische Poetisierung – Pathos/Empathie – Agentengenre im Kalten Krieg – Historische Wahrheit– Entdeckung der Provinz – Filmische Konstruktion

Nachfolgend werden Begriffe wie Monstration, Pathos, Empathie oder mise-en-scène an Beispielen vertieft, um zu unterstreichen, dass neben den bekannten kanonisierten, thematisch orientierten Filmzitaten auch an dem vorgelegten Untersuchungskorpus, der unmittelbar mit dem österreichischen Kulturkreis verbunden ist, eine filmtheoretische Diskussion differenziert und erweiternd geführt werden kann.

Monstration Zeigen »(…) ist jener Akt, ohne den die filmische Erzählung nicht existiert«,334 kann als grundsätzlicher Unterschied zwischen den Medien Literatur und Film angesehen werden. Die Diskussion in den achtziger Jahren differenziert und verfeinert diese dem Medium Film innewohnende Qualität und baut auf Genettes erzähltheoretischen Überlegungen auf. Dabei geht es nicht um jene manifesten Bildinhalte, die Ereignisse erzählen, sondern um jene Beiläufigkeiten, um jene vorerst »bedeutungslosen« Mimiken, Gesten und Ausstattungsdetails, die erst in ihrer Wiederholung und Variation »bedeutungsvoll«335 werden können. Sie leiten den Blick, generieren Gefühle und unterstützen die Aufmerksamkeitslenkung. Eine bestimmte Einstellung gewinnt in der nachfolgenden Handlung und in Bezug auf deren Protagonisten ebenso Gewicht wie auf Grund dieser Rezeptionsvorgaben dem bereits bestehenden Erwartungshorizont neue Perspektiven hinzugefügt werden.

Filmische Poetisierung Marcel Pagnol wiederholt in La Belle Meunière bestimmte Bewegungsmuster, um ihre kodierende Bedeutung als Schlüssel für den weiteren Verlauf zu unterstreichen. Die nuancierten Abweichungen lassen die Bilder – im wahrsten Sinne des Wortes – im neuen 334 Gaudreault, 1988, 83–116  ; Gaudreault, Jost [1990], Le Récit cinématographique, 2004, 129 f.; Gardies, Le Récit filmique, 1993, 103–107. 335 Lotman [1973], 1977, 53–57.

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Filmische Poetisierung

Licht erscheinen, indem dieses poetische Verfahren der Wiederholung, die die Wahrnehmung durch Licht, Bewegungsrichtung und Kadrierung lenkt und am vorliegenden Beispiel Schuberts Entscheidung ohne Worte markieren kann, Verwendung findet. Eine Einstellungsfolge aus La Belle Meunière kann dieses Verfahren illustrieren, das ähnlich einem Refrain die Filmerzählung strukturiert. Der Inspiration suchende Franz Schubert wandert vor die Stadt und trifft auf eine Frau, die ihn, zumindest nach der hier gestalteten biografischen Anekdote, zum Liederzyklus inspiriert. Es ist ein aufmerksamer, wohlgefälliger Blick von Franz Schubert, als er zum ersten Mal die schöne Müllerin nackt im Wasser schwimmend erblickt. Es reicht jedoch nicht ein Blick, er wagt in der Erzähllogik festgeschrieben noch einen zweiten Blick. Durch diese mimische und gestische Wiederholung ist dieses Erkennen der Frau markierend im filmischen Erzählablauf gesetzt. Auffällig durch die Bewegungsidentität, die sich im zweimaligen Niederdrücken der Zweige unterstreichend äußert, erkennt man sie als für den zukünftigen Verlauf bedeutsam. Eine leicht seitlich verlagerte Variation der Ausleuchtung unterstützt die Wiederholung, ohne dass sie tatsächlich zu einer mechanischen, vordergründigen Verdopplung wird. Weniger als in der ersten ist in der zweiten Einstellung die Beleuchtung, die durch die Schatten der Zweige unmerklich variiert wird, auch erzähllogisch motiviert, da das Mädchen in der vergangenen Zeitspanne näher an das Flussufer geschwommen ist. Dieser erste Blickkontakt lässt Schubert zur Mühle zurückkehren, wo er um Unter­ kunft bittet, die ihm vom leutseligen Müller gewährt wird, während in einer Parallel­ montage das Mädchen am Flussrand sein Spiegelbild, manchmal vom kräuselnden Wasser überlagert, zufrieden betrachtet, weil es Schuberts wohlgefälligen Blick, ohne es sich anmerken zu lassen, sichtlich genossen hat. Die Möglichkeit der wortlosen, jedoch bildtechnisch modifizierten Monstration wird durch Pagnol als filmische Poetisierung verwendet, um Unsicherheit, Erinnerung und Freude, die das Mädchen in kurzer Aufeinanderfolge bewegen, bildhaft zu figurieren. Inspiriert vom der Abgrenzung von Mimesis und Diegesis bei Platon und von Genettes Ausführungen kommt der Filmtheoretiker André Gaudreault336 zum für den Film grundlegenden Begriff des »Zeigens«, das nicht nur die »erste Stufe des filmischen Erzählaktes« darstellt, sondern dadurch auch eine Unterscheidung vom schriftlichen Erzählen darstellt. Ähnlich einigen Produktionen aus den dreißiger Jahren – Abel Gance’ Beethovenverfilmung sei als Beispiel genannt – bleibt die Musik, die die Natur in Töne umsetzt, ein hörbares Zeichen für den Gemütszustand Schuberts. Ein kurzer Lebensabschnitt, der – und diese Referenz scheint neu zu sein – nicht von tatsächlichen biografischen Fakten des Musikers belebt, sondern durch den Inhalt und durch die Form des Lieder336 Gaudreault, 1988, 53–54.

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Sehen und Gezeigtwerden

zyklus vordefiniert wird, kann als narrativ-formale Grundlage des Filmes genommen werden. Sie imaginiert den psychisch-kreativen Raum, der im Gegensatz zu Ruiz’ Film Klimt, 2006, zwar von einer ähnlichen Sicht, nämlich von der gleichwertigen Wichtigkeit innerer wie äußerer Erlebnisse, ausgeht, jedoch einer im Vergleich zu Klimt stärkeren Erzählstringenz folgt und dadurch von der klassischen Dramaturgie im Zeichen des Filmerzählens geprägt bleibt  : Mir war auch klar, dass Schuberts Lieder in erster Linie kleine dramatische Werke sind. Jedes davon (…) besteht aus kleinen Szenen, die von unvergleichlichen Melodien und von einfachen Harmonien mit jedoch faszinierenden dramatischen Effekten unterstützt werden. Sobald der Held zum Beispiel die Mühle entdeckt, übersetzt der Bass das rhythmische Dröhnen des großen Mühlrades, während die andere Hand die Geräusche des fließenden Wassers weiterführt.337

Filmhistorisch bleibt La Belle Meunière auch deshalb von anhaltendem Interesse, weil ein Farbfilmverfahren genützt wird, das in Frankreich Ende der vierziger Jahre entwickelt wird, um neben dem angelsächsischen Kodakverfahren am internationalen Markt bestehen zu können. Die Fehleranfälligkeit der Farbmischung im Labor und das technische Reproduktionsverfahren im Kino, das aus marktstrategischen USA-Überlegungen an bestimmte Projektorentypen gebunden wird, lassen es schon nach wenigen Produktionsversuchen nicht zu, diese nationale eigenständige Farbfilmtechnik weiterzuführen. Ein The Third Man / Der dritte Mann ähnliches Heteroimage von Wien findet sich in Four in a Jeep / Die Vier im Jeep. Die zeitgenössische Schilderung des Alltags aus der Sicht des Autors Richard Schweizer wird 1951, zwei Jahre nach The Third Man, in Cannes präsentiert. Die einzelnen Sequenzen, zum Beispiel die Ankunft eines Heimkehrerzuges, bestehen hauptsächlich aus Alltagsepisoden und erscheinen auf dem ersten Blick weniger spektakulär als die Kriminalgeschichte in The Third Man. »Jede Analyse eines Filmes ist vom Verständnis des Mediums Film mit geprägt.«338 Diese Aussage kann in zweifacher Weise interpretiert werden  : Soweit analysierte Sequenzen Auskunft über das Verständnis der Filmautoren von Film und Kino geben, vermittelt auch die Analysantin sowohl ihre Erwartungen an das Kino, das als medialer Gesamtapparat verstanden wird, als auch ihr Verständnis der Filmsprache. 337 Pagnol, La Belle meunière. Scénario et dialogues sur des mélodies de Franz Schubert, 1948, 14  : »J’appris aussi que les lieder de Schubert sont d’abord des œuvres dramatiques. Chacun de ceux (…) contient une action découpée en scènes, portée en avant par des mélodies incomparables, soutenue par des harmonies très simples, mais d’un effet dramatique saisissant. (…). Dès que le héros découvre le moulin, la basse traduit le bruit rythmé de la grande roue meunière, tandis que la main droite continue à transposer les sons et les murmures de l’eau courante.« 338 Bonitzer, »La psychanalyse avec le cinéma«, 1977, 7.

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Pathos/Empathie

Ist die genannte Sequenz der Ankunft der Heimkehrer aus Four in a Jeep für Kriminalfilmgenrekenner nicht außergewöhnlich spektakulär, klärt sie jedoch über den filmischen Sprechakt des Regisseurs Leopold Lindtberg und dessen grundsätzliches Verständnis der filmischen Sprache auf. Diese Einstellungsfolge mag auch als Erinnerung dienen, indem die vielschichtigen Schicksale österreichischer Soldaten wortlos empfindsam in kurzen Tableaus durch Gesten, Mimiken und Rufe gezeigt werden. Der von Dialogen bestimmte Film kehrt in dieser Sequenz zur ursprünglichen Stärke des Zeigens zurück. Passagen des Suchens wechseln mit dem Sich-Finden rhythmisch ab, wodurch eine Bilddynamik entsteht, wie sie in dieser Form im übrigen Film nicht mehr vorkommt. Das den Film abschließende Finale der Verfolgungsjagd, deren bildliche Entsprechung sich zwanzig Jahre später in Scorpio in Variation wiederfinden lässt, wird im Gegensatz zur vorgenannten Sequenz von der Logik der Aktion im kadrierten Aufbau und durch den Rhythmus des Schnitts bestimmt. Die Bildfolge in der Sequenz »Ankunft der Heimkehrer« erinnert durch ihre Motivanschlüsse und durch ihre oft gegenläufige Bewegungsdynamik an die emotionalen Montagefiguren russischer Stummfilmklassiker, die ebenso das Pathos des Ereignisses in Kadrierung, Bewegung und Schnitt zu vermitteln vermochten. Die Gestaltung verweist auf das Filmverständnis der Stummfilmzeit, mit deren Erfahrungen Lindtberg bereits seine ersten filmsprachlichen Artikulationsversuche mit Wenn zwei sich streiten, 1932, realisiert hat. Aus der Bildtiefe entsteht eine horizontale Bewegung, die durch plötzliches Innehalten oder durch eine beginnende Gegenbewegung dynamisch strukturiert wird. Bei detaillierten Auseinandersetzungen mit der Narration in Filmen fällt immer wieder auf, dass es gegenüber der im Film dominant vorherrschenden Bild- und Tonsprache innerhalb der Erzählzeit zu auffälligen Varianten kommt  : So verändert sich der der Logik der Aktion oder des Dialogs folgende angewandte Schnittrhythmus merklich. So wechselt eine im Filmwerk bevorzugte schattenlose Ausleuchtung in einer emotional aufgeladenen Sequenz zu harten Schwarzweiß-Kontrasten.

Pathos/Empathie Mit dieser oben zitierten Sequenz, in der filmgestalterische Verfahrensweisen nachvollzogen werden können, werden Gefühle in Bewegung339 gestaltet, die in ihrem Kontrast zur übrigen Sprechweise in dieser verdichteten Darstellung zu einem sichtbaren Ausdruck psychischer Zustände werden. Entspricht nicht nur in jedem Film mindestens eine Sequenzfolge der »Pathos«Formel im Sinne Aby Warburgs, deckt sich diese Hypothese zur Pathosgestaltung auch 339 Didi-Huberman, L’Image survivante, 2002, 191 f.

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Sehen und Gezeigtwerden

mit jener, durch Plantinga beobachteten, auffälligen Nutzung der Großaufnahme, die eine weitere mögliche Filmausdrucksform anspricht. Die Häufung von Großaufnahmen wird in jedem Film vorgefunden und verweist auf die besondere Konzentration von Gefühlsausdruck und Empathie.340 Filmsprachliche Gestaltungsweisen, die Pathos oder Empathie hervorrufen, werden auf Grund ihrer Abweichung vom generellen Sprachduktus der Erzählung auffällig  : sei es zur Empathievermittlung oder sei es, dass die bestimmte Einstellungsfolge das emotionale und moralisch-ethische Anliegen des Autors, entweder unbewusst oder überlegt die Rezeptionslenkung beeinflussend, widerspiegelt. In der Gegenüberstellung von invarianten filmischen Sprachfiguren mit plötzlich auftretenden variationsreichen formalen Änderungen lassen sich emotional-hermeneutische Codes erkennen, die die Autoren, durch eigene Lebenserfahrung geprägt und durch den aktuellen Zeitgeist geformt, ausdrücken wollen. Eine das Werk dominierende Komposition wird durch eine Variante selbst in der tiefenstrukturellen Gestaltungsweise341 einer Veränderung unterzogen. Eine bei den meisten Filmerzählungen zu beobachtende Sequenzfolge, die dem übrigen Filmduktus zuwiderläuft, kann als Schlüssel des auktorialen Erzählens erkannt werden. Die auktoriale Erzählerin erscheint omnipresent und allwissend. Sie besitzt immer den besten Blick auf das Geschehen  ; falls dies jedoch nicht der Fall ist, wird es diegetisch legitimiert. Der jeweilige Blick der Kamera, der durch Perspektive, Licht und Länge in seiner Unterschiedlichkeit bestimmt werden kann, ist die erste Stufe der Identifikation, die von einer zweiten Identifikationsstufe überlagert wird, die darin besteht, dass sich der Leser/Zuschauer mit einer oder mehreren Personen der Erzählung identifiziert. Populär wird die genannte zweite Identifikation als die prägende genannt, da dabei die Person – der Star – im Vordergrund steht und weniger der jeweilige Blickpunkt, der »point of view«. Dieser Überlegung scheint ein Film wie Futures Vedettes / Reif auf jungen Blüten entgegenzustehen. Sieht man jedoch den Film unter dem Aspekt, dass eine junge Schauspielerin durch diese Arbeit bekannt gemacht werden sollte, lassen sich mise-en-scèneTableaus erkennen, die gegenüber der filmischen Gesamtgestaltung auffällig werden. Der Begriff »mise-en-scène« wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Frankreich geprägt, um die Tätigkeit jener Person zu bezeichnen, die einen schriftlichen Text auf die Theaterbühne bringt. Für den Film bedeutet diese Tätigkeit, jenes Arrangement zu überwachen – vor allem Ausstattung, Schauspielführung und Licht –, dessen Ergebnis innerhalb der einzelnen Einstellungen zu sehen und zu hören ist. 340 Plantinga, »The scene of Empathy and the Human Face on Film«, 1999, 239. 341 Wuss, Die Tiefenstruktur des Filmkunstwerks, 1986, 332 f.

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Pathos/Empathie

Futures Vedettes / Reif auf jungen Blüten (Marc Allégret, Frankreich, 1955) »Brigitte Bardot fehlt für einen Star bis jetzt jede Tiefe.« (Variety, 20.7.1955)

Heart of a Child (Clive Donner, Großbritannien, 1958) Karli kommt in die Stadt. Stimmungsbilder aus der österreichischen Provinz der Nachkriegszeit.

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Sehen und Gezeigtwerden

In filmtheoretischen Schriften wird der Begriff »mise-en-scène« eher allgemein verwendet. Er bezeichnet die Art und Weise, wie eine Erzählung mit filmischen Mitteln umgesetzt wird. Im vorliegenden Fall verweist der Begriff auf die besondere Lichtsetzung, die vom Gesamtdesign des Filmes abweicht. Sergej Eisenstein verwendete in differenzierender Form auch die Begriffe »mise-en-cadre« (»Bildausschnitt«), »mise-engeste« (»gestische Darstellung«) und »mise-en-jeu«, (»spielerische Umsetzung«), um die dem Medium eigene Übertragungsarbeit zu unterstreichen.342 Im Besonderen ist die Lichtgestaltung zu beachten, die die junge Schauspielerin Brigitte Bardot, ähnlich den Starinszenierungen aus Hollywood, aus dem Kreis ihrer Mitspielerinnen hervorzuheben weiß. Erich Walter (Jean Marais) ist Professor am Wiener Konservatorium. Zwei Schülerinnen, Sophie (Brigitte Bardot) und Elis (Isabelle Pia), die in ihn verliebt sind, kämpfen um seine Gunst. Einige Jahre vor dieser Produktion entdecken Marc Allégret und Roger Vadim ein junges Mädchen, Brigitte Bardot. Als verheiratete Madame VadimPlémianikov spielt sie kleine Rollen in zwei oder drei Filmen. Marc will ihr nun eine größere Rolle in der Verfilmung eines Romans von Vicki Baum, einer aus Österreich emigrierten Bestsellerautorin, geben. Mit »schockierenden Enthüllungen von Lehrer-Schülerinnen-Beziehungen« wird der Film  – der amerikanische Verleihtitel ist School for Love  – beworben. Die Adaptierung der literarischen Vorlage, bei der Brigitte Bardot mitarbeitete – die verschiedenen Drehbuchfassungen in der Pariser Cinémathèque zeugen von ihren persönlichen Bemühungen343  –, hat zum Ziel, entgegen der ausgeglichenen Gewichtung der weiblichen Charaktere im Roman Sophie einen höheren Stellenwert zuzumessen und sie als vielschichtige Persönlichkeit erscheinen zu lassen. Um den romantischen Geist des Buches zu bewahren, werden die vorgegebenen Handlungsorte berücksichtigt und alle Außenaufnahmen im Dezember 1954 in Wien gedreht. Der Film kommt im Frühjahr 1955 in die Kinos und erzielt beim Publikum eine unerwartete Beachtung. Manche Kritiken sehen ein Meisterwerk, andere drücken ihre Missachtung aus. Zwar wird mit diesem Film der Mythos »B.B.« noch nicht geboren – dieser gewinnt erst mit Et Dieu … créa la femme / Und immer lockt das Weib an Boden –, doch bereitet er sich bereits merkbar vor, auch wenn die Fachzeitschrift »Variety« konstatiert  : »Brigitte Bardot fehlt jedes Zeug zum Star.«344 Diese US-amerikanische Kritik steht jener französischen Einschätzung entgegen, die Brigitte Bardot als europäisches Kunstprodukt sieht.345 342 Eisenstein [1934], »Questions de mise en scène  : ›Mise en jeu‹ et ›mise en geste‹. Deux microétudes de L’Idiot de Dostojevski et du scénario de K. Vinogradskaia«, 1986, 179–243, 179. 343 Vadim, Allégret, »Futures vedettes«, 1954. 344 Variety, 20.7.1955. 345 Latil, Le festival de Cannes sur la scène internationale, 2005, 135.

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Agentengenre im Kalten Krieg

Zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beginnt in Europa die Aufarbeitung von Kriegserlebnissen durch ehemalige alliierte Soldaten, die mit Österreich eng verbunden sind. Ein erstes, wiederkehrendes Sujet, mit dem über die Nachkriegszeit in und rund um Wien erzählt wird, ist durch die geografische Nähe zu einem der aktuellen politischen Brennpunkte, Ungarn 1956, bestimmt.

Agentengenre im Kalten Krieg Für das zweite Hauptsujet, Spionage- und Agentenaktivitäten im Kalten Krieg, können Foreign Intrigue / Die fünfte Kolonne, 1956, und The Double Man / Der doppelte Mann, 1967, stehen, wobei Vorläufer dieses Genres mit Österreichbezug bereits in den zwanziger Jahren gefunden werden können. In Foreign Intrigue, der nach einer populären TV-Serie als Kinofilm gedreht wird, gehören geheimnisumwitterte Hausbesorgerinnen mit ungarischem Akzent, abbröckelnde Häuserfassaden, an deren Ende wie aus dem Nichts imperiale Bauten in Licht getaucht erscheinen, oder geheime Treffpunkte in mittelalterlichen Burgzimmern ebenso zum Repertoire des Set-Designs wie auch der länderübergreifende Ortswechsel, der als zeittypische Dramaturgie erkennbar wird. Robert Mitchum verliebt sich in Stockholm, schwärmt von Nizza, muss aber nach Wien fahren, um internationale Nazikollaborateure aufzudecken. Es bleibt für ihn ein Stopover in Vienna, wie einer der Zweittitel heißt, der für seine Beziehung zur schwedischen Freundin jedoch schicksalhaft wird, da er, nachdem er sie gebeten hat, auf ihn zu warten, im nächtlichen Torbogen verschwindet. Stadtansichten, deren formale Parallelen zu The Third Man augenfällig sind, werden erneut, wie auch im dritten Beispiel für das Genre, Flight from Vienna, als Hintergrund im Kalten Krieg verwendet. Ein Skiurlaub als Treffpunkt international arbeitender Agenten ist nicht nur bei The Double Man stimmungsvolles Material für diesen oftmals als »verworren« bezeichneten Agententhriller. Dan Slater erfährt, dass sein Sohn bei einem Skiurlaub in Österreich verunglückte. Da die offiziellen polizeilichen Ermittlungen zu keinen eindeutigen Ergebnissen kommen, beginnt Dan selbst zu recherchieren. Als Agent des CIA wurde er von einem gegnerischen Geheimdienst nach Österreich gelockt, um hier entführt zu werden. Man möchte ihn durch einen Doppelgänger ersetzen. Aktuell auf politische Ereignisse – es kann von einer Gleichzeitigkeit von Produktionszeit und erzählter Zeit gesprochen werden – reagiert The Journey / Die Reise, 1959, der in den Filmstudios am Rosenhügel in Wien gedreht wird. Ein hoher ungarischer Beamter versucht, nach England zu fliehen und bittet um Asyl. Um seine Glaubwürdigkeit zu überprüfen, wird er zurück in sein Land geschickt, um von dort einen Wissenschafter aus dem Land zu schmuggeln. Der Wiener Flughafen wird ebenso wie in City of Fear, 1965, zur Drehscheibe für die Überstellung und Auslieferung von ungarischen 207

Sehen und Gezeigtwerden

Staatsbürgern, die österreichische Grenze wird als Nahtstelle zwischen Ost und West, zwischen Diktatur und Freiheit dargestellt. Aus ungarischer Sicht formt dreißig Jahre später Szerencsés Dániel / Daniel nimmt den Zug, 1983, eine Geschichte von einem jungen Ungarn, der in einem Zug den Unruhen in Budapest entfliehen möchte. Am Übergang zu Österreich müssen die Flüchtlinge jedoch eine Nacht lang auf die Weiterreise warten. Erlebnisse während dieser Wartezeit am Übergang nach Österreich bringen den jungen Mann zu dem Entschluss, doch in seine Heimatstadt Budapest zurückzukehren.

Historische Wahrheit In einer Auseinandersetzung mit der Theorie über den historischen Roman von Georg Lukács346 kommt Grindon347 zu einer abschließenden Einschätzung für Filmerzählungen, die sich in einigen Punkten wesentlich von der schriftlichen Historiografie unterscheiden, da sie den sozialen und historischen Beschreibungen eine sinnlich konkrete Darstellung hinzufügen können. »Politics is bound to romance, and the intensity of inner feeling is projected into the public realm«, und Film könne diese Übertragung am besten von allen Erzählformen in ihrer Vielfalt gewährleisten. Einen Schritt weiter geht Rosenstone, wenn er Experimentalfilmen348 – für ihn umfasst dieser Begriff Reflexion und Modifikation der filmischen Sprache – und Dokumentarfilmen in all ihren Möglichkeiten eine wesentliche ästhetische Kraft zugesteht, Geschichte zu vermitteln. Als Beispiele führt er Filme von Rossellini, Rocha, Kluge an, bzw. Shoah, Sans soleil oder Hard Times and Culture – Part 1  : »Vienna, Fin-de-Siècle.« Viscontis Klassiker, der historische Film Senso, 1954, dessen Handlung in der Zeit der österreichischen Besetzung Venetiens, im Mai 1866, angesiedelt ist, wurde durch die zeitgenössische Kritik als Abkehr vom Neorealismus verstanden. Dem widerspricht Visconti später in einem Interview  : »›Senso‹ ist ein sehr realistischer Film. Ich weiß nicht, warum wir immer ›neo‹ hinzufügen. Ich versuchte ihn mit dem Maximum an Realismus zu machen und ihm gleichzeitig das Element eines italienischen Melodramas zu geben.«349 Bemerkenswert an diesem Statement zum »Realismus« ohne »Neo« ist vor allem die Tatsache, dass Visconti nicht nur mit Ossessione, 1943, als Vorläufer dieses neorealistischen Schaffens gesehen wird, sondern dass er bei Bellissima, 1951, sogar mit dem Theoretiker dieser Filmbewegung, Cesare Zavattini, zusammengearbeitet hat. 346 347 348 349

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Lukács, 1937. Grindon, 1994, 6–7 und 114–117. Rosenstone, 1995, 61–64. Cahiers du cinéma, März 1959.

Historische Wahrheit

Bei einer Aufführung in Venedig 1866 von Verdis »Il trovatore« (»Der Troubadour«) werfen italienische Patrioten Flugblätter in das Publikum. Gräfin Livia Serpieri vermittelt zwischen ihrem Cousin Roberto Ussoni und Franz Mahler, einem österreichischen Offizier. Sie verliebt sich in Franz und wird ihrem italienischen Patriotismus untreu. Um ihre nationale Schuld wieder gutzumachen, verrät sie in den Kriegswirren Franz, der ihre Liebe nicht erwidert. Als Teil der österreichischen Nation fühlt er sich nach der Schlacht bei Custozza, 24. Juni 1866, als Sieger, aber als Mensch wird er zu einem gebrochenen Zyniker, dem Frauen nur noch als bevorzugte Spielsachen, mit denen er zu Geld kommen möchte, wichtig sind. Diese Änderung seines Charakters im Verlauf des Filmes wird oft jenseits der konkreten Geschichte und unabhängig vom zerstörerischen Verhalten gegenüber Livia als Metapher für die Zerrüttung der Menschen durch Krieg gesehen werden. Das Ausweichen auf eine frühere historische Epoche wurde durch das »AndreottiGesetz« notwendig, das für Filme ein Exportverbot vorsah, »die ein unrichtiges Bild der wahren Natur des Landes« geben.350 Über die Eingangsszene des Filmes im Besonderen und über das Genre von historischen Filmen meint Visconti bei der ersten Vorführung während der Filmfestspiele in Venedig 1954  : Die Szene ist der Schlüssel. – Wenn die Italiener jener Zeit »Es lebe Verdi« riefen, so bedeutete das nicht nur »Es lebe Viktor Emanuel, König von Italien«. Es hieß auch, dass man eine bestimmte Musik und eine bestimmte Art, zu denken und zu fühlen, mochte. Alles ist eine Frage des Jahrhunderts und der Situation. In Wirklichkeit kann jeder Regisseur, der seine Gedanken und Vorstellungen ausdrücken möchte, jede beliebige Geschichte erzählen. Ich glaube auch, dass einer der Wege, die sich dem italienischen Kino öffnen werden, der romantische Realismus ist. Es genügt, an unsere lyrischen Quellen zurückzukehren.351

Neben der erwähnten gemeinsamen Suche nach Wahrheit, durch die es bis zum Nachstellen von Gemälden in einzelnen Einstellungen kommt,352 wird eine Authentizität in der Rekonstruktion gefordert, um das Erinnern von Ereignissen zu generieren, das bereits im vorfilmischen Raum stattfindet. Der Filmhistoriker Georges Sadoul vergleicht manche Sequenzen in Senso, zum Beispiel jene der Schlacht, mit dem Schlachtengemälde »Il quadrato di Villafranca« von Giovanni Fattori.353 Eine umfassende Untersuchung von Monti354 vergleicht eine Reihe von Filmeinstellungen mit den Gemälden der Gruppe Macchiaioli im Detail. Zur Beeinflussung durch diesen Maler unterstreicht 350 351 352 353 354

Huaco, 1965, 185–186. Visconti, 1954. Alekan, 1991, 136 f. Sadoul, 1956. Monti, Les macchiaioli et le cinéma, 1979.

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Sehen und Gezeigtwerden

Visconti noch einmal seinen realistischen Zugang zu dieser Erzählung  : (…) Ich habe niemals versucht, ihn zu kopieren. Ich versuchte einfach der Wahrheit näher zu kommen. Und weil Fattori die Wahrheit malte, ist es kaum überraschend, dass sich unsere Arbeiten auf der einen oder anderen Ebene decken.355

Auf der Suche nach historischer Wahrheit nützt er die poetischen Möglichkeiten der filmischen Rhetorik, um seinem bisher bekannten Stil treu zu bleiben. Eine lange Einstellung zeigt das Enteilen Livias nach dem Streit mit Franz. Immer neue Türen werden geöffnet. Sie wirken wie Schnitte zwischen Einstellungen. Dieses wortlose vorläufige Abschiednehmen wird durch einen theatergemäßen Blickpunkt verstärkt, der starr und unveränderlich wie von einem im Theaterstuhl Sitzenden fixiert ist.

Entdeckung der Provinz Neben der Rekonstruktion historischer Ereignisse, die in Senso über den konkreten Anlassfall hinaus menschliche Schicksale in ihrer Bewegung und Veränderung zeigt und sich mit Hilfe innovativer filmästhetischer Verfahrensweisen immer wieder den Gefühlswelten des immer wieder neuen Publikums zu nähern weiß, kommt es in den beiden ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Entdeckung von Provinzen – Tirol und Salzburg – als Erlebnis- und Handlungsräumen. Mit Le Signal rouge, 1948, wird im Genre des Psychodramas Tirol als Erzählort neu gefunden. Eine Großstadtatmosphäre steht dabei als Fluchtpunkt, der die Geschichte entwickeln kann, nicht zur Verfügung. Dr. med. Mathias Berthold (Erich von Stroheim) verliert bei einem Zugunglück seine Frau. Berthold erholt sich von dem Schock nur schwer. Rote Bahnsignale verfolgen ihn Tag und Nacht. Für neue unaufgeklärte Zugsunfälle übernimmt er die Täterschaft. Bertholds Assistentin, Dr. Irene Dreiser, die sich aufopferungsbereit um den Jungen der zerrissenen Familie kümmert, organisiert für ihn einen Termin bei einem Wiener Psychiater.

355 Doniol-Valcroze, Domarchi, 1959, 145.

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Filmische Konstruktion

Die Beschreibungen psychischer Zustände nach dem Verlust eines geliebten Menschen forderten die zeitgenössischen, österreichischen Filmkritiken heraus, Le Signal rouge als Metapher für die österreichische Nachkriegsgesellschaft und deren Zeitgeist sensibel zu erkennen und trotzdem im Widerspruch dazu diesen Film negativ zu bewerten. Die katholische Filmkommission lehnt diesen Film mit einer Begründung ab, die in ähnlicher Form noch lange das geistige und kulturelle Klima prägen sollte  : Warum einen Film (…) einem breiten Publikum vorführen, das selbst noch nicht ganz von den Nervenzerreißproben des vergangenen Jahrzehnts genesen ist  ? (…) Nur für gefestigte, kritische Erwachsene.356

Im Zusammenhang mit der Produktion – ein großer Teil des Filmes wurde in den Wiener Rosenhügel-Studios realisiert – kommt es neben negativen Meinungen zu Sympathiegesten, die den internationalen Schauspieler in diesem Film zu würdigen wussten  : Erich von Stroheim wurde in seiner Geburtsstadt gefeiert. Der Wiener Bürgermeister zeichnete Stroheim mit dem Schlüssel der Stadt aus, und seine Landsleute begannen zu erkennen, in welcher Weise Erich von Stroheim zur internationalen Filmkunst beitrug357

schreibt eine seiner Biografinnen.

Filmische Konstruktion Auch in La Cuisine au beurre / Alles in Butter, 1963, lernt das internationale Publikum Tirol durch die Schilderung Fernands aus Marseille wieder einmal kennen. Fernand Jouvin (Fernandel), Kriegsgefangener, flüchtet und wird von Gerda, einer Tiroler Hotelbesitzerin, aufgenommen, die ihn vergessen lässt, dass er in Martigues mit Christiane verheiratet ist. Im Glauben, er sei gestorben, heiratete sie ihren Chefkoch André, der das kleine Restaurant »La Bonne Bouillabaisse« zu einem gepflegten Etablissement, »La Sole normande« verändert. Als Fernand nach Marseille zurückkehrt, muss er erkennen, dass seine Frau und ihr neuer Ehemann sein Lokal völlig neu ausstatteten und mit einem Speiseangebot aus der Normandie aufwarten. Im Gegensatz zu ihm, der immer mit Öl kocht, wird jetzt in seinem Restaurant mit Butter gekocht. Die Komödie zeigt in der sexuell liberalen Nachkriegsära nicht nur, wie die Abwesenheit eines verschollen geglaubten Ehemannes das Leben ändern kann, sondern macht auch sinnlich nachvollziehbar, wie durch die Wertschätzung der Kochkunst drei unterschiedliche Kulturen einander zu verstehen beginnen. 356 Katholische Filmkommission, Nr. 1037. 357 Lignon, 1998.

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Sehen und Gezeigtwerden

Als eines Tages Gerda ankommt, beginnt für alle ein neues Leben. »Die Französinnen sind faul«, soll Fernand Gerda erzählt haben. Deshalb ist die Überraschung jetzt umso größer. Die Tirolerin Gerda wird als füllige resolute Dame charakterisiert, die ihren Tiroler Charme in das Marseiller Leben mitbringt. Charakterisiert wird Gerda mit Gretchenfrisur und dem Hang, mit Fernand ein neues Leben beginnen zu wollen. Dass sie aus der Stadt Krems kommt, die geografisch in Niederösterreich liegt, jedoch im Film als in Tirol liegend beschrieben wird, unterstreicht nur, dass es den Autoren um Typisierung und nicht so sehr um Authentizität gegangen ist. In Heart of a Child, 1958, dagegen findet der Regisseur Clive Donner, Cutter bei Carol Reed, immer wieder durchdachte Schwarzweißbilder, die mit einer sorgsamen Bild- und Lichtregie ein für die damalige Zeit nachvollziehbares Grundmotiv, Krieg und Hunger, zeichnen können. Seine Arbeit, die zwischen sozialem Engagement und Kolportage oszilliert, lässt in dieser Form ein einzigartiges Bild der österreichischen Provinz während des Zweiten Weltkriegs evozieren, das in dieser oder ähnlicher Weise in späteren Produktionen nicht mehr aufgefunden werden wird. Als der treue Bernhardinerhund der Familie aus Hungersnot dem Fleischer des Ortes verkauft werden soll, flüchtet der zehnjährige Junge Fritz, der von seinem Vater geschlagen wird. Ein Kriegsveteran hilft schließlich dem Jungen, der in Richtung Innsbruck unterwegs ist. Wenn, wie in Where Eagles Dare / Agenten sterben einsam, 1968, Lofer, Ebensee und Werfen zu Drehorten eines Actionfilms über eine Befreiung werden, freut sich der regionale Tourismusverband. Es zeigt aber auch gleichzeitig die Bedeutung Österreichs für die internationale Produktion auf. Diese scheint weniger an den Geschichten und an den Charakteren in diesem Land interessiert als mehr an der Topografie und an der bestehenden, historisch gewachsenen Architektur als Teil von weltumspannenden, verallgemeinerbaren und austauschbaren kulturellen Errungenschaften, die heute in den verschiedenen Disneyländern in abendlichen Umzügen kulminieren. Waren es gestern gewagte Actionszenen mit Richard Burton und einem jugendlichen Clint Eastwood auf dem Dach einer österreichischen Seilbahn, sind es heute neben Donald Duck die vereinnahmte indianische Kultur in Pocahontas oder deren variierte Fortsetzung in Avatar durch indisch inspirierte Tänze. Heißt es doch über eine ähnliche internationale Großproduktion, Hauptproduzent Columbia England, Before Winter Comes / Bevor der Winter kommt, 1969, die im Frühjahr 1945, kurz nach Kriegsende, in einem österreichischen Flüchtlingslager an der Grenze zu Deutschland spielt  : The movie was photographed near Salzburg. It has a crisp, conventional travelogue quality that is pretty for a while, and finally as boring as a postcard’s picture.358 358 The New York Times, 25.3.1969.

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Filmische Konstruktion

Vier Jahre zuvor umgeht der Musikfilm Help  !, 1965, der in Salzburg gedreht wird, diese Postkartenidylle, indem er die Faszination der vier Hauptdarsteller, der Beatles, zu nützen weiß und damit zu einem internationalen Auswertungshöhepunkt der österreichischen Bergwelt wird.

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Verfilmung von Literatur am Beispiel Mögliche Zusammenfassungen – Adaption – Zum Film Letter from an Unknown Woman – Ironisierende Distanz – Flashback – Stimme/ Musik – Schreibweise und Zeigweise – Phasen der Rezeption – 1. Phase  : Erstaufführung – 2. Phase  : Wiederentdeckung – 3. Phase  : Analyse und Interpretation – Aktuelle Diskussion

Letter from an Unknown Woman / Brief einer Unbekannten, 1948, gehört nicht nur zu jenen wenigen Beispielen in der Filmgeschichte, die durchgehend und konsequent die Erzählperspektive einer Briefschreiberin einhalten, sondern er prägt auch nachhaltig das Bild von Wien.359 Bei Letter from an Unknown Woman werden Interessierte und Liebhaber von Literatur und Film ebenso angesprochen wie jene Personen, die sich für eine detaillierte psychologische Auslotung menschlicher Konflikte interessieren. Informierte Zuschauerinnen und Zuschauer sind jene, die die vorangegangenen Werke, seien es Filme oder Bücher, der Autoren kennen. Für Ophüls stellt dieser Film den zweiten Teil einer Trilogie über das Leben in Wien dar, die mit Liebelei, 1933, beginnt und mit Der Reigen, 1950, dem dritten Teil, vervollständigt wird. Bereits in Liebelei war das spezifische Adaptierungsproblem gegeben, die Dialoge eines Theaterstückes in Bilder und Töne eines zeigenden Mediums, des Films, zu transferieren.

Mögliche Zusammenfassungen Erste, spontane Inhaltsangaben wählen subjektiv oftmals narrative Partikel und zeitliche Abfolgen aus, lassen jedoch noch nicht die spezielle filmische Schreibweise nachvollziehen  : Stefan, ein Pianist, der auf den heraufdämmernden Tag wartet, um in ein Duell mit einem eifersüchtigen Ehemann zu gehen, erhält einen Brief. Während des Lesens erinnert er sich an die »Unbekannte«, deren Leben von einer unbeantworteten Zuneigung zu ihm erfüllt ist. Eine Variante dieser Inhaltsangabe aus der Sichtweise Lisas könnte auch lauten  : Ihr Leben lang liebt sie Stefan, mit dem sie einen Sohn hat. Er erkennt weder sie, noch weiß er über den gemeinsamen Sohn Bescheid.

359 Vgl. dazu Überschriften zur Wiederaufführung in den achtziger Jahren  : »Wien der Liebe und des Todes«, Le Monde, 30.9.1987, oder »Eine Liebe des Schnees und der Nacht«, Le Nouvel Observateur, 30.9.1987.

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Zum Film Letter from an Unknown Woman

Adaption Die impulsiven persönlichen Einschätzungen von Situationen, Personen und Handlungen, wie sie durch die Briefschreiberin zu Papier gebracht werden, finden ihren Ausdruck in Stefan Zweigs eigenem Stil, der durch besondere Rhythmisierung, Wortwahl und Wortwiederholung charakterisiert ist. Seine Werke sind vom gesellschaftlichen Universum der ausgehenden österreichisch-ungarischen Monarchie geprägt. Vor allem seine sensiblen, psychoanalytisch motivierten und interpretierbaren Lebensbeschreibungen mit den Augen und Erfahrungen von Frauen sind typisch für sein Gesamtwerk. Zahlreiche Bearbeitungen unterstreichen die ungebrochene Faszination seiner Themenwahl und damit auch die Feststellung des Historikers Jacques Le Goff, dass sich »Mentalitäten am langsamsten im menschlichen Leben entwickeln.« Es wird noch 2002 eine französische Version des Stoffes als TV-Spielfilm von Jacques Deray vorgelegt und eine chinesische Filmautorin, Jinglei Xu, nimmt sich mehr als achtzig Jahre nach der Erstveröffentlichung der Novelle des Stoffes unter dem gleichen Titel, Yi ge mo sheng nu ren de lai xin, 2004, erneut an. Bei der ersten Adaption der Novelle mit dem Titel Only Yesterday, 1933, in der der Schauplatz nach Virginia und New York verlegt wird, bleibt von der Vorlage die unerfüllte und unerkannte Liebe einer Frau zu einem Mann. Einen Grund für die wiederholten und nachgefragten TV-Ausstrahlungen des Filmes von Ophüls sieht Susan M. White bei ihrem Verweis auf die TV-Karriere des Filmes in den fünfziger Jahren in den Fernsehzuschauerinnen, die »took comfort in Letter’s peculiar championing of female desire«.

Zum Film Letter from an Unknown Woman »Wien um 1900« wird im Anfangsinsert angegeben und ist Ausgangspunkt der zehn Jahre späteren Rückschau der Briefschreiberin. Diese erste Einstellung setzt nicht nur über Zeit und Raum in Kenntnis, sondern sie vermittelt – mittels der Typografie und des Hintergrundbildes – bereits eine subjektive Sicht der Autoren. Es bleibt ein Nachtbild einer regennassen Stadt in Erinnerung, das in Grau- und Schwarztönen gehalten ist. Die imaginierte Wiener Mentalität zeigt sich intensiv im Rundgang durch den Vergnügungspark Prater, diesen in der Filmgeschichte oftmals zitierten Wiener Befindlichkeitsort. Jacqueline Simon spricht diese emotional aufgeladene städtische Topografie an  : 215

Verfilmung von Literatur am Beispiel

Letter from an Unknown Woman / Brief einer Unbekannten (Max Ophüls, USA, 1948) »Der Film besitzt eine seltene Eleganz, Würde und Zärtlichkeit, eine romantische Version von Stefan Zweigs düsterer und realistischer Geschichte.« (Karel Reisz, Sound and Sight, 1950)

(…) nostalgische Atmosphäre, die das Werk darin versinken lässt und es dadurch poesievoll umgibt. (…) Das Heraufbeschwören von Wien von 1900, mit all der zärtlichen Melancholie, die diese Stadt umfasst, Tristesse und Freude, ständiger Schmerz und Reue, eine märchenhafte Vergangenheit, die vielleicht mit unserer eigenen Vorstellung verbunden ist, mit Walzer, langen altmodischen Kleidern, leuchtenden Lustern und magischen Ballsälen.360

Ironisierende Distanz Max Ophüls versucht das melodramatische Geschehen tendenziell durch eine Dekonstruktion der aufkommenden Stimmungen zu neutralisieren. Diese wiederholt auftretenden, distanzierenden Einfügungen werden durch Ophüls ironisierend, wie ein Würstel essendes Frauenorchester, als episodenhafte Nebenaspekte realisiert und tragen zur atmosphärischen Gesamtwirkung der Erzählung bei. Als weitere Beispiele für die iro360 Simon, La »fêlure« dans le cinéma romanesque américain des années 40 et 50, 1989, 47.

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Flashback

nisierende Distanz zum melodramatischen Geschehen können die Charakterisierung der Caféhaus-Sequenz oder Lisas sprachliche und dargestellte Distanziertheit gegenüber ihrer eigenen Jugend angeführt werden. Sowohl durch die Praterszene, durch die Sequenz im Caféhaus, als auch durch die Reaktion der Damenkapelle kommt es zu zum Lachen reizenden Einstellungsfolgen, die den manifesten brieflichen Sprachduktus einer verzweifelten Frau tendenziell aufheben, ohne jedoch dessen existenziell tragischen Grundtenor zu banalisieren. Sie berühren auch nicht den Grundkonflikt der Erzählung und bleiben in ihrer Darstellung außerhalb der Beziehung von Lisa und Stefan. Eher kolorieren sie Verhaltensweisen und Charaktere, wie man sie von außen gesehen vom Wiener semantischen Raum erwartet. Diese komödiantischen Modifikationen führen zu einer gegenüber der literarischen Vorlage distanzierenden Darstellung. Diese wiederholende Ironie wird zu einer zweiten Lesemöglichkeit, die sich ebenso in Ophüls’ späterem Film La Ronde / Der Reigen, 1950, zeigt. Ist es in La Ronde der »Spiel­macher«, der »metteur en jeu«, der mehr als die Handelnden weiß, wird in Letter from an Un­ known Woman eine Distanz durch die wiederholten Einschübe von Personen hergestellt, die mit ihren Handlungen und Worten die Situationen kommentieren. Diese subjektiven Reflexionen innerhalb der Mikrodramaturgie erlauben den Autoren, den tragischen Ton des Originaltextes aufzulösen. Vielleicht ist diese dramaturgische Dekonstruktion ein kreatives Echo der Filmproduktionszeit, in der das Geschlechterverhältnis durch die Kriegsereignisse sich neu zu definieren beginnt.

Flashback Die Erzählung »Brief einer Unbekannten« ist sowohl in der literarischen Vorlage wie in deren Verfilmung ein Essay über das Erinnern. In der Novelle bleiben die Personen weitgehend unprofiliert, da sie durch den Autor Stefan Zweig nicht im Detail beschrieben werden. Sie erschließen sich durch wenige Merkmale. Die Handschrift ist ein Beispiel  : »Es waren etwa zwei Dutzend hastig beschriebene Seiten in fremder, unruhiger Frauenschrift, ein Manuskript eher als ein Brief.« 361 Die Briefform der Novelle fordert zu einer eigenständigen filmischen Umsetzung heraus. Sowohl bei den meisten eingesehenen Kritiken als auch in der dritten Phase der Rezeption, in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, jedoch wird der Film von Max Ophüls als eigenes Werk gesehen, dessen literarische Vorlage nicht in die Überlegungen mit einbezogen wird. Die Tätigkeit des Erinnerns ist in der Phase des klassischen Kinos, also auch für Letter from an Unknown Woman, unmittelbar mit Flashbacks als ästhetische Erfahrung verbunden. Durch entsprechende filmsprachliche Verfahrensweisen wie Kreisblenden, 361 Zweig, Novellen, 1970, 187.

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Verfilmung von Literatur am Beispiel

Unschärfen, wie Markierungen mittels Vergrößerung und Überblendungen markieren sie die Überwindung von Raum und Zeit. Ebenso unterstrichen wird die Erinnerungsarbeit durch den Einsatz musikalischer Motive, die an vergangene Ereignisse denken lassen, oder durch hell überstrahlte Einstellungen, die auf die Wiederholung bereits gezeigter Sequenzen verweisen. Die Verständlichkeit dieser filmsprachlichen Mittel für das Publikum ist an das gegebene Genre und an jene ästhetisch-optische Erfahrung gebunden, die mit diesen Formen des filmischen Erinnerns bis zum Zeitpunkt der Produktion, 1948, gemacht werden konnte. Dieser rezeptionshistorische Umstand ist deshalb zu berücksichtigen, da jene audiovisuelle Bildung, die im automatisierten Verstehen der Bilderkultur und weniger in der gleichzeitigen Reflexion darüber besteht, Erfahrungen anreichert, die es heute erlauben, Flashbacks auch ohne formale Akzentuierungen, wie  – um Beispiele aus dem vorliegenden Filmkorpus zu nehmen  – in Bad Timing, 1980, oder in Das Sanatorium zur Todesanzeige, 1973, zu verstehen. Deren Spannungsbögen bauen darauf auf, den Zuseher entscheiden zu lassen, in welcher Zeit – in der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft – er sich innerhalb des chronologischen Ablaufs der Geschichte befindet. In ihrer ausführlichen Untersuchung über Flashbacks und deren Verständnis, die den Zeitraum bis in die sechziger Jahre umfasst, kommt Maureen Turim zu dem Ergebnis, dass The flashback is a crucial moment in a film narrative, one that captures the cinematic expression of memory and history. (…) The flashback has interrogated time and memory, making it anexus for ideology, representations of the psyche, and shifting cultural attitudes.362

In diesem Zusammenhang lassen sich auch die der letzten Sequenz vorgezogenen Einstellungsfolgen sehen, in denen sich Brand auf sein Duell vorbereitet. Das subjektive Gedächtnis des ehemaligen Musikers – er gab in der Zwischenzeit seine Musikerkarriere auf – findet Bilder des Glücks, die ihm beim Weglegen des Briefes in den Sinn kommen. Die die Vergangenheit reflektierende Sicht der unbekannten Frau in der Novelle wird im Film durch Stefans Rückschau konterkariert. Die männlichen Erinnerungsbilder stehen nämlich im Kontrast zu jenen Erlebnisbildern der Frau, die die übrige Filmerzählung begleiten. Es sind vom auktorialen Erzähler präsentierte Erinnerungsmomente, ohne dass er den Blickwechsel auch optisch zum sich erinnernden Mann vollzieht. Das erste Erkennen, Tanz im Prater, der ihr gereichte kandierte Apfel, wieder Tanz, er schenkt ihr in der Kutsche eine weiße Rose, und sie ihm einen verzückten Blick, vor dem Klavier kniend.

362 Turim, Flashback in Film. Memory and History, London, Routledge, 1989.

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Stimme/Musik

Stefans von Selbstgefälligkeit geprägte Gedächtnislücken werden durch die Auslassung anderer Erinnerungsbilder, die partnerschaftlich die Gefühle der beiden zueinander abbilden würden, umso stärker als emotionaler Verlust und als Kennzeichnung der skizzierten männlichen Gefühlswelt profiliert. Er denkt weder an die Abschiedsworte am Bahnhof, als er versprach, in zwei Wochen wiederzukommen, noch erinnert er sich an die Situation, in der er sie, sie nicht erkennend, mit in seine Wohnung nimmt.

Stimme/Musik Dagegen wird Lisas wiederkehrende, oftmals unfreiwillige Erinnerungsarbeit durch ein musikalisches Motiv aus der Operette, die sie gemeinsam am glücklichen Abend im Prater hörten, in instrumentalisierten melodischen Variationen auf der Tonebene vorbereitet. Dabei übernimmt die Musik eine führende erzählerische Rolle, obwohl sie im übrigen Film eine die jeweilige Szene unterstreichende, dramatische Funktion besitzt, die die Gefühle der Frau in Ergänzung zu Gesten und Mimiken akzentuiert. Die diegetische Musik in der Schaukelszene lässt das Mädchen tagträumen. Sie gibt sich so intensiv ihren Vorstellungen hin, dass sie sich – dies wird in Form einer Nahaufnahme der spielenden Hände optisch erzählt – zu Füßen des Pianisten Stefan imaginiert. Mit ihrer räumlich-körperlichen Präsenz trägt Lisas Off-Stimme den Film. Die Kadrie­rung der Einstellungen ist darauf abgestimmt. Im Film lässt sich zuerst jene Stimme unterscheiden, die die Erzählung initiiert bzw. weiterführt, dann wird jene Stimme auffällig, die sich diegetisch aus den Darstellungen der Erzählung ergibt, und schließlich trägt die Stimme Stefans zur Veränderung der Erzählperspektive bei und animiert die unterschiedlichen Flashbacks. Interessant dabei ist die zu beobachtende Veränderung des Blicks auf das Dargestellte, sobald die Stimme hinzukommt. Dieses optisch-akustische, mehrkanalige Angebot unterstreicht die vielschichtigen sprachlichen Möglichkeiten in den Darstellungsstrategien und damit eine dem Film als Medium immanente Sinnproduktion. Das Gezeigte wird durch die Stimme und durch den differenzierten Einsatz der Musik entweder affirmativ oder kontrapunktisch oder antizipierend über den unmittelbaren Bildinhalt hinausweisend kommentiert. Allgemein gesprochen evoziert eine Stimme, die in Verbindung mit einer Sprache durch ihre spezifische Sprechweise topografisch verortet werden kann, immer ein Gesicht. Zu Beginn des Filmes, bevor die erwachsene Lisa in Bild kommt, wird diese Vorstellung von einem der Stimme zugehörigen Gesicht als Spannung genutzt. 219

Verfilmung von Literatur am Beispiel

Schreibweise und Zeigweise Wenn Max Ophüls und der Drehbuchautor Howard Koch an die Stelle von Zweigs Beschreibung des Elends der entwürdigenden Entbindung das düstere katholische Krankenzimmer und die stumme Krankenschwester setzen, nehmen sie der Vorlage auch deren allgemeingültige soziale Schärfe. Dort, wo nur die ganz Armen, die Ausgestoßenen und Vergessenen sich in ihrer Not hinschleppen, dort, mitten im Abhub des Elends, dort ist das Kind, dein Kind geboren worden (…) einsam und voll Haß, eine auf die andere, nur vom Elend, von der gleichen Qual in diesen dumpfen, vom Chloroform und Blut, von Schrei und Stöhnen vollgepreßten Saal gestoßen. 363

Diese Textpassage wird zu einer dunkel gehaltenen Einstellungsfolge, die in einer Tafel »Vater unbekannt« über dem Bett endet. Aus der eruptiven literarischen Beschreibung sozialen Elends wird im Film eine Sequenz gestaltet, die das Schicksal von alleingelassenen gebärenden Frauen nur in Schriftform andeutet. Auch das Ende der Novelle kann beispielhaft für die optisch-akustische Umsetzung herangezogen werden, da die filmkünstlerische Gestaltungsweise in eigenständiger Form die Worte Zweigs weiterentwickelt  : Verworren tauchte irgendein Erinnern auf an ein nachbarliches Kind, an ein Mädchen, an eine Frau im Nachtlokal, aber ein Erinnern, undeutlich und verworren, so wie ein Stein flimmert und formlos zittert am Grunde fließenden Wassers. Schatten strömten zu und fort, aber es wurde kein Bild.364

Dieser literarischen Imagination entspricht Ophüls mit dem Bild des Mädchens, das dem Nachbarn an der Haustüre nachsieht und sich langsam aus dem Bild löst, um schließlich völlig zu verschwinden. Für Ophüls scheint diese bildliche Entsprechung der schriftlichen Vorlage zu wenig aussagekräftig gewesen zu sein, um die Metaphern und die damit verbundenen Gefühle der Textvorlage – »Erinnern (…) zittert am Grunde fließenden Wassers« und »Schatten strömten (…)«  – auszudrücken. Deshalb setzt er der letzten Einstellung, in der das Mädchen an der Türe steht und sich langsam bis zum Verschwinden auflöst, jene Bildfolge voran, die Brand an die Stationen ihrer gemeinsamen Lebensabschnitte erinnert. 363 Zweig, 191. 364 Zweig, 196.

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Schreibweise und Zeigweise

Ein weiteres filmsprachliches Element fällt auf und wird durch diese »Auffälligkeit« zu einem Oberflächenmaterial der Vermittlung. Wie bereits zum Film Dishonored ausgeführt, kann die unterschiedliche Dauer bei Auf- und Abblenden als spezifische narrative Form der Autoren erkannt werden. Diese unterschiedliche Rhythmisierung fügt der Adaption eine besondere Note hinzu. Sie spiegelt das bewusste Setzen von Absätzen im Text wider und wird zu einer dem Medium Film adäquaten Ausdrucksweise. Zwar sind diese Überblendungsmöglichkeiten nicht so stark wie bei Josef von Sternberg in Dishonored ausgeprägt, doch nützt Ophüls wiederholt die Möglichkeit, eine innere Logik über den Weg des Zusammenfügens unterschiedlicher Einstellungen herzustellen. Es gelingt, durch anhaltende optische Überlagerung eine innere Erzähllogik unabhängig vom Wort und von der Musik aufzubauen. Ein gutes Beispiel bietet dafür die Sequenz »Abschied Lisas von Brand«, wie sie als Orientierung benannt werden soll. Sie zeichnet sich durch eine szenische Lichtgestaltung aus, die durch eine dramatisch zugespitzte und gleichzeitig durch eine reale und natürliche Lichtführung formal ästhetisch hervorgehoben wird. Die Langsamkeit der Überblendung, das zeitgleiche Verweilen in der diegetischen Gegenwart und in der ersten Einstellung der kommenden Sequenz ermöglicht eine optische Darstellung jener Worte, die die »Unbekannte« in ihrem Brief schreibt  : Alle, alle Menschen haben mich verwöhnt, alle waren zu mir gütig – nur Du, nur Du, Du hast mich vergessen, nur Du, nur Du hast mich nie erkannt  !365

Sie werden von der im Film allzeit präsenten weiblichen Off-Stimme nicht gesprochen, aber sie könnten als gedanklicher Ausgangspunkt dieser filmischen Gestaltung gedient haben. Die zitierte Überblendung besitzt noch eine zweite Modifikation gegenüber der nachfolgenden Einstellung im Krankenhaus. Ein Kreuz, im christlichen Abendland immer auch Zeichen des Todes, wächst – durch Überblendung – aus dem grauen Platz hervor und steht, umkränzt von den Straßenlampen, seitlich links, während die Frau nach rechts in ein Licht wegeilt, dessen Quelle außerhalb des Bildausschnitts zu suchen ist. Mit dieser im Verhältnis zum übrigen Rhythmus des Filmes langen Dauer der gehaltenen Überblendung und mit der dramatisierenden realistischen Lichtführung wird der Gemütszustand der Frau, der sich in den obigen Textzeilen ausdrückt, in die Sprache des Films übersetzt. Während in der innehaltenden Doppelbelichtung das Kreuz an der Wand sichtbar wird, kommt es im Krankenhaus zu einer optischen Reduzierung dieses religiösen  – christlichen – Symbols. Das Satzbild Zweigs in Form von freigestellten Sätzen, Absätzen und Satzwiederholungen setzt Ophüls optisch in die Dauer der Überblendung und in die lichtgrafische Bildgestaltung um. Diese formale Parallele könnte als Zufälligkeit ab365 Ebenda, 198

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Verfilmung von Literatur am Beispiel

getan werden, wenn nicht noch weitere formale filmgrammatikalische Ähnlichkeiten herausgearbeitet werden könnten. Werden im übrigen Film Überblendungstechniken als Markierungen für den Wechsel von Raum bzw. Zeit in üblicher Weise gesetzt, hebt diese Doppelung an Einstellungen sich entscheidend vom filmischen Erzählduktus ab. Benötigt die Novelle Absatz, Satzzeichen und die Wiederholung von Worten, rücken psychische Zustände des Verlassen-Werdens und des größten Leides für eine Mutter, des Todes des Kindes, in ein Bild zusammen und werden zu einer Einheit in der Zeit und im Raum, die keinerlei emotionale Ablenkung oder Zerstreuung für die Zuschauerin und damit keine Distanz ermöglicht. Die Zuschauerin bleibt, ähnlich wie gegenüber dem insistierenden Schreibstil der Novelle, gefangen im formalen Duktus. Dabei wird der »point of view« – Wer sieht  ? Wer erzählt  ? – zu einem des auktorialen Erzählers, der zusammenfassen kann, weil er bereits mehr weiß. Damit wird er zu einem Erzählenden, der in die Zukunft sehen kann. Verschiedene filmtheoretische Ansätze, die in einer diachronen Sicht zusammengefasst werden, können als jenes vielstimmige »Gemurmel im Diskurs« gelesen werden.366 Im konkreten Beispiel werden, ausgehend von den zeitlich unterschiedlichen Kritiken, sowohl narratologische Überlegungen einbezogen als auch Fragestellungen aufgeworfen, die sich aus den unterschiedlichen theoretischen Ansätzen ergeben.

