Ideelle Unzumutbarkeit: Dogmatik und Praxis der Leistungsverweigerung bei Rechtsgüter- und Pflichtenkollisionen im Zivilrecht [1 ed.] 9783428514311, 9783428114313

Welche Voraussetzungen und Rechtsfolgen hat die Leistungsverweigerung eines Arbeitnehmers aus Gewissensgründen, religiös

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German Pages 556 Year 2004

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Ideelle Unzumutbarkeit: Dogmatik und Praxis der Leistungsverweigerung bei Rechtsgüter- und Pflichtenkollisionen im Zivilrecht [1 ed.]
 9783428514311, 9783428114313

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Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 298

Ideelle Unzumutbarkeit Dogmatik und Praxis der Leistungsverweigerung bei Rechtsgüterund Pflichtenkollisionen im Zivilrecht

Von Stefan Greiner

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Stefan Greiner · Ideelle Unzumutbarkeit

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 298

Ideelle Unzumutbarkeit Dogmatik und Praxis der Leistungsverweigerung bei Rechtsgüterund Pflichtenkollisionen im Zivilrecht

Von Stefan Greiner

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds der VG Wort Die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-11431-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die Thematik der „Ideellen Unzumutbarkeit“ weist über die Grenzen des Leistungsstörungsrechts hinaus. Bei ideellen Konflikten tritt typischerweise das Spannungsverhältnis zwischen der unternehmerischen Freiheit und den Freiheitsrechten des persönlich leistungspflichtigen Schuldners besonders deutlich zutage. Der Unzumutbarkeitsbegriff belässt dabei in seiner Offenheit vielfältige Deutungsmöglichkeiten und trägt die Gefahr erheblicher Rechtsunsicherheit in sich. Nicht zuletzt aus diesem Grund war das Thema in der Vergangenheit Gegenstand starker Kontroversen. Die Untersuchung nimmt die teilweise Kodifizierung der „Ideellen Unzumutbarkeit“ durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz zum Anlass, eine Gesamtbetrachtung anzustellen und damit der bestehenden Rechtsunsicherheit zu begegnen. Sie möchte praktisch handhabbare Konzepte zu einer rechtssystematisch geordneten Bewältigung des Problemfeldes aufzeigen. Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Ulrich Preis. Ihm verdanke ich nicht nur die Betreuung dieser Arbeit, sondern eine wirklich außergewöhnliche Förderung seit den Anfängen meines juristischen Werdeganges. Danken möchte ich auch Frau Prof. Dr. Anja Steinbeck, die das Zweitgutachten erstellt hat, sowie Herrn Dr. Michael Gotthardt, Richter am Arbeitsgericht Düsseldorf, der die Bearbeitung der Thematik angeregt hat und stets als kompetenter Gesprächspartner zur Verfügung stand. Die Arbeit wurde durch ein Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes gefördert. Das Manuskript wurde von Michael Greiner, Sebastian Haug und Katharina Kleikamp durchgesehen. Auch ihnen danke ich für ihre Hilfe. Hella Asche möchte ich für ihre Unterstützung und wertvolle Gespräche danken. Besonderer Dank gilt schließlich meinen Eltern, Winfried und Annemarie Greiner. Sie haben meine bisherige Ausbildung in jeder Hinsicht nach Kräften unterstützt. Ihnen widme ich daher diese Arbeit.

Essen, im Januar 2004

Stefan Greiner

Inhaltsübersicht

Erster Teil Einleitung

b 33

§ 1 Schuldrechtsreform und „Unzumutbarkeit“ ...................................................... 33 § 2 „Unzumutbarkeit“ und Zivilrechtsordnung ....................................................... 42

Zweiter Teil Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

b 66

§ 3 Unzumutbarkeit der Leistungserbringung aus Gewissensgründen ..................... 66 § 4 Unzumutbarkeit der Leistungserbringung aus religiösen Gründen ....................178 § 5 Unzumutbarkeit der Leistungserbringung aus familiären Gründen ....................205 § 6 Unzumutbarkeit der Leistungserbringung wegen Einberufung zum Wehrdienst .............................................................................................................266 § 7 Unzumutbarkeit der Leistungserbringung aus gesundheitlichen Gründen ..........289 § 8 Sonstige Fallgruppen ideeller Leistungshindernisse .........................................307

8

Inhaltsübersicht Dritter Teil Übergreifende Fragestellungen – Strukturprinzipien bei Rechtsgüter- und Pflichtenkollisionen

b 319

§ 9 Unzumutbarkeit und Interessenabwägung .......................................................319 § 10 Die systematische Einbindung der ideellen Unzumutbarkeit in das Leistungsstörungsrecht ..................................................................................................364 § 11 Die Problematik der Einrede-Konstruktion ......................................................385 § 12 Die regelungstechnische Stellung des § 275 III BGB im Bürgerlichen Gesetzbuch ...............................................................................................................404 § 13 Fazit und zusammenfassende Bewertung .........................................................408

Vierter Teil Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

b 409

§ 14 Einführung .....................................................................................................409 § 15 Das Schicksal der Gegenleistung ....................................................................418 § 16 Vermögensrechtliche Konsequenzen ...............................................................450 § 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung .............................................472

Inhaltsübersicht Fünfter Teil Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der Ergebnisse

9 b 510

§ 18 Ideelle Unzumutbarkeit und gesetzgeberische Gestaltungskraft ........................510 § 19 Rechtstheoretische Präzisierung des Unzumutbarkeitsbegriffs ..........................514 § 20 Conclusio .......................................................................................................516

Literaturverzeichnis ..............................................................................................519 Sachwortregister....................................................................................................546

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil Einleitung

b 33

§ 1 Schuldrechtsreform und „Unzumutbarkeit“ ................................................. 33 I.

Schuldrechtsreform in der Retrospektive ....................................................... 33

II. „Unzumutbarkeit“ als neue Kategorie des kodifizierten Leistungsstörungsrechts ........................................................................................................... 37 1. Neuregelung auf unsicheren Fundamenten................................................. 38 2. Neue Fragen infolge der Neuregelung........................................................ 40 § 2 „Unzumutbarkeit“ und Zivilrechtsordnung .................................................. 42 I.

Die liberale Konzeption des BGB.................................................................. 42

II. Vom liberalen zum sozialen Zivilrecht .......................................................... 45 III. Von der materiellen zur ideellen Unzumutbarkeit........................................... 47 1. Die schrittweise Anerkennung einer Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen ......................................................................................................... 47 a) Partielle Regelung in § 616 BGB......................................................... 48 b) Ausweitung auf nicht erfasste Fälle ..................................................... 49 c) Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur .................................... 51 2. Der Begriff der „ideellen“ Unzumutbarkeit.............................................. 55 3. Politische Einflüsse................................................................................. 57 IV. Das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und „Unzumutbarkeit“ ............... 60

12

Inhaltsverzeichnis V. Die Integration in das kodifizierte Zivilrecht.................................................. 64

Zweiter Teil Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

b 66

§ 3 Unzumutbarkeit der Leistungserbringung aus Gewissensgründen ............... 66 I.

Der Meinungsstand vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes........................................................................................................ 69 1. Die BAG-Entscheidung vom 29.1.1960 („Erste Druckerentscheidung“).... 70 2. Die BAG-Entscheidung vom 20.12.1984 („Zweite Druckerentscheidung“) .................................................................................................... 72 3. Die BAG-Entscheidung vom 24.5.1989................................................... 74 4. Stellungnahmen in der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichtsbarkeit.. 76 5. Stellungnahmen in der Literatur .............................................................. 78

II. Die kollidierenden Rechtspositionen.............................................................. 80 1. Grundfrage: Relevanz der Gewissensfreiheit im Privatrecht ..................... 81 a) Stärkere Gewichtung der Vertragstreue.............................................. 81 b) Gewissensbetätigung als „Hass gegen das Gesetz“ ............................ 83 c) Nur restriktive Anerkennung von Gewissensentscheidungen als Leistungshindernis ............................................................................ 86 d) Eigene Stellungnahme....................................................................... 89 aa) Vertragstreue .............................................................................. 90 bb) Wertungswidersprüchlichkeit der Rechtsfolgen............................ 91 cc) Der verfassungsrechtliche Rang der Gewissensfreiheit ................. 92 dd) Die Bedeutung von § 888 III ZPO ............................................... 94 ee) Restriktive Gestaltung der Rechtsfolgen....................................... 95 2. Begriff und Eingrenzungen des Gewissens............................................... 96 a) Der subjektive Gewissensbegriff des BVerfG .................................... 96

Inhaltsverzeichnis

13

b) Verfassungsimmanente Beschränkungen ........................................... 97 aa) Typische kollidierende Verfassungspositionen ............................. 98 bb) Praktische Konkordanz................................................................ 99 c) Weitere Eingrenzungen des Gewissensbegriffs .................................100 aa) Allgemeine Ansätze zur Einengung der Reichweite der Gewissensfreiheit ................................................................................100 (1) Beschränkung auf das forum internum..................................100 (2) Übertragung der Schranken anderer Grundrechte ..................101 (3) Kollektivistische Ansätze .....................................................102 (4) Weitere Begründungsansätze................................................103 (5) Luhmann – Die Bewährung im Konflikt ...............................104 bb) Eingrenzungen im privatrechtlichen Kontext...............................106 (1) Die Abwägungslehre des BAG .............................................106 (a) Praktische Konkordanz zwischen Verfassungsgütern.......106 (aa) Die Gewissensfreiheit des Gläubigers als kollidierendes Rechtsgut .....................................................107 (bb) Die Eigentumsfreiheit des Gläubigers als kollidierendes Rechtsgut .....................................................109 (cc) Die Unternehmerfreiheit des Gläubigers als kollidierendes Rechtsgut ................................................110 (dd) Die Presse- und Meinungsfreiheit des Gläubigers als kollidierendes Rechtsgut ....................................114 (ee) Verfassungsgut Vertragstreue? ................................116 (ff) Fazit und Bewertung ...............................................120 (b) Vorhersicht und Vorhersehbarkeit des Gewissenskonfliktes ............................................................................121 (c) Prognose künftiger Gewissenskonflikte...........................124 (2) Eingrenzung auf die „Betroffenheit der ethischen Identität“...125 d) Relevanz der personalen und impersonalen Struktur von Schuldverhältnissen.........................................................................................126 aa) Allgemeines...............................................................................126

14

Inhaltsverzeichnis bb) Fallbeispiel: Dingliche Herausgabeansprüche..............................129 cc) Resümee....................................................................................130 3. Gerichtliche Überprüfung von Gewissensentscheidungen........................130 a) Theoretische Ansätze einer Beweiserleichterung bei Gewissenskonflikten..............................................................................................131 b) Insbesondere das Vorbringen geeigneter Indiztatsachen ....................133 III. Gewissenskonflikte als Fallgruppe von § 275 III BGB?.................................135 1. Der Befund in Regierungsbegründung und Gesetzeswortlaut...................136 2. Einordnung unter § 275 III BGB gegen den Willen des Gesetzgebers?.....139 IV. Die zutreffende Rechtsgrundlage der Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen.................................................................................................142 1. § 616 BGB als Sonderregelung für zeitlich geringfügige Gewissenskonflikte......................................................................................................143 a) Zeitliche Unerheblichkeit und Gewissenskonflikte ............................143 b) Ausdehnung auf Fälle der Unzumutbarkeit .......................................144 c) § 616 BGB als Sonderregelung eines Leistungsverweigerungsrechts..147 d) Änderungen durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz...............150 e) Gewissenskonflikte als Fallgruppe von § 616 BGB ...........................150 aa) Ablehnende Stellungnahmen ......................................................151 bb) Befürwortende Stellungnahmen..................................................152 cc) Eigene Stellungnahme................................................................153 f) Tatbestandliche Voraussetzungen des § 616 BGB .............................154 aa) Unzumutbarkeit .........................................................................154 bb) Verhältnismäßig nicht erhebliche Dauer......................................155 g) Resümee..........................................................................................159 2. Allgemeines Leistungsverweigerungsrecht außerhalb von § 616 BGB .....160 a) Verortung im Recht der Unmöglichkeit ............................................160 aa) Partielle Lösungen durch das Unmöglichkeitsrecht......................161 bb) Die Gesamtkonzeption Kohtes....................................................163

Inhaltsverzeichnis

15

cc) Stellungnahme ...........................................................................164 b) Lösungsalternativen .........................................................................167 aa) Gewissensnot als Anwendungsbereich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB .....................................................168 bb) Gewissensnot als Grenze des einseitigen Leistungsbestimmungsrechts, §§ 106 S. 1 GewO, 315 BGB.................................171 cc) Gewissensnot als Fall von Treu und Glauben, § 242 BGB ...........174 V. Resümee......................................................................................................177 § 4 Unzumutbarkeit der Leistungserbringung aus religiösen Gründen .............178 I.

Einleitung....................................................................................................178

II. Beispiele aus der Rechtsprechung.................................................................181 1. Teilweise Leistungsverweigerung durch das Tragen religiöser Symbole ..181 a) Die „Baghwan“-Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 22.3.1984...181 b) Die „Kopftuch“-Entscheidungen des BAG vom 10.10.2002 und des LAG Frankfurt vom 21.6.2001 .........................................................182 aa) LAG Frankfurt vom 21.6.2001 ...................................................182 bb) BAG vom 10.10.2002 ................................................................183 2. Vollständige Leistungsverweigerung aus religiösen Gründen ..................186 a) Die „Kurban beyram“-Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 14.2.1963.........................................................................................186 b) Die „Gebetspausen“-Entscheidung des LAG Hamm vom 18.1.2002 ..188 3. Fazit......................................................................................................190 III. Rechtliche Bewertung..................................................................................190 1. Grundlagen............................................................................................190 2. Der Schutzbereich im Einzelnen.............................................................192 3. Konfligierende Güter in der Interessenabwägung ....................................194 4. Grundrechtsverzicht durch Vertragsschluss.............................................197 a) Ausschluss durch den Charakter der geschuldeten Tätigkeit ..............197 b) Ausschluss durch vertragliche Vereinbarung.....................................198

16

Inhaltsverzeichnis c) Kein Grundrechtsverzicht: Spätere Änderung der Glaubenshaltung ...201 5. Übertragung auf andere Leistungspflichten .............................................203 IV. Fazit............................................................................................................204

§ 5 Unzumutbarkeit der Leistungserbringung aus familiären Gründen............205 I.

Die elterliche Sorge als Rechtspflicht von Verfassungsrang...........................207 1. Begriff und Umfang der „Elternpflicht“..................................................208 2. Voraussetzungen einer Pflichtenkollision................................................210 a) Das Rangverhältnis von Arbeits- und Elternpflicht............................211 aa) Gleichrangigkeit der Rechtsgüter als Voraussetzung der Kollision ...........................................................................................211 bb) Die Normenhierarchie als Aspekt der Konfliktklösung ................212 b) Vermeidung der Pflichtenkollision durch Übertragung der Sorgepflicht? ............................................................................................213 c) Vermeidung der Pflichtenkollision durch wirtschaftliche Anstrengungen.............................................................................................216 aa) Abgrenzung nach Vertragstypen .................................................217 bb) Vertragliche Risikoverteilung.....................................................220 d) Zwischenergebnis ............................................................................221 3. Rechtliche Folgerungen zur Lösung der Problematik nach altem und neuem Recht..........................................................................................221 a) § 616 BGB als Sonderregelung für kurzzeitige Pflichtenkollisionen in Dienstverhältnissen ......................................................................222 aa) Die explizite Funktion des § 616 BGB........................................223 bb) Die implizite Funktion des § 616 BGB........................................223 (1) Systematische Erwägungen ..................................................224 (2) Der Befund in der Regierungsbegründung.............................226 (3) Lösungsvorschlag ................................................................227 cc) Zusammenfassung......................................................................228 b) § 45 III 1 SGB V als Sonderregelung für länger andauernde Erkrankungen des Kindes ...........................................................................228

Inhaltsverzeichnis

17

aa) Die rechtstechnische Konstruktion als Freistellungsanspruch.......229 bb) Tatbestandliche Divergenzen zwischen § 275 III BGB und § 45 III 1 SGB V........................................................................231 cc) Anwendbarkeit nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes......................................................................233 c) § 45 IV SGB V als Sonderregelung für die Pflege schwerstkranker Kinder.................................................................................235 d) Allgemeines Leistungsverweigerungsrecht bei Kollisionen von Arbeits- und Elternpflicht.....................................................................235 aa) Die Konzeption des BAG ...........................................................236 bb) Verortung im Unmöglichkeitsrecht.............................................239 cc) Leistungsverweigerungsrecht aus § 242 BGB..............................242 dd) Die Lösung nach neuem Recht ...................................................242 (1) § 275 III BGB als Auffangtatbestand.....................................242 (2) Kriterien der Interessenabwägung..........................................243 (a) Interessenabwägung bei höchstpersönlicher Elternpflicht............................................................................244 (b) Interessenabwägung in anderen Fällen ............................245 (c) Die Bedeutung von Vorhersehbarkeit und Vorhersicht ....246 II. Sonstige familiäre Pflichten .........................................................................246 1. Verfassungsrechtliche Vorgaben ............................................................247 2. Einfachrechtliche Ausgestaltungen .........................................................248 a) Personensorge..................................................................................249 aa) Strafrechtliche Garantenpflichten................................................249 bb) Sonstige Rechtspflichten: § 1353 BGB und § 2 LPartG ...............250 cc) Sittlich-ethische Pflichten: Personensorge für sonstige Angehörige............................................................................................252 (1) Nahe Angehörige .................................................................252 (2) Nichteheliche Lebensgefährten.............................................253 (3) Entfernte Verwandte ............................................................254

18

Inhaltsverzeichnis dd) Vermeidung der Kollision durch wirtschaftliche Anstrengungen..255 b) Familiäre Ereignisse.........................................................................255 aa) Eheschließung des Leistungspflichtigen......................................256 bb) Niederkunft der Ehefrau und Lebensgefährtin .............................257 cc) Todesfälle und Begräbnisse ........................................................260 dd) Familienfeiern............................................................................260 3. Die rechtliche Behandlung – Kriterien der Interessenabwägung...............261 III. Die Beweisbarkeit des Konflikts...................................................................263 IV. Strukturelle Begrenzung auf persönliche Leistungspflichten? ........................264

§ 6 Unzumutbarkeit der Leistungserbringung wegen Einberufung zum Wehrdienst ....................................................................................................266 I.

Sonderregelung für den bundesdeutschen Wehrdienst in § 1 ArbPlSchG........266

II. Die Problematik der Einberufung zum ausländischen Wehrdienst..................267 1. Die Rechtsprechung des BAG ................................................................267 a) Die Entscheidung vom 22.12.1982 ...................................................267 b) Die Entscheidung vom 7.9.1983 .......................................................270 c) Die Entscheidung vom 20.5.1988 .....................................................271 2. Gegenansichten in der Literatur..............................................................273 3. Eigene Konzeption auf Grundlage des neuen Schuldrechts......................277 a) Die konfligierenden Rechtspositionen bei ausländischer Wehrpflicht..............................................................................................278 aa) Pflichtenkollision oder Rechtsgüterkollision?..............................278 bb) Die betroffenen Rechtsgüter des Arbeitnehmers ..........................279 (1) Persönliche Freiheit und Leben, Menschenwürde ..................279 (2) Allgemeines Persönlichkeitsrecht .........................................281 (3) Schlussfolgerungen ..............................................................282 b) Das Lösungsmodell des neuen Schuldrechts......................................283 aa) § 275 III BGB als allgemeine Regelung ......................................283

Inhaltsverzeichnis

19

bb) Elemente der Interessenabwägung ..............................................284 (1) Allgemeines.........................................................................284 (2) Insbesondere: Vorhersehbarkeit und Vorhersicht des Konfliktes ..................................................................................286 cc) Beschränkung auf persönliche Leistungspflichten?......................288 § 7 Unzumutbarkeit der Leistungserbringung aus gesundheitlichen Gründen..289 I.

Die Rechtslage vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes ...290

II. Gebotene Differenzierung zwischen Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit......291 1. Krankheit ohne „Arbeitsunfähigkeit“......................................................291 2. „Arbeitsunfähigkeit“ und „Arbeitsunzumutbarkeit“.................................293 3. Die kollidierenden Rechtsgüter...............................................................295 III. Krankheit als Anwendungsfall des § 275 III BGB? .......................................296 IV. Interessenabwägung.....................................................................................299 V. Andere Bewertung aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes?.........................301 VI. Rückwirkender Einredetatbestand?...............................................................304 VII.Resümee .....................................................................................................306 § 8 Sonstige Fallgruppen ideeller Leistungshindernisse .....................................307 I.

Die kollidierenden Rechtspositionen.............................................................309 1. Die Leistungsverweigerung aus Angst oder Trauer..................................309 2. Sonstige grundrechtliche Konfliktsituationen..........................................311 3. Strukturell kurzzeitige Leistungshindernisse ...........................................311 a) Wartepflicht bei Verkehrsunfällen ....................................................311 b) Kontakt zu Behörden und Gerichten .................................................312 c) Inanspruchnahme durch Ehrenämter.................................................313 d) Weitere Leistungshindernisse ...........................................................314

II. Anwendung außerhalb des Dienstvertragsrechts?..........................................315 III. Elemente der Interessenabwägung................................................................316

20

Inhaltsverzeichnis IV. Resümee......................................................................................................318

Dritter Teil Übergreifende Fragestellungen – Strukturprinzipien bei Rechtsgüter- und Pflichtenkollisionen

b 319

§ 9 Unzumutbarkeit und Interessenabwägung ...................................................319 I.

Einführung ..................................................................................................319

II. Interessenabwägung als integrales Element von „Unzumutbarkeit“ – Die Systematik beider Tatbestandsmerkmale ................................................320 III. Die Systematik und Abwägbarkeit der kollidierenden Rechtsgüter ................323 1. Kollision einfachrechtlicher Rechtspositionen.........................................325 2. Kollision der Leistungspflicht mit verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern..........................................................................................328 a) Dogmatische Fundierung der Grundrechtswirkung in Privatrechtsbeziehungen.....................................................................................328 aa) Keine unmittelbare Drittwirkung ................................................329 bb) Grundrechtsbindung des Zivilrichters .........................................330 cc) Schutzgebotsfunktion der Grundrechte........................................332 dd) Folgerungen...............................................................................334 b) Strukturierung kollidierender Verfassungsgüter und Konsequenzen für die Lösung des Konflikts ............................................................335 aa) Gleichrangigkeit der Verfassungsgüter als Voraussetzung der Kollision? ..................................................................................336 bb) Die Konfliktlösung bei Grundrechten mit Gesetzesvorbehalt .......337 cc) Die Konfliktlösung bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten .............................................................................................339 (1) Konflikt zu einfachrechtlichen Rechtspositionen – unbedingter Vorrang....................................................................341

Inhaltsverzeichnis

21

(2) Konflikt zu anderen Gütern von Verfassungsrang – praktische Konkordanz..................................................................343 3. Inhalt der Interessenabwägung ...............................................................345 a) Einfachrechtliche Konflikte..............................................................345 b) Verfassungsrechtliche Mechanismen der Konfliktlösung...................346 c) Insbesondere: Maßstäbe zur Ermittlung der Vorrangstellung .............347 aa) Grad der drohenden Beeinträchtigung.........................................348 bb) Personale Prägung......................................................................349 d) Abgeschwächte Grundrechtswirkung? ..............................................350 e) Fazit ................................................................................................351 4. Die Rechte Dritter in der Interessenabwägung.........................................352 a) Das grundrechtliche Schutzgebot......................................................352 b) Die tatbestandliche Verengung in § 275 III BGB...............................354 5. Vorhersicht und Vorhersehbarkeit der Kollision......................................355 a) Vorhersicht und Vorhersehbarkeit bei einfachrechtlichen Konflikten .356 b) Verfassungsrechtliche Implikationen ................................................357 aa) Vorhersehbarkeit........................................................................357 bb) Vorhersicht als Akt des Grundrechtsverzichtes............................358 cc) Voraussetzungen des Grundrechtsverzichtes ...............................359 dd) Grundrechtsverzicht und Interessenabwägung.............................359 6. Bedeutung des Vertretenmüssens für die Leistungsverweigerung.............360 7. Erstreckung auf anfängliche Leistungshindernisse...................................362 IV. Allgemeine Formel der ideellen „Unzumutbarkeit“.......................................362 § 10 Die systematische Einbindung der ideellen Unzumutbarkeit in das Leistungsstörungsrecht ........................................................................................364 I.

Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit – § 275 I-III BGB .................................364 1. Strukturverschiedenheit..........................................................................364 2. Abgrenzung von § 275 I zu § 275 II, III BGB .........................................367

22

Inhaltsverzeichnis a) Praktische und faktische „Unmöglichkeit“ ........................................367 b) Rechtliche „Unmöglichkeit“.............................................................369 c) Strukturprinzipien ............................................................................370 3. Abgrenzung zwischen § 275 II und § 275 III BGB ..................................371 II. „Unzumutbarkeit“ und „Geschäftsgrundlage“ ...............................................373 III. Das Verhältnis zum Rechtsprinzip von Treu und Glauben, § 242 BGB ..........376 IV. Das Verhältnis zu § 616 BGB ......................................................................378 V. Die Sonderregelungen in § 45 III 1, IV SGB V .............................................380 VI. Fazit............................................................................................................382

§ 11 Die Problematik der Einrede-Konstruktion..................................................385 I.

Peremptorische oder dilatorische Einrede?....................................................387

II. Die Erhebung der Einrede ............................................................................390 1. Peremptorische Einreden........................................................................391 2. Dilatorische Einreden.............................................................................393 3. Zwischenergebnis und eigene Meinung ..................................................395 III. Die spezifische Problematik der Einrede in § 275 III BGB ............................398 IV. Insbesondere: Die Rückabwicklung zwischenzeitlich ausgeübter Gestaltungsrechte ..................................................................................................400 V. Fazit............................................................................................................403 § 12 Die regelungstechnische Stellung des § 275 III BGB im Bürgerlichen Gesetzbuch ....................................................................................................404 I.

Problematik und Meinungsstand...................................................................404

II. Eigene Stellungnahme..................................................................................406 § 13 Fazit und zusammenfassende Bewertung......................................................408

Inhaltsverzeichnis Vierter Teil Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

23 b 409

§ 14 Einführung ....................................................................................................409 I.

Der Meinungsstand im alten Schuldrecht......................................................409

II. Partielle Klärung und offene Fragen durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz..................................................................................................411 1. Klare Einbindung in die Strukturen des Leistungsstörungsrechts .............412 2. Grundzüge der Neuregelung...................................................................414 3. Einheitliche Regelung für alle Fälle der Unzumutbarkeit? .......................416 § 15 Das Schicksal der Gegenleistung...................................................................418 I.

Die Rechtslage vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes ...418

II. Die Rechtslage nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes .420 1. Grundstrukturen der Neuregelung...........................................................420 2. Ausnahmen............................................................................................422 a) Gegenleistung bei Herausgabe des stellvertretenden commodums, § 326 III BGB..................................................................................423 b) Gegenleistung bei Teilleistungen, § 326 I 1 Halbs. 2 BGB.................423 c) Gegenleistung bei Vertretenmüssen des Gläubigers und Annahmeverzug, § 326 II BGB .......................................................................424 aa) Der Maßstab der Verantwortlichkeit ...........................................425 bb) Fälle einer Verantwortungszuweisung an den Gläubiger..............426 d) Gegenleistung bei kurzzeitiger persönlicher Leistungshinderung im Dienstverhältnis, § 616 BGB............................................................429 e) Gegenleistung bei Krankheit im Arbeitsverhältnis, § 3 I EFZG..........430 3. Sonderproblem: Unzumutbarkeit einer Nebenpflicht – nur teilweise Unzumutbarkeit i.S.d. § 326 I 1 Halbs. 2 BGB?...........................................432 a) Teilweise Unzumutbarkeit versus vollständige Unzumutbarkeit.........433 aa) Der Befund in der Regierungsbegründung...................................433

24

Inhaltsverzeichnis bb) Der Begriff der Teilbarkeit der Leistung .....................................434 cc) Andere Betrachtung bei teilweiser Unzumutbarkeit .....................436 b) Fazit und praktische Folgerungen .....................................................439 4. Auswirkungen auf den Annahmeverzug..................................................440 a) Grundzüge der Regelung..................................................................441 b) § 297 BGB als Ausnahme ................................................................442 aa) Anwendbarkeit in Fällen der Unzumutbarkeit..............................443 bb) Bezugspunkt des § 297 BGB – Angebot von Alternativtätigkeiten .............................................................................................444 (1) Insbesondere: Pflicht des Arbeitgebers zur Annahme angebotener Alternativtätigkeiten ................................................445 (2) Alternativtätigkeiten und „betriebliche Möglichkeiten“ .........446 (3) Eigene Auffassung ...............................................................447 cc) Fazit...........................................................................................449

§ 16 Vermögensrechtliche Konsequenzen.............................................................450 I.

Herausgabe des stellvertretenden commodums, § 285 BGB...........................450 1. Stellvertretendes commodum und ideelle Unzumutbarkeit.......................450 2. Die Notwendigkeit der Einredeerhebung.................................................451

II. Schadensersatzansprüche des Gläubigers gegen den Schuldner bei Leistungsverweigerung.......................................................................................452 1. Alte Rechtslage......................................................................................452 a) Die These der Präjudizierung bei Schadensersatzansprüchen .............453 b) Die These der Einzelbetrachtung bei Schadensersatzansprüchen........455 2. Neue Rechtslage ....................................................................................457 a) Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 I, III, 283 BGB.............458 aa) Voraussetzungen........................................................................458 (1) Leistungshindernis und Pflichtverletzung..............................458 (2) Nachträgliche und anfängliche Unzumutbarkeit – § 311a II BGB....................................................................................459

Inhaltsverzeichnis

25

bb) Insbesondere: Vertretenmüssen der Pflichtverletzung..................462 (1) Bezugspunkt des Vertretenmüssens ......................................462 (2) Der Maßstab des Vertretenmüssens, §§ 276 ff. BGB .............463 cc) Rechtsfolge: Schadensersatz statt der Leistung............................466 b) Schadensersatz statt der Leistung aus § 311a II BGB.........................467 c) Schadensersatzanspruch wegen Nebenpflichtverletzung gemäß § 280 I BGB ....................................................................................468 III. Schadensersatzanspruch des Schuldners gegen den Gläubiger gemäß § 280 I BGB .....................................................................................468 IV. Ersatz vergeblicher Aufwendungen – § 284 BGB .........................................470 V. Resümee......................................................................................................470 § 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung.........................................472 I.

Vertragsbeendigung im in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnis..............473

II. Vertragsbeendigung im Arbeitsverhältnis .....................................................476 1. Die Vielfalt des Meinungsstandes...........................................................477 a) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts .................................479 aa) Leitlinien der Rechtsprechung des BAG .....................................479 bb) Kategorienvermischung..............................................................481 cc) Der Grundsatz der Einzelbetrachtung..........................................483 dd) Die krankheitsbedingte Kündigung als Leitbild ...........................485 b) Meinungen in der Literatur...............................................................487 aa) Kündigung bei Gewissenskonflikten...........................................487 bb) Kündigung bei anderen Fallgruppen ideeller Unzumutbarkeit......489 cc) Fazit ..........................................................................................492 2. Der einschlägige Kündigungsgrund ........................................................492 a) Fälle betriebsbedingter Kündigung?..................................................493 b) Fälle verhaltensbedingter Kündigung................................................495 aa) Partielle Präjudizierung ..............................................................496

26

Inhaltsverzeichnis bb) Fallgruppen und weitere Voraussetzungen einer verhaltensbedingten Kündigung.....................................................................498 (1) Unberechtigte Leistungsverweigerung ..................................498 (2) Nebenpflichtverletzungen bei berechtigter Leistungsverweigerung .................................................................................500 c) Fälle personenbedingter Kündigung..................................................500 aa) Allgemeine Kündigungsvoraussetzungen....................................501 bb) Personenbedingte Kündigung und Leistungsverweigerung ..........503 cc) Fallgruppenbildung ....................................................................505 3. Abgrenzung zur außerordentlichen Kündigung .......................................507 III. Resümee......................................................................................................508

Fünfter Teil Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der Ergebnisse

b 510

§ 18 Ideelle Unzumutbarkeit und gesetzgeberische Gestaltungskraft ..................510 § 19 Rechtstheoretische Präzisierung des Unzumutbarkeitsbegriffs....................514 § 20 Conclusio.......................................................................................................516

Literaturverzeichnis ..............................................................................................519 Sachwortregister....................................................................................................546

Abkürzungsverzeichnis

a.A.

anderer Ansicht

a.a.O.

am angegebenen Ort

AbgG

Abgeordnetengesetz

Abs.

Absatz

AcP

Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift)

ADHGB

Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch

a.E.

am Ende

a.F.

alte Fassung

AG

Amtsgericht

AGBG, AGB-Gesetz

Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen

AiB

Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift)

AK-BGB

Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (Reihe Alternativkommentare)

AK-GG

Kommentar zum Grundgesetz (Reihe Alternativkommentare)

Anh.

Anhang

Anm.

Anmerkung

AnwK

Anwaltkommentar – Das neue Schuldrecht

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift)

AP

Arbeitsrechtliche Praxis

ArbG

Arbeitsgericht

ArbGG

Arbeitsgerichtsgesetz

ArbPlSchG

Arbeitsplatzschutzgesetz

ArbRGegw

Das Arbeitsrecht der Gegenwart (Zeitschrift)

ArbuR

Arbeit und Recht (Zeitschrift)

ArbVG 1992

Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes (1992)

28

Abkürzungsverzeichnis

ARS

Arbeitsrechts-Sammlung, Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts (Zeitschrift)

Art.

Artikel

AT

Allgemeiner Teil

AuA

Arbeit und Arbeitsrecht (Zeitschrift)

Aufl.

Auflage

AÜG

Arbeitnehmerüberlassungsgesetz

BAGE

Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts

BayVBl

Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift)

BayVGH

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

BB

Betriebsberater (Zeitschrift)

Bd.

Band

bearb./Bearb.

bearbeitet/Bearbeiter

begr.

begründet

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Bundesgerichtshof, Entscheidungen in Strafsachen

BGHZ

Bundesgerichtshof, Entscheidungen in Zivilsachen

BK

Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar)

BR-Drucks.

Bundesrats-Drucksache

BSeuchG

Bundesseuchengesetz

BSG

Bundessozialgericht

BSGE

Entscheidungen des Bundessozialgerichts

BT-Drucks.

Bundestags-Drucksache

BUrlG

Bundesurlaubsgesetz

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

CR

Computer und Recht (Zeitschrift)

DB

Der Betrieb (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis

29

ders.

derselbe

dies.

dieselbe(n)

DOK

Die Ortskrankenkasse (Zeitschrift)

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift)

DtZ

Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

EFZG

Entgeltfortzahlungsgesetz

Einl.

Einleitung

ErfK

Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht

et al.

und andere

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EWG-Vertrag

Vertrag zur Gründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

EWiR

Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht

EzA

Entscheidungen zum Arbeitsrecht

f.

folgende(r)

FamRZ

Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

ff.

fortfolgende

Fn.

Fußnote

GewO

Gewerbeordnung

GK-EFZR

Gemeinschaftskommentar zum Entgeltfortzahlungsrecht

GK-KSchR

Großkommentar zum Kündigungsrecht

GK-SGB V

Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung

GO-NW

Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen

GS

Großer Senat

Halbs.

Halbsatz

HbStKirchR

Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland

HbStR

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland

HessVGH

Hessischer Verwaltungsgerichtshof

HGB

Handelsgesetzbuch

30

Abkürzungsverzeichnis

h.L.

herrschende Lehre

h.M.

herrschende Meinung

Hrsg./hrsg.

Herausgeber/herausgegeben

HzA

Handbuch zum Arbeitsrecht

i.d.F.

in der Fassung

insbes.

insbesondere

i.S.d.

im Sinne des/der

i.S.v.

im Sinne von

i.V.m.

in Verbindung mit

JA

Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift)

Jb.J.ZivRWiss

Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler (Zeitschrift)

JherJb.

Jherings Jahrbücher der Dogmatik des bürgerlichen Rechts

JR

Juristische Rundschau (Zeitschrift)

JuS

Juristische Schulung (Zeitschrift)

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristen-Zeitung

Kap.

Kapitel

KDZ

Kittner/Däubler/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht

KG

Kammergericht

KR

Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz

KSchG

Kündigungsschutzgesetz

LAG

Landesarbeitsgericht

LAGE

Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte

LFZG

Lohnfortzahlungsgesetz

LG

Landgericht

li.

linke, linker

Lit.

Literatur

LPartG

Lebenspartnerschaftsgesetz

LPK-SGB V

Gesetzliche Krankenversicherung – Lehr- und Praxiskommentar

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

Mot.

Motive zum BGB

MünchArbR

Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht

MünchKomm

Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch

Abkürzungsverzeichnis

31

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

n.F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NJW-RR

Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report Zivilrecht

Nr.

Nummer

n.v.

nicht veröffentlicht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NVwZ-RR

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungsreport

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

NZS

Neue Zeitschrift für Sozialrecht

OLG

Oberlandesgericht

OLGZ

Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen

Parl. Rat Dr.

Drucksachen des Parlamentarischen Rates

prALR

Preußisches Allgemeines Landrecht

Prot.

Protokolle zum BGB

RAG

Reichsarbeitsgericht

RdA

Recht der Arbeit (Zeitschrift)

RdE

Recht der Energiewirtschaft (Zeitschrift)

RE

Regierungsentwurf

re.

rechte, rechter

RG

Reichsgericht

RGRK

Das Bürgerliche Gesetzbuch – mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes, Kommentar

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

RL

Richtlinie

Rn.

Randnummer

Rspr.

Rechtsprechung

S.

Satz, Seite

SAE

Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen (Zeitschrift)

SchkG

Schwangerschaftskonfliktgesetz

SGB

Sozialgesetzbuch

std. Rspr.

ständige Rechtsprechung

32

Abkürzungsverzeichnis

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozessordnung

StrafRRefG

Strafrechtsreformgesetz

TVG

Tarifvertragsgesetz

u.a.

und andere

v.

vom, von

v.a.

vor allem

Verf.

Verfasser

VersR

Versicherungsrecht (Zeitschrift)

vgl.

vergleiche

VIZ

Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht

Vorbem.

Vorbemerkung

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (Zeitschrift)

WiB

Wirtschaftsrechtliche Beratung (Zeitschrift)

WM

Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, Wertpapiermitteilungen

WPflG

Wehrpflichtgesetz

WRV

Weimarer Reichsverfassung

ZfA

Zeitschrift für Arbeitsrecht

ZG

Zeitschrift für Gesetzgebung

ZGS

Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht, bis 1933: Zeitschrift für Handelsrecht

Ziff.

Ziffer

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

zit.

zitiert

ZPO

Zivilprozessordnung

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZTR

Zeitschrift für Tarifrecht

Erster Teil

Einleitung

§ 1 Schuldrechtsreform und „Unzumutbarkeit“ I. Schuldrechtsreform in der Retrospektive Am 1.1.2002 ist mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz1 die erste weitreichende Umgestaltung von Kernbereichen des Bürgerlichen Gesetzbuches in Kraft getreten. Insbesondere die Neuregelungen im Bereich des Leistungsstörungsrechts greifen tief in den gewachsenen Bestand der Kodifikation ein. Mit ihrer grundlegenden Umgestaltung sollten mehrere Ziele zugleich realisiert werden: Zunächst – als eigentlicher Beweggrund der Reform – die Umsetzung dreier europäischer Richtlinien in nationales Recht.2 Hierzu hätte freilich auch eine „kleine“ Reform des Bürgerlichen Rechts ausgereicht, wie sie etwa in Österreich einer fundamentalen Gesetzesnovelle vorgezogen wurde.3 Somit war die erforderliche Richtlinienumsetzung lediglich der äußere Anlass, das kodifizierte Bürgerliche Recht in Kernbereichen grundlegend neu zu konzipieren und es damit – so jedenfalls die Regierungsbegründung – den gewandelten Erfordernissen der modernen Welt anzupassen.4  1

BGBl. I, S. 3138. RL 1999/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf; RL 2000/35/EG zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr; RL 2000/31/EG „E-commerce-Richtlinie“. 3 Zur Richtlinienumsetzung in Österreich vgl. Honsell JZ 2001, 278 (283) m.w.N. In Deutschland befürwortete insbes. Ernst ZIP 2000, 1410 eine „kleine“, auf die Richtlinienumsetzung beschränkte Lösung. Für eine „große Lösung“ dagegen ausführlich Däubler-Gmelin NJW 2001, 2281 ff. 4 Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 1 f.; deutlicher noch zur legislativen Zielsetzung Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundestagsdebatte v. 18.5.2001 – Verhandlungen des Deutschen Bundestags Bd. 207, S. 16724: „Mit der Reform des Schuldrechts entrümpeln wir unser angestaubtes Bürgerliches Gesetzbuch und bringen es wieder auf Hochglanz. Wir gleichen das BGB internationalen Standards an und machen es für die Rechtsanwender [...] verständlicher.“ 2

34

1. Teil: Einleitung

Das Gesetzgebungsverfahren war ebenso wie sein Ergebnis Gegenstand heftiger Kontroversen: Die Stellungnahmen reichten von Zustimmung5 bis hin zu energisch artikulierter Fundamentalkritik.6 Die ganze Breite der Stellungnahmen darzustellen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Überdies wäre es auch kaum weiterführend, da die rechtspolitische Debatte mit dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 1.1.2002 einen vorläufigen Schlusspunkt gefunden hat. Angesichts der geschaffenen Fakten stehen Rechtspraxis und -wissenschaft nun vielmehr vor der Aufgabe, die Neuregelung mit Leben und Inhalt zu füllen.7 Dies gilt umso mehr an jenen Stellen, an denen der Gesetzgeber einen weiten Spielraum für Auslegung und Rechtsfortbildung belassen hat, also im Bereich der Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe.8 Der Blick auf die wissenschaftliche und rechtspolitische Auseinandersetzung kann und soll angesichts dieser neuen Aufgaben hier nur skizziert werden; die wesentlichen Argumente für und wider eine „große“, fundamentale Reform des Bürgerlichen Rechts sind ohnehin ausgetauscht. Schon jetzt erscheint der Blick auf diese Kontroverse als ein Rückblick von eher rechtshistorischem Interesse. Daher soll es hier – soweit es um allgemeine Fragen des Gesetzgebungsverfahrens und generelle inhaltliche Fragen geht – mit drei Feststellungen sein Bewenden haben, die, exemplifiziert anhand der Neuregelung zur „ideellen Unzumutbarkeit“, im Rahmen der folgenden Arbeit detailliert belegt werden sollen: Erstens sei auf die erstaunliche Eile des Gesetzgebungsverfahrens hingewiesen.9 Während es vom Aufkommen des bürgerlich-rechtlichen Kodifikationsgedankens, etwa bei Thibaut,10 fünfundachtzig, vom Beginn der Beratungen der Ersten Kommission (1874-1887) immerhin noch fünfundzwanzig Jahre dauern  5

Vgl. etwa Canaris DB 2001, 1815; Lorenz JZ 2001, 742; Teichmann BB 2001, 1485. Statt vieler Dauner-Lieb JZ 2001, 8; Altmeppen DB 2001, 1131 ff.; 1399 ff.; 1821 ff.; Ernst ZRP 2001, 1; ders. FAZ v. 19.5.2001, S. 8; Huber ZIP 2000, 2137 (2273); Wetzel ZRP 2001, 117; Wilhelm/Deeg JZ 2001, 223; vgl. auch die von 258 Zivilrechtslehrern unterzeichnete „Gemeinsame Erklärung“, die sich äußerst kritisch zu dem Vorhaben äußerte. Als „Arbeitsplatzvernichtungsprogramm“ bezeichnet eine Presseerklärung der CSU-Landesgruppe die arbeitsrechtlichen Konsequenzen der Reform, zit. nach Henssler RdA 2002, 129 (130). 6

7

Vgl. auch Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. V: Die Frage nach Sinn oder Unsinn der Reform sei mit ihrem Inkrafttreten „in den Hintergrund getreten“. 8 Vgl. exemplarisch die Ausführungen der Regierungsbegründung (BT-Drucks. 14/6040 S. 162 re. Spalte oben) zur Integration der culpa in contrahendo: Es solle „eine abstrakte Regelung vorgesehen werden, die der Ausdifferenzierung und Fortentwicklung durch die Rechtsprechung zugänglich“ sei. 9 Kritisch auch Wilhelm JZ 2001, 861 f.; Altmeppen DB 2001, 1821 (1824). 10

Vgl. Thibaut, Über die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland (1814).

§ 1 Schuldrechtsreform und „Unzumutbarkeit“

35

sollte, bis das Bürgerliche Gesetzbuch schließlich 1900 in Kraft treten konnte, wurde die tiefgreifende Reform zentraler Bereiche dieser Kodifikation in nur wenig mehr als einem Jahr – vom Vorliegen des ersten Diskussionsentwurfes im August 2000 an gerechnet – bewerkstelligt. Freilich lag schon seit 1991 ein Entwurf der Schuldrechtskommission vor,11 der allerdings bis zum August 2000 nur vergleichsweise geringe Beachtung fand.12 Ein Gesetzbuch, dessen Entstehung nicht ohne Grund ein Vierteljahrhundert intensiver rechtswissenschaftlicher und rechtspolitischer Auseinandersetzung erfordert hatte, in wenig mehr als einem Jahr in seinen Kernbereichen zu reformieren, ist auf den ersten Blick ein zumindest gewagtes, wenn nicht vermessenes Unterfangen. Es erschien daher schon zu Beginn der Auseinandersetzung um die Schuldrechtsreform überaus zweifelhaft, ob in so kurzer Zeit eine wirklich stimmige und schlüssige Reform zu Stande gebracht werden könne. Altmeppen etwa charakterisiert es als zutiefst „verantwortungslos“, dass dem bürgerlichen Recht „offenbar aus rein politischen Motiven [...] durch eine überhastete Schuldrechtsreform“ schwerer, irreparabler Schaden zugefügt werde.13 Im Rahmen dieser Arbeit soll unter anderem exemplarisch für die Neuregelung der Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen untersucht werden, ob sich diese These im Ergebnis der Reform verifizieren lässt. Zweitens ist mehrfach vorgebracht worden, die Konzeption des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes zeige, dass es dem Gesetzgeber an einem wirklich tiefgreifenden Systemverständnis mangele.14 In der Tat offenbart eine genauere Betrachtung der Regierungsbegründung, dass die dort gegebenen Erklärungen vielfach einem detailscharfen Blick kaum standhalten, sich zum Teil sogar evidente Widersprüche und Ungereimtheiten ergeben. Diese mögen teilweise aus dem selbstauferlegten Zeitdruck resultieren – zum Teil erwecken sie jedoch den Eindruck, dass eine Befassung mit besonders brisanten Detailfragen bewusst ausgespart wurde, vielleicht sogar das Bewusstsein für die Regelungsbedürftigkeit mancher Fragen fehlte. Schon hier sei beispielhaft auf ein solches Defizit im Kontext der ideellen Unzumutbarkeit hingewiesen: Die Regierungsbegründung führt aus, dass der neuen Vorschrift des § 275 III BGB Fälle der Personensorge, der Einberufung zum ausländischen Wehrdienst, Be 11

Abschlussbericht Schuldrechtskommission, S. 29 ff., 113 ff. Zwar waren die Vorschläge der Schuldrechtskommission Gegenstand des Deutschen Juristentages 1994 (vgl. NJW 1994, 3069). Eine wirkliche wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Vorschläge fand jedoch nicht statt; deutlich Wilhelm JZ 2001, 861 (862): Der Entwurf sei „seit dieser Zeit liegen geblieben“. 12

13

Altmeppen DB 2001, 1821 (1824). Zum Regierungsentwurf etwa Knütel NJW 2001, 2519: Der Entwurf leide „unter gravierenden Mängeln, die statt zur Modernisierung eher zur Ruinierung des Schuldrechts führen“; im Folgenden weist er auf zahlreiche systematische Mängel hin. 14

36

1. Teil: Einleitung

hördengänge und ähnliche Leistungshindernisse unterfallen sollen.15 Die besonders umstrittene und brisante Frage, ob auch Gewissenskonflikte als Konstellation der „Unzumutbarkeit“ einzuordnen sind,16 wird an der genannten Stelle mit keinem Wort thematisiert. Lässt sich daraus ableiten, dass Gewissenskonflikte gerade nicht der neuen Norm unterfallen sollen? Soll ihnen eine zivilrechtliche Anerkennung gänzlich versagt werden?17 Soll statt § 275 III BGB eine andere Regelung eingreifen?18 All diese Fragen bleiben offen, da es der Gesetzgeber – bewusst oder unbewusst – versäumt hat, hier Klärung zu schaffen. Mag die Aussparung gerade besonders gravierender und streitiger Fragen auf Mangel an Problembewusstsein, auf die Schnelligkeit des Gesetzgebungsverfahrens oder aber auf Selbstzurücknahme des Gesetzgebers in Problemfragen zurückzuführen sein – ein gutes Zeugnis stellt sie der Reform jedenfalls nicht aus. Drittens ergeben sich infolge einer derart umwälzenden Reform geradezu zwangsläufig Friktionen zu an sich unverändert gebliebenen Normen des BGB, vor allem des besonderen Schuldrechts. Normen werden durch neugeschaffene Regelungen in ihrem angestammten Geltungsbereich beschnitten, andere Normen erhalten einen neuen Inhalt.19 Auch dies ist eine zwangsläufige Folge der „großen“ Schuldrechtsreform. Inwieweit die Reform dieser „Ausstrahlungswirkung“ auf an sich unveränderte Teile der Kodifikation Rechnung trägt – auch dies soll die vorliegende Untersuchung für die Detailfrage der ideellen Unzumutbarkeit darstellen.

 15

BT-Drucksache 14/6040 S. 130 re. Spalte. Vgl. unten § 3 III. 17 In diesem Sinne zur Rechtslage im alten Schuldrecht Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (50). 16

18

So AnwK-Dauner-Lieb § 275 Rn. 19 (Einordnung unter § 313 BGB); Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 136, 199, 447 (Einordnung unter § 242 BGB und die arbeitsrechtliche Billigkeitskontrolle); Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 482 (im Interesse „flexiblerer Lösungen“ Einordnung unter § 242 BGB); die ganz überwiegende Meinung ordnet die Gewissensproblematik hingegen trotz der konträren Regierungsbegründung § 275 III BGB zu. Vgl. zur Problematik ausführlich unten § 3 IV 2. 19

Beispielhaft sei auf die besonderen Probleme hingewiesen, die sich aus der Neuregelung in § 275 III BGB für § 616 BGB ergeben; vgl. ausführlich unten § 3 IV 1 d) und § 5 I 3 a).

§ 1 Schuldrechtsreform und „Unzumutbarkeit“

37

II. „Unzumutbarkeit“ als neue Kategorie des kodifizierten Leistungsstörungsrechts Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat neue Gesetzesbegriffe geprägt, so etwa den Zentralbegriff der „Pflichtverletzung“.20 Es hat bürgerlichrechtliche Nebengesetze, insbesondere Gesetze, die dem Verbraucherschutz dienen, in das BGB integriert.21 Vor allem aber hat das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz Rechtsinstitute, Begrifflichkeiten und Rechtsfiguren, die seit Inkrafttreten des BGB in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft entwickelt worden waren, dem kodifizierten Zivilrecht implementiert.22 Dies gilt etwa für die positive Forderungsverletzung, den Wegfall der Geschäftsgrundlage, die culpa in contrahendo oder die ideell motivierte Unzumutbarkeit der persönlichen Leistungserbringung.23 Auch dies war ein zentrales Anliegen der Reform: Die Rückführung des Bürgerlichen Rechts vom Richterrecht auf das geschriebene Recht, die Neubelebung des Kodifikationsgedankens.24 Damit einhergehen sollte eine grundlegende Vereinfachung der Rechtsanwendung.25 Das Ziel der Vereinfachung ist freilich nur in Teilbereichen realisiert worden. Zweifellos stellt es einen Fortschritt für den Rechtsanwender dar, wenn zentrale Rechtsinstitute im kodifizierten Zivilrecht aufgefunden werden können. Zugleich treten jedoch an zahlreichen Stellen neue Friktionen zutage, auf die teilweise schon im Gesetzgebungsverfahren hingewiesen und denen aufgrund berechtigter Kritik durch den Gesetzgeber abgeholfen wurde.26  20 Vgl. zum Begriff Palandt-Heinrichs63 § 280 Rn. 12 ff.; Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 4; Huber, Leistungsstörungen I, § 1 I 3 sowie unten § 16 II 2 a) aa) (1.) (b). 21

Etwa das AGB-Gesetz, Haustürwiderrufsgesetz, Fernabsatzgesetz, Teilzeitwohnrechtsgesetz; vgl. im Überblick zur Integration von Verbraucherschutzgesetzen Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 117. 22 Damit sollte der insbes. von Wolf [AcP 182 (1982), 80 (86)] plastisch formulierten Kritik am alten Leistungsstörungsrecht abgeholfen werden, wonach „das was über das Leistungsstörungsrecht im BGB steht, in vielen Punkten nicht gilt, und das, was wirklich gilt, nicht im BGB steht“. 23

Vgl. zum Unzumutbarkeitsbegriff allgemein Preis, Prinzipien, S. 150 ff. m.w.N. Vgl. Dauner-Lieb JZ 2001, 8 (14); Safferling Jb.J.ZivRWiss 2001, 133 ff. 25 Vgl. Schmidt-Räntsch ZIP 2000, 1639 (1641); kritisch Dauner-Lieb JZ 2001, 8 (18). 26 Nicht umsonst unterscheidet sich die letztlich verabschiedete Fassung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes in zentralen Fragen deutlich von den zunächst vorgelegten Diskussionsentwürfen; vgl. Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes v. 4.8.2000, abgedruckt bei Canaris, Schuldrechtsreform 2002, S. 3 und Ernst/Zimmermann, Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 613 ff. Zur Vorgeschichte der Reform insgesamt Zimmermann JZ 2001, 171 ff. 24

38

1. Teil: Einleitung

Andere systematische Brüche – gerade in Randbereichen des neuen Schuldrechts – sind jedoch im Gesetzgebungsverfahren verborgen geblieben und somit in die abschließende Neuregelung eingegangen – angesichts der Dimension des Vorhabens ein wohl kaum zu vermeidender Umstand.27

1. Neuregelung auf unsicheren Fundamenten In dem hier zu untersuchenden Teilbereich der Reform – der Kodifikation ideeller Unzumutbarkeitstatbestände in § 275 III BGB – sollen die systematischen Friktionen im Rahmen dieser Arbeit aufgezeigt und Lösungen zugeführt werden. Dieser Bereich ist aus verschiedenen Gründen von besonderem Interesse: Erstens hat die neue Vorschrift des § 275 III BGB bislang in der rechtswissenschaftlichen Diskussion kaum vertiefte Beachtung gefunden.28 Zweitens sind auch die Äußerungen während des Gesetzgebungsverfahrens zu der Vorschrift denkbar spärlich.29 Drittens war – wie sogleich im Überblick darzustellen sein wird – schon vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes die Thematik umstritten und ungeklärt wie kaum ein anderer Bereich des Leistungsstörungsrechts.30 Viertens schließlich impliziert diese unscheinbare Detailfrage Fundamentalprobleme unserer Rechtsordnung, treten hier doch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen in besonderer Weise in einen privatrechtlichen Kontext.31 Der erstgenannte Befund, dass nämlich die Neuregelung bislang nur ein schwaches Echo in der rechtswissenschaftlichen Debatte gefunden hat, mag seine Ursache in einer weiteren Feststellung haben, welche eine nähere Befassung mit diesem Rechtsinstitut besonders lohnend und dringlich macht: Während mit der positiven Forderungsverletzung, der culpa in contrahendo oder dem Wegfall der Geschäftsgrundlage Rechtsinstitute kodifiziert wurden, die auf eine jahrzehntelange Entstehungs- und Wirkungsgeschichte zurückblicken konnten und zum Zeitpunkt der Reform kaum noch umstrittenes juristisches  27

Vgl. schon Zimmer NJW 2002, 1 ff.; aus arbeitsrechtlicher Sicht Löwisch NZA 2001, 465 (zum Diskussionsentwurf). 28

Instruktiv jedoch Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 97 ff. Vertieft diskutiert wurde lediglich die Frage, ob und inwieweit die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit der neuen Vorschrift unterfällt. Vgl. dazu Canaris JZ 2001, 499 (504); Däubler NZA 2001, 1329 (1332); Joussen NZA 2001, 745 (747); Löwisch NZA 2001, 465; Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 100 ff.; Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106; Henssler/Muthers ZGS 2002, 219 (223). 29

30 31

Vgl. im Überblick unten § 2 III 1. Vgl. unten § 9 III 2.

§ 1 Schuldrechtsreform und „Unzumutbarkeit“

39

Allgemeingut geworden waren, handelt es sich bei dem Rechtsinstitut der ideellen Unzumutbarkeit um einen Bereich, der erst spät praktisch relevant wurde32 und in der Folge auch verstärkt in den Fokus der rechtswissenschaftlichen Diskussion rückte.33 Eine Vielzahl an Detailfragen in diesem Kontext war noch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung im Jahre 2002 ungeklärt und sowohl in der Rechtsprechung als auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung hochgradig umstritten. Nur einige dieser Fragen seien an dieser Stelle skizziert: Welche Fallgestaltungen sollen dem Begriff der ideellen Unzumutbarkeit unterfallen? Diskutiert wurden unterschiedlichste Erscheinungsformen, vor allem Gewissens- und Glaubenskonflikte bei der Leistungserbringung,34 familiäre Leistungshindernisse35 oder die Einberufung eines Arbeitnehmers zum ausländischen Wehrdienst.36 Die genaue Eingrenzung dieser Fallgruppen blieb dabei ebenso umstritten wie die Rechtsfolgen der einmal festgestellten „Unzumutbarkeit“: Welchen Grad muss die „Unzumutbarkeit“ erreichen, um einen Entfall der Leistungspflicht auszulösen? Entfällt die Leistungspflicht ipso iure oder infolge einer Einrede des Leistungspflichtigen?37 Welche Konsequenzen hat der Entfall der Leistungspflicht für den Entgeltanspruch, für schadensersatz- und kündigungsrechtliche Fragen?38 Auch die fundamentalen systematischen Fragen, die etwa die privatrechtliche Wirkdimension der Grundrechte aufwirft, blieben letztlich unbeantwortet. Für die Kodifikation dieses Rechtsinstituts in § 275 III BGB konnte also keineswegs auf ein Fundament gesicherter rechtswissenschaftlicher Erkenntnisse zurückgegriffen werden; vielmehr wurde an dieser Stelle ein weitgehend ungeklärtes zivilrechtliches Problem zum Gegenstand legislativer Tätigkeit.  32 1952 war vor dem LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung v. 16.4.1952 – Sa 125/1951) der Fall einer Apothekerin entschieden worden, die sich unter Berufung auf Gewissensgründe geweigert hatte, empfängnisverhütende Mittel zu verkaufen, und daraufhin gekündigt worden war. Erwähnt sei auch der Fall Hamburger Hafenarbeiter, die sich unter Berufung auf ihr Gewissen weigerten, Munition zu verladen, LAG Hamburg AP 1952 Nr. 105. 33 Vgl. die umfangreiche Diskussion um Gewissenskonflikte im Privatrecht, die erstmals 1954 aufflammte; vgl. vor allem Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 ff.; Blomeyer JZ 1954, 309 ff., Wieacker JZ 1954, 466 ff., jeweils m.w.N. 34 Vgl. beispielhaft BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 35

Vgl. beispielhaft BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27. Vgl. beispielhaft BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 37 Für erste Konzeption etwa Kohte NZA 1989, 161 (165) m.w.N.; für letztere Konzeption prononciert Henssler AcP 190 (1990), 538 (545 f.). 36

38 Vgl. Brox Anm. zu BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; Kohte NZA 1989, 161 (168); Henssler AcP 190 (1990), 538 (566 ff.); Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht, S. 317.

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1. Teil: Einleitung

2. Neue Fragen infolge der Neuregelung Hätte der Gesetzgeber von seiner Gestaltungskompetenz Gebrauch gemacht und die Neuregelung zur Klärung der über Jahrzehnte aufgebrochenen Streitfragen genutzt, so hätte die Schuldrechtsreform hier eine klärende Wirkung im Interesse der Rechtssicherheit entfaltet. Leider wurde mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz diese Chance vertan. § 275 III BGB bestimmt lapidar: „Der Schuldner kann die Leistung ferner verweigern, wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann.“ Eine Klarstellung der skizzierten Probleme ist lediglich in einer Hinsicht erfolgt: Nunmehr ist klar statuiert, dass es sich um einen Einredetatbestand, nicht aber um einen ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht handelt. Die übrigen aufgezeigten Fragen bleiben jedoch offenbar unbeantwortet.39 Zwei Zentralbegriffe des neuen Tatbestandes fallen auf: Der Begriff der „Unzumutbarkeit“ und die Anordnung einer Interessenabwägung. Bei beiden Tatbestandsmerkmalen handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, deren konkreter Inhalt sich nicht aus dem Gesetzeswortlaut, sondern allenfalls aus systematischen Überlegungen ableiten lässt. Die gesetzgeberische Zurückhaltung, die bei der Formulierung des Tatbestandes zu beobachten ist,40 hat weitreichende Konsequenzen für die Auslegung und Anwendung der neugeschaffenen Norm: Sämtliche Kontroversen, die vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes außerhalb des kodifizierten Rechts, im freien Raum der richterlichen und rechtswissenschaftlichen Rechtsfortbildung ausgetragen wurden, haben nun Eingang in das kodifizierte Zivilrecht gefunden. Zudem wirft die Neuregelung auch ganz neue Fragen auf, die erst durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz entstanden sind: Wie fügt sich § 275 III BGB in die bisher schon bestehenden gesetzlichen Regelungen ein? Welche Fälle sollen § 275 III BGB und welche dem ebenfalls durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz legislativ „geadelten“ Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) unterfallen?41 Entsteht insbesondere beim Dienstvertrag ein Spannungsverhältnis zu der alten Regelung in § 616 BGB?42 Verbleibt ange 39

Zimmer NJW 2002, 1 (3 f., 11 f.). Die Gefahr einer Verlagerung brisanter Gestaltungsaufgaben vom Gesetzgeber auf den Richter durch Normierung unbestimmter Tatbestände sieht deutlich schon Preis ZG 1988, 319 (327, 333): Der Zumutbarkeitsbegriff im Arbeits- und Sozialrecht sei ein Symptom fehlender „Gestaltungskraft“ des Gesetzgebers. 40

41 42

Vgl. Zimmer NJW 2002, 1 (11 f.); MünchKomm-Ernst § 275 n.F. Rn. 111. Instruktiv Richardi NZA 2002, 1004 (1007).

§ 1 Schuldrechtsreform und „Unzumutbarkeit“

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sichts der Neuregelung noch ein Anwendungsbereich für das von Rechtsprechung und Literatur auf Grundlage von § 242 BGB entwickelte Leistungsverweigerungsrecht bei Unzumutbarkeit der Leistungserbringung?43 Die vertane Chance einer legislativen Klarstellung bewirkt somit, dass viele Fragen im Kontext der Leistungsverweigerung wegen ideell motivierter Unzumutbarkeit nun im Kern des kodifizierten Zivilrechts von neuem aufbrechen. Zugleich ergeben sich neue systematische Problemfelder aus der Integration der Neuregelung in ein überkommenes Gesetzbuch. Anders gesagt hat mit dem äußerst unbestimmten Tatbestand des § 275 III BGB scheinbar ein Bereich hochgradiger Rechtsunsicherheit Eingang in das Nervenzentrum des Zivilrechts gefunden. Allein diese fortbestehende Rechtsunsicherheit deutet auf ein partielles Versagen des Gesetzgebers gegenüber der selbst gestellten Aufgabe hin und offenbart, dass die wohlklingende Ankündigung, ein „angestaubtes“ Gesetzbuch „entrümpeln“ und „auf Hochglanz“ bringen zu wollen,44 zumindest mit Blick auf die Kodifikation der Unzumutbarkeits-Tatbestände ein hochgestecktes, letztlich aber nicht erreichtes Ziel geblieben ist.

 43 44

Ausführlich zu dieser Lösung unten § 3 III und § 3 IV 2 b).

Volker Beck, Bundestagsdebatte v. 18.5.2001 – Verhandlungen des Deutschen Bundestags Bd. 207, S. 16724.

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1. Teil: Einleitung

§ 2 „Unzumutbarkeit“ und Zivilrechtsordnung Nachdem ein erster Blick auf den aktuellen Anlass der vorliegenden Untersuchung geworfen wurde, soll der besondere Charakter der ideell motivierten Unzumutbarkeit noch aus einem anderen, rechtshistorischen Blickwinkel beleuchtet werden. Dabei kann die Unzumutbarkeit bei persönlicher Leistungspflicht durchaus als Paradigma eines Anschauungswandels gedeutet werden: Im Mikrokosmos des Leistungsstörungsrechts wird hier der gesellschaftliche Transformationsprozess vom liberalistischen zum liberal-sozialen Rechtsstaat nachvollziehbar; die Orientierung der gesamten Wirtschaftsordnung1 spiegelt sich somit gerade im Spannungsverhältnis zwischen Vertragstreue und „Unzumutbarkeit“ wider.

I. Die liberale Konzeption des BGB Ursprünglich wurde das BGB geprägt durch die für das 19. Jahrhundert charakteristische Vorstellung einer liberalen, selbstregulierenden Wirtschaftsordnung.2 Idealbild des Gesetzgebers war das freie Spiel der Marktkräfte, das sich infolge eines sozialen Gleichgewichts zwischen den Vertragsparteien weitgehend ohne hoheitliche Bindungen und Einflussnahme entwickeln sollte.3 Dem einzelnen wurde es ohne weiteres zugetraut, seine berechtigten Interessen in Vertragsverhandlungen zur Geltung bringen und in großer Eigenverantwortung über die Begründung und Gestaltung privatrechtlicher Rechtsbeziehungen entscheiden zu können.4 Der Privatautonomie wurde ein weiter Spielraum belassen; dabei wurde der vertraglichen Gestaltungsfreiheit nur ein grober Rahmen durch die Sitten- und Verbotswidrigkeit gesetzt. Auch die Rechtsausübungsfreiheit wurde ausdrücklich allein durch das Schikaneverbot eingeschränkt; ansonsten setzte das Zivilrecht vor allem auf die selbstregulierende Kraft der Marktteilnehmer und Marktmechanismen. Leitlinien des klassischen Zivilrechts waren damit vor allem die Gewährleistung möglichst weitgehender Rechtssicherheit und Vertragstreue. 5  1 Der Begriff sei hier in einem eher soziologischen, nicht im juristisch-technischen Sinne verstanden. Vgl. allgemein Steindorff, Wirtschaftsrecht, S. 23; Rittner, Wirtschaftsrecht, S. 30 ff.; Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, S. 29 ff. 2

Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 478 ff. Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, S. 88 ff. m.w.N.; Larenz/Wolf, BGB AT, § 2 Rn. 39 ff. 4 Vgl. Larenz/Wolf, BGB AT, § 2 Rn. 39. 3

5

Die Bedeutung beider Werte für die Zivilrechtsordnung betont eindringlich – in Abgrenzung von der „Ruintheorie“ – RGZ 101, 74 (77): „Denn über der Rücksicht auf die subjekti-

§ 2 „Unzumutbarkeit“ und Zivilrechtsordnung

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Mit dieser liberalistischen Grundtendenz konnte das BGB schon zur Zeit seines Inkrafttretens den gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Erfordernissen nicht mehr gerecht werden.6 Es orientierte sich einerseits an der ländlich-bäuerischen Gesellschaft, andererseits an den Interessen der selbständigen Kaufleute und Händler.7 Neue soziale Konfliktlagen, die gerade infolge von Urbanisierung und Industrialisierung auftraten, blieben dabei – zumindest in dem ersten Entwurf von 1887 – praktisch unberücksichtigt.8 Diese Grundausrichtung hatte insbesondere auch Auswirkungen auf die Frage, inwieweit subjektiven Belangen eines Vertragspartners – etwa Fehlvorstellungen von der künftigen Entwicklung der Vertragsabwicklung – Relevanz für die Wirksamkeit und Durchführung eines geschlossenen Vertrages zukommen sollte. In den §§ 119 ff. BGB wurde nur einem eng umrissenen Kanon von Anfechtungsgründen Bedeutung für die Wirksamkeit des Vertrages beigemessen; sonstige Fehlvorstellungen beim Vertragsschluss, etwa „Motivirrtümer“, sollten unbeachtlich bleiben.9 Der Bindung an den einmal geschlossenen Vertrag wurde damit ein nahezu unbedingter Vorrang gegenüber individuellsubjektiven, nicht unmittelbar vertragsbezogenen Belangen der einzelnen Vertragspartei beigemessen. Gleiches galt für das Leistungsstörungsrecht im engeren Sinne: Auch hier wurden eng gefasste Tatbestände geschaffen, die nur einen begrenzten Ausschnitt denkbarer Fehlentwicklungen des Vertrages erfassen konnten. Mit Unmöglichkeit und Verzug wurden lediglich zwei Fehlentwicklungen in der Vertragsabwicklung einer Regelung zugeführt. Andere praktisch höchst bedeutsame Problemkreise, vor allem etwa die Rechtsfolgen der Schlechterfüllung oder  ven Verhältnisse des Einzelnen steht ein Interesse der Allgemeinheit, die ethische Rücksicht auf die Vertragstreue und die wirtschaftlich notwendige Rücksicht auf die Verkehrssicherheit.“ 6 Vgl. nur Wesenberg, Privatrechtsgeschichte, S. 210 ff.; Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, S. 88; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 474 ff. 7 Nicht umsonst charakterisierte schon Rießer [Einfluss handelsrechtlicher Ideen (1894), S. 14] diese Tendenz als die „allmälige Kommerzialisierung des bürgerlichen Rechts“. Die Motive (Mot. III, S. 344) betonen ausdrücklich, „auf die Übereinstimmung mit den Vorschriften des HGB sei der größte Werth zu legen“. 8 Kritisch wiesen schon zur Entstehungszeit zahlreiche Autoren darauf hin, dass diese Orientierung am Handelsrecht den modernen sozialen Erfordernissen nicht gerecht werden könne; vgl. nur Otto v.Gierke, Schmollers Jahrbuch NF 12 (1888), 57 (59): Wenn dem ersten Entwurf des BGB doch eine „verborgene soziale Tendenz“ innewohne, dann sei diese „die individualistische und einseitig-kapitalistische Tendenz des reinen Manchestertums“, eine „auf die Stärkung des Starken gegen den Schwachen zielende, in Wahrheit antisoziale Richtung“. Ähnlich auch Anton Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen (1890), der den Entwurf vor allem unter Verweis auf soziale Defizite gänzlich ablehnte. 9 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts Bd. 2, § 21, Ziff. 8, 11, § 25.

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1. Teil: Einleitung

von Nebenpflichtverletzungen, blieben weitgehend ungeregelt.10 Das Gesetz sollte somit auch im Leistungsstörungsrecht nur in Extremfällen einen Rahmen setzten; weitere Störungen der Vertragsabwicklung sollten dem freien Wirken der Marktteilnehmer überlassen bleiben. Die Einführung einer spezifisch leistungsstörungsrechtlichen Generalklausel hätte diesem liberalen Grundverständnis zutiefst widerstrebt: Die staatliche Regulierung sollte bei den aufgezeigten, eng umrissenen Tatbeständen ihr Bewenden haben. Lediglich mit dem Rechtsprinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wurde dem Bürgerlichen Recht eine allgemeine Grenze implementiert, die jedoch derart unbestimmt war, dass hieraus in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des BGB kaum praktische Konsequenzen abgeleitet wurden, wenn sich auch schnell eine lebhafte wissenschaftliche Auseinandersetzung um Bedeutung und Reichweite des § 242 BGB entwickelte.11 Indes sollte gerade § 242 BGB in der Folge den Weg öffnen zu einer rechtsfortbildenden Umformung der Zivilrechtsordnung von der liberalistischen hin zu einer liberal-sozialen Konzeption.12 Nicht übersehen sei freilich, dass auf demselben Wege – mit Hilfe der Generalklauseln – auch der Weg für eine totalitäre, kollektivistische Umdeutung in der Zeit des Nationalsozialismus eröffnet wurde, wie Rüthers eindringlich offengelegt hat.13 An der übergreifenden Tendenz von 1900 bis heute, die ursprünglich liberalistische Grundkonzeption des BGB immer mehr in eine liberal-soziale Konzeption umzudeuten, ändert jedoch diese zeitweilige, katastrophale Fehlentwicklung nichts; sie macht vielmehr noch deutlicher, wie stark die Zivilrechtsordnung einem gesamtgesellschaftlichen Anschauungswandel unterworfen ist.

 10 Grundlegend Staub, Die positiven Vertragsverletzungen (1904); ihm folgend Stoll AcP 136 (1932), 257 (285 ff.); Schünemann JuS 1987, 1 (5 ff.); Staudinger-Löwisch Vorbem. vor §§ 275-283 Rn. 28 ff.; vgl. jetzt auch anschaulich BT-Drucks. 14/6040 S. 133 li. Spalte. 11 Vgl. ausführlich und instruktiv Staudinger-Schmidt § 242 Rn. 54 ff.; er bezeichnet diese Phase in der Wirkungsgeschichte des § 242 BGB als „konzeptionelle Phase“. 12

Schon kurz nach Inkrafttreten des BGB wurde in der Lit. darauf verwiesen, dass § 242 BGB die geeignete Vorschrift zur inhaltlichen Füllung des schon jetzt als lückenhaft empfundenen Leistungsstörungsrechts sei; vgl. etwa Cosack, Lehrbuch des Deutschen Bürgerlichen Rechts Bd. 1, S. 341; Schneider, Treu und Glauben, S. 132, 228; Henle, Treu und Glauben, S. 8 ff. 13 Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, insbes. S. 145 ff.; auf drohende Fehlentwicklungen hatte schon früh Hedemann [Flucht in die Generalklauseln (1933), insbes. S. 66 f.] hingewiesen.

§ 2 „Unzumutbarkeit“ und Zivilrechtsordnung

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II. Vom liberalen zum sozialen Zivilrecht Eine erste einschneidende Abkehr von der zunächst entschieden liberalen Grundströmung des BGB ergab sich in der Wirtschafts- und Finanzkrise nach dem ersten Weltkrieg. Die Rechtsprechung sah sich infolge der Zeitumstände mit der Frage konfrontiert, ob angesichts einer rasanten Inflation der Schuldner billigerweise an einem Vertrag festgehalten werden darf, der von einem völlig anderen Geldwert und damit von einer vollkommen anderen wirtschaftlichen Grundlage ausgegangen war.14 Zum ersten Mal – und gleich mit einer bahnbrechenden Intensität – fanden gesetzlich nicht normierte Fehlentwicklungen in der Vertragsabwicklung rechtliche Anerkennung, wurde den individuellen sozialen Belangen einer Vertragspartei eine die Vertragstreue potentiell überwindende Kraft beigemessen. Zunächst versuchte das Reichsgericht noch, durch ein ausdehnendes Verständnis bekannter Kategorien des Leistungsstörungsrechts den neuen Anforderungen der Praxis gerecht zu werden, indem es den ursprünglich ausschließlich im Sinne naturgesetzlicher und rechtlicher Unmöglichkeit verstandenen15 Unmöglichkeitsbegriff auf die Fälle der sogenannten „wirtschaftlichen“ Unmöglichkeit ausdehnte.16 Der einschneidendere Schritt lag jedoch in der Abkehr von dieser tendenziell gesetzestreuen, wenn auch ausdehnenden Interpretation kodifizierter Tatbestände und in der Hinwendung zur rechtsfortbildenden Entwicklung gänzlich neuer Rechtsinstitute: Das Reichsgericht gab die Kategorie der wirtschaftlichen Unmöglichkeit als Leittopos schnell wieder auf, verließ mit der Anerkennung der Lehre von der Geschäftsgrundlage den Boden des kodifizierten Zivilrechts und wurde selbst rechtsschöpferisch, rechtsfortbildend tätig.17 Zugleich wurde an dieser Stelle erstmals der Begriff der Unzumutbarkeit zum leistungsstörungsrechtlichen Terminus: So stellt etwa eine Entscheidung vom 21.9.192018 ausdrücklich darauf ab, dass einer Vertragspartei eine Lösungsmöglichkeit aus dem Vertrag eingeräumt werden müsse, „wenn ihr das Aushalten des Vertrages unter den neuen, völlig veränderten Zuständen nicht mehr zugemutet werden“ könne. Es geht dem Reichsgericht also darum, eine im kodifizierten Zivilrecht nicht vorgesehene Handhabe für Fälle der Unzumut 14

Vgl. Staudinger-Schmidt § 242 Rn. 77 ff. Mot. II, S. 45; Prot. I, S. 314 f.; vgl. auch Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 20. 16 Vgl. beispielhaft RGZ 42, 114; RGZ 57, 116; RGZ 88, 71 (74); RGZ 94, 45 (47 ff.); RGZ 99, 258. 15

17 Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 88 f. Weber, Juristen-Jahrbuch III 212 (225) beschreibt den Paradigmenwechsel in der Rspr. des RG zutreffend als „Sprung aus einer Beurteilungssphäre in eine andere“. 18 RGZ 100, 129 (131).

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1. Teil: Einleitung

barkeit aus materiell-wirtschaftlichen Gründen zu schaffen.19 Als rechtliche Anknüpfungspunkte werden primär § 242 BGB und die „clausula rebus sic stantibus“ genannt.20 Soweit daneben noch das Unmöglichkeitsrecht angeführt wird,21 dient diese zusätzliche Anknüpfung mehr der Wahrung einer scheinbaren Kontinuität der Rechtsprechung und verschleiert allenfalls den wirklich revolutionären Schritt des Reichsgerichts, nunmehr das eigenständige leistungsstörungsrechtliche Institut der „Unzumutbarkeit“ entwickelt zu haben.22 Mit seiner vielbeachteten und vielkritisierten „Aufwertungs-Rechtsprechung“23 hatte das Reichsgericht jedenfalls die Grenzen des kodifizierten Leistungsstörungsrechts endgültig überschritten und aus sozialen Motiven den liberalistischen Geist des BGB relativiert. Zugleich hatte es damit erstmals den Begriff der Unzumutbarkeit im leistungsstörungsrechtlichen Kontext nutzbar gemacht. Dieser erste, entscheidende Schritt zu einer sozialen Umdeutung des Zivilrechts war zum einen durch die Zeitumstände motiviert: Die Inflation erforderte Entscheidungen, die von den Schöpfern des BGB nicht vorhergesehen worden waren. Zugleich lag hierin jedoch ein Paradigmenwechsel von einer liberalistischen Privatrechtsordnung hin zu einer liberal-sozialen Privatrechtsordnung.24 Die Entwicklung der Lehre von der Geschäftsgrundlage und die damit verbundene Anerkennung der materiell-wirtschaftlichen Unzumutbarkeit als leistungsstörungsrechtlicher Kategorie offenbaren einen Umschwung der Anschauungen: Nicht mehr die Vertragstreue gilt als oberster, unantastbarer Höchstwert der Privatrechtsordnung; vielmehr können auch soziale Belange einer Vertragspartei, die nicht eigentlicher Vertragsgegenstand sind, entscheidende Bedeutung für die Vertragsabwicklung erlangen. Ein Vertrag, der den „Ruin“ einer Vertragspartei zur Folge hätte, soll der Modifikation oder Beendigung zugänglich sein.25 Wieacker beschreibt diese Entwicklung wie folgt: „Unter Führung des Reichsgerichts hat die Rechtsprechung, von der Öffentlichkeit kaum beachtet,  19

Medicus, Festschrift Flume (1978), S. 629 ff. RGZ 100, 129 (130, 131). 21 RGZ 100, 129 (131). 22 Dazu und allgemein zur Entwicklung des Unzumutbarkeitsbegriffs in jener Zeit vgl. auch Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 24 ff.; Weber, Juristen-Jahrbuch III 212 (213); Konzen/Rupp, Gewissenskonflikte, S. 123 ff. 20

23

Vgl. die umfassende Darstellung und Kritik bei Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 64 ff. 24

Vgl. Larenz/Wolf, BGB AT, § 2 Rn. 44 ff. Der wirtschaftliche Ruin des Schuldners infolge der Leistungserbringung taucht als Maßstab vor allem in Urteilen des 3. Senats des Reichsgerichts immer wieder auf: Vgl. RGZ 100, 134 (138); RGZ 102, 272 (273 f.); RG JW 1922, 481; dagegen wendet sich der 1. Senat unter Verweis auf die Bedeutung von Vertragstreue und Rechtssicherheit, vgl. RGZ 101, 74 (77). 25

§ 2 „Unzumutbarkeit“ und Zivilrechtsordnung

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im letzten halben Jahrhundert die formale Freiheitsethik, die der deutschen Privatrechtsordnung zugrunde lag, in eine materiale Ethik sozialer Verantwortung zurückverwandelt; zurückverwandelt, weil sie damit, meist unbewusst, zu den ethischen Grundlagen des älteren europäischen Gemein- und Naturrechts zurückkehrte.“26 Richtig hieran ist in jedem Fall, dass die „AufwertungsRechtsprechung“ des Reichsgerichts einen ersten fundamentalen Bruch mit der liberalen Konzeption des BGB darstellt; zugleich wird hier erstmals die Judikative in erheblichem Umfang rechtsgestaltend tätig.27 Daneben finden nun soziale Erwägungen Eingang in ein Leistungsstörungsrecht, das an sich einem radikal liberalen Geist verpflichtet war. Die Zivilrechtsordnung wird damit unter dem Einfluss äußerer Umstände an entscheidender Stelle richterlich umgedeutet. Die verhängnisvolle Fehlentwicklung, die sich aus dieser Neudefinition der richterlichen Aufgabe im Nationalsozialismus ergab, erscheint wiederum als Ausdruck veränderter gesellschaftlich-politischer Anschauungen. Alles in allem wird auch hier die Bedeutung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen für die Interpretation und Anwendung einer Privatrechtsordnung in besonderem Maße deutlich: Vor dem Hintergrund einer wachsenden gesellschaftlichen Anerkennung sozialer Belange konnte in der Weimarer Republik die Zivilrechtsordnung durch die rechtsschöpferische Auslegung von Generalklauseln zu einer sozial ausgewogeneren Zivilrechtsordnung fortentwickelt werden. Ebenso war dieselbe Zivilrechtsordnung in Zeiten der Diktatur und einer alle Lebensbereiche durchdringenden totalitären Denkart jedoch auch vor einem Abgleiten in totalitäre Strukturen nicht gefeit. Mit der Anerkennung des „Ruin-Kriteriums“, der „wirtschaftlichen Unmöglichkeit“ und schließlich der materiell-wirtschaftlichen Unzumutbarkeit hatte sich die Rechtspraxis jedenfalls auf Grundlage einer sozialen Intention gegenüber dem stark eingegrenzten System des originären Leistungsstörungsrechts ein Stück weit emanzipiert und den Weg geöffnet zu einer stärkeren Gewichtung sozialer und personaler Belange.

III. Von der materiellen zur ideellen Unzumutbarkeit 1. Die schrittweise Anerkennung einer Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen Freilich – vollkommen neu war der Unzumutbarkeitsgedanke nicht. Für einen sozial besonders sensiblen Teilbereich des Zivilrechts, das Dienstvertrags 26 27

Wieacker, Sozialmodell, S. 18.

Zur Kritik der Aufwertungsrechtsprechung und des hier zutage tretenden richterlichen Selbstverständnisses umfassend Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 69 ff.

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1. Teil: Einleitung

recht, enthielt schon das originäre BGB einen Unzumutbarkeits-Tatbestand,28 nämlich § 616 BGB: Die Vorschrift fand erst im Laufe der Verhandlungen zum BGB Eingang in die Kodifikation29 und regelte dem Wortlaut nach ausschließlich die Entgeltfortzahlung für bestimmte Fälle der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit.30 Damit wurde jedoch ein Leistungsverweigerungsrecht für die erfassten Fälle von Unzumutbarkeit „implizit vorausgesetzt“.31

a) Partielle Regelung in § 616 BGB Der Widerspruch zu dem liberalen Geist des BGB erklärt sich daraus, dass man gerade im Bereich des Dienstvertragsrechts der liberalen Kodifikation einige „Tropfen sozialen Öls“32 hinzufügen wollte, weil hier ein unabweisbares soziales Schutzbedürfnis des Dienstverpflichteten anerkannt wurde.33 Nichtsdestoweniger blieb die Vorschrift ein Fremdkörper im Leistungsstörungsrecht, wie die Kontroversen um die Rechtsnatur des § 616 BGB und seine Funktionen bis in jüngste Zeit zeigen.34 Auch im Hinblick auf ihre Entstehungsgeschichte stellt die Vorschrift des § 616 BGB einen Fremdkörper im BGB dar, da sie praktisch unverändert aus anderen Rechtsordnungen und älteren Kodifikationen übernommen wurde.35 Mit der Anerkennung, dass ein Dienstverpflichteter „der Vergütung nicht dadurch verlustig [wird], dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit  28

v.Hoyningen-Huene NJW 1981, 713 (716) weist zutreffend darauf hin, dass mit § 616 BGB der Gesetzgeber „die wichtigsten Fälle der unzumutbaren Arbeitsleistung [...] selbst geregelt“ habe. Freilich will v.Hoyningen-Huene [NJW 1981, 713 (714)] dem Dienstverpflichteten aus § 616 BGB kein Leistungsverweigerungsrecht, sondern lediglich einen Freistellungsanspruch geben. 29

Vgl. Jakobs/Schubert § 616 BGB A. I.; Larenz/Wolf, BGB AT, § 2 Rn. 42. Daher versteht insbes. Erman-Belling § 616 Rn. 1 die Vorschrift als reine Gefahrtragungsregel. 30

31

Die zutreffende Formulierung stammt von Henssler AcP 190 (1990), 538 (563); deutlich mit gleicher Tendenz auch schon Mohnen, in: Nipperdey/Mohnen/Neumann, § 616 Rn. 3. Ähnlich jüngst noch LAG Hamm NZA 2002, 675 (676); Richardi NZA 2002, 1004 (1007). Dagegen jedoch Erman-Belling § 616 Rn. 1; Konzen/Rupp, Gewissenskonflikte, S. 131 m.w.N.; Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. Vgl. auch ausführlich unten § 3 IV 1 c) und § 10 IV. 32

v.Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts (1889). Mugdan II, S. 258, 901: Grund für die Regelung seien „sozialpolitische Rücksichten“ und „Gründe der Humanität“; dem Dienstberechtigten obliege eine soziale Fürsorgepflicht. 34 Vgl. ausführlich unten § 3 IV 1 c) und § 10 IV. 33

35

Als Vorbilder dienten Art. 341 des Schweizer Obligationenrechts und § 60 ADHGB; vgl. Jakobs/Schubert § 616 BGB A. I.

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durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird“, regelt das BGB in § 616 BGB explizit nur die Entgeltfortzahlung bei persönlicher Leistungshinderung. Zumindest wenn man – wie nach allgemeiner Meinung – auch und gerade Fälle der Unzumutbarkeit der Dienstleistung hierunter fasst,36 stellt sich jedoch die Frage, ob die Vorschrift nicht mit der Zuerkennung eines Entgeltfortzahlungsanspruchs auch den Entfall der primären Leistungspflicht implizit mitregelte. Ansonsten hätte sich hier eine Regelungslücke ergeben, die – systematisch unbefriedigend – etwa durch Anwendung von § 242 BGB hätte gefüllt werden müssen.37 Nach zutreffender Sichtweise war somit in § 616 BGB schon im originären Dienstvertragsrecht des BGB ein enger Teilbereich der Unzumutbarkeit umfassend geregelt, nämlich der Teilbereich einer unverschuldeten, nur einen „verhältnismäßig nicht erheblichen“ Zeitraum betreffenden Unzumutbarkeit der Erfüllung des Dienstvertrages. Damit waren die praktisch häufigsten Fallkonstellationen durchaus befriedigend geregelt.

b) Ausweitung auf nicht erfasste Fälle Die Rechtspraxis brachte jedoch Fälle mit sich, die den engen Rahmen des § 616 BGB überschritten. Hier handelte es sich um Konstellationen, in denen entweder ein länger andauerndes Leistungshindernis gegeben war (obwohl an sich – bei entsprechend kurzer Dauer – § 616 BGB ohne weiteres einschlägig gewesen wäre),38 § 616 BGB mangels Dienstvertrages per se unanwendbar war oder aber § 616 BGB wegen der dort statuierten Rechtsfolge der Entgeltfortzahlung für unpassend erachtet wurde.39 In diesen Fällen sah sich die Rechtspraxis vor die schwierige Aufgabe gestellt, praeter legem eine systematisch konsistente Lösung für die ungeregelte Frage zu entwickeln. Ansatzpunkte  36

Schnell wurden – neben der bis zum Inkrafttreten des LFZG in § 616 II BGB speziell geregelten Krankheit des Dienstverpflichteten – Fälle der Unzumutbarkeit zum Hauptanwendungsbereich des § 616 BGB. So etwa die Pflege kranker Angehöriger, Behördengänge während der Arbeitszeit, familiäre Ereignisse und ähnliches; vgl. dazu beispielhaft in der Rspr. BAG AP § 616 BGB Nr. 47 – Betreuung des Ehepartners; BAG AP § 616 BGB Nr. 48 und 50 – Betreuung von Abkömmlingen; BAG AP § 616 BGB Nr. 35 – Hochzeit des Dienstverpflichteten; LAG Hamm BB 1972, 177 – Kontakt mit Gerichten; BAG § 616 BGB Nr. 58 – Wahrnehmung öffentlicher Ämter. Diese Konstellationen stellen keine Fälle von Unmöglichkeit, sondern von Unzumutbarkeit der Vertragserfüllung dar. 37

Ausführlich zur Problematik unten § 3 IV 1 c) und § 10 IV. Vgl. etwa die Konstellation der Personensorge in BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29 und die Ausführungen bei v.Hoyningen-Huene NJW 1981, 713 (716). 39 So etwa bei Gewissenskonflikten, vgl. dazu ausführlich unten § 3 IV 1 e). 38

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1. Teil: Einleitung

waren dabei eine Analogie zu § 616 BGB,40 die Generalklausel von Treu und Glauben, § 242 BGB,41 die Billigkeitskontrolle des § 315 BGB (jetzt im Arbeitsrecht § 106 GewO)42 oder aber ein ausdehnendes Verständnis des Unmöglichkeitsrechts.43 Nicht umsonst erlangte der Gedanke der ideell motivierten Unzumutbarkeit und damit die Frage nach der rechtssystematischen Verankerung eines allgemeinen, die Grenzen des § 616 BGB überschreitenden Leistungsverweigerungsrechts gerade zu Beginn der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine enorme Wirkungskraft. Die gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen hatten sich erneut einschneidend geändert: Der Nationalsozialismus mit seiner kollektivistisch-totalitären Ideologie war überwunden; seit 1949 galt eine Verfassungsordnung, die sich in bewusster Abgrenzung gegenüber der jüngsten Vergangenheit gerade dem Schutz von Individualität und personaler Freiheit verpflichtet sah.44 Eine bis dahin in Deutschland ungekannte generelle Hervorhebung der Grundrechte ging einher mit einem besonders intensiven Grundrechtsschutz für solche Rechtspositionen, die in der Zeit des Nationalsozialismus besonders gravierenden Bedrohungen ausgesetzt gewesen waren: Die Menschenwürde wurde nunmehr als „unantastbar“ charakterisiert, die Gewissensfreiheit als „unverletzlich“. Auch dem Lebensschutz wurde nun ein herausragender Stellenwert beigemessen.45 Zugleich hatte sich mit der sozialen Marktwirtschaft eine Wirtschaftsordnung durchgesetzt, die auf einen schonenden Ausgleich der sozialen Konflikte unter Gewährleistung der individuellen Freiheit des Wirtschaftens bedacht war. Entgegen den liberalistischen Auswüchsen des 19. Jahrhunderts und in Fortentwicklung des sozialen Gedankenguts, das in der Weimarer Republik immer  40

BAG AP § 123 BGB Nr. 23; BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 41 BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; zustimmend Teile der Lit., vgl. Henssler AcP 190 (1990), 538 (545 f.); ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 970; nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes noch Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 136, 447; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 482. 42 BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; vgl. jetzt Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 199. 43 So Teile der Lit., etwa Misera SAE 1983, 271 ff.; Kohte NZA 1989, 161 (164). Dagegen wendet sich deutlich die Rspr. des BAG, vgl. BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. Vollkommen verfehlt daher die Wiedergabe der BAG-Rspr. in BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte unten, die der Rspr. die Befürwortung einer Verortung im Unmöglichkeitsrecht entnehmen will. 44 Vgl. BK-Zippelius Art. 1 Abs. 1 u. 2 GG Rn. 11; HbStR-Häberle § 20 Rn. 2 mit Fn. 4; Benda, Gefährdungen der Menschenwürde, S. 15. 45 BVerfGE 46, 160 (164) macht das Leben als einen „Höchstwert der Verfassung“ aus, der besonders hervorgehobenen Schutz durch die öffentliche Gewalt erfahren muss; vgl. auch BVerfGE 39, 1 (42) sowie BVerfGE 88, 203 (251 ff.).

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stärkere Wirkungsmacht erlangt hatte, sollten wirtschaftliche Freiheit und soziale Sicherheit zu größtmöglicher Entfaltung gebracht werden.46 Diese epochalen Veränderungen konnten nicht spurlos an der Interpretation und praktischen Anwendung des Zivilrechts vorübergehen. Allein die Ausstrahlungswirkung der verfassungsrechtlichen Freiheitsrechte musste für die gesamte Rechtsordnung erhebliche Wirkung entfalten. Zugleich sollte die stärkere Betonung des sozialen Gedankens Konsequenzen gerade dort nach sich ziehen, wo soziale Belange in die Auslegung und Anwendung generalklauselartiger Tatbestände einfließen konnten. Nicht zufällig trat daher die Problematik der Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen zu Beginn der fünfziger Jahre gerade im sensiblen, in den Jahren zuvor besonders gravierend beeinträchtigten Bereich der Gewissensfreiheit hervor. Die von Bosch und Habscheid47 aufgeworfene Fragestellung, ob ein Filmverleiher die vertraglich vereinbarte Darbietung eines „sittlich anstößigen“ Filmes aus Gewissensgründen verweigern könne, entzündete eine erste intensive Auseinandersetzung mit der Thematik.48 Es zeigt sich hier übrigens, dass die wissenschaftliche Aufarbeitung der Problematik ihren Ursprung erstaunlicherweise nicht im Arbeitsrecht, sondern in einer allgemeinzivilrechtlichen Fallkonstellation hatte.49 Das ist insofern bemerkenswert, als sich die Diskussion später fast ausschließlich im arbeitsrechtlichen Kontext fortsetzte und erst durch die Schuldrechtsreform eine klare Einbindung in das allgemeine Leistungsstörungsrecht erfahren hat.

c) Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur In der Rechtsprechung des BAG spielte eine Kollision von vertraglicher Leistungspflicht und Gewissen erstmals 1960 eine Rolle: Hier handelte es sich um einen Drucker, dem gekündigt worden war, weil er sich geweigert hatte, einer in Teilen neonazistischen Zeitschrift eine Beilage beizufügen.50 Bemerkenswerterweise bleiben die rechtlichen Aussagen des BAG über die Berechti 46 Bekannt ist die Umschreibung Müller-Armacks [Handwörterbuch der Sozialwissenschaften Bd. 9, S. 243] nach der Leitgedanke der sozialen Marktwirtschaft ist, „das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden“. Vgl. auch Gutmann, Ideengeschichtliche Wurzeln, S. 49 ff. 47 Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 ff. 48 Vgl. insbes. die Stellungnahmen von Blomeyer JZ 1954, 309 ff., Wieacker JZ 1954, 466 ff., jeweils m.w.N. 49 Zuvor allerdings hatten sich schon Landesarbeitsgerichte mit der Thematik von Vertragspflicht und Gewissenskonflikt befassen müssen, vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 16.4.1952 – Sa 125/1951 n.v. und LAG Hamburg AP 1952 Nr. 105. 50 BAGE 9, 1 ff. = AP § 123 GewO Nr. 12.

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1. Teil: Einleitung

gung der Leistungsverweigerung weitgehend unklar. Auf die vom Kläger ausdrücklich vorgebrachte Gewissensproblematik wird allenfalls am Rande eingegangen, in Kern der Urteilsgründe steht der politisch anmutende Programmsatz, kein Bürger der Bundesrepublik könne „nach seinem Arbeitsvertrag verpflichtet sein, für eine Zeitschrift auch nur im geringsten tätig zu werden, die [...] das blutbefleckte Gewalt- und Unrechtsregime des Nazismus verherrlicht oder verharmlost“. Dies sei die eigentliche Legitimation zur Leistungsverweigerung. Nicht zuletzt an dieser Stelle wird die vorgetragene These belegt, dass die Auslegung und Anwendung des Zivilrechts immer entscheidend von gesellschaftlichen Strömungen und Anschauungen geprägt wird. Wie für die gesamte Epoche die bewusste Abgrenzung von den totalitären, nazistischen Ideologien des vergangenen Jahrzehnts prägend war, konnte auch ein arbeitsrechtliches Urteil einfach durch den emotionalen Verweis auf den nazistischen Charakter der geschuldeten Tätigkeit ein Leistungsverweigerungsrecht begründen. Gerade dieses Urteil ist also ein Musterbeispiel für eine durch politische und gesellschaftliche Anschauungen motivierte Rechtsanwendung, die hier allein deswegen besonders offenkundig wird, weil sich das Urteil – anders als spätere Stellungnahmen – nicht einmal um eine rechtliche Verbrämung der politischen Intention bemüht. Das BAG nimmt in dieser Entscheidung – ohne nähere Begründung – einen Entfall der Leistungspflicht ipso iure an. In seinen Folgeentscheidungen grenzt es sich von dieser Tendenz in ständiger Rechtsprechung deutlich ab und befürwortet vielmehr ein einredeweise geltend zu machendes Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers.51 Die dogmatisch-systematische Verortung dieses Leistungsverweigerungsrechts divergiert zwischen den einzelnen Entscheidungen deutlich: Teilweise wird das Leistungsverweigerungsrecht auf eine Rechtsanalogie zu §§ 616 BGB, 72 HGB a.F.52 gestützt,53 in anderen Entscheidungen auf den Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB, der es dem Arbeitgeber verbiete, auf einem Leistungsanspruch zu beharren, wenn die Leis 51 Vgl. die Leitentscheidungen BAG AP § 123 BGB Nr. 23; BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29. 52 § 72 HGB i.d.F. vom 18.4.1950 (BGBl. I, S. 90) statuierte, der Prinzipal dürfe dem Handlungsgehilfen aus wichtigem Grund fristlos kündigen, wenn dieser „durch eine die Zeit von acht Wochen übersteigende militärische Dienstleistung an der Verrichtung seiner Dienste verhindert wird“, es sei denn, eine andere Beurteilung sei durch besondere Umstände geboten. Hieraus zog das BAG den Unkehrschluss, bei einer Verhinderung von weniger als acht Wochen sei eine Kündigung unzulässig, bestehe also ein Leistungsverweigerungsrecht. 53 BAG (2. Senat) AP § 123 BGB Nr. 23. Kritisch zu dieser dogmatischen Verankerung v.a. Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9.

§ 2 „Unzumutbarkeit“ und Zivilrechtsordnung

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tungserbringung den Arbeitnehmer in Gewissensnöte brächte.54 Wieder andere Entscheidungen stützen das Leistungsverweigerungsrecht auf eine Eingrenzung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts im Wege des § 315 I BGB (seit 1.1.2003 spezialgesetzlich verankert in § 106 GewO),55 andere enthalten sich einer dogmatischen Begründung des Leistungsverweigerungsrechts völlig.56 Ebenso vielfältig wie die Begründungsansätze sind dabei die Fallkonstellationen, in denen die Problematik der Unzumutbarkeit relevant wird: Fanden zunächst ausschließlich Gewissenskonflikte am Arbeitsplatz Beachtung, so wurde der Gedanke der Unzumutbarkeit mehr und mehr auch auf andere Fallkonstellationen übertragen. Die Leistungsverweigerung wegen Einberufung zum ausländischen Wehrdienst57 – die schon wegen ihrer längeren Dauer § 616 BGB nicht unterfallen konnte – wurde ebenso unter dem Stichwort der „Unzumutbarkeit“ diskutiert wie die länger andauernde Leistungshinderung wegen der Pflege und Betreuung eines Kindes.58 Vereinzelt wurden auch weitere Konstellationen in die Diskussion eingebracht, etwa die Leistungsverweigerung aus Angst.59 In letzter Zeit zeichnen sich verstärkt neue Konstellationen von ideellen Leistungshindernissen ab, die unmittelbar aus dem Wandel der bundesdeutschen Gesellschaft hin zu einer mehr und mehr pluralistischen, kulturell inhomogenen Gesellschaft resultieren. Verwiesen sei an dieser Stelle nur auf die aktuelle Problematik der arbeitsrechtlichen Folgen des Tragens von Kopftüchern als Ausdruck eines muslimischen Bekenntnisses.60 Insgesamt fällt auf, dass sich die einzelnen Diskussionsbeiträge zunächst vielfach auf eine pragmatische Lösung für die jeweilige Fallgruppe beschränkten und ein systematisch übergreifender Ansatz zur Lösung der „Unzumutbarkeits“-Problematik zunächst kaum gesucht wurde. Jedenfalls entwickelte sich auf diese Weise mit der Zeit – neben den über § 616 BGB zu lösenden Konstellationen kurzzeitiger Leistungshindernisse – ein Kanon von Fallgruppen der „Unzumutbarkeit“, für die § 616 BGB als unmittelbare Lösungsmöglichkeit  54

BAG (7. Senat) AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7. BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 56 BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29: Hier klingt sogar eine Verortung in §§ 273 a.F., 320 BGB an, ohne dass eine abschließende Entscheidung für eine Rechtsgrundlage getroffen wird. 55

57 BAG AP § 123 BGB Nr. 23; BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 58 BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29. 59 Dazu ArbG Essen DB 1970, 935 f.; Otto, Personale Freiheit, S. 107 f. 60 BVerfG NZA 2003, 959; BVerfG NJW 2003, 3111 (im beamtenrechtlichen Kontext); BAG NZA 2003, 483; LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2; ArbG Frankfurt AiB 1993, 472 mit kritischer Anm. Hartwig; Preis/Greiner RdA 2003, 244; dies. Festschrift Rüfner (2003), S. 653.

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1. Teil: Einleitung

nicht in Betracht kam und für die Lösungsmodelle im Wege der Rechtsfortbildung geschaffen werden mussten. Die insgesamt offenbar werdende Unsicherheit in der dogmatischen Herleitung und Begründung des Leistungsverweigerungsrechts bei Unzumutbarkeit der Leistungserbringung wird noch deutlicher, wenn man die Stellungnahmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur und die Rechtsprechung der Instanzgerichte in den Blick nimmt: So ordnet das LAG Hamburg61 die Fälle der Unzumutbarkeit dem Unmöglichkeitsrecht unter und will eine Lösung über § 275 II BGB a.F. erreichen. Eine ähnliche Unsicherheit wie in der Rechtsprechung bestand auch in der Literatur: Hatten Bosch und Habscheid 1954 in Anknüpfung an Treu und Glauben (§ 242 BGB) dem Arbeitnehmer in einem Gewissenskonflikt ein weitreichendes Leistungsverweigerungsrecht zuerkannt, dabei aber weder das Verhältnis zum Unmöglichkeitsrecht abschließend geklärt62 noch eine klare Trennlinie zur Billigkeitskontrolle gemäß § 315 I BGB (jetzt auch im arbeitsrechtlichen Kontext § 106 GewO) gezogen, so kamen in der Folgezeit Positionen auf, die bei Gewissenskonflikten entweder eine Pflichtenmodifikation infolge Unzumutbarkeit gänzlich verneinten und der Vertragstreue damit einen überragenden Vorrang einräumten63 oder aber die Konstruktion eines Leistungsverweigerungsrechts ablehnten und einen Entfall der Leistungspflicht ipso iure durch eine Gleichstellung mit den Fällen der subjektiven Unmöglichkeit (§ 275 II BGB a.F.) begründeten.64 Wieder andere blieben bei der ursprünglich von Bosch und Habscheid entwickelten Konzeption, das Leistungsverweigerungsrecht in § 242 BGB zu verankern,65 und stellten insofern auf die Parallelität der Fälle ideeller Unzumutbarkeit mit denen der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit ab.  61

LAG Hamburg LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 37. Eine Lösung vom Vertrag über § 275 BGB komme nur in Betracht, wenn diese einschneidende Konsequenz „nach Treu und Glauben geboten“ sei, Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 (216). Diese inhaltsarme Formel hilft nicht viel weiter. 63 Vgl. Wieacker JZ 1954, 466 (468); Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (60 f.); mit ähnlicher Tendenz auch Reuter JuS 1990, 591. 62

64 Kohte NZA 1989, 161 (164 ff.); Misera SAE 1983, 271 (272); ähnlich auch schon Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts Bd. 1, § 34 IV 2, insbes. Fn. 40, wo freilich klar erkannt wird, dass es sich um Konstellationen handelt, in denen „nicht eigentliche Unmöglichkeit gegeben ist“. 65 Insbes. Weber, Juristen-Jahrbuch III 212 (219): Die Nichtzumutbarkeit werde „durchweg“ aus § 242 BGB abgeleitet. Den Lösungsansatz greifen v.a. BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7 sowie in der Lit. Henssler AcP 190 (1990), 538 ff.; ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 970; Ortlepp Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7 und Kramer Anm. zu BAG AP § 123 BGB Nr. 23 auf.

§ 2 „Unzumutbarkeit“ und Zivilrechtsordnung

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2. Der Begriff der „ideellen“ Unzumutbarkeit Noch nicht beantwortet ist damit die Frage, weshalb man all diese unterschiedlichen Fallgestaltungen unter dem Stichwort der „ideellen“ Unzumutbarkeit zusammenfassen kann.66 Die Frage wird deutlicher, wenn man sich die Abgrenzung von dem verwandten Rechtsinstitut einer Unzumutbarkeit aus materiell-wirtschaftlichen Gründen vergegenwärtigt: In Fällen materiellwirtschaftlicher Unzumutbarkeit, die mit der Lehre von der Geschäftsgrundlage rechtlichen Niederschlag gefunden hat, handelt es sich letztlich um eine Kollision zwischen dem Vertragserfüllungsinteresse des Gläubigers und dem Vermögensinteresse des Schuldners.67 Haben die Parteien die mehrjährige Bierlieferung zu einem bestimmten Festpreis vereinbart und tritt eine erhebliche Geldentwertung ein, so geht das Interesse des Gläubigers dahin, weiterhin das Bier zu dem vereinbarten – niedrigen – Preis geliefert zu bekommen, ist also auf Vertragserfüllung gerichtet. Das Gegeninteresse des Lieferanten geht dahin, entweder den Vertrag dem veränderten Geldwert anzupassen oder aber sich aus dem Vertrag zu lösen.68 Wann nun tatsächlich „Unzumutbarkeit“69 der Vertragserfüllung anzuerkennen ist, muss letztlich im Wege einer wertenden Interessenabwägung ermittelt werden.70 Die dargestellte Interessenkollision ist somit zwar notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung einer materiell-wirtschaftlichen Unzumutbarkeit. Die Interessenkollision muss vielmehr ein deutliches Überwiegen des Leistungsverweigerungsinteresses gegenüber dem Leistungsinteresse erkennen lassen. Nur dann ist die Leistung „unzumutbar“ geworden; das deutliche Überwiegen des Leistungsverweigerungsinteresses vermag dann die vertragliche Bindung ausnahmsweise zu verdrängen. Der Grad der von der Rechtsprechung geforderten Beeinträchtigung unterliegt dabei Wandlungen: Zunächst wurde auf den drohenden „Ruin“ des

 66

Instruktiv Weber, Juristen-Jahrbuch III 212 (216). Vgl. Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106. 68 Vgl. nur Soergel-Teichmann § 242 Rn. 262 ff. 67

69

Diese ist auch im Rahmen der Lehre von der Geschäftsgrundlage – wie schon dargestellt – das tragende Grundprinzip: Vgl. etwa Soergel-Teichmann § 242 Rn. 263: Maßgebliches Kriterium für die festzustellende Veränderung sei die Zumutbarkeit unter Berücksichtigung der vertraglichen Risikoverteilung (näher insbes. unten § 5 I 2 c)). Ebenso Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 24 ff., der die „Unzumutbarkeit“ als zentrales Element der Aufwertungs-Rspr. des Reichsgerichts ausmacht. 70

Zur Verknüpfung von Unzumutbarkeitsbegriff und Interessenabwägung ausführlich unten § 9 II.

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1. Teil: Einleitung

Schuldners abgestellt,71 später wurde eine Verschiebung des Äquivalenzverhältnisses von Leistung und Gegenleistung etwa in Höhe von 33% bis 50% verlangt.72 Immer jedoch wurde auf den Konflikt zwischen dem Vertragserfüllungsinteresse des Gläubigers und den Vermögensinteressen des Schuldners Bezug genommen. Eine parallele Konstellation ergibt sich in sämtlichen Fallgruppen, die unter dem Stichwort der „ideellen“ Unzumutbarkeit diskutiert werden. Hier stehen dem Erfüllungsinteresse des Gläubigers allerdings keine materiellen Vermögensinteressen des Leistungsschuldners gegenüber, sondern personale Rechtsgüter oder kollidierende höchstpersönliche Pflichten des Leistungsschuldners, etwa seine Gewissensfreiheit, seine Gesundheit, seine Menschenwürde oder seine Elternpflicht. Das einende Element aller Konstellationen der „ideellen“ Unzumutbarkeit ist somit der Konflikt zwischen dem Erfüllungsinteresse des Gläubigers und einer ideell-personalen Rechts- oder Pflichtenstellung des Schuldners.73 Wie noch im einzelnen zu zeigen sein wird, ist freilich auch hier – parallel zur materiell-wirtschaftlichen Unzumutbarkeit – die Kollision nur notwendige, nicht jedoch hinreichende Bedingung der „Unzumutbarkeit“. Das Überwiegen des Leistungsverweigerungsinteresses gegenüber dem Erfüllungsinteresse ist auch in diesen Fällen bezogen auf den Einzelfall im Wege einer Interessenabwägung zu ermitteln.74 An dieser Stelle festzuhalten bleibt, dass sich der gemeinsame Oberbegriff der „ideellen Unzumutbarkeit“ aus der allen Fallgruppen gemeinsamen Struktur der Interessenkollision ergibt: Personal-ideelle Rechtsgüter oder Rechtspflichten des Schuldners kollidieren mit dem Erfüllungsinteresse des Gläubigers. Mit  71 Vgl. RGZ 100, 134 (138); RGZ 102, 272 (273 f.); RG JW 1922, 481; zu Recht wurde hieran kritisiert, dass somit das Eingreifen von „Unzumutbarkeit“ letztlich entscheidend von der sonstigen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Schuldners und damit von einem vertragsfremden Element abhing, vgl. Locher AcP 121, 1 (93); später Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 27. 72

In der Frage der Anpassung von Pensionen und Betriebsrenten hat der BGH die „Opfergrenze“ für das noch vom Rentner oder Pensionär zu tragende Inflationsrisiko bei 1/3 der Gesamtsumme verortet. Sobald die Äquivalenzverschiebung diesen Wert überschreite, sei ein Wegfall der Geschäftsgrundlage anzunehmen [BGH WM 1977, 53 f.; BGH BB 1977, 1101 (1102)]. BAG und BGH hatten in früheren Entscheidungen in dieser Frage die Zumutbarkeitsgrenze auf 40% Teuerung festgelegt [BAGE 25, 146; BGHZ 61, 31]. In anderen Fällen soll die Opfergrenze angesichts einer Teuerung oder Äquivalenzstörung von 33 1/3 oder 40% bei weitem noch nicht erreicht sein (vgl. weiter Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage, S. 60 Fn. 17). 73 Ebenso Henssler AcP 190 (1990), 538 f. 74 Insofern ist notwendiger Inhalt des Unzumutbarkeits-Begriffs immer eine Interessenabwägung, vgl. Preis, Prinzipien, S. 150 ff., insbes. S. 151: „In materieller Hinsicht geht damit das Zumutbarkeitsprinzip in dem Prinzip der Güter- und Interessenabwägung auf“. Näher unten § 9 II.

§ 2 „Unzumutbarkeit“ und Zivilrechtsordnung

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dieser Feststellung ergibt sich auch eine erste Abgrenzungslinie zur klassischen, jetzt in § 313 BGB kodifizierten Lehre der Geschäftsgrundlage, die durch eine Kollision materieller Interessen mit dem Erfüllungsinteresse geprägt ist und somit ihrem Ursprung nach ausschließlich Fälle materiellwirtschaftlicher Unzumutbarkeit erfassen soll.

3. Politische Einflüsse Nachdem die Entwicklung in den einzelnen Fallgruppen skizziert und das einende Element aller Fallgruppen, die ideell-personal geprägte Rechtsgüteroder Pflichtenkollision, dargestellt ist, soll ein weiterer Blick auf die inneren Triebkräfte der bisherigen Entwicklung gelenkt werden. Zugleich soll damit die These aufgegriffen werden, dass gerade im Umfeld der ideellen Unzumutbarkeit politisch-gesellschaftliche Einflüsse enorme Wirkungsmacht für die Auslegung und Anwendung des Zivilrechts entfalten. Es zeigt sich, dass sich die Debatte um die ideell motivierte Unzumutbarkeit immer stärker ausweitete: Immer neue Fallgruppen wurden unter diesem Stichwort diskutiert, zugleich wurde die Vielfalt vorgeschlagener Lösungsansätze immer größer. Je stärker der soziale Gedanke gesellschaftliche Bedeutung erlangte, desto heftiger wurde auch die Diskussion um Anerkennung oder Ablehnung des Unzumutbarkeitsgedankens. Möglicherweise steht, befördert durch das Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes und neue gesellschaftliche Herausforderungen, eine neuerliche intensive Debatte der Thematik bevor. Neue Leistungshindernisse resultieren heute aus der Integration und dem Zusammentreffen unterschiedlichster weltanschaulicher Strömungen in der bundesdeutschen Gesellschaft.75 Verwiesen sei auf die schon angesprochene Problematik des Kopftuchtragens im Arbeitsverhältnis.76 Die vor allem im Zusammenhang mit einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zur Verbeamtung einer kopftuchtragenden Lehrerin77 entbrannte gesellschaftspolitische Debatte, die zum Teil mit unangebrachter Polemik geführt wird,78 verlangt geradezu nach einer sachlichen Aus 75

Allgemein dazu Hillgruber JZ 1999, 538 ff. Näher unten § 4 I und II 1. Vgl. auch BVerfG NZA 2003, 959; BAG NZA 2003, 483; LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2; ArbG Frankfurt AiB 1993, 472; Preis/Greiner, Festschrift Rüfner (2003), S. 653; dies. RdA 2003, 244. 76

77 78

BVerwG NJW 2002, 3344; aufgehoben durch BVerfG NJW 2003, 3111. Vgl. Naumann, in: Die Zeit v. 11.7.2002 (Nr. 29), S. 1.

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1. Teil: Einleitung

einandersetzung im rechtswissenschaftlichen Kontext.79 Insbesondere die BAG-Entscheidung vom 10.10.2002 zu einer vergleichbaren Konstellation wirft nun ein Schlaglicht auf die spezifisch arbeitsrechtlichen Implikationen der Thematik.80 Auch an dieser Stelle bestätigt sich die These, dass gesellschaftliche Entwicklungen – hier die notwendige Integration von Migranten – neue zivilrechtliche Entwicklungen anstoßen. Dies gilt in besonderem Maße bei der vielschichtigen Problematik ideell-personaler Leistungshindernisse. Zahlreiche Autoren stellen in ihren Diskussionsbeiträgen – ähnlich dem BAG in der „Ersten Druckerentscheidung“ – unverhohlen auf politischweltanschauliche Argumentationsmuster ab. So schreibt Mayer-Maly plakativ, wer die Anerkennung von Gewissensgründen als Leistungshindernis ablehne, stelle sich auf eine Stufe „mit Nietzsche und Hitler“.81 Preuß fordert mit Blick auf Gewissenskonflikte die Anerkennung einer unmittelbaren Grundrechtswirkung in Arbeitsverhältnissen, weil die soziale Gewalt, die durch die Arbeitgeber ausgeübt werde, der öffentlichen, staatlichen Gewalt ohne weiteres gleichgestellt werden könne.82 Mayer83 begrüßt 1990 ein Zunehmen der arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten um Gewissenskonflikte und sieht den Grund für diesen Umstand in dem „Anwachsen der Friedensbewegung“ und dem gestärkten Umweltbewusstsein, die mit dazu geführt hätten, „dass heute nicht jede Tätigkeit im Arbeitsleben widerspruchslos ausgeübt“ werde. Nicht umsonst beschwört schließlich Diederichsen die Gefahr von „Chaos“ und „Anarchie“ durch die Anerkennung von Gewissenskonflikten als Leistungsverweigerungsgrund gerade 1972, also in einer Zeit erheblicher politischer und gesellschaftlicher Unruhen.84 Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Anerkennung praeterlegaler Leistungsstörungstatbestände, insbesondere aber der materiellen und ideellen Unzumutbarkeit, einem Wandel der Wirtschaftsordnung von der liberalistischen hin zur liberal-sozialen Marktwirtschaft korrespondiert: Je stärker individuelle soziale Belange gesellschaftlich Anerkennung finden, desto deutlicher ist auch die Wirkung, die ihnen von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft im Spannungsverhältnis zwischen Vertragstreue und Leistungshindernis beigemessen wird. Einfallstor dieser Entwicklung sind vor allem die zivilrechtlichen Gene 79 Vgl. erste Stellungnahmen zu spezifisch arbeitsrechtlichen Aspekten der Problematik bei Preis FA 2002, 290; Preis/Greiner, Festschrift Rüfner (2003), S. 653; Hartwig AiB 1993, 472 sowie – vor allem zu verfassungsrechtlichen Fragen – Böckenförde NJW 2001, 723. 80 BAG NZA 2003, 483 (bestätigt durch BVerfG NZA 2003, 959); ausführlich dazu unten § 4 II 1 b). 81

Mayer-Maly JZ 1990, 142 f. Preuß ArbuR 1986, 382 (383). 83 Mayer ArbuR 1990, 267 f. 84 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (50 ff.). 82

§ 2 „Unzumutbarkeit“ und Zivilrechtsordnung

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ralklauseln. In derselben Weise, wie sie zur Zeit des Nationalsozialismus die Pervertierung der Zivilrechtsordnung zu einer Unrechtsordnung ermöglichten,85 boten gerade die Generalklauseln die Möglichkeit einer rechtsfortbildenden Anerkennung sozialer Belange. Nicht übersehen werden darf dabei, dass viele grundlegende individuell-soziale Aspekte schon im höherrangigen Recht positivrechtlich geregelt werden, insbesondere in Gestalt der Grundrechte. Trotzdem zeichnet sich auch ein außergesetzlicher gesellschaftlicher Anschauungswandel in der Diskussion um die „Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen“ ab. Angesichts der dargestellten Entwicklung konnte man auch vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes mit Fug und Recht die Frage aufwerfen, ob sich die Privatrechtsordnung nicht im Laufe der Zeit weit von ihren Anfängen und dem „Geist“ des BGB entfernt habe.86 Freilich ist dieser Umstand keine bedauernswerte Fehlentwicklung, sondern – wie dargestellt – eine zwingende Konsequenz aus einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Anschauungs- und Wertewandel. Letztlich spiegelt die Zivilrechtsordnung – und insbesondere der Brennpunkt des Leistungsstörungsrechts – immer auch die gesellschaftlichen Transformationsprozesse wider. Das originäre kodifizierte Leistungsstörungsrecht des BGB wurde schon zur Zeit seines Inkrafttretens den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der industriell geprägten Gesellschaft nicht mehr gerecht. Insofern war schon die rechtsfortbildende Anpassung des Leistungsstörungsrechts an geänderte Rahmenbedingungen in der Rechtsprechung des Reichsgerichts keine verhängnisvolle Fehlentwicklung,87 sondern die erforderliche und gebotene Fortentwicklung eines unzureichenden kodifizierten Privatrechts.88 Die Anpassung des Rechts an sich wandelnde Anschauungen und Rahmenbedingungen ist heute eine anerkannte und zentrale richterliche  85

Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 210 ff. Vgl. etwa Merz, Privatautonomie heute, S. 1 ff.; Larenz/Wolf, BGB AT, § 2 Rn. 75; Raiser, Die Aufgabe des Privatrechts, S. 208 ff. 86

87 So aber Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 225, der die Aufwertungs-Rspr. als Ausgangspunkt einer Tendenz zur rechtsumdeutenden richterlichen Rechtsanwendung sieht, die geradewegs in die Rechtsperversion des Nationalsozialismus geführt habe. 88 Damit ging freilich – insofern ist Rüthers beizupflichten – eine fundamentale Aufwertung der Rolle des Richters einher, der nun nicht mehr nur rechtsanwendend, sondern rechtsgestaltend tätig wurde und sich damit sogar bewusst gegen eine konträre legislative Entscheidung auflehnte. Diese veränderte Sichtweise auf die Aufgaben des Richters mag die Gefahr von Fehlentwicklungen in sich tragen. Gerade die „Aufwertungs“-Rspr. des RG macht jedoch deutlich, dass im Ausgangspunkt dieser Entwicklung ein begrüßenswertes Bemühen um die Verwirklichung materialer Gerechtigkeit (dazu Staudinger-Schmidt § 242 Rn. 969) zugrunde lag. Hier eine Kontinuität zur nationalsozialistischen Rechtsperversion zu erkennen, mag bei rein formaler Betrachtung der Umstände und „Werkzeuge“ der jeweiligen Rechtsumdeutung nahe liegen; in materieller Hinsicht sind beide Entwicklungen jedoch von vollkommen unterschiedlichen Intentionen und Maximen getragen.

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1. Teil: Einleitung

Aufgabe.89 Ein statisches Privatrecht würde sich von der Rechtswirklichkeit schnell weit entfernen und wäre neuen Entwicklungen nicht gewachsen. Daher mag man eine Abkehr von dem liberalistischen Geist des BGB in der Rechtsentwicklung der letzten einhundert Jahre zwar feststellen, beklagen kann man sie hingegen nicht, will man nicht zugleich den gesellschaftlichen Transformationsprozess von einer liberalistisch-industriellen zu einer liberal-sozialen, postindustriellen Wirtschaftsordnung infrage stellen.

IV. Das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und „Unzumutbarkeit“ Gänzlich ohne Widerstände verlief diese Entwicklung freilich nicht. Im aufbrechenden Konflikt zwischen Vertragstreue und „Unzumutbarkeit“ wurde oft genug eingewandt, die zu starke Berücksichtigung individueller, außervertraglicher Umstände führe zu eine Aushöhlung der Vertragstreue. Hinweise darauf finden sich schon 1954 bei Wieacker90 und wurden insbesondere von Diederichsen91 pointiert und engagiert zugespitzt. Einfach von der Hand zu weisen sind die Einwände sicherlich nicht: Die rechtliche Anerkennung der ideell motivierten Unzumutbarkeit als Leistungsverweigerungsgrund greift immer in die privatautonome Selbstbindung des Verpflichteten und damit in den Erfüllungsanspruch des Gläubigers ein. Die bindende Wirkung des Vertrages wird damit ein Stück weit relativiert. Dies gilt jedoch nicht allein für Unzumutbarkeits-Tatbestände, sondern für alle Tatbestände, in denen die vertragliche Bindungswirkung zugunsten gegenläufiger Interessen durchbrochen wird, sei es die Irrtumsanfechtung oder ein gesetzliches Rücktritts- oder Kündigungsrecht. Neu ist bei den Tatbeständen der Unzumutbarkeit allerdings, dass hier einseitig-subjektive Interessen zur Grundlage einer derartigen Durchbrechung gemacht werden: Bei der materiell-wirtschaftlichen Unzumutbarkeit, wie sie in der Lehre von der Geschäftsgrundlage Anerkennung gefunden hat, rechtfertigen subjektive Vermögensinteressen die Durchbrechung der Vertragsbindung. Damit erlangen Umstände, die nach der ursprünglichen Konzeption des Leistungsstörungsrechtes eigentlich unbeachtlich bleiben sollten, rechtliche Bedeutung und vermögen selbst die hoch gewichtete privatautonome Selbstbindung  89

Deutlich BVerfGE 3, 225 (242): „[...] ist diese Art rechtsfindender Lückenfüllung im modernen Rechtsstaat mehr und mehr zur echten richterlichen Aufgabe geworden.“ Vgl. auch Dreier-Schulze-Fielitz Art. 20 GG (Rechtsstaat) Rn. 70; kritisch Hillgruber JZ 1996, 118 (122). 90 91

Wieacker JZ 1954, 466 (467). Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (50).

§ 2 „Unzumutbarkeit“ und Zivilrechtsordnung

61

zu durchbrechen. Ein Korrektiv wird hier dadurch eingeführt, dass von „Geschäftsgrundlage“ nach ganz überwiegender Ansicht nur dann die Rede sein soll, wenn die betreffenden Umstände beim Vertragsschluss beiden Seiten zumindest erkennbar waren.92 Dadurch wird im Bereich der materiellwirtschaftlichen Unzumutbarkeit die der Grundkonzeption des BGB fremde Subjektivierung des Leistungsstörungsrechts durch die Einführung objektiver Beurteilungsmaßstäbe korrigiert. Im Bereich der ideellen Unzumutbarkeit wird dieser Weg der Subjektivierung des Leistungsstörungsrechts noch weiter beschritten: Hier sollen extremsubjektive, personale Elemente wie das Gewissen oder die Menschenwürde die Vertragsbindung durchbrechen können. Besonders problematisch wird dies dadurch, dass die hier ins Feld geführten Gegeninteressen zum Teil derart subjektiv sind, dass sie nach zutreffender Ansicht selbst einer objektiven gerichtlichen Überprüfung entzogen sind: Was der einzelne als Gewissensentscheidung empfindet, kann objektiv nicht als „richtige“ oder „falsche“, als „echte“ oder „unechte“ Gewissensentscheidung bewertet werden.93 Aufgrund der extremen Subjektivität des Gewissensbegriffs ist die objektive Überprüfbarkeit stark eingeschränkt. Gleiches gilt etwa für die Fallgruppe der Leistungsverweigerung aus Angst.94 Die praktischen Probleme sind unübersehbar: Werden derart extremsubjektive, personale Interessen zur Grundlage eines Leistungsverweigerungsrechts, so ist schon das tatbestandliche Vorliegen des Leistungsverweigerungsgrundes nur eingeschränkt objektiv nachvollziehbar: Ob tatsächlich ein Gewissenskonflikt vorliegt, kann allenfalls anhand von Indizien überprüft werden. Damit ist die Gefahr eines Missbrauchs offenkundig: So könnte ein Arbeitnehmer sich infolge einer Anerkennung des Gewissens als Leistungsverweigerungsgrund auf einen bloß vorgeschobenen Gewissenskonflikt berufen, um – letztlich grundlos – der Arbeit fernzubleiben.95 Würde das Leistungsverweigerungsrecht den Verweigernden tatsächlich von allen negativen Konsequenzen freistellen, ergäbe sich in der Tat diese äußerst problematische Folge. Die extreme Subjektivierung des Leistungsstörungsrechts hätte einen Rechtszustand zur Folge, der von „Chaos“ und „Anarchie“,

 92

Vgl. nur MünchKomm-Roth § 242 Rn. 623. Vgl. Otto, Personale Freiheit, S. 127; Kohte NZA 1989, 161 (163) sowie ausführlich unten § 3 II 2 und 3. 94 Zu dieser Konstellation ArbG Essen DB 1970, 935 und unten § 8 I 1. 93

95

Auf diese Gefahr verweist auch Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (52). Ähnlich Leuze RdA 1993, 16 (19).

62

1. Teil: Einleitung

wie sie Diederichsen plakativ befürchtete,96 nicht mehr allzu weit entfernt wäre. Jedoch zieht Diederichsen aus seiner nicht unberechtigten Sorge falsche Schlüsse: Sicherlich gibt es feinere Mechanismen zur Eindämmung der aufgezeigten Gefahren als die von ihm geforderte generelle Ablehnung subjektivpersonaler Leistungshindernisse, die – wie noch zu zeigen sein wird – schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht vertretbar ist.97 Aufgabe des Zivilrechts ist es vielmehr, hier ein System gerechten Ausgleichs zu schaffen, das zum einen die berechtigte Leistungsverweigerung aus subjektiv-personalen Motiven ermöglicht, andererseits jedoch den aufgezeigten Missbrauchsgefahren wirksam begegnet. Angesichts der dargestellten Bedenken ist der Appell, sich auf die liberalen Ursprünge des BGB-Leistungsstörungsrechts zurückzubesinnen, sicherlich ein Stück weit verständlich. Radikale Lösungen, wie die von Diederichsen im Bereich der Gewissenskonflikte vorgeschlagene generelle Ablehnung personaler Elemente als Leistungsverweigerungsgrund,98 verbieten sich dabei jedoch schon mit Blick auf grundlegende Wertentscheidungen unserer Rechtsordnung: Treten nämlich „Höchstwerte“ der Verfassung – etwa die Menschenwürde, das Leben oder die Gewissensfreiheit – mit einer privatautonom begründeten Arbeitspflicht in Konflikt, kann die verfassungsrechtliche Wertentscheidung nicht unbeachtlich bleiben.99 Dass eine grenzenlose Anerkennung subjektiv determinierter Leistungsverweigerungsgründe die Vertragstreue im Kern in Frage stellt, darf dabei freilich ebenso wenig außer Acht gelassen werden wie die dargestellten Missbrauchsgefahren. Somit erscheinen angesichts der aufgezeigten Konflikte einzig „mittlere Lösungen“, wie schon von Mayer-Maly eingefordert,100 geeignet, einen angemessenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen herbeizuführen. Der Möglichkeit des Leistungspflichtigen, sich zur Rechtfertigung einer grundlosen Leistungsverweigerung etwa auf eine vorgeschobene Gewissensentscheidung  96 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 50; ähnlich auch Kraft AcP 163 (1963), 472 (484). 97 Unten § 3 II 1 d) und § 9 III 2. 98 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (50); ders. Die Rangverhältnisse zwischen den Grundrechten und dem Privatrecht, S. 39. Ihm folgen insbes. Zöllner AcP 196 (1996), 1 (7 f.); Reuter JuS 1990, 591; Leuze RdA 1993, 16. Dagegen bejaht die ganz überwiegende Auffassung zumindest im Grundsatz die Grundrechtswirkung in privatrechtlichen Rechtsbeziehungen. Vgl. etwa Singer JZ 1995, 1133 (1134) (die Schrankenwirkung der Grundrechte im Privatrecht sei praktisch unbestritten); grundlegend Canaris AcP 184 (1984), 201 ff.; Hager JZ 1994, 373 ff. Polemisch zugespitzt findet sich diese Position bei MayerMaly JZ 1990, 142 f.: Wer die Bedeutung der Gewissensfreiheit im Privatrecht leugne, stelle sich auf eine Stufe mit „Nietzsche und Hitler“. 99

Canaris AcP 184 (1984), 201 ff.; Hager JZ 1994, 373 ff. Mayer-Maly, Festschrift Müller (1980), S. 325 (332).

100

§ 2 „Unzumutbarkeit“ und Zivilrechtsordnung

63

zu berufen, muss daher schon im rechtssystematischen Ansatz vorgebeugt werden. Ebenso muss den berechtigten Interessen des Leistungsgläubigers angemessen Rechnung getragen werden. Umgekehrt gilt allerdings auch: Bei einer wirklich berechtigten Leistungsverweigerung, etwa aus Gewissens- oder familiären Gründen, muss die grundlegende Wertentscheidung des Grundgesetzes voll zur Entfaltung kommen. Die Sorge vor einer missbräuchlichen Berufung auf „Unzumutbarkeit“ darf nicht dazu verführen, die Grenzen einer Anerkennung von Leistungsverweigerungsgründen allzu eng zu ziehen. Vielmehr muss die Zivilrechtsordnung dem Schuldner bei einer berechtigten Leistungsverweigerung zur Seite stehen und zugleich Missbrauchsgefahren präventiv begegnen. Eine wesentliche Aufgabe der Zivilrechtsdogmatik ist es daher auch an dieser Stelle, ein System des gerechten sozialen Ausgleichs zwischen Gläubigerund Schuldnerinteressen zu schaffen, mehr noch: Gerade an diesem Kulminationspunkt des Konfliktes zwischen Vertragstreue und gegenläufigen Rechtsgütern erscheint ein derartiger Ausgleich in besonderem Maße geboten. Es ist daher sicherzustellen, dass im Rahmen einer zivilrechtlichen Lösung immer beide konfligierenden Rechtspositionen beachtet werden und den dargestellten Missbrauchsmöglichkeiten präventiv abgeholfen wird. Dies wird in der hier vertretenen Konzeption durch ein negatives Anreizsystem auf der Rechtsfolgenseite erreicht: Dem Schuldner wird zwar – aus rechtssystematischer Sicht zwingend101 – ein weit gefasstes Leistungsverweigerungsrecht zugestanden; dem Gläubiger stehen jedoch in sekundärer Hinsicht ebenfalls weit gefasste Reaktionsmöglichkeiten zu, etwa die Möglichkeit einer personenbedingten Kündigung.102 Zugleich entfällt bei längeren Leistungshindernissen der Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung.103 Somit wird ein Anreiz geschaffen, den drohenden Konsequenzen durch die Nichtausübung des Leistungsverweigerungsrechts zu entgehen und daher von der eingeräumten Möglichkeit nur in wirklich berechtigten Fällen Gebrauch zu machen. Plastischer formuliert: Ein Arbeitnehmer wird sich nicht nur „zum Spaß“ auf einen vorgeschobenen Gewissenskonflikt berufen, wenn er weiß, dass er sowohl seinen Entgeltanspruch einbüßt als auch mit kündigungsrechtlichen Konsequenzen rechnen muss.104  101

Vgl. unten § 3 II 1 d) und § 9 III 2. Vgl. unten § 17 II 2 c). Wie hier auch Otto, Personale Freiheit, S. 118: Die angemessene Form, befürchtetem Missbrauch vorzubeugen sei nicht die Versagung des Leistungsverweigerungsrechts, sondern die „Entwicklung eines abgestuften Systems von Rechtsfolgen“ sowie – in prozessualer Hinsicht – eine Klärung von Beweisfragen. Empirisch verweist Grabau BB 1991, 1257 darauf, dass die Berufung auf das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit „mit einem hohen Arbeitsplatzrisiko belastet“ sei. 103 Vgl. unten § 15 II 1. 102

104

Vgl. nur Grabau BB 1991, 1257; ähnlich jüngst mit Blick auf schadensersatzrechtliche Konsequenzen Schlechtriem, Schuldrecht AT, Rn. 289.

64

1. Teil: Einleitung

V. Die Integration in das kodifizierte Zivilrecht Die wirklich fundamentale Änderung durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2002 liegt darin, dass der Gesetzgeber die dargestellte Rechtsentwicklung nun legislativ anerkannt und in das kodifizierte Zivilrecht eingebunden hat. Nachdem sich die Lehren zur materiellen und zur ideellen Unzumutbarkeit als außergesetzliches Leistungsstörungsrecht in der dargestellten Weise über mehrere Jahrzehnte in Rechtspraxis und Rechtswissenschaft fortentwickelt hatten, erfolgte mit der Einfügung der §§ 275 II, III und 313 BGB die legislative Anerkennung beider Leistungsstörungstatbestände. Inhaltlich hat sich der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes – wie schon dargestellt – weitgehend darauf beschränkt, den Diskussionsstand positivrechtlich zu erfassen und in die Kodifikation zu integrieren.105 Dies konnte im Bereich der materiell-wirtschaftlichen Unzumutbarkeit, also im Anwendungsbereich der Lehre von der Geschäftsgrundlage, relativ problemlos geschehen, da hier auf eine weitgehend ausgeformte und strukturierte Dogmatik zurückgegriffen werden konnte. Im Bereich der ideellen Unzumutbarkeit wäre angesichts der skizzierten dogmatischen und praktischen Unsicherheiten eine legislative Klarstellung in mehrfacher Hinsicht überaus wünschenswert gewesen. Diese ist im Rahmen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes jedoch kaum geleistet worden – einzig die (freilich grundlegende) Entscheidung gegen einen Entfall der Leistungspflicht ipso iure und für eine Einredekonstruktion hat in unmissverständlicher Weise Eingang in die legislative Willensbildung und den Gesetzestext gefunden.106 Die anderen, in diesem Abschnitt bislang nur angedeuteten Streitfragen bleiben auch nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes legislativ unbeantwortet und verlangen weiterhin nach systematischen Lösungen. Man könnte daher dazu neigen, die legislative Leistung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes über Gebühr gering zu schätzen. In der Tat ist eine unangebrachte Selbst-Zurücknahme in der Ausübung der gesetzgeberischen Gestaltungskompetenz zu kritisieren.107 Nicht vergessen sei jedoch, dass durch die Implementierung der außergesetzlichen Tatbestände der materiellen und ideellen Unzumutbarkeit ein gesellschaftlicher Anschauungswandel von der libera 105

Vgl. oben § 1 II. BT-Drucks. 14/6040 S. 129 re. Spalte; vgl. zu praktischen und dogmatischen Konsequenzen der Einredekonstruktion Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 (2109 f.). 106

107 Vgl. allgemein schon Preis ZG 1988, 319 (321, 327, 333); Diederichsen, Flucht des Gesetzgebers (1974); Henkel, Festschrift Mezger (1954), S. 249 (302 f.): Es handele sich bei dem Verweis auf das Zumutbarkeitsprinzip um „Normverzicht“, um ein „Stück offengelassene Gesetzgebung“. Jetzt ähnlich mit Blick speziell auf das Arbeitsrecht („unselige Rücksichten“) Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 134.

§ 2 „Unzumutbarkeit“ und Zivilrechtsordnung

65

listischen Auffassung des 19. Jahrhunderts hin zu einer modernen sozialmarktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung endlich legislativ anerkannt und nachvollzogen wurde.108 Die gesetzgeberische Zurückhaltung, die dabei zu erkennen ist, beinhaltet zwar einerseits eine vertane Chance, Klarstellungen im Interesse der Rechtssicherheit zu erreichen. Zugleich erspart sie der Reform jedoch den ansonsten fast unausweichlichen Vorwurf, das sensible Spannungsverhältnis zwischen subjektiv-personalen Leistungshindernissen und vertraglicher Bindungswirkung notwendigerweiser in teilweisem Widerspruch zu einer jahrzehntelangen Rechtsentwicklung neu zu regeln. Nicht übersehen sei zudem, dass gerade die Unbestimmtheit und Offenheit der neu kodifizierten Leistungsstörungstatbestände der §§ 275 II, III und 313 BGB auch Einfallstore für einen künftigen sozioökonomischen Anschauungswandel belässt, die bei einer präziseren Regelung verschlossen worden wären.109 Gerade die stetige Anpassung der Zivilrechtsordnung an unvorhergesehene Veränderungen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ist jedoch – wie gerade die „Aufwertungs-Rechtsprechung“110 des Reichsgerichts exemplarisch offen legt – notwendig und wünschenswert.111

 108

Zur Problematik schon Weber, Juristen-Jahrbuch III 212. Vgl. Preis ZG 1988, 319 (321). 110 Oben § 2 Fn. 16. 111 Schon Weber, Juristen-Jahrbuch III 212 postuliert im Hinblick auf die „schwierige“ legislative Aufgabe der Kodifikation von Richterrecht, dass der Gesetzgeber angesichts der Wandelbarkeit gesellschaftlicher Gegebenheiten dem Rechtsanwender eine „Pforte“ belassen müsse, „einer zusätzlich ausgleichenden Gerechtigkeit“ zur Geltung zu verhelfen. Eine Möglichkeit hierfür sieht schon Weber im Begriff der (Un-)Zumutbarkeit. 109

Zweiter Teil

Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

§ 3 Unzumutbarkeit der Leistungserbringung aus Gewissensgründen Die Entwicklung der Dogmatik zur Leistungsverweigerung aus ideellen Gründen hat sich – wie schon skizziert – vor allem im arbeitsrechtlichen Kontext vollzogen. Dabei wurde die Problematik im Ausgangspunkt nicht etwa rechtssystematisch-wissenschaftlich aufgearbeitet; es entwickelte sich vielmehr zunächst anhand verschiedener Fälle der gerichtlichen Praxis eine stark divergierende, einzelfallbezogene Rechtsprechung, die von der Literatur lediglich aufgegriffen und kommentiert wurde.1 Gerade dies unterscheidet die Problematik grundlegend von anderen jetzt kodifizierten Rechtsinstituten des Leistungsstörungsrechts, die überwiegend in der rechtswissenschaftlichen Diskussion konzipiert und von der Rechtsprechung übernommen wurden. Dies gilt sowohl für die von Oertmann2 – aufbauend auf der bereits skizzierten Rechtsprechung des RG3 – ausgeformte Lehre von der Geschäftsgrundlage als auch für die von Jhering4 auf römisch-rechtlicher Grundlage konzipierte culpa in contrahendo oder die von Staub5 entwickelte positive Forderungsverletzung. Eine derart strukturierte wissenschaftliche Aufarbeitung ideell-personaler Leistungshindernisse erfolgte erst zu einem sehr späten Zeitpunkt, als schon eine umfangreiche, in ihren Lösungsansätzen allerdings äußerst vielgestaltige Judikatur existierte. Während also am Anfang anderer bislang außergesetzlicher Institute des Leistungsstörungsrechts eine  1 Auch der grundlegende Aufsatz von Bosch und Habscheid [JZ 1954, 213] kommentierte zwar nicht eine gerichtliche Befassung mit der Thematik, jedoch eine gesellschaftliche Diskussion, reagierte also auf Fragen, die „von außen“ an die Rechtswissenschaft herangetragen wurden. 2

Oertmann, Geschäftsgrundlage (1921). Oben § 2 II; vgl. etwa RGZ 100, 129. 4 Jhering, Culpa in contrahendo, JherJb. 4 (1861), S. 1 ff. 5 Staub, Die positiven Vertragsverletzungen (1904). 3

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

67

rechtswissenschaftlich-theoretische Konzeption „aus einem Guss“ stand, auf welche die Rechtsprechung zurückgreifen konnte, vollzog sich die Entwicklung für die Frage ideeller Leistungshindernisse genau umgekehrt: Hier reagierte die Rechtswissenschaft auf Vorgaben aus der Rechtspraxis, die eine einheitliche Linie weitgehend vermissen ließen.6 Auch diese grundlegend andere Genese des Rechtsinstituts mag zu den Unsicherheiten im Umgang mit der Thematik Anlass geben. In jedem Fall wurde durch die mangelnde dogmatische Fundierung eine stark einzelfallbezogene Entwicklung befördert, die unterschiedlichste Lösungsansätze erkennen lässt. In den einzelnen Fallgruppen treten scheinbar – wie im folgenden zu zeigen sein wird – ganz unterschiedliche Fragen und Probleme zutage; die gemeinsamen Strukturprinzipien aller Fallgruppen bleiben bei oberflächlicher Betrachtung im Verborgenen. Nur selten wurde daher zu einer Gesamtschau auf die übergreifenden systematischen Zusammenhänge gefunden. So dauerte es vom Beginn der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung an fast vierzig Jahre, bis Henssler eine umfassende Gesamtkonzeption vorstellte, welche die einzelnen Fallgruppen unter dem einheitlichen rechtssystematischen Oberbegriff der „Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen“ zusammenführte.7 Letztlich ist erst hierdurch der Weg zu einer befriedigenden dogmatischen Würdigung der Thematik eröffnet worden. Um diese Entwicklung darstellen zu können, soll auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit zunächst jede der im Kontext der ideellen Unzumutbarkeit diskutierten Fallgruppen für sich betrachtet und die jeweilige Entwicklung nachvollzogen werden. Nur so kann den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der auftretenden Fragestellungen angemessen Rechnung getragen werden. Erst in einem weiteren Abschnitt soll dann – fußend auf den im Rahmen der einzelnen Fallgruppen gewonnenen Erkenntnissen – eine systematisch strukturierte Gesamtkonzeption vorgestellt werden. Besonderen Anlass zu teilweise fundamentalen Konfrontationen hat in der Vergangenheit die Fallgruppe der Gewissenskonflikte geliefert. Sie stand am Ausgangspunkt aller Auseinandersetzungen um die Anerkennung ideellpersonaler Gründe als Leistungshindernis8 und kann daher als Keimzelle der rechtswissenschaftlichen Aufarbeitung des gesamten Themenkomplexes bezeichnet werden. Zudem werden in dieser Fallgruppe grundlegende Fragestellungen besonders augenscheinlich, so etwa die Bedeutung verfassungsrechtli 6 Auf die verschiedenen Lösungsansätze in der Judikatur des BAG wurde schon hingewiesen; vgl. oben § 2 III 1. 7 Henssler AcP 190 (1990), 538 ff. 8

LAG Rheinland-Pfalz v. 16.4.1952 – Sa 125/1951; LAG Hamburg AP 1952 Nr. 105; Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 ff.

68

2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

cher Wertungen für die privatrechtliche Leistungspflicht.9 Allein der Umfang des hierzu erschienen Schrifttums übertrifft die anderen Fallgruppen bei weitem; dabei ist das Meinungsspektrum denkbar weit gefächert. Vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes war daher eine erhebliche Unsicherheit in der rechtlichen Einordnung und Behandlung von Gewissenskonflikten feststellbar: Die Stellungnahmen reichten von einer grundsätzlichen Ablehnung der Anerkennung von Gewissenskonflikten als Leistungshindernis10 bis hin zur Annahme einer „unmittelbaren Drittwirkung“ der Gewissensfreiheit im privatrechtlichen Kontext.11 Auch die einfachrechtliche Einordnung in das Spannungsfeld zwischen Unmöglichkeit und außergesetzlichen LeistungsstörungsTatbeständen divergierte deutlich.12 Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat keine zufriedenstellende Klärung der Problematik gebracht: Die überwiegende Meinung in der Literatur geht davon aus, dass von der Neuregelung ideell-personaler Leistungshindernisse in § 275 III BGB auch Gewissenskonflikte erfasst sein sollen.13 Demgegenüber wollen andere Stellungnahmen aus den Gesetzesmaterialien entnehmen, dass Gewissenskonflikte gerade nicht der neuen Norm unterfallen sollen.14 In der Tat verwundert es, dass in dem primär heranzuziehenden Abschnitt der Entwurfsbegründung15 zwar die beiden anderen „klassischen“ Fallgruppen – nämlich die Einberufung zum ausländischen Wehrdienst und die Fälle der Personensorge – ausdrücklich genannt werden, die besonders anschauliche und hochgradig umstrittene Fallgruppe der Gewissenskonflikte hingegen mit keinem Wort erwähnt wird. Auch die kurze Berücksichtigung der Gewissensproblematik an anderer Stelle16 ist missverständlich und spricht eher gegen eine Einordnung unter § 275 III BGB.17  9 Vgl. Canaris AcP 184 (1984), 201 ff.; Hager JZ 1994, 373 ff.; Zöllner AcP 196 (1996), 1 ff.; vgl. auch unten § 9 III 2. 10

Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 ff.; Wieacker JZ 1954, 466 ff. Mayer JZ 1985, 1111 ff.; ders. ArbuR 1990, 267 ff.; Mayer-Maly JZ 1990, 142 f.; Preuß ArbuR 1986, 382 ff. 11

12

Vgl. insbes. unten § 3 IV 2 und § 10 I. ErfK-Preis4 § 611 BGB Rn. 849; Schaub-Linck § 45 Rn. 30; Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, S. 155 f.; Henssler RdA 2002, 129 (131); Olzen/Wank, Schuldrechtsreform, Rn. 135; Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 115; Dedek, in: Henssler/v.Westphalen § 275 Rn. 36; Fischer DB 2001, 1923 (1926). 13

14

AnwK-Dauner-Lieb § 275 Rn. 19; Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 136, 199, 447; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 482. 15 BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte Abs. 3. 16 BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte Abs. 3. 17

Vgl. unten § 3 III 1. Anders die Interpretation bei Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 115.

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

69

Es zeigt sich also, dass Grundfragen der teilweise erbittert und ideologisch18 geführten Diskussion zur alten Rechtslage auch nach Einführung des § 275 III BGB in unverminderter Aktualität fortbestehen. Die „offene“ Formulierung des § 275 III BGB und die unklare Begründung zum Regierungsentwurf lassen wesentliche Fragen im Kontext der Gewissenskonflikte unbeantwortet. Gerade hier scheint sich also die eingangs aufgeworfene These verifizieren zu lassen, dass die Neuregelung in § 275 III BGB auf ungeklärten dogmatischen Fundamenten steht und durch die Novellierung ein Bereich erheblicher Rechtsunsicherheit Eingang in das kodifizierte Zivilrecht gefunden hat.19 Für die weiterhin auftretenden Grundfragen nach Struktur und verfassungsrechtlichen Implikationen von Gewissenskonflikten muss jedenfalls weiterhin durch Rechtswissenschaft und -praxis nach systematisch konsistenten Lösungen gesucht werden. Ausgangspunkt dafür muss der Meinungsstand vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes sein, den der Gesetzgeber ausdrücklich zur Grundlage der Neuregelung gemacht hat.20 Daher soll hier zunächst dieser Meinungsstand dargestellt und bewertet werden; im folgenden ist eine Positionierung, Einordnung und kritische Würdigung der durch § 275 III BGB eingetretenen Änderungen vorzunehmen.

I. Der Meinungsstand vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes Zum Konflikt zwischen vertraglicher Leistungspflicht und Gewissensentscheidung des Schuldners existierte vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes ein breites Spektrum an Stellungnahmen. Dabei spielten vor allem die Urteile der Arbeitsgerichtsbarkeit eine erhebliche Rolle, da die Problematik besondere Relevanz im Arbeitsrecht erlangt. Zudem wurde die Judikatur auch zum Ausgangspunkt jeder wissenschaftlichen Aufbereitung der Problematik, da die rechtswissenschaftliche Literatur zunächst konzeptionelle Lösungsvorschläge weitgehend vermissen ließ und lediglich auf Entwicklungen der Rechtspraxis reagierte. Aus diesem Grund soll die höchstrichterliche Rechtsprechung zunächst im Zusammenhang dargestellt werden und zugleich eine übergreifende Einführung in den Problemkomplex liefern.

 18 Vgl. als anschauliche Beispiele Mayer-Maly JZ 1990, 142 f.; Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (50). 19 Vgl. oben § 1 II 1. 20

BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte Abs. 3 nimmt ausdrücklich Bezug auf BAG AP § 123 BGB Nr. 23. Dazu kritisch Richardi NZA 2002, 1004 (1005).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

1. Die BAG-Entscheidung vom 29.1.1960 („Erste Druckerentscheidung“) Erstmals hatte sich das BAG mit der Problematik der Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen in einer Entscheidung vom 29.1.1960 zu befassen.21 Gegenstand des Prozesses war eine fristlose Kündigung infolge beharrlicher Arbeitsverweigerung, gegen die der Kläger – in beiden Vorinstanzen erfolglos – Kündigungsschutzklage erhoben hatte. Der Kläger, der als Hilfsarbeiter in einer Druckerei beschäftigt war, hatte sich geweigert, einer Zeitschrift mit rechtsextremem Inhalt eine Beilage beizufügen, da er nach eigenem Bekunden die Zeitschrift wegen ihres Inhalts „aus Gewissensgründen“ nicht anfassen könne. Auffallend ist, dass das Gericht in den Urteilsgründen auf die vom Kläger vorgebrachte Gewissensproblematik nicht eingeht. Vielmehr konstatiert es mit recht emphatischen Worten, kein Bürger der Bundesrepublik könne „nach seinem Arbeitsvertrag verpflichtet sein, für eine Zeitschrift auch nur im geringsten tätig zu werden, die [...] das blutbefleckte Gewalt- und Unrechtsregime des Nazismus verherrlicht oder verharmlost“.22 Weiter führt die Entscheidung aus, ein Arbeitnehmer habe bei einem solchen Verlangen des Arbeitgebers nicht nur das Recht, sondern vielmehr sogar die Pflicht, sich der Weisung zu widersetzen.23 Das BAG verneint also allgemein eine Pflicht zur Erbringung der vom Arbeitgeber verlangten Arbeitsleistung, wenn diese den in den Gründen umschriebenen Charakter aufweist. Hierfür soll freilich nicht jeder politische Meinungsunterschied zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer genügen, entscheidend sei vielmehr gerade der neonazistische Charakter der eingeforderten Tätigkeit. Auf den vom Kläger angeführten Gewissenskonflikt geht das BAG nicht ein; vielmehr verharrt es bei dem hier zitierten, allgemeinen Programmsatz. Eine dogmatische Herleitung oder Begründung sucht man in der Entscheidung vergebens.24 Dies erstaunt insofern, als in der rechtswissenschaftlichen Literatur durchaus schon fundierte Stellungnahmen zur Thematik der Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen existierten.25 Dennoch ist die Entscheidung bemerkenswert, weil eine Tendenz erkennbar ist, die in späteren Urteilen nachdrücklich abgelehnt wird.26 Das BAG nimmt in  21

BAGE 9, 1 ff. = AP § 123 GewO Nr. 12. BAGE 9, 1 (3). 23 BAGE 9, 1 (3). 24 Auf das Begründungsdefizit weist auch das BAG in der „Zweiten Druckerentscheidung“ AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27 ausdrücklich hin. 25 Vgl. nur Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 ff.; Blomeyer JZ 1954, 309 ff.; Wieacker JZ 1954, 466 ff. 26 Vgl. sogleich unten § 3 I 2 und 3. 22

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

71

der „Ersten Druckerentscheidung“ einen Entfall der Leistungspflicht ipso iure an: Der Arbeitnehmer darf die Leistung nicht nur verweigern, das Gericht bürdet ihm vielmehr sogar eine Pflicht zur Leistungsverweigerung auf. Dies setzt zwingend voraus, dass zuvor – ohne ein Tätigwerden des Arbeitnehmers – seine vertragliche Leistungspflicht erloschen und durch eine gegenläufige Pflicht zur Verweigerung der Leistung ersetzt worden ist. Der Arbeitnehmer wird damit in gewisser Weise wohlmeinend bevormundet.27 Der Einwand Herschels,28 dies sei gar kein Fall der Pflichtenkollision, da wegen Verbots- oder Sittenwidrigkeit gar keine Arbeitspflicht entstanden sei, geht fehl: Niemand wird ernstlich behaupten wollen, dass das Einfügen von (inhaltlich neutralen) Beilagen in eine Zeitschrift mit anrüchigem Inhalt eine verbotswidrige Tätigkeit sei.29 Gleiches wird für eine Einordnung als sittenwidrig gelten;30 die Tätigkeit erscheint vielmehr sittlich neutral. Auf eine Verbots- oder Sittenwidrigkeit hat der Kläger sein Begehren daher auch gar nicht gestützt, sondern auf einen individuell empfundenen Konflikt zwischen Arbeitspflicht und Gewissensentscheidung. Die Auseinandersetzung mit der vom Kläger vorgebrachten Gewissensproblematik vermeidet das Gericht. Stattdessen formuliert es einen fast politisch anmutenden Programmsatz, für den es an jeder rechtlichen Begründung fehlt. Der an dieser Stelle befürwortete ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht und die Ersetzung der Leistungspflicht durch eine gegenläufige Pflicht zur Leistungsverweigerung weicht stark von späteren vergleichbaren Entscheidungen ab.31 Diese Tendenz scheint sich damit begründen zu lassen, dass das Gericht hier weniger den individuellen, personalen Belangen des Arbeitnehmers Rechnung tragen wollte, sondern sein Urteil an überindividuellen, politisch-programmatischen Maximen ausrichtete. Gerade in dieser frühen Entscheidung bestätigt sich somit die schon vorgetragene These von der gesellschaftspolitischen Durchdringung der Thematik in besonderer Weise.32  27

Zur späteren Diskussion der Problematik Henssler AcP 190 (1990), 538 (542).

28

Herschel ArbuR 1962, 30; aufgegriffen von Reuter BB 1986, 385 (386). Reuter stellt entscheidend darauf ab, es handele sich bei dem betroffenen Druckwerk um eine „allgemein missbilligenswerte Zeitschrift“. Die Formulierung offenbart, dass es sich hier weniger um eine saubere juristische Aufarbeitung der Problematik als vielmehr um eine Art allgemeiner (politischer) Schutzwürdigkeitsbetrachtung handelt. 29

Richtig das BAG in der vergleichbaren Fallgestaltung der „Zweiten Druckerentscheidung“, AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; auch Habscheid JZ 1964, 246 (247) spricht lediglich von einer „anrüchigen“ Tätigkeit. 30 Hierauf verweist zutreffend Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (52 f.). 31 Vgl. die Leitentscheidungen BAG AP § 123 BGB Nr. 23; BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29. 32 Vgl. oben § 2 III 3.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

2. Die BAG-Entscheidung vom 20.12.1984 („Zweite Druckerentscheidung“) Einen vollkommen anderen Weg beschreitet denn auch die „Zweite Druckerentscheidung“ des 2. Senats vom 20.12.1984.33 Ausgangspunkt ist – ähnlich dem Fall vom 29.1.196034 – die mit Gewissensnot begründete Weigerung des Arbeitnehmers, einen Druckauftrag auszuführen, der sich auf ein Druckwerk mit kriegsverherrlichendem und revisionistischem Inhalt bezog. Daraufhin war ihm durch den Arbeitgeber fristlos und hilfsweise fristgerecht gekündigt worden. Vorrangig prüft das BAG, ob überhaupt eine Leistungspflicht entstanden ist oder ob diesbezüglich ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder die guten Sitten (§ 138 BGB) anzunehmen ist. Die Verbotswidrigkeit wird dabei abgelehnt,35 die Frage nach der Sittenwidrigkeit lässt das Gericht unbeantwortet. Unabhängig von dieser Frage habe nämlich der Kläger das Recht gehabt, die Leistung aus Gewissensnot zu verweigern. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die „Erste Druckerentscheidung“ vom 29.1.1960 stellt der Senat den Grundsatz auf, der Arbeitgeber dürfe „aufgrund der mittelbaren Wirkung des Grundrechts der Gewissensfreiheit (Art. 4 I GG) über § 315 I BGB“ dem Arbeitnehmer keine Arbeit abverlangen, die ihn in einen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen vermeidbaren Interessenkonflikt versetze. Dafür führt das Gericht verschiedene denkbare Begründungsansätze an, lehnt aber insbesondere sowohl eine unmittelbare Drittwirkung des Art. 4 I GG als auch eine Anwendung von § 242 BGB für den zu entscheidenden Sachverhalt ab. Es müsse vielmehr von einer Einschränkung des Direktionsrechts auf Grundlage von § 315 BGB i.V.m. Art. 4 I GG ausgegangen werden. Nach spezieller Normierung des arbeitsrechtlichen Direktionsrechts in § 106 GewO wäre demnach also diese Norm als Anknüpfungspunkt und Einfallstor der grundrechtlichen Wertentscheidungen heranzuziehen. Was dem billigen Ermessen im Sinne von Norm entspreche, sei durch eine umfassende Interessenabwägung zu ermitteln. Hierbei sei die Wirkung der Gewissensfreiheit besonders zu berücksichtigen. Für die Interessenabwägung stellt das Gericht schließlich eine Art Kriterienkatalog auf, wobei es vor allem  33 34

BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27.

BAGE 9, 1 ff.; vgl. oben § 3 I 1. Dies erscheint zutreffend, auch wenn bei einem Druckauftrag noch eher daran gezweifelt werden könnte als in der Konstellation der „Ersten Druckerentscheidung“ [BAG AP § 123 BGB Nr. 23]. Die Weisung, ein Druckwerk mit rechtswidrigem Inhalt herzustellen, nähert sich der Verbotswidrigkeit weit eher als die Weisung, einem derartigen Druckwerk eine inhaltlich neutrale Beilage hinzuzufügen. Die Entscheidung bestätigt also in jedem Fall, dass eine Einordnung als verbots- und wohl auch als sittenwidrig in der „Ersten Druckerentscheidung“ verfehlt wäre. 35

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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die Vorhersehbarkeit des Gewissenskonfliktes durch den Arbeitnehmer beim Vertragsschluss sowie betriebliche Erfordernisse für die Erbringung der Arbeitsleistung als Abwägungskriterien zulasten der Leistungsverweigerung anführt. Daneben habe die Frage, ob auch künftig mit „zahlreichen weiteren Gewissenskonflikten“ gerechnet werden müsse, wesentliche Bedeutung. Es folgen umfangreiche Ausführungen zum Begriff der Gewissensentscheidung; das BAG schließt sich nachdrücklich dem subjektiven Gewissensbegriff des BVerfG an.36 Gerade die Beharrlichkeit der Arbeitsverweigerung spreche für die Annahme einer wirklichen Gewissensentscheidung. Die Entscheidung eröffnet einen neuen systematischen Ansatz, indem sie eine Einordnung in den Kontext der Billigkeitskontrolle vornimmt. Dabei37 wird insbesondere die Bedeutung der grundrechtlichen Wertungen für die Auslegung und Ausfüllung der bürgerlich-rechtlichen Generalklauseln im Wege der mittelbaren Drittwirkung hervorgehoben.38 Auch wird betont, dass es sich um ein Leistungsverweigerungsrecht und keinen Entfall der Leistungspflicht ipso iure handele; insofern ergibt sich eine klare Abgrenzung zur „Ersten Druckerentscheidung“ vom 29.1.1960. In einem anderen Punkt sieht sich jedoch auch diese Lösung Einwänden ausgesetzt: Die Bedeutung und Einordnung des § 616 BGB bleibt völlig unklar; eine systematische Verknüpfung zu dieser Norm wird nicht hergestellt.39 Ebenso wenig wird auf das Schicksal des Vergütungsanspruchs bei Leistungsverweigerung eingegangen. Im Grundsatz begrüßenswert ist schließlich, dass drei klare Kriterien für die im Rahmen der Billigkeitskontrolle anzustellende Interessenabwägung genannt werden, nämlich die Voraussehbarkeit des Gewissenskonfliktes bei Vertragsschluss, die einer Leistungsverweigerung entgegenstehenden betrieblichen Erfordernisse sowie eine Prognose der künftigen Entwicklung – also die Frage, ob auch weiterhin mit Gewissenskonflikten zu rechnen ist.40 Ob die genannten Kriterien jedoch wirklich für die Begründung eines  36 Vgl. zum subjektiven Gewissensbegriff unten § 3 II 2 a) und BVerfGE 12, 45 (55); BVerfGE 48, 127 (173); BVerwGE 79, 24 (26 f.); HbStR-Bethge VI § 137 Rn. 10 f.; v.Mangoldt/Klein-Starck Art. 4 GG Rn. 58 ff. 37 Ganz im Gegensatz zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7 zur Parallelproblematik der Leistungsverweigerung bei Einberufung zum ausländischen Wehrdienst. 38

Zur allgemeinen Bedeutung der Grundrechte im Rahmen von § 315 BGB vgl. Söllner, Einseitige Leistungsbestimmung, S. 134 f. 39

Vgl. zur Problematik ausführlich unten § 3 IV 1 c). Wobei man freilich mit Recht fragen mag, ob diese Prognose tatsächlich für die Begründung eines Leistungsverweigerungsrechts nutzbar zu machen ist oder ob sie nicht vielmehr aus der Situation der Kündigungsschutzklage heraus erklärbar und letztlich nichts anderes als das im Kündigungsschutzrecht bekannte Prognoseprinzip (vgl. allgemein Preis, Prinzipien, S. 322 ff.) ist. 40

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Leistungsverweigerungsrechts tragfähig sind, bedarf der eingehenden Erörterung an späterer Stelle.41

3. Die BAG-Entscheidung vom 24.5.1989 Eine neue Konstellation von Gewissenskonflikten begegnet schließlich in einer Entscheidung vom 24.5.1989.42 Das BAG hatte über die Kündigungsschutzklage eines Pharma-Mitarbeiters zu befinden, der mit der Entwicklung eines Medikaments zur kurzfristigen Unterdrückung der Symptome von Strahlenerkrankungen befasst war. Als möglicher Anwendungsbereich kam dabei zum einen der zivile Einsatz im Rahmen von Strahlentherapien in Betracht. Zum anderen wurde durch den Hersteller ausdrücklich auch der militärische Einsatz genannt, bei dem das Medikament im Falle eines Nuklearkrieges die Kampffähigkeit der Soldaten auch nach einer Strahlenerkrankung kurzfristig erhalten könne. Der Kläger verweigerte mit Blick auf die mögliche militärische Verwendung die weitere Entwicklung des Medikaments aus Gewissensgründen und wurde daraufhin ordentlich gekündigt. Ansatzpunkt der Argumentation des BAG in den Urteilsgründen ist die Feststellung, der Kläger sei „durch einen in seiner Person liegenden Grund gehindert [gewesen], die ihm von der Beklagten zugewiesene Arbeit zu verrichten“. Die Formulierung entstammt – ohne dass das Gericht näher darauf Bezug nimmt – § 616 BGB. Auf diese Verknüpfung wird zurückzukommen sein.43 Die Arbeitsverweigerung als solche sei – so das BAG weiter – jedoch dann nicht geeignet, eine Kündigung44 sozial zu rechtfertigen, wenn die Weisung des Arbeitgebers, die verweigerte Tätigkeit auszuführen, schon die Grenzen seines Direktionsrechts überschritten habe. Diese Grenzen ergäben sich vorliegend aus § 315 BGB i.V.m. Art. 4 GG.45 Der Kläger habe nämlich einen Gewissenskonflikt offenbart, so dass die grundrechtlich verbürgte Gewissensfreiheit entscheidend in die inhaltliche Ausfüllung des Begriffs der „Billigkeit“ in § 315 BGB (seit 1.1.2003 auch § 106 GewO) einfließen müsse.  41

Vgl. ausführlich unten § 3 II 2 c) bb) (1.). BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 43 Vgl. ausführlich zur Funktion des § 616 BGB unten § 3 IV 1. 44 Gemeint ist eine verhaltensbedingte Kündigung wegen grundloser Arbeitsverweigerung, vgl. dazu BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 347; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 630 ff. 42

45

Ein geeigneter – spezifisch arbeitsrechtlicher – Anknüpfungspunkt wäre in Weiterführung dieser Auffassung seit 1.1.2003 § 106 GewO.

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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Es sei daher nicht entscheidend, ob eine nach Unmöglichkeitsrecht abzuwickelnde Leistungsstörung vorliege. § 315 BGB nehme in jedem Fall eine vorrangig zu berücksichtigende Beschränkung des Weisungsrechtes vor. Trotz dieser Feststellung führt das Gericht unmissverständlich aus, die Annahme einer „absoluten Unmöglichkeit“ könne „bei besonderen Fallkonstellationen dem zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Konflikt nicht gerecht werden“, und führt als Beispiel Übergangsarbeiten an, deren Vornahme dringend geboten sei. Für die in solchen Konstellationen angebrachte Interessenabwägung sei bei konsequenter Anwendung des Unmöglichkeitsrechts kein Raum. Bezugnehmend auf die gegenteilige Stellungnahme der Berufungsinstanz46 bestätigt das BAG im folgenden seine bisherige Rechtsprechung,47 der Gewissensbegriff sei rein subjektiv, also allein aus Sicht des betroffenen Arbeitnehmers zu konkretisieren. Ebenso bestätigt das Gericht die in die Interessenabwägung einzubeziehenden Kriterien, die es in der „Zweiten Druckerentscheidung“ entwickelt hatte: die Vorhersehbarkeit des Gewissenskonflikts, aktuelle betriebliche Erfordernisse und die Wiederholungswahrscheinlichkeit gleichartiger Konflikte. Insbesondere die Relevanz einer Vorhersehbarkeit des Konfliktes wird betont, sogleich jedoch – in Abgrenzung zu Diederichsen48 und Herzog49 – eine absolute Bedeutung des Kriteriums zurückgewiesen. Abschließend sei noch hervorgehoben, dass ein Annahmeverzug des Arbeitgebers i.S.v. § 615 BGB unter Verweis auf § 297 BGB verneint wird. Der Arbeitnehmer sei in einem Gewissenskonflikt „außerstande“, die Arbeitsleistung zu erbringen. Insoweit erfolgt trotz der grundsätzlichen Ablehnung einer Lösung über Unmöglichkeitsrecht doch bemerkenswerterweise eine partielle Anwendung von Vorschriften, die an sich die Unmöglichkeit der Leistungserbringung voraussetzen. Die Entscheidung bestätigt im Wesentlichen die hier schon dargestellte Entscheidung vom 20.12.1984.50 Nicht nur der subjektive Gewissensbegriff, sondern auch die Verortung des Leistungsverweigerungsrechts im Rahmen der arbeitsrechtlichen Billigkeitskontrolle und die in der „Zweiten Druckerentscheidung“ aufgestellten Kriterien der Interessenabwägung werden fortentwickelt. Überhaupt gelingt es dem BAG mit der vorgestellten Entscheidung erstmals, Ansätze für eine konsistente Dogmatik der Leistungsverweigerung infol 46

LAG Düsseldorf v. 22.4.1988 – 11 Sa 1349/87 n.v. BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27. 48 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (40). 49 Maunz/Dürig-Herzog Art. 4 GG Rn. 147. 50 BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27. 47

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

ge ideeller Unzumutbarkeit konsequent über den Rahmen einer Einzelentscheidung hinaus fortzuentwickeln. Neu und für die weiteren Betrachtungen vielversprechend sind insbesondere zwei Aspekte: Zum einen wird – wie schon dargestellt – für die Begründung des Leistungsverweigerungsrechts auf die aus § 616 BGB bekannte Formulierung Bezug genommen. Damit wird auf einen engen systematischen Zusammenhang des entwickelten Leistungsverweigerungsrechts mit der Regelung in § 616 BGB hingewiesen, freilich ohne dass dieser Gedanke näher dargelegt wird. Dennoch ist die – bewusste oder unbewusste – Bezugnahme auf die Vorschrift bemerkenswert, weist sie doch deutlich auf das bemerkenswerte Problem hin, wie sich das praeter legem entwickelte Leistungsverweigerungsrecht – und ebenso im neuen Leistungsstörungsrecht die Regelung in § 275 III BGB – zu dieser Vorschrift verhält.51 Zum anderen wird nochmals mit großer Deutlichkeit eine Lösung in Anlehnung an das Recht der Unmöglichkeit zurückgewiesen. Scheinbar inkonsequent wird zugleich jedoch für die Folgefrage des Annahmeverzuges auf die – eigentlich Unmöglichkeit voraussetzende – Regelung des § 297 BGB verwiesen. Ob und wie dieser scheinbare Widerspruch aufzulösen ist, wird noch zu untersuchen sein.52

4. Stellungnahmen in der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichtsbarkeit In der Judikatur der ordentlichen Gerichtsbarkeit haben Gewissenskonflikte als Leistungshindernis eine deutlich geringere Rolle gespielt als in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Urteile des BGH sind zu der Thematik bislang – soweit ersichtlich – nicht ergangen. Auch die Oberlandesgerichte wurden nur selten mit derartigen Konstellationen befasst. Dennoch seien hier exemplarisch einige Urteile der Zivilgerichtsbarkeit dargestellt, welche den übergreifenden Charakter der Problematik und die Vielgestaltigkeit denkbarer Fälle exemplifizieren. So hatte des LG Heidelberg 1965 darüber zu entscheiden, ob ein Vermieter die Erfüllung eines Mietvertrages gegenüber einer als rechtsextrem einzustufenden politischen Organisation unter Berufung auf Gewissensgründe verweigern und von dem Mietvertrag zurücktreten kann.53 Das Gericht versagte dem Veranstalter einen Schadensersatzanspruch auf Ersatz der – infolge einer Verlegung der Veranstaltung – entstandenen Mehrkosten, da dem Vermieter wegen „echter Gewissensnot“ ein Rücktrittsrecht zur Seite gestanden habe. Dieses  51

Vgl. ausführlich unten § 3 IV 1 c) und § 10 IV. Unten § 15 II 4 b). 53 LG Heidelberg NJW 1966, 1922 mit Anm. Münzel. 52

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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finde seine Grundlage in dem „im Anschluss an § 242 BGB entwickelten Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit der Vertragserfüllung“.54 – Freilich ergibt sich schon aus den Urteilsgründen deutlich, dass hier wohl gerade kein wirklicher Gewissenskonflikt anzuerkennen war, sondern der Vermieter sich bei der Leistungsverweigerung äußerem Druck gebeugt hatte.55 Auch überzeugt die generelle Freistellung von Schadensersatzforderungen infolge der Leistungsverweigerung nicht: In einem wirklichen Gewissenskonflikt muss der Schuldner vielmehr bereit sein, auch Nachteile infolge der Gewissensbetätigung in Kauf zu nehmen.56 Eine gewisse Berühmtheit erlangten Anfang und Mitte der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts die sogenannten „Stromboykott-Fälle“, die sich dadurch auszeichneten, dass Bezieher von Strom unter Berufung auf ihr Gewissen die Bezahlung des Strombezuges verweigerten, soweit der bezogene Strom möglicherweise durch Kernenergie gewonnen worden war. In einer Reihe von Entscheidungen wurde den Strombeziehern ein Leistungsverweigerungsrecht aus Gewissensgründen teilweise zugestanden,57 ganz überwiegend jedoch mit unterschiedlicher Begründung abgelehnt.58 So führt das AG Hamburg aus, Art. 4 I GG gewähre ausschließlich ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat, das keinen Anspruch, etwa auf Unterlassen der Produktion von Atomstrom, begründen könne.59 Auch sei schon angesichts der Natur der geschuldeten Leistung – nämlich der Zahlung von Geld – keine Betroffenheit des Gewissens anzuerkennen.60 Damit ist ein Ansatzpunkt zur möglichen Eingrenzung der Vielzahl denkbarer Gewissenskonflikte angesprochen. Demgegenüber hielt das OLG Hamm seitens der Stromboykotteure das Grundrecht der Gewissensfreiheit für durchaus einschlägig.61 Als kollidierende Rechtsposition auf Seiten des Stromlieferanten machte es jedoch die durch Art. 2 I GG geschützte Unternehmerfreiheit aus, in die der Strombezieher durch die „Ausübung des Grundrechts der Gewissensverwirklichung im Wege der Stromrechnungskürzung“ eingreife und sie dadurch verletze. Die Grundrechtsausübung des Strombeziehers überschreite dadurch ihre verfassungsrechtlichen Grenzen. In den genannten Entscheidungen wird deutlich, dass die Pro 54 55 56

LG Heidelberg NJW 1966, 1922 (1923). Vgl. LG Heidelberg NJW 1966, 1922 (1924).

Vgl. ausführlich unten § 3 II 3 b) und Luhmann AöR 90, 257 (281 ff.). AG Gelsenkirchen-Buer KirchE 18, 442. 58 OLG Hamm NJW 1981, 2473; LG Dortmund NJW 1981, 764; AG Hamburg NJW 1979, 2315; AG Lörrach RdE 1988, 217. 59 AG Hamburg NJW 1979, 2315. 60 AG Hamburg NJW 1979, 2315: „Die Beklagten tragen nicht vor, daß das Zahlen von Geld gegen ihr Gewissen verstößt.“ 61 OLG Hamm NJW 1981, 2473. 57

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

blematik im Kern nicht zivilrechtlicher, sondern vielmehr verfassungsrechtlicher Natur ist. Die dargestellte zivilgerichtliche Judikatur dürfte die Fülle denkbarer Anwendungsfälle deutlich gemacht haben. Umso notwendiger erscheint es demnach, die dogmatischen Grundlagen im Spannungsfeld von Gewissensentscheidung und Vertragspflicht zu klären, um eine klare Abgrenzung zwischen leistungsrelevanten und irrelevanten Gewissensentscheidungen erarbeiten zu können.

5. Stellungnahmen in der Literatur Auch und gerade in der rechtswissenschaftlichen Literatur war die privatrechtliche Wirkdimension der Gewissensfreiheit Gegenstand intensiver Kontroversen. Nachdem Bosch und Habscheid,62 reagierend auf eine vorangegangene gesellschaftliche Debatte, die rechtswissenschaftliche Diskussion erstmals angestoßen und damit ein in der Literatur bislang kaum beachtetes Problemfeld aufgezeigt hatten, vollzog sich die Diskussion im wesentlichen in drei Wellen: Im Anschluss an Bosch und Habscheid in den fünfziger Jahren, in den siebziger und frühen achtziger Jahren und schließlich erneut Anfang der neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts.63 Seither ist die Diskussion – ohne dass sich eine wirklich „herrschende“ Meinung herausgebildet hatte – ein wenig erlahmt und hat erst durch die Neuregelung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes neue Nahrung erhalten.64 Es lassen sich insgesamt fünf Grundpositionen in der rechtswissenschaftlichen Literatur ausmachen, die zumindest in ihren Extrempositionen in einem kaum zu überbietenden Maße divergieren. Zunächst genannt sei jene Position, die eine Relevanz der Gewissensfreiheit im Privatrecht schlechthin negiert.65 Dem steht – als extreme Gegenposition – eine Auffassung entgegen, die darauf beharrt, zumindest im Arbeitsrecht die Grundrechte und damit auch die Gewissensfreiheit als unmittelbar wirkende Schranke vertraglicher Pflichten anzuer 62

Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 ff. Vgl. Konzen/Rupp, Gewissenskonflikte, S. 5. 64 Vgl. nun AnwK-Dauner-Lieb § 275 Rn. 19; ErfK-Preis4 § 611 BGB Rn. 849; Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, S. 155 f.; Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 136, 199, 447; Olzen/Wank, Schuldrechtsreform, Rn. 135; Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 115 f.; Dedek, in: Henssler/v.Westphalen § 275 Rn. 36; Henssler RdA 2002, 129 (131); Fischer DB 2001, 1923 (1926). 65 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (60 f.); Wieacker JZ 1954, 466 ff. 63

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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kennen.66 Gleiches müsste dann wohl auch für andere Vertragsverhältnisse gelten, die – wie der Arbeitsvertrag – durch ein wesentliches strukturelles Ungleichgewicht der Vertragsparteien gekennzeichnet sind.67 Zuletzt genannt seien drei vermittelnde Positionen: Ihnen gemeinsam ist die Anerkennung einer „Unzumutbarkeit“ der Leistungserbringung bei Gewissenskonflikten. Die rechtliche Einordnung dieser Fälle divergiert jedoch deutlich: Die eine Auffassung wollte die „Unzumutbarkeit“ der Unmöglichkeit gleichstellen und unter dem Regime des alten Schuldrechts ein Erlöschen der Leistungspflicht gemäß § 275 II BGB a.F. annehmen.68 Dabei war wiederum umstritten, ob sich dieses Erlöschen ipso iure oder aber einredeweise vollziehen sollte.69 Die wohl überwiegende Auffassung in der Literatur befürwortete demgegenüber, die Unzumutbarkeit infolge eines Gewissenskonfliktes als Fall unzulässiger Rechtsausübung einzuordnen und dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht mit Einredecharakter auf Grundlage des § 242 BGB zu gewähren.70 Schließlich wurde auch – dem BAG insoweit folgend71 – das Problem über eine Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB gelöst und somit das Gewissen als Grenze des einseitigen Leistungsbestimmungsrechts des Gläubigers betrachtet.72 Die Ausführungen zur letztgenannten Auffassung lassen sich im arbeitsrechtlichen Kontext insoweit auf das seit 1.1.2003 spezialgesetzlich normierte Direktionsrecht des Arbeitsgebers (§ 106 GewO) übertragen. Die Frage nach der dogmatischen Einordnung könnte sich allerdings durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz erledigt haben: § 275 III BGB nämlich beschreitet insofern einen Mittelweg, als er ein Leistungsverweigerungsrecht mit Einredecharakter statuiert, dieses jedoch durch die Einordnung in § 275  66 Mayer JZ 1985, 1111 ff.; ders. ArbuR 1990, 267 ff.; Mayer-Maly JZ 1990, 142 f.; Preuß ArbuR 1986, 382 ff.; mit ähnlicher Tendenz Grabau BB 1990, 1257 (1259 f.); vgl. auch allgemein Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 285 ff.; Ramm, Freiheit der Willensbildung, S. 51 ff. 67

Die Uneingrenzbarkeit hinreichend intensiver Über- und Unterordnungsverhältnisse ist denn auch ein entscheidendes Argument gegen die Anerkennung einer unmittelbaren Drittwirkung; vgl. ausführlich unten § 9 III 2 a) aa). 68

Kohte NZA 1989, 161 (164 ff.); Wendeling-Schröder BB 1988, 1742 (1746) m.w.N. Vgl. Ackermann, Nichtzumutbarkeit der Leistung, S. 15 f.; Kohte NZA 1989, 161 (165); Scheschonka, Gewissensnot, S. 32 ff. m.w.N. 69

70 Henssler AcP 190 (1990), 538 (545 ff.); ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 970 ff.; ähnlich Brox Anm. zu BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 136, 447; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 482. 71 Vgl. BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; ausführlich oben § 3 I 2 und 3. 72 Bydlinski SAE 1991, 6 (8); ähnlich jetzt noch Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 199.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

BGB dem Unmöglichkeitsrecht nahe stellt.73 Dennoch bleibt – wie schon eingangs dargestellt – angesichts der unbestimmten Fassung des Gesetzeswortlautes und der Unklarheiten in der Regierungsbegründung74 die Frage offen, ob Gewissenskonflikte wirklich dieser neuen Vorschrift unterfallen sollen. Grundlage für die Beantwortung dieser Frage kann nur der vom Gesetzgeber ausdrücklich in seinen Willen aufgenommene Meinungsstand vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes sein.75 Vorrangig zu klären bleibt freilich die grundlegende Frage nach der Einwirkung der Gewissensfreiheit auf zivilrechtliche Rechtsbeziehungen. Um diese Frage beantworten zu können, müssen zunächst die kolliderenden Rechtspositionen von Leistungsschuldner und -gläubiger betrachtet werden.

II. Die kollidierenden Rechtspositionen Schon der bisherige Gang der Darstellung dürfte die beiden miteinander in Konflikt tretenden Rechtspositionen im Grundsatz verdeutlicht haben: Seitens des Gläubigers ist in jedem Fall der vertraglich begründete Anspruch auf die geschuldete Leistung betroffen; seitens des leistungspflichtigen Schuldners seine grundrechtlich verbürgte Freiheit der Gewissensentscheidung und -betätigung. Art. 4 I GG scheint somit – angesichts der bekannten Normenhierarchie zwischen einfachem Recht und Verfassungsrecht76 – eine Wertentscheidung zugunsten des Gewissens und damit zulasten der Leistungspflicht zu treffen. Mit dieser Feststellung sind jedoch zahlreiche grundlegende Problemkomplexe unmittelbar verknüpft: Kann sich der Schuldner überhaupt seinem Gläubiger gegenüber auf die Gewissensfreiheit berufen oder wirkt die Gewissensfreiheit nicht vielmehr allein gegenüber dem Staat?77 Wie ist der von vielen als aus 73 Die Regierungsbegründung ordnet die Fälle der Abs. 2 und 3 von § 275 BGB auch dem Begriff der Unmöglichkeit unter, vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte; ebenso Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, S. 155; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 480 („persönliche Unmöglichkeit“) und Emmerich, Leistungsstörungen, S. 46 („sittliche Unmöglichkeit“). Vgl. ausführlich unten § 10 I sowie § 12. 74

Vgl. näher unten § 12 Fn. 14. Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte Abs. 3. Hier wird auf die – nach Ansicht des Gesetzgebers – in der BAG-Entscheidung AP § 123 BGB Nr. 23 zur Parallelproblematik der Einberufung zum ausländischen Wehrdienst vorgenommene Einordnung in das Unmöglichkeitsrecht rekurriert. Vgl. dazu kritisch Richardi NZA 2002, 1004 (1005). 75

76

Vgl. nur Preis, Individualarbeitsrecht, S. 109 ff., 119 ff. Umfassend zur privatrechtlichen Wirkdimension der Grundrechte jüngst Langner, Geltung der Grundrechte, S. 38 ff.; v.Münch, in: v.Münch/Coderch/Ferrer i Riba, Drittwirkung, S. 7 ff. 77

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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ufernd kritisierte78 Gewissensbegriff zu konkretisieren und eventuell einzugrenzen?79 Wie kann die innere Gewissensentscheidung objektiv nachvollziehbar und gerichtlich kontrollierbar gemacht werden?80 Welche Auswirkungen haben schließlich die verfassungsrechtlichen Mechanismen zur Lösung von Grundrechtskollisionen auf die im einfachen Recht anzustellenden Abwägungsvorgänge?81

1. Grundfrage: Relevanz der Gewissensfreiheit im Privatrecht Auch nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes ist die grundlegende Fragestellung, ob der Gewissensfreiheit in privatrechtlichen Rechtsbeziehungen eine eigene, die Vertragstreue im Einzelfall durchbrechende Kraft zukommt, weiterhin relevant: Ergäbe sich nämlich, dass aufgrund vorrangiger Erwägungen die Freiheit des Gewissens dem Schuldner im Verhältnis zu seinem Gläubiger gar nicht zur Seite steht, so wären alle Folgefragen nach der rechtlichen Behandlung der Problematik und ihrer Einordnung in die Systematik des Leistungsstörungsrechts obsolet. Die Fragestellung verweist zudem über den Bereich der Gewissensfreiheit hinaus auf die zivilrechtliche Wirkdimension der Grundrechte insgesamt und damit auf ein viel diskutiertes und kaum abschließend zu lösendes Grundproblem unserer Rechtsordnung.82

a) Stärkere Gewichtung der Vertragstreue Der Gedanke, Gewissenskonflikte nur sehr eingeschränkt als Leistungsverweigerungsgrund anzuerkennen, kam schon früh als Reaktion auf die befürwortende Stellungnahme von Bosch und Habscheid83 auf. Wieacker84 stimmt Bosch und Habscheid zunächst dahingehend zu, dass bei Gewissenskonflikten eine Berufung auf § 138 BGB unzulässig sei, weil jene Vorschrift ausschließlich die allgemein anerkannte und geltende „Fundamentalordnung“ in Bezug nehme und damit für individuelle – etwa religiös oder weltanschaulich motivierte –  78

Vgl. Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (39). Unten § 3 II 2 b) und c). 80 Unten § 3 II 3. 81 Unten § 3 II 2 c) bb) und § 9 III 2 b) – 4. 82 Vgl. statt vieler BVerfGE 7, 198 („Lüth“); Canaris AcP 184 (1984), 201 ff.; Hager JZ 1994, 373 ff.; Zöllner AcP 196 (1996), 1 ff. 79

83 84

Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 ff.; vgl. auch dies. JZ 1956, 297. Wieacker JZ 1954, 466 ff.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Wertvorstellungen keinen Raum lasse. Nur vereinzelt – in besonders personal determinierten Rechtsverhältnissen, wie etwa der Ehe oder bei der Anfechtung letztwilliger Verfügungen – gestatte die Rechtsordnung den Rückgriff auf individuelle Wertvorstellungen.85 Auch die Fälle der subjektiven Geschäftsgrundlage86 und der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums ordnet Wieacker hier ein. Bei Gewissenskonflikten komme eine Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums durchaus in Betracht und ermögliche auch in der Rechtsfolge mit dem Ersatz des Vertrauensschadens nach § 122 BGB einen durchaus angemessenen Interessenausgleich.87 Demgegenüber sei im Rahmen allgemeiner Kategorien, etwa „Treu und Glauben“, der „guten Sitten“, der „Unverhältnismäßigkeit“ oder dem „billigen Ermessen“, nur für „allgemeinmenschliche Maßstäbe“ Raum.88 Gleiches gelte auch für die „Unzumutbarkeit der Leistung, die der Unmöglichkeit gleichgestellt ist (§ 275 BGB)“.89 Erwogen als Rechtsgrundlage für die Lösung von Gewissenskonflikten wird auch eine Rechtsanalogie zu § 321 BGB, aber – ebenfalls mit Blick auf die fehlende Relevanz individueller Wertmaßstäbe – verworfen.90 Eine Leistungsverweigerung komme mithin immer nur dann in Betracht, wenn das allgemeine Sittengesetz eine Leistungsverweigerung fordere, also allgemein anerkannte Gewissenskonflikte in Rede stehen. Als Beispiel nennt Wieacker den Komiker, dem es nach allgemeinen Wertmaßstäben nicht zugemutet werden könne, nach dem Tod seines Kindes eine Vorstellung zu geben. Hier eine fortbestehende Leistungspflicht anzunehmen, müsse „jedes menschliche Empfinden unerträglich finden“. Gleiches solle für die Freistellung Geistlicher vom Dienst an der Waffe gelten. Abgestellt wird damit für die Anerkennung einer privatrechtlichen Relevanz des Gewissens auf die Perspektive eines außenstehenden, objektiven Dritten, der sich gerade nicht zu der vorgebrachten Weltanschauung oder Gewissenshaltung bekennt: Nur wenn dieser objektive Dritte anerkenne, dass die Aufrechterhaltung der Leistungspflicht den Schuldner in einen unerträglichen, „der Menschenwürde hohnsprechenden Widerspruch bringen würde“, könne die Leistungspflicht auf Grundlage der genannten objektiven Bestimmungen entfallen.91 Die Vorhersehbarkeit des Gewis 85

Wieacker JZ 1954, 466. Vgl. grundlegend Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 170 f. 87 Wieacker JZ 1954, 466; ähnlich (für analoge Anwendung von § 122 BGB) StaudingerWeber11 § 242 Rn. B 617 f.; Brecher, Festschrift Nipperdey II (1965), S. 52; dagegen Scheschonka, Gewissensnot, S. 132 ff. m.w.N. sowie schon Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 (214); Habscheid JZ 1964, 247. 88 Wieacker JZ 1954, 466 f. 89 Wieacker JZ 1954, 466 (467). 90 Wieacker JZ 1954, 466 (467). 86

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Wieacker JZ 1954, 466 (467). Die Bezugnahme auf einen außenstehenden objektiven Dritten stellt bei näherer Betrachtung letztlich nichts als eine bloße Fiktion dar, da niemand

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senskonfliktes beim Vertragsschluss lasse demgegenüber in jedem Fall die Berufung auf den Gewissenskonflikt als rechtsmissbräuchlich erscheinen. Auch der Schuldner sei insofern an § 242 BGB gebunden und setzte sich dem Einwand widersprüchlichen Verhaltens aus.92 Bosch und Habscheid wirft Wieacker im Kern vor, dass sie generell der „Gewissenspflicht den Vorrang vor der Leistungspflicht“ gäben.93 Dies sei ein Missverständnis, begünstigt durch Kants Naturrechtskritik, den Positivismus und eine im Frühkapitalismus berechtigte Gesellschaftskritik. Ein derartiger Vorrang der Gewissensfreiheit vor der Vertragspflicht könne jedoch zumindest im modernen Sozialstaat nicht mehr gelten, da dieser sich ohnehin um angemessenen Interessenausgleich bemühe. Das Gebot der Vertragstreue sei in diesem Zusammenhang nichts anderes als „die Bewährung der höchsten persönlichen Rechtstugend der Verlässlichkeit“ und Ausprägung des kategorischen Imperativs.94 Wieacker macht also deutlich, dass er in klarer Abgrenzung zur Gegenauffassung von Bosch und Habscheid95 der Vertragstreue grundsätzlich einen unbedingten Vorrang vor einer rein subjektiven Gewissensentscheidung einräumen möchte.

b) Gewissensbetätigung als „Hass gegen das Gesetz“ Noch zugespitzt wird diese Position von Diederichsen96 vertreten. An einigen Beispielen stellt er eindringlich dar, dass ein konsequent auf die Spitze getriebener Leistungsverweigerungsgrund der Gewissensnot in eine ausweglose Rechtsunsicherheit führen müsse: Die Leistungspflichten, bei denen eine Leistungsverweigerung aus Gewissensnot in Betracht komme, seien „offensichtlich unbegrenzt“: Potentiell gewissensbezogen seien nicht nur Arbeitsverträge, sondern ebenso Kauf- und Werkverträge, Mietverträge, Darlehensverträge, darüber hinaus auch nicht vertragliche Pflichten wie familien- und erbrechtliche Rechtsbeziehungen oder sogar dingliche Herausgabeansprüche.97  sich einer positiven oder negativen Vorprägung durch gesellschaftliche Einflüsse in derartigen „Gewissensfragen“ entziehen kann. Eine wirklich objektive Sicht auf einen Gewissenskonflikt dürfte damit höchst selten denkbar sein. 92

Wieacker JZ 1954, 466 (467). Wieacker JZ 1954, 466 (467 f.). 94 Wieacker JZ 1954, 466 (468). 95 Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 ff. 96 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 ff. 97 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 38 f. 93

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Auch seien Gewissenskonflikte keineswegs nach ihrem Ursprung eingrenzbar: Ein Gewissenskonflikt könne aus einer im Widerspruch zum eigenen Gewissen stehenden vertraglichen Selbstverpflichtung des Schuldners, ebenso jedoch aus einem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht des Gläubigers resultieren. Das Gewissensproblem könne also „überall auftreten“.98 Nur in einer Hinsicht sei eine Eingrenzung möglich: Der Gewissenskonflikt müsse im Erfüllungsstadium auftreten; bestände er schon bei Vertragsschluss, so sei – abhängig von dem Grad der Gewissensnot – entweder schon der Vertrag nach § 138 BGB nichtig oder aber dem Schuldner die Berufung auf den Gewissenskonflikt wegen widersprüchlichen Verhaltens verwehrt. Ein Recht zur Leistungsverweigerung sei in diesen Fällen undenkbar. Allein die bloße Vorhersehbarkeit des Konflikts genüge, um eine Berufung hierauf wegen widersprüchlichen Verhaltens generell auszuschließen.99 Diederichsen verweist – Bezug nehmend auf Dürig100 – darauf, dass es sich letztlich um einen verfassungsrechtlichen Konflikt handele. Anerkannt sei mittlerweile, dass mit der aus der Menschenwürde fließenden Freiheit auch jene Freiheit verbunden sei, auf der Ebene vertraglicher Gleichordnung „unter seinesgleichen“ von bestimmten Ausprägungen der Freiheit keinen Gebrauch zu machen. Aus der Drittwirkung der Grundrechte könne also kein Argument für oder gegen die Relevanz des Gewissens in privatrechtlichen Rechtsbeziehungen gezogen werden; es komme lediglich eine „zivilrechtimmanente Korrektur“ in Betracht.101 Mit Bedauern konstatiert Diederichsen ein fast einmütiges Bekenntnis der rechtswissenschaftlichen Literatur zur Anerkennung einer Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen. Dabei sei schon der verbreitete Lösungsansatz, die Problematik in § 242 BGB zu verorten und dies mit einem Erst-Recht-Schluss aus der Lehre von der Geschäftsgrundlage zu begründen,102 verfehlt.103 Auch  98

Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 39. Bei Vorhersehbarkeit des Gewissenskonflikts „verdient [der Schuldner] nach unserer Rechtsordnung keinen Schutz“; Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 61. Diederichsen stellt hierfür entscheidend auf das – seiner Ansicht nach – widersprüchliche Verhalten des Schuldners ab (a.a.O., S. 40). Vgl. zur Problematik ausführlich unten § 3 II 2 c) bb) (1.) (b) sowie § 9 III 5. 99

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Dürig, Festschrift Nawiasky (1956), S. 157 (159). Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (42). 102 Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 ff.; später ähnlich Henssler AcP 190 (1990), 538 ff. 103 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (43): Voraussetzung eines derartigen argumentum a maiore ad minus sei, dass tatsächlich ein solches Verhältnis zwischen den Tatbeständen bestehe; zwischen materiellen und immateriellen Interessen bestehe jedoch ein aliud-Verhältnis. Keineswegs könne man zwischen materiellen und ideellen Positionen eine Rangordnung erkennen. Im übrigen werde durch die Anerkennung dieses Erst-Recht101

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die Einordnung in das Recht der Unmöglichkeit, wie zuerst von Blomeyer104 vorgenommen, lehnt der Verfasser ab: Kennzeichnend für Unmöglichkeit sei, dass eine zwanghafte Hinderung vorliege, die vertraglich geschuldete Leistung zu verrichten. Bei Gewissenskonflikten sei dies jedoch nicht der Fall; Gewissensnot zeichne sich gerade dadurch aus, dass sie den Schuldner in einen inneren Konflikt stoße. Im deutlichen Gegensatz zur Unmöglichkeit sei diese Konstellation gerade dadurch charakterisiert, dass dem Schuldner die Entscheidung nicht aus der Hand genommen sei, sondern er sich vielmehr in einer zugespitzten Entscheidungs- und Konfliktsituation befinde.105 Überdies verstricke sich eine Lehre, welche die Gewissensnot als Leistungsverweigerungsgrund anerkennt, in erhebliche „Wertungswidersprüche“, wenn sie zunächst die Leistungspflicht entfallen lasse, sodann aber Schadensersatzansprüche an dasselbe seelische Phänomen knüpfe, das zuvor, positiv als „Unzumutbarkeit“ bewertet, die Leistungspflicht habe entfallen lassen. Gleiches gelte auch, wenn man den Schadensersatzanspruch an die unterbliebene Aufklärung des Vertragspartners über einen absehbaren Gewissenskonflikt knüpfe und den Schuldner aus culpa in contrahendo haften lasse. Die Gewissensentscheidung könne nicht als „juristisch förderungswürdiger“ Leistungsverweigerungsgrund anerkannt und zugleich als Schadensersatzansprüche auslösende „culpa“ gewertet werden. Die Anerkennung des Gewissens als Leistungsverweigerungsrecht werde damit als bloßes Scheinprivileg entlarvt.106 Ein Argument gegen die Anerkennung des Gewissens als eines materiellrechtlich wirkenden Leistungsverweigerungsgrundes ergebe sich überdies aus § 888 ZPO: Hier werde die Erwirkung unvertretbarer Handlungen im Wege „direkten Zwanges“ ausgeschlossen; dies setze aber zugleich voraus, dass es überzeugungswidrige Leistungsurteile durchaus geben könne.107 Das Gewissen müsse sich gerade „im Konflikt bewähren“; der Träger des Gewissens müsse bereit sein, Nachteile infolge der Gewissensbetätigung hinzunehmen.108 Gerade aus der Ernstnahme des Gewissens durch die Rechtsordnung folge somit, dass der die Leistung verweigernde Schuldner gleichwohl zur Leistung verurteilt werden müsse.

 Schlusses dem Schuldner die Möglichkeit gegeben, unter Berufung auf sämtliche immateriellen Interessen, etwa ein entstandenes Affektionsinteresse, die Leistung zu verweigern. 104 Blomeyer JZ 1954, 309 ff. 105 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (44). 106 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 45 f. 107 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 46 f. 108

Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 47 im Anschluss an Luhmann AöR 90 (1965), 257 (285 ff.) und Böckenförde VVDStRL 28, 33 (71).

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Es folgt eine Auseinandersetzung mit dem von Diederichsen als uferlos abgelehnten subjektiven Gewissensbegriff. Insbesondere kritisiert er, dass eine Unterscheidung zwischen echten und unechten Gewissensentscheidungen auf Grundlage des subjektiven Gewissensbegriffs unmöglich sei. Die „juristische Anerkennung des Individualgewissens“ müsse zwangsläufig zur Anarchie und Selbst-Aufhebung der Rechtsordnung führen.109 Das Gewissen schaffe sich autonom seine Normen selber, stelle sich über die Rechtsordnung.110 Das „eigentliche Wahrzeichen“ des Gewissens, so zitiert Diederichsen Hegel,111 sei damit der „Hass gegen das Gesetz“. Würde die Rechtsordnung das Individualgewissen als rechtlich relevante Kategorie anerkennen und eine derartige Haltung noch privilegieren, so setze sie sich zu sich selbst in Widerspruch. Auch einen denkbaren „Mittelweg“, das Gewissen immer dann als rechtlich bedeutsam anzuerkennen, wenn es einer gesellschaftlich allgemein anerkannten „Mindestethik“ entspreche,112 verwirft Diederichsen: Hier sei keine klare Abgrenzung möglich; auch dürfe es nicht sein, dass über das Gewissen der gläubigen Katholiken etwa das kanonische Recht und die Dogmen der katholischen Kirche Eingang in die säkulare Rechtsordnung fänden.113 Schließlich sei die Frage einer Kollision gleichberechtigter Gewissensentscheidungen beider Vertragsparteien auf dieser Basis nicht zu klären. Die Freiheit der Betätigung einer eigenen sittlichen Überzeugung müsse ihre Grenze immer an der Freiheit des sittlichen Handelns der anderen finden.114

c) Nur restriktive Anerkennung von Gewissensentscheidungen als Leistungshindernis Einen recht restriktiven Standpunkt bezieht schließlich auch Reuter.115 Bei oberflächlicher Lektüre könnte man durchaus den Eindruck gewinnen, er schließe sich der dargestellten Auffassung von der generellen Unbeachtlichkeit  109 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 50 ff. Dies begründet er unter Berufung auf Kant, der mit seiner berühmten Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität gerade diesen Konflikt zwischen sittlicher und rechtlicher Pflicht aufgezeigt habe. 110 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 54. 111 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 53 f.; vgl. Hegel, Philosophie des Rechts, S. 10. 112

Dafür noch Wieacker JZ 1954, 466 (467). Ähnlich schon Blomeyer JZ 1954, 309 ff. 114 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (60). 115 Reuter BB 1986, 385 (388). 113

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des Gewissens im Zivilrecht an.116 Dabei äußert er sich lediglich kritisch zu der „Zweiten Druckerentscheidung“ des BAG vom 20.12.1984117 und verneint das Vorliegen einer Gewissensentscheidung im konkreten Fall. Ebenso zieht er die Tragfähigkeit des vom BAG gewählten dogmatischen Ansatzes in Zweifel. Gegen die dogmatische Verankerung in § 315 BGB wendet er ein, diese Konstruktion passe nicht, da § 315 BGB lediglich eine widerlegliche Vermutung für eine Parteivereinbarung darstelle, die angesichts des fehlenden Arbeitgeberinteresses, sein Direktionsrecht einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle zu unterwerfen, widerlegt sei.118 Die Kontrolle des Direktionsrechts müsse daher auf eine von der Auslegungsregel in § 315 I BGB und damit von dem Parteiwillen unabhängige dogmatische Grundlage gestellt werden. Reuter beschreibt im folgenden die Entscheidung des BAG als eine Kehrtwende in der Frage der Drittwirkungsproblematik: Das BAG habe sich mit dieser Entscheidung eindeutig von seiner bisherigen Ansicht einer unmittelbaren Grundrechtsgeltung im Privatrecht abgewandt und der herrschenden Auffassung der „mittelbaren Drittwirkung“ angeschlossen.119 Kern seiner Kritik ist jedoch der seiner Ansicht nach ausufernd weite Gewissensbegriff des BAG. Insoweit folgt er in der Tat ein Stück weit Diederichsen, verharrt jedoch nicht bei dessen Klage über die anscheinende Uferlosigkeit des Gewissensbegriffs, sondern schlägt eine konkrete Eingrenzung auf „echte“ Gewissensentscheidungen vor. Entgegen der überwiegenden Meinung, die eine objektive Überprüfung von Gewissensentscheidungen aufgrund der Natur des Gewissens ausschließe,120 sei nicht jeder beliebigen Entscheidung die Qualität einer Gewissensentscheidung beizumessen. Ein wirklicher Gewissenskonflikt könne nämlich nur dann vorliegen, wenn „jemandem die Identifikation mit einem von ihm aus ethischen oder weltanschaulichen Gründen abgelehnten oder die Distanzierung von einem von ihm aus ethischen oder weltanschaulichen Gründen für richtig gehaltenen Standpunkt abverlangt wird“.121 Dies sei in der Konstellation der „Zweiten Druckerentscheidung“ nicht der Fall gewesen, da die Tätigkeit eines Druckers diesem keinesfalls eine Identifizierung mit dem Inhalt des gefertigten Druckerzeugnisses abverlange. Als Argument dafür führt er an, dass nach herrschender Auffassung der Drucker infolge seiner nicht tendenz- oder inhaltsbezogenen, rein mechanischen Tätigkeit  116 So wird er auch – unzutreffend – als Vertreter dieser Auffassung benannt, vgl. Henssler AcP 190 (1990), 538 (541 Fn. 13). 117

BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; vgl. oben § 3 I 2. Reuter BB 1986, 385. 119 Reuter BB 1986, 385 (386). 120 Vgl. Böckenförde VVDStRL 28, 33 (70) m.w.N. 121 Reuter BB 1986, 385 (389). 118

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auch kein Tendenzträger i.S.v. § 118 BetrVG sei. Daher könne bei einem Drucker per se keine Gewissensentscheidung vorliegen, wenn die Entscheidung für eine Arbeitsverweigerung durch den Inhalt des Druckerzeugnisses motiviert sei.122 Für „echte“ Gewissenskonflikte, die der dargestellten Formel Reuters genügen, konstatiert er zunächst im Anschluss an Diederichsen,123 diese Gewissensentscheidungen müssten sich „im Konflikt bewähren“, der betroffene Arbeitnehmer müsse zur Hinnahme „lästiger Alternativen“124 bereit sein. In klarer Abgrenzung zur Auffassung Diederichsens hebt Reuter jedoch hervor, dass eine Bereitschaft zur Hinnahme nicht nur „lästiger“, sondern „unzumutbarer“ Alternativen nicht verlangt werden könne. Insbesondere eine außerordentliche oder auch nur ordentliche Kündigung infolge einer Gewissensentscheidung sei schlechthin unzulässig. Der einzige Nachteil, den Reuter dem Arbeitnehmer aufbürden möchte, ist der Verlust des Entgeltanspruchs gemäß § 323 I BGB [a.F., jetzt § 326 I BGB]. Damit erkennt Reuter die Relevanz von Gewissensentscheidungen an und geht, wenn er ein Kündigungsrecht infolge der Gewissensentscheidung schlechthin ausschließt, sogar weit über viele Autoren hinaus, die sich die ausdrückliche Anerkennung von Gewissensentscheidungen auf die Fahne geschrieben haben.125 Dass er lediglich für das Schicksal des Entgeltanspruchs die Gewissensentscheidung für unbeachtlich hält und infolgedessen die Sonderregelung in § 616 BGB nicht zur Anwendung bringen möchte, liegt ebenfalls auf der Linie der allermeisten expliziten Befürworter einer Relevanz von Gewissensentscheidungen.126 Der restriktive Standpunkt Reuters, der zu der eingangs erwähnten Fehldeutung Anlass gegeben haben mag, bezieht sich also allein auf eine reduktive Eingrenzung des Gewissensbegriffs und eine kritische Haltung zu der durch das BAG vorgeschlagenen dogmatischen Verankerung des Leistungsverweigerungsrechts in § 315 BGB.127  122

Reuter BB 1986, 385 (386). Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (47). 124 Vgl. grundlegend Luhmann AöR 90, 257 (283 ff.); ihm folgend Böckenförde VVDStRL 28, 33 (71). 123

125

Vgl. zum Meinungsstand unten § 17 II 1. Vgl. Reuter BB 1986, 385 (389 mit Fn. 59) und unten § 3 IV 1 e) aa). 127 In einer zweiten Stellungnahme [JuS 1990, 591] hingegen äußert sich Reuter wenige Jahre später gegenüber der Anerkennung von Gewissenskonflikten generell ablehnender. Hier pflichtet er Diederichsen und Wieacker insofern bei, als die „Verbindlichkeit von Verträgen aus den Angeln“ gehoben werde, wenn man die Relevanz von Gewissensentscheidungen anerkenne und zugleich eine objektive Überprüfung der Frage, ob überhaupt eine Gewissensentscheidung gegeben sei, ablehne. Letztlich stimmt dies mit seiner Stellungnahme von 1986 überein, wenn er dort gerade eine objektive Überprüfung des Vorliegens einer Gewissensentscheidung einfordert; nur weist er hier auf die denkbare Alternative einer generellen Unbe126

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d) Eigene Stellungnahme Insbesondere mit der dargestellten Extremposition Diederichsens ist eine fundamentale Frage für den Konflikt zwischen Vertragspflicht und Gewissenspflicht aufgeworfen: Kommt der grundrechtlich verbürgten Gewissensfreiheit überhaupt eine Bedeutung für privatrechtliche Rechtsbeziehungen zu oder ist sie in ihrer Wirksamkeit allein auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger zu beschränken? Die Grundrechte binden gemäß Art. 1 III GG primär die staatliche Gewalt.128 Dass die Gewissensfreiheit darüber hinaus auch den elementaren Freiheitsbereich einer Vertragspartei im Zivilrecht gewährleisten und damit zugleich den Freiheitsbereich der anderen Vertragspartei einschränken soll, ist – wie dargestellt – noch bis in die jüngste Vergangenheit hinein immer wieder in Zweifel gezogen, andererseits aber auch leidenschaftlich verteidigt worden.129 Die Anerkennung oder Ablehnung des Gewissens als Schuldbefreiungs- und Leistungsverweigerungsgrund hängt, dies dürfte die Darstellung des Meinungsspektrums ergeben haben, wesentlich von den Zeitumständen und den politischen wie weltanschaulichen Standpunkten des jeweiligen Autors ab. So ist nicht umsonst gerade 1970, in einer Zeit erheblicher innenpolitischer Unruhen, von Diederichsen die Gefahr der drohenden „Anarchie“ bei schrankenloser Anerkennung von Gewissensgründen plakativ beschworen und der Vertragstreue ein überragender Stellenwert zuerkannt worden.130 Andere Autoren hingegen begrüßten in jener Zeit ausdrücklich die verstärkte Bedeutung von Gewissensentscheidungen in der Rechtspraxis, da gerade hierin ein durch die Friedens- und Umweltschutzbewegung geschärftes Bewusstsein der Bevölkerung für die Bedeutung des Gewissens und den zivilen Ungehorsam zum Aus-

 achtlichkeit des Gewissens im Privatrecht hin. Eine deutliche Abweichung zu seiner Stellungnahme von 1986 ergibt sich bezüglich der Präjudizierung einer Kündigung: Hier konstatiert Reuter – jetzt in Übereinstimmung mit BAG und h.L. –, dass eine personenbedingte Kündigung bei der Arbeitsverweigerung aus Gewissensgründen in Betracht komme und zieht eine bemerkenswerte Parallele zur krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit: Der infolge Gewissensnot nicht zu beschäftigende Arbeitnehmer dürfe nicht besser behandelt werden als der infolge Krankheit arbeitsunfähige Arbeitnehmer. Auf diese – von Reuter klar erkannte – Parallele wird zurückzukommen sein (vgl. unten § 17 II 1 a) dd)). 128

Vgl. nur Canaris AcP 184 (1984), 201 (204). Vgl. nur Mayer-Maly JZ 1990, 142, der jeden Leugner der Privatrechtsrelevanz des Gewissens mit „Nietzsche und Hitler“ auf eine Stufe stellt. Freilich scheint auch er das Gewissen als rein außerrechtliche Kategorie begreifen zu wollen, wenn er es als „Schranke des Rechts“ charakterisiert. Damit wird auch er der wertsetzenden Entscheidung von Art. 4 I GG nicht gerecht. 130 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (50 ff.). 129

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druck komme.131 Selbst Böckenförde verweist in der Debatte um die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen auf die Auswirkungen der „von Gruppen der APO systematisch und mit zersetzender Absicht betriebenen politischen Propaganda für die Kriegsdienstverweigerung“.132 Es zeigt sich deutlich, dass gerade in den Stellungnahmen der Zeit nach 1968 mitunter politische Wertungen in den Vordergrund der Diskussion getreten sind und dadurch die Möglichkeit einer leidenschaftslos-juristischen Aufarbeitung der Thematik verdrängt haben. In juristischer Hinsicht begegnen einem Einfluss der Gewissensfreiheit auf privatrechtliche Rechtsbeziehungen im Wesentlichen drei Argumente: Zum einen die Befürchtung, eine weitgehende Anerkennung der Gewissensfreiheit im Privatrecht gefährde den Grundsatz pacta sunt servanda und die unbedingte Bindung an die Vertragstreue.133 Polemisch zugespitzt läuft dieses Argument darauf hinaus, „Anarchie“134 und eine „Selbstauflösung der Rechtsordnung“ zu prophezeien. Ein zweites Argument Diederichsens: Es stelle einen Wertungswiderspruch dar, zunächst ein Leistungsverweigerungsrecht zuzuerkennen, den Schuldner dann aber einem Schadensersatzanspruch des Gläubigers oder einer Kündigungsmöglichkeit auszusetzen.135 Drittens wird schließlich vorgebracht, das Gewissen müsse sich „im Konflikt bewähren“, also eine Verurteilung zur Leistung und bei beharrlicher Weigerung die hieran geknüpften Konsequenzen hinnehmen.136

aa) Vertragstreue Das Festhalten an der Vertragstreue hindert jedoch nicht zwingend an einer Anerkennung der privatrechtlichen Relevanz von Gewissensentscheidungen: In aller Regel handelt sich ja gerade nicht um Fälle, in denen bewusst vertraglich auf die Ausübung von Gewissensfreiheit verzichtet wurde. Es geht also nicht darum, den Schuldner von einer bewusst übernommenen Pflicht, gegen sein Gewissen zu handeln,137 zu entbinden, sondern darum, einen von den Parteien  131 Vgl. Mayer JZ 1985, 1111 ff.; ders. ArbuR 1990, 267 f.; ähnlich Preuß ArbuR 1986, 382 ff. 132 Böckenförde VVDStRL 28, 33 (72). 133 Schon Wieacker JZ 1954, 466 (467 f.); Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (50 ff.). 134

Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 50 ff. Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 45 f. 136 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 47 f. 137 Auf derartige Fälle wird noch einzugehen sein, vgl. ausführlich unten § 9 III 5. 135

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nicht bedachten, unvorhersehbaren oder zumindest nicht positiv vorhergesehenen Konflikt bei der Vertragsabwicklung zu lösen. Insoweit sind die typischen Fälle ähnlich denen der „Geschäftsgrundlage“.138 Mit dem pauschalen Verweis auf die Vertragstreue ist es daher nicht getan, insbesondere, da mit Blick auf die Gewährleistung in Art. 4 I GG die Vertragstreue keinesfalls einen unbedingten Vorrang vor der Gewissensfreiheit genießen kann. Vielmehr ist Art. 4 I GG als vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht allein verfassungsimmanenten Beschränkungen unterworfen.139 So kann im Einzelfall – wenn denn die Vertragstreue die konkrete Ausprägung eines anderen Verfassungsgutes ist – die Gewissensfreiheit durchaus gegenüber der Vertragstreue zurücktreten müssen. Es handelt sich angesichts des hohen verfassungsrechtlichen Ranges der Gewissensfreiheit dabei um verfassungsrechtliche Abwägungs- und Konfliktlösungsmechanismen, um praktische Konkordanz zwischen Verfassungsgütern.140

bb) Wertungswidersprüchlichkeit der Rechtsfolgen Dass ein Sachverhalt für den Schuldner zunächst positive Folgen hat, sich daran aber Schadensersatzansprüche knüpfen, ist dem bürgerlichen Recht nicht unbekannt und stellt keineswegs einen Wertungswiderspruch dar: Erinnert sei hier nur an die Regelung in § 122 BGB, die dem Schuldner, nachdem er sich von dem Vertrag hat lösen dürfen, gleichwohl einen Schadensersatzanspruch aufbürdet.141 Ähnliches ist aus dem Recht der Unmöglichkeit vertraut: Hier wird der Schuldner der unmöglich gewordenen Leistung zwar stets von seiner primären Leistungspflicht befreit, muss aber gleichwohl Schadensersatz leisten, sofern er das Unmöglichwerden zu vertreten hat. Dieses Phänomen resultiert daraus, dass anerkennenswerten Interessen immer auch gegenläufige Interessen des Vertragspartners entgegenstehen, die ebenfalls nach rechtlicher Anerkennung verlangen. Daher ist es nur ein vielfach gewähltes Mittel des gerechten  138

Vgl. oben § 2 II Böckenförde VVDStRL 28, 33 (46 ff.). 140 Den Gedanken der praktischen Konkordanz führt in diesem Zusammenhang schon Bydlinski SAE 1991, 6 (7) in die Diskussion ein; er möchte den „farblosen“ Begriff der Interessenabwägung hierdurch ersetzen und konkretisieren. Vgl. auch LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2; Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; Böckenförde NJW 2001, 723 (724); Muckel NJW 2000, 689 (691); kritisch Rüfner RdA 1992, 1 (3). 141 Vgl. Konzen/Rupp, Gewissenskonflikte, S. 168; Wieacker JZ 1954, 466. Auf Parallelen der Problematik zu § 122 BGB verweisen etwa auch Staudinger-Weber11 § 242 Rn. B 617 f.; Brecher, Festschrift Nipperdey II (1965) S. 52; dazu Scheschonka, Gewissensnot, S. 132 ff. m.w.N. 139

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Interessenausgleichs, zunächst aus überragenden Gründen einen Wegfall der Leistungspflicht anzuerkennen, sodann aber eine gegenläufige Schadensersatzpflicht zu statuieren.

cc) Der verfassungsrechtliche Rang der Gewissensfreiheit Ob der Schuldner sein Gewissen „im Konflikt bewährt“, ist eine andere Frage als jene, ob die Rechtsordnung ihm dabei zur Seite steht oder nicht. Es ist keinesfalls zwingend, zur Bewährung des Gewissens im Konflikt eine Verurteilung des Schuldners zu der gewissenswidrigen Leistung zu fordern. Diese Betrachtungsweise verkennt, dass der Konflikt nicht außerhalb, sondern innerhalb der Rechtsordnung aufbricht: Das Gewissen ist nämlich nicht – wie es Diederichsen offenbar annimmt142 – eine rein außerrechtliche Kategorie, die in rechtliche Kategorien keinen Eingang finden kann und sich daher im Konflikt mit der Rechtsordnung, ja mit dem Recht schlechthin, bewähren müsste. Das Gewissen ist vielmehr durch die hohe Gewichtung in Art. 4 I GG in die Rechtsordnung hineingenommen und mit dem höchstrangigen Stellenwert eines vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts ausgestattet worden.143 Die autonom geschaffenen Gewissensnormen sind durch Art. 4 I GG in die Rechtsordnung einbezogen und haben rechtliche Anerkennung gefunden. Es ist schon bezeichnend, dass Diederichsen diese verfassungsrechtliche Wertentscheidung kaum beachtet: Art. 4 I GG wird in seinem Beitrag – immerhin mit dem stattlichen Umfang von siebenundzwanzig Seiten – nur ein einziges Mal (und zwar ablehnend)144 zitiert. Wenn er überdies anführt, die „juristische Berücksichtigung des Individualgewissens wäre der Rechtsordnung widersprüchlich, weil sie zur Anerkennung der Anarchie führen würde“,145 treibt er seine bedenkliche These  142 Vgl. Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (48): „Die von der Rechtsordnung irgendwie verteilten materiellen Güter gehören der Seinswelt an, während das Gewissen seinen Sitz im Bereich der Ethik hat.“ 143 So weist denn auch Kohte [NZA 1989, 161 (166)] richtig darauf hin, dass eine Sichtweise wie die Diederichsens in einer grundrechtlich geprägten Rechtsordnung schlechthin nicht mehr akzeptabel sei. Es sei bezeichnend, dass Diederichsen nicht auf normative Wertungen, sondern auf die Staatsphilosophie Hegels abstelle. Zur Begründung der Relevanz von Persönlichkeitsrechten führt Kohte a.a.O. insbes. die Wertungen von § 75 II BetrVG, § 11 V AÜG und – rechtsvergleichend – § 24 VIII des österreichischen Universitätsorganisationsgesetzes ins Feld, nach dem Universitätsangehörige nicht zu gewissenswidrigen Arbeiten herangezogen werden und ihnen aus einer hierauf gestützten Arbeitsverweigerung keine Nachteile entstehen dürfen. Außerdem nimmt er – unter Verweis auf das von Hans Jonas entwickelte „Prinzip Verantwortung“ (vgl. Kohte a.a.O., Fn. 65–68) – auf die sich wandelnde Verkehrsanschauung bei der Beurteilung von Gewissenskonflikten Bezug. 144 145

Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (59). Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (50).

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auf die Spitze: Denn durch das Grundgesetz wurde das Individualgewissen ja in höchstem Maße „juristisch berücksichtigt“ und sogar in den Rang eines vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts erhoben. Es wäre wohl etwas wirklichkeitsfremd anzunehmen, diese Wertentscheidung der verfassungsgebenden Gewalt habe unser Gemeinwesen geradewegs in die Anarchie geführt. Dafür ist – bislang jedenfalls – wenig ersichtlich.146 Gerade hieran zeigt sich, dass unsere freiheitliche Rechtsordnung mit der Anerkennung des Individualgewissens in Art. 4 I GG die partielle Durchbrechung ihrer selbst durch die individuelle Freiheit des Einzelnen bewusst in Kauf nimmt. Zugespitzt formuliert beinhaltet die Rechtsordnung damit ihre eigene In-Frage-Stellung durch autonom geschaffene Gewissensnormen. Dieses scheinbare Paradoxon löst sich auf, wenn man betrachtet, dass es ein allgemeines Charakteristikum der Verbürgung von Grundrechten und geradezu eine primäre Aufgabe des liberalen Rechtsstaats ist, der Macht des „Leviathan“ Staat147 durch einen eigenen staatlichen Rechtssetzungsakt Fesseln anzulegen. Die Stärke einer freiheitlichen Rechtsordnung erklärt sich gerade daraus, dass der Staat sich selbst Regeln vorgibt und in weiten Bereichen individuellen Interessen des Einzelnen gegenüber staatlichen Interessen den Vorrang einräumt.148 Alle Grundrechte stellen damit den Herrschaftsanspruch des Staates ein Stück weit in Frage und begründen eine Vorrangstellung des Individualinteresses gegenüber kollektiven Interessen. Ist darüber hinaus ein Grundrecht – wie die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Art. 4 I GG – schrankenlos konzipiert,149 so finden die in ihm verkörperten Wertentscheidungen keinesfalls in einfachen Gesetzen ihre Schranken. Begrenzt werden kann Art. 4 I GG – wie noch im Detail darzulegen sein wird – ausschließlich durch kollidierendes Verfassungsrecht. Diederichsen scheint die Grundrechte auf ihre originäre Abwehrfunktion gegenüber dem Staat beschränken und ihnen daher jede Einwirkung auf private Gleichordnungsverhältnisse absprechen zu wollen. Dem ist jedoch mit den –

 146 Wie eingangs des Abschnitts angedeutet, mag Diederichsen – dies sei ihm zugestanden – durch die Zeitumstände zu seiner düsteren Prognose veranlasst worden sein. 147 Hobbes, Leviathan. 148

Hierauf verweist auch Böckenförde [VVDStRL 28, 33 (56)], wenn er ausführt: „Indem der Staat bis zur äußersten Grenze – scheinbarer Schwäche – geht, gewinnt er andererseits seine volle Wirklichkeit und Überlegenheit.“ 149 Böckenförde [VVDStRL 28, 33 (35)] stellt zutreffend dar, dass dies ein besonders hervorstechendes Merkmal gerade der grundgesetzlichen Verbürgung von Gewissensfreiheit ist, die sie deutlich abhebt von den entsprechenden, unter Gesetzesvorbehalt gestellten Verbürgungen in der Weimarer Reichsverfassung, der Schweizerischen und Österreichischen Verfassung sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

seit dem Lüth-Urteil des BVerfG150 – immer wieder vorgebrachten Argumenten für eine Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht zu begegnen.151

dd) Die Bedeutung von § 888 III ZPO Ebenfalls nicht zu überzeugen vermag der Verweis auf die Regelung in § 888 III ZPO. Nach Diederichsen soll hieraus zu entnehmen sein, dass der materielle Fortbestand der Leistungspflicht vorausgesetzt und nur ihre zwangsweise Durchsetzung ausgeschlossen werde. Auch wenn man ein Leistungsverweigerungsrecht infolge Gewissensnot ablehne, könne der Schuldner faktisch die Leistung verweigern, da die Leistung nach § 888 III ZPO eben nicht erzwungen werde.152 Der Schuldner mache sich infolge der durch § 888 III ZPO faktisch ermöglichten Leistungsverweigerung lediglich schadensersatzpflichtig. Gerade dies sei der Konflikt, in dem sich das Gewissen bewähren müsse. Aus § 888 III ZPO könne somit der Umkehrschluss gezogen werden, dass – wenn demnach nur die Durchsetzung höchstpersönlicher Pflichten gehindert sei – materiellrechtlich eine Verurteilung zur Leistung bei einem Gewissenskonflikt möglich sei. Dies überzeugt jedoch nicht. Schon einfachrechtlich scheint der Schluss von der geregelten vollstreckungsrechtlichen Undurchsetzbarkeit eines Rechts auf seinen materiell-rechtlichen Bestand nicht zwingend. Auch nimmt § 888 III ZPO ganz allgemein auf unvertretbare Handlungen Bezug und will den Besonderheiten eines Zusammentreffens von unvertretbaren Handlungen mit Gewissenskonflikten überhaupt nicht Rechnung tragen. Vollends verfehlt erscheint die Sichtweise jedoch mit Blick auf verfassungsrechtliche Wertungen: Ein Richter, der einen Schuldner zu einer seinem Gewissen widerstrebenden Handlung verurteilt, müsste zwangsläufig das von Art. 4 I GG „unverletzlich“ gestellte Gewissen gegenüber der vertraglichen Verpflichtung zurücktreten lassen und griffe damit potentiell in die Freiheit der Gewissensbetätigung ein. Da es sich bei der gerichtlichen Entscheidung um eine typi 150

BVerfGE 7, 198 ff. Verwiesen sei hier nur darauf, dass sich die Möglichkeit von Grundrechtskollisionen daraus ergibt, dass Grundrechte nicht nur in Gestalt von Abwehrrechten gegen den Staat Wirkung entfalten, sondern auch Schutzpflichten des Staates begründen. Austragungsort der Kollision ist dabei das Privatrecht. Daher musste schon die Lüth-Entscheidung des BVerfG den Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und Berufsfreiheit einer Klärung zuführen. Zutreffend wurde erkannt, dass ein besonders kollisionsanfälliger Bereich das Arbeitsrecht sei (vgl. Stern, Staatsrecht III/2, § 82 III 1 b)). Hier können zwischen Grundrechten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlreiche Konflikte aufbrechen, vgl. ähnlich ErfK-Dieterich4 GG Einl. Rn. 70. Vgl. zu einzelnen Aspekten der Problematik auch unten § 9 III. 152 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (46 f.). 151

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sche hoheitliche Eingriffssituation handelt,153 läge hierin ein unmittelbarer Grundrechtseingriff. Praktisch würde also die Gewissensfreiheit unter einen einfachen Gesetzesvorbehalt gestellt, der in Art. 4 I GG gerade nicht vorgesehen ist.154 Die Verurteilung des Schuldners zu einer gewissenswidrigen Leistung wäre damit verfassungswidrig. § 888 III ZPO ist daher verfassungskonform dahingehend zu deuten, dass er – im Einklang auch mit Wortlaut und Systematik der Norm – ausschließlich eine negative Entscheidung bezüglich der Vollstreckbarkeit, nicht aber zugleich eine absolute Entscheidung zugunsten des materiellen Bestands der betroffenen höchstpersönlichen Handlungspflicht trifft. Er markiert also lediglich ein Mindestniveau an Schutz; ergänzend muss schon auf materiell-rechtlicher Ebene eine ähnliche Beschränkung zum Tragen kommen. Da demnach spätestens bei der gerichtlichen Austragung des privatrechtlichen Konflikts von Gewissensfreiheit und Vertragstreue der Richter nur dann zur Leistung verurteilen darf, wenn dem Leistungsurteil kein Verfassungsgebot entgegensteht, ist die Gewissensfreiheit grundsätzlich geeignet, auch privatrechtliche Pflichten zu modifizieren und zu verdrängen. Insoweit konstituieren die Grundrechte in der Tat eine „objektive Wertordnung“,155 welche die gesamte Rechtsordnung durchwirkt und damit gerade auch das Privatrecht zu beeinflussen vermag.

ee) Restriktive Gestaltung der Rechtsfolgen Die Anerkennung des Gewissens im Privatrecht führt auch nicht zu Chaos und Anarchie, denn die Gewissensfreiheit erfährt – wie noch im einzelnen darzustellen sein wird – gerade im privatrechtlichen Kontext zum einen eine Begrenzung durch andere betroffene Güter von Verfassungsrang; zum anderen kann über eine sinnvolle Gestaltung der Rechtsfolgen156 einer Leistungsverweigerung sichergestellt werden, dass nur in den seltenen Ausnahmefällen wirklich gewissensmotivierter „Unzumutbarkeit“ der Schuldner auch tatsächlich die Leistung verweigert.  153

Näher Bethge VVDStRL 57, 7 (13); Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 126 ff. Vgl. nur Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 535. 155 Vgl. allgemein zur Drittwirkungsproblematik Canaris AcP 184 (1984), 201 ff.; ders. JuS 1989, 161 ff.; Rüfner, Gedächtnisschrift Martens (1987), S. 215 (221 ff.); Hager JZ 1994, 373 ff. und unten § 9 III 2 a). 154

156 So wird man dem Schuldner durchaus „lästige Alternativen“ im Sinne Luhmanns [AöR 90, 257 (281 ff.)] auferlegen können, an denen sich die Gewissensentscheidung bewähren und manifestieren muss, vgl. ausführlich unten § 3 II 3 b).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

2. Begriff und Eingrenzungen des Gewissens Die Mechanismen einer Einwirkung der Gewissensfreiheit auf privatrechtliche Rechtsverhältnisse sind damit skizziert. Es stellt sich die zwangsläufige Folgefrage nach Begriff und Eingrenzungen des Gewissens. Während die Subjektivität des herrschenden Gewissensbegriffs den Einwänden Diederichsens noch Recht zu geben scheint, verdeutlicht ein Blick auf die schon verfassungsrechtlich vorgegebenen Grenzen der Gewissensfreiheit, dass radikale Lösungen weder erforderlich noch zulässig sind. Vielmehr bietet schon die Grundrechtsdogmatik Ansätze zu ausgleichenden, „mittleren“ Lösungen.157

a) Der subjektive Gewissensbegriff des BVerfG Prämisse eines jeden Versuchs, das Gewissen juristisch zu definieren, muss die Erkenntnis sein, dass das Gewissen eine seelisch-subjektive und damit juristische Kategorien letztlich übersteigende Erscheinung ist, der allenfalls anthropologisch-psychologische Ansätze gerecht werden können.158 Dennoch ist eine rechtswissenschaftliche Definition erforderlich, damit ein effektiver juristischer Schutz der Gewissenssphäre überhaupt gewährleistet werden kann.159 Freilich muss dabei immer im Blick bleiben, dass nur ein der extrem subjektiven Struktur des Gewissens Rechnung tragender und damit zwangsläufig weiter und unbestimmter Begriff dieser Aufgabe gewachsen ist.160 Diesen Prämissen folgend hat das BVerfG in ständiger Rechtsprechung einen rein subjektiven Gewissensbegriff entwickelt,161 der besagt, dass als eine Gewissensentscheidung im Sinne von Art. 4 I GG jede ernstliche sittliche, also an den Kategorien von „gut“ und „böse“ orientierte Entscheidung zu betrachten ist, die der einzelne in einer bestimmten Lage als für sich selbst bindend und unbedingt verpflichtend erfährt, so dass er nicht ohne ernstliche Gewissensnot dieser Entscheidung zuwider handeln könnte.162 Dabei schütze Art. 4 GG nicht  157

So auch das Postulat von Mayer-Maly, Festschrift Müller (1980), S. 325 (332). HbStR-Bethge VI § 137 Rn. 3. 159 ErfK-Dieterich4 Art. 4 GG Rn. 59. 160 Maunz/Dürig-Herzog Art. 4 GG Rn. 124 ff. 161 Die herrschende Lehre hat sich dieser Definition angeschlossen; vgl. statt vieler HbStRBethge § 137 Rn. 10 ff.; Dreier-Morlok Art. 4 GG Rn. 57 ff.; Konzen/Rupp, Gewissenskonflikte, S. 13 ff.; Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; Heinemann Anm. zu BVerfG NJW 1961, 355 jeweils m.w.N. Zu einschränkenden Ansichten sogleich unten § 3 II 2 c). 158

162

BVerfGE 12, 45 (55); BVerfGE 48, 127 (173); ähnlich auch das BVerwGE 79, 24 (26 f.); HbStR-Bethge VI § 137 Rn. 10; v.Mangoldt/Klein-Starck Art. 4 GG Rn. 35.

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nur das Bilden und Haben von Gewissensentscheidungen (das sog. forum internum), sondern in gleicher Weise das den gebildeten Gewissensüberzeugungen entsprechende Verhalten (forum externum).163 Es spiele keine Rolle, ob die innere Entscheidung objektiv berechtigt, anerkennenswert, vernünftig oder billigenswert erscheine; entscheidend für die Eröffnung des Schutzbereichs der Gewissensfreiheit sei allein, dass der Betroffene die innere Entscheidung als tatsächlich bindend und verpflichtend erfahre. An anderer Stelle164 hat das BVerfG das Gewissen umschrieben als ein real erfahrbares seelisches Phänomen, dessen Forderungen, Mahnungen und Warnungen für den Menschen als unmittelbar evidente Gebote unbedingten Sollens empfunden werden. Ob und wie diese innere Bindungs- und Verpflichtungswirkung im Konfliktfall bewiesen werden kann und muss, ist dabei ein stark umstrittenes Sonderproblem,165 das noch ausführlich erörtert werden soll.166 Es zeigt sich, dass Gewissensentscheidungen nach diesen Formeln überall relevant werden können, dass sie jederzeit und mit jeglichem Gegenstand zu Tage treten können. Diese scheinbar unbegrenzte Weite des Gewissensbegriffs wurde von Diederichsen – polemisch, aber umso anschaulicher – mit einer Fülle von zivilrechtlichen Beispielen167 belegt und veranlasste mehrere Autoren, eine „Inflation von Gewissensentscheidungen“ und infolge dessen Chaos und Anarchie zu prophezeien.168 Angesichts der extremen Subjektivität des Gewissensbegriffs und seiner daraus folgenden, zunächst uferlos scheinenden Weite stellt sich in der Tat die Frage, inwieweit die Gewährleistung der Gewissensfreiheit angemessenen Eingrenzungen zugänglich ist.

b) Verfassungsimmanente Beschränkungen Schon durch die Verfassung ist dabei eine erste wichtige Schranke vorgegeben: Sofern die Gewissensfreiheit mit anderen Gütern von Verfassungsrang kollidiert, ist der Konflikt nicht etwa einseitig zugunsten der Gewissensfreiheit  163

BVerfGE 78, 391 (395); so auch BSGE 61, 158 (162); v.Mangoldt/Klein-Starck Art. 4 GG Rn. 62 f.; Maunz/Dürig-Herzog Art. 4 GG Rn. 135; HbStR-Bethge VI § 137 Rn. 13; AKGG-Preuß Art. 4 Abs. 1, 2 GG Rn. 41. 164

BVerfGE 12, 45 (54). BVerfGE 69, 24 ff.; BK-Zippelius Art. 4 GG Rn. 139; Maunz/Dürig-Herzog Art. 4 GG Rn. 159 ff. 166 Vgl. unten § 3 II 3. 167 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 ff. 165

168

Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 50 ff.; Reuter BB 1986, 390; Kraft AcP 163 (1963), 472 (484); so schon v.Hartlieb, Die Filmwoche v. 18.10.1952.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

zu lösen;169 ihr kommt nicht die Rolle eines alle anderen Rechtspositionen verdrängenden „Über-Grundrechts“ zu.170 Vielmehr ist die Wirksamkeit von beiden betroffenen Gütern im Wege praktischer Konkordanz so weit als möglich zu gewährleisten.171

aa) Typische kollidierende Verfassungspositionen Für die hier interessierende privatrechtliche Wirkung der Gewissensfreiheit kommen als derartige Gegenrechte von Verfassungsrang insbesondere die Grundrechte des Gläubigers in Betracht. Praktische Konkordanz ist daher vor allem mit der – im Grundsatz nicht minder schutzwürdigen – Gewissensfreiheit des Gläubigers,172 seiner Unternehmerfreiheit als Ausprägung der Allgemeinen Handlungsfreiheit173 sowie seiner Berufs- und Eigentumsfreiheit174 herzustellen. Daneben kann in besonderen Konstellationen, vor allem bei Tendenzbetrieben, ein Ausgleich gegenüber der Presse- und Meinungsfreiheit175 oder auch dem verfassungsrechtlich geschützten Status der Parteien (Art. 21 GG)176 und Religionsgemeinschaften (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV)177 erforderlich werden.  169 So auch LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2; Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; Kraft/Raab Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; Grabau BB 1991, 1257 (1260). 170 Diesen Stellenwert scheint jedoch etwa Preuß ArbuR 1986, 382 (383) der Gewissensfreiheit beizumessen. 171

Hierauf verweist auch Böckenförde VVDStRL 28, 33 (54): keine Verfassungsnorm dürfe so interpretiert werden, dass sie den Rechtsgrund bilde, die Verfassung selbst aus den Angeln zu heben. Der Gedanke praktischer Konkordanz ist in Zusammenhang mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit schon von Hermann Mirbt, Verfassung des Deutschen Reiches, Art. 135 Anm. 3 aufgebracht worden, wenn er fordert, bei Konflikten zwischen Religionsfreiheit und anderen Rechtsnormen müsse versucht werden, „das Grundrecht der Religionsfreiheit und die Unterworfenheit aller unter die staatliche Rechtsordnung so miteinander zu verbinden, dass keine von beiden in ihrem Bestande gefährdet wird.“ 172 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (59 f.); Reuter BB 1986, 385 (389); Leuze RdA 1993, 16 (20). 173 Vgl. v.Münch/Kunig-Kunig Art. 2 GG Rn. 16 ff. 174

Vgl. etwa LAG Hamm NZA 2002, 675 (677). So etwa in den Konstellationen der „Druckerentscheidungen“ des BAG; vgl. oben § 3 I 1 und 2. 176 Vgl. dazu das vielfach zitierte Beispiel der Erfüllungsverweigerung gegenüber einer rechts- oder linksradikalen Organisation: LG Heidelberg NJW 1960, 1922; dazu Mayer-Maly, Festschrift Müller (1980), S. 325 (328); Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (38). 177 Vgl. BK-Obermayer Art. 140 GG Rn. 86. 175

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bb) Praktische Konkordanz Soweit andere Güter von Verfassungsrang in Rede stehen, ist praktische Konkordanz178 in dem Sinne herzustellen, dass die sich widerstreitenden Verfassungsnormen so im Lichte der jeweils anderen auszulegen sind, dass beide Normen in Relation zueinander zu optimaler Entfaltung kommen.179 Die Kollision ist nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG unter „Abwägung aller Umstände des Einzelfalls“180 so zu lösen, dass die betroffenen Verfassungsgüter „im Konfliktfall nach Möglichkeit zum Ausgleich gebracht werden“. Lässt sich dies nicht erreichen, so ist „unter Berücksichtigung der falltypischen Gestaltung und der besonderen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, welches Interesse zurückzutreten hat“.181 Es geht dem BVerfG um das „Prinzip des schonendsten Ausgleichs“.182 Beide Grundrechte müssen also in ihrer Reichweite und Wirksamkeit beschränkt werden, damit beide zu optimaler Entfaltung gebracht werden können.183 Für diesen Abwägungsvorgang entscheidend soll die Bedeutung der beiden Grundrechte im konkreten Anwendungsfall sein.184 Dabei gibt das BVerfG drei Abwägungsgesichtspunkte an die Hand: Zunächst zu berücksichtigen ist die Eingriffsintensität, zum anderen die Bedeutung und das Gewicht des Eingriffszwecks und schließlich die den betroffenen Grundrechten zukommende Bedeutung und ihr Gehalt im Hinblick auf das Regelungsproblem.185 In besonderer Weise zu berücksichtigen ist dabei die Menschenwürde als Leitlinie für die Grundrechtsauslegung. Die tendenzielle Betroffenheit der Menschenwürde und damit die Eingriffsintensität soll dabei umso stärker sein, je deutlicher der Grundrechtsträger in personalen Rechtsgütern beeinträchtigt wird; rein wirtschaftlichen Nachteilen soll demgegenüber  178

Grundlegend Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 317 ff. Für die spezifisch arbeitsrechtliche Grundrechtskollision vgl. explizit LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2; Rüfner RdA 1992, 1 (2); allgemein für Grundrechtskollisionen Stern, Staatsrecht I, § 4 III 8 b). 180 BVerfGE 30, 173 (195). 181 BVerfGE 35, 202 (225); BVerfGE 59, 231 (261 ff.); BVerfGE 67, 213 (228); vgl. auch v.Münch/Kunig-v.Münch Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 47; AK-GG-Denninger Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 46. 179

182

BVerfGE 39, 1 (43). Ungeklärt bleibt dabei, ob die Beschränkung schon auf Ebene des Schutzbereiches erfolgen oder nur eine Erweiterung der Eingriffsmöglichkeiten Platz greifen soll; vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 348 ff. 183

184 185

Stern, Staatsrecht III/2, § 82 III 3 c): „abstrakt-konkrete Güterabwägungsmethode“. ErfK-Dieterich4 GG Einl. Rn. 77.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

ein geringeres Gewicht zukommen.186 Auch die Würdigung des Eingriffsziels wird entscheidend durch den personalen Bezug und mithin die Menschenwürde mitgeprägt.187 In der Sache ist also, wenn eine Kollision zwischen der Gewissensfreiheit und anderen Verfassungsgütern vorliegt, eine Interessenabwägung vorzunehmen, die auf einen möglichst schonenden Ausgleich der beiden Positionen bedacht ist und nur als ultima ratio eines der betroffenen Güter zurücktreten lässt. Auf dieses Prinzip wird an späterer Stelle zurückzukommen sein.188

c) Weitere Eingrenzungen des Gewissensbegriffs In der Vergangenheit wurde diese Begrenzung vielfach als nicht ausreichend erachtet. So wurden sowohl aus rein verfassungsrechtlicher Sicht als auch mit besonderem Blick auf die privatrechtliche Wirkungsmacht der Gewissensfreiheit weitere Eingrenzungen des Gewissensbegriffs oder aber seiner praktischen Entfaltung vorgeschlagen.

aa) Allgemeine Ansätze zur Einengung der Reichweite der Gewissensfreiheit (1) Beschränkung auf das forum internum Insbesondere Zippelius189 hat dabei die Idee entwickelt, der Gewissensbegriff des Grundgesetzes wolle ausschließlich das forum internum, also die innere Bildung von Gewissensentscheidungen schützen. Dieser Auffassung ist mit Recht von unterschiedlichen Seiten entgegengetreten worden: Böckenförde etwa bringt das historische Argument, dass schon die Verfassungen des 16. und 17. Jahrhunderts zumindest ein Mindestmaß an praktischer, nach außen wirkender Umsetzung von Glaubens- und Gewissensüberzeugungen gewährleiste 186 Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang die Unterscheidung des Gewichts der Berufs- und Eigentumsfreiheit von Unternehmensinhabern und bloßen Anteilseigentümern („durch das Anteilseigentum vermittelte Grundrechtsposition“) in der Mitbestimmungsentscheidung, BVerfGE 50, 290 (341 f., 364 f.). 187 Vgl. nur BVerfGE 45, 187 (227); ErfK-Dieterich4 GG Einl. Rn. 78 m.w.N. 188 Unten § 3 II 2 c) bb) (1.) (a) und allgemein § 9 III 2 b). 189 BK-Zippelius Art. 4 GG Rn. 44 ff.; ähnlich auch Thoma, Recht, Staat, Wirtschaft, Bd. 3 (1951), S. 17, 18; Scholler, Freiheit des Gewissens, S. 131 ff.; Kaufmann AcP 161 (1962), 289 (300); dagegen überzeugend Geiger, Gewissen, Ideologie, Widerstand, Nonkonformismus, S. 68; Habscheid JZ 1964, 246.

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ten.190 Ebenso einleuchtend ist das Argument, dass das forum internum als strukturell einem äußeren Zugriff weitgehend entzogene Größe191 kaum eines rechtlichen Schutzes bedürfte.192 Das Grundrecht der Gewissensfreiheit würde damit auf einen kaum schutzrelevanten Restbereich denkbarer Eingriffe reduziert. Dies läuft der ratio der Gewährleistung in Art. 4 I GG deutlich zuwider. Den Grundrechten des Grundgesetzes liegt der gedankliche Ansatz zugrunde, gerade als Reaktion auf den Kollektivismus und die Entrechtung des Einzelnen im Nationalsozialismus die individuelle Freiheit in höchstmöglichem Maße durch die Staatsgewalt und zugleich gegen die Staatsgewalt zu sichern und zu gewährleisten.193 Nicht anderes ist die primäre Aufgabe, welche die Staatsauffassung eines liberalen Rechtsstaates der Staatsgewalt zuweisen kann: Sicherung von individueller Freiheit.194 Gerade daraus bezieht der liberale Rechtsstaat seine Legitimation.

(2) Übertragung der Schranken anderer Grundrechte Ein weiterer Weg zur Eingrenzung der Wirksamkeit der Gewissensfreiheit wurde darin gesehen, die Schranken anderer Grundrechte auf Art. 4 I GG zu übertragen.195 So sollten die Schrankentrias des Art. 2 I GG, die Schrankensystematik des Art. 12 I GG sowie – jüngst noch durch das BVerwG in Bezug auf die Religionsfreiheit196 – die Schranken des von Art. 140 GG in Bezug genommenen Art. 136 I WRV zur Unterwerfung des Art. 4 I GG unter einen Gesetzesvorbehalt herhalten. Für die hier interessierende privatrechtliche Problematik hätte dies die praktische Konsequenz, dass man – etwa bei Heranziehung von Art. 2 I GG – ohne weiteres in den Vorschriften des BGB allgemeine Gesetze und damit taugliche  190

Als Beispiel nennt Böckenförde VVDStRL 28, 33 (51) die Hausandacht. Durch die Errungenschaften der modernen Psychologie ist zwar ein staatlicher Eingriff – etwa mit Hilfe der Verabreichung von Psychopharmaka – nicht mehr denklogisch auszuschließen. Dies betrifft jedoch Extremfälle; die Gewährleistung der Gewissensfreiheit würde damit auf ein Mindestmaß zurückgedrängt. 191

192

Böckenförde VVDStRL 28, 33 (50); Otto, Personale Freiheit, S. 111. Zippelius, Kleine deutsche Verfassungsgeschichte, S. 178 f. 194 Vgl. grundlegend Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 125 f.; ders. Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 192. 193

195 Etwa in Anlehnung an die Schrankensystematik von Art. 2 I GG: OLG Karlsruhe JZ 1964, 761 (763); LAG Düsseldorf JZ 1964, 258 (259); Maunz/Dürig-Herzog Art. 4 GG Rn. 114 ff.; in Anlehnung an Art. 12 GG: Herzog DVBl. 1969, 718 (720 ff.); in Anlehnung an Art. 136 I WRV: v.Mangoldt/Klein-Starck Art. 4 GG Rn. 75; Bettermann VVDStRL 28, 129, jeweils m.w.N. 196 BVerwG NJW 2001, 1225.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Schranken der Gewissenfreiheit finden könnte. Auch dieser Ansatz verkennt jedoch, dass die Schöpfer des Grundgesetzes ganz bewusst die Gewissensfreiheit schrankenlos, „unverletzlich“ gestellt wissen wollten. Gerade jene Freiheitsbereiche, die in besonders hohem Maße der Rechtsperversion des Nationalsozialismus ausgeliefert waren, wurden mit einem besonders hohen Gewährleistungsniveau ausgestattet, was in Formulierungen wie „unverletzlich“ oder „unantastbar“ zum Ausdruck kommt.197 In hohem Maße gilt dies für die – zutreffenderweise als besonders enge Ausprägung der Menschenwürde betrachtete198 – Gewissensfreiheit. So wenig, wie man die Menschenwürde einem Gesetzesvorbehalt unterstellen kann, ist dies bei der Freiheit des Gewissens angebracht. Bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates wurde die Aufnahme eines Gesetzesvorbehalts für Art. 4 II GG durchaus diskutiert – und mit der dargestellten Intention abgelehnt.199 Auch hier scheint wieder auf, dass die Grundintention der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes nichts anderes als die Gewährleistung individueller Freiheit ist.

(3) Kollektivistische Ansätze Auch kollektivistische Ansätze, etwa die Unterwerfung des Gewissens unter gesellschaftliche Maßstäbe,200 ein Mehrheitsprinzip201 oder die Staatsräson gehen fehl: Schon das prALR verbürgte die Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht nur für die reichsrechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften, sondern ebenso für Sekten. Erst recht wurde in der WRV die Gewährleistung der Gewissensfreiheit als ein individuelles, gerade der Autonomie der Persönlichkeit entspringendes Grundrecht verstanden, das einer Orientierung an Mehrheitsauffassungen unzugänglich ist. Stein hat dies klar erkannt und eine Beschränkung des Gewissensbegriffs in dem dargestellten Sinne geradezu als Pervertierung des Gewissensbegriffs verurteilt.202 Mit kollektivistischen Ansätzen, einer  197

Böckenförde VVDStRL 28, 33 (48); vgl. auch Habscheid JZ 1964, 246. Vgl. Maunz/Dürig-Herzog Art. 4 GG Rn. 11; auch Gegner einer privatrechtlichen Wirkdimension der Gewissensfreiheit erkennen die Menschenwürdenähe ausdrücklich an, vgl. etwa Leuze RdA 1993, 16 (17). 198

199 Vgl. Parlamentarischer Rat, Ausschuss für Grundsatzfragen, Protokoll der 24. Sitzung (23.11.1948), S. 626 ff. 200 Etwa Brinkmann, Grundrecht und Gewissen, S. 62: Für ihn ist das Gewissen die bloße Kenntnis davon, was Recht und was Unrecht ist. Ein Konflikt zwischen Recht und Gewissen ist damit prinzipiell ausgeschlossen. Ähnliches klingt bei Wieacker JZ 1954, 466 (467) an. 201 Kraft AcP 163 (1963), 472 (485). 202

Stein, Gewissensfreiheit, S. 16.; kritisch insbes. auch Freihalter, Gewissensfreiheit, S. 24 ff.; Otto, Personale Freiheit, S. 112.