Phasen der Rezeption Beim ersten Erscheinen wird ein Kunstwerk entweder bejaht oder verneint oder ignoriert. Die beiden ersten Reaktionen tragen dazu bei, das Werk lebendig zu halten und es als Bestandteil einer sich stetig entwickelnden ästhetischen Erfahrung und als Teil menschlicher Realität zu sehen. Vom Publikum und von der Kritik entweder angenommene oder abgelehnte oder nicht berücksichtigte Filme werden in der zweiten Rezeptionsphase, die sich in der Wiederaneignung durch eine organisierte Öffentlichkeit wie Kulturinstitute, Filmklubs, Fernsehen, DVD und Internet äußert, neu gewertet. Durch die modernen Reproduktionsmedien eröffnet sich dem Film ein neues Publikum, wodurch dem Vergessen der Filmgeschichte tendenziell Einhalt geboten werden kann. Durch die zunehmende Privatheit der Rezeption können neue Interessengruppen er366 »Wenn alles absolute Verschiedenheit wäre (…). Es gäbe weder Erinnerung, noch mögliche Vorstellungskraft und infolgedessen auch keine Reflexion. Es wäre unmöglich, die Dinge miteinander zu vergleichen und einen gemeinsamen Namen zu begründen. Es gäbe keine Sprache. Sprache existiert, weil unterhalb der Identitäten der Boden der Kontinuitäten, der Ähnlichkeiten, der Wiederholungen und der natürlichen Verflechtungen liegt. Die Ähnlichkeit (…) bildet immer noch die äußere Grenze der Sprache  : den Ring, der das Gebiet dessen umgibt, was man analysieren, ordnen und erkennen kann. Das ist das Gemurmel, das im Diskurs aufgelöst wird (…).« Foucault [1966], Les Mots et les choses, 1997, 164.

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1. Phase: Erstaufführung

schlossen werden, die das Kino nicht als adäquaten Ort der Filmrezeption nutzen. Damit wird jedoch der ursprüngliche Teil des dialogischen Prinzips des Films verknappt, der die öffentliche Rezeption als werkimmanenten Aspekt erkennt. Der bekannte französische Filmregisseur François Truffaut meinte zu der Nutzung von VHS  : Wenn ich einen Film zum ersten Mal sehe, sollte das nicht auf Video oder im Fernsehen sein. Zuerst muss man ihn im Kino sehen. Kino und Video, das ist der gleiche Unterschied wie zwischen einem Buch, das man liest, und einem Buch, in dem man etwas nachschlägt. Trotzdem stellt Video mein Leben als Cinéphiler auf den Kopf. Nehmen wir zum Beispiel Trouble in Paradise von Ernst Lubitsch  : Bis vor Kurzem bin ich hingelaufen, wenn dieser Film irgendwo im Kino zu sehen war, denn ich wusste, dass gut zwei Jahre vergehen konnten, bevor wieder so eine Gelegenheit kam. Heute kann es vorkommen, dass ich ihn mir drei Mal die Woche anschaue. Ihn auf Video zu haben ermöglicht die wesentlich intimere Kenntnis eines Filmes. Als Cinéphiler bin ich ein Video-Fanatiker.367

Der dritte Rezeptionsschritt, der sich mit der zweiten Phase zeitlich oft überlagert, wird durch die theoretische Auseinandersetzung geprägt, die die Werke in ihrer Bedeutung modifizieren kann. Wie die Filmliteratur aufzeigt, kann die Faszination des Films durch die anhaltende theoretische Auseinandersetzung unterstrichen und bestätigt werden. Die mehrfachen Verfilmungen der Novelle unterstreichen auch die thematische Aktualität der Novelle. Der Aneignungszeitraum von Letter from an Unknown Woman erstreckt sich von der Premiere 1949 bis zum Jahre 2015, in dem er in Ausschnitten in der Internetcommunity von »You Tube«368 ankommt.

1. Phase: Erstaufführung In der ersten zeitlichen Phase der Rezeption, die ökonomisch den Zeitraum der Erstauswertung und gleichzeitig den der ersten spontanen Eindrücke darstellt, die noch nicht von der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Film geprägt sind, kommt es zu divergierenden Einschätzungen, die von individuellen und nationalen Voraussetzungen beeinflusst werden. Der Filmkritiker und spätere Regisseur Karel Reisz (We Are the Lambeth Boys, 1959, oder The French Lieutenant’s Woman / Die Geliebte des französischen Leutnants, 1981) spricht von moralischen Korrekturen im Film, von »readjustments«, und erkennt eine 367 Truffaut, 1984. 368 You Tube (eingesehen am 3.2.2015).

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Verfilmung von Literatur am Beispiel

»lifelong slavish passion«.369 Vor allem dieser zweite Interpretationsvorschlag, der Lisa eine passive Rolle zuschreibt, wird in den achtziger Jahren durch die feministische Filmdiskussion neu bewertet. Im Vergleich zu Zweigs Vorlage erkennt Reisz auf der narrativen Ebene drei wichtige Erweiterungen  : Die in der Novelle namenlose Frau wird im Film Lisa genannt. Sie heiratet einen gut situierten Mann, der Stefan zum Duell herausfordern wird. Für Reisz stellt das Duell, das durch die Autoren Koch/Ophüls als thematische Erweiterung eingearbeitet wird, eine Auflösung der unbarmherzigen existenziellen Logik, die von Zweig literarisch überzeugend gestaltet wird, zugunsten eines zusätzlichen dramatischen Effekts dar. Im weiteren Verlauf dieses Artikels macht er vor allem auf die Kameraarbeit Franz Planers aufmerksam, die in den nachfolgenden Diskussionen immer wieder aufgegriffen wird. Neben den konstant fließenden Bewegungen der Kamera bemüht sich Ophüls, »to identify his figures from close, track his camera with them, and then move up to a high angle as they mingle with a crowd.«370 Diese »trademarks« machen Ophüls’ Filme persönlich und unverwechselbar. Die Premierenkritik des Jahres 1950 in England streicht neben der Kameraarbeit das Licht von Alexander Golitzen hervor, weil eine kreative Kamera und eine überlegte Lichtgestaltung für einen Hollywoodfilm überraschend seien.371 Diese europäischen Statements während der Erstaufführung stellen die Vorzüge von Ophüls’ Filmerzählweise in den Mittelpunkt, die jedoch in einer Besprechung der US-Zeitung »Harrison’s Reports« auch abwertend gesehen werden können  : »Letter from an unknown woman« is handicapped by a hackneyed, talky story which, for the great bulk of its running time, is tedious. (…) Moreover, the camera dawdles too long on inconsequential matters, making it a drawn-out affair that seems much longer than its actual running time.372

Beim österreichischen Filmstart ortet die Tageszeitung »Neues Österreich« das Ziel des Filmes, »ein erhebendes und erschütterndes Interesse bei weiblichen Besuchern wecken« zu wollen. Und außerdem  : Im übrigen erkennt man an dem Sujet, das eigentlich nur noch eine private Berechtigung hat, wie erschütternd unaktuell bereits Gedankengänge, Gefühlsausbrüche, ja selbst der größte Teil einer ehemals gefeierten Belletristik nach zwei Weltkriegen geworden ist.373

369 370 371 372 373

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Reisz, »Ophuls and La Ronde«, 1950, 34. Ebenda, 35. »Here To-day«, in Sight and Sound, 2/6, 1950, 31. Harrison’s Reports, 10.4.1948. J.M.S., Neues Österreich, 2.7.1950.

1. Phase: Erstaufführung

Dem gegenüber steht die Einschätzung Karel Reisz’  : »Now, a couple of generations later, with their world irretrievably lost, the work has found new life in the films of Max Ophuls.«374 Damit wird nicht nur jene spezifische Adaptierungsarbeit angesprochen, sondern die verschiedenen Einschätzungen verweisen auch auf die unterschiedlichen Erwartungen an Film als Erzählmedium  : Kamera und Licht werden zu einer ästhetischen Instanz, die das klassische Verständnis, unbemerkt bleiben zu müssen, modifiziert. Der »unsichtbaren« Kamera Hollywoods wird ein neues Selbstverständnis entgegensetzt, das des »caméra-stylo«, dem Karel Reisz in seinen eigenen Filmarbeiten als Cutter und Regisseur verpflichtet sein wird. »Only by a greater depth of analysis could he fill the void left by deviating from the story’s emotional logic, and this Ophuls does not supply.«375 Diese Zeilen stehen am Beginn der Karriere dieses Filmes, der, wie wenige andere, von einem anhaltenden Interesse an der immer erneuten und unter unterschiedlichen Prämissen geführten Auseinandersetzung geprägt ist. Ein Gesamtindex376 fasst 1958 alle Filme des Regisseurs erstmals zusammen und gibt einen Überblick über dessen Gesamtwerk. In ähnlicher Weise bereitet die Fachzeitschrift »Cahiers du cinéma«377 in mehreren Artikel die intensive Auseinandersetzung mit Letter from an Unknown Woman für den französischsprachigen Kulturkreis vor. Bereits 1957 antwortet Ophüls auf die Frage von Jacques Rivette und François Truffaut nach dem von ihnen in vielen seiner Filmen konstatiertem »sentiment de pureté«. Ich kann Ihnen nicht vollständig erklären, was ich Ihnen sage. (…) es kann sein, dass sich das Sujet in Richtung derselben Schlussfolgerung entwickelt, einer Konklusion, die keine Erklärung hat, deren Erklärung sicherlich nicht im Leben ist.378

Sieht es im ersten Augenblick wie eine Absage an mögliche Erklärungen aus, die man von Filmen erwartet, spricht Ophüls eher von der trotz eines vorgegebenen Sujets grundsätzlichen Offenheit379 bei den Interpretationen. Als Gegenstück für seinen relativierenden Einwurf stellt er die imaginäre Reise im Prater heraus, die für ihn schon ein »Gedicht« bedeutet  ; ohne jedoch detaillierter die formale Struktur an Beispielen aus dem Film näher zu erläutern. 374 Reisz, 1950. 375 Ebenda. 376 Roud, Max Ophuls  : An Index, 1958. 377 Cahiers du cinéma, Nr. 71 und Nr. 72, 1958. 378 »Je ne peux pas vous expliquer complètement tout ce que je vous dis.(…) il se peut que le sujet se développe vers cette même conclusion, conclusion qui n’a pas d’explication, dont l’explication n’est certainement pas dans la vie.« Cahiers du cinéma, Nr. 72, 1957. 379 Dieses Zitat stammt aus einem längeren Interview, in dem das Gesamtwerk vorgestellt wird, und in dem er von mehreren Ebenen innerhalb seiner Filme spricht.

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Verfilmung von Literatur am Beispiel

2. Phase: Wiederentdeckung Im Mai 1969 kommt es zu einer Wiederaufführung in den Kinos von Paris. Dabei wird die differenzierte Kameraarbeit erneut betont. Neue Kategorien wie der Begriff »Blickregime« und das damit eng verbundene räumliche Leitmotiv werden eingebracht, die die Narration strukturieren und in zyklischer Form auftreten. In einer bestimmten Weise erschafft Lisa Stefan. Er ist der Held ihrer Jungmädchenträume. (…). Die mobile Kamera verbindet sich mit dem Traum der Heldin. Sie dringt in den Raum ihrer Liebe ein. Diese gewundene Treppe, die zur Wohnungstüre Stefan führt, kommt im Film wie ein Leitmotiv vor.380

Dieser intuitive Interpretationsvorschlag der Tageskritik wird in den achtziger Jahren durch filmtheoretische Auseinandersetzungen weiter vertieft. Eine gedankliche Verbindung zu zwei anderen Regisseuren, zu Erich von Stroheim und Fritz Lang, schafft der Autor Louis Marcorelles, der bei diesen beiden jedoch eine viel radikaler gestaltete Hoffnungslosigkeit, eine »désespoir quasi métaphysique propre à un moment de civilisation«,381 erkennen will.

3. Phase: Analyse und Interpretation Die Rezeption der siebziger Jahre wird von einem Analyseansatz geprägt, der eine innere Ordnung und ein Beziehungsgeflecht herzustellen versucht. Stilfragen und erzählerische Strukturierung des Textes zum Beispiel stehen beim Aufsatz von Michael Kerbel382 ebenso im Mittelpunkt wie bei Richard Corliss383. Beide machen an konkreten Beispielen fest, was sie am Film erkennen. Neben Stephen Heath und Sarah Kozloff384 reichen die filmwissenschaftlichen Interventionen über die ausführliche Auseinandersetzung von Jacqueline Simon385, über die neu eingebrachten Perspektiven des weiblichen Masochismus von Gertrud Koch386 und Gaylyn Studlar387 bis zum Verweis von 380 »D’une certaine manière, Lisa crée Stefan. Il est le héros de son rêve de jeune fille. (….) La caméra mobile de Max Ophuls épouse le rêve de l’héroine. Elle envahit l’espace de son amour. Cet escalier en courbe qui mène à la porte de Stéfan, reviendra tout au long du film comme un leitmotiv.« Philippe, Télérama, 4.5.1969. 381 Le Monde, 9.5.1969. 382 Kerbel, Letter From an Unknown Woman, 1971, 60–61. 383 Corliss, Talking Pictures. Screenwriters in the American Cinema, 1974, 116–122. 384 Kozloff, Invisible Storytellers. Voice-over Narration in American Fiction Film, 1989, 72–73. 385 Simon, 1989, 94–109. 386 Koch, Die masochistische Lust am Verkennen, 1985, 67–72. 387 Studlar, 1994, 35–57.

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3. Phase: Analyse und Interpretation

Laura Mulvey388 auf das bei Raymond Bellour389 zitierte Beispiel der Erinnerungsfotografien. Unter dem Titel »Metapsychology of the Voice-off« von Sjogren390 wird eine Zusammenfassung des feministischen Diskurses zum Film gegeben, der bis heute in unterschiedlicher Intensität die Rezeption des Filmes prägt. Für Kerbel bleibt der Kreis eine dominante formgebende Metapher des Films. Seine Überlegungen leitet er sowohl aus der Kameraarbeit und aus der kreisförmigen Erzähldramaturgie als auch aus der Mikrodramaturgie der einzelnen Erzählorte ab. Gleichbleibende Kamerastandpunkte und Kamerabewegungen zeigen immer wieder die gleichen Stiegenaufgänge und Bahnhofsszenen. Werden diese kreisförmige Bewegung und der Hang zur variierten Wiederholung in den meisten Interpretationen Max Ophüls’ Arbeitsstil zugeschrieben, ein gutes Beispiel stellt dafür Lola Montez dar, ist dieser Stil aber bereits als literarische Gestaltungsweise Zweigs Novelle eingeschrieben. »His films express the inability of his characters really to move at all. The circle is the central metaphor in Ophuls work.«391 Ophüls’ tracking shots (1), die wiederkehrenden Sätze von Lisa (2) und die oft bemerkbare ironische (3) Nutzung der Kamera »verheddern die Personen in der Bewegung der Zeit.«Bei einer Gesamtbewertung des Drehbuchautors Howard Koch kommt Corliss zum Vergleich mit Casablanca  : »Stefan Brand is introduced as a Viennese man of the world whose cynicism runs much deeper than of his blood brother Rick Blaine.«392 Für Letter from an Unknown Woman erkennt er in den Szenenfolgen von Linz und Wien eine unterschiedliche Kameraführung. Steht der Charakter Stefans für Wiens »lilt« (Fröhlichkeit), steht Leopold, ein Verehrer Lisas, stellvertretend für »the ponderous pomp« und für Linz als militärische Garnisonsstadt  : »Ophuls’ camera gently underlines these traits with tracking shots which, in Vienna, are witty and a little delirious, and in Linz are measured martial.« Corliss sieht die Kameraarbeit differenzierter als spätere Interpretationen. Sein Beitrag ist grundsätzlich vom Vergleich mit Casablanca geprägt, bei dem Koch Koautor gewesen ist, wobei er Rick und Ilsa dem Paar Stefan und Lisa gegenüberstellt. Obwohl er vorwiegend von Dialogstellen und Handlungsmotiven ausgeht, kehrt er die besondere metaphernhafte Bildmächtigkeit von Letter from an Unknown Woman heraus, wenn er bei den von Rache geprägten Worten von Lisas Ehemann gleichzeitig auf den Bildhintergrund verweist, wo er zwei gekreuzte Säbel erkennt  : »Ophuls emphasizes Johann’s cold honor and steely decency by placing crossed sabers on the wall behind Johann (…).«393 388 389 390 391 392 393

Mulvey, Death 24 x a Second. Stillness and the Moving Image, 2006, 185. Bellour, L’Entre-Images. Photo, Cinéma, Vidéo, 2002, 317. Sjogren, Into the Vortex. Female Voice and Paradox in Film, 2006, 56 f. Corliss, 1974, 117. Ebenda, 117. Ebenda, 120.

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Verfilmung von Literatur am Beispiel

Die Wiederholung wird zu einem bestimmenden tiefenstrukturellen Stilprinzip, das sich in der Auffindung von Orten und in Dialogpassagen finden lässt, die sich zum Beispiel beim Abschiednehmen von Stefan und Jahre und später von Stefan jun. am Bahnhof wortgleich festzumachen sind. Es ist nicht nur der gleiche Bahnhof, von dem die beiden wegfahren, sondern auch leichte Variationen in Gestik, Mimik und Kleidung Lisas und die geänderte Kadrierung, die einem aufmerksamen Betrachter wie Kerbel auffallen und ihn zu der Aussage führen, »to try to understand how that style works.« Um diese örtlichen und zeitlichen Wiederholungen als persönliches Stilelement in einen größeren interpretatorischen Zusammenhang zu stellen, erinnert Tania Modleski an Julia Kristeva,394 die von einem weiblichen Zeitbegriff spricht, der den zyklischen Ablauf der Natur in den Mittelpunkt rückt. Im Bezug zur Narration des Films ist die Frage zu stellen, wer für die Darstellung dieser »modalities being stereotypically linked with female subjectivity in general«395 verantwortlich zeichnet. Sind es Ophüls und Koch, die die besondere gesellschaftliche Lage der Frau formal antizipieren, oder ist es eher das von Kracauer definierte kollektive Wissen, das Regie führte  ? Die Prater-Sequenz wird für die These von Roger Greenspan396 vorgestellt, die in der Interpretation der durchgeführten imaginierten Reisen besteht, die nie zu einem Endpunkt kommt. Sein Verweis auf Henry James, den in den USA für seine detailreiche Beschreibung des menschlichen Innenlebens und für den Begriff des »stream of consciousness« aus der literarischen Erzähltechnik bekannt gewordenen Autor, öffnet ihm einen Zugang zu den Bildern des Films. Besonders mit Lisas figuraler Darstellung, die die Farbe Schwarz ebenso mit einschließt wie den spezifischen Ort der Straße, stellt Greenspan die Verbindung mit Isabel Archer aus dem Roman »The Portrait of a Lady«397 her  : (…) in Lisa’s case, devotion. Standing in black against the darkness, she has become the type or figure of the woman who loves and all but hopelessly waits for her love’s return.398

Dabei wird sie zum ersten Mal als Objekt der Begierden von Stefan »erkannt«. In der Novelle beklagt sie wiederholt  : »Du hast mich nie erkannt.« Die Doppeldeutigkeit dieser Worte – Erkennen auf der Straße und Erkennen innerer menschlicher Werte – wird hier optisch gestaltend nachvollziehbar gemacht. Für Ophüls wie für James wird diese Transformation des Point-of-view-Charakters – von einer, die gesehen wird, zu einer, die sieht  – zu einem bedeutsamen »dramatic coup«, der durch das Zitat dieser konkreten Einstellungsfolge belegt werden kann. 394 395 396 397 398

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Kristeva, Woes of Love, 1981, zitiert nach Modleski, 1984. Modleski, Time and Desire in the Woman’s Film, 1984, 23. Greenspan, Letter from an Unknown Woman, 1974, 47. 1996 von Jane Campion verfilmt. Greenspan, 1974, 47.

Aktuelle Diskussion

In den veränderten Lebensumständen der »Unbekannten« – »Kurtisane« bei Zweig, Lisa bei Koch/Ophüls – sieht Douglas McVay399 wesentliche Modifikationen, um dramatische Effekte im Film zu intensivieren. Dazu zählen auch die unterschiedlichen Schlüsse. Bleibt in der Novelle Stefan mit Traurigkeit zurück, stellt sich im Film Stefan dem Duell mit Lisas Ehemann. Gleichzeitig kommt es durch diese unterschiedlichen narrativen Änderungen zu einer Umwertung der Charaktere. Der in sich selbst verliebte Stefan mutiert zu einem getriebenen Subjekt, das sich trotz schlechter Vorahnungen dem Duell zu stellen hat. Diese Veränderungen gründen, wie der Briefwechsel und die Berichte zur Produktion des Filmes zeigen, in der Einflussnahme der Zensurkommission, die die moralische Ausrichtung der Novelle infrage stellt. Für die Filmbehörde sollte die Unbekannte aus der Novelle zu einer Ehefrau werden, und Unmoral wird durch den Tod gesühnt. Diese Modifizierungen verweisen auf den dramaturgischen und moralischen Zeitgeist. In ähnlicher Weise lassen sich die bei langen Kamerafahrten eingefügten Zwischenschnitte bewerten, die laut den Berichten der Autoren durch formale Vorgaben der Zensurkommission notwendig wurden und durch ihre Zufälligkeit und filmrhetorische Unausgewogenheit auffällig werden. Als Indiz kann die Kamerafahrt von außen ins Innere des Caféhauses zitiert werden. Literarische Arbeiten und deren filmische Adaptionen sind immer wieder Freiraum für Spekulationen, Überlegungen, Erfahrungen und Analysen. So können, neben der adäquaten Übertragung von Handlungsbögen, mögliche Veränderungen von Charakteren und beabsichtigte Verlegung von zeitlichen und räumlichen Topoi unter dem Vorzeichen einer »Aktualisierung« betrachtet werden.

Aktuelle Diskussion Eine aktuelle Kritik aus 2007 beschreibt die Zeit der Produktion als eine, in der »Hollywood am Höhepunkt seiner Vernarrtheit in Europa und dessen Musik war.«400 In einem der nächsten Sätze übernimmt sie jene Interpretation, die beim Start des Filmes wiederholt angemerkt wurde. Lisa sei eine Frau mit »hoffnungsloser, masochistischer Romantik«. Nicht als romantisch, aber als von masochistisch motivierten Handlungsentscheidungen getrieben sieht sie bereits Gaylyn Studlar,401 die damit ihre früheren Arbeiten zu Filmen von Marlene Dietrich und Josef von Sternberg weiterführt.402 399 McVay, Letter from an Unknown Woman, 1980, 28. 400 The New Yorker, 8.12.2007. 401 Studlar [1988], Masochistic Performance and Female Subjectivity in Letter from an Unknown Woman, 1994. 402 Ebenda.

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Verfilmung von Literatur am Beispiel

Freuds Interpretation des Masochismus als ödipales Phänomen wird durch theoretische Fundierung, die Studlar bei Reik und Deleuze403 auffindet, zu einem präödipalen Phänomen. Im Detail korrespondieren ihre Überlegungen oft mit der Arbeit von Quignard,404 der ein »balbutiement« (Stammeln) im Text, Variationen in den Motiven und in den wiederkehrenden formalen Elementen der Romane von Sacher-Masoch feststellt. Dieses »Stammeln« – die zwanghafte Wiederholungsrhetorik von Subjekt, »Kind« und Prädikat, »ist tot« in der Novelle Zweigs – wird im Film aufgegriffen, wie es Studlar durch sprachliche und dramaturgische Beispiele aus dem Film unterstreicht  : First, I would suggest that many of the narrative and temporal elements of the film typical of masochistic structuring – the »frozen« doubling of scenes, the intensely repetitive visual and aural components, cyclical narrative structure and a temporality centered around suspense and anticipation (…).405

Ist für Studlar die Novelle eine Beschreibung mit masochistischen Zügen, wird der Film zu einem masochistischen (Film-)Text an sich. Im Gegensatz zu anderen Autorinnen bezieht sie die Novelle und den Film immer wieder gleichzeitig in ihre Analyse ein, wodurch ihre Ausführungen an verdichtender Stringenz gewinnen. Lisas pointof-view auf die Ereignisse, in die sie involviert ist, wird durch die Balance zwischen direkter Identifikation und ironisierender »Dritte-Person-Beobachtung« variiert. Wird Lisas Persönlichkeit durch ihren subjektiven Off-Bericht emotional stabilisiert, wird sie gleichzeitig durch ihre eigene Distanzierungsinstanz, die sich in der Beschreibung von konkreten Ereignissen äußert, wie Studlar zu erkennen glaubt, immer wieder von Neuem infrage gestellt. Bei einer detaillierten Betrachtung lässt sich dieses Argument jedoch nicht in dieser Ausschließlichkeit aufrechterhalten, da sich die ironisierenden Teile ausschließlich auf jene Atmosphäre beziehen, in der Lisa lebt und handelt, und nicht auf eine Relativierung ihrer subjektiven Empfindungen, da in keiner Sequenz ihre Befindlichkeit – sei es durch Worte, durch Musiken oder durch Monstration im Bild – infrage gestellt wird. Bezieht Studlar ihre Untersuchungsziele aus der Literatur zur Psychoanalyse, vor allem aus Freuds Sicht zum Masochismus, werden sie durch die Beschreibung von Deleuze theoretisch vorbereitet und durch werkbezogene Interpretationen von Dialogpassagen und Handlungsangeboten untermauert. Studlar versucht ihre Hypothese durch das dynamische Verhältnis, das zwischen Text und Film besteht, zu unterstreichen, indem sie den Text als präödipale und den Film als ödipale Phase einer Figuralisierung 403 Deleuze, Présentation de Sacher-Masoch, 1967. 404 Quinard, L’être du balbutiement. Essai sur Sacher-Masoch, 1969. 405 Studlar, 1994, 37.

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Aktuelle Diskussion

von Masochismus erkennen will. Dabei stellt sie ein Szenario des Begehrens fest, das Lisa von ihrem Leben entwirft, um eine ritualisierte Performance von masochistischer Selbstverleugnung und Begehren, Spannung und Erwartung zu erfüllen. Lisa ist bemüht, für Stefan wertvoll zu werden. Deshalb beobachtet und kommentiert Lisa die weiblichen Besucherinnen Stefans, ähnlich wie Severin in »Venus im Pelz« seine männlichen Rivalen. Weitere Indizien  – Hysterieausbrüche und konkrete Kindheitsszenarien – verweisen auf die tragfähige Hypothese Studlars, die den weiblichen Masochismus in den Mittelpunkt ihres Interpretationsvorschlages stellt. McVay406 legt eine vergleichende Auseinandersetzung mit dem Film Brief Encounter vor, wobei er nach narrativer Motivübereinstimmung und analogen bildlichen sowie musikalischen Sprechweisen fahndet. Einen Abgleich mit der literarischen Vorlage, Assoziationen mit Filmen ähnlicher Motivfamilien und Vergleiche mit Ōshimas Film Ai no korīda / Im Reich der Sinne / L’Empire des sens / In the Realm of the Senses bestimmen dagegen Heaths Artikel407 und stellen methodisch den Übergang von überwiegend männlichen Analysanten zu den Auseinandersetzungen eines genderorientierten, psychoanalytischen Ansatzes dar. Heath kann vorerst noch unwidersprochen Letter from an Unknown Woman als »woman’s film« deklarieren. Mit stilistischen Markierungen der Ophüls’schen Filmarbeit – »extensive use of music, long elaborate takes with flowing camera movement, etc.« – bringt er dazu den Nachweis bei.408 Auch ein »making out« von »look« und »gaze« – »Empire of Senses produces and breaks the apparatus of look and identification«409– wird zum Schlüsselbegriff seiner Konzeption, dessen Bedeutung Mulvey zwei Jahre zuvor erstmalig zur Disposition stellt. »For Lisa«, schreibt Modleski in ihrem bereits gewürdigten Text abschließend  : However and perhaps for all three women in melodrama constantly revisiting the scenes of their youth, repetition and return are manifestations of another relationship to time and space, desire and memory, and it is of this difference that the text speaks to me.410

Um ihre These zu verteidigen, führt sie neben Überlegungen zum Melodrama von Filmwissenschaftern wie Elsaesser, Brooks und Nowell-Smith auch Kristevas Überlegungen zum weiblichen Zeitverständnis an. Als Grundlage ihrer Überlegungen dienen die beiden damals bereits bekannten Arbeiten Mulveys. Im Zusammenhang interessieren Beispiele, die sie direkt aus dem Film Letter from an Unknown Woman nimmt. Diese mögen vor allem für die umfassende Weise ­eines 406 407 408 409 410

McVay, 1980, 28. Heath [1977], The Question Ōshima, 1981, 145–164. Ebenda, 146. Heath [1977], 1981, 148. Modleski, 1994, 29.

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Verfilmung von Literatur am Beispiel

Interpretationsangebots stehen, das von einem überlegten analytischen Vorgehen abhängig sein kann. Entscheidende Rolle spielt dabei die Nachvollziehbarkeit dieser Überlegungen, die von übergeordneten theoretischen Erkenntnissen interdisziplinär genützt werden. Der psychoanalytische Ansatz, Freuds Ausführungen zur Hysterie, die dramenanalytische Auseinandersetzung Brooks mit dem Melodrama oder Lacans Thesen zum Imaginären werden kreativ auf den Filmtext von Letter from an Unknown Woman angewandt. Mit zwei Kurzverweisen antwortet Modleski auf Heath, indem sie Heaths Konzeption von »Sehen und Wissen« bei Ödipus infrage stellt. Sie anerkannt zwar dieses nochmalige Sehen von Lisa als wichtiges Moment im Film, gleichzeitig relativiert sie diese Assoziation, indem sie Stefan als denjenigen erkennt, der zum Duell eilt und sich dadurch dem Vaterrecht unterwirft. Als zweiten und wichtigen Kritikpunkt an Heaths Ausführungen stellt sie fest, dass er sich bei der Bewertung dieser Sequenz ausschließlich auf die Worte von Lisa bezieht, ohne jedoch die den Off-Worten gegenläufige Bildfolge und Bildgestaltung mit zu berücksichtigen. Entgegen den Konventionen des klassischen Films wird Stefan in einem Licht gezeigt, das der Inszenierung des weiblichen Porträts im klassischen Kinoverständnis vorbehalten ist. Nicht nur durch die konkrete Ausleuchtung, sondern auch mit dem neutralen, von Zeit und Raum unabhängigen grauen Hintergrund wird Stefan außerhalb der Diegese gestellt. Here we find a classic example of an hysterical moment in which the possibility of feminine desire being actively aimed at the passive, eroticized male is briefly glimpsed while being explicitly denied at the verbal level.411

An diesem Beispiel lässt sich ablesen, wie ohne eine analytische Zusammenschau von Bild und Ton eine Interpretation eines gesamten Filmes nur Stückwerk bleibt. Zeitlich zu dieser dritten Rezeptionsphase, die durch die ersten Interventionen im Zuge der genderorientierten psychoanalytischen Theorie definiert werden kann, gehören auch der Beitrag von Perkins412sowie ein Buch, das den Film in Worten detailreich und authentisch nachzeichnet,413 und die französischen Filmkritiken,414 die zur Wiederaufführungen des Films 1987 erscheinen. In der ausführlichen Untersuchung über den »Acoustic Mirror« beschreibt Silverman415 Lisas Off-Stimme als innerhalb 411 Modleski, 1994, 25–26. 412 Perkins, V.F., »Letter from an Unknown Woman«, Movie, 29/30, Summer 1982. 413 Roger, 1989. 414 Französische Filmkritiken aus 1987  : »Un amour de neige«, Le Nouvel Observateur, Paris, 4.9.1987  ; ­»Vienne d’amour et de mort«, Le Monde, Paris, 30.9.1987  ; »La beauté de la pureté«, Paris, Paris, 30.9.1987. 415 Silverman, The Acoustic Mirror  : The Female Voice in Psychoanalysis and Cinema, 1988, 59–63.

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Aktuelle Diskussion

des Narrativen sich befindend, da sie durch den geschriebenen Text und nicht durch die figurale Darstellung des Novellentextes kontextualisiert wird. Durch die Eröffnungszeile »Wenn du diesen Brief lesen wirst, werde ich tot sein« und durch die Wiederholung dieses Satzes am Ende des Briefes rekonstruiert Stefan die Stimme Lisas in seinem Kopf. Die Frau wird erst in der Vorstellungskraft des Mannes lebendig. Damit setzt auch die Kritik an dem sogenannten »woman’s film« ein, der, wie in diesem Falle, wieder zu Projektionen über die Frau durch den Mann werde. Eine ausführliche Studie zu diesem Thema legt Stanley Cavell416 vor, indem er durch Sequenzen, unter anderem aus Gaslight, Now, Voyager und aus Letter from an Unknown Woman, den Beweis führt, dass die Kamera immer wieder genderorientierte Wahrnehmungsstrategien evoziert, die dem Publikum, überlagert durch gegenläufige Erzählmotive, verborgen bleiben. In ihrer komparativen Analyse zur »Heterosexuellen Romanze« zitiert Lucy Fischer417 zustimmend Roland Barthes’ Konkretisierung  : »At the origin of narrative, desire.«418 Für sie zeigt Letter from an Unknown Woman die Not einer Frau, die liebt. Ihre Filminterpretation hält sich an die Person Lisa Berndle und an theoretische Texte, die deren Verhalten und Handlungen zu verallgemeinern versuchen. Da sie die großen Handlungsbögen und thematische Motive einbezieht, die sie sich vor allem über den gesprochenen Text im Film erschließt, bleiben vereinzelt filmisch emblematische Bild-/ Textpassagen übrig, die im Detail nachvollzogen werden können. Ein Beispiel für die Methode, eine filmische Textstelle mit Hilfe eines sekundären Textes zu vertiefen, stellt der von Simone de Beauvoir eingeführte Begriff »love as a ›developer‹« dar, den Fischer in Erinnerung ruft, um den Rückblick Stefans auf gemeinsame Erlebnisse mit Lisa am Ende des Films zu interpretieren. Durch die Zuneigung, die Stefan durch die Lektüre des Briefes für Lisa empfindet, entwickeln sich Erinnerungsbilder, die ihn an Momente der Zweisamkeit denken lassen. Sie werden durch den Brieftext selbst, der im Off durch Lisa gelesen wird, bei Stefan aktiviert. Fischer stellt die These auf, dass eine Frau Liebe als das Leben umfassende Erfahrung ansieht. Im Gegensatz zur Stefans Erlebniswelt finden alle wichtigen Erfahrungen Lisas mit ihm monomanisch auf Bahnhöfen oder in Zügen statt  ; sei es die Praterfahrt, seien es die beiden Abschiede von Stefan und von ihrem Sohn. Als Alternative dafür bietet sich ihr nur ein Leben an, das in ihrem Aufenthalt in Linz skizziert wird, wobei Fischer auf die ausführliche Beschreibung und Analyse durch Perkins verweist. Für Fischer sympathisiert der Film mit Lisa, obwohl er die »Bestimmung« der Frau, die »großen, einzigartigen Gefühle« zu suchen, aufrechterhält. Der Kreativität des Mannes Stefan, eines Pianisten, steht die umfassende Liebe Lisas gegenüber. Sie lebt durch ihn. Simone de 416 Cavell, Contesting Tears. The Hollywood Melodrama of the Unknown Woman, 1996. 417 Fischer, Shot/Countershot  : Film Tradition and Women’s Cinema, 1989, 89. 418 Barthes, »XXXVIII. Les récits-contrats«, in S/Z, 1970, 87.

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Verfilmung von Literatur am Beispiel

Beauvoir zitierend, sieht Fischer die obsessive Liebe der Frau fehlgeleitet, indem sie sich dem Mann unterordnet. Dabei verweist sie auf Modleski, wenn sie deren Begriff des »femininen Mannes« aufgreift, um dann im Zusammenhang mit der Filmperson Lisa den Begriff »Narzissmus« – bei Mary Ann Doane419 Zentrum der Überlegungen – zu assoziieren, der sich in dem weiblichen Wunsch nach dem femininen Mann ausdrückt. Diese Interpretationsmuster lassen sich in den Dialogen und inneren Monologen im Film, laut Fischer, nachvollziehen. Prägende filmtechnische Verfahrensweisen – wie die der Überblendungen zwischen dem lesenden Stefan und den Bildern, die durch den Text evoziert werden – erkennt Fischer in diesen Übergängen wieder. Die Unschärfe ist Teil dieser Filmsprache, die Fischer als filmtechnische Materialisation der physisch-psychischen Erinnerungsarbeit Stefans sieht. In ähnlicher Weise findet Fischer Lisas »mind screen« im Film verwirklicht. Sie sieht Stefan in der von ihr hervorgehobenen Sequenz im Restaurant, in der, ähnlich einer Theaterszene, die mise-en-scène zur Wirkung kommt. Eine wesentliche Überlegung zur geschlechtsspezifischen Zeiterfahrung macht wieder Doane, indem sie das Warten als passive und vorwiegend weibliche Tätigkeit versteht, das der chronologisch, linear voranschreitenden Zeit entgegengesetzt ist. Der zyklische Ablauf und die ständigen Wiederholungen, sowohl in der Makrostruktur wie in der Mikrostruktur, sind konstituierende Elemente der Dramaturgie des Filmes. Einen weiteren Beitrag zur Analyse des Filmes liefert Raymond Bellour420 in seinem Aufsatz »Le spectateur pensif«, indem er von Barthes’ Unterscheidung zwischen dem Laufbild und dem statischen Bild421 ausgeht  : »Vor der Leinwand darf ich nicht die Augen schließen  ; wenn ich sie nämlich wieder öffne, werde ich nicht mehr dasselbe Bild vorfinden.« In der Mitte der Erzählung sieht Stefan sich drei Fotos mit einer Lupe an, die dem Brief als optische Versinnlichung beigegeben sind. Erinnert der bei 419 Doane, The Desire to Desire  : The Woman’s Film of the 1940’s (Theories of representation and Difference), 1987, 106–108. 420 Bellour [1984], »Le spectateur pensif«, L’Entre-Images, Paris, 2002, 75–83. 421 »Devant l’écran, je ne suis pas libre de fermer les yeux  ; sinon, les rouvrant, je ne retrouverai pas la même image«, Barthes, La chambre claire, 1980, 89–90.

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Aktuelle Diskussion

Stefan eingegangene Brief an die Ereignisse mit Lisa, erinnern die Fotos an eine andere Vergangenheit, die außerhalb Stefans stattfand  : nämlich an das Aufwachsen seines Kindes, das er nie gekannt hatte. Wofür dienen diese Fotos, fragt Bellour und antwortet  : »natürlich der Geschichte«. Sie werden zu Scharnieren, zu Übergängen zwischen den beiden großen Erzählteilen innerhalb des Filmes. Sie öffnen eine andere Zeit, »eine Vergangenheit in der Vergangenheit«. Gleichzeitig verweisen sie auf die Existenz und die Grundlage des Filmes als »Bewegungsbild«. V.F. Perkins spätere Interpretation von Linz als Stadt des »Führers«, mit der er die unmittelbare Nachkriegsrezeption des Filmes auf Basis der Erfahrungen mit dem Nationalismus suggeriert,422 ist weniger schlüssig als seine frühere Arbeit423 zum Thema. In dieser wird Linz erstmals Wien gegenübergestellt, indem er den Ort, unter dem Aspekt der den filmischen Text anreichernden symbolischen Signale, in den Mittelpunkt des Untersuchungsinteresses rückt. Dabei geht er ähnlich wie Modleski von konkreten Einstellungsfolgen aus, hebt die unterschiedlichen Musiken bzw. den konträren Tontrakt hervor, bewertet Einstellungsdauer und Licht im Verhältnis zu den Bildern und Tönen aus Wien. Dadurch gelingt es ihm, die Diskussion zum filmischen Duktus des Regisseurs Max Ophüls zu vertiefen. Wie Balázs in Bezug auf den Stummfilm anmerkte, müsste eine literarische Vorlage nach einer Dekonstruktion der Worte zu einer neuen, dem Medium Film adäquate Ausdrucksform kommen  : Vor dem Kinoapparat werden literarische Werke durchsichtig wie vor den Röntgenstrahlen. Das Knochengerüst der Fabel bleibt, das schöne Fleisch der Gedankentiefe, die zarte Haut des lyrischen Tönens verschwindet auf der Leinwand. (…) So ein Skelett müsste ein neues und ganz anderes Fleisch, eine andere Epidermis bekommen, um eine im Film sichtbare lebende Gestalt zu erhalten.424

Ziel von Literaturverfilmungen soll es sein, ein »Mehr an Kino«, also mehr als nur im filmerzählerischen Duktus die Duplizierung vorgegebener Motive und Themen, zu gewährleisten. Dieses »Mehr an Kino«, nicht unähnlich der Forderung von Balázs, setzt Jean Epstein sich und seinen Zeitgenossen als Handlungsmaxime. Über seine Verfilmung von Edgar Allan Poes Kurzgeschichte, The Fall of the House of Usher, schreibt er  : (…) Seele in Zeitlupe. Ich kenne nichts Bewegenderes als ein Gesicht in Zeitlupe, das sich von einem Ausdruck befreit. Denn das ist Dramaturgie, die Seele vom Film …425 422 423 424 425

Perkins, V.F., »Ophuls contra Wagner and others«, Movie, Nr. 36, 2000, 73. Perkins, V.F., »Letter from an Unknown Woman«, Movie, 29/30, 1982. Balázs [1924], 48. »L’Âme au ralenti. Je ne connais rien d’absolument plus émouvant qu’au ralenti un visage se délivrant d’une

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Verfilmung von Literatur am Beispiel

Mit dieser Formulierung legt Epstein klar, dass die Verlangsamung von Bewegung dazu dienen kann, Wirklichkeit zu modifizieren  : Etwas, was ausschließlich – vielleicht noch Lyrik mit ihrer Rhythmisierung von Silben und Worten – das Medium Film kennt. Wie sein Gesamtwerk unterstreicht, interessiert Epstein vor allem die Vielfalt der »Intelligenz« jener Maschine, die die Wahrnehmung verändern und die »Photogenie« realisieren kann. Neben den beiden letztgenannten allgemeinen Interventionen zum Medium Film veranschaulicht dieser kursorische Überblick über das »Gemurmel«, das in den letzten Jahrzehnten zu diesem konkreten Film stattgefunden hat und von einzelnen Sequenzen bis zur umfassender Bewertung der Filmnarration reicht, wie offen ein auch als klassisch bezeichneter Filmtext sein kann. Die geraffte Zusammenschau zeigt auch jene diskursive Dynamik auf, die immer neue Interpretationsfolien findet, wodurch aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und neue geistige Strömungen die Sicht auf konkrete Filme zu modifizieren wissen.

expression. Car c’est la dramaturgie, l’âme elle-même du film (…).« Epstein, »L’âme au ralenti«, Paris-Midi, 11.5.1928, Ecrits, I, Paris, Seghers, 1974,191.

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Habsburg-Mythos Habsburg und Freud – Mythos Mayerling – Das Narrativ – Filmästhetischer Vergleich – Cinégeschrieben/Syuzhet – Inszenierungsstile – »Die von der Realität geschriebene Sprache« – Zwischen zwei Schüssen

Die Sissi-Trilogie mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm – Sissi, 1955, Sissi – Die junge Kaiserin, 1956, und Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin, 1957 – gehört zu jenen Produktionen, die international die Welt der Habsburgermonarchie in den fünfziger Jahren bekannt machen. Diesen österreichisch-deutschen Produktionen gehen jedoch ausländische Beispiele wie De Mayerling à Sarajevo / Von Mayerling bis Sarajevo, 1940, The King Steps Out, 1936, und vor allem Reunion in Vienna / Rendez-vous in Wien, 1933, voraus. Das Hauptthema des letztgenannten Filmes reflektiert die Zeit der Produktion und zeigt die Auseinandersetzung zwischen der alten Welt der Habsburger und den modernen, aufgeklärten Lebensentwürfen einer Wiener Psychiaterfamilie.

Habsburger und Freud Diese filmische Umsetzung des Theaterstücks von Robert E. Sherwood426 lebt von den Dialogen, die mit satirischem Gestus und mit Hilfe der Psychoanalyse den in den Filmen bis dahin gepflegten Habsburgermythos spielerisch auflösen. Wien wird als Stadt mit modernen Wohnungen im Art-deco-Design, die Inneneinrichtung erinnert dadurch natürlich an The Black Cat, und mit aufgeklärten sowie mit der Monarchie nachtrauernden Menschen gezeichnet. Der Film ist ausgezeichnet inszeniert. Der Gegensatz zwischen der hochmodernen Wohnung des erfolgreichen Psychiaters und der verblichene Glanz des einst erfolgreichen Hotels ist gut herausgearbeitet.427

Dabei werden restaurative monarchistische Tendenzen humorvoll angesprochen, und es wird eine psychoanalytisch orientierte Lösung einer ehelichen Krisensituation im zeitgenössischen Wien gezeigt. Großen Raum lässt die Erzählung einem Rudolf von Habsburg, der als Taxifahrer in Paris arbeitet und nach Wien zurückkehrt, um mit Hilfe seiner Wiener Freunde wieder die Monarchie zu installieren. Dieser Film zeigt den 426 Robert E. Sherwood (1896–1955), u.a. Drehbuch zu Rebecca, Alfred Hitchcock, 1940. 427 Variety, 2.5.1933.

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Habsburg-Mythos

De Mayerling à Sarajevo / Von Mayerling bis Sarajevo (Max Ophüls, Frankreich, 1940) Gräfin Sophie Chotek (Edwige Feuillère) und Erzherzog Franz Ferdinand (John Lodge). Das gedemütigte Paar umgeben von den Insignien der Macht.

damaligen Star John Barrymore in der Hauptrolle als Rudolf von Habsburg– ein Indiz dafür, wie lebendig dieser Stoff in den USA gewesen sein mochte. Werden die Psychiater, die in Wien studierten, wie in The Front Page, 1931, und in Mr. Deeds Goes to Town, 1936, als unfähig, mit psychisch Kranken umzugehen, gezeichnet, wird Dr. Anton Krug in Reunion in Vienna zum Idealtyp eines Seelenarztes. Im Glauben an seine ärztlichen Fähigkeiten lässt er zu, dass seine Frau, Elena Krug, noch einmal eine Nacht mit ihrem einstigen Geliebten Erzherzog Rudolf Maximilian in der Wohnung verbringt, damit sie für immer von ihren Obsessionen der Vergangenheit befreit wird. Frau Krug und ihr Erzherzog leben in den Erinnerungen an ihre ehemalige Liebe zueinander. Diese glückliche Zeit ist eng mit Uniformen, Musiken und mit dem gemeinsamen Gefühl der Sehnsucht nach der »guten alten Zeit« – im Privaten wie im Gesellschaftlichen – verbunden. 238

Mythos Mayerling

Mit Hilfe des dramaturgischen Verfahrens der »mise en abyme«, Vorwegnahme und Variation des Hauptthemas, wird das spätere Therapieergebnis der Frau des Psychiaters bereits in der ersten Sequenz zur Gewissheit. Im vorliegenden Beispiel spricht eine vorangestellte Sequenz von einer jungen österreichischen Emigrantin, die nach Wien zurückkommt, um sich behandeln zu lassen, da sie unter den gleichen Symptomen wie Elena Krug leidet. Damit wird auch die spätere Selbstsicherheit des Arztes gegenüber seiner Frau und dem Experiment dieser einen weiteren Nacht verständlich. Er ist sich seines Behandlungserfolges so sicher, dass er sich, ohne nachzufragen, wie sie die Nacht verbracht haben, mit den Worten »Das war das letzte Mal«, ein neues Frühstück kommen lässt, da das erste ihm zuvor der nächtliche Begleiter seiner Frau, der Erzherzog, weggegessen hat. Bereits an dieser Episode lässt sich die Leichtigkeit der Inszenierung ablesen, die an das Genre der »screwball comedy« erinnert. In der Fortsetzung dieser morgendlichen Sequenz huldigt der Erzherzog, im Film Rudolf von Habsburg genannt, der Wiener Lebensweise  : »Wir Wiener sind privilegierte Menschen. Für uns ist jeder Morgen ein Abenteuer. Noch nie da gewesen und unvergesslich. Ein neuer Tag  !«428

Mythos Mayerling Die Fakten und Daten sind bekannt  : Am 30. Januar 1889 werden Kronprinz Rudolf und dessen Geliebte Mary Vetsera erschossen in Mayerling, einem Jagdschloss in der Nähe von Wien, aufgefunden. Unter dem Pseudonym Josephus schreibt 1919 Josef Roth über eine der ersten deutschsprachigen Verfilmungen  : Das in einem größeren Wiener Filmunternehmen hergestellte Mayerlingdrama hält sich immer noch auf der Höhe – oder Fläche – üblicher Filmdramatik. Es ist objektiv, sachlich und nur mit der gewohnten Sentimentalität verbrämt und in einen Kitschakkord ausklingend.429

Noch dreißig Jahre später wird dieses Interesse thematisiert  : Das Saalpublikum formt immer, unter welchem Regime auch immer es lebt, eine demokratische Masse, und die Demokraten erfreuen sich an den Leidenschaften und Launen der Herrscher, an den intimen Protokollbrüchen.430 428 Schlusssequenz in Reunion in Vienna, USA, 1933. 429 Der neue Tag, 12.8.1919. 430 »Le public des salles obscures forme toujours, sous quelque régime qu’il vive, une masse démocratique, et les démocraties se plaisent aux passions et aux passades des souveraines, aux ruptures intimes du protocole.« Arnoux, Du muet au parlant, 1946, 15.

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Habsburg-Mythos

Zu einem zentralen Mythos in der internationalen filmischen Wahrnehmung der Habsburgermonarchie wird der Tod Erzherzog Rudolfs. Ereignisse aus dem Leben von in der Öffentlichkeit stehenden Personen fanden und finden Interesse und Publikum. Unerfüllte Liebe, politische Pflichterfüllung und Korrektheit über den Tod hinaus sind jene Ingredienzien melodramatischer Stoffe, die sich für eine filmische Erzählung eignen. Ein großes Geheimnis des europäischen Hochadels – der Doppelmord oder Mord und Selbstmord – wird zum mehrfach verfilmten Melodrama, das das kriminalistische Gespür ebenso herausfordert wie die Sehnsucht nach Kolportage und dem »Seitenblick« auf die Probleme »Höhergestellter«. Die Variationsmöglichkeiten reichen dabei von einer die Authentizität vorspiegelnden Inszenierung im Mayerling des Jahres 1936 bis zu filmischen Assoziationen431des Mayerlingdramas in Vizi privati, pubbliche virtù, 1976, dessen ästhetische Umsetzung ohne die gesellschaftliche Entwicklung der sechziger Jahre nicht denkbar ist. Vier Kinofilme – Mayerling, 1936, Le Secret de Mayerling, 1949, Mayerling, 1968, und Vizi privati, pubbliche virtù, 1976, – werden im nichtdeutschsprachigen Raum seit der Einführung des Tonfilms produziert. Sie können auf Grund ihrer stofflichen Identität umso intensiver das Interesse auf die filmsprachliche Umsetzung lenken, die vom Autorenanteil, vom Zeitgeist, von der individuellen wie nationalen Filmtradition und vom aktuellen Stand des filmtechnischen Wissens geprägt ist. Von diesen Verfilmungen lehnt sich die von Terence Young (1968) eng an die Vorlage von Anatol Litvak (1936) an. Sie erfüllt die Anforderungen eines Remakes, wie es definiert werden kann  : nämlich, dass Stoff- und Motividentität und Erzählduktus, bis zur Mikrodramaturgie, die sich im Rhythmus, in der Szenenfolge und in den Dialogen ausdrückt, gleich bleiben. Zusätzlich wird in dieser zweiten Version Farbe als technische, nicht als Bedeutung tragende Erweiterung addiert. Litvak enthält sich jeglicher Interpretation der Ereignisse. Er erzählt chronologisch, fast dokumentarisch, indem er aus Bekanntem Details auswählt, die ihm wert scheinen, erzählt zu werden. Im Vergleich zu Delannoys Film folgt Litvak jedoch den Fakten. Wie zur Unterstreichung dieses inszenatorischen Gestus Litvaks vergleicht die französische Publikumszeitschrift »Pour Vous« die beiden Hauptdarsteller mit den realen Personen des Dramas  : (…) das letzte Porträt des unglücklichen Kronprinzen betrachtend, das vom 8. Dezember 1888 datiert – sieben Wochen vor seinem Tod –, findet man eine gewisse Ähnlichkeit  : (…) Warum lässt Litvak Rudolf nicht Schnurrbart tragen  ? Natürlich ist das nur ein kleines Detail …432

431 Dornhelms TV-Mehrteiler (2 x ca. 90 Minuten), Kinofassung (110 Minuten), ARD-TV-Fassung (90 Minuten), 2005, wird dabei auf Grund seiner vorrangigen Verwertung im Fernsehen nicht berücksichtigt. 432 »(…) en regardant le dernier portrait du malheureux archiduc, qui date du 8 décembre 1888 – sept semaines avant sa mort – on trouve une certaine ressemblance  : (…) Pourquoi Litvak ne fait-il pas porter la moustache à son Rodolphe  ? Evidemment, cela n’est que détail…«, Pour Vous, Nr. 378, 13.2.1936.

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Das Narrativ

Aus heutiger Sicht ist der Film eine Art Dokudrama, das mit bekannten Schauspielerinnen als Schauwert besetzt ist. Erst das letzte Beispiel in der Reihe bricht aus dieser Konvention aus, Authentizität vorzuspiegeln. Vizi privati, pubbliche virtù / Die große Orgie, 1976, sammelt Eindrücke, deren Stärke nicht aus der Interferenz zwischen imaginierter Erzählung und realer Konkretheit herrührt, sondern der Film durchbricht Denktabus, indem er »Unaussprechliches« zu schildern vorgibt. Das gestörte Verhältnis zwischen Kaiser und Kronprinz – Vater und Sohn – oder die detailreiche Schilderung einer Endzeitstimmung, die durch ihre räumliche und zeitliche Unbestimmtheit umso klarere Assoziationen zum Mayerlingereignis erlaubt.

Das Narrativ Eine vergleichende Untersuchung der verschiedenen Filme, die ausgewählte Szenen im Detail unter den Aspekten von Einstellungsfolgen und Rhythmisierung nebeneinanderstellt, lässt handlungsorientierte Gesten und Mimiken als jeweils zeitgenössisch erscheinen. Entsprechend den Versionen können Reaktionen von Nebenfiguren – des Kutschers und des Verwalters von Mayerling – oder tabuisierte Themen wie verbotene Liebe zwischen den Klassen und der Umgang mit dem Tod an die erzählte Zeit am Wiener Kaiserhof und gleichzeitig an die Moral der jeweiligen Produktionszeit erinnern. Exemplarisch kann darüber das Ende, der Tod des Liebespaares, in den verschiedenen Filmen Auskunft geben. Dabei sollen jedoch weniger der historische Wahrheitsgehalt der Rekonstruktion der verschiedenen Produktionen interessieren als vielmehr jene Darstellungsstrategien, die sowohl über filmstilistische Verfahrensweisen und technische Umsetzung als auch über verschiedene Aspekte von Mentalitäten der Zeit, in der die jeweiligen Produktionen realisiert wurden, dem heutigen interessierten Publikum Einblicke geben. Unterschiedliche Montagefiguren und eine variationsreiche mise-en-scène lösen die Frage, ob die Tat politischer Verschwörung oder einer Sinnesverwirrung zuzuschreiben ist, ebenso wenig wie die bisherigen historischen Forschungen zum Thema. Gilt auch bei den vier genannten Filmen die Einschätzung Josephus’, die er für die erste Verfilmung im Jahr 1919 findet, überlagern der der Zeit entsprechende Filmstil die Suche nach Authentizität und der persönliche Zugang der Autoren mögliche Interpretationsversuche, die das In-Szene-Setzen des Sterbens als Teil einer für den Kulturraum Mitteleuropa gültigen Mentalitätsdarstellung annehmen. Unabhängig davon, ob nun das Paar durch Mord und Selbstmord oder durch ein Komplott von außen zu Tode kam, scheinen die letzten Minuten und deren Darstellung symptomatisch für den gesellschaftlichen Zugang zum Tod zu sein.433 433 Ariès, Essais sur l’histoire de la mort en Occident du Moyen Âge à nos jours, 1975  ; Ariès, L’homme devant la mort. Le Temps des gisants, 1977.

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Habsburg-Mythos

Je nach Zeitgeist, Menschenbild und der Einbeziehung von soziologischen Überlegungen in der Version 1936, der Mentalitätsforschung in den Beispielen aus 1948 bzw. 1968 und der Psychoanalyse in der Produktion 1975 oszilliert die Tatmotivation zwischen persönlicher Ausweglosigkeit, religiösen Ängsten und Staatsräson, die das Vaterrecht exekutiert. Rudolfs Geliebte wird entweder vom Schuss überrascht, 1936, um ihre Einwilligung zum gemeinsamen Tod gebeten, 1948, oder das Paar ängstigt sich vor einem Kreuz gemeinsam vor der »Dunkelheit«, die es erwartet, 1968. In der Fassung von 1975 wird das Paar von staatlichen Killern erschossen.