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„Vergesellschaftung“203 des Gewissens, geht immer – wie Otto richtig nachgewiesen hat204 – die Vorstellung einher, dass die objektive Feststellung dessen, was gerecht ist, durch staatliche Organe möglich ist.205 Letztlich unterwirft diese Auffassung die Gerechtigkeit einem Mehrheitsvotum und verhilft der demokratischen Mehrheit zu einer Hoheit über Gewissen und Gerechtigkeit. Ein solcher Herrschaftsanspruch kann nur in absolutistischen oder totalitären Staaten Platz greifen;206 in einem liberalen Rechtsstaat kann die Freiheit des Gewissens als subjektivste aller Freiheiten nur subjektiv verstanden werden.207

(4) Weitere Begründungsansätze Andere wiederum wollen die rationale Mitteilbarkeit der Gewissensentscheidung als Kriterium heranziehen.208 Brox209 hält die Nachvollziehbarkeit eines Gewissenskonfliktes durch Dritte für entscheidend. § 242 BGB schütze „nicht schlechthin jedes noch so überempfindliche Gewissen“. Auch dies läuft darauf hinaus, das Gewissen zu objektivieren und als Maßstab auf die Nachvollziehbarkeit der Gewissensentscheidung durch die Mehrheit (oder einen Richter) abzustellen. Auch hierauf kann es – wie die Ablehnung der objektivkollektivistischen Ansätze ergeben hat – nicht ankommen. Wieder andere binden die Gewissensentscheidung gleichsam weltanschaulich, indem sie nur eine unabänderliche Gewissensentscheidung anerkennen, Änderungen der Gewis-

 203

Der Begriff stammt von Otto, Personale Freiheit, S. 112. Otto, Personale Freiheit, S. 112. 205 Brinkmann [Grundrecht und Gewissen, S. 131] vertritt die Auffassung, eine objektive Feststellung dessen, was „die Gerechtigkeit als das Gerechte ausweist“ sei möglich; an anderer Stelle [a.a.O., S. 180] möchte er das Recht zur Kriegsdienstverweigerung nur in solchen Fällen zugestehen, in denen die innere (Gewissens-)Entscheidung des Wehrpflichtigen andernfalls zu einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr führen würde. Damit opfert er verfassungsrechtliche Freiheitsrechte der bloßen Staatsraison. 206 Hierauf verweisen insbes. Bäumlin VVDStRL 28, 1 (17) und Otto, Personale Freiheit, S. 113. 204

207

Auch Böckenförde VVDStRL 28, 33 (55) betont, dass es Schutzzweck der Gewissensfreiheit ist zu gewährleisten, dass gerade „die Besonderheit als Besonderheit sich entfalten kann, in Freiheit gesetzt ist.“ Vgl. ähnlich Kraft AcP 163 (1964), 472 (478); Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 208

Etwa Bäumlin VVDStRL 28 (1970), 1 (18). Brox Anm. zu BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; ihm folgt Leuze RdA 1993, 16 (17 f.); ähnliche Tendenz schon bei LAG Düsseldorf BB 1988, 1750; Häusele, Weisung und Gewissen, S. 35. 209

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

senshaltung dagegen ablehnen.210 Sie leugnen also die Situationsbezogenheit und die zwangsläufig damit verknüpfte Veränderlichkeit von Gewissensüberzeugungen.211 Schließlich wurden zwei in hohem Maße konträre Beschränkungen vorgeschlagen: Zum einen wurde vertreten, nur weltanschaulich oder religiös motivierte Entscheidungen als Gewissensentscheidungen anzuerkennen.212 Schon Böckenförde ist dem mit Recht und unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte der Gewissensfreiheit als umfassender Gewährleistung entgegengetreten. Die extreme Gegenposition Steins213 gründet darauf, jegliche transzendente Bindung des Gewissens abzulehnen und das Gewissen als ein rein sozialpsychologisches Phänomen zu erklären, das aus der Bindung an und der Verantwortung für andere Menschen resultiert. Auch diese Eingrenzung dürfte verfehlt sein, schwingt sie sich doch wiederum zum Richter über die innerlich empfundene Letztbegründung des Gewissensspruchs auf: Ebenso wie die dargestellte Gegenposition, die nur religiös oder weltanschaulich motivierte Entscheidungen als Gewissensentscheidungen betrachtet, läuft ein Ausschluss von religiösen und weltanschaulichen Begründungen des Gewissens Gefahr, zwischen einem „echten“ und einem „falschen“ Gewissen zu differenzieren. Dass sich dies mit der bewusst subjektiv verstandenen Gewährleistung des Art. 4 I GG nicht verträgt, dürfte evident sein.214

(5) Luhmann – Die Bewährung im Konflikt Zuletzt sei der zu Recht mit viel Zustimmung bedachte215 Ansatz Luhmanns216 angeführt, der nur mittelbar eine Eingrenzung des Gewissensbegriffs  210

BVerfGE 12, 45 (47 f.) für Art. 4 III GG; ähnlich Konzen/Rupp, Gewissenskonflikte, S. 68 f., die eine gesteigerte Plausibilität der Gewissensentscheidung fordern, wenn der Gewissensträger sich dadurch in Widerspruch zu früherem Verhalten setzt. 211 Ähnlich Otto, Personale Freiheit, S. 115. 212 Mit dieser Tendenz Listl, Religionsfreiheit, S. 95 ff., 114 ff.; Dürig VVDStRL 28, 130 f.; Leisner VVDStRL 28, 112 f. 213

Stein, Gewissensfreiheit, S. 43. Richtig ist der Hinweis Ottos [Personale Freiheit, S. 114], dass gerade in privatrechtlichen Gewissenskonflikten die Bindung an andere Menschen oftmals kaum eine Rolle spielt: Der wegen eines religiösen Feiertags die Arbeit verweigernde Gläubige tut dies eben nicht, um Verantwortung für einen Betroffenen zu übernehmen, sondern um religiösen Geboten Rechnung zu tragen, die er innerlich als unbedingt verpflichtend empfindet. Der Ansatz Steins kann also allenfalls einen Teilbereich von Gewissensentscheidungen erklären. 214

215 Vgl. nur Böckenförde VVDStRL 28, 33 (71). Peters JZ 1972, 520 (521), Ramm JZ 1991, 1 (13) und Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (47) gehen noch einen Schritt weiter und fordern ein „Opfer“ infolge der Gewissensentscheidung. Das Gewissen, so

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bringen möchte, sich primär hingegen dem Folgeproblem der gerichtlichen Überprüfbarkeit von Gewissensentscheidungen zuwendet: Luhmann vertritt die These, der von einer Gewissensentscheidung Betroffene müsse zur Hinnahme „lästiger Alternativen“ bereit sein. Die negativen Folgen des Konflikts müsse tragen, wer Handlungsalternativen habe.217 Die Wahrhaftigkeit einer Gewissensentscheidung zeige sich also in der Konsequenz, auch nachteilige Folgen hinzunehmen. Zugleich sei dieses Kriterium geeignet, von einem Missbrauch abzuschrecken. Schon das letzte Argument zeigt deutlich, dass es im Kern nicht darum geht, den Begriff des Gewissens zu verengen und Fälle aus der Uferlosigkeit des Gewissensbegriffs auszugrenzen, sondern darum, dem subjektiven Gewissensbegriff des BVerfG zur praktischen Durchsetzung und Überprüfbarkeit zu verhelfen. Bei näherer Betrachtung ist das Erfordernis, „lästige Alternativen“ hinzunehmen, in der Tat kein zusätzliches Erfordernis, sondern schon in der Definition des BVerfG enthalten, wenn es dort heißt, der von einer Gewissensentscheidung Betroffene müsse diese als unbedingt innerlich verpflichtend und bindend erfahren.218 Die Hinnahme von Nachteilen infolge der Gewissensentscheidung ist nur zwingende Konsequenz der vom BVerfG anerkannten, innerlich verpflichtenden Wirkung des Gewissens. Sie ist freilich eine nach außen hin wirkende Folge der inneren Gewissensentscheidung und wird in dieser Funktion noch bei der Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit von Gewissensentscheidungen eine erhebliche Rolle spielen.219 Schon jetzt sei jedoch angemerkt, dass es in hohem Maße der grundrechtlichen Gewährleistung von Gewissensfreiheit zuwider liefe, würde man – wie etwa Diederichsen – die Hinnahme jeglichen Nachteils infolge der Gewissensentscheidung verlangen. Eine solche Sichtweise führt den grundrechtlichen Schutz des Gewissens ad absurdum und degradiert die Gewissensfreiheit zum bloßen Scheinprivileg.220 Hier dürfte eine Unterscheidung zwischen bloß „lästigen“ und wirklich „unzumutbaren“ Konsequenzen angebracht sein.221

 Diederichsen, bewähre sich erst im Konflikt. Kritisch merkt hierzu Otto [Personale Freiheit, S. 116] an, dass es gerade Sinn der Gewissensfreiheit sei, vor solchen Nachteilen infolge von Gewissensentscheidungen so weit als möglich zu bewahren. Kritisch auch Freihalter, Gewissensfreiheit, S. 165 ff. 216 Luhmann AöR 90, 257 (281 ff.). 217 Luhmann AöR 90, 257 (283). 218 BVerfGE 12, 45 (54); vgl. oben § 3 II 2 a). 219 Unten § 3 II 3. 220 So auch Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (46), der hieraus freilich verfehlte Schlüsse ableitet. 221 So auch schon Reuter BB 1986, 385 (389).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

bb) Eingrenzungen im privatrechtlichen Kontext Speziell für privatrechtliche Konflikte zwischen Vertragstreue und Gewissenspflicht wurden daneben weitere Eingrenzungen des Gewissensbegriffs entwickelt. Dabei zeigt sich vielfach, dass diese „zivilrechtsimmanenten“222 Lösungen in besonderem Maße der Versuchung erliegen, verfassungsrechtliche Wertungen nicht oder nicht hinreichend zu berücksichtigen. Damit neigen sie dazu, den hohen verfassungsrechtlichen Stellenwert der „unverletzlich“ gestellten Gewissensfreiheit zu verkennen.

(1) Die Abwägungslehre des BAG Insbesondere das BAG und mit ihm ein Großteil der arbeitsrechtlichen Literatur lehrt, dass der Gewissenskonflikt des Schuldners nur ein – wenn auch gewichtiges – Abwägungskriterium sei. Ein Recht zur Verweigerung der Arbeitsleistung aus Gewissensgründen könne nur dann Platz greifen, wenn erstens der Arbeitsverweigerung keine überwiegenden betrieblichen Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen, zweitens der Gewissenskonflikt beim Vertragsschluss nicht vorhersehbar war und drittens eine erhebliche Wiederholungsgefahr nicht gegeben ist.223

(a) Praktische Konkordanz zwischen Verfassungsgütern Das erste Kriterium erscheint nach den vorherigen Ausführungen nicht unbekannt: Man kann es durchaus als einfachrechtliche Ausprägung der verfassungsrechtlich gebotenen praktischen Konkordanz auffassen.224 In diesem – und nur in diesem – Sinne stellt es ein angemessenes Kriterium dar, die gegenüber der Gewissensfreiheit berechtigten Interessen des Leistungsgläubigers zur Geltung zu bringen. Freilich kann sich dies nur insoweit auswirken, als tatsächlich Güter des Gläubigers mit Verfassungsrang, also etwa seine Unternehmer-, Berufs-, Gewissens-, Eigentums-, Presse- oder Meinungsfreiheit, betroffen sind. Die Berücksichtigung anderer Interessen des Gläubigers, denen kein verfassungsrechtlicher Rang zukommt, würde demgegenüber die Gewissensfrei 222

Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (42). Vgl. BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27 und BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; in der Lit. überwiegt Ablehnung der Kriterien, vgl. nur Kohte NZA 1989, 161 (166 f.); Preuß ArbuR 1986, 382 ff.; zustimmend Bydlinski SAE 1991, 6 (7). 224 Vgl. dazu Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 223

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heit des Leistungsschuldners praktisch einem Gesetzesvorbehalt unterwerfen, der in Art. 4 I GG mit Bedacht nicht vorgesehen ist.225 Der Gewissensfreiheit können also von Verfassungs wegen nur solche Rechtsgüter und Interessen des Gläubigers entgegenstehen, die ihrerseits verfassungsrechtlichen Rang genießen. In derartigen Konfliktsituationen zwischen Verfassungsgütern ist nach den Regeln der praktischen Konkordanz zunächst ein schonender Ausgleich zu versuchen: Die verfassungsrechtlichen Positionen sollen möglichst weitreichend zur Entfaltung gebracht werden.226 Nur wenn dies nicht möglich ist, muss ein Vorrang der einen Position gegenüber der anderen ermittelt werden.227 In den charakteristischen Fällen persönlicher Leistungspflichten wird sich aufgrund der kompromisslosen Struktur der betroffenen Rechtsgüter freilich ein derart schonender Ausgleich nur selten herstellen lassen. Das Gewissen ist Kompromissen kaum zugänglich. Für den Leistungspflichtigen existieren in den einschlägigen Fällen meist nur zwei Alternativen: Der vertraglichen Leistungspflicht zu genügen und seinem Gewissen zuwider zu handeln oder aber seinem Gewissen zu folgen und die Leistung zu verweigern. Für einen Ausgleich bleibt hier nur Raum, wenn der Gläubiger dem Leistungspflichtigen eine „gewissensneutrale“ Alternativtätigkeit zuweisen kann.228 Wenn dies nicht möglich ist, erscheint der im Rahmen praktischer Konkordanz vorrangige „schonende Ausgleich“ eher als Ausnahme; meist wird der unbedingte Vorrang einer Rechtsposition gegenüber der kollidierenden zu ermitteln sein.

(aa) Die Gewissensfreiheit des Gläubigers als kollidierendes Rechtsgut Wie schon Diederichsen zutreffend erkannt hat, kommt als kollidierendes Verfassungsgut auch die Gewissensfreiheit des Arbeitgebers grundsätzlich in Betracht.229 In diesem Fall stehen sich in besonderem Maße Rechtsgüter ge 225

Böckenförde VVDStRL 28, 33 (46 ff.). Die Kollision ist nach std. Rspr. des BVerfG unter „Abwägung aller Umstände des Einzelfalls“ (BVerfGE 30, 173 (195)) so zu lösen, dass die betroffenen Verfassungsgüter im Konfliktfall nach Möglichkeit zum Ausgleich gebracht werden („Prinzip des schonendsten Ausgleichs“ (BVerfGE 39, 1 (43)). Vgl. näher auch Stern, Staatsrecht III/2, § 82 III 3 c) („abstrakt-konkrete Güterabwägungsmethode“). 227 BVerfGE 35, 202 (225); BVerfGE 59, 231 (261 ff.); BVerfGE 67, 213 (228); vgl. auch v.Münch/Kunig-v.Münch Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 47; AK-GG-Denninger Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 46. 228 Dazu ausführlich unten § 15 II 4. 226

229

Diederichsen [Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (59 f.)] nennt als Schulbeispiel Fälle, in denen dem Arbeitgeber sein Gewissen etwa gebietet, ein bestimmtes Buch zu drucken,

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

genüber, die ihrer Natur nach Kompromissen nicht zugänglich sind. Gerade hier wird deutlich, dass für einen „schonenden Ausgleich“ kein Raum bleibt; vielmehr muss sich eine Gewissensentscheidung gegenüber der anderen durchsetzen. Anders scheint eine Konfliktlösung in derartigen Konstellationen nicht möglich. Es bleibt also zu untersuchen, welcher Gewissensentscheidung im Konfliktfall Vorrang einzuräumen ist. Entscheidend zu berücksichtigen ist dabei, dass der Arbeitgeber im Regelfall seiner Gewissenspflicht auch dadurch genügen kann, dass er einen anderen Arbeitnehmer mit der Aufgabe betraut oder die Tätigkeit selbst ausführt. Der Gläubiger hat also zur Verwirklichung seiner eigenen Gewissenspflicht Alternativen, mögen diese auch „lästig“ sein.230 Der Leistungsschuldner hat, will er seiner eigenen Gewissenspflicht genügen, nur eine Alternative: Die vertraglich geschuldete Leistung zu verweigern und sich mit den ihn treffenden nachteiligen Folgen abzufinden. Somit ist der Gewissenspflicht des Arbeitnehmers im Konflikt zwischen Gewissen und Vertragstreue im Regelfall aufgrund der Struktur „kapitalistischer“ Arbeitsweise (im wertneutralen Sinne) ein höherer Rang einzuräumen als der Gewissenspflicht des Arbeitgebers. Anderes kommt allenfalls dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner besonderen Qualifikation schlechthin unersetzbar ist; jedoch wird auch in diesem seltenen Fall in aller Regel die Gewissensfreiheit des Arbeitnehmers diejenige des Arbeitgebers verdrängen: Die persönlich geschuldete Ausführung einer Tätigkeit erfordert nämlich eine weit höhere personale Identifikation mit dieser Tätigkeit als der bloße Wille, einem anderen die Ausführung der Tätigkeit im Wege des arbeitsvertraglichen Direktionsrechts aufzugeben. Die Gewissensfreiheit des persönlich leistungspflichtigen Schuldners weist daher aufgrund der intensiveren personalen Betroffenheit einen höheren „Menschenwürdegehalt“ und damit im Einzelfall ein höheres Gewicht auf als die Gewissensbetätigung des Leistungsgläubigers. Daher muss der besonderen personalen Betroffenheit des persönlich leistungspflichtigen Schuldners auch gegenüber der Gewissensbetätigung des Leistungsgläubigers zur Durchsetzung verholfen werden.231

 dem mit der Aufgabe betrauten Arbeitnehmer das Gewissen jedoch die Ausführung dieser Tätigkeit gerade verbietet. 230 Natürlich muss sich – wie die Gewissenspflicht des Arbeitnehmers – auch die Gewissenspflicht des Arbeitgebers „im Konflikt bewähren“ und lästige Alternativen im Sinne Luhmanns [vgl. AöR 90, 257 (281 ff.)] hinnehmen! 231 Vgl. auch ErfK-Dieterich4 GG Einl. Rn. 78.

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(bb) Die Eigentumsfreiheit des Gläubigers als kollidierendes Rechtsgut Die Eigentumsfreiheit des Arbeitgebers dürfte nur in seltenen Fällen gegenüber der Gewissensfreiheit des Arbeitnehmers als kollidierendes Grundrecht in Betracht kommen.232 Es ist nämlich an der Formel des BVerfG festzuhalten, dass der „Schutz des Erwerbes nicht weiter gehen kann als der Schutz seiner wirtschaftlichen Grundlage“.233 Demnach erscheinen Hinderungen des Betriebsablaufs, die keine Substanzverletzungen der sächlichen Betriebsmittel zur Folge haben, im Grundsatz als Eingriffe in die Unternehmer- und Berufsfreiheit des Arbeitgebers, nicht aber in seine Eigentumsfreiheit. Die Eigentumsfreiheit des Arbeitgebers wird durch eine Leistungsverweigerung des Arbeitnehmers in keiner Weise mehr beeinträchtigt als etwa durch Arbeitskampfmaßnahmen oder gesetzlich angeordnete Arbeitnehmerschutzmaßnahmen. Diese werden jedoch allgemein und zutreffend nicht als Probleme des Eigentumsschutzes, sondern als solche der Unternehmer- und Berufsfreiheit eingeordnet.234 Auch hier findet somit die Meistbetroffenheitsregel Anwendung.235 Die Eigentumsfreiheit des Arbeitgebers wird daher in der Regel mit der Gewissensfreiheit des Arbeitnehmers nicht in Konflikt treten. Anderes gilt allerdings, wenn durch die Leistungsverweigerung nicht nur der bloße Betriebsablauf gestört wird, sondern dem Arbeitgeber die Nutzung seines Eigentums unmöglich gemacht oder das Eigentum in seiner Substanz verletzt wird. Als Beispiel sei die Beschädigung einer Maschine durch unterbleibende Bedienung genannt. Eine Nutzungsbeeinträchtigung liegt etwa vor, wenn der Arbeitnehmer allein im Besitz der Schlüssel des Betriebes ist und das geschuldete Öffnen der Eingänge zur Betriebsstätte verweigert. In diesen – wohl seltenen – Fällen kommt es zur Kollision zwischen Gewissens- und Eigentumsfreiheit. Ähnliches gilt, wenn nicht ein Arbeitsverhältnis von der Leistungsverweigerung betroffen ist, sondern ein anderes Schuldverhältnis, in dem das Eigentum des Gläubigers das durch die Leistungsverweigerung unmittelbar beeinträchtigte Rechtsgut ist. Besonders anschaulich wird dies in der Fallgruppe  232

Anders LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2. BVerfGE 58, 300 (353). 234 Vgl. ErfK-Dieterich4 Art. 14 GG Rn. 9, 18. Insgesamt ist für das Konkurrenzverhältnis der Berufsfreiheit zum Eigentumsschutz eine vom BVerfG entwickelte „Faustformel“ heranzuziehen, nach der Art. 12 GG den Erwerb, Art. 14 GG hingegen das Erworbene schützt. Die Abgrenzung vollzieht sich mithin anhand der Leitlinie, ob ein Eingriff – zukunftsbezogen – die Schaffung und Erhaltung einer Existenzgrundlage oder hingegen ein Eigentumsobjekt, also den erworbenen Bestand von Vermögensgütern betrifft. 235 BVerfGE 84, 133 (157). 233

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

dinglicher Herausgabeansprüche.236 Auch hier stehen sich Gewissens- und Eigentumsfreiheit unmittelbar konfligierend gegenüber; es ist praktische Konkordanz zwischen beiden Gütern herzustellen.

(cc) Die Unternehmerfreiheit des Gläubigers als kollidierendes Rechtsgut Lösungsbedürftige Konflikte ergeben sich vor allem zur Unternehmerfreiheit des Leistungsgläubigers (Art. 2 I, 12 I GG).237 Der Gläubiger macht hiervon bereits Gebrauch, indem er eine betriebliche Organisationsstruktur schafft und aufrecht erhält, in deren Rahmen er Mitarbeiter einstellt und sie mit der arbeitsteiligen Wahrnehmung betrieblicher Tätigkeiten betraut.238 Die Unternehmerfreiheit kann – je nach Lage des Einzelfalles – ihrerseits eine enge Ausprägung der personalen Grundrechtsbetätigung des Gläubigers darstellen. Allerdings muss hier differenziert werden, inwieweit sie Ausprägung seiner personalen Identität ist, was bei einem einzelnen, persönlich verantwortlichen Unternehmer in stärkerem Maße der Fall ist als etwa hinsichtlich der Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft.239 Hier schwächt sich die personale Prägung und damit die Betroffenheit der Unternehmerfreiheit sukzessive ab.240 Je enger also der Bezug der Betriebs- und Unternehmensführung zur Person des Unternehmers, desto eher kommt es in diesem Bereich zu echten Grundrechtskollisionen. Seitens des Arbeitnehmers ist dann Art. 4 I GG zu würdigen, seitens des Arbeitgebers Art. 2 I, 12 I GG. Beide Rechtspositionen sind nach den Regeln der praktischen Konkordanz zu größtmöglicher Entfaltung zu bringen. Nach den obigen Feststellungen wird freilich ein schonender Ausgleich beider Positionen selten in Betracht kommen, da der Gewissenskonflikt nur sehr begrenzt Kompromissen zugänglich ist.241 Abgesehen von Fällen, in denen eine Beschäftigung des Arbeitnehmers mit einer „gewissensneutralen“ Alternativtätigkeit möglich erscheint, wird es daher dem Rechtsanwender oftmals nicht  236 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (39); Kaufmann AcP 161 (1962), 289 (292 ff.). 237 Ähnlich BAG NZA 2003, 483 (486 f.); LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2. Zum Verhältnis von Art. 2 I und 12 I GG im Bereich der Unternehmerfreiheit vgl. BVerfGE 50, 290 ff.; MünchArbR-Buchner § 39 Rn. 14. 238

MünchArbR-Buchner § 39 Rn. 13; vgl. zum Schutzbereich auch grundlegend BVerfGE 65, 196 (210). 239 Es muss also zwischen dem einzelnen Unternehmensinhaber, Personen- und Kapitalgesellschaften unterschieden werden; vgl. BVerfGE 50, 290 (341 f., 364 f.) – Mitbestimmung. 240 241

Instruktiv und klar dazu die Darstellung bei MünchArbR-Richardi § 30 Rn. 8. Vgl. oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (a).

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erspart bleiben, zur Lösung eines Konfliktes ein konkretes Vor- und Nachrangigkeitsverhältnis der betroffenen Rechtspositionen festzustellen.242 Dazu muss die Schrankensystematik der betroffenen Grundrechte Beachtung finden. Diese konstituiert zwar kein absolutes Vor- bzw. Nachrangigkeitsverhältnis zwischen den betroffenen Grundrechten.243 Sie ist jedoch als Wertungsgesichtspunkt zu berücksichtigen. Das BVerfG führt etwa zur Unternehmerfreiheit aus, dass lediglich ein „angemessener Spielraum zur Entfaltung der Unternehmerinitiative“ Eingriffen schlechthin entzogen sei.244 Außerhalb dieses Kernbereichs seien verhältnismäßige Eingriffe zulässig. Die Gewissensfreiheit wird demgegenüber in vollem Umfang bereits durch das Grundgesetz als „unverletzlich“ charakterisiert. Es ergibt sich bei Ermittlung des konkreten Rangverhältnisses somit schon aus den verfassungsmäßigen Eingriffsmöglichkeiten eine erste Wertentscheidung zugunsten der Gewissensfreiheit.245 Hier kommt die Leitbildfunktion der Menschenwürde für die Lösung von Grundrechtskollisionen246 insofern zum Tragen, als die Gewissensfreiheit eine besonders enge Ausformung der Menschenwürde darstellt.247 Insbesondere ist jedoch bei der Lösung des Konfliktes zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber seine Unternehmerfreiheit regelmäßig auch dann durch Zuweisung des Arbeitsbereichs an einen anderen Arbeitnehmer oder Einstellung eines neuen Arbeitnehmers wirksam werden lassen kann, wenn es zur Leistungsverweigerung durch den betroffenen Arbeitnehmer kommt. Der Arbeitnehmer hingegen hat regelmäßig zur Wahrung seiner Gewissensfreiheit keine andere Wahl als die Arbeit zu verweigern. Dies folgt letztlich aus der arbeitsvertragstypischen persönlichen Leistungspflicht. Insgesamt ist festzuhalten, dass die Berufs- und Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers grundsätzlich geeignet ist, in Konflikt mit der Gewissensfreiheit des Arbeitnehmers zu treten und insofern durchaus Raum für eine Interessenabwägung im Sinne praktischer Konkordanz sein kann. Erhebliche praktische Probleme bereitet allerdings bereits die genaue Schutzbereichseingrenzung der Unternehmerfreiheit. Die Äußerungen in Rechtsprechung und Literatur sind eher spärlich. Die Unternehmerfreiheit ist letztlich eine Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG)248  242

Vgl. BVerfGE 35, 202 (225); BVerfGE 59, 231 (261 ff.); v.Münch/Kunig-v.Münch Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 47. 243

BK-Evers Art. 79 GG Rn. 90. BVerfGE 50, 290 (366). 245 Vgl. nur Jarass/Pieroth-Jarass Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 45. 246 ErfK-Dieterich4 GG Einl. Rn. 78. 247 Vgl. statt vieler Maunz/Dürig-Herzog Art. 4 GG Rn. 11; Leuze RdA 1993, 16 (17). 248 Vgl. v.Münch/Kunig-Kunig Art. 2 GG Rn. 16 m.w.N. 244

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

und hat im Ausgangspunkt an deren umfassendem Charakter teil.249 Es deutet sich daher zum einen eine extensive Schutzbereichsdefinition an, die jegliches unternehmerisches Handeln zum von Art. 2 I GG geschützten Verfassungsgut erhebt.250 Konsequenz dieser Sichtweise wäre, dass auch die freie unternehmerische Gestaltung der Betriebsabläufe ein Rechtsgut von Verfassungsrang wäre und gegenüber der Gewissensfreiheit des Arbeitnehmers in Abwägung gebracht werden könnte. Umgekehrt ließe sich eine restriktivere Schutzbereichsdefinition vertreten, die lediglich die grundsätzliche Freiheit zu unternehmerischem Handeln nach einem bestimmten Unternehmenskonzept, nicht jedoch jegliche einzelne Konkretisierung in den Schutzbereich einbezieht.251 Die Unternehmerfreiheit wäre damit bei Gewissenskonflikten in jedem Fall dann betroffen, wenn der Arbeitgeber durch die Leistungsverweigerung schon seine grundlegende Möglichkeit unternehmerischen Handelns für eine gewisse Zeit einbüßen würde. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn es sich um einen Arbeitnehmer in einer Schlüsselposition handelt, die Betriebsabläufe also infolge seines Fehlens empfindlich gestört werden. Bei diesem Schutzbereichsverständnis muss allerdings stets eine manifeste Betriebs- oder wirtschaftliche Störung für eine Betroffenheit der Unternehmerfreiheit vorliegen. Diese Sichtweise klingt nunmehr auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung an: Das BAG prüft in seiner „Kopftuch“-Entscheidung vom 10.10.2002 unter dem Schutzbereich der Unternehmerfreiheit lediglich das Vorliegen von „konkreten betrieblichen Störungen oder wirtschaftlichen Einbußen“.252 Die bloße Organisationshoheit des Arbeitgebers über das äußere Erscheinungsbild seines Betriebes und seiner Arbeitnehmer verortet das BAG nicht unter dem grundrechtlichen Gesichtspunkt der Unternehmerfreiheit, obwohl es diesen Aspekt durchaus klar gesehen hat253 und noch das vorinstanzliche LAG Frankfurt ihn als Facette der Grundrechtsbetroffenheit des Arbeitgebers thematisiert hatte.254 Das BAG hingegen nennt für die unternehmerische Gestaltung des äußeren Erscheinungsbildes lediglich einfachrechtliche Anknüpfungspunkte, nämlich §§ 241 II, 242 BGB sowie das arbeitgeberseitige Direktionsrecht.255 Es scheint diesen Gesichtspunkt aus dem grundrechtlichen Schutzbereich der Un 249

Vgl. schon BVerfGE 6, 32 (36); dazu Degenhart JuS 1990, 161 (162 ff.).

250

Vgl. etwa LAG Hamm NZA 2002, 675 (677); LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2. 251 Generell mit einschränkender Tendenz hinsichtlich des Schutzbereiches von Art. 2 I GG Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 426 ff. m.w.N. 252

BAG NZA 2003, 483 (486). BAG NZA 2003, 483 (485). 254 LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2. 255 BAG NZA 2003, 483 (485). 253

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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ternehmerfreiheit ausklammern und dem einfachrechtlichen Bereich zuordnen zu wollen. Damit setzt es dem Schutzbereich der Unternehmerfreiheit recht enge Grenzen. Gegen die dargestellte extensive Schutzbereichsdefinition sprechen vor allem funktionale Gründe: Würde man die bloße Gestaltung des Betriebsablaufs zum Verfassungsgut erheben, so könnte jedes arbeits- und zivilgerichtliche Urteil, das auch nur in den Betriebsablauf eingreift, als mögliche Verletzung „spezifischen“ Verfassungsrechts durch Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG angegriffen werden. Das BVerfG würde somit zur umfassenden arbeits- und zivilrechtlichen „Superrevisionsinstanz“.256 Daher scheinen gute Argumente dafür zu sprechen, mit dem BAG in seiner „Kopftuch“-Entscheidung bereits bei der Schutzbereichsdefinition Zurückhaltung zu wahren. Andererseits erschüttert dieses restriktivere Schutzbereichsverständnis die grundrechtsdogmatisch anerkannte257 weite Schutzbereichsdefinition des Art. 2 I GG in einem wesentlichen Bereich. Es handelt sich hierbei um eine klärungsbedürftige verfassungsrechtliche Grundfrage, die über die Reichweite von Grundrechtskollisionen zwischen Gewissens- und Unternehmerfreiheit entscheidet. Ohne dass hier eine abschließende Klärung vorgenommen werden kann, spricht – insbesondere mit Blick auf die dargestellten funktionalen Bedenken – wohl mehr für ein eher eingrenzendes Schutzbereichsverständnis. Für die Anerkennung eines Konfliktes muss es daher zu konkreten, greifbaren Betriebsstörungen oder beachtlichen wirtschaftlichen Einbußen kommen.258 Auch in diesem Fall wird jedoch meist der Gewissensfreiheit und damit der Leistungsverweigerung höheres Gewicht zukommen.259 Sofern diese Sichtweise auf der Primärebene einseitig die Interessen des Arbeitnehmers zu berücksichtigen scheint, sei an dieser Stelle nachdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Ausgleich auf der Sekundärebene geschaffen wird. So verliert der Arbeitnehmer bei einer länger andauernden Leistungshinderung seinen Entgeltanspruch.260 Er sieht sich zudem auch bei berechtigter Leistungsverweigerung kündigungsrechtlichen Konsequenzen in Gestalt einer personenbedingten Kündigung ausgesetzt.261 Ein Korrektiv zugunsten des Leistungsgläubigers wird zudem dadurch geschaffen, dass der Schuldner nach hier vertretener Auffassung über die Reichweite der Leistungsverweigerung nicht dis 256

Den Einwand bringen auch v.Münch/Kunig-Kunig Art. 2 GG Rn. 18a und Stern, Staatsrecht III/1, § 75 IV 6 und 7; vgl. auch sogleich unten § 3 II 2 c) bb) (1.) (a) (ee). 257 Vgl. dagegen Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 426 ff. m.w.N. 258 Zum Maßstab für die Beachtlichkeit wirtschaftlicher Beeinträchtigungen vgl. BAG NZA 2003, 483 (486). 259

Vgl. oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (a). Vgl. unten § 15 II 1 und 2. 261 Vgl. unten § 17 II 2 c). 260

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

ponieren kann; er hat nur die Wahl zwischen vollständiger Leistungsverweigerung oder vertragsgemäßer Leistung.262 Insoweit ergibt sich – entsprechend der eingangs dargestellten Leitlinie263 – ein negatives Anreizsystem auf der Ebene der sekundären Rechtsfolgen, das einer missbräuchlichen Inanspruchnahme des Leistungsverweigerungsrechts entgegensteht.

(dd) Die Presse- und Meinungsfreiheit des Gläubigers als kollidierendes Rechtsgut Vor allem in Tendenzunternehmen kann es daneben zu Konflikten mit der Presse- und Meinungsfreiheit des Arbeitgebers kommen. Dieser Konflikt tritt insbesondere bei Tendenzträgern, beispielhaft also Redakteuren in Presseunternehmen, potentiell besonders deutlich zutage. Auch hier müssen beide Grundrechtspositionen nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz möglichst schonend zum wechselseitigen Ausgleich gebracht werden.264 Dabei ist dem Schutz der pressespezifischen Tendenz ein hoher verfassungsrechtlicher Stellenwert beizumessen, da die von Art. 5 I GG gewährleistete Meinungsvielfalt und die Institution der freien Presse für ein freiheitliches Staatswesen von schlechthin konstitutiver Bedeutung sind.265 Allerdings wird in der Mehrzahl der Fälle ein Tendenzbezug der Tätigkeit schon bei der Einstellung offenkundig, so dass – aufgrund der dann anzunehmenden Voraussicht des Gewissenskonfliktes266 – sich der Konflikt in dieser Schärfe gar nicht mehr stellt. In erster Linie ist es also Aufgabe des Arbeitsvertrages mit dem Tendenzträger, die tendenzbezogenen Rahmenbedingungen der Tätigkeit abzustecken und mögliche Konflikte offenzulegen.267  262

Vgl. unten § 15 II 3 b).

263

Vgl. oben § 2 IV. Vgl. ErfK-Dieterich4 Art. 5 GG Rn. 71 ff. Teilweise wird infolge der nötigen Modifikationen sogar von einem Sonderarbeitsrecht gesprochen; vgl. MünchArbR-Rüthers § 201 Rn. 1 ff.; Reuter, Festschrift Kissel (1994), S. 941; ablehnend Löffler-Dörner/Schaub, Kap. 34 Rn. 9. 265 Zur Meinungsfreiheit hat das BVerfG herausgestellt, diese gehöre zu den „vornehmsten Menschenrechten überhaupt“ (BVerfGE 7, 198 (208)) und sei für ein freiheitliches und demokratisches Gemeinwesen konstitutiv (BVerfGE 62, 230 (247); BVerfGE 71, 206 (220); BVerfGE 76, 196 (208 f.)). Gerade für den demokratischen Prozess sei sie von nicht zu überschätzender Bedeutung. Das gleiche gilt für die freie Presse als „Wesenselement des freiheitlichen Staates“ (BVerfGE 20, 162 (174); BVerfGE 52, 283 (296); BVerfGE 66, 116 (133)). 264

266 267

Vgl. sogleich unten § 3 II 2 c) bb) (1.) (b). ErfK-Dieterich4 Art. 5 GG Rn. 75.

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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Tritt der Leistungspflichtige – dies kann nicht nur ein Arbeitnehmer, sondern gerade im Bereich der Medien auch ein freier Mitarbeiter sein268 – trotz des bekannten Widerspruchs zu seinem Gewissen in das Arbeitsverhältnis ein, so verzichtet er auf Einwände seiner Gewissensfreiheit.269 Soweit es sich allerdings nicht um Vorhersicht des Konflikts, sondern um bloße Vorhersehbarkeit handelt oder aber der Konflikt erst im laufenden Arbeitsverhältnis entsteht, kann der Konflikt zwischen Presse- und Gewissensfreiheit in vollem Umfange aufbrechen. In diesem Fall ist der Tendenzloyalität des Tendenzträgers ein hoher Stellenwert zuzumessen; die Gewissensfreiheit muss damit möglichst in Einklang gebracht werden. Gleiches gilt für die bekannte Fallgruppe von Personen, die zwar in den publizistischen Produktionsprozess eingebunden, aber keine Tendenzträger sind.270 Zu denken ist hierbei an die bekannte und mehrfach zum Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen gewordene Fallgruppe der Drucker.271 Dabei wird sich oftmals das Sonderproblem stellen, dass bei Eingehung des Arbeitsverhältnisses der Inhalt der zu fertigenden Druckerzeugnisse dem Arbeitnehmer gar nicht bekannt ist. Ein konkludenter Grundrechtsverzicht durch Eingehung des Arbeitsverhältnisses kommt in derartigen Konstellationen naturgemäß nicht in Betracht. Auch hier ist also zwischen der hochrangigen Gewissensfreiheit und der nicht minder hochrangigen Pressefreiheit ein angemessener Ausgleich zu schaffen; es ist Raum für eine Interessenabwägung im Sinne praktischer Konkordanz. Sofern in Konflikten ein schonender Ausgleich beider Positionen nicht möglich ist – was angesichts der Qualität der betroffenen Grundrechte oftmals der Fall sein wird –, ist ein Vorrangverhältnis im konkreten Fall zu ermitteln. Gerade in Tendenzunternehmen fallen hierzu generelle Aussagen schwer, da den konfligierenden Grundrechtspositionen oft ähnliches Gewicht zukommen wird. Es ist also eine umfassende Abwägung im Einzelfall anzustellen, die auf die Ermittlung der Schutzwürdigkeit im jeweiligen Einzelfall abzielt.

 268

Vgl. zur „neuen Selbständigkeit“ Postler NJW 1999, 925; Nietzer/Stadie/Hopfenziz NZA 1999, 19 ff. 269 Deutlich Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; demgegenüber wollen Bosch/Habscheid JZ 1956, 297 (301) ausdrücklich einen Anspruch auf Vertragsanpassung auch bei positiver Vorhersicht des Konfliktes anerkennen. 270 Insbes. also Drucker, denen teilweise unter Verweis auf ihre im Entstehensprozess eines Druckwerkes untergeordnete, rein mechanische Tätigkeit gänzlich die Berufung auf Gewissenskonflikte versagt wird; vgl. nur Reuter BB 1986, 385 (389). 271 Vgl. Wendeling-Schröder BB 1988, 1742 (1745).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

(ee) Verfassungsgut Vertragstreue? Zum Teil wird gegenüber der Glaubens- und Gewissensfreiheit das vermeintliche Verfassungsgut der Vertragstreue angeführt. Das LAG Frankfurt272 führt etwa aus, der Arbeitgeber habe „einen gleichfalls grundrechtlich geschützten Anspruch auf volle Vertragserfüllung, der nicht ohne weiteres durch den Hinweis [...] auf Art. 4 I GG unterlaufen werden“ könne.273 Diese Grundrechtsposition gründe sich letztlich auf der grundrechtlichen Verbürgung der Vertragsfreiheit in Art. 2 I 1 GG.274 Schon wenn die bloße Durchführung einer vertraglichen Vereinbarung gefährdet sei, sei auf Seiten des Gläubigers die grundrechtlich geschützte Privatautonomie betroffen. Verfassungsrechtliche Gegenpositionen des Schuldners, die wie die Gewissensfreiheit der ungeschmälerten Vertragsdurchführung entgegenstehen, geraten nach dieser Auffassung im privatrechtlichen Kontext stets in einen verfassungsrechtlichen Konflikt mit der durch Art. 2 I 1 GG geschützten Vertragsfreiheit. Das LAG Frankfurt folgert daraus, dass sich in einem Konflikt mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit „Grundrechtspositionen der Parteien [...] gleichrangig gegenüber[stehen]“; zwischen ihnen will das LAG einen Ausgleich im Wege praktischer Konkordanz suchen. Ähnlich führt in der Literatur insbesondere Rüfner aus, die grundrechtlich geschützte Vertragsfreiheit gebe „dem Arbeitgeber seinerseits einen grundrechtlich geschützten Anspruch auf Vertragserfüllung, der nicht mit Hinweis auf Gewissensbedenken unterlaufen werden darf“.275 Ob freilich in der Tat der bloße Anspruch auf Vertragserfüllung ein Verfassungsgut darstellt, kann mit Fug und Recht bezweifelt werden. Wieacker etwa führt zwar die Vertragstreue als Kollisionsgut in Gewissenskonflikten an, sieht in ihr jedoch nur einen höchsten sittlichen Wert, kein Verfassungsgut.276 Das BAG hat in seiner Folgeentscheidung vom 10.10.2002 zur Entscheidung des LAG Frankfurt denn auch den bloßen Anspruch auf Vertragsdurchführung zu Recht als kollidierendes Verfassungsgut nicht in Betracht gezogen.277 Zwar gewährleistet Art. 2 I 1 GG die Freiheit privatautonomen Handelns. Die Verfassung verbürgt damit die Freiheit des Einzelnen, Verträge zu schließen und den Vertragsinhalt im Grundsatz ohne staatliche Einflussnahme zu  272

LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2. Hervorhebungen durch den Verf. 274 Ähnlich etwa BK-Obermayer Art. 140 GG Rn. 59 m.w.N. 275 Rüfner RdA 1992, 1 (4). 276 Wieacker JZ 1954, 466 (468). 277 BAG NZA 2003, 483 (insbes. 486). 273

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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gestalten.278 Dies ist praktisch unbestritten,279 wobei der dogmatische Ansatzpunkt zwischen Art. 12 I GG280 und Art. 2 I GG divergiert. Die Stellungnahmen in der Literatur gehen jedoch zumeist über diesen Punkt auch nicht hinaus. So führen etwa Scholz281 und Buchner282 aus, durch die verfassungsrechtlich verbürgte Privatautonomie sei die Freiheit des Arbeitgebers bei der Begründung, der Beendigung und inhaltlichen Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen geschützt. Dass dem bloßen Anspruch auf Vertragserfüllung Verfassungsrang zukommen soll, dafür findet sich in der weit überwiegenden Mehrzahl umfassender Stellungnahmen zum Verfassungsgut Vertragsfreiheit nichts. Stern hingegen äußert dazu dezidiert ablehnend, ein allzu extensives Schutzbereichsverständnis bei der Vertragsfreiheit liefe auf Anerkennung eines „Verfassungsprivatrechts“ hinaus, was nicht angemessen sei. Er verweist dafür insbesondere auf funktionale Bedenken hinsichtlich der Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts.283 Dieser Sichtweise ist zuzustimmen. Der Vertragsschluss und die inhaltliche Gestaltung von Verträgen unterliegen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung von Privatautonomie. Die Grenze des verfassungsrechtlichen Schutzes wird allerdings so zu ziehen sein, dass die Verfassung zwar die Freiheit privatautonomen Handelns als Ausprägung einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung verfassungsrechtlich gewährleisten möchte. Sie regelt somit das „Ob“ privatautonomen Handelns dahingehend, dass privatautonome Vereinbarungen in dem durch die Schranken des Art. 2 I 1 GG vorgegebenen Rahmen möglich sein sollen. Damit räumt sie den Privatrechtssubjekten einen weiten Spielraum autonomen Handelns ein. Gerade Konsequenz der so gewährleisteten Privatautonomie ist aber, dass sich die Durchsetzung des einmal begründeten vertraglichen Anspruchs in dem Gleichordnungsverhältnis der Parteien und folglich im Grundsatz auf Ebene des einfachen Zivilrechts vollzieht. Zwei Grenzlinien sind dabei entscheidend und müssen für jede konsistente Stellungnahme zur Thematik Beachtung finden: Zum einen liefe die Vertragsfreiheit leer, würde man zwar den Vertragsschluss verfassungsrechtlich gewährleisten, den Vertragsinhalt jedoch vollkommen schutzlos stellen. Die Verbürgung von Vertragsfreiheit würde zum bloßen Scheinrecht degradiert, könnte der Staat in den privatautonom geschaffenen Vertrag nach Belieben eingreifen  278

v.Münch/Kunig-Kunig Art. 2 GG Rn. 16; MünchArbR-Richardi § 30 Rn. 7. Vgl. allerdings die kritische Würdigung bei Dieterich RdA 1995, 129 (130). 280 Vgl. etwa MünchArbR-Buchner § 39 Rn. 15 m.w.N. 281 Scholz ZfA 1981, 275. 282 MünchArbR-Buchner § 39 Rn. 15. 283 Stern, Staatsrecht III/1, § 75 IV 6. 279

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

und den Vertragsinhalt verändern. Wie auch das BVerfG ausführt,284 ist es daher zwingend geboten, auch den Vertragsinhalt vor nachträglichen – staatlichen – Eingriffen zu schützen. Dies ist integraler Bestandteil von Vertragsfreiheit; ohne diese Konsequenz ist substanzielle Privatautonomie nicht denkbar. Eine andere Betrachtung ist jedoch im Gleichordnungsverhältnis der Parteien angezeigt: Der Inhalt der vertraglichen Vereinbarung wird – gerade dies ist Ausfluss der Privatautonomie – von den Parteien autonom im privatrechtlichen Gleichordnungsverhältnis geschaffen. Die Parteien begründen damit in dem zwischen ihnen bestehenden Verhältnis kraft ihrer Privatautonomie Rechte und Pflichten. Die jedem Vertrag innewohnende, zentrale und charakteristische Pflicht ist dabei die Erfüllungspflicht, das korrespondierende Recht der Erfüllungsanspruch. Auf diese Rechte und Pflichten, die als Konsequenz der Privatautonomie autonom zwischen den Parteien geschaffen werden, unmittelbar Verfassungsrecht anzuwenden, hieße, dass Grundrechte im Verhältnis der Vertragsparteien unmittelbare Geltung erlangen. Besonders gilt dies, wenn man den von den Parteien autonom geschaffenen Erfüllungsanspruch als Verfassungsgut begreift. Eine solche Sichtweise beinhaltet somit nichts anderes als die Anerkennung unmittelbarer Drittwirkung. Sie läuft elementar der Staatsgerichtetheit der Grundrechte zuwider.285 Es handelt sich damit zwar einerseits um ein Schutzbereichsproblem, hintergründig jedoch ebenfalls um ein Drittwirkungsproblem. Noch ein weiterer Aspekt spricht gegen die Anerkennung des Erfüllungsanspruchs als Verfassungsgut: Die Parteien könnten bei Bejahung dieser Sichtweise faktisch selbst Verfassungsgüter schaffen. Bedenkt man, dass das einfache Privatrecht der Gestaltungsfreiheit der Parteien dabei Grenzen setzt, etwa durch die Verbots- und Sittenwidrigkeit, würde bei dieser Sichtweise demnach die Frage, ob ein Erfüllungsanspruch und damit ein Verfassungsgut wirksam geschaffen wurde, entscheidend von einfachrechtlichen Wertungen abhängen. Bereits der Schutzbereich der Vertragsfreiheit würde damit durch das einfache Gesetzesrecht definiert. Dies läuft jedoch der Normenhierarchie ebenso zuwider wie Grundlagen der Grundrechtsdogmatik.286 Konsequenz der Privatautonomie ist damit, dass der Inhalt der einmal gefundenen privatrechtlichen Vereinbarung im Grundsatz frei von staatlichen Einflüssen bleibt und sich folglich – sofern kein Konflikt zu Verfassungsgütern

 284

BVerfGE 89, 48 (61). Für eine Parallelkonstellation ähnlich: Roscher, Vertragsfreiheit, S. 50. 286 Vgl. Roscher, Vertragsfreiheit, S. 50. 285

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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auftritt – im privatrechtlichen Gleichordnungsverhältnis frei entfalten kann.287 Grundsätzlich stellt sich damit die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung als ein rein zivilrechtsimmanenter Vorgang dar, der nur insoweit verfassungsrechtlich sanktioniert ist, als das Grundgesetz das „Ob“ privatautonomen Handelns als umfassendes Freiheitsrecht einräumt und den Inhalt der vertraglichen Einigung vor staatlichen Eingriffen schützt. Die Vertragsdurchführung als solche hingegen, insbesondere der Anspruch des Gläubigers auf Vertragserfüllung, stellt keineswegs ein Verfassungsgut, sondern ein einfach-zivilrechtliches Rechtsgut des Gläubigers dar.288 Dass die von Rüfner und dem LAG Frankfurt befürwortete Sichtweise, welche das Gläubigerinteresse an der Vertragserfüllung zum Verfassungsgut erhebt, zu problematischen Konsequenzen führt, zeigt zudem ein Blick auf die Funktion des BVerfG. Würde der bloße zivilrechtliche Erfüllungsanspruch des Gläubigers ein durch Art. 2 I GG geschütztes Verfassungsgut darstellen, könnte jegliche zivilrechtliche Streitigkeit im Wege der Verfassungsbeschwerde vor das BVerfG getragen werden. Jedes Urteil, das einem zivilrechtlichen Anspruch die Anerkennung versagt, würde unmittelbar in Grundrechte des Gläubigers eingreifen. Jeder nicht evident ausgeschlossene zivilrechtliche Anspruch wäre damit potentiell geeignet, vor dem BVerfG durch Verfassungsbeschwerde geltend gemacht zu werden.289 Die dargestellte Sichtweise hätte also die zwingende Konsequenz, dass das BVerfG zu einer umfassenden zivilrechtlichen „Superrevisionsinstanz“ würde.290 Die Selbstbeschränkung des BVerfG291 würde damit auf breiter Front unterminiert.292 Mit Blick auf diese Implikationen kann der bloße Anspruch des Gläubigers auf Vertragserfüllung in derartigen Kollisionssituationen nicht als konfligierendes Verfassungsgut angeführt werden. Er stellt sich vielmehr grundsätzlich als einfachrechtliches Interesse an einer vereinbarungsgemäßen Vertragsdurchführung dar. Dieses einfachrechtliche Interesse kann jedenfalls gegenüber vorbe 287 Schon die Betroffenheit der Privatautonomie zieht Habscheid JZ 1964, 246 (248) in Zweifel, wenn er die Privatautonomie hinsichtlich des Vertragsinhalts jedenfalls bei einseitig gestellten Vertragsbedingungen für eine „rein formale Hülse“ hält. 288 Vgl. instruktiv Söllner RdA 1989, 144 (146). 289 Stern, Staatsrecht III/1, § 75 IV 6 b) charakterisiert eine extensive Interpretation der Art. 2 und 3 GG als prozessualen „Hebel für Verfassungsbeschwerden gegen nahezu jedes Gerichtsurteil und eine offene Flanke einer unbegrenzt weit gezogenen Kontrolle der Rechtsprechung“. 290 Ähnlich v.Münch/Kunig-Kunig Art. 2 GG Rn. 18a; Stern, Staatsrecht III/1, § 75 IV 6 und 7. 291 292

Grundlegend BVerfGE 7, 198 (207). Stern, Staatsrecht III/1, § 75 IV 5; vgl. auch Krause JZ 1984, 656.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

haltlos gewährleisteten Grundrechten keinen geeigneten Abwägungsposten darstellen, da eine derartige Abwägung die Vorbehaltlosigkeit der konfligierenden Verfassungsposition unbeachtet ließe. Nur im Einzelfall, etwa bei Betroffenheit der Eigentums- oder Berufsfreiheit, kann der Anspruch auf Vertragserfüllung den Entfaltungsrahmen für verfassungsrechtliche Güter darstellen; dann ist eine Abwägung – wie dargestellt – zulässig und geboten.

(ff) Fazit und Bewertung Insgesamt bleibt festzuhalten, dass nur bei einem Konflikt zwischen Verfassungsgütern die Gewissensfreiheit überhaupt einer Abwägung zugänglich ist. Die Abwägung mit einfachrechtlichen Positionen und Interessen würde hingegen die Gewissensfreiheit unter einen Vorbehalt des einfachen Rechtes stellen, der von der Verfassung nicht gewollt ist. Schon eine Abwägung mit solchen einfachrechtlichen Positionen und Interessen durch den Richter würde einen – verfassungswidrigen – Eingriff in die Freiheit des Gewissens darstellen. Gerade hierzu neigt jedoch das BAG.293 In seinen Entscheidungen ist die Tendenz feststellbar, die Gewissensfreiheit mit dem bloßen Interesse an der Vertragserfüllung und der Disposition über den Arbeitsplatz abzuwägen. Beispielhaft sei die Entscheidung vom 20.12.1984 genannt:294 Hier führt das Gericht beispielhaft aus, wenn in einem Krankenhaus mehrere Ärzte zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs zur Verfügung ständen, sei es unbillig, einer die Abtreibung aus Gewissensgründen ablehnenden Ärztin gerade diese Tätigkeit zuzuweisen. Das Gericht legt damit nahe, im umgekehrten Fall, wenn nur jene Ärztin zur Verfügung stände, ein Überwiegen betrieblicher Interessen annehmen zu können. Dies erscheint mit Blick auf die dargestellten verfassungsrechtlichen Wertungen grundlegend verfehlt:295 Natürlich kann die bloße  293

Anders Kraushaar ZTR 2001, 208, der glaubt, das BAG habe die grundrechtlichen Vorgaben in seiner Rspr. zu Gewissenskonflikten hinreichend berücksichtigt. 294 BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27. 295 Auch Kohte NZA 1989, 161 (168) legt an dem Beispiel exemplarisch dar, dass die Kriterien des BAG dem Problem nicht gerecht werden: Das Beispiel laufe schon der seit 1974 anders kodifizierten Regelung des 5. Strafrechtsreformgesetzes zuwider. Hiernach (Art. 2 I StrafRRefG) ist „niemand [...] verpflichtet, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken.“ Der ebenfalls von Kohte angeführte zweite Absatz der Vorschrift statuiert: „Dies gilt nicht, wenn die Mitwirkung notwendig ist, um von der Frau eine anders nicht abwendbare Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung abzuwenden“, jetzt geregelt in § 12 SchkG. Ähnlich ist Schlechtriem, Schuldrecht AT, Rn. 289, explizit der Ansicht, dass die Leistungsverweigerung eines Arztes „kaum je“ in Betracht komme, wenn das Leben eines Menschen auf dem Spiel stehe. Diese Ansicht wird dem hohen verfassungsrechtlichen Rang der Gewissensfreiheit nicht gerecht.

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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Sorge um einen geregelten Arbeitsablauf die „unverletzliche“ Gewissensfreiheit des betroffenen Arbeitnehmers nicht verdrängen. Zu dem Kriterium der Abwägung mit entgegenstehenden betrieblichen Interessen bleibt somit festzuhalten: Nur in jenen Fällen, in denen betriebliche Interessen tatsächlich Ausprägungen von Verfassungsgütern verkörpern, ist die Gewissensfreiheit einer derartigen Abwägung zugänglich. Als konfligierendes Verfassungsgut des Arbeitgebers kommt dabei insbesondere seine von Art. 2 I GG geschützte unternehmerische Freiheit in dem – wie dargestellt – restriktiven Schutzbereichsverständnis, seine Berufs- und Eigentumsfreiheit sowie ein verfassungsrechtlicher Schutz von Tendenzunternehmen in Betracht. In allen anderen Fällen, in denen der Gewissensbetätigung nur einfachrechtlich geschützte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen, stellt sich die Gewissensfreiheit als ein unabwägbarer Wert dar. Die Abwägung mit betrieblichen Interessen kann daher nicht der Regelfall sein, sondern muss eine nur begrenzt anwendbare Ausnahme bleiben.

(b) Vorhersicht und Vorhersehbarkeit des Gewissenskonfliktes Wie das BAG selbst erkannt hat,296 ist auch das zweite Kriterium der Unvorhersehbarkeit nicht absolut geeignet, die Wirkung der Gewissensfreiheit zu reduzieren: Die Struktur des Gewissens bringt es mit sich, dass es wandelbar ist.297 Gewissenshaltungen können sich also im Laufe eines Arbeitslebens in starkem Maße verändern. Dabei wurde nicht immer mit hinreichender Deutlichkeit zwischen zwei grundverschiedenen Fallgestaltungen differenziert: Zum einen gibt es Fälle, in denen der Konflikt beim Vertragsschluss positiv vorhergesehen wurde. In anderen Fällen beschränkt sich der Vorwurf darauf, dass der Schuldner den Konflikt beim Vertragsschluss hätte vorhersehen können. Die rechtlichen Wertungen, die jeweils anzustellen sind, divergieren deutlich. In jenen Fällen, in denen der Konflikt beim Vertragsschluss nicht nur vorhersehbar war, sondern durch den Schuldner positiv vorhergesehen wurde, ver 296

BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. Vgl. Henssler AcP 190 (1990), 538 (550 ff.); richtig ist auch der Hinweis Kohtes [NZA 1989, 161 (167)], dass schon aus der Anerkennung der Widerruflichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung geschlossen werden kann, dass auch die Wandelbarkeit einer Gewissensentscheidung Anerkennung finden muss. Leuze hingegen möchte in einer wenig substanzreichen Stellungnahme [RdA 1993, 16 (18)] der Wandelbarkeit des Gewissens jede Berechtigung absprechen: Es sei „in höchstem Maße unbillig“, dem Arbeitgeber die Folgen eines totalen Sinneswandels aufzubürden. Daher will er in weitem Umfang von positiver Vorhersicht des Konfliktes ausgehen, wenn sich lediglich die Gewissenshaltung des Arbeitnehmers ändert. 297

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

zichtet der Schuldner konkludent auf den grundrechtlichen Schutz, indem er sich „sehenden Auges“ einem gewissenswidrigen Vertragsverhältnis unterwirft. Von positiver Vorhersicht ist nur dann auszugehen, wenn der Schuldner Kenntnis von dem konkreten Konflikt hatte. Bereits im Ansatz ausgeschlossen ist positive Kenntnis jedenfalls dann, wenn sich – wie oft – der Konflikt erst durch eine spätere Änderung der Gewissenshaltung des Schuldners ergibt.298 Vielfach wird der Konflikt auch aus einer späteren Änderung des Tätigkeitsinhalts resultieren. Dann ist darauf abzustellen, ob der Schuldner bereits beim Vertragsschluss positiv wusste, dass er künftig im Rahmen seines Vertrages auch derartige Tätigkeiten würde ausführen müssen. Es ist mittlerweile anerkannt, dass ein Grundrechtsverzicht bei Grundrechten, die primär dem Schutz von Individualinteressen dienen,299 möglich ist.300 Bei der Gewissensfreiheit nun handelt es sich um ein Grundrecht, das die individuellste und subjektivste Sphäre des Menschen vor Beeinträchtigungen schützen möchte. Der Schuldner, der sich bewusst zu einer seinem Gewissen widersprechenden Tätigkeit vertraglich verpflichtet, bedarf daher keines Schutzes.301 Dieses Resultat lässt sich zwar auch ohne weiteres zivilrechtsimmanent mit einem Rückgriff auf den Grundsatz des „venire contra factum proprium“ begründen.302 Dahinter steht jedoch immer die verfassungsrechtliche Frage des Grundrechtsverzichts. Zu beachten sind dabei freilich die Grenzen des Grundrechtsverzichts, insbesondere die Frage nach der Disponibilität der betroffenen Grundrechtsposition.303

 298 Vgl. beispielhaft etwa den Sachverhalt von BAG NZA 2003, 483. Hier ergab sich der (Glaubens-)Konflikt erst durch eine Änderung der religiösen Haltung seitens der Arbeitnehmerin. 299 Umstritten ist dies hingegen für Grundrechte, die auch und primär der Wahrung der Verfassungsordnung dienen, vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 137 und speziell für die Menschenwürde (Art. 1 I GG) unten § 6 II 3 b) bb) (2.). 300

Ablehnend zum Begriff (wenn auch nicht zum Inhalt) des „Grundrechtsverzichts“ äußert sich allerdings ErfK-Dieterich4 GG Einl. Rn. 62; vgl. auch Pietzker, Der Staat 17 (1978), 526 (531); Stern, Staatsrecht III/2, § 86 II 4. 301 So auch Otto, Personale Freiheit, S. 121, Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (39 f.), Scheschonka, Gewissensnot, S. 109 ff.; a.A. Bosch/Habscheid JZ 1956, 301. Eine extreme Gegenposition bezieht Hamel, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Grundrechte Bd. IV/1, S. 37 (76), wenn er behauptet, man könne bei vorhergesehenen Gewissenskonflikten keinesfalls von schuldhafter Nichterfüllung sprechen, denn dem Gewissen zu folgen, sei keine Schuld. Damit verkennt er, dass es sich nicht um ein Problem des Verschuldens sondern des Grundrechtsverzichtes handelt. Vermittelnd schließlich Isenhardt, Freiheit des Gewissens, S. 121. 302 Etwa Scheschonka, Gewissensnot, S. 116 ff.; Wallmeyer, Kündigung des Arbeitsvertrags, S. 32 ff.; Grabau BB 1991, 1257 (1260) m.w.N. 303 Vgl. unten § 9 III 5 b).

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So ist etwa die Disposition über Rechtspositionen, die nicht allein den Freiheitsraum erweitern, sondern zugleich Pflichten auferlegen, dem Träger der Rechtsposition verwehrt. Dies wird zwar nicht bei Gewissenskonflikten bedeutsam, aber beispielhaft in der verwandten Fallgruppe familiärer Leistungshindernisse. Eltern wird durch Art. 6 II GG nicht nur ein Elternrecht eingeräumt; es wird vielmehr zugleich eine intensive Rechtspflicht begründet.304 Hier kann – wie darzustellen sein wird305 – mit Blick auf den Pflichtcharakter der betroffenen Rechtspositionen mangels Disponibilität von Grundrechtsverzicht keine Rede sein. Bei Gewissenskonflikten wird hingegen eine andere Dispositionsgrenze bedeutsam werden: Es ist anerkannt, dass der Grundrechtsträger nicht über den „Menschenwürdekern“ einer Grundrechtsposition disponieren kann.306 Berührt der Vertragsschluss in positiver Kenntnis künftiger Konflikte somit den Kern der Gewissensfreiheit und ergibt sich dadurch eine objektiv „der Menschenwürde hohnsprechende“307 Situation, scheidet eine einfache Lösung durch Rekurs auf den Gedanken des Grundrechtsverzichts aus. Trotz positiver Vorhersicht auf den Konflikt kommt es dann zu einer echten Rechtsgüterkollision. Wann im Einzelfall der „Menschenwürdekern“ der Gewissensfreiheit betroffen ist, berührt die Grundfrage nach dem kaum positiv definierbaren Schutzbereich der Menschenwürde.308 Generell lässt sich hier festhalten, dass dieser Gesichtspunkt in seltenen Ausnahmefällen309 eine Rolle spielen kann, in denen es trotz positiver Vorhersicht des Schuldners auf den Konflikt grob unbillig erscheint, ihn an der Vertragspflicht festzuhalten, weil er sonst nur noch als Objekt einer unerbittlichen Vertragspflicht, nicht jedoch in seinem personalen Geltungsanspruch wahrgenommen würde.310 Gerade unter Verweis auf eine verfassungsrechtliche Vorbestimmung lehnt Henssler311 wie schon Bosch und Habscheid in ihrer zweiten Stellungnahme312 demgegenüber die Relevanz der Vorhersicht für die Zuerkennung eines Leis 304

Vgl. nur Lüderitz, Familienrecht, Rn. 800; näher unten § 5 I. Unten § 5 I 3 d) dd) (2.) (c). 306 Vgl. Stern, Staatsrecht III/2, § 86 I 5, § 89 VI; Robbers JuS 1985, 925; allgemein auch Frieß, Verzicht auf Grundrechte (1968). 305

307

Wieacker JZ 1954, 466 (467). v.Münch/Kunig-Kunig Art. 1 GG Rn. 22: „Reichhaltigkeit und Vielfalt der Vorstellungen über Würde [...] schließen es aus, dem unbestimmten Rechtsbegriff „Würde“ eine Definition solcher Trennschärfe zu geben, die einen schlichten Subsumtionsvorgang ermöglichen könnte.“ Vgl. näher Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff (1990); Niebler BayVBl. 1989, 737. 309 Der Begriff des „Kernbereichs“ oder „Menschenwürdekerns“ ist eng zu ziehen; vgl. Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527 (542). 308

310

Vgl. v.Münch/Kunig-Kunig Art. 1 GG Rn. 19 ff. Henssler AcP 190 (1990), 538 (553). 312 Bosch/Habscheid JZ 1956, 297 (301). 311

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

tungsverweigerungsrechts ab. Er behandelt insoweit die Fälle der Vorhersicht und Vorhersehbarkeit gleich. Auch wenn der Schuldner beim Vertragsschluss vorhergesehen hat, dass der Vertrag ihn in einen Grundrechtskonflikt bringen wird, soll ihm demnach ein Leistungsverweigerungsrecht zustehen können. Henssler schafft dafür eine Kompensation auf der Sekundärebene, indem er in Fällen der Vorhersicht und Vorhersehbarkeit dem Gläubiger Schadensersatzansprüche einräumt.313 Insoweit wird an dieser Stelle nicht hinreichend zwischen Vorhersicht und Vorhersehbarkeit differenziert. Die ansonsten beifallswürdige Stellungnahme übersieht somit an dieser Stelle, dass gerade das Verfassungsrecht eine Relevanz der positiven Vorhersicht für die Lösung der Konfliktlage gebietet, sei es unter dem Aspekt des Grundrechtsverzichts, sei es unter der von Preuß314 angeführten Prämisse, Art. 4 I GG könne nur bei einer „grundrechtstypischen Konfliktsituation“, also einer rechtlich aufgezwungenen Gewissensnot eingreifen. An einem solchen Gewissenszwang fehlt es jedoch gerade, wenn der Schuldner – als Ausfluss seiner personalen Freiheit – sich bewusst einem Gewissenskonflikt aussetzt. Insoweit kann man dem Kriterium der Vorhersicht für die Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechts nur zustimmen. Dies gilt jedoch keinesfalls für die bloße Vorhersehbarkeit, da es insofern an einem bewussten Grundrechtsverzicht fehlt und gerade eine grundrechtstypische Konfliktlage zu konstatieren ist.315

(c) Prognose künftiger Gewissenskonflikte Das dritte Kriterium des BAG erscheint vollends verfehlt. Die Frage, inwieweit auch in Zukunft mit Gewissenskonflikten gerechnet werden kann, mag für Folgefragen, etwa eine Kündigung infolge der Leistungsverweigerung,316 relevant werden. Für die Zuerkennung des Leistungsverweigerungsrechts kann sie keinerlei Rolle spielen: Es entspricht der Struktur des Gewissens, jederzeit und in Anbetracht jeglicher Leistungspflicht „sprechen“ zu können. Will man also die Prognose künftiger Gewissenskonflikte zur Versagung eines Leistungsverweigerungsrechts rechtfertigend heranziehen, verkennt man, dass gerade dann, wenn auch künftig mit zahlreichen Gewissenskonflikten zu rechnen ist, der gegenwärtige Gewissenskonflikt besonders gravierend und ernstlich sein muss. Auch Kohte verweist zutreffend darauf, dass aus der Prognose weiterer Gewis 313

Diese Auffassung wird hier geteilt; vgl. unten § 16 II 2. Preuß ArbuR 1986, 382 (383). 315 Anders Berger-Delhey Anm. zu BAG § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1, der auch Vorhersehbarkeit für einen Grundrechtsverzicht genügen lassen will. Ähnlich jüngst Emmerich, Leistungsstörungen, S. 47. 316 Vgl. umfassend unten § 17. 314

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senskonflikte keinesfalls der Schluss gezogen werden könne, „dass die Pflichtenkollision dadurch erträglicher und die Unzumutbarkeit wieder hinfällig“ werde.317 Gerade umgekehrt ist vielmehr der Schluss zu ziehen, dass die Erwartung künftiger Gewissenskonflikte für die Ernstlichkeit der Gewissensentscheidung spricht, ein Leistungsverweigerungsrecht also umso eher zuerkannt werden muss. Freilich kann die Prognose von künftigen Gewissenskonflikten für die kündigungsschutzrechtliche Prognose bedeutsam werden: Eine Kündigung erscheint umso eher gerechtfertigt, je deutlicher sich die Gefahr künftiger Konflikte prognostizieren lässt. Diese kündigungsrechtliche Folge spielt jedoch für die Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechtes keine Rolle.318 Insgesamt kann man daher festhalten, dass die Kriterien des BAG, die zu einer Begrenzung leistungsrelevanter Gewissensentscheidungen in privatrechtlichen Rechtsbeziehungen führen sollen, diesem Anspruch nicht gerecht werden. Lediglich das Kriterium der positiven Vorhersicht des Gewissenskonfliktes vermag den verfassungsrechtlichen Vorgaben unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtsverzichts umfassend standzuhalten.319 Gleiches gilt grundsätzlich für das Kriterium betrieblicher Beeinträchtigungen, allerdings muss dieses auf die Betroffenheit anderer Rechtsgüter von Verfassungsrang eingeengt werden. Jede andere Sichtweise liefe der vorbehaltlosen Gewährleistung der Gewissensfreiheit zuwider.

(2) Eingrenzung auf die „Betroffenheit der ethischen Identität“ Ein weiterer Ansatz, im privatrechtlichen Kontext die Wirksamkeit der Gewissenfreiheit zu reduzieren, wird von Reuter vertreten:320 Nur bei einem hohen Maße an abverlangter Identifikation mit der vertraglich geschuldeten Tätigkeit  317

Kohte NZA 1989, 161 (167). Insgesamt könnte daher überlegt werden, ob nicht auch in der Rspr. des BAG zu Gewissenskonflikten das Kriterium der Prognose viel eher das im Kündigungsschutzrecht bekannte und anerkannte Prognoseprinzip ist. Zu bedenken ist dabei, dass dieses Kriterium zur Beurteilung von Gewissenskonflikten in der Konstellation der Kündigungsschutzklage entwickelt wurde; vgl. BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; allgemein zum Prognoseprinzip Preis, Prinzipien, S. 322 ff.; näher unten § 17 II 1 a) bb). 318

319 Grundsätzlich positiv äußern sich hingegen zu der Abwägung mit den „betrieblichen Interessen“ und der Prognose künftiger Gewissenskonflikte einzelne Stimmen in der Lit., etwa Bydlinski SAE 1991, 6 (7 ff.). Erklärlich ist dies nur dadurch, dass die – bei Gewissenskonflikten letztlich entscheidenden – verfassungsrechtlichen Wertungen bei einer zu sehr „zivilrechtsimmanenten“ Lösung aus dem Blickfeld geraten. 320 Reuter BB 1986, 385 (389); ders. JuS 1986, 490 (491).

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könne das Gewissen die Leistungspflicht verdrängen. Der Schuldner müsse also durch die Vertragspflicht zur Verleugnung seiner „ethischen Identität“ gezwungen werden, damit man eine Betroffenheit des Gewissens und ein Leistungsverweigerungsrecht anerkennen könne. Damit hat Reuter im Ansatz eine schon dargestellte Wahrheit richtig erkannt: Bei einem hohen Maß an vertraglich abverlangter Identifikation mit einer Tätigkeit treten Gewissenskonflikte besonders drängend und klar zutage, ergreift die Gewissensnot den Betroffenen besonders intensiv. Reuters Konsequenz freilich, etwa in dem Fall des Druckers, der einen Druckauftrag verweigert, eine Betroffenheit des Gewissens prinzipiell zu negieren, kann nicht gefolgt werden.321 Reuter hält das Gewissen immer dann für betroffen, wo jemand zur Verleugnung seiner ethischen Identität gezwungen wird. Dies sei bei einem Drucker aufgrund des rein mechanischen, untergeordneten Charakters seiner Tätigkeit nicht anzunehmen.322 Ungeklärt bleibt jedoch die – an sich zwingende – Folgefrage, wie diese ethische Identität definiert und begrenzt werden kann. Reuter scheint davon auszugehen, dass sie einer objektiven Definition und Bewertung zugänglich sei. Tatsächlich handelt es sich hier um einen Zirkelschluss: Wenn man das Gewissen für einen rein subjektiv zu bestimmenden, objektiver Kontrolle entzogenen Begriff hält, kann man das Gewissen logisch schlüssig nicht durch eine objektiv kontrollierbare „ethische Identität“ paraphrasieren. Richtig dürfte demgegenüber in Übereinstimmung mit dem BVerfG sein, dass diese das Gewissen prägende ethische Identität – die letztlich selbst das Gewissen ist – nur der einzelne Betroffene subjektiv für sich festlegen kann.

d) Relevanz der personalen und impersonalen Struktur von Schuldverhältnissen aa) Allgemeines Dargestellt wurde, dass alle vertretenen Ansätze zur Eingrenzung des offenen, subjektiven Gewissensbegriffs mehr oder weniger deutlich zu kurz greifen. In Anbetracht dieser Tatsache hat Diederichsen ausgeführt, aus der Anerkennung einer privatrechtlichen Wirkdimension der Gewissensfreiheit resultiere die Gefahr, dass in allen nur erdenklichen Rechtsbeziehungen das Gewissen als  321

Ablehnend auch Wendeling-Schröder BB 1988, 1742 (1745), die darauf verweist, dass auch im Kontext der Gewissensproblematik eine „Marginalisierung untergeordneter Tätigkeiten“ schon wegen des arbeitsteiligen Charakters der Arbeitsorganisation nicht in Betracht komme. 322 Reuter JuS 1986, 490 (491).

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Leistungshindernis in Betracht kommen könne. Jede andere Rechtsposition werde damit gegenüber dem Gewissen entwertet.323 Reuter hat demgegenüber angenommen, die privatrechtliche Wirkungsmacht der Gewissensfreiheit ließe sich allein schon dadurch deutlich eingrenzen, dass das Gewissen nur bei einer hohen Identifikation des Schuldners mit der ihm abverlangten Leistung überhaupt betroffen sein könne.324 Jedoch wurde soeben dargelegt, dass dieser Einwand kaum weiterführt, da er den Begriff des Gewissens lediglich durch den ebenso weiten und subjektiven Begriff der Betroffenheit der „ethischen Identität“ substituiert. Dennoch kann man die These Reuters aufgreifen und weiterführend fragen, ob – unabhängig von der von Reuter erörterten Druckerproblematik – nicht wegen der personalen Struktur des Gewissens eine Eingrenzung auf bestimmte, besonders personal geprägte Schuldverhältnisse zulässig ist. Dieser Gedanke könnte durch die aktuelle gesetzgeberische Entscheidung, den neuen § 275 III BGB in seinem sachlichen Anwendungsbereich auf Schuldverhältnisse mit einer persönlichen Leistungspflicht des Schuldners zu beschränken, neue Nahrung erhalten.325 Auch die Empirie scheint der These recht zu geben: Weit überwiegend entstammen die zu gerichtlicher Entscheidung gelangten Fälle dem Arbeitsrecht.326 Dennoch wurden immer wieder auch allgemeinzivilrechtliche Fälle als Schulbeispiele,327 als unterinstanzlich entschiedene oder nicht zur gerichtlichen Austragung gekommene Fälle zitiert.328 Nicht vergessen sei überdies, dass der Ausgangspunkt der Debatte in der Rechtslehre ein allgemein-zivilrechtlicher Fall war.329 Man kommt also nicht umhin, der Einschätzung zuzustimmen, dass Gewissenskonflikte in allen möglichen Typen von Vertragsverhältnissen aufbrechen können.330 Freilich zeigt schon die Praxis, dass Gewissenskonflikte überwie 323

Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (39). Reuter BB 1986, 385 (389). 325 Dazu unten § 3 III. 326 In der Rspr. des BGH haben Gewissenskonflikte als Leistungshindernisse bislang keine Rolle gespielt; vgl. für das Arbeitsrecht hingegen BAG AP § 123 GewO Nr. 12; BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 327 Vgl. Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 f.; Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 ff. 324

328

Vgl. etwa LG Heidelberg NJW 1966, 1922 sowie die „Stromboykott-Entscheidungen“ OLG Hamm NJW 1981, 2473; LG Dortmund NJW 1981, 746; AG Hamburg NJW 1979, 2315; AG Lörrach RdE 1988, 217. 329 Nämlich die Diskussion um die Möglichkeit eines Kinobesitzers, das Zeigen eines „sittlich anstößigen“ Filmes aus Gewissensgründen zu verweigern, vgl. zur Diskussion Bosch/Habscheid JZ 1954, 213; Wieacker JZ 1954, 466. 330

Auch Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9 weisen darauf hin, dass es sich bei der Durchbrechung der Vertragstreue wegen

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

gend in solchen Vertragsverhältnissen praktisch bedeutsam werden, in denen der Schuldner „in Person“ verpflichtet ist. Dies hängt damit zusammen, dass hier der Schuldner bei seiner Leistungserbringung in der Regel in wesentlich stärkerem Maße persönlich gefordert ist und ihm vielfach eine inhaltliche Identifikation mit der Tätigkeit verlangt wird. Dafür muss die Tätigkeit freilich nicht immer geistiger Natur sein, wie Reuter nahelegt: Auch dem Drucker kann trotz des mechanischen Charakters seiner Tätigkeit das Gewissen eine Verweigerung der ihm abverlangten Leistung gebieten; auch seine Tätigkeit ist personal geprägt (vgl. § 613 BGB). In einem Punkt ist Reuter jedoch recht zu geben: Bei einer in hohem Maße personal geprägten Vertragsstruktur wird der Konflikt mit dem eigenen Gewissen als drängender und zugunsten des Gewissens lösungsbedürftiger empfunden. Anders gesagt: Je höher die dem Schuldner abverlangte persönliche Identifikation mit einer Vertragspflicht ist, desto schneller kann es zu Gewissenskonflikten kommen, und desto intensiver werden diese Konflikte durch den Betroffenen erlebt.331 Insofern ist auch dem von Reuter gebrachten Beispiel zuzustimmen, wonach der Journalist, der einen Artikel schreiben muss, einen Gewissenskonflikt gegenüber dem Inhalt des Artikels deutlich drängender erleben wird als der Drucker, der ihn bloß drucken soll und dem daher eine erheblich geringere Identifikationsleistung abverlangt wird. Ebenso wird generell dem Arbeitnehmer eine ungleich höhere Identifikation mit der geschuldeten Leistung abverlangt als beispielsweise einem Käufer, der durch die Abnahme des Kaufgegenstandes in seiner Person weit weniger gefordert ist. Trotz dieser Feststellung bleibt es bei der eingangs entwickelten These: Gewissenskonflikte können ihrer Natur nach bei jeder Tätigkeit aufbrechen, sei sie personaler oder impersonaler, geistiger oder rein mechanischer Natur. Mit der zweiten – empirischen – These lässt sich diese Einschätzung überein bringen, wenn man in Abhängigkeit von der personalen Struktur der Vertragspflicht dem Gewissenskonflikt entweder einen höheren oder aber geringeren Stellenwert einräumt: In einem Arbeitsverhältnis, das dem Arbeitnehmer ein Höchstmaß an Identifikation mit dem Arbeitsprodukt oder seiner Tätigkeit abverlangt (idealtypisch bei einem Journalisten, bei einem abhängig beschäftigten Gynäkologen, der einen Schwangerschaftsabbruch ausführen soll, oder etwa bei einem Assistenten in der Stammzellenforschung), erlangt der Gewissenskonflikt demnach ein besonders hohes Gewicht. In diesen Fällen erscheint die Ge-

 Unzumutbarkeit um kein spezifisch arbeitsrechtliches Sonderproblem handele, die Thematik vielmehr in allen Austauschverträgen auftreten könne. 331

Vgl. auch Böckenförde VVDStRL 28, 33 (61): Je höchstpersönlicher eine Verhaltenspflicht sei, desto schärfer treffe den Betroffenen der Gewissenskonflikt.

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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wissensfreiheit in herausgehobenem Maße personal geprägt und der Menschenwürde verwandt.332 Hingegen sind bei weniger personal geprägten Vertragspflichten die Gegenpositionen des Vertragspartners stärker in den Blick zu nehmen. In diesen Fällen ist den konfligierenden Verfassungspositionen des Vertragspartners bei der Herstellung praktischer Konkordanz ein höheres Gewicht beizumessen. Das Kriterium einer besonderen personalen Prägung resultiert letztlich schon aus der Menschenwürdenähe der Gewissensfreiheit. Eine generelle Beschränkung der Gewissenskonflikte auf persönliche Leistungspflichten kann demgegenüber nicht anerkannt werden, da das Gewissen – wie gezeigt wurde – seiner Struktur nach bei jeder beliebigen Vertragspflicht „sprechen“ kann.

bb) Fallbeispiel: Dingliche Herausgabeansprüche Die hier vertretene Konzeption sei exemplarisch an einem Beispiel erläutert, das Diederichsen333 als Beleg für die Absurdität einer Anerkennung des Gewissens im Privatrecht anführt: Gebietet etwa einem religiösen Fanatiker sein Gewissen, einem anderen ein als anstößig empfundenes Buch wegzunehmen, und wendet er gegenüber dem Herausgabeanspruch des Eigentümers ein, sein Gewissen verweigere ihm auch die Rückgabe des Buches, so besteht auch bei Anerkennung einer privatrechtlichen Wirkungskraft der Gewissensfreiheit die zwingende Folge keinesfalls darin (wie jedoch von Diederichsen offenbar angenommen), dass er mit seinem Gewissenseinwand durchdringt und diesen mit Erfolg dem Herausgabeverlangen entgegensetzen kann. Vielmehr ist auf seiner Seite zwar das Gewissen betroffen. Für den Gläubiger des Herausgabeanspruchs greift jedoch dessen gleichfalls von der Verfassung geschützte Eigentumsfreiheit ein. Bei der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen beiden Verfassungsgütern ist zwar der hohe Rang der Gewissensfreiheit zu berücksichtigen. Für den verstärkten Schutz der Eigentumsfreiheit spricht demgegenüber entscheidend, dass die Herausgabe eines Gegenstandes keine unvertretbare, personal geprägte Handlung ist. Im Gegensatz zu höchstpersönlichen Leistungspflichten nimmt den Schuldner die Erfüllung des Herausgabeanspruchs in wesentlich geringerem Maße persönlich in die Pflicht, verlangt ihm eine geringere persönliche Identifikation mit der geforderten Leistung ab als eine nur persönlich zu erbringende, unvertretbare und eben deshalb auch gemäß § 888 III ZPO nicht  332 Deutlich Maunz/Dürig-Herzog Art. 4 GG Rn. 11 (Art. 4 I GG als „unmittelbarer Ausfluss“ der Menschenwürdegarantie). 333 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (38).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

erzwingbare Handlung. Der Schuldner hat also die Wahl: Er kann die Herausgabe auch durch einen anderen vornehmen lassen. Lässt auch dies sein Gewissen nicht zu, kann die Herausgabe vollstreckungsrechtlich erzwungen werden. Die Gewissensentscheidung als solche bleibt in diesem Fall vollkommen unangetastet; das konfligierende Gegeninteresse setzt sich gleichwohl zwangsweise durch. Zumindest im Wege der Zwangsvollstreckung kann also bei Herausgabeansprüchen das Eigentum des Gläubigers durchgesetzt und zur Entfaltung gebracht werden, ohne dass das Gewissen des Schuldners eine Beeinträchtigung erfährt. Dass dies möglich ist, erscheint als unmittelbare Folge der Tatsache, dass der Schuldner eines bloßen Herausgabeanspruchs bei der Leistungserbringung ungleich weniger personal gefordert ist als etwa der Schuldner einer nur persönlich erbringbaren Arbeitsleistung. Man wird mit diesem Argument die Betroffenheit des Gewissens nicht verneinen können; jedoch lässt das Argument bei der Herstellung praktischer Konkordanz mit anderen Verfassungsgütern die Gewissensfreiheit ein Stück zurücktreten und erlaubt eine stärkere Berücksichtigung der konfligierenden Rechtsgüter, im angeführten Fall also der Eigentumsfreiheit.

cc) Resümee Resümierend lässt sich festhalten, dass Gewissenskonflikte keinesfalls strukturell auf persönliche Leistungspflichten eingegrenzt werden können. Jedoch erlaubt eine nicht persönliche Leistungspflicht eine andere, stärkere Gewichtung von entgegenstehenden Verfassungsgütern. Wie sich diese Feststellung, dass das Auftreten von Gewissenskonflikten im Grundsatz nicht auf persönliche Leistungspflichten eingegrenzt werden kann, mit der Verengung des Anwendungsbereichs von § 275 III BGB auf derartige Schuldverhältnisse verträgt, wird an späterer Stelle ein lösungsbedürftiges und bemerkenswertes Problem der Neuregelung der ideell motivierten Unzumutbarkeit darstellen.334

3. Gerichtliche Überprüfung von Gewissensentscheidungen Mit der Feststellung der begrifflichen Uneingrenzbarkeit und extremen Subjektivität von Gewissensentscheidungen ist noch keine abschließende Aussage

 334

Vgl. unten § 3 III 2.

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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getroffen, inwieweit Gewissensentscheidungen einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich sind.335 Jedoch erscheint es auf den ersten Blick als eine die Grenzen des Paradoxen streifende Annahme, dass die Gewissensentscheidung als innerer, extrem subjektiver Vorgang objektiv durch ein Gericht nachvollzogen werden könnte. In der Tat besteht einerseits die Gefahr, dass eine zu weit reichende Kontrolle den subjektiven Gewissensbegriff aufgibt und das Gewissen zu einem „Sozialgewissen“, also einem Mindeststandard an gesellschaftlich allgemein anerkannten Wertvorstellungen, umwertet und damit entwertet. Dies stände jedoch in deutlichem Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben.336 Andererseits besteht – und insofern ist Diederichsen durchaus Recht zu geben – bei einer Überspannung des Gedankens der Uneingrenzbarkeit und Unkontrollierbarkeit von Gewissensentscheidungen die Gefahr, dass jede bloße Behauptung eines Gewissenskonfliktes zur Durchbrechung der Vertragstreue genügt. Auch dies kann nicht gewollt sein. Richtig ist daher ein beide Seiten der Problematik berücksichtigender Mittelweg: Es muss in möglichst weitgehendem Ausmaß überprüft werden können, ob eine Gewissensentscheidung im oben dargelegten Sinne vorliegt, wohingegen der eigentliche Inhalt der Gewissensentscheidung der richterlichen Bewertung unzugänglich bleiben muss.337

a) Theoretische Ansätze einer Beweiserleichterung bei Gewissenskonflikten Teilweise wurde erwogen, dass bei Gewissensentscheidungen schon die Beweislast zugunsten desjenigen verschoben sei, der sich auf die Gewissensentscheidung beruft.338 Dies mag im öffentlich-rechtlichen Kontext der Wehrdienstverweigerung ein gangbarer Weg sein.339 In privatrechtlichen Rechtsstreitigkeiten muss es demgegenüber bei der grundlegenden Beweisregel bleiben,

 335 Dazu insbes. Klein, Beweis und Gewissen, v.a. S. 28 ff., 86 f.; Maunz/Dürig-Herzog Art. 4 GG Rn. 159 ff.; Otto, Personale Freiheit, S. 118. 336 Vgl. nur Maunz/Dürig-Herzog Art. 4 GG Rn. 126 ff.; v.Mangoldt-Klein-Starck Art. 4 GG Rn. 62 ff.; AK-GG-Preuß Art. 4 GG Rn. 37; Simon, in: Schröter (Hrsg.): Kriegsdienstverweigerung, S. 32 (46); Isenhardt, Freiheit des Gewissens, S. 90 ff.; Otto, Personale Freiheit, S. 112 f.; Stein, Gewissensfreiheit, S. 16.; Kaufmann AcP 161 (1962), 289 (307). 337

Ähnlich Otto, Personale Freiheit, S. 112 f. m.w.N. Namentlich Scheschonka, Gewissensnot, S. 102. 339 Vgl. Otto, Personale Freiheit, S. 125 f. m.w.N. 338

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

dass jede Prozesspartei die für sie günstigen Tatsachen zu beweisen hat340 – eine Grundregel des Zivilprozesses, die zugleich Ausdruck eines elementaren Gerechtigkeitsgebotes ist. Weder durch die Interessenlage der Parteien noch durch die spezifische Struktur der Gewissensentscheidung ist eine abweichende und damit beweisrechtliche Grundsätze durchbrechende Beurteilung geboten.341 Daneben werden verschiedene Wege vorgeschlagen, dem Schuldner den Beweis seines Gewissenskonfliktes zu erleichtern. Würde man nämlich die vollständige Darlegung der extrem subjektiven, nicht objektivierbaren, nicht einmal notwendig rational mitteilbaren Gewissensentscheidung verlangen, würde man dem Schuldner Unmögliches aufbürden. Die Gewissensfreiheit würde damit gerade im entscheidenden gerichtlichen Konfliktfall praktisch entwertet, da sie der gerichtlichen Verwertbarkeit entzogen wäre. Vorgeschlagen wird daher, eine bloße Glaubhaftmachung i.S.v. § 294 I ZPO zuzulassen. Der Schuldner müsste demnach die bloß überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Gewissenskonfliktes342 beweisen.343 Diese Auffassung verkennt, dass § 294 I ZPO unmittelbar nur in den Fällen einer gesetzlichen Anordnung Anwendung findet.344 Auch eine analoge Anwendung scheidet aus, da es nicht Regelungszweck des § 294 I ZPO ist, materiell-rechtlichen Interessen gerecht zu werden, sondern allein dem Interesse der Prozesswirtschaftlichkeit Rechnung zu tragen.345 Daher ist die Glaubhaftmachung in aller Regel nur bei reinen Prozessfragen oder dann zulässig, wenn eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist.346 Die Vorschrift ist als Sonderregelung zum Grundsatz des Vollbeweises eng auszulegen.347 Damit ist deutlich gemacht, dass eine Glaubhaftmachung (im technischen Sinne der ZPO) nicht genügen kann; auch für Gewissenskonflikte ist an dem Erfordernis eines Strengbeweises festzuhalten. Jedoch hat schon Otto richtig darauf hingewiesen, dass der Strengbeweis nicht immer dieselbe Intensität an  340 Vgl. nur BGH NJW 1999, 353; BGH NJW 1995, 1095; Rosenberg, Zivilprozessrecht, § 117 II 2; Jauernig, Zivilprozessrecht, § 50 IV (S. 207). 341 Ähnlich Otto, Personale Freiheit, S. 126. 342 BVerfGE 38, 39 für den Bereich des Ordnungswidrigkeits- und Strafrechts; BGH NJW 1998, 1870; OLG Köln NJW-RR 2000, 428. 343 Dies klingt bei LG Heidelberg NJW 1966, 1922 (1924), Larenz, Schuldrecht AT9, S. 113 f. (in den Folgeauflagen nimmt Larenz zu der Problematik nicht mehr Stellung) sowie Enneccerus/Nipperdey, Bürgerliches Recht Bd. 1, S. 103 an. In jüngerer Vergangenheit explizit auch noch Grabau BB 1991, 1257 (1261). 344

Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 294 ZPO Rn. 2. Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 294 ZPO Rn. 4. 346 Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 294 ZPO Rn. 2. 347 Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 294 ZPO Rn. 2 . 345

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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richterlicher Überzeugung verlangt.348 Zwar muss der Richter persönlich von der Wahrheit der vorgebrachten Tatsache und nicht bloß von ihrer Wahrscheinlichkeit überzeugt sein.349 Jedoch müssen verbleibende Restzweifel nicht völlig ausgeschlossen werden können; ausreichend ist ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit.350 Insbesondere dürfen an den Grad von Überzeugung keine unerfüllbaren Anforderungen gestellt werden. Berücksichtigt man also, dass Restzweifel verbleiben dürfen, so ist der Formulierung des BVerwG, dass zum Beweis von Gewissensentscheidungen ein „hoher Grad an Wahrscheinlichkeit“ genüge,351 beizupflichten, solange diese Formulierung nicht dahingehend verstanden wird, dass insgesamt auf das Erfordernis eines Strengbeweises verzichtet werden soll.352 Vielmehr ist anzuerkennen, dass der Verweis auf „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ nur beschreibt, dass nicht in jedem Fall die richterliche Überzeugung auf „gleich dichtes Tatsachenmaterial gegründet werden kann“, wie Otto zutreffend feststellt.353 Eine tatsächliche Vermutung, dass bei einem ansonsten ehrlich und glaubwürdig erscheinenden Menschen auch der Behauptung einer Gewissensentscheidung Glauben geschenkt werden könne, scheidet demgegenüber schon wegen der subjektiven und individuellen Natur der Gewissensentscheidung aus.354

b) Insbesondere das Vorbringen geeigneter Indiztatsachen Es bleibt zu klären, welche objektiven Tatsachen geeignet sind, einen Rückschluss auf das Vorliegen eines ernstlichen Gewissenskonfliktes zu ermöglichen. Das BVerwG hat darauf verwiesen, dass vorhandene Indizien wohlwollend zu würdigen seien.355 Einen anderen Weg gibt es auch nicht: Wegen der extrem subjektiven Struktur von Gewissenskonflikten ist der Gewissenskonflikt als solcher dem Beweis und oftmals selbst einer objektiven Darlegung entzogen. Es können folglich allenfalls Indizien angeführt werden, die einen mög 348 349

Otto, Personale Freiheit, S. 126 f. BGH VersR 1998, 1302; vgl. auch BGH NJW 1978, 1684.

350

BGH NJW 1999, 488; Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 286 Rn. 18: keine unerfüllbaren Anforderungen an die Beweiserbringung. Vgl. auch BGH NJW-RR 1994, 567; OLG Hamm NJW 1999, 1788; OLG Koblenz VersR 2000, 219. 351

BVerwG NJW 1973, 636. So aber noch BVerwGE 14, 146 (150 f.). 353 Otto, Personale Freiheit, S. 127. 354 Richtig daher die ablehnende Stellungnahme bei Otto, Personale Freiheit, S. 126. 355 BVerwGE 30, 360. 352

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

lichst überzeugenden indirekten Rückschluss auf das Vorliegen eines Gewissenskonfliktes ermöglichen. Somit kann nur eine Plausibilitätskontrolle bezüglich des „Ob“ einer Gewissensentscheidung Platz greifen.356 Eine inhaltliche Bewertung der Gewissensentscheidung, also eine Unterscheidung zwischen „richtigen“ und „irrigen“, „echten“ oder „unechten“ Gewissensentscheidungen verbietet sich schon aufgrund der extrem subjektiven Grundstruktur des Gewissens, das einer objektiven Bewertung unzugänglich ist.357 Was man dem Schuldner im gerichtlichen Konfliktfall dennoch abverlangen kann, ist die Darlegung von Indiztatsachen, die das Vorliegen einer Gewissensentscheidung im obigen Sinne, also einer an den ethischen Kategorien von „gut“ und „böse“ orientierten, als unbedingt verpflichtend empfundenen inneren Entscheidung,358 plausibel erscheinen lassen. Dabei ist – auch insofern kann den Darlegungen des BVerwG gefolgt werden359 – zunächst ausschlaggebend, wie sich die Gewissensentscheidung in dem äußeren Verhalten des Betroffenen niederschlägt und abbildet. Otto verweist richtig darauf, dass der von einem Gewissenskonflikt Betroffene in der Regel gegenüber der Gesellschaft in eine Außenseiterrolle versetzt wird. Allein deshalb ergebe die konsequente Entscheidung des Betroffenen, sich trotz aller entstehenden Nachteile dennoch für den Gewissensspruch zu entscheiden, ein erheblich zugunsten der Gewissensentscheidung sprechendes Indiz.360 Dies ist jedoch nur ein Teilaspekt in einem übergreifenden Zusammenhang: Insgesamt wird man nämlich die schon skizzierte Lehre Luhmanns von den „lästigen Alternativen“361 aufgreifen und für die hier interessierende Problematik nutzbar machen können: Ein gewichtiges Indiz für eine Gewissensentscheidung ist demnach die generelle Bereitschaft des Schuldners, infolge der Leistungsverweigerung Nachteile in Kauf zu nehmen. So spricht es für die Ernstlichkeit des vorgebrachten Gewissenskonfliktes, wenn etwa der betroffene Arbeitnehmer bereit ist, die Einbuße seines Entgelts hinzunehmen, auf das er typischerweise sozial dringend angewiesen ist.362 Dies allein dürfte eine hinreichend „lästige“ Alternative sein, die ein Arbeitnehmer nicht einfach aus „Spaß“  356

Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1.

357

Vgl. BVerfGE 12, 45 (56); BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; Kohte NZA 1989, 161 (163); Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 358 BVerfGE 12, 45 (55); BVerfGE 48, 127 (173); auch BVerwGE 79, 24 (26 f.); HbStRBethge VI § 137 Rn. 10; v.Mangoldt/Klein-Starck Art. 4 GG Rn. 61. 359

Vgl. BVerwGE 30, 360. Otto, Personale Freiheit, S. 126. 361 Luhmann AöR 90, 257 (281 ff.). 362 Ähnlich Reuter BB 1986, 385 (389). 360

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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oder Querulantentum auf sich nimmt, sondern nur aus echter Gewissensnot. Gleiches dürfte für die Annahme einer vom Arbeitgeber angebotenen Alternativtätigkeit gelten, zumindest wenn diese mit erheblichen Belastungen für den Arbeitnehmer, etwa weiteren Anfahrtswegen, einem neuen Arbeitsumfeld oder einer schwierigen Einarbeitung in einen neuen Arbeitsbereich verbunden ist. Sofern man überdies sogar die Möglichkeit einer Kündigung bei andauernder Gewissensnot für möglich erachtet,363 muss die beharrliche Verweigerung der geschuldeten Leistung364 trotz einer drohenden Kündigung erst recht als ein kaum zu widerlegendes Indiz für einen Gewissenskonflikt anerkannt werden.365 Es bleibt also festzuhalten, dass der Beweis von Gewissenskonflikten trotz ihrer strukturellen extremen Subjektivität anhand überzeugender Indiztatsachen möglich ist. Solche Indiztatsachen sind gerade in der konsequenten Hinnahme schwerer Nachteile infolge der Gewissensentscheidung ersichtlich; als ein solcher schwerer Nachteil dürfte zumindest bei Arbeitnehmern regelmäßig der Verlust des Entgeltanspruchs ausreichen. Als weitere Indiztatsache kann – nach Lage des Einzelfalls – auch ein Vorverhalten oder eine persönliche Disposition des Betroffenen gewertet werden, die eine derartige Gewissenshaltung psychologisch naheliegend erscheinen lässt.366

III. Gewissenskonflikte als Fallgruppe von § 275 III BGB? Zum einen ist damit die Fundamentalentscheidung getroffen, Gewissensentscheidungen eine für das Privatrecht bedeutsame und im Einzelfall auch vertragliche Bindungen durchbrechende Kraft zuzusprechen. Zum anderen sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben geklärt, welche im Konflikt zwischen Gewissensfreiheit und Vertragstreue Beachtung finden müssen. Es dürfte in diesem Zusammenhang auch deutlich geworden sein, dass es sich im Kern weniger um zivilrechtliche als vielmehr um verfassungsrechtliche Fragestellungen han 363

Vgl. zur Thematik ausführlich unten § 17 II. Teilweise wurde demgegenüber die Beharrlichkeit der Leistungsverweigerung als für die Gewissensentscheidung des Arbeitnehmers negativer Umstand bewertet; vgl. etwa LAG Kiel NJW 1983, 1222. Dass dies unzutreffend ist, wurde schon durch das BAG dargelegt, vgl. BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27. 364

365 Ein anderes Bild könnte sich allenfalls in Extremsituationen ergeben, etwa wenn aufgrund einer plötzlichen Verbesserung der materiellen Lage (Lottogewinn, Erbschaft) oder aufgrund des Abschlusses eines zweiten Arbeitsvertrages der Arbeitnehmer kein Interesse an dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mehr hat und auch auf die Vergütung nicht angewiesen ist. 366 Vgl. Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

delt.367 Nachdem dieses verfassungsrechtliche Fundament der Problematik offengelegt wurde, kann nunmehr die einfachrechtliche Umsetzung der Problematik in den Blick genommen werden. Zunächst stellt sich dabei die infolge der Schuldrechtsreform vom 1.1.2002 hochaktuelle und schon jetzt umstrittene Frage, ob der Konflikt zwischen Gewissensfreiheit und Vertragstreue im neuen Schuldrecht mit § 275 III BGB eine Regelung erfahren hat368 oder ob weiterhin eine andere Lösungsmöglichkeit gesucht werden muss. Insofern könnte an eine Verortung der Problematik unter dem ebenfalls neu geschaffenen § 313 BGB gedacht werden.369 Möglicherweise verbleibt jedoch auch ungeachtet der Neuregelung speziell für den Bereich der Gewissenskonflikte ein Anwendungsbereich für die praeter legem entwickelten Lösungsmuster des alten Schuldrechts.370

1. Der Befund in Regierungsbegründung und Gesetzeswortlaut Drei Dinge können konstatiert werden, die wesentlich zur Beantwortung dieser Frage herangezogen werden müssen: Erstens hat der Gesetzgeber in seiner Begründung zum Regierungsentwurf an der für § 275 III BGB einschlägigen Stelle zwar andere klassische Fallgruppen der ideell begründeten „Unzumutbarkeit“ genannt,371 nicht aber die besonders anschauliche und klärungsbedürftige Fallgruppe der Gewissenskonflikte. Zum zweiten – als Argument für eine Einbeziehung von Gewissenskonflikten – schränkt der Wortlaut des § 275 III BGB die „Unzumutbarkeit“ nicht ausdrücklich auf bestimmte Fallgruppen ein. Und drittens muss in systematischer Hinsicht bedacht werden, dass der Anwendungsbereich der Norm sich ausschließlich auf Vertragstypen erstreckt, bei denen die Leistung „in Person“ zu erbringen ist. Hier könnte gerade bei Gewissenskonflikten ein Spannungsverhältnis zu der obigen Feststellung entstehen,  367 Ebenso Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (42); vgl. auch Dürig, Festschrift Nawiasky (1956), S. 157 (159). 368 Dafür ErfK-Preis4 § 611 BGB Rn. 849; Schaub-Linck § 45 Rn. 30; Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, S. 155 f.; Olzen/Wank, Schuldrechtsreform, Rn. 135; Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 115; Dedek, in: Henssler/v.Westphalen § 275 Rn. 36; Henssler RdA 2002, 129 (131); Fischer DB 2001, 1923 (1926). 369 Dafür AnwK-Dauner-Lieb § 275 Rn. 19. 370 Dafür Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 136, 199, 447; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 482 („flexiblere Lösungen“); vgl. die ausführliche Darstellung unten § 3 IV 2. 371 Nämlich die Einberufung zum ausländischen Wehrdienst, die Personensorge für nahe Angehörige, den Schulfall der Sängerin mit erkranktem Kind sowie die bislang in § 616 BGB einzuordnenden Fallgruppen; vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte unten.

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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dass Gewissenskonflikte infolge ihrer besonderen Struktur in sämtlichen, nicht allein in personal geprägten Schuldverhältnissen aufbrechen können.372 Die erste Feststellung spricht gegen eine Einbeziehung der Gewissenskonflikte in den Tatbestand des § 275 III BGB. Insofern dürfte ein Umkehrschluss aus der Enumerierung von Fallgruppen an der einschlägigen Stelle der Regierungsbegründung zulässig sein. Ein anderes Ergebnis ergibt auch nicht die marginale Erwähnung der Gewissensfreiheit an anderer Stelle,373 die teilweise als Argument für eine Einbeziehung der Gewissenskonflikte in den Regelungsbereich des § 275 III BGB genannt wird.374 Hier wird die Fallgruppe der „Gewissensbedenken“375 lediglich als Vergleichsmaßstab für die in § 275 II BGB fehlende Berücksichtigung der Schuldnerinteressen herangezogen, keinesfalls aber zum Ausdruck gebracht, dass Gewissenskonflikte § 275 III BGB unterfallen sollen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von Gotthardt376 angeführten Passage der Regierungsbegründung: „Die eigenen Interessen des Schuldners bleiben allerdings, vorbehaltlich des Absatzes 2 Satz 2, nicht immer völlig unberücksichtigt. Sie können vielmehr [...] nach anderen Vorschriften, insbesondere nach § 313 RE, zu berücksichtigen sein.“377 Was diese Passage der Begründung aussagen soll, bleibt völlig unklar.378 Nimmt man den Wortlaut ernst, so ergibt sich, dass der Gesetzgeber zunächst darlegt, dass – abweichend von § 275 II BGB – an anderen Stellen, etwa in § 313 BGB, die Schuldnerinteressen berücksichtigt werden sollen. Dies soll jedoch nur „vorbehaltlich des Absatzes 2 Satz 2“ (jetzt § 275 III BGB) gelten! Ginge man nach dem hier Gesagten, dürften also die Schuldnerinteressen in § 275 III BGB gerade keine Berücksichtigung finden. Der Wortlaut des § 275 III BGB sagt jedoch gerade das Gegenteil. Die zitierte Stelle der Regierungsbegründung ergibt also schlechthin keinen Sinn, ist inhaltsleer und mag als Musterbeispiel für das oft beklagte Unvermögen des modernen Gesetzgebers herhalten, seinen Willen zu artikulieren. Die Frage bleibt also auch hier offen. Die genannte Stelle der Regierungsbegründung könnte sogar als Argument gegen eine Einbeziehung herangezogen werden, denn sie zeigt, dass der Gesetzgeber die Problematik der  372

Vgl. oben § 3 II 2 d). BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte Abs. 3. 374 Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 115 Fn. 232. 375 Dass der Gesetzgeber von „Gewissensbedenken“ und nicht von „Gewissenskonflikten“ spricht, deutet darauf hin, dass ihm eine intensivere Erschließung der Problematik versagt geblieben ist. Bloße „Gewissensbedenken“ können mangels verpflichtender Wirkung ja schon im Ansatz nicht genügen, um Unzumutbarkeit auszulösen, vgl. zum Gewissensbegriff BVerfGE 12, 45 (54 ff.) und oben § 3 II 2 a). 376 Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 115 Fn. 232. 377 BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte Abs. 3. 373

378

Henssler RdA 2002, 129 (131) stellt denn auch zutreffend fest, dass die Textpassagen „ganz unterschiedlich interpretiert“ werden.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Gewissenskonflikte gekannt und gesehen hat. Gleichwohl hat er sie in der einschlägigen Begründung zu § 275 III BGB379 mit keinem Wort erwähnt. Dies könnte den Schluss zulassen, dass er sie an dieser Stelle gerade nicht regeln wollte. Entscheidend dürfte jedoch sein, dass in einer weiteren Passage der Regierungsbegründung ausdrücklich dargelegt wird, dass „auch Fälle der Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen [...] sich nicht mit § 275 II 1 RE380 [lösen lassen], sondern nur über § 313 RE oder über die Anwendung von Treu und Glauben.“381 Die Formulierung ist an dieser Stelle derart eindeutig, dass davon ausgegangen werden kann, dass es wohl dem – freilich diffusen – gesetzgeberischen Willen entsprach, Gewissenskonflikte aus dem Anwendungsbereich des § 275 BGB insgesamt auszuschließen.382 Die Folgefrage, welche Einordnung die rechtsdogmatisch zutreffende ist, hat der Gesetzgeber dabei ausdrücklich Rechtspraxis und -lehre überlassen, wenn er sowohl § 313 BGB als auch „Treu und Glauben“ als gleichberechtigte Lösungsalternativen nennt.383 Nach der hier konstatierten Einwirkung der Gewissensfreiheit auf das Privatrecht bliebe es demnach auch nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes bei dem aufgezeigten alten Meinungsstreit, wie die Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen in das Leistungsstörungsrecht eingeordnet werden kann. Dabei ist die Anzahl denkbarer Lösungsalternativen durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nicht eingegrenzt, sondern noch erweitert worden: Vom Gesetzgeber nahegelegt wird eine Einordnung unter § 313 oder § 242 BGB.384 Angesichts der Tatsache, dass sich der Gesetzgeber bei der dogmatischen Einordnung der Gewissenskonflikte offenbar äußerst unsicher war und diese durch das Angebot alternativer Lösungsmöglichkeiten letztlich an Rechtspraxis und -lehre delegiert hat, ist die dargestellte legislative „Entscheidung“ nicht allzu ernst zu nehmen. Man könnte also auch weiterhin erwägen – insoweit gegen den erklärten Willen des Gesetzgebers – eine Einordnung entweder unter § 275 III oder aber unter § 275 I BGB vorzunehmen, wenn dies in der Sache aus teleologischen oder regelungssystematischen Gründen geboten erschiene.  379

BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte unten. Jetzt § 275 II BGB. 381 BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte Abs. 2 a.E.; Hervorhebungen durch den Verf. 382 So auch MünchKomm-Ernst § 275 n.F. Rn. 118 mit Fn. 213. 383 Die Zurückhaltung des Gesetzgebers, hier eine Entscheidung zu treffen, mag sich aus der dargestellten Komplexität der Materie und der Eile des Verfahrens erklären. Vgl. insgesamt zur Kritik Dauner-Lieb JZ 2001, 8 ff.; Ernst ZRP 2001, 1; Huber ZIP 2000, 2137 (2273); Wetzel ZRP 2001, 117; Wilhelm/Deeg JZ 2001, 223. 384 Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte Abs. 2 a.E. 380

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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Angesichts der Ungenauigkeit der Regierungsbegründung ist daneben weiterhin auch an die Konzeption des BAG zu denken, die Konstellation der Gewissensnot als Grenze des Direktionsrechts aufzufassen und sie nun mittels § 106 GewO – als gegenüber § 315 BGB spezieller Regelung – einer Lösung zuzuführen.385 Dafür spricht, dass sich die Regierungsbegründung insgesamt für die rechtliche Behandlung der Fälle ideeller Unzumutbarkeit ausdrücklich auf die Rechtsprechung des BAG bezieht;386 dagegen, dass der Gesetzgeber den Inhalt der zitierten Entscheidung offensichtlich grundlegend verkannt hat.387 Die zweite Feststellung, der mit Blick auf die „Unzumutbarkeit“ uneingeschränkte Wortlaut der Vorschrift, stellt kein zwingendes Gegenargument dar: Das Wortlautargument ist immer ein schwaches Argument. Dies gilt umso mehr angesichts des vielfach – und in letzter Zeit leider in immer zunehmendem Maße – offenbar werdenden Unvermögens des Gesetzgebers, seinen Willen in treffende, eindeutige Worte zu kleiden.388

2. Einordnung unter § 275 III BGB gegen den Willen des Gesetzgebers? Gerade im vorliegenden Fall hat sich der Gesetzgeber aufgrund offenkundiger dogmatischer Unsicherheit einer abschließenden dogmatischen Einordnung der Gewissenskonflikte enthalten. Wenn er konstatiert, Fälle der Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen ließen sich „nur über § 313 RE oder über die Anwendung von Treu und Glauben lösen“,389 so überlässt er die letztliche Einordnung der Rechtswissenschaft und -praxis. Erschiene daher aus systematischen oder teleologischen Gründen dennoch eine Einordnung der Gewissenskonflikte unter § 275 III BGB geboten, so wäre zu erwägen, ob nicht die gesetzgeberische Delegation an Rechtswissenschaft und -praxis auch eine Einordnung unter § 275 III BGB zuließe. Letztlich wäre damit also die alte Streitfrage zwischen subjektiver und objektiver Auslegungsmethode aufgeworfen, die hier – bei einem derart „neuen“ Gesetz – freilich besonders pikant und angesichts der zeitlichen Nähe zum Erlass des Gesetzes390 wohl eher zugunsten  385

BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; für diese Lösung nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes auch Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 199. 386

BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte nimmt ausdrücklich Bezug auf BAG AP § 123 BGB Nr. 23; kritisch dazu Richardi NZA 2002, 1004 (1005). 387 Vgl. unten § 12 Fn. 14. 388 Vgl. Preis NZA 2000, 9 (12), der gerade in der modernen arbeitsrechtlichen Gesetzgebung ein konzeptionelles „Begriffs-Wirrwarr“ ausmacht. 389 390

BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte Abs. 2 a.E. Vgl. Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 411.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

der subjektiven Methode zu lösen wäre.391 Es käme also darauf an, ob man die Kapitulation des Gesetzgebers vor dem Problem und seine Delegation an Rechtslehre und -praxis so weit verstehen dürfte, dass auch die vom Gesetzgeber nahegelegten Grenzen überschritten werden dürften. Vorrangig ist jedoch zu fragen, ob tatsächlich in der Sache eine Einordnung auch der Gewissenskonflikte unter § 275 III BGB geboten erscheint. Zunächst drängt es sich geradezu auf, diese Frage leichthin zu bejahen, da mit § 275 III BGB ein Leistungsverweigerungsrecht mit Einredecharakter kodifiziert wurde und damit ein auch für Gewissenskonflikte überwiegend befürworteter Lösungsansatz eine gesetzliche Verankerung erfahren hat.392 Vergegenwärtigt man sich, dass Gewissenskonflikte – wie dargestellt – mit anderen ideellen Leistungshindernissen eine einheitliche Konstellation „ideeller Unzumutbarkeit“ bilden,393 so hätte es in der Tat nahe gelegen, auch eine einheitliche rechtliche Regelung für alle Fälle ideeller Unzumutbarkeit zu schaffen. Das Argument gebietet folglich zunächst, Gewissenskonflikte unter systematischen Gesichtspunkten dem Anwendungsbereich des § 275 III BGB zu unterwerfen. Ein anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn man die dritte unserer anfänglichen Feststellungen berücksichtigt: die Beschränkung des Anwendungsbereiches von § 275 III BGB auf Leistungspflichten „in Person“. Wie gezeigt wurde, können Gewissenskonflikte aufgrund der besonderen Struktur des Gewissens überall aufbrechen, auch bei Herausgabepflichten oder etwa kaufvertraglichen Pflichten.394 Dies unterscheidet Gewissenskonflikte deutlich von anderen Fällen „ideeller Unzumutbarkeit“. Bei einer Kollision der Vertragspflicht mit äußerlich einwirkenden Pflichten, etwa der Wehrpflicht im Ausland oder der Personensorge für ein Kind, ist sachlogisch vorgegeben, dass es nur bei persönlicher Leistungspflicht zu einer Kollision kommen kann. Die Kollision entsteht in diesen Fällen schon aus dem plakativen Umstand, dass der Schuldner nicht gleichzeitig an unterschiedlichen Orten zwei unterschiedliche, ausschließlich in Person zu erbringende Pflichten erfüllen kann.395 Unter den „klassischen“ Fallgruppen der ideellen Unzumutbarkeit ist also einzig bei Gewissenskonflikten aufgrund der Struktur des Gewissens festzustellen, dass der Konflikt bei jeder  391 Näher Bydlinski, Methodenlehre, S. 430 f., 449 ff., insbes. 453 sowie Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 411, 621 ff. Jüngst bejaht auch der BGH [NJW 2003, 2601 (2603)] eine prägende Wirkung der Gesetzgebungsmaterialien für die (richterliche) Auslegung neuer Gesetze; kritisch dazu Timme NJW 2003, 3099 (3100) m.w.N. 392 Vgl. zum Meinungsstand unter dem Regime des alten Schuldrechts unten § 3 IV 2. 393 Vgl. oben § 2 III 2. 394 Vgl. oben § 3 II 2 d). 395 Wie bei Gewissenskonflikten stellt sich die Situation hingegen bei der Leistungsverweigerung aus Angst oder Trauer (vgl. unten § 8 I 1) dar: Hier kann das Leistungshindernis ebenfalls aufgrund seiner besonderen Struktur überall auftreten. Daher sind die zu Gewissenskonflikten angestellten Überlegungen auch auf diese Fallgruppen übertragbar.

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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Vertragspflicht zu Tage treten und den Schuldner innerlich bindend an der Pflichterfüllung hindern kann. Unter den Fällen ideeller Unzumutbarkeit sind es also primär die Gewissens- und Glaubenskonflikte, die überall und nicht bloß bei persönlicher Leistungspflicht auftreten können.396 Neben dem dargestellten legislativen Willen spricht daher vor allem diese systematische Feststellung dafür, Gewissenskonflikte nicht als Fälle von § 275 III BGB zu begreifen. Jedoch ist dieser Schluss nicht der einzig denkbare; vielmehr könnte der Eingrenzung auf persönliche Leistungspflichten ebenso – im Sinne eines argumentum e contrario – der legislative Wille entnommen werden, bei Gewissenskonflikten überhaupt nur in diesen Fällen ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 275 III BGB gewähren und bei impersonalen Leistungspflichten die Leistungspflicht fortbestehen lassen zu wollen. Eine derartige Annahme würde jedoch, da in Fällen einer impersonalen Leistungspflicht dann für ein Leistungsverweigerungsrecht kein Raum mehr wäre, der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Gewissensfreiheit nicht in allen Fällen Rechnung tragen. Dies ist jedoch mit dem zutreffenden Verständnis von Art. 4 I GG und seiner – schon dargestellten – Bedeutung für die Privatrechtsordnung unvereinbar. § 275 III BGB wäre bei einem solchen Verständnis eine verfassungsrechtlich höchst bedenkliche Norm. Zumindest müsste eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend vorgenommen werden, auch Fälle von Gewissenskonflikten ohne persönliche Leistungspflicht entweder in den Anwendungsbereich des § 275 III BGB „analog“ aufzunehmen. Oder man müsste neben § 275 III BGB für die Behandlung von Gewissenskonflikten in Fällen nicht-persönlicher Leistungspflicht eine andere Rechtsgrundlage zulassen. Insgesamt bestehen drei denkbare Lösungswege: 1. Man klammert aus den dargestellten Gründen Gewissenskonflikte insgesamt aus dem Anwendungsbereich der Norm aus. Dann stellt sich die Folgefrage, nach welcher Rechtsgrundlage diese Fälle im neuen Schuldrecht zu lösen sind. 2. Man hält § 275 III BGB für einschlägig und erachtet dadurch zugleich im Wege legislativer Wertung ein Leistungsverweigerungsrecht bei Gewissenskonflikten im Rahmen einer nicht-persönlichen Leistungspflicht für ausgeschlossen (argumentum e contrario). Die aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fragen blieben dann klärungsbedürftig und zweifelhaft. 3. Man hält § 275 III BGB für Gewissenskonflikte einschlägig, bei denen eine persönliche Leistungspflicht besteht, und gibt zugleich Raum für eine andere Lösung jener Fälle, in denen keine persönliche Leistungspflicht besteht.  396

Zu ähnlichen Fallgruppen vgl. unten § 8 I 1.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Die zweite der aufgezeigten Lösungen vermag angesichts der dargestellten verfassungsrechtlichen Wertungen nicht zu überzeugen. Auch die letztgenannte Lösung ist unbefriedigend, weil sie das einheitliche Phänomen der Gewissenskonflikte nur „gespalten“, das heißt durch zwei unterschiedliche Rechtsinstitute zu lösen vermag. Bei Abwägung aller Gesichtspunkte verbleibt daher nur die gleichfalls unbefriedigende Lösung, tatsächlich der vom Gesetzgeber nahegelegten Lösung zu folgen und Gewissenskonflikte insgesamt aus dem Anwendungsbereich der Norm auszuklammern. Unbefriedigend ist die Lösung insbesondere, weil in § 275 III BGB ein allgemeines Leistungsverweigerungsrecht mit Einredecharakter kodifiziert und damit eine Lösung gewählt worden ist, wie sie von der überwiegenden Lehre gerade auch für die Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen befürwortet wird. So wäre die Norm für die meisten Fälle von Gewissenskonflikten durchaus zur Herbeiführung zufriedenstellender Lösungen geeignet gewesen – ein einfacher Weg, der infolge der verunglückten Fassung der Vorschrift nun versperrt ist. Unbefriedigend ist überdies, dass nun zwar nicht die Fälle der Gewissenskonflikte aufgespalten nach persönlicher und nicht-persönlicher Leistungspflicht gelöst werden müssen, jedoch das einheitliche Phänomen der ideellen Unzumutbarkeit keine einheitliche Regelung erfahren hat.397

IV. Die zutreffende Rechtsgrundlage der Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen Damit bleibt die Frage zu klären, welche Rechtsgrundlage unter dem Regime des neuen Schuldrechts für die Lösung von Gewissenskonflikten einschlägig ist, wenn gegen die einfache und zunächst naheliegende Lösung über § 275 III BGB gewichtige systematische Gründe sprechen. Letztlich wird hier der alte Streit relevant, welche Normen als privatrechtliche Einfallstore der verfassungsrechtlichen Wertungen des Art. 4 I GG dienen können. Anzuführen sind dabei die beiden vom Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes ausdrücklich genannten Lösungswege über § 313 BGB oder „Treu und Glauben“ (§ 242 BGB).398 Daneben müssen die in der Literatur zum alten Schuldrecht diskutierten Lösungsansätze herangezogen werden. So wurde – wie schon  397 De lege ferenda hätte der Gesetzgeber das Problem einfach, dogmatisch zufriedenstellend und vor allem in unmissverständlicher Weise dadurch lösen können, dass er § 275 III BGB einen S. 2 mit dem Inhalt angefügt hätte: „Im Falle von Gewissenskonflikten ist der Schuldner auch bei nicht persönlicher Leistungspflicht zur Verweigerung der Leistung berechtigt.“ 398 Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte Abs. 2 a.E.

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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eingangs dargestellt – durch das BAG eine Billigkeitskontrolle des Direktionsrechts im Wege des § 315 BGB (ab 1.1.2003 in Arbeitsverhältnissen § 106 GewO) befürwortet;399 andere forderten eine Gleichstellung mit dem Unmöglichkeitsrecht (§ 275 I BGB).