Filmästhetischer Vergleich Am Beispiel der mörderischen und selbstmörderischen Schüsse und deren filmischer Darstellungsweise lassen sich emblematisch die unterschiedlichen technischen, inhaltlich motivierten Erzählstrategien der verschiedenen Autoren und deren Syuzhet nachvollziehen. Lichteinsatz, Kamerabewegungen, der Wechsel von Schwarzweiß zu Farbe oder die verfeinerten Tonaufnahmetechniken verweisen auf die fortschreitende technische Entwicklung, die sich durch Beleuchtungsdifferenzierung, durch lichtstärkere Objektive, Beweglichkeit handlicher Kameras und durch Raum imaginierende Tonaufnahmen bemerkbar macht. Die filmerzählerischen Modifikationen in den vorliegenden Filmbeispielen können an zwei auffälligen Aspekten festgemacht werden  : Während Innenaufnahmen im Laufe der Jahrzehnte zugunsten von Außenaufnahmen abnehmen, vergrößert sich der Wortanteil an der Gesamtkonzeption. Es mag jedoch weniger das Verhältnis zwischen auktorialer Imagination und einem anzunehmenden historischen Wahrheitsgehalt interessieren, der durch das Simulieren von vorgestellten und vorstellbaren Szenarien detektivische Vorarbeiten und damit einen Zuwachs an Glaubwürdigkeit zu suggerieren erlaubt, als mehr die Möglichkeit, im Vergleich von verschiedenen Erzählweisen desselben Stoffes die unterschiedlichen ästhetischen Herangehensweisen kennenzulernen, sie zu beschreiben, zu analysieren und zu interpretieren. Filmrhetorische Variationen in den Erzählungen zum gleichen Thema sind nicht im Sinne einer Qualitätsentwicklung zu bewerten, sondern die Klärung über die verschiedenen Strukturierungen des Filmtextes können Überlegungen zu Stil oder Syuzhet anstoßen. Die Filme stehen unmittelbar unter dem Einfluss des jeweiligen historischen Forschungsstandes zum Thema und stellen gleichzeitig eine Weiterentwicklung des Syuzhets der Autoren Anatol Litvak, 1936, Jean Delannoy, 1948, Terence Young, 1968, und Miklós Jancsó, 1975, dar. Danielle Darrieux und Charles Boyer, Dominique Blanchar und Jean Marais repräsentieren wie Catherine Deneuve und Omar Sharif dieses historische Liebespaar. Wer242

Inszenierungsstile

den diese Produktionen von Namen bekannter Stars geprägt, werden in Vizi privati, pubbliche virtù bei uns unbekannte Schauspielerinnen, Teresa Ann Savoy und Lajos Balázsovits, zu VermittlerInnen der bekannten historischen Ereignisse. Neben dem Verwertungsaspekt besitzen Namen bekannter Schauspielerinnen den Vorteil  – und dies gilt besonders bei biografischen Filmen  – einer intensiven und direkten Identifikation mit den Hauptcharakteren. Nicht nur die historische Person wird dabei vermenschlicht, sondern auch das bisherige Wissen um die Darstellerinnen betont die Individualisierung der Ereignisse, wodurch ein möglicherweise angestrebter historischer Wahrheitsgehalt jedoch gleichzeitig minimiert wird.

Cinégeschrieben/Syuzhet Im Vorspann des Filmes Sans toit ni loi / Vogelfrei, 1985, schreibt die Regisseurin Agnès Varda  : »cinégeschrieben und realisiert durch …« Varda führt aus, was sie meint  : »Es ist der Stil, wodurch ein Film entsteht  : die Bewegungen der Kamera, die Art und Weise, wie der Film erzählt ist.« Sie umkreist mit ihrer Beschreibung den Begriff Syuzhet und lässt diesen aus ihrer Praxis heraus konkret werden.434

Inszenierungsstile Der Tod Mary Vetseras und Rudolfs wird in allen vier Beispielen in unterschiedlicher Weise »demonstriert«.435 Durch das Wissen um das als historisch verbürgte Ende der Mayerlinggeschehnisse kann man sich intensiver auf die Entwicklung der Geschichte, der Personen und deren Verflechtungen in den gesellschaftlichen Konventionen einlassen. Der Film aus dem Jahre 1936 wird von einer auf das Schauspiel orientierten Dramatisierung, durch einfache Ausstattung und nur in wenigen Ausnahmen durch eine dramaturgisch motivierte Lichtregie geprägt. Im auf die Schauspielerinnen Danielle Darrieux und Charles Boyer konzentrierten Film stellt die Montage eine Zusammenfügung profilmischer Aspekte – wie Schauspielkunst, Gestik, Mimik und symbolische Licht- und Kameraführung – her, die den »caméra-stylo« nützt. In Abgrenzung zum Studiosystem des klassischen Films schreibt Astruc  : (…) das Kino wird eine »langage«. Eine »langage«, durch welche und mit welcher ein Künstler seinen Gedanken, sei er noch so abstrakt, oder seine Obsessionen ebenso direkt ausdrü434 Agnès Varda, Sans toit ni loi, Frankreich, 1985. 435 Dieser Begriff bezieht sich auf das Konzept von Gérard Genette und dessen Modifikation für den Film bei den Autoren Gaudreault und Jost.

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Habsburg-Mythos

cken kann wie in einem Essay oder Roman. Deshalb nenne ich dieses neue Zeitalter das des caméra-stylo.436

Der Begriff »profilmisch« bezeichnet alles, was in der Alltagswelt existiert und für den filmischen Gebrauch genützt wird. (…) in Opposition zu a-filmisch. Alles, was tatsächlich in der Realität existiert (der Schauspieler aus Fleisch und Blut  ; das Dekor im Studio), aber es wird extra für den Film genützt. (…) Alles, was sich vor der Kamera befindet und am Zelluloidstreifen einen Eindruck hinterlässt.

Alles vor der Kamera Befindliche und für den Film Nützliche und alles am Filmstreifen Wiederzufindende  ; zum Beispiel den Schauspieler, das Dekor etc. Damit werden auch jene Verfahrensweisen im Labor einbezogen, die keine Entsprechung in der Wirklichkeit besitzen. Demgegenüber wird der Begriff »a-filmisch« dazu verwendet, jene Phänomene zu benennen, die unabhängig von der filmischen Welt in der Alltagswelt existieren. Dieser Begriffskatalog geht auf Souriau437 zurück  : »Alles, was sich unabhängig von der Filmkunst befindet und auch unabhängig davon genützt wird.« Eine vermehrte Verwendung a-filmischer Elemente unterstreicht die dokumentarische und realistische Tendenz. Für das US-amerikanische Fachmagazin »Digest«438 scheint das zweite Beispiel Le Secret de Mayerling / Das Geheimnis von Mayerling, 1949, »(…) langsam für Amerikaner. Französische Filme besitzen eine andere Geschwindigkeit als unsere Produktionen.« Diese Charakterisierung des Filmes unterstreicht ein Zitat eines amerikanischen Filmeinkäufers, der über Mayerling meint  : »Wenn die Franzosen weiterhin so produzieren, wird keine Notwendigkeit mehr sein, diese Filme auch bei uns verkaufen zu wollen.«439 Die österreichische katholische Filmkritik lehnt bei der Erstaufführung den Film des Jahres 1948 ab  : (…) historisch grob verfälschter Hintergrund. Wegen Glorifizierung der freien Liebe und des Doppelselbstmordes untragbar. Gesamteindruck  : Abzuraten …

Die Kritik wird zu einer Distanzierung von diesem »geradezu anti-österreichischen Machwerk.«440 436 437 438 439 440

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Astruc [1948], Du stylo à la caméra, 1992. Souriau, L’Univers filmique, 1953, 7–8. Digest, 18.9.1937. Variety, Februar 1936. Katholische Filmkommission, Vol. 5, 1952.

Inszenierungsstile

Der Hauptteil des Filmes aus dem Jahre 1948 besteht aus einer Rückblende auf die Monate vor dem Tod in Mayerling. Dabei wird das intrigierende Hofleben vorgeführt, von dem sich Rudolf immer stärker ausgeschlossen fühlt. Auch mit seinen politischen Ambitionen erleidet er Niederlagen, die ihn schließlich, laut dieser Interpretation, zum Selbstmord führen. Durch die Gegenüberstellung von diegetischen und außerdiegetischen visuellen und akustischen Räumen nützt der Film das filmische Raumgefühl als stilbildende Voraussetzung für die Montagearbeit. Überraschenderweise hält sich die Farbversion des Jahres 1968 in den meisten Sequenzen an die Vorlage der Version von 1936. Die Zeit zwischen den beiden Schüssen ist im Schnitt wie in den Einstellungen identisch gestaltet. Bis in die Details lassen sich übereinstimmende Erzählpartikel nachvollziehen  : handlungsgleiche Abläufe (der Diener antwortet durch Klopfen auf den ersten Schuss), wortgleiche Dialogpassagen und eine gleiche Kadrierung des Ins-Bild-Setzens des letalen Schusses. Sieht man sich die Darstellung des zweiten Schusses, den Selbstmord Rudolfs, in Hinblick auf die inszenatorische Qualität an, lässt sich eine Tendenz zum detaillierten Zeigen innerhalb dieser Einstellungsfolge erkennen. In der Version 1968 wird das drastische Zeigen bevorzugt. Rudolf setzt die Pistole an die Schläfe, erst dann schwenkt die Kamera weg, die jedoch im Zimmer verbleibt, uns aber vom Selbstmörder wegführt. Um aus moralischen Gründen das Erschießen nicht zu zeigen, wird in allen drei Filmen ein »hors-champ« des Tones verwendet, während in der 1975er-Version dieses Problem durch eine Totalaufnahme gelöst wird. In Vizi privati, pubbliche virtù, 1976, werden die Tableaus durch optische, theatralisierende Veränderungen vor der Kamera (Vorhänge werden geöffnet und geschlossen oder Rauch- und Nebelschwaden lichten sich) als bewusste Inszenierung kenntlich gemacht, die über die erzähldramaturgische Notwendigkeit hinausweist. »Mayerling in einer Monarchie von Offenbach, wo die Atmosphäre des Mai 68 spürbar ist«, beschreibt eine französische Wochenzeitschrift441 diese Verfilmung. Weil Jancsó den Zuschauer im Zweifel über den Ort der Ereignisse lässt, kann ein Kritiker auch den Ereignisort »irgendwo in Mitteleuropa, im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert«442 vermuten. In der französischen Fachpresse war man über den neuen Film von Jancsó geteilter Auffassung. Wie immer jedoch sind unterschiedliche Meinungen für eine Untersuchung ästhetischer Phänomene von Interesse. Untermalt von traditionellen Märschen uniformierter Musikanten irrt in Jancsós Variation des Themas der Thronfolger mit seiner Amme Thérèse im weitläufigen Park des Schlosses ziellos umher. Nach Eintreffen seiner Schwester Sofia und ihres gräflichen Liebhabers werden neue erotische Spiele als Provokation für die Umgebung erfunden. Ein Komplott gegen den Kaiser wurde vor Kurzem aufgedeckt, und eine Ver441 Le Point, 31.5.1976. 442 Aurora, 18.5.1976.

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Habsburg-Mythos

geltung durch den Staat wird erwartet. Eine vorbeiziehende Zirkusgruppe gibt jedoch zwischenzeitlich die Gelegenheit, ein neues ausgelassenes Fest zu feiern. Am nächsten Morgen erschießen fünf befrackte Männer den Kronprinzen und seine Freunde. »Der Kronprinz und seine Geliebte gingen gemeinsam in den Tod«, lautet die offizielle Version dazu. Auf der latenten Interpretationsebene können die Bilder und Töne als eine raffiniert inszenierte Orgie des Lebens, die schließlich tödlich endet, gesehen werden. Jacques Rivette, französischer Filmautor, resümiert über die Filme Jancsós  : In all these Jancsó films it is real recreation time  : the children are in the playground during break between classes, dividing up into groups, forming into rings. It’s the political game to the letter  : politics as a game, a game as politics.443

Das Werk Jancsós gibt immer wieder auch Einsichten zur filmischen Historiografie und zur Bedeutung eigener subjektiver Geschichte frei, die kollektive Erinnerungsräume öffnen. Sie zeigen, dass für Jancsó eine Konkretisierung von Geschichte keine Rolle spielt, wie er es auch bereits zehn Jahre zuvor in Szegénylegények / Die Hoffnungslosen bewies. Wie in den meisten früheren seiner Filme verhandelt Jancsó Mechanismen von Macht und Unterdrückung. Tiefenpsychologisch stellt er das Sohn-Vater-Verhältnis in den Mittelpunkt. Dabei erscheint der Vater als Projektion der institutionellen Macht in Form der Polizei, der Armee und des Ministers, über die man sich lustig machen kann. Erst dieser Mayerlingfilm, dessen Übersetzung des Originaltitels Vizi privati, pubbli­ che virtù in »Private Laster, öffentliche Tugenden« besser als der deutsche Verleihtitel Die große Orgie das Oszillieren zwischen der privaten und öffentlichen Sphäre zum Ausdruck bringt, unterscheidet sich von allen anderen in der Interpretation der historischen Fakten. Er unterstellt eine Verschwörung des Hofes mit dem Ziel, Kronprinz Rudolf zu töten. Das Exekutionskommando erledigt diesen Auftrag mit fünf und nicht mit zwei Schüssen, wie es Ohrenzeugen überlieferten. Von der aus Staatsräson unerfüllten Liebe über die Todessehnsucht des emotional kranken Kronprinzen, der seine Geliebte in den Tod mitnimmt, bis zur staatlichen Verschwörung bieten die vier Produktionen unterschiedliche Interpretationen an. Sie nehmen, je näher sie ans Heute heranrücken, mehr und mehr Bezug auf mögliche politische Hintergründe.

443 Rivette, The Monthly Film Bulletin, V. 44, Nr. 519, 4/1977, 83.

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»Die von der Realität geschriebene Sprache«

»Die von der Realität geschriebene Sprache« In der Auseinandersetzung mit Christian Metz444 entwickelt Pier Paolo Pasolini ein Netz von hermeneutischen Schritten, die beweisen sollen, dass »eine Bilderwelt nicht existiert. – Es gibt nur eine Welt, die sich in Bildern ausdrückt.«445 Über die filmische Grammatik schreibt Pasolini, dass sie aus den kleinen Einheiten der cinematografischen Sprache besteht und dass sie aus den Formen und Objekten der Realität gebildet wird, die reproduziert und zu einem festen und grundlegenden Element des Signifikanten wird. Im Detail differenziert er in seinem Aufsatz, der seine Überlegungen zum Filmtext im Allgemeinen vertiefen möchte, zwischen der Orthografie (der Schreibweise), der Substantivierung (dem »Was« der filmischen Beschreibung, die ohne Eigen­ schaftsbezeichnung und Umstandsbezeichnung in einfache Prädikatssätze bzw. in Relativsätze gefasst wird) und der Qualifikation des Gezeigten, bei der die Syntax eine zentrale Rolle einnimmt. Unter Beachtung der Relation zwischen der konkreten Einstellungsdauer und dem damit Gezeigten wird das Syuzhet auf der ersten Ebene der filmwissenschaftlichen Untersuchung charakterisiert. Die Abfolge von neun Einstellungen in zwei Minuten innerhalb der jeweiligen Sequenz beginnt im Film 1936 mit einer Halbtotale auf Rudolf, dessen Blick bei gleichzeitigem Schwenk der Kamera ein Objekt außerhalb des Bildes fixiert. Bei dem nachfolgenden Travelling wird das starre Gesicht des Mannes in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Die musikalische Zuspitzung in Form eines Crescendos löst sich beim Schuss mit einem Schlussakkord auf. Verweist die weiße Schürze des Dieners auf seine Funktion, wird Rudolf durch sein Bekleidungsensemble – Hemd und Rock –, durch das ständige Zurechtstreichen seiner Haare oder durch seinen schleppenden Gang charakterisiert. Es sind Attribute, die auch jenseits des Filmes als Charakterzeichnung konnotiert werden können  ; sie stellen im Analyseangebot Pasolinis eine profilmische Bewertung dar. Der Begriff Konnotation bezeichnet die Beschreibung des Seh- und Hörbaren, die um den Erfahrungshorizont des symbolischen Wertes dieser Erfahrungen erweitert wird. Ikonische Zeichen werden neben ihrer informativen und kommunikativen Bedeutung als symbolische Zeichen subjektiv erkannt. Jeder Text macht Vorschläge, wie er zu lesen ist, und lässt gleichzeitig dem Zuschauer Möglichkeiten offen, wie dieser ihn auch lesen kann. Ein zum Beispiel mit den Regeln der Ironie angelegter Text kann auch nur in diesem Sinne verstanden werden, wenn der Leser diesen ironischen Gestus erkennt. Dem gegenüber steht die Denotation, die die Beschreibung des Perzeptiven, des Seh- und Hörbaren, umfasst. Verallgemeinert sind unter profilmisch alle jene in444 Metz, »Langue ou langage«, 1964, 52–90. 445 Pasolini [1966].

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Habsburg-Mythos

szenatorischen Attribute zu verstehen, die als Vermittler von Zeit, Gefühl und Mentalität genützt werden. Die Unterscheidung zwischen profilmisch und filmisch dient nicht nur dazu, im Allgemeinen eine medienspezifische Sprechweise, zum Beispiel die des Theaters, abzugrenzen, sondern auch dazu, detailgenau filmische Inszenierungsstrategien und dadurch den Unterschied zwischen dem filmischen Stil und dem Syuzhet zu erkennen.

Zwischen zwei Schüssen Der Bildwechsel auf die Einstellungsgröße »Weit« in Mayerling, 1936, zeigt einen gewölbeartigen Stiegenaufgang, von dessen unterem Ende ein eine weiße Schürze tragender Mann, altersbedingt mit unsicherem Schritt, die Stufen hochsteigt, dann vor einer Türe in Totale haltmacht, horcht, klopft, einen Schritt zurücktritt und in Halbnah beunruhigt seine Hände reibt. Die Kamera folgt seinen Bewegungen unauffällig. In einer amerikanischen Einstellung gezeigt, geht langsam die Türe auf, und der Diener erlaubt sich, Rudolf zu melden, dass er einen Schuss gehört habe. Rudolf antwortet, dieser kam aus dem Wald. Der Diener geht in »hors-champ« ab, Rudolf blickt ihm nach und schließt die Zimmertüre behutsam. Ein harter Schnitt zeigt Rudolf die geschlossene Türe verriegeln. Er geht seitlich nach links, die Kamera begleitet seine Bewegung aktionslogisch und passiv. Durch diese lange Einstellung werden auch der müde schlenkernde Gang und seine nachlässige Kleidung, das zerknitterte Ausschlaghemd, auffällig. Rudolf kniet sich vor dem Bett nieder, auf dem Maria ausgestreckt liegt. Seine Hand gleitet an ihrer rechten Schläfe, an der ein dunkles Rinnsal zu sehen ist, abwärts und am entblößten Arm der Liegenden entlang, um ihre Hand zu finden. Er öffnet die gekrümmten Finger und zieht ihren Handrücken küssend an sich. Er blickt auf. Aus Rudolfs Perspektive wird das Gesicht der toten Frau im weißen Kopfkissen kadriert. Er sieht sie an, geht aus dem Bild. Die Kamera schwenkt auf die Hand der Frau. Aus dem Off hört man einen Schuss. Rudolfs Hand fällt neben die Tote. Die Hand sucht die ihre und umfasst diese. – Die Länge der Einstellung und die Kamerabewegung sind der realen Bewegung der handelnden Subjekte, des Dieners und Rudolfs, untergeordnet. Die leichte, unsichere Bewegung der Kamera auf der Suche nach der Hand Rudolfs ist nach dem zweiten Schuss als typisch für den handlungslogisch motivierten, vom Autor bewusst herbeigeführten Einsatz der Kamera zu erkennen. Damit wird die mögliche innere Stimmungslage Rudolfs auch auf die materielle Ebene der Technik transferiert. Es kommt zu einer subjektiven Handhabung, 248

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einem Syuzhet, der neutral vorgegebenen Aufzeichnungstechnik, die in unterschiedlicher Weise entweder als reine Wiedergabe oder als Vertiefung einer Darstellung genützt werden kann. Der dramatische Grundduktus der Musikbegleitung wird immer wieder durch eine geänderte Fokalisierung in der Instrumentalisierung modifiziert. Unerwartete Trompetenstöße am Morgen im Hof in Mayerling rufen zur Jagd, öffnen dadurch einen neuen Handlungsraum und werden zeit- und raumlogisch bedeutsam. Die technischen Mittel (wie Kamerabewegungen, Effekte der Kadrierung, Lichtsetzungen etc.) zu erkennen, bedeutet die Filmsprache als »geschriebene Sprache der Realität«446 bewerten zu können. Nach der Beschreibung der Orthografie, Dauer und Größe der Einstellung, werden die Bildinhalte, wie bereits angeführt, durch Substantiv und Verb in Worten beschrieben. Die einzelnen Einstellungen – Pasolini bezeichnet sie wie in der Linguistik als Moneme – werden von den Cinemen, vergleichbar mit den Phonemen der gesprochenen Sprache, gebildet, wodurch auch die »sekundäre Artikulation« zum Tragen kommt. Diese Beobachtung führt Pasolini zur Einschätzung, dass Film eine »langue« sei, im Gegensatz zu Metz, der vom Film als »langage« spricht.447 Falls, wie im Beispiel 1948, das Konjunktionswort »und« als Zusatz notwendig wird, um eine Konjunktion innerhalb einer Einstellung sprachlich beschreiben zu können, lässt diese in Worte gefasste Beschreibung auf mehrere verschiedene Aktionen innerhalb einer größeren Einstellungsdauer im Gegensatz zum vorher genannten Beispiel schließen. Rudolf steht auf und geht auf die liegende Frau zu. Im Hof des Schlosses schneit es, und zwei Männer arbeiten an einem Kutschbock und drehen sich nach dem ersten Schussgeräusch in Richtung Schlossgebäude um. Ein Mann, der sich die Hände am offenen Feuer wärmt, wendet sich beim zweiten Schuss um und eilt in das Stiegenhaus, und ein zweiter Mann kommt dazu. Beide stehen im Zimmer vor der Schlafzimmertüre, und ein dritter Mann kommt dazu. Sie klopfen an die Türe. Abschiedsbriefe liegen am Tisch, während an die Türe geklopft wird. In Totale schlagen Fensterflügel an. Von draußen kommen Schneeflocken in das Zimmer, und ein Schwenk nach rechts zeigt das Bett, auf dem das Liebespaar liegt. Die vertiefende Beobachtung, die wieder eine profilmische Bewertung zulässt, erkennt, dass das Licht und die Schatten nicht raumlogisch verändert werden. Sie fallen 446 Pasolini [1966], 47–76. 447 Langue-oder-langage-Diskussion, die bedeutsam für die semiotische Grundlage auch heutiger Analyse von Film bleibt.

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durch ihre Künstlichkeit als dramaturgisches Mittel auf. Beim Öffnen und Schließen der Türe, als der Diener in Sorge nach dem ersten Schuss nachfragt, tritt Rudolf in das Ganglicht ein und wieder heraus. Das unruhige Licht des Feuers beleuchtet den im Hintergrund sitzenden Rudolf, während im Vordergrund Maria im Bett liegt. Typisch für diese Version sind die weiträumigen und vielfältigen Kontakte Rudolfs. Die Einbeziehung der Umgebung als vertiefende Charakterisierung der Person wird durch die Weiterentwicklung der Aufnahmetechnik, der lichtstärkeren Scheinwerfer und Objektive und durch verbesserte Empfindlichkeit des Filmmaterials ermöglicht. Im Sequenzvergleich der jeweils gezeigten Jagdvorbereitungen im Hof lässt sich der Gegensatz zur Inszenierung des Jahres 1936 durch Anatol Litvak erkennen, der den Jagdaufruf auf der musikalischen Ebene durch den Einsatz der Hörner evoziert, aber nicht die aktiven Bläser wie im Film des Jahres 1948 im Bild zeigt. Auch die Schusssequenz kann für diese durch die Technik erweiterte filmische Verfahrensweise herangezogen werden, ohne daraus vorerst Schlüsse über die subjektive Gestaltungsweise, das Syuzhet, ziehen zu können. In Halbnah massiert Rudolf seinen Unterarm. In der Hand hält er eine Pistole. Sein starrer Blick ist nach außerhalb des Bildes gerichtet. Diese Einbeziehung des »hors-champ« ist ein gestalterisches Echo auf die grundsätzlichen Möglichkeiten der Technik wie oben beschrieben und zeigt die Sinn generierende Bedeutung der Verräumlichung einer Bildkomposition. Sieht man in der Version 1936 den Todeskampf, werden im Beispiel aus dem Jahre 1948 die unmittelbaren Reaktionen auf diese Tat sichtbar. Der erste Schuss überrascht die Vorbereitungen zur Jagd. Pasolini unterscheidet zwei Arten der filmischen Qualifikation, die die Realität im Sinne der Anforderungen an eine filmische Erzählung formen, und führt dazu als Beispiel an  : Ein für die Erzählung zu junger Schauspieler wird im profilmischen Bereich auf älter geschminkt, die Möbel werden den Erfordernissen der Aufnahme entsprechend umgestellt, verkleinert, umgefärbt etc. Die zweite filmische Qualifikation definiert das filmsprachliche »Wie«  : In welchen Aufnahmegrößen, in welcher Perspektive oder in welchem Verhältnis das aufgenommene Objekt zum Aufnahmegerät – der Kamera und dem Mikrophon – steht. Dabei erkennt Pasolini unterschiedliche den Autor charakterisierende Momente, die entweder als »passiv« oder »aktiv« gekennzeichnet werden können. Ist die aufgenommene Realität im Verhältnis zu den Aufnahmegeräten aktiv, wird also die Aufnahme passiv vollzogen, spricht Pasolini von einem passiven Stil des Autors, der als Tendenz seines Schaffens ein Vertrauen in die Objektivität der Realität besitzt.448 Ist die aufgenommene Realität passiv, übernehmen die Aufnahmegeräte eine aktive Rolle bei der Reproduktion der Realität. Im Schnittrhythmus und mit Kamera und Mikrophon, also auch akustisch, durch Schwenks, Zooms oder Travellings gestaltet der Autor die Bezie448 Pasolini [1966], 61  : Als Beispiel führt Pasolini Filme von John Ford an, die für das klassische Kino stehen.

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hung zum aufgenommenen Objekt. Mit seinem ihm eigenen Syuzhet vermittelt er eine lyrisch-subjektive Vision.449 Durch vermehrte Halbnah- und Halbtotaleinstellungen können im Beispiel 1948 weniger als im Beispiel 1936 am Schauspiel orientierte Akzentuierungen gesetzt werden. Durch eine reichere Ausstattung jedoch – durch den Stiegenaufgang mit Holzprofilen oder durch das großzügig ausgestattete Zimmer– wird das Interieur stärker einbezogen. Die Ruhe im Außenbereich wird der Unruhe im Innenbereich gegenübergestellt. Das üppig ausgestattete Schlafzimmer, das vom flackernden Licht des offenen Kamins unruhig erhellt wird, steht im Gegensatz zur ruhigen Flächigkeit in der Außenwelt. Starke Schwarzweiß-Kontraste durch eine bewusste Lichtsetzung dramatisieren zusätzlich die Handlung. Henri Alekan, der zum Impulsgeber der bekannten französischen Filmkultur der letzten fünfzig Jahre wurde, variiert den Begriff Syuzhet in Bezug zu seiner Arbeit  : Im Falle, dass man im Studio Straßen, Plätze, Gärten, Wälder etc. darstellen möchte, gibt es zwei Arten Licht, die von der ästhetischen Überzeugung des Cineasten geprägt sind  : eine, die der Natur entspricht, oder eine zweite, die bewusst gesetzt wird, um eine bestimmte Bedeutung– im Zusammenhang mit der Thematik des Sujets – zu unterstreichen.450

Im Beispiel aus dem Jahre 1968, das licht- und kameratechnisch von Henri Alekan betreut wurde, ist die Inszenierung durch ein bewusst die Aufmerksamkeit leitendes Licht und durch ein zentral platziertes Kreuz gekennzeichnet, wobei die Kamera den Ereignissen innerhalb einer langen Einstellung in Form einer inneren Montage folgt. Rudolfs Kontakte sind im Vergleich mit den früheren Fassungen vielfältiger gezeichnet. Abgesandte des Kaisers besuchen ihn im Schloss. Er ist in der internationalen Politik beheimatet und hat Kontakte in andere politische Zentren Europas. Er hinterlässt Aufzeichnungen und Briefe. Diese Interpretation der Person setzt sich in der Schlusssequenz fort, wo sich der filmisch-dramaturgische Raum nach außen öffnet. Eine Parallelmontage zeigt den Hof des Schlosses, während sich im Inneren das Drama des Mordes und des Selbstmordes abspielt. Wird die vorfilmische Qualifikation zum ersten hermeneutischen Schritt, einen Film zu erkennen, setzt die filmische Qualifikation die Vertiefung dieses Prozesses fort. Sich in dieser Form einem filmischen Artefakt zu nähern, bedeutet, eine Dekonstruktion der medialen, mehrkanaligen Information vorzunehmen, um die verschiedenen Phänomene im Detail beschreiben, analysieren und interpretieren zu können. In einem weiteren Schritt werden die gewonnenen Aussagen und Erfahrungen in neuer Form zusammengeführt. 449 Ebenda, 62  : Als Beispiel führt er Jean-Luc Godard an, der für ein neues Kinoverständnis steht. 450 Henri Alekan, Kameramann, 1909–2001.

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Eine auf Subjekt und Prädikat im Sinne von Pasolini beschränkte Wortwahl bei der Beschreibung, die das Gezeigte und Gehörte in Erinnerung rufen will, lässt eine weitgehend objektive Beschreibung zu. Man fasst nur das in Worte, was man sieht und was außerhalb persönlicher Befindlichkeiten und kultureller Erfahrungen liegt. Ein Mann, der auf das Bett der Schlafenden zugeht, erschießt sie und wendet sich ab. Ein anderer Mann kommt aus einer Türe, blickt um sich und eilt die Stiegen hinauf. Er klopft (in Halbnah) wiederholt. Die Tür öffnet sich, und ein Mann spricht auf ihn ein. Licht wird innerhalb der Einstellung heller gesetzt. Diener geht ab. Mann zieht Vorhänge zurück und öffnet das Fenster. In Totale  : Ein Reh läuft über Schneewiese. Ein Mann am Fenster lächelt beim Hinausblicken und wendet sich nachdenklich ab. Ein Mann am Fenster (in amerikanischer Ausschnittgröße) geht zum Schreibtisch. Er ändert das Datum auf einem Brief. Wie zuvor  : Er sitzt am Schreibtisch und liest den Brief. Er blickt in Richtung Bett. Am Schreibtisch. Er nimmt die Pistole auf und geht damit zum Bett. Er hält ihre Hand. Die Kamera (in Travelling) fährt auf zwei brennende Kerzen zurück. Diese Beschreibung, reduziert auf einfache Sätze und auf neutrale Benennung, zeichnet den Ablauf nach. Im nächsten Schritt lassen sich Namen und zum Beispiel Adjektive und Adverbien hinzufügen. Damit beginnt der Schritt der persönlichen und der durch das kulturelle Wissen angereicherten Interpretation. Hält Kronprinz Rudolf in der Fassung 1936 nach durchzechter Nacht sein Spiegelbild nicht mehr aus, zieht sich der Kronprinz in der Produktion 1975 auf seine ihm verbliebene Spielwiese mit seinen Freundinnen zurück. Sie sind Kinder, die nicht aufhören wollen, weiterzuspielen. Diese Interpretation wird auch durch die Arbeit des Regisseurs Jancsó belegt, den Jacques Rivette, in Kenntnis früher Arbeiten, als jemanden bezeichnet, der es versteht, »Politik als Spiel und Spiel als Politik vorzuführen. Es ist das sprichwörtliche politische Spiel.«451 Obwohl die Jahreszeiten äußerlich sichtbar wechseln, bewegen sich die Menschen in einem zeitlosen Raum, bei dem die Spielregeln vorgegeben sind, und im Vorhinein die Sieger und die Besiegten bereits feststehen. An einem Ort, in einer namentlich nicht genannten Schlossanlage, werden innerhalb von vierundzwanzig Stunden bekannte Motive aus dem Mayerlingdrama, wie es sich in vielen Büchern in unterschiedlicher Qualität darstellt, miteinander 451 The Monthly Film Bulletin, V. 44, Nr. 519, 4/1977, 83.

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verwoben. Es gibt Szenen, die Fragen zur Staatsräson aufwerfen oder die den VaterSohn-Konflikt symbolisch klarstellen. Es kommt nicht zu zwei, sondern zu fünf Schüssen. Fünf schwarz gekleidete Männer schießen im Zurückweichen gemeinsam auf die auf einem Podest liegenden Personen. Der in einer Analyse als Qualifikation bezeichnete methodische Schritt erkennt diesen Aufnahmemodus als »passiv«, die Qualifikation des Autorenanteils jedoch als »aktiv«. Die Kamera als Aufnahmegerät macht sich durch Aufschwenks, Querschwenks, durch Totalen und Nahaufnahmen ebenso bemerkbar wie der gestaltende Autorenwille durch unvermitteltes Aufziehen von Vorhängen oder durch sich ändernde Beleuchtungsverhältnisse. Das Begriffspaar »aktiv« und »passiv« nach Pasolini findet seinen Vorläufer in der hypothetischen Annahme von »afilmischen« und »profilmischen« Elementen nach Sourieau, wobei beide Begriffspaare eine vertiefende Charakterisierung angewandter Inszenierungsstrategien erlauben. Über das Tableau der Aufgebahrten schwenkt die Kamera von rechts nach links. In der Gegenbewegung führt ein Mann eine Filmkamera vorbei. Mit Hilfe der Verlangsamung, die sowohl durch das Agieren der Schauspielerinnen als auch durch die technische Verfahrensweise einer leichten Zeitlupe erreicht wird, kommt es zu einem traumwandlerischen Eindruck. Diese Gestaltung verweist auf den Anteil des Syuzhets, das individuelle Ausdrucksformen annehmen kann, während der Stil in der Definition der russischen Formalisten452 eng mit den technischen Möglichkeiten der Zeit verbunden ist. Väterliche Macht wird mit Tabubrüchen untergraben, indem der Dauphin, dessen hermaphroditische Freundin Mary und deren Freunde den Thron in einer unbenannt bleibenden mitteleuropäischen Monarchie skandalisieren. Namen, Bilder und Masken Kaiser Franz Josephs, aber auch die begleitenden Musiken verweisen im Verlauf des Films jedoch mehr und mehr auf die Zeit und auf den historisch verbürgten Ort Mayerling. Durch ihr provokantes ausgelassenes Fest, während dessen Ablauf die Jeunesse dorée Wiens durch Fotos bloßgestellt werden soll, fordern Rudolf und seine Freunde die staatliche Macht heraus und werden mit einer ständig kreisenden Kamera in langen Einstellungen, ein typisches Syuzhet im Gesamtschaffen Jancsós, verfolgt. Während Vizi privati, pubbliche virtù in Österreich in den Kinos nur kurz durch den cineastisch orientierten Filmverleih »Topfilm« unter dem irreführenden Titel Die große Orgie gezeigt wird, wird er in Deutschland von einem einschlägigen Sexfilmverleih unter demselben Titel angeboten. »Es wäre angebracht« schreibt die Katholische Filmkommission,

452 Die Textsammlung der russischen Formalisten über Kino und Film unterstreicht auch deren Interesse am neuen Medium. Beilenhoff, Poetika Kino  : Theorie und Praxis des Films im russischen Formalismus, 2005.

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Jancsós Film in Schutz zu nehmen, angesichts der Dreistigkeit, mit der der deutsche Verleiher ihn in einem Zotenjargon synchronisieren ließ, dessen Vokabular einschlägigen Erzeugnissen aus Dr. Müllers Sex-Shop entlehnt scheint.453

Nur in England und Frankreich wird der Film gemäß der Tradition dieser Länder unverfälscht in untertitelter Fassung in die Kinos gebracht. Der Nachgeschmack, den dieser Film bei den Kritikern in Frankreich hinterlässt, ist in der zweispaltigen Überschrift »Adieu Jancsó, on t’aimait bien. On t’aimait trop  !«454 zu spüren, als der Film 1976 in Cannes während der Internationalen Filmfestspiele gezeigt wird.

453 Katholische Filmkommission, Nr. 20 443. 454 »Adieu Jancsó, man liebte dich sehr, man liebte dich zuviel  !« Libération, 20.5.1976.

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Genre des Agenten- und Kriegsfilms Genrecodes – Diachrones Panorama – Bild-/Ton-Montageformen – Krieg, Verweigerung und Heimkehr – Karneval – Einstellung zwischen den Bildern – Farben und Emotionen – Emotionen in Zeitlupe

In der Gegenwart stehen die Verfilmungen der Romane von Ian Fleming emblematisch für den Inbegriff des Agentengenres. Mit The Living Daylights / James Bond 007 – Der Hauch des Todes, 1987, trifft die James-Bond-Serie unmittelbar auf den Untersuchungsgegenstand, obwohl bereits in früheren Verfilmungen (For Your Eyes Only / James Bond 007 – In tödlicher Mission, 1981) die europäischen Alpen und gewagte Skiabfahrten den Hintergrund bei Verfolgungsjagden bilden. Alpen und Ski werden von einer außereuropäischen Sicht ganz allgemein mit der Schweiz, mit Österreich oder, wie im genannten Beispiel, Italien (Cortina d’Ampezzo) assoziiert.

Genrecodes Beim Begriff Genre wird an Standardisierung, an Klischee- oder an Stereotypenbildung und an deren sowohl für Autoren als auch für das Publikum mögliches kreatives Potenzial gedacht.455 Wenn wir sagen  : »Das ist ein Genre«, so meinen wir gemeinsame Charakteristika, die uns spontan einfallen. Diese Gemeinsamkeiten können formal stilistische bzw. inhaltliche Eigenschaften aufweisen. Im Film denken wir an bereits bekannte Charaktere, sich wiederholende Konfliktsituationen und deren innerdiegetische Lösungsvorschläge, aber formal auch an ein bestimmtes Licht, an immer gleiche Panoramaschwenks, an Ausstattung, Location oder Musik. Bestimmende Charakteristika des Genres kommen auch im vorfilmischen Raum wie im Theater, in der Literatur, in Malerei oder Musik zur Geltung. Genrebesonderheiten der James-Bond-Filmreihe finden sich bereits in den Romanvorlagen und bestehen aus narrativen Figuren, inhaltlichen Szenen und Motiven und deren akustisch-optischen, uns bereits bekannten Auflösungen des Abenteuer- oder des Kriegsfilmgenres. Bestimmte Regeln des Zusammenlebens und davon abhängige Verhaltensweisen, Inszenierungsstile und dramaturgische Wendungen ermöglichen ein rasches und unkompliziertes Wiedererkennen des Genres, wodurch mögliche Modifikationen, das heißt Abänderungen, spielerisch genützt werden können, um im Sinne des Literaturwissenschaftlers Roland Barthes mit immer wieder modifizierten hermeneutischen Codes, den Rätselcodes, die konkrete Geschichte in Variationen zu erzählen. Dieser 455 Einen Überblick zur Diskussion geben Grant, Film Genre Reader, 1986  ; Moine, Les genres du cinéma, 2002.

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Rätselcode gibt keine erschöpfende Antwort. Er kann mehrdeutig kommunizieren oder eine dem Autor bewusste Lüge über Personen oder Situationen formulieren, die dann die Aktion oder den Charakter einer handelnden Person bestimmt. Neben diesem hermeneutischen Code, der etwas erkennen lässt, werden in ähnlicher Weise der Aktionscode zur narrativen Strukturierung und der kulturelle und der semische Code sowie das symbolische Feld genrespezifisch nutzbar gemacht. »Es sind fünf Stimmen wie in einem Musikstück, die sich immer wieder finden, sich kreuzen oder auch als gegenläufige Stimmen wirksam werden«, schreibt Barthes.456 Die wiederholte Verwendung der beiden ersten Codes führt zu einem Erzählstil, indem der Autor bestimmte Seiten eines Charakters bewusst unterdrückt oder sie vorenthält, um vielleicht im weiteren Verlauf der »Stimme der Wahrheit« überraschend und unerwartet Platz zu geben. Ein weiteres Beispiel stellt zum Beispiel die im Fortschreiten der Handlung sukzessive Enthüllung des Sinns eines konkreten Titels, wie zum Beispiel von The Living Daylights, dar. Durch die Verwendung des hermeneutischen Codes wie durch den Aktionscode entsteht Erzählung. Dabei wird nicht ein Hauptargument herausgestrichen und bearbeitet, sondern es lassen sich auf verschiedenen Ebenen bzw. in verschiedenen Teilen der Erzählstruktur Fragen wie folgt stellen  : »Was bedeutet der Titel  ?« oder »Mit welchen Mitteln werden diese ›Rätsel‹ in den Mittelpunkt gerückt  ? Wie werden sie erzählt, wie werden sie wiederholt, wie werden sie aufgebaut und entwickelt  ?« Es werden durch die Rezipienten Fragen gestellt, die im gesamten Text modifiziert oder in inszenatorischen Einheiten zusammengefasst werden. Sie können auch als Variationen der Hauptfrage auftreten, die neue Fragen implizieren, und die Antworten darauf können eventuell innerhalb der Erzählzeit auch zeitverzögert beantwortet werden. In all diesen genannten Fällen kommt es zu einem vernetzten Spiel, in dem die bewusste Verwendung der genrespezifischen filmischen Sprache konstituierend auf die Narration einwirkt. Wird in erster Linie ein Genre durch seine Invarianten bestimmt, das heißt durch bereits gesehene und bekannte thematische und formale Figuren, die einen Erwartungshorizont beim Publikum aufzubauen wissen, kann es auch gleichzeitig durch sein Vermögen definiert werden, Modifikationen und Variationen zu entwickeln, die aus mehr als hundert Jahren Filmgeschichte schöpfen. »Je mehr ein Text/Film eine stereotypische Reproduktion von Charakteristika eines Genres ist, desto mehr verliert er an artistischem und historischem Wert«, meint Jauß.457 In seiner entwickelten Form wird ein Genre eher durch das definiert, was es »nicht beinhaltet, als dadurch, woraus es besteht.«458 456 Lesage, »S/Z and the Rules of the Game«, in Nichols, Movies and Methods, Vol. II, 1985, 479. 457 Jauß, 1970. 458 Vernet, 1988.

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Als Folge dieser Überlegungen lässt sich der Zugang zu den Genres im Zeichen der Postmoderne definieren  : »Nicht zu fragen, woraus dieses oder jenes Genre besteht, sondern Bedingungen zu definieren, die das Wieder-Erkennen ermöglichen.«459 Dynamisch und rezeptionszentriert sind diese Stimmen, die dem Genre, eng in Verbindung mit einem dynamischen Selbstverständnis von Stereotypen, einen neuen Gehalt verleihen können. Am Beispiel des Westerngenres erarbeitet der Filmwissenschafter Jean-Louis Leutrat eine Systematisierung des Genres, wobei er zwischen Variationen, Modifikationen und einer Wiederherstellung des Genres unterscheiden möchte. Eine Variation kann sich in der Veränderung des Schlusses oder in der Ironisierung einer bereits bekannten Handlung ausdrücken, aber sie greift nicht in die Struktur des Genres ein. Genreparodien wie Carry On Spying, 1964, oder Killer’s Carnival, 1966, sind ebenso Variationen des Genres, dessen kreative Fülle an Querverweisen erst durch die Kenntnis des Urgenres voll zur Wirkung gelangen kann. In Carry On Spying, 1964, wird ein gewisser Herr Milchmann in Wien ermordet, dessen Geheimnis, eine Formel zur Auslöschung der Menschheit, verschwunden ist. Das Erzählmotiv der Wiener Abwasserkanäle wird persifliert. Der Regisseur ist für seine B-Picture-Qualitäten bekannt, die billige Produktion und leichtes Filmvergnügen versprechen. In einem weiteren Genrefilm, in Killer’s Car­ nival, 1966, wird Zithermusik als Erkennungsmerkmal des semantischen Bassins und als Querverweis auf The Third Man persiflierend eingesetzt. Modifikationen dagegen greifen nachhaltig in die Struktur der Erzählung ein und verändern den Aufbau und die Sinnfragen der Geschichte. Als Beispiel können Veränderungen in der erzählten Zeit oder die Verlagerung des Geschehens an einen anderen Ort genannt werden. Auch eine Zunahme an soziologischen und psychologischen Aspekten verändert die bekannten Strukturen des Genres  : Die Frage nach dem Sinn einer CIA-Mitarbeit im Agententhriller Scorpio / Scorpio, der Killer, 1973, wird für Cross (Burt Lancaster) Hauptmotivation seines Handelns. Ein Zurück zu den Ursprüngen – es kommt zu einer Wiederherstellung des Genres mit seinen identifizierbaren Attributen – findet in Avec la peau des autres / Die Haut des Anderen, 1966, statt. Ein international bekanntes Beispiel, das verschiedene Aspekte der Genese eines Genres zitiert, stellt Pulp Fiction, 1994, dar, das als eines der ersten Beispiele einer postmodernen Dramaturgie angesehen wird, aber, wie Beispiele hier zeigen, bereits vielfältige Vorgänger kennt. Diese thematischen Zuordnungen werden durch formale Überlegungen erweitert, die entweder diese Kategorisierung unterstützen oder mit Hilfe einer möglichen spezifischen filmischen Sprechweise neu geordnet werden können. Formal greift Scorpio bekannte musikalische und lichttechnische Inszenierungsmittel aus The Third Man auf, ohne jedoch darauf thematisch direkt oder indirekt Bezug zu nehmen. 459 Leutrat, 1973, 36–47.

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Ohne dass The Third Man tatsächlich ein Spionagefilm wäre – Harry Lime (Orson Welles) bleibt ein krimineller Penicillindealer, der Kinder sterben lässt, um sich selbst zu bereichern –, profiliert diese Filmerzählung spätere Spionagefilme. Dabei wird die Wiener Atmosphäre, die durch Evozierung der Bilder und Töne aus The Third Man zu einem filmischen Stereotyp gerinnt, den episodenhaften Charakter mit Wiedererkennungseffekt annehmen und das spezifische und damit leicht zu identifizierende Design prägen. Regennasses Kopfsteinpflaster, geheimnisvolle Tordurchgänge, der Schauplatz Riesenrad als lebensphilosophischer Begegnungsort und die musikalischen Erinnerungen an Zitherklänge werden zu bestimmenden Signalen der Lokalisierung und Kennung für spätere Agentenfilme, die in dieser Stadt spielen. Je stärker die Bilder Wien zu assoziieren imstande sind, desto weniger wird es notwendig, die Stadt schriftlich auf Inserts anzukündigen und damit den Erwartungshorizont, der zur Konstruktion der Authentizität der Handlung beiträgt, auch auf der schriftlichen Ebene für das Publikum zu evozieren. Der Schwenk über die Karlskirche, der über die Stephanskirche und über die Stadt bis zum Kahlenberg weitergeführt wird, gehört zum Repertoire ausländischer Filme, die Wien als Handlungsort in die Erzählung einführen wollen. Setzen sich diese sowohl filmstilistischen wie psychologisch-soziologischen Eigenschaften des Drehortes Wien und der »wienerischen« Atmosphäre bis in die Jetztzeit fort, lässt sich einschätzen, wie schwer das Erbe dieser oftmals preisgekrönten »imagerie culturelle«460 auf der Verwirklichung zeitgemäßer Bilder aus Österreich in den audiovisuellen Erzählmedien lastet. Die mangelnde Lebensnähe im Handlungsort Österreich und der damit einhergehende Verlust österreichischer Gegenwart, der durch die Nichtexistenz eigenständig handelnder »Eingeborener«, parallel zur Darstellungsmaxime des Kolonialismus des 19.  Jahrhunderts,461 augenscheinlich wird, spiegelt die Situation im österreichischen Film über lange Jahre wider, indem die Gegenwart und die Kriegsvergangenheit zugunsten der Idealisierung der Habsburgermonarchie ausgespart bleiben.

Diachrones Panorama Drei Schwerpunkte des Agentenfilms können thematisch unterschieden werden. Umfasst der erste Zeitraum die Erzählzeit des Ersten Weltkriegs, in der Russland als Gegenspieler fungiert, setzt die zweite Phase während des Zweiten Weltkriegs ein und führt den Nazikollaborateur als den zu entlarvenden Anderen ein. Die dritte Welle antwortet entsprechend der politischen Entwicklung auf den sogenannten Kal460 Pageaux, »L’imagerie culturelle  : de la littérature comparée à l’anthropologie culturelle«, Histoire littéraire et histoire des mentalités. Approches comparatistes, 1983, 7–88. 461 Said [1994], Culture et impérialism, 2000.

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ten Krieg. Dadurch kommt es zu einer Rückkehr der feindlichen Gegenspieler aus der ersten Phase. Diese vom politischen Geschehen und vom vorliegenden Thema ausgehende Strukturierung erscheint vor allem aus einer eurozentrischen Sicht gültig, da es zu allen Zeiten in der Filmgeschichte analog zu den politischen Krisenherden in der Welt zu Spionage- und Agentenerzählungen kommt, die ihre geografische und thematische Topografie aus den jeweils aktuellen Machtkonstellationen ableiten. Vor allem in den zwanziger Jahren, in denen, vergleichbar mit dem heutigen TV-Programm, für bestimmte Zielgruppen Spartenfilme hergestellt werden, finden sich Filme, die zum Beispiel Mexiko als Handlungshintergrund modellieren, ebenso wie Filme, die die Unabhängigkeitsbewegungen in Lateinamerika, Indien oder China innerhalb dieses Genres zu thematisieren wissen. Die erste den gewählten Filmkorpus berührende Filmerzählung in diesem Genre, in deren Mittelpunkt eine in die USA immigrierte Österreicherin steht, ist I Want to For­ get aus dem Jahre 1918, die bereits unter dem Aspekt der zeitgenössischen Rezeption im Kapitel »Zur Archäologie des Österreichbildes« Erwähnung findet. Wie bei vielen dieser Agentenfilme, die bis Mitte der dreißiger Jahre einen Zusammenhang mit Österreich herstellen, ist die Drehscheibe des Geschehens eine Frau, Varda Deering (Evelyn Nesbit), die vor dem Ersten Weltkrieg Mitarbeiterin des österreichischen Geheimdienstes gewesen ist, später in die USA auswandert, sich in einen Leutnant verliebt und ihre früheren Kontakte nun dem amerikanischen Geheimdienst zur Verfügung stellt. Der Film akzentuiert die österreichische Immigrantenszene und stellt einige mit der neuen Heimat identitätsstiftende Themen wie Liebe, Verrat, Flucht und Tod bereit, die als relevante Motive prototypisch die Genreentwicklung in weiterer Folge bestimmen werden. In ähnlicher Weise gilt dies für Fred Niblos The Mysterious Lady / Der Krieg im Dunkel, 1928, der als Stummfilm zum Vorläufer für bekannte Genrebeispiele wie A Woman of Experience, 1931, und Dishonored, 1931, wird. Die romantisierende Variante eines Agentenschicksals – eine Frau opfert sich für ihre Nation und der Staat legalisiert ihre Profession als Prostituierte– dominiert alle drei Beispiele. Diesen Filmen ist ebenso gemeinsam, dass die zeitaktuelle Bedeutung dieses Genres dadurch unterstrichen wird, dass dabei Schauspielerinnenstars wie Greta Garbo, Helen Twelvetrees oder die am Beginn ihrer Karriere stehende Marlene Dietrich Hauptrollen übernehmen. Die Ereignisse aus The Mysterious Lady sehen die Spionin Tania als Hauptakteurin und als Zentrum von Ereignissen, die die Handlung voranbringen. Kurz vor Kriegsausbruch lebt Tania im imperialen Wien. Sie ist vom russischen Geheimdienst beauftragt, die Truppenaufmarschpläne der österreichischen Armee weiterzuleiten. Deshalb lässt sie sich von Karl von Raden, Geheimnisträger der Armee, umwerben. Der Eindruck, dass Details besondere dramaturgische Bedeutung besitzen, verfestigt sich bereits im Prolog, der keine Panoramaansicht von Wien zeigt. Es kommt zu einer Abfolge von nahen Aufnahmen eines wartenden Publikums, von tänzelnden Fiakerpferden und von 259

Genre des Agenten- und Kriegsfilms

Auspuffgasen in der Luft, die die nächtliche Atmosphäre einer Großstadt assoziieren, um schließlich in das Foyer eines Theaters zu gleiten, in dem sich zwei Offiziere über die »süßen« Wiener Mädchen unterhalten. Diese erste Einstellungsfolge gibt damit auch Auskunft über die filmsprachlichen Mittel dieser konkreten Geschichte und etabliert gleichzeitig das Syuzhet des Autors Niblo. In A Woman of Experience, 1931, wird Elsa, um ihre Pflicht gegenüber dem Vaterland zu erfüllen, zur Spionin. Sie verliebt sich jedoch in einen jungen Marineoffizier der feindlichen Armee. Obwohl sie nur mehr wenige Monate zu leben hat – während einer Auseinandersetzung wurde sie verletzt  –, heiraten die beiden. Die Familie des Offiziers lehnt sie jedoch ab, da sie verdächtigt wird, auf Grund ihres Lebenswandels geschlechtskrank zu sein. Drei Jahre nach The Mysterious Lady entsteht A Woman of Experience, in dem der bekannte Establishingshot, für Kenner Wiens der »Heldenplatz«, in Überblendung mit dem Insert »1914« wieder verwendet wird. In einer weiteren Einstellung wird an der Wiener Oper vorbeigeschwenkt, wobei ein kurzer Blick in die Kärtnerstrasse freigegeben wird. Eine in der Art einer Handkameraaufnahme ebenso instabile Aufnahme über den Donaukanal, mit der Wiener Urania im Hintergrund, geht zu einer Straßenansicht über und endet in Halbnah auf einen Zeitungsausträger, der die Kriegserklärung ausruft. Durch diese unterschiedlichen Bewegungen der Kameraschwenks, der Kamerafahrten und der Überblendungen, die oftmals in längeren Doppelbelichtungen verharren, werden durch die zeitliche Einheit der Aufnahmefolgen nicht nur Atmosphäre und das faktische Zeitgeschehen vermittelt. Im Gegensatz zu Fred Niblos Film, der durch ähnliche Kamerafahrten und Interpunktionen die die Handlung tragenden Charaktere vorstellt, wird hier vom Allgemeinen einer Stadtansicht zum Besonderen des Kriegsausbruchs geführt. Ein Flugblatt unter vielen, die dazu aufrufen, zu helfen, fällt vor Elsas Füße. Für Spielfilme sind diese Verfahrensweisen nicht unbekannt, und sie lassen sich nicht auf die Zeit am Ende der Stummfilmzeit fixieren. Das Besondere daran ist jedoch, dass im Gegensatz zum späteren Gebrauch im Prolog von The Third Man diese Montage ohne Off-Kommentar auskommt und ausschließlich über die Bilder Informationen zum Ort und zum Zeitgeschehen liefert.

Bild-/Ton-Montageformen Filmisches Erzählen ist bei den beiden genannten Beispielen auf die Montage von Bild und Bild konzentriert, wobei bei A Woman of Experience die Begleitmusik einen die Einstellungen verbindenden Charakter aufweist. Die Erstellung einer zeitlichen Linearität durch Ton ist eine jener Möglichkeiten, Ton in Form von Geräuschen, Sprache oder Musik zu nutzen. Chion sieht die zeitliche Animation des Bildes durch den Ton, wobei die Zeit relativiert wird, als weitere mögliche Aufgabe an. Eine dritte Funktion 260

Krieg, Verweigerung und Heimkehr

sieht er in der Vektorisierung einer Einstellung, die der parallelen Einstellungsfolge eine inhaltliche oder emotionale Richtung gibt. Unabhängig vom Bild kommt es durch diesen Toneinsatz zu einer Vorschau oder zu einer Erinnerung. Der Ton stellt dabei einen größeren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang her. Elsa (Helen Twelvetrees) wird von der allgemeinen Hysterie zu Kriegsbeginn auf den Straßen von Wien mitgerissen. Sie stellt sich Arbeiten vor, die sie für die Nation leisten könnte. Ihre Fantasien sind nicht nur ihre eigenen Vorstellungen, sondern sie spiegeln in allgemeiner Form  – und darauf verweist die hier optisch vorgenommene Stilisierung– eine mythisch überhöhte Heldin wider, die als Lenkerin einen schweren Wagen beherrscht. Eine Anzahl von Frauen, die am Fließband und an der Metallpresse im Dampf der Fabrikhallen arbeiten, zeigt die denkbaren Berufsmöglichkeiten der Frauen der Zeit. Durch kameratechnische Verfahrensweisen wie Überblendung, Perspektive und Ausleuchtung idealisiert diese Bilderreihe Elsas Projektionen. Ein vorbeifahrendes Rettungsauto holt sie in die Realität der Zeit zurück, und sie meldet sich für den Rettungsdienst. Elsa gerät in einen Konflikt zwischen ihrer als Notwendigkeit erachteten Verpflichtung gegenüber der Nation und der Liebe zu einem Mann. In einen ähnlichen Entscheidungsnotstand wie Tania und Elsa begibt sich auch die junge Witwe Marie Kolverer (Marlene Dietrich) in Dishonored / Entehrt, 1931, wo Musik – der Walzer »Danube Waves« von Iosif Ivanovici – noch eine dramaturgisch entscheidende Rolle spielen wird.

Krieg, Verweigerung und Heimkehr Kriegserlebnisse und deren Folgen für den einzelnen Menschen gehören zum wiederkehrenden Repertoire jener Länder, die bis 1918 unter dem Einfluss der Habsburgermonarchie standen. Und ist einmal die schlimme Zeit – lang wie ein Alb – gebrochen, / dann wird davon gesprochen, / und einen Strohmann bauen die Kinder auf der Heide, / zu brennen Lust aus Leide und Licht aus altem Graun462

lautet bei Karl Kraus das Programm einer Literatur, die etwas nacherzählt, was erschreckend ist. Man kann etwas endgültig verabschieden, beerdigen und dabei dennoch in Gedanken behalten und bezeichnen. Die Beschäftigung mit einem Ereignis wie dem Krieg forderte seit jeher das (film) künstlerische Potenzial heraus  : ausgehend vom Gilgamesch-Epos über Komödien des Aristophanes bis zu dem Antikriegsroman »Die Waffen nieder  !«, der in Form der doku462 Keller Gottfried (1819–1890), »Die öffentlichen Verleumder«, Gesammelte Werke, 1972.

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Genre des Agenten- und Kriegsfilms

mentarischen Romantradition die Verbindung des Lebensgefühls des 19. Jahrhundert mit dem des 20. Jahrhunderts schafft. Biografische Epen über Kriegsherren wie Napoleon, Actionthriller der Rambo-Serie oder die detailreiche Rekonstruktion psychischer Befindlichkeiten in Saving Private Ryan / Der Soldat James Ryan, 1998, oder in The Thin Red Line / Der schmale Grat, Terrence Malick, 1998, sind beliebte Filmsujets dieses spezifischen Genres. Nicht zuletzt die Ereignisse während des Vietnamkriegs und nach seinem Ende, die die psychischen und physischen Schädigungen der US-Kriegsveteranen erkennen lassen, bringen in den achtziger Jahren eine Reihe von Filmen hervor. Vietnamesische Filme, die ähnliche Themen als Grundlage haben, werden zwar auch produziert, kommen jedoch bei uns nicht in die Kinos. Die wohl einprägsamste Figur unseres Kulturraumes, die in komödiantischer Weise Desertion und Komik verbindet, ist der Soldat Schwejk von Hašek. Eine der ersten originären Verfilmungen nach dem literarischen Klassiker ist Dobrý voják Švejk / Der brave Soldat Schwejk, 1926. Als Offiziersbursche im Kriegsdienst eingesetzt, lernte Hašek selbst das Soldatenleben hautnah kennen. Seit dem Erscheinen des Romans ist Schwejk zu einem übernationalen Schutzheiligen für Pazifismus und Antimilitarismus geworden. Die noch vorhandene Kopie ist eine rekonstruierte Fassung, da die ursprüngliche Fassung von Karel Lamač verloren ging. Der bekannte tschechische Volksschauspieler Karel Noll gibt Schwejk zum ersten Mal in einem Film Gestik und Mimik. Die Sprache als Widerstandsform gegen die deutsch sprechenden Österreicher– in der Romanvorlage als wichtige Quelle des Humors angelegt – kommt erst später bei weiteren tschechischen Produktionen als inszenatorische Qualität und als filmische Vervollständigung der Literaturadaption hinzu. In der deutschsprachigen Verfilmung mit Fritz Muliar wird dieser sprachliche Aspekt völlig in sein Gegenteil verkehrt  : Er »böhmakelt«, damit kommt es zu einem Lachen über Schwejk, nicht mit Schwejk. Im Gegensatz zu den Herausforderungen im Krieg wird die Rückkehr aus dem Krieg und dessen Folgen für das Individuum oder für die Familien- oder Dorfgemeinschaft selten in den Mittelpunkt einer filmnarrativen Auseinandersetzung im Rahmen des Untersuchungsgegenstandes gerückt, bei der die Diskursmöglichkeiten des Filmes konsequent genützt werden. Eine sowohl filmästhetische wie dramaturgische Ausnahmeerscheinung bilden zwei slowakische Filme. In dem surrealen Filmtriptychon Zbehovia a pútnici / Deserteure und Nomaden, 1968, werden die persönlichen Folgen des Krieges, die Kriegsheimkehrer zu tragen haben, variiert. Die erste Episode ist in der Zeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg angesiedelt. Bereits die erste Einstellung zeugt von der individuellen Gestaltung des Filmes. Kalman, ein junger Roma, hilft einem Sterbenden am Schlachtfeld. Als er schließlich flüchtet, schießen seine Kameraden auf ihn. Durch Umkehrung des Bildes von oben und unten weiß der Zuschauer sich an den Linien des Horizonts nicht zu ori262

Krieg, Verweigerung und Heimkehr

entieren. Dabei geht es ihm wie Kalman. Diese Desorientierung am Schlachtfeld und die folgende kopflose Flucht werden körperlich spürbar. Oben oder unten, wahr oder falsch, alle Regeln und Gesetzmäßigkeiten sind fließend. »Zuerst schlagen wir, dann weinen wir. So sind wir, die Slowaken«, ist der Off-Sprecher überzeugt, nachdem der zur Stimme gehörende Körper ein Massaker in einem Dorf angerichtet hat. Als dieser Film von Jurai Jakubisko in Cannes 1969 vorgestellt wird, werden für den Auslandsversand zum Festival zwischen die Spielszenen illegal Bilder aus dem Prag des Jahres 1968 geschnitten, um die Welt über die Ereignisse aufzuklären. Die aktuellen Kritiken scheuen sich nicht, den Regisseur Jurai Jakubisko mit Hieronymus Bosch und Federico Fellini zu vergleichen  : Der wohl eindrucksvollste Film des Tages (…). Es handelt sich um ein barockes Fresko, tragisch und burlesk gleichzeitig, bei dem der Einfluss von Federico Fellini mit jenem von Hieronymus Bosch zusammentrifft.463

Eine oft martialisch anmutende Sprache und Assoziationen zur Malerei bestimmen Ende der sechziger Jahre im Allgemeinen die Kritiken von Filmen, die ihrerseits zunehmend von militanten, gesellschaftskritischen Themen bestimmt waren. Kinoliebhaber  ! Seien Sie vorsichtig. Es kann sein, dass der Film eines Tages auf den Kinoleinwänden von Paris explodiert. Sagen Sie nicht, dass Sie nicht vorgewarnt wurden.464

Mit seiner bildmächtigen Sprache philosophiert der Regisseur über die Grausamkeiten der Welt, in der der Tod, die zentrale Person des Filmes, seine Aufgabe selbst nicht mehr erfüllen kann, da die Lebenden diese viel besser ausführen. Dieser Film wird zu einem Indiz für den neuen lebendigen Filmstil aus der Tschechoslowakei. Stil und Filmgrammatik reagieren auf das neue Verständnis des Mediums Film, das, von der italienischen und der französischen »nouvelle vague« ausgehend, die filmische Narration der Zeit prägt. Als »Neue Welle« wird das junge französische Kino ab 1959 bezeichnet, das mit Namen wie Truffaut, Godard, Malle oder Rivette verbunden ist. Einen ähnlichen ästhetisch-stilistischen Zugang zur Geschichte und zu Geschichten gewinnt Elo Havetta mit Ľalie polʼné / Feldlilien, 1972, der »Volkspoesie, Surrealismus 463 Le Monde, 23.5.1969. 464 Les Nouvelles littéraires, 16.10.1969.

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Genre des Agenten- und Kriegsfilms

und die Naive Malerei«465 verbindet. Der Filmtitel Feldlilien nimmt die Grundstimmung des Filmes auf, die die unberührte Natur und die dörfliche Ruhe mit der Rückkehr körperlich und geistig verletzter Kriegsteilnehmer kontrastiert. Die Helden des Films erinnern an die aus der Bibel, die weder säen noch ernten, aber trotzdem leben. Auch die Blumen sorgen sich nicht um ihre Kleidung, aber trotzdem sind sie angenehm anzusehen.466

Epischer und ruhiger als der zuvor genannte Film bearbeitet Elo Havetta das Thema von Kriegsheimkehrern, die ihren Platz in der Dorfgesellschaft suchen. Der Titel verweist auf eines der Grundthemen der Bergpredigt im Neuen Testament, indem er eine Analogie zwischen den »Lilien auf dem Felde« und den entwurzelten Menschen herstellt. Das Syuzhet der Autoren zeichnet sich durch einen bewussten Einsatz der Farbdramaturgie aus. Eine Kutschenfahrt durch den Wald wird zu einer aufwühlenden Rückkehr in den Kriegswahnsinn. Die komponierten Einstellungen und die auftretenden Personen erinnern an Buñuel und Dalí. Ein umherirrender, Flöte spielender Mönch – einer der versteckten Kriegsheimkehrer – lässt an L’Âge d’or denken, der ein Schlüssel zum ästhetischen Zugang von Ľalie polʼné sein kann. Mit diesem Film lernt man einen neuen interessanten tschechoslowakischen Regisseur kennen, der karnevaleske Groteske mit Tragik und bildhafte Stilisierung mit einer traditionellen Erzählung zu verbinden weiß.467

Es ist eine Geschichte über die Suche nach Heimat, Glück und die Notwendigkeit, seinen eigenen, neuen Platz in der sich verändernden Gesellschaft zu finden. Ort des Geschehens ist ein kleines Bauerndorf in der Slowakei kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Die beiden Hauptpersonen sind Veteranen des Krieges, die nach Hause kommen und versuchen, das Gefühl von Sicherheit und Liebe nach all dem gesehenen Gräuel neu zu erleben. »Wir nahmen die Gestalten aus dem Krieg. Jene, die ihre psychischen Verletzungen mit sich tragen«, sagt Elo Havetta über die Auswahl der Figuren, und ein tschechischer Kritiker erweitert diesen Gedanken nach der Ansicht des Films  : Sie sehen wie naive Attraktionen auf einem Kirtag aus. Genauso klar, einfach und direkt wirken auch ihre Gefühle  : Liebe, ihre Euphorie oder ihre Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. (…) Der Film verbindet Volkspoesie, Surrealismus und die Naive Malerei.468 465 Jaros, »Přiběh tuláků«, 8.3.1990. 466 Ebenda. 467 Jaros, 8.3.1990. 468 Mihálik, »O vojne z inej strany«, 7.10.1972.

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Einstellung zwischen den Bildern

Karneval Diese Karnevaltradition, die bei der Erstbesprechung in den Zeitungen von der Kritik als Form gebende Tendenz erkannt wird, zeichnet den Film sowohl in der Charakterisierung der Personen und in den Handlungsmotiven als auch in der Montagedramaturgie aus. Stellt für Bachtin469 im Sinne von Rabelais diese Karnevalszeit ein Leben außerhalb der Normen dar, wo die Gesetze, die Verbote und die Restriktionen aufgehoben sind, wird auch für den Regisseur und Autor Havetta eine Nachkriegszeit, in diesem Falle die nach dem Ersten Weltkrieg, zu einer Zeit des »vie à l’envers« bzw. einer »monde à l’envers«. Es ist ein Schwebezustand, in dem sich die männlichen Charaktere befinden, die durch ihren Kriegseinsatz an der Front psychisch entwurzelt wurden. Der Erzählrhythmus ist von wiederkehrenden Handlungsorten, von variierten Szenen, von Gestalten und Emotionen geprägt, die grundlos kommen und gehen. Sie fließen in der Zeit ineinander und gehen wieder in neuen Ereignissen und menschlichen Konstellationen auf. Es kommt zu freien und ungezwungenen Kontakten zwischen den Menschen, die vor allem durch die Auflösungen von Tabus  – vor allem von religiöser Bindung und von Glaubenssätzen – geprägt sind. Die genannten Charakteristika des Karnevals nach Bachtin scheinen mit den Extremsituationen dieser konkreten Nachkriegszeit  – aber vielleicht mit denen aller Nachkriegszeiten  – identisch zu sein. Wie im Karneval gibt es auch in Feldlilien Menschen, die dieses »Treiben« von Grunde ihres Herzens als profan ablehnen. Zum Beispiel kann an den namenlosen Dorfbewohner gedacht werden, der die Heimkehrer zur Arbeit auffordert. Sowohl diese Zurückkommenden wie aber auch manche der übrigen Dorfbewohner liefern sich mit diesem Ordnungshüter verbale und physische Auseinandersetzungen. Den unterhaltsam spielerischen Charakter dieser Rempeleien und Quengeleien unterstreicht eine bei diesen Sequenzen im Off einsetzende Zirkusmusik.

Einstellung zwischen den Bildern Das hier vorgelegte Fotogramm ist der Endpunkt einer Einstellung und das Ende einer nachdenklichen und überraschten Bewegung der Hand, mit der die Aufmerksamkeit auf die ankommenden Heimkehrer gelenkt wird und gleichzeitig die Gefühle der beiden Personen sinnlich nachvollziehbar werden. Im Hintergrund sitzt ein Mann im Rollstuhl, im Vordergrund steht ein glatzköpfiger Junge, deren parallele Bewegungen (Hand wird zum Mund geführt) jenseits des informativen Charakters ein Symbol für den Zustand, die Überraschung, des Dorfes wird. Mit dieser Bildfolge könnte der Autor 469 Bachtin, L’œuvre de François Rabelais et la culture populaire au Moyen Âge et sous la Renaissance, 1970 [deutsch  : Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Frankfurt am Main 1987].

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Genre des Agenten- und Kriegsfilms

die Überraschung der Dorfbewohner über die Ankömmlinge exemplarisch auf zwei Altersgruppen fokussiert kommunizieren. Zwei Bilder, die am Ende einer längeren Einstellung kurz die Gleichförmigkeit der Gesten unterstreichen. Sie erscheinen nur kurz für einen Moment und wirken in ihrer Statik im Verhältnis zur vorangegangenen Einstellung arhythmisch. Dadurch werden sie im Verhältnis zur übrigen Einstellungsfolge jedoch »auffällig«. Gleichzeitig leiten sie wie eine optische Brücke die Aufmerksamkeit auf die nachfolgende Sequenz. Die Analogie in Blick und Geste vertieft die Nähe dieser beiden Generationen zueinander. Sie besteht darin, wie man in der Folge erfährt, dass der Alte und der Junge im Dorf Zurückgebliebene sind und sich nun beide durch die Ankunft der Heimkehrer aus ihrer Geruhsamkeit aufgeschreckt wähnen. In das dörfliche Stillleben wird durch die Heimkehrer neugierige Unruhe gebracht. Die gleiche Geste zweier Generationen unterstreicht ihr Zusammengehörigkeitsgefühl, und die beiden Personen bilden das repräsentative Inventar eines Dorfes zu Kriegszeiten. Auf Grund seiner zeitlichen Marginalität innerhalb der Einstellung – sie dauert nur wenige Augenblicke –, jedoch bei gleichzeitiger Aufwertung durch den nachfolgenden Schnitt – eine filmische Interpunktion – verweist dieses Bild auf den gewollten Gestaltungswillen des Autors, auch kleine Einheiten, wie die der Synchronität der Bewegung, als tiefenstrukturelle Bedeutsamkeiten zu nützen. Die Gleichförmigkeit der Bewegung von Alt und Jung kondensiert und lenkt die Aufmerksamkeit nicht nur auf die Ankommenden, da der Blick beider nach rechts aus dem Bild hinausweist, sondern sie repräsentiert das Dorf selbst. Der Endpunkt dieser Einstellung wird zum Bindeglied zur nachfolgenden Sequenz, in der die drei Heimkehrer auf sie treffen, mit ihnen als ersten Vertretern des Dorfes Kontakt aufnehmen und mit ihnen als ersten Kontrahenten des Dorfes in einen Streit geraten. Für einen analytischen Zugang zu bewegten Bildern und Tönen, wie sie der Film als Medium nützt, ist dabei festzuhalten, dass erst durch das unterstreichende Herausstellen durch ein Fotogramm die Cineme innerhalb der Einstellung intellektuell und emotional erkennbar werden. Zwar wird die gewollt auffällige Gleichförmigkeit der Bewegung beim ersten Sehen gefühlt, nachvollziehbar und verbalisiert, kann diese Gestaltungsweise jedoch bei einem wiederholten Ansehen mit Hilfe eines Fotogramms isoliert und damit »studiert«470 werden. Aus diesen kleinen Einheiten können weitere Beschreibungsschritte abgeleitet werden, die auf der Ebene der Objekte aus altem Mann, Jungen und aus Baum und auf der 470 Barthes, 1980.

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Farben und Emotionen

Ebene der Bildgestaltung aus Schatten, aus der Farbe Grün und aus der Staffelung im Bildraum bestehen. Das einzelne Bild kann »substantiviert«471 werden, das heißt durch Subjekt und Prädikat objektivierbar beschrieben, um für die Analyse nachvollziehbar und überprüfbar für Dritte zu werden. Es wird versprachlicht, wodurch das beschrieben wird, was der Analysierende sieht, und wodurch Dritte ausgehend von dieser ersten Stufe weitere Überlegungen entwickeln, die in der weiteren Folge für andere durch nachvollziehbare Überprüfung transparent in ihrer Schlussfolgerung bleiben. Der dichte und mehrfach strukturierte Aufbau dieses Bildes, der sich durch Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund hinein in den Bildraum dynamisiert, verweist auf eine Reihe ähnlich gebauter Einstellungen. Diese grafische Bildkonstruktion und die eingeschriebene Bewegungsvariante wiederholen sich mehrmals, um durch diese Wiederholung Sinn und Bedeutung zu generieren.

Farben und Emotionen Eine zweite Sequenz unterstreicht den poetischen Zugang, der die Filmerzählung mit filmischen Mitteln als Diskurs prägt. Verstärkt durch den bewussten Einsatz der Farbdramaturgie und des Tons wird die Kutschenfahrt durch den Wald zu einer aufwühlenden Erinnerung an den Kriegswahnsinn. Die historische Einordnung, auf die sich Hegeś (der Name des Mannes mit Hut) bezieht, wird von ihm selbst angesprochen  : Since the defeat at Trnava, Rakoczy was in trouble. He called up a conference in Levice. Even the archbishop took part in it. (englischer Untertitel)

Neben den bekannten und bewährten Erzählmitteln Schwenk und Travelling für die Veränderung des Bildausschnittes innerhalb einer Einstellung kommt die Farbänderung als neues Element hinzu, das wie die vorher angesprochenen Mittel die Filmerzählung innerhalb der Einstellung ebenso betont und rhythmisiert. Gelb-, Braun- und Rottöne in Verbindung mit der naturalistischen Farbstimmung bestimmen die vorgestellte Einstellungsfolge, die in vierzehn Einstellungen eine Minute und zwölf Sekunden dauert. 471 Pasolini [1966].

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Genre des Agenten- und Kriegsfilms

Geht man nicht von der klassischen Definition einer Einstellung aus, die sie als zwischen zwei Schnitten bzw. als ununterbrochene, ungeschnittene Aufnahme sieht, entstehen innerhalb dieser durch Schnitt abgegrenzten Einheit durch Veränderung von Licht und Farbe wesentlich mehr unterschiedliche Einstellungen, die die Narrativität dieser Sequenz vergrößern und erweitert bestimmen. Mit erhobenem Zeigefinger doziert Hegeś historische Daten, um seine anklagende Anbetung der Sonne in einen geschichtlichen Rahmen zu stellen. Durch das zunehmend überstrahlende Gelb wird dieser Monolog an die Sonne, die er als Ansprechpartnerin anerkennt, sinnlich erfahrbar. Der Autor nützt die Materialität der chemischen Substanz der Filmemulsionen, um sich auszudrücken. Die drei Bilder in der Abfolge von drei Sekunden und einer durchgehenden Einstellung zeigen jene Veränderung, die das Bild innerhalb weniger Farbnuancen zu variieren weiß, und stellen die emotional nachvollziehbare Imagination des Mannes dar. Während seiner Anrufung Gottes, des Wetters im Allgemeinen und der Sonne im Besonderen scheint er an Kraft zu gewinnen, um das Licht verändern zu können. Seinem Partner am Kutschbock wird es jedoch zu viel. Er möchte viel lieber in den Alltag des Dorfes zurückkehren, als mit einem zusammengespannt zu sein, der noch immer nicht von den Kriegserlebnissen loskommt. Ein harter gegenüberstellender Schnitt lässt daran erinnern, dass zwei unterschiedliche Charaktere am Kutschbock durch den Wald jagen. Dabei wird wieder das Prinzip dieses Films erkennbar, nämlich die zunehmende Wahnvorstellung bzw. die fast völlige psychische Entäußerung mit Farbänderungen zu begleiten. Die beiden ersten Fotogramme stammen aus derselben Einstellung, deren Gesamtlänge vier Sekunden beträgt, wodurch der kurze Bildwechsel die psychische Verfasstheit spürbar vermittelt. Trotz der Entfernung ist der Blick von außen auf die Kutsche von demselben Farbeindruck geprägt und verstärkt den allgemeingültigen Charakter der Visionen. Hegeś wird zum Beherrscher von Bewegung und Farbe. Rot ist die Explosion. Rot wird seine Welt. Jeder der beiden Einstellungen, in denen der Hauptprotagonist zu sehen ist, folgt eine neue Explosion, bis schließlich der Wald zu brennen beginnt. – Zurück im Wachzustand wird die Szene in den natürlichen Farben gesehen und schließt diese Episode aus der Sicht des Dritten ab.

Emotionen in Zeitlupe Das Thema des Kriegsheimkehrers und die zeitlich-geografische Nähe verbinden den genannten slowakischen mit dem ungarischen Film Fábián Bálint találkozása Istennel / Balint Fabian begegnet Gott, 1980. In den letzten Kriegstagen im Jahr 1918 ersticht Fabián mit seinem Bajonett einen italienischen Soldaten, dessen vom Tode verzerrtes Gesicht er nie mehr vergessen kann. 268

Emotionen in Zeitlupe

Zu Hause, in einem nordungarischen Dorf, unterhält seine Frau in der Zwischenzeit ein Verhältnis mit dem katholischen Pfarrer. Als diese Beziehung den beiden Söhnen zu Ohren kommt, ertränken sie den Pfarrer. Bei seiner Heimkehr kommt Fabián eine gealterte und gebrochene Ehefrau entgegen. Doch von niemandem im Dorf erhält er Aufklärung über den tatsächlichen Grund ihres Zustandes. Die Revolution erfasst auch sein Dorf. Der Tag, an dem der Kaufladen für alle geöffnet wird und es »Mehl und alles« umsonst gibt, wird für Bálint zur ersten Prüfung in seinem neuen Leben. Bereits am Abend zuvor schaffte er den Baron und dessen Sohn aus der Gefahrenzone des Dorfes. Seine alten Werte der Treue zur Herrschaft werden durch den gesellschaftlichen Umbruch immer wieder auf die Probe gestellt. Er verrät das Versteck um keinen Preis, weil er auf Grund seiner eigenen Kriegserlebnisse kein weiteres Blutvergießen sehen möchte. Immer öfter suchen Bálint seine Kriegserinnerungen heim. Er fühlt, er müsse Gott begegnen, nur dieser könne ihm Antwort auf seine vielen Fragen geben. Es entsteht ein vielschichtiges, mit viel Gefühl von Zoltán Fábri für den inneren Rhythmus der Entwicklung Bálints ausgestattetes Porträt, das über den konkreten Fall hinaus Gefühle und Mentalitäten jener Kriegsgeneration zeigt, die auch unsere Vorfahren hätten sein können. Ich kenne nichts Bewegenderes als die Verlangsamung eines Gesichtes, in dem sich Gefühle ausdrücken. (…) Und dann, wenn sich zum Beispiel die Lippen endlich öffnen, um einen Schrei anzudeuten, dann nehmen wir auch am Ursprung dieses Schreies in seiner gesamten Länge und in seiner wunderbaren Großartigkeit teil.472

Die Möglichkeit dieses mechanisch-optischen Auges lässt die Relativität der Zeit erkennen. Es wird nachvollziehbar, dass Sekunden Stunden dauern können. Bálint vergisst die wenigen Sekunden nicht mehr, die sein Leben zukünftig beherrschen. Diese Sekunden werden in einer nervenaufreibenden Zeitlupe gezeigt, mit der Bewegungen, ein Stich, die Mimik der Angst beider Kämpfer und Gesten der Trostlosigkeit gedehnt werden, die zum Tode des italienischen Soldaten führen. Wenn Jean Epstein abschließend im zitierten Artikel schreibt  : »Ich glaube mehr und mehr daran, dass eines Tages die Kamera die menschliche Seele filmen kann«, kommt diese Bildfolge seiner Vorstellung sehr entgegen.473

472 »Je ne connais rien de plus absolument émouvant qu’au ralenti un visage se délivrant d’une expression. (…) Et quand les lèvres se séparent enfin pour indiquer le cri, nous avons assisté à toute sa longue et mag­ nifique aurore. (…)«, Epstein, »La Chute«, Paris-Midi, 11.5.1928. 473 Nicht zu Unrecht verweist Deleuze in seinen beiden Büchern zum Film und zum Kino wiederholt auf Epstein, von dem er auch manche seiner Begrifflichkeiten, zum Beispiel das »Kristallbild«, für die gegenwärtige Diskussion aktualisiert. »Epstein war vielleicht der erste, der diesen Punkt (…) theoretisch entwickelt hat.« Deleuze [1985], 1997, 55, 95.

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Genre des Agenten- und Kriegsfilms

Aus jedem Filmkorpus lassen sich grundlegende Fragen zur Film- und Kinoästhetik, deren Entwicklungen und Grenzen ableiten und herausarbeiten. Ausgehend von einer detaillierten Kenntnis, von Beobachtung und Analyse bis zur Beschreibung lassen sich Interpretationen, Hypothesen und Thesen entwickeln, die für die zukünftige Entwicklung dieser »siebten Kunst« Aussagen treffen lassen.

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Inhaltliche und formale Wende Ein neuer Blick – Parodie – Stereotypen – Horrorfilme – Revitalisierung – Disney – Neue Geschichtsbilder – Neue Welle – Film als Sprache – Prolog/ Epilog – Literatur und internationale Reputation

Zum Produktionsbeginn von Der dritte Mann erscheint Waltz Time / Hochzeitswalzer, 1946, in den englischen Kinos. Es handelt sich um eine in der Vergangenheit angesiedelte Geschichte um verbotene Liebe zwischen einer Operettenkaiserin namens Maria und einem der Offiziere ihrer Garde. Verkleidungs- und Verwechslungsszenen garantieren für sorgenfreie Unterhaltung kurz nach dem Ende des Krieges. Sind derartige Sujets in der internationalen Filmproduktion in den dreißiger Jahren willkommen, weil die Qualität der Musikwiedergabe eine technische, publikumswirksame und dramaturgische Rolle spielt und die Entwicklung des Tonfilms daran gemessen werden kann, wird die Tradierung der in der Operette vermittelten sozialen Werte des 19. Jahrhunderts im Nationalsozialismus und vereinzelt nach 1945 weitergeführt. Setzt man das Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945 als eine von der Filmgeschichte unabhängige Zäsur für die Bilderwelt über Österreich im Film an, beginnt mit The Emperor Waltz, 1948, eine neue – in diesem Falle eine ironisierende – Auseinandersetzung mit der Walzer-, Kaiser- und Heurigenseligkeit Österreichs. Grundsätzlich nimmt das Interesse der US-amerikanischen Produktion an österreichischen Sujets ab. Erzählplots über Österreich werden vermehrt von europäischen Produktionen abgedeckt.

Ein neuer Blick Wie nachhaltig sich The Third Man / Der dritte Mann, 1949, im Design und in der Inszenierung innovativ zeigt,474 klärt ein Vergleich mit der US-amerikanischen Produktion The Red Danube / Schicksal in Wien, 1949, die im gleichen Jahr Wien ebenfalls als Handlungsort eingeführt hat. Die in den bisherigen Filmproduktionen wiederholt verwendete Panoramaansicht zur Etablierung des Ereignisortes Wien wird durch einen neuen Establishingshot in Form einer Aufsicht auf eine Brücke über die Donau (die Reichsbrücke) und auf die im 474 Zur Diskussion und Wirkung des Filmes bis in die Gegenwart, s. Schwab, »Authenticity and Ethics in the Film The Third Man«, in Literature/Film Quarterly, 2001, 2–6  ; Dern, »The Revenant of Vienna  : A Critical Comparison of Carol Reed’s Film The Third Man and Bram Stoker’s Novel Dracula«, in Literature/Film Quarterly, 2005, 4–11.

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Inhaltliche und formale Wende

Volksmund »Mexikokirche« genannte Franz-vonAssisi-Kirche im Mittelgrund modifiziert. Bereits durch diese Änderung im Anfangsinsert wird der neue, andere Blick auf die Stadt evoziert, der topografisch in die Vorstädte hinausgeht und der sich in der Tiefengestaltung des Bildes grafisch ausdrückt. Dem flächigen, einem Theaterprospekt ähnlichen Anfangsinsert in The Third Man wird die durch Licht und Schatten imaginierte Bewegung und damit Raumtiefe im Anfangsinsert in The Red Danube gegenübergestellt  ; sie verweist damit auch bereits auf unterschiedliche dramaturgische Konzeptionen. Als Ikone für die meisten Filme über Wien initiiert The Third Man für nachfolgende Produktionen deren Setting, deren Design, Ausleuchtung und Menschen, die sich in geheimnisvollen Hausmeistern und xenophoben Städtern personifizieren. Zeitlich auf The Red Danube folgend, stellt er eine Modifikation bisheriger Ansichten der Stadt dar, nicht nur durch das Ins-Bild-Bringen von Kriegsschäden, sondern auch durch eine sprachlich kommentierte Beschreibung der Stadt. Im Epilog wird in einer Einstellung auf der Reichsbrücke ein Mann mit Rad gezeigt, der mit anderen Personen spricht. Dieses Bild wird von einem Off-Kommentar begleitet, der von einem Wien regierenden Schwarzmarkt spricht und der in der nächsten Einstellung – in fahlem Licht eine menschliche Leiche am Ufer – im Off die triste Situation in Wien suggeriert. Bereits diese beiden Einstellungen stellen einen semantischen Schock dar. Wien wird im Gegensatz zum bisherigen Image – fröhliches Zentrum der Musik – als europäische Großstadt gezeigt, in der offensichtlich die Nachkriegskriminalität um sich greift. Die zeitgenössische Lichtregie – neben The Third Man sind weitere Beispiele wie The Red Danube und Four in a Jeep zu nennen – ist von einer Beleuchtungstechnik geprägt, die »highlighting« genannt wird. Dabei wird auf extreme Hell-dunkel-Kontraste abgezielt, die einzelne Personen, Straßenzüge und Gebäude ausdrucksstark aus dem Dunkel heraus – im Gegenlicht – beleuchten. Auch im Schlussbild aus dem zehn Jahre später produzierten Film Foreign Intrigue / Die fünfte Kolonne wird der Hintergrund mit verdeckter Lichtquelle ausgeleuchtet, um Raumwirkung und Tiefe zu erzielen. Henri Agel, zeitgenössischer Filmjournalist, merkt dazu an, dass diese Lichtinszenierung, die von Fritz Lang für den Film verfeinert wurde, aus dem Inszenierungsrepertoire des Theaters eines Max Reinhardt stammt und im »film noir« ihre serielle Anwendung findet. In den fünfziger Jahren 272

Ein neuer Blick

scheint diese Lichtsetzung standardisiertes Beleuchtungsdesign für die Darstellung von Wien im Agentengenre zu werden. Im Zusammenhang mit einer Besprechung des Filmes fragt sich Agel,475 ob man von The Third Man, neben Filmen von René Clair, Fritz Lang und Josef von Sternberg, nicht sagen könnte, dass er eine Seele habe. Neben The Sound of Music bleibt The Third Man bis heute der Inbegriff für ein durch Film produziertes österreichisches Image, das jedoch nicht durch nationale Autoren, sondern durch eine internationale Crew konstruiert und langfristig repräsentiert wird. Der dritte Mann, der als der prägnanteste »Wiener« Film rezipiert wird und zu dessen Drehorten bis heute touristische Führungen angeboten werden, entwirft den Topos einer Stadt, die dem Regisseur Carol Reed, dem Kameramann Robert Krasker und dem Autor Graham Greene ebenso wenig vertraut war wie den Soldaten der Befreiungsarmee aus Großbritannien. Mitte der dreißiger Jahre schreibt Graham Greene in »The Spectator« Filmkritiken, unter anderem über die auch in dieser Arbeit genannten Filme A Midsummer Night’s Dream, 1935, Hotel Imperial, 1939, oder über die Beethovenverfilmung Un grand amour de Beethoven von Abel Gance.476 Spürbar dabei werden viele Vorbehalte gegenüber diesen Inszenierungsmethoden. Gleichzeitig lässt sich zwischen den Zeilen bereits ein konkretes stilistisches Wollen und eine andere, neue Vorstellung des Mediums Film ablesen. Mit diesem Blick von außen konnte sich im Laufe der Rezeptionsgeschichte umso besser und rascher aus einem Heteroimage, einem von außen gesehenen Bild, die Form eines akzeptierten Pseudo-Autoimages (»Das ist unser Wien«) bilden, mit dem sich die porträtierte Bevölkerung umso stärker identifiziert, je mehr die internationale Reputation des Filmes zunimmt. Werden die Bilder der Stadt in der ausländischen Presse schon während der Erstaufführung auf Grund ihrer Authentizität gewürdigt, lassen sich bei den ersten in Wien erschienenen Besprechungen widersprüchliche Aussagen zum Film und vor allem zu dessen Akzeptanz beim österreichischen Publikum finden. Während Bruno Frei in »Der Abend« etwa von einer »schmutzigen Verleumdung Wiens und der Wiener«477 schreibt, formuliert Hans Weigel sein Unbehagen in einem offenen Brief an Graham Greene  : (….) sollte ich die Würdelosigkeit meiner Landsleute kritisieren, die so tiefe Verbeugungen machen, wenn sie vom Ausland zur Kenntnis genommen werden, dass sie beim besten Wil-

475 »(…) il y a certains moments du Troisième Homme ou l’admirable Dame de Shangai qui nous trouble bien au-delà de l’émotion ordinaire. Est-il, pour autant, justifé de dire que ses œuvres ont que une âme.« Agel, Le Cinéma a-t-il une âme  ?, 1952, 17. 476 Taylor (Hg.), The Pleasure Dome. Graham Greene  : The Collected Film Criticism 1935–40, 1972, 230. 477 Der Abend, 10.3.1950.

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Inhaltliche und formale Wende

len nicht sehen können, in welchem Sinne man Gebrauch von ihnen macht  ? Nein, ich muss meine Landsleute entlasten, ihnen diesmal den guten, den besten Glauben zubilligen. Immer hieß beim »Dritten Mann« der erste Mann Graham Greene und der zweite Mann Carol Reed.478

Parodie Mit der differenzierten und humorvollen Kritik am Leben rund um den Hof von Kaiser Franz Joseph entsteht bei Billy Wilder, Emigrant wie Erich von Stroheim, ein weiteres Bild von Österreich, das von den bisher vorwiegend tradierten Eindrücken und Meinungen abweicht und jene vor allem durch Operettenverfilmungen bekannten Bilder aufzulösen beginnt. In The Emperor Waltz trifft Virgil Smith, ein amerikanischer Vertreter der neuen Erfindung des Fonografen, auf zwar technisch rückständige, aber tanzfreudige »Ureinwohner«, für die die neue Erfindung der Tonaufzeichnung eine große Bereicherung darstellen wird. Die Lieder »The Emperor Waltz«, »I Kiss Your Hand, Madame« und »Get Yourself a Phonograph« öffnen Virgil Smith zusammen mit seinem Charme und seinem begleitenden Hund das Herz des Kaiserhofs. Zwar erinnert sich Wilder nur ungern an diesen Film,479 doch stellt diese Erzählung aus den letzten Jahren der Monarchie trotzdem eine wichtige Etappe für das mögliche Selbstbild Österreichs und dessen Umgang mit der monarchistischen Vergangenheit dar. Nicht die Verklärung der »guten alten Zeit« wird aufgegriffen, sondern die Überlebtheit einer Staatsform wird in humorvoller und gut beobachteter Weise in einer filmischen Sprache erzählt, die nicht zuletzt von gut gewählten Metaphern und Stereotypen lebt. Die Bewerbung der Paramount Pictures in Paris während der Uraufführung 1949 besteht vor allem aus sechs unterschiedlichen Fotomotiven, die folgende Bildunterschriften hatten  : Eine glänzende und lebendige Erinnerung an das sorgenfreie Wien des Jahres 1900 – Eine überzeugende Vorführung von Bing – Großer Ball in Schönbrunn – Kaiserliche Audienz für einen Pudel – Ein Tiroler Dorf voller Leben – Crosby entdeckt auf seine Art das Echo der Berge480

478 Welt am Sonntag, 20.3.1959. 479 Karasek, Billy Wilder. Eine Nahaufnahme, 1992, 337. 480 Werbematerialien der Paramount Pictures, Le Film Français, 1949, 23.

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Revitalisierung

Stereotypen Unterstreichen einerseits die Werbebildunterschriften, deren Stereotypenausbildung in den zwanziger Jahren liegt, die zum Klischee erstarrten Vorstellungen der veröffentlichten Meinung (zumindest jene der Werbemanager), bezeugen sie gleichzeitig den ethnografisch-liebevollen Blick Billy Wilders auf Moralvorstellungen und Eigenheiten seiner Heimat. Die Mischung aus Komödie, Musik und Glanz vergangener Zeiten wird zu einem großen Kassenerfolg der Kinosaison 1949/50. Während das Stereotyp dynamische Eigenschaften besitzt, indem es andere Bedeutungen und Verhaltensweisen freisetzen kann, gerinnt ein Klischee zu einem Gemeinplatz, der weiterführende Gedanken verhindert. Im untersuchten Filmkorpus kann The Merry Widow, 1925, als Beispiel dafür genannt werden, wie mit Stereotypen jongliert wird, ohne dabei jedoch in Klischees zu verfallen.481

Horrorfilme Eine weitere Variante einer kreativen Auflösung bekannter Stereotypen über Wien bzw. über Österreich stellt das Genre der Horrorfilme dar, die ihren authentischen und realistischen Charakter mit dem Verweis auf die Wiener Medizinische Schule unterstreichen. Youth for Sale, 1924, ist das erste Beispiel einer Serie von Genrefilmen, in deren Mittelpunkt – direkt oder indirekt – die Wiener Medizinische Schule steht. Verjüngungskuren, Aufarbeitung des Sexuallebens und schwierige Operationen werden in Wien ausgebildeten Medizinern zwar zugestanden, aber gleichzeitig wird ihnen unterstellt, diese Fähigkeiten in verbrecherischer Absicht zu nützen. In Doctor Blood’s Coffin, 1961, dessen Reverenz für das Menschenbild im Nationalsozialismus als Grundlage für den Horror nicht übersehen werden kann, entnimmt ein walisischer Medizinstudent, der an der Universität in Wien studierte, aus einem für ihn »unwerten« Leben das Herz, um es in einen toten Körper zu implantieren und diesen Menschen ins Leben zurückkehren zu lassen. Ein weiterer Medizinstudent, der in Österreich studierte, gerät gemeinsam mit seiner Freundin in Re-Animator, 1985, in bizarre Abenteuer und setzt damit die Reihe dieses Genres fort.

Revitalisierung Über das Remake von The Merry Widow, 1952, schreibt der Filmexperte der »Los Angeles Times« im Vorbericht zur Filmproduktion  : »Merry widows to waltz again.« Diese 481 Amossy, Herschberg-Pierrot, Stéréotypes et clichés, 1997.

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Inhaltliche und formale Wende

Verfilmung reiht sich trotz der neuen Farbtechnik in die zahlreichen Beispiele ähnlicher Operettenadaptionen ein, die damals gegenüber dem aufkommenden Musicalgenre bereits als veraltet angesehen werden. Stroheims Verfilmung aus dem Jahre 1925, die durch Ironie und Sarkasmus den sozialen Inhalt zu modifizieren weiß und dadurch dem Operettengenre neue Impulse hinzufügt, bleibt eine innovative Vorläuferin späterer Remakes, obwohl sie bereits in der Stummfilmzeit gemacht worden ist. Die Verfilmung von The Merry Widow zu Beginn der fünfziger Jahre kann in der theoretischen Diskussion zu einer näheren Bestimmung des Begriffes »Remake« herangezogen werden, indem vorangegangene Arbeiten wie die von Stroheim und Lubitsch, die während ihrer Produktionszeit als Höhepunkte der Adaptionsarbeit angesehen werden, komparatistisch untersucht werden könnten. Mit diesem Film kommt es zu einer Revitalisierung des Bildes von einem vorrepublikanischen Österreich, das von der Musik der Operette erfolgreich profiliert wird, wodurch in weiterer Folge Großproduktionen wie Oh…Rosalinda  !  !, 1955, und The Sound of Music, 1965, auf diese ökonomisch verwertbaren und ästhetischen Erfahrungswerte aufbauen können.

Disney An Waltzes from Vienna, 1934, und an Waltz Time, 1946, erinnert sich noch ein Publikum, das sich auch mit Tanz- und Operettenfilmen erfolgreich von den Kriegsgräueln ablenken konnte. Fast zwanzig Jahre später erlebt Österreich als Musikland mit The Sound of Music, 1965, eine Renaissance. Dieser Film des Disney-Studios wird zu einem internationalen Exportschlager, der auf bekannte Bilder aus der Operettentradition zurückgreifen kann. Mit der europäischen Disney-Produktion Almost Angels, 1962, rückt wieder ein strahlendes Wien, die Donau und die Musikschule der Sängerknaben in den Mittelpunkt. Auch A Breath of Scandal, 1960, nach Ferenc Molnár von Michael Curtiz, mit Sophia Loren und Maurice Chevalier ist im Jahre 1907 angesiedelt. Robert Stolz’ Komposition »A Breath of Scandal« und Sepp Fellner, Karl Schneider und Patrick Michael mit »A Smile in Vienna« rufen die Vergangenheit von Wien auf. Obwohl es eine Wiederverfilmung des Stückes ist – die erste Verfilmung 1929 heißt His Glorious Night, Lionel Barrymore –, besitzt diese Arbeit von Michael Curtiz weder in der Motivfindung noch im Aufbau der Erzählung Gemeinsamkeiten mit dem Original. Die amerikanische Dynamik, deren symbolischer bildlicher Ausdruck das Auto von Charlie wird, und die Gegenüberstellung der moralischen Kodizes der USA und der Habsburgermonarchie erinnern eher an Billy Wilders The Emperor Waltz, ohne jedoch dessen Sarkasmus und Ironie zu erreichen. Als »friendly« und »nice« wurde 1960 die erste, noch deutschsprachige Adaption der Geschichte von der Trapp-Familie, Die Trapp-Familie / The Trapp Family, 1956, in der Regie von Wolfgang Liebeneiner bewertet. Die »New York Times« 276

Disney

ist noch davon entfernt, in dieser Geschichte den »Kassenschlager« der späteren Jahre zu entdecken. Jedoch ist im Ansatz damit jene Filmidee geboren, die auch Kinder fasziniert und somit zu einer der ersten als Familienfilme konzipierten Produktionen wird. Diese deutsche Produktion, als Importfilm in den USA im September 1961 aufgeführt, wird zum Ausgangspunkt für eine weitere, in großen Teilen amerikanisierte Fassung, die 1965 die Leinwände der amerikanischen und europäischen Kinos erobern wird. Um sich ihrer Berufung als Nonne zu versichern, wird Maria auf Probe zu den sieben Kindern des Witwers Baron von Trapp geschickt. Nach einem glimpflich verlaufenen Unfall der Kinder entlässt der Baron Maria. Als er jedoch erkennt, wie sehr die Kinder Maria lieben, holt er sie zurück. Mit Hilfe der Kinder kommen sich die beiden Erwachsenen näher. Während ihrer Hochzeitsreise annektieren die Nazis Österreich. Max, ein Freund des Barons, nimmt die Kinder für einen Auftritt als Singgruppe zu den Salzburger Festspielen mit. Der Baron verbietet jedoch den Kindern den Auftritt, und die Familie flieht aus Österreich. Über dieses amerikanisierte Bild von Österreich – in der französischen Presse wird es »autrichiennerie« genannt – schreibt Robert Wise in einem französischen Artikel  : Es spielt natürlich in einem guten Österreich, von wo nicht der Krieg von 14 und Hitler ausgingen. Es ist das Land der Musik und der guten Gefühle, und wenn wir im Hintergrund die Koteletten Franz Josephs nicht sehen, dann nur deshalb, weil wir am Vortag des Anschlusses sind.482

Ein über das Bild geblendeter Text klärt über den Ort und die Zeit der Erzählung auf  : »Salzburg, Austria, in the last Golden Days of the Thirties.« Neben den Stars Julie Andrews und Christopher Plummer tragen das neue Stereotonverfahren und das Breitwandverfahren Todd-AO zum Erfolg des Filmes bei. In einem Interview unterstrich Robert Wise die Bedeutung der Tontechnik  : Auf den Ton achteten wir besonders. Ich besuchte alle Säle, in denen der Film spielte. Man muss darauf achten, dass der Zuschauer 100% seines Eintritts auch in der Qualität der Projektion zurückerhält.483

Bis zu Grease im Jahre 1978 bleibt The Sound of Music das erfolgreichste Musical in der Geschichte des Filmes, das auch Gone with the Wind / Vom Winde verweht in den Einspielergebnissen überholen kann. Selbst noch vierzig Jahre nach der Premiere des 482 Wise, Robert, »La Mélodie du bonheur« in Les Nouvelles littéraires, 27.2.1965. 483 »Le son surtout a été l’objet de mes plus grands soins. Je tiens même à voir les salles de projection où il passera en France. Il faut que le spectateur soit remboursé à 100% de l’argent qu’il donnera à la caisse.« Les Nouvelles littéraires, 17.5.1968.

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Inhaltliche und formale Wende

Filmes wird eine »Sound of Music Tour« angeboten  : »Follow Maria’s Footsteps – at a reduced price  !«, heißt es im Prospekt der Salzburger Sightseeing Tours. Auf Grund des veränderten Erzählplots kann zwar nicht mehr von einem Remake die Rede sein, aber The Sound of Music stellt jenen Filmmusical-Höhepunkt dar, der die Musik und die österreichische Landschaft eher als Mirage denn als Image in farbigen Bildern bisher am besten, das heißt am massenwirksamsten, zu transportieren weiß. Die Handlung ist »lebhaft« im Gegensatz zu »jenen sirupüberzogenen Trapp-FamilieFilmen aus Übersee (…).«484 In dieser Kritik schwingt wieder jene dramaturgische Abgrenzung von der europäischen Art, Filme zu machen, mit, die sich in einem Vergleich der europäischen TrappFilme und der kurz nach dieser Kritik beginnenden Produktion von The Sound of Music ablesen lässt. Zwar wird The Sound of Music oft als erfolgreicher Botschafter Österreichs zitiert, doch ist diese Produktion in Österreich nur wenig bekannt. Das Lied »Edelweiß« aus dem Film wird zur Ouvertüre für die Flucht aus dem im März 1938 besetzten Österreich. Ein Bekannter der Familie, Rolf, entdeckt die Trapp-Familie versteckt am Friedhof und ruft seine SS-Freunde. Mit Hilfe von Klosterschwestern kann die Familie entkommen. Über die Berge geht es in die Freiheit. Trapps Weltsicht steht in der Tradition des katholischen Adels, der für die Heimat Österreich vor 1938 eingetreten ist. In zünftiger Wanderkleidung überqueren die Flüchtenden den Bergkamm, um in die Freiheit zu blicken. Fünf Jahre vor der in The Sound of Music erzählten Zeit wird der Blick von Flüchtenden in The Mortal Storm, 1940, nach Österreich gerichtet. Gleichzeitig zeugen sie davon, wie sich das Land als Fluchtraum in kurzer Zeit verändern kann. Diese beiden dem zeitgenössischen Publikum bekannten Filmerzählungen, deren jeweilige Schlusseinstellung in eine neue andere Welt, in die der Freiheit, führt, mögen inhaltlich emblematisch für die Suche nach dem sich rasch veränderten Bild Österreichs stehen. Im gleichen Jahr wie The Sound of Music erscheint auf den Kinoleinwänden der USA und anderer Länder Miracle of the White Stallions / Flucht der weißen Hengste. Eine derartige Produktion aus Hollywood kann ebenfalls auf eine weltweite Vermarktungsstrategie vertrauen. Nicht mehr den Topos Altösterreich, der durch Musik und Tanz, Mädchen, Offiziere und Adel genregemäß repräsentiert wird, sieht diese Disney-Produktion als vermarktungswürdig an, sondern ein Österreichbild des 20. Jahrhunderts wird neu eingeführt. Zwei aktuelle Markenzeichen  – Sängerknaben und Lippizaner  – werden durch diese beiden Filmerzählungen weltweit popularisiert. Durch die beiden genannten Filme kommt es Mitte der sechziger Jahre zu einem konzentrierten Produktionsaufkommen über Österreich, das mit Florian, 1940, bereits thematisch seinen Vorläufer hat. Mit den neuen Techniken Farbe und Tonsysteme generieren die beiden jedoch internationale Reputation für die österreichische Kultur, wie sie gerne verstanden werden 484 The New York Times, 1.11.1962.

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Neue Geschichtsbilder

will. In beiden Filmen aus der Disney-Produktion wird der österreichische Umgang mit der Kriegsvergangenheit in einer für ein Massenpublikum kompatiblen Weise thematisiert. Wird in The Sound of Music das »Edelweißlied« zu einer Widerstandsgeste gegen die Nazis stilisiert, evakuiert Colonel Alois Podhajky (Robert Taylor) selbstlos zuerst die Pferde der Spanischen Hofreitschule während des Bombenangriffs auf Wien, obwohl zur gleichen Zeit eine Anzahl von hungrigen und verängstigten Flüchtlingen zurückbleibt. Ein Gegenspieler, Curd Jürgens, ist in diesem Falle ein guter Nazioffizier, der seine Bemühungen mit allen Kräften unterstützt.

Neue Geschichtsbilder Aus heutiger Sicht übernimmt zu Beginn der fünfziger Jahre das osteuropäische Filmschaffen die infrage kommende thematische Produktion und entwirft ein Geschichtsbild der österreichischen Vergangenheit, das die im Westen tradierte Sichtweise modifiziert. Das Interesse an der Habsburgermonarchie wird zu einer Suche nach der eigenen Identität, wird zu einer Parabel für die zeitgenössische politische Situation in den Ostblockstaaten und lässt Filme entstehen, die in Form von Festivalerfolgen weit über das lokale Publikumsinteresse auszustrahlen beginnen. Die Lebenssituation in der österreichisch-ungarischen Monarchie wird zu Beginn der fünfziger Jahre in einigen Produktionen des entstandenen »Ostblocks« erneut aus der Sicht der nichtdeutschsprachigen Völker, Tschechen und Ungarn, wie schon früher mit Nocní motýl, 1941, Tavaszi zápor, 1932, oder mit Jeden z 36, 1925, thematisiert. Die Filme der fünfziger Jahre sind im ländlichen und kleinstädtischen Mikrokosmos in Form von Dorfgeschichten angesiedelt. Nejlepsi clovek / Der beste Mensch, 1954, oder Geschichten des Satirikers Jaroslav Hašek, Haškovy povídky ze starého mocnářství / Die gute alte Zeit, 1954, können dafür beispielhaft genannt werden. Die Lust an der satirischen Auseinandersetzung mit der Zeit der Monarchie schlägt sich in der zeitnahen wiederholten Verfilmung der Abenteuer Schwejks durch Jiří Trnka, 1955, und Karel Steklý, 1957, nieder. Gesellschaftliche Parabeln findet man in der in das Jahr 1848 in Prag eingebetteten Geschichte in Revoluční rok 1848 / Frühlingsstürme, 1949, in der sich Prager Studenten gegen die Monarchie verschwören, oder angesiedelt in der Zeit des Preußisch-Österreichischen Krieges in Zatraceni / Die verlorenen Kinder, 1958, die deren prekäre Lebenssituation nachzeichnet. Diese an der österreichischen Geschichte orientierten Stoffe werden auf internationalen Festivals gezeigt. Es kommt zu prestigefördernden Vorstellungen wie von Szegénylegények / Die Hoffnungslosen, 1966, in Cannes, die für Miklós Jancsó sechs Jahre später, 1972, bei demselben Festival zum »Prix de la mise en scène« für Még kér a nép / Roter Psalm, 1972, und 1979 zur Auszeichnung seines Gesamtwerkes führen. Neben den vordergründig politisch motivierten Implikationen in der Interpretation des historischen Geschehens profiliert sich jedoch ein Bild der sozialen Situation je279

Inhaltliche und formale Wende

ner Epoche, das der historischen Realität eher entspricht als die Walzerseligkeit der deutschsprachigen Filme, glaubt man den bisherigen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen485 oder der nichtdeutschsprachigen Literatur.486 Zu den bedeutenden Filmereignissen gehört der 1947 gedrehte Film Siréna / Die Si­ rene, der bei den Filmfestspielen in Venedig den »Goldenen Löwen« erhielt. Eine Familie zerbricht auf Grund von Vergeltungsmaßnahmen nach einem Streik im Jahre 1899 in Kladno, einem böhmischen Dorf. Vater Hudec ist Alkoholiker und wird mit seinem Sohn verhaftet, da beide am Streik beteiligt waren. Die Tochter wandert nach Amerika aus. Einsam im Dorf zurückgeblieben, schreit die Mutter zur täglich wiederkehrenden Sirene der Fabrik hinauf  : »Du kannst alles schlucken, aber du wirst nicht stärker sein als wir  !« Die Verbindung von sozialem Pathos und der akribisch dokumentarischen Schilderung des Alltagslebens mit Hilfe der Poesie der damaligen tschechischen Künstleravantgarde, die sich an der Herstellung des Filmes auf verschiedenen Schaffensebenen beteiligt, zeichnet diesen Film nach dem Roman von Marie Majerová aus. Die kulturelle Aufbruchstimmung jener Jahre unterstreicht die Mitarbeit von Vertretern der Filmund Theateravantgarde der Zwischenkriegszeit, wie E.F. Burian, dessen Filmmusik in Venedig ebenso wie die Arbeit des Kameramannes Jaroslav Tuzar prämiert wird, der in satten Schwarzweißtönen die Zuspitzung des sozialen Konflikts innerhalb des Dorfes zeichnet. Sein erster Film – er wirkt bis 1945 bei siebenundzwanzig Filmen mit – Radioamatéri, 1927, mit dem sich eine Studentengruppe dem neuen Medium nähert, gehört zur vergessenen tschechischen Avantgarde. Auch in Siréna versucht Tuzar in der filmischen Umsetzung neue Wege zu gehen. Seine optische Annäherung an den italienischen Neorealismus, zum Beispiel in der Szene, in der die Mutter den Tod ihres Kindes beklagt, ist unverkennbar. Es werden aber gleichzeitig eigenständige, von der tschechischen Bild- und Literaturtradition geprägte gültige Metaphern für die geschilderten Ereignisse gefunden. Die Geschichte ist im 19. Jahrhundert angesiedelt, ohne dass sich der zeitliche Erzählraum exakter verorten lässt. Eine profilierte Schauspielerin des tschechoslowakischen Kinos der Zeit, Jana Brejchova, spielt in Luk královny Dorotky / Drei schwache Stunden, 1971, drei unterschiedliche Frauencharaktere. Formal in unterschiedlichen Genres gestaltet und in wechselnden Milieus angesiedelt, entsteht eine humorvolle und erotische Leichtigkeit, die schließlich zu einem Ausbruch der jeweiligen Frauen aus ihrer sozialen Umgebung führt. In die gemeinsame Geschichte der Monarchie geht auch der ungarische Film Szirmok, virágok, koszorúk / Flowers of Reverie, 1984, zurück. 1849 wurde die ungarische Revolu485 Leidinger, Moritz, Schippler, Das Schwarzbuch der Habsburger  : Die unrühmliche Geschichte eines Herrschergeschlechtes, 2003. 486 Magris, Der habsburgische Mythos in der modernen österreichischen Literatur, 2000.

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Film als Sprache

tion von der russischen Armee niedergeschlagen. Ferenc Majláth kann sich zwischen Gefängnis und österreichischer Armee entscheiden. Der Film besitzt in seinen satirischen Momenten Ähnlichkeiten mit den US-Produktionen MASH und Catch-22, die fünfzehn Jahre zuvor das Subgenre des komödiantischen Kriegsfilms als Narrativ entdecken.

Neue Welle Unter dem Einfluss von Arbeiten Michelangelo Antonionis und der »nouvelle vague«, an die die Filme des ungarischen Regisseurs Miklós Jancsó durch ihre formale Innovation in Abgrenzung zum klassischen nationalen (ungarischen) Film erinnern können, kommt es in den sechziger Jahren zu formal-inhaltlich und interpretatorisch innovativen Produktionen, die dadurch das medial vermittelte Bild Österreichs grundlegend modifizieren. Assoziationsmontagen, Zeitdilatationen und die Umwertung von Zufall und Schicksal bei geschichtlichen Ereignissen in Verbindung mit der subjektiven Erfahrung gestalten zum Beispiel Kocár do Vídne / Wagen nach Wien, 1966. Ebenso kann eine Adaption des Schriftstellers Bruno Schulz, der durch seinen Metaphern- und Assoziationsreichtum bekannt ist, die Bild- und Tonsprache – wie im Film Sanatorium pod Klepsydrą / Das Sanatorium zur Todesanzeige, 1973, die neue filmsprachliche Formenvielfalt – anreichern. Eine zentrale Rolle in der Neudefinition von Geschichtsschreibung und ästhetisch-narrativer Umsetzung spielen Szegénylegények / Die Hoff­ nungslosen, 1966, Vizi privati, pubbliche virtù / Die große Orgie, 1976, aber vor allem das episodenhafte Kriegsheimkehrerdrama L’alie pol’né / Feldlilien, 1972, das eine die klassische Narrativität aufbrechende Ästhetik surrealer Farbspiele ebenso wie die die zeitgenössische Moral überschreitenden Verhaltensweisen von Krieg entwurzelter Existenzen in filmischen Fragmenten vorführt. Bereits in Zbehovia a pútnici / Deser­ teure und Nomaden, 1968, findet diese Gestaltungsweise, die zu neuen filmsprachlichen Ergebnissen führt, ihren ersten Höhepunkt. Eine neue große Erzählung belebt das Österreichbild, in der persönliche Schicksale in ihrer Vielfalt, wie in Az én XX. századom / Mein 20. Jahrhundert, 1989, und in ihrer ökonomischen Abhängigkeit wie in Let mrtve ptice / Der Flug des toten Vogels, 1973, gedacht werden.

Film als Sprache Die filmwissenschaftliche These, Film sei eine Sprache,487 wird in den nachfolgenden Beispielen genützt und entwickelt. Die paradigmatisch gewählten Filme decken histo487 Siehe dazu Kuleschow, Eisenstein, Martin, Metz, Pasolini etc.