1. § 616 BGB als Sonderregelung für zeitlich geringfügige Gewissenskonflikte Zunächst ist jedoch zu bedenken, dass möglicherweise § 616 BGB als Sonderregelung für kurzzeitige Leistungshindernisse im Bereich der Dienst- und Arbeitsverträge ein Leistungsverweigerungsrecht begründen und in dieser Funktion auch Gewissenskonflikte erfassen könnte. Beide Fragen sind zweifelhaft und Gegenstand kontroverser Auffassungen.

a) Zeitliche Unerheblichkeit und Gewissenskonflikte Anders als bei den geläufigen Fallgruppen des § 616 BGB – etwa der Versorgung eines erkrankten Kindes, familiären Ereignissen oder Behördengängen während der Arbeitszeit400 – wird bei Gewissenskonflikten die Anwendung des § 616 BGB nur selten überhaupt in Betracht kommen. Grund dafür ist, dass sich anders als in den beiden genannten Konstellationen ein Gewissenskonflikt nur selten lediglich über einen „verhältnismäßig nicht erheblichen“ Zeitraum erstrecken wird, was indes tatbestandliche Voraussetzung von § 616 BGB ist. Während in den geläufigen Fallgruppen von § 616 BGB das Leistungshindernis aufgrund seiner Struktur in der Regel nach kurzer Zeit wieder entfällt – etwa, weil der Behördengang abgeschlossen oder das besondere familiäre Ereignis vergangen ist – erfasst ein Gewissenskonflikt oftmals dauerhaft die gesamte vertraglich vereinbarte Leistung: Der Forscher in der Konstellation der „Strahlentherapie“-Entscheidung vom 24.5.1989401 wird auch nach langer Zeit die Tätigkeit nicht wieder aufnehmen können, es sei denn, seine Gewissenshaltung oder aber die geschuldete Arbeitsleistung würde sich grundlegend ändern. Der Unterschied erklärt sich also entscheidend daraus, dass sich bei Gewissenskonflikten, anders als in den geläufigen Konstellationen von § 616 BGB, der Konflikt in aller Regel nicht durch den bloßen Wegfall äußerer Umstände auflöst. Hier entfällt der Konflikt nur durch eine Veränderung der – wesentlich ände 399 Vgl. BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 400 401

Vgl. die Übersicht bei Staudinger-Oetker § 616 Rn. 56 ff. m.w.N. BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

rungsresistenteren – inneren Gewissenshaltung des Leistungspflichtigen oder aber durch eine Änderung der geschuldeten Tätigkeit.402 Dennoch können auch Gewissenskonflikte im Einzelfall durchaus einen „verhältnismäßig nicht erheblichen“ Zeitraum erfassen.403 Dies ist immer dann der Fall, wenn sich der Inhalt der zugewiesenen Tätigkeiten schnell ändert und der Gewissenskonflikt nur punktuell hinsichtlich einzelner Arbeitsaufgaben auftritt. Als Beispiel mögen die „Druckerentscheidungen“ des BAG herhalten,404 die sich dadurch auszeichnen, dass der Gewissenskonflikt lediglich aus dem Inhalt eines konkreten, kurzzeitigen Druckauftrages resultiert und somit nach Erledigung des Druckauftrages wieder entfällt. Hier wäre also durchaus Raum für eine Anwendung von § 616 BGB.

b) Ausdehnung auf Fälle der Unzumutbarkeit Ob § 616 BGB selbst ein Leistungsverweigerungsrecht für Fälle der Unzumutbarkeit begründet, war schon unter dem Regime des alten Schuldrechts umstritten; die Zweifel dürften infolge der Neuregelung in § 275 III BGB nunmehr noch zunehmen. Schon zur Rechtslage nach altem Schuldrecht nimmt etwa Belling405 explizit ablehnend Stellung, indem er ausführt, § 616 BGB begründe lediglich eine Ausnahme zu § 323 I BGB [a.F., jetzt § 326 I BGB]. Aus der systematischen Stellung der Vorschrift folge zwingend, dass diese „ausschließlich das Schicksal des Anspruchs auf die Gegenleistung (Entgelt)“ regele, jedoch nichts über dasjenige der Primärpflicht des Dienstverpflichteten aussage. Ein Wegfall der Leistungspflicht des Dienstverpflichteten könne sich daher nur aus § 275 BGB [a.F.] wegen Unmöglichkeit oder aber aus § 242 BGB wegen Unzumutbarkeit der Leistungserbringung ergeben. Insgesamt sei § 616 BGB eine reine Gefahrtragungsregel, die folglich nur dann Anwendung finden könne, „wenn an sich der Tatbestand des § 323 BGB [a.F.] (beiderseits nicht zu vertretende nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung) erfüllt“ sei.406  402

Auf diese Besonderheit bei Gewissenskonflikten verweist auch Kohte NZA 1989, 161

(167). 403 Zur Konkretisierung dieses unbestimmten Tatbestandsmerkmales vgl. ausführlich unten § 3 IV 1 f) bb). 404 BAGE 9, 1 ff. = AP § 123 GewO Nr. 12 und BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; vgl. auch oben § 3 I 1 und 2. 405

Erman-Belling § 616 Rn. 1. Damit widerspricht Belling sich letztlich selbst, wenn er einerseits § 616 BGB nur in Fällen der beiderseits nicht zu vertretenden nachträglichen Unmöglichkeit eingreifen, andererseits jedoch ausdrücklich einen Wegfall der Leistungspflicht wegen Unzumutbarkeit auf 406

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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Jedoch greift diese auf den ersten Blick durchaus schlüssig scheinende Einordnung zu kurz. Es liegt auf der Hand, dass sich die typischen Anwendungsbereiche des § 616 BGB – nämlich die Personensorge für Angehörige, Behördengänge oder familiäre Ereignisse407 – eben nicht als Fälle von Unmöglichkeit, sondern vielmehr als Fälle von Unzumutbarkeit der Leistungserbringung darstellen.408 Die Unzumutbarkeit der Leistungserbringung war jedoch bis zur Einführung von § 275 III BGB eine dem kodifizierten bürgerlichen Recht weitgehend unbekannte Kategorie. § 616 BGB erscheint bei näherer Betrachtung daher als ein singulärer Einzelfall, als spektakuläre Ausnahme zu dem Fehlen der Kategorie der Unzumutbarkeit im Leistungsstörungsrecht des BGB, da er schon vor dem 1.1.2002 eine Regelung von Fällen der Unzumutbarkeit bereithielt.409 Unangebracht war es daher, § 616 BGB als reine Ausnahmeregelung zu § 323 BGB [a.F.], also als eine reine Gefahrtragungsregel zu begreifen. Dies mochte für jene Fälle im Anwendungsbereich der Vorschrift zutreffen, in denen tatsächlich Unmöglichkeit i.S.v. §§ 275, 323 I BGB [a.F.] anzunehmen war. Da jedoch in den allermeisten der von § 616 BGB erfassten Fälle gar keine Unmöglichkeit, sondern Unzumutbarkeit vorliegt, wäre bei konsequenter Fortführung der dargestellten Sichtweise § 616 BGB in der Mehrzahl der ohne weiteres für einschlägig gehaltenen Fälle mangels Unmöglichkeit der Leistungserbringung eigentlich gar nicht anwendbar gewesen. Daher musste man im alten Schuldrecht § 616 BGB als eine Regelung sui generis begreifen, die sich kaum eindeutig in das sonstige Leistungsstörungsrecht einordnen ließ: Sie war eben nicht ausschließlich Sonderregelung der Gegenleistungsgefahr für bestimmte Fälle der Unmöglichkeit, sondern daneben auch eine spezielle Regelung des Dienstvertragsrechts für Fälle einer kurzzeitigen Unzumutbarkeit der Leistungserbringung. Damit regelte die Norm im Dienstvertragsrecht eine dem Schuldrecht ansonsten unbekannte Kategorie von Leistungsstörungen.  Grundlage des § 242 BGB genügen lassen will. Ein weiterer merkwürdiger Widerspruch tritt zutage, wenn er offenbar für den Sonderfall der Gewissenskonflikte dann doch „differenzieren“ und dem Dienstverpflichteten ein Leistungsverweigerungsrecht wohl auf Grundlage von § 616 BGB einräumen möchte (Erman-Belling § 611 Rn. 28). Die Kommentierung Bellings zeigt damit anschaulich die vielfach anzutreffende Unsicherheit bei der Findung dogmatisch befriedigender Lösungen. 407 Vgl. nur Staudinger-Oetker § 616 Rn. 56 ff. 408

Auch MünchKomm-Schaub § 616 Rn. 14 macht als Anwendungsbereich von § 616 BGB im Kern Fälle der Unzumutbarkeit, nicht der Unmöglichkeit aus, vgl. ähnlich (Anerkennung unzumutbarer Leistungserbringung als relevanter Fallgruppe) BAG AP § 616 BGB Nr. 23, 43, 48, 58, 59; BAG AP § 63 HGB Nr. 21, 22; MünchArbR-Boewer § 80 Rn. 13; Konzen/Rupp, Gewissenskonflikte, S. 128 ff.; Fabricius, Leistungsstörungen, S. 107; Canaris AcP 184 (1984), 201 (238); Ammermüller DB 1974, 189; Schnorr v.Carolsfeld Anm. zu BAG AP § 616 BGB Nr. 43; jeweils m.w.N. 409 Vgl. oben § 2 III 1.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Diese Sichtweise geht aus den Gesetzesmaterialien zu § 616 BGB kaum deutlich hervor; man mag zweifeln, ob sie dem historischen Gesetzgeber überhaupt klar bewusst war. Insgesamt wurde § 616 BGB in den Beratungen zum BGB als eine aus Gründen der Humanität gebotene Regelung verstanden, dem Dienstverpflichteten bei kurzzeitiger Hinderung der Dienstleistung sein Entgelt zu erhalten.410 Es wird in den Beratungen – und im übrigen auch im endgültigen Wortlaut der Vorschrift – also nicht etwa auf die Unmöglichkeit der Dienstleistung abgestellt, obwohl dies nach der üblichen Terminologie des BGB nahegelegen hätte, sondern auf den weiteren und in der Terminologie des BGB unüblichen Begriff der „Hinderung“. Auch sonst ist wenig dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber einen klaren Willen dahingehend hatte, die Vorschrift ausschließlich als Sonderregelung zu § 323 I BGB [a.F.] verstehen zu wollen.411 Bedenkt man hingegen das damalige enge Verständnis des Unmöglichkeitsbegriffs,412 so schien dem – freilich diffusen – Willen des historischen Gesetzgebers vielmehr eine Tendenz innezuwohnen, den Anwendungsbereich der Vorschrift auf die gerade dienstvertragstypischen Erscheinungsformen der Unzumutbarkeit auszudehnen. Daraus erklärt sich auch, weshalb die Vorschrift nicht im allgemeinen Schuldrecht, sondern im Dienstvertragsrecht platziert wurde, das den Hauptanwendungsbereich für Fälle der ideellen Unzumutbarkeit darstellt. Die in den Beratungen zum BGB kaum ersichtlich diskutierte Sonderrolle des § 616 BGB mag sich daraus erklären, dass der historische Gesetzgeber hier wenig eigene konstruktive Energie aufbrachte, sondern die Regelung in weiten Teilen aus bestehenden Kodifikationen übernahm: So dienten § 60 ADHGB und Art. 341 des Schweizer Obligationenrechts als Vorbilder, die praktisch sowohl dem Wortlaut als auch der zugrundeliegenden Regelungsintention nach übernommen wurden.413 Da mit § 616 BGB faktisch Vorschriften und Rechts 410

Vgl. Jakobs/Schubert § 616 BGB A. I. Allerdings wird dann in den Motiven zum BGB, Mot. II, S. 463, darauf hingewiesen, die Vorschrift „enthalte“ eine Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen des Unmöglichkeitsrechts. Dass sie eine derartige Abweichung „enthält“ – soweit nämlich wirklich ein Fall der Unmöglichkeit im Regelungsbereich des § 616 BGB vorliegt –, soll hier gar nicht bestritten werden. Dass die Vorschrift eine derartige Ausnahmeregelung zum Unmöglichkeitsrecht „enthält“, besagt jedoch noch nichts darüber, dass ihr daneben keine weiteren Funktionen zukommen können. 411

412

Mot. II, S. 45; Prot. I, S. 314 f.; vgl. auch Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 20. Art. 341 des Schweizer Obligationenrechts lautete: „Bei einem auf längere Dauer abgeschlossenen Dienstvertrage geht der Dienstpflichtige seiner Ansprüche auf die Vergütung nicht verlustig, wenn er durch Krankheit, durch Militärdienst oder aus ähnlichen Gründen ohne eigenes Verschulden auf verhältnismäßig kurze Zeit an der Leistung der Dienste verhindert wird. Der Arbeitgeber hat den Dienstpflichtigen, welcher mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebt, bei vorübergehender unverschuldeter Krankheit auf eigene Kosten verpflegen und ärztlich behandeln zu lassen.“ 413

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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gedanken aus anderen Regelungssystemen dem BGB implementiert wurden,414 ist die fehlende Auseinandersetzung in den Beratungen des BGB mit der Sonderrolle des § 616 BGB ohne weiteres erklärlich. Festzuhalten bleibt, dass der Anwendungsbereich des § 616 BGB schon im alten Schuldrecht keinesfalls auf Fälle der Unmöglichkeit zu beschränken war; vielmehr waren die typischen und verbreiteten Anwendungsfälle der Vorschrift solche von Unzumutbarkeit. § 616 BGB kann damit keinesfalls allein als Sonderregelung zum Unmöglichkeitsrecht verstanden werden.

c) § 616 BGB als Sonderregelung eines Leistungsverweigerungsrechts Zwingend ergibt sich aus den bisherigen Darstellungen eine die aufgeworfene Problematik entscheidende Folgefrage: Wenn § 616 BGB in jedem Fall das Schicksal des Vergütungsanspruchs auch und gerade in Fällen der Unzumutbarkeit regeln soll – dann ist zu klären, ob und inwieweit die Norm in diesen Fällen nicht nur das Schicksal des Vergütungsanspruchs, sondern auch schon implizit das Schicksal der vertraglichen Leistungspflicht regelt. Soweit § 616 BGB Fälle der Unmöglichkeit erfasst, bedarf es einer solchen Überlegung nicht, da hier schon im alten Schuldrecht mit § 275 BGB [a.F.] eine klare, separate Regelung der Leistungspflicht bestand. Die Frage war jedoch unbedingt für den Hauptanwendungsbereich des § 616 BGB, also Konstellationen der Unzumutbarkeit, zu klären, da es in diesem Bereich im alten Schuldrecht an einer ausdrücklichen Regelung des Entfalls der Leistungspflicht fehlte. Inzwischen besteht auch für Fälle der Unzumutbarkeit mit § 275 II, III BGB eine Regelung der Leistungspflicht, so dass man prima facie meinen könnte, die Frage habe auch hier eine eindeutige Klärung erfahren. Jedoch ist – wie gezeigt wurde415 – der Anwendungsbereich von § 275 III BGB begrenzt: Insbesondere Gewissenskonflikte sind aus systematischen Gründen auszuklammern. Zumindest außerhalb des Anwendungsbereiches von § 275 III BGB ist daher unverändert die Frage aufzuwerfen, wie sich die Regelung in § 616 BGB zu dem Schicksal der Leistungspflicht des Dienstverpflichteten verhält. Es bieten sich insgesamt drei Konzeptionen an: Entweder stellt man die Fälle der Unzumutbarkeit denen der Unmöglichkeit oder aber den von § 275 III BGB  § 60 ADHGB lautete: „Ein Handlungsgehilfe, welcher durch unverschuldetes Unglück an Leistung seines Dienstes zeitweise verhindert wird, geht dadurch seiner Ansprüche auf Gehalt und Unterhalt nicht verlustig. Jedoch hat er auf diese Vergünstigung nur für die Dauer von sechs Wochen Anspruch.“ 414 415

Vgl. auch Jakobs/Schubert § 616 BGB A. I. Vgl. oben § 3 III.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

erfassten Fällen der Unzumutbarkeit gleich und gewinnt somit auch für diese Fälle eine eigenständige Regelung hinsichtlich der Leistungspflicht aus § 275 BGB. Dies ist jedoch wegen der strukturellen Unterschiede zwischen Fällen der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit416 und den schon dargestellten Bedenken gegen eine Einbeziehung der Gewissenskonflikte in den Anwendungsbereich von § 275 III BGB abzulehnen.417 – Die zweite Möglichkeit geht – wie von Belling418 nahegelegt – dahin, den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) als umfassende Grundlage eines Leistungsverweigerungsrechts für Fälle der Unzumutbarkeit der Leistungserbringung zu begreifen und § 616 BGB auf die Funktion einer Regelung des Entgeltanspruchs zu reduzieren. Die dritte – hier befürwortete – Möglichkeit ist schließlich, § 616 BGB als umfassende Regelung für kurzzeitige Leistungshindernisse in Dienstverhältnissen zu begreifen, soweit nicht schon § 275 I BGB bei Unmöglichkeit oder § 275 III BGB bei Unzumutbarkeit hinsichtlich der Leistungspflicht des Schuldners eine Regelung trifft; die Vorschrift würde dann in dem verbleibenden Bereich nicht nur das Schicksal des Gegenleistungsanspruchs regeln, sondern selbst ein Leistungsverweigerungsrecht des Dienstverpflichteten begründen. Explizit wurde diese Auffassung von Henssler vertreten,419 der § 616 BGB den Rechtsgedanken entnimmt, dass „bei allen unverschuldeten, subjektivpersönlichen Leistungshindernissen, die sich über eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit erstrecken, ein Leistungsverweigerungsrecht besteht.“ Dieses Leistungsverweigerungsrecht werde mit der in § 616 BGB ausdrücklich geregelten Anerkennung des Entgeltfortzahlungsanspruchs „implizit vorausgesetzt“.420 Henssler geht so weit, § 616 BGB als Grundlage einer „eigenständige[n] Fallgruppe der arbeitsrechtlichen Leistungsverweigerungsrechte“ zu verstehen.421 Ähnlich äußert sich noch jüngst – nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes – Richardi: § 616 BGB treffe eine „Sonderregelung“, die zum Inhalt habe, dass der Schuldner in ihren tatbestandlichen Grenzen von der Leistungspflicht frei werde und sein Anspruch auf Vergütung er 416

Vgl. ausführlich unten § 3 IV 2 a) und allgemein § 10 I 1. Vgl. oben § 3 III. 418 Erman-Belling § 616 Rn. 1; ähnlich Konzen/Rupp, Gewissenskonflikte, S. 131 m.w.N. 419 Henssler AcP 190, 538 (563), anders allerdings noch Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 417

420

Henssler AcP 190, 538 (563) begründet dies mit einem argumentum a maiore ad minus. Ob diese Sichtweise zutreffend ist, ob also der Wegfall der Leistungspflicht gegenüber dem Entgeltanspruch tatsächlich ein „minus“ darstellt oder nicht vielmehr ein aliud, ist zweifelhaft. Im Ergebnis sind die Ausführungen Hensslers jedoch zutreffend. 421 Ähnliches klingt auch bei Canaris AcP 184, 201 (238 f.) an, der als Ansatzpunkt für die rechtliche Beurteilung der Leistungsverweigerung infolge eines nichtchristlichen Feiertages – die letztlich eine Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen darstellt – § 616 BGB heranziehen möchte.

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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halten bleibe.422 Damit möchte Richardi anscheinend auch nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes an der Doppelfunktionalität des § 616 BGB als einer umfassenden Sonderregelung kurzfristiger Leistungshindernisse festhalten. Eine ähnliche Sichtweise klingt schon in der frühen Arbeitsrechtswissenschaft an. So führt Mohnen explizit aus, § 616 BGB enthalte zwei Aussagen. Erstens nämlich, dass „der Arbeitgeber [...] verhältnismäßig geringfügige Verhinderungen des Arbeitnehmers hinnehmen“ müsse; zum zweiten, dass „der Arbeitnehmer [...] bei einem vorübergehenden, in seiner Person eingetretenen unverschuldeten Leistunghindernis seinen für ihn die Existenzgrundlage bildenden Lohnanspruch behalten“ solle.423 Mohnen beschränkt damit den Regelungsinhalt von § 616 BGB nicht allein auf die Fortzahlung des Entgelts in Fällen kurzzeitiger Leistungshinderung und gibt der Norm damit nicht allein den Charakter einer Sonderregelung zu § 323 I BGB [a.F.], sondern weist ihr darüber hinaus auch die Funktion zu, das Schicksal der primären Leistungspflicht zugunsten des persönlichen Leistungshindernisses zu entscheiden. Nach dieser Sichtweise statuiert § 616 BGB folglich ein spezielles Leistungsverweigerungsrecht. Ginge man hingegen von der zweiten dargestellten Lösungsmöglichkeit aus, so müsste man unterstellen, der Gesetzgeber habe mit § 616 BGB zwar die sekundäre Folgefrage nach dem Schicksal des Entgeltanspruchs explizit geregelt, die Begründung eines entsprechenden Leistungsverweigerungsrechts jedoch der Rechtsfortbildung auf Basis des unbestimmten § 242 BGB überlassen und die zwingend vorrangig zu klärende Grundfrage zu der ausdrücklich in § 616 BGB geregelten Folgefrage damit allein in den Begriffen „Treu und Glauben“ verankert. Ein solches Verständnis mag vertretbar sein, erscheint jedoch nicht allzu naheliegend. § 242 BGB trägt vielmehr den Charakter einer dem BGB eingearbeiteten dynamischen Anpassungsmöglichkeit an sich ändernde Umstände und vom Gesetzgeber gar nicht absehbare rechtliche und tatsächliche Entwicklungen.424 Dass gerade bei Dienstverträgen nicht nur Unmöglichkeit, sondern auch vielfältige Formen von Unzumutbarkeit als Leistungsstörungstatbestand in Betracht kommen, war jedoch zur Entstehungszeit des BGB zumindest als Faktum, wenn auch nicht in der heute gefundenen rechtlichen Bewertung und Ausgestaltung bekannt. Viel stimmiger ist es daher in der Tat, mit Henssler anzunehmen, der Gesetzgeber habe, wenn er mit § 616 BGB schon das Schicksal des Entgeltanspruchs für die geregelten Unzumutbarkeitsfälle geklärt habe, auch die vorrangige Grundfrage nach dem Entfall der  422 423 424

Richardi NZA 2002, 1004 (1007). Mohnen, in: Nipperdey/Mohnen/Neumann, § 616 Rn. 3.

Näher zu den Funktionen von § 242 BGB: Erman-Werner § 242 Rn. 1 ff.; Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 132 ff.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Leistungspflicht in § 616 BGB mitgeregelt. § 616 BGB kommt somit eine zweifache Funktion zu, nämlich einerseits – explizit – das Schicksal der Gegenleistung bei Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit abweichend von § 326 I BGB zu regeln, andererseits – implizit – das Schicksal der Leistungspflicht bei Unzumutbarkeit dort zu regeln, wo keine ausdrückliche Sonderreglung dieser Frage besteht.

d) Änderungen durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz Schon angeklungen ist, dass durch das Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes zwar insofern eine Änderung eingetreten sein mag, als es dieser „impliziten“ Zweitfunktion von § 616 BGB dort nicht mehr bedarf, wo § 275 III BGB nun das Schicksal der Leistungspflicht für Fälle der Unzumutbarkeit regelt. Diese Frage ist daher für die von § 275 III BGB erfassten Fallgruppen zu klären und dort in der Tat – soviel sei vorweg genommen – dahingehend zu beantworten, dass § 616 BGB in seiner Wirkungsmacht auf die „explizite“ Funktion reduziert wurde, in Abweichung von § 326 I BGB den Entgeltanspruch fortbestehen zu lassen.425 Soweit jedoch im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung für Fälle der Unzumutbarkeit keine ausdrückliche Regelung eines Leistungsverweigerungsrechtes geschaffen wurde, also namentlich im Bereich der Gewissenskonflikte, kommt § 616 BGB in jedem Fall weiterhin die dargestellte Doppelfunktion zu: Hier gewährt § 616 BGB weiterhin ein Leistungsverweigerungsrecht und erhält dem Dienstverpflichteten zugleich seinen Gegenleistungsanspruch.

e) Gewissenskonflikte als Fallgruppe von § 616 BGB Gerade die letztgenannte Konsequenz, dass nämlich dem Schuldner bei Anwendung von § 616 BGB trotz der Leistungsverweigerung sein Gegenleistungsanspruch erhalten bleibt, könnte jedoch zu Zweifel Anlass geben, ob Gewissenskonflikte überhaupt der Regelungsintention von § 616 BGB unterfallen.

 425

Vgl. ausführlich unten § 5 I 3 a) bb); abweichend wohl Richardi NZA 2002, 1004 (1007).

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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aa) Ablehnende Stellungnahmen So wird – unabhängig von der hier vorrangig erörterten Frage der doppelten Funktionalität des § 616 BGB – vielfach vertreten, dass Gewissenskonflikte § 616 BGB generell nicht unterfallen sollen. Die Begründung divergiert dabei deutlich: Reuter etwa führt aus, § 616 BGB durchbreche „mit Rücksicht auf die Eigenart des persönlichen Verhinderungsgrundes Gewissensnot“ die Regelung in § 323 I BGB [a.F., jetzt § 326 I BGB] ausnahmsweise nicht. Grund dafür sei eine pauschal anzunehmende, stillschweigende arbeitsvertragliche Abbedingung der Entgeltfortzahlung nach § 616 BGB bei Gewissenskonflikten.426 Kohte lehnt die Anwendung des § 616 BGB für Gewissenskonflikte demgegenüber mit Blick darauf ab, dass die Norm lediglich Fälle erfasse, in denen der Arbeitnehmer generell an der Erbringung der geschuldeten Leistung und nicht bloß im Hinblick auf einzelne Tätigkeiten gehindert sei.427 Dem Argument ist sogleich das Gegenargument entgegenzuhalten, dass durchaus Konstellationen denkbar sind, in denen auch ein Gewissenskonflikt die Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung generell unzumutbar macht. Dies wird dann der Fall sein, wenn die geschuldete Tätigkeit schon durch den Arbeitsvertrag eng eingegrenzt wird und die Zuweisung einer gewissensneutralen Tätigkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich erscheint.428 Das Argument greift folglich zu kurz. Ebenfalls ablehnend äußert sich Oetker zu einer Einbeziehung von Gewissenskonflikten. Er verweist recht pauschal auf die „Seh- und Wertungsweise des historischen Gesetzgebers“, nach der § 616 BGB nur dann Anwendung finden solle, wenn nicht die Art der Dienstleistung selbst den Anlass für die Leistungshinderung darstelle.429 Der Verweis auf grundrechtliche Rechtspositionen rechtfertige „nicht die Durchbrechung des arbeitsvertraglichen Synallagmas“.430 Belling führt – gleichfalls ohne nähere Begründung – aus, „eine so  426

Reuter BB 1986, 385 (389 mit Fn. 59). Kohte NZA 1989, 161 (167); dagegen Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 428 Ein praktisches, plakatives Beispiel dürfte die medizinisch-technische Assistentin in der Praxis eines Gynäkologen sein, der sich auf die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen spezialisiert hat und praktisch keine anderen Behandlungen mehr ausführt. Gerät die Assistentin durch eine Änderung ihrer Gewissenshaltung in einen (bei Vertragsabschluss unvorhergesehenen) Gewissenskonflikt, hindert sie ihr Gewissen möglicherweise daran, überhaupt noch im Arbeitsablauf der Praxis mitzuwirken. Hier steht der Gewissenskonflikt folglich der gesamten geschuldeten Tätigkeit und nicht nur einer bestimmten Aufgabe leistungshindernd entgegen. 429 Staudinger-Oetker § 616 Rn. 69. 427

430

Staudinger-Oetker § 616 Rn. 49; deutlich abweichend insbes. Kempen ArbRGegw 25 (1988), 87 ff.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

weitgehende Überwälzung der Gegenleistungsgefahr auf den Dienstberechtigten“ sei diesem nicht zuzumuten.431 Berger-Delhey schließlich postuliert, dass § 616 BGB teleologisch auf jene Fälle reduziert werden müsse, in denen die Ursache der Verhinderung von außen auf den Arbeitnehmer einwirke, ohne dass er darauf Einfluss nehmen könne.432 Ein Gewissenskonflikt dürfe zwar nicht als „schuldhafte Verhinderung“ bewertet werden, sie sei aber Konsequenz der „freien Ausübung des Persönlichkeitsrechts“ durch den Arbeitnehmer.

bb) Befürwortende Stellungnahmen Demgegenüber ist zutreffend auf die Wertungen zu verweisen, die hinter der Entscheidung der Streitfrage aufscheinen. Dies hat Otto richtig erkannt, wenn er ausführt, der Lohnanspruch bleibe dem Arbeitnehmer bei einem nicht vorhersehbaren, kurzzeitigen Gewissenskonflikt gemäß § 616 BGB erhalten. Wenn dies für andere personale Leistungshindernisse wie „Trauer und Mitgefühl, ja die Anteilnahme an der goldenen Hochzeit der Eltern“ Anerkennung finde, müsse dies erst recht für Gewissenskonflikte gelten.433 Ähnlich möchte Henssler – aufgrund der von ihm zutreffend vorgenommenen einheitlichen Behandlung aller ideellen Leistungshindernisse – es anscheinend auch im Fall eines Gewissenskonfliktes bei der Grundregel belassen, dass die Durchbrechung von § 323 I BGB [a.F., jetzt § 326 I BGB] allein von der zeitlichen Dauer des Leistungshindernisses und davon abhängt, ob der gesamte Vertragsinhalt oder nur eine bestimmte Tätigkeit von dem Konflikt betroffen ist.434 Auch Canaris greift das Argument Ottos auf und konstatiert, dass eine Einbeziehung religiös motivierter Leistungshindernisse in den Anwendungsbereich der Norm dringend geboten sei: Dass ein hoher religiöser Feiertag geringeres Gewicht für die Zumutbarkeitsbetrachtung haben solle als familiäre Ereignisse, sei schwer nachvollziehbar.435 Wendeling-Schröder schließlich hält § 616 BGB bei Gewissenskonflikten für anwendbar; eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift „im Lichte des Art. 4 I GG“ gebiete geradezu seine Anwendung. Eine restriktive Auslegung unter Ausgrenzung der Gewissenskonflikte laufe zudem „Wortlaut und Sinn“ des § 616 BGB zuwider. Auch und gerade bei Gewissenskonflikten müs 431

Erman-Belling § 616 Rn. 28. Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 433 Otto, Personale Freiheit, S. 129; ähnlich Grabau BB 1991, 1257 (1262). 434 Henssler AcP 190 (1990), 538 (567); eine Anwendung von § 616 BGB auf Gewissenskonflikte ablehnend allerdings jetzt ders. RdA 2002, 129 (132). 435 Canaris AcP 184 (1984), 201 (238). 432

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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se die Pflicht des Arbeitgebers zur Wahrung der Interessen seines Vertragspartners voll zum Tragen kommen.436

cc) Eigene Stellungnahme Dieser wertenden Betrachtung ist beizupflichten. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass bei ablehnenden Stellungnahmen zur Einbeziehung der Gewissenskonflikte in den Anwendungsbereich von § 616 BGB immer wieder ein grundlegendes Misstrauen gegenüber der Anerkennung des Gewissens im privatrechtlichen Kontext durchschimmert. In der Tat kann man die ablehnenden Stellungnahmen zugespitzt durch die Formulierung paraphrasieren, dass ein Arbeitnehmer, der sich schon den Luxus eines Gewissens gönnt, nicht auch noch durch die Zahlung von Entgelt belohnt werden soll. Diese Sichtweise ist mit der hohen Gewichtung und Anerkennung, die das Gewissen in Art. 4 I GG erfahren hat, schwerlich in Einklang zu bringen. Nimmt man überdies den – seinem Wortlaut nach weiten – Anwendungsbereich des § 616 BGB in den Blick, so muss konstatiert werden, dass es wohl kein Leistungshindernis gibt, das so sehr „in der Person“ des Dienstverpflichteten liegt wie ein Gewissenskonflikt. Ein personaleres Motiv zur Leistungsverweigerung dürfte kaum existieren. Berücksichtigt man zudem die Tatsache, dass § 616 BGB vom historischen Gesetzgeber als eine sozialpolitische Grundregel verstanden wurde, welche die Freistellung des Arbeitnehmers von wirtschaftlichen Negativfolgen einer kurzfristigen, personal motivierten Leistungshinderung als humanitären Akt der sozialen Fürsorge garantieren sollte,437 so erscheint es kaum vertretbar, das personale Motiv des Gewissens hiervon auszuklammern. Vielmehr ist die hohe verfassungsrechtliche Anerkennung zu berücksichtigen, die das Gewissen durch Art. 4 I GG erfahren hat. Gerade angesichts dieser verfassungsrechtlichen Wertentscheidung besteht kein Anlass, den von einem Gewissenskonflikt betroffenen Arbeitnehmer schlechter zu stellen als einen Arbeitnehmer, der die goldene Hochzeit seiner Eltern feiert und deshalb die Leistung verweigert.438 Wohlverstanden soll der Arbeitnehmer in einem Gewissenkonflikt dabei keinesfalls von sämtlichen negativen Konsequenzen freigestellt werden. Müsste der Arbeitgeber bei einem länger dauernden Gewissenskonflikt dem betroffenen Arbeitnehmer etwa den Arbeitsplatz dauerhaft offenhalten und wäre er  436 437 438

Wendeling-Schröder BB 1988, 1742 (1746). Vgl. Jakobs/Schubert § 616 BGB A. I.

Auf diesen – grundrechtlichen – Aspekt verweist auch überzeugend Kempen ArbRGegw 25 (1988), 87 ff.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

zudem noch zur Fortzahlung des Entgelts verpflichtet, so würde dies in der Tat eine allzu billig erkaufte Gewissensentscheidung und zudem einen schweren, auch mit dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag zugunsten der Gewissensfreiheit kaum zu rechtfertigenden Eingriff in die Sphäre des Leistungsgläubigers implizieren. In diesem Fall würde die Überwälzung der Gegenleistungsgefahr auf den Dienstberechtigten tatsächlich ein unzumutbares Ausmaß erreichen.439 Der Verlust des Lohnanspruchs bei länger dauernder Leistungshinderung sowie die Möglichkeit der Kündigung infolge der Leistungsverweigerung stellen nach der hier vertretenen Konzeption somit zulässige „lästige Alternativen“ im Sinne Luhmanns440 dar, in denen sich das Gewissen bewähren muss.441

f) Tatbestandliche Voraussetzungen des § 616 BGB § 616 BGB sichert somit dem Dienstverpflichteten bei kurzzeitigen Gewissenskonflikten nicht nur den Entgeltanspruch, sondern begründet auch schon ein spezielles Leistungsverweigerungsrecht. Zu klären bleibt damit die Frage, welche qualifizierten Anforderungen an Gewissenskonflikte zu stellen sind, soll § 616 BGB dem Dienstverpflichteten ein Leistungsverweigerungsrecht und die Fortzahlung des Entgeltes gewähren. Insbesondere bleibt klärungsbedürftig, wie das unbestimmte Tatbestandsmerkmal der in zeitlicher Hinsicht „verhältnismäßig nicht erheblichen“ Leistungshinderung zu konkretisieren ist. Die Auslegung dieses zentralen, charakteristischen Tatbestandsmerkmals entscheidet schon über die Einschlägigkeit des speziellen Leistungsverweigerungsrechts.

aa) Unzumutbarkeit Zentrales Tatbestandsmerkmal des § 616 BGB ist dabei die Unzumutbarkeit der Dienstleistung infolge eines persönlichen Leistungshindernisses.442 Somit ist nicht jegliches Leistungshindernis aus der persönlichen Sphäre des Schuldners zur Leistungsverweigerung ausreichend; vielmehr ist die Unzumutbarkeit – wie in der Parallelnorm des § 275 III BGB jetzt explizit angeordnet – auch hier im Grundsatz durch eine Interessenabwägung zu ermitteln, die nach den obigen Ausführungen im Kern durch das Verfassungsrecht vorgeprägt wird.  439

Vgl. Erman-Belling § 616 Rn. 1. Luhmann AöR 90, 257 (281 ff.). 441 Ausführlich oben § 3 II 3 b) sowie unten § 14 II. 442 Staudinger-Oetker § 616 Rn. 46 m.w.N. 440

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Des Rückgriffs auf einfachrechtliche Kategorien, wie er für andere Fallgruppen des § 616 BGB vorgeschlagen wird,443 bedarf es zumindest bei der Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen nicht, da hier schon durch Art. 4 I GG eine intensive Rechtsstellung begründet wird, die unmittelbar zur Entscheidung des Konflikts zwischen Arbeits- und Gewissenspflicht und damit als Maßstab der „Unzumutbarkeit“ auch im Rahmen des § 616 BGB herangezogen werden kann.444 Auch über die Fälle der Gewissenskonflikte hinaus kann § 616 BGB jedoch die Aussage entnommen werden, dass bei strukturell kurzzeitigen, personal motivierten Leistungshindernissen die Anerkennung von Unzumutbarkeit der Regelfall sein soll. Mit Blick auf die kurze Dauer des Leistungshindernisses trifft die Norm insoweit eine normative Wertentscheidung zugunsten der Leistungsverweigerung, die nur in Ausnahmefällen zugunsten der vertraglichen Leistungspflicht durchbrochen werden soll. Dies erscheint auch sinnvoll, da angesichts der kurzen Dauer der Leistungshinderung der Gläubiger weniger schutzbedürftig ist. Die soziale Schutzbedürftigkeit445 des Dienstverpflichteten kann sich also angesichts der kurzen Dauer der Leistungshinderung in weitem Umfang durchsetzen. Damit wird die Interessenabwägung für strukturell kurzzeitige Leistungshindernisse gleichsam normativ vorweggenommen.446

bb) Verhältnismäßig nicht erhebliche Dauer Für die hier vor allem interessierende Abgrenzung zu dem allgemeinen Leistungsverweigerungsrecht bei Kollisionen von Arbeitspflicht und Gewissen ist die im Rahmen des § 616 BGB zulässige Höchstdauer der Arbeitsverhinderung von entscheidender Bedeutung. Wird der Rahmen der zeitlichen verhältnismäßigen Unerheblichkeit überschritten, so kommt eine Anwendung des § 616 BGB insgesamt wegen des Fehlens eines Tatbestandsmerkmals nicht in Betracht;447 es entfällt der Entgeltanspruch aus § 616 BGB und zugleich das in § 616 BGB implizit mitgeregelte Leistungsverweigerungsrecht. Da in diesen Fällen § 616 BGB unanwendbar ist, können Leistungsverweigerungsrecht und Entgeltanspruch auch für den – isoliert betrachtet – die zeitliche Grenze der  443

So wird etwa bei der Personensorge für Angehörige auf die strafrechtlichen Garantenpflichten abgestellt; vgl. Staudinger-Oetker § 616 Rn. 56; Erman-Hanau9 § 616 Rn. 28. 444 Ähnlich Kempen ArbRGegw 25 (1988), 87 ff. 445 Dazu BAG AP § 616 BGB Nr. 21, 22; BGHZ 62, 380 (384). 446 Ausführlich zu diesem Aspekt unten § 5 I 3 a) bb). 447

BAG AP § 616 BGB Nr. 22; Erman-Belling § 616 Rn. 52; Schaub WiB 1994, 637 ff., a.A. AK-BGB-Derleder § 616 Rn. 8; Maurer ArbuR 1955, 215 f. m.w.N.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Verhältnismäßigkeit noch nicht überschreitenden Teil der Arbeitsverhinderung nicht aus § 616 BGB abgeleitet werden.448 Die insoweit zu Vorschriften wie § 3 I 1 EFZG oder § 12 I 1 BBiG feststellbare Abweichung erklärt sich aus der Normstruktur des § 616 BGB, welche die Dauer der Nichterbringung der Arbeitsleistung schon auf der Tatbestands- und nicht – wie die genannten Parallelvorschriften – erst auf der Rechtsfolgenseite berücksichtigt.449 Erhebliche Schwierigkeiten entstehen zwangsläufig, wenn es um die Konkretisierung des unbestimmten Tatbestandsmerkmals der „verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit“ geht. Der Gesetzgeber hatte sich – mit Blick auf die Vielzahl denkbarer Hinderungsgründe und die jeweils unterschiedliche Sach- und Interessenlage – bewusst einer konkreteren Regelung enthalten und die Konkretisierung an die Rechtspraxis delegiert.450 Die hierfür vorgeschlagenen Maßstäbe sind vielgestaltig und umstritten. Überwiegend wird die Grenze zwischen verhältnismäßig erheblichen und unerheblichen Fehlzeiten im Wege einer belastungsbezogenen Abwägung konkretisiert.451 Hierzu sei primär die schon abgelaufene und noch zu erwartende452 Gesamtdauer des Dienstverhältnisses in Relation zu der Fehlzeit zu setzen, also der Anteil der Hinderungszeit an der planmäßigen Gesamtdauer des Vertrages zu betrachten. Begründet wird diese Auffassung insbesondere mit der vielfach vorgeschlagenen Herleitung des § 616 BGB aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers;453 die Fürsorgepflicht gestaltet sich dabei umso intensiver, je länger das Dienstverhältnis andauert.454 Andere wollen das zeitliche Verhältnis nur als einen Gesichtspunkt bewerten; maßgeblich müsse daneben  448

Spätestens seit der Entscheidung des Großen Senats des BAG (AP § 616 BGB Nr. 22) entspricht dies der h.M.; vgl. auch BAG AP § 611 BGB Gefährdungshaftung des Arbeitgebers Nr. 7; BAG AP § 49 BSeuchG Nr. 1; Soergel-Kraft § 616 Rn. 31; Schmitt EFZG § 616 Rn. 19; Esser/Weyers, Schuldrecht Bd. 2, § 29 II 3; a.A. noch BAG AP § 616 BGB Nr. 2, 5, 7; AK-BGB-Derleder § 616 Rn. 8; Trieschmann DB 1955, 800 (801); vgl. auch schon die rechtspolitisch kritischen Hinweise von Hueck ARS 36, 178. 449

Ausführlich zum Schicksal des Entgeltanspruchs unten § 15; vgl. auch näher Staudinger-Oetker § 616 Rn. 92. 450 Vgl. Mugdan II, S. 258; das Prinzip der gesetzgeberischen Zurückhaltung bei der Klärung problematischer Fragen und ihre Delegation an die Rechtsanwendung haben sich bis in unsere Zeit erhalten und noch verstärkt; vgl. dazu Preis ZG 1988, 319 (321, 327); Diederichsen, Flucht des Gesetzgebers (1974); Henkel, Festschrift Mezger (1954), S. 249 (302 f.). 451 BAG AP § 616 BGB Nr. 21; Soergel-Kraft § 616 Rn. 28; Palandt-Putzo63 § 616 Rn. 9; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts Bd. 1, § 44 III 1 a) dd); Löwisch DB 1979, 210. 452 Teilweise wird gefordert, der Schwerpunkt der Betrachtung müsse auf der schon verstrichenen Zeit liegen, vgl. Erman-Belling § 616 Rn. 47. 453 454

BAG AP § 616 BGB Nr. 21, 22. Staudinger-Oetker § 616 Rn. 95.

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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auch die Art und Schwere des Hinderungsgrundes sein.455 Teilweise wird der übliche Jahresurlaub als Maßstab für die Erheblichkeit der Fehldauer vorgeschlagen.456 Wieder andere lehnen eine Berücksichtigung der zeitlichen Komponente der Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses insgesamt ab und befürworten eine „ereignisbezogene Betrachtungsweise“.457 Hiernach soll eine Diensthinderung dann unerheblich sein, wenn die zur Diensthinderung führende Ursache eine derartige Fehlzeit bedingt und der Gläubiger mit derartigen Fehlzeiten rechnen musste.458 Berücksichtigt man, dass der Grund der Diensthinderung schon in der anzustellenden Kausalitätsprüfung459 erschöpfend gewürdigt wird, so bleibt als neues Element der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach der dargestellten Ansicht allein die Vorhersehbarkeit durch den Dienstberechtigten. Dies als eine Verhältnismäßigkeits- und Erheblichkeitsprüfung zu deklarieren, erscheint kaum vertretbar: Der Gesetzeswortlaut ordnet immerhin an, dass eine verhältnismäßig nicht erhebliche Fehlzeit vorliegen muss. Daher sind zur Bestimmung der konkret zulässigen Fehlzeit in jedem Fall zumindest zwei Größen in ein Verhältnis zueinander zu setzen. Dies unterbleibt, wenn allein die Vorhersehbarkeit durch den Arbeitgeber als Kriterium dienen soll. Hier wird die gesetzlich angeordnete Verhältnismäßigkeits- und Erheblichkeitsprüfung contra legem durch ein anderes Kriterium, nämlich die Vorhersehbarkeit durch den Arbeitgeber, substituiert. Dies ist weder im Gesetz angelegt noch in der Sache geboten. Es ist also daran festzuhalten, dass der Wortlaut und Sinn der Vorschrift es zumindest verlangen, die Dauer des Arbeitsverhältnisses zur Fehldauer in Relation zu setzen und diese Relation als – entscheidendes – Kriterium zu berücksichtigen. Weitgehende Einigkeit besteht demgegenüber, dass Interessen des Gläubigers, also Auswirkungen auf den Betriebsablauf oder die Dringlichkeit der Arbeit, unerheblich sind.460 Im Rahmen von § 616 BGB findet somit keine umfassende Interessenabwägung statt. Die Ansichten, welche konkreten Vorgaben für die verbleibende zeitliche Verhältnismäßigkeitsprüfung anzuerkennen sind, divergieren in Rechtspre 455

ErfK-Dörner4 § 616 BGB Rn. 15; vgl. auch schon RGRK-Matthes § 616 Rn. 19. LPK-SGB V-Kruse § 45 Rn. 13. 457 Staudinger-Oetker § 616 Rn. 96; MünchArbR-Boewer § 80 Rn. 18. 458 Staudinger-Oetker § 616 Rn. 96. 459 Das zur Unzumutbarkeit führende Leistungshindernis muss alleinige Ursache des Entfalls der Leistungspflicht sein; vgl. dazu statt aller BAG AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 121; Erman-Belling § 616 Rn. 34 f.; Faßhauer NZA 1986, 453 (455). 456

460

Erman-Belling § 616 Rn. 47; Schaub-Linck § 97 Rn. 16; a.A. RAG ARS 25, 199; KG OLGZ 17, 406.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

chung und Literatur deutlich: Nach elf abgelaufenen Monaten eines Dienstverhältnisses soll eine Fehlzeit von vier Wochen unerheblich sein.461 Bei einer verstrichenen Dauer von sechs Jahren sollen fünf Wochen unerheblich sein;462 bezweifelt wird die Erheblichkeit sogar noch bei dreizehn Wochen Arbeitsversäumnis.463 In der Literatur wird teilweise eine absolute Obergrenze des verhältnismäßig unerheblichen Zeitraums von sechs464 oder acht465 Wochen oder – um eine tendenzielle Vereinheitlichung herzustellen – eine Faustformel vorgeschlagen: eine Fehlzeit von einem Tag sei bei Beschäftigungsverhältnissen bis zu drei Monaten unerheblich; von drei bis sechs Monaten eine Fehlzeit von drei Tagen; von sechs bis zwölf Monaten eine Woche; bei Dienstverhältnissen von über einem Jahr höchstens zwei Wochen.466 Andere wollen die Höchstgrenze schon bei wenigen Tagen festlegen.467 Insgesamt zeichnet sich in der Literatur eine bei weitem zurückhaltendere Tendenz als in der Rechtsprechung ab, auch längere Zeiträume als verhältnismäßig unerhebliche Fehlzeiten anzuerkennen. Dabei bleiben systematische Begründungen für die aufgezeigten Lösungsansätze vielfach ungenannt oder bruchstückhaft. Der Grund dafür liegt darin, dass eine konsistente dogmatische Begründung kaum möglich erscheint: Insbesondere die Gewinnung einer Höchstgrenze von sechs Wochen aus § 616 II 2 BGB a.F. erscheint verfehlt, denn diese Vorschrift regelte ausschließlich den Sonderfall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und fingierte für diese Fallgruppe, dass sechs Wochen als unerheblich anzusehen seien. Im Umkehrschluss könnte man hieraus gerade ableiten, dass im sonstigen – jetzt noch verbleibenden – Anwendungsbereich des § 616 BGB sechs Wochen gerade keine „unerhebliche“ Fehlzeit darstellen können.468 Die einzige Aussage, die auf dieser Grundlage zur Höchstdauer möglich erscheint, ist, dass die Höchstdauer einer unerheblichen Fehlzeit in allen anderen Fällen als Krankheit des Dienstverpflichteten deutlich unterhalb der Grenze von sechs Wochen angesiedelt werden muss, denn ansonsten hätte es der klärenden Fiktion in § 616 BGB II 2 a.F. nicht bedurft. Einen dogmatisch recht vielversprechenden Ansatz bietet  461

KG OLGZ 34, 33. RAG ARS 25, 199. 463 Unerheblichkeit bejahend RAG ARS 14, 560; verneinend LAG Hamm AP 1952 Nr. 146. 464 BAG AP § 616 BGB Nr. 47; begründet wird dies mit § 616 II BGB a.F., der eine derartige Höchstgrenze vorsah. 465 Etwa LAG Hannover AP § 616 BGB Nr. 27. 466 Vgl. Erman-Belling § 616 Rn. 48; Schaub-Linck § 97 Rn. 16; vgl. auch LAG Düsseldorf DB 1966, 1057; LAG Frankfurt DB 1956, 647. 462

467

RGRK-Matthes § 616 Rn. 19; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 97. Ebenso Staudinger-Oetker § 616 Rn. 98. Gleiches gilt für die Heranziehung der in § 3 I 1 EFZG geregelten Höchstgrenze. Diese führt lediglich die früher in § 616 II 2 BGB a.F. geregelte Fiktion fort. 468

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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die bisweilen vom BAG insbesondere für die Fallgruppe der familiären Leistungshindernisse vorgenommene Heranziehung der dem heutigen § 45 III SGB V entsprechenden Regelung der RVO und der ursprünglichen Fassung des § 45 III SGB V. Hiernach ist im Hinblick auf die Entgeltfortzahlung gemäß § 616 BGB von einer Höchstdauer von fünf Arbeitstagen auszugehen.469 Dies dürfte eine praktikable Richtschnur auch für andere Fallgruppen der personal motivierten Unzumutbarkeit der Leistungserbringung darstellen. Zumindest die Festlegung einer Höchstgrenze wäre freilich ureigenste Aufgabe des Gesetzgebers gewesen. Auch hier zeigt sich also schon ein Unwille des Gesetzgebers zu Gestaltungsentscheidungen im Kontext der ideellen Unzumutbarkeit der Leistungserbringung bei persönlicher Leistungsverpflichtung – eine legislative Entscheidungshemmung, die auch angesichts der aktuellen Neuregelung durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wieder begegnet.470

g) Resümee Es wurde gezeigt, dass § 616 BGB im Bereich der Gewissenskonflikte anwendbar ist; gerade Gewissenskonflikte aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift auszuklammern, erscheint mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Wertungen unvertretbar. Die Höchstdauer der „verhältnismäßig nicht erheblichen“ Leistungshinderung ist im Gegenzug auf wenige Tage zu begrenzen. Soweit die Vorschrift anwendbar ist, statuiert sie zum einen explizit den Fortbestand des Entgeltanspruchs – insofern als lex specialis zu § 326 I BGB. Zum anderen kommt ihr die implizite Funktion zu, für die von ihr erfassten Fälle ein Leistungsverweigerungsrecht des Dienstverpflichteten zu begründen. Diese zweite Funktion bestand vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes insgesamt im Bereich der Leistungsverweigerung wegen ideeller Unzumutbarkeit; nunmehr besteht es lediglich insoweit, als § 275 III BGB keine ausdrückliche Regelung eines Leistungsverweigerungsrechtes trifft. Dies ist insbesondere im Bereich der Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen der Fall. Damit stellt § 616 BGB in seiner „impliziten“ Funktion weiterhin eine spezielle Grundlage zur Begründung eines Leistungsverweigerungsrechtes bei kurzzeitigen Gewissenskonflikten in Dienstverhältnissen dar. Hierüber lässt sich etwa die Konstellation eines Postboten lösen, den sein Gewissen nur punk 469 Vgl. BAG NJW 1978, 2316, BAG NJW 1978, 2318; LPK-SGB V-Kruse § 45 Rn. 13: Demnach stellen die genannten Vorschriften einen „Anhaltspunkt“ zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit“ dar. 470 Vgl. oben § 2 V.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

tuell an der Zustellung einer bestimmten Sendung hindert. Ein anderes Beispiel ist das des Druckers, dessen Gewissen ausschließlich durch einen bestimmten, kurzzeitigen Druckauftrag betroffen ist, dessen Ausführung sich auf die dargestellte zeitliche Höchstdauer beschränkt.471

2. Allgemeines Leistungsverweigerungsrecht außerhalb von § 616 BGB Nachdem § 616 BGB als eine tragfähige Sonderregelung für kurzzeitige Leistungshindernisse auch und gerade im Bereich der Gewissenskonflikte ausgemacht ist, stellt sich die Frage, wie Gewissenskonflikte außerhalb von § 616 BGB in das Leistungsstörungsrecht eingeordnet werden können. Die Frage ist gerade deshalb von hoher Relevanz, weil Gewissenskonflikte sich dadurch auszeichnen, dass sie – anders als etwa Behördengänge, Arztbesuche oder andere von § 616 BGB erfasste Fallgruppen472 – in der Mehrzahl der Fälle von längerer Dauer sein werden, da sie vielfach strukturell mit der Art der zugewiesenen Tätigkeit oder dem Inhalt der geschuldeten Leistung verknüpft sind. Auch lassen sich Gewissenskonflikte keinesfalls auf den Bereich des Dienstund Arbeitsvertragsrechts beschränken, so dass auch hier die Frage nach einer allgemeinen Rechtsgrundlage der Leistungsverweigerung offen bleibt.

a) Verortung im Recht der Unmöglichkeit Eine Einordnung der Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen in das Recht der Unmöglichkeit wurde zunächst nicht im Zusammenhang mit der Gewissensfreiheit, sondern – wie noch im einzelnen darzustellen sein wird473 – in der Fallgruppe der Leistungsverweigerung wegen Einberufung zum ausländischen Wehrdienst vorgeschlagen. In der Tat war in jener Fallgruppe eine derartige Einordnung naheliegend, da es sich hier um eine „äußere“ und nicht um eine bloß „innere“ Pflichtenkollision handelte, die Vertragspflicht zur Arbeitsleistung also durch eine andere, eventuell höherrangige rechtliche Pflicht beeinträchtigt wurde. Die Nähe zum Konstrukt der „rechtlichen“ Unmöglichkeit,474

 471 Vgl. die Konstellation von BAG AP § 123 GewO Nr. 12 und BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; oben § 3 I 1 und 2. 472

Vgl. nur den Überblick bei Staudinger-Oetker § 616 Rn. 56 ff. Vgl. unten § 6 II 2. 474 Vgl. Palandt-Heinrichs63 § 275 Rn. 16 f. 473

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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wie sie schon dem Vorstellungsbild des historischen Gesetzgebers entsprach,475 liegt auf der Hand. Anders hingegen stellt sich die Situation bei Gewissenskonflikten dar: Hier eine Einordnung in das Unmöglichkeitsrecht vorzunehmen, erfordert ein hohes Maß an Abstraktion und wertenden Entscheidungen, handelt es sich doch nicht um eine der rechtlichen Unmöglichkeit nahestehende äußere Pflichtenkollision, sondern um die Kollision einer äußeren, objektiven Vertragspflicht mit einer nur innerlichen, subjektiv empfundenen, keinesfalls aber rechtlich bindenden Gewissenspflicht. So wurde eine eindeutige und in sich schlüssige Gesamtkonzeption der Einordnung ins Unmöglichkeitsrecht auch erst spät von Kohte476 vorgenommen. Mittlerweile scheint eine gesetzgeberische Wertung zu existieren, Gewissenskonflikte aus dem Recht der Unmöglichkeit ausklammern zu wollen.477 Angesichts der offenkundigen Unsicherheit des Gesetzgebers im Umgang mit der Thematik wird man allerdings fragen können, ob der dargestellten Auffassung – entgegen dem vom Gesetzgeber artikulierten Willen – aus systematischem Blickwinkel gefolgt werden muss. Dies hätte im neuen Schuldrecht eine Lösung über § 275 I BGB zur Konsequenz, der nunmehr auch die subjektive Unmöglichkeit der Leistungserbringung erfasst.478

aa) Partielle Lösungen durch das Unmöglichkeitsrecht Der Gesamtkonzeption Kohtes vorangegangen war verschiedentlich die Einbeziehung von Aspekten des Unmöglichkeitsrechts zur Beantwortung von Teilfragen des Gesamtkomplexes. So hatten schon Bosch und Habscheid479 – obwohl sie die Gewissensproblematik im Ausgangspunkt in den Generalklauseln der §§ 242, 315 BGB verankert wissen wollten – darauf hingewiesen, dass die Leistungsbefreiung bei Gewissenskonflikten alternativ auch aus dem Unmöglichkeitsrecht hergeleitet werden könne. Rechtlich unmöglich sei auch eine Leistung, die nur unter Verletzung höherrangiger sittlicher Pflichten zu erbringen sei.480 Jedoch sei infolge der einschneidenden Konsequenzen des Unmög 475

Mot. II, S. 45; Prot. I, S. 314 f.; vgl. auch RG JW 10, 805; RGZ 80, 316; RGZ 150, 218 und ausführlich unten § 10 I 2 b). 476

Kohte NZA 1989, 161 ff. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte Abs. 2 nennt als Lösungsalternativen für Gewissenskonflikte § 313 oder § 242 BGB. 477

478

Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 297 ff. Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 ff. 480 Sie weisen jedoch zustimmend darauf hin, dass schon Enneccerus/Lehmann, Bürgerliches Recht Bd. 2, § 29 I 2, angenommen habe, es widerspreche einer natürlichen Betrachtungsweise, etwas als unmöglich anzuerkennen, was geschehen könne. Jedoch sei § 275 BGB 479

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

lichkeitsrechts der Weg einer Gleichstellung mit dem Unmöglichkeitsrecht nur dann gangbar, wenn dies im Lichte von Treu und Glauben (§ 242 BGB) geboten sei. Damit seien die Wertungen, die bei § 242 BGB vorzunehmen seien, auch in das Unmöglichkeitsrecht hineinzulesen.481 Die recht vage und inhaltsarme Formel von Treu und Glauben, welche bei Bosch und Habscheid also die Abgrenzung zwischen Anwendbarkeit und Nichtanwendbarkeit des Unmöglichkeitsrechts leisten soll, implementiert letztlich die bei direkter Anwendung eines auf § 242 BGB gestützten Leistungsverweigerungsrechtes ohnehin notwendigen Abwägungsvorgänge in das Unmöglichkeitsrecht. Die nach dieser Lösung auch im Rahmen des Unmöglichkeitsrechts notwendige Interessenabwägung war zum einen der Natur des Unmöglichkeitsrechtes völlig fremd; zum anderen zeigt die Kategorien- und Tatbestandsvermischung deutlich die bei einer Einordnung der Gewissensproblematik in den Kontext des Unmöglichkeitsrechts aufbrechende Unsicherheit, die letztlich dadurch zu erklären ist, dass Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit zwei streng zu trennende Kategorien darstellen.482 Auch der dargestellte Ansatz Reuters483 greift zur Beantwortung von Teilfragen auf das Unmöglichkeitsrecht zurück. Dieses wird jedoch von Reuter keinesfalls für die dogmatische Herleitung eines Leistungsverweigerungsrechts herangezogen. Nur für die Folgefrage des Schicksals des Entgeltanspruchs nimmt Reuter auf § 323 I BGB [a.F., jetzt § 326 I BGB] Bezug: Der die Leistung verweigernde Arbeitnehmer soll seinen Entgeltanspruch gemäß § 323 I BGB [a.F., jetzt § 326 I BGB] verlieren. Die Position Reuters wird von Wendeling-Schröder484 aufgegriffen und befürwortet. Jedoch äußert auch sie sich unter Heranziehung des § 323 I BGB a.F. lediglich über das Schicksal des Entgeltanspruchs, wobei sie – ausdrücklich Reuter widersprechend – „im Lichte des Art. 4 GG“ eine Durchbrechung des in § 323 I BGB a.F. statuierten Grundsatzes „Ohne Arbeit kein Lohn“ durch Anwendung von § 616 BGB auch bei Gewissenskonflikten vorschlägt.485 Der Arbeitnehmer soll also seinen Entgeltanspruch infolge der Leistungsverweigerung nicht verlieren. Eine auf das Unmöglichkeitsrecht gestützte Gesamtkonzeption findet sich allerdings auch bei ihr nicht.  [a.F.] analog anzuwenden, da es sich bei vernünftiger ethischer und wirtschaftlicher Betrachtung um einen der Unmöglichkeit gleich zu behandelnden Fall „überobligationsmäßiger Schwierigkeit“ handele. 481 Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 (216). 482 Vgl. ausführlich unten § 10 I 1. 483 Reuter BB 1986, 385 (389); Kohte NZA 1989, 161 (164 Fn. 35) führt ihn denn auch als Kronzeugen für seine Konzeption an. 484 485

Wendeling-Schröder BB 1988, 1742 (1746). Wendeling-Schröder BB 1988, 1742 (1746).

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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Für Teilaspekte der Problematik greift übrigens auch das BAG auf das Unmöglichkeitsrecht zurück: In seiner Entscheidung vom 24.5.1989486 stellt es für das Schicksal des Vergütungsanspruchs des Arbeitnehmers darauf ab, dass ein Annahmeverzug des Arbeitgebers schon wegen Einschlägigkeit des § 297 BGB ausscheide: Der Arbeitnehmer sei bei einem Gewissenskonflikt „außerstande“ im Sinne der Vorschrift, die Arbeitsleistung zu erbringen. Obwohl es also in derselben Entscheidung unmissverständlich eine Gesamtlösung über das Unmöglichkeitsrecht abgelehnt hat, greift es zur Beantwortung von Teilfragen durchaus auf den Gedanken der Unmöglichkeit zurück. Dies ändert jedoch nichts an der grundsätzlich äußerst reservierten Haltung des BAG gegenüber einer Heranziehung des Unmöglichkeitsrechts zur rechtlichen Bewertung von Konstellationen der Unzumutbarkeit.487

bb) Die Gesamtkonzeption Kohtes Kohte488 nun stützte erstmals die rechtliche Behandlung von Gewissenskonflikten ausschließlich unter Ablehnung anderer Konzeptionen auf das Recht der Unmöglichkeit. Wie in den Fällen familiärer Sorgepflichten und der Einberufung zum ausländischen Wehrdienst sei auch bei Gewissenskonflikten der Begriff des Unvermögens auf Fälle sozialethischer Unzumutbarkeit auszudehnen.489 Dies sei – so Kohte im Anschluss an Fabricius490 – durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers gedeckt und geboten. Da nach dem anzuwendenden subjektiven Gewissensbegriff der Arbeitnehmer die Gewissensentscheidung als bindend und unbedingt verpflichtend erfahre, ergebe sich notwendig aus dieser Unbedingtheit der inneren Verpflichtung eine Gleichstellung zum einen mit den Fällen von Wehrdienst und Personensorge, zum anderen – vermittelt dadurch – auch mit dem Unvermögen.491 Dagegen spreche auch nicht die dem Arbeitnehmer verbleibende Wahlmöglichkeit: Schließlich müsse der Arbeitnehmer infolge § 613 S. 1 BGB seine Dienste im Zweifel in Person erbringen. Aufgrund dieser besonderen personalen Struktur müsse hier der Unmöglichkeitsbegriff erweiternd verstanden wer 486

BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. Deutlich auch BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9 zur parallelen Fallgruppe der Einberufung zum ausländischen Wehrdienst. 487

488

Kohte NZA 1989, 161 ff. Er stimmt insoweit ausdrücklich der Position Miseras [SAE 1983, 271] zu; vgl. ausführlich unten § 6 II 2. 490 Fabricius, Leistungsstörungen, S. 108 ff.; ähnlich Herschel Anm. zu BAG AP § 616 BGB Nr. 48. 491 Kohte NZA 1989, 161 (164). 489

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

den. Für eine Einordnung als Unmöglichkeit spreche zwingend auch § 616 BGB: Dieser regele Fälle von Pflichtenkollisionen im Arbeitsverhältnis und stelle zugleich eine Sonderregelung zu § 323 I BGB [a.F.] dar. Damit stehe aufgrund der systematischen Stellung des § 616 BGB im Verhältnis zu § 323 I BGB [a.F.] fest, dass Fälle der Pflichtenkollision aus persönlichen Gründen insgesamt Sonderfälle der (subjektiven) Unmöglichkeit darstellen.492 Schließlich erkennt Kohte den Einwand an, dass die eigentlich im Unmöglichkeitsrecht angelegte „Automatik“ eines Erlöschens der Leistungspflicht ipso iure keine adäquate Lösung für Gewissenskonflikte darbiete.493 Jedoch stelle sich das Problem in Wahrheit schon wegen der Struktur des Gewissensbegriffs nicht: Die persönliche Wertung des Betroffenen dürfe im Konfliktfall nicht durch eine Wertung „von Amts wegen“ ersetzt werden. Daher sei, um das Erlöschen der Leistungspflicht nach § 275 II BGB [a.F.] zu bewirken, immer eine „Offenlegung“ und „Anzeige“ des Gewissenskonflikts erforderlich. Eine Bezeichnung dieser „Anzeige“ als Leistungsverweigerungsrecht lehnt er jedoch nachdrücklich ab.494

cc) Stellungnahme Gegen diese Lösung lassen sich, auch ungeachtet der offenbaren legislativen Wertentscheidung durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz,495 gewichtige systematische Argumente vorbringen, die – da sie im einzelnen an anderer Stelle ausführlich dargestellt werden496 – hier nur kurz skizziert und zusammengefasst werden sollen. Zum einen entspricht die Konstellation der Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung infolge eines Gewissenskonfliktes schon tatbestandlich nicht der Konstellation bei Unmöglichkeit. Wie die Materialien zum BGB klar ausweisen, wollte § 275 I, II BGB a.F. in allererster Linie jene Fälle erfassen, in denen die Leistungserbringung schon tatsächlich-naturgesetzlich oder aber aus rechtlichen Gründen497 ausgeschlossen ist. Eine Erweiterung auf Fälle so genannter

 492

Kohte NZA 1989, 161 (165). „Eine solche Automatik wäre [...] fatal.“, Kohte NZA 1989, 161 (165). 494 Vgl. die kritische Stellungnahme hierzu bei Henssler AcP 190 (1990), 538 (542 Fn. 20). 495 BT-Drucks. 14/6040 S. 130. 496 Vgl. unten § 10 I 1. 493

497

Zur rechtlichen Unmöglichkeit Palandt-Heinrichs63 § 275 Rn. 16 f. m.w.N. sowie ausführlich unten § 10 I 2 b).

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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„faktischer“ oder „wirtschaftlicher“ Unmöglichkeit wurde erst später in Rechtsprechung und Lehre vorgenommen und blieb umstritten.498 Tatsächlich sind Gewissenskonflikte entscheidend dadurch gekennzeichnet, dass dem Schuldner eine Wahlmöglichkeit verbleibt, die Leistung – mag sie auch objektiv als unzumutbar empfunden werden – dennoch zu erbringen und so seinem Gewissen zuwider zu handeln. Ihm wird also die Entscheidung über das Ob der Leistungserbringung nicht schon durch äußere Umstände abgenommen, sondern seine Entscheidung bleibt frei.499 Gerade diese Wahlfreiheit gehört untrennbar zur Struktur des Gewissens. Die Entscheidungsmöglichkeit konstituiert die Freiheit der Gewissensentscheidung. Daher ist schon insoweit ein wirklich gravierender Unterschied zur naturgesetzlichen oder rechtlichen Unmöglichkeit festzustellen, der auch eine analoge Anwendung des Unmöglichkeitsrechts mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte500 unangebracht erscheinen lässt. Aufgrund der strukturellen Unterschiede passt auch die Rechtsfolge des Unmöglichkeitsrechts, ein Entfall der Leistungspflicht ipso iure, überhaupt nicht für Fälle einer Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen. Dem hat der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes für die von § 275 III BGB erfassten Fallgruppen dadurch Rechnung getragen, dass er hier ein Leistungsverweigerungsrecht mit Einredecharakter konstruiert hat.501 Auch und gerade bei den von § 275 III BGB nicht erfassten Gewissenskonflikten kommt dieser Einwand voll zum Tragen: Der Automatismus des Unmöglichkeitsrechts würde dem Schuldner die für Gewissensentscheidungen wesentliche Wahlmöglichkeit, auch gegen sein Gewissen handeln zu können, nehmen und ihn damit ohne Notwendigkeit wohlmeinend bevormunden.502 Überdies widerspricht dieser Sichtweise schon die praktische Handhabung, die gerade bei „inneren“ Pflichtenkollisionen wie Gewissenskonflikten notwendig  498

Richtig dürfte eine Einordnung dieser Fälle nicht unter den Begriff der Unmöglichkeit, sondern der (wirtschaftlich-materiellen) Unzumutbarkeit sein, also eine Einordnung in systematischer Nähe zum Wegfall der Geschäftsgrundlage. So für die wirtschaftliche Unmöglichkeit auch die Rspr. seit RGZ 103, 332; vgl. in der Lit. nur Staudinger-Löwisch § 275 Rn. 10; Soergel-Wiedemann § 275 Rn. 38. Auch die Fälle der „faktischen“ oder „praktischen“ Unmöglichkeit stehen dem Wegfall der Geschäftsgrundlage näher als der Unmöglichkeit. Dies macht schon das Schulbeispiel des Ringes auf dem Meeresboden deutlich: Auch hier ist die Leistungserbringung nicht naturgesetzlich unmöglich; sie würde indes wegen wirtschaftlichen Aufwandes die „Opfergrenze“ des Schuldners überschreiten und erscheint daher nach Treu und Glauben unzumutbar; ähnlich BT-Drucks. 14/6040 S. 129 re. Spalte unten; Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 51 ff. 499

Hierauf verweist Henssler AcP 190 (1990), 538 (542). Allgemein zu den Voraussetzungen der Analogie Bydlinski, Methodenlehre, S. 472 ff. 501 Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 38, 40. 502 Henssler AcP 190 (1990), 538 (542). 500

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

eine Anzeige und eine damit einhergehende Leistungsverweigerung gegenüber dem Gläubiger voraussetzt. Auch Kohte erkennt dies an, zieht jedoch nicht die einfache, schlüssige Konsequenz, die Anwendung des Unmöglichkeitsrechts abzulehnen, sondern implementiert dem Unmöglichkeitsrecht, indem er eine Anzeige- und Offenlegungspflicht als Voraussetzung für den Eintritt der Unmöglichkeit verlangt, contra legem die Notwendigkeit der einredeweisen Geltendmachung. Freilich erkennt er diese Konsequenz nicht an. Den an sich zwingenden Schluss, Unzumutbarkeit als ein aliud gegenüber der Unmöglichkeit zu begreifen und für Fälle der Unzumutbarkeit einen angemesseneren Lösungsweg zu finden, zieht Kohte nicht. Gleichwohl dürfte eine solche Sichtweise schon vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes angebracht gewesen und durch dieses nur noch bekräftigt worden sein.503 Zum anderen greift der Einwand Kohtes, schon die systematische Stellung des § 616 BGB als Sonderregelung zu § 323 I BGB [a.F., jetzt § 326 I BGB] spreche für eine Einordnung der Gesamtproblematik in das Recht der Unmöglichkeit,504 letztlich nicht durch. Wie schon gezeigt wurde, erfasst § 616 BGB nicht primär Fälle der Unmöglichkeit, sondern solche der Unzumutbarkeit.505 Freilich hat Kohte mit einem Einwand ein offenbares systematisches Problem klar erkannt: Wenn § 616 BGB Fälle der Unzumutbarkeit erfasst, dann konnte die Norm auch in ihrer „expliziten“ Funktion,506 dem Dienstverpflichteten seinen Gegenleistungsanspruch zu erhalten, vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes nicht lediglich eine Ausnahmeregelung zu § 323 I BGB a.F. darstellen. Tatbestandliche Voraussetzung dieser Vorschrift war nämlich eben die Unmöglichkeit, nicht aber die Unzumutbarkeit der Leistungserbringung. Auch in seiner expliziten Funktion, den Entgeltanspruch aufrechtzuerhalten, musste § 616 BGB folglich über die gängige systematische Einordnung einer Sonderregelung zu § 323 I BGB a.F. hinausgehen. Die Problematik besteht für Gewissenskonflikte auch nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes fort: § 616 BGB lässt sich nunmehr – insoweit schlüssiger als vor der Neuregelung – als Sonderregelung zu § 326 I BGB deuten, der nicht mehr nur Fälle der Unmöglichkeit, sondern auch die in § 275 III BGB geregelten Fallgruppen der Unzumutbarkeit erfasst. Das Problem bleibt jedoch lösungsbedürftig, soweit § 275 III BGB für den Bereich der ideellen Unzumutbarkeit keine Regelung trifft, also vor allem im Bereich der Gewissenskonflikte. Hier gewährt § 616 BGB dem Dienstverpflichteten ein Leistungsverweigerungsrecht und erhält ihm seinen Entgeltanspruch. Da Ge 503

Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte Abs. 2, dazu oben § 3 III 1. Kohte NZA 1989, 161 (165). 505 Vgl. oben § 3 IV 1 b) und MünchKomm-Schaub § 616 Rn. 14 m.w.N. 506 Zur doppelten Funktionalität des § 616 BGB vgl. ausführlich oben § 3 IV 1 c). 504

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wissenskonflikte jedoch keine von §§ 275 III BGB, 326 geregelte Fallgruppe der Unzumutbarkeit darstellen, kann § 616 BGB auch nicht einfach als Sonderregelung zu § 326 I BGB aufgefasst werden. Vielmehr kann man § 616 BGB in seiner expliziten Funktion schlüssig nur als Sonderregelung zu dem allgemeinen Rechtsgedanken „Ohne Arbeit kein Lohn“ deuten, der in § 326 I BGB für die in § 275 BGB geregelten Fälle niedergelegt ist. Für die von § 275 BGB nicht erfassten Fälle folgt dieser Rechtsgrundsatz zwar nicht unmittelbar aus § 326 I BGB, jedoch aus dem funktionellen Synallagma von Leistung und Gegenleistung, das grundsätzlich auch in der Situation der Leistungsstörung aufrechterhalten bleiben soll.507 § 326 I BGB ist – als Ausdruck dieses allgemeinen Rechtsprinzips – nunmehr auf Fallgruppen ideeller Unzumutbarkeit, die von § 275 III BGB nicht erfasst sind, zumindest entsprechend anwendbar.508 Bei dieser Deutung lässt sich auch aus der Einordnung des § 616 BGB kein Argument für die Zuordnung der Gewissenskonflikte zum Recht der Unmöglichkeit ableiten; vielmehr ist eine solche Zuordnung aufgrund der dargelegten Strukturverschiedenheit von Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit nachdrücklich abzulehnen.509

b) Lösungsalternativen Indem der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes darlegt, Gewissenskonflikte seien „über § 313 BGB oder über die Anwendung von Treu und Glauben“ zu lösen,510 delegiert er die letztliche Einordnung der Problematik an die Rechtspraxis und Rechtswissenschaft, gibt jedoch eine Präferenz für die beiden genannten Lösungen zu erkennen. Gezeigt wurde, dass sich auch unabhängig von dieser recht unklaren legislativen Entscheidung eine Lösung über § 275 III BGB oder I schon aus systematischen Gründen verbietet. Mit der aufgezeigten gesetzgeberischen Präferenz wird der dogmatischen Herkunft der ideellen Unzumutbarkeit und ihrer Verwandtschaft zum Wegfall der Geschäftsgrundlage angemessen Rechnung getragen.511 Weit weniger Rechnung getragen wird dieser dogmatischen Provenienz der ideellen Unzumutbarkeit bei den in § 275 III BGB geregelten Fallgruppen, da diese durch die Einordnung in § 275 III BGB eher dem Unmöglichkeitsrecht nahegestellt wur 507 § 326 I BGB kodifiziert dieses Prinzip für den von ihm erfassten Bereich von Leistungsstörungen, vgl. Staudinger-Otto § 323 Rn. 1 ff. (zu § 323 I BGB a.F.). 508

Vgl. unten § 14 II 3. Oben § 3 IV 2 a) cc) und ausführlich unten § 10 I 1. 510 Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte Abs. 2 und ausführlich oben § 3 III 1. 511 Vgl. oben § 2 II und III. 509

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

den. Auf diese bemerkenswerte Divergenz wird noch einzugehen sein.512 Ein weiterer Umstand, der spätestens hier anschaulich wird, ist, dass die ideelle Unzumutbarkeit durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz offenbar nicht als einheitliches Phänomen verstanden wird, sondern die Fallgruppe der Gewissensfreiheit gegenüber den von § 275 III BGB erfassten Fallgruppen einer sehr eigenständigen Einordnung zugeführt wird. Die Konstellation der ideellen Unzumutbarkeit wird damit durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz gleichsam aufgespalten: Die ausdrücklich in § 275 III BGB geregelten Fallgruppen, etwa der Personensorge und der Einberufung zum ausländischen Wehrdienst, werden regelungstechnisch der Unmöglichkeit nahegestellt, während Gewissenskonflikte in den Zusammenhang von Treu und Glauben gerückt werden.513 Beachtet man die offenbare legislative Unsicherheit bei der Einordnung der Gewissenskonflikte sowie die allgemeine Unsicherheit bei der Abgrenzung von „Treu und Glauben“ von der Inhaltskontrolle bei einseitigem Leistungsbestimmungsrecht,514 so ist neben den vom Gesetzgeber nahegelegten Lösungsmodellen auch an das vom BAG entwickelte Konzept einer Einordnung in den Zusammenhang der Billigkeitskontrolle bei einseitiger Leistungsbestimmung (§§ 106 GewO, 315 I BGB) zu denken.515

aa) Gewissensnot als Anwendungsbereich des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB § 313 BGB nimmt entscheidend auf die Änderung von „Umständen“ Bezug, die zur Geschäftsgrundlage geworden sind und deren Änderung, wäre sie von den Parteien des Vertrages vorhergesehen worden, den Vertragsschluss gehindert hätte. Der Begriff der Geschäftsgrundlage wird dabei in der Regierungsbegründung definiert als die „nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt gewordenen, bei Vertragsschluss aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen der Vertragsparteien oder die dem anderen Teil erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen Partei von dem Vorhandensein oder  512

Unten § 12. Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 447 möchte daher anscheinend auch andere Fallgruppen ideell motivierter Unzumutbarkeit, etwa die Einberufung zum ausländischen Wehrdienst, nach wie vor mittels § 242 BGB lösen. Diese – systematisch an sich überzeugende – Lösung ist jedoch durch die Einfügung des § 275 III BGB abgeschnitten, dessen Anwendungsbereich ansonsten leerliefe. 513

514

Vgl. schon Henssler AcP 190 (1990), 538 (543). Dafür Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 199. Dies entspricht der bisherigen Rspr. des BAG, vgl. BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 515

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dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, auf denen sich der Geschäftswille der Parteien aufbaut.“516 Tatbestandlich könnten somit – dem Wortlaut nach – auch unvorhergesehen aufbrechende Gewissenskonflikte der Norm unterfallen.517 Voraussetzung dafür ist freilich eine Vorstellung der Parteien, dass das künftige Vertragsverhältnis frei von derartigen Konflikten bleiben werde. Schon die Annahme eines solchen Vorstellungsbildes der Parteien erscheint nicht ganz realistisch; so weisen unter anderem Bosch/Habscheid und Henssler518 darauf hin, dass die Parteien im Regelfall nicht oder zumindest nicht erkennbar davon ausgehen werden, der Vertrag werde frei von Gewissenskonflikten bleiben. Meist wird es also in der Tat bereits an einer gedanklichen Auseinandersetzung mit möglichen Gewissenskonflikten, jedenfalls aber an einem klaren Vorstellungsbild der Parteien und damit an einer Geschäftsgrundlage dieses Inhalts fehlen. Auch die in § 313 BGB statuierten Rechtsfolgen erscheinen bei näherer Betrachtung für Gewissenskonflikte nicht ganz passend:519 § 313 BGB gewährt – im Einklang mit der überkommenen Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage – primär einen Anspruch auf Vertragsanpassung sowie als ultima ratio ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht, § 313 III BGB. Diese Rechtsfolgensystematik hätte auch bei Gewissenskonflikten zur Folge, dass der betroffene Schuldner primär eine Anpassung des Vertrages verlangen könnte.520 Soweit jedoch eine Vermeidung des Gewissenskonfliktes durch eine Änderung der geschuldeten Tätigkeit überhaupt möglich erscheint, wird es einer derartigen Vertragsanpassung in der Mehrzahl der Fälle gar nicht bedürfen, weil der Konflikt in diesen Konstellationen schon durch geänderte Ausübung des Direktionsrechtes, also innerhalb des unverändert fortbestehenden Vertragsverhältnisses gelöst werden kann. Eine – im Streitfall richterliche – Vertragsänderung, wie in § 313 BGB vorgesehen, wäre somit ein unverhältnismä 516 BT-Drucks. 14/6040 S. 174 im Anschluss an RGZ 103, 328 (332); BGHZ 25, 390 (392); BGHZ 89, 226 (231); BGHZ 128, 230 (236); BGH NJW 2001, 1204; ähnlich schon Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 26 ff. 517 Für ein derartiges Lösungsmodell denn auch AnwK-Dauner-Lieb § 275 Rn. 19; ebenso schon – zumindest für Gewissenskonflikte bei einmaligem Leistungsaustausch – Otto, Personale Freiheit, S. 123 f. 518 Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 (214); Henssler AcP 190 (1990), 538 (546); ebenfalls eine Anwendung der Lehre von der Geschäftsgrundlage auf Konstellationen ideeller Unzumutbarkeit ablehnend auch Scheschonka, Gewissensnot, S. 44 ff.; Blomeyer JZ 1954, 309 (311). 519 Ähnlich Henssler RdA 2002, 129 (131). 520

Dafür denn auch – auf Grundlage von § 242 BGB – Bosch/Habscheid in ihrer zweiten Stellungnahme, JZ 1956, 297 (301).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

ßiger, weil nicht erforderlicher Eingriff in die Privatautonomie. Einen bloßen Anspruch auf geänderte Ausübung des Direktionsrechts sieht § 313 BGB demgegenüber nicht vor. Schon insoweit erscheint die Vorschrift in ihrer Rechtsfolge unpassend. Unklar bleibt ebenfalls, welcher Art die geschuldete Vertragsänderung bei Gewissenskonflikten wäre: Soll der Arbeitnehmer etwa auch eine Beförderung auf eine „gewissensneutrale“ Stelle verlangen können? Kaum überzeugend ist auch die subsidiäre Rechtsfolge des Rücktritts- oder Kündigungsrechtes: Der von einem Gewissenskonflikt betroffenen Schuldner müsste bei Anwendung dieser Bestimmung zur Lösung des Gewissenskonfliktes selbst das Vertragsverhältnis beenden. Damit ginge gerade im praktisch wichtigen Bereich des Arbeitsrechtes eine deutliche Verschlechterung der Rechtsstellung des Arbeitnehmers einher: Wurde ihm nach alter Rechtslage nach fast allgemeiner Auffassung ein Leistungsverweigerungsrecht zugestanden, das nur unter besonderen Umständen eine Vertragsbeendigung nach sich ziehen konnte,521 so wäre die Vertragsbeendigung durch außerordentliche Kündigung seitens des Leistungsschuldners nun vielfach die einzige verbleibende Möglichkeit. Dies passt schwerlich zu dem klar artikulierten Willen des Gesetzgebers, im Bereich des Arbeitsrechtes keine inhaltlichen Änderungen vornehmen zu wollen.522 Ein weiterer Gesichtspunkt, der deutlich gegen eine Lösung mittels der Lehre von der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) spricht, liegt in der dogmatischen Herkunft dieser Lehre begründet: Die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage wurde zunächst und primär für Fälle wirtschaftlich-materieller Unzumutbarkeit entwickelt.523 Der Regierungsentwurf zu § 313 BGB nennt in seiner Begründung denn auch als zentrale Anwendungsbereiche der Vorschrift Äquivalenzstörungen – also eine Störung der Gleichwertigkeit von geschuldeter Leistung und Gegenleistung –, Leistungserschwernisse – also etwa Beschaffungshindernisse – sowie das Sinnloswerden des Leistungszweckes.524 Dies sind im Kern die bekannten Fallgruppen materiell-wirtschaftlicher Unzumutbarkeit. Hier mit Gewissenskonflikten einen Teilbereich der ideellen Unzumutbarkeit einzuordnen, erschiene systematisch inkonsequent. Einzig eine Einordnung der Gewissenskonflikte unter der Fallgruppe der „Leistungserschwerung“ erschiene semantisch denkbar; allerdings zeigt schon die für diese Fallgruppe beispielhafte Erwähnung der „Beschaffungshindernisse“, dass auch hier ausschließlich an materielle Leistungserschwerungen gedacht wurde. Insgesamt geht somit aus der Regierungsbegründung deutlich hervor, dass durch die neu  521 Vgl. ausführlich oben § 3 I 1 - 5 sowie ausführlich zur Vertragsbeendigung nach Leistungsverweigerung unten § 17. 522

Vgl. BT-Drucks. 14/6857 S. 48; dazu Pick ZIP 2001, 1173 (1181). Vgl. oben § 2 II und Henssler AcP 190 (1990), 538 (540). 524 BT-Drucks. 14/6040 S. 174 re. Spalte. 523

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geschaffene Norm die bisherige Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage kodifiziert und ohne inhaltliche Änderungen legislativ umgesetzt werden sollte.525 Fälle ideeller Unzumutbarkeit waren hiervon jedoch gerade nicht erfasst;526 auch § 313 BGB ist folglich in seinem Anwendungsbereich auf die bekannten Fallgruppen materiell-wirtschaftlicher Unzumutbarkeit zu beschränken.527

bb) Gewissensnot als Grenze des einseitigen Leistungsbestimmungsrechts, §§ 106 S. 1 GewO, 315 BGB Eine Einordnung der Problematik in den Kontext der Inhaltskontrolle des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts hatte das BAG – wie dargestellt – in seiner Entscheidung vom 20.12.1984528 entwickelt und in der Entscheidung vom 24.5.1989 konsequent fortgeschrieben. Auch in der Literatur gab es vereinzelt befürwortende Stimmen: So hatten schon Bosch und Habscheid eine Lösung mittels § 315 BGB, aus dem der heutige § 106 GewO als arbeitsrechtliche Sonderregelung entwickelt wurde, für möglich gehalten.529 Nach Inkrafttreten des § 106 GewO verbleibt ein Anwendungsbereich für die Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB noch bei einseitiger Leistungsbestimmung außerhalb des Arbeitsrechts. Nicht schon die Rechtsnatur der Ausübungskontrolle spricht gegen eine Anwendung der Billigkeitskontrolle im hier interessierenden Zusammenhang. Reuter530 führt zur Ausübungskontrolle nach § 315 BGB aus, die Vorschrift sei  525

Vgl. insbes. BT-Drucks. 14/6040 S. 176 li. Spalte Abs. 2. Vgl. Henssler AcP 190 (1990), 538 (540); ders. RdA 2002, 129 (131). 527 Damit ergibt sich zugleich eine – zumindest teilweise – Antwort auf die von Zimmer NJW 2002, 1 (4) aufgeworfene Frage nach der Abgrenzung von § 313 zu § 275 II und III BGB. Fälle wirtschaftlich-materieller Unzumutbarkeit sollen § 313, Fälle ideeller Unzumutbarkeit § 275 III BGB unterfallen. Das von Zimmer a.a.O. richtig erkannte Abgrenzungsproblem ergibt sich jedoch weiterhin drängend zwischen § 275 II und § 313 BGB. 526

528

BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27. Ebenso Bydlinski SAE 1991, 6 ff. in Reaktion auf die entsprechende Rspr. des BAG: Richtig sei insbes., dass das Gewissen nur als ein – wenn auch letztlich entscheidender – Abwägungsfaktor, nicht aber als absolut alle Gegeninteressen und sonstigen Rechtsprinzipien verdrängender Wert begriffen werde. Auch einem hochrangigen Grundrecht wie der Gewissensfreiheit dürfe nicht die Kraft beigemessen werden, „die ganze übrige Rechtsordnung außer Wirksamkeit zu setzen“. Insgesamt stimmt er folglich der Anwendung von § 315 BGB als dogmatischer Grundlage zu. Eine ähnliche Konzeption vertritt auch nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 199. 529

530 Reuter BB 1986, 385; ders. JuS 1986, 490 plädiert für eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle von Weisungen auf das „Grundverhältnis“. Ähnlich Brox Anm. zu BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27: § 315 BGB gelte nur „im Zweifel“. Bei konkreten „unter-

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

nur eine widerlegliche Vermutung für den Parteiwillen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Arbeitgeber beim Vertragschluss damit einverstanden sei, jede seiner Weisungen einer Billigkeitskontrolle zu unterwerfen. Die Ansicht trägt dem ursprünglichen Charakter des Rechtsinstituts durchaus Rechnung. Jedoch verkennt Reuter, dass schon die Vorschrift des § 315 BGB im Arbeitsrecht weit über ihren ursprünglichen Anwendungsbereich hinaus ausgedehnt wurde.531 Hier wurde sie zusammen mit § 242 BGB als allgemeine Grundlage einer Inhalts- und Billigkeitskontrolle aufgefasst. Tatsächlich wurde im Rahmen dieser Billigkeitskontrolle wohl nicht mehr unmittelbar § 315 BGB angewandt,532 sondern vielmehr nur der in § 315 BGB zum Ausdruck gebrachte Rechtsgedanke, dass eine einseitig zu bestimmende Leistung im Grundsatz billigem Ermessen entsprechen muss. Die hier befürwortete Sichtweise macht deutlich, dass schon die aus § 315 BGB abgeleitete Billigkeitskontrolle im Arbeitsverhältnis nicht mehr die Natur einer widerleglichen Vermutung hatte. Dieses spezifisch arbeitsrechtliche Institut, für das § 315 BGB nur noch als formale Anknüpfung diente, wurde nun in § 106 GewO spezialgesetzlich verankert. Die Neuregelung stellt ausdrücklich klar, dass es sich bei der arbeitsrechtlichen Billigkeitskontrolle nicht mehr um eine widerlegliche Vermutung handelt. Auch wenn der Regelungsgehalt der neuen Norm und ihre regelungstechnische Umsetzung ansonsten zweifelhaft ist,533 ist die Klarstellung im Hinblick auf die hier zu untersuchende Thematik begrüßenswert. Gegen die Einordnung als bloße Grenze des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts spricht jedoch entscheidend, dass die Billigkeitskontrolle auf Grundlage von § 106 S. 1 GewO ausschließlich jene Fälle erfassen kann, in denen tatsächlich die einseitige Leistungsbestimmung durch Weisung des Arbeitgebers in Rede steht. Damit sind zwar die meisten Konstellationen von Gewissenskonflikten erfasst, jedoch bei weitem nicht alle: Ist etwa eine Tätigkeit im Arbeitsvertrag schon konkret und detailliert festgelegt und ändert sich somit nichts am äußeren Rahmen der Tätigkeit, sondern findet die den Konflikt auslösende Änderung lediglich in der inneren Gewissenshaltung des Arbeitnehmers statt, so kann § 106 S. 1 GewO mangels einer einseitigen Leistungsbestimmung des Arbeitgebers nicht zum Zuge kommen. Gleiches gilt auch außerhalb des Arbeitsrechts für Gewissenskonflikte: Hier wird eine Anwendung des § 315 BGB  geordneten“ Einzelweisungen wie der Zuweisung eines Druckauftrages sei eine gerichtliche Billigkeitskontrolle „von den Parteien weder gewollt noch sinnvoll“. Der Streit hat sich insoweit durch die klarstellende Spezialregelung in § 106 GewO wohl erledigt. 531 Vgl. Palandt-Heinrichs61 § 315 Rn. 2. 532 Eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift setzt sich in der Tat dem Einwand von Reuter BB 1986, 385 aus, sie verkenne die Rechtsnatur des § 315 BGB als widerleglicher Vermutung für den Parteiwillen. 533

Vgl. nur Bauer/Opolony BB 2002, 1590 ff.; Schöne NZA 2002, 829 ff.; Wisskirchen DB 2002, 1886 ff.

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oft schon daran scheitern, dass es an einer einseitigen Leistungsbestimmung fehlt. Mit Blick auf derartige Fälle haben deshalb schon Bosch und Habscheid eine „gespaltene“ Lösung vorgeschlagen, wobei sie für Fälle der einseitigen Leistungsbestimmung die Billigkeitskontrolle als Einfallstor der Gewissensfreiheit verstanden, für alle sonstigen Fälle – gleichsam als lex generalis zu § 315 BGB534 – eine Lösung über § 242 BGB befürworteten.535 Die Billigkeitskontrolle sei als Lösungsansatz immer dann einschlägig, wenn die Leistung nach dem Vertragsinhalt der einseitigen Bestimmung durch einen Vertragspartner vorbehalten sei. § 242 BGB könne hingegen dann Anwendung finden, wenn die Leistung zwar „im großen und ganzen“ vertraglich bestimmt sei, der genaue Inhalt der Leistung jedoch der später von Gewissensnot betroffenen Partei beim Vertragsschluss unklar und noch „auszugestalten“ war.536 Auch bei Arbeitsverträgen sei die konkrete Leistung noch im einzelnen auszugestalten. Bosch und Habscheid sehen also gerade beim Direktionsrecht des Arbeitgebers einen Anwendungsbereich für § 242 BGB, da hier die Billigkeitskontrolle als vorrangige Spezialregelung mangels einseitigen Leistungsbestimmungsrechts gerade nicht einschlägig sei.537 Jedoch müssten – wegen der ähnlichen Interessenlage – die Wertungen der §§ 315, 319 BGB, dass nämlich bei einseitiger Leistungsbestimmung die Entscheidung des Bestimmungsberechtigten unter dem Gebot von Treu und Glauben steht – bei der Anwendung von § 242 BGB herangezogen werden.538 Umgekehrt wollen sie auch bei der Lösung über § 315 BGB die Wertungen von Treu und Glauben mit berücksichtigen. Welche Notwendigkeit bei einer derartigen Lösung für den Rekurs auf § 315 BGB besteht, bleibt dabei unklar; überdies verkennt die Lösung auch das systematische Verhältnis zwischen § 242 BGB und § 315 BGB.539 Auch in der Rechtsfolge kann die Lösung nicht befriedigen: Eine Leistungsbestimmung, die billigem Ermessen i.S.d. § 106 S. 1 GewO nicht entspricht, ist  534

Ähnlich offenbar BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27. Ähnlich jetzt anscheinend Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 136, 199, 446. 536 Dies liege etwa in dem von Bosch und Habscheid zum Anlass für ihren Aufsatz genommenen Fall der Verleihung eines sittlich anstößigen Filmes vor. 535

537 Insoweit weichen sie deutlich von der heutigen Sichtweise und Konstruktion einer Billigkeitskontrolle des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts gerade im Wege des § 315 BGB (jetzt auch § 106 GewO) ab, vgl. umfassend Söllner, Einseitige Leistungsbestimmung (1966). 538 Weshalb dies notwendig erscheint, obwohl § 242 BGB doch selbst die normative Verankerung des Grundsatzes von „Treu und Glauben“ ist, wird nicht ausgeführt und bleibt unklar. 539 Hier kann eben kein Spezialitätsverhältnis konstatiert werden; § 242 BGB sowie §§ 138, 134 BGB gehen § 315 BGB auch in dessen Anwendungsbereich als allgemeine Rechtsprinzipien vor; vgl. Henssler AcP 190 (1990), 538 (543 ff.).; ders. SAE 1988, 164 (165) m.w.N.

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ipso iure unwirksam. Mangels wirksamer Zuweisung einer Tätigkeit durch den Arbeitgeber entfällt somit die Leistungspflicht nach diesem Lösungsmodell von Gesetzes wegen. Bei ungebrochener Anwendung der Vorschrift auf Konstellationen ideeller Unzumutbarkeit wird somit der verbleibende Entscheidungsspielraum des Arbeitnehmers engeebnet: Schon die objektive „Unbilligkeit“ einer Leistungsbestimmung führt zu ihrer Unwirksamkeit. Wie schon dargestellt, ist die verbleibende Entscheidungsmöglichkeit jedoch gerade das prägende Charakteristikum von Konstellationen der Unzumutbarkeit.540 Die Lösung sieht sich also in dieser Hinsicht ähnlichen Bedenken ausgesetzt wie die Gleichstellung mit Fällen der Unmöglichkeit.

cc) Gewissensnot als Fall von Treu und Glauben, § 242 BGB Der Gedanke, die Problematik zumindest überwiegend mittels der Generalklausel des § 242 BGB einer Lösung zuzuführen, stand schon ganz am Anfang der rechtswissenschaftlichen Diskussion. Wie angeklungen hatten schon Bosch und Habscheid541 – ungeachtet aufgezeigter Lösungsalternativen über § 275 oder § 315 BGB – in allererster Linie eine auf den Grundsatz von Treu und Glauben gestützte Lösung erwogen.542 Die Generalklausel von Treu und Glauben habe einen weiten Anwendungsbereich und solle umfassend „der Gerechtigkeit zum Siege verhelfen“.543 Das Eigeninteresse jeder Partei fände daher seine Grenze an dem schutzwürdigen Lebensbereich der anderen Partei. Im Bereich materiell-wirtschaftlicher Unzumutbarkeit habe dieser Gedanke durch die „clausula rebus sic stantibus“ und nach dem ersten Weltkrieg durch die Lehre von der Geschäftsgrundlage Anerkennung gefunden. Erst recht müsse dies daher mit Blick auf immaterielle Interessen des Vertragspartners gelten: Wenn auf das materielle Wohl der Parteien derart Rücksicht genommen werde, dass eine Vertragsanpassung und -auflösung statthaft sei, müsse dies in jedem Fall auch für einen „echten“ Gewissenskonflikt gelten. Der Vertragstreue sei somit durch § 242 BGB in Verbindung mit der Gewissensfreiheit eine Grenze gezogen, die keineswegs zu  540

Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 38; Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 (2107 ff.); vgl. auch unten § 10 I 1. 541

Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 ff. Ähnlich auch Otto, Personale Freiheit, S. 108 ff.; Bosch/Habscheid JZ 1956, 297 ff.; Weber, Juristen-Jahrbuch III 212 (219); Kraft AcP 163, 472 ff.; Brox Anm. zu BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; Kraft/Raab Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; Henssler AcP 190 (1990), 538 ff.; Grabau BB 1991, 1257 (1261); jüngst Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 136, 199, 447; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 482 jeweils m.w.N. 543 Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 (214). 542

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„Chaos“ und zur Relativierung des Vertragsrechts führe.544 Nicht anerkannt werden könne allerdings ein Gewissenskonflikt als Leistungshindernis, wenn er bei Vertragsschluss vorhersehbar gewesen sei. In diesem Falle begrenze § 242 BGB wiederum das Recht des Betroffenen, sich auf sein Gewissen zu berufen, und gewichte das Interesse des Vertragspartners entsprechend höher.545 Aufgrund des Charakters von § 242 BGB als „Billigkeitsregel“, die zur gegenseitigen Rücksicht auf die Interessen des anderen verpflichte, sei die Vertragsauflösung nur ultima ratio; vorrangig sei die Möglichkeit einer Vertragsanpassung zu prüfen.546 Bosch und Habscheid wollen somit anscheinend die Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf die Kollision von Leistungs- und Gewissenspflicht übertragen. Dass jedoch gerade diese Rechtsfolgen der besonderen Eigenart derartiger Pflichtenkollisionen kaum gerecht werden, wurde schon dargestellt.547 Ebenfalls auf § 242 BGB stützt Henssler548 seine Lösung, befürwortet als Rechtsfolge jedoch ein Leistungsverweigerungsrecht mit Einredecharakter. Wie Bosch und Habscheid verweist er auf die enge Verwandtschaft zur ebenfalls in § 242 BGB verorteten Lehre von der Geschäftsgrundlage.549 § 242 BGB sei dabei durch verfassungsrechtliche Wertungen, insbesondere Art. 4 GG zu konkretisieren. Es könne jedoch nicht jeder Gewissenskonflikt relevant werden: Zum einen sei die Gewissensfreiheit des Schuldners durch die Gewissensfreiheit des Gläubigers und auch dessen materielle Interessen begrenzt. Zum anderen könne auch bei Befürwortung des subjektiven Gewissensbegriffs eine gerichtliche Kontrolle mit der Maßgabe stattfinden, ob überhaupt ein Gewissenskonflikt vorliegt und inwieweit er tatsächlich die Erfüllung der Vertragspflicht „unzumutbar“ macht. Eine solche Eingrenzung sowie eine Rechtsgüterabwägung insbesondere auch mit den Nachteilen des Gläubigers sei im Interesse der Rechtssicherheit daher schon für die Zuerkennung eines Leistungsverweige 544 545

Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 (215).

Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 (215). Dafür werden neben dem Rechtscharakter des § 242 BGB auch praktische Gründe angeführt. Insbes. werde damit der Anreiz genommen, sich aufgrund finanzieller Interessen auf einen „angeblichen“ Gewissenskonflikt zu berufen, vgl. Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 (216); deutlicher noch dies. JZ 1956, 297 (301). 547 Vgl. ausführlich oben § 3 IV 2 b) aa). Der Einwand gegen die von Bosch und Habscheid angenommenen Rechtsfolgen trifft zumindest zu, wenn man die typischen arbeitsrechtlichen Konstellationen in den Blick nimmt. In den von Bosch und Habscheid erörterten allgemein-zivilrechtlichen Konstellationen mag ein anderer Schluss zulässig sein. Jedoch ist der Einwand mit Blick auf eine einheitliche Behandlung der Gewissenskonflikte in unterschiedlichen Vertragstypen allgemein zu berücksichtigen. 548 Henssler AcP 190 (1990), 538 ff.; ihm folgt weitgehend ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 970 ff. 549 Henssler AcP 190 (1990), 538 (540). 546

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

rungsrechts unerlässlich.550 Die bloße Vorhersehbarkeit des Konflikts spiele bei ideellen Belangen keine Rolle, da sich insoweit die verfassungsrechtlichen Wertungen durchsetzen müssten und es – wie bei der nachträglichen Unmöglichkeit, § 275 BGB a.F. – auf ein Verschulden nicht ankommen könne.551 Nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes befürwortet bislang vor allem Medicus weiterhin eine Verortung der Gewissensproblematik unter § 242 BGB.552 Daneben hält er jedoch auch eine Anwendung der Billigkeitskontrolle hinsichtlich des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts in bestimmten Konstellationen für denkbar und vorzugswürdig.553 Die Gewissensproblematik sei eine Konstellation, in der aus Gründen der Billigkeit die vertragliche Bindung durchbrochen werden müsse.554 Dies sei jedoch gerade eine typische, wenn auch nicht unbedenkliche Aufgabe von § 242 BGB.555 Gegenüber den vorgenannten Lösungsmodellen vermag die Eingliederung in den Kontext des § 242 BGB noch am ehesten zu überzeugen: Allein der extrem weite Tatbestand des § 242 BGB erscheint geeignet, die Weite der in Betracht kommenden Konstellationen zu erfassen, und gibt auch den nötigen Raum für eine richterliche Gestaltung der Rechtsfolge.556 Unter dem Regime des neuen Schuldrechts wird man dabei zur Gewinnung der adäquaten Rechtsfolge im Rahmen des § 242 BGB auf den Rechtsgedanken des § 275 III BGB zurückgreifen dürfen, da dieser die verwandten Fälle557 anderer ideeller Leistungshindernisse regelt. Man wird also auch für Gewissenskonflikte ein Leistungsverweigerungsrecht mit Einredecharakter annehmen können, da eine von den anderen Fallgruppen ideeller Unzumutbarkeit abweichende Rechtsfolge kaum zu rechtfertigen wäre.558 Die Einordnung in den Kontext von Treu und Glauben trägt ebenfalls der entsprechenden Einordnung der Lehre von der Geschäftsgrundlage Rechnung,559 die – wie schon dargestellt560 – gleichfalls für planwidrige nachträgliche Entwicklungen im Rahmen des Schuldverhältnisses geschaf 550

Dies gelte insbes. auch im Arbeitsrecht, Henssler AcP 190 (1990), 538 (564), insofern abweichend von der Rspr. des BAG (vgl. BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1). 551 Henssler AcP 190 (1990), 538 (553). 552 Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 136, 447; ähnlich Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 482. 553

Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 199; vgl. dagegen oben § 3 IV 2 b) bb). Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 447. 555 Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 134 ff. 556 Wie hier auch Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 136, 447. 557 Zur einheitlichen Behandlung aller ideellen Leistungshindernisse ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 970 f.; Henssler AcP 190 (1990), 538 (570); Kohte NZA 1989, 161 (164). 554

558

Ähnlich Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 136. Vgl. dazu nur Palandt-Heinrichs61 § 242 Rn. 110 ff. 560 Oben § 2 II. 559

§ 3 Unzumutbarkeit aus Gewissensgründen

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fen wurde und somit eine enge Verwandtschaft zu den Fällen ideell begründeter Unzumutbarkeit aufweist.561 Überdies stellt § 242 BGB ein anerkanntes und geeignetes Einfallstor verfassungsrechtlicher Wertungen dar.

V. Resümee Dargestellt wurde, dass sich einfache „zivilrechtsimmanente“562 Lösungen im Bereich der ideell motivierten Unzumutbarkeit oftmals verbieten. Dies wird in der Fallgruppe der Gewissenskonflikte besonders offenkundig. Hier ist eine intensive verfassungsrechtliche Vorprägung der Problematik anzuerkennen, die bei der Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe Beachtung finden muss. Auf einfachrechtlicher Ebene hat der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes in Hinblick auf Gewissenskonflikte die Chance einer legislativen Klarstellung vertan. Die Regierungsbegründung gibt deutliches Zeugnis von einer legislativen „Self-Restriction“, die angesichts der hochgradigen Umstrittenheit des Themas kaum befriedigt. Gegen eine Einbeziehung in den sachlichen Anwendungsbereich des § 275 III BGB spricht zudem der auf persönliche Leistungspflichten eingeengte Wortlaut der Vorschrift, der sich schwerlich mit der Fülle denkbarer Gewissenskonflikte verträgt. Auch nach Inkrafttreten der Neuregelung in § 275 III BGB ist also an einer unmittelbar auf § 242 BGB rekurrierenden Lösung für Gewissenskonflikte festzuhalten; für kurzzeitige Gewissenskonflikte in Dienst- und Arbeitsverhältnissen liefert § 616 BGB eine umfassende Sonderregelung, die sowohl ein Leistungsverweigerungsrecht einräumt als auch dem Dienstverpflichteten seinen Entgeltanspruch erhält. Dies gilt auch und gerade bei Gewissenskonflikten.

 561 562

Weber, Juristen-Jahrbuch III 212 ff. Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (42).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

§ 4 Unzumutbarkeit der Leistungserbringung aus religiösen Gründen I. Einleitung Eine erhebliche gesellschaftspolitische Breitenwirkung weit über die Grenzen der Rechtswissenschaft hinaus entfaltete in letzter Zeit die Thematik religiöser Leistungshindernisse. Die Ursache des breiten öffentlichen Interesses liegt wohl darin, dass hier interkulturelle Konflikte zutage treten und gesellschaftliche Grundfragen, insbesondere das Verhältnis von Toleranz und staatlicher Neutralität in weltanschaulichen Fragen umfassende praktische Bedeutung erlangen.1 Es handelt sich damit um ein gesellschaftspolitisch hoch brisantes Thema. Gerade angesichts der Emotionen, mit denen die Thematik vielfach behaftet ist, erscheint die Mahnung Mayer-Malys, „mittlere Lösungen“ auftretender Konflikte zu finden,2 hier zumindest ebenso notwendig wie bei Gewissenskonflikten. Es muss daher „sine ira et studio“3 versucht werden, einen tragfähigen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu finden. Auslöser einer umfassenden gesellschaftspolitischen Debatte war vor allem eine Entscheidung des BVerwG.4 Das Gericht hatte entschieden, dass einer Lehrerin die Verbeamtung verweigert werden dürfe, wenn sie darauf bestehe, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen. Die Entscheidung wurde teils als Ausdruck weltanschaulicher Neutralität begrüßt,5 überwiegend jedoch als Beispiel religiöser Intoleranz scharf kritisiert.6 Michael Naumann etwa charakterisiert die Entscheidung als einen Versuch „konservativer Richter, die langsame Verwandlung des Landes in einen laizistisch-pluralistischen Staat aufzuhalten im Namen christlich-abendländischer Kulturpflege“. Es handele sich um ein „christliches Exempel“.7 Die unerfreulich polemische Stellungnahme legt zumindest eine Grundstruktur des Konfliktes offen: Es geht um Toleranz und Intoleranz, um weltanschauliche Neutralität und weltanschauliche Parteinahme  1 Vgl. allgemein auch Hillgruber JZ 1999, 538 sowie Loschelder, in: Essener Gespräche Bd. 20 (1986), S. 149 ff. zur besonders praxisrelevanten Problematik der muslimischen Kultur in Deutschland. 2

Mayer-Maly, Festschrift Müller (1980), S. 325 (332). In diesem Kontext ebenso Preis FA 2002, 290. 4 BVerwG NJW 2002, 3344. 5 Vgl. die Stellungnahme des Vorsitzenden der türkischen Gemeinde in Deutschland, Hakki Keskin, in: FAZ (Online-Ausgabe) v. 4.7.2002 sowie die Leserbriefe in Die Zeit v. 25.7.2002 (Nr. 31), S. 14. 6 Vgl. etwa die pointierte Stellungnahme von Naumann, in: Die Zeit v. 11.7.2002 (Nr. 29), S. 1. 7 Naumann, in: Die Zeit v. 11.7.2002 (Nr. 29), S. 1. 3

§ 4 Unzumutbarkeit aus religiösen Gründen

179

gerade im sensiblen schulischen Bereich.8 Diesen Zielkonflikt thematisiert auch die mittlerweile ergangene Entscheidung des BVerfG, durch welche die Auseinandersetzung aus der juristischen in die politische Sphäre zurückverwiesen und eine legislative Entscheidung angeregt wird.9 Im arbeitsrechtlichen Kontext werden ganz ähnliche Konflikte bedeutsam: So hatte das BAG in jüngster Vergangenheit über den Fall einer muslimischen Verkäuferin zu entscheiden, die nach einem mehrjährigen Erziehungsurlaub plötzlich darauf bestand, ihre bis dahin anstandslos ohne Kopftuch ausgeführte Tätigkeit in einem Kaufhaus nur noch mit Kopftuch zu verrichten.10 Der Arbeitgeber hatte ihr daraufhin gekündigt. Während das LAG Frankfurt noch eine ungeschriebene arbeitsvertragliche Pflicht, kein Kopftuch zu tragen, bejaht und die Kündigungsschutzklage daher als unbegründet zurückgewiesen hatte,11 verneinte das BAG schon das Bestehen einer entsprechenden Vertragspflicht. In der Entscheidung des LAG Frankfurt hatte – da dieses zunächst von dem Bestehen einer solchen Pflicht ausgegangen war – die Frage der Leistungsverweigerung eine entscheidende Rolle gespielt. Das BAG hingegen verneinte schon die Existenz der Vertragspflicht und musste sich daher mit der Problematik der Leistungsverweigerung aus religiösen Gründen gar nicht mehr auseinandersetzen, weil es seiner Auffassung nach schon an einer entsprechenden Leistungspflicht fehlte. Für die Darstellungen im Rahmen dieser Arbeit ist daher weniger die BAG-Entscheidung von Interesse12 als vielmehr das letztlich aufgehobene Urteil des LAG Frankfurt. Höchstrichterliche Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit zu einer religiös motivierten Verweigerung bestehender Arbeitspflichten existiert damit erstaunlicherweise nicht.13 Dies verwundert umso mehr, als die Problematik mittlerweile zu einem Massenphänomen zu werden scheint.14 Erinnert sei an die Suspendierung einer Bergkamener Kindergärtnerin wegen des Tragens eines Kopftuchs15 sowie an  8

In diesem Sinne auch schon Böckenförde NJW 2001, 723 (724 f.).

9

Vgl. BVerfG NJW 2003, 3111; dazu die Stellungnahme von Hufen, NJW 2003, Heft 43, S. III. 10 BAG NZA 2003, 483, bestätigt durch BVerfG NZA 2003, 959. 11 LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2. 12 Dazu ausführlich Preis/Greiner, Festschrift Rüfner (2003), S. 653. 13 Eine frühe Chance zur höchstrichterlichen Klärung hat das LAG Düsseldorf [JZ 1964, 258 (259)] 1964 vereitelt, indem es einen Konflikt der Arbeitspflicht mit religiösen Geboten des Islam als „Einzelfall“ einschätzte und die Revision daher nicht zuließ. 14 Konträr dazu noch die gravierende Fehleinschätzung des LAG Düsseldorf JZ 1964, 258 (259), bei der Problematik handele es sich um einen Einzelfall. Vgl. dazu ausführlich unten § 4 II 2 a). 15 Süddeutsche Zeitung v. 28.8.2002, S. 41 (Region Nordrhein-Westfalen); Süddeutsche Zeitung vom 16.10.2002, S. 42 (Region Nordrhein-Westfalen); jüngst ArbG Dortmund v. 16.1.2003 – 6 CA 5736/02 – n.v.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

die Kontroversen um eine muslimische Referendarin in Hamburg.16 Zudem fallen auch schon in der Vergangenheit unterschiedliche religiös motivierte Konflikte im arbeitsrechtlichen Bereich auf, die zum Teil Parallelen zu den skizzierten Fällen des Kopftuchtragens am Arbeitsplatz aufweisen, zum Teil jedoch auch gänzlich andere Konstellationen zum Gegenstand haben. Erinnert sei beispielhaft an die bekannte und vielfach zitierte Rechtsprechung des LAG Düsseldorf zur Arbeitsverweigerung muslimischer Arbeitnehmer an hohen religiösen Feiertagen („Kurban beyram“)17, an die Konstellation der Leistungsverweigerung durch Siebenten-Tags-Adventisten an Samstagen18 sowie – jüngst – die kurzzeitige Leistungsverweigerung eines Moslems, der während der Arbeit die religiös gebotenen Gebete verrichten wollte.19 Die zuletzt genannten Konstellationen sind dadurch zu charakterisieren, dass jeweils die gesamte Arbeitsleistung für einen bestimmten Zeitraum aus religiösen Gründen verweigert wird. Die „Kopftuch-Fälle“ und die Parallelkonstellationen des turbantragenden Pizzabäckers20 oder des Baghwan-Kleidung tragenden Lehrers21 hingegen zeichnen sich durch eine allenfalls partielle Leistungsverweigerung aus, die sich auf eine Nebenpflicht beschränkt. Freilich ist – wie schon die zitierte Entscheidung des BAG deutlich macht22 – schon der Bestand einer solchen Nebenpflicht vielfach zweifelhaft. Angesichts der offenkundigen Praxisrelevanz der Thematik und den divergierenden Tendenzen in der Rechtsprechung der Instanzgerichte ist es geboten, systematisch konsistente und praktisch handhabbare Lösungen aufzuzeigen. Dabei kann – soviel sei an dieser Stelle vorweggenommen – weitgehend auf die hier zu Gewissenskonflikten entwickelten Lösungsmodelle zurückgegriffen werden.23

 16 17

Hamburger Morgenpost v. 18.8.1999, S. 13. LAG Düsseldorf JZ 1964, 258.

18

BSGE 51, 70. LAG Hamm NZA 2002, 675. 20 ArbG Hamburg ArbuR 1996, 243. Das Gericht stufte in der Entscheidung das Interesse des Klägers an religiöser Betätigung höher ein als das Interesse des Arbeitsgebers an einem einheitlichen Erscheinungsbild seiner Arbeitnehmer. 19

21

LAG Düsseldorf DB 1985, 391; dazu unten § 4 II 1 a). BAG NZA 2003, 483. 23 Vgl. oben § 3. 22

§ 4 Unzumutbarkeit aus religiösen Gründen

181

II. Beispiele aus der Rechtsprechung In der Rechtsprechung der Instanzgerichte begegnen zahlreiche Konstellationen religiös motivierter Leistungshindernisse. Dabei ist die schon aufgezeigte Trennung zwischen vollständiger und teilweiser, auf die Erfüllung bloßer Nebenpflichten beschränkter Leistungsverweigerung zu beachten. Für die Konfliktlösung sind zwischen beiden Konstellationen grundsätzlich einheitliche Lösungen auf der Primärebene der Leistungsverweigerung angezeigt; mit Blick auf die sekundären Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung ergeben sich jedoch bei der nur teilweisen Leistungsverweigerung zusätzliche Fragen. Zu prüfen ist etwa, ob hinsichtlich des Entgeltanspruchs die Regelung der teilweisen Unzumutbarkeit (§ 326 I 1 Halbs. 2 BGB) einschlägig ist.24 Angesichts der Vielzahl ergangener Entscheidungen25 soll die detaillierte Darstellung hier auf einige markante Beispiele aus der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte beschränkt werden, anhand derer die rechtlichen Problemstellungen besonders plastisch zu Tage treten.

1. Teilweise Leistungsverweigerung durch das Tragen religiöser Symbole a) Die „Baghwan“-Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 22.3.1984 Das LAG Düsseldorf hielt 1984 eine Kündigung wegen nicht hinreichender Beachtung der Religionsfreiheit des gekündigten Arbeitnehmers für nichtig gemäß § 134 BGB i.V.m. Art. 4 und Art. 3 GG.26 Es handelte sich dabei um den Fall eines angestellten Lehrers, der – entsprechend den Vorschriften seiner Religionsgemeinschaft, der Baghwan-Sekte – im Unterricht in rötlichen Farbtönen gehaltene, ansonsten aber unauffällige Kleidung und eine Holzperlenkette mit dem Bild Baghwans, die sogenannte „Mala“, getragen hatte. Die grundrechtliche Glaubensfreiheit, so führt das LAG aus, komme nicht nur den Mitgliedern anerkannter Religionsgemeinschaften, sondern ebenso auch Angehörigen anderer religiöser Verbindungen zugute. Gerade dies sei Konsequenz des Gebots staatlicher Neutralität in weltanschaulichen und religiösen Fragen. Das Verbot, rötlich gefärbte Kleidung und eine „Mala“ zu tragen, schränke die Kultusfreiheit des Betroffenen erheblich ein. Der Arbeitnehmer werde dadurch in einen gravierenden Gewissenskonflikt gestürzt.  24

Dazu ausführlich unten § 15 II 3. Vgl. etwa den Überblick bei Kraushaar ZTR 2001, 208 (210 ff.). 26 LAG Düsseldorf DB 1985, 391. 25

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Die vorgebrachten Gegeninteressen des Arbeitgebers seien nicht von hinreichendem Gewicht, um eine Einschränkung der Freiheit religiöser Betätigung durch den Arbeitnehmer rechtfertigen zu können. Insbesondere sei die Befürchtung des Arbeitgebers, er werde durch das Verhalten des Arbeitnehmers finanzielle Einbußen erleiden, „noch zu wenig konkret“.27 Anscheinend will das Gericht damit bereits manifeste wirtschaftliche Beeinträchtigungen des Arbeitgebers als wertungsrelevantes Gegeninteresse berücksichtigen. Möglicherweise komme bei eintretenden Belastungen eine betriebsbedingte Kündigung in Betracht.

b) Die „Kopftuch“-Entscheidungen des BAG vom 10.10.2002 und des LAG Frankfurt vom 21.6.2001 Der jüngsten Vergangenheit entstammt das schon angesprochene Urteil des LAG Frankfurt.28 In der Folgeinstanz wurde die Entscheidung durch das BAG mit Urteil vom 10.10.2002 aufgehoben;29 das Urteil des BAG wurde mittlerweile durch das BVerfG bestätigt.30

aa) LAG Frankfurt vom 21.6.2001 In der Entscheidung erachtet das LAG Frankfurt die personenbedingte Kündigung der muslimischen Verkäuferin eines Kaufhauses für rechtswirksam, die sich unter Berufung auf ihre Glaubensfreiheit geweigert hatte, die vertraglich geschuldete Tätigkeit ohne Kopftuch zu verrichten. Aus einer betrieblichen Übung sowie aus allgemeinen Rücksichtnahmepflichten resultiere auch ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarung die Nebenpflicht, sein Äußeres den Gegebenheiten des Arbeitsverhältnisses anzupassen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber seinerseits „auf Kunden und deren Vorstellungen Rücksicht zu nehmen“ habe. Entscheidend wird auf die „örtliche Einordnung“ des Betriebes und „die Vorstellungen des ländlich-konservativ geprägten Kundenkreises“ abgestellt. Das Beharren der Verkäuferin auf dem Tragen eines Kopftuchs stelle somit eine Verletzung vertraglicher Nebenpflichten dar. Die Nebenpflichtverletzung sei freilich durch Art. 4 I GG gerechtfertigt; demzufolge sei eine verhaltensbedingte Kündigung ausgeschlossen.  27

LAG Düsseldorf DB 1985, 391. LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2. 29 BAG NZA 2003, 483. 30 BVerfG NZA 2003, 959. 28

§ 4 Unzumutbarkeit aus religiösen Gründen

183

Jedoch sei die Arbeitnehmerin infolge der Kollision von Grundrechtsstellung und Vertragspflicht dauerhaft außerstande, die geschuldete Leistung zu erbringen; es bestehe ein „an ihre Person gebundenes dauerndes Beschäftigungshindernis“,31 das – als Fall von § 297 BGB – auch den Annahmeverzug des Arbeitgebers ausschließe. Zunächst müsse versucht werden, das Leistungshindernis im Rahmen der bestehenden betrieblichen Möglichkeiten auszuräumen. Komme dies nicht in Betracht, so sei eine personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt. Ausdrücklich wird darauf Bezug genommen, dass in derartigen Fällen „die für die Fälle dauernder krankheitsbedingter Leistungsunfähigkeit entwickelten Grundsätze entsprechend“ heranzuziehen seien. Insbesondere müsse daher eine konkrete betriebliche Beeinträchtigung nicht geltend gemacht werden. Die grundrechtlichen Implikationen der Problematik müssten sich – so das LAG weiter – dahingehend auswirken, dass die entstehende Kollision zwischen der durch Art. 4 I GG geschützten Glaubensfreiheit der Arbeitnehmerin und den betroffenen Grundrechten des Arbeitgebers – genannt werden Art. 2 I, 12 und 14 GG – im Wege praktischer Konkordanz zu lösen sei. Insbesondere greife die Arbeitnehmerin durch die von ihr angestrebte „einseitige Vertragsänderung“ zugunsten des Kopftuchtragens in den Eigentumsbereich des Arbeitgebers ein. Auch der „Anspruch auf volle Vertragserfüllung“ als solcher sei – so das Gericht unter Berufung auf Rüfner32 – grundrechtlich durch Art. 2 I GG fundiert.33 Da im konkreten Fall ein Ausgleich – etwa im Wege einer Versetzung – nicht in Betracht kam, komme eine Entfaltung der konfligierenden Grundrechtspositionen nur im Wege einer Vertragsauflösung in Betracht.

bb) BAG vom 10.10.2002 Diese Sichtweise lehnte das BAG in seiner Entscheidung vom 10.10.2002,34 mit der die Entscheidung des LAG Frankfurt aufgehoben wurde, nachdrücklich ab. Die höchstrichterliche Entscheidung weist damit der Grundrechtsposition der Arbeitnehmerin im Ergebnis einen höheren Stellenwert zu als die Vorinstanz. Das BAG verneint bereits das Bestehen einer Vertragspflicht, die auf Unterlassung des Kopftuchtragens abzielt. Folglich kommt es in der BAG 31

LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2. Rüfner RdA 1992, 1 (4) m.w.N. 33 Dazu unten § 4 III 3 und ausführlich oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (a) (cc). 34 BAG NZA 2003, 483, bestätigt durch BVerfG NZA 2003, 959. 32

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Entscheidung, wie bereits angeklungen,35 auf die Frage der Leistungsverweigerung gar nicht an, da es bereits an einer entsprechenden Leistungspflicht fehlt. Gleichwohl lassen sich für die Gewichtung der konfligierenden Rechtspositionen auch im Kontext der Leistungsverweigerung aus der Entscheidung wertvolle Schlüsse ziehen. Eine Pflicht, sich in bestimmter Weise zu kleiden, könne sich, so das BAG in Fortführung seiner ständigen Rechtsprechung,36 im Grundsatz auch aus ungeschriebenen vertraglichen Nebenpflichten ergeben. Der Arbeitnehmer sei demnach, insbesondere wenn er mit Kunden in Kontakt tritt, grundsätzlich zum Tragen branchenüblicher Kleidung verpflichtet.37 Dies ergebe sich aus § 242 BGB und seit der Schuldrechtsreform ausdrücklich auch aus § 241 II BGB. Ein weiterer Anknüpfungspunkt sei die Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts, kraft dessen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das Tragen einer bestimmten Kleidung aufgeben könne.38 Bei der Konkretisierung der vertraglichen Nebenpflichten seien jedoch – so führt das BAG zutreffend aus – die betroffenen Grundrechtspositionen beider Parteien umfassend zu berücksichtigen.39 Auch das BAG greift nunmehr explizit den richtigen Ansatz des LAG Frankfurt auf, einen Ausgleich der betroffenen Grundrechtspositionen im Wege der praktischen Konkordanz anzustreben. Zutreffend betont es die subjektive Schutzbereichsdefinition im Rahmen von Art. 4 GG, die eine Verengung auf bestimmte religiöse Überzeugungen verbiete. Daher falle auch das Tragen des Kopftuches in den Schutzbereich der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 I GG), der durch die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung noch verstärkt sei (Art. 4 II GG).40 In leichtem Widerspruch steht dazu die Aussage, das Kopftuch könne „nicht ohne spezifischen Bezug zu den Glaubensinhalten des Islams gesehen und auf ein lediglich allgemeines – kulturelles – Zeichen einer ethnischen Gruppe reduziert werden“.41 Auch diese Sichtweise scheint auf Objektivierung hinzudeuten, die das BAG doch zu Recht unmittelbar zuvor abgelehnt hat.42 Tatsächlich

 35

Oben § 4 I. Vgl. nur BAG AP § 87 ArbGG 1979 Nr. 4. 37 BAG NZA 2003, 483 (485). 38 BAG NZA 2003, 483 (485). 39 BAG NZA 2003, 483 (486). 40 BAG NZA 2003, 483 (486). 41 BAG NZA 2003, 483 (486). 42 Vgl. schon Preis/Greiner RdA 2003, 244. 36

§ 4 Unzumutbarkeit aus religiösen Gründen

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kann ein Kopftuch im Einzelfall frei von jedem religiösen Bezug sein; es kommt allein auf die innere Haltung der Kopftuchträgerin an.43 Als konkurrierende Rechtsposition benennt das BAG vor allem die in Art. 12 I GG verortete Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers. Auch wirtschaftliche Störungen könnten demnach gegenüber der Religionsfreiheit der Arbeitnehmerin beachtlich werden. Die Ausführungen scheinen dafür zu sprechen, dass im Einzelfall bereits eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung, jedenfalls aber greifbare Betriebsbeeinträchtigungen, genügen sollen, eine Beschränkung der Religionsausübungsfreiheit zu legitimieren.44 Im konkreten Fall sei jedoch eine hinreichende Intensität der Beeinträchtigung nicht dargelegt. Es sei der Beklagten „zuzumuten, die Klägerin als Verkäuferin weiterhin einzusetzen und [...] abzuwarten, ob sich ihre Befürchtungen in nennenswertem Maße realisieren“. Das BAG zieht mit dieser Darlegung den Begriff der Unternehmerfreiheit recht eng. Insbesondere wird die bloße Gestaltung des betrieblichen Erscheinungsbildes anscheinend noch nicht als Ausprägung der grundrechtlichen Unternehmerfreiheit betrachtet. Das BAG erwägt vielmehr eine Grundrechtsbetroffenheit der Arbeitnehmerin ausschließlich mit Blick auf die befürchteten wirtschaftlichen Einbußen der Arbeitnehmerin und auf „konkrete betriebliche Störungen“. Die Frage, inwieweit schon die bloße Freiheit, das betriebliche Erscheinungsbild festzulegen, Ausprägung der grundrechtlichen Unternehmerfreiheit ist, wird nicht angesprochen, obwohl gerade diese Frage hier bedeutam erscheint. Dies lässt sich nicht damit erklären, dass das BAG die Problematik nicht gesehen hätte; vielmehr wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber durchaus auf das Erscheinungsbild seiner Arbeitnehmer Einfluss nehmen dürfe. Dieses Interesse verortet das BAG allerdings nur einfachrechtlich in §§ 241 II, 242 BGB sowie dem arbeitgeberseitigen Direktionsrecht. Im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Ausführungen spielt der Aspekt demgegenüber keine Rolle mehr. Damit scheint das BAG diese Facette aus dem Schutzbereich ausklammern und als lediglich einfachrechtliches Interesse des Arbeitgebers charakterisieren zu wollen. Dieses enge Schutzbereichsverständnis des BAG wird leider nicht weiter begründet. Es korreliert jedoch dem hier vertretenen, ebenfalls restriktiveren Schutzbereichsverständnis der Unternehmerfreiheit.45 Insgesamt stellt die Schutzbereichskonkretisierung und -eingrenzung im Bereich der Vertrags- und Unternehmerfreiheit ein verfassungsrechtliches Problem dar, das jedenfalls noch einer vertieften Klärung bedarf.  43 Vgl. als extreme Gegenposition (pauschale Verneinung des religiösen Charakters) Naumann, in: Die Zeit v. 11.7.2002 (Nr. 29), S. 1. 44 Zum Schutzbereichsverständnis der Unternehmerfreiheit vgl. oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (a) (cc). 45 Vgl. bereits oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (a) (cc).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Im Ergebnis hält das BAG die Interessen des Arbeitgebers – Befürchtung wirtschaftlicher Einbußen – im konkreten Fall für nicht hinreichend gewichtig, um eine Beschränkung der Religionsausübungsfreiheit legitimieren zu können. Damit verneint es bereits den Bestand einer entsprechenden Vertragspflicht. Zu einer Auseinandersetzung mit der Kernfrage dieser Untersuchung, also der Leistungsverweigerung wegen Unzumutbarkeit, kommt es daher – anders als in der vorinstanzlichen Entscheidung des LAG Frankfurt46 – hier nicht.