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Inhaltliche und formale Wende

rische Ereignisse ab, die die deutschsprachige Filmproduktion und Geschichtsschreibung, im Gegensatz zur Literatur, bisher zu wenig gewürdigt hat. Ein rigider autoritätsbetonter Schulalltag, das Bordell als Spiegel der untergehenden Monarchie wie in Franz Werfels Novelle »Das Trauerhaus«, Sittenbilder in Kleinstädten der Monarchie, aber auch neue Themen, die ebenfalls in der Provinz, an der Peripherie der Weltgeschichte, in »Halb-Asien«488 angesiedelt sind, werden entdeckt und in ihrer vielfältigen emotionalen Dimension mittels der Filmerzählung rekonstruiert. Zwar sind die deutschsprachige Literatur und die deutschsprachigen Filme zum Thema bekannt, doch vergessen beide oft, dass die Untertanen des gleichen Herrscherhauses völlig anderen Erfahrungen mit geschichtlichen Ereignissen ausgeliefert sind, als es aus Geschichtsbüchern abzulesen ist. Aus diesem Defizit heraus ist es interessant, diese osteuropäischen Filmerzählungen kennenzulernen und sie in ihrer Genrevielfalt, in ihren Stilvarianten und ihrer nationalen kulturellen Ausprägung und gesellschaftlichen Sichtweise wertschätzen zu können. Kommen der tschechische und ungarische nationale Widerstand in den westeuropäischen Mayerlingfilmen als Prolog (wie in De Mayerling à Sarajevo, 1940) bzw. als einzelne Episode (wie in Mayerling, 1968) anekdotisch vor, werden die nationale Frage und deren Auswirkungen auf das zeitgenössische Alltagsleben in den Filmen der osteuropäischen Länder, die Teil der Habsburgerherrschaft gewesen sind, als zentrales Sujet variantenreich behandelt. Einer dieser Film ist Szegénylegények / Die Hoffnungslosen, 1966. Auf der Suche nach den letzten noch nicht gefangenen Aufständischen der Jahre 1848/49 kommt es zu einer filmisch dargestellten »Geometrie der Gewalt«, einem Reigen aus Angst, Verrat und Verzweiflung auf Seiten der Gesuchten, indem die Vertreter der staatlichen Macht sich in der psychologischen Kriegsführung gegenüber den internierten Aufständischen übertreffen wollen. Auf einem Landgut in der Puszta wird eine Gruppe von Bauern zusammengetrieben, die verdächtigt werden, gemeinsam mit dem Anführer Sándor Rósza im Ungarischen Unabhängigkeitskrieg 1848 gekämpft zu haben. Sie werden unter ständiger Beobachtung und Befragung durch die österreichfreundlichen Autoritäten gehalten, die sich bemühen, nicht durch körperliche Gewalt, sondern durch die Zerstörung der Solidarität und des Vertrauens untereinander die Anführer zu finden. Die Mitglieder der Sándorgruppe werden schließlich mit falschen Versprechungen überrumpelt und in ihrem Zusammenhalt gespalten, wodurch ihr Schicksal besiegelt wird. Ich arbeite an der Entrümpelung, der Vereinfachung, der Entdramatisierung … In Sze­ génylegények war meine Kamera kalt und trocken, im Grunde genommen mit nur einer Bewegung, nämlich der nach vorne. Ich beabsichtige nicht, abstrakt zu sein. Ich mag ganz 488 Franzos, Aus Halb-Asien. Kulturbilder aus Galizien, Südrußland, der Bukowina und Rumänien, 1876.

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Film als Sprache

einfach keine nutzlosen Details und damit verwässerte Thematik. Ein Film kann keine Abstraktion sein.489

Choreographierte Szenen, die durch eine bewegliche Kamera umkreisend beschrieben werden, sieht Jancsó als Loslösung von subjektbezogenen Geschichtserzählungen an, mit dem Ziel, die handelnden Menschen zu Objekten der Geschichte zu machen, ohne ihr individuelles Leid zu vergessen. Ich weiß nicht, ob Miklós Jancsó bei der Herstellung des Films Dantes Inferno gegenwärtig war. Ich erinnere mich daran bei zahlreichen Passagen dieses gewaltigen und großartigen Films. Von einem gewissen Augenblick an versinke ich in eine ganz besondere Stimmung, die gleichzeitig real und irreal ist, in der das Leiden der Hauptdarsteller ein Leiden ist, das zwar von der Kamera objektiv behandelt wird, das aber jede intimste Faser des Zuschauers bewegt.490

Das für Szegénylegények als »Kristallisationseinstellung« gewählte Bild zeigt einen Mann mit schwarzem Umhang und eine schwarz gekleidete Frau. Die gegenläufigen Bewegungen werden durch die in unterschiedliche Richtungen wehenden Umhänge klar hervorgehoben. Die großen weißen und schwarzen Flächen bestimmen den Film ebenso wie das Aneinander vorbeigehen. Laut Pasolini, wie bereits betont, sind diese kleinsten Einheiten – Farbe, Bewegung und Objekte, diese Cineme innerhalb der Einstellung des Filmes – analog zum linguistischen Morphem zu sehen, das als die kleinste bedeutungstragende Einheit einer Sprache (langue) bezeichnet wird. Als Cineme lassen sich feststellen  : der schwarze Umhang des Mannes, das schwarze Kleid und Kopftuch der Frau, die ihren Umhang festhält und nach rechts ins »horschamp« eilt. Im Kontrast dazu stehen die weiße Hauswand und links davon der Ausblick auf eine flache Ebene. Das Bild wird durch zwei unterschiedliche schwarze Farben aufgefüllt. Schwarz ist eine Farbe, die auf Grund des kulturellen Umfeldes – Mitte des 19. Jahrhunderts im ländlichen Ungarn – Trauer ausdrückt. In Verbindung mit seiner Körpersprache, der abwartenden Haltung, wird das Schwarz des Mannes im Gegensatz dazu zu einer Macht und Furcht einflößenden Farbe. Beeinflusst von der Choreografie eines Elemér Muharay, bei dem Jancsó gearbeitet hat, füllt sich die Leere des Bildes durch die »Eroberung des Raumes« durch die Wün489 Verband der deutschen Filmclubs, Ungarische Spielfilme. Eine Dokumentation, Essen, 1968, 76. 490 Ebenda, 74.

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Inhaltliche und formale Wende

sche und Hoffnungen der Menschen. Dabei sei nicht an die langen Einstellungen der Reiter, die immer größer und Furcht einflößender auf die Kamera zukommen, nicht an die spektakuläre Einstellung gedacht, in der von einem am Rande des Bildes auftauchenden Gewehr der vorerst in die Freiheit entlassene Student rücklings erschossen wird, sondern an die den Raum teilende Menschenmasse, die in »Reih und Glied« die Leinwand in geometrische Formen strukturiert. Sowohl die Vertreter der Staatsmacht als auch die Gefangenen werden zu schwarzen Punkten in der Landschaft, ohne Lebenslauf und Namen. Die traditionelle Montage verweigernd, erinnert Jancsó in den Plansequenzen an Marcel Martins »virtuelle Montage«, die durch das Spiel der Bewegungen der Kamera, der Kadrierungen und der Umgruppierungen der Personen definiert wird.491

In Szegénylegények lässt sich jene filmkünstlerische Gestaltungsweise Jancsós, die mit geometrischen Formen im Raum und mit der Dauer der Einstellungen in der Zeit der Erzählung arbeitet, als typisch für dessen Frühwerk und für eine neue Methode zur Interpretation geschichtlicher Ereignisse erkennen. In Vizi privati, pubbliche virtù / Die große Orgie, 1976, ist dagegen ein formaler Paradigmenwechsel in seiner historiografischen Filmarbeit festzustellen. Im erstgenannten Beispiel werden Gewalt gegen Menschen, Macht und Verrat als zynische Mechanismen einer entindividualisierten Staatsmacht in formal abstrakter, rhythmisierender Form der Bewegung und durch choreographierte Nutzung der Bildtiefe und des weiten Raumes der Puszta in filmformalen Lösungen sinnlich ausgedrückt. Im zweiten Beispiel findet der Regisseur das Mayerling-Motiv in einer VaterSohn-Beziehung wieder, die durch Sexualität als Triebkraft des Menschen dynamisiert und individualisiert wird. Beiden Filmen ist die persönliche Handschrift des Autors anzumerken. Während die Prologe jeweils stilisierte Kristallisationsbilder sind, die den Gestus der Filmerzählung vorgeben, kommt es im Epilog zu einer Rückführung in die historische Gegenwart, sei es durch die Verlesung des Urteils, sei es durch den Balgenfotoapparat. Auch wenn die beiden mit unterschiedlichen Mitteln arbeiten, ist ihnen die filmische Strategie der Andeutung und des Wechsels zwischen den unterschiedlichen Erzählzeiten gleich.

491 »Refusant le montage traditionell, Jancsó fait appel, dans le cadre du plan-séquence, à ce que Marcel Martin appelle un ›montage virtuel‹ definit par le jeu des mouvements de caméra, des cadrages et des déplacements des personnages.« Estéve, »L’espace, le mouvement, le cercle«, 1975, 78.

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Prolog/Epilog

Prolog/Epilog In beiden Fällen kommt es im Prolog zu einer Einführung in die erzählte Zeit und in dessen rhythmische Grundtendenz, die durch scheinbare Zeitlosigkeit geprägt wird. In beiden Epilogen wird die chronologische Zeit wieder aufgenommen, indem das Urteil das konkrete Datum nennt bzw. im zweiten Beispiel der Fotoapparat auf die faktische Zeit des Ereignisses verweist. In beiden Produktionen erhalten die Opfer ihre Öffentlichkeit und somit ihre Historizität zurück. Die Anmoderierung in Szegénylegények in Form von grafischen Standbildern und die Verlesung des Todesurteils im Epilog versetzen den Zuschauer in die Illusion des sich Erinnerns, um aus dem emotionalen Dämmerzustand, der durch den Rhythmus der Bilderabfolge generiert wird, in die filmische Gegenwart zu gleiten bzw. im zweiten Beispiel diese zu verlassen. Deshalb überschreiten diese beiden Filme aus Jancsós Schaffen auch den Formenkanon des historischen Genres, da sie im Bewusstsein des Rezipienten zu archetypischen, zeitunabhängigen Modellen der Wirkungsweise von Macht, Gewalt und Abhängigkeit werden können, ohne das historische Grundmaterial verleugnen zu müssen. Unabhängig von der formalen Gestaltungsweise steht Jancsó auch inhaltlich für einen neuen Zugang zur filmischen Geschichtsschreibung, die nationale Mythen für die eigene Identität des Landes filmisch neu formuliert. Eine ähnliche differenzierte filmdramaturgische Auseinandersetzung mit jüngeren Geschichtsereignissen lässt sich auch bei anderen ungarischen Filmautoren bemerken, die Aussagen zur gemeinsamen österreichisch-ungarischen Geschichte treffen möchten. In einer zeitlich synchronen Betrachtung fällt dabei der ebenfalls aus Ungarn stammende Film A Köszivoü ember fiai / Männer und Flaggen, 1965, auf, der Entwicklungen in der Adelsfamilie Baradlay Mitte des 19. Jahrhunderts beschreibt. Die unmittelbare Nähe zur Romanvorlage von Mór Jókai beeinträchtigt den Regisseur Zoltán Várkonyi in seinem Bemühen, eine filmische eigenständige Sprache zu finden. Er bleibt nicht frei 285

Inhaltliche und formale Wende

von einer schwarzweißen Menschencharakterisierung und verzichtet auf eine Neuinterpretation der literarischen Vorlage. Die Dauer des behandelten Zeitabschnittes lässt die filmische Gestaltung zugunsten einer dynamischen Abfolge von Szenen zurücktreten. Dadurch wird der Rhythmus von der erzählten umfassenden Zeitfülle und nicht wie in Szegénylegények von einer multiplen Annäherung bestimmt, die sich in vielen Varianten kleinerer Geschehnisse – klein in Bezug auf die Zeitspanne der Erzählung – verdichtet. Ein neuer geordneter Kosmos, der als Modell für die Gesellschaft und für die Epoche des ausgehenden 19. Jahrhunderts vorgeführt wird, entsteht mit Franz, einem nichts ahnenden Erben eines Freudenhauses in Ljubljana und sensiblen Seismograf in Strah / Angst, 1974. Erst ein Erdbeben, das die Stadt zerstört, vernichtet auch die geordneten und wohleingerichteten Verhältnisse in diesem Haus. Jancsós Szegénylegények oder Klopčičs Strah gehören zu jenen Beispielen, die bei internationalen Filmfestivals und anschließend beim internationalen Publikum Aufsehen erregen. Ausgehend von räumlich geschlossenen und sozial fest umrissenen Beziehungen erzählen weitere Filme aus diesem osteuropäischen Kulturkreis, der von der Abhängigkeit des deutschsprachigen Österreich und vom Niedergang der Monarchie geprägt ist. Die akribische Beschreibung vergangener Welten fördert eine Atmosphäre und ein Ambiente, die in westeuropäischen Filmproduktionen nicht vergleichbar auffindbar sind. Aus diesem Grunde sind diese Filme in ihren besten Beispielen ein Stück Leben aus der uns nur aus den deutschsprachigen verkitschten und sentimentalen Erzählproduktionen bekannten österreichisch-ungarischen Monarchie. Sich in die Vergangenheit zu begeben, bedeutete für die osteuropäischen Filmautoren, sich der Gegenwart in Metaphern zu nähern und damit einer immer möglichen politischen Zensur zu entgehen. Diese Vorgangsweise ist einem Teil des heutigen Filmschaffens im Iran nicht unähnlich, bei dem die detailreiche Beschreibung alltäglicher Ereignisse Stoff und dramatische Handlung ist, um nicht auf vordergründige, festzuschreibende Überlegungen zur gesellschaftlichen Situation der Familie, der Frau oder der Existenzsicherung eingehen zu müssen, die die staatliche Zensur zum Reagieren anregen würden. Abgesehen von diesen Beispielen gibt es eine Reihe von Filmen, die im deutschsprachigen Raum kaum bekannt sind, da sie kaum gezeigt werden. Der historische Hintergrund eines der Beispiele aus dieser Reihe, Kocár do Vídne / Wagen nach Wien, 1966, ist die nationalsozialistische Zeit auf dem heutigen Gebiet Tschechiens zur Zeit des deutschen Rückzuges. Ein junger Soldat, der nach Wien zurückkehren möchte, wird von einer Frau, deren Mann von den deutschen Soldaten getötet wurde, als Geisel gehalten. Die Erzählstruktur ist auf »suspense« aufgebaut. Krieg und Rache werden als die Empathie zerstörende Kräfte gezeigt. Der Ort der Handlung, der filmgraue Wald, überzieht die Menschen mit einer Folie des ausweglos Schicksalhaften, in dem das tragische Ende vorbestimmt zu sein scheint. 286

Prolog/Epilog

Die thematische Reihe kann mit Let mrtve ptice, 1973, der niemals in die österreichischen Kinos gekommen ist, fortgesetzt werden. Die Übersetzung des französischen Titels kann mit »Der Flug des toten Vogels« angegeben werden  ; sie spiegelt die emotionale Stimmung des Filmes wider, der die sozialen Folgen der in Österreich tätigen Gastarbeiter für ihre slowenische Dorfgemeinschaft thematisiert. Er erzählt die Geschichte einer jungen Frau und ihres um vieles älteren Ehemann, der in die Probleme seines Alters und seiner Virilität verstrickt ist. Dabei möchte sie nichts anderes als ein wenig leben. Aus diesem Konflikt heraus entwickelt sich die poetische Geschichte rund um Eifersucht und Lebensglück. Die Ereignisse finden an der Grenze zu Österreich statt. Hier, wo alle Dörfer zwar schön renoviert werden, wo aber während der Arbeitswoche die Häuser und Gassen völlig verwaist sind. Nur die Alten bleiben zurück. Die Jungen – Frauen und Männer – arbeiten in Österreich und besuchen an den Wochenenden ihre Familie. In den Häusern stehen die modernsten Küchengeräte, auf den Feldern warten die neuesten Landwirtschaftsmaschinen, aber sie bleiben unbenutzt. Graz wird als die Stadt des Lichtes und gleichzeitig als die der Einsamkeit gezeigt. Der Regisseur gehört zu jener neuen Generation aus osteuropäischen Ländern Ende der sechziger Jahre, die mit einer neuen Filmsprache die Poesie des Alltags in Metaphern wie der des Vogelflugs dem Gastarbeiteralltag gegenüberstellt und versucht, über die gesellschaftlichen Erfahrungen im Ausland, in diesem Falle in Österreich, zu erzählen. 1972 wird Sanatorium pod Klepsydrą / Das Sanatorium zur Todesanzeige vom polnischen Regisseur Wojciech Has in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnet. In Cannes finden auch innerhalb der Sektion »Quinzaine des réalisateurs« 1974 und 1975 Filme ihre Aufführung und damit internationale Reputation (die in nichtdeutschsprachigen Ländern mit zunehmendem Verleihinteresse verbunden ist) wie Let mrtve ptice / Der Flug des toten Vogels oder Strah / Angst. Auch Sweet Movie, ein Szenenkaleidoskop zum Lebensgefühl der siebziger Jahre, oder WR  : Mysteries of the Organism, eine filmische Auseinandersetzung mit Leben und Werk von Wilhelm Reich, werden in Cannes gefeiert.492 In der ersten Hälfte der siebziger Jahre kommt es zu einem vermehrten Interesse an den filmischen Ausführungen aus Osteuropa, die oft explizite Aussagen zur österreichisch-ungarischen Monarchie beinhalten. Gleichzeitig bestätigen sie den vorhandenen Verlust filmadäquater österreichischer oder deutschsprachiger Annäherungen an die Vergangenheit durch fiktionale Erzählformen, wie sie der Film als aufzeichnendes und die Zeit sezierendes Medium in der Bereitstellung von figuraler Darstellung und intellektueller Durchdringung historischer Phänomene leisten könnte.

492 Wood, »Dušan Makavejev«, Cameron (Hg.), Second Waves, Praeger, University of Michigan, 1970.

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Inhaltliche und formale Wende

Literatur und internationale Reputation Ein Kinobesuch in der Zeit des Stummfilms veranlasst Robert Musil, folgende Polemik zu schreiben, die gut die Gefahren von Literaturverfilmungen ausdrückt  : Wozu Worte. Ich sah einen deutschen Film, der einen elenden Kitschroman verkurbelte. Ein solcher Ablauf von Geschehnissen, der Übelkeit verursachte, wenn man sich ihn lesend vorstellen muss, wird geschluckt, wenn er vor einen hingestellt wird. (…) Es ist vielleicht gar nicht schlecht, wenn man zu der Frage gezwungen wird  : wozu eigentlich Worte  ? Striche man bloß auf dem Theater alle Worte weg, die nicht mehr sagen, als der Zuschauer auf den ersten Blick errät  ! Die Theater kämen freilich um ihre bestbezahlten Plätze, die Gemeinplätze.493

Regisseur Wojciech Has legte mit Sanatorium pod Klepsydrą / Das Sanatorium zur To­ desanzeige, 1973, eine freie bildmächtige Adaption einiger Erzählungen von Bruno Schulz vor. Im Sanatorium Dr. Gotards findet Józef seinen Vater, der bereits seit Jahren tot ist und nun in einer anderen Dimension lebt. Józef beginnt ein zweites Mal, sein Elternhaus, das kleine jüdische Dorf, seinen Vater, mit dem er nie sprechen konnte, die Kindheitsträume, den seltsamen Garten Biankas, der außergewöhnlichen Prinzessin, die seine Liebe zurückwies und mit ihrem Liebhaber fortging, zu erleben. Während er noch einmal in sein Dorf zurückkehrt, findet er diese Welt zerstört, in Auflösung. Grabsteine bedecken den Marktplatz. Józef will diese Welt, sein vergangenes Leben, zurücklassen, aber es ist nicht mehr möglich. Die Suche nach den Wurzeln seiner eigenen Existenz und der seines Vaters führen ihn zurück in die Vergangenheit. Diese phantasmagorische Schilderung des Lebens aus einer Welt, »die allseits von Franz Joseph  I. umschlungen war«, in auch noch heute nachvollziehbaren Metaphern erinnert an die Sprache der Schwachen, jener aus der angeblichen Peripherie des Weltgeschehens, die von der Geschichtsschreibung erst in den letzten Jahrzehnten entdeckt werden. In welcher Weise literarische Kompetenz im Medium Film durch filmsprachliche Kompetenz weitergeführt werden kann, dafür ist dieser Film ein interessantes Beispiel. Der Autor der literarischen Vorlage, Bruno Schulz, lässt die Handlung »in einem dreizehnten Monat« spielen, »am Rande der realen Zeit«. Sein Architektur- und Malereistudium macht ihn mit den Mythen und Ikonographien der Habsburgermonarchie bekannt. Den örtlichen Rahmen bildet Drohobycz, in dessen Ghetto er 1942 auf offener Straße von einem SS-Mann erschossen wird. Der Herausforderung, diesen Roman des Irrationalen zu verfilmen, stellte sich Wojciech Has, der im Westen durch Rekopis Znaleziony w Saragossie / Die Handschrift von Saragossa, 1964, bekannt geworden ist und der 1973 für seine filmästhetische Suche, Literatur in das Medium Film zu übertragen, den Grand Prix der Jury in Cannes erhielt. 493 Musil, »Eindrücke eines Naiven«, 1923.

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Literatur und internationale Reputation

Die Filmarbeit von Has, bekannt aus dessen früheren Arbeiten, kommt dem Umgang mit Raum und Zeit bei Bruno Schulz entgegen. Räumliche und zeitliche Übergänge im schriftlichen Text werden durch Kadrierung, durch die gleitende Bewegung der Kamera und durch vibrierende außerdiegetische Geräusche im filmischen Text umgesetzt, wodurch die Grenzüberschreitungen zwischen den Zeiten und Orten unmarkiert und damit unmerklich fließend gestaltet werden. Ein philosophischer Gedankenaustausch zwischen einem Zugschaffner und der Hauptperson Józef drückt dieses Lebensgefühl der Gleichzeitigkeit aus  : Der Schaffner  : »Fakten werden in die Zeit gereiht wie die Perlen einer Kette.« Józef  : »Gut, aber was machen wir mir den Ereignissen, die keinen Ort in der Zeit finden  ?«

Eine ruhige gleitende Kamera und eine ebenso zurückhaltende sanfte Stimme, die zwischen On-Ton und Off-Ton wechselt, führen von einer Figur zur nächsten. Textliche und optische Anspielungen auf Kaiser Franz Joseph, auf die Monarchie und auf deren Untergang intensivieren die Sicht des Sohnes auf seinen Vater, den er im Sanatorium besuchen möchte. Aber hier bitte Kaiser Franz Joseph. Er scheint zu lächeln. Von nahem wird daraus eine Grimasse, die alle Bitterkeit auf Erden ausdrückt. Sein jüngerer Bruder  – anderen Sinns, mit anderen Ideen – benachteiligt, unglücklich, war der Erzherzog Maximilian. Obwohl er ihn liebte, sann der Kaiser auf sein Verderben. (Originaltext von Bruno Schulz)494

Assoziativ und gedrängt, auf wenige Worte reduziert ist der Sprachduktus des Originaltextes. Auch Has macht davon Gebrauch, nicht nur, wenn er seine Protagonisten sprechen lässt, sondern auch dann, wenn er das Unsagbare und Ungesagte in bildlichen Assoziationsketten vorführt. Inhaltlich in die Gegenwart der Produktionszeit zurückkehrend, gehört neben Liliana Calvanis Il portiere di notte / Der Nachtportier Nicolas Roegs Film Bad Timing / Black out – Anatomie einer Leidenschaft, 1980, in die Reihe jener Filme, die die Atmosphäre Wiens zur Etablierung ihrer Geschichte verwenden  : ein Film, »der nur in Wien gemacht werden konnte«, und der ein eindrucksvolles Beispiel dieser inhaltlichen und formalen Wende darstellt. Die Stadt Wien des Jahres 1979 drückte der Arbeit ihren Stempel auf. Rückblickend glaubt Nicolas Roeg, sich erinnern zu können  : »Es war eine instabile Stadt, eine Grenzstadt, ein Ort mit verschiedenen Regeln und mit vielen Gefahren, mit viel Polizei und Spionen – das alles ist im Film.«495Alex (Art Garfunkel) und Milena (Theresa Russell) 494 50. Minute im Film 495 Roeg, Nicolas, The Guardian, 20.8.2000.

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Inhaltliche und formale Wende

treffen sich auf einer der für ihre Freizügigkeit bekannten Partys Mitte der siebziger Jahre. Auf die ersten abtastenden Blicke folgt befreiendes Lachen, spontane Anziehung und schließlich eine obsessive Beziehung. In der Sequenz, in der Alex zu Milena verhört wird, die mit Tablettenvergiftung ins Spital eingeliefert wurde, findet sich die Strukturierung des gesamten Filmes wieder. Auf verschiedenen Zeitebenen wird die Beziehung der beiden durch Netusil (Harvey Keitel), einen Wiener Polizeidetektiv, rekonstruiert, der sich – ähnlich dem Zuschauer – in den zeitlich verschachtelten Erinnerungen an Bildern und Tönen orientieren muss. Wie der englische Zusatztitel des Filmes »sensual obsession« zusammenfasst, wird diese Abhängigkeit zwischen einem amerikanischen Psychiater, Dr. Alex Linden, und einer jungen Frau, Milena Flaherty, rekonstruiert. Die Liebesgeschichte findet im semantischen Bassin Wiens ihre metaphorische Entsprechung. Bilder von Klimt und Schiele, Regenwetter und graue Miethäuser der Stadt werden zu atmosphärischen integralen Bestandteilen der Erzählung. Sie generieren, fügen hinzu, untestreichen und positionieren Teile der Geschichte. Darüber hinaus charakterisiert der Autor die Stadt und die Profession Alex’ mit den Porträts von Sigmund Freud und Alfred Adler, die in Form von Insertschnitten den Handlungsablauf unterbrechen. Dabei spielt auch »Wien, vom Belvedere aus gesehen« (1758–1761) von Canaletto als Stereotyp von Wiener Ansichten eine informative und handlungslogische Rolle. Dieser Blick wird als realer Ausblick auf die Stadt im Film dupliziert. Auch bekannte Gemälde als selbstreferentielle Symbole der anbrechenden Moderne werden als erzählrelevante wiederkehrende Einstellungen genützt. Sie stellen mit der grafischen Gestaltung der filmischen Bilder oftmals eine gedankliche und emotionale Einheit her und gewinnen für das Gesamtdesign eines internationalen Spielfilms über Wien Bedeutung. Diesen Wiedererkennungseffekt macht sich Roeg zunutze. Klimts Bilder »Der Kuss« (1908/09) und »Adele Bloch-Bauer I« (1907) waren zur Zeit der Realisierung der Filmproduktion dauerhaft im Belvedere ausgestellt. Sie werden von Touristen in Wien gesucht und auf Grund ihres Bekanntheitsgrades wiedererkannt. Kurz nach ihrem Kennenlernen auf einer Party besuchen Therese und Alex die Belvedere-Galerie. Sie stehen sich vor dem Bild »Der Kuss« für eine kurze Einstellungsdauer gegenüber. Auf der informativen Ebene des Films werden die beiden vor diesen Bildern gezeigt, wodurch auf der kommunikativen Ebene des Films antizipiert werden kann, dass sich das Paar in diesem Galerieraum näherkommt. Wäre das Gemälde jedoch entweder deckungsgleich mit der Kadrierung oder in zwei aufeinanderfolgenden Einstellungen gefilmt, würde der emotionale Wert dieser Einstellungsfolgen abnehmen. Die Sequenz generiert jedoch – im Gegensatz zu einer symbolischen Bedeutung wie bei den genannten Insertbildern von Freud und Adler – eine 290

Literatur und internationale Reputation

narrative Kraft und Deutlichkeit durch die Einbeziehung der beiden Hauptpersonen, die assoziativ und wie zufällig in Beziehung zum Thema des Gemäldes gesetzt werden. »Take me to your favorite place in Vienna«, bittet Milena Alex, der sich in der auch für ihn neuen Stadt bereits heimisch fühlt. Ähnlich wie im Film der fünfziger Jahre Die Vier im Jeep wird die Topografie von Wien nachvollziehbar. Öffentliche Räume wie der Parkplatz am Cobenzl und der Stephansplatz werden durch das Begehen in ihrer Größe in Besitz genommen und als bewusster Teil einer Dramaturgie spürbar. Erst mit Itt a szabadság / Es lebe die Freiheit, 1990, und Before Sunrise / Eine Nacht in Wien, 1995, wird in ähnlicher Weise ein räumliches Gefühl für die Stadt konstituiert. In derselben Weise wie der Raum erschlossen wird, wird auch die Zeit als strukturierende Größe veränderbar und in ihrer scheinbaren Chronologie fassbar. Nicht parallele Zeitereignisse, sondern zwei Erlebniswelten und Teile der Identität Milenas entstehen durch eine parallele Bildfolge, die eine Sequenz ergibt. Eine Montage aus Bildern aus dem Operationssaal und von einem Liebesakt ermöglicht über gleichartige Schreie und Bewegungen in Form eines »cross cutting« im Publikum Erinnerungen an die vorgezeigten Lebenssituationen. Verschiedene zeitliche Erzählebenen, die durch Parallelerinnerungen – nicht nur durch Flashbacks, die an Vergangenes erinnern – die lineare Zeitdimension der Filmgeschichte ständig unterlaufen, rekonstruieren diese Liebesaffäre. Der Film zeichnet sich auf Grund seiner vielschichtigen und mehrkanaligen Verwendung filmischer Mittel aus, die durch Rhythmus und durch das Verhältnis von Geräuschen und Bildern strukturiert werden. Ein weiteres Beispiel des Überganges zwischen den Zeiten, zwischen dem erinnertem Ereignis und der Gegenwart, in der Alex von einem Polizisten über die fragliche Nacht, in der Milena den Selbstmordversuch machte, befragt wird, wird nachstehend mit Einzelbildkadern rekonstruiert. Alex erinnert sich bildhaft an die Szene der Nacht. Die (violette) Bettdecke und der schmerzvolle Aufschrei Milenas im Zwischenbild werden als optische Klammern für die beiden Zeitebenen genommen. Aus der Unschärfe des Mittelgrundes heraus, der sich gegenüber dem Vordergrund übergangslos schärft, wird die Befragung fortgesetzt. Der Polizist 291

Inhaltliche und formale Wende

nähert sich Alex, der noch in Gedanken an diese Nacht, in der er die bewusstlose Frau vergewaltigt hat, versunken ist. Diesem filmsprachlich üblichen Übergang, der durch Aufschrei, Farbe und Unschärfe in seinem Bedeutungszusammenhang gegenüber klassischen Schnittfolgen in seiner Signalwirkung erweitert wird, stehen unmarkiert abgesetzte Einstellungen gegenüber, die weder durch Hinweise von Ort oder Zeit noch durch eine optische oder akustische Konjunktion verbunden sind. Nicht nur kommentarlose Inserts zu Freud und Schnitzler oder Arbeiten von Klimt und Schiele werden in die Diegese beim Besuch des Museums überraschend eingebettet, sondern der Autor assoziiert auch die Ikonizität der Köperdarstellung in Schieles »Selbstbildnis«. Während sich der Polizist Netusil diese Reproduktion ansieht, fügt Roeg  – perspektivisch und farblich ähnlich Schieles Vorlage – eine filmische Einstellung der nackten Beine

Alex’ bei. Die figural-formale Identität des Bildes der körperlichen Umrisse in Schieles Selbstbildnis um 1910 unterstreicht durch die wiederholten nichtdiegetischen späteren Einblendungen der nackten Beine Alex Lindens das formale, narrative wortlose Signal zum Charakter von Alex. The bodies of the people he paints are disjointed  ; their arms and legs contorted and twisted painfully, as if they were Jean-Martin Charcot’s hysterical patients. But whereas Charcot’s patients assumed their postures unconsciously, Schiele’s posturing was a conscious and practiced attempt to use the position of hands, arms, and body to convey inner emotion. (…) Freud and his followers used the term »acting out« to refer to the expression of forbidden impulses in action. Schiele was the first artist to use acting out to convey his inner turmoil, anxiety, and sexual desperation.496

Diese Montagefolge signalisiert auch einen »telling point« mit Hilfe einer Aneinanderreihung, die die vorgestellten Aktionen oder Darstellungen betont und neue Bedeutungen für den aufmerksamen Zuschauer entstehen lässt, indem sie die Charakterisierung des Mannes Alex verdichtend vorantreibt. Dieses wortlose symbolische Spiel mit For496 Kandel, The Age of Insight, Position 2530 f., 26% (Kindle), 2014.

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Literatur und internationale Reputation

men lässt die emotionale Hilflosigkeit von Alex erfühlen. Die unnatürliche Körperhaltung der Füße und die Auslassungen in der Darstellung menschlicher Körperteile wirken zerbrechlich und zerrissen. Ohne die Bilder als die von Schiele erkennen zu müssen, erzeugt die Einstellungsfolge und deren Bildkomposition in Perspektive und Lichtführung eine über das tatsächlich Abgebildete hinausweisende Parallelität und suggeriert eine Stimmung von anrührender männlicher Hilflosigkeit, wie sie Alex als Selbstschutz verbreitet. Die unverwechselbaren und weltweit bekannten Werke Klimts und Schieles, deren Darstellung nackter Körper, die in ihrer psychischen Zerbrechlichkeit festgehalten sind, aber auch das Spiel der beiden Hauptdarsteller von sexueller Anziehung und Abweisung repräsentieren zusammen die sinnlich-intellektuelle Ebene des Menschen im 20. Jahrhundert, der Moderne. Diese Produktion zeigt erstmals unter allen bisher genannten Filmen eine Stadt, die über die Moderne, wie sie Schorske497 skizziert, definiert wird. Zum ersten Mal in der Geschichte wird das kulturelle Erbe, das durch Freud und Schnitzler, Klimt und Schiele personifiziert wird, als Erzählfolie zitiert, um damit einen »dritten Sinn« innerhalb der kommunikativen Ebene zu etablieren. Wie die für Klimt und Schiele unverwechselbaren Bildmotive die Handlung des Films »hörbar« machen, so malt Musik die Charaktere und die Aktion. Im Verhältnis zu anderen Filmen, die in Wien angesiedelt sind, kommt Bad Timing jedoch zur atmosphärischen Kennzeichnung ohne Wiener Musik, ohne Heurigenlieder und Walzer, aus. Mit den Musiken von Tom Waits und Billie Holiday, mit denen am Ende des Filmes die ruhig fließende, graue Donau gesehen werden kann, wird ein fremdartiges, neues Wien entworfen, das durch den Sound zu einer internationalen, multikulturellen Großstadt mutiert.

497 Schorske, De Vienne et d’ailleurs. Figures culturelles de la modernité, 2000.

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Aufbruch An der Peripherie – Das Eigene im Fremden – Vergangenheit in der Gegenwart – Kontrastmontage – Flashbacks in die unerzählte Geschichte – Neue Bilder aus alten Zeiten

An der Peripherie Neben Filmerzählungen, die mit ihrem dokumentarischen Gestus ethnografisch orientierte Einblicke in das österreichische Leben kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gewähren, wird bereits 1964 Feuerpferde produziert, dessen Regisseur Paradjanov nach der Novelle »Die Schatten vergessener Ahnen« von Michail Kozjubinski eine Topografie der Gefühlswelt im südöstlichen Gebiet der Monarchie entwirft und eine neue Epoche des Geschichtenerzählens markiert. Geografisch in den Karpaten der ethnischen Minderheit der Huzulen angesiedelt, lässt der Film die Zeit offen, in der sich diese Geschichte konkret ereignet. Ganz allgemein verweist ein Foto Kaiser Franz Josephs in einem ländlichen Gasthaus auf jene Epoche, in der die Huzulen ein vergessenes Volk innerhalb der österreichischen-ungarischen Monarchie, das heißt vor bzw. nach 1866, waren. Bekannt für ihren Widerstand gegen die Zentralregierung in Wien, wurde diese Volksgruppe am Wiener Hof für ihr handwerkliches Können, im Besonderen für ihre Batik- und Intarsienarbeiten, gerühmt. Der Einberufung zur Armee entzogen sich die Männer oft durch die Flucht in die unwegsamen Berge. Um dem Autor Paradjanov näherzukommen und ihn von den bisher zitierten Beispielen abzugrenzen, sei an Gilbert Durands Unterscheidung zwischen einem Poeten – er verweist auf Baudelaire – und einem Romancier erinnert  : Diese Unterscheidung ist nicht im Stil, sondern viel eher in der Intention zu finden. Der Romancier möchte vor allem konkrete, prosaische Erfahrungen seiner Zeit beschreiben. Der Poet – wenigstens seit der Romantik – ist ein prophetischer »Seher« der Zukunft. Und ein Poet sieht tatsächlich in der Gegenwart die Strukturen der Zukunft.498

Der Film führt uns in die Welt der Legenden, der Sitten und Gebräuche der tausendjährigen Karpatenkultur, einer von »Gott und den Menschen vergessenen Landschaft«, 498 »La difference entre romanciers et poètes n’est pas tellement dans le style, mais plutôt dans l’intention.. Le romancier veut, le plus souvent, décrier l’experience concrete, prosaique, de son temps. Le poète – tout au moins depuis le Romantisme – se veut ›voyant‹, c’est-à-dire un peu devin sinon prophète. Et le poète voit réellement dans le présent les structures de l’avenir.« Durand, Figures mythiques et visages de l’œuvre. De la mythocritique à la mythanalyse, 1992, 271.

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Das Eigene im Fremden

wie es im Anfangstitel heißt, und folgt der durch soziale Grenzen erschwerten Liebe zwischen Marischka und Ivanov. Die Strukturierung des Filmtextes wird durch zwölf Kapitelüberschriften geleitet, die an die Verwendung im Stummfilm erinnern. Sie sind weder intellektuelle Interpretation noch emotionale Kurzbeschreibungen des Kommenden, sondern sie lassen an jene Überschriften aus den Lehrstücken Brechts oder an jene von Rabelais’ Romanzyklus »Gargantua und Pantagruel« denken. Mit diesen Kapitelüberschriften kann eine aufmerksame Rezeptionshaltung initiiert und dadurch die schriftlich anmoderierte Aussage aktiv mit Hilfe der nachfolgenden Erzählepisode verifiziert bzw. falsifiziert werden. Sie nehmen entweder Lebensfragmente vorweg (Tod Iwans), mythologisieren einen Hauptcharakter innerhalb einer Episode (Der Hexer) oder assoziieren Bilddarstellungen aus dem christlichen Umfeld wie die Kapitelüberschrift Pieta. Manche Erzählfragmente scheinen die Zeit stillstehen zu lassen, indem sie Emotionen mit Hilfe filmtechnischer Mittel der Zeitdilatation figurieren oder abstrakte Begriffe exemplifizieren  : »Abstrakt für jene, die sich noch nie die Mühe machten, sich intensiv eine Wurzel, einen Stein oder ein totes Blatt anzusehen«, gibt der Regisseur Sehhinweise. Demgegenüber kommt es dann doch immer wieder zu Aktionen, die in gerafften Einstellungen zusammengefasst werden. In den Jahren zwischen 1968 und 1978 findet sich eine Anzahl von Filmen, die exemplarisch die Vielfalt des Bildes Österreichs im internationalen Film widerspiegeln können. Dem filmischen Denken Paradjanovs nicht unähnlich, variiert das surreale Epos über Krieg, Gewalt und Tod in einem Triptychon diese Grundthemen in Zbehovia a pútnici / Deserteure und Nomaden, 1968.

Das Eigene im Fremden Als eine Variante zu der sinnlichen Beschreibung, wie man dem Fremden offen entgegenkommen kann – nämlich das »Eigene« im Fremden zu suchen und zu finden –, könnte das Thema »Österreicher in der Emigration« zusammengefasst werden, das neben Three Faces West, 1940, durch zwei weitere Filme nach 1945 erzählt wird. Sich in einem fremden Land bewähren zu müssen, wird in Ginrei no Ôja / Der Kö­ nig der Silbernen Berge, 1960, thematisiert, in dem der damalige österreichische Skistar Toni Schneider (Toni Sailer) im Mittelpunkt steht, der unfreiwillig ins japanische Exil gehen muss. Der ihm als Vorlage dienende wirkliche Olympiasieger Toni Sailer ist in Japan noch heute bekannt, und mehrere Skigebiete sind nach ihm benannt. Toni Schneider verliert bei einer Bergtour seinen besten Freund und flüchtet gequält von Schuldgefühlen aus seiner Heimat, um auf einem Transportschiff anzuheuern. Dort lernt Toni den japanischen Koch Hiroshi kennen und geht mit ihm in die japanischen Berge. Er arbeitet unerkannt in einem Hotel und kommt der Dorflehrerin näher, wobei 295

Aufbruch

Hiroshis Schwester Yasuko, die fließend Deutsch spricht, als Dolmetscherin fungiert. Deren Liebhaber missversteht die Situation und bricht zu einer gefährlichen Skitour auf, bei der es wieder zu einem Unglück kommt. Der eifersüchtige Mann kann in letzter Minute gerettet werden Am nächsten Tag erscheint in der Zeitung ein Foto des mutigen Retters, auf dem der österreichische Botschafter den verschollenen Olympiasieger erkennt. Er reist sofort in das Dorf, um den Skistar wieder für den nächsten Skiwettbewerb zu motivieren. Vor der Abreise hält Toni noch um die Hand der Dorflehrerin an und verspricht, sie nach der Olympiade zu heiraten. Neben dem bereits erwähnten Il portiere di notte, in dem eine US-Touristin in Wien ihren ehemaligen KZ-Aufseher wiedererkennt, kommt es mit Stay Hungry / Mr. Uni­ versum, 1976, zu einer weiteren Begegnung der »Alten« mit der »Neuen« Welt, diesmal jedoch mit dem österreichischen Emigranten Joe Santos (Arnold Schwarzenegger), der sowohl als Bodybuilder wie als Violinvirtuose seinen Weg in den USA machen wird. Obwohl Joe Santos Geldprobleme und Visasorgen quälen, will und kann er sich seiner österreichischen Herkunft nicht entziehen. Der junge Erbe eines großen Vermögens, Craig Blake, schließt sich Joes aufstrebender Bodybuildergruppe an und verteidigt mit ihr das Trainingscamp, das einer teuren Wohnhausanlage weichen soll. Trotz der konfliktbelasteten Liebe zur gleichen Frau fassen die beiden Männer Vertrauen zueinander und bekämpfen gemeinsam den bevorstehenden Abriss des Hauses. Nuanciert stimmungsvolle Szenen verleiten Filmkritiker zum schriftlichen Ausruf  : »Tschechov auf Amerikanisch.«499Als emblematisch für den Umgang mit den Wurzeln seiner Herkunft kann jene Szene gesehen werden, in der das Muskelpaket Joe mit seiner Geige aus dem Stegreif mit einer Hillbilly-Gruppe mitmusiziert. Diese offensichtliche musikalische Sensibilität des Mr. Universum aus dem Lande Mozarts bringt Arnold Schwarzenegger jene Aufmerksamkeit, die mithilft, seine Hollywoodkarriere zu starten. Mit diesem Film wird auf der Tiefenstruktur ein neues Image von Österreich geprägt. Bei näherer Kenntnis des Werdegangs von Arnold Schwarzenegger ist zu bemerken, dass Joes und Arnolds Biografien im Film punktuell verschmelzen. Joe erzählt von seinen Schwierigkeiten, als Österreicher die Aufenthaltsgenehmigung für die USA zu erhalten  : Joe  : Er hat mich hergebracht von drüben – aus Österreich. Durch ihn habe ich die Arbeitserlaubnis, das Visum, all die Dinge. Mein Vater war Bildhauer und Lehrer  !

Biografische Versatzstücke werden beiläufig im Dialog eingebracht und setzen sich zu einem Bild zusammen, das als Eindruck von einer Person lange nachwirkt und das Urteil über ein Land verfestigen lässt. 499 Tschechov, Anton Pawlowitsch, 1860–1904  : bekannt für seine nuancierte psychologische Ausleuchtung des russischen Bürgertums.

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Das Eigene im Fremden

Arnold Schwarzenegger ist in diesem frühen Film sowohl er selbst – Mr. Universum und Österreicher – wie gleichzeitig die Filmfigur Joe Santos, Mr. Universum aus Österreich. Nicht nur ein sozial denkendes Muskelpaket, das sich in freundlichen Dialogen Craig Blake Schritt für Schritt zum Freund macht, ist für dieses Genre neu, sondern es wird auch die Kultur der Bodybuilder durch den musikalischen Österreicher aufgewertet. Wird im Dokumentarfilm Pumping Iron, 1977, in dem Arnold Schwarzenegger humorvoll und kompetent in die Welt der Bodybuilder einführt, ein eindimensionales Bild der Wettkämpfe und des unbedingten Trainingswillens gezeigt, wird in Stay Hungry nicht nur die Herkunft und die finanzielle Abhängigkeit von seinem derzeitigen Manager angesprochen, sondern es werden auch seine vielseitigen Interessen vorgestellt. Diese Selbstverständlichkeit, eine vielseitig entwickelte Persönlichkeit zu sein und damit vom üblichen Bild des Muskelpakets abzuweichen, ließen seine Sympathiewerte, die eng mit dem Bild des musikalischen Österreichs verbunden werden, in der amerikanischen Bevölkerung steigen. Damit wächst glaubwürdig das Image eines Landes mit Joe, dem Einwanderer, zusammen. Die Authentizität dieser Episode wird dadurch verstärkt, dass der damals noch wenig bekannte Schauspieler mit österreichischem Akzent spricht. Bei einem gemeinsamen Landausflug erklärt ein Musiker dem überraschten Craig  : Musiker  : Joe kam zuerst, um zuzusehen, und jetzt sehen Sie, wie er jetzt mit den Bogen umgeht. – Das ist nicht nur zu sehen. Craig  : Das ist was Echtes, was  ! Musiker  : So können Sie es auch nennen, wenn Sie wollen  ! Sehen Sie, wie er mit dem Bogen umgeht. Zuhörer  : Geige spielendes Monster.

Nach diesem Dialog zeigt ein Kameraschwenk Joe mit einer Geige inmitten von Musikern, mit denen er problemlos seinen Teil an der Gesamtdarbietung einer instrumentalen »Hillbilly«- Nummer übernimmt. Wird er kurz zuvor noch im Fitnessraum gesehen, integriert er sich hier in eine Gruppe von begeisterten Musikvirtuosen. Sie loben ihn  : Musiker  : Sehr gut. Du bist noch besser geworden. Joe  : Es hat mir Spaß gemacht … Er wehrt bescheiden ab.

Diese Einstellungsfolge unterstreicht jenen Aspekt, mit dem der Schauspieler Schwarzenegger ab diesem Film weiter Erfolg haben wird  : Er wirkt »echt«. Für alle überraschend authentisch. 297

Aufbruch

Zu Beginn dieser Sequenz wird diese Volksnähe als charakterisierendes Motiv bereits angesprochen, indem über den Unterschied zwischen »fiedeln« und »geigen« philosophiert wird  : Nicht »Geige spielen« wird er jetzt sehen, wie einer aus der Musikgruppe Craig aufklärt, sondern »fiedeln«, die naturverbundene und volksnahe Handfertigkeit, den Bogen zu streichen. Musiker  : Am Konzertpodium oder wenn nach Noten gespielt wird, da wird doch nicht gefiedelt, da heißt es Geige spielen.

Im europäischen Verständnis denkt man bei »fiedeln« an ungarische Musikstücke, meistens von Roma und Sinti interpretiert. In den USA denkt man bei diesem »Fiedeln« an die Hillbilly-Musik. Die Geige, seit dem 12. Jahrhundert in Europa bekannt, verbindet nach außen den mittel- und osteuropäischen Kulturraum ebenso wie der Walzer, der ursprünglich Ausdruck deutschsprachiger volkstümlicher Unterhaltung gewesen ist. So wird die Geige – ein allmählich gewachsenes Stereotyp für europäische Kulturleistung, im Speziellen verbunden mit der österreich-ungarischen Monarchie und deren Walzertradition – in diesem frühen amerikanischen Spielfilm von Arnold Schwarzenegger referenziell für den ungewöhnlichen Bodybuilder Joe innerhalb der Geschichte zitiert. Gleichzeitig ist das Instrument auch Image stiftender Anteil für die reale Identität Arnold Schwarzeneggers. Erst in dieser Verdoppelung werden für ihn seine musikalischen Ambitionen im Film für seine weitere Karriere bedeutsam.

Vergangenheit in der Gegenwart Wie die Regisseurin Liliana Cavani betont, wählte sie für ihren Film Il portiere di notte / Der Nachtportier, 1974, Wien als Handlungsort, »weil in dieser Stadt ein hoher Prozentsatz an Nazis sich neu formierte und in Geheimorganisationen gegenseitig schützte.«500 Max (Dirk Bogarde), ehemaliger SS-Offizier, arbeitet im Wien des Jahres 1957 als Nachtportier in einem Hotel. Eines Tages begegnet er Lucia, einem neuen Hotelgast. Beide erkennen einander wieder. Im Jahre 1943 wurde die damalige fünfzehnjährige Lucia, Tochter eines österreichischen sozialistischen Abgeordneten, in ein KZ deportiert, in dem Max ihre Jugend und Schönheit auffiel. Jetzt würde ein Wort Lucias genügen, um Max auffliegen zu lassen. Aber sie sagt nichts. Nach der Abfahrt ihres Ehegatten, der in der Volksoper »Die Zauberflöte« dirigierte, bleibt sie in Wien zurück. Im Gegensatz zu der aufgeregten tagesaktuellen Kritik der meisten in- und ausländischen Tageszeitungen gibt Jean de Baroncelli seine eigene Betroffenheit wieder, wenn er schreibt  : 500 Gauthey, Christine, »Un film qui sent le souffre«, Le Journal du Dimanche, 31.3.1974, 6.

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Kontrastmontage

Sicherlich ist der Film »Der Nachtportier« ein wichtiger, starker und faszinierender Film. Ich erlaube mir jedoch zu sagen, dass er für mich schwer zu verdauen war.501

Wie seit Beginn ihres Erscheinens üblich, gibt die US-amerikanische Fachzeitschrift »Variety« Hinweise für die beste Kinoauswertung  : »Der Film hat Atmosphäre, nicht zuletzt auf Grund der Wiener Locations. Er erfordert eine sorgfältige Platzierung in den Kinos, um gute Einspielergebnisse zu erzielen.«502

Kontrastmontage Nicht von psychologischen Grenzüberschreitungen, sondern von einem geografischen Grenzübergang, der die Welt veränderte, und von den letzten Tagen vor dem 28. Juni 1914 erzählt Atentat u Sarajevu / Der Tag, der die Welt veränderte, 1975. Zum letzten Mal essen die zukünftigen Attentäter in einem Gasthof an der Grenze zwischen Serbien und Bosnien und schäkern mit der Kellnerin. Als die Autos die Österreichisch-Ungarische Bank vis-à-vis der Čumurja-Brücke passierten, hörte man einen Knall. Am rechten Gehsteig an der Ufermauer standen zwei Jünglinge, einer von ihnen schlug einen kleinen Gegenstand am Straßenbahnmast auf. Als man näher hinsah, flog der Gegenstand gegen das Fahrzeug des Thronfolgers.

Aus diesem und ähnlichen Protokollen, aus Zeitungsausschnitten und aus anonymen Zeugenaussagen rekonstruiert Stevan Bulajić nicht nur exakt den tatsächlichen Tathergang, sondern minutiös wird die Geschichte der Attentatsvorbereitung erzählt. Um historische Authentizität und psychologische Differenzierung bemüht, wird mit großem finanziellen Aufwand, der auch vorausgehende historische Forschungen ermöglichte, der Anlass für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges als Politkriminalgeschichte erzählt. 501 Baroncelli, Jean de, Le Monde, 3.4.1974. 502 Mosk, Variety, 3.4.1974.

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Aufbruch

In zeitlicher Nähe zueinander werden diese beiden Einstellungen gesetzt, um die über soziale Grenzen hinweg menschlich gleichbleibenden Gesten zu zeigen. Dieses Prinzip des Filmes, in Kontrastmontagen zu sprechen, wird um die akribische Beschreibung der Vorbereitungen durch die Attentäter und deren Organisation »Schwarze Hand« ergänzt. Der Regisseur bemüht sich, die verschiedenen sozialen und nationalen Realitäten der Zeit in kurzen prägnanten Szenen zu schildern. Kleine Ereignisse lassen die unaufhaltsame zeitgeschichtliche Tragödie und die persönliche Tragik bei Opfern und Tätern gleichzeitig erahnen.

Flashbacks in die unerzählte Geschichte Typisch für die Erzählweise im klassischen Kino ist es, dass »jeder Moment ausgearbeitet ist«, wie es die Kritikerin Kael503 im Film Julia, 1977, zu erkennen glaubt, der zu einer Erinnerung eines österreichischen Emigranten, Fred Zinnemann, an die Zwischenkriegszeit in Österreich und Deutschland wird. Während ihre Freundin Julia, Medizinstudentin in Wien und aktives Mitglied der sozialistischen Partei, in die Februarunruhen des Jahres 1934 gerät, wird Lilians Theaterstück »The Children’s Hour« in den USA ein großer Erfolg. Am Weg zum Theaterfestival in Moskau wird sie in Paris auf geheimnisvolle Art gebeten, Geld zu ihrer Freundin Julia nach Berlin zu bringen. Dort findet auch die Geldübergabe statt. Julias Leben im Widerstand gegen Hitler ist gefährlich. Bevor Lilian ihr Versprechen einlösen kann, die Tochter ihrer Freundin in die USA mitzunehmen, wird Julia ermordet. Wie die Vorlage, eine Kurzgeschichte aus »Pentimento  : A Book of Portraits«, 1973, von Lilian Hellman, erinnert der Film an die Freundschaft zwischen einer erfolgreichen amerikanischen Schriftstellerein, Lilian Hellman (Jane Fonda), und ihrer von den Nationalsozialisten ermordeten Freundin Julia (Vanessa Redgrave). In dieser Erzählung bittet Julia Lilian, fünfzigtausend Dollar nach Berlin zu schmuggeln. Die Schmugglerreise wird zu einem Erinnern an ihre gemeinsame Jugendzeit. Die Flashbacks führen Julia auch in das Wien der dreißiger Jahre, wo sie Medizin studiert, in den Februaraufstand 1934, worüber Lilian in ihrem Tagebuch schreibt  : »Was wird mit Julia passieren  ? Sie studiert immer noch in Wien.« Sie fährt auf der Suche nach ihr nach Wien, wo Julia, in den Unruhen verletzt, im Spital liegt. Die Bildfolge entspricht chronologisch den Ereignissen jener Sequenz, die in Wien angesiedelt ist. Sie markiert recht gut den Wechsel zwischen dem dokumentarischen Duktus und der Auslotung der individuellen Folgen der gezeigten historischen Ereignisse, wie es für die Arbeiten Zinnemanns grundsätzlich typisch ist. In kurzen Sequenzen wechselt die Erzählung die Zeiten. Episoden der Kindheit verweben sich mit Szenen aus Wien 1934, 503 Kael [1977], »A Woman for All Seasons«.

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aus Berlin 1937 und aus den USA, wodurch es zu einem dichten Reflexionsnetz der Beziehung zwischen den beiden Frauen kommt. Jeder Lebensabschnitt muss akribisch mit wenigen Strichen in Ausstattung, Kleidung und durch bestimmte historische Ereignisse angesprochen werden, um die Hauptpersonen jeweils glaubhaft zeitlich zu verankern. Fred Zinnemann, dessen Hauptwerke in der klassischen Epoche Hollywoods liegen, sagt über sein Verständnis von Film  : 1927 war ich in Paris in der Schule für Cinematographie. Und dort gab es junge Leute, Regisseure wie René Clair, Alberto Cavalcanti, Jean Epstein, Man Ray, Germaine Dulac und andere. Und sie hatten einen neuen Begriff – »cinéma pur«. Dies bedeutete, dass das Kino in einer bestimmten Art Emotionen ausdrücken kann, wie es andere Künste nicht können. (…) Die Kamera ist für mich mehr als ein einfaches Aufzeichnungsgerät. Und es ist nicht nur das Licht, das zählt. Es ist die Kamerabewegung, die Komposition und vieles mehr.504

Neue Bilder aus alten Zeiten Jeder der genannten Filme ist auf seine Weise spezifisch schicksalhaft mit dem Land Österreich verbunden und zeigt die Vielfalt möglicher filmischer Sprechweisen auf. Zwei ungarische Filme assoziieren Jahrhundertwenden – vom 19. zum 20. und vom 20. zum 21. Jahrhundert –, innerhalb derer sich die Erzählkompetenz im Medium Film künstlerisch entwickelte und sich als Massenindustrie etablieren konnte. Neben Az én XX. századom / Mein 20. Jahrhundert, dessen erzählte Zeit die Jahre vor der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert umfasst, geht auch Jadviga párnája / Jadvigas Kopfkissen, obwohl eine Produktion des Jahres 2000, in die Vergangenheit, in die Jahre des Zusammenbruchs der Monarchie zurück. Aus der Sicht der weiblichen Hauptfiguren des erstgenannten Films wird das neue Jahrhundert als eine Chance für neue Formen des Zusammenlebens  – sowohl zwischen Menschen von gleichem oder unterschiedlichem Geschlecht als auch zwischen Religionen, sozialen und ethnischen Gruppen – gesehen. Weibliche Zwillinge erleben in Az én XX. száz­ adom, 1989, die Jahrhundertwende in Ungarn unterschiedlich. Der Film stellt verschiedene Lebensentwürfe am Übergang zweier Jahrhunderte dar. Er tritt dem Zuschauer als geträumtes Märchen oder als märchenhafter Traum gegenüber. Sterne leiten 504 Nolletti (Hg.), The Films of Fred Zinnemann, 1999, 22.