2. Vollständige Leistungsverweigerung aus religiösen Gründen Von dieser Fallgruppe der auf die Erfüllung vertraglicher Nebenpflichten beschränkten Leistungsverweigerung ist die religiös motivierte Verweigerung der gesamten Arbeitsleistung zu trennen. In diesen Konstellationen ergibt sich noch unmittelbarer ein Konflikt mit den Interessen und Rechtsgütern das Arbeitgebers, da hier die Vertragserfüllung insgesamt betroffen ist

a) Die „Kurban beyram“-Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 14.2.1963 Ein frühes Beispiel aus der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte bildet die bekannte und vieldiskutierte47 „Kurban beyram“-Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 14.2.1963.48 Der Kläger war – wie andere muslimische Arbeitnehmer – für den ersten Tag des islamischen Opferfestes („Kurban beyram“) von der Arbeitspflicht freigestellt worden. Anders als seine muslimischen Kollegen hatte er jedoch am zweiten Tag des Opferfestes nicht die Arbeit, wie vom Arbeitgeber verlangt, wieder aufgenommen, sondern war unter Berufung auf seine religiösen Verpflichtungen der Arbeit weiterhin ferngeblieben. Der Arbeitgeber hatte ihm daraufhin fristlos gekündigt. Das LAG Düsseldorf führt dazu aus, dass die „Glaubens- und Gewissensrücksichten“, denen sich der Arbeitnehmer verpflichtet sah, nicht geeignet seien, die Arbeitsverweigerung zu rechtfertigen. Diese stelle mithin einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung dar. Dem Arbeitnehmer sei trotz des Opferfestes eine Beschäftigung an den fraglichen Tagen „bei Abwägung der gegenseitigen Interessen der Parteien gemäß § 242 BGB zumutbar“ gewe 46

LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2. Vgl. nur ablehnend Echterhölter BB 1964, 597; zustimmend dagegen Scheuner DÖV 1967, 585 und Küchenhoff ArbuR 1964, 229. 48 LAG Düsseldorf JZ 1964, 258. 47

§ 4 Unzumutbarkeit aus religiösen Gründen

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sen.49 Zwar sei in diesem Rahmen Art. 4 I GG zu berücksichtigen, da die Glaubens- und Gewissensfreiheit auch in Privatrechtsbeziehungen mittelbare Drittwirkung entfalte. Ebenfalls sei der Schutzbereich der Religionsfreiheit einschlägig, da diese nicht nur das Bilden und Haben von Glaubensüberzeugungen, sondern gleichfalls ihre Umsetzung in äußere Handlungsweisen schütze. Art. 4 I GG stehe jedoch „unter dem allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt des Art. 2 I GG“.50 Zu den „Rechten anderer“ im Sinne dieser Vorschrift zählten auch die subjektiven privaten Rechte Dritter. Die Glaubensbetätigungsfreiheit des Arbeitnehmers finde ihre Grenzen daher schon an dem vertraglichen Erfüllungsanspruch des Arbeitgebers. Für glaubensbedingte Freistellungen von der Arbeitspflicht sei demgegenüber nur Raum, wenn deutsche Gesetze eine solche vorsähen. Merkwürdigerweise stellt das Gericht im Anschluss an diese entschieden ablehnenden Ausführungen gleichwohl fest, dass eine „echte Gewissensnot im Rahmen des § 242 BGB zur Arbeitsverweigerung berechtigen“ könne. Dies steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu der vorrangigen Feststellung, dass Art. 4 I GG schon an dem vertraglichen Erfüllungsanspruch des Arbeitgebers seine Grenzen finde; implizit scheint in dem scheinbaren Widerspruch der Vorwurf mitzuschwingen, es habe sich bei der Leistungsverweigerung des betroffenen Arbeitnehmers um keinen „echten“, anerkennenswerten Gewissenskonflikt gehandelt. In jedem Fall ausgeschlossen sei eine Berufung auf Glaubens- und Gewissenskonflikte jedoch dann, wenn der Konflikt beim Vertragsschluss vorhersehbar gewesen sei. Jede andere Sichtweise berücksichtige zu einseitig die Interessen des Arbeitnehmers. Dem Kläger habe, obwohl er „aus einfachen Lebensverhältnissen zu stammen scheint“, bewusst sein müssen, dass „im fast ausnahmslos christlichen Westeuropa das islamische Religionsfest KurbanBeyram nicht gefeiert wird“.51 Hier klingt in der Tat noch der Wille zur christlichen Kultuspflege an, den Naumann fast vierzig Jahre später – und in diesem Kontext zu Unrecht – der Kopftuch-Entscheidung des BVerwG entgegenhält.52 Auch die Tatsache, dass es sich um keine individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen handele, stehe der Vorhersehbarkeit des Konfliktes nicht entgegen. Der abschließende Satz der Urteilsgründe wirkt angesichts der weiteren Rechtsentwicklung zumindest befremdlich: Da es sich „um einen Einzelfall“ handele, bestehe kein Anlass, die Revision zuzulassen. Diese Sichtweise  49

LAG Düsseldorf JZ 1964, 258. LAG Düsseldorf JZ 1964, 258 (259). 51 So explizit LAG Düsseldorf JZ 1964, 258 (259). 52 Naumann, in: Die Zeit v. 11.7.2002 (Nr. 29), S. 1. 50

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

scheint sich nur mit gutem Willen als eine gutgläubige Fehleinschätzung der Richter bewerten zu lassen. Tatsächlich erhärtet er den Verdacht, dass es der Entscheidung weniger um eine grundlegende rechtliche Klärung der interkulturellen Problematik geht als vielmehr um ein „christliches Exempel“,53 um eine Verteidigung des „fast ausnahmslos christlichen“54 Westeuropa gegen fremdländische Einflüsse.

b) Die „Gebetspausen“-Entscheidung des LAG Hamm vom 18.1.2002 In jüngster Vergangenheit hatte sich das LAG Hamm mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein muslimischer Arbeitnehmer Anspruch auf kurzzeitige Befreiung von der Arbeitspflicht zur Verrichtung der islamischen Pflichtgebete hat.55 Der mit der Bedienung einer Produktionsmaschine beschäftigte Arbeitnehmer begehrte zwecks Verrichtung seines Morgengebetes eine bis zu dreiminütige Freistellung von der Arbeitspflicht zwischen sechs und acht Uhr morgens. Mit Blick auf anerkennenswerte Gegeninteressen des Arbeitgebers lehnte das LAG Hamm den geltend gemachten Anspruch im Ergebnis ab. Zunächst erwägt das Gericht einen Freistellungsanspruch auf Grundlage von § 616 BGB sowie § 242 BGB. Dies ist insoweit bemerkenswert, als § 616 BGB damit explizit nicht nur als Grundlage eines Entgeltfortzahlungsanspruchs bei persönlicher „Verhinderung“ betrachtet wird. Die Norm wird hier vielmehr schon für die Beantwortung der primären Frage nach dem Fortbestand der Arbeitspflicht nutzbar gemacht, somit die in der Literatur schon länger verbreitete These von der Doppelfunktionalität des § 616 BGB ausdrücklich aufgegriffen.56 Entsprechend dem Klagantrag wird hier freilich nicht die Frage der – einredeweise geltend zu machenden – Leistungsverweigerung aus Glaubensgründen thematisiert, sondern die Frage nach einem Freistellungsanspruch, der sich ebenfalls aus den genannten Vorschriften ergeben könne. Tatsächlich bedarf es, wie schon im Einzelnen dargestellt, der Anspruchskonstruktion in Fällen ideeller Unzumutbarkeit nicht; die Annahme eines Leistungsverweigerungsrechts mit Einredecharakter ist in jedem Fall vorzugswürdig.

 53

Naumann, in: Die Zeit v. 11.7.2002 (Nr. 29), S. 1. LAG Düsseldorf JZ 1964, 258 (259). 55 LAG Hamm NZA 2002, 675. 54

56

Vgl. in der Lit. Mohnen, in: Nipperdey/Mohnen/Neumann, § 616 Rn. 3; Henssler AcP 190 (1990), 538 (563); jüngst noch Richardi NZA 2002, 1004 (1007).

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Das LAG Hamm erkennt klar, dass im Rahmen der anzustellenden Abwägungen der mittelbaren Drittwirkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit57 entscheidende Bedeutung zukommt. Eine „verfassungskonforme Auslegung“ erfordere es, die Grundrechte des Arbeitnehmers hinreichend zu würdigen. Das Gericht betont in diesem Zusammenhang richtig den subjektiven Charakter des Schutzbereiches der Glaubensfreiheit: Der einzelne Gläubige bestimme für sich selbst, welche religiösen Handlungsweisen für ihn verbindlich seien.58 Damit unterfalle auch das muslimische Frühgebet dem Schutzbereich der religiösen Betätigungsfreiheit. Eine inhaltliche Bewertung der religiösen Haltung komme nicht in Betracht. Auch ein möglicher Grundrechtsverzicht durch Eingehung des Arbeitsverhältnisses spiele vorliegend keine Rolle. Selbst bei intensiver Kenntnis der betrieblichen Abläufe und Erfordernisse durch eine vorausgehende Beschäftigung in dem Betrieb könne von einem solchen keine Rede sein: Der Arbeitnehmer habe zwar wissen können, dass er in einen intensiven Produktionsprozess eingebunden und deshalb für individuelle Pausen kein Raum sei. Gleichwohl könne von einem freiverantwortlichen Grundrechtsverzicht durch Eingehung des Arbeitsvertrages nicht ausgegangen werden. Das Gericht begründet dies mit Gesichtspunkten der Inhaltskontrolle: Aufgrund der mangelnden Parität von Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Vertragsverhandlungen bestehe für den Arbeitnehmer faktisch keine Möglichkeit, Vertragsbedingungen durchzusetzen. Zudem hätte die vertragliche Vereinbarung einer Gebetspause zwingend die Offenlegung des religiösen Bekenntnisses erfordert. Dies dem Arbeitnehmer aufzubürden, stelle jedoch einen „unzulässigen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 4 I GG“ dar.59 Unabhängig von dem Aspekt des Grundrechtsverzichts durch Eingehung des Vertragsverhältnisses ergebe jedoch eine notwendige Abwägung mit den ihrerseits zu berücksichtigenden Grundrechten des Arbeitgebers aus Art. 2 I, 12 I und Art. 14 I GG kein Überwiegen der Position des Arbeitnehmers.60 Bei derartigen Grundrechtskollisionen müsse ein Ausgleich zwischen den widerstreitenden Positionen mit dem Ziel der Optimierung gefunden werden. Sofern dies nicht möglich sei, müsse das Überwiegen einer Position festgestellt werden. Im vorliegenden Fall überwiege die Position des Arbeitgebers, da eine dreiminütige Arbeitsunterbrechung zwangsläufig zu erheblichen Betriebsstörungen führe und eine Abwendung durch vorhandene betriebliche Mittel, etwa den Einsatz  57

Das LAG sieht eine weitgehende Kongruenz („religiöse Gewissensentscheidung“), NZA 2002, 675 (676). Dazu näher unten § 4 III 1. 58 LAG Hamm NZA 2002, 675 (676) unter Berufung auf Böckenförde NJW 2001, 723 (724). 59 60

LAG Hamm NZA 2002, 675 (677). LAG Hamm NZA 2002, 675 (677).

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von Springern, nicht möglich sei. Somit habe die Vertragstreue Vorrang gegenüber der Freiheit der Glaubensbetätigung. Der Arbeitgeber sei nur gehalten, Glaubenskonflikten der Arbeitnehmer in zumutbarem Umfang durch betriebliche Organisationsmaßnahmen zu begegnen.

3. Fazit Der summarische Blick über die einschlägige Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte offenbart starke Divergenzen sowohl in den Ergebnissen als auch in der Begründung. Dabei begegnen sämtliche Fragen, die schon bei Gewissenskonflikten aufgeworfen wurden, im Kontext religiöser Konflikte von neuem. Diese Feststellung findet ihren Grund letztlich in der engen systematischen Verwandtschaft von Glaubens- und Gewissenskonflikten.61 Schon der Blick über die Rechtsprechung offenbart, dass für eine systematisch konstistente Lösung in weitem Umfang auf die zu Gewissenskonflikten entwickelten Lösungsmuster verwiesen werden kann und muss.

III. Rechtliche Bewertung 1. Grundlagen Eine Vielzahl von Glaubenskonflikten, also Kollisionen zwischen Vertragsund religiösen Pflichten, wird unmittelbar mit Gewissenskonflikten zusammenfallen.62 Soweit nämlich eine religiöse Pflicht individuell als unbedingt verpflichtende sittliche Pflicht empfunden wird, handelt es sich nicht mehr allein um einen Glaubens-, sondern zugleich um einen Gewissenskonflikt.63 Auch für religiöse und weltanschauliche Überzeugungen ist ein innerlich bindender und verpflichtender Charakter jedoch prägend.64 Ebenso liegt schon der Bildung religiöser und weltanschaulicher Überzeugung in aller Regel gerade eine Gewissensentscheidung zugrunde; zudem stellen die einzelnen Handlungsgebote, die sich aus einer religiösen Haltung ergeben, ihrerseits typische Gewissens 61

Vgl. sogleich unten § 4 III 1. Darauf verweisen auch deutlich LAG Düsseldorf JZ 1964, 258 (259); LAG Düsseldorf DB 1984, 391; LAG Hamm NZA 2002, 675 (676): „religiöse Gewissensentscheidung“. 62

63 Zum Gewissensbegriff vgl. oben § 3 II 2 a) und BVerfGE 12, 45 (55); BVerfGE 48, 127 (173); vgl. weiter BVerwGE 79, 24 (26 f.); HbStR-Bethge VI § 137 Rn. 10 ff.; v.Mangoldt/Klein-Starck Art. 4 GG Rn. 35. 64 Vgl. nur Jarass/Pieroth-Jarass Art. 4 GG Rn. 8 m.w.N.

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pflichten dar.65 Konsequenterweise wird die individuelle Freiheit der Glaubensbildung und -betätigung daher vielfach als Unterfall der Gewissensfreiheit charakterisiert.66 Schon angesichts dieses Gleichklanges von Glaubens- und Gewissenskonflikten ergibt sich ein erheblicher inhaltlicher Überschneidungsbereich, dem nur durch parallele rechtliche Bewertungen entsprochen werden kann. Dieser grundlegenden Feststellung korreliert die systematische Konstruktion des Art. 4 GG, wonach Glaubens- und Gewissensfreiheit ein einheitliches Grundrecht bilden. Wie die Gewissensfreiheit ist auch die individuelle Religionsfreiheit nur verfassungsimmanenten Schranken unterworfen. Zugleich ist der Schutzbereich der Religionsfreiheit wie der Schutzbereich der Gewissensfreiheit höchst subjektiv geprägt. Der einzelne Grundrechtsberechtigte legt für sich selbst fest, was den Inhalt seiner individuellen Glaubensfreiheit ausmacht. Eine objektive inhaltliche Prüfung, ob eine religiös motivierte Handlung vorliegt oder nicht, sowie die inhaltliche Bewertung einer religiösen Haltung scheidet damit ebenso wie eine Inhaltsprüfung bei Gewissenskonflikten aus.67 Gleichfalls kommt eine „Vergesellschaftung“ des Religionsbegriffs nicht in Betracht; eine Verengung auf bestimmte gesellschaftlich anerkannte Religionsgemeinschaften erscheint damit grob verfehlt.68 Allein diese Sichtweise trägt der Neutralität des Grundgesetzes in weltanschaulichen und religiösen Fragen Rechnung.69 Aus der subjektiven Prägung folgen ebenfalls ähnliche Beweisprobleme wie bei Gewissenskonflikten. Hier bietet sich eine Übertragung der Lehre Luhmanns an, dass sich die Beweisproblematik durch das Inkaufnehmen „lästiger Alternativen“ bewältigen lässt.70

 65 Instruktiv vor allem v.Mangoldt/Klein-Starck Art. 4 GG Rn. 13 („doppelte Verknüpfung“ zwischen Glaubens- und Gewissensfreiheit); näher zur historischen Entwicklung HbStKirchR-Listl I, 458 f. 66

BK-Obermayer Art. 140 GG Rn. 57; Jarass/Pieroth-Jarass Art. 4 GG Rn. 44; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 383. 67 Deutlich LAG Düsseldorf DB 1985, 391. 68 BVerfGE 24, 236 (246): Ob ein christliches Glaubensgebot vorliegt, ist für die Einschlägigkeit des Schutzbereichs irrelevant. Vgl. auch BVerfGE 32, 98 (106): Die gesellschaftliche Verbreitung einer religiösen Überzeugung ist für die Einschlägigkeit des Schutzbereichs irrelevant. Vgl. aber demgegenüber Isensee, in: Essener Gespräche Bd. 19 (1985), S. 144), der tendenziell Bekenntnisse, welche aus anderen Kulturkreisen als dem christlichabendländischen stammen, aus dem Schutzbereich des Art. 4 I GG ausklammern will. 69 Vgl. nur BVerfGE 32, 98 (106); näher auch Loschelder, in: Essener Gespräche Bd. 20 (1986), S. 149 (152 ff.). 70 Vgl. Luhmann AöR 90, 257 (281) sowie oben § 3 II 3 b).

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2. Der Schutzbereich im Einzelnen Die Regelungsintention der Gewährleistung von Glaubens- und Religionsfreiheit besteht darin, dem Grundrechtsträger einen Freiraum einzuräumen, in dem er seine individuellen religiösen und weltanschaulichen71 Überzeugungen bilden und leben darf. Das BAG definiert im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG72 den einheitlichen Begriff der Religion und Weltanschauung als eine „mit der Person des Menschen verbundene Gewissheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel des menschlichen Lebens.“ Die Religion lege „eine den Menschen überschreitende und umgreifende (‚transzendentale‘) Wirklichkeit zugrunde, während sich die Weltanschauung auf innerweltliche (‚immanente‘) Bezüge“ beschränke.73 Das Prägende religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen ist damit treffend beschrieben, soweit eine juristische Definition überhaupt reichen kann. Die Konkretisierung und inhaltliche Füllung dieser Formel muss der subjektiven inneren Glaubensüberzeugung des einzelnen Grundrechtsträgers vorbehalten bleiben.74 Wie die Gewissensfreiheit schützt auch die Glaubensfreiheit nicht nur das Bilden und Haben innerer Glaubensüberzeugungen (sog. forum internum), sondern auch die entsprechenden, nach außen wirkenden Handlungen (sog. forum externum).75 Damit erstreckt sich der grundrechtliche Schutz auf jegliche Handlung, die von dem betroffenen Grundrechtsberechtigten als religiöse Handlung definiert wird; es ergibt sich ein „nicht absehbarer Kreis von Handlungen“,76 denen potentiell religiöser oder weltanschaulicher Charakter zukommen kann. Insbesondere auch das religiös motivierte Tragen einer bestimmten Kleidung unterfällt damit dem Schutzbereich. Als Abgrenzungskriterium gegenüber anderen, verfassungsrechtlich weniger geschützten Motivationen bietet sich – wie schon angedeutet – eine Übertragung der aus dem Bereich der Gewissenskonflikte bekannten Lehre Luhmanns von den „lästigen Alternativen“ an:77 Wer eine religiöse Überzeugung in einer vielfach areligiösen oder antireligiösen Gesellschaft offensiv vertritt, begibt sich zwangsläufig in eine Minderheitenposition.78 Dies gilt umso mehr, wenn es  71

BVerfGE 12, 1 (3 f.). Vgl. näher Kraushaar ZTR 2001, 208 f. 73 BAG AP § 5 ArbGG 1979 Nr. 21 – Scientology –. 74 Grundlegend BVerfGE 24, 236 (247 f.); vgl. auch Böckenförde NJW 2001, 723 (724); Janz/Rademacher JuS 2001, 440 (441). 72

75

BVerfGE 32, 98 (107). Dreier-Morlok Art. 4 GG Rn. 38. 77 Vgl. Luhmann AöR 90, 257 (281) sowie oben § 3 II 3 b). 78 Ebenso Preis/Greiner, Festschrift Rüfner (2003), S. 653 (657). 76

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sich um keine der gesellschaftlich (noch) anerkannten und akzeptierten Glaubensgemeinschaften handelt, sondern um eine individuelle und ausgefallene Glaubensrichtung. Die faktischen Nachteile, die der Gläubige infolge dieser Minderheitenposition auf sich nimmt, können ein glaubhaftes Indiz für das Vorliegen eines Glaubenskonfliktes darstellen. Die Subjektivität der Schutzbereichskonkretisierung lässt insbesondere eine Überprüfung, ob es sich bei einem als religiös deklarierten Verhalten tatsächlich um das verbindliche Glaubensgebot einer Religionsgemeinschaft handelt, ins Leere laufen. Hierauf kommt es nach dem dargestellten subjektiven Schutzbereichsverständnis gar nicht an; gleichwohl finden sich in der Rechtsprechung umfangreiche Ausführungen zu der – irrelevanten – Frage, ob es sich etwa bei dem Tragen eines Kopftuchs tatsächlich um ein muslimisches Glaubensgebot handelt.79 Tatsächlich kann der Schutzbereich nur individuell-subjektiv anhand der eigenen Vorstellungen des Grundrechtsträgers konkretisiert werden. Jede Verengung dieses Schutzbereichs erscheint – wie auch schon bei den eng verwandten Gewissenskonflikten – verfehlt.80 Der umfassende Schutz, den die Bildung und Betätigung religiöser Überzeugungen durch Art. 4 I GG erfährt, öffnet einen weiten Raum für potentielle Konflikte mit anderen normativen Regelungszielen. Es kann nicht Ziel einer juristischen Bewältigung der Thematik sein, diese Konflikte durch Einengung des grundrechtlichen Freiheitsraumes zu eliminieren.81 Vielmehr müssen konsistente Lösungen dieser Konflikte im Geiste der grundrechtlichen Gewährleistung gefunden werden. Dabei muss im Zentrum der Betrachtungen – auch im privatrechtlichen Kontext – stets der hohe Rang stehen, den das Grundgesetz Religion und Gewissen als vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten verleiht. Es handelt sich dabei sicher um eine unbequeme Entscheidung der Verfassung, die gleichwohl angesichts der historischen Dimension der Thematik verständlich und begrüßenswert wird.82 Was schon zur privatrechtlichen Wirkdimension der Gewissensfreiheit festgestellt wurde, gilt auch hier: Eine freiheitliche Rechtsordnung bezieht gerade ihre Stärke und Legitimation daraus, dass sie  79 Vgl. etwa BayVGH NVwZ 2000, 952 (953); im Ansatz ebenso auch LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2; zur theologischen Diskussion um den verbindlichen Charakter des islamischen Gebots vgl. näher Duran FAZ v. 13.1.1997, S. 9; Eshkevari Die Zeit v. 4.5.2000, S. 56; Djebar FAZ v. 23.10.2000, S. 14. 80 Deutlich Stein, Gewissensfreiheit, S. 16 („Pervertierung“ des Gewissensbegriffs); kritisch insbes. auch Freihalter, Gewissensfreiheit (1973), S. 24 ff.; Otto, Personale Freiheit, S. 112. 81

Mit dieser Tendenz aber LAG Düsseldorf JZ 1964, 258 f. Vgl. zu den historischen Vorbedingungen Parlamentarischer Rat, Ausschuss für Grundsatzfragen, Protokoll der 24. Sitzung (23.11.1948), S. 626 ff.; weiterhin Böckenförde VVDStRL 28, 33 (48) und Habscheid JZ 1964, 246. 82

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dem Einzelnen möglichst weitreichende Freiräume belässt.83 Dies gilt umso mehr, je subjektiver eine grundrechtliche Gewährleistung geprägt und je stärker der Bezug eines Grundrechts zur Menschenwürdegarantie ist.84

3. Konfligierende Güter in der Interessenabwägung Aus der schrankenlosen Gewährleistung der Religionsfreiheit folgt, dass zur Rechtfertigung richterlicher Eingriffe – und damit mittelbar als konfligierende Güter in Privatrechtsbeziehungen – nur ihrerseits verfassungsrechtlich geschützte Güter als verfassungsimmanente Schranken in Betracht kommen. Eine Einschränkung durch bloß einfachrechtlich geschützte Güter und Interessen scheidet demgegenüber aus. Eine Übertragung der Schranken anderer Grundrechte auf Art. 4 I GG, wie sie in Rechtsprechung85 und Literatur86 vereinzelt vorgeschlagen wurde, erscheint aus den schon dargestellten Gründen verfehlt.87 Sie nähme der Glaubens- und Gewissensfreiheit gerade das besondere Schutzniveau, das ihr von den Schöpfern der Verfassung mit Bedacht zugewiesen wurde.88 Dies erkennt etwa die Entscheidung des LAG Hamm89 klar: Eine Abwägung soll demnach nur mit anderen grundrechtlich geschützten Gütern und Interessen des Arbeitgebers möglich sein. Leider führt das LAG auf Grundlage dieser richtigen Erkenntnis keine wirkliche Interessenabwägung durch, wie sie geboten gewesen wäre. Es wird vielmehr einseitig auf das Interesse des Arbeitgebers an der Aufrechterhaltung eines ungehinderten Betriebsablaufs abgestellt.90 Das Gegeninteresse des Arbeitnehmers an ungehinderter Religionsausübung könne, so führt das Gericht aus, demgegenüber keine entscheidende Beachtung mehr finden, da sich der Arbeitnehmer mit Vertragsschluss „grundsätzlich dem  83

Ähnlich Böckenförde VVDStRL 28, 33 (56). Vgl. allgemein Maunz/Dürig-Herzog Art. 4 GG Rn. 11. 85 Im hier interessierenden Kontext vor allem LAG Düsseldorf JZ 1964, 258 (259); vgl. weiter OLG Karlsruhe JZ 1964, 761 (763). 86 Vgl. Maunz/Dürig-Herzog Art. 4 GG Rn. 114 ff.; ders. DVBl. 1969, 718 (720 ff.); v.Mangoldt/Klein-Starck Art. 4 GG Rn. 75; Bettermann VVDStRL 28 (1970), 129, jeweils m.w.N. 84

87

Vgl. oben § 3 II 2 c) aa) (2.). Zur Regelungsintention und Genese von Art. 4 I GG vgl. v.Mangoldt, in: Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, Parl. Rat Dr. 850, 854; S. 6, 8; Böckenförde VVDStRL 28 (1970), 33 (35 ff.) ; ders. NJW 2001, 723 (724). 88

89 90

LAG Hamm NZA 2002, 675 (677). LAG Hamm NZA 2002, 675 (677).

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Direktionsrecht des Arbeitgebers unterworfen“ habe.91 Dies stellt jedoch bei Lichte betrachtet einen Rückgriff auf den Gedanken des Grundrechtsverzichts dar, den das Gericht doch zuvor nachdrücklich mit Blick auf die fehlende Vertragsparität abgelehnt hatte.92 Insoweit sieht sich das im Grundsatz systematisch begrüßenswerte Urteil dem Vorwurf einer gewissen Inkonsequenz ausgesetzt. Systematisch vorzugswürdig wäre vielmehr gewesen, schon – entsprechend der hier vertretenen Konzeption93 – den Gedanken des Grundrechtsverzichts zu bejahen. Bei Ablehnung dieses Gedankens hätte das Gericht hingegen in einer echten Interessenabwägung angesichts der personalen, besonders menschenwürdenahen Struktur des Leistungshindernisses zwangsläufig zu einem Überwiegen der Position des Arbeitnehmers gelangen müssen. Die personale, irreparabel verletzte Grundrechtsposition des Arbeitnehmers überwiegt nach den schon entwickelten Lösungsmustern zwangsläufig die weniger personal geprägte Grundrechtsposition des Arbeitgebers. Dann hätte dem Arbeitnehmer auf der Primärebene ein Leistungsverweigerungsrecht zugestanden; freilich hätte sich der Arbeitgeber durch eine personenbedingte Kündigung von dem prognostisch in regelmäßigen Abständen gestörten Vertragsverhältnis lösen dürfen.94 Insoweit kann – wie schon allgemein angedeutet95 – ein gestaffeltes System von Rechtsfolgen durchaus zu angemessenen und interessengerechten Resultaten führen, ohne dass die Grenzen eines Leistungsverweigerungsrechts allzu eng gezogen werden müssten. Zweifellos richtig ist daher an dieser Stelle der insbesondere durch das LAG Frankfurt96 vorgebrachte Gedanke, dass ein Ausgleich der konfligierenden Verfassungsgüter im Wege praktischer Konkordanz erzielt werden muss. Wegen der unbedingten Struktur religiöser (Gewissens-)Gebote wird freilich auch hier ein schonender Ausgleich der konfligierenden Grundrechtspositionen eher die Ausnahme sein. Oft wird sich ein religiöser Konflikt nur durch ein hartes „Entweder-Oder“ lösen lassen.97 Zur damit notwendigen Ermittlung der Vorrangstellung kann auf die Ausführungen zu Gewissenskonflikten verwiesen werden; in Erinnerung sei vor allem gerufen, dass die extrem starke personale Prägung der Religionsfreiheit, mittelbar also ihre systematische Nähe zur Men 91

LAG Hamm NZA 2002, 675 (unter 2. a) cc) der Gründe). LAG Hamm NZA 2002, 675 (unter 2. a) bb) der Gründe). 93 Vgl. unten § 4 III 4. 94 Vgl. unten § 17 II 2 c) cc). 95 Oben § 2 IV. 96 LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2; vgl. ähnlich auch LAG Hamm NZA 2002, 675 (677). 97 Vgl. ausführlich unten § 9 III 2 b) cc) (2.). 92

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schenwürde, als entscheidender Gesichtspunkt bei beiderseitig irreparablen Grundrechtsbeeinträchtigungen berücksichtigt werden muss.98 Diese Struktur verkennt insbesondere das LAG Hamm, wenn es der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers umfassenden Vorrang einräumt.99 Dabei erscheint bereits fraglich, ob die Hoheit über Betriebsablauf und Betriebsorganisation überhaupt in den Schutzbereich der Unternehmerfreiheit fällt; eine solche Sichtweise würde – wie ausführlich dargestellt100 – dazu führen, dass jedes arbeitsgerichtliche Urteil, das auch nur marginal in die Betriebsorganisation eingreift, durch Verfassungsbeschwerde vor das BVerfG getragen werden könnte. Das BVerfG würde dadurch faktisch zu einer umfassenden arbeitsrechtlichen Superrevisionsinstanz. Schon der Schutzbereich der Unternehmerfreiheit (wie auch der Vertragsfreiheit)101 ist daher restriktiver einzugrenzen. Dies verkennt auch das LAG Frankfurt, wenn es den bloßen vertraglichen Erfüllungsanspruch als konfligierendes Rechtsgut von Verfassungsrang deklariert.102 Eine derartige Sichtweise führt unmittelbar zu einem „Verfassungsprivatrecht“; sie ist daher aus den geschilderten Gründen abzulehnen. Ebenso kann die Bezugnahme des LAG Frankfurt auf die wenig substantiierte Behauptung des Arbeitgebers, er werde infolge des Kopftuchtragens wirtschaftliche Einbußen hinnehmen müssen, kaum überzeugen. An einer konsistenten verfassungsrechtlichen Abwägung der betroffenen Positionen fehlt es auch in diesem Urteil. Freilich werden die Muster der Konfliktlösung hier anschaulich offengelegt, der Gedanke der praktischen Konkordanz von Verfassungsgütern wird in begrüßenswerter Weise aufgegriffen. Das Urteil überzeugt daher in seinem systematischen Ansatzpunkt, nicht jedoch in den Konsequenzen. Anders demgegenüber die Folgeentscheidung des BAG,103 die den zutreffenden dogmatischen Ansatz des LAG Frankfurt aufgreift, jedoch vor allem über ein eingrenzendes Schutzbereichsverständnis der Unternehmer- und Berufsfreiheit zu einer anderen Gewichtung gelangt. Damit kann sie schon den Bestand der vertraglichen Nebenpflicht verneinen. Bezüglich geeigneter Kollisionsgüter kann auf die umfassenden allgemeinen Darlegungen für Gewissenskonflikte verwiesen werden. Gerade im Bereich religiöser Leistungshindernisse sind zudem verfassungsrechtliche Besonderheiten bei Tendenzunternehmen und im erzieherischen Bereich zu berücksichti 98

Vgl. ausführlich unten § 9 III 3 c). LAG Hamm NZA 2002, 675 (677). 100 Vgl. oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (a) (cc) und (ee). 101 Vgl. oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (a) (ee). 102 LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2. 103 BAG NZA 2003, 483. 99

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gen. Bei religiösen Tendenzunternehmen erlaubt es die ihrerseits verfassungsrechtlich geschützte Position des Unternehmens, dem Arbeitnehmer eine weitreichende Übereinstimmung mit grundlegenden weltanschaulichen Inhalten des Tendenzunternehmens abzuverlangen.104 Im erzieherischen Bereich – etwa bei angestellten Lehrern an staatlichen Schulen – ist die Neutralität des Staates in weltanschaulichen und religiösen Fragen zu würdigen, die auch dem einzelnen Lehrer als Hoheitsträger die Wahrung weltanschaulicher Neutralität abverlangt.105 Beide Aspekte werden jedoch im Rahmen einer Interessenabwägung zur Feststellung der Berechtigung einer akuten Leistungsverweigerung kaum entscheidende Bedeutung erlangen, da dem Interesse des Arbeitnehmers an der Verweigerung seiner Leistung aus religiösen Gründen nicht das Selbstbestimmungsrecht eines religiösen Tendenzunternehmens oder der Gedanke staatlicher Neutralität entgegengehalten werden kann. Beide sind durch die Leistungsverweigerung des Arbeitnehmers nämlich in ihrer Substanz gar nicht beeinträchtigt: Es dient vielmehr gerade der Wahrung der inhaltlichen Integrität der betroffenen Institutionen, wenn ein Arbeitnehmer mit konträren religiösen Überzeugungen die Leistung verweigert. Insoweit ist das Interesse von Arbeitnehmer und Arbeitgeber an einer Leistungsverweigerung ausnahmsweise gleichgerichtet; der Tendenzcharakter der Tätigkeit kann damit das Interesse an einer Leistungsverweigerung sogar noch verstärken. Entscheidende Relevanz wird der Tendenz- oder erzieherische Charakter der Tätigkeit freilich bei der Vorfrage nach der Feststellung des konkreten vertraglichen Pflichtenprogrammes entfalten. Dies wird gerade bei der religiös motivierten Verweigerung einer – erst noch festzustellenden – Nebenpflicht bedeutsam.106

4. Grundrechtsverzicht durch Vertragsschluss a) Ausschluss durch den Charakter der geschuldeten Tätigkeit Ein besonderes Gewicht kommt auch im Kontext der Glaubenskonflikte dem Aspekt des konkludenten Grundrechtsverzichts durch Eingehung des Vertragsverhältnisses zu. Wer an einem Fließband tätig wird und repetitiv fortlaufend bestimmte Arbeiten ausführen muss, damit der Betriebsablauf ungestört bleibt, weiß schon beim Vertragsabschluss positiv, dass er seine Arbeit nicht für indi 104

Vgl. etwa BAG AP Art. 140 GG Nr. 21; GK-KSchR-Dörner § 1 KSchG Rn. 838 ff. Vgl. BVerfG NJW 2003, 3111 (3113); BVerwG NJW 2002, 3344; allgemein auch BVerfGE 93, 1 ff. – Kruzifix. 106 Dazu ausführlich Preis/Greiner, Festschrift Rüfner (2003), S. 653 (661 ff.). 105

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viduelle Gebetspausen unterbrechen darf. Sofern die entsprechende Glaubenshaltung damit bereits beim Vertragsabschluss vorlag und dem Arbeitnehmer der Charakter der Tätigkeit positiv bewusst war, ist von konkludentem Grundrechtsverzicht auszugehen.107 Es handelt sich dabei auch nicht um eine Frage der Vertragsinhaltskontrolle, wie das LAG Hamm108 meint. Nicht einzelne vertragliche Bestimmungen stehen in diesem Fall der Glaubensbetätigung entgegen, sondern schon der Gesamtcharakter des Arbeitsverhältnisses, das von dem Arbeitnehmer bewusst und willentlich eingegangen wurde. Der ungleichen Parität der Arbeitsvertragsparteien in Vertragsverhandlungen kommt damit im Hinblick auf den auftretenden Konflikt keine entscheidende Bedeutung zu. Anders gesagt: Der Arbeitnehmer kann zwar typischerweise keinen Einfluss auf die Gestaltung einzelner Vertragsklauseln nehmen; insoweit mag die fehlende Parität der Vertragsparteien bedeutsam sein. Er kann aber gleichwohl von der Eingehung des Arbeitsverhältnisses Abstand nehmen, wenn ihm bewusst ist, dass schon der Gesamtcharakter und grundlegende Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwangsläufig zu Konflikten mit seinen Glaubenshaltungen führen wird. Zu erwägen ist, ob hierunter auch die Konstellationen fallen, in denen dem Arbeitnehmer beim Vertragsschluss bekannt ist, dass zwingende Voraussetzung des Tätigkeitsbildes das Tragen einer Uniform ist, für eine individuelle Gestaltung der Kleidung auch nach religiösen Gesichtspunkten also – beispielsweise aus Sicherheitsgründen – kein Raum ist (etwa bei Piloten oder Mitarbeitern von Sicherheitsdiensten). Schließt er den Arbeitsvertrag trotzdem in positiver Kenntnis dieses Charakters der geschuldeten Tätigkeit ab, so kann hierin bereits ein Akt des konkludenten Grundrechtsverzichts liegen.

b) Ausschluss durch vertragliche Vereinbarung Anders verhält es sich, wenn der Konflikt nicht schon aus dem grundlegenden Charakter der geschuldeten Tätigkeit resultiert, sondern erst aus bestimmten Vertragsklauseln. Dies ist insbesondere der Fall bei vertraglichen Kleiderordnungen, die das Tragen religiöser Symbole am Arbeitsplatz ausschließen, ohne dass diese Vertragsbedingung schon im allgemeinen Tätigkeitsbild angelegt ist. Auch hier kann der Arbeitnehmer bei positiver Voraussicht auf den konkreten Konflikt vertraglichen Grundrechtsverzicht üben und damit auch auf eine spätere Berufung auf sein Leistungsverweigerungsrecht verzichten. Praktisch wird dies immer dann relevant, wenn ein Arbeitnehmer einen Vertrag  107 108

Anders namentlich LAG Hamm NZA 2002, 675 (677). LAG Hamm NZA 2002, 675 (677).

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abschließt, der ihm ein bestimmtes religiöses Verhalten verbietet, diese Vertragsklausel wirksam ist und der Arbeitnehmer positive Kenntnis davon hat, dass es zu einem Konflikt mit seinen Glaubensüberzeugungen kommen wird. Sofern es sich allerdings um einseitig gestellte Vertragsbedingungen handelt, greift eine umfassende Inhaltskontrolle Platz. In deren Rahmen, vor allem zur Konkretisierung des unbestimmten Tatbestandsmerkmals der „unangemessenen Benachteiligung“ i.S.v. § 307 BGB, ist entscheidend die wertsetzende Bedeutung der Grundrechte zu würdigen.109 Ein entsprechendes Verbot religiöser Symbole hält demnach nur dann der Inhaltskontrolle stand, wenn der Arbeitgeber hinreichende Gegeninteressen vorzuweisen hat, also seinerseits gewichtige Verfassungsgüter betroffen sind, die nur durch ein Verbot geschützt werden können. Dabei ist wiederum zu beachten, dass der Gedanke der praktischen Konkordanz vorrangig einen möglichst weitgehenden Ausgleich beider Verfassungspositionen erfordert. Da somit eine derartige Vertragsklausel oftmals der Inhaltskontrolle nicht standhalten wird, wird es vielfach schon an einer wirksamen Vertragspflicht fehlen; von einem konkludenten vertraglichen Grundrechtsverzicht kann dann keine Rede sein. Beispiele für verfassungsrechtlich legitime Interessen des Arbeitgebers an einer Vertragsklausel, welche die Religionsausübung einschränkt, sind in diesem Rahmen jedoch ohne weiteres praktisch vorstellbar. So können Aspekte der Arbeitssicherheit derartige Vertragsgestaltungen legitimieren. Plastisch wird dies etwa bei dem Bordpersonal von Verkehrsflugzeugen. Hier erfordert die Sicherheit des Personals und der Reisenden eine eindeutige Identifizierbarkeit. Die individuelle Gestaltung der Kleidung ist daher vertraglich ausschließbar. Das Interesse des Arbeitgebers an dem Tragen einer Uniform ist hier durch den verfassungsrechtlichen Aspekt der körperlichen Integrität der Betriebsangehörigen und Kunden sowie die Sicherheit des Flugverkehrs verstärkt (Art. 2 II 1 GG). Inhalt praktischer Konkordanz ist dabei freilich auch, dass der Arbeitgeber individuelle Gestaltungen hinnehmen muss, wenn diese die eindeutige Identifizierung nicht beeinträchtigen.110 Aspekte der Arbeitssicherheit sind ebenfalls betroffen, wenn in einem Betrieb Arbeitnehmer unterschiedlicher religiöser Bekenntnisse beschäftigt sind, zwischen denen es in der Vergangenheit bereits zu massiven religiösen Auseinandersetzungen gekommen ist. Auch hier kann das Interesse des Arbeitgebers an einem Unterlassen religiöser Aktivitäten durch Gesichtspunkte der Arbeitssicherheit und somit letzlich durch die von Art. 2 II 1 GG geschützten Rechts 109 Vgl. BAG AP § 10 AvR Caritasverband Nr. 1; BAG AP § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe Nr. 18; Preis, Vertragsgestaltung, S. 327 ff.; ErfK-Preis4 § 305-310 BGB Rn. 48; Ulmer/Brandner/Hensen-Brandner § 9 AGBG Rn. 71. 110 Näher zu dieser Konstellation auch Preis/Greiner RdA 2003, 244.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

güter verstärkt sein.111 Führten die Auseinandersetzungen zudem zu Betriebsstörungen, kommt ebenfalls die verfassungsrechtlich garantierte Unternehmerfreiheit zum Tragen.112 Die Unternehmerfreiheit alleine legitimiert eine Beschränkung der Religionsausübungsfreiheit jedenfalls, wenn durch die religiöse Betätigung des Arbeitnehmers schon das unternehmerische Konzept des Arbeitgebers beeinträchtigt wird. Eine bloß geringfügige Störung der Unternehmertätigkeit wird hingegen nach dem hier vertretenen Schutzbereichsverständnis113 noch nicht zwangsläufig zu einer Grundrechtsbetroffenheit des Arbeitgebers führen. Das unternehmerische Konzept ist durch religiöse Handlungsweisen eines Arbeitnehmers etwa dann betroffen, wenn es sich um einen Arbeitnehmer in einer repräsentativen Funktion handelt, sein Verhalten somit Wirkung gegenüber betriebsfremden Personen, typischerweise Kunden entfaltet. In diesem Fall kann der Arbeitgeber ein legitimes Interesse daran haben, auch durch eine einseitig gestellte Vertragsklausel etwa eine bestimmte Kleidung festzulegen, die religiös motivierte, individuelle Gestaltungen ausschließt. Hierbei wird jedoch stets sowohl die Qualität der Repräsentativstellung als auch der Charakter der jeweiligen religiösen Handlung abzuwägen sein: Einer einfachen Verkäuferin das Tragen eines schlichten Kopftuchs zu untersagen,114 erfordert sicher einen höheren Legitimationsaufwand als einem hochrangigen Manager das Tragen Baghwantypischer Kleidung – also rötlicher Kleidung mit einer Holzperlenkette – vertraglich zu verbieten.115 Ohne weiteres verfassungsrechtlich legitimiert sind überdies Einschränkungen in religiösen Tendenzunternehmen, insbesondere kirchlichen Einrichtungen. Hier verstärkt der verfassungsrechtlich garantierte Tendenzstatus das Interesse an einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung.116 Keiner derartigen verfassungsrechtlichen Legitimation bedarf die Grundrechtseinschränkung hingegen in Konstellationen, in denen potentiell religiös motivierte Verhaltensweisen durch Individualvereinbarung ausgeschlossen werden. Diese unterliegt nach zutreffender Auffassung auch im Arbeitsrecht

 111

Vgl. Preis/Greiner, Festschrift Rüfner (2003), S. 653 (659 f.). Dazu oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (a) (cc). 113 Vgl. oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (a) (cc). 114 Dazu BVerfG NZA 2003, 959; BAG NZA 2003, 483. 115 Zu gebotenen Gewichtungen in der Abwägung ausführlich Preis/Greiner, Festschrift Rüfner (2003), S. 653 (660 f.). 112

116

Vgl. allgemein zu Besonderheiten in Tendenzunternehmen BAG AP Art. 140 GG Nr. 21; GK-KSchR-Dörner § 1 KSchG Rn. 838 ff.

§ 4 Unzumutbarkeit aus religiösen Gründen

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keiner Inhaltskontrolle,117 da sich die gestörte Parität der Vertragsparteien dabei weniger auswirkt.118 Eine solche Individualvereinbarung wird praktisch ein Ausnahmefall bleiben, da typisierte allgemeine Vertragsbedingungen im Arbeitsrecht den Regelfall bilden.119

c) Kein Grundrechtsverzicht: Spätere Änderung der Glaubenshaltung Kein Grundrechtsverzicht hinsichtlich des konkreten Glaubenskonfliktes liegt hingegen in Fällen vor, in denen der Leistungspflichtige den konkreten Konflikt beim Vertragsschluss noch nicht vorhergesehen hat, er also beispielsweise auf einer späteren Änderung seiner Glaubenshaltung beruht. In diesen Fällen kann in der Eingehung des Arbeitsverhältnisses kein Akt des Grundrechtsverzichts im Hinblick auf den konkreten, erst später entstehenden Konflikt gesehen werden.120 Dies gilt selbst dann, wenn zuvor eine entsprechende Vertragsklausel, die abstrakt bestimmte religiöse Verhaltensweisen ausschließt, wirksam vereinbart wurde, sei es durch wirksame Individualvereinbarung, sei es durch eine zulässige einseitig gestellte Vertragsklausel oder im Rahmen ungeschriebener Nebenpflichten.121 Solche Fälle ergeben sich vor allem, wenn sich die religiöse Haltung des Arbeitnehmers zwischenzeitlich ändert. Der konkrete Konflikt wurde dann beim Vertragsschluss nicht positiv vorausgesehen, obwohl der Schuldner beim Vertragsschluss wirksam auf bestimmte religiöse Verhaltensweisen verzichtet hat. Gerade in diesen Fällen kommt es zur Leistungsverweigerung wegen Unzumutbarkeit, denn der Bestand einer vertraglichen Leistungspflicht ist ja gerade Voraussetzung dafür, dass sich überhaupt die Notwendigkeit einer Leistungsverweigerung ergibt.

 117 Vgl. zum neuen Schuldrecht Preis, Arbeitsvertrag, S. 107; Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 244; dagegen v.a. Hromadka NJW 2002, 2523 (2525). Im alten Schuldrecht bejahte die überwiegende Meinung eine Inhaltskontrolle individuell ausgehandelter Vertragsbedingungen, vgl. Hromadka, Festschrift Dieterich (1999), S. 251 (254 ff.); Fastrich RdA 1997, 65 (75 ff.); ders. Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 62 m.w.N.; Dieterich RdA 1995, 129 (135); Wolf RdA 1988, 270 (272). Dagegen aber schon überzeugend Preis, Vertragsgestaltung, S. 256, 282. 118

Abweichend die überwiegende Auffassung, vgl. nur LAG Düsseldorf LAGE § 611 BGB Inhaltskontrolle Nr. 1. 119 Preis, Vertragsgestaltung, S. 23, 57 f. 120 Vgl. schon oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (b). 121

Vgl. oben § 4 III 4 a) und b) sowie Preis/Greiner, Festschrift Rüfner (2003), S. 653 (661 ff.).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Beide Fragen – Wirksamkeit der Vertragspflicht und Berechtigung zur Leistungsverweigerung – betreffen somit zum einen unterschiedliche Sachebenen: Die Wirksamkeit der Vertragspflicht bemisst sich an den abstrakten Interessen der Vertragsparteien, die Berechtigung der Leistungsverweigerung orientiert sich hingegen an dem konkreten, akuten Konflikt. Zum anderen ist zur Beurteilung beider Fragen auf unterschiedliche Zeitpunkte Bezug zu nehmen: Für die Wirksamkeit der Vertragspflicht ist die Situation im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, für die Berechtigung der Leistungsverweigerung hingegen der Zeitpunkt der Leistungsverweigerung maßgeblich. Zwischenzeitlich können sich die religiösen Einstellungen des Leistungspflichtigen oder auch die Interessen des Leistungsgläubigers grundlegend ändern.122 Dass auch in der Praxis beide Fragen unterschiedlich bewertet werden, zeigt schon die dargestellte Entscheidung des LAG Frankfurt zur „Kopftuch“-Problematik:123 Hier bejahte das LAG den Bestand einer wirksamen Vertragspflicht, kein Kopftuch zu tragen, bejahte aber ebenfalls – mit Blick auf die konkreten Interessen im akuten Konflikt – ein Leistungsverweigerungsrecht. Die Auswirkungen für den betroffenen Arbeitnehmer sind in beiden Fallkonstellationen grundverschieden: Wenn es schon an einer wirksamen Vertragspflicht fehlt, kann die „Leistungsverweigerung“ – da gar keine entsprechende Leistung geschuldet ist – keinerlei kündigungsrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen. Das vertragliche Pflichtenprogramm ist dann nämlich völlig unberührt geblieben, es fehlt an jeglichem Kündigungsgrund.124 Besteht zwar eine wirksame Vertragspflicht, hat der Arbeitnehmer jedoch ein Leistungsverweigerungsrecht, so liegt hierin eine Pflichtverletzung;125 der Arbeitgeber kann bei negativer Prognose personenbedingt kündigen126 und hat unter Umständen – in Fällen der Vorhersehbarkeit – Anspruch auf Schadensersatz.127 Er wird in diesen Fällen also deutlich besser gestellt. Besteht schließlich eine wirksame Vertragspflicht und kein Leistungsverweigerungsrecht, kommt eine verhaltensbedingte, unter Umständen sogar außerordentliche Kündigung wegen Vertragsbruchs in Betracht.128 Auch an dieser Stelle zeigt sich somit, dass nur eine stark differenzierende Betrachtungsweise geeignet ist, den unterschiedlichen Fallkonstellationen gerecht zu werden.  122 Vgl. beispielhaft die Konstellation von BAG NZA 2003, 483, wo sich seitens der Arbeitnehmerin eine grundlegende Änderung ihrer religiösen Haltung ergeben hatte und erst dadurch der Konflikt ausgelöst wurde. 123

LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2; vgl. oben § 4 II 1 b) aa). Vgl. Preis/Greiner RdA 2003, 244. 125 Dazu unten § 16 II 2 a) aa) (1.). 126 Unten § 17 II 2 c). 127 Unten § 16 II 2. 128 Unten § 17 II 2 b). 124

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Zusammenfassend lässt sich festhalten: Dem Arbeitnehmer kann nur dann ein Leistungsverweigerungsrecht zustehen, wenn er den konkreten Konflikt beim Vertragsschluss nicht positiv vorhergesehen und somit jedenfalls im Hinblick auf den konkreten Konflikt keinen Grundrechtsverzicht geübt hat. Hiervon streng zu trennen ist die Frage, ob zuvor wirksam eine Vertragspflicht zustande gekommen ist. Diese Frage ist – möglicherweise divergierend – nach der Interessenlage der Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses anhand der oben entwickelten Leitlinien129 zu bewerten, während für die Frage nach dem Leistungsverweigerungsrecht der spätere Zeitpunkt der Leistungsverweigerung, also des konkreten Konfliktes, maßgeblich sein muss.130

5. Übertragung auf andere Leistungspflichten Die dargestellten Fallkonstellationen entstammen allesamt dem Arbeitsrecht. Daneben sind religiöse Konflikte auch in anderen Schuldverhältnissen ohne weiteres vorstellbar. Verwiesen sei hier nur auf den in der Literatur häufig zitierten Fall eines jüdischen Gelehrten, der im Rahmen eines Werkvertrages einen Vortrag halten soll und die Leistung verweigert, da der Vortragstermin auf einen Samstag fällt.131 Die Übertragbarkeit auf andere Schuldverhältnisse ergibt sich schon aus der dargestellten Kongruenz von Glaubens- und Gewissenskonflikten.132 Sobald man die hier dargestellte These anerkennt, dass Glaubenskonflikte regelmäßig zu Gewissenskonflikten führen und schon ihre Grundlage in einer Gewissensentscheidung, nämlich der Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes religiös-weltanschauliches Bekenntnis liegt, versteht es sich von selbst, dass Glaubenskonflikten auch die allgemeine Struktur der Gewissenskonflikte innewohnt, angesichts jeder beliebligen Vertragspflicht auftreten zu können.133 Daher werden sie zwar bei persönlichen Leistungspflichten besonders häufig und intensiv auftreten – daher auch die empirische Häufung im Bereich des Arbeitsrechts –, können daneben jedoch auch bei nicht persönlichen Leistungspflichten bedeutsam werden. Aus diesem Grund ist auch hinsichtlich der einfach-rechtlichen Handhabung auf die allgemeinen Darlegungen zu Gewissens-

 129

Oben § 4 III 4 b). Vgl. auch Preis/Greiner RdA 2003, 244. 131 Vgl. etwa Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 f. 132 Oben § 4 III 1. 133 Vgl. oben § 3 II 2 d) und Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (39). 130

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

konflikten zu verweisen. Demnach stellt auch für Glaubenskonflikte § 242 BGB den richtigen Anknüpfungspunkt dar.134

IV. Fazit Es wurde gezeigt, dass Glaubenskonflikte letztlich eine spezielle Ausformung von Gewissenskonflikten sind.135 Allein aus diesem Grund können die zu Gewissenskonflikten entwickelten Lösungen nahtlos übertragen werden. Besondere Bedeutung erlangt bei Glaubenskonflikten die Frage, welche Konsequenzen die Verweigerung einer bloßen vertraglichen Nebenpflicht etwa durch das Tragen bestimmter Kleidungsstücke nach sich zieht. Schon die Feststellung des diesbezüglichen Pflichtenprogramms erscheint zweifelhaft und schwierig.136 Besteht jedoch eine derartige Nebenpflicht, so ist die Frage aufzuwerfen, welche Rechtsfolgen sich an eine im Grundsatz nur auf die Nebenpflichterfüllung beschränkte Leistungsverweigerung knüpfen. Da es sich um ein allgemeines Problem insbesondere mit Blick auf den Entgeltanspruch handelt, soll die Problematik dort ausführlich erörtert werden.137

 134

Vgl. oben § 3 IV 2 b) cc) und Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 136, 447; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 482. 135 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 383: Die Glaubensfreiheit erscheine als besondere Ausformung des „allgemeineren Grundrechts“ der Gewissensfreiheit. 136 137

Näher BAG NZA 2003, 483 und Preis/Greiner, Festschrift Rüfner (2003), S. 653. Vgl. unten § 15 II 3.

§ 5 Unzumutbarkeit aus familiären Gründen

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§ 5 Unzumutbarkeit der Leistungserbringung aus familiären Gründen Bei der Leistungsverweigerung aus familiären Gründen handelt es sich um ein in der Praxis weit verbreitetes und im Einzelnen vielgestaltiges Phänomen. Zu beobachten ist dabei – anders als bei den schon erörterten Glaubens- und Gewissenskonflikten – einerseits eine kaum bestrittene praktische Anerkennung des Leistungshindernisses. Der Umfang der Judikatur zu dieser Fallgruppe übertrifft wohl auch aus diesem Grund die Judikatur zu Gewissenskonflikten bei weitem. Andererseits jedoch stand die Thematik weit weniger im Zentrum wissenschaftlicher Auseinandersetzungen; eine konzeptionelle Aufbereitung zahlreicher Detailfragen fand daher erst spät und meist nur für Teilbereiche der Problematik statt.1 Von den Beispielen aus der arbeitsrechtlichen Praxis seien hier zunächst nur einige wenige zur Verdeutlichung genannt: Mehrfach hatte das BAG zu entscheiden über Fälle einer Arbeitsverweigerung aufgrund familiärer Ereignisse, etwa der Niederkunft der Ehefrau2 oder Lebensgefährtin3 des Arbeitnehmers, seiner eigenen Hochzeit4 oder auch der goldenen Hochzeit seiner Eltern.5 Daneben stehen Fälle der Personensorge: Die berufstätige Mutter muss ihr schwer erkranktes Kind während der Arbeitszeit zum Arzt bringen;6 ein Arbeitnehmer muss zur dauerhaften Pflege seines schwerkranken Ehepartners während der Arbeitszeit einen Kurs zur Bedienung eines Heimdialyse-Geräts besuchen.7 Für die meisten dieser Fälle wurde bislang davon ausgegangen, dass mit § 616 BGB zugleich eine Entscheidung zugunsten der Leistungsverweigerung getroffen sei, wobei freilich diese dogmatische Verankerung selten wirklich offen gelegt wurde. Mitunter wurde – gerade in der Rechtsprechung – lediglich für die Folgefrage des Entgeltanspruchs auf § 616 BGB Bezug genommen und die logisch vorrangige Frage nach der dogmatischen Begründung der Leistungsverweigerung anscheinend für nicht erörterungswürdig erachtet.8  1

Vgl. jetzt aber die instruktiven Ausführungen bei Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 ff. 2

BAG AP § 616 BGB Nr. 38; BAG AP § 616 BGB Nr. 44. BAG NZA 2002, 47. 4 BAG AP § 616 BGB Nr. 35; BAG AP § 616 BGB Nr. 61. 5 BAG AP § 616 BGB Nr. 43. 6 Vgl. BAG AP § 63 HGB Nr. 35. 7 BAG AP § 616 BGB Nr. 47. 8 Statt vieler BAG NZA 2002, 47, insbes. die unklaren Ausführungen zur Herleitung des Leistungsverweigerungsrechts (a.a.O., S. 50); dazu unten § 5 II 2 b) bb). Explizit eine Verortung des Leistungsverweigerungsrechts in § 616 BGB ablehnend Erman-Belling § 616 Rn. 1. Wie hier hingegen Henssler AcP 190 (1990), 538 (563); Canaris AcP 184 (1984), 201 (238). 3

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Angesichts der engen tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm stieß die Anwendbarkeit von § 616 BGB schnell an Grenzen: Wie gezeigt wurde, begründet § 616 BGB lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht für die Dauer weniger Tage.9 In den genannten Fallkonstellationen der Leistungsverweigerung aus familiären Gründen wird es sich in der Tat meist um derart kurzzeitige Leistungshindernisse handeln: Schon aufgrund der Struktur des Leistungshindernisses dürfte etwa die Hochzeit des Arbeitnehmers oder die Teilnahme an Familienfeiern selten den von § 616 BGB vorgegebenen zeitlichen Rahmen überschreiten. Allerdings kann es gerade in den Fällen der Personensorge auch zu länger andauernden Leistungshindernissen kommen.10 In einer Entscheidung vom 21.5.1992 lehnte das BAG bei einem derartigen Konflikt zwischen Arbeitspflicht und elterlicher Sorge ein Leistungsverweigerungsrecht allein deshalb ab, weil die betroffene Arbeitnehmerin das Bestehen des Leistungshindernisses nach Ansicht des Gerichtes verschuldet hatte.11 Inwieweit es hier auf ein Verschulden tatsächlich ankommt oder andere Lösungsansätze gefunden werden müssen, ist nach wie vor aktuell und wird zu klären sein. Eine gravierende Änderung hat sich freilich durch das Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes ergeben: Die Einordnung in den Anwendungsbereich von § 275 III BGB erscheint in dieser Fallgruppe weit unproblematischer als bei Gewissenskonflikten. Die Begründung zum Regierungsentwurf führt die Kollision zwischen der vertraglichen Leistungspflicht und familiären Ereignissen ausdrücklich als Konstellation der „Unzumutbarkeit“ i.S.v. § 275 III BGB an;12 genannt wird explizit die „notwendige Versorgung schwerwiegend erkrankter Angehöriger“. Fälle der Personensorge sollen folglich der neuen Norm ausdrücklich unterfallen. Dies wird auch für sonstige familiäre Pflichten zu gelten haben. Damit dürfte die Frage nach der Herleitung des Leistungsverweigerungsrechtes nunmehr für diese Fallgruppe geklärt sein: Das Leistungsverweigerungsrecht hat in § 275 III BGB eine ausdrückliche und umfassende Regelung erfahren. Dennoch bleiben Fragen, die vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes umstritten waren, auch weiterhin unbeantwortet: Klärungsbedürftig ist nach wie vor, unter welchen Voraussetzungen eine rechtlich relevan 9

Vgl. zum Meinungsstand ausführlich oben § 3 IV 1 f) bb). Vgl. beispielhaft BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29. 11 Vgl. BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29; ablehnend v.Stebut SAE 1993, 150 (152). 10

12 BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte Abs. 3: „In diesem Fall geht es um die Rücksichtnahme auf das Schuldnerinteresse, das in Absatz 2 Satz 2 [jetzt § 275 III BGB] [...] gerade auch maßgeblich sein soll. [...] Beispiele sind während der Arbeitszeit notwendige Arztbesuche, notwendige Versorgung schwerwiegend erkrankter Angehöriger, Ladung zu Behörden und Gerichtsterminen.“

§ 5 Unzumutbarkeit aus familiären Gründen

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te Kollision zwischen der vertraglichen Leistungspflicht und familiär begründeten Leistungshindernissen überhaupt anzuerkennen ist.13 Problematisch erscheint weiterhin, welche Kriterien als Elemente der in § 275 III BGB statuierten Interessenabwägung herangezogen werden können, insbesondere ob die Vorhersehbarkeit des Konfliktes dabei eine entscheidende Rolle spielen kann.14 Zudem ergeben sich neue Abgrenzungsfragen: Schon aus dem Bereich der Gewissenskonflikte ist das kaum zufriedenstellend lösbare Problem bekannt, inwiefern § 616 BGB mit dem neu geschaffenen § 275 III BGB harmoniert. Im Bereich familiärer Leistungshindernisse werden sich zwangsläufig andere Schlussfolgerungen ergeben als in der Fallgruppe der Gewissenskonflikte: Da § 275 III BGB nunmehr ein allgemeines Leistungsverweigerungsrecht bei familiären Leistungshindernissen statuiert, kommt § 616 BGB hier allenfalls noch in seiner „expliziten“ Funktion zur Anwendung, dem Dienstverpflichteten seinen Entgeltanspruch zu erhalten.15 Auch für kurzzeitige familiäre Leistungshindernisse bedarf es somit nicht mehr des Rückgriffs auf ein implizit in § 616 BGB mitgeregeltes Leistungsverweigerungsrecht.16 Die Rolle und Tragweite der Norm hat folglich durch die Schuldrechtsreform hier eine entscheidende Änderung erfahren. Klärungsbedürftig ist weiterhin das Verhältnis des neuen Leistungsverweigerungsrechts in § 275 III BGB zur Freistellung bei der Pflege erkrankter eigener Kinder gemäß § 45 III 1, IV SGB V.17

I. Die elterliche Sorge als Rechtspflicht von Verfassungsrang Gerade bei familienrechtlichen Pflichten könnte man meinen, es handele sich im Regelfall um sittliche, nicht aber um rechtliche Verpflichtungen.18 Die zwingende Folgefrage wäre, inwieweit eine rein sittliche Pflicht überhaupt geeignet ist, mit einer rechtlich bindenden Vertragspflicht zu kollidieren und ob durch den unterschiedlichen Charakter der Pflichten schon eine entscheidende normative Gewichtung der kollidierenden Positionen vorgenommen ist.  13

Vgl. Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (152 ff.) und unten § 5 I 2. Unten § 5 I 3 c) dd) (2.) sowie § 5 II 3. 15 Oben § 3 IV 1 c) und d). 16 So auch Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 111; Dedek, in: Henssler/v.Westphalen § 275 Rn. 33; a.A. Joussen NZA 2001, 745 (747) – insofern falsch gedeutet bei Dedek a.a.O. – und Däubler NZA 2001, 1329 (1332), nach denen § 616 BGB weiterhin eine arbeitsrechtliche Spezialvorschrift zu § 275 III BGB ist, die – so explizit Däubler a.a.O. – „unverändert weitergelten“ soll; vgl. zur Problematik ausführlich unten § 5 I 3 a) bb). 14

17 18

Vgl. unten § 5 I 3 b). So Henssler AcP 190 (1990), 538 (562).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Jedoch ist zu differenzieren: Zumindest die elterliche Sorgepflicht erscheint als eine akzentuierte Rechtspflicht von Verfassungsrang. Art. 6 II GG statuiert: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ Die Verfassung hat damit die natürlich-sittliche Elternpflicht in den Rang einer Rechtspflicht erhoben.19 Als solche kann sie zweifellos mit der Vertragspflicht in Konflikt treten und diese im Einzelfall verdrängen. Die Möglichkeit einer Kollision hängt dabei entscheidend von Reichweite und Umfang der kollidierenden Pflichten ab. Während die Leistungspflicht in ihrem Umfang durch den zugrundeliegenden Vertrag regelmäßig weitgehend geregelt wird,20 ist die Rechtsnatur und Reichweite der Elternpflicht im Wortlaut des Art. 6 II 1 GG kaum vorgegeben. Daher sind zuerst Begriff und Umfang der verfassungsrechtlich normierten Elternpflicht zu klären.

1. Begriff und Umfang der „Elternpflicht“ In seiner Normstruktur unterscheidet sich Art. 6 II 1 GG deutlich von anderen Grundrechten: Hier wird nicht nur eine Rechtsstellung gegenüber der Staatsgewalt verbürgt, sondern zugleich eine Pflichtenstellung begründet.21 Das Recht der Eltern, die eigenen Kinder zu erziehen und zu pflegen, ist durch die korrespondierende Pflicht zu Pflege und Erziehung nicht beschränkt, sondern schon in seinem originären Wesen bestimmt; somit erscheint ein übergreifender Begriff der „Elternverantwortung“ angebracht.22 Auch die plastische Umschreibung als „Pflichtrecht“23 vermag die besondere Struktur der Vorschrift deutlich zu machen. Die erzieherische Rechtsmacht wird den Eltern somit allein zum Zwecke der Pflichterfüllung verliehen.24

 19

Ähnlich Lüderitz, Familienrecht, Rn. 800. Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001) S. 147 (149) weisen richtig darauf hin, dass das Gewicht der Arbeitspflicht im konkreten Fall auch dadurch bestimmt wird, inwieweit der Arbeitgeber auf die Ausführung der Tätigkeit angewiesen ist. Dies hänge von betrieblichen Umständen, der Ersetzbarkeit des Arbeitnehmers sowie der Fehldauer ab. 21 BVerfGE 24, 119 (143), a.A. Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 193: Erst durch staatliches – legislatives – Tätigwerden werde die Pflicht der Eltern „rechtlich aktualisiert“. 22 BVerfGE 10, 59 (76 ff.); BVerfGE 68, 176 (190); BVerfG NJW 2001, 959; Jarass/Pieroth-Pieroth Art. 6 GG Rn. 31 m.w.N. 20

23 24

MünchKomm-Hinz § 1626 Rn. 6; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57 IV 2. Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (150).

§ 5 Unzumutbarkeit aus familiären Gründen

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Dieser Gedanke der Pflichtenbindung des Elternrechts ist schon früh aufgekommen,25 brauchte aber lange Zeit für die Verankerung im allgemeinen Bewusstsein und in der Rechtswirklichkeit.26 So wurde er in seinem Wesen auch von jener Auffassung noch verkannt, welche die (damalige) „elterliche Gewalt“27 als Inhaberschaft eines „sozialrechtlichen Amtes“ verstehen wollte, deren Objekt das Kind sei.28 Die Elternverantwortung ist nicht vom Staat verliehene Macht und Pflicht, sondern – dies geht schon aus dem Wortlaut von Art. 6 II 1 GG („das natürliche Recht“) hervor – primär Konsequenz der natürlichen Beziehung zwischen Eltern und Kind.29 Das Kind selbst und nicht etwa primär der Staat steht den Eltern als „Träger eines Rechtes auf pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge“30 gegenüber. Wäre die elterliche Sorge und Verantwortung den Eltern nur vom Staat verliehen, also rein derivativ zu begreifen, so könnte die Staatsgewalt den Eltern diese Stellung auch wieder entziehen. Dies widerspricht deutlich der Verbürgung in Art. 6 II 1 GG, der auch und gerade den Eltern als originären Trägern des Pflichtrechts einen Abwehranspruch gegenüber staatlichen Eingriffen einräumt.31 Die Bindung der Eltern besteht jedoch nicht allein dem Kind gegenüber. Vielmehr ist dem Staat in Art. 6 II 2 GG ein „Wächteramt“ zugewiesen, welches auch der Staatsgewalt eine Art „Pflichtrecht“ gewährt und auferlegt: Sie trifft die Pflicht, über die Ausübung der elterlichen Sorge zu wachen und zugleich das Recht, den Eltern die angemessene Wahrnehmung der elterlichen Sorge – stellvertretend für das Kind – abzuverlangen.32 Diese Rechtsstellung der Staatsgewalt wird dabei durch den Gesetzesvorbehalt des Art. 20 III GG und zusätzlich durch das Kindeswohl begrenzt.33 Insgesamt erscheint sie als eine nur sekundäre, abgeleitete Rechtsstellung, die daraus resultiert, dass auch  25 Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (148) verweisen auf eine Entscheidung Hadrians, „nach der die rechtmäßige Ausübung der väterlichen Gewalt in Pflichterfüllung [...] zu bestehen habe“. 26

Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (148). Zur historischen Entwicklung vgl. nur Lüderitz, Familienrecht, Rn. 795 f. 28 So aber Müller-Freienfels, Vertretung beim Rechtsgeschäft, S. 179 f.; Habscheid FamRZ 1957, 109 (111); ähnlich BVerfG FamRZ 1959, 416 (420); LG Tübingen FamRZ 1967, 108 (110); wie hier demgegenüber BGH NJW 1974, 1947; Hinz, Kindesschutz, S. 22 ff.; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57 IV 2 m.w.N. 27

29

Ebenso Lüderitz, Familienrecht, Rn. 800. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57 IV 2. 31 Wie hier Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001). S. 147 (151 f.). 32 Vgl. allgemein Jarass/Pieroth-Pieroth Art. 6 GG Rn. 40; nach Maunz/Dürig-Maunz Art. 6 Abs. 2 GG Rn. 25j ist die Verpflichtung der Eltern zu elterlicher Sorge als gegenüber dem Staat bestehende Verantwortung aufzufassen, sich dem Geiste des Art. 6 II GG entsprechend zu verhalten. 33 Jarass/Pieroth-Pieroth Art. 6 GG Rn. 40. 30

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

dem Staat ein sekundäres Eigeninteresse an einer angemessenen Erziehung und Aufziehung von Kindern zukommt.34 Das elterliche „Pflichtrecht“ auf ordnungsgemäße Wahrnehmung und Ausübung der elterlichen Sorge erscheint zudem auch als absolutes Recht gegenüber jedermann, Eingriffe in die Ausübung der elterlichen Sorge abzuwehren.35 Damit stellt sich die Elternverantwortung als eine umfassend gewährleistete Rechtsposition dar, die den gesamten Bereich der Pflege und Erziehung erfassen soll, also die Sorge für das körperliche Wohlbefinden, die Bildung und Ausbildung minderjähriger Kinder,36 insgesamt alle „Lebens- und Entwicklungsbedingungen des Kindes“.37 Sie gewährleistet einen Schutz des Kindes gegenüber staatlichen Eingriffen in gleicher Weise wie gegenüber einer Vernachlässigung der Pflichtstellung durch die Eltern; sie schützt in ebensolcher Weise vor Eingriffen Dritter. Das elterliche „Pflichtrecht“ ist damit als eine wertentscheidende familienrechtliche Grundsatznorm von hoher verfassungsrechtlicher Bedeutung zu begreifen.

2. Voraussetzungen einer Pflichtenkollision Vor allem ist damit offengelegt, dass sich die Wahrnehmung elterlicher Sorge auch als eine hochrangige rechtliche Pflicht darstellt. Wie die „natürliche“ innere Gewissenspflicht durch Art. 4 I GG in den Rang eines umfassend geschützten Rechtsguts erhoben wird, implementiert Art. 6 II 1 GG die „natürliche“, sittliche Elternpflicht der Rechtsordnung als hochrangige Rechtspflicht.38 Mit dieser Feststellung sind jedoch noch nicht die Voraussetzungen einer Kollision zwischen der verfassungsrechtlichen Rechtspflicht zur elterlichen Sorge und der vertraglichen Leistungspflicht erörtert. Klärungsbedürftig bleibt, ob jegliche mit der Arbeitspflicht konfligierende Ausübung der elterlichen Sorge ohne weiteres zu ideeller Unzumutbarkeit führt und ein Leistungsverweigerungsrecht begründen kann. Ähnlich der Konstellation bei Gewissenskonflikten stellt sich somit die Frage nach denkbaren Eingrenzungen der elterlichen Pflichtenstellung.39  34

Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001). S. 147 (151). RGZ 141, 319 (320); BGHZ 111, 168; Lüderitz, Familienrecht, Rn. 808. 36 Jarass/Pieroth-Pieroth Art. 6 GG Rn. 32. 37 HbStR-Zacher VI § 134 Rn. 65 38 Lüderitz, Familienrecht, Rn. 800. 39 Vgl. zu Gewissenskonflikten oben § 3 II 2 b) und c). 35

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a) Das Rangverhältnis von Arbeits- und Elternpflicht aa) Gleichrangigkeit der Rechtsgüter als Voraussetzung der Kollision Teilweise wird – gerade im strafrechtlichen Kontext – die Unterscheidung zwischen „echten“ und „scheinbaren“ Pflichtenkollisionen vorgeschlagen.40 Um eine echte Pflichtenkollision handele es sich nur, wenn konkret gleichwertige Handlungspflichten miteinander kollidieren; ist ein Rangverhältnis zwischen zwei Pflichten festzustellen, sei die Kollision nur eine scheinbare, da in diesem Fall die rangniedere Pflicht gegenüber der höherrangigen zurücktrete.41 Der Rang einer Pflicht wird dabei nach dem Wert der betroffenen Rechtsgüter bestimmt. Ist also – auf den zivilrechtlichen Kontext gewendet – das Leben oder die Gesundheit des zu pflegenden Kindes bedroht, müsste sich die Pflicht zur Wahrnehmung elterlicher Sorge in Anbetracht des hohen Verfassungsranges dieser Rechtsgüter gegenüber seiner Arbeitspflicht in jedem Fall durchsetzen, so dass es zu keiner echten Pflichtenkollision kommen könnte. Die Auffassung verkennt jedoch zweierlei: Hanau und Strick42 wenden zutreffend ein, dass es für den Betroffenen angesichts der zeitlich oftmals drängenden Entscheidung, eine Pflicht zugunsten der anderen zu vernachlässigen, und selbst für einen objektiven Betrachter meist kaum möglich sein wird, den Rang der betroffenen Rechtsgüter genau zu bestimmen. Vor allem der Schaden des Kindes, der – etwa wenn es in hilfsbedürftiger Situation allein gelassen wird – auch psychischer Natur sein kann, lässt sich nicht konkret ermitteln oder ermessen. Zum anderen ist in den Blick zu nehmen, dass nicht nur eine Rangfolge zwischen Rechtsgütern, sondern auch zwischen Pflichtenstellungen festgestellt werden kann. Der Gesetzgeber kann durch Rechtssetzungsakt normativ der einen Pflichtenstellung einen höheren Rang zuweisen als der anderen. So ist eine schon verfassungsrechtlich begründete und in ihrer Wahrnehmung geschützte Pflicht sicher höher zu gewichten als eine nur einfachrechtlich begründete und geschützte Pflicht. Die „Wertigkeit“ der konfligierenden Pflichtenstellungen hängt folglich nicht allein von dem Rang der betroffenen Rechtsgüter, sondern auch und vor allem von dem normativ zugewiesenen Rang der Pflichtenstellungen ab. Insgesamt erscheint die Gewichtung und Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern und Pflichten weniger als Frage des Vorliegens einer Kollisi 40

Otto, Pflichtenkollision und Rechtswidrigkeitsurteil, S. 46. Otto, Pflichtenkollision und Rechtswidrigkeitsurteil, S. 46. 42 Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (154). 41

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

on: Eine solche wird nämlich schon dann anzunehmen sein, wenn zwei Pflichten – gleich welchen Ranges – dieselbe Person treffen und diese nur einer Pflicht auf Kosten der anderen Genüge tun kann. Die Abwägung und Gewichtung der Pflichten und Rechtsgüter erscheint vielmehr als Element der Lösung der festgestellten Kollision, also der Frage, welcher der beiden Pflichten der Vorrang gegenüber der anderen einzuräumen ist.

bb) Die Normenhierarchie als Aspekt der Konfliktklösung Was jedoch an der dargestellten Sichtweise überzeugt, ist das Ergebnis: Die höherrangige Pflicht muss sich gegenüber der rangniederen Pflicht durchsetzen. Dabei wird man – unter Weiterführung der für die Leistungsverweigerung aus Glaubens- und Gewissensgründen entwickelten Gedanken – feststellen können, dass eine nur einfachrechtlich gewährleistete Vertragspflicht regelmäßig gegenüber der schon verfassungsrechtlich fundierten Elternpflicht zurücktreten muss.43 Grund für diese Annahme ist der hohe verfassungsrechtliche Rang der Elternpflicht, mit der zum einen eine Rechts- und Pflichtenstellung gegenüber dem Kind, zum anderen auch dem Staat gegenüber eine absolute Verpflichtung der Eltern begründet ist. Schon die bekannte Hierarchie zwischen verfassungsund einfachrechtlichen Normen erfordert hier, dass sich die verfassungsrechtliche Pflicht im Regelfall durchsetzt.44 Dadurch wird zwar nicht die Pflichtenkollision eliminiert,45 wohl aber mit Blick auf die verfassungsrechtliche Wertentscheidung in Art. 6 II 1 GG die Lösung der Pflichtenkollision zugunsten der Elternpflicht entschieden. Die Leistungsverweigerung ist zwar – sofern man nur die arbeitsvertragliche Leistungspflicht isoliert betrachtet – pflichtwidrig, nicht aber rechtswidrig, denn die Rechtsordnung gebietet gerade die Leistungsverweigerung.46 Eine andere Sichtweise, also eine Entscheidung zugunsten der Vertragspflicht, wird nur dann zulässig sein, wenn diese den einfachrechtlichen Rahmen für die Entfaltung und Bewahrung anderer Rechtsgüter von Verfassungsrang darstellt. Dies ist etwa dann der Fall, wenn durch die Leistungsverweigerung materielle Güter von erheblichem Wert in ihrem Bestand gefährdet sind oder von der Erfüllung der Arbeitspflicht Leben und Gesundheit anderer Menschen  43 Im Ergebnis ähnlich Herschel Anm. zu BAG AP § 616 BGB Nr. 48; Söllner ArbuR 1985, 323 (324); Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (154). 44

Zur Normenhierarchie allgemein Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 12, 14. So aber wohl Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (155). 46 Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (156 f.). 45

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abhängen.47 Als Beispiel mag der Chirurg dienen, der allein imstande ist, eine für den Patienten unmittelbar lebenswichtige Notoperation auszuführen und die Leistungserbringung wegen der Pflege seines leicht erkälteten Kindes verweigert. Hier stehen hinter der Arbeitspflicht höherrangige Verfassungsgüter, denen in einer Abwägung erhebliches Gewicht zukommen muss.48 Auch an dieser Stelle ist also – wie schon bei der Leistungsverweigerung aus Glaubens- und Gewissensgründen – eine Interessenabwägung im Sinne praktischer Konkordanz geboten. Demnach ist zunächst ein schonender Ausgleich der widerstreitenden Positionen zu suchen; kommt ein solcher nicht in Betracht, muss einer der betroffenen Positionen Vorrang eingeräumt werden.49 Angesichts des verfassungsrechtlichen Ranges der Elternpflicht wird diese im Regelfall zugunsten der Elternpflicht ausfallen, soweit diese betroffen ist50 und sofern nicht konkret höherrangige Verfassungsgüter durch die Leistungsverweigerung beeinträchtigt werden.

b) Vermeidung der Pflichtenkollision durch Übertragung der Sorgepflicht? Henssler51 hat vertreten, allein die Tatsache, dass die elterliche Personensorge nicht höchstpersönlich ausgeübt werden müsse, sondern vielmehr auf Dritte übertragbar sei, zeige, dass hier keine rechtliche, sondern allenfalls eine sittliche Verpflichtung zur persönlichen Ausübung der elterlichen Sorge bestehe. Zur Kollision von Arbeits- und Elternpflicht könne es daher faktisch gar nicht kommen, weil „eine höherrangige Rechtspflicht gegenüber den pflegebedürftigen Kindern“ nicht bestehe. Da die Ausübung der elterlichen Sorge anders als die Arbeitspflicht ohne weiteres auf Dritte übertragbar sei, könne bei der Entscheidung zugunsten der elterlichen Sorge nicht auf eine familienrechtliche Verpflichtung zur persönlichen Ausübung der elterlichen Sorge rekurriert werden, da eine solche mit der höchstpersönlichen Arbeitspflicht konfligierende Pflicht gar nicht existiere. Henssler verneint also das Bestehen einer Pflichtenkollision zwischen Arbeits- und Elternpflicht und möchte dem Arbeitnehmer stattdessen im Konflikt zwischen Arbeitspflicht und familiären Erfordernissen  47

Im Ergebnis ähnlich Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (155). Ausführlich unten § 9 III 2 b); zur Frage, inwieweit auch Rechtsgüter Dritter in die Interessenabwägung einbezogen werden müssen, unten § 9 III 4. 48

49 Vgl. BVerfGE 35, 202 (225); BVerfGE 59, 231 (261 ff.); BVerfGE 67, 213 (228); v.Münch/Kunig-v.Münch Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 47; AK-GG-Denninger Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 46; Stern, Staatsrecht III/2, § 82 III 3 c). 50 51

Vgl. zu Einschränkungen sogleich unten § 5 I 2 b) und c). Henssler AcP 190 (1990), 538 (562 f.).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

ein Leistungsverweigerungsrecht aufgrund des allgemeinen Gedankens der Unzumutbarkeit gewähren, der hier durch Art. 6 GG konkretisiert sei.52 Der Gedanke Hensslers hat einen unabweisbaren Vorteil: Er kann die Elternpflicht und sonstige familiäre Leistungshindernisse im Konflikt mit der Arbeitspflicht einer einheitlichen Lösung zuführen und diese Lösung einheitlich mit dem bloßen Verweis auf das Vorliegen von „Unzumutbarkeit“ begründen. Er erspart sich somit die hier vorgenommene Differenzierung zwischen Elternpflicht und sonstigen familiären Pflichten.53 Für seinen Ansatz spricht folglich die praktisch einfache Behandlung aller familiär begründeten Leistungshindernisse. Die Einheitlichkeit des Lösungsansatzes hat jedoch einen hohen Preis: Sie ebnet die in Art. 6 GG angelegten Differenzierungen ein Stück weit ein und kann auch nur aus diesem Grund für sämtliche familiären Leistungshindernisse pauschal auf „Art. 6 GG“ verweisen.54 Dass zwischen der Ausübung der elterlichen Sorge und sonstigen familiären Ereignissen – wie etwa Sterbefällen im Familienkreis oder der Hochzeit des Arbeitnehmers – schon von Verfassungs wegen deutlich zu differenzieren ist, da die elterliche Sorge eine eigenständige und herausgehobene Verankerung in Art. 6 II GG gefunden hat, während sonstige familiär begründete Leistungshindernisse allenfalls durch Art. 6 I GG verfassungsrechtlich sanktioniert werden, verkennt diese Lösung. Der Ansatz wird auch inhaltlich dem differenzierten Erscheinungsbild von Konstellationen der elterlichen Sorge nicht gerecht: Es existieren durchaus Fälle, in denen die Übertragung auf Dritte allein zeitlich nicht möglich ist. Als Beispiel möge nur der Arbeitnehmer dienen, der kurze Zeit vor seiner morgendlichen Fahrt zur Arbeit feststellen muss, dass sein Kind – anders als noch am vorangegangenen Abend – schwere Krankheitssyptome aufweist und dringend zum Arzt gebracht werden muss. Hier kann allein aufgrund der geringen verbleibenden Zeit keine andere Betreuung gefunden werden. Anders gelagert, im Ergebnis aber wohl noch plastischer ist der Fall, dass zeitlich zwar eine anderweitige Betreuung möglich und vielleicht sogar vorhanden ist, das Kind jedoch aus psychischen Gründen der Betreuung gerade durch die Eltern bedarf.55 Wenn ein kleines Kind sich einer schweren Operation unterziehen muss, so wird man – trotz physisch ausreichender Versorgung im Krankenhaus – annehmen können, dass es aus psychischen Gründen auf eine länger andauernde persönliche Betreuung durch die Eltern dringend angewie-

 52

Henssler AcP 190 (1990), 538 (563). Vgl. zu sonstigen familiären Pflichten unten § 5 II. 54 Henssler AcP 190 (1990), 538 (563). 55 BAG AP § 63 HGB Nr. 35; Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (158 f.). 53

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sen ist.56 Um hier eine praktisch handhabbare Grenzziehung zu ermöglichen, bietet sich ein Rückgriff auf die in § 45 I SGB V angelegte Wertung an; demnach kommt als Altersgrenze für die aus psychischen Gründen erforderliche persönliche Pflege durch die Eltern das Kindesalter von zwölf Jahren in Betracht.57 Jedoch verbieten sich auch an dieser Stelle schematische Lösungen. Vielmehr müssen entscheidend der psychische Entwicklungsstand des Kindes, die Schwere der Erkrankung und sonstige Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden, so etwa die Bindung des Kindes zu anderen Personen, welche die Personensorge ausüben könnten.58 Wie schon Hanau und Strick59 richtig dargestellt haben, kommt daneben ein weiterer Einwand ins Spiel: Auch dann, wenn die soeben aufgeführten Sonderkonstellationen nicht vorliegen, darf dem Dienstverpflichteten keinesfalls die Pflicht aufgebürdet werden, um jeden Preis die Personensorge zur Abwendung der Kollision auf Dritte zu übertragen. Wenn etwa der Nachbar der betroffenen Eltern bereit ist, die Personensorge für einen Tag gegen eine Vergütung von 1000 € auszuüben, so wäre nach Hensslers Konzeption das Bestehen einer Pflichtenkollision wegen faktischer Übertragbarkeit der Personensorge abzulehnen. Ein Elternteil, der dennoch die Arbeit verweigern würde, müsste sich dem Vorwurf rechtswidrigen Handelns aussetzen. Ihm könnte – mit Henssler – allenfalls über den Gedanken allgemeiner Unzumutbarkeit geholfen werden, wobei die Frage nach der Begründung und dogmatischen Fundierung dieser Spielart von Unzumutbarkeit vollkommen offen bliebe. Richtiger dürfte es demgegenüber sein, bei erforderlicher Betreuung des Kindes eine Kollision von Arbeits- und Elternpflicht immer dann anzunehmen, wenn entweder die gesundheitliche Verfassung des Kindes die persönliche Betreuung durch die Eltern erfordert oder aber aus zeitlichen oder wirtschaftlichen Gründen die Übertragung der Personensorge auf einen Dritten faktisch ausgeschlossen erscheint.  56 Vgl. insbes. BAG AP § 616 BGB Nr. 48: „Gerade zu Beginn einer Erkrankung ist eine Betreuung und Pflege durch Dritte, zu denen das Kind bisher keine Beziehung hatte, nicht sachgemäß.“; ähnlich BAG AP § 63 HGB Nr. 35. Speziell für die Fälle lebensbedrohlicher Krankheiten weist eindringlich Herschel Anm. zu BAG AP § 616 BGB Nr. 48 auf die Notwendigkeit elterlicher Pflege hin. Dem Elternteil in einem solchen Fall die Freistellung zu verweigern, könne „geradezu inhuman“ sein. 57 Diese Lösung wurde für die entsprechende Problematik im Rahmen des § 616 BGB entwickelt; vgl. Staudinger-Oetker § 616 Rn. 58; zur Regelungsintention der Altersgrenze in § 45 I SGB V vgl. Erasmy NZA 1992, 921; Ammermüller DB 1974, 187. 58 Ebenso wie aus psychischen Gründen eine persönliche Betreuung durch die Eltern notwendig werden kann, kann dies auch aus (sonstigen) medizinischen Gründen der Fall sein; vgl. zu dieser Konstellation LAG Köln LAGE § 612a BGB Nr. 5 = MDR 1994, 1020 f. 59 Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (157).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Zu keiner Pflichtenkollision kommt es hingegen in den verbreiteten Fällen, in denen ein Dritter ohne weiteres bereit und fähig ist, die Personensorge auszuüben, hierfür keine unzumutbaren wirtschaftlichen Opfer der Eltern erforderlich sind60 und das Kindeswohl keine persönliche Betreuung durch die Eltern erfordert. In diesen Fällen sind – mangels „echter“ Kollision von Arbeits- und Elternpflicht – die Eltern zur Annahme angebotener Hilfe verpflichtet; die Arbeitspflicht bleibt in vollem Umfang erhalten. Ebenso richtig ist es jedoch, dass die Eltern keinesfalls ihr gesamtes Verhalten darauf abzustimmen haben, dass im Konfliktfall derartige Hilfe vorhanden ist; der Aufbau eines privaten Bekanntenkreises ist die ureigenste Sache der Betroffenen.61 Gleichfalls verfehlt ist es, eine Pflicht des einen Elternteils anzunehmen, auf den anderen Elternteil einzuwirken, seine Berufstätigkeit zur Vermeidung von Pflichtenkollisionen zeitweilig aufzugeben.62

c) Vermeidung der Pflichtenkollision durch wirtschaftliche Anstrengungen Schon angeklungen ist die Frage, inwieweit es – sofern das Kindeswohl dies zulässt – möglich ist, dem Schuldner wirtschaftliche Anstrengungen zur Abwendung der Pflichtenkollision aufzubürden, ihm also abzuverlangen, gegen Entgelt eine Pflegekraft zu beschäftigen. Verallgemeinern lässt sich die Frage dahingehend, inwieweit es dem Schuldner zuzumuten ist, wirtschaftliche Opfer zur Erhaltung und Herstellung seiner Leistungsfähigkeit zu erbringen. Anders gesagt: Die Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen verschmilzt an dieser Stelle ein Stück weit mit der Unzumutbarkeit aus materiell-wirtschaftlichen Gründen.63 Das Maß der zur Abwendung einer ideellen Pflichtenkollision zumutbaren materiellen Anstrengungen wird dabei entscheidend durch den Vertrag bestimmt. Hanau und Strick64 stellen auf den Sorgfaltsmaßstab des § 276 II BGB ab und wollen das Maß der zumutbaren Anstrengungen nach der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“ festlegen. Dies dürfte man dahingehend konkretisieren können, dass die nach dem Vertrag erforderliche, privatautonom vereinbarte  60 Zum Maßstab der Zumutbarkeit wirtschaftlicher Anstrengungen in diesem Zusammenhang vgl. sogleich unten § 5 I 2 c). 61

Ebenso Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (164). So jedoch BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29; zu Recht kritisch die Anmerkungen von v.Stebut SAE 1993, 150 (153) und Trümner ArbuR 1993, 155 f. 62

63 64

Zur Unterscheidung vgl. ausführlich oben § 2 III 2. Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (161).

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Sorgfalt als Maßstab der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“ heranzuziehen ist.65 Der Grund für diese Feststellung liegt letztlich darin, dass die materiellen Aspekte der Vertragsabwicklung beim Vertragsschluss eine deutlich stärkere Berücksichtigung erfahren als eventuelle ideelle Hindernisse, die daher in aller Regel außervertraglich einer Lösung zugeführt werden müssen. Auch spielen im rein materiellen Bereich wertende Vorgaben des höherrangigen Rechts weit weniger eine Rolle als bei ideellen Leistungshindernissen. Die Regelung materieller Anstrengungen ist daher in weitergehendem Maße der privatautonomen Vereinbarung zugänglich als die Lösung ideeller Rechtsgüter- und Pflichtenkollisionen, die oft genug durch Wertentscheidungen von Verfassungsrang vorgeprägt wird.

aa) Abgrenzung nach Vertragstypen Bei der Frage nach dem Maß der zumutbaren Anstrengungen wird somit eine erste Abgrenzung durch den Gesamtcharakter des Vertrages getroffen. In einem Werkvertrag muss der Werkunternehmer zur Erhaltung seiner Leistungsfähigkeit und damit zur vertragsgemäßen Herstellung des Werkes regelmäßig alle nur erdenklichen wirtschaftlichen Anstrengungen bis zur Grenze eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage tragen.66 Der Vertrag ist erfolgsbezogen, das personale Element bei der Vertragserfüllung im Regelfall weniger ausgeprägt. Der Konflikt zwischen Leistungs- und Elternpflicht wird aufgrund der größeren sozialen Unabhängigkeit des Werkunternehmers von seinem Vertragspartner weit seltener zu Tage treten als etwa im Arbeitsvertrag. Daher ist die Abwendung dieses Konfliktes in weitem Umfang dem – wirtschaftlichen – Risikobereich des Werkunternehmers zugewiesen. Sollte der Konflikt dennoch auftreten, so verlangt seine Lösung zugunsten der Vertragspflicht dem Werkunternehmer maximale materielle Anstrengungen ab. Dies entspricht der für den Werkvertrag vertragstypischen Leistungsgarantie, die der Werkunternehmer übernommen hat.67 Die vertraglich vereinbarte Risikotragung wird somit beim Werkvertrag – abweichend von dem Maßstab des § 276 I 1 Halbs. 1 BGB – zu  65

Vgl. Huber, Festschrift Huber (1973), S. 253 (281). Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (159) sprechen von wirtschaftlicher Unmöglichkeit. Richtig dürfte demgegenüber die Heranziehung der Grundsätze der Geschäftsgrundlagen-Lehre sein; die Kategorie der wirtschaftlichen Unmöglichkeit erscheint durch die Rechtsentwicklung überholt. 66

67

Vgl. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 175, allgemein auch PalandtSprau63 Einf. vor § 631 Rn. 1 m.w.N.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

einer Garantiehaftung für die Herstellung des Werkes verschärft, § 276 I 1 Halbs. 2 BGB;68 dem Werkunternehmer ist auch eine gravierende wirtschaftliche Anstrengung zur Abwendung einer ideellen Rechtsgüter- oder Pflichtenkollision zumutbar. Eine Grenze dürfte lediglich im Wegfall der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB, zu finden sein.69 Eine schematische Behandlung verbietet sich freilich auch hier: Abweichend vom idealtypischen Werkvertrag kann es ohne weiteres Fallgestaltungen geben, in denen sich der Werkvertrag durch eine persönliche Leistungspflicht auszeichnet, wenn etwa die Leistung infolge spezieller Fähigkeiten oder Kenntnisse nur von dem Werkunternehmer in Person erbracht werden kann.70 In diesem Fall ist ein dem Dienstverhältnis ähnlicher personaler Bezug auch im Werkvertragsrecht vorhanden, so dass sich – angesichts der schon beim Vertragsschluss absehbar gesteigerten ideellen Risiken – die materielle Risikoverteilung bei der Abwendung ideeller Leistungshindernisse dem Dienstvertrag annähert. Im idealtypischen Dienstvertrag mit persönlicher Leistungspflicht schließlich wird kein Erfolg, sondern lediglich ein bloßes Bemühen um die Herbeiführung des Leistungserfolges geschuldet.71 Zugleich ist aufgrund des höchstpersönlichen Charakters der Dienstleistung, § 613 S. 1 BGB, die personale Einbindung des Dienstverpflichteten in seine Leistungspflichten regelmäßig ungleich stärker als im Normalfall des Werkvertrages.72 Die Vertragsparteien werden daher schon beim Vertragsschluss davon ausgehen können, dass allein aufgrund der personalen Struktur des Dienstverhältnisses ideelle Leistungshindernisse, insbesondere Kollisionen von Arbeits- und Elternpflicht, in stärkerem Maße auftreten können als im weniger personal geprägten Werkvertrag. Dies dürfte unabhängig von der Frage der Fall sein, ob der Dienstberechtigte Kenntnis von der Elternschaft des Dienstverpflichteten hat.73 Hier kommt es allein auf die Kenntnis des Vertragstypus, der persönlichen Leistungspflicht und der daraus resultierenden stärkeren Anfälligkeit des Vertrages für ideelle Leistungshinder 68

Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 175. Vgl. allgemein Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 174 ff. 70 Vgl. Neumann/Duesberg BB 1970, 1462. 71 Vgl. Preis, Individualarbeitsrecht, S. 261 f. 72 Vgl. Wiese ZfA 1996, 439. 73 Daher kann es auch auf die Frage des Verschweigens der Elternschaft in Vertragsverhandlungen nicht ankommen. Die faktische Benachteiligung von Eltern, welche Konsequenz der Zulässigkeit einer Frage nach der Elternschaft oder gar einer diesbezüglichen Offenbarungspflicht wäre, ist mit dem besonderen Schutz, den Art. 6 I GG der Familie angedeihen lässt, unvereinbar. Vgl. zum Gesamtkomplex unzulässiger Fragen in (Dienst-)Vertragsverhandlungen BAG AP § 123 BGB Nr. 40; ErfK-Preis4 § 611 BGB Rn. 330 ff.; Buchner NZA 1991, 577 (578); Däubler CR 1994, 101 (104); Wohlgemuth ArbuR 1992, 46 (49); zu Folgerungen für die hier diskutierte Problematik Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (163). 69

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nisse an. Dem Dienstberechtigten wird also in höherem Maße das materielle Folgerisiko ideeller Leistungshindernisse zugewiesen als dem Besteller im Werkvertrag. Der Dienstverpflichtete übernimmt regelmäßig nur ein begrenztes Risiko, ideelle Leistungshindernisse durch materielle Aufwendungen abzuwenden.74 Am stärksten ausgeprägt ist die personale Gebundenheit des Schuldners im Arbeitsvertrag.75 Hier trifft den Arbeitnehmer (im idealtypischen Vollzeitarbeitsverhältnis) die Vertragspflicht, praktisch seine gesamte Arbeitsleistung in einem erheblichen zeitlichen Umfang dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen und sich in Person um einen Leistungserfolg zu bemühen.76 Nach Ablauf der vereinbarten Erfüllungszeit ist die Möglichkeit der Leistung infolge des absoluten Fixschuldcharakters in der Regel erloschen; die Nachholung der versäumten Arbeitsleistung scheidet meist aus.77 Damit ergibt sich eine deutlich striktere zeitliche Bindung als im freien Dienstvertrag oder gar im Werkvertrag: Der Arbeitnehmer kann aufgrund der fortlaufenden Dienstverpflichtung und starken zeitlichen Inanspruchnahme über die Lage seiner Arbeitszeit und die Harmonisierung mit familiären Pflichten kaum disponieren. Daher ist schon beim Vertragsschluss die besondere Anfälligkeit von Arbeitsverhältnissen für ideell motivierte Leistungshindernisse absehbar und fließt stark in die Risikokalkulation der Vertragspartner ein. In den Blick zu nehmen ist schließlich die besondere soziale Funktion des Arbeitsvertrages: Der Arbeitnehmer ist im Regelfall in vollem Umfang auf das Arbeitsentgelt zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes angewiesen. Aus einer Gesamtschau dieser Gesichtspunkte ergibt sich also, dass gerade im Arbeitsvertrag die materielle Risikoverteilung bei der Abwendung ideeller Leistungshindernisse tendenziell zulasten des Arbeitgebers gehen muss. Dem Arbeitnehmer sind hier im Grundsatz nur geringe materielle Anstrengungen zur Abwendung solcher Leistungshindernisse zuzumuten.

 74 Diese Sichtweise findet einen gesetzlichen Ansatzpunkt insbes. in § 616 BGB, der bei ideellen Leistungshindernissen sogar das funktionelle Synallagma durchbricht. Hier kommt zum Ausdruck, dass beim Dienstvertrag der Schuldner in weitem Umfang von materiellen Verlustrisiken freigestellt werden soll. Die Motivation dieser Regelung liegt in den besonderen sozialen Implikationen des Dienstvertrages; vgl. Larenz/Wolf, BGB AT, § 2 Rn. 75 ff.; zur Regelungsintention von § 616 BGB insbes. auch Staudinger-Oetker § 616 Rn. 9 ff. 75 Teilweise wurde in der Vergangenheit das Arbeitsverhältnis daher nicht als „gewöhnliches“ Austauschverhältnis, sondern als „personenrechtliches Treueverhältnis“ eingeordnet; vgl. zum Ganzen Farthmann RdA 1960, 5 ff. Die Einordnung wird heute zu Recht als verfehlt angesehen, zu betonen ist dennoch ein starkes personales Element, ein „personaler Einschlag“, vgl. Preis, Individualarbeitsrecht, S. 32 f. 76 77

LAG Düsseldorf NJW 1967, 2177. Vgl. statt aller Preis/Hamacher Jura 1998, 11 (13); Söllner AcP 167 (1967), 132 (139).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

bb) Vertragliche Risikoverteilung Letztlich stellt das erörterte Kriterium des Vertragstyps jedoch nur eine typisierte, normative Ausgestaltung für die in dem jeweiligen Vertrag geregelte Risikoverteilung dar. Ausschlaggebend muss daher immer eine Gesamtschau auf die Risikoverteilung sein, die in der konkreten Vertragsgestaltung den Vertragspartnern ein bestimmtes Maß wirtschaftlicher Anstrengungen zur Abwendung von Leistungshindernissen zuweist.78 Diese Verteilung des Vertragsrisikos schlägt sich vor allem auch in dem vereinbarten Entgelt nieder, das meist der übertragenen wirtschaftlichen Verantwortung korreliert. So wird man einem Vorstandsvorsitzenden mit einem Jahreseinkommen von 1 Mio. € weit höhere wirtschaftliche Anstrengungen bei der Abwendung ideeller Leistungshindernisse zumuten können als einem Hilfsarbeiter mit einem Jahreseinkommen von 10.000 €.79 Damit korrespondieren regelmäßig die wirtschaftlichen Interessen des Gläubigers an der Leistungserbringung, die ihrerseits mit den wirtschaftlichen Risiken des Vertragspartners bei Nichterbringung der vereinbarten Leistung in untrennbarem Zusammenhang stehen. Es kommt also entscheidend darauf an, welche Funktion der Dienstverpflichtete für den Dienstberechtigten ausübt, wie schnell er in seiner Funktion ersetzt werden kann,80 wie groß der zu erwartende Schaden des Dienstberechtigten durch den Ausfall ist81 und – entscheidend – inwieweit diese Risikofaktoren in der Vertragsgestaltung Niederschlag gefunden haben. Nur wenn sich die besondere Verantwortung des Dienstverpflichteten für den Betriebsablauf, für Vermögens- und andere Rechtsgüter des Dienstberechtigten in der konkreten Vertrags- und Entgeltgestaltung niedergeschlagen hat, kann eine Verlagerung des materiellen Abwendungsrisikos ideeller Leistungsstörungen auf den Schuldner angenommen werden.82

 78

Im Rahmen der – verwandten – Lehre von der Geschäftsgrundlage, also im Bereich der wirtschaftlich-materiellen Unzumutbarkeit, ist das Kriterium der vertraglichen Risikoverteilung ein anerkanntes, zentrales Kriterium für das Maß der noch zumutbaren Leistungserschwerung, vgl. Soergel-Teichmann § 242 Rn. 223 ff.; MünchKomm-Roth § 242 Rn. 610. 79

Auf den Aspekt verweisen auch Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (164). Vgl. BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29. 81 Insgesamt zu den genannten Kriterien ähnlich Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (163). 80

82

Ähnlich schon Herschel Anm. zu BAG AP § 616 BGB Nr. 51; Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (164).

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d) Zwischenergebnis Es lässt sich festhalten, dass die Kollision zwischen Vertrags- und Elternpflicht immer dann entsteht, wenn schon der Charakter der elterlichen Sorge es gebietet, dass die Personensorge durch die Eltern persönlich ausgeübt wird. In diesen Fällen wandelt sich die Pflicht zur Personensorge zu einer höchstpersönlichen Pflicht von Verfassungsrang. Ebenso verhält es sich, wenn die Personensorge zwar übertragen werden könnte, hierfür jedoch wirtschaftliche Opfer vonnöten wären, die aufgrund der vertraglich vorgenommenen Risikoverteilung nicht geschuldet werden. Zur Bestimmung des Ausmaßes zumutbarer wirtschaftlicher Anstrengungen ist eine umfassende Interessenabwägung mit Blick auf die Vertragsgestaltung vorzunehmen; heranzuziehen ist der Gesamtcharakter des Vertrages, die übernommene Verantwortung des Leistungsverpflichteten für Vermögens- und sonstige Rechtsgüter des Gläubigers und insbesondere auch die Höhe des vereinbarten Entgelts. Ausschließlich in den dargestellten Fällen der Nichtübertragbarkeit kommt es zu einer lösungsbedürftigen Kollision zwischen Arbeits- und Elternpflicht. Den dargestellten verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen muss für die einfachrechtlichen Lösungsmodelle dieser Kollision eine prägende Bedeutung zukommen.

3. Rechtliche Folgerungen zur Lösung der Problematik nach altem und neuem Recht Die Kollision von Vertrags- und Elternpflicht verlangt nach einer praktisch handhabbaren Lösung im einfachen Recht. Durch die Verfassung wird dabei vorgegeben, dass im Grundsatz der verfassungsrechtlich geschützten und geforderten Erfüllung der Elternpflicht der Vorrang vor der nur einfachrechtlichen Vertragspflicht einzuräumen ist. Dies ergibt sich schon mit Blick auf die Normenhierarchie zwischen Verfassungsnormen und Normen des einfachen Rechts.83 Anderes kann nur gelten, wenn die Vertragspflicht den einfachrechtlichen Rahmen für die Entfaltung und Bewahrung anderer Güter von Verfassungsrang darstellt. In diesen Fällen sind die beiden konfligierenden Verfassungspositionen nach den Regeln der praktischen Konkordanz zu harmonisieren.84  83

Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 12, 14. Vgl. unten § 9 III 3 b); zur Parallelproblematik bei Gewissenskonflikten vgl. oben § 3 II 2 b) bb) und c) bb) (1.) (a). Allgemein zum Begriff praktischer Konkordanz in diesem Kontext Meyer, Grundzüge, S. 102 m.w.N.; vgl. auch LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissens84

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Wie jedoch finden diese verfassungsrechtlichen Vorgaben Niederschlag in den Normen des einfachen Rechts? Mit § 275 III BGB hat der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes eine allgemeine Kodifizierung der Problematik geschaffen. Mit Hilfe dieses neuen Leistungsstörungs-Tatbestandes sollen insbesondere auch familiäre Leistungshindernisse einer Lösung zugeführt werden können.85 Schon vor der Reform nicht abschließend geklärt war freilich die systematische Einbindung der Sonderregelungen in § 616 BGB sowie § 45 III 1, IV SGB V.86 Die Problematik besteht auch nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes unvermindert fort. Ebenfalls bleibt zu untersuchen, durch welche Aspekte der sehr offen und unbestimmt formulierte Tatbestand des § 275 III BGB im Bereich familiärer Leistungshindernisse auszufüllen ist. Hierfür wird ein Blick auf den Meinungsstand vor Inkrafttreten der Gesetzesnovelle nötig sein, den der Gesetzgeber ausdrücklich zur Grundlage der Neuregelung gemacht hat.87

a) § 616 BGB als Sonderregelung für kurzzeitige Pflichtenkollisionen in Dienstverhältnissen In den allermeisten Fällen dürfte infolge der Kollision von Arbeits- und Elternpflicht lediglich eine kurzzeitige, „verhältnismäßig nicht erhebliche“ Hinderung der Arbeitsleistung vorliegen.88 Dies ist vielfach schon durch die Struktur der Kollision bedingt: Ein Gang zum Arzt oder die Pflege des erkrankten Kindes nimmt in der Regel nur kurze Zeit in Anspruch. In diesen Fällen war jedenfalls vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes unmittelbar aus § 616 BGB der Rechtsgedanke abzuleiten, dass dem Dienstverpflichteten ein Leistungsverweigerungsrecht zukommen sollte.89 Zugleich trifft § 616  freiheit Nr. 2; Bydlinski SAE 1991, 6 (7); Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; Böckenförde NJW 2001, 723 (724); Muckel NJW 2000, 689 (691); kritisch Rüfner RdA 1992, 1 (3). 85

Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte: „notwendige Versorgung schwerwiegend erkrankter Angehöriger“. 86 Zu § 45 III SGB V vgl. unten § 5 I 3 b) sowie LAG Köln LAGE § 612a BGB Nr. 5 = MDR 1994, 1020. 87 BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte nimmt Bezug auf BAG AP § 123 BGB Nr. 23; kritisch dazu Richardi NZA 2002, 1004 (1005). 88 Insoweit kann man durchaus – mit dem BAG – von einem „Massentatbestand“ sprechen; so BAG AP § 63 HGB Nr. 63; vgl. auch BAG AP § 616 BGB Nr. 48, 49, 50, 51. 89

Ein solches wird in § 616 BGB „implizit vorausgesetzt“; § 616 BGB enthält also einen entsprechenden Rechtsgedanken, vgl. Henssler AcP 190 (1990), 538 (563); ähnlich Canaris

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BGB explizit die Entscheidung, dass in solchen Fällen kurzzeitiger Leistungshinderung dem Dienstverpflichteten sein Entgeltanspruch erhalten bleibt. § 616 BGB kam damit zumindest bis zum Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes eine Doppelfunktion zu, die in der Literatur mitunter verkannt,90 seitens der Rechtspraxis jedoch überwiegend zutreffend zur Entfaltung gebracht wurde, indem in Fällen von § 616 BGB auch das Schicksal des primären Leistungsanspruchs unmittelbar unter Rekurs auf § 616 BGB gelöst wurde.91

aa) Die explizite Funktion des § 616 BGB In jedem Fall bleibt § 616 BGB bleibt auch nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes in seiner „expliziten“ Funktion für Fälle kurzzeitiger Kollisionen in Dienstverhältnissen einschlägig und erhält dem Dienstverpflichteten in diesen Fällen seinen Entgeltanspruch abweichend von dem in § 326 I BGB verankerten Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“.92

bb) Die implizite Funktion des § 616 BGB Inwieweit die ursprüngliche „implizite“ Zweitfunktion des § 616 BGB, nämlich im Regelungsbereich der Vorschrift ein spezielles Leistungsverweigerungsrecht für kurzzeitige Leistungshindernisse zu begründen,93 durch die Implementierung der allgemeinen Vorschrift des § 275 III BGB eine Änderung erfahren hat, ist eine Frage, die für die einzelnen Fallgruppen ideeller Unzumutbarkeit kaum einheitlich beantwortet werden kann.  AcP 184 (1984), 201 (238); jüngst noch LAG Hamm NZA 2002, 675 (676); Richardi NZA 2002, 1004 (1007); auch oben § 3 IV c). 90 Vgl. v.a. Erman-Belling § 616 Rn. 1, Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 91 Vgl. etwa BAG AP § 616 BGB Nr. 61; jüngst noch LAG Hamm NZA 2002, 675 f. 92 Insgesamt zum Schicksal des Vergütungsanspruchs in den Fällen des § 275 III BGB vgl. ausführlich unten § 15. Die besondere Relevanz der Frage im Bereich familiärer Pflichten begründet sich daraus, dass § 616 BGB – nachdem die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit als ursprünglicher Hauptanwendungsfall durch die Neuregelung des EFZG weggefallen ist – nunmehr in diesem Bereich empirisch wohl am häufigsten Anwendung findet; vgl. die Beispiele bei Staudinger-Oetker § 616 Rn. 56 ff. 93 Vgl. ausführlich für die Fallgruppe der Gewissenskonflikte oben § 3 IV 1 c). Die Argumente für die dort entwickelte Konzeption lassen sich nahtlos auf die Konstellation der Leistungsverweigerung aus familiären Gründen – jedenfalls bis zum Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes – übertragen.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Bei Gewissenskonflikten wurde dargestellt, dass auch nach der Schuldrechtsreform an der Doppelfunktionalität des § 616 BGB für den Bereich kurzzeitiger Leistungshindernisse festzuhalten ist.94 Dies ergab sich dort einfach daraus, dass diese Fallgruppe nach zutreffender Ansicht nicht dem Regelungsbereich des § 275 III BGB unterfällt, hier also durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz überhaupt keine explizite Regelung eines Leistungsverweigerungsrechts geschaffen wurde.95 Einer Anwendung der „impliziten“ Funktion des § 616 BGB steht damit im Bereich der Gewissenskonflikte § 275 III BGB nicht entgegen; wegen der unterschiedlichen Anwendungsbereiche beider Vorschriften kommt es dort zu keiner Überschneidung.

(1) Systematische Erwägungen Vollkommen anders stellt sich die Situation in der hier zu betrachtenden Fallgruppe der Leistungsverweigerung wegen Ausübung der elterlichen Sorge dar. Für familiäre Leistungshindernisse trifft § 275 III BGB nun eine ausdrückliche Regelung. Die Regierungsbegründung macht dies deutlich, indem sie unter anderem die „notwendige Versorgung schwerwiegend erkrankter Angehöriger“ als Fallgruppe der neu geschaffenen Norm benennt.96 Damit sollen auch familiär begründete Leistungshindernisse ausdrücklich dem Anwendungsbereich des § 275 III BGB unterfallen. Für solche Leistungshindernisse begründet damit § 275 III BGB explizit ein – zeitlich unbeschränktes – Leistungsverweigerungsrecht, so dass es anscheinend der komplizierten Herleitung eines nur „implizit“ mitgeregelten, speziellen Leistungsverweigerungsrechts für Fälle kurzzeitiger Leistungshindernisse aus § 616 BGB gar nicht mehr bedarf. § 616 BGB wäre demnach für die Fallgruppe familiärer Leistungshindernisse hinsichtlich seiner „impliziten“ Funktion in der allgemeinen Vorschrift des § 275 III BGB aufgegangen. Freilich lässt sich auch die gegenteilige Betrachtungsweise vertreten. Durchaus überzeugende Gründe, das Leistungsverweigerungsrecht des Dienstverpflichteten bei kurzzeitigen Leistungshindernissen auch weiterhin direkt in § 616 BGB und nicht in § 275 III BGB zu verorten, ergeben sich vor allem aus systematischen Betrachtungen: Ginge man davon aus, dass im Anwendungsbereich des § 275 III BGB auch das bisher in § 616 BGB mitgeregelte Leistungsverweigerungsrecht bei kurzzeitigen Leistungshindernissen nunmehr durch  94

Oben § 3 IV 1 d). Vgl. auch AnwK-Dauner-Lieb § 275 Rn. 19; Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 136, 199, 447; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 482. 96 BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte unten. 95

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§ 275 III BGB geregelt würde, so würde § 616 BGB außerhalb des Anwendungsbereiches von § 275 III BGB – also namentlich bei Glaubens- und Gewissenskonflikten – weiterhin diese Funktion erfüllen müssen. § 616 BGB würde also bei einer solchen Sichtweise im Bereich der Glaubens- und Gewissenskonflikte eine wesentlich andere Rolle – nämlich die dargestellte, aus dem alten Schuldrecht bekannte „Doppelrolle“97 – zufallen als bei sonstigen ideellen Leistungshindernissen.98 Diese gespaltene Lösung erscheint kaum überzeugend.99 Letztlich ergibt freilich auch dieser systematische Einwand kein eindeutiges Ergebnis: Eine „gespaltene“ und damit ähnlich unbefriedigende Lösung wäre nämlich ebenfalls dann erforderlich, wenn man in § 616 BGB weiterhin ein Leistungsverweigerungsrecht für kurzzeitige Leistungshindernisse in Dienstverträgen begründet sähe. Dann würde nämlich gerade die ihrerseits sehr umstrittene und unklare Frage der tatbestandlichen Konkretisierung von „verhältnismäßig nicht erheblichen“ Fehlzeiten i.S.v. § 616 BGB über die Rechtsgrundlage des Leistungsverweigerungsrechts entscheiden.100 Demgegenüber weist die Annahme eines einheitlich in § 275 III BGB verankerten Leistungsverweigerungsrechts bei kurzzeitigen und länger andauernden Leistungshindernissen wohl geringere praktische Schwierigkeiten auf.

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Vgl. oben § 3 IV 1 c). Auch würde durch diese Sichtweise die – sogleich ausführlich zu erörternde – Einordnung des in § 45 III 1, IV SGB V geregelten Freistellungsanspruchs bei Pflege eines erkrankten Kindes deutlich komplizierter: Würde man weiterhin ein Leistungsverweigerungsrecht bei kurzzeitigen, familiär motivierten Leistungshindernissen unmittelbar in § 616 BGB verankert sehen, so könnte § 45 III 1, IV SGB V gleichfalls – ebenso wie § 616 BGB – als lex specialis zu dem Leistungsverweigerungsrecht in § 275 III BGB und zugleich als tatbestandlich subsidiär zu dem Leistungsverweigerungsrecht in § 616 BGB gedeutet werden. Dies könnte man daraus ableiten, dass § 45 III 1, IV SGB V gerade voraussetzt, dass kein Anspruch auf „bezahlte Freistellung“ bestehen darf. Befürwortet man hingegen ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 III BGB auch bei kurzzeitigen Leistungshindernissen, so kommt diese klare systematische Lösung nicht mehr in Betracht, da das Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 III BGB dann sowohl – wenn es bei der Grundregel des § 326 I BGB bleibt – eine „unbezahlte“, in den Fällen des § 616 BGB jedoch auch eine „bezahlte“ Freistellung zum Inhalt haben kann! 99 Richardi NZA 2002, 1004 (1007) spricht sich daher anscheinend dafür aus, dass § 616 BGB auch nach Einführung des § 275 III BGB beide Funktionen erfüllen soll. Er will § 616 BGB wohl – in seinen tatbestandlichen Grenzen – als umfassende Sonderregelung verstanden wissen. 100 Vgl. dazu ausführlich oben § 3 IV 1 f) bb). 98

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(2) Der Befund in der Regierungsbegründung Dass dies wohl auch die Sichtweise des Gesetzgebers des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes war, wird deutlich, wenn man die Regierungsbegründung betrachtet. Hier wird § 275 III BGB auch für „während der Arbeitszeit notwendige Arztbesuche“ und die „Ladung zu Behörden und Gerichtsterminen“ für einschlägig gehalten.101 Dies sind jedoch schon ihrer Struktur nach ausschließlich kurzzeitig wirkende Leistungshindernisse. Damit dürfte klargestellt sein, dass es dem Vorstellungsbild des Reformgesetzgebers entsprach, auch kurzzeitige Leistungshindernisse, die bislang bei Dienstverhältnissen § 616 BGB unterfielen, in den Anwendungsbereich von § 275 III BGB einzubeziehen. Dass dies gerade auch in dem von § 616 BGB erfassten Bereich der Dienstverhältnisse der Fall sein soll, geht klar daraus hervor, dass die Regierungsbegründung von Leistungshindernissen „während der Arbeitszeit“ spricht.102 Andererseits ergibt sich ebenso deutlich aus den Gesetzesmaterialien, dass durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz im Bereich des Arbeitsrechtes keine inhaltlichen Änderungen vorgenommen werden sollten.103 Der entscheidende Unterschied zwischen dem bisher in § 616 BGB implizit geregelten Leistungsverweigerungsrecht und dem nun ausdrücklich kodifizierten Leistungsverweigerungsrecht des § 275 III BGB besteht jedoch darin, dass in § 616 BGB schon der Gesetzgeber eine abstrakt-normative Interessenabwägung dahingehend getroffen hatte, dass bei kurzzeitigen Leistungshindernissen der von § 616 BGB erfassten Art dem Interesse des Dienstverpflichteten an der Leistungsverweigerung grundsätzlich der Vorrang gegenüber dem Leistungsinteresse des Gläubigers zukommen sollte.104 Würde man § 616 BGB nun in seiner „impliziten“ Funktion für durch § 275 III BGB abgelöst erachten, so hätte dies immerhin die inhaltliche Änderung zur Folge, dass auch bei kurzzeitigen Leistungshindernissen nunmehr Raum für eine konkrete, umfassende Interessenabwägung wäre. Dies steht zu dem erklärten Willen des Gesetzgebers, im Bereich des Arbeitsrechts keine inhaltlichen Änderungen vornehmen zu wollen, in einem gewissen Widerspruch. Auch an dieser Stelle stehen sich somit zwei kaum miteinander vereinbare Aussagen der Gesetzesmaterialien gegenüber. Man kann die bislang von § 616 BGB erfassten Fälle eines Leistungsverweigerungsrechts nicht einfach § 275 III BGB unterstellen, ohne dass sich im Bereich der Interessenabwägung eine  101

BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re Spalte unten. 103 BT-Drucks. 14/6857 S. 48; vgl. auch Pick ZIP 2001, 1173 (1181). 102

104

Mot. II, S. 463, Prot. II, S. 280 ff. ; vgl. insbes. auch Mohnen, in: Nipperdey/Mohnen/ Neumann, § 616 Rn. 3.

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inhaltliche Änderung ergibt: Nach Wortlaut und Regelungszweck des § 275 III BGB ist nun eine konkrete Interessenabwägung vorzunehmen, die bislang für das in § 616 BGB geregelte Leistungsverweigerungsrecht bei kurzzeitigen Leistungshindernissen nicht vorgesehen war. Somit zeigt sich an dieser Stelle ein weiteres Mal, dass der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes offensichtlich nur die groben systematischen Leitlinien der Reform im Blick hatte, die systematischen Feinheiten ihm jedoch vielfach verschlossen blieben. Dass die geäußerte Kritik an einem überhasteten Gesetzgebungsverfahren angesichts der sehr weitreichenden Reform keinesfalls aus der Luft gegriffen war, wird gerade an diesen systematischen Unstimmigkeiten deutlich.105 Hier wäre eine „ruhigere Hand“ des Gesetzgebers durchaus am Platze gewesen.

(3) Lösungsvorschlag Der Widerspruch lässt sich anscheinend nur auflösen, indem man versucht, beiden Aussagen der Regierungsbegründung möglichst weitgehend Rechnung zu tragen: Zu diesem Zweck muss man die klare Aussage, auch kurzzeitige Leistungshindernisse bei Dienstverhältnissen § 275 III BGB unterstellen zu wollen, akzeptieren. § 616 BGB hat damit seine bisherige „implizite“ Funktion, ein Leistungsverweigerungsrecht für kurzzeitige Leistungshindernisse zu begründen, im Regelungsbereich des § 275 III BGB verloren. Allerdings wird man die bisherige Wertung des § 616 BGB, dass bei kurzzeitigen Leistungshindernissen dieses Leistungsverweigerungsrecht in der Regel unabhängig von einer individuell-konkreten Interessenabwägung bestehen soll,106 in die neue Regelung einbeziehen müssen: Auch im Rahmen von § 275 III BGB muss folglich mit Blick auf die dargestellten systematischen Verknüpfungen zu § 616 BGB davon ausgegangen werden, dass bei strukturell kurzzeitigen Leistungshindernissen in Dienstverhältnissen die anzustellende Interessenabwägung regelmäßig zugunsten des Dienstverpflichteten ausfallen soll. Die „verhältnismäßig nicht erhebliche“ Dauer der Fehlzeit ist somit als ein wesentliches Kriterium zugunsten der Leistungsverweigerung in die Interessenabwägung einzubeziehen. Nur so kann dem erklärten legislativen Willen, im Bereich des Arbeitsrechtes nicht in gewachsene Besitzstände eingreifen zu wollen,107 möglichst weitgehend Rechnung getragen werden.