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die Menschen, und Glühbirnen von Edison leuchten Schicksale aus. 1880 stellt der Erfinder Thomas A. Edison der staunenden Öffentlichkeit die elektrische Glühbirne vor. Zur gleichen Zeit werden in einer kleinen Wohnung in Budapest die Zwillingsschwestern Dora und Lili geboren. Als Vollwaisen werden sie getrennt. Neunzehn Jahre später, am Silvesterabend, treffen sie, ohne voneinander zu wissen, im Orient-Express wieder zusammen. Dora will in der untergehenden k. u. k. Monarchie ihr Leben möglichst problemlos genießen, während Lili in ihren anarchistischen Träumen das Wohl der ganzen Menschheit mit einschließt. Eingebettet in die historischen Ereignisse der weiten und engen Welt, außerhalb und innerhalb der Monarchie, baut der Film, der sich an historischen Fakten orientiert, eine Welt auf, die von Zufälligkeiten und Überraschungen geprägt wird. Sterne am Himmel beobachten und kommentieren die Ereignisse. Das filmkünstlerische Credo der Autorin Ildikó Enyedi lautet  : »Eine lineare Erzählweise interessiert mich genauso wenig wie Ästhetik an sich. Das wäre reiner Narzissmus.« Sie verwendet ausschließlich Schwarzweißfilm, weil sie glaubt, dass »Schwarzweiß viel leichter abstrakte Inhalte ausdrücken kann.« Für diese Entscheidung erhält sie auch 1989 in Cannes die »Goldene Kamera«. Um zu unterstreichen, wie die Autorin in ihren Dialogen mit geografischen und historischen Wahrheiten Umgang pflegt und mit welcher Leichtigkeit sie den Nationalkonflikt spielerisch, im ursprünglichen Sinne des Wortes, ad absurdum führen möchte, lässt sie ihre Filmpersonen sagen  : »Ich bin ein Ungar  ? – Ein Ungar. Machst du dich lustig über mich. – Ist das eine Nation  ? – Bei meiner Ehre. Eine Nation. Und wo leben diese Ungarn  ? In Ungarn. – Wo liegt Ungarn  ?– Zwischen Österreich, Böhmen, Rumänien und Serbien. – Hör doch auf. Das sind doch Länder, die Shakespeare erfand.« Auf einem schwankenden Ruderboot fahren die zwei Sprechenden in den Sonnenuntergang hinein.

Bleiben wir in dieser optimistischen Logik der imaginierten Figuren aus Mein XX. Jahr­ hundert, wissen die heutigen Zuschauerinnen, dass sich diese wohlmeinende Perspektive hundert Jahre später in keiner Weise erfüllen konnte. Sichtbares Zeichen dafür ist die Notwendigkeit, im Jahre 2000 eine Geschichte wie in Jadvigas Kopfkissen als Parabel historisierend zu erzählen, um die heutigen religiösen, sozialen und ethnischen Konflikte, die nicht nur ein aktuell ungarisches Thema sind, filmisch zu benennen. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Pál Závada, der 1997 in ungarischer Sprache publiziert wird. 302

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Seit Beginn der ungarischen Laufbildproduktion, die sich auf Grund ihres Reichtums von imaginierten Bildern über Österreich besonders anbietet, werden unter dem Aspekt der Relation zwischen der Produktionszeit und der erzählten Zeit zwei Tendenzen filmischer Bearbeitung historischer Stoffe erkennbar. Gleichzeitig lassen sich in der gesamten osteuropäischen Filmproduktion der siebziger und achtziger Jahre thematische Schwerpunkte, die als Familiensaga, die meistens mehrere Generationen umfasst, gestaltet sind, erkennen. Reichen generationsübergreifende Geschichten von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts, sind Kriegsdramen wie Fábián Bálint találkozása Istennel im bzw. nach dem Ersten Weltkrieg angesiedelt. Als Beispiel für Jahrzehnte überspannende Familiengeschichten können Tisícročna včela / Die tausendjährige Biene, 1983, oder Filme Miklós Jancsós wie Magyar rapszódia / Ungarische Rhapsodie, 1979, und Allegro Barbaro, 1979, stehen, die in ähnlicher Form in der österreichischen Produktion völlig fehlen, jedoch nachvollziehbar den semantischen Raum, das semantische Bassin nach Durand, öffnen. Tisícročna včela erzählt eine Familiengeschichte aus einem slowakischen Dorf. Der erste Teil betrifft das Leben von Martin Pichanda, während der zweite Teil dessen Sohn, Samo, charakterisiert und in die Atmosphäre tiefer sozialer und politischer Depression führt, die im Ersten Weltkrieg endet. Aus Polen kommt Noce i dnie / Nächte und Tage, der eine Chronik einer Familie erzählt, die von der polnischen Erhebung 1863 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges führt. In ähnlicher Weise umfasst Červené víno / Roter Wein, 1977, eine Familienchronik, die in den Umbruchsjahren 1913 bis 1930 angesiedelt ist und an den für Wein bekannten Karpatenabhängen spielt. Einen in die nähere Zeitgeschichte führenden Film stellt Dediscina / Die Erbschaft, 1984, in drei Teilen dar, die in den Jahren 1914, 1924 und 1944 angesiedelt sind. Diese Zusammenfassung eines groß angelegten TVEpisodendramas macht mit dem Schicksal der Familie Vrhunc bekannt, deren Wurzeln in der Habsburgermonarchie liegen und die als Nazikollaborateure von den Partisanen verfolgt wird. Dramatische Kriegsgeschehen reichen von der Verantwortung gegenüber Kriegsgefangenen –Lekcja martwego jezyka / Die Stunde, 1979, in dem ein junger Ulanenleutnant einen russischen Gefangenen auf der Flucht erschießt und an dieser Tat innerlich zerbricht – bis zu dem tragischen Geschehen des fanatischen Soldaten Hoferik in Sig­ num Laudis, 1980, der im Soldatentum seine Möglichkeiten für einen sozialen Aufstieg sieht. Eine Herberge an der Grenze zwischen Russland und der Habsburgermonarchie wird in Austeria / Austeria – Das Haus an der Grenze, 1982, zum Schicksalsort für jüdische Flüchtlinge, die zwischen den feindlichen Linien zerrieben werden. Gegenüber den zuerst erwähnten Filmen stellt Austeria eine Umkehrung des Zeit- und Raumgefüges dar. Werden in den zuvor genannten Filmepen große zeitliche und räumliche Epochen in einer diachronen Sicht umspannt, ausgewählte Ereignisse und deren Weitergabe als his303

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torische Erfahrungen von Generation zu Generation zu einem gesellschaftlichen Bild gefügt, konzentrieren sich die Ereignisse in Austeria wie in einem Brennglas der Zeit. Es ist ein Kommen und Gehen unterschiedlicher Menschen und Schicksale, die auf einen Ort und auf wenige Stunden zusammengedrängt sind. Orte wie Gaststätten, Hotels, Bahnhöfe oder Krankenhäuser, in denen viele unterschiedliche Charaktere und deren Lebensgeschichten zusammentreffen, spiegeln die Vielzahl menschlicher Lebensläufe wider. Sie konzentrieren in synchroner Sicht Zeitgeschichte, Kulturen und Mentalitäten. Neue Querverbindungen werden zu Schicksalsorten menschlicher Erfahrungen.505 Einen Film, der in der Gegenwart seines unmittelbaren Sujets angesiedelt, jedoch dramaturgisch ähnlich geknotet ist, stellt Before Sunrise, 1995, dar. Lernen sich die beiden Hauptdarsteller im Zug zwischen Budapest und Wien kennen und beschließen, für eine Nacht Wien zu erforschen, befinden sich ungarische Touristen fünf Jahre zuvor, 1990, in Itt a szabadság / Es lebe die Freiheit auf der gleichen Route nach Wien, um die für sie neue Stadt zu erfahren. Gesprächsfragmente und nächtliche Nahsichten eines für die Stadtbewohner unbekannten Erlebnisraumes oszillieren mit den unausgeglichenen und aufnahmebereiten Ungarn, die sich in der neuen Welt zurechtfinden wollen.

505 Grand Hotel / Menschen im Hotel, Edmund Goulding, USA, 1932, ist das bekannteste Beispiel in der uns geläufigen Filmgeschichte.

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Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten in Österreich 2011 bei einer österreichischen Familie. Franz Neumayr/picturesdesk.com

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Linke Seite: Wedding March / Hochzeitsmarsch (Erich von Stroheim, 1928) »Sein Schicksal, seine eigene Schöpfung, entzieht sich seiner Kontrolle und trägt ihn in ein Paradies, das von Schönbrunn ebenso weit entfernt ist wie von Hollywood oder Paris.« (Jean Renoir, anlässlich des Todes von Erich von Stroheim, 1957) Rechte Seite: The Third Man / Der Dritte Mann (Carol Reed, GB, 1949) »Die bedrohende Atmosphäre wird durch Kraskers Bilder verdichtet: Flüchtige Schatten und plötzliches Aufblitzen von Licht, das die Finsternis durchbricht.« (Derick Grigs, Sequence, 1950) Four in a Jeep / Die Vier im Jeep (Leopold Lindtberg, Schweiz, 1951) »Eine Szene ist besonders wert, erwähnt zu werden – die Heimkehr der Kriegsgefangenen am Wiener Bahnhof. Fast ohne Dialog bleibt sie eine der packendsten für lange Zeit.« (Mezo, Variety, 1951)

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Linke Seite: Oben: Bad Timing / Anatomie einer Leidenschaft (Nicolas Roeg, USA, 1980) »Einen Film muss man nicht anschauen und anhören, sondern erforschen und ihm aufmerksam lauschen.« Sergej Eisenstein (Cahier du cinéma, Nr. 118) Unten: Laliepolné / Feldlilien (Elo Havetta, CSSR, 1972) »Erlösung des Fotogramms aus dem Sukzessionszwang und Emanzipation seiner Sinnschichten und der Textsignifikation.« – »Das Fotogramm hebt den Zwang der Filmzeit auf.« (Roland Barthes, 1970)

Rechte Seite: Oben: Blick auf den Prater Unten: The King Steps out (Josef von Sternberg, USA, 1936) »… ist ein gutes Beispiel für ein ›Ruritanian‹ Musical.« (Laura Elston, New Theatre, 1936) – Der Prater als wiederkehrende Kindheitserinnerung in Filmen von Josef von Sternberg.

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Wien, vom Belvedere aus gesehen (1758/61) Bernardo Bellotto, gen. Canaletto (1722– 1780)

»Die feindlichen Gewalten« (Detail) Gustav Klimt – Der Beethovenfries Perspektive und Motiv, die als optisches und dramaturgisches Echo in Bad Timing und in Klimt wieder zu finden sind

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Az én XX, századum / Mein 20. Jahrhundert (Ildikó Enyedi, Ungarn, 1989) »Für alles, was man gewinnt, geht etwas verloren. – Es scheint, als sei der von Edison mitentwickelte Kinematograph eine der wenigen Erfindungen, die wirklich zum Wohl des Menschen arbeiten.« (Ildikó Enyedi, La Revue du cinéma, 1, 1990)

Jadvigas Párnája / Jadviga´s Pillow (Krisztina Deák, Ungarn, 2000) Sie könnten unsere Urgroßmütter und Großmütter sein.

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The Double Man / Der doppelte Mann (Franklin Schaffner, GB 1967) »Schaffners Film zeichnet sich gleichwohl durch bemerkenswerte Zurückhaltung in Sachen optisch dargebotener Brutalität aus – ein Vorzug immerhin, der seinen Film von den Filmen der handelsüblichen Agentenschwemme wohltuend absetzt.« (H.E., Katholische Filmkommission, Österreich, 1967) The Sound of Music / Meine Lieder – meine Träume (Robert Wise, USA, 1965) »Salzburg und die Alpen, natürliche Dekors, spielen eine maßgebliche Rolle bei der Verführung durch dieses Märchen für Erwachsene.« (Henry Lemaire, Le Soir de Bruxelles, 1965)

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Ginrei no ôja / Der König der Silbernen Berge (Yoshiaki Bansho, Japan, 1960) »Er war nach dem Kaiser die bekannteste Persönlichkeit des japanischen Reiches.« (Rudi Sailer, Die Presse, 31.1.2013)

Amadeus (Miloš Forman, USA, 1984) Ein Blick von außen ist immer neu, oftmals schärfer und klarer.

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Il Portiere di notte / Der Nachtportier (Liliana Cavani, Italien, 1974) Grund für die Wahl des Handlungsortes 1957: »In Wien traf man prozentuell die meisten Nazis. Jeder nahm seine Aktivitäten wieder auf. Man blieb miteinander in Kontakt.« (Christine Gauthey, Journal du Dimanche, 1974)

Tenizabythykhpredkov / Feuerpferde – Schatten vergessener Ahnen (Sergei Paradschanow, UdSSR, 1964) Hochzeitspaar: »Durch die Schnelligkeit des Travellings sehen wir eine Farbkaskade, Formen und unscharfe Konturen. Dann hält es plötzlich inne, um uns sehen zu lassen, bevor die Kamerafahrt wieder, noch zügiger, aufgenommen wird.« (Sylvain Godet, Cahier du cinéma,1966)

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Mahler (Ken Russel, GB, 1974) Sequenz: »Mahlers Bekehrung zum Katholizismus«: Ausdrucksstarke Symbole, die in Erinnerung bleiben und Russels filmischen Zugang zu Musikerbiopics unterstreichen.

Miracle of the White Stallions / Flucht der weißen Hengste (Arthur Hiller, USA, 1963) Das Disneystudio nimmt sich der Geschichte an. Ein SS-Offizier wird zum entscheidenden Retter unseres Kulturguts, der Lippizaner.

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Mayerling (Terence Young, GB, Frankreich, 1968) »Terenc Young hatte das reale Dekor und die Orte zur Verfügung, in denen die imperiale Geschichte eingeschrieben bleibt.« (Jacques Sicilier, Télérama,1969)

Vizi privati, Pubbliche Virtù / Die große Orgie (Miklós Jancsó, Jugoslawien, Ungarn, Italien, 1975) »Es ist wortwörtlich ein politisches Spiel: Politik als Spiel, ein Spiel als Politik.« (Jacques Rivette, 1975)

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Scorpio / Scorpio, der Killer (Michael Winner, USA, 1972) Es gibt auch unglückliche Agenten. Mit formalen Anklängen an »Der Dritte Mann« wird die Stadt ihrem Ruf gerecht.

Julia (Fred Zinnemann, USA, 1976) »Das ist konservatives – klassisch humanistisches –Filmemachen, bei dem jedes Detail ausgearbeitet ist, bis zum Lichtschimmer im Auge des Schauspielers.« (Kael, Pauline, 1977)

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Bad Timing »Wenn wir uns nicht treffen, gibt es immer die Möglichkeit, dass es perfekt gewesen wäre«, Alex zu Milena am Ende ihrer Beziehung, die hier beginnt.

Before Sunrise / Eine Nacht in Wien (Richard Linklater, USA, 1995) »Kurze Begegnung oder Beginn einer großen Liebe? – Ein Spaziergang durch die österreichische Hauptstadt!« (Marie-HoëlleTranchant, Le Figaro, 1995)

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A Dangerous Method / Eine dunkle Begierde (David Cronenberg, GB, 2011) Freud und Wien. Psychoanalyse und Film. Begriffspaare, die heute eng zusammen gedacht werden, jedoch in der Filmgeschichte einer langen Phase der Annäherung bedurften.

Blue Jasmine (Woody Allen, USA, 2013) »Kommst du mit mir nach Wien? Wir werden dort wohnen. Du kannst so viele Schokotorten essen, wie du willst, und Wein … Ich werde dir zeigen, wie man Walzer tanzt.« (Dialog aus dem Film, 68. Minute)

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Kristallbild: »Die Ununterscheidbarkeit von Realem und Imaginärem, von Gegenwärtigem und Vergangenem, von Aktuellem und Virtuellem.« (Gilles Deleuze, 1983)

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Neue Erzählungen – nach 1989 Ein neuer Blick – Landschaften – Art der Landschaft – Heldenplatz – Fallbeispiel  : Before Sunrise – Autorenanteil – Filmzitat – Fallbeispiel  : Jadviga párnája / Jadvigas Kopfkissen – Kinder

Die Zeitangabe »nach 1989« wird nicht nur durch die politischen Ereignisse, sondern auch durch das Aufgreifen von filmischen Plots, die sich durch die Auseinandersetzung mit Minderheitenfragen am Beginn des 20. Jahrhunderts und durch neue formale filmische Lösungen von Künstlerbiografien auszeichnen, definiert. Auch grenzüberschreitende Reisen zwischen Ost und West, zwischen Ungarn und Österreich, werden auf Grund der veränderten politischen Verhältnisse erstmalig als filmische Ereignisse behandelt.

Ein neuer Blick Die ersten Erlebnisse einer ungarischen Einkaufsgemeinschaft in Wien werden mit Itt a szabadság / Voilà la liberté/ Die Freiheit ruft  !, 1990, erzählt. Das neue Konsumangebot überwältigt die Reisenden. Diese Unruhe lässt die eingesetzte Handkamera spüren. Der ethnografische Zugang des Autors Vajda beobachtet dicht Stimmungen, Hochgefühle beim Grenzübertritt oder das unterschiedliche Verhalten im ungewohnten Geschäftsgedränge. Kopa fährt zum ersten Mal mit seinem Moskwitsch nach Wien. Unterwegs nimmt er drei zweifelhafte Typen mit, die in einem Brotlaib Geld illegal über die Grenze nach Österreich schmuggeln. Als er nach einem Einkaufsbummel auf der Mariahilfer Straße und am Flohmarkt am Wiener Naschmarkt zurück zu seinem Auto kommt, wird dieses vor seinen Augen wegen Falschparkens abtransportiert. Verzweifelt läuft er durch die Straßen und versackt in verschiedenen Bars. Neben Einstellungen von Großstadthektik kommt es zu lyrisch-impressionistischen Bildern eines nächtlichen, in dieser Form unbekannten Wien. Dieser Film gehört zu den wenigen Beispielen, in denen Wien in der Gegenwart gezeigt wird. Die Stadt ist nicht Kulisse, sondern sie wird durch die Menschen belebt, die als Fremde diese Stadt mit ihren Straßen, Lokalen und historischen Bauten ergänzen.

Landschaften Landschaften, die narrative Gesten stützen, müssen nicht, um diegetische Plausibilität zu erzielen, ausschließlich durch Authentizität bestimmbar sein, sondern sie folgen 321

Neue Erzählungen – nach 1989

grundsätzlich einer diegetischen Logik. Menschliches Verhalten, verbreitete Mentalitäten oder filmische Zeichencodes – wie zum Beispiel Licht, überlegter Bildkader oder ein bewusster Rhythmus der Einstellungen – konstruieren und verstärken Erzählräume, Orte oder Landschaften ebenso wie die üblichen neutralen Panoramaschwenks, die den Postkartenansichten nicht unähnlich sind. Österreichische Sehenswürdigkeiten und atmosphärische architektonische Eindrücke als Drehplätze werden weltweit als »product placements« angeboten.506 Beispiele für erfolgreiche Imagebildung, ohne dass dabei authentische Orte bemüht werden, sind Amadeus, 1984, in Prag gedreht, oder Bratislava/ Wien von The Living Daylights, 1987. Obwohl ökonomische Zielvorstellungen und nicht ästhetisch-dramaturgische Überlegungen im Vordergrund der Tourismusbranche stehen, sollte man sich differenziert Gedanken darüber machen, ob damit überhaupt Images und Mirages vom vergangenen und gegenwärtigen Österreich in den Erzählungen vermittelt werden. Eine weitere Variante ist es, atmosphärische Locations zu nützen, um andere Orte zu poetisieren. Dabei werden Orte, Landschaften und Räume genutzt, um Wien als Musikstadt bzw. als Drehscheibe für Agenten in neuer Form in aktuellen Filmen zu imaginieren. Die gezeigten Orte sind durch Kadrierung und Schnittfolge oft im Kino bis zur Unkenntlichkeit verkürzt. Sie erhalten ein identifizierbares Profil und kulturspezifische Wichtigkeit nicht durch äußerliche Abbildfunktionen in Form von Panoramaschwenks oder von theatralen Prospekten, sondern lang nachwirkende Images werden von diegetischen und handlungsadäquaten Charakteren beeinflusst und definiert. (…) die habsburgische Landschaft ist keine reale Landschaft, und obwohl sie ständig mit konkreten Realitätszeichenoperiert, baut sie daraus mittels ästhetischer Verfahrensweisen eine literarische, oder wenn wir mit den Kategorien von Roland Barthes, Mircea Eliade oder Leszek Kolakowski sprechen, eine mythisierte, ja, sogar eine mythische Landschaft.507

Zu einer vertiefenden Begriffsdifferenzierung von Landschaft, Ort und Raum dient die von Gardies vorgestellte Systematik, die im Bezug auf ihre narrative Funktionalität diese drei genannten Bereiche unterscheidet,508 obwohl die Interpretationsvielfalt des Begriffes »Landschaft« – der für einen Geografen, für eine Politikerin oder für eine Filmwissenschafterin jeweils etwas völlig anderes bedeutet – mitgedacht werden muss. Es ist also eine Differenzierung angebracht, wenn man an so unterschiedliche Begriffe wie »Ort«, »Landschaft« oder »Raum« denkt und diese nützt. Diese Begriffsunterscheidung 506 You Tube, »On Location Vienna – Vienna Film commission, 8 min.« (am 19.3.2016). 507 Kasyénski, Piontek, Die habsburgischen Landschaften in der österreichischen Literatur, 1995, 12. 508 Gardies, »Le paysage comme moment narratif«, Mottet, Les paysages du cinéma, 1999, 141–153. Ergänzende Überlegungen finden sich auch bei O’Rawe, Des, »Venice in Film  : The Postcard and the Palimpsest«, in Film Quarterly, Nr. 3, Vol. 33, 2005, 224–232.

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Art der Landschaft

kann zur Klärung der Frage beitragen, in welcher latenten und dynamischen Weise Österreich über typische Themen wie Wiener Medizinische Schule oder Walzermusik und durch historisch zuordenbare Fakten und Charaktere imaginiert wird. Leicht lässt sich sagen, »dass die Landschaft einer Schauspielerin im Kino gleichzustellen ist.«509 Dadurch werden sie zu bestimmten Orten, zu strukturierten Landschaften und können unterschiedliche Funktionen als Teil einer Filmerzählung einnehmen. In Klimt, Raúl Ruiz, 2006, werden Räume gestaltet, die in keiner besonderen Weise einer bestimmten Stadt zuzuordnen sind. Die verschneiten Straßenszenen, in denen Klimt in eine Schlägerei verwickelt wird und Kulturminister Hartl trifft, stehen aräumlich und a-zeitlich innerhalb der Diegese. Ihnen fehlen jene Indizien, die für eine bestimmte Stadt sprechen würden, außer die enge winkelige schneebedeckte Gasse ist persönlich bekannt wie im Beispiel aus Brief einer Unbekannten / Letter from an Unk­ nown Woman, wo durch ein Anfangsinsert, durch eine Hintergrundansicht der Stephanskirche  – Gardies nennt sie »paysage-fond«  – oder durch Ereignisorte wie den Prater Wien emblematisch suggeriert wird. Dies stellt auch den gewöhnlichen und gewohnten Gebrauch dar, den Realitätseindruck, das Hier und Jetzt, zu stärken. Der Zeigeduktus der sich in der Abenddämmerung auflösenden Silhouette des Stephansturms in Wien – unmarkiert als gemalter Bühnenprospekt erkennbar– findet im fließenden und oft unbestimmten Erzählduktus des gesamten Films Letter from an Unknown Wo­ man seine ästhetische Entsprechung. Unabhängig von dieser konkreten Charakterisierung, die sich in der Vagheit und Unbestimmtheit der Darstellung der Charaktere und in der Wahl der konkreten Ausschnitte wiederholt, wird die grafische figurale Darstellungsform zu einem ebenso wichtigen Indiz für die diegetische Funktion wie der konkret geografisch oder historisch festzumachende Ort, der Räume aktualisiert und sie dadurch im Sinne der Erzählung erkennbar macht.

Art der Landschaft Eine Landschaft als dramaturgischer Raum kann zur repräsentierten Handlung oder zu den auftretenden Charakteren in einen Gegensatz gestellt werden. Ein derartiger Kontrapunkt wird bei Gardies als »paysage-contrepoint«, als Gegenlandschaft, bezeichnet. Es ist keine Landschaft, die der Erzählung einen verorteten Rahmen gibt, sondern eine, die, ähnlich wie der kontrapunktische Einsatz in der Musikbegleitung, differenziert neue Sichtweisen hinzufügen kann. Die Landschaft als figural-topografische Exposition kodifiziert – als bekanntes Beispiel kann die Panoramaeinstellung im Genre des »Western« genannt werden  – ein 509 Mottet, »Au cinéma, le paysage est un acteur«, 1999, 87–92.

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Neue Erzählungen – nach 1989

Genresignal, dessen Einführung in den Film, als Exposition zum Beispiel, mit der entsprechenden Genremusik die Weite der Prärie zu »öffnen« weiß. Das Wort »öffnen« erinnert an das angewandte technische Verfahren, das dem Zuschauer in Form einer Aufblende tatsächlich den Blick auf die Landschaft erschließt. In beiden Fällen geht es um eine Erweiterung der Darstellung und um eine Sinnentfaltung des Dargestellten. Die Form der ausgestellten Landschaft, der »paysage-exposant«, ist eng mit dem jeweiligen Genre verbunden und visualisiert bereits zu Beginn die epische Breite der Erzählung, die sich auf historische Fakten bezieht und sich auf weltbewegende Themen stützt. Die Erzählungen über Mayerling oder über Sarajevo510 wären mögliche, Genres assoziierende Themen aus dem Untersuchungskorpus, die auf Grund der die nationale und internationale Geschichte bewegenden Ereignisse große Landschaftsentwürfe in Form von Panoramaschwenks und Ereignisorten, ähnlich der Wüste in Duel in the Sun, als affirmative Genresimulation einbringen könnten. Aber in den genannten Filmen kommt ein derartiger den Sinn der Handlung erweiternder Landschaftsraum nicht vor. Das Insert, mit dem Wien in The Marriage Circle, 1924, eingeführt wird, stellt dagegen einen rezeptionsorientierten Vertrag zwischen Autor und Publikum her, der regelt, dass das Publikum sich einen Ort durch Worte vorzustellen habe, wodurch in der Folge Fantasien und Erfahrungen zum annoncierten Ort angeregt werden. In der aktuellen Produktion Blue Jasmine, 2013, wird Wien als möglicher Fluchtpunkt imaginiert. Die Vorstellung von der Stadt wird benützt, um zu überreden  : »Kommst du mit mir nach Wien  ? Wir werden dort wohnen. Du kannst so viele Schokotorten essen, wie du willst, und Wein….. Ich werde dir zeigen, wie man Walzer tanzt.« Diese Erwartungen werden im Laufe der Handlung durch Ereignisse und menschliches Verhalten verdichtet oder, im Gegenteil, das Versprechen wird durch die Art und Weise der Charaktere und der Interieurs modifiziert. Die Ähnlichkeit mit den Erfahrungen und Vorstellungen kann erfüllt oder nicht in Übereinstimmung gebracht werden. Emotionale und intellektuelle Spannung wird in beiden Fällen als hermeneutischer Code nach Barthes511 jenseits der konkreten Handlungsaktion eingebracht. Ein gutes Beispiel dafür stellt die Sequenz im Film Mayerling, 1968, dar, in der Rudolf über seine politischen Ambitionen spricht und dabei in die Weite seines Reiches blickt. Diese Art der Landschaftsbeschreibung, die, dramaturgisch eng angelehnt, den Charakter profiliert, kann auch als Genremarker bezeichnet werden. Sie definiert den epischen Historienfilm und stellt im Nichtzeigen oder im Zeigen der Umgebung auch den technisch bedingten Übergang zwischen dem Urkino und dem klassischen Kino dar. Im Gegensatz zur vorangegangenen Landschaft trennt die »paysage-contrepoint« die Charaktere von ihrer Umgebung. Sie wird zum Bewährungsfeld, gegen das ange510 De Mayerling à Sarajevo, 1940, oder Sarajevský atentát, 1975. 511 Barthes [1970], 23.

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Heldenplatz

kämpft werden muss. Naheliegend ist hier das Genre des Bergfilms, The Doomed Batta­ lion, 1932, in dem offensichtlich die Natur, ausgedrückt in der Topografie der Bergwelt, agiert und zum Gegenspieler des Menschen wird. Aber auch die Komödie baut ihre Wirkung auf diesem Widerspruch auf, wodurch es zu genrespezifischen Situationen kommt. »Landschaft ist das Gesicht des Landes«,512 und dieses lässt sich, einer Osmose nicht unähnlich, in den Charakteren erkennen. Die Vorherrschaft der Landschaft definiert den Menschen, füllt ihn aus oder erschöpft sich im selbstreflexiven Zeigen. In der »paysage-expression« wird der romantische Aspekt betont, die belebte Natur im Austausch mit dem Menschen zu profilieren. Dafür steht als Beispiel Un grand amour de Beethoven, in dem das physische Leid des Komponisten – dessen Taubheit – direkt mit den Tönen der Natur in Verbindung tritt. Unter einem filmhistorischen Blickwinkel wird Wien sowohl in den Studios mehr oder weniger aufwendig nachgestellt – das bekannteste Beispiel dazu ist The Wedding March – an Originalschauplätzen aufgesucht, oder es werden Dokumentaraufnahmen wie in Julia aus den Studioarchiven entnommen.

Heldenplatz Obwohl eher ein bestimmter Ort die Zeit und den Raum der Erzählung funktional bestimmt und die Landschaft zu einem Spektakel an Farben, Licht und möglichen Formenkompositionen wird, stellt der Heldenplatz je nach Vorwissen einen Übergang zwischen diesen beiden Komponenten, Ort und Landschaft, dar. Er wird zu einem Raum, in dem Vergangenheit und Gegenwart in sinnlicher Form aufeinandertreffen können. Der Heldenplatz aktualisiert sich, abhängig von der Entfernung zum realen Geschehen und von der tatsächlichen Einbindung in die Diegese, in den Beispielen The Strange Death of Adolf Hitler, Once Upon a Honeymoon und Julia in unterschiedlicher Weise. Es werden dadurch weniger Bilder aus Wien geliefert als Stimmung, Gefühle und Erinnerungen in der jeweiligen politischen Zeitepoche imaginiert. Vor dem Blick auf den Heldenplatz entsteht ein architektonischer Raum aus Linien und Schwarzweiß-Schattierungen. Er bleibt jedoch immer auch ein intellektuell-historisch bestimmbarer Ort, selbst dann, wenn die Autoren ihn falsch positionieren, ihn mit Montage imaginieren oder ihn direkt abbilden. Wenn Wien als Landschaft der Diegese eingebracht wird, handelt es sich oft um eine Ausdruckslandschaft, um eine »paysage-expression«, in Bad Timing ebenso wie in Il por­ tiere di notte / Der Nachtportier. Sie stellt einen emotional aufgeladenen Teilbereich der Ereignislandschaft, der »pasysage-drame«, dar. Eine derartige Funktion der Landschaft interveniert direkt in den Erzählablauf, verändert Handlungen und Charaktere. Sie wird 512 Gardies, Mottet, 1999, 148.

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Neue Erzählungen – nach 1989

durch die erzählerische Kausalität in ihr Recht gehoben. Die Landschaft wird zu einer Metapher für einen größeren, psychologisch oder historisch motivierten Zusammenhang.

Fallbeispiel  : Before Sunrise In Before Sunrise / Eine Nacht in Wien, 1995, sieht der US-amerikanische Regisseur Richard Linklater Wien durch die Augen der beiden Hauptdarstellerinnen. Es ist Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Zwei junge Menschen – Celine, eine Pariserin, und Jesse, aus den USA – treffen sich im Zug von Budapest nach Wien. Sie beschließen, gemeinsam eine Nacht in Wien zu verbringen, bevor sie ihre Reise wieder alleine fortsetzen. Es gibt in dem Film Sequenzen, in denen das junge Paar direkt im Gespräch mit Dritten oder in Form der Beobachtung Kontakt mit Menschen in der Stadt herstellt. Als Verliebte sind sie oftmals mit sich selbst beschäftigt, oder sie suchen nach Orten wie dem Friedhof der Namenlosen, die zu Assoziationen über ihre eigene Existenz und über Leben und Tod verleiten. Die erste Begegnung findet mit zwei Schauspielern auf einer Brücke statt, die um Auskunft gebeten werden und von denen sie zu einem Theaterstück am Abend eingeladen werden. Jesse macht sich über zwei vorbeieilende Klosterbrüder mit einem lasziven Witz lustig, indem er das Gespräch suggeriert, das die beiden miteinander führen  : »Ich habe nichts darunter an  !« Eine Wahrsagerin lässt sich für ihre Voraussage von Celine bezahlen. Ein junger Mann schlägt vor, auf ein von ihnen ausgewähltes Wort – sie nehmen den Begriff »Milch-Shake« – gegen Bezahlung ein Gedicht zu machen. Auf einem Platz beobachten sie einen Tanz, den Celine als Geburtstanz interpretiert, da sie ihn aus einem Dokumentarfilm bereits zu kennen glaubt. Jesse macht sie auf Geigenspieler aufmerksam, die im Hintergrund zu spielen beginnen. Diese Folge von Einstellungen wirkt in einer gewissen Weise selbstreferentiell – die Bildaussage und die Bilddarstellung stehen für sich alleine und affirmieren als Folge die Authentizität der übergeordneten Erzählung – und hebt sich vom übrigen Erzählduktus ab. Die Geigenspieler treten in einem romantischen Moment der beiden in das Gespräch als Hintergrundmusik im Off ein, konstruieren für kurze Zeit die Stimmung von Erzählungen über Österreich in klassischer Form mit (Geigen als Emotionalisierungsgestus), um mit Jesses Fingerzeig entdiegetisiert zu werden. Nach Sonnenaufgang, bevor sich die beiden trennen müssen, hören sie einen Cembalospieler, zu dessen Stück sie tanzen. Während Jesse skeptisch gegenüber den nächtlichen Begegnungen bleibt – er fragt, ob man überhaupt zu einer Cembalomusik tanzen könne –, sich emotional immun gegenüber der Geigenmusik zeigt und die vorbeieilenden Mönche ironisiert, erhält sich Celine die kulturelle Unvoreingenommenheit einer Europäerin. Als Romantikerin viel326

Autorenanteil

leicht gegenüber den Wiener Begegnungen aufgeschlossen, nimmt sie ihre nächtlichen Erforschungen der Stadt als eine Reise in ihre eigene Psyche auf. Die Summe der Sequenzen verdichtet das Bild von Wien zu einem Ort, der, je länger die Nacht andauert, umso mehr außerhalb der Zeit zu liegen scheint. Der Besuch am Friedhof der Namenlosen nimmt eine lange Episode im ersten Teil des Filmes ein. Dadurch erhält die Geschichte von Beginn an eine nachdenkliche, existenziell motivierte Stimmung, aus der heraus die weitere Entwicklung im Film gesehen werden kann. In einer zentralen Sequenz, in der in autonomen Einstellungen die übergeordnete Idee »Was spricht man im Wiener Café  ?« zusammengefasst wird, gehen die Meinungen der Caféhausbesucher, die durch die akustisch klaren Nahaufnahmen von Gesprächsfetzen technisch evoziert werden, in die des Autors über. Derartige Caféhausgespräche können  – so suggeriert die Auswahl, die Folge der Einstellungen und der gleichbleibende Bildaufbau, in dessen Mittelpunkt der Caféhaustisch steht – nur in dieser spezifischen Wiener Atmosphäre stattfinden. Das Postkartenwien, die Sehnsucht nach Dubrovnik, die Bedeutung von Egon Schiele und Otto Wagner, der Tod der Zivilisation und das Witzeln über das Urinieren sind Themen, über die heftig diskutiert werden kann. In dieser Szene, die auch formal vom übrigen Erzählduktus abweicht, wird der Autorenanteil in besonderer Weise sichtbar. Nicht nur durch die technische Wahl der Tonaufzeichnung (eine Tongroßaufnahme), sondern durch die für die sonstige Gestaltung des Filmes ungewohnte Nutzung der autonomen Einstellungen, die im zeitlichen Nacheinander der Stimmen einen Raum evozieren, in dem man sich omnipräsent umhört. Im Abspann wird diese Technik noch einmal verwendet, wenn Jesse in Erinnerung an die Nacht, in Form von autonomen Einstellungen, für die Stadt paradigmatische Gebäude und Orte aufsucht.

Autorenanteil Auf Grund der Gestaltungsweise, die sich vom übrigen filmischen Duktus abhebt, könnte davon ausgegangen werden, dass das Bild des Autors von Wien in komprimierter, auf akustische Bedeutungsinhalte reduzierter Form am stärksten zum Ausdruck kommt. Die gegenüber der übrigen Filmerzählung ungewöhnlichen Gestaltungsmittel – starre Einstellungen von Caféhausgästen, deren Gespräche im Tonvordergrund – und ein Nichtinteragieren durch Off- Kommentare oder durch Handlungen der beiden Hauptakteure lassen die aneinandergereihten Meinungen als das Bild des Autors über Wien erkennen. Die Frage »Wer spricht worüber  ?« ließe sich im Beispiel schwer beantworten. In Kenntnis jedoch der bisher vorangegangenen Bilder und Töne, die meistens von einer gegenseitigen Bestätigung, einer Verdoppelung, der Bild- und Tonaussage geprägt 327

Neue Erzählungen – nach 1989

sind, lässt sich, da viel differenzierter gestaltet, ein besonderes Augenmerk auf eine bestimmte Stereotypenbildung durch den amerikanischen Autors Linklater erkennen. Ihm war diese Sequenz besonders hervorhebenswert. Wird der These gefolgt (die theoretisch durch Isers Konzept513 des impliziten Lesers bzw. durch Jakobsons514 Überlegungen zur Bedeutung des gesunkenen Kulturgutes entwickelt werden kann), dass der Autor Richard Linklater als Kenner aller bisherigen Filmbilder gesehen werden kann, lassen sich die Inhalte der gehörten Gesprächsfetzen als Stereotypen zu einer atmosphärischen Skizze über Wien zusammenfassen. Sie besteht aus der Nahbeziehung zur slawischen Welt, aus einer transhistorischen Diskussion über die Moderne, die sich in Namen wie Schiele oder Wagner personifiziert, aus der Beschreibung des wienerischen Verhaltens im Gegensatz zur modernen Zivilisation und aus Witzen mit psychoanalytischen Versatzstücken. So können nur in der Logik des Autors Linklater die beiden profilmisch als Künstlertypen determinierten Personen in der dritten Einstellung der Abfolge in dieser Sequenz Wagner und Schiele als Gesprächsstoff haben. Die anderen Teilnehmerinnen der Runde sind in ihrer altersmäßigen und gruppendynamischen Zusammensetzung in Bezug auf ihre Gesprächsinhalte austauschbar. Das Paar in der vierten Einstellung fällt durch seine Kleidung (Krawatte und schwarzes Kleid) auf und könnte eventuell noch aus dem Rahmen fallen, würde man sie alle an einem Tisch zusammen Platz nehmen lassen. Die Kleidung lässt auf moderne Menschen schließen, die mit der Wahrsagerin oder der Tänzerin des Geburtstanzes nichts gemein haben.

Filmzitat Das ikonographische Motiv, das Riesenrad, als entscheidungsträchtiger Ort, ist aus der Filmgeschichte bekannt. Eines der ersten Zitate dieses Orts als eines direkten Bezugspunkts zur Handlung findet sich bereits in Night Life, 1927, wo Max, der Taschenspieler, indem er sich einschließen lässt, mit dem Mädchen Anna eine Nacht am Riesenrad verbringt. In einer Sequenz in Before Sunrise / Vor Sonnenaufgang kommt es in der Gondel zum ersten Kuss. Man erinnert sich an The Third Man / Der dritte Mann, in dem in ei513 Iser, Der Akt des Lesens, 1976. 514 Gesunkenes Kulturgut ist im Gegensatz zu einem versunkenen jenes, das jederzeit im Gedächtnis abrufbar, zitierbar ist und in bestimmter Form verstanden wird, nach Jakobson [1929], 1979, 97 f.

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Fallbeispiel  : Jadviga párnája / Jadvigas Kopfkissen

ner Gondel des Riesenrads Harry Lime seine Lebensphilosophie (Stichwort Kuckucksuhr) ausbreitet, und an Morde am Fuße des Riesenrads. Dieses Wahrzeichen von Wien scheint als Treffpunkt von Agenten und von Regisseuren beliebt zu sein scheint, wie in The Living Daylights / James Bond 007 – Der Hauch des Todes, in dem ein Informant von James Bond in die Luft gesprengt wird. Der folgende Film, der die Produktionsbeispiele aus den beiden letzten Jahrzehnten fortsetzt, geht wieder in die Geschichte Österreichs zurück.

Fallbeispiel  : Jadviga párnája / Jadvigas Kopfkissen Ist in Es lebe die Freiheit und in Vor Sonnenaufgang die Erzählung in der Gegenwart angesiedelt, kehrt Jadviga párnája / Jadvigas Kopfkissen, Krisztina Deák, zu den multiethnischen Konflikten zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie ringen ungarische und slowakische Nationalitäten um die Vorherrschaft in Ostungarn, und Vorurteile zwischen Christen und Juden bilden zusätzliche Streitpunkte innerhalb der Dorfgemeinschaft. Durch ähnliche Familiengeschichten vorbelastet, heiraten Jadviga und Ondris und gehen während des Krieges getrennte Wege. Sie kann seine Liebesbeweise nicht erwidern. Im Gegenteil, sie beginnt eine Affäre mit Francis, einem Rechtsanwalt. Nach Ondris’ plötzlichem Tod erkennt sie durch sein Tagebuch das ganze Ausmaß seiner Liebe zu ihr. Die Geschichte entwickelt sich in einer kleinen Stadt im Südosten Ungarns auf dem Hintergrund der historischen Ereignisse zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die bildlichen Lösungen in einigen Handlungssequenzen erinnert an die ethnologischen Bildfragmente aus dem ersten noch erhaltenen Film von einer Hochzeit in Arad, A mozikirály / Filmkönig, 1913. Die Tänze im Film Jadviga párnája prägen die Filmerzählung, indem sie zu narrativen Marksteinen werden, mit denen sinnlich nachvollziehbar wird, wie die einzelnen Charaktere in Kultur und Religion positioniert sind. Die unterschiedlich bevorzugte Tanztradition der beiden wird zum Ausdruck des Selbstbewusstseins und der Zugehörigkeit zur Familie, zur Religion und zu slowakischer, ungarischer und jüdischer Gemeinschaft, die gleichzeitig einem Transformationsprozess unterworfen sind. Die Tanzbewegungen bzw. die Änderungen der Paarformationen verweisen optisch komprimiert auf Lebensfreude, aber sie wirken auch als obsessiv erotisch-laszive Vorahnung zukünftiger Konflikte. Gleichzeitig erinnern sie an die Ausführungen Eisenstein über die »mise-en-jeu« und die »mise-en-geste«, mit denen sich »gewöhnlich jedes Motiv in der direkten Aktion ausdrückt.«515 515 Eisenstein [1934] 1986.

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Bei den Hochzeitsfeierlichkeiten erfreut man sich an zwei unterschiedlichen Tänzen  : am Walzer, der dabei als jüdischer Tanz diffamiert wird, und an der slowakischen, offen getanzten Polka. Diese erste Tanzszene, Hochzeitstanz, von Jadviga und Ondris und ihren Freunden wird nicht in Nah oder Groß gezeigt. Sie stellt eine für den Film emblematische Sequenz am Hochzeitsfest dar, bei dem verschiedene Tanztraditionen um den Vorrang ringen, wenn einer der Tanzenden die Braut auffordert, einen Marsch »mit den Slowaken« zu tanzen. Die zweite Tanzsequenz, die mit »Untreue« betitelt werden kann, besteht aus einem Walzer, dessen Protagonisten, Jadviga und Francis, jedoch nur in den Großaufnahmen der Gesichter, in deren Auf und Ab und im rhythmischen Hin-undher-Pendeln sichtbar werden. Abwechselnd durch die rasch geschnittene Einstellungsfolge  – in Nah alternierend das Gesicht des Mannes und das der Frau  – schiebt sich ihr »Spiegel der Seele«516 in die vorgegebene Kadrierung. Ihre Augen und ihr Lächeln sagen »ja« zueinander, während Jadvigas Stimme »Nein« sagt. Der Gleichklang der Gefühle wird durch die durch einfallendes weißes Licht wiederkehrende Überstrahlung der beiden Gesichter unterstrichen. Diese lichtoptische Gestaltungsweise korrespondiert mit der Offenheit der Gesichtszüge, mit dem Aufstrahlen der Augen und mit dem direkten Blick auf den Tanzpartner bzw. die Tanzpartnerin. Mit dieser der Tanzmusik folgenden Rhythmisierung und gewählten Kadrierung drückt sich Lust und Lebensfreude aus und lässt wortlos eine obsessiv erotische-laszive Vorahnung aufkommen.

Kinder Da die erzählte Zeit weit gefasst ist, gibt es auch eine Szene, die die Kinder von Jadviga und Ondris in ihrer Verunsicherung als stumme Zeugen der Streitereien des Ehepaars zeigt. Ausgehend von diesem Bild aus Jadviga párnája fällt auf, dass im gesamten untersuchten Filmkorpus nur in wenigen Fällen junge Menschen eine dramaturgisch tragende Rolle einnehmen. 516 Epstein, 1974, 82.

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Kinder

Bestimmt der Junge in The Heart of a Child den gesamten Verlauf der Erzählung, ist die kinderreiche Familie in The Sound of Music Mittelpunkt des Interesses. Der Junge aus The Third Man bleibt als Sprachrohr der umstehenden aufgeregten Erwachsenen, nachdem der Mord am Hausmeister offenkundig wurde, mit seiner hohen schrillen Kinderstimme in Erinnerung, wenn er wiederholt ruft  : »Papa, des is’ der Mörder. Papa …« Kinder werden in den vorliegenden Filmen meistens nicht zu einem aktiven Teil der Narration, sie können nur auf vorgegebene Situationen reagieren und werden dadurch zu Opfern. Durch diese dramaturgische Einbettung in das Gesamtthema spiegeln die Kinder ihre gesellschaftliche Situation in der erzählten Zeit wider. Eine Ausnahme von dieser durchgehenden Regel bilden die beiden Kinder in der US-Produktion The Strange Death of Adolf Hitler, 1943, die durch ihren aktiven Part, Teil der Hitlerjugend zu werden, die Position ihres Vaters, der der Doppelgänger Adolf Hitlers werden musste, wesentlich verschlechtern. Im »hors-champ«, also außerhalb des Bildkaders, wird in Siréna, 1947, ein kleines Mädchen einer Arbeiterfamilie als Opfer gewaltsamer Auseinandersetzungen während eines Streiks evoziert. Die Mutter klagt mit ihrem toten Kind nicht nur ihr Schicksal an, sondern beschuldigt – als Sinnbild für die zerstörerische Kraft der Technik – die Maschine, der der Mensch immer stärker unterworfen wird. Damit ruft sie im Pathos des »Sozialistischen Realismus« zum Widerstand gegen ungerechte gesellschaftliche Zustände auf. Auch in Pavlínka / Das Mädchen hieß Pavlinka, 1974, wird während eines Textilarbeiterstreiks in der böhmischen Gemeinde Svarov im Jahre 1870 in stilisierter Form an das Schicksal Jugendlicher erinnert. Das Imperfekt im Titel lässt bereits auf die Erzählform, die Rekonstruktion eines kurzen Lebens, und auf das dramaturgische Rätsel, die Frage des Warums, schließen, die den Film prägen.

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Biografie und Film Klimt, Raúl Ruiz, 2006 – Versionenvergleich – Eine Annäherung – Das Prinzip Echo – Ton als Vervollständigung – Lernen – Verkürzungen – Querverweise

Biografische Filme machen mit realen Künstlern und Künstlerinnen aus der Zeit der Monarchie bekannt, die im deutschsprachigen Raum bis heute kaum rezipiert werden. Sie rekonstruieren oft die Gesellschaft der Zeit und werden zu einer Quelle des Wissens über einen zeitlichen und kulturellen Raum, der uns, den deutschsprachigen Nachkommen dieser geistigen Landschaft, oft unbekannt bleibt. Ein aufwendiges Biopic, Szerelmi álmok  – Liszt / Liebesträume, 1970, in dessen Mittelpunkt Franz Liszt steht, wird in Koproduktion zwischen Ungarn und der Sowjetunion mit hohen Schauwerten in der Ausstattung realisiert. Biopics wie Csontváry / Csontváry  – Lebensbilder eines Malers, 1980, bestechen jedoch oft auch durch eine suggestiv gestaltete Erzählstruktur, die in den Werken der jeweiligen Künstler vorgegeben ist, durch eine die jeweilige Zeitepoche typisierende Dramaturgie oder durch eine ironisch-tragische Darstellung wie in Postřižiny / Kurz­ geschnitten, 1981, zum Beispiel, der in großen Ellipsen aus dem Leben Bohumil Hrabals517 in einer kleinen Provinzstadt des Jahres 1914 erzählt. Neben dem weltweit rezipierten und international anerkannten Amadeus, 1984, ruft ein Film wie Siesta veta / The Sixth Sentence, 1986, eine im deutschsprachigen Raum wenig bekannte slowakische Schriftstellerin, Božena Slančíková-Timrava518, am Ende des 19.  Jahrhunderts in Erinnerung. Diese biografische Geschichte ist in fünf Episoden unterteilt, um die verschiedenen Aspekte ihrer Erziehung und die Quellen ihrer Inspiration und Kreativität, eingebettet in die gesellschaftliche Situation am Ende des 19. Jahrhunderts, schildern zu können. Dagegen stellt der ebenfalls 1980 produzierte Film Romaneto in einer fiktionalisierten Form den tschechischen Schriftsteller Jakub Arbes519 vor. Der Begriff »Romaneto« bezeichnet ein Genre, das vom Autor selbst geschaffen wurde, es ist formal zwischen Jules Verne und Edgar Allan Poe angesiedelt. Es ist eine für die tschechische Literaturtypische Gattung. Die Romanetos des Autor Arbes spielen oft in einer gespenstischen Szenerie in Prag, die erst durch den menschlichen Intellekt entschlüsselt wird. Sie wirken wie ein Kaleidoskop, das sich aus philosophischen Fragestellungen, aus Gesellschaftskritik und aus Motiven des Science-FictionGenres bildet.

517 Bohumil Hrabal, 1920–1997. 518 Božena Slančíková-Timrava, 1867–1951. 519 Jakub Arbes, 1840–1914.

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Klimt, Raúl Ruiz, 2006

Klimt, Raúl Ruiz, 2006 Wie einer vielfach besprochenen und bekannten Person mit filmdramaturgischen Mitteln vertiefende neue Aspekte hinzugefügt werden können, stellt der Film Klimt, 2006, dar, mit dem man Gustav Klimts Charakter und Kreativität in einem neuen Licht sinnlich sehen lernt. Raúl Ruiz ist einer jener Autoren, bei denen das Konzept des Kristallbildes ausgeprägt aufscheint. Er ist der Fälscher, (…) eine unbegrenzte Gestalt, die den gesamten Film prägt. Er ist der Mensch der reinen Beschreibungen und ruft zugleich das Kristallbild hervor, die Ununterscheidbarkeit zwischen Realem und Imaginärem.520

Um mit dem Erzählduktus im besprochenen Film vertraut zu werden, sollte das filmische Denken von Raúl Ruiz durch seine bisherigen Arbeiten dem Publikum bekannt sein, oder die Zuschauerinnen sollten offen für neue, für andere Formen des filmischen Erzählens sein. Gleichzeitig wäre die Fachkritik in den Tageszeitungen gefordert zu vermitteln, dass nicht ein in seinen Strukturen bekanntes Biopic erwartet werden kann, das sich eindimensional aus für die Erzählung bedeutsam gehaltenen Lebensstationen chronologisch konstruiert, wie es in der deutschsprachigen Rezeption unreflektiert suggeriert worden ist. (…) ich sagte mir, die beste Art einen Film zu machen, ist, ihn zu träumen. Wenn man träumt, gibt es diese genannte Traumarbeit – das Äquivalent zur Inszenierungsarbeit  ; es entstehen Verschiebungen der Intensität, Komprimierungen  – die Inszenierung des Traums, und in meiner Adaption machte ich – zweifelsohne – Derartiges, ohne mir darüber wirklich im Klaren zu sein. Dabei handelt es sich tatsächlich um ein Modell des Traumes und nicht darum, dass man einen Film träumt.521

Für Ruiz’ künstlerisches Selbstverständnis ist es wichtig, dass Film und Literatur mit unterschiedlichen Mitteln erzählen können. In all seinen Erzählungen, seien sie theoretisch oder praktisch, beeinflusst das fantastische Element die Art und Weise des Denkens und Fühlens. Eine Nähe zu Jorge Luis Borges ist dabei nicht zu übersehen.522 Für Ruiz veranschaulicht folgende Geschichte, die er im Zusammenhang mit seinem Film Le Domaine perdu, 2005, bekannt gemacht hat, seinen Zugang zur Philosophie seiner Kunstpraxis. Im Textzusammenhang verweist er in der Folge auf sein konkretes Erzählmodell und vor allem auf sein für ihn charakteristisches Menschenbild in Klimt. 520 Deleuze [1985], 1997, 176. 521 Ruiz, Entretiens, 1999, 84. 522 Aumont, Les théories des cinéastes, 2002, 129  ; auch Bégin, Baroque cinématographique, 2009.

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Biografie und Film

Es handelt von einem jungen Paar, Frau und Mann, in einer Londoner Bombennacht 1944  : »Unsere Liebe, die wir hier heute, in dieser Nacht, erleben, wirst du bald mit mir wieder erleben, auch wenn ich sterbe«, sagt ihm die junge Frau. Auf die Frage des jungen Mannes, ob sie meine, auch nach seinem Tode, antwortet sie, dass sie an ein Leben nach dem Tode nicht glaube. Aber es werden andere die gleiche Geschichte wie wir heute erleben  ; und dadurch treffen wir uns in den anderen wieder.523

»Im Anderen das Eigene« schätzen zu lernen sieht der Autor in der Person Klimt wie in seinem eigenen Schaffen als Voraussetzung und als kreativen Impetus für jenen Schaffensakt, der »Kunstwerke entstehen«524 lässt.

Versionenvergleich Nach einem Vergleich der beiden vorliegenden Filmfassungen – der Originalfassung und der deutschen Verleihfassung – stellt sich die Frage, ob nicht vor allem jene in der deutschen Version gestrichenen Sequenzen es sind, in denen Klimts Werk als Echo auf viele andere Leben und Einflüsse gesehen wird. Für Ruiz ist Kino die »Kunst des Schattens« und das Mitschwingen vielfältiger »Echos«.525 Beide Begriffe können als Metaphern für eine narrative Sinnkonstruktion verstanden werden, die als Grundlage für die meisten seiner Filme, aber zuletzt vor allem für seine beiden Werke Généalogies d’un crime, 1997, und Le Temps retrouvé, 1999, gelten kann. In Klimt folgen die Episoden des Lebenslaufs von Gustav Klimt nicht einer Lebenschronologie, sondern der mentalen Logik eines Sterbenden. Nicht ein äußerer Ablauf der Ereignisse konstruiert die Erzählung, sondern eine innere Wirklichkeit, wie sie sich in dieser neuen extremen Situation für einen Menschen einstellt. »Technisch gesprochen erzählt man Geschichten, indem man sich eines beweglichen Erzählpunktes bedient.«526 Diese »bewegliche« Perspektive wird von der persönlichen, imaginierten Wichtigkeit für den porträtierten Charakter und nicht durch eine Ordnung Dritter (von Historikern oder Autoren) gewählt. Diese persönliche Erzählperspektive und fragmentarische Auswahl, die durch den biografisierten Maler Klimt eingenommen wird und damit einen fiktiven autobiografischen Zugang gewährt, wird durch bestimmte filmische Gestaltungsweisen evoziert. Dabei ist der zerbrechende Spiegel nur ein Detail aus einer Reihe von narrativen Indizien, die auf diese Erzähl523 Ruiz, Poétique du Cinéma 2, 2006, 40. 524 Ruiz, Poétique du Cinéma 1, o.J., 90. 525 Ruiz, »Le cinéma, art de l’ombre«, Positif, 2007, 56–58. 526 Ebenda.

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Versionenvergleich

perspektive verweisen und erkannt werden wollen, um den Blick und das Verständnis innerhalb der Rezeptionssituation zu leiten. Manchmal hält dieser subjektive autobiografische »point of view« inne. Es kommt zu einer zeitlichen Verbreiterung des Ereignisablaufes, im Sinne von »X verbreitert seine/ ihre Aussage«, um Aspekte wie zum Beispiel die Wiener Atmosphäre zur Zeit Klimts vertiefend zu formulieren, um deren Einfluss auf das soziale Leben zu pointieren oder um klärende Distanz zur Haupterzählung zu erhalten und diese wiederholt zu generieren. Es handelt sich dabei um ein »Bremsverfahren«, das sich durch sekundäre Handlungslinien realisiert. Tynjanov527 erkennt, wenn er das Verhältnis von Sujet und Fabel hinterfragt, dieses dramaturgische Verfahren am Beispiel des Romans von Victor Hugo, Les Misérables. Für Ruiz scheinen die zeitgenössischen gesellschaftlichen Einflüsse im Rassismus, im Akademismus und im Antisemitismus zu liegen, die in besonderer Weise eine existenzielle Melancholie hervorbringen, wodurch für den Autor auch der kollektive Selbstmord Österreichs während der erzählten Zeit erfahrbar wird. Dieser sujetorientierten Distanzierung wird die Faszination der Bilder Klimts und analog dazu jener, aus denen die Filmerzählung besteht, entgegengestellt, die den Gestus des Umsich-Blickens ähnlich dem Blick des Malers fördert, um »die Welt zu sehen oder um sie sich vorzustellen.«528 Wenn Ruiz die technischen Voraussetzungen für den »Kinoapparatus«529 mit einbezieht, wird damit nicht nur seine eigene Arbeit am Film Klimt, sondern auch sein Grundverständnis von Filmrezeption beschrieben, die gleichzeitig immer zwei Filme materialisiert  : »(…) während wir eine Minute Film sehen, sehen wir 30 Sekunden davon Schwarz.«530 Damit bezieht er sich auf die Umlaufblende, die nur die Hälfte der tatsächlich sichtbaren Welt aufnehmen lässt. Es ist nicht jenes Phänomen, das unsere Augen mit Hilfe des Malteserkreuzes überbrücken und das im Gehirn als Phi-Effekt531 seine Ergänzung und seine Voraussetzung finden lässt, die die Vorstellung von Bewegung erzeugt. Es ist vielmehr jener Teil der nicht aufgenommenen Wirklichkeit, die dem Zuschauer einen ihm eigenen parallelen Film – einen zweiten, inneren Film – zu konstruieren erlaubt.