 105 Vgl. zur Kritik statt vieler Dauner-Lieb JZ 2001, 8; Ernst ZRP 2001, 1; Huber ZIP 2000, 2137 (2273); Wetzel ZRP 2001, 117; Wilhelm/Deeg JZ 2001, 223. 106 107

Oben § 3 IV 1 f) aa). BT-Drucks. 14/6857 S. 48.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

cc) Zusammenfassung Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass bei familiären Leistungshindernissen – insofern deutlich divergierend gegenüber dem Bereich der Glaubens- und Gewissenskonflikte – § 616 BGB seine „implizite“ Funktion durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz verloren hat. Diese Funktion ist in der allgemeinen Regelung eines Leistungsverweigerungsrechts in § 275 III BGB aufgegangen. Folglich beschränkt sich § 616 BGB im Bereich der familiären Leistungshindernisse nach Einführung von § 275 III BGB auf seine explizite Funktion, die sekundäre Frage nach dem Entgeltanspruch einer speziellen Regelung zuzuführen. Die in § 616 BGB bislang zum Ausdruck gebrachte Wertung, dass dem Dienstberechtigten bei bloß kurzzeitiger Leistungshinderung regelmäßig ein Leistungsverweigerungsrecht zukommt, ohne dass es einer konkreten, einzelfallbezogenen Interessenabwägung bedürfte, ist jedoch in den Tatbestand des § 275 III BGB einzubeziehen. Hierzu ist der „verhältnismäßig nicht erheblichen“ Dauer der Leistungshinderung im Rahmen der Interessenabwägung ein herausgehobener Stellenwert zugunsten des Dienstverpflichteten beizumessen. Da die hier vorgetragenen Argumente auf die anderen von § 275 III BGB erfassten Fallgruppen übertragbar sind, wird man verallgemeinernd festhalten können, dass § 616 BGB seine „implizite“ Zweitfunktion, ein Leistungsverweigerungsrecht für kurzzeitige Leistungshindernisse zu begründen, verloren hat, soweit der Regelungsbereich von § 275 III BGB reicht.108 Die aufgezeigten systematischen Bedenken, die auch anhand der sogleich vorzunehmenden Einordnung des § 45 III 1, IV SGB V in die Problematik greifbar werden,109 bleiben freilich bestehen und offenbaren exemplarisch, dass bei der Ausgestaltung des neuen Leistungsstörungsrechts eine Vielzahl von systematischen Folgeproblemen offenkundig unbeachtet blieb.

b) § 45 III 1 SGB V als Sonderregelung für länger andauernde Erkrankungen des Kindes Eine ausdrückliche arbeitsrechtliche110 Sonderregelung für Fälle, in denen die Unzumutbarkeit111 der Arbeitsleistung durch die Pflege eines erkrankten  108 109 110

Anders anscheinend Richardi NZA 2002, 1004 (1007). Vgl. auch oben § 5 Fn. 98.

§ 45 III 1 SGB V ist trotz seiner Regelung im SGB V arbeitsrechtlicher Natur, vgl. BSGE 50, 259; GK-SGB V-Wagner § 45 Rn. 21.

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Kindes motiviert ist, bietet nach wie vor § 45 III 1 SGB V. Demnach haben „Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 [...] für die Dauer dieses Anspruchs gegen ihren Arbeitgeber Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, soweit nicht aus dem gleichen Grund Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht.“112 Der zum 1.8.2002 in Kraft getretene Abs. 5 der Vorschrift weitet den „Freistellungsanspruch“ auch auf nicht versicherte Arbeitnehmer aus.113 Gegenüber dem in § 275 III BGB geregelten Leistungsverweigerungsrecht ist § 45 III 1 SGB V damit bereits tatbestandlich subsidiär, solange die Fehldauer die Grenze der „zeitlichen Unerheblichkeit“ i.S.v. § 616 BGB nicht überschreitet und § 275 III BGB i.V.m. § 616 BGB somit – abweichend von § 326 I BGB – einen Tatbestand bezahlter Freistellung bei Pflichtenkollisionen statuiert.114 Umso klärungsbedürftiger erscheint jedoch das Verhältnis der Norm zu dem in § 275 III BGB geregelten Leistungsverweigerungsrecht bei Leistungshindernissen, die über die in § 616 BGB statuierte Höchstdauer der Entgeltfortzahlung hinausgehen und – wegen § 326 I BGB115 – gleichfalls einen Tatbestand „unbezahlter“ Freistellung von der Arbeit darstellen. Hier tritt infolge der Parallelität der tatbestandlichen Voraussetzungen und der ähnlichen Rechtsfolge zwischen § 275 III BGB und § 45 III 1 SGB V ein echtes Konkurrenzverhältnis zutage, solange die Höchstdauer der Freistellung nach § 45 III 1, II SGB V ihrerseits nicht überschritten wird.

aa) Die rechtstechnische Konstruktion als Freistellungsanspruch Anders als § 275 III BGB gewährt § 45 III 1 SGB V dem Wortlaut nach kein Leistungsverweigerungsrecht mit Einredecharakter, sondern einen Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber, der im Streitfall an sich gerichtlich geltend gemacht werden müsste. Es wird also für dieselbe arbeitsrechtliche Problematik wie in § 275 III BGB hier eine vollkommen andere regelungstechnische Lösung gewählt. Insofern besteht bei der Regelung des § 45 III 1 SGB V eine erstaunliche Übereinstimmung zur älteren Arbeitsrechtswissenschaft,116  111

Dass es sich in den Fällen des Pflegekrankengeldes um einen Fall arbeitsrechtlicher Unzumutbarkeit handelt, hebt auch das LAG Hamburg [DOK 1978, 430 ff.] hervor. 112 Hervorhebungen durch den Verf. 113 Vgl. dazu ErfK-Rolfs4 § 45 SGB V Rn. 9. 114 Auf die Subsidiarität gegenüber § 616 BGB weist auch LAG Köln [ArbuR 1995, 269 = BB 1995, 625] hin. 115 116

Vgl. unten § 15 II 1. So noch v.Hoyningen-Huene NJW 1981, 713 (714).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

die auch im Rahmen von § 616 BGB zunächst kein Leistungsverweigerungsrecht, sondern einen „Urlaubsanspruch“ annehmen wollte.117 Die Konzeption erscheint hier ebenso zweifelhaft wie in den älteren Theorien zu § 616 BGB: Die Pflichtenkollision zwischen Arbeits- und Elternpflicht erfordert (auch wenn es sich um eine verhältnismäßig „erhebliche“ Fehldauer handelt) schnelles Handeln – und dies umso mehr, wenn eine Erkrankung des Kindes in Rede steht. Die gerichtliche Durchsetzung eines streitigen Freistellungsanspruchs erscheint hier kaum praktikabel.118 Bei wortlautgetreuer Annahme eines bloßen Freistellungsanspruchs würde die Vorschrift aufgrund der typischen Eilbedürftigkeit der Entscheidung praktisch wirkungslos.119 So wird der Anspruchscharakter des § 45 III 1 SGB V in der Praxis denn auch vielfach außer Acht gelassen und die Vorschrift wie ein Leistungsverweigerungsrecht120 oder sogar ähnlich einem Entfall der Leistungspflicht ipso iure121 gehandhabt.122 Dörner führt ausdrücklich aus, dass in Fällen des § 45 III 1 SGB V die Primärpflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung – anscheinend ipso iure – „entfällt“, wenn nur die Anspruchsvoraussetzungen der Norm gegeben sind.123 Angesichts der dem Arbeitnehmer verbleibenden Entscheidungsmöglichkeit erscheint bei weitem angemessener freilich die durch das LAG Köln124 vorgeschlagene Konstruktion eines Leistungsverweigerungsrechts, das – entsprechend der jetzt in § 275 III BGB kodifizierten Regelung – einredeweise geltend gemacht werden muss. Ein ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht würde die Dogmatik der Unzumutbarkeits-Tatbestände durchbrechen.125 In jedem Fall impliziert die Anerkennung eines einredeweise geltend zu machenden Leistungsverweigerungsrechts in § 45 III 1 SGB V, dass sich der Arbeitnehmer keiner rechtswidrigen Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten schuldig macht, wenn er in den einschlägigen Fällen begründet der Arbeit fern 117

Vgl. die diesbezügliche Kritik bei Herschel Anm. zu BAG AP § 616 BGB Nr. 48. Richtig daher LAG Köln [LAGE § 612a BGB Nr. 5 = MDR 1994, 1020], wo aufgrund der bestehenden Eilbedürftigkeit ein Freistellungsanspruch bei § 45 III 1 SGB V abgelehnt und stattdessen ein Leistungsverweigerungsrecht bejaht wird. 118

119

LAG Köln LAGE § 612a BGB Nr. 5 = MDR 1994, 1020. LAG Köln LAGE § 612a BGB Nr. 5 = MDR 1994, 1020. 121 So anscheinend ErfK-Dörner2 § 45 SGB V Rn. 13. 122 An einem Freistellungsanspruch wollen hingegen die Entscheidungen BAG AP § 1 TVG Tarifverträge Papierindustrie Nr. 11 und LAG Hamm v. 24.8.1994 – 14 Sa 372/94 n.v. festhalten. Die zu entscheidenden Sachverhalte erforderten freilich auch keine vertiefte Auseinandersetzung mit der Problematik. 120

123

Explizit ErfK-Dörner2 § 45 SGB V Rn. 13. LAG Köln LAGE § 612a BGB Nr. 5 = MDR 1994, 1020. 125 Vgl. umfassend unten § 10 I 1 und § 11 III. 124

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bleibt und sich – auch rückwirkend – auf die notwendige Betreuung seines Kindes beruft.126 Gegen die hier befürwortete Annahme, § 45 III 1 SGB V begründe ein einseitig durchsetzbares Leistungsverweigerungsrecht, lässt sich kritisch einwenden, dass diese Ansicht klar dem Wortlaut der Vorschrift widerspricht. In der Tat stellt diese Auslegung eine zwar der Sache nach angebrachte Gesetzeskorrektur, andererseits jedoch eine bedenkliche Rechtsumformung contra legem dar. Hier besteht legislativer Handlungsbedarf. Gerade die allgemeine Neuregelung in § 275 III BGB könnte zum Anlass genommen werden, auch den Paralleltatbestand in § 45 III 1 SGB V in ein praktisch handhabbares Leistungsverweigerungsrecht umzugestalten.

bb) Tatbestandliche Divergenzen zwischen § 275 III BGB und § 45 III 1 SGB V § 45 III 1 SGB V erscheint nach dem eingangs Gesagten in seinen tatbestandlichen Voraussetzungen einerseits weiter als das in § 275 III BGB geregelte Leistungsverweigerungsrecht, andererseits enger: Die Vorschrift verzichtet auf eine Interessenabwägung,127 beschränkt sich jedoch im Gegenzug auf Erkrankungen eines pflegebedürftigen Kindes und erfasst keine sonstigen persönlich begründeten Leistungshindernisse. Sie regelt folglich mit der Pflege des erkrankten Kindes nur einen engen Ausschnitt aus dem Bereich der Elternpflichten. Überdies ersetzt sie den Entgeltanspruch, der bei kurzzeitiger Leistungsverweigerung gemäß § 275 III BGB dem Dienstverpflichteten nach § 616 BGB erhalten bleibt, durch einen subsidiären sozialrechtlichen Anspruch auf Krankengeld. Für kurze, verhältnismäßig nicht erhebliche Leistungshinderungen infolge Erkrankung des Kindes ist daher § 275 III BGB gegenüber § 45 III 1 SGB V vorrangig. Die Grenze der verhältnismäßigen Unerheblichkeit i.S.v. § 616 BGB liegt dabei – wie schon dargestellt – bei wenigen Tagen.128 Indem § 45 III 1, II SGB V seinerseits eine Höchstdauer von zehn bzw. zwanzig Fehltagen pro Kind und Kalenderjahr sowie eine absolute maximale Jahresfehlzeit  126

ErfK-Rolfs4 § 45 SGB V Rn. 9 meint, hierdurch sei auch der Vorwurf einer „Pflichtverletzung“ ausgeschlossen. Nach der neuen technischen Bedeutung, die der Begriff durch die Schuldrechtsreform erhalten hat, ist diese Formulierung zumindest missverständlich. Zur Problematik der rückwirkenden Einredeerhebung ausführlich unten § 11 II und III. 127 Dies kann wohl dadurch erklärt werden, dass bei Erkrankungen des Kindes die verfassungsrechtliche Elternpflicht derart stark zum Tragen kommt, dass die Abwägbarkeit zwischen Leistungsinteresse und Leistungsverweigerungsgrund schon von Verfassungs wegen stark eingeschränkt ist. Hier hat somit der Gesetzgeber in § 45 III 1, IV SGB V mit Blick auf die klare verfassungsrechtliche Situation eine abstrakt-normative Interessenabwägung vorgenommen, die für eine konkret-individuelle Interessenabwägung keinen Raum mehr lässt. 128 Vgl. oben § 3 IV 1 f) bb).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

von fünfundzwanzig bzw. fünfzig Arbeitstagen normiert, überschreitet die Norm den engen Zeitrahmen der „bezahlten“ Freistellung nach §§ 275 III, 616 BGB. Zumindest in den aufgezeigten Fällen kurzzeitiger Leistungshindernisse, in denen §§ 275 III, 616 BGB eine „bezahlte“ Freistellung von der Arbeitspflicht einräumen, ist § 45 III 1 SGB V somit tatbestandlich subsidiär und ein Rückgriff auf die Norm im Grundsatz weder möglich noch erforderlich. Allerdings kann der Fall eintreten, dass der Arbeitgeber sich weigert, den Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung gemäß § 616 BGB zu erfüllen. In diesen Fällen lebt der – bis dahin i.S.v. § 49 I Nr. 1 SGB V ruhende – Anspruch auf Pflegekrankengeld wieder auf; der Anspruch des Arbeitnehmers aus § 616 BGB geht in Höhe der Leistung auf die Krankenkasse über, § 115 SGB X.129 Unverständlich bleibt in diesem Zusammenhang, wie sich die nach § 45 III 2 SGB V vorgesehene „Anrechnung“ unberechtigter Fehlzeiten auf spätere – berechtigte – Fehlzeiten130 mit den verfassungrechtlichen Vorgaben und dem Unzumutbarkeitsbegriff verträgt. Liegt tatsächlich „Unzumutbarkeit“ wegen der Betreuung eines erkrankten Kindes vor, so erfordert schon die Elternpflicht des Art. 6 II 1 GG die Freistellung von der Arbeit.131 Auf diese Freistellung frühere unberechtigte Fehlzeiten anzurechnen, ist widersinnig. Die Regelung scheint auf der verfehlten Vorstellung zu gründen, der Arbeitnehmer werde durch die Freistellung gleichsam „prämiert“. Tatsächlich wird der Arbeitnehmer in den Fällen des § 45 III 1 SGB V jedoch keinesfalls in seinem eigenen Interesse von der Arbeit freigestellt, sondern allein in Anbetracht des Kindeswohls und der verfassungsrechtlichen, indisponiblen132 Elternpflicht. Das akut erkrankte Kind für frühere unberechtigte Fehlzeiten seiner Eltern büßen zu lassen, indem man den Eltern die zur Betreuung des Kindes notwendige Freistellung versagt, steht in klarem Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 6 II 1 GG. Dem Charakter der Elternpflicht als hochrangiger verfassungsrechtlicher Rechtspflicht wird die Anrechnungsregelung in § 45 III 2 SGB V damit nicht gerecht und erscheint verfassungsrechtlich äußerst bedenklich. Überdies entsteht hier ein besonderes Spannungsverhältnis zu der allgemeinen Regelung in § 275 III BGB. Diese enthält zu Recht keinen vergleichbaren Vorbehalt. In allen Fällen, in denen einem Elternteil die Leistungsverweigerung nach § 45 III 1 SGB V wegen unberechtigter Fehlzeiten in der Vergangenheit versagt würde, könnte also immer noch das Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 III BGB zum Zuge kommen. Auch diese systematischen  129

Wie hier ErfK-Rolfs4 § 49 SGB V Rn. 9. Dazu allgemein ErfK-Rolfs4 § 45 SGB V Rn. 10. 131 Vgl. oben § 5 I 1 und 2. 130

132

Vgl. Lüderitz AcP 178 (1978), 263 ff.; ders. Familienrecht, Rn. 810: „höchstpersönlich und unveräußerlich“.

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Unstimmigkeiten erscheinen kaum begreiflich und indizieren einen erheblichen Abstimmungs- und Reformbedarf.

cc) Anwendbarkeit nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes Da § 275 III BGB nun ein allgemeines Leistungsverweigerungsrecht für Fälle der Unzumutbarkeit der Leistungserbringung bei persönlicher Leistungsverpflichtung statuiert, stellt sich die weitergehende Frage, welche Rolle § 45 III 1 SGB V nach Inkrafttreten der Neuregelung generell verbleibt. Relevant wird dies nach dem Festgestellten in dem Bereich länger anhaltender Leistungshindernisse, in dem keine tatbestandliche Subsidiarität angenommen werden kann, da es sich – sobald der von § 616 BGB vorgegebene zeitliche Rahmen überschritten ist – sowohl bei § 275 III BGB als auch bei § 45 III 1 SGB V um eine unbezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht handelt. Bis zum Erreichen der durch § 45 III 1, II SGB V vorgegebenen Höchstgrenze von zehn bzw. zwanzig Arbeitstagen pro Kind und Jahr sowie der absoluten Höchstgrenze von fünfundzwanzig bzw. fünfzig Arbeitstagen pro Kalenderjahr besteht hier ein klärungsbedürftiges Konkurrenzverhältnis zu dem allgemeinen Leistungsverweigerungsrecht des § 275 III BGB. Jenseits dieser zeitlichen Höchstgrenze kann hingegen mangels Anwendbarkeit von § 45 III 1 SGB V allein eine Leistungsverweigerung nach § 275 III BGB zum Zuge kommen. Die tatbestandlichen Anwendungsbereiche beider Vorschriften überschneiden sich; der bisherige Anwendungsbereich von § 45 III 1 SGB V erscheint als Teilmenge des Anwendungsbereichs von § 275 III BGB: Erfasst § 45 III 1 SGB V Arbeitnehmer, die durch die notwendige Pflege eines eigenen erkrankten Kindes an der Arbeitsleistung gehindert sind, so erfasst § 275 III BGB alle in Person Leistungspflichtigen, also insbesondere auch Arbeitnehmer.133 In sachlicher Hinsicht sind von § 275 III BGB alle Leistungshindernisse erfasst, die der persönlich-idellen Sphäre des Arbeitnehmers entstammen, also insbesondere auch die notwendige Pflege eines erkrankten Kindes als spezieller Fall einer Kollision von Arbeits- und Elternpflicht. Daher bedarf es des arbeitsrechtlichen Leistungsverweigerungsrechts in § 45 III 1 SGB V nach Inkrafttreten der allgemeinen Regelung in § 275 III BGB nicht mehr. Wie die implizite Funktion des § 616 BGB ist auch der gesamte Regelungsinhalt des § 45 III 1 SGB V in § 275 III BGB aufgegangen. Mit § 45 III 1 SGB V und § 275 III BGB existieren zwei in Tatbestand und Rechtsfolgen letztlich gleichgerichtete Normen nebeneinander. Der Überschneidungsbereich  133

Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte Abs. 2.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

wurde durch Einführung des § 45 V SGB V zum 1.8.2002 noch ausgeweitet.134 Dies erscheint kaum sinnvoll. Eine Anwendung des § 275 III BGB auch auf die bislang unter § 45 III 1 SGB V subsumierten Fälle hätte überdies den Vorteil, dass diese Lösung bei der Begründung eines Leistungsverweigerungsrechts nicht auf die dargestellte, dogmatisch zweifelhafte Auslegung contra legem zurückgreifen müsste.135 Jedoch kommt man nicht umhin, die Regelung des § 45 III 1 SGB V weiterhin als gegebenes Faktum anzuerkennen. Zudem geht die Regelung in ihrer sekundären sozialrechtlichen Rechtsfolge über § 275 III BGB hinaus: Zwar bleibt der Entfall des Gegenleistungsanspruchs nach § 326 I BGB unberührt, dem betroffenen Arbeitnehmer wird jedoch als sozialrechtliche Kompensation Pflegekrankengeld gewährt, § 45 I 1 SGB V. Außerdem ist der Freistellungsanspruch nach § 45 III 1 SGB V im Gegensatz zu § 275 III BGB136 unabdingbar.137 Daher dürfte das in § 45 III 1 SGB V geregelte Leistungsverweigerungsrecht weiterhin als spezielle Regelung, als lex specialis gegenüber § 275 III BGB anzusehen sein. Um die missliche Anspruchskonstruktion des § 45 III 1 SGB V in ein angemessenes Leistungsverweigerungsrecht umzudeuten, bietet sich nun als dogmatische Argumentationshilfe die Heranziehung des in § 275 III BGB geregelten Rechtsgedankens an. Hier findet also die bisher schon vertretene Ansicht, § 45 III 1 SGB V nicht als Beurlaubungsanspruch, sondern als einseitig durchsetzbares Leistungsverweigerungsrecht zu deuten,138 nunmehr einen legislativen Anhaltspunkt.

 134 Neuregelung durch Art. 2 des Gesetzes zur Sicherung der Pflege und Betreuung schwerstkranker Kinder v. 26.7.2002 BGBl. I, S. 2872. 135 Vgl. oben § 5 I 3 b) aa) und ErfK-Dörner2 § 45 SGB V Rn. 13. 136 Von einem konkludenten vertraglichen Ausschluss der Unzumutbarkeitseinrede kann zumindest im Grundsatz gesprochen werden, wenn der Schuldner den Vertrag in positiver Kenntnis der an sich zur Begründung von Unzumutbarkeit geeigneten Umstände abgeschlossen hat. Freilich dürfte dies in den Konstellationen von § 45 III 1 SGB kaum relevant werden, da es hinsichtlich der elterlichen Sorge an der für einen Grundrechtsverzicht erforderlichen Dispositionsmöglichkeit fehlt. Vgl. zum Ganzen unten § 5 I 3 c) dd) (2.) (c) sowie § 9 III 5 b). 137 Näher, insbes. zur Abbedingung durch Tarifvertrag BAG NZA 1996, 261 ff.; GK-SGB V-Wagner § 45 Rn. 22; LPK-SGB V-Kruse § 45 Rn. 17. 138

LAG Köln LAGE § 612a BGB Nr. 5 = MDR 1994, 1020; ErfK-Dörner2 § 45 SGB V Rn. 13.

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c) § 45 IV SGB V als Sonderregelung für die Pflege schwerstkranker Kinder Das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26.7.2002139 hat § 45 SGB V einen Abs. 4 angefügt, der als Sonderregelung zu § 45 I-III SGB V die Rechtsstellung der Eltern schwerstkranker Kinder verbessern soll. Erfasst sind vor allem unheilbar kranke Kinder.140 Der entscheidende Unterschied gegenüber der Regelung in § 45 I-III SGB liegt darin, dass § 45 IV SGB V keiner zeitlichen Höchstgrenze unterliegt.141 Zeitlich unbegrenzt normiert die Regelung damit einen Anspruch auf Pflegekrankengeld (§ 45 IV 1 SGB V) sowie auf „Freistellung“ von der Arbeitspflicht (§ 45 IV 3 i.V.m. III 1 SGB V). Das klärungsbedürftige Konkurrenzverhältnis zu § 275 III BGB tritt hier also in einem noch umfassenderen Bereich zutage, nämlich für alle Fälle länger andauernder Leistungshinderung, welche die zeitliche Grenze des § 616 BGB überschreiten. Wie schon die Leistungsverweigerung nach § 45 III 1 SGB V wird man auch die Leistungsverweigerung nach § 45 IV 3, III 1 SGB V als gegenüber § 275 III BGB spezielle Regelung begreifen müssen. Entscheidend dafür spricht auch hier die sekundäre sozialrechtliche Rechtsfolge der Gewährung von Pflegekrankengeld. De lege ferenda hätte freilich ebenfalls an dieser Stelle eine Normierung der speziellen Rechtsfolge genügt. Der Begründung eines speziellen Leistungsverweigerungsrechts, das zudem im Gesetzeswortlaut nicht klar zum Ausdruck kommt,142 hätte es angesichts der allgemeinen Regelung in § 275 III BGB nicht bedurft.

d) Allgemeines Leistungsverweigerungsrecht bei Kollisionen von Arbeits- und Elternpflicht Wesentlich seltener als mit Fällen kurzzeitiger Arbeitsversäumnis wurde die Rechtsprechung mit Fällen länger andauernder Nichterbringung der Arbeitsleistung infolge der Wahrnehmung elterlicher Sorge ohne Erkrankung des Kindes befasst. In diesen Fällen hielt das BGB vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes keine einfache Lösungsmöglichkeit bereit. Auch § 45 III 1 SGB V ist wegen seiner engen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht anwendbar. In Rechtsprechung und Literatur wurden daher bis in jüngste Zeit zahlreiche Lösungsmodelle diskutiert, wobei zum Teil die schon im Rahmen  139

BGBl. I, S. 2872. Näher zu den einzelnen Anspruchsvoraussetzungen ErfK-Rolfs4 § 45 SGB V Rn. 12 f. 141 BT-Drucks. 14/9031, S. 3. 142 Oben § 5 I 3 b) aa). 140

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

des Konfliktes zwischen Arbeits- und Gewissenspflicht vorgestellten Ansätze wiederkehren. Konsens war dabei, dass aus der Regelung des § 616 BGB keinesfalls der Umkehrschluss abgeleitet werden dürfe, zeitlich erhebliche Verhinderungen der Arbeitsleistung könnten keine Aufhebung der Leistungspflicht zur Folge haben. Schon Herschel143 hat klarsichtig und plastisch dargestellt, dass „niemand auf den törichten Gedanken kommen [könne], für die Höchstdauer des Fehlens, das durch eigene Erkrankung des Arbeitnehmers bedingt ist, den Bestimmungen über die Dauer der Pflicht zur Entgeltfortzahlung eine Höchstgrenze entnehmen zu wollen. Hier verhält es sich der Sache nach im Prinzip nicht anders.“ Über die dogmatische Einordnung und die praktischen Voraussetzungen des Leistungsverweigerungsrechts herrschte jedoch auch in dieser Fallgruppe große Unsicherheit. Entscheidend angestoßen wurde die spezielle wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Problematik länger andauernder Leistungsverweigerung infolge der Kollision von Arbeits- und Elternpflicht ohne Erkrankung des Kindes durch eine Entscheidung des BAG vom 21.5.1992.144

aa) Die Konzeption des BAG Waren die Entscheidungen des BAG zur Leistungsverweigerung bei Gewissenskonflikten145 wenigstens von dem Willen getragen, eine Einordnung in den Gesamtzusammenhang des Leistungsstörungsrechts vorzunehmen und die rechtliche Lösung dieser Fälle durch bekannte Normen und Prinzipien zu begründen, so enthält sich die bislang einzige Entscheidung des BAG zur länger andauernden Kollision von Arbeits- und Elternpflicht vom 21.5.1992146 völlig einer solchen Festlegung. In dem zu entscheidenden Fall hatte die betroffene Arbeitnehmerin die Arbeitsleistung verweigert, da sie keine Pflegekraft für ihr Kind hatte finden können. Daraufhin war sie gekündigt worden. Der zweite Senat des BAG führt aus, es habe in jedem Fall eine für die verhaltensbedingte Kündigung notwendige rechtswidrige und schuldhafte Pflichtverletzung durch die Arbeitnehmerin vorgelegen. Dabei könne offen bleiben, ob eine Pflichtenkollision subjektive Unmöglichkeit i.S.v. § 275 II BGB [a.F.] sei (was die Berufungsinstanz ange 143

Herschel Anm. zu BAG AP § 616 BGB Nr. 48. BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29. 145 BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 146 BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29. 144

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nommen hatte)147 oder aber das Entstehen eines Leistungsverweigerungsrechts der Arbeitnehmerin infolge Unzumutbarkeit zur Folge habe. Ein Leistungsverweigerungsrecht habe der Arbeitnehmerin allein deshalb nicht zugestanden, weil sie selbst die Pflichtenkollision verschuldet habe. Insbesondere begründe sich das Verschulden der Klägerin daraus, dass sie nicht vorgetragen habe, „auf ihren Ehemann vergeblich mit dem Ziel eingewirkt zu haben, eine neue Stelle erst nach einer gesicherten Unterbringung der Tochter anzutreten“. Auch in anderer Weise hätte die Klägerin für den – absehbaren – Konflikt zwischen Arbeits- und Elternpflicht Vorsorge treffen können und müssen. Das vom BAG erwogene und für den konkreten Fall verworfene Leistungsverweigerungsrecht soll sich offenbar weder aus § 242 BGB noch aus § 616 BGB herleiten, sondern aus §§ 273, 320 BGB. Außerdem scheint das BAG die Kategorie der „Unzumutbarkeit“ als eine gegenüber diesem Leistungsverweigerungsrecht aus §§ 273, 320 BGB eigenständige, eher dem Unmöglichkeitsrecht zuzuordnende Kategorie zu verstehen.148 Insgesamt bleibt die dogmatische Herleitung sowohl des Leistungsverweigerungsrechts als auch der „Unzumutbarkeit“ völlig im Dunkeln. Die Entscheidung stellt einen Bruch mit der bisherigen BAGRechtsprechung zur Thematik der Leistungsverweigerung wegen ideell begründeter Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung dar.149 Es erfolgt keine konsistente Einordnung in den Kontext des Leistungsstörungsrechts; sofern eine solche Einordnung wenigstens anklingt, bleibt sie zweifelhaft: Die Verortung des Leistungsverweigerungsrechts in §§ 273, 320 BGB ist eine erstaunliche Kategorienverwechslung, worauf das BAG in einer älteren Entscheidung150 selbst deutlich hingewiesen hat: Sinn eines Zurückbehaltungsrechts ist es nämlich, Druck auf den Vertragspartner auszuüben, um einen bestehenden Anspruch gegenüber dem Vertragspartner durchzusetzen. In Fällen der Pflichtenkollision fehlt es gerade an einem solchen Anspruch, der auch nicht unmittelbar aus dem Elternrecht des Art. 6 II 1 GG hergeleitet werden kann.151 Dieses wirkt  147

LAG Hamburg LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 37. So jedenfalls der – anders kaum verständliche – Leitsatz: „Eine Arbeitnehmerin kann sich [...] auf eine Pflichtenkollision [...] und damit ein Leistungsverweigerungsrecht (§§ 273, 320 BGB) oder eine Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung nur berufen, [...]“. 148

149 Vgl. die Leitentscheidungen BAG AP § 123 BGB Nr. 23; BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 150 BAG AP § 123 BGB Nr. 23; vgl. auch Söllner ZfA 1973, 1 (3, 27); Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 151 Vgl. oben § 5 I 1.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

zwar absolut auch gegen Dritte,152 vermag jedoch nur eine Abwehr, nicht jedoch positive Leistungsansprüche zu legitimieren.153 Ein Leistungsverweigerungsrecht bei Pflichtenkollision ist damit von einem Zurückbehaltungsrecht, wie in §§ 273, 320 BGB geregelt, deutlich abzugrenzen.154 Soweit in der Entscheidung anklingt, Fälle der Unzumutbarkeit seien dem Unmöglichkeitsrecht wesensgleich oder zumindest wesensähnlich, erscheint auch dies zweifelhaft: Bei Fällen echter Unmöglichkeit verbleibt dem Schuldner keine Wahl, die Leistung dennoch zu erbringen, weil sie objektiv nicht mehr erbringbar ist.155 Ganz anders die Fälle der Unzumutbarkeit: Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass der Schuldner die Leistung trotz Unzumutbarkeit erbringen kann, wenn er sich dafür entscheidet. Auf diesen deutlichen Unterschied wurde schon im Kontext der Gewissenskonflikte hingewiesen und wird auch im Folgenden vertieft einzugehen sein.156 Bemerkenswert ist überdies, dass das BAG das Entstehen eines Leistungsverweigerungsrechts von einem fehlenden Verschulden an der Entstehung der Pflichtenkollision abhängig machen will. Dies vermag in Anbetracht der schon dargestellten verfassungsrechtlichen Wertungen nicht in allen Fällen – und wohl auch nicht in dem konkret entschiedenen Fall – zu überzeugen. Im vorliegenden Fall hätte nach den hier entwickelten Grundsätzen abschließend geklärt werden müssen, ob eine im Hinblick auf das Kindeswohl geeignete und – gemessen an der vertraglichen Risikoverteilung – wirtschaftlich erschwingliche Pflegekraft hätte gefunden werden können. In diesem Fall hätte es, da auch keine vorrangige höchstpersönliche Betreuungspflicht durch die Eltern bestand, in der Tat an einer echten Pflichtenkollision gefehlt. Die Kündigung wäre in diesem Fall mangels kollidierender Elternpflicht auch als verhaltensbedingte Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung gerechtfertigt gewesen. Für den Fall, dass eine geeignete und wirtschaftlich zumutbare Pflegekraft tatsächlich nicht gefunden werden konnte, hätte der Klägerin jedoch unabhängig von der Vorhersehbarkeit der Pflichtenkollision, unabhängig auch von der seitens des BAG angeführten Einwirkungsmöglichkeit auf den Ehemann und sonstigen „Verschuldensmomenten“, ein Leistungsverweigerungsrecht zuge-

 152

RGZ 141, 319 (320); BGHZ 111, 168; Lüderitz, Familienrecht, Rn. 808; Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2002), S. 147 (152). 153 Vgl. Lüderitz, Familienrecht, Rn. 808. 154 Vgl. auch Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 155 156

Ähnlich Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 40. Vgl. oben § 3 IV 2 a) und unten § 10 I 1.

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standen.157 Allenfalls wäre eine personenbedingte Kündigung in Betracht gekommen.158

bb) Verortung im Unmöglichkeitsrecht In Stellungnahmen zu dem dargestellten Urteil wurde vielfach der „Verzicht auf die Klarstellung der dogmatischen Basis“159 bemängelt. Die überwiegende Zahl der Kommentatoren entwickelte anhand der Entscheidung die These, bei derartigen Kollisionen zwischen Arbeits- und Elternpflicht könne allein eine Einordnung in das Unmöglichkeitsrecht eine vorzugswürdige und systematisch stimmige Lösung des Konfliktes herbeiführen.160 Die Arbeitspflicht sei durch die kollidierende Elternpflicht entfallen. Dabei wird überwiegend subjektive Unmöglichkeit i.S.v. § 275 II BGB [a.F.],161 teilweise jedoch auch objektive Unmöglichkeit162 angenommen. Kraft etwa verweist darauf, im Zivilrecht sei „weitgehend anerkannt“, dass Fälle der Unzumutbarkeit infolge einer Pflichtenkollision generell der Unmöglichkeit gleichzustellen seien.163 Dies begründet er unter anderem mit dem Rechtscharakter des § 616 BGB als Sonderregelung zu § 323 I BGB [a.F., jetzt § 326 I BGB] und dem Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung. An der Pflichtenkollision könne auch die fehlende Ausschöpfung von Abwendungsmöglichkeiten nichts ändern; diese stelle eine getrennt zu beurteilende Frage nach der Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten dar. Insgesamt entfalle also die Leistungspflicht ipso iure gemäß § 275 BGB [a.F.]. Allenfalls komme eine personenbedingte Kündigung – unter den dafür geltenden Voraussetzungen – in Betracht. Trümner verweist ebenfalls darauf, dass die – vom BAG angezweifelte – Pflichtenkollision ohne weiteres vorgelegen habe. Die konkrete Entscheidung  157

Vgl. unten § 5 I 3 c) dd) (2.). Ausführlich zu kündigungsrechtlichen Konsequenzen unten § 17. 159 Kraft Anm. zu BAG EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 43. 160 Kraft Anm. zu BAG EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 43; v.Stebut SAE 1993, 150 ff.; Trümner ArbuR 1993, 155 f. 161 Trümner ArbuR 1993, 155 (156). 158

162

v.Stebut SAE 1993, 150 (151) begründet dies damit, dass die Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung durch ihren höchstpersönlichen Charakter immer der objektiven Unmöglichkeit gleichzustellen sei. 163 Kraft Anm. zu BAG EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 43. Hierzu verweist er unter anderem auf die allgemeine Stellungnahme von Enneccerus/Lehmann, Bürgerliches Recht Bd. 2, § 29 I 2 (vgl. dazu oben § 3 Fn. 480) sowie die Darstellung bei Misera SAE 1983, 271 (272) zur parallelen arbeitsrechtlichen Fallgruppe der Einziehung zum ausländischen Wehrdienst.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

für die Pflege des Kindes sei Eltern „nicht vorwerfbar“.164 Der Klägerin habe folglich ein „Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 275 II BGB [a.F.]“ (sic!) zugestanden.165 Außer Acht gelassen habe das BAG unter anderem die erhebliche Schwierigkeit, angesichts der finanziellen Belastungen und der Sorge um die persönliche Eignung kurzfristig eine Pflegekraft zu finden. Die Entscheidung verkenne überdies die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 6 GG, wenn sie die „Vorwerfbarkeitsprüfung in den privaten Verantwortungsbereich der Klägerin und ihres Ehemannes“ zurückverlagere. Nicht überzeugen könne zudem die Einordnung in das Kündigungsschutzrecht; es habe keine verhaltens-, sondern eine personenbedingte Kündigung vorgelegen. Überdies habe das Gericht den Prognose- und ultima-ratio-Charakter der Kündigung außer Acht gelassen. v.Stebut schließlich charakterisiert die Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung infolge von Pflichtenkollisionen als „anerkannte Durchbrechung der Vertragstreue“ und verortet den Lösungsansatz im Recht der objektiven Unmöglichkeit.166 Dies ergebe sich aus dem höchstpersönlichen Charakter der Arbeitsleistung, § 613 S. 1 BGB, wonach die vom Arbeitnehmer übernommene Vertragspflicht von keinem anderen erfüllt werden könne. Wegen der konkreten NichtNachholbarkeit der Arbeitsleistung liege auch kein Verzug, sondern Unmöglichkeit vor. Trotz seiner Einordnung in das Unmöglichkeitsrecht geht v.Stebut in seinen weiteren Ausführungen – ähnlich wie Trümner – von dem Begriff des „Leistungsverweigerungsrechts“ aus. Ein solches solle – insoweit distanziert er sich deutlich vom BAG – unabhängig von einem Verschulden des Arbeitnehmers an der Pflichtenkollision Platz greifen. Er könne auch bei Verschulden durch höherrangige Rechts- oder sittliche Pflichten an der Arbeitsleistung gehindert sein. Dies sei insbesondere bei dem Konflikt zwischen der Arbeitspflicht und der höherrangigen elterlichen Pflicht der Fall. Insgesamt sei, wenn man denn mit dem BAG die Relevanz des Verschuldens für die Leistungsverweigerung bejahe, der spezifisch arbeitsrechtliche, zu § 616 BGB entwickelte Verschuldensmaßstab des gröblichen Verschuldens gegen sich selbst anzuwenden. Der dargestellten Einordnung in das Unmöglichkeitsrecht stehen die schon für die Fallgruppe der Gewissenskonflikte vorgebrachten Einwände entgegen: Insbesondere passt der Automatismus des Unmöglichkeitsrechts nicht. Dem Schuldner verbleibt auch im Konflikt zwischen Arbeits- und Elternpflicht die faktische Wahl zwischen der Wahrnehmung beider Pflichten, mag auch die  164

Trümner ArbuR 1993, 155 f. Trümner ArbuR 1993, 155 (156). 166 v.Stebut SAE 1993, 150 (151). 165

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Rechtsordnung die Wahrnehmung der Elternpflicht gebieten.167 Dies verkennen auch Hanau und Strick,168 wenn sie davon sprechen, der Begriff der „Unzumutbarkeit“ sei für Fälle der Kollision zwischen Arbeits- und Elternpflicht „unpassend“. Auch sie wollen – soweit ersichtlich – diese Fälle der rechtlichen Unmöglichkeit zuordnen.169 Den Arbeitnehmer treffe nur eine Pflicht, „nämlich die, seiner Elternverantwortung zu genügen“. Daher dürfe er nicht nur der Arbeit fernbleiben, er müsse dies sogar. Folglich untersage die Rechtsordnung die Erfüllung der Arbeitspflicht; es bestehe nur noch die Elternpflicht. Hanau und Strick lassen damit gebotene Differenzierungen ein Stück weit außer Acht: Zwar darf der Arbeitnehmer sich wegen Art. 6 II GG nicht gegen die Ausübung der Elternpflicht entscheiden, er kann es aber. Dies macht den wesentlichen Unterschied auch zu Fällen rechtlicher Unmöglichkeit aus, bei der – jedenfalls nach der neuen Systematik des § 275 BGB – nicht nur das rechtliche Dürfen, sondern schon das rechtliche Können beeinträchtigt sein muss.170 Folglich verbleibt dem Schuldner eine – wenn auch rechtlich missbilligte – Alternative zur Wahrnehmung der Elternpflicht: die Wahrnehmung der Arbeitspflicht. Es liegt unter den oben entwickelten Voraussetzungen also eine echte Kollision zweier Pflichten vor. Dies haben zumindest Trümner und v.Stebut erkannt, wenn sie in das Unmöglichkeitsrecht ein Leistungsverweigerungsrecht hineinlesen.171 Dass dies systematisch verfehlt ist, wurde jedoch schon dargestellt.172 Auch die Begründung mit dem Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung überzeugt nicht: Hiermit kann nur dann Unmöglichkeit begründet werden, wenn die Leistungspflicht nicht schon zuvor – etwa durch ein einredeweise geltend gemachtes Leistungsverweigerungsrecht wegen Unzumutbarkeit – erloschen ist.173 Nicht zu überzeugen vermag schließlich auch die pauschale Negierung der Relevanz des Verschuldens. Hier ist die schon dargestellte differenzierte Betrachtungsweise geboten.  167

Vgl. oben § 5 I 2. Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (169). 169 Vgl. insbes. Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (168 Fn. 85). 170 Dies ist etwa der Fall bei der Verpflichtung zur Herbeiführung eines bereits eingetretenen rechtlichen Erfolges, vgl. BGH VIZ 1996, 519; RG JW 10, 805. Ebenso verhält es sich in der Fallgruppe der andauernden rechtlichen Hindernisse, die der Leistung – absolut – entgegenstehen: BGHZ 90, 292; BGH DtZ 1996, 26; BGHZ 96, 387. Solches ist bei der Kollision von Arbeits- und Elternpflicht nicht der Fall; hier ist lediglich das rechtliche Dürfen betroffen. Insgesamt machen die genannten exemplarischen Fälle deutlich, dass an die Anerkennung rechtlicher Unmöglichkeit ein enger Maßstab anzulegen ist. Vgl. ausführlich unten § 10 I 2 b). 168

171

Trümner ArbuR 1993, 155 (156); v.Stebut SAE 1993, 150 (151). Vgl. oben § 3 IV 2 a) cc). 173 Vgl. näher unten § 7 Fn. 43. 172

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cc) Leistungsverweigerungsrecht aus § 242 BGB Für ein Leistungsverweigerungsrecht auf Grundlage des Prinzips von Treu und Glauben, § 242 BGB, sprachen sich vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes demgegenüber unter anderem Henssler174 und Preis175 aus. Beide betrachten Fälle der Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen zutreffend als rechtlich einheitlich zu bewertende Konstellation, die ihre rechtliche Verankerung primär in § 242 BGB findet. Für den Konflikt zwischen Arbeitsund Elternpflicht macht Henssler dabei die bereits dargestellte bedeutsame Einschränkung, dass er die Elternpflicht, da es ihr an Höchstpersönlichkeit fehle, nicht als mit der Arbeitspflicht kollidierende Rechtspflicht, sondern als allenfalls „moralisch-ethische familiäre Verpflichtung“ anerkennt.176 Dass diese Betrachtungsweise zu eindimensional ist, wurde schon gezeigt. Zuzustimmen ist jedoch der Verankerung der „Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen“ im Kontext des § 242 BGB. Nur diese Vorschrift war im alten Schuldrecht geeignet, in ihrer Offenheit und Unbestimmtheit die zu beachtenden verfassungsrechtlichen Wertungen zur vollen Entfaltung gelangen zu lassen und überdies bei der Gestaltung der Rechtsfolge Raum für das allein in Betracht kommende Leistungsverweigerungsrecht zu lassen.177

dd) Die Lösung nach neuem Recht (1) § 275 III BGB als Auffangtatbestand Durch die Einführung des § 275 III BGB wurde ein allgemeiner Leistungsverweigerungs-Tatbestand geschaffen, der das Schicksal der Primärleistung umfassend regelt: Dem Leistungshindernis des Schuldners ist gegenüber seiner Leistungspflicht der Vorrang einzuräumen, wenn eine Abwägung der wechselseitigen Interessen ein überwiegendes Interesse des Schuldners an der Leistungsverweigerung ergibt. Die Kollision von Arbeits- und Elternpflicht soll nach dem klaren Willen des Gesetzgebers hier eine generelle Verankerung  174

Henssler AcP 190 (1990), 538 (562). ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 970; Preis nimmt ein Leistungsverweigerungsrecht auf Grundlage von § 242 BGB für alle „unverschuldeten Pflichtenkollisionen“ an. 175

176

Henssler AcP 190 (1990), 538 (562 f.). Auch insoweit kann angesichts der festgestellten Parallelität der Fallgruppen auf die obigen ausführlichen Darlegungen zu Gewissenskonflikten verwiesen werden, vgl. § 3 IV 2 b) cc). 177

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finden.178 Das Leistungsverweigerungsrecht ist – abweichend von der bisherigen partiellen Regelung in § 616 BGB – in zeitlicher Hinsicht durch keine Verhältnismäßigkeitsschranke begrenzt: Dem persönlich verpflichteten Schuldner steht nunmehr ein Leistungsverweigerungsrecht zu, solange die Kollision von Arbeits- und Elternpflicht anhält. Dabei ist freilich immer die zwingende Voraussetzung zu beachten, dass tatsächlich eine „echte“ Kollision in dem oben dargestellten Sinne vorliegen muss.179 § 275 III BGB erscheint somit als eine umfassende Kodifikation des in Rechtsprechung und Literatur entwickelten allgemeinen Leistungsverweigerungsrechtes bei Kollisionen zwischen Arbeitsund Elternpflicht.180 Das in § 45 III 1, IV SGB V begründete Leistungsverweigerungsrecht ist für Fälle kurzzeitiger Leistungshindernisse gegenüber § 275 III BGB tatbestandlich subsidiär, da § 275 III BGB i.V.m. § 616 BGB in diesen Fällen einen entgeltlichen Freistellungsanspruch gewährt. In Fällen länger andauernder Leistungshinderung, in denen die Entgeltfortzahlung nach § 616 BGB nicht zum Zuge kommt, ist § 45 III 1 SGB V hingegen lex specialis zu § 275 III BGB, weil hier für den speziellen Fall der länger andauernden Kollision zwischen Arbeitspflicht und der Elternpflicht zur Pflege eines erkrankten Kindes ein besonderes Leistungsverweigerungsrecht gewährt und die spezielle sozialrechtliche Rechtsfolge des Pflegekrankengeldes statuiert wird. Jenseits der von § 45 III 1, II SGB V normierten zeitlichen Höchstgrenze181 kommt allein ein Rückgriff auf die allgemeine Regelung in § 275 III BGB in Betracht. Unabhängig von dieser Systematik bleibt jedoch vor allem die grundlegende Fragestellung klärungsbedürftig, welche Kriterien für die Interessenabwägung bei Kollisionen zwischen Arbeits- und Elternpflicht im Rahmen des § 275 III BGB nach den obigen Erörterungen herangezogen werden können.

(2) Kriterien der Interessenabwägung Voraussetzung eines Leistungsverweigerungsrechts auf Grundlage des § 275 III BGB ist die „Unzumutbarkeit“ der Leistungserbringung für den Schuldner. Die Unzumutbarkeit ist dabei „unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers“ zu ermit 178

BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte Abs. 3. Oben § 5 I 2. 180 Vgl. allgemein zum Begriff des Leistungsverweigerungsrechts Henssler AcP 190 (1990), 538 (539 f.). 181 Oben § 5 I 3 b) bb). 179

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

teln. Dabei sind mehrere abgestufte Ebenen der Interessenabwägung zu unterscheiden.

(a) Interessenabwägung bei höchstpersönlicher Elternpflicht Sofern nach dem Gesagten zwei nur persönlich zu erfüllende Pflichten einander gegenüberstehen, die Elternpflicht sich also zu einer höchstpersönlichen Pflicht intensiviert hat,182 kann angesichts ihres hohen verfassungsrechtlichen Ranges nur eine Abwägung mit anderen Verfassungsgütern ein Überwiegen des Leistungsinteresses ergeben. Die Eltern trifft in diesen Fällen die unmittelbar aus Art. 6 II GG resultierende, gegenüber dem Kind und der Sozialgemeinschaft bestehende Pflicht zur höchstpersönlichen Ausübung von Personensorge. Eine Abwägung mit nur einfachrechtlich geschützten Gütern und Interessen scheidet – ähnlich den Fällen der Gewissensfreiheit – aus, da das in Art. 6 II 1 GG normierte elterliche Pflichtrecht keinen Gesetzesvorbehalt kennt.183 Daher wird man sagen können, dass in diesen Fällen in aller Regel die Leistungspflicht gegenüber der Elternpflicht zurücktritt. Ein Überwiegen des gläubigerseitigen Leistungsinteresses kann demgegenüber nur im Ausnahmefall angenommen werden. Ein solcher Ausnahmefall liegt – wie schon angeklungen – vor, wenn andere, im Einzelfall höher zu gewichtende Verfassungsgüter in Rede stehen, die Leistungspflicht also nur den einfachrechtlichen Rahmen für die Wahrung verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter darstellt. In diesen Fällen sind die beiden – dann verfassungsrechtlich begründeten – Pflichten- oder Rechtsstellungen im Wege praktischer Konkordanz nach Möglichkeit zu harmonisieren.184 Wenn dies nicht möglich erscheint, ist der im Einzelfall höherwertigen Pflicht der Vorzug zu geben. Betrachtet man die hohe Gewichtung der elterlichen Sorge in Art. 6 II 1 GG und auch das staatliche „Wächteramt“ des Art. 6 II 2 GG, so wird auch im Rahmen dieser Interessenabwägung der Elternpflicht im Zweifel der Vorrang einzuräumen sein.185

 182

Vgl. oben § 5 I 2 b) . Freilich kann der Staat gerade in Ausübung des Wächteramtes Regelungen treffen, welche das Pflichtrecht konkretisieren, vgl. Maunz/Dürig-Maunz Art. 6 GG Rn. 26a ff. Daraus resultiert jedoch kein Gesetzesvorbehalt im Sinne einer Eingriffsermächtigung. Zumindest missverständlich daher Maunz a.a.O., Rn. 25e, der auf die Gesetzgebungszuständigkeiten als Eingriffsgrundlagen verweist. 183

184 185

Vgl. auch Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. Näher zu den Maßstäben zur Ermittlung der Vorrangstellung unten § 9 III 3 c).

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(b) Interessenabwägung in anderen Fällen Anders stellt sich die Situation in jenen Fällen dar, in denen die ideelle Pflichtenkollision durch die Übertragung der Sorgepflicht auf Dritte abgewendet werden kann, sie also nicht zu einer höchstpersönlichen Elternpflicht intensiviert ist. In diesen Fällen stellt sich die Frage, welche Anstrengungen dem Leistungspflichtigen zuzumuten sind, welche Summe er etwa billigerweise aufwenden muss, um eine Pflegekraft einzustellen. Wie gezeigt handelt es sich dabei um eine Frage der nur einfachrechtlich zu bestimmenden vertraglichen Opfergrenze, die entscheidend von der vertraglichen Risikoverteilung abhängt.186 Da hier auf Seiten des Schuldners nicht unmittelbar die verfassungsrechtlich fundierte Elternpflicht in Rechnung zu stellen ist, sondern allein seine einfachrechtlich bestimmte vertragliche Opfergrenze, können auf Seiten des Gläubigers auch einfachrechtlich geschützte Rechtsgüter und Interessen, etwa das bloße Interesse an einem geregelten Betriebsablauf, in die Interessenabwägung einbezogen werden. Insoweit findet also im Rahmen der Frage, ob Unzumutbarkeit vorliegt und dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht zuzubilligen ist, eine umfassende einfachrechtliche Interessenabwägung statt. Anders als bei Gewissenskonflikten ist damit hinsichtlich der Interessenabwägung zu differenzieren. Während bei Gewissenskonflikten ausschließlich eine Abwägung von Verfassungsgütern Platz greifen kann, muss bei der Kollision von Eltern- und Arbeitspflicht schon zur Feststellung einer echten Kollision höchstpersönlicher Pflichten eine Interessenabwägung dahingehend vorgenommen werden, inwieweit dem Leistungsschuldner wirtschaftliche Opfer zur Übertragung der elterlichen Sorge zuzumuten sind. Diese Interessenabwägung ist als eine umfassende Abwägung einfachrechtlicher Rechtsgüter und Interessen zu verstehen, wobei vor allem die vertragliche Risikoverteilung in den Blick zu nehmen ist.187 Zugunsten der Leistungsverweigerung ist dabei – wie schon festgestellt – insbesondere auch eine „verhältnismäßig nicht erhebliche“ Dauer der Leistungshinderung zu berücksichtigen.188 Dies folgt unmittelbar aus dem Willen des Reformgesetzgebers, im Bereich des Arbeitsrechts nicht in überkommene Besitzstände eingreifen zu wollen.189

 186

Oben § 5 I 2 c). Oben § 5 I 2 c). 188 Ausführlich oben § 3 IV 1 f) aa). 189 BT-Drucks. 14/6857 S. 48 re. Spalte. 187

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

(c) Die Bedeutung von Vorhersehbarkeit und Vorhersicht Ein weiterer struktureller Unterschied zu den Fällen der Gewissensfreiheit ergibt sich, wenn man die Rolle der Vorhersicht des Konfliktes in den Blick nimmt: Hatte bei Gewissenskonflikten die Eingehung der vertraglichen Leistungspflicht in Kenntnis der bestehenden Gewissensbedenken die Waagschale zugunsten der Arbeitspflicht verschoben, da insofern von einem partiellen Grundrechtsverzicht ausgegangen werden konnte,190 so ist eine solche Sichtweise bei der Kollision von Arbeits- und Elternpflicht fehl am Platze: Anders als die Gewissensfreiheit erweitert das Pflichtrecht der elterlichen Sorge nicht nur den Freiheitsraum des betroffenen Schuldners, sondern begründet zugleich eine intensive Pflichtenstellung gegenüber dem zu pflegenden Kind und gegenüber der staatlichen Sozialgemeinschaft.191 Hier kommt folglich dem Umstand, dass die elterliche Sorge nicht nur als Elternrecht, sondern zugleich als Elternpflicht charakterisiert werden kann, entscheidende Bedeutung zu: Allein aus diesem Grunde ist die Wahrnehmung der elterlichen Sorge nicht zur Disposition der Eltern gestellt. Ein Grundrechtsverzicht kommt demzufolge nicht in Betracht, da es sich nicht um eine disponible Rechtsposition der Eltern, sondern um eine zwingende und daher keineswegs disponible Pflicht von Verfassungsrang handelt.192

II. Sonstige familiäre Pflichten Auch sonstige familiäre Verpflichtungen und Ereignisse können zu der vertraglichen Leistungspflicht in Konflikt treten. Dabei ergibt sich aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben ein anderes Bild als bei der elterlichen Sorge.

 190

Vgl. Zöllner AcP 196 (1996), 1 (13); Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 191 BVerfGE 24, 119 (143 f.); Lüderitz AcP 178 (1978), 263 ff.; ders. Familienrecht, Rn. 810: „höchstpersönlich und unveräußerlich“; vgl. weiterhin Dieckmann AcP 178 (1978), 298 ff. 192 Allgemein zur Disponibilität Stern, Staatsrecht III/2, § 86 II 4 ff.

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1. Verfassungsrechtliche Vorgaben Zwar wird von Art. 6 I GG auch die Familie im weiteren Sinne unter grundrechtlichen Schutz gestellt.193 Jedoch sind einzelne Ausprägungen oftmals nur einfachrechtlich geregelt. Insbesondere statuiert Art. 6 I GG noch keine allgemeine Pflicht zur Personensorge für Familienangehörige, wie dies im Verhältnis zu Kindern durch Art. 6 II GG der Fall ist.194 Die Pflichten, die sich aus einer Familien- oder Ehegemeinschaft ergeben, sind damit primär keine Pflichten mit verfassungsrechtlichem Rang; sie ergeben sich vielmehr erst aus einfachrechtlichen Konkretisierungen. So nimmt denn auch das BAG hinsichtlich der Treue- und Fürsorgepflicht unter Eheleuten nicht etwa auf Art. 6 I GG Bezug, sondern auf die spezielle einfachrechtliche Ausformung des § 1353 BGB.195 Aus Art. 6 I GG ergibt sich ein Schutzauftrag an die Staatsgewalt, familiäre Strukturen gegenüber schädigenden Einflüssen zu bewahren.196 Dem Schutzauftrag korrelieren zahlreiche einfachrechtliche Gewährleistungen im Kontext von Ehe und Familie, die nicht nur den Freiheitsraum des einzelnen Familienangehörigen und Ehepartners erweitern und damit die Abwehr- und Schutzfunktion des Art. 6 I GG einfachrechtlich konkretisieren. Vielmehr erlegen sie den Familienangehörigen und Ehepartnern zugleich auch rechtliche Pflichten auf, die der Bewahrung der ehelichen oder familiären Gemeinschaft dienen und so dem grundrechtlichen Schutzauftrag Rechnung tragen. Als Paradebeispiel sei hier für das eheliche Zusammenleben § 1353 BGB angeführt, der die Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft statuiert und damit eine Pflichtenstellung der Ehepartner begründet, wie sie intensiver kaum sein kann. So verpflichtet die Vorschrift sowohl zum Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft197 als auch zu gegenseitigem Beistand198 und gegenseitiger Rücksichtnahme.199 Für die Handhabung des unbestimmten Schutzbereiches von Art. 6 I GG ist eine einfachrechtliche Gestaltung und Konkretisierung dessen, was Ehe und Familie ausmacht, geboten und notwendig. Art. 6 I GG ist damit ein in höchs 193

Rauscher, Familienrecht, Rn. 34 ff. m.w.N. Vgl. zum Rechtscharakter und Schutzbereich von Art. 6 I GG BVerfGE 6, 55 (72 ff.); BVerfGE 62, 323 (329); BVerfGE 80, 81 (92 f.); Jarass/Pieroth-Pieroth Art. 6 GG Rn. 1-6. 194

195

BAG NZA 2002, 47 (48). Allerdings geht die Verpflichtung des Staates nicht so weit, jede die Familie treffende Sonderbelastung ausgleichen zu müssen, vgl. BVerfG NJW 1998, 2043; jetzt auch BAG NZA 2002, 47 (49). 196

197

RGZ 53, 340; BGH NJW 1987, 1761 RGZ 70, 50; BGHSt 2, 50; BSG NJW 1957, 1943. 199 Vgl. Schwab FamRZ 1999, 1317. 198

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

tem Maße normgeprägtes Grundrecht; es verlangt nach der Ausgestaltung und Konkretisierung durch Vorschriften des einfachen Rechts.200 Daher kann sich der Schutz von Ehe und Familie auf Ebene des einfachen Rechts nicht nur als Erweiterung des individuellen, durch Art. 6 I GG begründeten Freiheitsraumes darstellen. Vielmehr muss in besonderem Maße für Ehepartner, daneben aber auch für nahe Familienangehörige, eine rechtlich bindende Pflichtenstellung geschaffen werden, will der Gesetzgeber der ihm durch Art. 6 I GG auferlegten Schutzpflicht genügen.201 Bei der Gestaltung dieser Pflichtenstellung ist der Gesetzgeber – anders als bei Art. 6 II GG – weitgehend frei; er wird lediglich durch das Über- und das für grundrechtliche Schutzaufträge charakteristische Untermaßverbot beschränkt.202

2. Einfachrechtliche Ausgestaltungen Somit zeigt sich deutlich, dass auch im Bereich der „sonstigen“ familiären Pflichten die Annahme, es handele sich bei familiären Pflichten schlechthin nicht um Rechtspflichten, sondern nur um sittlich-ethische Pflichten,203 nicht zutrifft. Auf Ebene des einfachen Rechts werden gerade im familiären Bereich vielfach intensive rechtliche Pflichtenstellungen begründet. Die Beantwortung der Frage, wann bei der Kollision zwischen Vertragspflicht und familiärer Verpflichtung die letztere derart überwiegt, dass eine „Unzumutbarkeit“ der Leistungserbringung anzuerkennen ist, fällt angesichts der Vielgestaltigkeit der in Betracht kommenden Familienpflichten auf den ersten Blick schwer. So lässt sich die Interessenlage bei der Pflege eines erkrankten Ehepartners schwerlich mit der Interessenlage bei der Pflege eines erkrankten Großcousins vergleichen. Noch komplexer stellt sich die rechtliche Beurteilung dar, wenn man nicht nur die Fälle der Personensorge für einen erkrankten oder sonst pflegebedürftigen Angehörigen in den Blick nimmt, sondern auch die Leistungshinderung infolge der Teilnahme an Familienfesten,204 dem Begräbnis eines Angehörigen205 oder der eigenen Hochzeit.206  200 Beispielhaft – zu §§ 1353 I 2, 1357 I BGB – BVerfGE 81, 1 (7); zum Ehescheidungsrecht als Schutzbereichskonkretisierung BVerfGE 53, 224 (245). 201 BVerfGE 6, 55 (76); BVerfGE 55, 114 (126); BVerfGE 87, 1 (35); BVerwGE 91, 130 (131 f.). 202

Vgl. BVerfGE 21, 1 (6); BVerfGE 62, 323 (333); BVerfGE 87, 1 (36). Henssler AcP 190 (1990), 538 (563). 204 Vgl. BAG AP § 616 BGB Nr. 43 mit krit. Anm. Schnorr v.Carolsfeld. 205 Staudinger-Oetker § 616 Rn. 61. 206 BAG AP § 616 BGB Nr. 35. 203

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a) Personensorge aa) Strafrechtliche Garantenpflichten In Fällen der Personensorge können als ein erster Maßstab die strafrechtlichen Garantenpflichten herangezogen werden. Kein Leistungsverpflichteter kann gezwungen werden, seine vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, wenn er sich dadurch zugleich eines strafbewehrten Unterlassens schuldig machen würde.207 Damit nämlich würde sich die Rechtsordnung zu sich selbst in Widerspruch setzen. Dem Betroffenen würde keine rechtstreue Verhaltensalternative mehr verbleiben, so dass er in eine rechtlich ausweglose Lage gebracht würde. In diesen Fällen ist daher die Unzumutbarkeit der Leistungserbringung ohne weiteres zu bejahen. Diese Lehre wurde zu § 616 BGB entwickelt208 und ist nahtlos auf andere Tatbestände der Unzumutbarkeit, insbesondere auf die jetzt von § 275 III BGB erfassten Fälle übertragbar. Hier gibt das Strafrecht, indem es für das Unterlassen der Personensorgeverpflichtung eine Kriminalstrafe als ultima ratio im System staatlicher Sozialkontrolle209 ausspricht, die im Rahmen der Interessenabwägung angebrachte Wertentscheidung schon normativ vor. Die Interessenabwägung fällt damit einseitig zugunsten des Leistungsverpflichteten aus. Probleme können in diesen Fällen lediglich dann auftreten, wenn auch das Unterlassen der vertraglichen Leistungspflicht zu einem strafbewehrten Unterlassen führt, die Vertragspflicht also nur den Rahmen für den Schutz höherwertiger Rechtsgüter darstellt. Zugespitzt verdeutlicht dies folgender Fall: Ein Notarzt wird zu seinem erkrankten Vater gerufen, dem bei einem Unterbleiben einer sofortigen Behandlung lediglich eine Gesundheitsverschlechterung droht. Zeitgleich geht ein weiterer Notruf ein; bei diesem Patienten besteht bei Unterbleiben einer sofortigen Behandlung erkennbar Lebensgefahr. Es stellt sich die Frage, ob hier die familiäre Garantenpflicht, die durch die tatsächlich übernommene Schutzfunktion eines Notarztes noch verstärkt ist, die ausschließlich durch tatsächliche Übernahme einer Schutzfunktion begründete Garantenpflicht gegenüber dem anderen Notfallpatienten trotz der unterschiedlichen Wertigkeit der bedrohten Rechtsgüter verdrängen kann. In diesen Fällen einer Kollision von Garantenpflichten ist eine strafrechtsimmanente Lösung angebracht, deren Wertungen dann auf die zivilrechtliche Unzumutbarkeits-Betrachtung zu übertragen sind. Mit den zutreffenden Lehren der Strafrechtswissenschaft wird man in derartigen Fällen eine Abwägung zwischen der Intensität der Garantenpflich 207

Erman-Belling § 616 Rn. 25 mit Beispielen aus der Rspr. Staudinger-Oetker § 616 Rn. 56 m.w.N. 209 Ähnlich BVerfGE 88, 203. 208

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

ten einerseits und dem Rang der betroffenen Rechtsgüter andererseits vornehmen müssen.210

bb) Sonstige Rechtspflichten: § 1353 BGB und § 2 LPartG Die Betroffenheit strafrechtlicher Garantenpflichten ist jedoch nur ein hinreichendes, kein notwendiges Kriterium der „Unzumutbarkeit“ wegen Personensorge für Familienangehörige.211 Strafrechtlich bewehrte Pflichten werden – wie schon angeklungen – immer nur als ultima ratio begründet, wenn die Pflichtenstellung von so bedeutendem Gewicht ist, dass eine Kriminalstrafe bei Nichterfüllung der Pflicht verhältnismäßig scheint. Auch unterhalb dieser Schwelle existieren jedoch im Bereich von Ehe und Familie zahlreiche Pflichten, die ohne strafrechtliche Drohung eine Beistandspflicht begründen. Dies resultiert etwa für die Pflege erkrankter oder sonst pflegebedürftiger Ehepartner aus § 1353 BGB;212 hier besteht eine rechtliche Verpflichtung zu gegenseitigem Beistand insbesondere auch bei Pflegebedürftigkeit.213 In diesen Fällen ist durch den Bestand der Rechtspflicht zur Personensorge für den Ehepartner allerdings noch keine absolute Entscheidung für eine Unzumutbarkeit der Leistungserbringung getroffen; vielmehr ist, da hier zwei einfachrechtliche, zivilrechtliche Pflichten miteinander in Konflikt treten, eine umfassende Interessenabwägung zwischen dem Gläubigerinteresse an der Leistungserbringung und dem Schuldnerinteresse an der Leistungsverweigerung vorzunehmen. Dabei kann zugunsten des Gläubigers insbesondere auch die vertragliche Risikoverteilung,214 vor allem also eine hervorgehobene Stellung des Arbeitnehmers in der Betriebsorganisation des Arbeitgebers und die Höhe des Entgelts in die Interessenabwägung einbezogen werden, soweit diese Merkmale in der Vertragsgestaltung Niederschlag gefunden haben. Ebenso sind die betrieblichen und wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, die der Leistungs 210

Im Einzelnen streitig; vgl. ausführlich Schönke/Schröder-Lenckner Vor § 32 Rn. 74 m.w.N. 211 Ebenso Staudinger-Oetker § 616 Rn. 56 m.w.N. 212 Vgl. BAG AP § 616 BGB Nr. 47. 213

In seiner jüngsten Rspr. stellt auch das BAG [NZA 2002, 47 (49)] darauf ab, dass in Fällen der Niederkunft einer Ehegattin sich eine Pflichtenkollision zwischen der Arbeitspflicht und der eherechtlichen Beistandspflicht des Ehemannes aus § 1353 I BGB ergeben kann; vgl. auch RGZ 70, 50. Eine Pflicht zur Pflege des schwerstbehinderten Ehepartners lehnt BGH NJW 1995, 1486 zwar ab, doch mag diese Entscheidung mit den Besonderheiten des Falles zusammenhängen. 214

Vgl. ausführlich für Fälle der Elternpflicht oben § 5 I 2 c). Die Ausführungen lassen sich auf die hier thematisierten Fälle entsprechend übertragen.

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gläubiger infolge der Leistungsverweigerung erleidet, umfassend zu würdigen. Zugunsten des Leistungspflichtigen sprechen hingegen die psychische Notwendigkeit der Betreuung des Ehepartners, die typische Singularität des Leistungshindernisses etwa bei der Geburt eines Kindes sowie eine eher untergeordnete Stellung im Betrieb und ein niedriges Arbeitsentgelt.215 Zugleich ist auch der durch Art. 6 I GG begründete besondere Schutz für Ehe und Familie als gewichtiger – wenn auch nicht absoluter – Faktor in die Interessenabwägung einzubeziehen, der die Rechtsstellung des Leistungspflichtigen bei der Wahrnehmung familiärer Verpflichtungen zusätzlich verstärkt. Eine dem § 1353 I BGB vergleichbare Rechtspflicht zu „Fürsorge und Unterstützung“ begründet auch § 2 LPartG für eingetragene Lebenspartnerschaften.216 Die Reichweite der Pflichtenstellung ist dabei gegenüber § 1353 BGB in Teilbereichen bewusst eingeschränkt; insbesondere wird keine Rechtspflicht zur Lebens- und häuslichen Gemeinschaft begründet.217 In den geregelten Bereichen der „Fürsorge und Unterstützung“ wird die eingetragene Partnerschaft jedoch der Ehe vergleichbar erachtet. Insofern diente die legislative Vorstellung von der Ehe als „Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft“ ausdrücklich als Vorbild.218 Wie bei der Ehe handelt es sich bei der eingetragenen Lebenspartnerschaft um eine dauerhafte, idealtypisch lebenslang angelegte Partnerschaft.219 Daher wird man die zur ehelichen Lebensgemeinschaft entwickelten Lösungsmuster für die hier interessierenden Fragen auch auf die eingetragene Lebenspartnerschaft übertragen können:220 Die Unzumutbarkeit der Leistungserbringung wegen notwendiger Pflege des Lebenspartners ist daher im Wege einer umfassenden Interessenabwägung anhand der dargestellten Kriterien zu ermitteln.

 215

Vgl. oben § 5 I 2 c) bb) sowie Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (163). Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft v. 16.2.2001 BGBl. III/FNA 400-15. 217 Vgl. Palandt-Brudermüller63 § 2 LPartG Rn. 2; eine solche Zurückhaltung wäre de lege ferenda in Anbetracht geänderter gesellschaftlicher Anschauungen auch bei der Ehe wünschenswert. 218 BT-Drucks. 14/3751 S. 36. 219 So auch Palandt-Brudermüller63 § 2 LPartG Rn. 1; Dethloff NJW 2001, 2598 (2600); a.A. Kaiser JZ 2001, 617 (618). 220 Ähnlich Schaub-Linck § 97 Rn. 6; vgl. weiterhin Powietzka BB 2002, 146 ff. 216

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

cc) Sittlich-ethische Pflichten: Personensorge für sonstige Angehörige (1) Nahe Angehörige Eine Rechtspflicht zur Pflege der eigenen Eltern und Geschwister wird man demgegenüber unterhalb der Schwelle strafrechtlicher Garantenpflichten nicht annehmen können. Hier fehlt es an einer entsprechenden einfachrechtlichen Ausgestaltung. In allen Fällen, in denen die Wahrnehmung von Personensorge für Eltern und Geschwister also nicht mit der Zielsetzung erfolgt, eine ansonsten unmittelbar drohende Lebens- oder Gesundheitsgefahr abzuwehren,221 kommt eine Rechtspflicht als Gegenpol zur Vertragspflicht nicht in Betracht. Allerdings greift bei der Pflege erkrankter oder sonst pflegebedürftiger Eltern und Geschwister eine starke sittlich-ethische Verpflichtung Platz, die ähnlich einer rechtlichen Pflicht geeignet ist, die Vertragspflicht zurücktreten zu lassen.222 Dabei ist zu beachten, dass eine ausschließlich sittliche Pflicht kaum als Legitimationsgrund zur Durchbrechung der Vertragspflicht Anerkennung finden kann. Eine solche Sichtweise ist vielmehr nur zulässig, wenn die Wahrnehmung der sittlichen Pflicht durch die Rechtsordnung zu einem Rechtsgut des sittlich Verpflichteten erhoben wird, die Wahrnehmung der sittlichen Pflicht also durch normative Wertungen sanktioniert wird. Wie schon für den Konflikt zwischen Gewissenspflicht und Vertragspflicht gezeigt,223 kann sich eine zunächst rein sittliche Pflicht durch eine wertende normative Entscheidung zu einem Rechtsgut des sittlich Verpflichteten wandeln. In diesen Fällen tritt die Unzumutbarkeit der Leistungserbringung letztlich nicht durch eine Pflichtenkollision, sondern durch die Kollision von Rechtsgütern ein. Die sittliche Pflicht zur Personensorge für nahe Angehörige wird durch Art. 6 I GG in den Rang eines verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgutes erhoben; somit fließt sie als Ausprägung des verfassungsrechtlich eingeforderten Schutzes der familiären Verbundenheit in den Abwägungsprozess ein. Graduell wird man jedoch das Fehlen einer Rechtspflicht zur Wahrnehmung von Personensorge bei der vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung berücksichtigen müssen. Ansonsten sind die oben für Ehegatten genannten Kriterien in die umfassende Interessenabwägung einzubeziehen; zusätzlich mag eine enge oder ferne Beziehung zu dem pflegebedürftigen Angehörigen zugunsten der einen oder der anderen Seite zu berücksichtigen sein.  221 In diesen Fällen besteht eine strafrechtliche Handlungs- bzw. Garantenpflicht, vgl. nur BGHSt 19, 167; BGH JR 1955, 104; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 718. 222 223

Für § 616 BGB ähnlich Staudinger-Oetker § 616 Rn. 57. Oben § 3.

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(2) Nichteheliche Lebensgefährten Bei nichtehelichen Lebensgefährten ergibt sich eine allgemeine Beistandspflicht nicht schon aus einer analogen Anwendung von § 1353 BGB, da es aufgrund der Strukturverschiedenheit zwischen Ehe und nichtehelicher Lebensgemeinschaft an der Vergleichbarkeit der Regelungssachverhalte mangelt.224 Insbesondere ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft anders als die Ehe weder ein öffentliches Rechtsverhältnis225 noch eine durch das Versprechen der Dauerhaftigkeit geprägte, idealtypisch lebenslange Partnerschaft.226 Auch das BAG hat jüngst eine Gleichstellung von nichtehelichen Lebensgefährten mit Ehepartnern abgelehnt, jedoch nichteheliche Lebensgefährten „Angehörigen“ ohne weiteres gleichgestellt.227 Die Ablehnung einer Gleichstellung mit ehelichen Lebensgemeinschaften begründet es damit, dass die nichteheliche Lebensgemeinschaft nach wie vor durch ihre mangelnde umfassende Rechtsverbindlichkeit und die mangelnde Dauerhaftigkeit zu charakterisieren sei.228 Insbesondere sei auch durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz229 hinsichtlich der nichtehelichen Lebensgemeinschaft keine Änderung eingetreten, soweit es nicht um die Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechtes für ein gemeinsames Kind, sondern allein um die Personensorge für den Lebensgefährten gehe.230 Den Ausführungen ist aufgrund der dargestellten Strukturverschiedenheit zwischen Ehe und nichtehelicher Lebensgemeinschaft zuzustimmen. Gerade auch aus dem Erlass des LPartG lässt sich nunmehr der Schluss ziehen, dass das nichteheliche Zusammenleben unterschiedlich geschlechtlicher Partner – da für diese immer die Alternative der Ehe besteht – geringeren Schutz verdient als die Ehe oder auch die eingetragene Partnerschaft. Aus diesen Gründen scheidet eine Gleichstellung mit beiden Rechtsinstituten aus.231  224

Palandt-Brudermüller63 Einl. vor § 1297 Rn. 11, 18; Schlüter/Belling FamRZ 1986, 405, allgemein zur Problematik nichtehelicher Lebensgemeinschaften Battes, Nichteheliches Zusammenleben im Zivilrecht (1983); Schlüter, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft (1981); jeweils m.w.N. 225

Zu eingetragenen Partnerschaften im Sinne des LPartG vgl. hingegen oben § 5 II 2 a)

bb). 226

Vgl. BVerfGE 10, 59 (66); BVerfGE 31, 58 (62). BAG NZA 2002, 47 (48). 228 BAG NZA 2002, 47 (49). 229 Vom 16.12.1997 BGBl. I, S. 2942. 230 BAG NZA 2002, 47 (49). 231 Vgl. nur BK-Pirson Art. 6 GG Rn. 17. 227

254

2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Zweifeln könnte man auch an der seitens des BAG ohne nähere Begründung vorgenommenen Gleichstellung mit „Angehörigen“, sofern man diesen Begriff gleichbedeutend mit dem Begriff des „Verwandten“ versteht. Die Beziehung zu Familienangehörigen ist üblicherweise gekennzeichnet von einer natürlichen, durch gemeinsame Abstammung begründeten und folglich grundsätzlich nicht zu beendenden Verwandtschaft.232 Diese genealogisch begründete extreme Dauerhaftigkeit ist in der nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht einmal im Ansatz vorhanden. Jedoch wird für eine rechtlich angemessene Betrachtung nicht auf die Verwandtschaftsbeziehung als solche abzustellen sein, sondern vielmehr auf die emotional-soziale Nähe, die in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft typischerweise ähnlich intensiv ausgeprägt ist wie zwischen nahen Verwandten. Nimmt man diesen Aspekt verstärkt in den Blick, so erscheint die Gleichstellung mit Angehörigen in Anbetracht der besonderen emotionalen Nähebeziehung in der Tat angebracht.

(3) Entfernte Verwandte Bei der Wahrnehmung von Personensorge für fernere Verwandte schwächt sich die sittliche Pflicht zur Pflege und Betreuung und damit zugleich die grundrechtliche Gewährleistung entsprechender Handlungsmöglichkeiten durch Art. 6 I GG umso weiter ab, je entfernter sich die verwandtschaftliche Beziehung darstellt.233 Hier ist wiederum eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, wobei in der Regel das Leistungsinteresse des Gläubigers Vorrang genießen dürfte. Allerdings kann der Grad der Verwandtschaft kein absolutes Kriterium darstellen. Wenn schon in der nichtehelichen Lebensgemeinschaft gezeigt wurde, dass letztlich entscheidend für die Beurteilung der Unzumutbarkeit die emotional-soziale Bindung zwischen dem Pflegebedürftigen und dem Leistungsverpflichteten ist, so muss dies entsprechend auch für entferntere verwandtschaftliche Beziehungen gelten. Zugunsten des Leistungspflichtigen ist dabei insbesondere auch die häusliche Gemeinschaft mit dem Pflegebedürftigen zu berücksichtigen, die eine Vermutung für eine starke emotional-soziale Bindung zu begründen vermag.

 232

Palandt-Brudermüller63 Einl. vor § 1589 Rn. 1. Teilweise wird daher vorgeschlagen, Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung (im Rahmen von § 616 BGB) nur dann eintreten zu lassen, wenn die Pflege von Eheleuten, Abkömmlingen, Eltern und Geschwistern in Rede steht, vgl. Staudinger-Oetker § 616 Rn. 57. 233

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255

dd) Vermeidung der Kollision durch wirtschaftliche Anstrengungen Auch in den hier dargestellten Fällen kann – wie bei der Elternpflicht – die Betreuung in der Regel auf Dritte, etwa gewerbliche Pflegekräfte, übertragen werden. In diesen Fällen kommt es mangels zweier höchstpersönlicher Pflichten zu gar keiner echten Pflichtenkollision.234 Soweit also die Übertragung möglich ist, stellt sich wiederum die Frage, welche wirtschaftlichen Anstrengungen dem Leistungspflichtigen zur Abwendung der Kollision zumutbar sind. Letztlich handelt es sich hier um dieselbe Frage der vertraglichen Risikozuweisung, die schon bei der Elternpflicht ausführlich erörtert wurde. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.235

b) Familiäre Ereignisse Auch familiäre Ereignisse, die nicht die Ausübung von Personensorge zum Inhalt oder zur Folge haben, können in Konflikt zu der vertraglichen Leistungspflicht treten: Genannt seien hier die Eheschließung des Leistungspflichtigen,236 die Niederkunft seiner Ehegattin237 oder nichtehelichen Lebensgefährtin,238 Todesfälle und Begräbnisse in der Verwandtschaft239 oder auch Familienfeiern wie beispielsweise die goldene Hochzeit der eigenen Eltern.240 Gemeinsam ist diesen Fällen, dass eine Rechtspflicht zur Anwesenheit bei dem Ereignis nicht besteht, mag – im Fall der Eheschließung – die Anwesenheit der Eheleute nach § 1310 I 1 BGB auch Voraussetzung für das Zustandekommen der Ehe sein. Daher ist – ähnlich wie bei der Personensorge für Verwandte – stets im Einzelfall zu ermitteln, wann eine derart starke sittliche Verpflichtung besteht, dass die Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung in dem entsprechenden Zeitraum „unzumutbar“ erscheint.241 Damit korrespondiert die jeweilige Intensität der Schutzwirkung von Art. 6 I GG. Dieser begründet auch in diesen Fällen eine der sittlichen Verpflichtung korrelierende  234 235 236

Vgl. oben § 5 I 2. Vgl. oben § 5 I 2 c) bb).

BAG AP § 616 BGB Nr. 35; BAG AP § 616 BGB Nr. 61. BAG AP § 616 BGB Nr. 38; BAG AP § 616 BGB Nr. 44. 238 BAG NZA 2002, 47 ff. 239 Staudinger-Oetker § 616 Rn. 61. 240 BAG AP § 616 BGB Nr. 43. 241 Dass in diesen Fällen auf die sittliche Verpflichtung abgestellt wird, kann als allgemeine Ansicht bezeichnet werden; vgl. nur Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2002), S. 147 (149); Henssler AcP 190 (1990), 538 (563). 237

256

2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Rechtsposition des sittlich Verpflichteten und vermag somit die vertragliche Leistungspflicht zu verdrängen.

aa) Eheschließung des Leistungspflichtigen Die faktische Notwendigkeit einer persönlichen Anwesenheit des Leistungspflichtigen ist bei keinem anderen familiären Ereignis so offenkundig wie bei der eigenen Eheschließung. Hier würde die besonders starke Schutzwirkung von Art. 6 I GG praktisch eliminiert, wenn man den Leistungspflichtigen zeitgleich für zur Leistung verpflichtet hielte. Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Leistungspflichtigen, das wesentlich zum Inhalt hat, in Fragen, die seine engere persönliche Sphäre betreffen, nicht bevormundet und – sei es auch nur faktisch – fremdbestimmt zu werden,242 gebietet es, hier regelmäßig ein Überwiegen der Rechtsposition des Leistungspflichtigen gegenüber seiner vertraglichen Leistungspflicht anzuerkennen. In diesem Fall ergibt demnach die anzustellende Interessenabwägung im Grundsatz die Unzumutbarkeit der Leistungserbringung; dem Leistungspflichtigen steht bei seiner Eheschließung grundsätzlich ein Leistungsverweigerungsrecht zur Seite, wenn es zu einer zeitlichen Kollision mit der Vertragspflicht kommt. Da sich die Hinderung in aller Regel über einen „verhältnismäßig unerheblichen Zeitraum“ erstrecken wird, dürfte praktisch stets für das Schicksal des Gegenleistungsanspruchs § 616 BGB einschlägig sein und zugleich – nach den obigen Ausführungen – auch die im Rahmen von § 275 III BGB anzustellende Interessenabwägung zugunsten des Dienstverpflichteten beeinflussen.243 Anders hat freilich jüngst das BAG zur Eheschließung des Arbeitnehmers befunden: Der Arbeitnehmer sei bei seiner eigenen Eheschließung auf die „Inanspruchnahme von Erholungsurlaub oder [...] unbezahlte Freistellung“ zu verweisen.244 Was damit gemeint ist, bleibt unklar: Würde man tatsächlich annehmen, der Arbeitnehmer müsse für seine Eheschließung Erholungsurlaub in Anspruch nehmen, so wäre der Zeitpunkt der Eheschließung aufgrund des Charakters eines derartigen Urlaubsanspruchs entscheidend von betrieblichen  242

BVerfGE 54, 148 (153); BVerfGE 60, 329 (339); vgl. näher auch Jarass NJW 1989,

857. 243 Nach dem Willen des Gesetzgebers des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes sollte in arbeitsrechtliche Besitzstände durch die Neuregelung nicht eingegriffen werden (BT-Drucks. 14/6857 S. 48). Daher ist bei strukturell kurzzeitigen Leistungshindernissen die kurze Dauer als erhebliches Abwägungskriterium zugunsten des Leistungspflichtigen zu werten; vgl. schon oben § 3 IV 1 f) bb) sowie § 5 I 3 a) bb) (3.). 244 BAG NZA 2002, 47 (50).

§ 5 Unzumutbarkeit aus familiären Gründen

257

Erfordernissen abhängig.245 Dies dürfte den Realitäten in der betrieblichen Praxis ebenso wenig gerecht werden wie den dargestellten verfassungsrechtlichen Wertungen. Was das BAG mit „unbezahlter Freistellung“ meint, bleibt ebenfalls offen: Auch hier scheint nicht an ein Leistungsverweigerungsrecht, sondern an einen Freistellungsanspruch oder gar an eine Art Gnadenakt des Arbeitgebers gedacht zu sein. Auch dies kann weder den Erfordernissen der Praxis noch rechtssystematischen Wertungen genügen. Die dargestellte Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des BAG246 erscheint jedenfalls kaum erklärlich und verfehlt.

bb) Niederkunft der Ehefrau und Lebensgefährtin Für die Niederkunft der Ehefrau hat das BAG verschiedentlich entschieden, dass ein Fall von § 616 BGB vorliege.247 Dabei wurde ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Verweigerung der Arbeitsleistung sogar dann bejaht, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit gar nicht mit der Zwecksetzung verweigerte, persönlich seiner (sich in Spanien aufhaltenden) Ehefrau beizustehen, sondern lediglich Formalitäten anlässlich der Geburt des Kindes auszuführen.248 Für die Niederkunft der nichtehelichen Lebensgefährtin hat das BAG jüngst entschieden, dass eine bezahlte Freistellung von der Arbeit nicht in Betracht komme.249 Diese Wertung ergebe sich aus den strukturellen Unterschieden zwischen Ehe und nichtehelicher Lebensgemeinschaft und habe auch durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz250 keine Änderung erfahren: Die Anwesenheit bei der Geburt stelle sich nämlich nicht als Ausübung des Sorge- oder Umgangsrechts für das neugeborene Kind, sondern vielmehr als Personensorge für die Kindesmutter dar.251 Hierfür sei auch durch das Kindschaftsrechtsreformge 245 § 7 I 1 Halbs. 2 BUrlG macht den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers von dem Entgegenstehen dringender betrieblicher Erfordernisse und Urlaubswünschen anderer Arbeitnehmer abhängig. Die Urlaubsgewährung unterliegt nach zutreffender Ansicht jedoch nicht dem billigen Ermessen des Arbeitgebers nach § 106 GewO. Vgl. BAG AP § 7 BUrlG Nr. 10 mit Anm. Leipold; ErfK-Dörner4 § 7 BUrlG Rn. 15; Schaub-Linck § 102 Rn. 60; MünchArbRLeinemann § 89 Rn. 80; ders. DB 1983, 989 (992). 246 BAG AP § 616 BGB Nr. 35 und BAG AP § 616 BGB Nr. 61 erkennen die Hochzeit des Arbeitnehmers als Fall einer „Unzumutbarkeit“ i.S.v. § 616 BGB ausdrücklich an. 247

Vgl. BAG AP § 616 BGB Nr. 38; BAG AP § 616 BGB Nr. 44. BAG AP § 616 BGB Nr. 44 mit zustimmender Anm. Küchenhoff. 249 BAG NZA 2002, 47 ff. 250 Vom 16.12.1997 BGBl. I, S. 2942. 251 Die Divergenz zu dem Urteil BAG AP § 616 BGB Nr. 44 wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass dort gerade nicht auf die Betreuung und den Beistand zugunsten der Mutter, sondern vielmehr auf die Erledigung familiärer Formalitäten zugunsten des Kindes 248

258

2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

setz keine dem § 1353 BGB vergleichbare Vorschrift geschaffen worden. Aus diesen Gründen sei der Arbeitnehmer auf die Inanspruchnahme von Erholungsurlaub oder unbezahlter Freistellung zu verweisen. Die Notwendigkeit der Inanspruchnahme von Erholungsurlaub stößt an die oben genannten praktischen Grenzen – und dies bei der Niederkunft der nichtehelichen Lebensgefährtin in noch höherem Maße als bei der eigenen Hochzeit, denn der genaue Zeitpunkt der Niederkunft lässt sich schlechthin nicht planen. Die Inanspruchnahme von Erholungsurlaub erfordert jedoch die Abstimmung mit dem Arbeitgeber sowie die Berücksichtigung der betrieblichen Interessen und der Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer.252 Dies angesichts der bevorstehenden Niederkunft der Lebensgefährtin zu fordern, erscheint praxisfremd. Was mit „unbezahlter Freistellung“ gemeint ist, bleibt gleichfalls offen. Die jetzt in § 275 III BGB geregelte Leistungsverweigerung kann jedenfalls nicht gemeint sein, da sie gerade im konkreten Fall wegen der „verhältnismäßig nicht erheblichen“ Dauer der Leistungshinderung keine „unbezahlte“, sondern eine bezahlte Freistellung begründen würde. Die Unzumutbarkeit der Leistungserbringung wegen Niederkunft der Lebensgefährtin oder Ehefrau lässt sich weder einseitig mit der Personensorge und dem Beistand zugunsten der Kindesmutter begründen noch einseitig mit dem familiären Interesse, an dem singulären Ereignis der Geburt eines eigenen Kindes teilhaben zu können. Es sind vielmehr beide Aspekte im Rahmen einer Gesamtschau zu würdigen. Daher sind beide hier in Bezug genommenen Entscheidungen zu einseitig: Wurde in der Entscheidung vom 18.1.2001 allein auf die Personensorge für die Mutter Bezug genommen und diese mangels ehelicher Lebensgemeinschaft als rechtlich wenig relevant charakterisiert,253 nimmt die Entscheidung vom 12.12.1973 allein auf die – rein technisch verstandene – Personensorge für das Kind Bezug, ohne dass auf den Beistands- und Fürsorgeaspekt zugunsten der Mutter eingegangen wird.254 Tatsächlich müssen meines Erachtens zur Begründung von Unzumutbarkeit wegen der Geburt eines eigenen Kindes beide Aspekte erfüllt sein: In dem vom BAG am 18.1.2001 entschiedenen Fall wird man nach dem oben Gesagten einerseits eine – zwar nur sittliche, gleichwohl intensive – Beistandspflicht zugunsten der Lebensgefährtin annehmen können, deren Wahrnehmung durch

 und den bloßen Wunsch, die Geburt mit Freunden zu feiern, Bezug genommen wird. Dies hält das BAG für hinreichend, um „Unzumutbarkeit“ i.S.v. § 616 BGB anzuerkennen. 252

§ 7 I 1 Halbs. 2 BUrlG; dazu BAG AP § 7 BUrlG Nr. 10 mit Anm. Leipold. BAG NZA 2002, 47 (48 f.). 254 BAG AP § 616 BGB Nr. 44. 253

§ 5 Unzumutbarkeit aus familiären Gründen

259

Art. 6 I GG geschützt ist.255 Zugleich ist ein sehr intensives und bedeutsames Interesse des Kindesvaters anzuerkennen, an dem singulären Ereignis der Geburt des Kindes teilzuhaben. Auch dieses Teilhabeinteresse ist seinerseits durch Art. 6 I GG geschützt. Beide Aspekte liegen damit vor. Der erste Aspekt der Beistandspflicht für die Kindesmutter ist dabei freilich weniger stark ausgeprägt als in einer ehelichen Lebensgemeinschaft. Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung begründet sich also aus der Rechtsgüterkollision, gerade während der Arbeitszeit bei dem Ereignis der Geburt – aus beiden genannten Gründen – zugegen zu sein. Die Entscheidung des BAG überzeugt daher auch in dieser Hinsicht nicht. In der Entscheidung vom 12.12.1973256 hingegen ist zwar der Aspekt des Teilhabeinteresses im Ansatz erfüllt, wenn auch nur rudimentär: Der Arbeitnehmer wollte nicht an dem Ereignis der Geburt durch persönliche Anwesenheit teilhaben, sondern die Geburt mit Freunden feiern und verschiedene Formalitäten erledigen. Beides hätte er ohne weiteres auch außerhalb der Arbeitszeit vornehmen können; es ist also schon das Bestehen einer – für § 616 BGB wie jetzt für § 275 III BGB erforderlichen – Pflichten- oder Rechtsgüterkollision zweifelhaft. Der zweite Aspekt, die Beistandspflicht zugunsten der Ehefrau, ist in diesem Fall zwar formell durch die Rechtspflicht des § 1353 BGB verstärkt. Jedoch blieb der Arbeitnehmer hier gar nicht mit der Zielsetzung der Arbeit fern, seiner Ehefrau bei der Geburt beizustehen. Auch dieser Aspekt vermag also keine Unzumutbarkeit zu begründen. Insgesamt kann daher nicht pauschal auf die Frage abgestellt werden, ob es sich um die Niederkunft der Ehefrau oder einer nichtehelichen Lebensgefährtin handelt, sondern es sind alle Umstände im Sinne einer umfassenden Interessenabwägung heranzuziehen. Dabei wird Unzumutbarkeit immer dann vorliegen, wenn zum einen der rechtlich oder sittlich gebotene Beistand für die Kindesmutter und zum anderen das Interesse des Kindesvaters, an dem Ereignis der Geburt teilzuhaben, in einen zeitlichen Konflikt mit der Arbeitspflicht treten und eine Gesamtabwägung der Umstände das Interesse des Arbeitnehmers an der Leistungsverweigerung überwiegen lässt. Bei dieser Interessenabwägung ist insbesondere die in Art. 6 I GG getroffene Wertentscheidung zu berücksichtigen. Dem Interesse an der Leistungsverweigerung wird regelmäßig dann Vorrang gegenüber der Arbeitspflicht zukommen, wenn beide Aspekte kumulativ vorliegen und die Erfüllung der Arbeitspflicht zeitlich eine Anwesenheit bei dem Ereignis der Geburt nicht zuließe. Liegen nicht beide Aspekte vor, sondern ist  255 Ähnlich im Ansatzpunkt auch das BAG [NZA 2002, 47 ff.], wenn es die nichteheliche Lebensgefährtin ohne weiteres „Angehörigen“ gleichstellen will. 256 BAG AP § 616 BGB Nr. 44.

260

2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

etwa nur ein Aspekt erfüllt, so kann die Beurteilung aufgrund überwiegender betrieblicher Interessen auch zuungunsten des Dienstverpflichteten ausfallen.

cc) Todesfälle und Begräbnisse Ähnlich wie bei der Betreuung von erkrankten oder sonst pflegebedürftigen Angehörigen stellt sich die Situation des Leistungsverpflichteten bei Todesfällen und Begräbnissen dar: Handelt es sich bei dem Verstorbenen um einen engen Angehörigen, etwa Ehepartner, Eltern oder Geschwister, besteht eine starke sittliche Pflicht zur Teilhabe an dem familiären Ereignis, deren Wahrnehmung durch den Schutz der Familie in Art. 6 I GG gefördert und geschützt wird. Der durch Art. 6 I GG vermittelte Schutz verstärkt sich umso mehr, je enger die verwandtschaftliche Beziehung und zudem die emotional-soziale Nähe zu dem Verstorbenen ist.257 Insoweit kann auf die obigen Ausführungen zur Pflege betreuungsbedürftiger Angehöriger verwiesen werden.258 Bei einer besonders engen verwandtschaftlichen Beziehung, wie sie etwa zu Eltern oder Geschwistern besteht, dürfte die intensive Schutzwirkung durch Art. 6 I GG in aller Regel die Vertragspflicht zurücktreten lassen; es sei denn, konkret höherwertige Rechtsgüter oder Interessen des Gläubigers würden durch Nichterbringung der geschuldeten Leistung irreparabel geschädigt. Je fernliegender die verwandtschaftliche Beziehung ist, desto schwächer wirkt der Schutz des Art. 6 I GG und desto stärker können einfachrechtliche Interessen des Gläubigers, etwa das Interesse an einem reibungslosen Betriebsablauf, das Ergebnis der Abwägung zugunsten des Gläubigers verschieben.

dd) Familienfeiern Auch bei Familienfeiern ist eine solche Differenzierung nach dem Grad der bestehenden sittlichen Verpflichtung zur Teilnahme und der damit korrespondierenden jeweiligen Intensität der Schutzgewährleistung durch Art. 6 I GG geboten. Das BAG hat eine „besonders stark ausgeprägte sittliche Verpflichtung“ etwa mit Blick auf die Anwesenheit bei der goldenen Hochzeit der Eltern angenommen.259 Aufgrund der engen verwandtschaftlichen Beziehung und der Singularität des Ereignisses wird man dem folgen können. Gleiches dürfte für  257 Auf diesen Maßstab nehmen auch – in anderem Kontext – BAG AP § 616 BGB Nr. 48 und Staudinger-Oetker § 616 Rn. 56 Bezug. 258 259

Vgl. oben § 5 II 2 a) cc). BAG AP § 616 BGB Nr. 43.

§ 5 Unzumutbarkeit aus familiären Gründen

261

die Hochzeit naher Verwandter, etwa eines Bruders oder einer Schwester, gelten. Anders dürfte sich hingegen die Abwägung bei entfernteren Verwandten oder bei sich periodisch wiederholenden Ereignissen wie Geburtstagen darstellen. Hier schwächt sich der durch Art. 6 I GG begründete Schutz der familiären Gemeinschaft260 mehr und mehr ab. Gerade in dieser Fallkonstellation ist zu berücksichtigen, dass es durch die Wahrnehmung der familiären Verpflichtung kausal zu einem Konflikt mit der Leistungspflicht kommen muss. Dies ist beispielhaft nicht der Fall, wenn die Familienfeier außerhalb der Arbeitszeit stattfindet oder die Intensität der sittlichen Pflicht auch eine Teilnahme zulässt, die sich auf den außerhalb der Arbeitszeit liegenden Teil der Familienfeier beschränkt. Dann kommt es schon im Ansatz zu keiner echten Rechtsgüterkollision; die Arbeitspflicht bleibt in vollem Umfang bestehen.261

3. Die rechtliche Behandlung – Kriterien der Interessenabwägung Nachdem die Voraussetzungen und übergeordneten Vorgaben bei Pflichtenund Rechtsgüterkollisionen im familiären Bereich dargestellt sind, stellt sich die Frage nach den Konfliktlösungsmechanismen, die das bürgerliche Recht für die aufgezeigten Konflikte bereithält. Wie schon für den Bereich der Elternpflicht gezeigt, beinhaltet § 275 III BGB nun eine umfassende Rechtsgrundlage, die das Schicksal der primären Leistungspflicht bei Leistungshindernissen im familiären Bereich regelt.262 § 616 BGB beschränkt sich demgegenüber seit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes bei familiären Leistungshindernissen auf seine explizite Funktion, dem Dienstverpflichteten seinen Entgeltanspruch zu erhalten.263 Das zentrale Tatbestandsmerkmal von § 275 III BGB ist die durch Interessenabwägung zu ermittelnde „Unzumutbarkeit“ der Leistungserbringung. Nach den ausführlichen Darstellungen zu einzelnen Erscheinungsformen familiär begründeter Leistungshindernisse sind bestimmte allgemeine Kriterien der Interessenabwägung auszumachen: Entscheidend zu berücksichtigen ist, inwieweit eine rechtliche oder sittliche Pflicht im familiären Kontext besteht und  260

Vgl. nur Loschelder FamRZ 1988, 333; vgl. auch die umfassende Darstellung von Kirchhof, Krause und Mikat, in: Essener Gespräche Bd. 21 (1986). 261 Vgl. oben § 5 I 2 b). 262 Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte: Pflege schwerwiegend erkrankter Angehöriger; dazu Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 111 f. 263 Zu den Funktionen des § 616 BGB ausführlich oben § 3 IV 1 c) sowie § 5 I 3 a).

262

2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

wie stark sich die verfassungsrechtliche Sanktionierung dieser familiären Pflicht auswirkt. Die stärkste Rechtspflicht besteht dabei, sofern strafrechtliche Garantenpflichten in Rede stehen. Hier wird die Interessenabwägung in aller Regel die „Unzumutbarkeit“ der Leistungserbringung ergeben, da die Interessenabwägung durch die strafbewehrte Garantenpflicht schon normativ vorgeprägt ist.264 Ebenfalls starke familienrechtliche Verpflichtungen bestehen im Bereich von Ehe (§ 1353 BGB) und eingetragener Lebenspartnerschaft (§ 2 LPartG). Dabei sind jedoch auch Gegeninteressen des Gläubigers der Leistung zu berücksichtigen. Dies können insbesondere andere Rechtsgüter von Verfassungsrang sein, daneben – und insofern abweichend von der Konstellation bei Glaubens- und Gewissenskonflikten sowie dem Konflikt von Eltern- und Vertragspflicht – jedoch auch einfachrechtliche Güter und Interessen des Gläubigers. In Betracht kommt insbesondere das Interesse an einem geregelten Betriebsablauf. Dies ergibt sich entscheidend aus der Normgeprägtheit von Art. 6 I GG und der daraus resultierenden Tatsache, dass die genannten Rechtspflichten einer einfachrechtlichen Ausgestaltung zugänglich sind.265 Freilich muss auch hier die Wertentscheidung zum Schutz der Familie in Art. 6 I GG, wenn auch nicht als absolutes Kriterium, in den Blick genommen werden. Bei rein sittlichen familiären Pflichten, insbesondere bei der nicht schon rechtlich geforderten Pflege von Angehörigen oder bei der Teilnahme an familiären Ereignissen ist ebenfalls die verfassungsrechtliche Wertentscheidung zum Schutz von Ehe und Familie als bedeutsame Richtungsbestimmung zu berücksichtigen. Dabei gestaltet sich der durch Art. 6 I GG vermittelte Schutz umso stärker, je näher die verwandtschaftliche Beziehung und je singulärer das Ereignis ist. Demgegenüber können auch einfachrechtlich geschützte Interessen des Gläubigers immer dann starke Berücksichtigung erfahren, wenn nur eine ferne Verwandtschaftsbeziehung oder ein periodisch wiederkehrendes Ereignis wie etwa ein Geburtstag betroffen ist. In diesen Fällen schwächt sich die durch Art. 6 I GG vermittelte Schutzwirkung sukzessiv ab. Ein generelles Kriterium stellt schließlich die strukturell kurze Dauer eines Leistungshindernisses dar. Dies ergibt sich, wie gezeigt, aus dem Willen des Gesetzgebers, durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nicht in arbeitsrechtliche Besitzstände eingreifen zu wollen,266 und der bisherigen generalisie-

 264 Vgl. Erman-Belling § 616 Rn. 25 mit Beispielen; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 56 m.w.N. 265 266

Vgl. BVerfGE 31, 58 (82 f.); BVerfGE 53, 224 (245); BVerfGE 6, 55 (82). BT-Drucks. 14/6857 S. 48 re. Spalte.

§ 5 Unzumutbarkeit aus familiären Gründen

263

renden Regelung eines „impliziten“ Leistungsverweigerungsrechts für kurzzeitige Leistungshindernisse in § 616 BGB.267 Neben diesen allgemeinen Kriterien der Interessenabwägung müssen die besonderen, für die einzelnen Fallgruppen familiärer Pflichten ermittelten Aspekte und Interessen in den Abwägungsvorgang einbezogen werden, insbesondere bei der Niederkunft von Ehefrau oder Lebensgefährtin die geschilderte „zweipolige“ Struktur der Motivation zur Leistungsverweigerung. Diese verbietet eine pauschale Differenzierung zwischen ehelicher und nichtehelicher Lebensgemeinschaft und erfordert eine stark individuelle, einzelfallorientierte Betrachtungsweise anhand der dargestellten Leitlinien.268

III. Die Beweisbarkeit des Konflikts Ähnliche Probleme wie bei der eigenen Krankheit des Leistungspflichtigen269 treten auf, wenn man die Beweisbarkeit eines streitigen Konfliktes zwischen Leistungs- und Familienpflicht in den Blick nimmt. Soweit es sich um die Erkrankung eines Angehörigen handelt, wird hier – parallel zu den Fällen einer Eigenerkrankung – einer ärztlichen Bescheinigung ein hoher Beweiswert beizumessen sein,270 wobei sich freilich in besonderem Maße die Frage nach der subjektiven Komponente der Leistungsverweigerung stellt:271 Schließlich kann eine Mutter, deren Kind über Krankheitssymptome klagt und die infolge der Betreuung des Kindes die Arbeit versäumt, nicht immer einschätzen, ob tatsächlich eine Erkrankung vorliegt und ob diese Erkrankung tatsächlich eine Betreuung durch die Eltern erforderlich macht. Hier wird also den pflegenden Angehörigen ein gewisser Einschätzungsspielraum einzuräumen sein; „Unzumutbarkeit“ der Arbeitsleistung ist demnach schon dann anzuerkennen, wenn tatsächlich gar keine gravierende Erkrankung des Angehörigen vorlag, der Leistungspflichtige jedoch begründet diesen Eindruck gewinnen musste. Dabei ist der subjektive „Eindruck“ von der Betreuungsbedürftigkeit jedoch ähnlich schwer dem Beweis zugänglich wie eine Gewissensentscheidung. Auch  267

Vgl. ausführlich oben § 5 I 3 a) bb) (3.). Vgl. oben § 5 II 2 b) bb). 269 Vgl. unten § 7. 270 BAG AP § 123 BGB Nr. 42; BAG AP § 3 EFZG Nr. 4; ErfK-Dörner4 § 5 EFZG Rn. 33. 268

271

Vgl. zur Parallelproblematik bei Eigenerkrankungen unten § 7 II 1 sowie zu Gewissenskonflikten oben § 3 II 2 a).

264

2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

eine Übertragung der Lehre von den „lästigen Alternativen“ Luhmanns aus dem Bereich der Gewissenskonflikte272 versagt hier meistens: Zumindest ein Arbeitnehmer, auf den ja § 616 BGB Anwendung findet, sieht sich bei lediglich kurzzeitigen Leistungshindernissen regelmäßig gar keinen „lästigen Alternativen“ ausgesetzt; sogar sein Entgeltanspruch bleibt ihm erhalten.273 Somit muss er in den genannten Fällen darlegen, welche Krankheitssymptome der pflegebedürftige Angehörige in der konkreten Situation zeigte und inwieweit der Schluss auf die Betreuungsbedürftigkeit objektiv naheliegend und daher in der konkreten Situation zulässig war. Unproblematisch erscheint der Beweis in den Fällen besonderer familiärer Ereignisse: Hier kann, da es sich um äußere Tatsachen handelt, ohne weiteres, etwa anhand von Urkunden, der Beweis des familiären Ereignisses geführt werden. Soweit bei der Niederkunft von Ehefrau oder Lebensgefährtin auf die Motivation des Leistungspflichtigen zur Leistungsverweigerung abzustellen ist,274 handelt es sich zwar zunächst um innere Tatsachen, die sich jedoch in äußeren Verhaltensweisen manifestieren: Sucht der Kindesvater also etwa bei der Geburt des Kindes die Kindesmutter gar nicht auf, um ihr Beistand zu leisten, sondern begnügt er sich – wie in der vom BAG am 12.12.1973 entschiedenen Fallkonstellation275 – mit Behördengängen und dem Feiern der Geburt in seinem Freundeskreis, so kann darauf geschlossen werden, dass der Aspekt des Beistandes für die werdende Mutter und der Anteilnahme an dem singulären familiären Ereignis allenfalls eine sekundäre Rolle spielt.

IV. Strukturelle Begrenzung auf persönliche Leistungspflichten? Anders als bei Gewissenskonflikten spielt sich der Konflikt zwischen Leistungspflicht und familiären Leistungshindernissen typischerweise in der plakativen Weise ab, dass der Leistungspflichtige zeitgleich zwei Pflichten höchstpersönlich zu erfüllen hat und die Erfüllung beider Pflichten seine Anwesenheit an zwei verschiedenen Orten erfordern würde. Während es sich bei Gewissenskonflikten um „innere“ Konflikte in der Person des Leistungspflichtigen handelt, die demgemäß in jedem denkbaren Schuldverhältnis entstehen können,276 tritt eine „äußere“ Rechtsgüter- und Pflichtenkollision wie die zwischen Leistungs- und Familienpflicht ausschließlich auf, wenn es sich um zwei nur  272

Vgl. ausführlich oben § 3 II 3 b) sowie Luhmann AöR 90, 257 (281 ff.). Oben § 5 I 3 a) aa) und unten § 15 II 2 d). 274 Oben § 5 II 2 b) bb). 275 BAG AP § 616 BGB Nr. 44. 276 Vgl. Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 ff. 273

§ 5 Unzumutbarkeit aus familiären Gründen

265

höchstpersönlich zu erfüllende Pflichten handelt. Ist dies nicht der Fall, fehlt es an der aufgezeigten Konfliktstruktur. Allein aus diesem Grund ist eine Pflichtenkollision immer dann zu verneinen, wenn eine der beiden Pflichten nicht höchstpersönlicher Natur ist. Dies wurde für die Elternpflicht ausführlich und exemplarisch dargelegt,277 lässt sich jedoch auf jede andere familiäre Pflichtenstellung übertragen. Damit ist zugleich offengelegt, dass der Anwendungsbereich von § 275 III BGB, soweit es sich um Unzumutbarkeit aus familiären Gründen handelt, durch das tatbestandliche Erfordernis einer nur in Person zu erbringenden Leistungspflicht durchaus sachgerecht eingegrenzt ist.

 277

Oben § 5 I 2 b).

266

2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

§ 6 Unzumutbarkeit der Leistungserbringung wegen Einberufung zum Wehrdienst Seltener als mit familiären Leistungshindernissen hatte die höchstrichterliche Rechtsprechung sich mit den arbeitsrechtlichen Folgen einer Einberufung zum Wehrdienst zu befassen. Die Thematik war schon vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes für die häufigen Fälle des bundesdeutschen Wehrdienstes mit § 1 I ArbPlSchG klar und praktisch handhabbar geregelt. Die weit selteneren Fälle einer Einberufung zum ausländischen Wehrdienst warfen jedoch mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ähnliche Probleme auf wie die hier bereits erörterten Fallgruppen. Insbesondere die Frage nach dem Schicksal der vertraglichen Leistungspflicht sowie die Problematik kündigungsrechtlicher Konsequenzen schien klärungsbedürftig.1

I. Sonderregelung für den bundesdeutschen Wehrdienst in § 1 ArbPlSchG Eine klare gesetzliche Regelung bestand bis zum Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes lediglich für Fälle der bundesdeutschen Wehrpflicht. Hier statuiert § 1 I ArbPlSchG, dass während des Wehrdienstes das Arbeitsverhältnis ruht, also die wechselseitigen Hauptpflichten – nicht aber die Nebenpflichten – suspendiert sind.2 Jedoch besteht gemäß § 1 II ArbPlSchG ein Entgeltfortzahlungsanspruch „wie bei einem Erholungsurlaub“ für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, sofern es sich bei dem Wehrdienst um eine (kurzzeitige) Wehrübung handelt.3 § 1 I ArbPlSchG begründet somit eine partielle Sonderregelung der Problematik für alle Fälle des inländischen, bundesdeutschen Wehrdienstes und ordnet insoweit einen Vorrang der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung gegenüber der privatrechtlichen Vertragspflicht an. Auch alle Folgefragen des Konfliktes werden dabei berücksichtigt; insbesondere ist auf das Kündigungsverbot des § 2 I ArbPlSchG hinzuweisen. Für Fälle ausländischen Wehrdienstes sind die Vorschriften des ArbPlSchG nur anwendbar, wenn es sich um einen Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften handelt.4 Hier gebietet das Diskriminierungsverbot eine entsprechende Anwendung.5  1

Vgl. allgemein Henssler AcP 190 (1990), 538 (559 ff.). ErfK-Ascheid 4 § 1 ArbPlSchG Rn. 6. 3 ErfK-Ascheid 4 § 1 ArbPlSchG Rn. 9. 4 EuGH AP Art. 177 EWG-Vertrag Nr. 2. 2

5

EuGH AP Art. 177 EWG-Vertrag Nr. 2; Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9.

§ 6 Unzumutbarkeit wegen Einberufung zum Wehrdienst

267

II. Die Problematik der Einberufung zum ausländischen Wehrdienst Außerordentlich problematisch war im alten Schuldrecht demgegenüber die Frage, welche Auswirkungen die Einberufung eines ausländischen Arbeitnehmers zum Wehrdienst in seinem Heimatstaat auf sein inländisches Arbeitsverhältnis entfaltet. Die unter dem Regime des alten Schuldrechts hierzu ergangenen höchstrichterlichen Entscheidungen divergieren deutlich in ihrer rechtlichen Bewertung.

1. Die Rechtsprechung des BAG a) Die Entscheidung vom 22.12.1982 In einer Entscheidung vom 22.12.19826 hatte das BAG sich mit der Frage auseinander zu setzen, ob ein türkischer, in Deutschland lebender Arbeitnehmer von seiner arbeitsvertraglichen Leistungspflicht befreit ist, wenn er zum Wehrdienst in die Türkei einberufen wird. Der Fall gewann seine eigene Charakteristik dadurch, dass der Wehrdienst lediglich einen Zeitraum von zwei Monaten umfassen sollte. Ausführlich geht die Entscheidung auf die Herleitung und Begründung des Leistungsverweigerungsrechts ein. Zunächst wird ein Rekurs auf § 1 I ArbPlSchG abgelehnt, weil diese Vorschrift ausschließlich die bundesdeutsche Wehrpflicht erfasse und analog allenfalls auf andere Mitgliedstaaten der EU anwendbar sei.7 Ebenfalls nicht in Betracht komme eine analoge Anwendung der §§ 273, 320 BGB. Diese dienten ausschließlich der Durchsetzung bestehender und einklagbarer Rechtsansprüche gegen den Vertragspartner und damit der Druckausübung. Von dieser Konstellation unterscheide sich der vorliegende Fall jedoch deutlich, da es hier an einer einklagbaren Rechtspflicht des Arbeitgebers fehle, die durch die Zurückbehaltung von Arbeitsleistung durchgesetzt werden könne. Vielmehr bestehe ein Fall der Pflichtenkollision: Der Arbeitnehmer müsse bei einer Erfüllung seiner Arbeitspflicht und der dazu erforderlichen Verweigerung des Wehrdienstes mit weitreichenden Konsequenzen, etwa einem Verlust der Staatsangehörigkeit und sogar der Todesstrafe rechnen. Somit – so stellt das Gericht fest – „hatte [der Kläger] praktisch keine andere Wahl, als [...] der  6 7

BAG AP § 123 BGB Nr. 23.

Vgl. EuGH AP Art. 177 EWG-Vertrag Nr. 2; BAG AP Art. 177 EWG-Vertrag Nr. 1; Lepke, Die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer (1978), S. 48 f.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Arbeit fernzubleiben“. Es bestehe ein fundamentaler Unterschied zu den Fällen der „Urlaubsgewährung“ zur Pflege eines erkrankten Verwandten, zu einer Bildungsreise oder ähnlichen Konstellationen. Daher sei nicht etwa ein Anspruch auf unbezahlten Urlaub anzunehmen, sondern ein einseitiges Leistungsverweigerungsrecht. Dies begründet das BAG mit der Schwierigkeit, einen streitigen Urlaubsanspruch rechtzeitig durchzusetzen und der Eilbedürftigkeit in Fällen einer derart gravierenden Pflichtenkollision. Im folgenden untermauert das BAG seine Ansicht zunächst unter Rückgriff auf § 616 BGB, der ursprünglich – vor Inkrafttreten des ArbPlSchG – ausdrücklich auch den kurzzeitigen deutschen Wehrdienst erfassen sollte8 und für diesen Fall dem Arbeitgeber sogar die Pflicht zur Entgeltfortzahlung aufbürdete. Eine Gleichstellung ausländischer Wehrpflichtiger sei in dieser Hinsicht aus § 616 BGB zwar nicht geboten. Jedoch zeige § 616 BGB immerhin „Ansätze für ein Leistungsverweigerungsrecht bei Kollisionen zwischen Arbeitspflicht und Wehrdienstverpflichtung“.9 Einen weiteren gesetzlichen Ansatz für ein Leistungsverweigerungsrecht bei Wehrpflicht sieht das Gericht in § 72 HGB a.F.10 Aus dieser – insbesondere auch für die ausländische Wehrpflicht einschlägigen11 – Vorschrift entnimmt der Senat den Rechtsgedanken, eine acht Wochen nicht übersteigende militärische Dienstpflicht und ein entsprechender Arbeitsausfall könne eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigen. Aus diesen Normen lasse sich mithin der Schluss ziehen, dass keine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten anzunehmen sei, wenn der Arbeitnehmer zugunsten des Wehrdienstes seiner Arbeitspflicht nicht nachkomme. Der Rechtsgedanke aus §§ 228, 904 BGB lasse die Rechtswidrigkeit der Nichtleistung entfallen. Dem Arbeitnehmer stehe ein einredeweise geltend zu machendes Leistungsverweigerungsrecht zu. Jedoch – so fährt das Gericht einschränkend fort – könne dieser Grundsatz ausnahmsweise nicht zur Entfaltung kommen, wenn eine Abwägung der Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu einem anderen Ergebnis führt, nämlich im Einzelfall die Interessen des Arbeitgebers an der Erbringung der Arbeitsleistung überwiegen. Als Elemente der demnach anzustellenden Inter 8

Mugdan II, S. 258. BAG AP § 123 BGB Nr. 23; vgl. zum – in § 616 BGB implizit vorausgesetzten – Leistungsverweigerungsrecht grundlegend Henssler AcP 190 (1990), 538 (563). 9

10

§ 72 HGB i.d.F. vom 18.4.1950 (BGBl. I, S. 90) statuierte, der Prinzipal dürfe dem Handlungsgehilfen aus wichtigem Grund fristlos kündigen, wenn dieser „durch eine die Zeit von acht Wochen übersteigende militärische Dienstleistung an der Verrichtung seiner Dienste verhindert wird“, es sei denn, eine andere Beurteilung sei durch besondere Umstände geboten. 11 Das Gericht verweist auf die Weitergeltung der Norm für ausländische Arbeitnehmer nach Inkrafttreten des ArbPlSchG, vgl. BAG AP § 123 BGB Nr. 23 m.w.N.; kritisch dagegen Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9.

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essenabwägung werden insbesondere die Länge der Leistungsverweigerung12 sowie die Bedeutung der Leistungserbringung für den Betriebsablauf13 genannt. Wenn also die Arbeitsleistung für den geregelten Betriebsablauf von entscheidender Bedeutung sei und der Arbeitgeber durch den Arbeitsausfall in eine Zwangslage gebracht werde, könne das Interesse des Arbeitgebers an der Leistungserbringung das Interesse des Arbeitnehmers an der Leistungsverweigerung durchaus überwiegen. Was das Schicksal des Anspruchs auf die Gegenleistung anbetrifft, stellt der Senat auf eine analoge Anwendung des § 323 BGB a.F. ab. Die Arbeitsverhinderung könne in dieser Hinsicht aufgrund der einschneidenden Sanktionen bei Nichterbringung des Wehrdienstes dem Unvermögen der Erfüllung der Arbeitspflicht gleichgestellt werden.14 Drei Dinge sollen zu diesem Urteil festgehalten werden: Erstmals hat das BAG hier eine umfassende dogmatische Herleitung für einen Fall der Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen vorgenommen. Dabei wird kein Entfall der Leistungspflicht ipso iure, sondern ein einredeweise geltend zu machendes Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers befürwortet, dessen Rechtsgrundlage freilich nicht abschließend geklärt wird. Auffällig ist insoweit, dass der Begriff der „Unzumutbarkeit“ in den Gründen keine tragende Rolle spielt. Allerdings werden umfangreiche Argumente für ein allgemeines Leistungsverweigerungsrecht in Fällen der Pflichtenkollision insbesondere aus § 616 BGB, daneben aus § 72 HGB a.F. sowie aus §§ 228, 904 BGB hergeleitet. Zentrale Voraussetzung des Leistungsverweigerungsrechts sei eine zugunsten des Arbeitnehmers ausfallende Interessenabwägung, wobei in der Regel bei zweimonatigem Wehrdienst das Interesse des Arbeitnehmers an der Leistungsverweigerung höher zu gewichten sei als das gegenläufige Interesse des Arbeitgebers. Den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers schließlich lässt das BAG in analoger Anwendung des § 323 BGB a.F. entfallen.

 12

Nach Ansicht das BAG kann nur der auf zwei Monate verkürzte türkische Wehrdienst ein Leistungsverweigerungsrecht begründen. 13 Bringe der Ausfall des Arbeitnehmers den Arbeitgeber in eine nicht durch zumutbare Überbrückungsmaßnahmen abwendbare Zwangslage, so müsse sich die Arbeitspflicht als die stärkere Pflicht letztlich durchsetzen. 14 Vgl. hierzu ausführlich unten § 14 II 1 und 2.

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b) Die Entscheidung vom 7.9.1983 Mit deutlich divergierendem dogmatischem Ansatzpunkt setzte sich der 7. Senat des BAG in einer Entscheidung vom 7.9.198315 mit der Thematik auseinander. Der Senat bezieht sich für den zweimonatigen türkischen Wehrdienst zunächst ausdrücklich auf die Entscheidung des 2. Senats vom 22.12.1982 und bejaht, dieser folgend, einen Entfall der Leistungspflicht wegen einer Pflichtenkollision. Zur dogmatischen Herleitung des Leistungsverweigerungsrechts stellt der 7. Senat allerdings – explizit abweichend von der zitierten Entscheidung des 2. Senats – darauf ab, dass es „einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) dar[stelle], wenn der Arbeitgeber gegenüber einem türkischen Arbeitnehmer [...] auf der Erfüllung der Arbeitspflicht besteht, obgleich die Erbringung der Arbeitsleistung weder für den geordneten Betriebsablauf von erheblicher Bedeutung ist noch der Arbeitgeber [...] in eine durch zumutbare Überbrückungsmaßnahmen nicht behebbare Zwangslage gebracht wird“. Aus § 242 BGB folge eine auf die Dauer des Wehrdienstes beschränkte Suspendierung der vertraglichen Hauptpflichten, also seitens des Arbeitnehmers eine Suspendierung der Arbeitspflicht, seitens des Arbeitgebers eine Suspendierung der Vergütungspflicht. Da es somit an einer Arbeitspflicht fehle, fehle es bei Arbeitsverweigerung auch an einem wichtigen Kündigungsgrund i.S.v. § 626 I BGB und einem verhaltensbedingten Kündigungsgrund i.S.v. § 1 II KSchG. Eine Kündigung komme nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber nicht oder nicht unverzüglich auf die bevorstehende Einberufung hingewiesen und diese nachgewiesen habe. Auch die Hinweis- und Nachweispflicht des Arbeitnehmers resultiere aus § 242 BGB. Umgekehrt treffe den Arbeitgeber – ebenfalls aus § 242 BGB – die Pflicht, den Arbeitnehmer über die aus seiner Sicht einer Suspendierung der Arbeitspflicht entgegenstehenden betrieblichen Belange zu informieren, damit dieser eine gerichtliche Klärung herbeiführen könne. Bei einer arbeitnehmerseitigen Kündigung infolge der Einberufung, so lässt das Gericht es anklingen, komme eventuell ein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht. Auf welche Grundlage sich dieser stützen soll, bleibt indes offen. – Der abweichende Ansatz des 7. Senats wirft Fragen auf: Zum einen wird nicht hinreichend deutlich, ob hier eine Suspendierung der Hauptpflichten ipso iure oder aber ein Leistungsverweigerungsrecht mit Einredecharakter angenommen wird. Klar äußert sich die Entscheidung dazu nicht. Zudem bleibt die Methode zur inhaltlichen Füllung der angewandten Generalklausel von Treu und Glauben unklar. Ein Verweis auf die auch hier gebotene Ausfüllung von  15

BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7.