527 Tynjanov [1927], 1998, 163. 528 Ruiz, 2006, 40. 529 Dieser Begriff umfasst das technische, gesellschaftliche und psychische Umfeld, in dem ein Film projiziert wird. Baudry, L’effet cinéma, 1978. 530 Ruiz, »Le cinéma, art de l’ombre«, 2007, 56. 531 Der »Phi-Effekt« erklärt die Wirkung eines optischen Reizes auf Grund der Trägheit des Auges. Er beruht auf der Nachbildwirkung, das heißt, ab einer bestimmten Geschwindigkeit kann das menschliche Auge aufeinander folgende Bilder nicht mehr einzeln wahrnehmen, weil das vorige Bild noch nachwirkt. Die Bildgeschwindigkeit, ab der sich der Phi-Effekt einstellt, liegt bei ca. 16 Bildern/Sekunde. https:// de.wikipedia.org/wiki/Phi-Ph%C3%A4nomen (eingesehen am 10.12.2016).

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Biografie und Film

Eine Annäherung Ruiz’ formal-ontologischer Denkansatz erinnert an die Tatsache, dass es im Falle von Klimt tatsächlich zu mindestens zwei materiell fassbaren und überprüfbaren Filmversionen kommt, die im Jahre 2007 angeboten werden. Die zukünftige Diskussion wird sich noch mit weiteren Versionen desselben Filmtitels und entsprechendem Rezeptionsverhalten beschäftigen müssen. Durch die Abnützung der Kopien, durch die die Aufführungszeit verkürzt wird, sowie durch TV-Ausstrahlungen, die durch die vorhandene Sendezeit und Werbeeinschaltungen von Versionsveränderungen geprägt sein werden, sowie durch die Verbreitung auf anderen Trägermaterialien (DVD, BluRay oder Internet), die Überspringen von Sequenzen, Schnelldurchlauf, individuelle Zeitlupe oder ausgewählte Standbilder erlauben, entsteht eine selektive Rezeption. Diese materiell und wahrnehmungshistorisch bedingten Manipulationen am Material stehen jedoch der bei der Realisierung durch den Autor intendierten Filmleseerfahrung entgegen. Der Vergleich der beiden Versionen – die deutschsprachige Fassung ist siebenundneunzig Minuten lang und die englische Originalfassung hundertundsechsundzwanzig Minuten – unterstreicht jene Beobachtungen, die für die beiden Sprachfassungen von Menschen im Sturm / Tempêtes bereits gemacht werden konnten und vertieft den oben genannten Begriff des Kristallisationsbildes, wie es Epstein in die filmtheoretische Diskussion einbringt und Deleuze im Verhältnis zum Aktionsbild vertieft.532 Erst in der deutschen Version des Films Klimt  – der vom Regisseur Raúl Ruiz in dieser Form nicht geliebten gekürzten Fassung – werden Inserts über Zeit und Ort der Handlungen hinzugefügt, um eine nachvollziehbare Zuordnung zum Handlungsort  – Paris oder Wien – zu treffen. Für das originäre Bestreben des Regisseurs lässt sich dagegen festhalten, dass sich diese exakte Definition von Zeit und Ort durch die Handlung und möglicherweise durch das spezifisch zu verortende Interieur ergibt  ; wenn nicht, spielt eine Information über den Ort dramaturgisch keine Rolle. Das ist vom Autor sogar möglicherweise als Teil eines Rätsels innerhalb der Geschichte gedacht. In der deutschen Version der genannten Filmtitel kann von einer Verflachung und von einer Verkürzung des intellektuellen und emotionalen Universums gesprochen werden, die sich in einzelnen Einstellungen ebenso wie in narrativen Kürzungen und Umgewichtungen ausdrückt. Dem gegenüber steht das von Produzenten und Verleihern herangezogene Argument einer notwendigen zeitlichen Straffung und örtlichen Klarstellung, die mit der Auslassung von »Unnötigem« begründet wird. Ohne den Verleihern und Produzenten eine intellektuelle oder emotionale Unredlichkeit zu unterstellen, unterstreicht der Autor Raúl Ruiz den Akt des Aus-der-Hand-Gebens seines Filmes, sobald dieser in die des Vertriebes übergeben wird  : Er hätte im Unterschied 532 »Das Kristallbild ist der Punkt der Ununterscheidbarkeit zwischen den beiden Bildern, dem aktuellen und dem virtuellen (…)«, Deleuze [1985], 1997, 112.

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Das Prinzip Echo

zu den tatsächlichen Veränderungen, falls er gefragt worden wäre, »ganze Blöcke weg geschnitten, um die Langsamkeit zu erhalten.«533 Die deutschsprachige Kurzfassung lässt jedoch alles weg, »was den Hintergrund anreichert.« Diese Version wird auf sein Handlungszentrum reduziert, »aber sie löschten alle Formen des Echos aus.«534 Trotz dieser unterschiedlichen Auffassungen beim Kürzen seines Filmes unterwirft sich Raúl Ruiz dem Diktat der Filmvermarktung, die keinen Film über zwei Stunden kaufen möchte. »Es gibt keine Bösen in der Geschichte dieser Kürzungen.«535 Das Diktat des Marktes nimmt Einfluss auf die Gestaltung im Medium Film, wodurch es zu Änderungen in der filmischen Chronologie der Fragmente kommt. Für die deutschsprachigen Veränderungen der englischen Originalfassung sind die eingeschobenen Inserts symptomatisch, die Orte und Zeiten des Geschehens konkret bezeichnen. »Wien 1918« oder »Paris  – Weltausstellung« versuchen, räumliche und zeitliche Ordnung in die Abfolge der filmischen Fragmente zu bringen.

Das Prinzip Echo Das erste Kaderbild »Kannibalen« ist aus der Sequenz der Weltausstellung genommen, in der Indianer des südlichen Chiles  – aus dem Ruiz stammt  –, die er »seine Onkel« nennt  – als Attraktion hinter Gitter gesperrt sind. Kann das Echo auf diese Szene in der »Bordell«-Sequenz der Langfassung »bildlich« zwar zu hören536 sein, reduziert der Wegfall des Fragments der Pariser Weltausstellung in der deutschen Version die Bordellszene auf eine einmalige dramatische Aktion, in der tierähnliche Wesen die Kunden animieren. Dadurch verliert sich das semantische »Echo« des Käfigs ebenso wie die Assoziation zur Darstellung des Gorillas auf der mittleren Wand des Beethovenfrieses von Klimt, »Die feindlichen Gewalten«. Das »Spiel des Echos« findet im »director’s cut« in zweifacher Weise statt  : »in praesentia« der Film533 Niogret, Rouyer, »Entretien avec Raoul Ruiz. Dans la tête d’un Klimt improbable«, 2006, 14. 534 Ebenda. 535 Ebenda. 536 Diese Metapher ist von Roland Barthes (Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, 1992) auf Grund ihrer Ausdrucksstärke geborgt.

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Biografie und Film

bilder der Ureinwohner während der Weltausstellung, die im Bordell durch die Masken der Prostituierten und durch die Masken der Klientel variiert werden, und ebenso in Form der Wiederholung dieser Bilder von Ruiz, im wiederkehrenden Spiel »in absentia«, die zu einem Teil auf das bildliche Universums von Gustav Klimt zurückverweisen können. Parallel zur Warnung des Museumsaufsehers vor der Gefährlichkeit der Kannibalen ändert sich der Duktus der hörbaren Musik. Aus den aus Erfahrung als Gefahr zu konnotierenden Klängen hoher Geigentöne entsteht ein sentimentales Musikmotiv, das Klimts innere Stimmung widerzuspiegeln scheint, da die Änderung des Musikduktus mit der Einstellung zu Klimts Gesicht korreliert. Dieser Wechsel im Musikmotiv entspräche auch der Grundhaltung Ruiz’ zu »seinen Onkeln« ebenso wie Klimts Einstellung zum Neuen, zum Unbekannten, hinter dem er das menschliche Unglück dieser Weggesperrten und ausgestellten Menschen erkennt. Der Afrikanische Salon im Film, in den Klimt und der Kunstminister beim Betreten des Bordells verwiesen werden, stellt in der deutschen Schnittfassung keine Verbindung mit dem Zoo der Weltausstellung dar, in dem die Ureinwohner des Amazonas von den Europäern – von Klimt – überrascht und beängstigt angestarrt werden. Begleitet durch ein Klavier wird ihm die »Bärtige« durch die Bordellmutter als seine eigene Tochter vorgestellt. Sobald das Mädchen in den Kader tritt, beginnt melancholische Klaviermusik, die – ähnlich wie im Bild der »Kannibalen« – die Gefühle Klimts bei der Konfrontation mit seiner Tochter unterstreichen, um doch schon bald wieder von dem Gemurmel und Gelächter neu hinzukommender Klienten überlagert zu werden. Das Mädchen bewundert die Arbeiten Klimts, während er sie nach dem Fortkommen in der Schule befragt. Drei Tonebenen  – Dialog, Musik und ein reduziert verständliches Geräuschegewirr, das im vorgelegten Beispiel zwar als männliche Stimmen erkennbar, aber nicht semantisch nachvollziehbar wird  – weben akustisch die Filmerzählung und werden nach Chion durch die moderne Technik verstärkt  : »Dolby hat oft dazu beigetragen, den Teil des ›hors-champ sonore passif‹ im Verhältnis zum ›hors-champ sonore actif‹ zu vergrößern.«537 Analog zu Mitrys Ausführungen538 sind drei Bedeutungsebenen zu unterscheiden, die bei Metz zur These führen, dass nur das dritte Niveau zur Konnotation dient. Die fotografische Analogie und diegetische Implikationen, Symbole und Metaphern und der Effekt des plastischen und rhythmischen Ausdrucks, der sich in der Montage und der Kamerabewegung als visueller Rhythmus ausprägt.539 537 Ein Beispiel dafür, wie die Technik die Ästhetik beeinflusst  : »(…) le Dolby a contribué souvent à augmenter la part du hors-champ sonore passif par rapport au hors-champ sonore actif.« Chion, 2003, 424. 538 Mitry, 1963, 194. 539 Metz [1972], 1986, 18 f.

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Lernen

Ton als Vervollständigung Eine Analyse des Films lässt sich erst in ihrer Vollständigkeit verstehen, wenn der Tontrakt als dem Bild gleichwertiges Ausdrucksmittel mitberücksichtigt wird. Selbst bereits nach einer ersten rudimentären Sichtung des Filmes bleibt das Gefühl, dass in Klimt sowohl die Bilder als auch die Töne ein gleichwertiges Grundmaterial bilden, das mit Hilfe des fotografischen und akustischen Realitätseindrucks Syntax und Grammatik strukturiert. Eine Analyse eines Filmwerkes bedeutet auch eine »zweite« Intellektualisierung von bildsprachlichen und tonsprachlichen Bedeutungen. Besteht der erste Grad des Verstehens des audiovisuell Vorgetragenen im »wilden« Wissen um die Bild-/Ton-Montage, die mit Hilfe der Erfahrung aus dem alltäglichen Sehen gelesen werden kann, setzt die Konnotation nach Metz durch eine weitere erkenntnistheoretisch fundierte Ebene ein und ist Voraussetzung dafür, nicht für die Struktur540, sondern für die Strukturierung des Filmtextes sensibel zu werden. In beiden nachgenannten Beispielen verändert die jeweilige Musikbegleitung die Erzählperspektive innerhalb der Sequenz von »hors-champ« diegetischer atmosphärischer Untermalung zu einer inneren, subjektiven, nichtdiegetischen Gefühlsmusik, die dem jeweiligen emotionalen Zustand der Hauptperson Klimt entspricht und insofern die Begriffe »diegetisch/nichtdiegetisch« um den akusmatischen Aspekt erweitert. Die Verwendung dieser Musikbegleitung lässt bei gleich bleibenden Bildern den erzählperspektivischen Wechsel noch deutlicher als ohne diesen Wechsel innerhalb der Einstellung zutage treten. Die beiden Bilder machen auch die unterschiedliche Situation deutlich, in der sich Klimt jeweils befindet  : Im ersten Beispiel steht Klimt im Vordergrund, im zweiten ist er hinter den Gitterstäben »gefangen«. Die differenziert akzentuierende Tonebene verweist nicht nur auf den großen Autorenanteil für mögliche Interpretationsvorgaben, sondern gewinnt auch gegenüber den Bildern ein gleichwertiges Eigenleben und animiert, selbst innerhalb einzelner Einstellungen, unterschiedliche Wahrnehmungsdispositionen.

Lernen Ein weiteres Beispiel einer Auslassung in der deutschen Fassung stellt jene Szene dar, in der Klimt die Reproduktion chinesischer Bilder kennenlernt. Er heftet seinen Blick, begleitet von einem ungläubigen Kopfschütteln, ähnlich intensiv auf diese Vorführung der Technik wie in der Sequenz auf der Weltausstellung. 540 Unterscheidung im Sinne von Barthes.

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Biografie und Film

Diesem Kennenlernen wird in Ruiz’ autorisierter Filmfassung eine große Zeitspanne (mehr als zwei Minuten) eingeräumt, die von einer Halbtonmusik begleitet wird, die in dieser Form atmosphärisch als chinesisch/asiatisch konnotiert werden kann. Der Reproduktionskünstler und im weiteren Verlauf dessen kleiner Junge im Vordergrund beginnen zu skizzieren. Dieser Sequenz folgt die Einstellung, in der der in sein Atelier zurückgekehrte Klimt, angeregt durch sein Erlebnis, selbst zu arbeiten anfängt. Die Musik animiert diesen zeitlichen und räumlichen Übergang und fasst als Variation den Gedanken »von einander lernen« nachvollziehbar zusammen. Sie wechselt in den Vordergrund, sobald die Einstellung die Hand und die gezeichneten Striche kadriert. Um beim Beispiel zu bleiben  : Hätte Klimt den chinesischen Reproduktionskünstler nicht getroffen, lässt der Film denken, hätten die Bilder von Klimt andere Ausdrucksformen angenommen. Die Kenntnis von Chions Differenzierungsebenen des Tonsetzens im Film lässt uns Ruiz’ Klimt als abgewogen gestaltete und tiefenstrukturell ausgefeilte Bild- und Tonmontage wertschätzen. Der Ton »hors-champ« wird nur in bestimmten Momenten der Filmerzählung gesetzt, aber gerade dessen Oszillieren zwischen den unterschiedlichen Bild- und Tonzuordnungen verweist auf das vorherrschende Syuzhet, das dem Ton gleichbedeutende Funktion wie dem Bild zuordnet. Variierte Wassergeräusche – Plätschern, Glucksen, Gurgeln und Fließen – kehren als manifeste Tonebene des Filmes wieder. Sie werden im Vordergrund als Großaufnahme, aber auch als Weitaufnahme, die den Raum des Krankenzimmers denken lässt, gehört und in unterschiedlicher Intensität durch andere Töne, die innerdiegetisch und »horschamp«  – diegetisch, aber niemals außerdiegetisch sind, überlagert.541 Sind die Wassergeräusche kausal und lokalisierbar (das Wasserbett, in dem Klimt liegt), werden sie zunehmend zu Erinnerungstönen, die, mit dem Schicksal des Kranken verklammert, die Sequenzen als subjektive Erinnerungsbilder definieren lassen. Halbtonmusik und Wassergeräusch setzen zusammen in dem Moment ein, in dem die Einstellung zusammen die Hand und die Skizze zeigt, treten in der Sequenz im Café Central durch eine Tongroßaufnahme in den Vordergrund und werden nur von kurzen Dialogpassagen der beiden Künstler Klimt und Schiele begleitet. In der Langfassung stehen die Töne als Echo und Erinnerung der vorangegangenen »Chinesischer Stil«-Sequenz. Ohne Kenntnis dieses Klimt beeinflussenden Ereignisses kommt es in der deutschen Version zu einem sinnlichen Funktionswechsel der begleitenden Musik. Die assoziative chronologische Verschachtelung wird aufgehoben. Der Ton und dessen Bedeutung werden als Reaktion auf das Bildobjekt, auf die grafischen 541 Chion, 1990, 73.

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Lernen

Skizzen, reduziert, die nun ohne Adressaten, der sich an frühere Erfahrungen erinnert, als sinnentleerter Stil, im Gegensatz zu einem Syuzhet, gefühlt und gedacht werden können. Als Schiele Klimt im Café Central auf seinen neuen Stil anspricht, wird diese Frage in der deutschen Kurzfassung  – auch wieder ohne das Vorwissen, wie es in der Originalversion vorbereitet wird  – ausschließlich der kreativen Eingebung Klimts zugeschrieben. Dagegen wissen die Zuschauer und Zuhörer der Originalversion, dass die Inspiration von dem chinesischen Kopisten herrührt und Klimt sich damit erneut den Außeneinflüssen öffnet. Dieses staunende Erkennen von Neuem, das auf Grund von wiederkehrenden gestalteten Erzählfigurierungen als Konstante im Blick von Klimt Bedeutung gewinnt, wiederholt sich, um ein weiteres Beispiel anzuführen, bei der Aufführung des kurzen Filmes von Méliès ebenso wie bei einer weiteren Filmvorführung, in der Leade Castro als Schatten auf der Leinwand für Klimt erscheint. Er wird mit den für Mitteleuropa neuen Erscheinungen in der Kultur und Kunst um die Jahrhundertwende in wiederkehrenden Szenen konfrontiert, sei es der Menschenzoo in der Weltausstellung, die chinesische Grafiktechnik oder die Kinematografie. Erweist sich in der Originalversion Klimt mit seinem stets offenen Blick auf etwas Neues als der immer neugierige, offene Künstler, der die Erfahrungen mit der Welt aufnimmt und sie für sich nützlich macht, steht dazu die deutsche Fassung in einem qualitativen Gegensatz, indem sie einen von Außeneinflüssen unbeeinflussten, erfahrungsarmen, ausschließlich seinen inneren kreativen Impulsen folgenden Künstler optisch-akustisch formuliert. Klimt nähert sich dem Publikum nicht nur durch seine syphilitische Krankheit, durch seine Freude über seine neugeborene Tochter oder durch seine Unsicherheit im Umgang mit den Ministerialbeamten, sondern auch durch seine von anderen übernommene und dann weiterentwickelte Maltechnik als emotional vielschichtiger Mensch. Aus Zufälligkeiten, die seine eigene Arbeitsrealität bestimmen, formt er seine ihm eigene Kunst  : Aus Versehen hochgewirbelte Goldblättchen sind heute als konstante Hintergrundgestaltung seiner Bilder bekannt. Er wird als Mensch in Bewegung gezeigt, der nicht vergisst, zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Frauen halten dabei eine schützende Hand über ihn  : Seien es Frauen aus der Wiener Bourgeoisie oder jüdische Kleinbürgerinnen aus der Vorstadt. Dieses Oszillieren zwischen Erfahrung und Neuem, das als künstlerische charakterliche Invariante Klimts auf der narrativen Ebene wiederholt als »Echo« eingebracht wird, findet in der Bildkomposition von Ruiz seine sinnliche Entsprechung, die das Bearbeiten und Verändern innerhalb der Einstellungen, das Verändern der Cineme nützt, um das Werden im künstlerischen Prozess sinnlich nachvollziehbar zu machen. »Mehr als durch die erzählten Ereignisse funktioniert der Film durch die Assoziationen der Bilder«, schreibt er, um daraus seine Vorstellungen von Kino zu formulieren  : »Kurz, ein 341

Biografie und Film

Kino, das fähig ist, vorrangig auf die Verschiedenheiten von Erfahrungen von einer sensiblen Welt einzugehen. Leicht zu sagen.«542 Unterbrochen durch Zwischenschnitte auf die Person Klimt verändert sich das Bild der Frau  : Nicht diegetisch begründete, sondern auktorial beeinflusste Lichtänderungen lassen den Hintergrund mit dem Gesicht verschmelzen. Die Lippen werden silbrig, ihr Dekolleté und ihre Haare werden von Farbpunkten des Hintergrundes überlagert. Dadurch nähert sich die Flächigkeit des Filmbildes nicht nur an die Technik von Klimt an, sondern durch diese Überlagerungen nimmt Ruiz’ Filmbild Klimts Stil und Bildmaterialität auf. Im Sinne Vernets543 kann von einer »Diegetisierung des Dispositivs« gesprochen werden. Durch diese  – in diesem Falle auktorial bestimmte  – lichttechnische Variation erhalten die aus Klimts Schaffen bekannten Modelle Stimme und Meinung, da sie auch außerhalb ihrer Modellrolle einen aktiven Teil der Erzählung darstellen. Sie treten aus der bildlichen Zweidimensionalität des Malers und der Stummheit heraus und profilieren sich als gleichberechtigte Zeitgenossinnen. Im unmittelbaren Vorher und Nachher dieser Einstellungsfolge kommt es zwischen Maler und Modell zu einem Disput über ein adäquates Verhältnis zur ablehnenden Wiener Öffentlichkeit. Ruiz nützt den Bekanntheitsgrad der Gemälde und Modelle, um die dargestellten Frauen nicht nur als anzusehende Objekte künstlerischen Schaffens, sondern auch als historische Subjekte mit eigenem Lebenslauf und bedeutendem kreativen Einfluss auf Klimt zu zeichnen. Überprüft und nachvollzogen werden kann diese Interpretation durch die in ein Negativ gekehrte Farbreduktion, die den auf filmtechnischer wie auf narrativer Ebene angelegten Übergang vom realen Menschen zum künstlerischen Anschauungsobjekt visuell auch nachvollziehen lässt. Neben einer leicht zunehmenden Ausschnittsvergrößerung kommt es zu einer kontinuierlichen Vergrößerung und zu einer Überlagerung der Hintergrundfarbpunkte auf dem Gesicht. Die Lippen wechseln kontinuierlich von einem menschlichen Rot zu einem künstlichen Silber. Die lebendige Frau verwandelt sich vor den Augen des Kinopublikums in das porträtierte Modell des Malers. Ruiz nützt die filmtechnischen Gestaltungsmittel sowohl der Nachproduktion wie der mise-en-scène – die sich in der Änderung der Beleuchtung ausdrückt –, um seine Überlegungen zur Person Klimt zum Ausdruck zu bringen. 542 Ruiz, o.J., 88 543 Vernet, 1980, 222–223.

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Verkürzungen

Würde dieser filmisch-technische Eingriff isoliert auftreten, wäre er irritierend. Jedoch reiht er sich in andere filmische Mittel ein, die die Zwischenwelt Klimts assoziieren können. Sind die genannten Varianten Teile des thematischen Strukturierungsprinzips, lassen sich auf der Ebene der filmischen Gestaltung ebenso Auffälligkeiten, Sensationen und Signale finden, die zum Beispiel im Umgang mit einem zentralen Gestaltungsmittel des Filmes, dem des Lichts, bestehen. In der Sequenz »Sezession« wird das Licht, obwohl noch Gäste im Saal flanieren, übergangslos reduziert. Es kommt zu keiner Abblende im klassischen filmrhetorischen Sinne, bei dem die Lichtzufuhr am Objektiv bzw. im Labor diese Abblende regelt, sondern es wird hier im vorfilmischen Bereich auf die Realitätserfahrung der natürlichen Beleuchtung eines Saales mit vollem Publikum Einfluss genommen, indem die Saallichter reduziert werden. Die Abblende findet bei gleichzeitigem Schwenk nach links »in der Kamera« statt. Es wird nicht auf sattes Schwarz abgeblendet, sondern die Kamera hält im diffusen Licht inne. Zusätzlich wird ein leicht fließender Rechtsschwenk mit angedeutetem Abschwenk sichtbar, der erst durch die Gegenüberstellung – als Orientierung kann das Gemälde an der Wand dienen– nachvollziehbar wird. Diese Abblende wird durch das Ausschalten der Lichter hergestellt, das dem Realitätseindruck deshalb entgegensteht, weil noch Gäste dem Ausgang zustreben. Diese Szene erhält dadurch etwas Unwirkliches, Unabgeschlossenes. Es wäre falsch, ausschließlich von einem Blick des Künstlers Klimt auf die Welt zu sprechen. Wie der Umgang mit Ton können auch die Farbänderungen oder der Einsatz des Lichts nicht als sich verändernde Perspektiven des subjektiven Hörpunkts des Hauptcharakters, Klimt, wahrgenommen und interpretiert werden, sondern sie stehen beispielhaft für eine bewusste auktoriale Sinnsetzung, die noch eine weitere Dimension erhält  : »Ruiz lässt gleichzeitig immer sehen, dass es den Effekt, das Verfahren, die Fälschung gibt. Er unterstreicht, zeigt die Illusion.«544 Neben den großen Veränderungen im dramaturgischen Aufbau, die die Handlungslogik modifizieren und die die äußeren Einflüsse auf Klimts Schaffen hervorheben, Assoziationen und Anhaltspunkte bieten wollen, kommt es in der deutschsprachigen Fassung zu weiteren Kürzungen und Auslassungen.

Verkürzungen Im Zusammenhang bemerkenswert ist in der deutschen Version auch die Weglassung jener Episode, in der unvermittelt ein sowohl für Klimt wie für den Zuschauer Unbekannter (Herbert Fux) auftritt, um die Moritat des Rattenfängers zu rezitieren  : 544 »Il donne toujours à voir en même temps qu’il y a effet, procédé, trucage. Il souligne, désigne qu’il y a illusion.« Buci-Glucksmann, Revault d’Allones, Raoul Ruiz, 1987, 57.

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Dem armen Flötenspieler hat man alles gestohlen, alles gestohlen. Und überall hat man ihn abgewiesen. Und da hat der Flötenspieler seine Flöte zum Strafen benützt. Denn er wollte sich rächen. Durch den Zauber seiner Flöte hat er gestraft, getötet und damit den Bürgern eine Lektion erteilt. – Der Flötenspieler hat die Kinder entführt. Sehr glücklich sind sie gegangen, sind die Kinder gegangen. – Und haben dabei gesungen. (Laut, Klimt schrickt zusammen.) Lieber Flötenspieler, wir danken dir, dass du uns zum See gebracht hast und ins Wasser. Dort, wohin die meisten Kinder gelangen wollten. Und wenn wir vielleicht … und wenn wir vielleicht dort verzaubert sterben müssen, dann begleitet uns deine Flöte.

Die wiederholte Unmittelbarkeit als Gestaltungsprinzip, das bereits vom bisherigen Diskurs der Filmerzählung bekannt ist und aus räumlich/zeitlich unmotivierten Auftritten wie denen des Ministerialsekretärs oder aus eingeschobenen Sequenzen besteht, unterstreichen auch der aus der Dunkelheit des Zimmers auftauchende Moritatenerzähler oder die tragische Figur des Mozartepigonen. Im Wechsel von unterschiedlichen akustischen Aufnahmegrößen, analog zu Einstellungsgrößen, erkennt man das Ticken einer entsprechend dem Volumen des Tones großen Standuhr. Der Erfahrungsraum Klimts, der von den beiden Personen Moritatenerzähler und Mozartepigone aufgefüllt wird, gewinnt durch diese Tonebene sowohl an Größe und Ausdehnung als auch an – durch die bekannte Konnotation eines tickenden Zeitmessers möglicher – schicksalhafter Bedeutung. Überlagert wird diese Geräuschkulisse noch durch das stetige Tropfen von Wasser, das an das Wasserbett des sterbenden Klimt aus der Anfangssequenz erinnert. Handlungslogisch motivierte Einstellungs- und Sequenzfolgen, deren Durchbrechung durch theatergemäße Auftritte von bisher unbekannten Personen – deren Existenz nicht oder nur rudimentär in der Handlung vorkommt (zum Beispiel findet sich der Mozartepigone in der Bordellszene wieder) – können analog zu schriftlichen Inserts gesehen werden, die die manifeste Bilderzählung inhaltlich modifizieren. Die mehrdimensionalen Ebenen des Tons lassen nicht nur je nach Aufmerksamkeitsgrad graduelle Interpretationen zu, sondern diese heute technisch durchführbaren multiplen Bedeutungskanäle der filmkünstlerischen Gestaltungsweise verweisen auf die Struktur von Kinoerzählungen, wie es Ruiz immer wieder sowohl in seiner Praxis als Filmautor wie als Theoretiker von Kino und Film formuliert  : Struktur der »beweglichen Erzählpunkte«. Sie werden zu einer Herausforderung an das Publikum, diese Vielfalt erkennen zu können  ; sei es, dass die mentalen Voraussetzungen für dieses vielschichtige Angebot vorhanden sind, sei es aber auch die geübte Praxis im Lesen von Film, die erlaubt, substanzielle Bedeutungsinhalte erfahren zu können. Literarische Hinweise auf Arthur Schnitzler und Sigmund Freud stellen das Leben Klimts in einen Zusammenhang mit der Kultur des Wien der Zeit und charakterisieren die ausholend assoziative Machart des Filmes, der dreißig Jahre früher sicherlich in einem völlig anderen Stil gesprochen hätte, wie zum Beispiel durch Ken Russell, der mit 344

Querverweise

Mahler dieselbe Epoche der vorgestellten erzählten Zeit filmisch entwirft. Damals desavouiert im Zeitgeist der siebziger Jahre Russell die Erwartungshaltung des Publikums an ein Biopic mit den plakativ darstellenden Mitteln des spontanen Straßentheaters durch figurale Zuspitzung und metaphorische Verdichtung. Ruiz erhebt nicht den Anspruch, dem »Geheimnis« von Kreativität und Kunst im »Entstehen« auf die Spur zu kommen, wie es in markanter Weise Le Mystère Picasso von Henri-Georges Clouzot vermag. Klimt zu folgen bedeutet für Ruiz, nicht objektiv historisch korrekt die recherchierte Wirklichkeit zu rekonstruieren, sondern dem menschlich-kreativen Universum von Klimt mit den Mitteln des Filmes und seiner narrativen Möglichkeiten nachzuspüren. Zwischen den Sequenzen wie zwischen einzelnen Einstellungen kommt es in Ruiz’ Klimt wie in seinen früheren Filmen zu nicht bzw. zu schwach markierten Übergängen von einem Universum in ein anderes. Motive, Symbole und Signale werden in den Bildern verwoben und finden sich in der Makrostruktur der Erzählung wieder. Der Film möchte – ähnlich wie es gültig für Le Mystère Picasso André Bazin anmerkt  : »Was bei dieser Filmarbeit bleibt (…), ist der Blick von Picasso«545– ebenfalls ohne »biografische, didaktische und beschreibende Elemente« auskommen. Wie auch bei Kluges Lebenslauftrilogie546 wird der Zugang über die individuelle und nicht über die dem Chronometer angepasste Chronologie eines Lebens hergestellt. Das erweckt in beiden Beispielen durch die Schilderung zufälliger Momente, die für das Leben der Porträtierten entscheidend werden, Irritationen, weil ein Lebensbild von Einzelindividuen – sei es ein Flugoffizier bei Kluge, sei es Gustav Klimt bei Ruiz – entworfen wird, das weder schematisiert noch idealisiert werden kann. Vielleicht dürfte damit auch einer jener Gründe vorliegen, weshalb die deutsche Fassung um wesentliche Teile gerade dieses Gestaltungsansatzes gekürzt wird. Vor allem jene Teile werden weggelassen, die für die unmittelbare Aktion »bedeutungslose«547 Ereignisse länger zeigen, als für das Verstehen der Aktion notwendig548 wäre. Durch diese Verkürzungen wird konsequent das doppelte »Spiel des Echos« gegenüber dem Original bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

Querverweise Ähnlich wie Tarkowski und Pasolini legt auch Ruiz Wert auf die Bedeutung der Dauer innerhalb der einzelnen Einstellungen und in Relation zu den vorangegangenen bzw. nachfolgenden Einstellungen. Ist die Dauer durch die im Bild gesehene Aktion be545 546 547 548

Bazin [1958], 1993, 193 f. Kluge, 2000. Lotman [1973], 1977. Pasolini [1966], 61.

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Biografie und Film

stimmt, spricht Pasolini von einer vorfilmischen Qualifikation. Ist sie länger oder kürzer als notwendig für das Erkennen dieser Aktion, bezeichnet er diese Rhythmisierung als »expressiv«  ; wenn sie viel länger oder kürzer ist, kann die Qualifikation dieser Einstellung als filmisch aktiv bezeichnet werden. Die Kamera wird durch die unregelmäßige Dauer dieser einen Einstellung im Vergleich mit den sie umgebenden Einstellungsfolgen spürbar. Dieser Rhythmisierung ist auch Ruiz verpflichtet. »Bildhauerei aus der Zeit«,549»Weben mit der Zeit  – das ist die Bildsprache des Films.«550 Für Tarkowski steht die der Filmerzählung angepasste Zeit – zum Beispiel die Dauer einer Einstellung, mit der nicht nur die Aktion, sondern auch die Gefühle und Stimmungen gezeigt werden, die die den Dingen und Menschen innewohnende Sensibilität erspüren – im Mittelpunkt seiner Überlegungen. Verkürzung, chronologische Umgruppierung und Auslassung finden sich bereits siebzig Jahre früher bei Pál Fejös’ Film Tempêtes, bei dem in der deutschen Fassung ähnliche Änderungen vorgenommen werden. Sie betreffen alle jene emotionalen Bereiche, die die für die unmittelbare manifeste Aktion nicht bedeutsamen Einstellungen oder Einstellungslängen im filmrhythmischen Mikrobereich durch Kürzungen unterdrücken und damit verstehendes Zeigen differenzierter Wertungen von Charakteren nicht mehr zulassen. Das »Verflüssigen« von Bildern, wie es Deleuze551 in den Variationen des Wahrnehmungsbildes erkennt, findet in Klimt eine dichte sinnliche Umsetzung, die sich in einer komparatistischen, methodisch begründeten Gegenüberstellung dieser beiden Filmversionen durch Herausarbeiten von Kürzungen, Aufzeigen von Auslassungen und Nachvollzug von Zeitversetzungen überprüfen lässt. Das »Kristallisationsbild«, das Vergangenheit wie Zukunft umschließt, ein virtuelles »image-souvenir«, das sich in der Gegenwart realisiert, und die »falsche« Bewegung, die durch falsche Anschlüsse sichtbar gemacht wird und somit auf Intervalle, auf die Sprunghaftigkeit der Zeit aufmerksam macht, führen das Paradoxon des Sich-Erinnerns und der serialisierten Zeit vor. Damit stehen der Film Klimt und dessen Autor Raúl Ruiz in der Tradition des modernen Films, der sich durch die Fragmentierung der Raumerfahrung und durch eine dynamische Zeitdilatation auszeichnet.

549 Tarkowski [1984], Die versiegelte Zeit, 1996, 130 f. 550 Tarkowski, »Über die Bildsprache im Film«, 1979, 24. 551 Deleuze [1983], 1989, 121.

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Zusammenfassung Kino/Film – Kulturraum – Untersuchungsgegenstand

Kino/Film Der Titel der Arbeit, der den japanischen Begriff »eiga« für Kino – das reflektierte Bild – angewandt aktualisiert, verweist auf das grundlegende Arbeitsziel, nämlich »image«, Bild und »imagerie«, Vorstellung, oder »Images« und »matters« von Österreich in der internationalen Filmproduktion kennenzulernen und diese in ihrer der Zeit entsprechenden filmästhetischen Umsetzung mit aktuellen Methoden der Filmanalyse zu reflektieren. Der japanische Begriff bezeichnet im Gegensatz zu »motion picture« oder »image animée« die materielle Grundlage der Genese des Bildes auf der Leinwand. Er versteht dabei nicht, wie das Wort »cinématographe«, die Bewegung als dominantes Unterscheidungsmerkmal zwischen nichtfilmischen und filmischen Bildern, sondern »eiga« umfasst den Film ontologisch und phänomenologisch als durch »Licht erzeugt« und verweist damit auch auf das inhaltliche Ziel, auf die mit diesem neuen Medium möglichen sinnlich-intellektuellen Reflexionen über das Leben.

Kulturraum Die Gemeinsamkeiten eines Kulturraumes nennt Durand552 semantisches Bassin, bei dem es, wie bei einem Flusslauf, zu Kehrwässern, also zu einer Verlangsamung und Umkehrung, oder zu Zusammenflüssen, also zu neu auftretenden Verbindungen, oder zu möglichen Untiefen kommt. Es sind Orte von Gefahren, die die Formen des Zusammenlebens, der politischen Umbrüche und der gemeinsamen kulturellen Bewegungen einstmals bestimmten, heute prägen und in Zukunft durch Fremdbilder und Selbstbilder, durch Stereotypen und Vorurteile beeinflussen werden. Das semantische Bassin der einstigen österreich-ungarischen Monarchie, aus der die meisten der osteuropäischen EU-Länder hervorgegangen sind, reicht in der Zeitdimension der kurzen und mittleren Dauer553 über historische Ereignisse und nationale Grenzen hinaus, die je nach ethnischen, nationalen und gesellschaftlichen Positionen unterschiedlich gesehen und interpretiert werden.

552 Durand, 1996, 81–130. 553 Braudel, 1969, 41–61.

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Zusammenfassung

Die Metapher des Flussbettes zeichnet recht gut die Anziehungs- und Abwehrkräfte nach, die sich innerhalb der Gebiete der ehemaligen Monarchie herausbildeten und als ästhetische Äußerungen in Literatur, Malerei und Film, als wissenschaftliche Theorien von der Gesellschaft, als individuelle Lebensgestaltung, als ein »Blick auf die Welt« wirken. Diese »Vision von der Welt«554 aktualisiert auf den verschiedenen Ebenen der Welterfahrung das soziale Handeln und die ästhetische Erfahrung im 21. Jahrhundert. Je detaillierter man sich mit den fiktionalen Spielproduktionen zum Thema beschäftigt, desto mehr aktualisieren sich Erinnerungen an bisherige Interpretationen historischer Daten, wie in Revolučni Rok / Frühlingsstürme, Prag 1848, und an einen »Zeitgeist«, der vor allem durch Literatur bei Vicki Baum, Stefan Zweig oder Ferenc Molnár – und andere mehr – bekannt und überliefert wurde.

Untersuchungsgegenstand Der ausgewählte Filmkorpus spiegelt in großen Zügen die Entwicklung von Kino und Film recht gut wider. Bei den vorliegenden historischen Überlegungen zur formalen Gestaltungsvielfalt innerhalb des gewählten Filmkorpus fällt auf, dass die gewählten Filmerzählungen die Geschichte der internationalen Produktion widerspiegeln können, indem sie in großen Zügen die technische und ästhetische Entwicklung ausbreiten. Geordnet nach der erzählten Zeit, erhebt diese systematische und historiografische Darstellung nicht Anspruch auf Vollständigkeit, sie erlaubt es jedoch, einen Überblick zu erhalten, Sujet- und Motivreihen und deren Variationen zu erkennen. Bereits innerhalb der auf Österreich thematisch beschränkten Auswahl lassen sich aber auch bekannte Autoren – zum Beispiel Hitchcock, Visconti oder Ruiz – wie auch technisch bedingte unterschiedliche Stile aufzeigen. Nicht die Tatsache, dass es Klischees und Stereotypen über die und von der Idee Österreich und Wien gibt, sondern die Frage nach dem intellektuellen und emotionalen Umgang mit ihnen ist die Grundlage dafür, sich den Filmbeispielen zu nähern. Die Summe vieler Einzelsequenzen dieser Images, die verstreut in Filmen aufzufinden sind, formt das Bild von Land und Bevölkerung Österreichs ebenso wie jene Filme, die explizit von oder über Österreich handeln. Ein Beispiel für die Konstituierung einer anhaltenden und tradierten Imagebildung durch scheinbar »bedeutungslose« Erzählpartikel stellt eine Sequenz im Film La fabuleuse histoire de Joséphine Baker / The Jose­ phine Baker Story, 1991, dar. Dieser französisch-US-amerikanische biografische TVFilm von Brian Gibson rückt das Leben der Künstlerin in den Mittelpunkt. Jedoch in einer kurzen Szene, die Bakers Aufführungen in Europa 1938 zeigt, wird folgende – für den Gesamtzusammenhang überraschende – Prognose gewagt  : »Wien 554 Durand, ebenda.

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Untersuchungsgegenstand

ist schlimmer«, in Anlehnung an den Rassenhass, der der Künstlerin bereits in Berlin entgegenschlug. Die sieben Einstellungen, inszeniert, als wären es zeitgenössische dokumentarische Aufnahmen, eine Art Pseudowochenschau, eine »mendacious intertextuality«555, bewahrheiten die Vorahnung. Protesttafeln »Wir wollen keine Schwarzen im Theater« werden geschwenkt, während im Off der aufgebrachte Lärm auf der Wiener Ringstraße zu hören ist. Eine derartige Sequenz innerhalb eines Filmes, der als Hauptsujet nicht explizit von Österreich erzählt, sondern der nur rudimentär Wien im Jahre 1938 zeigt, ausgestrahlt an einem Samstag, dem 2. Januar 1999, im großen TV-Sender France 2, verzeichnet eine ebenso langfristige Wirkung wie der wohl bekannteste Film der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, The Sound of Music. Die zitierten Beispiele zeigen nicht nur eine unbekannte Vielfalt und Kontinuität der Bilder von Österreich vor und nach 1918, sondern sie stellen auch einen verfügbaren Untersuchungskorpus dar, mit dem sich die internationale Entwicklung der Filmgeschichte nachzeichnen lässt. Einem möglichen hermeneutischen Verlust für die mediale und kulturtheoretische Diskussion durch die Nichtkenntnis dieser Beispiele wird durch vorliegende Arbeit vorgebaut. Neben dem Kennenlernen eines vielfach unbekannten Filmkorpus und der kreativen Vielfalt von Zugängen zum Österreichbild, das weit über bereits bekannte Filme wie The Third Man und The Sound of Music hinausgeht, wird die Arbeit zur Vertiefung zweier für die Filmwissenschaft bedeutsamer Fragen beitragen  : Um neben den syntaktischen und semantischen Fragestellungen den pragmatischen Teil in der Analyse von Film zu unterstreichen, schlägt die Arbeit ein dreigliedriges Modell vor, das im Sinne Bachtins jeweils von einem Dialogprinzip ausgeht, das aus der ersten Phase – der direkten Rezeption –, der zweiten Phase – der des »Gemurmels« – und der dritten Phase – der der wissenschaftlichen Auseinandersetzung – besteht. Ein zweites Schwerpunktthema stellen die Versionenvielfalt, die damit verbundene Synchronisation und die für das Publikum zumutbare Präsentation der Originalfassung der Autoren dar. Dabei ist der sogenannte »director’s cut« als werbewirksame Zusatzverwertung nicht so wesentlich wie die durch die Erzählzeit vordergründig motivierten Schnitte durch die Verwertungsindustrie, die in den meisten Fällen eine Bedeutungsverstümmelung zur Folge haben, jedoch gleichzeitig unterschiedliche (film)kulturelle Vorstellungen widerspiegeln, die der »Aura« des Kunstwerkes in der Zeit seiner Reproduzierbarkeit556 neue Facetten hinzufügen.

555 Stam, Bourgoyne, Flitterman-Lewis, New Vocabularies in Film Semiotics. Structuralism, Post-structuralism and beyond, 1992, 207. 556 Benjamin [1955], Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 1973, 7–64.

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Zusammenfassung

Das Buch kann dazu dienen, neue Filme, so alt sie auch sein mögen, in den medialen Alltag einzubringen, um neue Zugänge zu einer umfassenden Bild- und Tonkultur zu eröffnen.

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Filmographie

Originalfassung  : Falls die Filme im Kino oder im TV im deutschsprachigen Gebiet aufgeführt wurden, ist der deutsche Verleihtitel angegeben  ; wenn nicht, wird der französische oder englische Titel zitiert. Filmtitel im Text (zum Thema)  : A beszélő köntös / Der wunderbare Kaftan, Tamás Fejér, Ungarn, 1969 A Breath of Scandal, Michael Curtiz, USA, 1960 A Dangerous Method / Eine dunkle Begierde, David Cronenberg, UK/Deutschland, 2011 A Daughter of Her People, George Roland, USA, 1933 A három galamb / The Three Pigeons, Frigyes Bán, Ungarn 1944 A Köszivoü ember fiai / Männer und Flaggen, Miklós Jancsó, Ungarn, 1965 A Midsummer Night’s Dream / Sommernachts­ traum, Max Reinhardt, William Dieterle, USA, 1935 A mozikirály / Filmkönig, Regisseur unbekannt, Ungarn, 1913 A Night in Casablanca, Archie L. Mayo, USA, 1946 A Pál utcai fiúk / The Boys of Paul Street, Zoltán Fábri, Ungarn, 1969 A tanítónö / Die Lehrerin / The School-Mistress, Márton Keleti, Ungarn, 1945 A Trieste  ! Vincere o morire / In Triest siegen oder sterben, Armando Brunero, Italien, 1915 A Trip to Paradise, Maxwell Karger, USA, 1921 A Woman Commands / Um eine Fürstenkrone, Paul L. Stein, USA, 1932 A Woman of Experience, Harry Joe Brown, USA, 1931 Abenteuer in Wien, Emile Edwin Reinert, Österreich/USA, 1952 Adieu Vienne, Jacques Séverac, Frankreich, 1939

After Tonight, George Archainbaud, USA, 1933 Alias the Doctor, Michael Curtiz, USA, 1932 All Men Are Enemies, George Fitzmaurice, USA, 1934 All the King’s Horses, Frank Tuttle, USA, 1935 Allegro Barbaro, Miklós Jancsó, Ungarn, 1979 Almost Angels, Steven Previn, USA, 1962 Amadeus, Miloš Forman, USA, 1984 American Buds, Kenean Buel, USA, 1918 Aranysárkány / Der goldene Drachen, Laszlo Ranódy, Ungarn, 1966 As You Desire Me / Wie du mich wünschst, George Fitzmaurice, USA, 1932 Atentat u Sarajevu / Sarajevský atentát / Der Tag, der die Welt veränderte, Veljko Bulajic, Jugoslawien, 1975 Austeria / Austeria – Das Haus an der Grenze, Jerzy Kawalerowyz, Polen, 1982 Avec la peau des autres / Sciarada per quattro spie / Die Haut des Anderen, Jacques Deray, Frankreich/Italien, 1966 Az én XX. századom / Mein 20. Jahrhundert, Ildikó Enyedi, Ungarn, 1989 Az új földesúr / The New Landlord, Gaál Béla, Ungarn, 1935 Bad Timing / Black out – Anatomie einer Lei­ denschaft, Nicolas Roeg, UK, 1980 Bambi, David Hand, USA, 1942 Batalión, Miroslav Cikán, Tschechoslowakei, 1937 Batalión, Přemysl Pražský, Tschechoslowakei, 1927 Beauty and the Boss, Roy Del Ruth, USA, 1932

351

Filmographie

Before Sunrise / Eine Nacht in Wien, Richard Linklater, USA, 1995 Before Winter Comes / Bevor der Winter kommt, J. Lee Thompson, UK, 1969 Beloved, Victor Schertzinger, USA, 1934 Berge in Flammen, Karl Hartl, Luis Trenker, Deutschland, 1931 Beverly of Graustark, Sidney Franklin, USA, 1926 Beware of Pity / Ungeduld des Herzens, Maurice Elvey, USA, 1946 Bitter Sweet, Herbert Wilcox, UK, 1933 Bitter Sweet, W.S. van Dyke II, USA, 1940 Black Oxen, Frank Lloyd, USA, 1924 Blind Husbands / Blinde Ehemänner / Die Rache der Berge, Erich von Stroheim, USA, 1919 Blue Jasmine, Woody Allen, USA, 2013 Bride of the Regiment, John Francis Dillon, USA, 1930 Bringing Up Baby / Leoparden küsst man nicht, Howard Hawks, USA, 1938 By Candlelight, James Whale, USA, 1933 Café Moszkva / Only One Night / Café Moskau, Székely István, Ungarn, 1936 Calling Philo Vance, William Clemens, USA, 1940 Carousel, Henry King, USA, 1956 Carry On Spying, Gerald Thomas, UK, 1964 Castelli in aria / Luftschlösser, Augusto Genina, Italien, 1939 Červené víno /Roter Wein, Andrej Lettrich, ČSSR, 1977 Champagne Waltz, A. Edward Sutherland, USA, 1937 Cisaruv pekar – Pekaruv cisar / Der Kaiser und der Bäcker, Martin Frič, ČSSR, 1951 City of Fear, Peter Bezencenet, USA, 1965 Csontváry / Csontváry – Lebensbilder eines Malers, István Császár, Ungarn, 1980 Daybreak, Jacques Feyder, USA, 1931 De Mayerling à Sarajevo / Von Mayerling bis Sarajewo, Max Ophüls, Frankreich, 1940 Dediscina / Die Erbschaft, Matjaz Klopcic, Jugoslawien, 1984 352

Dishonored / Entehrt, Josef von Sternberg, USA, 1931 Dobrý voják Švejk / Der brave Soldat Schwejk, Karel Lamač, Tschechoslowakei, 1926 Doctor Blood’s Coffin, Sidney J. Furie, UK, 1961 Dodsworth / Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds, William Wyler, USA, 1936 Downstairs, Monta Bell, USA, 1932 Egy erkölcsös éjszaka / Eine moralische Nacht, Káoly Makk, Ungarn, 1977 Én voltam / Ich war es, Artúr Bárdos, Ungarn, 1936 Escapade / Maskerade, Robert Z. Leonard, USA, 1935 Evenings for Sale, Stuart Walker, USA, 1932 Experiment Perilous / Angoisse, Jacques Tourneur, USA, 1944 Fábián Bálint találkozása Istennel / Balint Fa­ bian begegnet Gott, Zoltán Fábri, Ungarn, 1979 Fehér vonat / White Train, László Sipos, Ungarn, 1943 Filosofská historie / Philosophen-Histörchen, Otakar Vávra, Tschechoslowakei, 1937 Flesh and the Devil / Es war, Clarence Brown, USA, 1926 Flight from Vienna, Denis Kavanagh, UK, 1956 Florian, Edwin L. Marin, USA, 1940 For Your Eyes Only / James Bond 007 – In töd­ licher Mission, John Glen, USA, 1981 Foreign Intrigue / Die fünfte Kolonne, Sheldon Reynolds, USA, 1956 Four in a Jeep / Die Vier im Jeep / Quatre dans une Jeep, Leopold Lindtberg, Schweiz, 1951 Four Sons, John Ford, USA, 1928 Fugitive Road, Frank Strayer, USA, 1934 Fusillé à l’aube / Secret Document  : Vienna, André Haguet, Frankreich, 1950 Futures Vedettes / Reif auf jungen Blüten / School for Love, Marc Allégret, Frankreich, 1955 Gardez le sourire / Sonnenstrahl, Pál Fejös, Frankreich/Österreich, 1933

Filmographie

Ginrei no Ôja / Der König der Silbernen Berge, Joshiaki Bansho, Japan, 1960 Goodbye, Mr. Chips, Sam Wood, USA, 1939 Goodnight, Vienna, Herbert Wilcox, UK, 1932 Grand Hotel / Menschen im Hotel, Edmund Goulding, USA, 1932 Hajdúk / Unbändige Heiducken, Ferenc Kardos, Ungarn, 1974 Haškovy povídky ze starého mocnářstvì / Die gute alte Zeit, Miroslav Hubácek, ČSSR, 1954 Heart of a Child, Clive Donner, UK, 1958 Heaven’s Gate / Heaven’s Gate – Das Tor zum Himmel, Michael Cimino, USA, 1980 Help  !, Richard Lester, UK, 1965 His Glorious Night, Lionel Barrymore, USA, 1929 Hotel Imperial / Hotel Stadt Lemberg, Mauritz Stiller, USA, 1927 Hotel Imperial, Robert Florey, USA, 1939 Hotel Reserve, Lange Comfort, Mutz Greenbaum, UK, 1944 I Want to Forget, James Kirkwood, USA, 1918 Il portiere di notte / Der Nachtportier, Liliana Cavani, Italien 1974 Il sopravvissuto / Der Überlebende, Augusto Genina, Italien, 1915 Inglourious Basterds, Quentin Tarantino, USA, 2009 International Crime, Charles Lamont, USA, 1938 Is Everybody Happy  ?, Archie L. Mayo, USA, 1929 Ítél a Balaton / Menschen im Sturm / Tempêtes, Pál Fejös, Ungarn, 1933 Itt a szabadság / Die Freiheit ruft  !, Peter Vajda, Ungarn, 1990 Jadviga párnája / Jadviga’s Pillow / Jadvigas Kopfkissen, Krisztina Deák, Ungarn, 2000 Jánošik / Jánošik, der Held der Berge, Palo Bielik, ČSSR, 1962 Jánošík, Martin Fric, Tschechoslowakei, 1935 Jeden z 36 / Einer von 36, Henryk Szaro, Polen, 1925

Jewel Robbery / Juwelenraub in der Kärtner­ straße, William Dieterle, USA, 1932 Juarez, William Dieterle, USA, 1939 Julia, Fred Zinnemann, USA, 1977 Killer’s Carnival / Gern hab’ ich die Frauen ge­ killt, Sheldon Reynolds, Alberto Cardone, Robert Lynn, Österreich/Italien/Frankreich, 1966 King of the Zombies, Jean Yarbrough, USA, 1941 Kísértet Lublón / Die Golddukaten des Ge­ spenstes / The Phantom on Horseback, Bán Róbert, Ungarn, 1976 Klimt, Raúl Ruiz, Österreich/Deutschland/ Frankreich/UK, 2006 Kocár do Vídňe / Wagen nach Wien, Karel Kachyna, ČSSR, 1970 Kuryri cisařovi ve stìnu Napoleona / Die Kuriere des Kaisers, Regisseur unbekannt, Tschechoslowakei 1924 L’esplosione del forte B 2 / The Explosion of Fort B 2, Umberto Paradisi, Italien, 1914 La Belle Meunière / Die schöne Müllnerin, Marcel Pagnol, Frankreich, 1948 La campana muta / The Silent Bell, Signor Capossi, Italien, 1914 La Cuisine au beurre / Alles in Butter / My Wife’s Husband, Gilles Grangier, Frankreich, 1963 La leggenda del Piave / Legende des Piave, Mario Negri, Italien, 1924 La Ronde / Der Reigen, Max Ophüls, Frankreich, 1950 Lac aux dames, Marc Allégret, Frankreich, 1934 Lalie polné / Feldlilien, Elio Havetta, ČSSR, 1972 Land without Music / Forbidden Music, Walter Forde, UK, 1936 Le Mystère Picasso / Picasso, Henri-Georges Clouzot, Frankreich, 1955 Le scarpe al sole / Schuhe in der Sonne, Marco Elter, Italien, 1935 Le Secret de Mayerling / Das Geheimnis von 353

Filmographie

Mayerling, Jean Delannoy, Frankreich, 1949 Le Signal rouge / Das rote Signal, Max Neufeld, Frankreich, 1949 Lekcja martwego jezyka / Die Stunde, Janusz Majewski, Polen, 1979 Let mrtve ptice / Der Flug des toten Vogels, Pavlovic Zivojin, Yugoslawien, 1973 Letter from an Unknown Woman/ Brief einer Unbekannten, Max Ophüls, USA, 1948 Liebelei / Une histoire d’amour, Max Ophüls, Deutschland, 1933 Liebelei, Regisseur unbekannt, Dänemark, 1919 Lifeboat / Das Rettungsboot, Alfred Hitchcock, USA, 1944 Lights Out in Europe, Regisseur unbekannt, USA, 1940 Liliom, Frank Borzage, USA, 1930 Liliom, Fritz Lang, Frankreich, 1934 Lisztomania, Ken Russell, UK, 1975 Love Me and the World Is Mine, E.A. Dupont, USA, 1928 Luk královny Dorotky / Drei schwache Stunden, Jan Schmidt, ČSSR, 1971 Maciste alpino / The Warrior, Luigi Maggi, Luigi Romano Borgnetto, Italien, 1916 Magyar rapszódia / Ungarische Rhapsodie, Miklós Jancsó, Ungarn, 1979 Mahler, Ken Russell, UK, 1974 Man on a Tightrope, Elia Kazan, USA, 1953 Marie Antoinette, Sofia Coppola, USA/Frankreich/Japan, 2006 Marie Antoinette, W.S. van Dyke, USA, 1938 Marie-Antoinette reine de France, Jean Delannoy, Frankreich/Italien, 1956 Mayerling, Anatol Litvak, Frankreich, 1936 Mayerling, Terence Young, UK, 1968 Mazel Tov / East and West / Ost und West, Solomon Krause, USA, 1932 Még kér a nép / Roter Psalm, Miklós Jancsó, Ungarn, 1972 Men in White, Richard Boleslavsky, USA, 1934 354

Menaces, Edmont T. Gréville, Frankreich, 1940 Merry-Go-Round / Prater, Erich von Stroheim, USA, 1923 Miracle of the White Stallions / Flucht der wei­ ßen Hengste, Arthur Hiller, USA, 1963 Mothers of Men, Edward José, USA, 1920 Mr. Deeds Goes to Town, Frank Capra, USA, 1936 Murder at the Vanities / Cocktail für zwei, Mitchell Leisen, USA, 1934 My Official Wife, Paul L. Stein, USA, 1926 Ned med våbnene / Die Waffen nieder  ! / Lay Down Your Arms, Holger-Madsen, Dänemark, 1914 Nejlepsi clovek / Der beste Mensch, Ivo Novák, Václav Wasserman, ČSSR, 1954 Night Life, George Archainbaud, USA, 1927 No Greater Glory, Frank Borzage, USA, 1934 Noce i dnie / Nächte und Tage, Jerzy Antczak, Polen, 1975 Nocní motýl, František Čáp, Tschechoslowakei, 1941 Oberdan, Emilio Ghione, Italien, 1915 Oh…Rosalinda  !  !, Michael Powell, Emeric Pressburger, UK, 1955 Once Upon a Honeymoon, Leo McCarey, USA, 1942 One Night of Love, Victor Schertzinger, USA, 1934 Only Yesterday, John Stahl, USA, 1933 Orient Express, Paul Martin, USA, 1934 Örségváltás / Changing of the Guards, Bánky Vicktor, Ungarn, 1942 Paddy O’Hara, Walter Edwards, USA, 1917 Pavlinka – Stávka na Svárově / Das Mädchen hieß Pavlinka, Karel Kachyňa, ČSSR, 1974 Postřižiny / Kurzgeschnitten, Jiři Menzel, ČSSR, 1981 Radioamatéři, Jaroslav Tuzar, Tschechoslowakei, 1927 Re-Animator, Stuart Gordon, USA, 1985 Rekopis Znaleziony w Saragossie / Die Hand­ schrift von Saragossa, Wojjciech Has