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Generalklauseln durch verfassungsrechtliche Wertungen im Wege der mittelbaren Drittwirkung16 fehlt völlig.

c) Die Entscheidung vom 20.5.1988 Ein Leistungsverweigerungsrecht des wehrpflichtigen Arbeitnehmers verneinte das BAG schließlich in einer Entscheidung des 2. Senats vom 20.5.1988.17 Der Unterschied zu den vorgenannten Entscheidungen bestand dabei darin, dass der hier in Rede stehende jugoslawische Wehrdienst einen Zeitraum von zwölf Monaten umfassen sollte. Das Gericht bejaht eine unverschuldete Pflichtenkollision zwischen Arbeitsund Wehrpflicht. Es sei unvereinbar mit Art. 4 I GG, den Kläger auf die Möglichkeit zu verweisen, die Einbürgerung als Deutscher zu betreiben und sich so der ausländischen Wehrpflicht zu entziehen. Dies müsse der „Gewissensentscheidung“ des Betroffenen vorbehalten bleiben. Im Rückgriff auf die schon dargestellte Entscheidung vom 22.12.1982 stellt das BAG dar, dass grundsätzlich bei derartigen Leistungshindernissen ein Leistungsverweigerungsrecht in Betracht komme. Dies könne jedoch nur für einen zweimonatigen Wehrdienst, nicht aber für einen Wehrdienst von zwölfmonatiger Dauer gelten. Als Begründung führt der Senat – unter ausdrücklicher Ablehnung des auf dem Unmöglichkeitsrecht beruhenden Ansatzes von Misera18 – den Rechtsgedanken der §§ 616 BGB, 72 HGB a.F. an, wonach nur bei einem verhältnismäßig unerheblichen Zeitraum ein Leistungsverweigerungsrecht in Betracht komme. Bei einem im Wege der Rechtsanalogie entwickelten Leistungsverweigerungsrecht für Kollisionen zwischen Arbeits- und Wehrpflicht dürfe der zeitliche Rahmen, der durch die die Analogie tragenden Vorschriften, also §§ 616 BGB, 72 HGB a.F., vorgegeben sei, nicht überschritten werden. Überdies müssten bei der Bestimmung des Zeitraumes die Interessen der Parteien maßgeblich sein. Abschließend statuiert das Gericht den Grundsatz, eine Kündigungsmöglichkeit des Arbeitgebers sei durch die Verweigerung eines Leistungsverweigerungsrechts noch nicht präjudiziert. Die soziale Rechtfertigung einer Kündigung bestimme sich allein nach dem hierfür geltenden Recht, also insbesondere nach der Frage, ob ein Kündigungsgrund i.S.v. § 1 II KSchG gegeben sei. In  16 Vgl. Canaris AcP 184 (1984), 201 ff.; ders. JuS 1989, 161; Hager JZ 1994, 373 ff.; ausführlich unten § 9 III 2 a). 17 18

BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. Misera SAE 1983, 271.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Betracht komme insofern ausschließlich ein personenbedingter Kündigungsgrund, da hier eine „der Unmöglichkeit gleichzusetzende Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung“ vorliege. Ob dieser personenbedingte Kündigungsgrund zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung geeignet sei, sei letztlich wiederum im Wege einer Interessenabwägung zu ermitteln. – Das Urteil greift alte Tendenzen auf, das Leistungsverweigerungsrecht in Analogie zu §§ 616 BGB, 72 HGB a.F. zu begründen. Daneben ist ein vorsichtiges Aufgreifen der Rechtsprechung des 7. Senats und seines Rückgriffs auf § 242 BGB zu erkennen. Diese Bezugnahme auf bekannte Kategorien erscheint begrüßenswert, wobei die Festlegung auf einen der genannten Ansätze weiterführend gewesen wäre. Seltsam erscheint hingegen die Eingrenzung des Leistungsverweigerungsrechts auf den durch die genannten Vorschriften vorgegebenen Zeitraum. Wenn das im Wege der Rechtsanalogie zu § 616 BGB entwickelte Leistungsverweigerungsrecht weder in seinen Voraussetzungen noch in seinen Rechtsfolgen über den Rahmen des § 616 BGB hinausgeht, erfüllt dieses Leistungsverweigerungsrecht keinen eigenständigen Sinn. Vielmehr hätte man bei dieser Annahme § 616 BGB direkt anwenden können – freilich mit der Konsequenz der Entgeltfortzahlung bei „verhältnismäßig nicht erheblicher“ Einberufungsdauer. Daher ist die hier vorgenommene Eingrenzung verfehlt und verkennt den Charakter des Leistungsverweigerungsrechts, das in seinem Tatbestand weiter sein soll als § 616 BGB und gerade Fälle eines länger andauernden Leistungshindernisses erfassen soll,19 dafür jedoch – anders als § 616 BGB – einen Ausgleich zugunsten des Arbeitgebers schafft, indem der Vergütungsanspruch entsprechend dem in § 323 I BGB [a.F., jetzt § 326 I BGB] zum Ausdruck gebrachten Rechtsgedanken erlischt. Merkwürdig mutet überdies an, dass der Senat für die Fälle des ausländischen Wehrdienstes eine Gewissensentscheidung des Arbeitnehmers annimmt, die Problematik also zu einem Gewissenskonflikt hochstilisiert. Dies mag von dem richtigen und überzeugenden Willen getragen sein, die aus der Rechtsprechung des BAG bekannten Fallkonstellationen einer Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen – also Wehrdienstpflicht, Personensorge und Gewissenskonflikte – auf eine einheitliche Basis zu stellen und dadurch auch eine einheitliche rechtliche Behandlung der Fälle zu rechtfertigen. Jedoch erscheint der Rekurs auf Art. 4 I GG in diesem Zusammenhang kaum naheliegend. Geradezu verblüffend wirkt, dass der Senat bei der Zuerkennung des Leistungsverweigerungsrechts den von Misera vorgeschlagenen Ansatz, ein solches aus dem Recht der Unmöglichkeit abzuleiten, kategorisch ablehnt, dennoch  19

Kritisch daher auch Henssler AcP 190 (1990), 538 (558).

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aber bei der kündigungsrechtlichen Beurteilung ausdrücklich auf die Unzumutbarkeit der Leistungserbringung Bezug nimmt, die der Unmöglichkeit gleichzustellen sei. Kaum erklärlich scheint, weshalb das Gericht dem Arbeitnehmer zunächst ein Leistungsverweigerungsrecht versagt, dann bei der Kündigung jedoch mit dem Gedanken der Unmöglichkeit argumentiert. Hier zeichnet sich eine Kategorienvermischung ab, die an späterer Stelle ausführlich erörtert werden soll.20 Positiv festzuhalten bleibt hingegen, dass der Senat erstmals deutlich die Regel statuiert hat, dass durch die Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechts über Gegenrechte des Arbeitgebers, etwa eine personenbedingte Kündigung, nicht entschieden ist, sondern eine eigenständige Bewertung nach den jeweils anzuwendenden Vorschriften zu erfolgen hat. Erweiternd wird man diesen Grundsatz auch auf Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers infolge der Leistungsverweigerung ausdehnen können.21 Inwieweit freilich dieser Grundsatz im hier entschiedenen Fall richtig zur Anwendung gebracht wurde, erscheint zweifelhaft und wird an späterer Stelle zu erörtern sein.22

2. Gegenansichten in der Literatur In der Literatur wurde demgegenüber verbreitet vertreten, gerade die Fälle der Einberufung zum ausländischen Wehrdienst seien nach Unmöglichkeitsrecht zu lösen, also ein Wegfall der Leistungspflicht ipso iure gemäß § 275 II BGB a.F. anzuerkennen. Selbst Henssler, der in den anderen Fallgruppen eine Lösung über Unmöglichkeitsrecht strikt ablehnt und ein Leistungsverweigerungsrecht mit Einredecharakter bevorzugt, ist der Meinung, die Parallelen zum Unmöglichkeitsrecht seien hier „so stark, dass sogar eine analoge Anwendung des § 275 BGB [a.F.] vertretbar erscheint.“23 Dies begründet er mit der besonders intensiven Einwirkung der Grundrechte; das BAG verstoße gegen Art. 1 GG, wenn es „die Personenwürde unter die rein vermögenswerten Interessen des Arbeitgebers“ stelle. Insbesondere sei eine Eingrenzung des Leistungsverweigerungsrechts auf den Zeitraum von zwei Monaten nicht mit den betroffenen Rechtsgütern des Arbeitnehmers vereinbar. Angesichts der Wertungen von  20 Vgl. ebenfalls kritisch zu der systematischen Substanz des Urteils Hanau EWiR 1989 § 1 KSchG 4/89, 1027; Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; Kohte Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; ausführlich unten § 17 II 1 a) bb). 21 So auch Henssler AcP 190 (1990), 538 (553 ff.); a.A. etwa Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (45). 22 23

Vgl. unten § 17 II 1 a) bb) und 2 b). Henssler AcP 190 (1990), 538 (559)

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Art. 1 GG müsse sich die – intensiv strafbewehrte – Wehrpflicht gegenüber der Arbeitspflicht durchsetzen. Auch bei länger andauerndem Wehrdienst ergebe „die erforderliche verfassungskonforme Auslegung“, dass ein Leistungsverweigerungsrecht anzuerkennen sei. Der Arbeitgeber erfahre demgegenüber eine Kompensation durch mögliche Schadensersatzansprüche und die Befreiung von der Pflicht zur Entgeltzahlung.24 Dafür, auch bei längerer Dauer einen Entfall der Leistungspflicht anzuerkennen, spräche auch die sonst in Betracht kommende Kostentragung des Arbeitnehmers für eine Ersatzvornahme gemäß § 887 ZPO, die einer verschuldensunabhängigen Schadensersatzpflicht gleichkomme. Letztlich bejaht Henssler – trotz der angeklungenen Annäherung an das Unmöglichkeitsrecht – jedoch auch hier den Rückgriff auf ein allgemeines Leistungsverweigerungsrecht wegen Unzumutbarkeit auf Grundlage von § 242 BGB.25 Das Verhältnis zur zunächst in Erwägung gezogenen Lösung über § 275 II BGB a.F. bleibt dabei ungeklärt. An anderer Stelle nehmen Rüthers und Henssler jedoch auch für diese Fallgruppe eine klare, stimmige Einordnung unter den Grundsatz von Treu und Glauben vor.26 Auch Misera27 äußert sich kritisch zu dem Ansatz des BAG, befürwortet aber – anders als Henssler – im Ergebnis eine unmittelbare Anwendung von § 275 II BGB a.F.. Insbesondere sei für einen auf die Fürsorgepflicht gestützten Freistellungsanspruch28 kein Raum, da die Unzumutbarkeit generell der Unmöglichkeit gleichzustellen sei. Zutreffend für verfehlt hält Misera die Eingrenzung auf eine zweimonatige Wehrdienstdauer – beide Fälle des Wehrdienstes müssen auch seiner Ansicht nach hinsichtlich der Leistungspflicht des Arbeitnehmers einheitlich behandelt werden. Für beide Fälle stehe nämlich im kodifizierten Leistungsstörungsrecht „eine einfache Lösung zur Verfügung“: Der Arbeitnehmer werde gemäß § 275 BGB a.F. von der Arbeitspflicht frei. Ob es sich dabei um einen Entfall der Leistungspflicht ipso iure oder kraft Einrede handelt, lässt Misera an dieser Stelle noch offen, bejaht aber wenig später explizit einen Entfall der Leistungspflicht ipso iure.29 Diese Sichtweise charakterisiert er unter Verweis auf Hueck/Nipperdey30 als „herrschende Meinung“. Kernbe 24 Vgl. Henssler AcP 190 (1990), 538 (553 ff., 567 ff.); zu beiden Fragen auch unten § 15 und § 16. 25 Henssler AcP 190 (1990), 538 (561). 26 Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 27 Misera SAE 1983, 271 ff. 28 So aber für ähnliche Fallgruppen v.Hoyningen-Huene NJW 1981, 713 (716). 29 Damit widerspricht er sich in gewisser Weise selbst, hat er doch noch kurz zuvor [SAE 1983, 271 (272 li. Spalte Abs. 3)] die Einordnung als Leistungsverweigerungsrecht als „im Ergebnis zutreffend“ charakterisiert. 30

Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts Bd. 1, § 34 IV 2; diese erkennen allerdings klar, dass in diesen Fällen „nicht eigentliche Unmöglichkeit gegeben ist“.

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griff der Problematik sei die „Unzumutbarkeit“ der Leistungserbringung, da hier die Arbeitspflicht mit höherrangigen Interessen des Arbeitnehmers kollidiere. Die Pflichtenstellung gegenüber dem Heimatstaat spiele demgegenüber keine Rolle. Relevant sei, ob der Konflikt bei Eingehung der vertraglichen Verpflichtung vorhersehbar gewesen sei. In diesen Fällen sei – wie auch bei Gewissenskonflikten – ein Entfall der Leistungspflicht zweifelhaft; allerdings gelte dies nicht, wenn „es sich um einen allgemeinen Konflikt handelt, dem der einzelne gar nicht ausweichen kann.“ Die Bedeutung dieser Formel bleibt unklar. Bei längerer Fehldauer, so stellt er abschließend fest, komme eine betriebsbedingte Kündigung in Betracht. Auch Kohte hält – die Position Miseras aufgreifend – die Gleichstellung von Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit für den adäquaten Ansatz zur Lösung der Problematik.31 Insbesondere bestehe in derartigen Konstellationen kein Anlass, „das Erlöschen der Leistungspflicht systemwidrig zu einem Leistungsverweigerungsrecht umzugestalten“. Ortlepp32 hingegen hält die Lösung des Siebten Senats, ein in § 242 BGB verankertes Leistungsverweigerungsrecht heranzuziehen, für vorzugswürdig. Eine derartige Pflichtenkollision sei geradezu der typische Anwendungsfall des Grundsatzes von Treu und Glauben. Allerdings hält Ortlepp – aus Sicht der Rechtspraxis – die dogmatische Einordnung für „wenig bedeutsam“. Gerate der Arbeitgeber infolge einer versäumten rechtzeitigen Anzeige der Einberufung in eine durch zumutbare Überbrückungsmaßnahmen nicht behebbare Zwangslage, so komme je nach Sachlage eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung in Betracht. Den rechtlichen Anknüpfungspunkt für diese Kündigung lässt Ortlepp jedoch offen. Insbesondere nicht geklärt wird die Frage, ob hier Kündigungsgrund die Verletzung der Hauptpflicht zur Arbeitsleistung oder aber eine Verletzung von Aufklärungs- und Informationspflichten ist.33 Auch Kramer vertritt eine Ableitung des Leistungsverweigerungsrechts aus dem Grundsatz von Treu und Glauben: Entscheidend sei insofern die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zu würdigen.34 Ähnlich der von Misera und Kohte vorgeschlagenen Lösung befürwortet demgegenüber Winterfeld35 die Anwendung des Unmöglichkeitsrechts. Die „Verquickung von Interessenabwägung und Leistungspflicht“ führe zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit, die es dem Arbeitnehmer nahezu unmöglich mache zu beurteilen, ob sein Fehlen mit oder ohne Rechtsgrund erfolge. Der Rückgriff auf § 616 BGB sei verfehlt, da diese Vorschrift nichts über das  31

Kohte Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. Ortlepp Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7. 33 Dazu unten § 17 II 2 b) bb). 34 Kramer Anm. zu BAG AP § 123 BGB Nr. 23. 35 Winterfeld SAE 1990, 261 ff. 32

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Schicksal der Leistungspflicht besage, sondern lediglich eine Sonderregelung zu § 323 I BGB a.F. hinsichtlich des Schicksals der Gegenleistung darstelle.36 Insbesondere könne die Norm kein Leistungsverweigerungsrecht „auf Zeit“ einräumen, da andernfalls auch der erkrankte Arbeitnehmer nach Ablauf dieser „nicht erheblichen“ Zeit gezwungen sei, die Arbeit trotz Krankheit wieder aufzunehmen. Dieser Aussage kann kaum gefolgt werden, ist doch mit der Sonderregelung eines Leistungsverweigerungsrechts in § 616 BGB noch nichts über das Bestehen anderer Leistungsverweigerungsrechte, etwa auf Grundlage von § 242 BGB oder jetzt § 275 III BGB, besagt. Diese können auch eine längere Fehldauer erfassen und finden gerade in Fällen der krankheitsbedingten Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung (da hier schon hinsichtlich des Entgeltanspruchs mit § 3 EFZG eine Sonderregelung besteht) Anwendung.37 Ebenso wie die Heranziehung von § 616 BGB lehnt Winterfeld eine Rechtsanalogie zu § 72 HGB a.F. ab. Auch diese Vorschrift habe nur sekundäre Fragen wie das Schicksal des Entgeltanspruchs und die Kündigungsmöglichkeit des Arbeitgebers regeln wollen. Der Analogie habe es überdies mangels einer Regelungslücke gar nicht bedurft, da mit §§ 275, 323 BGB a.F. eine passende Regelung vorhanden sei. Dies gelte unabhängig von der Fehldauer infolge der Wehrpflicht. – Verräterisch hinsichtlich der Schwäche des Lösungsmodells ist die Tatsache, dass Winterfeld die Frage nach dem Rechtscharakter der Geltendmachung ausdrücklich offen lässt. So führt sie lapidar aus, es sei „praktisch und dogmatisch nebensächlich“, ob ein Leistungsverweigerungsrecht mit Einredecharakter oder aber ein Entfall der Leistungspflicht ipso iure anzunehmen sei.38 Dass dies gerade auch von erheblicher praktischer Bedeutung ist, wurde schon an anderer Stelle dargestellt.39 Insgesamt zeichnet sich in der Literatur eine gegenüber der Konzeption des BAG zu Recht kritische Tendenz ab. Dem Fundamentalvorwurf, das BAG habe mit seinen Entscheidungen die verfassungsrechtliche Determinierung der Problematik verkannt,40 ist prima facie eine gewisse Plausibilität nicht abzusprechen. Daneben ist in der Literatur eine deutliche Tendenz erkennbar, die Lösung des Konflikts im Unmöglichkeitsrecht zu verorten. Diese Sichtweise hätte eigentlich einen Entfall der Leistungspflicht und -möglichkeit ipso iure zur Folge. Keineswegs handelt es sich hierbei um eine „praktisch und dogmatisch irrelevante“ Frage.41 Infolge der dem Schuldner verbleibenden Wahlmöglich 36

Zur Problematik ausführlich oben § 3 IV 1 c) und § 5 I 3 a). Vgl. unten § 7 III sowie Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 ff. 38 Winterfeld SAE 1990, 261 (263). 39 Vgl. Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 f. Dazu auch ausführlich unten § 7 I und II. 40 Henssler AcP 190 (1990), 538 (559). 41 So aber Winterfeld SAE 1990, 261 (263).

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keit, die vertraglich geschuldete Leistung dennoch zu erbringen und die drohenden Strafen auf sich zu nehmen (etwa weil er ohnehin kein Interesse an einer Rückkehr in sein Heimatland hat), ergibt sich eine von der naturgesetzlich zu verstehenden Unmöglichkeit deutlich zu unterscheidende Konstellation: Die verbleibende Wahlmöglichkeit verbietet auch hier – wie schon in den anderen Fallgruppen – eine simple Gleichstellung mit den Fällen der Unmöglichkeit.42 Daher war im alten Schuldrecht der Lösungsansatz über § 275 BGB [a.F.] zwar ein „einfacher“,43 gleichwohl aber ein verfehlter.

3. Eigene Konzeption auf Grundlage des neuen Schuldrechts Insoweit hat der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes eine im Ansatz weiter führende, gleichwohl etwas zwiespältige Klarstellung geschaffen: Mit § 275 III BGB existiert nun eine allgemeine Regelung der Problematik; der neuen Vorschrift sollen nach der Regierungsbegründung ausdrücklich auch die Fälle der Einberufung zum ausländischen Wehrdienst unterfallen.44 Damit gehört die Einberufung zum ausländischen Wehrdienst neben der Personensorge für Angehörige zu den zentralen Fallgruppen, die in den Willen des Gesetzgebers bei Erlass der neuen Vorschrift aufgenommen wurden.45 Der Streit, ob hier ein ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht oder aber ein Leistungsverweigerungsrecht mit Einredecharakter anzuerkennen ist, wurde damit legislativ zugunsten letzterer Lösung entschieden. Dem ist – mit Blick auf die Strukturverschiedenheit zu Fällen der Unmöglichkeit – vorbehaltlos zuzustimmen.46 Die Einordnung in systematischer Nähe zu den Tatbeständen der Unmöglichkeit hingegen überzeugt angesichts der aufgezeigten Strukturverschiedenheit kaum.47 Ungeachtet der klarstellenden Neuregelung bleiben die aus den anderen Fallgruppen bekannten Fragen auch hier klärungsbedürftig. Insbesondere stellt sich die Frage, welche Kriterien als Gegenstand der vorzunehmenden Interessenabwägung heranzuziehen sind. Diese Frage lässt sich auch an dieser Stelle nur mit Blick auf die konfligierenden Rechtspositionen beantworten.

 42

Vgl. oben § 3 IV 2 a) zu Gewissenskonflikten. Misera SAE 1983, 271 (272). 44 BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte Abs. 3. 45 Vgl. Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 114. 46 Vgl. insbes. Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 38, 40. 47 Unten § 9 I 1. 43

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a) Die konfligierenden Rechtspositionen bei ausländischer Wehrpflicht aa) Pflichtenkollision oder Rechtsgüterkollision? Soweit man lediglich eine vordergründige Ebene betrachtet, handelt es sich bei der Einberufung zum ausländischen Wehrdienst um eine Kollision rechtlicher Pflichten.48 Dabei kann die rechtliche Verpflichtung zur Ableistung des Wehrdienstes jedoch nicht denselben Rang erreichen wie die Pflicht zur Ableistung des bundesdeutschen Wehrdienstes, handelt es sich doch um eine Pflichtenstellung, die nicht durch das deutsche öffentliche Recht begründet wird, keinen elementaren Interessen der bundesdeutschen Gesellschaft dient und daher nur begrenzt einer rechtlichen Sanktionierung durch bundesdeutsche Rechtsnormen zugänglich ist. Die ausländische Wehrpflicht kann sogar in Widerspruch zu Grundgedanken der deutschen Rechtsordnung treten; zu denken ist etwa an Fälle, in denen im Heimatland des Wehrpflichtigen eine diktatorische Herrschaftsstruktur besteht und die Soldaten zur Verfolgung von Minderheiten oder zu Aggressionen gegen Nachbarstaaten eingesetzt werden. Zumindest in diesen Fällen wird der Widerspruch zu Grundgedanken der deutschen Rechtsordnung offenkundig. Die Wehrpflicht kann insoweit als rechtliche Pflicht, der die deutsche Rechtsordnung zur Durchsetzung verhilft, nicht anerkannt werden. Da Abgrenzungen hier oftmals schwer fallen und Grenzfälle in einer allenfalls noch politisch-ethisch zu bewertenden Grauzone vorstellbar sind, ist die ausländische, öffentlich-rechtliche Wehrpflicht wenn überhaupt als eine äußerst schwache rechtliche Pflichtenstellung anzuerkennen, die noch nicht per se die Arbeitspflicht verdrängt.49 Auch aus diesem Grund scheidet – wie dargestellt – eine analoge Anwendung des ArbPlSchG für derartige Fälle aus. Zu beachten ist jedoch, dass hinter der ausländischen, öffentlich-rechtlichen Pflicht zur Ableistung des Wehrdienstes oftmals elementare Rechtsgüter des Betroffenen stehen, die bei einem Nichtantritt des Wehrdienstes schwerwiegenden Gefahren ausgesetzt wären: So zeichnen sich gerade die vom BAG entschiedenen Fälle des türkischen Wehrdienstes dadurch aus, dass dem Wehrpflichtigen, hätte man ihn an seiner Arbeitspflicht festgehalten und ihm dadurch die Ableistung des Wehrdienstes unmöglich gemacht, der Verlust der Staatsan 48 So denn auch Kohte Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 49 Hierauf verweist auch Misera SAE 1983, 271 (272) („öffentlich-rechtliche Pflicht [...] gegenüber seinem Heimatstaat [...] spielt für die Pflichtenkollision keine Rolle.“) Allerdings ist Misera auch insofern inkonsequent, denn wenn die öffentlich-rechtliche Pflicht gegenüber dem Heimatstaat „keine Rolle spielt“, kann man auch nicht von einer Pflichten-, sondern nur noch von einer Rechtsgüterkollision sprechen.

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gehörigkeit des Heimatstaates und sogar die Todesstrafe gedroht hätten.50 Angesichts dieser einschneidenden Folgen der Pflichtenkollision wird offenbar, dass hier nicht primär die – aus den genannten Gründen oftmals zweifelhafte – Pflichtenkollision in den Blick zu nehmen ist, sondern vielmehr eine Kollision der vertraglich vereinbarten Arbeitspflicht mit grundrechtlich geschützten Rechtsgütern des Arbeitnehmers. Die vordergründige Pflichtenkollision enthüllt sich auf den zweiten Blick also als Rechtsgüterkollision. Damit besteht hier eine ähnliche Ausgangssituation wie bei sittlichen Pflichten im familiären Bereich, deren Wahrnehmung ebenfalls durch grundrechtliche Wertungen derart geschützt wird, dass nicht mehr die – rechtlich schwach oder gar nicht ausgeprägte – Pflicht, sondern vielmehr der grundrechtliche Schutz der Pflichterfüllung als Rechtsgut des Betroffenen im Fokus der rechtlichen Betrachtung stehen muss.

bb) Die betroffenen Rechtsgüter des Arbeitnehmers (1) Persönliche Freiheit und Leben, Menschenwürde Welche Rechts- und Verfassungsgüter des Arbeitnehmers sind es also, die durch die Einberufung zum ausländischen Wehrdienst potentiell beeinträchtigt werden? Zunächst – mit Blick auf die jeweils drohenden Wehrstrafen bei Nichtantritt des Wehrdienstes – die durch Art. 2 II 1, 2 GG grundrechtlich geschützten Rechtsgüter der persönlichen Freiheit (sofern Freiheitsstrafen in Betracht kommen) und des Lebens (sofern auch die Todesstrafe als Sanktion nicht ausgeschlossen werden kann). Zu Recht weist schon Henssler51 darauf hin, dass daneben sogar die Menschenwürde betroffen sein kann. Die Betroffenheit der Menschenwürde ist dabei abhängig von der Höhe des Strafmaßes, dem der Betroffene bei Nichtantritt des Wehrdienstes in seinem Heimatland ausgesetzt wäre. Eine simple Gleichstellung mit Fällen, in denen der Schuldner nur bei einem Verstoß gegen inländische strafrechtliche Handlungspflichten seiner Vertragspflicht genügen kann,52 scheidet demgegenüber aus. Wie gezeigt, kann die ausländische Wehrpflicht als Rechtspflicht nur begrenzt Anerkennung finden. Bei einem Verstoß gegen inländische strafrechtlich sanktionierte Handlungspflichten resultiert die Betroffenheit der Menschenwürde jedoch gerade daraus, dass dem Schuldner bei Versagung eines Leistungsverweigerungsrechts jede Möglichkeit  50

Vgl. etwa BAG AP § 123 BGB Nr. 23. Henssler AcP 190 (1990), 538 (559). 52 Vgl. oben § 5 II 2 a) aa) und unten § 9 III 1. 51

280

2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

rechtstreuen Verhaltens genommen würde. Damit würde der Schuldner in eine rechtlich ausweglose Lage gebracht; er würde nur noch als Objekt einer unerbittlichen Vertragspflicht wahrgenommen.53 Demgegenüber steht die ausländische Wehrpflicht außerhalb oder sogar im Widerspruch zur deutschen Rechtsordnung.54 Eine Betroffenheit der Menschenwürde kann daher in diesen Fällen nicht schon mit Blick auf eine rechtlich ausweglose Lage konstatiert werden, sondern lediglich mit Blick auf die „menschenunwürdige“ Bedrohung mit drastischen Strafen, die außerhalb jeder Verhältnismäßigkeit stehen. Zumindest in Fällen der Todesstrafe ist dies zweifellos der Fall.55 Als Vergleichspunkt hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit bietet sich ein Blick auf das bundesdeutsche Wehrstrafrecht in vergleichbaren Fällen an: Für den Fall, dass ein im Ausland lebender Deutscher sich der bundesdeutschen Wehrpflicht entzieht, ist in § 43 WPflG eine gesetzliche Sonderregelung vorgesehen, die bislang jedoch nicht erlassen wurde.56 Somit kann für die Beurteilung dieser Frage lediglich auf die allgemeinen Bestimmungen des deutschen Wehrstrafrechts zurückgegriffen werden. Hier statuiert § 45 WPflG für Verstöße im Vorfeld des bundesdeutschen Wehrdienstes lediglich eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit, verbunden mit einer maßvollen Bußgelddrohung. Jedoch wird man als Maßstab für die Verhältnismäßigkeit der drohenden Bestrafung bei Fernbleiben von einer schon festgestellten Wehrpflicht eher die Vorschriften der §§ 109, 109a StGB, 52, 53 I ZDG heranziehen können. Somit erscheint selbst eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren verhältnismäßig, wenn der Wehrpflichtige mit dem Willen handelt, sich der Wehrpflicht dauerhaft oder für den Verteidigungsfall zu entziehen. Eine darüber hinausgehende Strafdrohung, insbesondere mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder der Todesstrafe, erscheint demgegenüber unverhältnismäßig hart. Fraglich bleibt allerdings, ob in diesen Fällen tatsächlich ein Verstoß gegen die Menschenwürde zu konstatieren ist. Wenn schon bei lebenslänglicher Freiheitsstrafe sichergestellt sein muss, dass zumindest die Chance besteht, „der Freiheit wieder teilhaftig zu werden“,57 und ansonsten ein Verstoß gegen die Menschenwürde angenommen werden kann, so muss dies erst recht für die Todesstrafe als irreversible Beendigung der materiellen menschlichen Existenz gelten. Im Kontext der Strafverfolgung sind schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit generell nur dann hinzunehmen, wenn das begangene Delikt von erheblichem Gewicht und der körper 53

Zur Objektformel grundlegend BVerfGE 30, 1 (26); BVerfGE 50, 166 (175). Vgl. oben § 6 II 3 a) aa). 55 Vgl. zu dieser Fallgruppe der Menschenwürdeverletzung Maunz/Dürig-Dürig Art. 1 GG Rn. 31 f. 54

56 57

Vgl. Boehm-Tettelbach § 43 WPflG Rn. 1. BVerfGE 45, 187 (245 ff.); BVerfGE 72, 105 (113).

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281

liche Eingriff etwa zur Ergreifung des Täters erforderlich und verhältnismäßig ist.58 Die Strafdrohung der Todesstrafe für das Versäumen der Wehrpflicht erscheint demgegenüber stets als eine unverhältnismäßig harte Bestrafung. Gleiches dürfte für die Verurteilung zur lebenslänglichen Freiheitsstrafe gelten, jedenfalls sofern sie tatsächlich als „lebenslänglich“ vollstreckt wird.59 Sofern also ein deutsches Arbeitsgericht einen wehrpflichtigen ausländischen Arbeitnehmer durch die Verurteilung zur vertraglich geschuldeten Leistung mittelbar der Gefahr der Todesstrafe oder einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe aussetzen würde, läge ein verfassungswidriger Eingriff in die Menschenwürde schon wegen der unverhältnismäßigen Härte der drohenden Strafe vor. Der Fall ist durchaus vergleichbar mit der Situation der Abschiebung in ein Heimatland, in welchem Folter und Todesstrafe drohen: Auch hier wird durch einen staatlichen Hoheitsakt – die richterliche Verurteilung zur Leistung – der Betroffene potentiell der Todesstrafe in seinem Heimatland ausgesetzt. Für die parallele Konstellation der Ausweisung in ein Heimatland bei dort drohender Todesstrafe hat das BVerfG entschieden, dass zwar nicht Art. 102 GG unmittelbar einschlägig sei, da hiervon nur die Konstellation der Vollstreckung der Todesstrafe durch deutsche Staatsorgane erfasst werde;60 jedoch ist nach allgemeiner Ansicht insoweit zumindest das Recht auf Leben (Art. 2 II 1 GG) heranzuziehen, wobei die Wertentscheidung des Art. 102 GG hinreichend zu würdigen ist.61 Daraus folgt, dass in aller Regel bei drohender Todesstrafe die Ausweisung nicht in Betracht kommt.62 Gleiches wird für die Verurteilung zur vertraglich geschuldeten Leistung in Anbetracht einer dann drohenden Todesstrafe im Heimatland des Schuldners zu gelten haben.

(2) Allgemeines Persönlichkeitsrecht Soweit der Verlust der heimatstaatlichen Staatsangehörigkeit als Sanktion in Rede steht, kommt vor allem eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 I, 1 I GG, in Betracht. Dieses gewährt unter anderem auch Schutz  58

Vgl. BVerfGE 27, 211 (218). Vgl. BVerfGE 45, 187 (223 ff., insbes. 245 ff.): Es muss demnach die rechtlich gesicherte Aussicht bestehen, „der Freiheit wieder teilhaftig zu werden“; vgl. auch BVerfGE 72, 105 (113). 60 BVerfGE 18, 112 (116 ff.); Maunz/Dürig-Scholz Art. 102 GG Rn. 26; offengelassen in BVerfGE 60, 348 (354); dagegen BVerwG NJW 1988, 662; AK-GG-Azzola Art. 102 GG Rn. 45 m.w.N. 61 BVerwGE 78, 285 (294), Jarass/Pieroth-Jarass Art. 102 GG Rn. 3. 59

62

HessVGH NVwZ-RR 1990, 511; HbStR-Lorenz VI § 128 Rn. 26 f.; HbVerfR-Robbers § 11 Rn. 45.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

gegen jede umfassende Einschränkung der persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten.63 Wenn dem Betroffenen der Verlust der heimischen Staatsangehörigkeit und damit der Rückkehrmöglichkeit in sein Heimatland droht, wird er in seinen Entfaltungsmöglichkeiten massiv beschnitten. Bemerkenswerterweise hat das BAG demgegenüber nicht auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, sondern auf die Gewissensfreiheit Bezug genommen,64 wenn es die Entscheidung des Betroffenen, „Angehöriger seines Heimatlandes mit den sich daraus ergebenden öffentlich-rechtlichen Pflichten zu bleiben oder die Staatsangehörigkeit des Gastlandes anzunehmen“ als „Gewissensentscheidung des Arbeitnehmers“ charakterisiert. Diese Beurteilung erscheint angesichts des Gewissensbegriffs65 fragwürdig. Sicherlich mag es Fälle geben, in denen der Betroffene die Bindung an sein Heimatland und an dessen Staatsangehörigkeit aufgrund eines gesteigerten Nationalbewusstseins als sittlich unbedingt verpflichtend empfindet und diese Entscheidung auch an den Kategorien von „gut“ und „böse“ orientiert.66 In aller Regel bemisst sich die Entscheidung für oder gegen eine Staatsangehörigkeit jedoch nach anderen Kategorien als sie für eine Gewissensentscheidung maßgeblich sind. Das Abstellen auf das Grundrecht der Gewissensfreiheit mag aus einer übergreifenden Sichtweise auf die verschiedenen Fallgruppen ideeller Unzumutbarkeit motiviert sein; jedoch erscheint es in der Sache eher fernliegend.

(3) Schlussfolgerungen Auf Seiten des wehrpflichtigen Arbeitnehmers sind mit den genannten Grundrechten dennoch höchstrangige Verfassungsgüter betroffen. Ist etwa die „unantastbare“67 Menschenwürde potentiell beeinträchtigt, so scheidet eine Abwägung mit gegenläufigen Gläubigerinteressen bei verfassungskonformer Betrachtungsweise aus: Die Menschenwürde ist ein unabwägbarer Höchstwert der Verfassung. Sie setzt sich in Konflikten daher stets durch.68 Diese verfassungsrechtliche Vorgabe hat das BAG in den zitierten Entscheidungen – zumal in der Entscheidung von 20.5.198869 – grob verkannt, wenn es  63

Vgl. BVerfGE 72, 155 (170); Dreier-Dreier Art. 2 GG Rn. 50; Jarass/Pieroth-Jarass Art. 2 GG Rn. 38. 64

BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. Vgl. ausführlich oben § 3 II 2. 66 BVerfGE 12, 45 (55); vgl. auch HbStR-Bethge VI § 137 Rn. 10. 67 Vgl. nur BVerfGE 75, 369 (380); Jarass/Pieroth-Jarass Art. 1 GG Rn. 12. 68 Vgl. auch Henssler AcP 190 (1990), 538 (559). 69 BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 65

§ 6 Unzumutbarkeit wegen Einberufung zum Wehrdienst

283

die in Art. 1 I GG verankerte Rechtsposition des Arbeitnehmers sogar gegen bloß einfachrechtlich geschützte Interessen des Arbeitgebers abwägt und diese Arbeitgeberinteressen bei einer Fehldauer von mehr als zwei Monaten pauschal überwiegen lässt. Schon von Verfassungs wegen ist demgegenüber in aller Regel eine Anerkennung des Leistungshindernisses als Schuldbefreiungsgrund geboten. Dem Arbeitnehmer ist aufgrund seiner intensiv geschützten und intensiv bedrohten Grundrechtsposition ein Leistungsverweigerungsrecht zuzuerkennen, das von der Dauer des Fehlens nicht abhängen kann.70 Diese Sichtweise erlegt dem Arbeitgeber auch keine untragbaren Belastungen auf, denn sobald die Fehldauer einen „verhältnismäßig unerheblichen“ Zeitraum überschreitet, wird er von seiner Entgeltzahlungspflicht frei; auch ist über Gegenrechte, etwa eine arbeitgeberseitige Kündigung oder Schadensersatzansprüche, damit noch nicht entschieden.71

b) Das Lösungsmodell des neuen Schuldrechts aa) § 275 III BGB als allgemeine Regelung Nach dem klaren Willen des Gesetzgebers bietet nunmehr § 275 III BGB eine Lösungsmöglichkeit für die Kollision zwischen Arbeitspflicht und ausländischer Wehrpflicht.72 Die Norm kodifiziert die schon vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes anerkannte Entscheidung, dass in diesen Fällen dem Leistungshindernis Vorrang gegenüber der Arbeitspflicht zukommen kann. Diese Richtungsentscheidung korrespondiert mit den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Wertungen, die hinter dem Konflikt auszumachen sind.73 Regelungstechnisch hätte sich auch für diese Fallgruppe eine Einordnung in den systematischen Kontext von § 242 oder § 313 BGB angeboten, da die Unzumutbarkeit aufgrund der dem Schuldner verbleibenden Wahlmöglichkeit generell als ein von der Unmöglichkeit deutlich abzugrenzendes aliud zu verstehen ist.74 Zutreffend erscheint demgegenüber auch hier, dass § 275 III BGB

 70

Ebenso Henssler AcP 190 (1990), 538 (559 f.). Dazu Henssler AcP 190 (1990), 538 (560) und unten §§ 14-17. 72 BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte. 73 Oben § 6 II 3 a) bb). 71

74

40.

Ausführlich unten § 10 I 1. Dazu auch Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 38,

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

keinen Entfall der Leistungspflicht ipso iure, sondern vielmehr ein einredeweise geltend zu machendes Leistungsverweigerungsrecht statuiert.75

bb) Elemente der Interessenabwägung Die durch § 275 III BGB getroffene Grundentscheidung für die Durchsetzung des Leistungshindernisses gegenüber der Vertragspflicht wird jedoch unter den Vorbehalt einer Interessenabwägung gestellt. Auch hier ist also darzustellen, welche Interessen auf beiden Seiten Berücksichtigung finden können.

(1) Allgemeines Es wurde gezeigt, dass gerade im Bereich der Einberufung zum ausländischen Wehrdienst auf Seiten des Schuldners höchstrangige Verfassungsgüter betroffen sind. Dabei sind die Grundrechte auf Leben und persönliche Freiheit unter den Gesetzesvorbehalt des Art. 2 II 3 GG gestellt; die Abwägung mit nur einfachrechtlich geschützten Rechtsgütern erscheint daher nicht schon im Ansatz ausgeschlossen, muss aber jedenfalls einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten.76 Anders stellt sich die Situation hinsichtlich der Menschenwürde dar. Diese wird von Art. 1 I 1 GG als „unantastbar“ charakterisiert; die staatliche Gewalt trifft gemäß Art. 1 I 2 GG eine intensive Schutzpflicht.77 Bei der Auslegung privatrechtlicher Vorschriften ist daher die Ausstrahlungswirkung der Menschenwürde in besonderer Weise zu berücksichtigen.78 Die Unantastbarkeit hat dabei zur Folge, dass sie keinerlei Beschränkungsmöglichkeiten unterliegt; selbst andere Verfassungsgüter können sie nicht einschränken, da sie den höchsten Rang unter allen Verfassungsgütern genießt.79 Treffend führt das BVerfG aus, dass in einer freiheitlichen Demokratie der Würde des Menschen  75

Allgemein Canaris JZ 2001, 499 (504); Dedek, in: Henssler/v.Westphalen § 275 Rn. 15. Es darf bei der Abwägung ein verfassungsmäßiges Übermaß nicht über-, ein verfassungsmäßiges Untermaß nicht unterschritten werden; vgl. zum Verhältnismäßigkeitsprinzip allgemein BVerfGE 19, 342 (348 f.): Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ergebe sich „bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur so weit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist.“. Vgl. ähnlich auch BVerfGE 77, 308 (334); v.Mangoldt/Klein-Starck Art. 2 GG Rn. 19. 76

77

BVerfGE 1, 97 (104). Vgl. Jarass/Pieroth-Jarass Art. 1 GG Rn. 9-11. 79 Vgl. BVerfGE 75, 369 (380); Jarass/Pieroth-Jarass Art. 1 GG Rn. 12 m.w.N. 78

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die Rolle des schlechthin höchsten Rechtswerts zukomme.80 Da Art. 79 III GG die Menschenwürde auch gegenüber Verfassungsänderungen unter „Ewigkeitsgarantie“ stellt, scheidet jegliche Einschränkung – auch durch andere Verfassungsnormen – aus.81 Jeder Eingriff stellt zugleich einen Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie dar.82 Soweit also dem Betroffenen bei Nichtableistung des Wehrdienstes die Todesstrafe oder eine tatsächlich als lebenslang vollstreckte Freiheitsstrafe in seinem Heimatland droht, kommt eine Abwägung mit Interessen des Gläubigers schon im Ansatz nicht in Betracht. Dem Arbeitnehmer ist in jedem Fall ein Leistungsverweigerungsrecht zuzugestehen.83 Bei geringerer Strafdrohung ist die Menschenwürde hingegen nicht betroffen. Entspricht also das bei Versäumung des Wehrdienstes zu erwartende Strafmaß etwa dem Niveau der bundesdeutschen Strafdrohung für Versäumung soldatischer Dienstpflichten,84 ist also zum Beispiel eine zeitige Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren zu erwarten, so steht lediglich das Grundrecht der persönlichen Freiheit in Rede. Eine Abwägung mit – auch nur einfachrechtlich geschützten – Interessen und Rechtsgütern des Arbeitgebers kommt somit in Betracht, wobei freilich der grundrechtlichen Verbürgung der persönlichen Freiheit in der Regel ein größeres Gewicht zukommen wird als einfachrechtlichen Gegeninteressen. Anderes kann sich allerdings ergeben, wenn auch auf Seiten des Arbeitgebers gewichtige Rechtsgüter betroffen sind. Ist durch die Leistungsverweigerung etwa der wirtschaftliche Bestand des Unternehmens unmittelbar bedroht oder andere Güter betroffen, für deren Schutz und Entfaltung der Arbeitsvertrag lediglich einen einfachrechtlichen Rahmen darstellt, so ist zwischen den dann kollidierenden Verfassungsgütern praktische Konkordanz nach den schon entwickelten Maximen herzustellen.85

 80

BVerfGE 5, 85 (204); BVerfGE 45, 187 (227). So auch BVerfGE 93, 266 (293). 82 v.Münch/Kunig-Kunig Art. 1 GG Rn. 4. 83 Freilich erfährt der Arbeitgeber eine deutliche Kompensation durch den Verlust des Entgeltanspruchs des Arbeitnehmers und die bestehende Kündigungsmöglichkeit, vgl. unten § 15 und 17. 84 Vgl. oben § 6 II 3 bb) (2.). 85 Ähnlich LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2; Meyer, Grundzüge, S. 102 m.w.N.; Bydlinski SAE 1991, 6 (7); Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; Böckenförde NJW 2001, 723 (724); Muckel NJW 2000, 689 (691); kritisch Rüfner RdA 1992, 1 (3). 81

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

(2) Insbesondere: Vorhersehbarkeit und Vorhersicht des Konfliktes Problematisch erscheint die Frage, welches Gewicht der Vorhersehbarkeit oder Vorhersicht des Konfliktes zukommt. Sicher können diese Gesichtspunkte Bedeutung für Folgefragen, etwa Schadensersatzansprüche wegen Verletzung von Informationspflichten entfalten.86 Jedoch ist nach dem oben – im Kontext der anderen Fallgruppen – Festgestellten auch eine Rückwirkung auf das Schicksal der primären Leistungspflicht nicht generell auszuschließen. Auch hier könnte der Vorhersicht als Akt des Grundrechtsverzichts sogar eine absolute Bedeutung zukommen.87 Dies wird zweifellos dann anzunehmen sein, wenn lediglich die persönliche Freiheit des Arbeitnehmers von der zu erwartenden Strafdrohung betroffen ist. Hier ist der Arbeitnehmer als autonomes Rechtssubjekt frei, durch die bewusste Eingehung eines Arbeitsverhältnisses in Kenntnis einer bevorstehenden Einberufung konkludent auf den grundrechtlichen Schutz zu verzichten.88 In diesen Fällen kann er auf den Schutz der Rechtsordnung nicht mehr bauen; er muss, will er der Wehrstrafe entgegen, die Arbeit ohne Beistand der Rechtsordnung verweigern und die nachteiligen Konsequenzen, die sich an die grundlose Arbeitsverweigerung und eine Verurteilung zur Leistung knüpfen, hinnehmen. In Betracht kommt insofern etwa die aus § 887 I ZPO folgende Pflicht, die Kosten einer Ersatzvornahme zu tragen.89 Eine andere Betrachtungsweise erscheint jedoch angezeigt, wenn die Menschenwürde betroffen ist. Hier ist in hohem Maße umstritten, ob ein Grundrechtsverzicht überhaupt zulässig ist. Ganz überwiegend wird vertreten, insoweit fehle es an der Disponibilität des Rechtsgutes, da die Menschenwürde als oberster Wert der Verfassung nicht nur den Schutz ihres einzelnen Trägers, sondern auch den Schutz der allgemeinen Sozialethik bezwecke. Hier komme also in besonderer Weise die Funktion der Grundrechte als objektiver Wertord 86

Dazu unten § 16 II 2 c). Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; Zöllner AcP 196 (1996), 1 (12 f.). 87

88 Der Grundrechtsverzicht muss zwar eindeutig, kann aber auch konkludent erklärt werden, vgl. Stern, Staatsrecht III/2, S. 914; Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527 (530); Malorny JA 1974, 475. Hierfür genügt die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses in (positiver) Kenntnis des Leistungshindernisses. 89

Es ist streitig, ob § 888 III ZPO generell Anwendung auf die Arbeitspflicht findet oder nur in jenen Fällen, in denen dem Arbeitgeber die Person des Leistenden nicht gleichgültig ist. Bei letzterer Annahme könnte vielfach der Arbeitnehmer zu der Kostentragung für eine Ersatzvornahme nach § 887 I ZPO herangezogen werden. Vgl. zur Problematik eingehend Lüke, Festschrift E. Wolf (1985), S. 462 ff.; vgl. auch Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1081; Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, § 27 II 1; Wolf JZ 1963, 434; Henssler AcP 190 (1990), 538 (560 f.).

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nung zum Tragen.90 Diese Sichtweise verdient Zustimmung: Ein Staat, der es unbegrenzt zuließe, dass Menschen ihre Menschenwürde zur Disposition stellen, würde eine allgemeine Verrohung der Gesinnung in Kauf nehmen und sogar fördern. Insofern kann man sagen, dass die Menschenwürde selbst der „Antastung“ durch ihren jeweiligen Träger entzogen ist. Wenn somit die Menschenwürde als Rechtsgut des Schuldners in Frage steht, also in allen Fällen, in denen ihm in seinem Heimatland die Todesstrafe, Folter oder eine sonst unverhältnismäßig harte Bestrafung drohen, kann die Vorhersicht mangels Disponibilität der Menschenwürde als Akt des Grundrechtsverzichtes keine Rolle spielen. Die bloße Vorhersehbarkeit kann überdies auch in den anderen Fallkonstellationen keine absolute Wirkung entfalten, da hier von einem Grundrechtsverzicht nicht ausgegangen werden kann.91 Überhaupt ändert die bloße Vorhersehbarkeit im Grundsatz nichts an dem Konflikt, in dem sich der Schuldner befindet. Daher ist ihr kein absoluter Einfluss auf die Beurteilung des Wegfalls der primären Leistungspflicht beizumessen; sie kann allerdings für sekundäre Ansprüche und Gestaltungsrechte des Gläubigers, etwa die Möglichkeit einer Kündigung oder Schadensersatzansprüche, Bedeutung erlangen.92 Zudem kommt ihr bei einfachrechtlichen Interessen- und Rechtsgüterkonflikten insoweit Bedeutung zu, als sie die vertragliche Risikoverteilung zulasten dessen verschieben kann, der den Konflikt hätte vorhersehen können.93 Soweit die Menschenwürde nicht betroffen ist, können auch bloß einfachrechtlich geschützte Interessen und Rechtsgüter des Gläubigers Beachtung finden. Hier ist insbesondere an die Bedeutung des Arbeitnehmers für einen geregelten Betriebsablauf und an den wirtschaftlichen Schaden zu denken, den der Arbeitgeber durch den Ausfall des Arbeitnehmers erleidet.94 Andererseits ist auch die Dauer des Arbeitsverhältnisses in Relation zu der Fehldauer in den Blick zu nehmen.95 Wenn in der vergleichbaren Fallgruppe der lang andauernden Krankheit es dem Arbeitgeber zuzumuten ist, im unbefristeten Arbeitsverhältnis dem erkrankten Arbeitnehmer für die Dauer von mehr als zwei Jahren den Arbeitsplatz freizuhalten und eine Kündigung nicht in Betracht kommt,96  90 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 299; ausführlich Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz (1973). 91 Anders Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; allgemein unten § 9 III 5. 92

Henssler AcP 190 (1990), 538 (553 ff., 568 ff.) sowie hier unten § 16 II 2 a) bb) und b). Dazu unten § 9 III 3 a). 94 BAG AP § 123 BGB Nr. 23. 95 Ebenso BAG AP § 123 BGB Nr. 23. 96 So BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 36. 93

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

dann muss ähnliches auch für die Einberufung zum ausländischen Wehrdienst gelten. Es ist also Raum für eine umfassende, einfachrechliche Interessenabwägung. Wenn die Länge des Wehrdienstes durch Zahlung einer Geldsumme verkürzt werden und die Pflichtenkollision damit zum Teil abgewendet werden kann, handelt es sich um eine Frage der vertraglich vereinbarten wirtschaftlichen Opfergrenze. In diesen Fällen wird entscheidend auf die materielle Risikoverteilung durch den Vertrag abzustellen sein.97 Insoweit kann auf die obigen Ausführungen im Bereich der Kollision von Arbeits- und Elternpflicht verwiesen werden.98

cc) Beschränkung auf persönliche Leistungspflichten? Wie bei der Kollision der Vertragspflicht mit familiären Leistungshindernissen kann auch dieser Konflikt ausschließlich bei höchstpersönlichen Leistungspflichten entstehen. Er vollzieht sich stets in der plakativen Weise, dass zwei höchstpersönliche Pflichten durch dieselbe Person zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Orten erfüllt werden müssen. Daher bereitet hier die Beschränkung des § 275 III BGB auf Pflichten, die der Schuldner in Person zu erfüllen hat, keine Schwierigkeiten.99 Hinzuweisen ist darauf, dass der Konflikt außer in Arbeitsverhältnissen auch in freien Dienst- oder Werkverträgen mit persönlicher Leistungspflicht auftreten kann. Praktische Relevanz dürfte die Thematik jedoch allein im Arbeitsrecht erlangen.

 97

Soergel-Teichmann § 242 Rn. 223 ff.; MünchKomm-Roth § 242 Rn. 610 ff. Oben § 5 I 2 c). 99 Anders hingegen bei Gewissenskonflikten, vgl. oben § 3 III 2. 98

§ 7 Unzumutbarkeit aus gesundheitlichen Gründen

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§ 7 Unzumutbarkeit der Leistungserbringung aus gesundheitlichen Gründen Schon jetzt ist umstritten, ob nach neuer Rechtslage die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit dem Unmöglichkeits- (§ 275 I BGB) oder Unzumutbarkeitsrecht (§ 275 III BGB) zuzuordnen ist.1 Die notwendige Abgrenzung der unterschiedlichen in § 275 BGB geregelten Tatbestände wird praktisch besonders bedeutsam, wenn man die divergierenden Rechtsfolgen betrachtet: § 275 I BGB statuiert einen Entfall der Leistungspflicht ipso iure. § 275 III BGB gibt dem Leistungspflichtigen hingegen ein einredeweise geltend zu machendes Leistungsverweigerungsrecht. § 275 III BGB belässt ihm damit die Wahlmöglichkeit, trotz objektiver Unzumutbarkeit dennoch zu leisten.2 Letztlich stellt sich die auf verfassungsrechtliche Wertungen verweisende Frage, ob in der sozialen Marktwirtschaft der autonomen Freiheit des einzelnen, gegebenenfalls auch gegen sein objektives Interesse handeln und eine Verschlimmerung seiner Krankheit hinnehmen zu dürfen oder aber der Fürsorgepflicht des Staates der Vorrang einzuräumen und damit ein Entfall der Leistungspflicht und Leistungsmöglichkeit ipso iure anzuerkennen ist. Die Problematik ist dabei keineswegs auf Arbeitsverhältnisse beschränkt; so kann auch die Leistungserbringung in freien Dienst- oder Werkverträgen durch eine Erkrankung beeinträchtigt werden. Dies dürfte vor allem praktisch relevant werden, wenn die Leistung als Fixschuld geschuldet wird. Ein anschauliches Beispiel stellt der im Rahmen eines freien Dienstvertrages beschäftigte Opernsänger dar, der zum vereinbarten Aufführungstermin schwer grippekrank und heiser ist. Da die Thematik jedoch vor allem für Arbeitsverhältnisse diskutiert wird und dort ihr eindeutiger praktischer Schwerpunkt liegt, soll auch im Folgenden die Problematik primär für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit dargestellt werden. Die entwickelten Lösungsmuster lassen sich jedoch auf andere Vertragsverhältnisse mit persönlicher Leistungspflicht übertragen.

 1 Für erstere Lösung Palandt-Heinrichs63 § 275 Rn. 30; Bamberger/Roth-Grüneberg § 275 Rn. 42; Canaris JZ 2001, 499 (501, 504); Däubler NZA 2001, 1329 (1332); Fischer DB 2001, 1923 (1924); Joussen NZA 2001, 745 (747); Berkowsky AuA 2002, 11 f.; für letztere Lösung Löwisch NZA 2001, 465 (466); ähnlich ders. Festschrift Wiedemann (2002), S. 311 (323); differenzierend ErfK-Preis4 § 611 BGB Rn. 847; Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 100; Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 ff.; Henssler/Muthers ZGS 2002, 219 (223); Lindemann ArbuR 2002, 81 (82). 2

Vgl. zur Parallelproblematik bei Gewissenskonflikten im Schuldverhältnis ausführlich oben § 3 IV 2 a) cc) .

290

2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

I. Die Rechtslage vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes Vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes wurde die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ganz überwiegend als Fall subjektiver Unmöglichkeit i.S.v. § 275 II BGB a.F. aufgefasst.3 Systematisch verstand man dabei die Entgeltfortzahlungsregelung des § 3 I EFZG als Sonderregelung zum Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“, § 323 I BGB [a.F., jetzt § 326 I BGB]. Die Einordnung stieß jedoch schon dann an ihre Grenzen, wenn ein Arbeitnehmer, obwohl die Erbringung der Arbeitsleistung infolge seiner Erkrankung objektiv unzumutbar erschien, dennoch arbeitete.4 In diesem Fall hätte – da bei Unmöglichkeit die Leistungspflicht und Leistungsmöglichkeit ipso iure erlischt – der Arbeitnehmer trotz seiner Arbeitsleistung den originären Lohnanspruch gemäß § 323 I BGB [a.F., jetzt § 326 I BGB] einbüßen und auf den Entgeltfortzahlungsanspruch aus § 3 I 1 EFZG verwiesen werden müssen.5 Dieser Anspruch wiederum wäre zahlreichen Einschränkungen ausgesetzt gewesen, etwa der Höchstdauer von sechs Wochen, § 3 I 1 Halbs. 2 EFZG oder der Wartezeit des § 3 III EFZG.6 So hätte bei konsequenter Einordnung der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit in das Unmöglichkeitsrecht ein trotz Krankheit arbeitender Arbeitnehmer unter Umständen überhaupt keinen Entgeltanspruch erworben. Diesem paradoxen, in höchstem Maße ungerechten Ergebnis trug man jedoch nicht etwa dadurch Rechnung, dass man die problematischen Fälle krankheitsbedingter „Arbeitsunfähigkeit“ aus der Regelung des § 275 II BGB a.F. ausklammerte und sich um eine neue dogmatische Einordnung bemühte. Vielmehr korrigierte man das zweifelhafte Ergebnis durch den Verweis auf Treu und Glauben: Es sei dem Arbeitgeber „nach Treu und Glauben“ verwehrt, die Entlohnung einer erbrachten und von ihm angenommenen Arbeitsleistung unter Verweis auf die eigentlich bestehende Arbeitsunfähigkeit zu verweigern. Es handele sich hierbei um widersprüchliches Verhalten.7  3

Vgl. BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 30; BAG NZA 1999, 824 f.; Brox/Rüthers, Arbeitsrecht, Rn. 166; vgl. jetzt auch Joussen NZA 2001, 745 (747); Canaris JZ 2001, 499 (501, 504). 4

Dies ist gerade bei Arbeitnehmern in führenden Positionen in der Praxis nicht selten; vgl. Löwisch NZA 2001, 465. 5

Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 (2107). Dazu ErfK-Dörner4 § 3 EFZG Rn. 68. 7 Vgl. für Fälle der Anfechtung Flume, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts Bd. 2, § 21, Ziff. 6; diese Konzeption befürworten auch unter der neuen Rechtslage ausdrücklich Canaris JZ 2001, 499 (504) und Joussen NZA 2001, 745 (747). Kritisch dazu Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rn. 2/13 Fn. 11; Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 103; Löwisch, Festschrift Wiedemann (2002), S. 311 (323). 6

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II. Gebotene Differenzierung zwischen Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit Der Kern der Problematik wurde durch diese Ergebniskorrektur jedoch nur verschüttet. Das Beispiel legt anschaulich offen, dass die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht in allen Fällen als Fallgruppe der Unmöglichkeit betrachtet werden kann. Das Problem einer stimmigen Einordnung tritt immer dann auf, wenn die Leistung infolge der Krankheit nicht schon naturgesetzlich unmöglich geworden ist, der Arbeitnehmer also trotz der Krankheit faktisch vertragsgemäß arbeiten kann. Dass eine pauschale Verankerung der Problematik im Recht der Unmöglichkeit zweifelhaft ist, erkennt auch das BAG, wenn es in einer Entscheidung vom 1.6.1983 ausdrücklich darauf Bezug nimmt, dem Arbeitnehmer sei es im vorliegenden Fall „vernünftigerweise nicht zuzumuten, die bei der Arbeit auftretenden krankheitsbedingten Behinderungen auf sich zu nehmen“.8 Freilich wurde dieser richtige Gedanke nicht weitergeführt; insbesondere regte er nicht dazu an, den systematischen Ansatzpunkt, alle Fälle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit dem Unmöglichkeitsrecht unterzuordnen, zu überdenken. Gerade durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wird jedoch – wie darzustellen sein wird – eine differenzierte Lösung nahe gelegt.

1. Krankheit ohne „Arbeitsunfähigkeit“ Gänzlich aus der Problematik auszusondern sind dabei jene Fälle, in denen zwar Krankheit im medizinischen Sinne, also ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand vorliegt, der einer Heilbehandlung bedarf,9 dies jedoch auf das Arbeitsverhältnis keine spürbaren Auswirkungen hat. Es muss nämlich streng unterschieden werden zwischen dem medizinischen Krankheitsbefund  8 BAG AP § 1 LohnFG Nr. 54; ähnlich in der Lit. v.a. Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9: Die fiebrige Erkältung eines Arbeitnehmers, welche die Leistungsfähigkeit nicht vollständig aufhebe, sei ein Fall der Unzumutbarkeit. 9 Zur Definition BAG AP § 1 LohnFG Nr. 52; BAG AP § 1 LohnFG Nr. 62 mit Anm. Ortlepp; BAG AP § 1 LohnFG Nr. 52 mit Anm. Baumgärtel; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 197; Kasseler Handbuch-Vossen 2.2 Rn. 41, 43; Schmitt § 3 EFZG Rn. 34; Schaub-Linck § 98 Rn. 9. Andere hingegen definieren einen spezifisch arbeitsrechtlichen Krankheitsbegriff, der die Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis bereits in den Krankheitsbegriff einbezieht und damit die deutlich zu trennenden Tatbestandsmerkmale der Krankheit und der Arbeitsunfähigkeit vermischt. Für diese – im Ergebnis abzulehnende – Auffassung etwa Hunold, Krankheit des Arbeitnehmers, S. 26; Bezani, Krankheitsbedingte Kündigung, S. 6 f., jeweils m.w.N.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

und der juristischen Wertung, dass durch die festgestellte Krankheit das Arbeitsverhältnis betroffen ist.10 Schon eine leichte Erkältung stellt eine Krankheit im medizinischen Sinne dar. Jedoch wird man in aller Regel hier eine spürbare Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit verneinen können.11 Die Grenzen sind freilich fließend: Intensiviert sich die leichte Erkältung zu einer Grippe mit hohem Fieber, so muss nicht zwingend die Erbringung der Arbeitsleistung naturgesetzlich unmöglich12 sein, um ein Fortbestehen der Arbeitspflicht zu verneinen. Hier ist die sogleich darzustellende Differenzierung zwischen „Arbeitsunfähigkeit“ und „Arbeitsunzumutbarkeit“ am Platze. Folgt man dieser differenzierten Betrachtungsweise, ist auch kein Rückgriff auf einen spezifisch „juristischen“ Krankheitsbegriff erforderlich, wie er vereinzelt vorgeschlagen wird.13 Bei der Bewertung der vorrangigen Frage, ob die Krankheit sich auf die Arbeitsfähigkeit im dargestellten Sinne auswirkt, wird es zum einen entscheidend auf das Urteil des fachkundigen Arztes,14 daneben aber auch auf das subjektive Befinden des Arbeitnehmers15 ankommen. Dies wird vor allem immer dann relevant, wenn die vertraglich geschuldete Leistung infolge der Krankheit nicht schon naturgesetzlich unmöglich geworden ist: Ob ein grippekranker Fließbandarbeiter mit achtunddreißig oder erst mit neununddreißig Grad Fieber seine eigene Leistungsfähigkeit für derartig stark beeinträchtigt erachtet, dass er sich selbst für arbeitsunfähig hält, wird durch individuelle Komponenten – etwa die Gesamtkonstitution des Arbeitnehmers – beeinflusst und ist im Einzelfall selbst dem Urteil des Arztes nur begrenzt zugänglich. Die Entscheidung über die Arbeitsfähigkeit ist insofern auch subjektiv determiniert.16 Da es sich hierbei – ähnlich einer Gewissensentscheidung – um eine innere, subjektive Wertung handelt, ergeben sich im Streitfall um das Vorliegen einer leistungsrelevanten Erkrankung ähnliche Beweisprobleme wie bei Gewissenskonflikten.17  10 Vgl. auch anschaulich Preis, Individualarbeitsrecht, S. 533 f.; Reinecke, in: Rieder, Krankheit im Arbeitsverhältnis, S. 34 f. 11 Ausnahmen können sich freilich aus der Natur der geschuldeten Tätigkeit ergeben, so etwa bei einem nur leicht erkälteten, infolgedessen jedoch heiseren Opernsänger. 12

Zum engen historischen Unmöglichkeitsbegriff vgl. Mot. II, S. 45; Prot. I, S. 314 f. Vgl. Hunold, Krankheit des Arbeitnehmers, S. 26; Bezani, Krankheitsbedingte Kündigung, S. 6 f. 13

14 Vgl. zum Beweiswert ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen BAG AP § 3 EFZG Nr. 4; BAG AP § 123 BGB Nr. 42. 15 Vgl. Stückmann NZS 1994, 529 (531). Anders jedoch anscheinend noch BAG AP § 615 BGB Nr. 77; allerdings handelte es sich hier wohl um eine Konstellation krankheitsbedingter naturgesetzlicher Unmöglichkeit, so dass die Beschränkung auf objektive Beurteilungsmaßstäbe im konkreten Fall zutreffend erscheint. 16 17

Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 (2108 f.). Dazu ausführlich oben § 3 II 3.

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293

Dabei kann man zum einen die für Gewissenskonflikte entwickelte Lehre Luhmanns18 von den „lästigen Alternativen“ entsprechend heranziehen: Ein gewichtiges Indiz für die Berechtigung einer Leistungsverweigerung ist demnach – verallgemeinernd – die Bereitschaft, auch gravierende Nachteile infolge der Leistungsverweigerung hinzunehmen. Der bloße Entgeltverlust scheidet dabei allerdings in der Regel als „lästige Alternative“ aus, da durch § 3 I EFZG gerade die Fortzahlung des Entgelts gesichert wird.19 Allerdings bieten sich andere Kriterien an: Besteht etwa die konkrete Möglichkeit einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen20 und meldet sich der Arbeitnehmer dennoch krank, so liegt hierin eine deutliche Indiztatsache für das tatsächliche Vorliegen einer subjektiv empfundenen krankheitsbedingten „Arbeitsunfähigkeit“. Ungeachtet der – wie dargestellt – letztlich subjektiven Struktur der Entscheidung kommt der ärztlichen Arbeitunfähigkeitsbescheinigung ein hoher Beweiswert zu.21 Bei der Erteilung einer solchen Bescheinigung wird der Arzt auch die individuellen Aussagen des Erkrankten hinsichtlich seiner subjektiv empfunden Arbeitsfähigkeit oder -unfähigkeit aus medizinischer Sicht würdigen. Der Problematik der Beweisbarkeit ist somit ein Stück weit aus dem juristischen Kontext gelöst und in die wertende Entscheidung des Arztes vorverlagert.22

2. „Arbeitsunfähigkeit“ und „Arbeitsunzumutbarkeit“ Auch im verbleibenden Bereich jener Krankheiten, die tatsächlich auf das Arbeitsverhältnis einwirken, ist eine differenzierende Betrachtung geboten: Nur im Ausnahmefall ist infolge einer Erkrankung die Erbringung der Arbeitsleistung naturgesetzlich unmöglich. Der grippekranke Fließbandarbeiter könnte in aller Regel trotz seiner Grippe Fahrzeugmotoren zusammenbauen; „unmöglich“ im klassischen, naturgesetzlichen Sinne23 ist ihm die Erbringung der Arbeits 18

Luhmann AöR 90, 257 (281 ff.). ErfK-Dörner4 § 3 EFZG Rn. 4. 20 Vgl. zu den Fallgruppen allgemein ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 208 ff.; zur Fallgruppe häufiger Kurzerkrankungen Rn. 241 ff.; weiterhin Preis, Krankheitsbedingte Kündigung, S. 108 ff. Exemplarisch aus der Rspr. des BAG: BAG EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 39; BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 14, 20. 19

21

ErfK-Dörner4 § 5 EFZG Rn. 33. Hierauf weist auch Dedek, in: Henssler/v.Westphalen § 275 Rn. 37 hin. Vgl. auch Stückmann AuA 1996, 197 (198); Kreßel, Festschrift Gitter (1995), S. 491 (504). 22

23

Vgl. zu den unterschiedlichen Spielarten des Unmöglichkeitsbegriffs nur PalandtHeinrichs63 § 275 Rn. 14 ff.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

leistung nicht. Das Beispiel zeigt, dass die Mehrzahl der Fälle krankheitsbedingter „Arbeitsunfähigkeit“ als Erscheinungsformen von Unzumutbarkeit, als bloße Leistungserschwerungen, zu charakterisieren sind.24 Dem Fließbandarbeiter im Beispiel ist es mit Blick auf seine eigenen, höherrangigen Rechtsgüter nicht zuzumuten, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen und dabei eine drohende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes in Kauf zu nehmen.25 Mit dieser differenzierten Betrachtung kann also festgehalten werden: Es gibt Fälle von Krankheit, in denen die vertraglich geschuldete Tätigkeit schlechthin nicht erbracht werden kann.26 In dieser Konstellation ist die Arbeit naturgesetzlich unmöglich; eine Einordnung in das Recht der Unmöglichkeit – und die Konsequenz eines Entfalls der Leistungspflicht ipso iure – erscheint naheliegend und geboten.27 Wegen der eingetretenen Unmöglichkeit muss der Arbeitgeber auch keinen Arbeitsversuch hinnehmen.28 Wie im alten Schuldrecht hierfür die Einordnung unter § 275 II BGB a.F. zutreffend war, wird man jetzt eine Einordnung unter § 275 I BGB vornehmen können.29 Anders ist die Situation, wenn die Arbeitsleistung infolge der Krankheit nicht schon naturgesetzlich unmöglich ist, sondern nur objektiv unzumutbar erscheint. Zur semantischen Klarstellung und Abgrenzung von der naturgesetzlichen Arbeitsunfähigkeit bietet sich für diese Fallgruppe die Bezeichnung als krankheitsbedingte „Arbeitsunzumutbarkeit“ an. Beispiel ist der grippekranke Fließbandarbeiter mit hohem Fieber. In dieser Konstellation erscheint ein Entfall der Leistungspflicht ipso iure schon aus den eingangs dargestellten Gründen unangebracht.30  24 BAG AP § 1 LohnFG Nr. 54 führt explizit aus: „Ihm [dem Arbeitnehmer] war es vernünftigerweise nicht zuzumuten, die bei der Arbeit auftretenden krankheitsbedingten Behinderungen auf sich zu nehmen.“ Auch das BAG erkennt damit letztlich die hier vorgeschlagene differenzierte Einordnung an. Für eine differenzierende Betrachtungsweise auch schon Bauer/Röder/Lingemann, Krankheit im Arbeitsverhältnis, S. 21 („unmöglich oder unzumutbar“) sowie Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9, die diese Fälle der krankheitsbedingten Unzumutbarkeit freilich der Unmöglichkeit gleichstellen wollen. 25 Auf den Aspekt der drohenden Gesundheitsverschlechterung verweist auch BAG AP § 1 LohnFG Nr. 94. 26 Diesen Aspekt macht auch Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 40 als entscheidenden Gesichtspunkt der Abgrenzung zwischen § 275 I und III BGB aus. 27

Ebenso Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 100. Dies wäre jedoch Konsequenz einer Einordnung unter § 275 III BGB; vgl. aber die Notwendigkeit der Akzeptanz eines Arbeitsversuchs bejahend BAG AP § 615 BGB Nr. 77. 29 Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 (2107). 28

30

Auf die Vorteile einer Einredekonstruktion in den dargelegten Fällen verweisen auch Löwisch NZA 2001, 465; Dedek, in: Henssler/v.Westphalen § 275 Rn. 33; Gotthardt, Ar-

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3. Die kollidierenden Rechtsgüter Die Fälle krankheitsbedingter naturgesetzlicher Unmöglichkeit zeichnen sich somit dadurch aus, dass die vertraglich geschuldete Leistung schon aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen ist, insbesondere wegen der Natur der Krankheit und der Art der geschuldeten Tätigkeit. Hingegen ist in allen anderen Fällen eine juristische Wertung erforderlich, ob die Erkrankung ein derart gravierendes Maß erreicht, dass sie die Vertragspflicht ausnahmsweise verdrängen kann. Letztlich handelt es sich dabei um eine geradezu idealtypische Rechtsgutskollision: Verfassungsrechtlich geschützte Güter des Leistungspflichtigen, nämlich Leben und Gesundheit (Art. 2 II 1 GG) treten in Konflikt mit seiner vertraglichen Leistungspflicht.31 In dieser Situation kann der anzustellende Abwägungsprozess dahingehend ausfallen, dass die Vertragspflicht dem Schutz der gefährdeten Rechtsgütern weichen muss.32 Gerade diese Wertungssituation, die dem Leistungspflichtigen eine Entscheidungsmöglichkeit für oder gegen die Leistungserbringung belässt, ist prägend für Konstellationen der Unzumutbarkeit.33 Wie in den anderen Fallgruppen etwa die Gewissensfreiheit oder familiäre Rechtspositionen in Konflikt zu der vertraglichen Leistungspflicht treten, sind es hier Leben und Gesundheit des Leistungspflichtigen, die vor allem in Fällen der Verschlimmerungsgefahr34 bei einem Fortbestehen der Leistungspflicht gefährdet wären. Die dargestellte Struktur der Rechtsgutskollision bei fortbestehender tatsächlicher Leistungsmöglichkeit zeigt deutlich, dass in diesen Fällen eine weitreichende Kongruenz zu den anerkannten Fallgruppen der ideellen Unzumutbarkeit besteht. Auch angesichts dieser Struktur der Leistungsstörung wäre ein ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht unangebracht. Die adäquate Lösungsmöglichkeit für Fälle krankheitsbedingter „Arbeitsunzumutbarkeit“ liegt vielmehr in dem jetzt in § 275 III BGB kodifizierten Leistungsverweigerungsrecht mit Einredecharakter.35  beitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 101 ff.; Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 (2108 ff.). 31

Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 (2108). Ausführlich unten § 9. 33 Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 38, 40. 34 Dazu BAG EzA § 1 LohnFG Nr. 120; BAG EzA § 74 SGB V Nr. 1; HzA-Vossen Gruppe 2 (Entgeltfortzahlung) Stand 1/2001, Rn. 79; zur neuen Rechtslage bei Verschlimmerung insbes. auch Kleinebrinck NZA 2002, 716 (720 Fn. 63). 35 Allgemein unten § 11. 32

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

III. Krankheit als Anwendungsfall des § 275 III BGB? Nach der Neuregelung durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz existiert für Fälle der Unzumutbarkeit bei persönlicher Leistungsverpflichtung eine recht klare allgemeine Regelung in § 275 III BGB. Naheliegend wäre es, auch die skizzierten Fälle krankheitsbedingter Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung darunter zu fassen. Vergegenwärtigt man sich jedoch, dass die Einordnung der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit in das Unmöglichkeitsrecht vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform weitgehend unbestritten war36 und der Gesetzgeber mit § 275 III BGB offenbar nur die bisher schon unter dem Stichwort der „Unzumutbarkeit“ diskutierten Fallgruppen einer Regelung zuführen wollte,37 ergeben sich Zweifel, ob eine solche Einordnung wirklich geboten ist. Man könnte der damit aufgeworfenen Frage entgegenhalten, dass nicht nur bei der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, sondern auch in anderen Zusammenhängen ein weit über die naturgesetzliche Unmöglichkeit ausgedehnter Unmöglichkeitsbegriff verwandt wurde. Kohte38 etwa insistiert eindringlich auf dem Erfordernis, sogar in Fällen der Arbeitsverweigerung aus Gewissensgründen Unmöglichkeit anzunehmen, obwohl auch hier logisch die Erbringung der Arbeitsleistung noch möglich ist und dem Arbeitnehmer eine Wahlmöglichkeit verbleibt. Während dies für Fälle von Gewissenskonflikten jedoch in höchstem Maße umstritten39 und die Position Kohtes letztlich aus den oben [§ 3 IV 2 a) cc)] dargestellten Gründen abzulehnen war, war die Einordnung als „Unmöglichkeit“ in Fällen der Krankheit weitgehend anerkannt.40 Der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes wollte mit § 275 III BGB bislang ungeregelte Leistungsstörungs-Tatbestände positivrechtlich regeln, ohne jedoch eine grundlegende inhaltliche Neubewertung vorzunehmen. Aus diesem klar artikulierten Willen könnte der Schluss abgeleitet werden, dass die Neuregelung in § 275 III BGB nur solche Fälle erfassen soll, deren rechtliche Einordnung vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes zweifelhaft war, nicht  36

So etwa BAG NZA 1993, 497 (499); BAG NZA 1999, 824 f. Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte. Genannt werden nur die Fallgruppen persönlicher oder familiärer Leistungshindernisse sowie die Einberufung zum ausländischen Wehrdienst. 37

38

Kohte NZA 1989, 161 (164). Entgegen der Darstellung Kohtes NZA 1989, 161 (164); vgl. die zutreffenden Ausführungen bei ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 970; Henssler AcP 190 (1990), 538 ff. 40 Vgl. BAG NZA 1993, 497 (499); explizit auch Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. Die dargestellten Zweifel in der Rspr. des BAG und der Lit. (vgl. oben § 7 Fn. 24) blieben marginal und haben sich nie zu einer schlüssigen Gegenkonzeption verdichtet. 39

§ 7 Unzumutbarkeit aus gesundheitlichen Gründen

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aber jene Fälle, in denen ohnehin weitgehend unbestritten Unmöglichkeitsrecht Platz greifen sollte. Die Gegenposition kann vom Wortlaut der Vorschrift ausgehen: § 275 III BGB erfasst demnach alle Fälle, in denen die Leistungserbringung „unzumutbar“ ist. Dies könnte dafür sprechen, § 275 III BGB auf sämtliche Fallkonstellationen anzuwenden, in denen keine naturgesetzliche oder rechtliche41 Unmöglichkeit i.S.v. § 275 I BGB vorliegt, die Leistungserbringung dem Leistungsverpflichteten jedoch wegen einer Kollision mit höherrangigen Rechtsgütern und Interessen billigerweise nicht abverlangt werden kann – und dies unabhängig davon, wie die jeweilige Fallgruppe vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes behandelt wurde.42 Nach dieser Lösung entfiele infolge § 275 III BGB die Leistungspflicht nicht ipso iure, sondern dem Arbeitnehmer stünde ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Er hätte also in den erfassten Fällen eine Wahlmöglichkeit zwischen Arbeit trotz Krankheit und Verweigerung der Arbeitsleistung.43 Diese Lösung hat zum einen den uneingeschränkten Wortlaut des § 275 III BGB für sich; überdies bietet sie den Vorteil einer rechtssystematisch klaren Abgrenzung: Fälle naturgesetzlicher Unmöglichkeit unterfallen demnach § 275 I BGB,44 Fälle, in denen trotz naturgesetzlicher Möglichkeit die Leistung billigerweise nicht verlangt werden kann, § 275 III BGB. Diese Betrachtung entspricht auch den Interessen der Beteiligten: In Fällen naturgesetzlicher Unmög 41

Zur Problematik ausführlich unten § 10 I 2 b). Eine ähnliche Konzeption vertritt AnwK-Dauner-Lieb § 275 Rn. 10: § 275 I BGB meine, abweichend von der bisherigen Handhabung des § 275 BGB a.F., nur noch die „echte“, „wirkliche“ Unmöglichkeit und erfasse folglich ausschließlich jene Fälle, in denen die Leistung überhaupt nicht erbracht werden kann. Dies ergebe sich aus dem Regelungskonzept der Norm, insbes. den Sonderregelungen in § 275 II, III BGB. Die von Dauner-Lieb vorgeschlagene klare Abgrenzung überzeugt. 42

43

In der Gesamtkonzeption ähnlich Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 100 ff. AnwK-Dauner-Lieb § 275 Rn. 13 hingegen befürwortet eine einheitliche Anwendung des § 275 I BGB bei persönlicher Verpflichtung zu einer Dienstleistung und begründet dies mit dem Fixschuldcharakter einer solchen Leistung („nicht nachholbar“). Die Auffassung übersieht, dass Unmöglichkeit infolge des Fixschuldcharakters nur dann bei nicht rechtzeitiger Erbringung der Leistung eintritt, wenn nicht schon vorher durch einen anderen Tatbestand der Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit die Leistungspflicht gemäß § 275 I-III BGB erloschen ist. Gerade dies ist jedoch der Fall, wenn sich der Arbeitnehmer „krank meldet“ und damit sein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 III BGB ausübt. Auch in Fällen krankheitsbedingter naturgesetzlicher Unmöglichkeit bedarf es des Rückgriffs auf den Fixschuldcharakter nicht, da dann schon aufgrund der bloßen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit § 275 I BGB zum Zuge kommt. Derselbe Einwand richtet sich auch gegen die Konzeption Richardis [NZA 2002, 1004 (1006 f.)], der generell mit Blick auf den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung den Anwendungsbereich der Unmöglichkeit weit ausdehnen möchte. 44

Zu den – differenziert zu beurteilenden – Konstellationen rechtlicher Unmöglichkeit vgl. unten § 10 I 2 b).

298

2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

lichkeit wäre es widersinnig, eine Leistungspflicht bestehen zu lassen. Hier kommt der Grundsatz impossibilium nulla est obligatio vollständig zum Tragen und lässt keinen Raum für eine individuelle Wahlentscheidung. Für Konstellationen hingegen, in denen die Leistung zwar möglich, aber objektiv nicht zumutbar ist, kann ein Leistungsverweigerungsrecht den Interessen des Dienstverpflichteten weit eher Rechnung tragen. Als autonomes Rechtssubjekt kann er dann selbst bestimmen, ob er – trotz objektiver Unzumutbarkeit – die Leistung erbringen möchte oder nicht.45 Auch aus der fehlenden Erwähnung der krankheitsbedingten „Arbeitsunfähigkeit“ an der primär einschlägigen Stelle der Regierungsbegründung46 und dem Willen des Gesetzgebers, gerade im Bereich des Arbeitsrechts keine inhaltlichen Änderungen vorzunehmen,47 ergibt sich nicht zwingend eine andere Sichtweise. Die Bundesregierung nimmt nämlich in ihrer Erwiderung auf die Einwände des Bundesrates wie selbstverständlich an, dass die krankheitsbedingte „Arbeitsunfähigkeit“ unter § 275 III BGB fallen solle.48 Vor allem mit Blick auf die Besonderheiten der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit wurde § 275 II 2 BGB des Regierungsentwurfes in einen eigenen Absatz 3 umgestaltet.49 Freilich scheint die Regierungsbegründung damit für eine generelle Anwendung von § 275 III BGB und nicht für die gebotene differenzierte Lösung zu sprechen.50 Die Detailschwächen der überhasteten Neuregelung zeigen sich auch an dieser Stelle. Nach diesem Befund wird deutlich, dass allein die dargestellte differenzierende Betrachtungsweise der Dogmatik des neuen § 275 BGB gerecht wird. Auch praktisch bedeutsame Problemfälle, insbesondere die Arbeitsleistung trotz objektiver Unzumutbarkeit, lassen sich auf Grundlage dieser Einordnung einfacher und schlüssiger lösen.51

 45

Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 38, 40. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte. 47 Vgl. BT-Drucks. 14/6857 S. 48 und Pick ZIP 2001, 1173 (1181). 48 BT-Drucks. 14/6857 S. 47. 49 Ratio der Umgestaltung gegenüber dem Regierungsentwurf war, deutlich zu machen, dass gerade bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit das Entstehen des Leistungsverweigerungsrechts von einem Vertretenmüssen unabhängig sein soll; vgl. Dedek, in: Henssler/v.Westphalen § 275 Rn. 37 m.w.N. 46

50 51

So denn auch Löwisch NZA 2001, 465 (466). Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 (2107).

§ 7 Unzumutbarkeit aus gesundheitlichen Gründen

299

IV. Interessenabwägung Gegen die hier vorgeschlagene differenzierte Einordnung der krankheitsbedingten Leistungsunfähigkeit wird vor allem vorgebracht, dass die von § 275 III BGB angeordnete Interessenabwägung schon im Grundsatz zu Erkrankungen des Leistungspflichtigen nicht passe: In diesen Fällen laufe das Erfordernis der Interessenabwägung faktisch leer, da mit Blick auf die verfassungsrechtliche Wertentscheidung des Art. 2 II GG die Leistungspflicht stets zurücktreten müsse. Allein aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Implikation der Thematik könne § 275 III BGB nicht die zutreffende Rechtsgrundlage sein.52 Selbst bei grundsätzlicher Befürwortung einer Anwendung von § 275 III BGB wird zugestanden, dass die Interessenabwägung in jedem Fall zu Gunsten des Leistungspflichtigen ausfallen müsse.53 Schon diese Argumentation erscheint nicht ganz schlüssig: Auch bei anderen Fallgruppen der „Unzumutbarkeit“ sind verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen des Schuldners betroffen, die zum Teil – wie etwa die Glaubens- und Gewissensfreiheit – noch stärkeren verfassungsrechtlichen Schutz erfahren als Leben und Gesundheit. Dort wird jedoch das Erfordernis einer Interessenabwägung fast allgemein anerkannt.54 Geradezu im Umkehrschluss könnte daraus gefolgert werden, dass eine Interessenabwägung auch angesichts der Rechtsgüter Leben und Gesundheit angebracht ist. Mit Canaris weist selbst einer der prominentesten Vertreter einer generellen Einordnung in das Unmöglichkeitsrecht darauf hin, dass „in besonders gelagerten Ausnahmefällen“ auch eine Entscheidung zugunsten der Leistungspflicht und damit zulasten des erkrankten Schuldners in Betracht gezogen werden müsse.55 Als Beispiel führt er einen an Grippe erkrankten Arbeitnehmer in einer Schlüsselposition an, dessen Fehlen das Zusammenbrechen des gesamten Betriebes zur Folge hätte. In einem derartigen Sonderfall könne aus § 242 BGB abgeleitet werden, dass der Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung arbeiten müsse. Auch hier wird also zur Korrektur des Ergebnisses auf § 242 BGB zurückgegriffen. Diese Lösung erscheint unbefriedigend.56 Richtiger wäre es, gerade mit Blick auf das zutreffende und anschauliche Beispiel, das Canaris  52

Canaris JZ 2001, 499 (504). Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rn. 2/13 Fn. 11. 54 Vgl. etwa BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2; zu befürwortenden Stimmen in der Lit. vgl. oben § 3 I 6 und § 6 II 2. 53

55 56

Canaris JZ 2001, 499 (504 Fn. 56). Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 (2107).

300

2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

bringt, die pauschale Einordnung der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit in den Anwendungsbereich des § 275 I BGB aufzugeben. Der von Canaris festgestellte Korrekturbedarf resultiert nämlich unmittelbar aus der pauschalen Einordnung unter § 275 I BGB. Durch die differenzierte Lösung über § 275 III BGB lassen sich diese Schwächen vermeiden. Dass § 275 III BGB die adäquate Lösungsmöglichkeit für Konstellationen krankheitsbedingter Unzumutbarkeit der Leistungserbringung ist, macht auch der durch Canaris vorgeschlagene Rekurs auf § 242 BGB deutlich: § 275 III BGB beinhaltet nämlich nichts anderes als eine Kodifizierung von Grundsätzen, die im alten Schuldrecht schon anerkannt waren, jedoch im Wege der Rechtsfortbildung aus Vorschriften wie § 242 BGB gewonnen werden mussten. Vor allem gilt dies auch für die Anordnung der Interessenabwägung, die – wie Canaris selbst erkennt57 – als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in die neue Norm eingefügt wurde. Dass für die Ausübung bestehender Rechte die allgemeine Schranke der Verhältnismäßigkeit existiert, wurde schon bislang allgemein aus § 242 BGB abgeleitet.58 Die ausdrückliche Anordnung einer Interessenabwägung in § 275 III BGB stellt nichts anderes dar als die partielle Kodifizierung des bislang schon aus § 242 BGB abgeleiteten allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgedankens.59 Bei krankheitsbedingter Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung wird diese Verhältnismäßigkeitsbetrachtung freilich regelmäßig zugunsten der Leistungsverweigerung ausfallen. Wenn der Gläubiger ausschließlich ein privatautonom begründetes Vertragserfüllungsinteresse dem Leistungshindernis entgegensetzen kann, muss dieses meist gegenüber den verfassungsrechtlich hochrangigen Rechtsgütern Leben und Gesundheit zurücktreten.60 Insoweit ist die Interessenabwägung durch den unterschiedlichen Rang der betroffenen Rechtsgüter schon normativ vorgeprägt. Freilich ist hier auch eine Abwägung mit nur einfachrechtlich geschützten Interessen des Gläubigers – anders als etwa bei Gewissenskonflikten – nicht schon im Ansatz ausgeschlossen, da Art. 2 II 1 GG einem Gesetzesvorbehalt unterliegt.61  57

Canaris JZ 2001, 499 (504 Fn. 56). MünchKomm-Roth § 242 Rn. 546; Hubmann AcP 155 (1956), 85 (123 ff.). Ausführlich zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz insbes. im Kündigungsschutzrecht Preis, Prinzipien, S. 254 ff. 59 Ebenso schon Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 (2110 f.). 60 BVerfGE 46, 160 (164) macht das Leben als einen „Höchstwert der Verfassung“ aus, der besonders hervorgehobenen Schutz durch die öffentliche Gewalt erfahren muss; vgl. im übrigen auch BVerfGE 39, 1 (42) und BVerfGE 88, 203 (251ff.); für den Schutz der Gesundheit BVerfGE 56, 54 und BVerfGE 79, 174 (201 f.). 61 Vgl. ausführlich unten § 9 III 2 b). 58

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Auf Seiten des Gläubigers können im Einzelfall nicht minder hochrangige Rechtsgüter durch die Leistungsverweigerung bedroht sein. Das plastische Beispiel, das Canaris in die Diskussion eingebracht hat, lässt sich dahingehend verallgemeinern, dass immer dann eine konkrete Interessenabwägung angebracht ist, wenn die Leistungsverweigerung verfassungsrechtlich geschützte Güter des Schuldners oder auch Dritter bedroht.62 In diesen Fällen ist eine Harmonisierung der betroffenen Verfassungspositionen im Wege praktischer Konkordanz anzustreben.63 Bei derartigen Schlüsselfunktionen dürfte die wirtschaftliche Bedeutung der Leistungserbringung regelmäßig in der Vertrags- und Entgeltgestaltung Niederschlag finden. Auch dadurch verschiebt sich die vertragliche Risikoverteilung zugunsten des Gläubigers: Der Schuldner muss nach den oben entwickelten Kriterien eher leisten, wenn der Vertrag ihm ein hohes Risiko zuweist.64 Dieses vertragliche Erfüllungsrisiko ist besonders beim Werkvertrag zulasten des Schuldners verschoben; hier trifft ihn eine Leistungsgarantie, die sich auf die bei § 275 III BGB anzustellende Interessenabwägung niederschlägt.65 Die Notwendigkeit, die Rechtsausübung durch Gesichtspunkte der Verhältnismäßigkeit zu beschränken, war schon im alten Schuldrecht anerkannt und wurde dort allgemein aus § 242 BGB abgeleitet.66 Dieser Gedanke wird jetzt für den Teilbereich der ideell motivierten Leistungsverweigerung in § 275 III BGB durch die Anordnung einer Interessenabwägung expliziert. Dass dieses bislang schon anerkannte Rechtsprinzip nun in seiner neuen Gestalt auf Bedenken stößt, leuchtet kaum ein.

V. Andere Bewertung aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes? Dennoch stellt sich die Frage, ob nicht bei krankheitsbedingter Unzumutbarkeit der Leistung in Arbeitsverhältnissen eine andere Betrachtung angebracht ist. Diese Überlegung findet ihren Grund darin, dass in Arbeitsverhältnissen die  62

Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 (2110 f.) mit weiteren Beispielen. Vgl. ausführlich oben § 3 II 2 b) bb) und unten § 9 III 2 b) cc). 64 Vgl. MünchKomm-Roth § 242 Rn. 610 ff.; Soergel-Teichmann § 242 Rn. 223 ff. 63

65

Vgl. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 175; allgemein PalandtSprau63 Einf. vor § 631 Rn. 1 m.w.N. 66 Vgl. statt vieler Palandt-Heinrichs61 § 242 Rn. 54; im Arbeitsrecht wurde das Verhältnismäßigkeitsprinzip bislang vor allem im Arbeitskampfrecht relevant: Hier ist es ganz herrschende Meinung, dass Arbeitskampfmaßnahmen an dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gemessen werden können und ein Streik insbes. nicht die wirtschaftliche Vernichtung des betroffenen Arbeitgebers in Kauf nehmen darf; vgl. hierzu BAG AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 43; Wank, Festschrift Kissel (1994), S. 1230 ff.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Selbstverantwortlichkeit des Schuldners als Grundlage der fortbestehenden Entscheidungs- und Wahlmöglichkeit in der Rechtswirklichkeit nur eingeschränkt vorgefunden wird: Oftmals ist der Arbeitgeber infolge einer weit überlegenen ökonomischen Machtstellung imstande, den Arbeitnehmer unter Druck zu setzen, etwa durch Androhung einer ansonsten unterbleibenden Beförderung oder ähnlicher Sanktionen. So ließe sich die Einordnung der krankheitsbedingten „Arbeitsunzumutbarkeit“ als „Unmöglichkeit“ mit dem Argument verteidigen, dass der Arbeitnehmer infolge der ipso iure entfallenden Leistungspflicht gar keine rechtliche Möglichkeit haben soll, seine Arbeitsleistung angesichts einer Druckausübung durch den Arbeitgeber trotz Krankheit zu erbringen und dabei eine drohende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes hinzunehmen. Letztlich streift die Problematik Grundfragen unserer Wirtschaftsverfassung: Soll der Selbstbestimmung des Arbeitnehmers – im Sinne einer liberalautonomen Subjektsstellung – oder aber einer staatlichen Schutz- und Fürsorgepflicht gegenüber dem Arbeitnehmer der Vorrang eingeräumt werden? Zugespitzt könnte man formulieren: Darf der Staat dem Arbeitnehmer wohlwollend verordnen, wann er eine Arbeitsleistung als unzumutbar zu betrachten hat – oder ist der Arbeitnehmer imstande, selbst zu entscheiden, wann ihm infolge seiner Erkrankung die Erbringung der Arbeitsleistung nicht mehr zuzumuten ist? Allgemeiner könnte man die Frage dahingehend formulieren, ob in einer freiheitlichen Verfassung der sozialen Sicherheit oder aber der individuellen Freiheit und Selbstbestimmung des Arbeitnehmers Vorrang einzuräumen ist. Zwar gebietet das Sozialstaatsprinzip den schonenden Ausgleich zwischen der starken sozialen Stellung des Arbeitgebers und der schwachen sozialen Stellung des Arbeitnehmers; es gebietet der staatlichen Gewalt insbesondere, Schutzinstrumentarien zu schaffen, die auf die Herstellung eines „Gleichgewichtes“ der beiden strukturell ungleichgewichtigen Vertragspartner hinwirken.67 Der Schutz des Arbeitnehmers ist somit Programm und eine hohe Zielsetzung des modernen Sozialstaates.68 Insoweit ist es Aufgabe des Staates, Schutznormen zu schaffen, welche die unternehmerische Gestaltungsfreiheit zugunsten von Rechtsgütern des Arbeitnehmers potentiell einschränken. Beispiele sind Normen wie § 618 BGB, Normen des ArbZG, des ArbSchG, des KSchG oder des EFZG. Diese Regelungen greifen in die unternehmerische Gestaltungsfreiheit ein und bringen damit einerseits das Sozialstaatsprinzip zur Entfaltung, dienen andererseits jedoch unmittelbar der Wahrung von Rechtsgütern des Arbeitnehmers. Das Sozialstaatsprinzip alleine ist hingegen schon  67 68

Vgl. Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht Bd. 1, § 2 Rn. 4 ff. BVerfGE 1, 97 (104 f.); Dreier-Gröschner Art. 20 GG (Sozialstaat) Rn. 16.

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angesichts seiner Offenheit und seiner geringen rechtlichen Wirkungsmacht69 ungeeignet, Grundrechte unmittelbar einzuschränken.70 Daher kann es auch nicht zur Rechtfertigung einer Beschneidung des Selbstbestimmungsrechts des Arbeitnehmers – das ja seinerseits durch Art. 2 I GG geschützt ist – herangezogen werden. Anders gesagt: In einer freiheitlichen Verfassung, in der sich die Ausübung von Staatsgewalt zwar einerseits durch die notwendige Gewährleistung von Sicherheit,71 daneben und in allererster Linie jedoch durch die Gewährleistung individueller Freiheit legitimiert,72 kann alleine mit dem sozialen Schutzauftrag des Art. 20 I GG kein Eingriff in die grundrechtlich verbürgte Selbstbestimmung gerade des Geschützten legitimiert werden. Nimmt man den Arbeitnehmer in seiner Freiheit zur Selbstbestimmung und Selbstbewahrung ernst, kann also ein Entfall der Leistungspflicht ipso iure bei Krankheit wirklich nur dann am Platze sein, wenn die Arbeitsleistung infolge der Krankheit naturgesetzlich oder rechtlich73 unmöglich geworden ist. Im Grunde ist diese Frage ohnehin akademischer Natur: Da der Entfall der Leistungspflicht wegen Unmöglichkeit auch nach altem Recht jedenfalls nur dann praktisch relevant wurde, wenn der Arbeitnehmer sich „krank meldete“, galt auch bislang schon ein faktisches Leistungsverweigerungsrecht.74 Die Einordnung als „Unmöglichkeit“ und der Entfall der Leistungspflicht ipso iure waren damit weitgehend von dogmatischem Interesse und schon nach altem Schuldrecht systematisch nicht stimmig. Vielmehr hätten die Fälle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit auch nach altem Recht dem praeter legem entwickelten Leistungsverweigerungsrecht aus § 242 BGB zugerechnet werden sollen. Nach dem Gesagten bleibt festzuhalten, dass die Rückbesinnung auf die Selbstbestimmung des Arbeitnehmers – auch und gerade in der Frage, ob er bei objektiver krankheitsbedingter Unzumutbarkeit die Arbeitsleistung dennoch erbringen möchte – eine sinnvolle Rückführung auf Grundgedanken der freiheitlichen Wirtschaftsverfassung beinhaltet.75

 69

Jarass/Pieroth-Jarass Art. 20 GG Rn. 102 m.w.N. Söllner/Waltermann, Grundriss, Rn. 108. 71 Eingehend Dietlein, Schutzpflichten, S. 149 ff. 72 Böckenförde VVDStRL 28, 33 (56 f.). 73 Vgl. zur rechtlichen Unmöglichkeit unten § 10 I 2 b). 74 Dass die Anzeige der Arbeitsunfähigkeit gleichbedeutend mit der Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts aus § 275 III BGB ist, betont auch Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 104. 70

75

Vgl. insgesamt zum Themenkomplex Braun/Ecker, Selbstverantwortung in der Solidargemeinschaft (1981).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

VI. Rückwirkender Einredetatbestand? Vor allem bei der krankheitsbedingten Unzumutbarkeit stellt sich ein allgemeines Problem der rechtstechnischen Konstruktion des § 275 III BGB in besonderer praktischer Dringlichkeit. Die Einredekonstruktion bringt es mit sich, dass die Leistungspflicht nicht ipso iure entfällt, sondern es vielmehr einer Erhebung der Einrede, also einem aktiven Tätigwerden76 des Leistungspflichtigen bedarf, um einen Wegfall der Leistungspflicht herbeizuführen. In der Praxis tritt jedoch gerade bei Krankheit mitunter der Fall ein, dass ein Arbeitnehmer der Arbeit fernbleibt, ohne sich zunächst dem Arbeitgeber gegenüber ausdrücklich auf die Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung infolge seiner Erkrankung zu berufen. Wenn er erst nach einer gewissen Fehldauer die Erkrankung offenlegt und eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorweist, müsste an sich – entsprechend der Einredekonstruktion – die Leistungspflicht für die schon verstrichene Fehlzeit mangels erhobener Einrede fortbestanden haben; der Arbeitnehmer wäre für diese Zeit in Schuldnerverzug geraten, hätte – trotz objektiven Bestehens einer krankheitsbedingten Unzumutbarkeit – die Arbeitsleistung im Rechtssinne grundlos verweigert und sähe sich arbeitsrechtlichen Sanktionen bis hin zur außerordentlichen Kündigung ausgesetzt.77 Dass diese gravierenden Konsequenzen kaum angebracht erscheinen, zeigt schon ein vergleichender Blick auf die Vorschriften des EFZG, welche die Anzeige- und Nachweispflichten des erkrankten Arbeitnehmers ausdrücklich normieren. In § 5 I EFZG findet sich die Regelung, dass die Erkrankung nur „unverzüglich“, also „ohne schuldhaftes Zögern“78 dem Arbeitgeber angezeigt werden muss. Dieser Zeitraum kann – gerade in den Fällen des § 5 II EFZG – durchaus auch längere Zeit andauern. Für die Zeit zwischen dem Beginn der Erkrankung und der Anzeige räumt § 7 I Nr. 1 EFZG dem Arbeitgeber lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht hinsichtlich der Entgeltfortzahlung ein. Dieses kommt freilich nur bei verschuldetem Unterlassen der Anzeige in Betracht (§ 7 II EFZG) und entfällt zum anderen rückwirkend, sobald der Arbeitnehmer seinen Anzeige- und Nachweispflichten verspätet nachkommt.79  76

Allgemein zur Einredeproblematik und Detailfragen unten § 11. Vgl. BAG AP § 626 BGB Nr. 76; BAG AP § 6 LohnFG Nr. 14; ErfK-Müller-Glöge4 § 626 BGB Rn. 103; Stoffels, Vertragsbruch, S. 103. 78 Vgl. BAG AP § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 23; Kasseler HandbuchVossen 2.2 Rn. 170; Worzalla NZA 1996, 61 (62); Schmitt, Festschrift Gitter (1995), S. 847 (849). 77

79

Vgl. im Einzelnen ErfK-Dörner4 § 7 EFZG Rn. 14; GK-EFZR-Steckhan (1993) § 5 LFZG Rn. 5; Gola § 7 EFZG Anm. 3.4.; Schmitt § 7 EFZG Rn. 22.

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305

Da dem Arbeitnehmer durch die Bestimmungen des EFZG nur eine Anzeigepflicht „ohne schuldhaftes Zögern“ auferlegt wird und ihm für die Zeit zwischen dem Beginn der Erkrankung und der Erfüllung der Anzeigepflicht sogar ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung rückwirkend zugebilligt wird, entstünde ein lösungsbedürftiger Widerspruch, wenn er wegen seiner Arbeitsversäumnis gerade in diesem Zeitraum in Schuldnerverzug geraten würde und sich dem Vorwurf vertragsbrüchigen Verhaltens ausgesetzt sähe. Angesichts dieses offenkundigen Wertungswiderspruchs könnte man an der Einordnung der krankheitsbedingten „Arbeitsunzumutbarkeit“ unter § 275 III BGB zweifeln und eine pauschale Lösung nach § 275 I BGB – also einen ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht – befürworten. Die aufgezeigten misslichen Konsequenzen treten allerdings nicht allein in Fällen krankheitsbedingter Unzumutbarkeit auf. Vielmehr handelt es sich um ein strukturelles Problem sämtlicher Fallgruppen von § 275 III BGB und darüber hinaus aller zivilrechtlichen Einreden. Der übergreifende Charakter der Problematik wird deutlich, wenn man sich denkbare praktische Fallkonstellationen aus anderen Fallgruppen vergegenwärtigt, die – schon nach der Regierungsbegründung80 – eindeutig § 275 III BGB unterfallen: Wird die (höchstpersönliche) Wahrnehmung von Personensorge für ein minderjähriges Kind etwa deshalb erforderlich, weil die Mutter auf dem Weg zur Arbeit von einem schweren Verkehrsunfall und lebensbedrohlichen Verletzungen ihres Kindes erfährt,81 so wird sie – gerade in der verständlichen psychischen Belastung, die eine derartige Situation mit sich bringt – nicht immer sogleich daran denken, den Arbeitgeber über den Vorfall zu informieren und hierdurch die Einrede ausdrücklich zu erheben. Würde man also tatsächlich für den Entfall der Arbeitspflicht eine nur ex nunc wirkende ausdrückliche Geltendmachung der Einrede gegenüber dem Gläubiger verlangen, so wäre auch die Mutter in dem Fallbeispiel grundlos der Arbeit ferngeblieben und sähe sich unter Umständen einer Abmahnung oder Kündigung ausgesetzt.82 Im Ergebnis wird man daher – wie an anderer Stelle ausführlich zu begründen sein wird83 – generell bei § 275 III BGB auch die rückwirkende Erhebung der Einrede zulassen müssen.84 Gerade für Fälle der krankheitsbedingten Unzumutbarkeit lässt sich hierfür auch auf die Wertungen des EFZG verweisen, die nur eine Pflicht zur Anzeige „ohne schuldhaftes Zögern“ begründen und bei  80

BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte. Vgl. zu Konstellationen der Personensorge für eigene Kinder oben § 5 I. 82 Allgemein unten § 17 II 2 b) bb). 83 Unten § 11 II und III. 84 Vgl. Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 (2109 f.). 81

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

verspäteter Anzeige rückwirkend den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers wieder aufleben lassen. Da es sich um eine übergreifende Problematik aller Fallgruppen handelt, soll an dieser Stelle auf die spätere umfassende Erörterung verwiesen werden.85

VII. Resümee Wie dargestellt, ist bei dem Phänomen der Krankheit bei persönlichen Leistungspflichten streng zu differenzieren: So existieren Konstellationen, in denen die geschuldete Leistung durch die Erkrankung vollkommen unberührt bleibt. Andererseits kann die geschuldete Leistung infolge der Erkrankung schon naturgesetzlich unmöglich werden. In diesen Fällen liefert § 275 I BGB mit dem dort statuierten ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht eine angemessene Lösung. Anders verhält es sich in allen Fällen, in denen die Leistung zwar naturgesetzlich erbringbar bleibt, dem Leistungspflichtigen jedoch aus Gründen des Gesundheitsschutzes nicht zugemutet werden kann. Hier verbleibt dem Schuldner die für Unzumutbarkeits-Tatbestände charakteristische Entscheidungssituation für oder gegen die Leistungserbringung. Daher bietet sich für diese Fälle einzig eine Einordnung unter § 275 III BGB an. Jede pauschale Einordnung würde – wie gezeigt – der Dogmatik des neuen § 275 BGB nicht gerecht und zu unausweichlichen praktischen Schwierigkeiten führen.

 85

Unten § 11 II und III.

§ 8 Sonstige Fallgruppen ideeller Leistungshindernisse

307

§ 8 Sonstige Fallgruppen ideeller Leistungshindernisse Vorgestellt wurden bislang jene Fallgruppen, die im Fokus des rechtswissenschaftlichen Interesses stehen und Anlass zu mehr oder weniger grundsätzlichen Diskussionen geliefert haben. Nicht vergessen sei jedoch, dass daneben auch andere Konstellationen von ideeller Unzumutbarkeit existieren, die in der Vergangenheit weit weniger umstritten waren und in der rechtswissenschaftlichen Debatte um ideelle Unzumutbarkeit nur geringe Beachtung fanden. Dies sind zunächst jene Konstellationen, die – als ihrer Struktur nach kurzzeitige Leistungshindernisse – bislang unter § 616 BGB subsumiert wurden. Genannt seien – außer den schon behandelten Fällen kurzzeitiger familiärer Leistungshindernisse1 – der Kontakt mit Behörden und Gerichten,2 die Teilnahme an Prüfungen,3 die Beteiligung an einem Verkehrsunfall,4 die Inanspruchnahme durch Ehrenämter,5 der Umzug des Dienstverpflichteten6 oder auch die Leistungshinderung bei Stellensuche.7 All diese Leistungshindernisse waren als Fallgruppen von § 616 BGB weitgehend unstreitig anerkannt. Erreichte also das Leistungshindernis ein hinreichendes Gewicht, so konnte „Unzumutbarkeit“ eintreten und dem Dienstverpflichteten ein Leistungsverweigerungsrecht zustehen.  1

Vgl. BAG AP § 616 BGB Nr. 48, 38, 35; BAG AP § 616 BGB Nr. 43 mit zweifelnder Anm. Schnorr v.Carolsfeld; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 56 ff.; Erman-Belling § 616 Rn. 26; RGRK-Matthes § 617 Rn. 23; Ammermüller DB 1974, 187 ff.; Löwisch DB 1979, 209 ff. 2

BGHZ 73, 26; LAG Hamm BB 1972, 177 – Freistellungsanspruch bei persönlicher Erscheinenspflicht –. 3 Erman-Belling § 616 Rn. 25; RGRK-Matthes § 616 Rn. 13; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 65. 4 Begründet wird dies mit der Wartepflicht nach § 142 StGB als höherrangiger Rechtspflicht; vgl. Erman-Belling § 616 Rn. 25. 5 BAG AP § 616 BGB Nr. 58; BAG AP § 616 BGB Nr. 94. Die Lit. tendiert zu einer stark eingeschränkten Anerkennung: Kein Leistungsverweigerungsrecht begründe jedenfalls die Kandidatur zu öffentlichen Ämtern (vgl. MünchArbR-Boewer § 80 Rn. 39; a.A. Däubler, Arbeitsrecht II, Rn. 849). Vgl. auch für die Ausübung eines Abgeordnetenmandates Bertermann BB 1967, 270 (272). Die Problematik wird hier allerdings dadurch entschärft, dass zahlreiche spezialgesetzliche Ansprüche auf Freistellung bestehen, so etwa für die Kandidatur zum Bundestag Art. 48 I GG, § 3 AbgG oder für die Ausübung eines kommunalpolitischen Mandats § 44 II GO-NW. Ähnliche Regelungen kennen auch die Gemeindeordnungen der anderen Bundesländer. 6 Staudinger-Oetker § 616 Rn. 70; jedoch nur in engen Ausnahmefällen, grundsätzlich ist ein Umzug an arbeitsfreien Tagen zumutbar, so BAG AP § 616 BGB Nr. 23; vgl. auch schon RAG ARS 44, 157. 7 Freilich resultierte dabei ein Freistellungsanspruch schon aus § 629 BGB; § 616 BGB erfüllte hier schon immer ausschließlich die Funktion einer Gefahrtragungsregel, vgl. BAG AP § 616 BGB Nr. 41; Staudinger-Preis § 629 Rn. 16, 21.

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

Dieses Leistungsverweigerungsrecht ergab sich – weil in den genannten Fallgruppen eine naturgesetzliche Unmöglichkeit und damit ein ipso iure wirkender Entfall der Leistungspflicht kaum in Betracht kam8 – dabei aus der „impliziten“ Zweitfunktion von § 616 BGB.9 Nach der Neukonzeption des Leistungsstörungsrechts wird man, wie schon dargelegt, auch für jene Fallgruppen nun das ausdrücklich geregelte Leistungsverweigerungsrecht des § 275 III BGB heranziehen können. Eine andere Deutung erscheint angesichts der in dieser Hinsicht eindeutigen Regierungsbegründung, die unter anderem explizit die „Ladung zu Behörden und Gerichtsterminen“ dem Regelungsbereich von § 275 III BGB zuordnet,10 kaum möglich. Damit sollen auch strukturell kurzzeitige Leistungshindernisse, die bislang der umfassenden Regelung in § 616 BGB unterfielen, hinsichtlich des Leistungsverweigerungsrechts nun in § 275 III BGB eine ausdrückliche Regelung gefunden haben. Hier zwischen den in der Regierungsbegründung genannten Behörden- und Gerichtsterminen und den anderen im Rahmen von § 616 BGB anerkannten Fallgruppen zu differenzieren, erscheint kaum sinnvoll; insbesondere, da die jeweils anzustellenden Wertungen in den genannten Fallgruppen im Wesentlichen vergleichbar sind.11 Problematisch und erörterungsbedürftig erscheinen in dieser Hinsicht vor allem drei Fragen: Zum einen ist zu klären, ob alle genannten Fallgruppen nun auch im gesamten, gegenüber § 616 BGB erweiterten Anwendungsbereich des § 275 III BGB, also nicht mehr allein im Bereich der Dienstverträge Bedeutung erlangen können.12 Zum anderen stellt sich die Frage, durch welche Kriterien hier der Begriff der Unzumutbarkeit mit Inhalt gefüllt und die von § 275 III BGB geforderte Interessenabwägung konkretisiert werden kann.13 Neben den genannten Fallgruppen strukturell kurzzeitiger Leistungshindernisse erscheinen weitere Konstellationen länger andauernder Unzumutbarkeit denkbar, die bisher nur vereinzelt Beachtung gefunden haben. So weist Otto darauf hin, dass auch eine Arbeitsverweigerung aus Angst denkbar sei.14 Als Beispiel führt er – nach einem vom Arbeitsgericht Essen entschiedenen Fall15 –  8 Dann wurde § 616 BGB nur in seiner „expliziten“ Funktion einer von § 323 I BGB a.F. abweichenden Gefahrtragungsregel relevant, vgl. statt aller Staudinger-Oetker § 616 Rn. 46. 9 Zu den beiden Funktionen des § 616 BGB vgl. ausführlich oben § 3 IV 1 c) und Henssler AcP 190 (1990), 538 (563). 10 BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte unten. 11 Vgl. zu den gemeinsamen Strukturprinzipien von Rechtsgüter- und Pflichtenkollisionen unten § 9. 12

Unten § 8 II. Unten § 8 III. 14 Otto, Personale Freiheit, S. 107 f. 15 ArbG Essen DB 1970, 935 f. 13

§ 8 Sonstige Fallgruppen ideeller Leistungshindernisse

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einen Bergarbeiter an, der sich geweigert hatte, eine Arbeit auszuführen, bei der er kurz zuvor in Lebensgefahr geraten war. Das Arbeitsgericht Essen hatte die Leistungsverweigerung für berechtigt gehalten und dem Arbeitgeber abverlangt, auf ein verständliches Angstgefühl Rücksicht zu nehmen. Denkbar sind weitere Fallkonstellationen: Etwa ein Arbeitnehmer, der anlässlich einer Hochwasserkatastrophe sein Wohneigentum durch die Aufschüttung von Erdwällen schützen muss und deswegen die Arbeitsleistung verweigert. Hier dürfte freilich der begrifflich enge Raum der „ideellen“ Unzumutbarkeit überschritten werden; der Fall nähert sich deutlich Konstellationen einer Unzumutbarkeit aus materiellen oder wirtschaftlichen Gründen. Geradezu idealtypisch für Konstellationen ideeller Unzumutbarkeit ist hingegen der in der Literatur vielfach angeführte Fall eines Clowns, dessen Kind gestorben ist und der deswegen die Teilnahme an einer wenige Stunden später stattfindenden Zirkusvorstellung verweigert.16 In allen genannten Fällen treten Rechtsgüter, Rechtspflichten oder auch nur bloße Interessen des Leistungspflichtigen in Konflikt zu seiner vertraglichen Leistungspflicht. Auch für die hier genannten Fallkonstellationen bleibt daher zu klären, unter welchen Bedingungen „Unzumutbarkeit“ der Leistungserbringung eintritt.

I. Die kollidierenden Rechtspositionen In den meisten genannten Konstellationen sind es wiederum grundrechtliche Positionen, die in Konflikt mit der vertraglichen Leistungspflicht treten.

1. Die Leistungsverweigerung aus Angst oder Trauer Besonders deutlich wird dies bei der Leistungsverweigerung aus Angst.17 Hier sieht sich die Leistungspflicht in einem Konflikt zu elementaren Rechtsgütern des Leistungspflichtigen, vor allem seiner Menschenwürde: Einen Arbeitnehmer zu einer Tätigkeit zu zwingen, die ihn nachweislich in panische Angst versetzt, würde seinen ureigensten Wert- und Achtungsanspruch außer Acht  16

Vgl. nur Wieacker JZ 1954, 466 (467). Vgl. ArbG Essen DB 1970, 935 f.; jüngst weist Benecke [NZA-RR 2003, 225 (231)] darauf hin, dass eine Leistungsverweigerung wegen Unzumutbarkeit bei „Mobbing“ in Betracht kommt. Dem ist zuzustimmen: Auch in Extremfällen von „Mobbing“ kann die Menschenwürde des Arbeitnehmers – ähnlich wie in Fällen der Leistungsverweigerung aus Angst oder Trauer – betroffen sein. 17

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

lassen und ihn zum bloßen Objekt einer unerbittlichen Vertragspflicht machen.18 Daneben kann auch die Gesundheit des Leistungspflichtigen betroffen sein. Dies wird jedenfalls dann anzunehmen sein, wenn die Angst ein derart gesteigertes Ausmaß erreicht, dass die erzwungene Leistungserbringung ihn in einen – psychisch oder physisch – pathologischen Zustand versetzen würde. Ähnlich verhält es sich in dem alten Beispiel des Clowns, dessen Kind gestorben ist und der deswegen die Teilnahme an einer kurze Zeit später beginnenden Zirkusvorstellung verweigert.19 Auch hier greift unmittelbar die Menschenwürde ein, die daran hindert, einem Trauernden gerade die Belustigung anderer Menschen als Tätigkeitsinhalt abzuverlangen. Wollte man hier die vertraglich geschuldete Tätigkeit einfordern, würde der Schuldner in seiner Person und ihren ureigensten Belangen nicht beachtet; er würde zum bloßen Objekt einer unerbittlichen Vertragspflicht. Angesichts der besonders personalen Struktur des Leistungshindernisses wiederholt sich hier eine schon aus dem Bereich der Gewissenskonflikte bekannte Problematik. Der Konflikt kann nicht nur bei persönlichen Leistungspflichten, sondern im Grundsatz bei jeder Leistungspflicht auftreten. Fälle, in denen Angst oder Trauer dem Schuldner die Vornahme auch vertretbarer Handlungen unzumutbar macht, sind durchaus vorstellbar. Der Konflikt stellt sich – ähnlich Gewissenskonflikten – nicht als „äußere“ Rechtsgüter- oder Pflichtenkollision dar, sondern als ein innerer, psychologischer Vorgang. Daher begegnet auch in dieser Fallgruppe die tatbestandliche Verengung des § 275 III BGB Bedenken. Die ausführlich bei Gewissenskonflikten vorgetragenen Erwägungen lassen sich insoweit verallgemeinern.20 Als einfachrechtliche Verankerung dieser Konstellationen bietet sich somit ein Rückgriff auf das allgemeine Rechtsprinzip von Treu und Glauben, § 242 BGB, an: Ein Gläubiger, der seinem Schuldner eine Leistung abverlangt, bei der dieser panische Angst verspürt, handelt treuwidrig und rechtsmissbräuchlich.21

 18

Zur Objektformel grundlegend BVerfGE 30, 1 (26); BVerfGE 50, 166 (175). Schon Wieacker JZ 1954, 466 (467) führt den „alten Schulfall“ als Beispiel einer allgemein-menschlichen Konfliktsituation an, angesichts derer „jedes menschliche Empfinden die Verurteilung zur Leistung unerträglich finden“ müsse. 20 Vgl. oben § 3 III 2. 19

21

Vgl. zum Rechtsmissbrauchsgedanken Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 39; ders. Schuldrecht AT, Rn. 136.

§ 8 Sonstige Fallgruppen ideeller Leistungshindernisse

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2. Sonstige grundrechtliche Konfliktsituationen Auch in den Fallgruppen der Leistungshinderung wegen Teilnahme an – berufsbefähigenden – Prüfungen sowie wegen Stellensuche sind gewisse grundrechtliche Implikationen unverkennbar: Hier ist die Berufsfreiheit des Leistungspflichtigen zu berücksichtigen. Bei dem Schutz des Eigentums gegen Hochwasser oder andere Naturkatastrophen steht dem Leistungspflichtigen der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums zur Seite.

3. Strukturell kurzzeitige Leistungshindernisse Auch bei den genannten strukturell kurzzeitigen Leistungshindernissen sind vielfach verfassungsrechtliche Wertungen zu berücksichtigen.

a) Wartepflicht bei Verkehrsunfällen Zu nennen ist etwa die Beteiligung an einem Verkehrsunfall: Hier begründet zunächst § 142 StGB eine strafbewehrte einfachrechtliche Wartepflicht. Schon diese setzt sich in der Regel als höherrangige Rechtspflicht gegenüber der Vertragspflicht durch. Die Konstellation ist ohne weiteres vergleichbar mit dem Konflikt zwischen der Arbeitspflicht und einer gegenläufigen Rechtspflicht, deren Wahrnehmung infolge einer Garantenstellung strafrechtlich sanktioniert ist.22 In diesen Fällen wird in aller Regel die strafbewehrte Pflicht höher zu bewerten sein als die bloß privatautonom begründete Vertragspflicht. Der Grund hierfür liegt in zwei Gesichtspunkten: Zu einem würde sich die Rechtsordnung zu sich selbst in Widerspruch setzen, wollte sie einem Leistungspflichtigen einerseits strafbewehrt aufgeben, die kollidierende Pflicht zu erfüllen, andererseits ihm jedoch zeitgleich die Erfüllung der Vertragspflicht abverlangen. Zum anderen würde es den Betroffenen in eine rechtlich ausweglose Lage bringen, wenn man ihm die gleichzeitige Erfüllung zweier höchstpersönlicher Pflichten abverlangen würde. Das Festhalten an der Vertragspflicht würde ihn faktisch dazu zwingen, Strafgesetzen zuwider zu handeln. Dem Betroffenen eine derartige „Selbstopferung“ aufzuzwingen, würde seine personale Würde

 22

Ausführlich oben § 5 II 2 a) aa).

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

unberücksichtigt lassen; daher gebietet schon Art. 1 I GG die Freistellung von der Vertragspflicht.23 Anderes kann auch hier nur gelten, wenn die vertragliche Leistungspflicht lediglich den Rahmen für die Erfüllung höherrangiger Pflichten bildet, insbesondere die Nichterfüllung der Leistungspflicht ihrerseits eine strafbewehrte Verletzung von Garantenpflichten beinhaltet. Der in diesen – seltenen – Fällen aufbrechende Konflikt ist dann strafrechtsimmanent nach den Regeln der rechtfertigenden Kollision zweier Handlungspflichten zu lösen.24

b) Kontakt zu Behörden und Gerichten Zu differenzieren ist hinsichtlich der Fallgruppe des Kontaktes zu Behörden und Gerichten: Besteht eine strafbewehrte Rechtspflicht, gerade während der Arbeitszeit einen Gerichts- oder Behördentermin wahrzunehmen, so gilt das soeben Festgestellte. Die strafbewehrte öffentlich-rechtliche Pflicht setzt sich im Regelfall gegenüber der privatautonom begründeten Vertragspflicht als eine höherrangige Pflicht durch.25 Dies gilt etwa für die Ladung als Zeuge oder Sachverständiger im Strafverfahren, die gemäß §§ 161a II, 51, 70, 77 StPO durch die Verhängung von Ordnungsgeld oder -haft sanktioniert werden kann.26 Gleiches gilt im Zivilprozess, § 380 I 2 ZPO. Ebenfalls strafbewehrt ist etwa die Meldepflicht, §§ 13, 37 Meldegesetz NW oder die Pflicht des Wehrpflichtigen, zur Musterung zu erscheinen, § 45 WPflG. Daher besteht ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn der Leistungspflichtige während der Arbeitszeit die Meldebehöre oder Musterungsstelle aufsuchen muss. Voraussetzung einer Pflichtenkollision ist allerdings, dass der Behördengang nur während der Arbeitszeit möglich ist und eine anderweitige, etwa schriftliche Meldung nicht in Betracht kommt.27 Auch in anderen Konstellationen kann die Notwendigkeit eines Behördenganges zur Unzumutbarkeit der Vertragserfüllung führen. Dies ist der Fall, wenn der Kontakt zur Behörde unmittelbar hochrangigen Rechtsgütern des  23

Vgl. oben § 6 II 3 a) bb) (2.); wie hier Henssler AcP 190 (1990), 538 (559) für Fälle der Einberufung zum Wehrdienst (vgl. aber dazu die differierende Sichtweise oben § 6 II 3 a) bb) (1.)); Erman-Belling § 616 Rn. 25 explizit für Verkehrsunfälle. 24 Im Einzelnen streitig; vgl. ausführlich Schönke/Schröder-Lenckner Vor § 32 Rn. 74 m.w.N. 25

Ebenso Staudinger-Oetker § 616 Rn. 56; Erman-Hanau9 § 616 Rn. 28. Vgl. dazu etwa Löwe/Rosenberg-Dahs StPO § 51 Rn. 1 ff. 27 Ohne das Vorliegen dieser Voraussetzungen kommt es schon zu keiner Rechtsgüteroder Pflichtenkollision; es handelt sich also nicht erst um eine Frage der Interessenabwägung; vgl. oben § 5 I 2 b) und c). 26

§ 8 Sonstige Fallgruppen ideeller Leistungshindernisse

313

Leistungspflichtigen oder Dritter dient, für die der Leistungspflichtige Sorge trägt. Dies gilt etwa für die Wahrnehmung elterlicher Pflichten gegenüber öffentlichen Stellen. Dient hingegen der Kontakt zu einer öffentlichen Stelle lediglich dem Interesse des Leistungspflichtigen, ohne dass höherrangige Rechtsgüter betroffen sind, und besteht keine entsprechende strafbewehrte Pflicht, so sind höherrangige Rechtspositionen, welche die Arbeitspflicht verdrängen könnten, nicht ersichtlich. Hier ist es dem Arbeitnehmer zuzumuten, den Behördengang außerhalb der Arbeitszeit oder auch während des Erholungsurlaubes zu erledigen.28

c) Inanspruchnahme durch Ehrenämter Ebenfalls differenziert betrachtet werden muss die Inanspruchnahme durch Ehrenämter als Leistungshindernis. Oftmals bestehen in diesem Bereich spezialgesetzliche Regelungen, so etwa für Bundestagskandidaten Art. 48 I GG und § 3 S. 1 AbgG,29 für kommunale Mandatsträger in Nordrhein-Westfalen § 44 II GO-NW.30 Auch außerhalb dieses spezialgesetzlich geregelten Bereichs hat das BAG anerkannt, dass die gelegentliche Inanspruchnahme durch öffentliche Ehrenämter Vorrang vor der Arbeitspflicht haben kann.31 Nach einhelliger Meinung soll hierfür jedoch die bloße Kandidatur zu einem öffentlichen Amt nicht genügen.32 Insgesamt ist in diesem ungeregelten Bereich sicher Zurückhaltung in der Anerkennung von Unzumutbarkeit geboten; man wird verlangen müssen, dass das öffentliche Amt unmittelbar der Wahrung bedeutender Gemeinschaftsgüter dient. Ein derartiges hochrangiges Gemeinschaftsgut ist etwa die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, so dass die Wahrnehmung des Schöffenamtes während der Arbeitszeit Unzumutbarkeit begründen kann.33 Für die eh 28 Mit ähnlicher Tendenz (Leistungshindernis nur bei rechtlichem oder tatsächlichem Zwang, die öffentliche Stelle während der Arbeitszeit aufzusuchen) auch Staudinger-Oetker § 616 Rn. 64; Erman-Belling § 616 Rn. 25, jeweils m.w.N. 29 Vgl. nur BK-v.Arnim Art. 48 GG Rn. 22; AK-GG-Schneider Art. 48 GG Rn. 4. 30 Vgl. nur Dieckmann/Heinrichs-Erlenkämper GO-NW § 44 Anm. 4; für andere Bundesländer existieren ähnliche Regelungen. 31 BAG AP § 616 BGB Nr. 67, vgl. aber auch BAG AP § 616 BGB Nr. 60, 94. 32 Vgl. MünchArbR-Boewer § 80 Rn. 39; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 67; a.A. Däubler, Arbeitsrecht II, Rn. 849. 33 Die Frage wurde durch das BAG bislang ausdrücklich offen gelassen, BAG AP § 26 ArbGG 1979 Nr. 1; wie hier bejahend aber LAG Freiburg ArbuR 1956, 62; StaudingerOetker § 616 Rn. 67; MünchArbR-Boewer § 80 Rn. 40; RGRK-Matthes § 616 Rn. 32;

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

renamtlichen Richter der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit ist dieser Vorrang in §§ 26 ArbGG, 20 SGG spezialgesetzlich geregelt.34

d) Weitere Leistungshindernisse Äußerst zweifelhaft erscheint hingegen, ob auch in den Fallgruppen der Leistungsverweigerung bei Umzügen und nicht berufsbefähigenden Prüfungen tatsächlich höherwertige Rechtspositionen des Leistungspflichtigen betroffen sind, welche die Arbeitspflicht verdrängen können. Dies wurde zu § 616 BGB bislang – wenn auch recht zurückhaltend – angenommen.35 Ein gewisses praktisches Bedürfnis, an einem bestimmten Termin umziehen oder eine Führerscheinprüfung ablegen zu können, ist zwar nicht von der Hand zu weisen. Ob hier jedoch „Unzumutbarkeit“ der Vertragserfüllung anzuerkennen ist, erscheint zweifelhaft. Es wurde dargestellt, dass die hochrangige privatautonome Selbstverpflichtung zur Vertragstreue nur dann durchbrochen werden kann, wenn höherrangige Rechtsgüter oder Pflichten mit der Leistungspflicht kollidieren. Diese Struktur ist in den beiden hier genannten Fallgruppen kaum ersichtlich: Sowohl Umzüge als auch nicht berufsbefähigende Prüfungen sind in aller Regel lediglich Ausprägungen der allgemeinen Handlungsfreiheit, die einer deutlichen, in der „Schrankentrias“ des Art. 2 I Halbs. 2 GG verkörperten Beschränkbarkeit unterworfen ist.36 Ein „Recht anderer“, das in diesem Sinne zur Beschneidung der allgemeinen Handlungsfreiheit geeignet ist, ist zweifellos auch der privatrechtliche Erfüllungsanspruch des Gläubigers,37 „verfassungsmäßige Ordnung“ auch jene Vorschriften des Privatrechts, welche die Vertragspflicht festschreiben. Man wird daher mangels einer entsprechenden Rechtsposition oder Rechtspflicht dem Arbeitnehmer regelmäßig zumuten können, außerhalb der Arbeitszeit umzuziehen oder eine nicht berufsbezogene Prüfung abzulegen. Da es in diesen Fällen an einer gegenläufigen Rechtsposition des Leistungspflichtigen fehlt, kann sich die Leistungspflicht vollständig durchsetzen, „Unzumutbarkeit“ der Leistungserbringung tritt nicht ein. Ein anderes Bild ergibt sich nur in den seltenen Ausnahmefällen, in denen der vordergründige Anlass der Leistungsverweigerung eine umfassendere rechtliche Prägung erfährt: Ist etwa ein Um Grunsky Anm. zu BAG AP § 26 ArbGG 1979 Nr. 1; Ostheimer/Wiegand/Hohmann, Ehrenamtliche Richter, S. 33 ff.; ablehnend Sieg SAE 1983, 45. 34 Näher dazu MünchArbR-Boewer § 80 Rn. 40. 35 Vgl. Staudinger-Oetker § 616 Rn. 70 („nur in extrem gelagerten Ausnahmefällen“). 36 Näher BVerfGE 96, 10 (21); BVerfGE 90, 145 (172); v.Münch/Kunig-Kunig Art. 2 GG Rn. 19 ff. m.w.N. 37 Vgl. explizit LAG Düsseldorf JZ 1964, 258 (259).