Filmographie

Reunion in Vienna / Rendez-vous in Wien, Sidney Franklin, USA, 1933 Revoluční rok 1848 / Frühlingsstürme, Václav Krska, ČSSR, 1949 Romance in the Dark, H.C. Potter, USA, 1938 Romaneto, Jaroslav Soukup, Tschechoslowakei, 1980 Sanatorium pod Klepsydrą / Das Sanatorium zur Todesanzeige, Wojciech Has, Polen, 1973 Scorpio / Scorpio, der Killer, Michael Winner, USA, 1973 Senso / Sehnsucht, Luchino Visconti, Italien, 1954 Serenade, Harry d’Abbadie d’Arrast, USA, 1927 Siesta veta / The Sixth Sentence, Stefan Uher, ČSSR, 1986 Signum Laudis, Martin Hollý, ČSSR, 1980 Sins of Man, Otto Brower, Gregory Ratoff, USA, 1936 Siréna / Die Sirene, Karel Steklý, ČSSR, 1947 So Ends Our Night, John Cromwell, USA, 1941 Something for Everyone, Harold Prince, USA, 1970 Sous les toits de Paris / Unter den Dächern von Paris, René Clair, Frankreich, 1930 Spring Parade, Henry Koster, USA, 1940 Star for a Night, Lewis Seiler, USA, 1936 Starvation, Regisseur unbekannt, USA, 1920 Stay Hungry / Mr. Universum, Bob Rafelson, USA, 1976 Stolen Heaven / Paradis volé, Andrew L. Stone, USA, 1938 Stolen Identity, Gunther von Fritsch, Österreich, 1953 Storm at Daybreak, Richard Boleslavsky, USA, 1933 Strah / Angst, Matjaž Klopčič, Jugoslawien, 1974 Sunrise  – A Song of two Humans / Sonnenauf­ gang, Friedrich Wilhelm Murnau, USA, 1927 Surrender, Edward Sloman, USA, 1928

Svatby pana Voka / Die Hochzeiten des Herrn Peter, Karel Steklý, ČSSR, 1970 Švejk v civilu / Schwejk in Zivil, Gustav Machatý, Tschechoslowakei, 1927 Sweet Movie, Dušan Makavejev, Kanada/ Frankreich/Bundesrepublik Deutschland, 1974 Szegénylegények / Die Hoffnungslosen, Miklós Jancsó, Ungarn, 1966 Szerelmi álmok – Liszt / Liebesträume, Imre Keszi, Ungarn/UDSSR, 1970 Szerencsés Dániel / Daniel nimmt den Zug, Pál Sándor, Ungarn, 1983 Szirmok, virágok, koszorúk / Flowers of Reve­ rie, László Lugossy, Ungarn, 1984 Szováthy Éva, Pacséry Ágoston, Ungarn, 1944 Tavaszi zápor / Marie, eine ungarische Legende / Marie, une légende hongroise, Pál Fejös, Ungarn, 1932 The Black Cat, Edgar G. Ulmer, USA, 1934 The Blue Danube, Herbert Wilcox, USA 1932 The Blue Danube, Paul Sloane, USA, 1928 The Bohemian Girl, Harley Knoles, UK, 1922 The Bride Wore Red, Dorothy Arzner, USA, 1937 The Case of Lena Smith / Eine Nacht im Prater / Frühling im Prater / Le Calvaire de Lena X, Josef von Sternberg, USA, 1929 The Climax, George Waggner, USA, 1944 The Constant Nymph, Basil Dean, UK, 1933 The Crimson Runner, Tom Forman, USA, 1925 The Divine Sinner, Scott Pembroke, USA, 1928 The Doomed Battalion, Cyril Gardner, USA, 1932 The Double Man / Der doppelte Mann, Franklin Schaffner, UK, 1967 The Emperor Waltz / Ich küsse Ihre Hand, Ma­ dame, Billy Wilder, USA, 1948 The Enemy / L’ennemi / Der Herzschlag der Welt, Fred Niblo, USA, 1927 The Firebird, William Dieterle, USA, 1934 The Front Page, Lewis Milestone, USA, 1931 The Great Dictator / Der große Diktator, Charlie Chaplin, USA, 1940 355

Filmographie

The Great Waltz / Der große Walzer / Toute la ville danse, Julien Duvivier, USA, 1938 The Greater Glory, Curt Rehfeld, USA, 1926 The Josephine Baker Story / La fabuleuse histo­ ire de Joséphine Baker, Brian Gibson, USA/ Frankreich, 1991 The Journey / Die Reise, Anatole Litvak, USA, 1959 The King Steps Out, Josef von Sternberg, USA, 1936 The Living Daylights / James Bond 007 – Der Hauch des Todes, John Glen, USA, 1987 The Mad Doctor, Tim Whelan, USA, 1941 The Mad Empress, Miguel Contreras Torres, USA, 1939 The Magnificent Rebel / Schicksals-Symphonie, Georg Tressler, USA, 1961 The Man I Married, Irvine Pichel, USA, 1940 The Marriage Circle / Die Ehe im Kreise, Ernst Lubitsch, USA, 1924 The Masks of the Devil / Die Masken des Erwin Reiner, Victor Seastrom, USA, 1928 The Melody Man, Richard William Neill, USA, 1930 The Merry Widow, Erich von Stroheim, USA, 1925 The Merry Widow, Ernst Lubitsch, USA, 1934 The Merry Widow, Curtis Bernhardt, USA, 1952 The Merry Widow, Regisseur unbekannt, USA, 1912 The Mortal Storm, Frank Borzage, USA, 1940 The Music Master, Allan Dwan, USA, 1927 The Mysterious Lady / La Belle ténébreuse / Der Krieg im Dunkel, Fred Niblo, USA, 1928 The Outsider, Rowland V. Lee, USA, 1926 The Paul Street Boys, Béla Balogh, Ungarn, 1929 The Red Danube / Schicksal in Wien, George Sidney, USA, 1949 The Robber Symphony / Die Räubersymphonie, Friedrich Fehér, UK, 1936 The Singing Fool, Lloyd Bacon, USA, 1928 356

The Smiling Lieutenant / Der lächelnde Leut­ nant, Ernst Lubitsch, USA, 1931 The Song of Bernadette, Henry King, USA, 1943 The Song of Hate, J. Gordon Edwards, USA, 1915 The Sound of Music / Meine Lieder – meine Träume, Robert Wise, USA, 1965 The Strange Death of Adolf Hitler, James Hogan, USA, 1943 The Third Man / Der dritte Mann, Carol Reed, UK, 1949 The Wedding March / Hochzeitsmarsch, Erich von Stroheim, USA, 1928 The Woman Disputed / Die Stunde der Ent­ scheidung, Henry King, USA, 1928 The Woman from Monte Carlo, Michael Curtiz, USA, 1932 Three Faces West, Bernard Vorhaus, USA, 1940 Three of Many, Reginald Barker, USA, 1917 Three Sinners, Rowland V. Lee, USA, 1928 Tisícročnà včela / Die tausendjährige Biene, Juraj Jakubisko, ČSSR, 1983 Tomorrow and Tomorrow, Richard Wallace, USA, 1932 Tonka Sibenice / Tonitschka / Die Galgentoni, Karl Anton, Tschechoslowakei, 1930 Tredici uomini e un cannone / Dreizehn Män­ ner und eine Kanone, Gioacchino Forzano, Italien, 1936 Un grand amour de Beethoven / Beethovens große Liebe, Abel Gance, Frankreich, 1936 Under Four Flags, S.L. Rothafel, USA, 1918 Unfinished Symphony / Die Unvollendete, Willi Forst, USA, 1934 Vanity’s Price, R. William Neill, USA, 1924 Viennese Nights, Alan Crosland, USA, 1930 Vipere d’Austria, a morte  ! / Österreichische Vipern, in den Tod, Enrique Santos, Italien, 1915 Vizi privati, pubbliche virtù / Die große Orgie, Miklós Jancsó, Jugoslawien/Ungarn/Italien, 1976

Filmographie

Voyage de noces / Hochzeitsreise zu dritt, Germain Fried, Frankreich, 1933 W.R. – Misterije organizma / WR – Mysterien des Organismus / WR  : Mysteries of the Orga­ nism, Dušan Makavejev, Jugoslawien, 1971 Waltz Time / Hochzeitswalzer, Paul L. Stein, UK, 1946 Waltzes from Vienna / Wiener Walzer, Alfred Hitchcock, UK, 1934 We are Not Alone, Edmund Goulding, USA, 1939 Where Eagles Dare / Agenten sterben einsam, Brian G. Hutton, UK/USA, 1968 Why This War  ?, Dokumentarfilm, USA, 1939 Why We Fight, Dokumentarfilmserie, USA, 1942–1945 With Serbs and Austrians, Regisseur unbekannt, USA, 1914 World in Revolt, E.M. Glucksman, USA, 1934 Yellow Lily / Die gelbe Lilie, Alexander Korda, USA, 1928 Yes, Mr. Brown, Jack Buchanan, USA, 1933 Yi ge mo sheng nu ren de lai xin / Letter from an Unknown Woman, Jinglei Xu, China, 2004 Youth for Sale, William Christy Cabanne, USA, 1924 Zatraceni / Die verlorenen Kinder, Miloš Makovec, ČSSR, 1958 Zbehovia a pútnici / Deserteure und Nomaden, Jurai Jakubisko, ČSSR, 1968 Zmory / Gespenster, Wojciech Marczewski, Polen, 1979 Тіні забутих предків / Feuerpferde / Schatten vergessener Ahnen, Sergei Paradjanov, UDSSR, 1964 Filmtitel im Text (allgemein)  : Acht Mädels im Boot, 1932, Erich Waschneck A Farewell to Arms, 1932, Frank Borzage Ai no korīda / Im Reich der Sinne / L’Empire des sens / In the Realm of the Senses, 1976, Nagisa Oshima À propos de Nice, 1930, Jean Vigo Arm wie eine Kirchenmaus, 1931

Asphalt, 1951, Harald Röbbeling Avatar, 2009, James Cameron Bellissima, 1951, Luchino Visconti Breaking the Waves, 1996, Lars von Trier Broadway, 1929, Pál Fejös Casablanca, 1942, Michael Curtiz Catch-22, 1970, Mike Nichols Chez les mangeurs d’hommes / Bei den Menschfressern, 1928, unbekannt Citizen Kane, 1941, Orson Welles Craig’s Wife, 1936, Dorothy Arzner Crisis, 1939, Herbert Kline, Hans Burger Der Nörgler, 1916, Fritz Freissler Die Handschrift von Saragossa, 1964, Wojciech Has Die Trapp-Familie / The Trapp Family, 1956, Wolfgang Liebeneiner Divine, 1935, Max Ophüls Dragonwyck, 1946, Joseph L. Mankiewicz Duel in the Sun, 1946, King Vidor Éjféli keringö / Midnight Waltz, 1944, Sándor Zákonyi Envoy Extraordinary, 1915, unbekannt Episode, 1935, Walter Reisch Erotikon, 1929, Gustav Machatý 1. April 2000, 1952, Wolfgang Liebeneiner Et Dieu… créa la femme, 1956, Roger Vadim Gaslight, 1944, George Cukor Généalogies d’un crime, 1997, Raúl Ruiz Gold Diggers of 1935, 1935, Busby Berkeley Gone with the Wind / Vom Winde verweht, 1939, Victor Fleming, George Cukor Hannerl und ihre Liebhaber, 1936, Werner Hochbaum Hard Times and Culture – Part 1  : »Vienna, Fin-de-Siècle«, 1990, Juan Downey Heimkehr, 1941, Gustav Ucicky Kultura, 1918, unbekannt La Chute de la maison Usher / The Fall of the House of Usher, 1928, Jean Epstein L’Âge d’or, 1930, Luis Buňuel La Passion de Jeanne d’Arc / Die Passion der Jungfrau von Orléans, 1928, Carl Theodor Dreyer 357

Filmographie

L’Argent / Das Geld, 1928, Marcel L’Herbier La vita è bella, 1997, Roberto Benigni Le Dernier milliardaire, 1934, René Clair Le Domaine perdu, 2005, Raúl Ruiz Leise flehen meine Lieder, 1933, Willi Forst Les Dames du bois de Boulogne, 1945, Robert Bresson Le Temps retrouvé, 1999, Raúl Ruiz Lola Montez, 1955, Max Ophüls Lonesome, 1929, Pál Fejös Maciste besiegt die Feuerteufel, 1961, Tanio Boccia Maciste, der Rächer der Verdammten, 1962, Riccardo Freda MASH, 1970, Robert Altman Maskerade, 1934, Willi Forst M – Eine Stadt sucht einen Mörder, 1931, Fritz Lang Michael, 1924, Carl Theodor Dreyer Mit Gott für Kaiser und Reich, 1916, Luise Kolm, Jakob Fleck Mit Herz und Hand fürs Vaterland, 1915, Luise Kolm, Jakob Fleck Monsieur Albert, 1932, Karl Anton Morocco, 1930, Josef von Sternberg Mor-Vran, 1930, Jean Epstein My Love Came Back, 1940, Curtis Bernhardt Now, Voyager, 1942, Irving Rapper Odd Man Out, 1947, Carol Reed Ordet / Das Wort, 1955, Carl Theodor Dreyer Ossessione, 1943, Luchino Visconti Pocahontas, 1995, Mike Gabriel Pulp Fiction, 1994, Quentin Tarantino Pumping Iron, 1977, George Butler Rebecca, 1940, Alfred Hitchcock Sans soleil, Chris Marker, Frankreich, 1983 Sans toit ni loi / Vogelfrei, 1985, Agnès Varda Saving Private Ryan / Der Soldat James Ryan, 1998, Steven Spielberg Shoah, 1985, Claude Lanzmann Silken Shackles, 1926, Walter Morosco Sissi, 1955, Ernst Marischka Sissi – Die junge Kaiserin, 1956, Ernst Marischka 358

Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin, 1957, Ernst Marischka Street Girl, 1929, Wesley Ruggles The Battle and Fall of Przemysl, 1915, unbekannt The Big House, 1931, George W. Hill The Boomerang, 1925, Louis Gasnier The French Lieutenant’s Woman, 1981, Karel Reisz The Grapes of Wrath, 1940, John Ford The Honeymoon, 1929, Erich von Stroheim The Jazz Singer, 1927, Alan Crosland The Lion Has Wings, 1940, Michael Powell The Man Between, 1953, Carol Reed The Ramparts We Watch, 1940, Louis de Rochemont These Three / Infame Lügen, 1936, William Wyler The Thin Red Line / Der schmale Grat, 1998, Terence Malick The Two Mrs. Carrolls, 1947, Peter Godfrey The Wolf Song / Le Chant du loup, 1929, Victor Fleming The World at War, 1942, unbekannt Thirty Two Short Films About Glenn Gould, 1993, François Girard Three Comrades, 1938, Frank Borzage Thunderbolt, 1929, Josef von Sternberg To Be or Not to Be, 1942, Ernst Lubitsch Train de vie, 1998, Goran Bregović Trouble in Paradise, 1932, Ernst Lubitsch Two Worlds, 1930, Ewald A. Dupont Underground, 1995, Emir Kusturica United We Stand, 1942, Albert Panci Vampyr, 1932, Carl Theodor Dreyer Vorstadtvarieté, 1935, Werner Hochbaum Waltz Time, 1933, Wilhelm Thiele We Are the Lambeth Boys, 1959, Karel Reisz World in Flames, 1940, unbekannt Zéro de conduite, 1933, Jean Vigo

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Bildquellennachweis

APA (1) – MNFA, Budapest (2) – BF, Stills, Posters and Designs, London (5) – BIFI, cinémathèque francaise, Paris (7) – Filmarchiv Austria, Wien (12) – Filmladen, Wien (2) – Österreichisches Filmmuseum, Wien (1) Der Autor bemühte sich, alle Rechtsinhaber der einzelnen Fotos zu kontaktieren. Bei einigen ist ihm dies trotz intensiver Recherche nicht gelungen. Er ist selbstverständlich bereit, Forderungen im branchenüblichen Rahmen abzugelten. Das Umschlagsfoto, Abbildungen im Innenteil sowie im Farbteil sind Screenshots oder Pressefotos  : zu den Produktionsfirmen / Copyright-Inhabern siehe http://www.imdb. com/ bzw. http://www.afi.com/

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Sachregister Adel 34, 36, 38, 42, 56, 70, 173, 192, 278 a-filmisch 244 Agent 27, 32, 36, 73, 75, 108, 158, 165, 171, 179, 199, 207, 255, 262, 322, 329 Aktion 18, 24, 28, 30, 38, 40, 52, 63, 114, 140, 150, 160, 199, 203, 248, 256, 292, 329, 337, 345 Aktualität 24, 77, 223 Albtraum 77 Analogie 41, 264, 266, 338 Architext 103 Assoziation 52, 76, 89, 157, 231, 240, 241, 263, 281, 289, 326, 337, 341, 343 Ästhetik 13, 15, 72, 114, 120, 137, 270, 281, 302 Aufnahmetechnik 80, 117, 242, 250 Ausdruck 15, 24, 31, 39, 53, 60, 65, 79, 88, 93, 101, 107, 112, 117, 125, 134, 144, 203, 215, 221, 235, 246, 253, 276, 298, 325, 329, 338, 342 Ausdrucksmöglichkeiten 77, 84, 184 Authentizität 37, 67, 107, 209, 212, 240, 258, 273, 297, 299, 321, 326 Belfast 198 Berlin 79, 100, 135, 198, 300, 349 Bewegung 31, 39, 40, 62, 71, 77, 85, 92, 111, 118, 125, 138, 147, 153, 195, 200, 210, 224, 236, 243, 248, 253, 266, 272, 282, 289, 301, 335, 338, 341, 346 Bewegungsbild 15, 235. Bildfolge 44, 52, 55, 85, 95, 111, 125, 161, 168, 203, 220, 232, 265, 269, 291, 300 Bildgestaltung 31, 64, 168, 221, 232, 267 Bildpassage 119 Biografie 56, 59, 92, 94, 95, 130, 296, 321, 332 Biopic 94, 122, 332, 345 Blende 50, 77, 95, 111, 114, 140, 151, 161, 181, 217, 221, 245, 277, 324, 335, 343 B-picture 120, 130, 165, 257 Budapest 83, 99, 123, 130, 143, 170, 186, 208, 302, 304, 326 Caféhaus 103, 135, 217, 229, 327 Cannes 198, 202, 254, 263, 279, 287, 302 Charakter 13, 17, 23, 28, 33, 44, 49, 52, 56, 61, 64, 66, 72, 76, 81, 86, 90, 98, 104, 106, 112, 116, 122,

125, 130, 134, 137, 143, 158, 165, 170, 172, 179, 181, 185, 191, 194, 206, 209, 212, 217, 227, 229, 243, 250, 255, 260, 265, 268, 275, 280, 286, 292, 304, 322, 333, 343, 346 Cineme 39, 44, 151, 249, 266, 283, 341 Code 63, 74, 75, 118, 128, 150, 154, 204, 255, 322, 324 Darstellung 13, 31, 33, 46, 51, 57, 67, 69, 77, 79, 81, 89, 99, 102, 118, 121, 130, 136, 140, 143, 151, 156, 160, 169, 180, 185, 192, 194, 203, 206, 217, 219, 221, 228, 233, 241, 242, 245, 249, 258, 273, 287, 292, 295, 323, 326, 332, 337, 348 Dekonstruktion 170, 216, 217, 235, 251 Denktradition 123 Denotation 247 Design 33, 81, 93, 131, 156, 164, 206, 237, 258, 271, 290 Dialogizität 52 Diegese 44, 63, 152, 160, 232, 292, 323, 325 diegetisch 32, 41, 54, 58, 72, 77, 82, 92, 124, 130, 135, 137, 153, 190, 192, 194, 204, 219, 221, 245, 255, 289, 292, 321, 340. Diskurs 15, 19, 49, 66, 72, 75, 118, 162, 222, 227, 236, 262, 267, 344, Dokumentarfilm 21, 24, 32, 115, 120, 156, 208, 297, 326. Doppelbelichtung 72, 77, 93, 147, 221, 260. Dramaturgie 54, 128, 141, 153, 155, 195, 202, 207, 217, 227, 234, 240, 257, 265, 291, 332, Echo 34, 85, 96, 113, 125, 156, 164, 166, 193, 217, 250, 274, 310, 334, 337, 340, 345 Einstellungsdauer 40, 111, 115, 117, 152, 235, 247, 249, 290 Einstellungsgröße 41, 53, 76, 93, 161, 248, 344 Emigration 34, 42, 46, 82, 128, 148, 157, 173, 295, Emotion 37, 44, 49, 65, 71, 76, 79, 83, 88, 91, 102, 112, 117, 138, 144, 151, 159, 164, 168, 190, 203, 215, 222, 230, 246, 255, 261, 282, 287, 293, 301, 324, 326, 336, 339, 346, 348 Empathie 66, 168, 194, 200, 204, 286 Episode 22, 47, 94, 107, 120, 129, 139, 141, 148,

369

Sachregister

171, 173, 202, 216, 239, 258, 262, 281, 295, 300, 327, 332, 334, 343 Epoche 20, 22, 31, 41, 56, 72, 82, 118, 134, 157, 176, 191, 209, 280, 294, 301, 303, 325, 332 Erfahrungshorizont 17, 73, 247 Erinnerungsarbeit 77, 82, 218, 234 Erinnerungsbild 39, 73, 182, 218, 219, 233, 340 Erwartungshorizont 200, 256, 258 Erzählduktus 70, 137, 160, 195, 222, 240, 323, 326, 333 Erzählform 91, 137, 208, 287, 331 Erzähllandschaft 132 Erzählort 210, 227 Erzählperspektive 41, 44, 118, 140, 214, 219, 334, 339 Erzählrätsel 85, 191 Erzählraum 34, 40, 77, 146, 280, 322 Erzählung, auktoriale 16, 52, 66, 93, 139, 159, 204, 218, 242, 345 Erzählzeit 19, 106, 117, 193, 256, 284, 349 Europa 15, 23, 30, 34, 43, 49, 56, 60, 78, 84, 89, 103, 110, 119, 123, 145, 150, 162, 173, 206, 224, 272, 278, 282, 287, 298, 326, 338, 348 Farbdramaturgie 82, 264, 267 Farbe 71, 81, 174, 228, 240, 267, 278, 283, 292, 325 Festival 142, 206, 263, 279, 286 Fiktionalisierung 31 Filmanalyse 20, 79, 347 Filmgeschichte 14, 16, 59, 68, 74, 84, 92, 108, 113, 141, 150, 178, 194, 214, 222, 256, 291, 328, 349 Filminterpretation 85, 233 Filmkader 40, 153 Filmkanon 24 Filmkorpus 15, 82, 120, 140, 156, 193, 218, 259, 270, 275, 330, 348 Filmsprache 25, 39, 72, 75, 118, 125, 145, 166, 180, 193, 202, 234, 249, 287 Flashback 25, 196, 217, 291, 300 Fokalisation 90 Fokalisierung 249 Form 18, 31, 48, 50, 55, 66, 71, 76, 81, 91, 101, 109, 117, 137, 154, 161, 188, 204, 206, 218, 222, 247, 255, 265, 273, 280, 290, 321, 324, 331, 336, 348 Fotogramm 19, 85, 265 Fragment 41, 49, 110, 116, 124, 136, 159, 177, 281, 295, 329, 334, 337, 346

370

Gedächtnis 30, 59, 64, 89, 181, 219 Geige 57, 83, 85, 87, 175, 296, 298, 326 Genre 16, 21, 24, 28, 30, 43, 53, 56, 72, 82, 90, 105, 107, 129, 156, 160, 162, 171, 175, 192, 203, 218, 255, 273, 282, 324, 332 Geste 18, 55, 67, 70, 76, 89, 115, 117, 131, 134, 139, 158, 194, 200, 206, 219, 241, 266, 269, 279, 300, 321, 329 Gestus 66, 101, 237, 240, 247, 284, 294, 326, 335 Großaufnahme 53, 65, 67, 78, 93, 117, 152, 204, 327, 330, 340 Handlungsort 43, 57, 117, 144, 154, 166, 197, 258, 265, 298, 336 Happyend 42, 79, 110, 143 Hays Code 81, 99, 121, 150 Hollywood 16, 33, 42, 71, 88, 120, 128, 143, 148, 156, 162, 172, 180, 206, 224, 229, 278, 296, 301 Horror 157, 199, 275 Hypertext 103 Hypothese 114, 195, 203, 230, 270 Identifikation 29, 82, 94, 141, 176, 204, 230, 243 Identität 15, 22, 31, 132, 182, 197, 201, 240, 259, 279, 285, 292 Image 13, 20, 36, 59, 79, 96, 141, 147, 153, 162, 196, 202, 258, 272, 296, 322, 346 Immigrant 21, 31, 39, 56, 96, 106, 109, 133, 259 Information 47, 52, 160, 194, 251, 336 Innsbruck 166, 179, 212 Insert 40, 43, 51, 54, 67, 90, 109, 130, 159, 215, 258, 290, 323, 336, 344 Inszenierung 24, 63, 83, 122, 159, 206, 232, 239, 243, 257, 271, 273, 333 Interpretation 17, 22, 36, 50, 85, 107, 125, 138, 150, 162, 192, 224, 230, 252, 279, 284, 295, 322, 342 Ironie 69, 217, 247, 276 Italien 23, 37, 81, 105, 132, 141, 175, 208, 263, 280 Japan 14, 172, 295, 347 Jazz 56, 83, 87, 106, 127, 155 Kader 19, 31, 40, 66, 111, 153, 291, 322, 331, 338, Kadrierung 118, 137, 150, 168, 201, 228, 245, 289, 290, 322, 330 Klischee 20, 32, 37, 42, 162, 179, 255, 275, 348 Kolportage 36, 70, 103, 130, 142, 172, 212, 240 Kommunikation 70, 81, 165, 171, 190

Sachregister

Kompilation 24 Konnotation 247, 338, 344 Konstruktion 25, 53, 94, 107, 136, 150, 211, 258, 267, 334 Kreativität 92, 119, 163, 233, 332, 345 Kristallisation 57, 62, 151, 283, 336, 346 Kritik 23, 59, 72, 78, 94, 111, 131, 162, 197, 222, 226, 333 Kultur 11, 15, 36, 59, 66, 74, 84, 110, 123, 140, 146, 162, 172, 194, 218, 252, 256, 341, 347 Kulturraum 119, 142, 347 Lebenslauf 22, 51, 59, 82, 143, 188, 190, 284, 304, 342 Lemberg 68, 132 Licht 48, 63, 65, 73, 77, 93, 101, 118, 123, 135, 141, 144, 150, 153, 160, 201, 206, 221, 224, 232, 242, 249, 252, 272, 330, 342 Linz 197, 227, 235 Literaturadaption 47, 55, 262 Marihuana 98, 121 Markierung 75, 93, 151, 218, 222, 231 Mayerling 56, 104, 154, 162, 181, 237, 241, 252, 282, 324 Mayerlingmythos 104 Mentalität 13, 17, 44, 58, 66, 104, 111, 133, 170, 177, 193, 215, 242, 269, 304, 322. Milieu 38, 149, 280 Mimesis 116, 201 Mimik 18, 47, 67, 78, 115, 160, 194, 269 mise-en-abyme 106, 239 mise-en-jeu 89, 329 mise-en-scène 40, 63, 124, 139, 148, 160, 205, 234, 342 Monarchie 14, 22, 37, 50, 59, 65, 104, 127, 148, 170, 237, 240, 245, 274, 279, 282, 288, 294, 301, 329, 347 Monstration 116, 200, 230 Montage 25, 40, 44, 50, 67, 78, 111, 118, 124, 145, 161, 201, 241, 251, 260, 281, 291, 299, 325, 338, 340 Motiv 14, 35, 43, 51, 71, 87, 94, 104, 113, 119, 123, 143, 153, 158, 169, 193, 203, 219, 226, 233, 240, 252, 257, 265, 284, 293, 298, 328, 332, 338, 345 Musical 53, 81, 86, 106, 122, 127, 155, 164, 276 Musik 31, 46, 57, 77, 79, 90, 95, 107, 127, 144, 154,

163, 187, 197, 219, 230, 247, 256, 271, 278, 293, 297, 322, 338, 340. Nahaufnahme 53, 193, 219, 253, 327 Narrativ 40, 44, 52, 66, 77, 106, 118, 152, 170, 195, 214, 233, 241, 256, 268, 281, 292, 321, 334, 341 Neapel 149, 151 New York 20, 23, 34, 45, 71, 84, 88, 143, 155, 173, 215 Niederösterreich 212, Operette 28, 35, 49, 78, 82, 87, 91, 108, 127, 146, 154, 170, 196, 219 Österreich 11, 13, 17, 21, 29, 31, 36, 42, 47, 57, 69, 78, 85, 96, 106, 120, 132, 141, 146, 151, 156, 161, 170, 178, 187, 190, 197, 207, 212, 253, 258, 271, 281, 294, 301, 322, 347, 349. Paris 29, 36, 60, 69, 79, 89, 123, 134, 148, 174, 178, 236, 263, 274, 301, 326, 336 Pathos 114, 203, 280, 331 Perspektive 18, 41, 55, 118, 140, 150, 168, 177, 204, 214, 226, 250, 293, 334, 343 Photogenie 65, 236 Plot 23, 41, 73, 81, 117, 146, 271, 321 Poetisierung 18, 55, 102, 119, 200, 210, 267, 322 Polypol 34 populär 29, 69, 73, 86, 127, 163, 180, 193, 204, 278 postmodern 28, 75, 196, 257 Prater 38, 57, 146, 180, 215, 225, 233, 323 Produktionszeit 23, 30, 91, 192, 197, 207, 217, 241, 276, 289, 303. profilmisch 244, 247, 249, 253, 328 Propaganda 28, 39 Psychoanalyse 20, 47, 157, 230, 237, 242 Publikum 16, 21, 34, 39, 43, 52, 59, 67, 72, 77, 89, 96, 104, 107, 116, 135, 150, 160, 181, 194, 222, 240, 255, 276, 286, 324, 333, 342, 349 Qualifikation 247, 250, 253, 346 Radio 81, 99, 165, 168 Raum, 37, 61, 77, 135, 217, 257, 290, 303, 337, 347 Rekonstruktion 23, 60, 111, 177, 186, 210, 241, 262, 331. Rezeption 18, 37, 59, 76, 83, 136, 159, 177, 181, 193, 200, 217, 222, 226, 295 Rezeptionsgeschichte 141, 196, 273

371

Sachregister

Rhetorik 22, 210, 230 Rhythmus 38, 54, 65, 71, 78, 93, 111, 136, 150, 164, 180, 195, 215, 221, 236, 241, 330, 346 Roman 27, 37, 41, 47, 56, 103, 126, 135, 154, 163, 184, 206, 230, 244, 255, 261, 280, 288, 295, 325 Salzburg 134, 184, 210, 277 Schnitt 38, 67, 71, 114, 155, 180, 203, 210, 229, 245, 266, 290, 330, 338, 342, 349 Schnittfolge 54, 130, 195, 292, 322. Schriftbild 53, 67 Schule, medizinische 36, 47, 57, 97, 275, 323 Science-Fiction 24, 332 semantischer Raum 13, 141 Sequenz 31, 37, 50, 112, 149, 152, 175, 183, 209, 228, 236, 245, 291, 327, 329, 336, 339, 345 Sichtweise 16, 90, 102, 113, 214, 279, 323 Signal 119, 132, 145, 160, 235, 292, 324, 343, 345 Sprechweise 11, 13, 65, 74, 93, 110, 134, 144, 194, 203, 231, 248, 257, 301 Star 25, 32, 55, 68, 164, 169, 188, 204, 206, 243, 277 Stereotyp 22, 34, 36, 47, 49, 57, 79, 88, 91, 122, 135, 145, 162, 166, 179, 198, 255, 275, 290, 298, 328, 347. Stil 13, 40, 62, 72, 79, 96, 110, 116, 122, 137, 156, 183, 193, 210, 215, 222, 227, 241, 248, 253, 261, 273, 282, 340, 344 Stummfilm 29, 40, 48, 52, 59, 70, 90, 109, 114, 122, 203, 235, 288, 295 Subgenre 82, 108, 163, 281 Sujet 23, 57, 69, 81, 88, 94, 106, 146, 155, 207, 225, 262, 271, 282, 304, 335, 348 Synchronisation 48, 70, 349 Syntagma 49 Syntax 19, 73, 247, 339 Syuzhet 74, 79, 193, 195, 242, 247, 251, 253, 264, 340 Tableau 24, 140, 203, 245, 253 Tanz 46, 50, 61, 81, 85, 104, 115, 121, 135, 144, 149, 174, 180, 218, 274, 326, 329 Text 18, 37, 53, 63, 75, 103, 107, 111, 136, 177, 186, 217, 220, 230, 235, 247, 256, 289, 295, 339, 349 Theater 16, 21, 24, 30, 42, 56, 61, 78, 83, 91, 96, 101, 126, 136, 144, 150, 153, 210, 214, 234, 248, 255, 272, 280, 344, 349 Thema 15, 20, 36, 39, 47, 83, 91, 116, 123, 148, 154, 172, 190, 235, 259, 264, 291, 295, 331, 349

372

Tirol 28, 105, 109, 135, 148, 154, 188, 210, 211, 274 Tonaufzeichnung 58, 80, 84, 91, 123, 155, 274, 327 Tonfilm 20, 46, 52, 58, 60, 65, 71, 73, 79, 81, 84, 91, 99, 109, 132, 148, 240 Tongestaltung 61, 150 Tonwiedergabe 60, 80, 91 Topografie 49, 135, 191, 212, 215, 259, 291, 294, 325 Topos 25, 30, 46, 56, 119, 128, 176, 199, 273, 278 Tourismus 14, 30, 105, 212, 322 Tradition 14, 30, 37, 44, 57, 67, 71, 81, 83, 91, 114, 116, 119, 123, 145, 155, 162, 170, 182, 197, 240, 254, 262, 265, 278, 280, 284, 298, 329, 346 Transmodalität 103 Travelling 85, 194, 247, 250, 252, 267, 314 Überblendung 52, 63, 72, 74, 77, 108, 147, 162, 180, 218, 221, 234, 260 Untersuchungsgegenstand 17, 255, 262, 348 Untertitelung 99 Variationen 79, 96, 111, 126, 199, 219, 228, 230, 242, 255, 346, 348 Verfahrensweise 18, 145, 203, 210, 217, 234, 241, 244, 250, 260, 322 Verfilmung 21, 28, 42, 49, 79, 98, 120, 137, 142, 154, 163, 173, 196, 201, 214, 223, 235, 239, 245, 255, 262, 276, 279, 288 Version 71, 86, 97, 105, 112, 116, 123, 146, 171, 183, 215, 240, 245, 250, 334, 336, 340, 343, 346, 349 vorfilmisch 18, 47, 209, 251, 255, 343, 346 Voyeurismus 195 Wahrnehmung 28, 33, 75, 100, 137, 186, 201, 233, 236, 240, 336, 339, 346 Walzer 20, 38, 78, 85, 90, 95, 122, 149, 155, 163, 170, 174, 180, 187, 216, 261, 271, 280, 293, 298, 323, 330 Wien 13, 18, 32, 36, 41, 45, 47, 51, 54, 57, 61, 69, 79, 82, 85, 89, 97, 107, 120, 126, 130, 147, 149, 155, 157, 159, 165, 168, 170, 175, 177, 179, 180, 182, 188, 197, 206, 214, 235, 237, 253, 257, 260, 272, 279, 289, 290, 296, 299, 304, 321, 324, 326, 335, 342, 348 Wiensequenz 151, 175 Wolfgangsee 134, 180, 184 Wunschbild 39, 102, 188

Sachregister

Zeitbild 15, 190 Zeiterfahrung 100, 234 Zeitlupe 150, 235, 253, 268, 326 Zensur 29, 42, 81, 99, 111, 113, 121, 154, 176, 182, 187, 193, 229, 286

Zirkulation 56 Zwischentitel 42, 44, 48, 53, 66, 89, 90, 116

373

Personenregister Abramson, Ivan 109 Adorno, Theodor W. 91 Aherne, Brian 173 Aldington, Richard 130 Alekan, Henri 251 Allégret, Marc 134, 136, 185, 197, 198, 206 Allgeier, Sepp 105 Ambler, Eric 176 Anton, Karl 46, 63, 149 Archer, Isabel 238 Arendt, Hannah 135 Arnold, Robert F. 55 Asquith, Anthony 146 Aubyn, Maurice 62 Bachelard, Gaston 178 Bahr, Hermann 163 Balázs, Béla 53, 55, 65, 79, 235 Balázsovits, Lajos 243 Bárdos, Artúr 144 Bardot, Brigitte 185, 192, 206 Barrymore, John 163, 238 Barthelmess, Richard 97 Barthes, Roland 17, 19, 44, 54, 85, 111, 128, 233 – 235, 256, 322, 324 Bartsch, Rudolf Hans 41, 42 Baum, Vicki 134, 140, 184, 185, 192, 197, 206, 348 Baur, Harry 181 Beatles 213 Beauvoir, Simone de 233, 234 Beethoven, Ludwig van 93, 148, 181, 187, 201, 273, 310, 325, 337 Bellour, Raymond 227, 234, 235 Berkeley, Busby 180 Bernauer, Rudolf 28, 43 Berne, Eva von 72, 73 Bernhardt, Curtis 170, 171 Bettauer, Hugo 104 Bielik, Paló 142 Biolley-Godino, Marcelle 135 Bizet, Georges 163 Bizet, René 89, 90 Blanchar, Dominique 181, 242 Bódy, Sándor 196

374

Böhm, Karlheinz 237 Boles, John 163 Bonitzer, Pascal 49, 202 Bordwell, David 40, 52, 55, 79, 131 Borzage, Frank 123, 124, 166 Boyer, Charles 124, 181, 186, 242, 243 Bradna, Olympe 165 Braudel, Fernand 13, 347 Braunberger, Pierre 115 Bresson, Robert 55, 98, 117 Brooks, Peter 231, 232 Brown, Harry Joe 27 Bulajić, Stevan 299 Buñuel, Luis 92, 264 Burton, Richard 212 Cabanne, William Christy 48 Casetti, Francesco 16, 17 Cavani, Liliana 44, 199, 298, 314 Cavell, Stanley 233 Chaplin, Charlie 46, 89, 161, 162 Chatterton, Ruth 97, 148 Chavance, Marcel 63, 64 Chevalier, Maurice 86, 88, 276 Chion, Michel 70, 82, 91, 92, 109, 126, 137, 161, 260, 338, 340 Cikán, Miroslav 142 Clair, René 61, 71, 114, 149, 273, 301 Colbert, Claudette 86 Colette 29, 134, 137, 140, 184, 185 Corliss, Richard 226, 227 Craig, Edward Gordon 55 Cronenberg, David 47, 75, 318 Császár, István 95 Curtiz, Michael 97, 276 D’Abbadie d’Arrast, Harry 46, 89, 90 Dadoun, Roger 194, 195 Dagover, Lil 97 Daney, Serge 99, 191 Darrieux, Danielle 181, 242, 243 Davis, Bette 173 Day, Alice 46, 57 Deák, Krisztina 311, 329

Personenregister

Dean, Priscilla 45 Delannoy, Jean 240, 242 Deleuze, Gilles 15, 230, 269, 320, 333, 336, 346 Delluc, Louis 19 Deneuve, Catherine 242 Deray, Jacques 215 Dieterle, William 98 Dietrich, Marlene 69, 73, 77, 229, 259, 261 Dillon, John Francis 132 Doane, Mary Ann 234 Donat, Robert 173, 174 Donath, Ludwig 169 Donner, Clive 205, 212 Dörmann, Felix 87 Douglas, Melvyn 99 Dreyer, Carl Theodor 27, 149 Duhamel, Georges 64 Dupont, Ewald. A. 41, 42, 63 Durbin, Deanna 167, 170 Duvivier, Julien 92, 181 Eastwood, Clint 212 Eco, Umberto 37, 177, 179 Eisenstein, Sergej 49, 206, 281, 309, 329 Eisler, Hanns 91 Elsaesser, Thomas 231 Epstein, Jean 19, 52, 61, 65, 116, 150, 235, 236, 269, 301, 330, 336 Esquenazi, Jean-Pierre 17 Fehér, Friedrich 154, 176 Fejös, Pál 71, 110, 114, 116, 118, 183, 184, 346 Feld, Fritz 166 Fernandel 211 Feuillère, Edwige 238 Fields, Dorothy 147 Fischer, Lucy 233 Fleming, Ian 255 Fodor, Ladislas 96, 98 Fontaine, Joan 190 Forman, Miloš 95, 313 Forst, Willi 146 Foster, Norman 98 Foucault, Michel 16, 222 Freud, Sigmund 17, 18, 47, 143, 157, 186, 194, 199, 230, 232, 237, 290, 292, 319, 344 Freund, Karl 173 Fröhlich, Gustav 95, 191

Fuller, Samuel 194 Gable, Clark 121 Gance, Abel 93, 94, 116, 148, 201, 273 Garbo, Greta 61, 73, 99, 259 Gardies, André 73, 90, 200, 322, 325 Garfunkel, Art 289 Garson, Greer 174 Gaudreault, André 116, 200, 201, 243 Gaye, Gregory 148 Genette, Gérard 103, 200, 201, 243 Genevois, Simone 98 Germonprez, Valérie 32 Gibbons, Cedric 93, 164, 173 Gide, André 107, 134, 136 Gilbert, John 72, 99 Girard, René 102 Godard, Jean-Luc 99, 100, 115, 194, 251, 263 Goldin, Sidney M. 109 Golitzen, Alexander 224 Goya 51 Gran, Albert 32 Grant, Cary 158 Greene, Graham 120, 273 Greenspan, Roger 228 Grey, Clifford 87 Griffith, Corinne 47 Grindon, Leger 208 Grünbaum, Fritz 96 Gurie, Sigrid 169 Haas, Willy 100, 142 Hache, André 62 Haguet, André 198 Hais-Týnecký, Josef 142 Hammerstein, Oscar 82 Harrington, Curtis 60 Harron, John 46 Hašek, Jaroslav 47, 262, 279 Haskell, Jack 81 Hawks, Howard 166 Heath, Stephen 226, 231, 232 Heinzel, Lisl 95 Hellman, Lilian 154, 300 Helm, Brigitte 129 Hilton, James 173 Hitchcock, Alfred 16, 20, 41, 92, 122, 163, 237, 340 Hochbaum, Werner 42, 113, 116

375

Personenregister

Hofmannsthal, Hugo von 127, 128, 147 Holger-Madsen 27 Horak, Jan-Christopher 169 Hösch, Eduard 100 Huston, Walter 148 Ingram, Rex 25 Irzykowski, Karo 19 Iser, Wolfgang 37, 328 Jacobson, Leopold 28, 87 James, Henry 228 Jancsó, Miklós 15, 31, 49, 242, 245, 252, 279, 281, 283, 286, 303, 316 Jánošík, Juraj 30, 142 Jung, Carl G. 47, 162, 194 Kafka, Franz 27 Karloff, Boris 157, 171 Kerbel, Michael 226, 228 King, Henry 132 Kisch, Egon Erwin 100, 101, 103, 119, 127 Klein, Melanie 135 Kluge, Alexander 190, 208, 345 Knight, Esmond 122 Koch, Gertrud 226 Koch, Howard 220, 224, 227, 229 Kohner, Friedrich 41, 55, 56 Korjus, Miliza 163 Kortner, Fritz 169 Kozjubinski, Michail 294 Kozloff, Sarah 226 Kracauer, Siegfried 96, 107, 149, 153, 193, 228 Kreisler, Fritz 147, 154 Kristeva, Julia 18, 137, 228, 231 Kuntzel, Thierry 168 L’Herbier, Marcel 61 Lagny, Michèle 13 Lamač, Karl 47, 48, 262 Lamont, Charles 165 Lang, Fritz 123, 124, 181, 186, 226, 272, 273 Lange, Raymond 88 Le Goff, Jacques 192, 215 Lee, Jane und Katherine 25 Lehár, Franz 49, 80, 83, 147 Leonard, Robert Z. 146 Lermolieff, Ivan 17, 18

376

Leutrat, Jean-Louis 87, 257 Lewis, Ted 57 Liebeneiner, Wolfgang 187, 276 Lindtberg, Leopold 203, 307 Lissa, Zofia 19 Litvak, Anatol 240, 242, 250 Lodge, John 238 Longen, Emil Artur 100 Lotman, Jurij 18, 200, 345 Lubitsch, Ernst 20, 43, 46, 80, 89, 90, 149, 158, 223, 276 Lukács, Georg 208 Lumière, Brüder 21, 152 Lynch, David 75, 92 Machatý, Gustav 48 MacMurray, Fred 155 Maeterlinck, Maurice 52 Mansfield, Jayne 192 Marais, Jean 181, 185, 192, 206, 242 Marchat, Jean 98 Marcorelles, Louis 226 Marischka, Ernst 147, 154 Marischka, Herbert 147 Marsh, Marian 98 Marx Brothers 83 Maté, Rudolph 149 Matthews, Jessie 122 May, Joe 169 Mayo, Archie L. 83 McVay, Douglas 229, 231 Meerson, Lazare 134 Metz, Christian 18, 50, 74, 161, 247, 249, 281, 338, 339 Meyerhold, Vsevolod E. 83 Mikos, Lothar 74, 177 Mikszáth, Kálmán 30 Mitchum, Robert 207 Modleski, Tania 228, 231, 234 Moholy-Nagy, László 55, 124, 155 Molnár, Ferenc 35, 119, 123, 125, 148, 186, 276, 348 Monroe, Marilyn 192 Monti, Raphaelle 209 Moore, Grace 129, 146 Morin, Edgar 74, 77 Mosheim, Grete 96 Mozart, Amadeus 163, 296, 344

Personenregister

Mulvey, Laura 227, 231 Muni, Paul 173 Murnau, Friedrich Wilhelm 71 Mussolini, Benito 28, 62, 141 Negri, Pola 43, 68, 86 Nesbit, Evelyn 32, 259 Niblo, Fred 27, 59, 259, 260 Nilsson, Anna Q. 45 Noll, Karel 47, 262 Nowell-Smith, Geoffrey 231 Ophüls, Max 137, 146, 147, 186, 188, 197, 214 – 217, 220, 221, 224 – 229, 231, 235, 238 Ōshima, Nagisa 231 Pabst, Georg W. 188 Pagano, Bartolomeo 24 Pagnol, Marcel 192, 197, 200 – 202 Palmer, Lili 196 Paradjanov, Sergej 119, 294, 295 Pasolini, Pier P. 17, 18, 39, 152, 247, 249, 250, 252, 253, 267, 281, 283, 345, 346 Perkins, V.F. 197, 232, 233, 235 Pia, Isabelle 206 Pirandello, Luigi 99 Piscator, Erwin 83 Planer, Franz 224 Plantinga, Carl 204 Platon 201 Poe, Edgar Allan 150, 235, 332 Polis, John St. 57 Pór, Katalin 128 Porpaczy, Barbara 182 Porter, Edwin S. 21 Powell, William 146 Pražský, Přemysl 142 Preminger, Otto 155 Prokop, Dieter 34 Puccini, Giacomo 25 Quignard, Pascal 230 Rainer, Luise 146, 163, 164, 181 Ralph, Jessie 121 Ralston, Esther 59, 61 Reed, Carol 198, 212, 271, 273, 307 Reik, Theodor 194, 195, 230

Reisch, Walter 171 Reisz, Karel 40, 151, 216, 223, 225 Remarque, Erich Maria 169 Rémy, Maurice 98 Reynolds, Ben 41 Reynolds, Vera 69 Richter, Hans 155 Ricœur, Paul 15, 17, 111 Riesenfeld, Hugo 68 Rimski-Korsakow, Nikolai A. 163 Rina, Ita 61, 100 Rivette, Jacques 225, 246, 252, 263, 316 Robbe-Grillet, Alain 137 Rocha, Glauber 208 Roeg, Nicolas 44, 199, 289, 290, 292, 309 Rogers, Ginger 158 Romberg, Sigmund 82 Rosenfeld, Fritz 42, 58, 73, 77 Rossellini, Roberto 208 Rosson, Richard 173 Roth, Joseph 42, 50, 126, 148, 239 Ruiz, Raúl 16, 202, 323, 333 – 338, 340 – 342, 344 – 346, 348 Russel, Ken 94, 95, 315, 344, 345 Russell, Theresa 289 Sadoul, Georges 27, 209 Sailer, Toni 295 Salten, Felix 96, 173 Savoy, Teresa Ann 243 Schildkraut, Joseph 129 Schneider, Magda 186 Schneider, Romy 237 Schnitzler, Arthur 20, 21, 33, 35, 39, 42, 61, 126, 128, 134, 148, 185, 186, 188, 190, 292, 293, 344 Schönherr, Karl 21, 147 Schubert, Franz 187, 190, 197, 201, 202 Schweizer, Richard 202 Schwejk 47, 143, 262, 279 Seeßlen, Georg 170 Séverac, Jacques 95 Seyffertitz, Gustav von 33 Sharif, Omar 242 Sherwood, Robert E. 237 Silverman, Kaja 232 Simon, Genevois 98 Simon, Jacqueline 215, 226 Simon, Michel 188

377

Personenregister

Simon, Simone 136 Slezak, Walter 158 Sorlin, Pierre 23, 28 Stein, Paul 196 Steinbeck, John 159 Sternberg, Josef von 16, 27, 35, 42, 46, 59, 60, 62, 63, 73 – 76, 103, 129, 146, 147, 154, 155, 221, 229, 273, 309 Stolz, Robert 80, 276 Straus, Oscar 28, 87 Strawinsky, Igor 126 Stroheim, Erich von 32, 33, 36 – 38, 40 – 42, 46, 49 – 53, 58, 71, 99, 132, 155, 175, 180, 187, 188, 192, 197, 198, 210, 211, 226, 274, 276, 307 Studlar, Gaylyn 226, 229 – 231 Sudermann, Herrmann 33 Suttner, Bertha von 27, 28 Swarthout, Gladys 155, 163 Szakáll, Szöke 173 Talmadge, Norma 34, 68 Tarkowski, Andrej 92, 345, 346 Tauber, Richard 154 Thalberg, Irving G.. 73, 99, 100 Thiele, Wilhelm 106 Thimig, Hans 96 Tiomkin, Dimitri 164 Tisseron, Serge 20, 41. Tressler, Georg 93 Trevor, Claire 169 Truffaut, François 122, 137, 223, 225, 263 Turim, Maureen 218 Tuttle, Frank 146 Twelvetrees, Helen 69, 130, 259, 261 Ucicky, Gustav 113 Uher, František 142, 143 Ulmer, Edgar G. 131, 171

378

Vadim, Roger 185, 206 Vajda, Ernest 89 Van Dyke, W.S. 163 Varda, Agnés 243 Vélez, Lupe 60 Vernet, Marc 74, 75, 156, 256, 342 Vertov, Dziga 52 Victor, Henry 172 Vigny, Benno 100 Vigo, Jean 61 Virilio, Paul 27 Visconti, Luchino 208 – 210, 348 Von Trier, Lars 69 Vorstman, Emil 25 Warburg, Aby 118, 203 Warrenton, Gilbert 68 Waxman, Franz 173 Wayne, John 168, 169 Welles, Orson 150, 258 Werfel, Franz 104, 132, 282 Werich, Jan 30 Wessely, Paula 113 Whitney, Claire 34 Wilcox, Herbert 170 Wilder, Billy 42, 155, 182, 197, 199, 274 – 276 Woo, John 92 Wyler, William 150, 152 – 154 Xu, Jinglei 215 Yeats, William Butler 47 Young, Terence 240, 242, 316 Zavattini, Cesare 208 Zilahy, Lajos 126 Zinnemann, Fred 120, 300, 301, 317 Zweig, Stefan 126, 147, 163, 188, 196, 197, 215 – 217, 220, 221, 224, 227, 229, 230, 348

PETER WEGELE

DER FILMKOMPONIST MAX STEINER (1888–1971) (EXIL.ARTE-SCHRIFTEN, BAND 2)

Vom Winde verweht, King Kong und nicht zuletzt Casablanca – wer kennt diese Klassiker nicht. Aber der Mann, der diesen Filmen eine musikalische Sprache gegeben hat und die sinfonische Filmmusik im sogenannten Goldenen Zeitalter Hollywoods etabliert hat, Max Steiner, ist für viele Zeitgenossen unbekannt. Dieses Buch ist die erste Monografie über diesen Filmmusikpionier. Gestützt auf seine unveröffentlichte Autobiografie und viele Interviews zeichnet dieses Buch das Leben Max Steiners von seiner Geburtsstadt Wien über London und New York nach Hollywood nach. Anhand vieler Originaldokumente wird die Entstehung des Films Casablanca und der Musik dazu erzählt. Eine detaillierte Analyse einiger ausgewählter Passagen zeigt die technische, musikalische und psychologische Seite seiner Filmmusik. 2012. 300 S. 18 S/W-ABB. U. 88 NOTENBSP. GB. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-205-78801-0

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JULIA BARBARA KÖHNE

GENIEKULT IN GEISTESWISSENSCHAFTEN UND LITERATUREN UM 1900 UND SEINE FILMISCHEN ADAPTIONEN

Die Frage , wem die Auszeichnung „Genie“ gebühre , wurde vor hundert Jahren in unterschiedlichen geisteswissenschaftlichen Disziplinen und in literarisch-philosophischen Texten , z. B. von Walter Benjamin , Jakob Wassermann und Edgar Zilsel , hitzig debattiert. Die Monographie wirft einen Blick auf die glorifi zierenden Zuschreibungen und epistemologischen Funktionen , die der Wissensfigur „Genie“ in der damaligen Scientific Community zugewiesen wurden. Sie untersucht , wie sich Vertreter vor allem neuerer Fachdisziplinen mithilfe der Geniefigur ihrer eigenen intellektuellen und schöpferischen Potenz versicherten , welche politischen , rassistischen und geschlechterspezifischen Implikationen das „Genie“ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts transportierte und wie sich der geisteswissenschaftliche Geniekult um 1900 in der späteren Populärkultur , ausgewählten Spielfi lmen ab Mitte der 1980er Jahre , widerspiegelte. 2014. 584 S. 133 S/W-ABB. BR. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-205-79481-3

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HANS-JOACHIM VEEN (HG.)

DAS BILD DER DDR IN LITERATUR, FILM UND INTERNET 25 JAHRE ERINNERUNG UND DEUTUNG (EUROPÄISCHE DIKTATUREN UND IHRE ÜBERWINDUNG, BD. 21)

Dieser Band widmet sich der Frage, mit welchen Bildern, Stereotypen, Konstruktionen, Mustern und Deutungen die DDR in Literatur, Film und Internet rückblickend erinnert wird. Welche Themen, Probleme, Gestalten und Ereignisse sind vorherrschend? Welche Wertungen zwischen Ostalgie und kritischer Aufarbeitung dominieren? Wie breit ist das Spektrum der Erinnerungen und Deutungen in der Rückschau auf die DDR als Parteidiktatur und als sozialistische Gesellschaftsordnung? Und: Haben sich die Erinnerungen und Deutungen des untergegangenen Regimes in den letzten 25 Jahren verändert? Welche Sicht auf die DDR herrscht heute vor? Dieser Titel liegt auch als EPUB für eReader, iPad und Kindle vor. 2015. 185 S. 24 S/W-ABB. BR. 155 X 230 MM. ISBN 978-3-412-50148-8 [BUCH] | ISBN 978-3-412-50396-3 [E-BOOK]

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MDW GENDER WISSEN HERAUSGEGEBEN VON DORIS INGRISCH UND CLAUDIA WALKENSTEINER-PRESCHL

mdw Gender Wissen ist eine Buchreihe der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien/mdw. Die Publikationen dieser Reihe tragen dazu bei, die Wirkmächtigkeit von Gender (soziales Geschlecht) in Wissens- und Kunstproduktionen sichtbar zu machen. BAND 1: SCREENINGS

BAND 4: RATIO UND INTUITION

WISSEN UND GESCHLECHT IN MUSIK.

WISSEN/S/KULTUREN IN MUSIK.

THEATER. FILM

THEATER. FILM

2010. 165 S. DIV. GRAFIKEN UND S/W-ABB.

2013. 171 S. 45 S/W-ABB. BR.

BR. | ISBN 978-3-205-78520-0

ISBN 978-3-205-78905-5

BAND 2: GENDER PERFORMANCES

BAND 5: SPIELRÄUME

WISSEN UND GESCHLECHT IN MUSIK.

WISSEN UND GESCHLECHT IN MUSIK.

THEATER. FILM

THEATER. FILM

2011. 184 S. ZAHLR. S/W-ABB. BR.

2014. 197 S. ZAHLR. S/W-ABB. FRANZ. BR.

ISBN 978-3-205-78651-1

ISBN 978-3-205-79520-9

BAND 3: KULTUR DER GEFÜHLE

BAND 6: KÖRPER/DENKEN

WISSEN UND GESCHLECHT IN MUSIK.

WISSEN UND GESCHLECHT IN MUSIK.

THEATER. FILM

THEATER. FILM

2012. 166 S. 14 S/W-ABB. FRANZ. BR.

2015. 150 S. 12 S/W-ABB. FRANZ.

ISBN 978-3-205-78783-9

BR. | ISBN 978-3-205-79628-2

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MASKE UND KOTHURN INTERNATIONALE BEITRÄGE ZUR THEATER-, FILM UND MEDIENWISSENSCHAFT HERAUSGEGEBEN VON WOLFGANG GREISENEGGER, UNIVERSITÄT WIEN, KLEMENS GRUBER, BRIGITTE MARSCHALL UND MONIKA MEISTER

Maske und Kothurn, die Zeitschrift des TFM/Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien, thematisiert in vier Heften pro Jahr das Spannungsfeld von Kunst und Wissenschaft. Die „Internationalen Beiträge zur Theater-, Film- und Medienwissenschaft“ untersuchen Inszenierungsformen der medialen Wirklichkeit an den Schnittstellen von Produktion und Rezeption. JG. 60, HEFT 1

JG. 59, HEFT 1–2

ANDREAS EHRENREICH, ANETTE STORR

BRIGITTE MARSCHALL,

UND MARTIN VEJVAR (HG.)

MARTIN FICHTER-WÖSS (HG.)

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LEBEN DÉ-COLL /AGIEREN

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2013. 176 S. 61 FARB. UND S/W-ABB. BR. ISBN 978-3-205-79462-2

JG. 59, HEFT 3 NICOLE STREITLER-KASTBERGER,

ERSCHEINUNGSWEISE: 4 X JÄHRLICH,

MARTIN VEJVAR (HG.)

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HORVÁTH LESEN

ISSN 0025-4606

2013. 136 S. 16. S/W-ABB. BR.

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STUDIERENDE: € 39,90 ERSCHEINT SEIT 1955

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