§ 8 Sonstige Fallgruppen ideeller Leistungshindernisse

315

zug zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft notwendig, steht dem Leistungspflichtigen der „besondere Schutz“ von Ehe und Familie zur Seite, den Art. 6 I GG verbürgt.38 Kommt in diesen Fällen ein Umzug allein während der Arbeitszeit in Betracht, so kann es durchaus zu einer „Unzumutbarkeit“ der Leistungserbringung kommen. Hierbei sind freilich die schon oben entwickelten differenzierten Abwägungskriterien im familiären Bereich zu beachten. Vor allem aber ist in jedem Fall kritisch zu hinterfragen, inwieweit die Anwesenheit des Leistungspflichtigen bei dem Umzug unerlässlich ist. Nur in diesem Fall kommt es nämlich überhaupt zu einer Kollision.39

II. Anwendung außerhalb des Dienstvertragsrechts? Die aufgezeigten Konstellationen wurden bislang – abgesehen von den nicht strukturell kurzzeitigen Konstellationen der Leistungsverweigerung aus Angst oder Trauer – überwiegend als Fallgruppen von § 616 BGB, also im speziellen Kontext des Dienstvertragsrechtes, diskutiert. Entsprechend der hier entwickelten Systematik unterfallen sie nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes der allgemeinen Regelung in § 275 III BGB, soweit nicht nach den obigen Ausführungen ein Rückgriff auf § 242 BGB notwendig erscheint.40 § 616 BGB ist im Regelungsbereich des § 275 III BGB nur noch hinsichtlich des Entgeltanspruches einschlägig.41 Die allgemeine Regelung wirft damit die Frage auf, ob die Fallgruppen nunmehr auch außerhalb des Dienstvertragsrechtes für persönliche Leistungspflichten Anwendung finden, also im gesamten sachlichen Geltungsbereich von § 275 III BGB. Es handelt sich in der Mehrzahl der Konstellationen um strukturell kurzzeitige Leistungshindernisse: Der Gang zu einer Behörde oder die Teilnahme an einer berufsbefähigenden Prüfung nimmt schon aufgrund der Natur des Leistungshindernisses typischerweise nur eine kurze Zeitspanne in Anspruch, die den Rahmen der „verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit“ i.S.v. § 616 BGB selten übersteigen dürfte. Allein aus diesem Grund dürften viele der hier vorgestellten Fallgruppen vorrangig im Arbeitsverhältnis Bedeutung erlangen. In weit stärkerem Maße als ein freier Dienstvertrag oder Werkvertrag nimmt ein Arbeitsverhältnis den Leistungsschuldner zeitlich umfassend in Anspruch; aufgrund der oft festgelegten Arbeitszeiten werden seine Dispositionsmöglich 38 Vgl. HbStR-Lecheler VI § 133 Rn. 3 ff.; v.Campenhausen/Steiger VVDStRL 45, 7 ff.; Loschelder FamRZ 1988, 333 ff. 39

Oben § 5 I 2 b) und c). Oben § 8 I 1. 41 Oben § 5 I 3 a) bb) sowie unten § 10 IV. 40

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

keiten über Zeiteinteilung und Tagesablauf in erheblichem Umfang eingeschränkt.42 Während ein Werkunternehmer, der durch die Vertragserfüllung regelmäßig zeitlich weniger gebunden ist als ein Arbeitnehmer, eher imstande sein wird, einen Behördengang ohne Beeinträchtigung seiner Vertragspflichten durchzuführen, sieht sich der Arbeitnehmer aufgrund der intensiveren zeitlichen Festlegung, die er durch den Arbeitsvertrag erfährt, schneller Konflikten ausgesetzt. Zu beachten ist auch die geänderte Risikoverteilung, die sich im Werkvertrag aus der Übernahme einer Leistungsgarantie ergibt.43 Eine generelle Beschränkung auf den Bereich des Arbeitsrechtes kommt jedoch auch bei strukturell kurzzeitigen Leistungshindernissen nicht in Betracht: Durch einen Verkehrsunfall und die folgende Wartepflicht aus § 142 StGB kann auch ein Werkunternehmer an der als Fixschuld vereinbarten Leistung gehindert werden. Gleiches gilt auch für die anderen dargestellten kurzzeitigen Leistungshindernisse. Damit lässt sich festhalten, dass die Ausweitung des Anwendungsbereiches auf alle Schuldverhältnisse mit persönlicher Leistungspflicht sinnvoll ist. Praktisch bedeutsam dürften diese Konstellationen allerdings auch künftig weit überwiegend in Arbeitsverhältnissen werden. Für die Leistungsverweigerung aus Angst oder Trauer scheidet eine Beschränkung auf arbeitsrechtliche Konstellationen ohnehin aus; derartige Leistungshindernisse können in jedem Vertragsverhältnis, auch solchen ohne persönliche Leistungspflicht auftreten.44 Insofern ist der Anwendungsbereich von § 275 III BGB noch zu stark verengt; hier bieten sich die zu Glaubens- und Gewissenskonflikten entwickelten Lösungsmuster an.

III. Elemente der Interessenabwägung Hinsichtlich der im Rahmen von § 275 III BGB anzustellenden Interessenabwägung kann im Wesentlichen auf die schon in den anderen Fallgruppen angestellten Überlegungen verwiesen werden.45 Die Abwägbarkeit der kollidierenden Rechtspositionen ergibt sich auch hier entscheidend aus dem rechtlichen Rang und der Einschränkbarkeit der jeweils betroffenen Rechtspositionen. Treten vorbehaltlose Grundrechtspositionen des Leistungspflichtigen  42

Vgl. Richardi NZA 2002, 1004 (1006). Palandt-Sprau63 Einf. vor § 631 Rn. 1 m.w.N. 44 Vgl. das Beispiel des Komikers, dessen Kind gestorben oder schwer erkrankt ist; Wieacker JZ 1954, 466 (467). Bei derartigen Künstlern dürfte ein Werk- oder freier Dienstvertrag die Regel sein. 43

45

Vgl. vor allem oben § 3 II 2 c) bb) (1.) und § 5 II 3 sowie die allgemeinen grundrechtsdogmatischen Darstellungen unten § 9 III 3.

§ 8 Sonstige Fallgruppen ideeller Leistungshindernisse

317

in Konflikt mit der Vertragspflicht, kann eine Abwägung nur dann überhaupt stattfinden, wenn der Leistungsgläubiger nicht allein den vertraglichen Erfüllungsanspruch, sondern auch seinerseits verfassungsrechtlich geschützte Positionen geltend machen kann, die den vertraglichen Erfüllungsanspruch verfassungsrechtlich untermauern.46 Der dann zwischen Verfassungspositionen entstehende Konflikt ist nach den Regeln der praktischen Konkordanz zu lösen.47 Zu beachten ist dabei, dass eine Einschränkung der Menschenwürde – beispielhaft bei der Leistungsverweigerung aus Angst oder Trauer – nicht in Betracht kommt; jede andere Sichtweise würde den „unantastbaren“ Charakter der Menschenwürde unbeachtet lassen. Wie dargestellt, begründen auch in den anderen hier zu erörternden Fallgruppen vielfach Verfassungsgüter die Anerkennung von Unzumutbarkeit. So etwa bei der gerichtlichen Ladung als Zeuge die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates, bei der Teilnahme an – berufsbefähigenden – Prüfungen letztlich die Berufsfreiheit des Leistungsschuldners. Die Einschränkbarkeit dieser Verfassungsgüter divergiert deutlich. Unterliegt eine betroffene Grundrechtsposition etwa einem Gesetzesvorbehalt, so können in die Abwägung auch nur einfachrechtlich geschützte Interessen des Gläubigers einbezogen werden, beispielhaft das Interesse an einem geregelten Betriebsablauf oder die vertragliche Risikoverteilung. Sind hingegen vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte betroffen, kommt eine Abwägung nur gegenüber anderen Verfassungspositionen des Gläubigers in Betracht.48 Soweit es sich um einfachrechtliche Rechtsgüter oder Pflichten des Schuldners handelt, ist zu differenzieren: Müsste er in Erfüllung einer Vertragspflicht Strafgesetzen zuwiderhandeln, ist im Regelfall ein Überwiegen der Rechtsposition des Schuldners anzuerkennen; auch hier sind verfassungsrechtliche Wertentscheidungen zu berücksichtigen.49 Ansonsten muss eine umfassende Interessenabwägung anhand der dargestellten Kriterien vorgenommen werden.50

 46

Vgl. oben § 3 II 2 c) bb) (1.). Insoweit besteht Ähnlichkeit zu Gewissenskonflikten. Vgl. Meyer, Grundzüge, S. 102 m.w.N.; vgl. auch LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2; Bydlinski SAE 1991, 6 (7); Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; Böckenförde NJW 2001, 723 (724); Muckel NJW 2000, 689 (691); kritisch Rüfner RdA 1992, 1 (3). 47

48

Vgl. ausführlich unten § 9 III 2 b) und 3. Henssler AcP 190 (1990), 538 (559) für Fälle der Einberufung zum Wehrdienst (vgl. aber dazu die abweichende Sichtweise oben § 6 II 3 a) bb) (1.)). Vgl. auch Staudinger-Oetker § 616 Rn. 56. 50 Näher unten § 9 III 1. 49

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2. Teil: Die Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit

IV. Resümee Auch für Fallgruppen, die bislang noch nicht in den Brennpunkt der rechtswissenschaftlichen Diskussion gerückt wurden, können die hier gewonnenen Erkenntnisse nutzbar gemacht werden. § 275 III und § 242 BGB bieten damit ein universelles Lösungsmodell für sämtliche Konstellationen, in denen Rechtsgüter oder Pflichten des Schuldners in Konflikt mit seiner vertraglichen Leistungspflicht treten. Zur Lösung derartiger Konflikte gelten dieselben Mechanismen, die im Kontext der anderen Fallgruppen schon entwickelt wurden.

Dritter Teil

Übergreifende Fragestellungen – Strukturprinzipien bei Rechtsgüter- und Pflichtenkollisionen

§ 9 Unzumutbarkeit und Interessenabwägung I. Einführung Der bisherige Gang der Darstellungen hat die einzelnen unter dem Begriff der ideellen Unzumutbarkeit diskutierten Fallgruppen unter Hervorhebung der zwischen ihnen festzustellenden Unterschiede und besonderen Charakteristika betrachtet. Dabei wurden vor allem die jeweils in Konflikt tretenden Gläubigerund Schuldnerinteressen herausgestellt sowie erste systematische Ansätze zur rechtlichen Bewältigung des Konflikts aufgezeigt. In diesem Abschnitt sollen nun zunächst die für alle Fallgruppen einheitlichen Strukturprinzipien des Phänomens der ideellen Unzumutbarkeit in den Mittelpunkt gerückt werden. Es wird also die notwendigerweise stark fallgruppenbezogene Sichtweise der bisherigen Ausführungen verlassen und die Problematik aus rechtssystematischer Perspektive gewürdigt. Betrachtet man den neuen Leistungsstörungstatbestand des § 275 III BGB, so fallen die Begriffe der Unzumutbarkeit sowie der Abwägung der beteiligten Interessen von Schuldner und Gläubiger als zentrale Kernbegriffe des Tatbestandes auf. Auch vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes spielten beide Begriffe in zahlreichen Lösungskonzeptionen zu den dargestellten Fallgruppen eine zentrale Rolle.1 Mittels einer Interessenabwägung wurde ein Überwiegen der einen oder anderen Position festgestellt und damit positiv  1 BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29 führt die Interessenabwägung als Kernelement der Entscheidung über ein Leistungsverweigerungsrecht an. Eine Verknüpfung beider Begriffe findet insbes. dort statt, wo eine Lösung über §§ 242, 315 BGB befürwortet wird; vgl. ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 972 und näher oben § 3 IV 2 b). Die Befürworter einer Lösung über Unmöglichkeitsrecht ersparen sich hingegen eine konkrete Interessenabwägung, da diese durch den ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht normativ vorweggenommen wird; vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts Bd. 1, § 34 IV 2, insbes. Fn. 40; Fabricius, Leistungsstörungen, S. 108 ff.; Kohte NZA 1989, 161 (164).

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

oder negativ über das Bestehen eines Leistungsverweigerungsrechts wegen Unzumutbarkeit der Leistungserbringung entschieden.2 Bei den Begriffen „Unzumutbarkeit“ und „Interessenabwägung“ scheint es sich also nicht allein um die charakteristischen Tatbestandsmerkmale des neuen § 275 III BGB zu handeln, sondern vielmehr um deskriptive Begriffe zur Erfassung der Grundstrukturen des rechtlichen Phänomens der Rechtsgüter- und Pflichtenkollision, das nunmehr in § 275 III BGB eine teilweise Regelung erfahren hat. Will man sich also den Strukturprinzipien von Rechtsgüter- und Pflichtenkollisionen nähern, so muss zunächst auf diese beiden Kernelemente des Tatbestandes eingegangen werden, die zugleich den Ansatzpunkt aller rechtlichen Lösungsmodelle liefern. Aus diesem Grunde soll hier zunächst dargestellt werden, in welcher systematischen Relation beide Elemente zueinander stehen [§ 9 II], sodann sollen die unterschiedlichen Typen kollidierender Pflichten und Rechtspositionen systematisiert und aus dieser Systematisierung Schlussfolgerungen für die Abwägbarkeit der betroffenen Interessen gezogen werden [§ 9 III]. Abschließend soll zusammenfassend eine allgemeine Formel der ideellen Unzumutbarkeit vorgeschlagen werden [§ 9 IV].

II. Interessenabwägung als integrales Element von „Unzumutbarkeit“ – Die Systematik beider Tatbestandsmerkmale Die Ausführungen zu den einzelnen Fallgruppen haben verdeutlicht, dass sich Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen stets aus einer Situation der Rechtsgüter- oder Pflichtenkollision ergibt. Hinter den zunächst deutlich divergierenden Fallkonstellationen steht somit eine einheitliche Grundstruktur: Das Erfüllungsinteresse des Leistungsgläubigers oder – aus anderer Perspektive – die Leistungspflicht des Schuldners kollidiert mit anderen Rechtsgütern oder Rechtspflichten des Schuldners. Sind diese kollidierenden Rechtsgüter oder Rechtspflichten höher zu gewichten als die vertragliche Leistungspflicht, so liegt ein Fall ideeller Unzumutbarkeit vor. Das geeignete Hilfsmittel, um den rechtlichen Vorrang einer der beiden Positionen festzustellen, ist dabei eine Interessenabwägung, wie sie in § 275 III BGB nun explizit angeordnet ist. Schon von Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes war eine entsprechende Interessenabwägung im Rahmen der aus §§ 242, 616 BGB herzuleitenden Leistungsverweigerungsrechte vorzu-

 2

Vgl. nur Henssler AcP 190 (1990), 538 (549 f.), instruktiv auch Bäumlin VVDStRL 28 (1970), 3 (22 f., 30).

§ 9 Unzumutbarkeit und Interessenabwägung

321

nehmen.3 In den Fällen des § 616 BGB war sie zwar schon normativ dahingehend vorgeprägt, dass in Fällen kurzzeitiger Leistungshinderung im Dienstvertrag die Anerkennung ideeller Unzumutbarkeit der Regelfall sein sollte;4 betriebliche Gegeninteressen sollten demgegenüber regelmäßig unbeachtlich bleiben.5 Trotz dieser stärkeren normativen Vorgaben handelte es sich jedoch auch hier in der Sache um eine Interessenabwägung zur Feststellung von Unzumutbarkeit.6 Insofern ist die Interessenabwägung ein denknotwendiges Element zur Feststellung von Unzumutbarkeit und folglich dem Begriff der Unzumutbarkeit schon immanent.7 Ohne eine Interessenabwägung ist das Überwiegen einer Rechtsposition gegenüber einer anderen schlechthin nicht feststellbar und damit die rechtliche Wertung, dass die Leistungserbringung dem Schuldner unzumutbar ist, nicht möglich. Dieselbe Struktur ist ebenfalls in anderen normierten Tatbeständen der Unzumutbarkeit zu beobachten: Auch hier wird regelmäßig eine tatbestandliche Verknüpfung von „Unzumutbarkeit“ und Interessenabwägung hergestellt. Das wohl bekannteste Beispiel ist § 626 BGB: Dieser nimmt für die außerordentliche Kündigung von Dienstverhältnissen auf die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Dienstverhältnisses unter Abwägung der beiderseitigen Interessen Bezug.8 Die Verknüpfung beider Tatbestandsmerkmale ist dabei – wie dargestellt – letztlich schon dem Unzumutbarkeitsbegriff immanent; die ausdrückliche Verknüpfung im Gesetzeswortlaut weist vor diesem Hintergrund eher deklaratorisch-klarstellenden Charakter auf. Anders als durch das Prinzip der Interessenabwägung lässt sich die „leere Hülse“9 des Unzumutbarkeitsbegriffs nicht mit Inhalt füllen.10  3 Vgl. für § 242 BGB: ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 972; für § 616 BGB: Erman-Belling § 611 Rn. 25, vgl. dazu näher sogleich § 9 Fn. 7. 4 Vgl. zur sozialen Motivation der Regelung Mugdan II, S. 258, 901; Larenz/Wolf, BGB AT § 2 Rn. 42; differenzierend Staudinger-Oetker § 616 Rn. 9 ff. 5

Vgl. Schaub-Linck § 97 Rn. 16; Erman-Belling § 616 Rn. 47 m.w.N. Auch Erman-Belling § 616 Rn. 24 f. macht die „Unzumutbarkeit“ als ungeschriebenen tatbestandlichen Kernbegriff des § 616 BGB aus. 6

7 Ebenso Preis, Prinzipien, S. 150 ff., insbes. S. 151: „In materieller Hinsicht geht damit das Zumutbarkeitsprinzip in dem Prinzip der Güter- und Interessenabwägung auf“; vgl. ebenso ders. ZG 1988, 319 (326). Auch in der Rspr. des BGH ist Kern jeder ZumutbarkeitsBetrachtung immer eine wertende Interessenabwägung – vgl. beispielhaft BGHZ 83, 197 (200); BGH NJW 1985, 130 (132). Ähnliche Strukturen sind auch in der Rspr. des BVerfG zu finden – vgl. beispielhaft BVerfGE 63, 131 (144); BVerfGE 61, 291 (316): Die Grenze der Zumutbarkeit ergebe sich „aus einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe“. 8

Vgl. nur BAG NZA 1994, 74; Palandt-Putzo63 § 626 Rn. 39 f.; Preis ZG 1988, 319 (320). Henkel, Festschrift Mezger (1954), S. 249 (304). 10 Vgl. auch Bley, Festschrift Wannagat (1981), S. 47. 9

322

3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

Mit dieser Feststellung wird zugleich deutlich, dass es de lege ferenda der expliziten Anordnung einer Interessenabwägung in § 275 III BGB eigentlich gar nicht bedurft hätte: Die Notwendigkeit einer Interessenabwägung ist schon in dem Tatbestandsmerkmal der „Unzumutbarkeit“ angelegt. Die ausdrückliche Normierung einer Interessenabwägung in § 275 III BGB hat demgegenüber klarstellenden, deklaratorischen Charakter. Freilich wird sich zeigen, dass diese gesetzgeberische „Klarstellung“ in Teilbereichen eher einer Verundeutlichung gleichkommt: § 275 III BGB statuiert seinem Wortlaut nach, dass lediglich das Schuldner- und Gläubigerinteresse in die Interessenabwägung einzubeziehen sei.11 Man könnte hieraus den Umkehrschluss ziehen, dass die Rechte Dritter keinen Einfluss auf die Interessenabwägung entfalten können. Wie noch zu zeigen sein wird, ist in bestimmten Fallkonstellationen die Einbeziehung der Rechtspositionen Dritter jedoch schon aus verfassungsrechtlichen Gründen dringend geboten.12 An diesem Befund kann auch der Gesetzeswortlaut nichts ändern; in diesen Fällen gebietet schon die dem Begriff der „Unzumutbarkeit“ innewohnende Interessenabwägung gerade die Einbeziehung der Rechte Dritter. Diese Wertung kann bei verfassungskonformer Auslegung auch durch die zusätzliche, gesetzestechnisch unnötige explizite Anordnung einer Abwägung der Schuldner- und Gläubigerinteressen nicht modifiziert werden. Würde man nämlich in diesen Fällen tatsächlich – dem Gesetzeswortlaut folgend – von einer Verengung auf die Interessen von Schuldner und Gläubiger ausgehen, so könnte die Norm – wie noch zu zeigen sein wird13 – den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen nicht in allen Fällen gerecht werden. Was an dieser Stelle jedoch festgehalten werden soll, ist die Beobachtung, dass Unzumutbarkeit und Interessenabwägung zwei untrennbar miteinander verknüpfte Begriffe sind: Ohne Interessenabwägung kann das juristische Werturteil, dass eine Leistungserbringung „unzumutbar“ ist, nicht getroffen werden. Nimmt man zudem die Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen als einheitliches rechtliches Phänomen ernst, so ergibt sich daraus die zwingende Folgerung, dass unabhängig von dem jeweils einschlägigen Lösungsansatz – sei es § 275  11 Eine Beschränkung der Interessenabwägung auf die Interessen der beteiligten Vertragsparteien wird – dem Gesetzeswortlaut nach – auch in § 626 BGB angeordnet. Auch hier ist jedoch anerkannt, dass Interessen Dritter im Einzelfall in die Interessenabwägung Eingang finden können: Dies ist etwa der Fall, wenn mit der Einbeziehung von Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers gerade die Unterhaltsberechtigten geschützt werden, vgl. BAG AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 73; explizit für eine Einbeziehung von Drittinteressen im Einzelfall auch Palandt-Putzo63 § 626 Rn. 39 f. Für eine Beschränkung auf die vertragsbezogenen Interessen der Parteien hingegen Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rn. 137 („Anbindung der Abwägungsumstände an die Vertragsinteressen“); ErfK-Müller-Glöge4 § 626 BGB Rn. 63; Preis, Prinzipien, S. 224 f. 12 13

Vgl. unten § 9 III 4. Vgl. unten § 9 III 4.

§ 9 Unzumutbarkeit und Interessenabwägung

323

III BGB, sei es etwa im Bereich der Glaubens- und Gewissenskonflikte die Generalklausel von Treu und Glauben, § 242 BGB14 – die im Rahmen der Feststellung von Unzumutbarkeit vorzunehmenden Interessenabwägungen denselben rechtlichen Mustern und Mechanismen folgen. Der tiefere Grund dafür liegt in der Feststellung, dass die anzustellenden Abwägungen schon dem einheitlichen Unzumutbarkeitsbegriff innewohnen. Der äußerst unbestimmte Rechtsbegriff der „Unzumutbarkeit“ kann nur durch eine wertende Betrachtung der in Konflikt tretenden Interessen mit Inhalt und Leben gefüllt werden. Dabei werden die konkreten Schritte der Interessenabwägung maßgeblich durch die betroffenen Rechtsgüter und Rechtspflichten bestimmt: Eine nur einfachrechtlich geschützte Position ist in deutlich stärkerem Maße der Abwägung zugänglich als eine schon verfassungsrechtlich geschützte Rechtsposition.15 Ebenso kann eine unter Gesetzesvorbehalt gestellte Grundrechtsposition in stärkerem Maße gegen einfachrechtliche Gegeninteressen abgewogen werden als eine vorbehaltlos gewährleistete. Hier kommen die sich aus der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte ergebenden Folgerungen somit voll zum Tragen. Für eine Gestaltung durch das einfache Gesetzesrecht ist immer dort, wo schon verfassungsrechtliche Wertungen getroffen sind, nur in begrenztem Ausmaß Raum.16

III. Die Systematik und Abwägbarkeit der kollidierenden Rechtsgüter Schon in den einzelnen Fallgruppen ist dargestellt worden, dass die mit der Vertragspflicht kollidierenden Rechtspositionen des Leistungsschuldners höchst unterschiedlicher Natur sein können. Eckpfeiler markieren dabei „unverletzliche“, einfachgesetzlich nicht einschränkbare Verfassungsgüter wie die Menschenwürde oder die Gewissensfreiheit auf der einen und bloß einfachgesetzlich geschützte Rechtspositionen auf der anderen Seite. Dazwischen stehen Grundrechtspositionen des Leistungsschuldners, die einfachgesetzlichen Einschränkungen zugänglich sind, also etwa die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit der Person. Auch seitens des Leistungsgläubigers sind – abhängig von der jeweiligen Fallgestaltung – höchst unterschiedliche Rechtspositionen zu berücksichtigen: Der bloße zivilrechtliche Anspruch auf Erfüllung der arbeitsvertraglichen Hauptpflicht ist dabei durch die Leistungsverweigerung immer betroffen. Betroffen sein kann im Einzelfall auch seine verfassungsrechtlich geschützte Un 14

Vgl. oben § 3 IV 2 b) cc). Vgl. unten § 9 III 2 b) und 3. 16 Vgl. ausführlich unten § 9 III 2 a). 15

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

ternehmer-, Eigentums- und Berufsfreiheit oder auch seine eigene Gewissensfreiheit. Auch hier sind also entweder Güter von Verfassungsrang oder aber nur einfachrechtlich geschützte Rechtspositionen in die Abwägung einzubeziehen. Wie noch zu zeigen sein wird, stellt die Betroffenheit verfassungsrechtlich geschützter Güter und Interessen auf Seiten des Leistungsgläubigers freilich einen Ausnahmefall dar.17 Das Schutzniveau, welches den betroffenen Rechtspositionen im Einzelfall zukommt, weist dabei eine prägende, entscheidende Bedeutung für die inhaltliche Ausfüllung der Interessenabwägung auf. Die These verdeutlicht ein praktisches Beispiel, das aus der Diskussion um die Drittwirkungsproblematik vertraut ist: Würde ein Richter im Konfliktfall dem Arbeitnehmer ein Leistungsverweigerungsrecht nur deswegen versagen, weil er die betroffene Gewissensfreiheit gegenüber dem einfachrechtlichen arbeitsvertraglichen Leistungsanspruch des Arbeitgebers für geringerwertig erachtet, so ließe er damit eine grundlegende Wertentscheidung der Verfassung außer Acht: Art. 4 I GG stellt die Gewissensfreiheit „unverletzlich“ und unterwirft sie bewusst keinem Gesetzesvorbehalt.18 Damit ist schon durch die Verfassung eine generalisierte Interessenabwägung dahingehend vorgenommen, dass der Freiheit des Gewissens ein unbedingter Vorrang gegenüber jeder nur einfachrechtlich geschützten Rechtsposition zukommt. Aufgrund dieser Wertentscheidung der Verfassung scheidet jede Einschränkung der Gewissensfreiheit durch einfaches Gesetzesrecht aus. Eine solche unzulässige Einschränkung ist freilich auch schon jede Abwägung der Gewissensfreiheit mit nur einfachrechtlich geschützten Rechtspositionen, da Grundgedanke einer Interessenabwägung immer die wechselseitige Einschränkbarkeit der beteiligten Interessen ist. Diese ist im Konflikt zwischen vorbehaltlosen Grundrechten und Rechtspositionen des einfachen Rechts jedoch gerade nicht anzuerkennen.19 Das Urteil des Richters im exemplarisch dargestellten Fall wäre folglich klar verfassungswidrig.20  17 Vgl. zur restriktiven Interpretation der allgemeinen Handlungsfreiheit schon oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (a) (cc) und (ee). 18 Vgl. HbStR-Bethge VI § 137 Rn. 24 ff.; a.A. Maunz/Dürig-Herzog Art. 4 GG Rn. 150 ff. m.w.N. 19 Vgl. zum modernen – umfassenden – Eingriffsbegriff Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 70 ff.; Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 173 ff.; Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 22: Jedes mindernde Einwirken auf Grundrechte sei ein Eingriff; Bleckmann/Eckhoff DVBl. 1988, 373. 20 Daher setzt sich – vom fiktiven Beispiel ins Reale gewendet – auch die Rspr. des BAG zur Gewissensfreiheit dem Vorwurf der Verkennung verfassungsrechtlicher Einflüsse aus. Anders freilich die Bewertung bei Kraushaar ZTR 2001, 208, der glaubt, das BAG habe in seiner Rspr. zu Gewissenskonflikten den grundrechtlichen Vorgaben hinreichende Beachtung geschenkt.

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Allein dieses Beispiel macht deutlich, dass dem jeweiligen Schutzniveau der betroffenen Rechtspositionen entscheidende Bedeutung für die Möglichkeit und inhaltliche Ausgestaltung von Abwägungsvorgängen zukommt. Will man also darlegen, welche Elemente in die anzustellende Interessenabwägung einzubeziehen sind und in welchen Fällen die Interessenabwägung tatsächlich eine „Unzumutbarkeit“ der Leistungserbringung ergibt, muss schon im gedanklichen Ansatz nach dem Schutzniveau der betroffenen Rechtsgüter und – sofern es sich um grundrechtlich geschützte Positionen handelt – nach ihrer Schrankensystematik differenziert werden.

1. Kollision einfachrechtlicher Rechtspositionen Vergleichsweise geringe Schwierigkeiten ergeben sich in den dargestellten Situationen von Unzumutbarkeit, in denen auf Seiten des Leistungsschuldners nur einfachrechtlich geschützte Positionen und Rechtsgüter betroffen sind. Ein anschauliches Beispiel ist etwa ein familienrechtlicher Konflikt, den der Schuldner durch Übertragung des Sorgerechts auf eine gewerbliche Betreuungseinrichtung, also durch Aufwendung von Vermögensgütern, abwenden kann. Hier nähert sich die ideelle der materiellen Unzumutbarkeit; es handelt sich letztlich um die Bestimmung einer einfachrechtlichen, wirtschaftlichen Opfergrenze.21 Um einen einfachrechtlichen Konflikt handelt es sich auch bei vielen familiären Leistungshindernissen, in denen die kollidierende Pflichtenstellung erst durch Normen des einfachen Rechts begründet wird.22 Schon verfassungsrechtlich geprägt sind hingegen Fälle, in denen den Schuldner eine mit der Vertragspflicht kollidierende Garantenpflicht trifft. Diese ist zwar einfach-strafrechtlicher Natur; ihre Wahrnehmung wird jedoch schon durch die Verfassung sanktioniert: Den Schuldner rechtlich zu einer strafbewehrten Vernachlässigung der Garantenstellung zu zwingen, hieße, ihn in eine ausweglose, der Menschenwürde widersprechende Lage zu bringen.23 Den Wertentscheidungen der Verfassung kommt hier entscheidende Bedeutung zu; durch die Normierung strafrechtlicher Garantenpflichten wird somit der Bestand eines Leistungsverweigerungsrechts schon normativ vorgeprägt. Bei rein einfachrechtlichen Konflikten ist hingegen auf Seiten des Gläubigers vor allem das vertragliche Erfüllungsinteresse zu berücksichtigen, das naturgemäß durch eine Leistungsverweigerung beeinträchtigt wird. Der Konflikt tritt  21 22 23

Vgl. näher oben § 5 I 2 c). Vgl. oben § 5 II 2.

Vgl. zur parallelen Fallgruppe der Einberufung zum ausländischen Wehrdienst oben § 6 II 3 a) bb). Ähnlich Henssler AcP 190 (1990), 538 (559 ff.).

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zwischen diesem und gegenläufigen Rechtsgütern oder Pflichten des Schuldners auf. Umso größeres Gewicht ist dabei dem Erfüllungs- und Vertragsdurchführungsinteresse des Gläubigers beizumessen, je gravierender die Betriebsablaufsstörungen und wirtschaftlichen Nachteile des Gläubigers infolge der Leistungsverweigerung wären. Der Gläubiger darf darauf vertrauen, dass der Schuldner bereit ist, eigene einfachrechtliche Rechtspositionen hintan zu stellen, wenn dem Gläubiger erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohen. Insoweit findet also im Grundsatz eine umfassende Interessenabwägung statt, in welcher auch die betrieblichen Interessen des Gläubigers zu würdigen sind. Es geht im Kern um die gerechte Verteilung des vertragsimmanenten Risikos, letztlich also um die Frage, welche Lasten einer Vertragspartei zugunsten der anderen billigerweise aufgebürdet werden dürfen. Maßgeblich werden die Maßstäbe zur Ermittlung der Vorrangstellung dabei durch den Vertragsinhalt beeinflusst. Die vertragliche Risikoverteilung wird schon durch den Vertragstyp vorgeprägt:24 In einem Werkvertrag übernimmt der Schuldner typischerweise eine Leistungsgarantie, ein unbedingtes Einstehen-Müssen für den Leistungserfolg.25 Hier wird sich das Erfüllungsinteresse des Gläubigers gegenüber kollidierenden einfachrechtlichen Positionen des Schuldners in aller Regel durchsetzen. Im Arbeitsvertrag hingegen ist eine derartige Risikoverteilung nicht ersichtlich: Gerade aufgrund der personalen Struktur der Leistungserbringung muss der Arbeitgeber eher zur Akzeptanz ideeller Leistungshindernisse bereit sein. Dies gilt vor allem für strukturell kurzzeitige Leistungshindernisse: Hier kann aus der Vorschrift des § 616 BGB der – auch im Rahmen von § 275 III BGB anwendbare – Rechtsgedanke hergeleitet werden, dass aus sozialen Gründen das kurzfristige ideelle Leistungshindernis regelmäßig Vorrang gegenüber der Arbeitspflicht genießen soll.26 Der in § 616 BGB enthaltene Rechtsgedanke modifiziert somit das vertragliche Risiko aus sozialen Gründen zulasten des Dienstvertragsgläubigers. Der zeitlichen Dauer des Leistungshindernisses kommt auch darüber hinaus Bedeutung zu: Die Fehldauer ist in Relation zu der Dauer des Vertragsverhältnisses zu setzen; je länger der Vertrag andauert, desto eher muss der Gläubiger – letztlich auf Grundlage des Fürsorgegedankens27 – relativ kurzzeitige Leistungshindernisse hinnehmen.28  24

Vgl. oben § 5 I 2 c). Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 175; allgemein auch PalandtSprau63 Einf. vor § 631 Rn. 1. 26 Vgl. oben § 5 I 3 a) bb). 27 Vgl. BAG (GS) AP § 616 BGB Nr. 22; ebenso BGHZ 21, 114 f.; dagegen aber Staudinger-Oetker § 616 Rn. 12 ff. 28 Ähnlich BAG AP § 123 BGB Nr. 23. 25

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Weitere vertragliche Kriterien sind etwa die Höhe des geschuldeten Entgelts sowie die Position des Schuldners innerhalb der Unternehmens- und Betriebsorganisation des Gläubigers.29 Auch diese Kriterien beeinflussen mittelbar die vertragliche Risikoverteilung: Ein Arbeitnehmer in einer wirtschaftlich bedeutenden Schlüsselposition ist bei einer entsprechenden Vergütung durch die vertragliche Risikoverteilung auch zur Hinnahme besonderer ideeller Belastungen verpflichtet, die ein Arbeitnehmer in unbedeutenderer Position nicht tragen müsste. Auch Vorhersehbarkeit und Vorhersicht beeinflussen die vertragliche Risikoverteilung nachhaltig. Im Fall einer positiven Vorhersicht des Schuldners auf den einfachrechtlichen Konflikt wird bei einer späteren Geltendmachung ideeller Unzumutbarkeit der Einwand des venire contra factum proprium eine entscheidende Rolle spielen.30 In diesen Fällen nähert sich die Rechtslage derjenigen bei verfassungsrechtlich vorgeprägten Konflikten, in denen bei positiver Vorhersicht des Konfliktes von Grundrechtsverzicht gesprochen werden kann.31 Bei einfachrechtlichen Konflikten findet diese Struktur ihr Äquivalent in dem Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Verhaltens, das dem Schuldner eine spätere Berufung auf den positiv vorhergesehenen Konflikt abschneidet. In derartigen Fällen wird man – entsprechend dem Grundrechtsverzicht bei Konflikten zu Grundrechtspositionen – sogar von einem konkludenten vertraglichen Verzicht auf die spätere Geltendmachung der betroffenen ideellen Position ausgehen können. Anders hingegen ist die Situation bei bloßer Vorhersehbarkeit, also einer fahrlässigen Unkenntnis des Schuldners von dem Konflikt im Zeitpunkt des Vertragsschlusses: Hier wird dem Schuldner nicht schon jede Berufung auf den Konflikt abgeschnitten; vielmehr beeinflusst der Fahrlässigkeitsvorwurf lediglich die vertragliche Risikoverteilung.32 Eine Partei, die den Konflikt hätte vorhersehen können, ist eher als die Gegenpartei verpflichtet, die aus dem Konflikt resultierenden Negativfolgen zu tragen. Ein ungeeignetes Kriterium ist freilich schon bei einfachrechtlichen Konflikten die Prognose künftiger gleichartiger Konflikte. Wie schon ausgeführt, spricht eine solche Negativprognose sogar für die Intensität und Dringlichkeit des gegenwärtigen Konfliktes, müsste also die Interessenabwägung zugunsten  29

Vgl. schon oben § 5 I 2 c) bb). Ähnlich Scheschonka, Gewissensnot, S. 116 ff.; Wallmeyer, Die Kündigung des Arbeitsvertrags aus wichtigem Grund, S. 32 ff.; Grabau BB 1991, 1257 (1260) m.w.N. 30

31 Vgl. Zöllner AcP 196 (1996), 1 (13 f.); Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; ähnlich Preuß ArbuR 1986, 382 (383); a.A. Hager JZ 1994, 373 (380). 32 Vgl. schon oben § 6 II 3 b) bb) (2.).

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des Schuldners beeinflussen.33 Demgegenüber bezieht das BAG das Kriterium zulasten des Schuldners in die Interessenabwägung ein.34 Es drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass das BAG in systematisch unzulässiger Weise die Interessenabwägung auf der Primärebene – also zur Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechtes – mit der sekundären kündigungsrechtlichen Interessenabwägung vermischt. Wie das Kriterium der Negativprognose auf der Primärebene der Leistungspflicht untauglich ist, so kann es für kündigungsrechtliche Folgefragen erhebliche Bedeutung erlangen.35

2. Kollision der Leistungspflicht mit verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern Andere Probleme treten zutage, wenn nicht bloß einfachrechtlich, sondern schon verfassungsrechtlich geschützte Positionen des Leistungspflichtigen in Konflikt zu der Vertragspflicht treten. In diesen Fällen stellt sich zunächst die alte und viel diskutierte Frage, wie sich eine Privatrechtsrelevanz grundrechtlicher Wertungen überhaupt begründen lässt;36 außerdem wird im folgenden zu erörtern sein, welche Folgerungen sich für die zivilrechtliche Konfliktlösung aus der jeweiligen Natur des betroffenen Grundrechts ergeben.37 Insbesondere die grundrechtliche Schrankensystematik zeitigt weittragende Auswirkungen auf die Methoden und den Inhalt der zur Ermittlung ideeller Unzumutbarkeit vorzunehmenden Interessenabwägung.

a) Dogmatische Fundierung der Grundrechtswirkung in Privatrechtsbeziehungen Die erste der aufgeworfenen Fragen – die allgemeine Frage nach der Horizontalwirkung der Grundrechte in privatrechtlichen Rechtsbeziehungen – kann hier allenfalls skizziert werden. Zu umfassend war die Diskussion in der Vergangenheit; auch hat sich mittlerweile eine kaum noch bestrittene „herrschen 33

Vgl. oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (c). BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 35 Vgl. unten § 17 II 1 a) bb) und 2 b). 36 Vgl. den ausführlichen Überblick über die Begründungsansätze bei Canaris AcP 184 (1984), 201 ff. 37 Vgl. dazu unten § 9 III 2 b). 34

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de“ Ansicht herausgebildet.38 Dieses hochinteressante Grundproblem unserer Rechtsordnung kann damit als weitgehend geklärt charakterisiert werden.39 Es sollen daher an dieser Stelle nur einige der tragenden Argumente genannt werden, die für die inzwischen weit verbreitete Lehre der mittelbaren Grundrechtswirkung angeführt werden können, da diese Argumente insbesondere auch für die hier zu erörternde Problematik der Konfliktlösung in den Fallgruppen der Rechtsgüter- oder Pflichtenkollision nutzbar gemacht werden können.

aa) Keine unmittelbare Drittwirkung Gegen eine unmittelbare Grundrechtsbindung in Privatrechtsbeziehungen spricht entscheidend, dass die Grundrechte – wie schon für die Fallgruppe der Gewissenskonflikte gezeigt – nach der Konzeption des Grundgesetzes zunächst lediglich die „öffentliche“ Gewalt binden. Auf das Gleichordnungsverhältnis zwischen Privaten sind sie damit schon im Ansatz nicht anwendbar.40 Dieses Argument lässt sich auch nicht mit dem Verweis auf faktische soziale Ungleichgewichte im Privatrecht, etwa zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zwischen Vermieter und Mieter von Wohnraum, entkräften.41 Auch wenn einem Arbeitgeber oder einem Vermieter eine erhebliche soziale Macht zukommt, bleibt er dennoch Privatrechtssubjekt und kann der institutionalisierten öffentlichen Gewalt nicht einfach gleichgestellt werden: Grundrechten wohnt schließlich ihrer gesamten Entstehungs- und Wirkungsgeschichte nach eine  38

Nämlich die Auffassung der „mittelbaren Drittwirkung“ der Grundrechte; vgl. umfassend v.Münch/Kunig-v.Münch Vorbem. vor Art. 1-19 GG Rn. 22 ff.; 28 ff.; weiterhin HbStRBethge § 137 Rn. 18. Demgegenüber für unmittelbare Drittwirkung grundlegend BAGE 1, 185 (193 f.); instruktiv auch Schwabe, Drittwirkung der Grundrechte, S. 9 ff.; Bleckmann DVBl. 1988, 938. 39 Auch sind einzelne Positionen schon in der Darstellung der Fallgruppen von Unzumutbarkeit ausführlich dargestellt worden. Verwiesen sei hier nur auf die Ausführungen Diederichsens [Festschrift Michaelis (1972), S. 36 ff.], der zumindest für die Gewissensfreiheit jegliche zivilrechtliche Horizontalwirkung ablehnt. Demgegenüber vertreten etwa Preuß [ArbuR 1986, 382 ff.] und Mayer [JZ 1985, 1111 ff.; ArbuR 1990, 267 ff.] eine unmittelbare Drittwirkungslehre. Die ganz überwiegende Auffassung (auch des BAG) geht heute von einer mittelbaren Grundrechtswirksamkeit im Privatrecht aus, sofern nämlich die Wertungen des Grundgesetzes über die Generalklauseln der §§ 242, 315 BGB oder aber über den Unmöglichkeitstatbestand des § 275 I BGB a.F. privatrechtliche Wirkungsmacht erlangen sollen; vgl. für diese Lösungen nur Henssler AcP 190 (1990), 538 ff., insbes. 545 f. m.w.N. 40 Bei Gleichordnungsverhältnissen zwischen Privaten werden freilich die Grundrechte – unmittelbar! – in ihrer Schutzgebotsfunktion bedeutsam und verlangen vom Gesetzgeber ein Tätigwerden zum Schutz strukturell unterlegener Privatrechtssubjekte; vgl. sogleich unten § 9 III 2 a) cc) und Canaris AcP 184 (1984), 201 (225 ff.). 41 Vgl. ausführlich und instruktiv Canaris AcP 184 (1984), 201 (203 ff., insbes. 206 f.).

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freiheitserweiternde Funktion zugunsten, nicht aber eine freiheitseinschränkende Funktion zulasten des Bürgers inne.42 Grundrechte erweitern den Handlungsspielraum des Einzelnen – mag er nun „sozial mächtig“ sein oder nicht – gegenüber dem Staat und beschränken zugleich den Handlungsspielraum des Staates gegenüber dem Bürger. Den Grundrechten eine unmittelbar freiheitseinschränkende Wirkung zulasten „sozial mächtiger“ Grundrechtsträger beizumessen, hieße, die Wirkungsintention der Grundrechte in ihr Gegenteil zu verkehren.43

bb) Grundrechtsbindung des Zivilrichters Wenn jedoch das einzelne Privatrechtssubjekt nicht unmittelbar grundrechtsgebunden ist, so gilt dies doch für die Privatrechtslegislative und -judikative: Auch der mit der Entscheidung eines privatrechtlichen Sachverhaltes befasste Richter ist Amtswalter der öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 1 III GG und damit unmittelbar grundrechtsgebunden.44 Gleiches gilt für den Gesetzgeber, der ein Gesetz mit privatrechtlichem Regelungsinhalt erlässt.45 Daraus ergibt sich zwingend, dass auch für die richterliche Gesetzesauslegung im Privatrecht die Grundrechte unmittelbar bindender Maßstab sind. Der schon mehrfach beispielhaft angeführte Richter, der in einem Gewissenskonflikt die Gewissensfreiheit des Arbeitnehmers in Abwägung mit dem bloßen Interesse des Arbeitgebers an einer ordnungsgemäßen Vertragserfüllung bringt, missachtet den „unverletzlichen“ Charakter der Gewissensfreiheit und verstößt damit – unmittelbar – gegen Art. 4 I GG. Auch der Richter, der einen Arbeitnehmer zur Leistung verurteilt, obwohl dieser einer grundgesetzlichen Pflicht zur Betreuung seines schwer erkrankten Kindes nachkommt, verkennt die wertsetzende Entscheidung von Art. 6 II 1 GG und urteilt damit verfassungswidrig. Anders gesagt: Jede richterliche Gesetzesauslegung muss verfassungskonforme Auslegung sein;46 dies wird umso bedeutsamer, je intensiver der richter 42

Grundlegend Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 87, 94 ff. Mit dieser Tendenz jedoch die frühere Rspr., vgl. BGH FamRZ 1963, 168 sowie ein Großteil des älteren Schrifttums; vgl. Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 285 ff.; Ramm, Freiheit der Willensbildung, S. 51 ff. 43

44 Vgl. zu diesem Begründungsansatz nur Maunz/Dürig-Di Fabio Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 106 ff.; Hager JZ 1994, 373 (374). 45 Stern, Staatsrecht III/1, § 76 I 2, § 76 IV 3; Hager JZ 1994, 373 (374); Krause JZ 1984, 656 (657, 659 f.). 46 Die Auslegung jeder Privatrechtsnorm muss an den verfassungsrechtlichen Vorgaben orientiert sein; vgl. Maunz/Dürig-Di Fabio Art. 2 Abs. 1 Rn. 109; Stern, Staatsrecht III/1, § 76 IV 7 c); Hager JZ 1994, 373 (381 ff.); Rüfner, Gedächtnisschrift Martens (1987), S. 215

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liche Auslegungsvorgang ist. Bei Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen erreicht daher die Bedeutung der Grundrechte im Privatrecht allein deswegen eine besondere Relevanz, weil hier die richterliche Gesetzesauslegung und -anwendung in besonderem Maße gefordert ist. Je unbestimmter eine Norm gehalten ist, desto erforderlicher und bedeutsamer ist die richterliche Gesetzesauslegung bis hin zur richterlichen Rechtsfortbildung. Ihren Grund findet diese Feststellung darin, dass bei unbestimmten Tatbeständen der Gesetzgeber einen Teil seiner Rechtssetzungskompetenz auf die hoheitlichen Anwender des geschriebenen Rechts delegiert und ihnen einen weiten Raum für Auslegung und Rechtsfortbildung belässt.47 Unterliegt bei einem exakt umrissenen und bestimmten Tatbestand schon die legislative Tätigkeit einer intensiven verfassungsrechtlichen Kontrolle, so findet bei unbestimmten, generalklauselartigen Tatbeständen diese verfassungsrechtliche Kontrolle notwendig auf der Ebene der hoheitlichen, also insbesondere richterlichen Rechtsanwendung statt, auf die der Gesetzgeber einen Teil seiner Normsetzungskompetenz durch die unbestimmte Normfassung delegiert hat.48 Wenn also die Generalklauseln des Privatrechts allgemein als „Einfallstore“ grundrechtlicher Wertungen verstanden werden,49 kann diese richtige Aussage dahingehend umformuliert und präzisiert werden, dass die Auslegung und Anwendung von Generalklauseln in hohem Maße ein richterliches, rechtsgestaltendes Tätigwerden verlangt, dem durch normative, einfachgesetzliche Vorgaben nur ein grober Rahmen gesetzt ist. Aus diesem Grunde hat der hier in seiner Rechtsanwendung einfachrechtlich weitgehend ungebundene Richter verfassungsrechtliche Vorgaben besonders zu beachten; aus diesem Grunde sind Generalklauseln in besonderem Maße „Einfallstore“ für grundrechtliche Wertungen; und aus diesem Grunde kann und muss eine besonders intensive verfassungsrechtliche Kontrolle immer dort eingreifen, wo der Richter privatrechtli-

 (225 f.). Teilweise wird ausdrücklich auf die enge Verwandtschaft zwischen der Drittwirkungsproblematik und der verfassungskonformen Auslegung hingewiesen, vgl. Jarass/Pieroth-Jarass Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 15a; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 77, 180. 47 Vgl. nur Preis ZG 1988, 319 (325); Henkel, Festschrift Mezger (1954), S. 249 (303 f.). Insoweit erscheinen Generalklauseln – und zumal der äußerst unbestimmte Begriff der „Unzumutbarkeit“ – in der Tat als „Gegenspieler des strengen Rechts“ (Esser, summum ius summa iniuria, S. 23 f.). 48 Vgl. BVerfG AP Art. 12 GG Nr. 95; Hubmann, Wertung und Abwägung, S. 51 ff.; Preis, Individualarbeitsrecht, S. 128. 49 Vgl. BVerfGE 7, 198 (205 f.): „Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung empfangen von ihm [dem Verfassungsrecht] Richtlinien und Impulse. So beeinflusst es selbstverständlich auch das bürgerliche Recht; keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift darf in Widerspruch zu ihm stehen; jede muss in seinem Geiste ausgelegt werden.“

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che Streitigkeiten durch Anwendung und Auslegung von unbestimmten, generalklauselartigen Tatbeständen entscheidet.50 Da somit der intensivierte verfassungsrechtliche Kontrollmaßstab hinsichtlich der Anwendung und Auslegung von Generalklauseln sich aus der partiellen Übertragung legislativer Gestaltungskompetenzen auf den rechtsanwendenden Richter begründet, können Dichte und Inhalt der Kontrolle anhand verfassungsrechtlicher Maßstäbe weder abgemildert noch durch den privatrechtlichen Kontext modifiziert werden.51 Wie jedes hoheitliche Tätigwerden unterliegt auch die gestalterische Auslegung privatrechtlicher Normen durch den Richter einer uneingeschränkten Grundrechtsbindung.52 Nichts anderes als diese verfassungsrechtliche Kontrolle der richterlichen Anwendung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen ist gemeint, wenn von einer „mittelbaren“ Horizontalwirkung der Grundrechte in Privatrechtsbeziehungen gesprochen wird.53

cc) Schutzgebotsfunktion der Grundrechte Neben diesem durchgreifenden Argument der Grundrechtsbindung der Privatrechtslegislative und -judikative, das praktisch unabweisbar für eine „mittelbare“ Grundrechtswirkung im Privatrecht spricht, muss allenfalls ergänzend auf andere Gesichtspunkte der Problematik verwiesen werden: Richtig ist etwa, dass auch die Schutzgebotsfunktion der Grundrechte für ihre privatrechtliche Wirksamkeit geltend gemacht werden kann:54 Weitgehend anerkannt ist mittlerweile, dass Grundrechten nicht nur eine Abwehrfunktion gegenüber dem Staat zukommt, sondern dass sie vielmehr den Staat verpflichten, zum Schutz der grundrechtlich geschützten Güter und Werte  50 Hager [JZ 1994, 373 (375 f.)] weist demnach zutreffend darauf hin, dass den zivilrechtlichen Generalklauseln keine eigenständige, grundrechtsmodifizierende Bedeutung zukommt: „Die in der Hierarchie niedere Norm kann nicht die Verfassung modifizieren.“ Vielmehr wird durch die „offene“ Formulierung der Generalklauseln und das Belassen von starken Auslegungsspielräumen die legislative Gestaltungskompetenz ein Stück weit auf den Rechtsanwender übertragen. Damit unterliegt dieses richterliche, hoheitliche Tätigwerden der originären Verfassungsmäßigkeitskontrolle, ohne dass sich durch den privatrechtlichen Kontext etwa eine Änderung des Prüfungsmaßstabes ergäbe. 51

Vgl. Hager JZ 1994, 373 (376). BVerfGE 52, 203 (207): „Im gerichtlichen Verfahren tritt der Richter den Verfahrensbeteiligten formell und in unmittelbarer Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Er ist daher nach Art. 1 III bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet.“ 53 Vgl. BVerfGE 81, 242 (253); Hager JZ 1994, 373 (377); Canaris Anm. zu BVerfG AP Art. 12 GG Nr. 65. 54 BVerfGE 81, 242 (255); BVerfGE 92, 26 (46); Hager JZ 1994, 373 (378) m.w.N. 52

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tätig zu werden.55 Dies geschieht im Allgemeinen durch ein legislatives Tätigwerden. So schützt der Gesetzgeber das Lebensrecht des Einzelnen unter anderem durch die Strafnormen der §§ 211 ff. StGB. Im privatrechtlichen Kontext hält sich die Legislative mit Blick auf die Vielgestaltigkeit denkbarer Konstellationen und in Anerkennung der Privatautonomie mit detaillierten Schutznormen weitgehend zurück und delegiert die Erfüllung des grundrechtlichen Schutzauftrages wiederum an die richterliche Rechtsanwendung und -auslegung.56 Einen expliziten Schutz der Gewissensfreiheit, des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes oder der Menschenwürde wird man im Bürgerlichen Gesetzbuch vergebens suchen. Hier ist es Aufgabe des hoheitlichen Rechtsanwenders, durch verfassungskonforme Gesetzesauslegung dem grundrechtlichen Schutzgebot gerecht zu werden. Es ist dieses grundrechtliche Schutzgebot, das es erfordert, das allgemeine Persönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ i.S.d. § 823 I BGB einzuordnen.57 Ebenso verlangt das grundrechtliche Schutzgebot, Fälle der grundrechtlich geschützten Personensorge unter § 275 III BGB oder Gewissenskonflikte am Arbeitsplatz unter § 242 BGB einzuordnen. Anders gesagt: Im Privatrecht statuiert nicht in allen Fällen schon der Gesetzgeber Normen zur Umsetzung grundrechtlicher Schutzaufträge, sondern delegiert die Erfüllung der Schutzgebote durch die Verwendung von Generalklauseln. Auch mit der Schutzgebotsfunktion der Grundrechte lässt sich somit eine starke verfassungsrechtliche Durchdringung von privatrechtlichen Konflikten begründen – mittelbare Drittwirkung! Die Schutzgebotsfunktion wird vor allem in Schuldverhältnissen bedeutsam, die durch eine strukturell gestörte Vertragsparität gekennzeichnet sind, insbesondere also im Arbeitsverhältnis.58 Hier wirkt sie nicht nur zugunsten der jeweils betroffenen grundrechtlichen Schutzbereiche, sondern zugleich zugunsten der Privatautonomie: Die Schutzpflicht des Staates erstreckt sich ebenfalls darauf, die Vertragsfreiheit der strukturell unterlegenen Vertragspartei zu schützen und sie vor einer Fremdbestimmung durch die überlegene Vertragspartei in verfassungskonformer Weise zu schützen.59 Die scheinbare Antinomie  55

Zur Schutzgebotsfunktion der Grundrechte allgemein BVerfGE 39, 1 (42); BVerfGE 81, 242 (255); BVerfGE 88, 203 (251 ff.); BVerfGE 92, 26 (46). 56 Vgl. oben § 9 III 2 a) bb). 57 Vgl. BGH NJW 2000, 2195 – „Marlene Dietrich“; ebenso MünchKomm-Rixecker Anh. zu § 12 Rn. 3. 58 Auch dies ist ein Grund, weshalb die Frage der Unzumutbarkeit als besondere Delegation des grundrechtlichen Schutzauftrages besonders im Arbeitsrecht relevant wird, vgl. Henssler AcP 190 (1990), 538 (539). 59 Grundlegend BVerfGE 89, 214 (229); ebenso BVerfGE 85, 191 (213); BVerfGE 97, 169 (176 ff.); BVerfG NJW 1994, 2749 f.; BVerfG NJW 1996, 2021; vgl. auch in der Lit. Maunz/Dürig-Di Fabio Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 107, 109; Preis, Vertragsgestaltung, S. 40 ff.; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 52 ff.; Röthel NJW 2001, 1334 f.

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zwischen privatrechtlicher Grundrechtsgeltung und Privatautonomie löst sich also bei näherer Betrachtung auf, wenn man bedenkt, dass Privatautonomie idealtypisch ein soziales Gleichgewicht ihrer Träger voraussetzt.60 Ist dieses Gleichgewicht gestört, so ist schon zum Schutze des privatautonomen Handelns eine staatliche Einflussnahme geboten. Der Schutzauftrag ergibt sich hier unmittelbar aus der in Art. 2 I GG verbürgten grundsätzlichen Gewährleistung freien privatautonomen Handelns.61

dd) Folgerungen Damit wurden zwei tragende Ansätze zur Begründung einer mittelbaren Horizontalwirkung der Grundrechte im Privatrecht skizziert. Beide Ansätze begründen insbesondere, weshalb gerade unbestimmte Tatbestände und Generalklauseln gemeinhin als „Einfallstore“ grundrechtlicher Wertungen aufgefasst werden.62 Zugleich entkräften sie die bis in jüngste Zeit vorgetragene Kritik an einer privatrechtlichen Wirkdimension der Grundrechte.63 Im hier interessierenden Kontext der privatrechtlichen Lösung von Rechtsgüter- und Pflichtenkollisionen hat das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz durch  60 Vgl. Habscheid JZ 1964, 246 (248): Privatautonomie sei bei einseitig vorgegebenen Vertragsbedingungen inhaltlich eine „rein formale Hülse“; vgl. auch Geiger, Grundrechte in der Privatrechtsordnung, S. 16; Flume, Festschrift Juristentag (1960), S. 135 ff. 61 Vgl. ausführlich zur – restriktiven – Konkretisierung des Schutzbereiches oben § 3 II 2 c) (1.) (a) (ee) sowie allgemein zur Problematik Maunz/Dürig-Di Fabio Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 107, 109; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 49 f.; Paulus/Zenker JuS 2001, 1 (5). 62

Vgl. BVerfGE 73, 261 (269); BVerfGE 7, 198 (205 f.). Vgl. – gegen eine Anerkennung der Gewissensfreiheit als Leistungshindernis – Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 ff.; ders. – sogar eine Grundrechtsbindung der Zivilrechtslegislative ablehnend – in: Starck, Rangordnung der Gesetze, S. 39. Ihm folgt insbes. Zöllner AcP 196 (1996), 1 ff., der die Bürgschaftsentscheidung des BVerfG (BVerfGE 89, 214) zum Anlass nimmt, jedenfalls der grundrechtlichen Inhaltskontrolle von Verträgen eine generelle Absage zu erteilen. Seiner Ansicht nach schränkt die Anerkennung einer umfassenden privatrechtlichen Grundrechtswirkung die Privatautonomie über Gebühr ein. Jede „Begrenzung der Vertragsfreiheit durch die Grundrechte“ bringe das herrschende Gesellschaftsmodell einer „Privatrechtsgesellschaft“ ins Wanken (a.a.O., S. 3). Die Grundrechte sollen lediglich als „Wertungsprinzipien“ bei der Auslegung herangezogen werden (a.a.O., S. 9); eine auch nur mittelbare Grundrechtswirkung im Privatrecht lehnt Zöllner ab. Dies mag angesichts der besonderen Problematik der kritisierten Entscheidung gar nicht unvertretbar sein; übertragen auf die hier interessierenden „Unzumutbarkeits“-Konstellationen stößt die ablehnende Haltung Zöllners jedoch schnell an Grenzen: So vermag sie zumindest nicht zu erklären, wie sich die Ablehnung einer Grundrechtswirkung im Privatrecht mit der Grundrechtsbindung des Zivilrichters verträgt, wenn vorbehaltlose oder gar unverzichtbare Grundrechte wie die Menschenwürde betroffen sind. In grundrechtsdogmatischer Hinsicht beifallswürdig daher die zustimmenden Stellungnahmen von Wiedemann JZ 1994, 411 und Dieterich RdA 1995, 129 (131) zu der genannten Entscheidung. 63

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die Einfügung von § 275 III BGB zwar eine gewisse legislative Präzisierung der bisher in §§ 275 I a.F., 242 oder 315 I BGB verorteten Problematik bewirkt. Der Gesetzgeber hat jedoch mit § 275 III BGB wiederum einen äußerst unbestimmten Tatbestand geschaffen. Die Norm trägt damit zwar dem grundrechtlichen Schutzauftrag ein Stück weit Rechnung, indem sie die Problematik der ideellen Unzumutbarkeit für den Bereich persönlicher Leistungspflichten erstmals umfassend benennt und damit legislativ anerkennt. Durch ihre unbestimmte und generalklauselartige Formulierung belässt die Norm der Rechtspraxis jedoch einen extrem weiten Auslegungsspielraum.64 Wie die Kernbegriffe der „Unzumutbarkeit“ und der „Interessenabwägung“ inhaltlich zu füllen sind, muss die Rechtspraxis gestalterisch entscheiden. Damit bleibt eine originär legislative Gestaltungsaufgabe auch jetzt an den hoheitlichen Rechtsanwender delegiert. Die Offenheit des Tatbestandes zeigt sich schon an den aufbrechenden Streitigkeiten, welche Fallgruppen der neu geschaffenen Norm überhaupt unterfallen sollen.65 Der grundrechtliche Schutzauftrag kann damit auch nach Inkrafttreten des § 275 III BGB nur im Wege einer verfassungskonformen Auslegung und Anwendung des unbestimmten einfachen Gesetzesrechtes durch den Richter erfüllt werden. Damit bleibt es auch nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes bei einer unvermindert deutlichen grundrechtlichen Durchdringung der Thematik und einer hier besonders augenfällig werdenden „mittelbaren“ Horizontalwirkung der Grundrechte. b) Strukturierung kollidierender Verfassungsgüter und Konsequenzen für die Lösung des Konflikts Zu klären bleibt damit die Frage, wie sich das unterschiedliche Schutzniveau, das grundrechtlich geschützten Gütern infolge der bekannten Schrankensystematik zukommt, im privatrechtlichen Kontext auswirkt. Die Frage lässt sich dahingehend konkretisieren, ob im Rahmen der Feststellung von „Unzumutbarkeit“ bei vorbehaltlos geschützten Grundrechten wie der Gewissensfreiheit oder Menschenwürde andere – enger einzugrenzende – Abwägungsvorgänge zulässig sind als bei Grundrechtspositionen, die durch die Verfassung einem Gesetzesvorbehalt unterworfen sind. Der Beantwortung dieser Frage kommt ent 64 Nicht ohne Grund wird der Begriff der „Unzumutbarkeit“ daher generell skeptisch beurteilt: Vgl. beispielhaft Henkel, Festschrift Mezger (1954), S. 249 (304) („leere Hülse“); Bley, Festschrift Wannagat (1981), S. 21 („Blankettbegriff“); Frey JZ 1955, 106 (108) („Zauberformel“). Im Ergebnis bietet sich einzig eine Konkretisierung durch Wertungen des höherrangigen Rechts an; vgl. dazu die folgenden Ausführungen. 65

Insbes. ist streitig, ob Fälle der Krankheit sowie Gewissenskonflikte hierunter fallen; vgl. ausführlich oben § 3 III und IV sowie § 7 III.

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

scheidende Bedeutung für die Konkretisierung der in die Interessenabwägung einzubeziehenden Faktoren zu.

aa) Gleichrangigkeit der Verfassungsgüter als Voraussetzung der Kollision? Teilweise wird vertreten, man müsse die kollidierenden Rechtspositionen nach ihrer Schutzintensität, insbesondere nach ihrer Schrankensystematik einteilen; nur bei rangähnlichen Rechtspositionen läge überhaupt eine lösungsbedürftige Kollision vor.66 Andernfalls müsse sich das stärker geschützte Grundrecht in jedem Fall durchsetzen. Die Auffassung verkennt, dass selbst vorbehaltlos geschützte Grundrechte an anderen Verfassungsgütern – durchaus auch solchen mit Gesetzesvorbehalt – ihre Grenzen finden und hier lösungsbedürftige Konflikte auftreten können. Eine klare Rangfolge oder Normhierarchie von Grundrechten, die sich an der Schrankensystematik festmachen ließe, ist somit nicht anzuerkennen.67 Darüber hinaus können – wie gerade der Konflikt zwischen Grundrechtspositionen und der im Grundsatz einfachrechtlichen Arbeitspflicht anschaulich zeigt – auch zu bloß einfachrechtlich geschützten Rechtspositionen Konflikte entstehen. Die Frage nach der Schutzintensität besagt damit noch nichts über die Möglichkeit eines Konfliktes, sondern erlaubt allenfalls Aussagen über seine verfassungsrechtlich gebotene Lösung. Was jedoch an der skizzierten Auffassung zutreffend erscheint, ist der Umstand, dass die Schrankensystematik zwangsläufig intensive Rückwirkungen auf die Lösung der Rechtsgüterkollision entfalten muss. Richtig verstanden erscheint die Schrankensystematik daher nicht als Ansatzpunkt für die Feststellung, ob ein Konflikt entstanden ist, sondern vielmehr für die Folgefrage nach der Lösung des entstandenen Konfliktes. Hier zeigt sich, dass Grundrechtspositionen, die einem Gesetzesvorbehalt unterworfen sind, im Ansatzpunkt einer Einschränkung durch einfaches Gesetzesrecht nicht schlechthin verschlossen sind, während vorbehaltlos gewährleistete Positionen ausschließlich durch

 66

Fehn JA 1987, 12 (15 f.). Vgl. nur BK-Evers Art. 79 GG Rn. 90. Freilich verweist Jarass zutreffend darauf, dass bei der Lösung von Grundrechtskollisionen das unterschiedliche Gewährleistungsniveau von vorbehaltlosen und gesetzesvorbehaltlichen Grundrechten nicht eingeebnet werden darf (Jarass/Pieroth-Jarass Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 45). Dieser Ansatz führt jedoch nicht dazu, dass sich die vorbehaltlos gegenüber der gesetzvorbehaltlich gewährleisteten Grundrechtsposition absolut durchsetzt. Dem unterschiedlichen Gewährleistungsgrad ist Bedeutung hingegen für das Resultat der vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung beizumessen, vgl. dazu unten § 9 III b) bb) und cc). 67

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kollidierendes Verfassungsrecht begrenzt werden können.68 Wie sich die Schrankensystematik der betroffenen Grundrechte auf die Lösung der Kollision im einzelnen auswirkt, wird daher im Folgenden darzustellen sein.

bb) Die Konfliktlösung bei Grundrechten mit Gesetzesvorbehalt Vergleichsweise geringe Probleme bereiten jene Fälle, in denen dem Leistungsschuldner eine Grundrechtsposition zur Seite steht, welche die Möglichkeit der einfachgesetzlichen Einschränkung vorsieht, die betroffene Grundsrechtsposition des Leistungsschuldners also unter einem einfachen oder qualifizierten Gesetzesvorbehalt steht. Zu denken ist hier vor allem an Konstellationen, in denen die Grundrechte des Art. 2 GG betroffen sind.69 Unterliegt die Grundrechtsposition, auf die sich der Schuldner zur Begründung von Unzumutbarkeit beruft, einem Gesetzesvorbehalt, so stellen die verfassungsmäßigen Normen des bürgerlichen Rechts Eingriffsgrundlagen dar, die den Zivilrichter ermächtigen, in die entsprechenden grundrechtlichen Positionen in verfassungsmäßiger Weise einzugreifen.70 Damit ist zugleich festgestellt, dass in diesen Fällen auch nur einfachrechtlich geschützte Rechtspositionen des Leistungsgläubigers potentiell geeignet sind, die Grundrechtsposition des Leistungsschuldners zu beschneiden. Der Zivilrichter darf in diesen Fällen ohne weiteres eine Norm des Zivilrechts zur Grundlage eines Urteils machen, das in die – nur vorbehaltlich gewährleistete – Grundrechtsposition des Schuldners eingreift. Zu diesem Grundrechtseingriff durch das zivilrichterliche Urteil kommt es, wenn der Richter dem Leistungsinteresse des Gläubigers den Vorrang gegenüber dem grundrechtlich geschützten Gegeninteresse des Schuldners beimisst und ihm infolgedessen ein Leistungsverweigerungsrecht verweigert. Eingriffsgrundlagen sind somit – im Zusammenwirken mit der privatautonomen Selbstbindung der Parteien – all jene Normen des Zivilrechts, welche die Bindung der Vertragsparteien an einen geschlossenen Vertrag zum Ausdruck bringen. In diesen Fällen ist der Ausgleich beider Positionen an den Maßstäben zu messen, denen jeder Eingriff in Grundrechtspositionen mit Gesetzesvorbehalt unterliegt: Die einfachrechtliche Eingriffsgrundlage muss formell und materiell verfassungsgemäß sein; dies erscheint bei den hergebrachten Normen des BGB  68 Vgl. nur BVerfGE 28, 243 (261); BVerfGE 67, 213 (228); BVerfGE 83, 130 (138); BVerfGE 84, 212 (228); v.Mangoldt/Klein-Starck Art. 1 GG Rn. 240; v.Münch/Kunigv.Münch Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 57. 69 70

Vgl. etwa oben § 6 II 3 a) bb) (1.), § 7 II 3 und § 8 I 3. Vgl. zum richterlichen Grundrechtseingriff Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 126 ff.

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

in aller Regel unbedenklich. Was bleibt, ist die verfassungsrechtliche Kontrolle des konkreten, richterlichen Eingriffsvorgangs, letztlich also eine Verhältnismäßigkeitskontrolle der richterlichen Interessenabwägung im Hinblick auf die beteiligten Interessen und Rechtspositionen:71 Der Grundrechtseingriff muss einem legitimen Zweck dienen; dieser liegt in der Durchsetzung der vertraglichen Selbstbindung. Zur Verwirklichung dieses Zwecks ist in der typischen Konfliktsituation der Grundrechtseingriff durch Versagung des Leistungsverweigerungsrechts ohne weiteres geeignet. Im Rahmen der Erforderlichkeit des Grundrechtseingriffs72 kann der Vorrang milderer Mittel verfassungsrechtlich verortet werden, der einfachrechtlich – meist ohne nähere Begründung – allgemein anerkannt ist.73 Demnach ist der richterliche Eingriff in die grundrechtlich geschützte Position des Schuldners nur dann erforderlich und damit verfassungskonform, wenn die vertragliche Bindung nicht durch ein milderes Mittel als durch die Versagung des Leistungsverweigerungsrechts zur Entfaltung gebracht werden kann. Ist etwa bei Leistungshindernissen im Arbeitsverhältnis eine betriebliche Umorganisation zur Vermeidung des Konfliktes möglich, erfordert schon diese verfassungsrechtliche Verankerung der Problematik den Vorrang der betrieblichen Umorganisation vor der Radikallösung, dem Schuldner die Zuerkennung des Leistungsverweigerungsrechts zu versagen. Im Kern der anzustellenden Untersuchungen wird freilich die Angemessenheit des richterlichen Grundrechtseingriffs stehen. Zu prüfen ist also, ob der Eingriff, der mit einer Verurteilung des Schuldners zur Leistung einhergeht, angesichts der einfachrechtlich geschützten Position des Gläubigers im engeren Sinne verhältnismäßig erscheint.74 Dabei ist zum einen die starke – grundrechtlich geschützte – Stellung des Leistungsschuldners zu bedenken. Andererseits ist jedoch auch die Vertragsposition des Gläubigers umfassend zu würdigen, die durch die Statuierung eines Gesetzesvorbehalts hier durchaus in Abwägung mit der Grundrechtsposition des Leistungsschuldners gebracht werden kann. An dieser Stelle können also Kriterien wie das Interesse an einem geregelten Betriebsablauf oder wirtschaftliche Nachteile infolge der Leistungsverweige-

 71 Vgl. allgemein zum Inhalt des Verhältnismäßigkeitsprinzips: BVerfGE 65, 1 (54); BVerfGE 70, 278 (286); Maunz/Dürig-Herzog Art. 20 GG VII Rn. 73 ff. 72 BVerfGE 53, 135 (145 f.); BVerfGE 68, 193 (219). 73 Vgl. nur BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27. Hier wird die Möglichkeit einer betrieblichen Umorganisation durch Vergabe der Tätigkeit an andere Beschäftigte im Rahmen der „betrieblichen Erfordernisse“ in der Interessenabwägung ausdrücklich für relevant gehalten. Insoweit zustimmend die überwiegende Lit.; vgl. oben § 3 I 6. 74 Stern, Staatsrecht III/2, § 84 II 4.

§ 9 Unzumutbarkeit und Interessenabwägung

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rung zugunsten des Leistungsgläubigers umfassend berücksichtigt werden.75 Gerade diese Sichtweise trägt der besonderen Charakteristik jener Fälle Rechnung, in denen nur gesetzesvorbehaltlich gewährleistete Grundrechtspositionen des Leistungsschuldners mit einfachrechtlichen Positionen des Leistungsgläubigers kollidieren.

cc) Die Konfliktlösung bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten In der Mehrzahl der Fallgruppen sind jedoch Grundrechtspositionen des Leistungsschuldners betroffen, die durch die Verfassung vorbehaltlosen Schutz erfahren. Beispielhaft genannt seien die „unverletzliche“ Gewissensfreiheit,76 die „unantastbare“ Menschenwürde77 oder auch die vorbehaltlose Gewährleistung der elterlichen Sorge.78 All diesen Grundrechtspositionen ist gemeinsam, dass sie durch das einfache Gesetzesrecht nicht eingeschränkt werden können. Eine einfachrechtliche Norm oder – hier relevanter – die Auslegung einer einfachrechtlichen Norm, welche die Wirksamkeit eines derartigen Grundrechtes beschneidet oder in den Schutzbereich eingreift, wäre verfassungswidrig.79 Es muss also bei Betroffenheit derartiger Grundrechte zunächst versucht werden, die einfachrechtliche Norm verfassungskonform so auszulegen, dass der Schutzbereich des Grundrechtes unberührt bleibt.80 Lässt die einfachrechtliche Norm hierfür keine Möglichkeit – etwa, weil eine eindeutige Regelungsintention gerade die Einschränkung des Grundrechtes bezweckt –, so ist die einfachrechtliche Norm verfassungswidrig. Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechtspositionen können demnach lediglich durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang eingeschränkt werden. Ist eine Kollision mit anderen Verfassungsgütern feststellbar, so muss der Konflikt  75 Insoweit zutreffend die vom BAG entwickelten Kriterien; vgl. BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 76

Vgl. näher oben § 3. Zur Problematik Kohte NZA 1989, 161 ff.; Otto, Personale Freiheit, S. 108 ff. m.w.N. 77 Diese wird vor allem in der Fallgruppe der Einberufung zum ausländischen Wehrdienst relevant; vgl. oben § 6 II 3 a) bb) (2.). Zu weiteren Fallgruppen vgl. beispielhaft oben § 8 I 1. 78 Vgl. oben § 5 I 1. 79 Maunz/Dürig-Herzog Art. 20 GG VI Rn. 12. 80 BVerfGE 2, 266 (282); BVerfGE 69, 1 (55); BVerfGE 88, 145 (166): „Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen jedenfalls eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten.“

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

im Wege praktischer Konkordanz gelöst und beide Positionen zu größtmöglicher Entfaltung gebracht werden.81 Auf die hier interessierenden Rechtsgüter- und Pflichtenkollisionen im Privatrecht gewendet bedeutet dies, dass bei Betroffenheit vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte auf Seiten des Leistungsschuldners Rechte des Gläubigers nur dann Gegenstand der Interessenabwägung zur Feststellung von „Unzumutbarkeit“ der Leistungserbringung werden dürfen, wenn diese ihrerseits Ausprägungen von Verfassungsgütern darstellen. Nur dann ist die vorbehaltlos gewährleistete Rechtsposition des Schuldners überhaupt einer Interessenabwägung zugänglich. Gegenüber ausschließlich einfachrechtlich geschützten Rechtsgütern und Interessen des Gläubigers muss sich die vorbehaltlose Grundrechtsposition des Schuldners zweifellos durchsetzen, ohne dass eine – wie auch immer geartete – Interessenabwägung möglich oder geboten erschiene. Anders gesagt trifft in diesen Fällen schon die Verfassung eine abstraktnormative, generalisierende, wertsetzende Interessenabwägung dahingehend, dass diese besonders schutzwürdigen Rechtsgüter vorbehaltlos gewährleistet sind und folglich unbedingten Vorrang gegenüber jeder Position des einfachen Rechts genießen.82 Einer individuell-konkreten Interessenabwägung bedarf es angesichts dieser Wertentscheidung der Verfassung dann nicht mehr. Jede andere Sichtweise würde dem Privatrecht eine grundrechts- und verfassungsmodifizierende Kraft beimessen, die ihm nicht zukommen kann.83

 81 Zum Inhalt und Begriff der praktischen Konkordanz vgl. umfassend Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 317 ff.; desweiteren BVerfGE 35, 202 (225); BVerfGE 39, 1 (43); BVerfGE 59, 231 (261 ff.); BVerfGE 67, 213 (228); v.Münch/Kunig-v.Münch Vorbem. vor Art. 1-19 GG Rn. 47; AK-GG-Denninger Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 45 f.; Stern, Staatsrecht I, § 4 III 8 b). Im hier interessierenden Zusammenhang brachte Bydlinski [SAE 1991, 6 (7)] den Gedanken der praktischen Konkordanz in die Diskussion ein; er möchte den „farblosen“ Begriff der Interessenabwägung bei Leistungsverweigerung hierdurch ersetzen und konkretisieren. Weiterhin explizit auf die Notwendigkeit praktischer Konkordanz im arbeitsrechtlichen Rahmen verweisen Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; jüngst LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2 m.w.N. 82 Im Ergebnis ebenso – wenngleich mit anderer Begründung – Preuß ArbuR 1986, 382 (384). 83 Konsequent füllt denn auch das BVerfG „offene“ Tatbestände des einfachen Zivilrechts durch grundrechtliche Wertentscheidung aus; vgl. nur für § 823 I BGB BVerfGE 66, 116 (132); vgl. im übrigen Hager JZ 1994, 373 (376), der zutreffend darauf hinweist, dass schon die Normhierarchie jedwede Modifikation verfassungsrechtlicher Vorgaben im einfachzivilrechtlichen Kontext ausschließt.

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(1) Konflikt zu einfachrechtlichen Rechtspositionen – unbedingter Vorrang Mit diesen Überlegungen steht zugleich fest, dass viele der zum alten Schuldrecht vertretenen Konzeptionen im Hinblick auf die hier zu betrachtenden Fallgruppen den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht vollständig gerecht wurden. Das BAG hat beispielsweise mehrfach judiziert, dass bei Gewissenskonflikten der Arbeitnehmer nur dann zur Leistungsverweigerung berechtigt sei, wenn eine Interessenabwägung mit den gegenläufigen Interessen des Arbeitgebers ein Überwiegen des Arbeitnehmerinteresses an der Leistungsverweigerung ergebe.84 Diese Interessenabwägung konkretisiert das BAG durch drei Kriterien: die Vorhersehbarkeit des Gewissenskonfliktes, die Prognose weiterer Gewissenskonflikte und die unabwendbaren betrieblichen Negativfolgen der Leistungsverweigerung.85 Alle drei Kriterien sollen zulasten des Arbeitnehmers in die Interessenabwägung einfließen. Damit bringt das BAG jedoch die „unverletzliche“ Gewissensfreiheit in Abwägung mit bloß einfachrechtlichen Interessen des Arbeitnehmers: Sowohl die Vorhersehbarkeit des Konfliktes als auch die Prognose weiterer Gewissenskonflikte betreffen zunächst ausschließlich das einfachrechtliche Vertragsdurchführungsinteresse des Arbeitgebers. Dieses wird mit der Anerkennung der genannten Abwägungskriterien als relevante Gegenposition zur Gewissensfreiheit des Arbeitnehmers ins Feld geführt. Dem Interesse des Arbeitgebers an der Vertragsdurchführung soll nach der Konzeption des BAG also eine die Gewissensfreiheit verdrängende Bedeutung zukommen können. Folglich unterwirft das BAG die Gewissensfreiheit des Grundgesetzes faktisch einem Gesetzesvorbehalt: Die einfachrechtliche Vertragsbindung wird als Legitimation zum Eingriff in vorbehaltlos gewährleistete Grundrechtspositionen nutzbar gemacht. Damit modifiziert das einfache Zivilrecht maßgebliche Wertentscheidungen der Verfassung. Die dargestellte Auslegung lässt somit die generalisierende, wertsetzende Interessenabwägung durch das Grundgesetz außer Acht. Dies gilt jedenfalls, sofern der Arbeitnehmer sich für seine Leistungsverweigerung auf vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte berufen kann.86 Das dritte Kriterium schließlich, die negativen Auswirkungen der Leistungsverweigerung auf den Betriebsablauf, kann den verfassungsrechtlichen Vorga 84 BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 85 BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27. 86 Demgegenüber erscheinen zumindest die Kriterien der Beeinträchtigung des Betriebsablaufes und der Vorhersehbarkeit des Konfliktes im rein einfachrechtlichen Kontext durchaus angebracht; vgl. unten § 9 III 3 a) vgl. zur Bedeutung der positiven Vorhersicht des Konfliktes unten § 9 III 5.

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

ben standhalten, wenn man es in dem Sinne einschränkend versteht, dass der Betriebsablauf derart stark gestört sein muss, dass entweder die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers betroffen ist oder andere Rechtsgüter von Verfassungsrang, etwa sein Eigentum, als Gegenpositionen zur Gewissensfreiheit des Arbeitnehmers in Betracht kommen. Zu denken ist hier etwa an jene Konstellationen, in denen durch das Fehlen des Arbeitnehmers Produktionsabläufe so nachhaltig und intensiv gestört werden, dass Schäden an Maschinen oder Produkten auftreten. Die unternehmerische Freiheit kann betroffen sein, wenn durch die Leistungsverweigerung das unternehmerische Konzept derart stark betroffen ist, dass der Arbeitgeber schon in seiner grundlegenden Freiheit zum unternehmerischen Handeln eingeschränkt wird, ihm also durch die Leistungsverweigerung des konkreten Arbeitnehmers für einen bestimmten Zeitraum die generelle Möglichkeit unternehmerischer Betätigung genommen wird – etwa, weil er zur Aufrechterhaltung seines Betriebes auf Spezialkenntnisse des Arbeitnehmers angewiesen ist und dieser nicht kurzfristig ersetzt werden kann.87 Das BAG freilich fasst dieses Kriterium deutlich weiter und will jede bloße Belastung des Betriebsablaufes als Abwägungskriterium zulassen.88 Das reine Arbeitgeberinteresse an einem geregelten und strukturierten Arbeitsablauf stellt sich jedoch bei näherer Betrachtung als bloße Ausprägung des einfachrechtlichen Vertragsdurchführungsinteresses dar. Schließlich ist es eine originäre unternehmerische Aufgabe, den Betriebsablauf möglichst effizient und störungsfrei zu organisieren. Dieser Aufgabe kann der Arbeitgeber im Falle der Leistungsverweigerung in aller Regel dadurch gerecht werden, dass er den entstehenden Personalengpass durch Einstellung einer Ersatzkraft, eventuelle präventive Vorhaltung einer Personalreserve oder ähnliche Maßnahmen abfedert. Von einer Betroffenheit der unternehmerischen Freiheit, die in Art. 2 I GG grundrechtliche Verankerung erfahren hat, kann somit nur gesprochen werden, wenn derartige Maßnahmen nicht möglich oder nicht zielführend erscheinen. Dies ist etwa bei hochspezialisierten Fachkräften der Fall, die aufgrund besonderer Kenntnisse nicht einfach kurzfristig ersetzt werden können. In diesen Fällen wird durch die individuelle Leistungsverweigerung dem Arbeitgeber zugleich die Möglichkeit unternehmerischen Handelns in Teilbereichen genommen; sein unternehmerisches Konzept als solches ist durch die Leistungsverweigerung beeinträchtigt.89  87

Oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (a) (cc). Vgl. BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 88

89

Vgl. zum Schutzbereich der Unternehmerfreiheit BVerfGE 50, 290 (366); BVerfGE 65, 196 (210) und oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (a) (cc).

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Die bisherige Rechtsprechung des BAG zur Konfliktlösung erscheint damit verfehlt, da sie die verfassungsrechtlichen Vorgaben bei vorbehaltlosen Grundrechten außer Acht lässt. Tatsächlich können, sofern auf Seiten des Arbeitnehmers vorbehaltlose Grundrechte wie die Glaubens- oder Gewissensfreiheit betroffen sind, ausschließlich andere Güter von Verfassungsrang den Weg zu einer Interessenabwägung öffnen. In Fällen hingegen, in denen vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte mit bloß einfachrechtlich geschützten Interessen und Rechtsgütern in Konflikt treten, kennt der Konflikt infolge der generalisierenden, abstrakt-normativen Interessenabwägung, die schon durch die Verfassung getroffen ist, nur eine Lösung: Den Vorrang der grundrechtlich geschützten Rechtsposition gegenüber der einfachrechtlich geschützten Gegenposition. In all diesen Fällen setzt sich damit auf der Primärebene der Leistungsverweigerung das Interesse des Leistungsschuldners gegenüber dem Erfüllungsinteresse des Gläubigers ohne weiteres durch.

(2) Konflikt zu anderen Gütern von Verfassungsrang – praktische Konkordanz Mehrere denkbare Lösungen existieren demgegenüber, wenn eine vorbehaltlos gewährleistete Grundrechtsposition des Schuldners zu ihrerseits verfassungsrechtlich geschützten Positionen des Leistungsgläubigers in Konflikt gerät. Da das Grundgesetz keine abstrakte Rangordnung unter Verfassungsgütern kennt,90 kann hier nicht einfach die eine Rechtsposition die andere verdrängen, wie es bei einem Konflikt zwischen Verfassungs- und einfachem Recht mit Blick auf die Normhierarchie anzuerkennen ist. Vielmehr sind beide konfligierenden Positionen nach Möglichkeit weitestgehend zur Entfaltung zu bringen; zwischen ihnen ist praktische Konkordanz herzustellen. Welcher Inhalt kommt dem Rechtsprinzip der praktischen Konkordanz generell und insbesondere im hier interessierenden Kontext zu? Möglichst beide Rechtsgüter sollen zur Verwirklichung und Entfaltung gebracht werden.91 Nur  90

Vgl. BK-Evers Art. 79 GG Rn. 90. Die Kollision ist nach std. Rspr. des BVerfG unter „Abwägung aller Umstände des Einzelfalls“ [BVerfGE 30, 173 (195)] so zu lösen, dass die betroffenen Verfassungsgüter „im Konfliktfall nach Möglichkeit zum Ausgleich gebracht werden; lässt sich dies nicht erreichen, so ist unter Berücksichtigung der falltypischen Gestaltung und der besonderen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, welches Interesse zurückzutreten hat“ [BVerfGE 35, 202 (225); 59, 231 (261 ff.); 67, 213 (228)]. Es geht dem BVerfG um das „Prinzip des schonendsten Ausgleichs“ [BVerfGE 39, 1 (43)]. Beide Grundrechte müssen also in ihrer Reichweite und Wirksamkeit beschränkt werden, damit beide zu optimaler Entfaltung gebracht werden können. Für diesen Abwägungsvorgang entscheidend soll die Bedeutung der beiden Grundrechte in dem konkreten Anwendungsfall sein (Stern, Staatsrecht III/2, § 82 III 3 c): „abstraktkonkrete Güterabwägungsmethode“). 91

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

in jenen Fällen, in denen ein solcher schonender Ausgleich beider Positionen nicht herstellbar ist, setzt sich ein Rechtsgut gegen das andere durch.92 Gerade dies ist jedoch in den hier zu betrachtenden Konstellationen der Regelfall: Bei einer Kollision zwischen der Leistungspflicht, die dem Schutz und der Entfaltung eigener Grundrechtspositionen des Gläubigers dient, und höchstpersönlichen Rechtsgütern des Leistungsschuldners gibt es gerade aufgrund der personalen Struktur der betroffenen Pflichten und Rechtsgüter in aller Regel nur ein „Entweder-Oder“, kein „Sowohl-als-auch“.93 Sind etwa auf Seiten des Arbeitgebers infolge einer Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen irreparable Schäden an Produktionseinrichtungen zu befürchten, so können entweder diese Schäden abgewendet werden, indem der Arbeitnehmer zur Leistungserbringung verpflichtet wird. In diesem Fall wäre eine Entscheidung für das Eigentumsrecht des Arbeitgebers gefallen, welche zugleich der Gewissensfreiheit des Arbeitnehmers in dem aufgebrochenen Konflikt jegliche Berücksichtigung versagen würde. Umgekehrt kann der Gewissensfreiheit nur genügt werden, indem der Arbeitnehmer gänzlich von der gewissenswidrigen Tätigkeit freigestellt wird und gravierende Schäden auf Seiten des Arbeitgebers hingenommen werden. Es zeigt sich also, dass gerade bei dem Konflikt zwischen einer hochrangigen, höchstpersönliche Güter schützenden Grundrechtsposition des Arbeitnehmers und der höchstpersönlichen Arbeitspflicht der Gedanke der praktischen Konkordanz im Regelfall nicht viel weiter hilft. Vielmehr ergibt sich bei näherer Betrachtung, dass aufgrund der unbedingten, kompromisslosen Struktur der kollidierenden Rechtspositionen ein „schonender Ausgleich“ die Ausnahme, der ausgetragene Konflikt hingegen der Regelfall sein wird. Gerade Rechtsgüter wie die Gewissensfreiheit oder Menschenwürde machen deutlich, dass sie keinen Kompromiss und keinen Ausgleich vertragen: Ein „halbes“ Gewissen, eine „halbe“ Menschenwürde existieren ebenso wenig wie ein halb realisiertes Grundrecht auf Leben. Damit bleibt in derartigen Kollisionssituationen dem Rechtsanwender die schwierige Entscheidung nicht erspart, welcher Verfassungsposition im Einzelfall der Vorrang einzuräumen ist. Gerade diese Entscheidung – eine abwägende Entscheidung zwischen zwei nur vollständig oder gar nicht zu realisierenden Verfassungsgütern – tritt uns auf der Ebene des einfachen Rechts als Interessenabwägung entgegen, wie sie beispielhaft in § 275 III BGB ausdrücklich angeordnet wird. Ein entsprechender Abwägungsvorgang wäre auch im Rahmen der im alten Schuldrecht vorgeschlagenen Lösungswege angezeigt gewesen, da es sich letztlich um eine schon verfassungsrechtlich geforderte und  92 BVerfGE 35, 202 (225); BVerfGE 59, 231 (261 ff.); BVerfGE 67, 213 (228); vgl. auch v.Münch/Kunig-v.Münch Vorbem. vor Art. 1 GG, Rn. 47; AK-GG-Denninger Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 46. 93 Vgl. schon ausführlich oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (a).

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vorgeprägte Abwägung handelt. Sie findet lediglich ihren Austragungsort, nicht jedoch ihren Ursprung auf der Ebene des einfachen Rechts.94 Mit dieser Feststellung bestätigt sich zugleich deutlich die schon eingangs vorgetragene These, dass die Anordnung der Interessenabwägung in Normen wie § 275 III BGB – soweit es sich tatsächlich um die Kollision von Verfassungsgütern handelt – rein deklaratorischer Natur ist, da eine Abwägung schon von Verfassungs wegen geboten ist.95 Die Interessenabwägung erscheint hier als Element der verfassungsrechtlichen Ausgleichsmechanismen und als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei der Lösung von Grundrechtskollisionen. Eine grundlegend andere – nämlich konstitutive – Bedeutung kommt der Anordnung der Interessenabwägung nur dann zu, wenn auf Seiten des Schuldners wie auch des Gläubigers lediglich einfachrechtlich geschützte Rechtspositionen in Konflikt treten. Dass hier der Interessenabwägung auch inhaltlich eine deutlich divergierende Bedeutung beizumessen ist, wurde schon dargestellt.96 Wenn also – soviel lässt sich an dieser Stelle festhalten – bei beidseitiger Grundrechtsbetroffenheit ein schonender Ausgleich im Sinne praktischer Konkordanz in den einschlägigen Fällen regelmäßig kaum erzielt werden kann, so lässt sich der Inhalt der Interessenabwägung auf die einfache Fragestellung reduzieren, welcher der beiden abzuwägenden Grundrechtspositionen der Vorrang zulasten der anderen zuzusprechen ist. Die konkreten Schritte zur Feststellung dieses Vorrangs sollen sogleich dargestellt werden.

3. Inhalt der Interessenabwägung Damit ergibt sich für den Inhalt der Interessenabwägung ein differenziertes Bild.

a) Einfachrechtliche Konflikte Treten einfachrechtliche Positionen des Schuldners und Gläubigers zueinander in Konflikt, so ist Raum für eine umfassende Interessenabwägung, deren  94 Eine ähnliche Struktur der verfassungsrechtlichen Vorprägung zivilrechtlicher Abwägungsvorgänge ist insbes. im Rahmen des Deliktsrechts zu praktischer Bedeutsamkeit gelangt und wurde dort auch umfassend diskutiert; vgl. etwa BGH NJW 2000, 2195 – „Marlene Dietrich“; MünchKomm-Rixecker Anh. zu § 12 Rn. 3; weiterführend Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 107 ff. 95 96

Sachs JuS 1995, 984 (988); Hager JZ 1994, 373 (383). Vgl. oben § 9 III 1.

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

konkrete Maßstäbe durch die Rechtspraxis anhand zivilrechtlicher Kategorien konkretisiert werden können. Insoweit stellen zumindest zwei der drei Kriterien des BAG – betriebliche, der Leistungsverweigerung entgegenstehende Erfordernisse und die Vorhersehbarkeit der Interessenkollision97 – adäquate Abwägungsgesichtspunkte dar, die die vertragliche Risikoverteilung beeinflussen. Der dritte Aspekt, die Prognose weiterer Konflikte, passt demgegenüber schon hier nicht, deutet eine solche Prognose doch gerade auf die akute Dringlichkeit und Notwendigkeit einer Leistungsverweigerung hin.98

b) Verfassungsrechtliche Mechanismen der Konfliktlösung Treten hingegen vorbehaltlos geschützte Grundrechtspositionen des Leistungsschuldners in Konflikt zu einfachrechtlichen Positionen des Leistungsgläubigers, ist die Interessenabwägung schon abstrakt-normativ durch die Normenhierarchie und die verfassungsrechtliche Wertentscheidung getroffen. Einer konkret-individuellen Interessenabwägung bedarf es angesichts dieser normativen Interessenabwägung somit nicht mehr; dem Schuldner steht in jedem Fall ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Dies gilt insbesondere, soweit auf seiner Seite die Menschenwürde oder Gewissensfreiheit durch eine Verurteilung zur Leistung beeinträchtigt würden: Das Leistungsurteil würde in die jeweiligen Grundrechtspositionen eingreifen, sie in Abwägung mit bloß einfachrechtlich geschützten Interessen des Gläubigers bringen und damit gegen die verfassungsrechtliche Wertentscheidung, diese Grundrechte „unverletzlich“ oder „unantastbar“ zu stellen, verstoßen. Schon aus diesem Grund erscheinen die drei Kriterien des BAG, die darauf abzielen, ausgerechnet die Gewissensfreiheit des Arbeitnehmers gegen das bloße Erfüllungsinteresse des Arbeitgebers in Abwägung zu bringen, an dieser Stelle verfehlt. So angemessen die Bezugnahme auf den Betriebsablauf und die Vorhersehbarkeit an anderer Stelle sein mag – hier lässt das Verfassungsrecht eine derartige Abwägung nicht zu. Einer konkreten, dann rein verfassungsrechtlichen Interessenabwägung bedarf es bei Betroffenheit vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte ausschließlich dann, wenn auch auf Seiten des Leistungsgläubigers verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen betroffen sind. In diesen Fällen müssen die beiden konfligierenden Verfassungspositionen nach den Regeln der praktischen Kon-

 97 Vgl. BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; zum ganzen näher oben § 3 I 2 und 3. 98 Vgl. oben § 3 III 2 c) bb) (1.) (c) .

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kordanz möglichst weitgehend zur Entfaltung gebracht werden.99 Gleiches gilt übrigens auch in den seltenen Fällen, in denen seitens des Schuldners eine gesetzesvorbehaltliche Grundrechtsposition, auf Seiten des Gläubigers hingegen eine vorbehaltlos gewährleistete Grundrechtsposition betroffen ist: Immer, wenn sich zwei Verfassungsgüter gegenüberstehen, sind beide Positionen möglichst „grundrechtsschonend“ zur Entfaltung zu bringen. Freilich wurde dargestellt, dass dieses Grundprinzip der praktischen Konkordanz hier oftmals nicht weiterhelfen wird: Häufig wird es nur ein hartes „Entweder-Oder“, ein „Allesoder-Nichts“ geben, wird die eine die andere Position in ihrer Entfaltung so vollständig hindern, dass für einen grundrechtsschonenden Ausgleich kein Raum bleibt. In diesen Fällen verbleibt als richterliche Aufgabe und zugleich als Inhalt der „Interessenabwägung“ die Entscheidung, welcher Grundrechtsposition im konkreten Fall der Vorrang einzuräumen ist. Letztlich handelt es sich hierbei um eine Frage der wechselseitigen Verhältnismäßigkeit der notwendigen Grundrechtseinschränkungen: Bei der Rechtsanwendung darf der Zivilrichter die Grundrechtsposition der einen Partei nicht zugunsten der anderen Partei einschränken, wenn diese Einschränkung nicht geeignet, erforderlich und angemessen wäre.100 Anders – und aus Sicht der im privatrechtlichen Kontext besonders bedeutsamen Schutzgebotsfunktion der Grundrechte101 – betrachtet, bedeutet dies: Der hoheitliche Rechtsanwender darf hinsichtlich des Leistungsschuldners das verfassungsrechtlich gebotene Untermaß an Schutz nicht unterschreiten, andererseits jedoch auch hinsichtlich des damit verbundenen Eingriffs in verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter des Leistungsgläubigers ein verfassungsrechtlich gebotenes Übermaß nicht überschreiten.

c) Insbesondere: Maßstäbe zur Ermittlung der Vorrangstellung Die Maßstäbe zur Bestimmung des jeweiligen Über- und Untermaßes ergeben sich dabei nach den anerkannten verfassungsrechtlichen Wertungsmaßstäben etwa aus folgenden Kriterien: Eine absolute Bedeutung im Sinne einer unbedingten Vorrangstellung oder Normhierarchie kommt der Betrachtung der Schrankensystematik der kollidierenden Grundrechtspositionen zwar nicht zu.  99 Meyer, Grundzüge, S. 102 m.w.N.; vgl. auch LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2; Bydlinski SAE 1991, 6 (7); Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; Böckenförde NJW 2001, 723 (724); Muckel NJW 2000, 689 (691); kritisch Rüfner RdA 1992, 1 (3). 100 BVerfGE 65, 1 (54); BVerfGE 70, 278 (286); Maunz/Dürig-Herzog Art. 20 GG VII Rn. 73 ff. 101 Vgl. oben § 9 III 2 a) cc).

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

Auch einem bloß gesetzesvorbehaltlich gewährleisteten Grundrecht kann im Einzelfall in der Abwägung zu anderen, auch vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechtspositionen Vorrang einzuräumen sein.102 Aber immerhin liefert die Schrankensystematik und damit einhergehende abgestufte Schutzintensität ein Indiz für eine normative Gewichtung der beteiligten Grundrechtspositionen durch die Verfassung selbst.103

aa) Grad der drohenden Beeinträchtigung Zentralere Bedeutung dürfte für den Befund über Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit dem Grad der Gefahr zukommen, die den beteiligten Grundrechtspositionen bei Vertragserfüllung oder Nichterfüllung droht: Tritt ein irreparabler, dauerhafter Schaden an einem grundrechtlichen Schutzgut entweder auf Seiten des Leistungsgläubigers oder des Leistungsschuldners ein, so dürfte der somit „qualifiziert“ bedrohten Rechtsposition Vorrang zukommen – immer unter der Prämisse, dass ein „grundrechtsschonender“ Ausgleich nicht möglich ist. Stehen sich etwa die Gewissensfreiheit des Arbeitnehmers und die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers – in dem oben dargestellten, restriktiv verstandenen Sinne104 – als konfligierende Verfassungsgüter gegenüber, so ist zunächst zu untersuchen, ob und auf welcher Seite ein irreparabler Schaden an dem grundrechtlichen Schutzgut droht. Seitens des Arbeitnehmers ist in dem Beispiel die Wertung eindeutig: Würde man ihn zu der gewissenswidrigen Tätigkeit verurteilen, wäre seine Gewissensfreiheit in Anbetracht der besonderen Struktur des Gewissens irreparabel verletzt. Seitens des Arbeitgebers hingegen ist zu differenzieren: Droht ihm eine gravierende, substantielle Verletzung seiner Unternehmerfreiheit – etwa, da er infolge des Ausfalls eines nicht zu ersetzenden Arbeitnehmers seine ganze Produktion für einen mehr als nur unerheblichen Zeitraum stilllegen muss –, so ist auch er im Fall der Leistungsverweigerung irreparabel in seinem grundrechtlich geschützten Verhalten geschädigt. Hier muss angesichts der gleichartigen Intensität der Bedrohung also ein anderes Kriterium zur Rechtsgüterabwägung gefunden werden. Ist hingegen der Arbeitgeber im Beispiel imstande, eine derart gravierende Beeinträchtigung durch zumutbare Überbrückungsmaßnahmen, etwa durch eine vorübergehende  102 Vgl. v.Münch/Kunig-v.Münch Vorbem. vor Art. 1-19 GG Rn. 46; Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 269. 103 Jarass/Pieroth-Jarass Vorbem. vor Art. 1 GG Rn. 45. Hier wird zutreffend darauf hingewiesen, dass durch die Anerkennung verfassungsimmanenter Schranken das unterschiedliche Schutzniveau vorbehaltloser und gesetzesvorbehaltlicher Grundrechte nicht eingeebnet werden darf. 104 Vgl. oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (a) (cc).

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Umstrukturierung der Betriebsorganisation, doch noch abzuwenden, so kann von einer irreparablen Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter nicht gesprochen werden: Die durch eine Verurteilung zur Leistung irreparabel geschädigte Grundrechtsposition des Leistungsschuldners muss sich zwangsläufig durchsetzen. Die Interessenabwägung ergibt dann „Unzumutbarkeit“ der Leistungserbringung.

bb) Personale Prägung Ist jedoch bei beiden Vertragsparteien eine irreparable Schädigung grundrechtlich geschützter Positionen zu befürchten, muss ein anderes Kriterium gefunden werden, das ergänzend ein Überwiegen der einen oder der anderen Grundrechtsposition ergibt. Besondere Bedeutung kommt dabei der Wirkfunktion der Grundrechte zu. Diese dienen vor allem der Gewährleistung individueller Freiheit. In seiner Mitbestimmungsentscheidung hat das BVerfG eindrücklich dargestellt, dass den Grundrechten ein umso höherer Rang beizumessen ist, je stärker die personale Prägung des Schutzbereiches zutage tritt.105 Es kommt also entscheidend auf die personale Betroffenheit des jeweiligen Grundrechtsträgers an: Ist eine Grundrechtsposition mit intensiver personaler Betroffenheit in ihrer Entfaltung und Wirkungsmacht bedroht, so erfährt diese besonderen Schutz. Damit sind für die grundrechtliche Interessenabwägung insbesondere die personalen Auswirkungen einer Verurteilung zur Leistung oder aber der Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechts zu berücksichtigen.106 Der Grundrechtsposition des Leistungsschuldners kommt dabei in den Fällen der persönlichen Leistungsverpflichtung allein deshalb ein grundsätzlicher Vorrang zu, weil mit der persönlichen Leistungspflicht eine unabweisbare starke personale Betroffenheit des Leistungsschuldners einhergeht. Seitens des Leistungsgläubigers ist die personale Betroffenheit hingegen eher der Ausnahmefall. Hier kommen zur Verwirklichung der durch die Leistungsverweigerung bedrohten Grundrechtsposition meist mehrere Alternativen in Betracht; nur in Ausnahmefällen hochgradiger Spezialisierung und bei Erforderlichkeit beson 105 BVerfGE 50, 290 (341 f.) stellt entscheidend auf die personale Betroffenheit, den personalen Regelungskern der betroffenen Grundrechte ab und erhebt die personale Betroffenheit zum letztlich ausschlaggebenden Kriterium bei der Konfliktlösung zwischen kollidierenden Grundrechtspositionen. 106 Vgl. auch instruktiv zur personalen Struktur des Arbeitsverhältnisses Weber, JuristenJahrbuch III 212 (231): Unzumutbarkeit sei ein vor allem subjektsbezogener Begriff; Otto, Personale Freiheit, S. 131 ff.; ErfK-Dieterich4 GG Einl. Rn. 78; Böckenförde VVDStRL 28, 33 (61): Je höchstpersönlicher die Leistungspflicht sei, desto schärfer treffe der Konflikt den Betroffenen.

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

derer persönlicher Fertigkeiten und Fähigkeiten ist der Gläubiger gerade auf die Leistungserbringung durch den konkreten Schuldner, der die Leistungserbringung verweigert, angewiesen. Diese besondere personale Struktur der Grundrechtsbetroffenheit ist der tiefere Grund, weshalb die Konflikte weit überwiegend in Schuldverhältnissen mit persönlicher Leistungspflicht auftreten. Zugleich ist die im Regelfall unterschiedliche personale Betroffenheit von Leistungsschuldner und -gläubiger das letzte und im Zweifel ausschlaggebende Kriterium der grundrechtlich geprägten Interessenabwägung: Sind demnach auf beiden Seiten Grundrechtspositionen – entweder durch die Leistungserbringung oder durch die Leistungsverweigerung – irreparabel bedroht, so kommt derjenigen Seite ein höheres Gewicht zu, welche die stärkere personale Betroffenheit, einen deutlicheren personalen Kern der Grundrechtsposition geltend machen kann. Dies wird aufgrund der persönlichen Leistungspflicht in aller Regel der Leistungsschuldner sein; dem Gläubiger verbleiben meist Alternativen zur Realisierung seiner Grundrechtsposition.107

d) Abgeschwächte Grundrechtswirkung? Eine Frage, die schon in den bisherigen Ausführungen implizit beantwortet wurde, soll hier abschließend noch einmal ausdrücklich thematisiert werden: Teilweise wird die Frage aufgeworfen, ob in den Rechtsbeziehungen zwischen Privaten – also im Zivilrecht – verfassungsrechtlichen Wertungen eine nur abgeschwächte Rolle zukommen könne.108 Begründet wird diese Position mit der originären Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegenüber der Staatsgewalt; wolle man die Grundrechte überhaupt zwischen Privaten Wir 107 108

Ausführlich oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (a) (aa).

Etwa Canaris AcP 184 (1984), 201 (239) befürwortet die Anerkennung der vertraglichen Einschränkbarkeit auch vorbehaltloser Grundrechte. Dies erscheint zutreffend, soweit ein bewusster, freiverantwortlicher Grundrechtsverzicht vorliegt [vgl. unten § 9 III 5]. Unzutreffend erscheint demgegenüber die von Canaris gezogene Konsequenz, dass auch bei der richterlichen Entscheidung über ein Leistungsverweigerungsrecht die betrieblichen Belange des Arbeitgebers in vollem Umfang einzubeziehen seien – gleich welcher Rang ihnen gegenüber der Rechtsposition des Arbeitnehmers zukommt. Merkwürdigerweise will er anscheinend das Bestehen eines Leistungsverweigerungsrechtes aus Gewissensgründen von der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer, also einer Art Mehrheitsentscheidung abhängig machen. Dies trägt der privatrechtlichen Wirkung der Grundrechte nicht hinreichend Geltung; abweichend denn auch Canaris JuS 1989, 161 (165): Der Schuldner dürfe nicht „gnadenlos“ am Vertrag festgehalten werden; hier schlägt Canaris ein Rücktrittsrecht wegen Unzumutbarkeit vor. Für eine stärkere Gewichtung der Privatautonomie plädiert grundlegend auch Dürig, Festschrift Nawiasky (1956), S. 157 (158 ff., 167 ff.).

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kung entfalten lassen, so müsse doch die Wirkung der Grundrechte „abgeschwächt“ sein.109 Offen bleibt dabei regelmäßig, worin konkret die geforderte „Abschwächung“ bestehen soll. Dies ist eine erste Schwäche des Ansatzes. Berücksichtigt man darüber hinaus die schon angesprochene Tatsache, dass die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte zwischen Privaten letztlich aus der – unmittelbaren! – Grundrechtsbindung von Zivilrechtslegislative und -judikative resultiert, so wird ohne weiteres deutlich, dass hier die Grundrechtsbindung keine andere sein kann als dort, wo sich Staat und Bürger in originär öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen gegenüber stehen.110 Auch bei der zivilrechtlichen „Drittwirkung“ geht es letztlich um die unmittelbare Grundrechtsbindung der hoheitlichen Rechtsanwendung durch die ordentlichen Gerichte. Von einer bloß abgeschwächten Wirkungsmacht der Grundrechte kann angesichts dieser Implikationen keine Rede sein. Hager ist auch mit dem Einwand rückhaltlos Recht zu geben, dass schon aus Gründen der Normhierarchie den zivilrechtlichen Generalklauseln keine verfassungsmodifizierende Kraft zukommen kann: Die Grundrechte wirken durch die Generalklauseln auf das Zivilrecht ein; ihre Wirkung wird dabei durch die Generalklauseln jedoch weder abgeschwächt noch sonst modifiziert.111

e) Fazit Als Desiderat der Interessenabwägung verbleibt demnach – zusammenfassend festgehalten – eine Verhältnismäßigkeits-Prüfung, deren konkreter Inhalt deutlich von den beteiligten Rechtspositionen auf Seiten des Gläubigers und des Schuldners abhängt. Nur bei der eher seltenen Kollision ausschließlich einfachrechtlich geschützter Interessen und Rechtsgüter ist Raum für eine uneingeschränkte Interessenabwägung unter Einbeziehung insbesondere der vertraglichen Risikoverteilung. In allen Fällen, in denen grundrechtlich geschützte Rechtspositionen durch die Leistungserbringung oder Leistungsverweigerung  109 Insbes. Maunz/Dürig-Dürig Art. 3 I GG Rn. 513: Die Tatsache, dass sich zwei Private gegenüberstehen, habe die Konsequenz einer „qualitativ anderen Bedeutung der Grundrechte in [...] Rechtsbeziehungen unter Privaten“. Mit ähnlicher Tendenz Konzen/Rupp, Gewissenskonflikte, S. 102 und Pietzcker, Festschrift Dürig (1990), S. 345 (350). Dagegen mit überzeugenden Argumenten Hager JZ 1994, 373 (376 f.); ähnlich schon Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 362 ff. 110 Vgl. zu diesem Begründungsansatz oben § 9 III 2 a) bb); Hager JZ 1994, 373 (377); Canaris AcP 184 (1984), 201 (212 f.); vgl. auch BVerfGE 14, 263; BVerfGE 31, 58; BVerfGE 50, 290. 111 Hager JZ 1994, 373 (376, 379).

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

beeinträchtigt würden, werden die anzustellenden Abwägungsvorgänge schon durch das Verfassungsrecht intensiv vorgeprägt.

4. Die Rechte Dritter in der Interessenabwägung Diese verfassungsrechtliche Prägung der Interessenabwägung wirkt sich auch auf die Frage aus, ob – wie es § 275 III BGB seinem Wortlaut nach nahe legt – ausschließlich die Rechtspositionen der Vertragsparteien im Rahmen der Interessenabwägung Berücksichtigung finden oder ob nicht vielmehr auch Rechte Dritter, die durch die Leistungsverweigerung in grundrechtlich geschützten Rechtspositionen bedroht sind, in die Interessenabwägung einbezogen werden müssen.

a) Das grundrechtliche Schutzgebot Auch gegenüber Dritten, die schutzwürdiges Vertrauen in die Leistungserbringung aufgebaut haben und deren Vertrauen grundrechtlich geschützt ist, trifft den Staat eine grundrechtliche Schutzpflicht.112 Die Notwendigkeit dieses Schutzes wird besonders deutlich, wenn man den Blick auf ein schon im Kontext der Fallgruppen angeführtes, plakatives Beispiel lenkt:113 Der bei einem Krankenhaus angestellte Arzt ist hochspezialisiert und daher der einzige Arzt, der in weitem Umkreis in der Lage ist, einen bestimmten Patienten des Krankenhauses rechtzeitig zu behandeln. Unterbleibt die rechtzeitige Behandlung durch gerade diesen Arzt, so ist der Tod des Patienten sicher. Sofern es sich um keinen Fall der Privatliquidation handelt, steht der Patient in keinerlei schuldrechtlichem Verhältnis zu dem Arzt; (Arbeits-)Vertragspartner des Arztes ist das Krankenhaus, das seinerseits einen Behandlungsvertrag mit dem Patienten geschlossen hat. Verweigert nun der Arzt die Leistung – sei es wegen der psychologisch notwendigen Betreuung seines leicht erkrankten Kindes,114 sei es, weil er selbst unter einer leichten Grippe leidet115 oder die goldene Hochzeit  112 Zur grundrechtlichen Schutzpflicht vgl. allgemein BVerfGE 39, 1 (42); BVerfGE 81, 242 (255); BVerfGE 88, 203 (251 ff.); BVerfGE 92, 26 (46). 113 Vgl. oben § 7 IV; ähnlich Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 (2111) und wohl auch Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 447. 114 Vgl. oben § 5 I 2 b) und BAG AP § 616 BGB Nr. 48; Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (158 f.). 115 Vgl. oben § 7 II 3 und IV.

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seiner Eltern feiern möchte116 – so dürfte, würde man streng am Wortlaut des § 275 III BGB festhalten, das grundrechtlich geschützte Lebensrecht des Patienten nicht in die anzustellende Interessenabwägung einbezogen werden. Nach seinem Wortlaut ist nämlich allein das Interesse des Vertragspartners an der Leistungserbringung gegen das Interesse des Schuldners an der Leistungsverweigerung abzuwägen. Die Leistungsverweigerung wäre im geschilderten Fall somit berechtigt, sofern nicht das Krankenhaus eigene, überwiegende Rechte geltend machen könnte. Der plastische Fall offenbart schon durch sein absurdes Ergebnis, dass – entgegen dem Wortlaut des § 275 III BGB – auch Rechte Dritter in die Interessenabwägung Eingang finden müssen.117 Auch die dogmatische Begründung hierfür wurde schon genannt: Es handelt sich wiederum um ein Problem der grundrechtlichen Schutzpflicht, die den Staat nicht nur gegenüber den Vertragspartnern, sondern ebenso gegenüber schutzbedürftigen Dritten trifft. Diese Schutzpflicht wird zum einen auf Ebene des Strafrechts durch die Anordnung von Garantenpflichten erfüllt. Der Arzt in dem Fallbeispiel würde sich infolge seiner Leistungsverweigerung eines strafbewehrten Unterlassens schuldig machen.118 Ebenso könnte sein Handeln standes- und disziplinarrechtliche Folgen nach sich ziehen.119 Dieser repressive Schutz reicht jedoch nicht aus, um dem grundrechtlichen Schutzgebot vollständig gerecht zu werden: Auch das zivilrechtliche Urteil, das der Leistungsverweigerung des Arztes stattgäbe, wäre evident verfassungswidrig, da es das grundrechtlich gebotene Mindestniveau des Lebensschutzes unterschritte. Das BVerfG hat diesbezüglich klare Vorgaben statuiert: „Art. 2 II 1 in Verbindung mit Art. 1 I 2 GG verpflichtet den Staat, jedes menschliche Leben zu schützen. Diese Schutzpflicht ist umfassend. Sie gebietet dem Staat, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen; das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren [...] An diesem Gebot haben sich alle staatlichen Organe, je nach ihren besonderen Aufgaben, auszurichten. Da das menschliche Leben einen Höchstwert darstellt, muss diese Schutzverpflichtung besonders ernst genommen werden.“120 Die Ausführungen machen deutlich: Auch die Zivilrechtslegislative und -judikative muss dem Lebensschutz als einem „Höchstwert“ der Verfassung zu praktischer Wirksamkeit in Privatrechtsverhältnissen verhelfen. Die Rechtsordnung würde  116

Vgl. oben § 5 II 2 b) dd) und BAG AP § 616 BGB Nr. 43. Ähnlich bei Gewissenskonflikten Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 447. 118 Vgl. zur strafrechtlichen Garantenpflicht des Arztes BGH LM § 230 StGB Nr. 6; BGH NJW 1979, 1258; BGHSt 7, 211; OLG Hamm NJW 1975, 604. 119 Dazu umfassend Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht. 117

120

BVerfGE 46, 160 (164); vgl. auch BVerfGE 39, 1 (42); 85, 191 (212); Hervorhebung durch den Verfasser.

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

sich zu sich selbst in Widerspruch setzen, müsste der Zivilrichter einen angestellten Arzt von seiner Leistungspflicht entbinden, ohne den drohenden Tod eines Patienten berücksichtigen zu dürfen. Ein offenkundiger Wertungswiderspruch wäre es, die Leistungsverweigerung unter Ausblendung der stark betroffenen Rechtgüter Dritter zur zivilrechtlich „berechtigten“ Leistungsverweigerung zu erklären, andererseits jedoch gerade mit Blick auf diese Rechtsgüter Dritter die zivilrechtlich „berechtigte“ Leistungsverweigerung zum Anknüpfungspunkt straf-, standes- und disziplinarrechtlicher Sanktionen zu machen. Daher sind zumindest in derartigen Extremkonstellationen auch Rechte Dritter, die durch die Leistungsverweigerung in Grundrechten betroffen wären, in die Interessenabwägung einzubeziehen. Nur so lässt sich auf zivilrechtlicher Ebene das Schutzgebot realisieren, das die Grundrechte auch zugunsten betroffener Dritter beinhalten. Jede andere Sichtweise des einfachen Zivilrechts wird den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht und führt in die aufgezeigten Wertungswidersprüche.

b) Die tatbestandliche Verengung in § 275 III BGB Offen bleibt die Frage, inwieweit sich diese verfassungsrechtlichen Erfordernisse mit dem anderslautenden Wortlaut von § 275 III BGB vertragen, der eine Interessenabwägung lediglich zwischen dem Interesse des Schuldners an der Leistungsverweigerung und dem gegenläufigen Interesse des Gläubigers an der Leistungserbringung vorsieht. Für die verfassungsrechtlich gebotene Berücksichtigung der Grundrechte Dritter scheint demnach kein Raum zu sein.121 Würde man daher diesen Wortlaut konstitutiv verstehen, so hätte der Zivilrechtsgesetzgeber für die angesprochenen Fälle seinem grundrechtlichen Schutzauftrag nicht entsprochen und eine Berücksichtigung der Rechte Dritter abgeschnitten. Die Norm wäre insoweit verfassungswidrig. Schon eingangs dieses Abschnitts wurde jedoch festgestellt, dass der Begriff der „Unzumutbarkeit“ notwendig eine wertende Interessenabwägung impliziert, die durch verfassungsrechtliche Bezüge entscheidend geprägt wird: Die verfassungsrechtliche Kontrolldichte ist hier angesichts des äußerst unbestimmten Tatbestandes und der damit einhergehenden Delegation legislativer Gestaltungskompetenz auf den hoheitlichen Rechtsanwender besonders hoch.122 Die ausdrückliche Anordnung einer Interessenabwägung ist daneben eigentlich  121 Auch die Regierungsbegründung (BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte unten) geht ersichtlich nur von einer Relevanz des gläubigerseitigen Leistungsinteresses als Abwägungsgesichtspunkt aus. 122 Vgl. oben § 9 III 2 a) bb) – dd).

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unnötig und hat allenfalls deklaratorischen Charakter. An dem schon dem Begriff der „Unzumutbarkeit“ innewohnenden Erfordernis einer Interessenabwägung und auch an deren Inhalt kann die zusätzliche Anordnung einer Interessenabwägung nichts ändern. Anders gesagt: Schon das Tatbestandsmerkmal der „Unzumutbarkeit“ impliziert eine umfassende Interessenabwägung, die angesichts der Gestaltungskompetenz, die hier – wie bei allen unbestimmten Rechtsbegriffen – dem Rechtsanwender übertragen ist, einer besonders ausgeprägten Verfassungs- und Grundrechtsbindung unterliegt.123 Damit ist die Ausübung der Gestaltungskompetenz nur dann verfassungskonform, wenn grundrechtliche Vorgaben bei der Konkretisierung des Unzumutbarkeitsbegriffs umfassende Berücksichtigung finden. Schon die verfassungskonforme Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „Unzumutbarkeit“ erfordert folglich zwingend die Einbeziehung von Rechten Dritter. Daher bietet sich einzig die dargestellte verfassungskonforme Auslegung an, nach der schon im Rahmen des Tatbestandsmerkmales der „Unzumutbarkeit“ eine umfassende Interessenabwägung geboten ist, in welche auch Grundrechte betroffener Dritter Eingang finden. Die ausdrücklich statuierte Interessenabwägung zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteresse hat daneben nur hervorhebenden, deklaratorischen Charakter, ohne dass sie am Inhalt der verfassungsrechtlich gebotenen Interessenabwägung etwas ändern könnte. Insoweit verschleiert die ausdrückliche Anordnung einer Interessenabwägung in § 275 III BGB deren eigentlichen Inhalt mehr als dass sie ihn hervorhebt.

5. Vorhersicht und Vorhersehbarkeit der Kollision Bislang ebenfalls als Element der Interessenabwägung wurde überwiegend die Vorhersehbarkeit der Kollision beim Vertragsschluss betrachtet.124 Der Leistungspflichtige sei weniger schutzwürdig, wenn er den Konflikt beim Vertragsschluss vorhersehen konnte oder zumindest dann, wenn er ihn tatsächlich vorausgesehen habe.125 Die Aussage wurde einfachrechtlich in § 242 BGB verortet, der seinerseits dem Leistungspflichtigen – im Sinne einer unzulässigen

 123 Vgl. schon oben § 9 III 2 a) bb) und Preis ZG 1988, 319 (325); Henkel, Festschrift Mezger (1954), S. 249 (303 f.); Hubmann, Wertung und Abwägung, S. 51 ff. 124 Vgl. BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; vgl. zur systematischen Einordnung des Vorhersehbarkeits-Kriteriums vor allem auch Henssler AcP 190 (1990), 538 (551) m.w.N. 125

Vgl. BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; LAG Düsseldorf JZ 1964, 258 (259); Otto, Personale Freiheit, S. 121.

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

Rechtsausübung – die Berufung auf einen schon beim Vertragsschluss vorhergesehenen oder auch nur vorhersehbaren Konflikt versage.126

a) Vorhersicht und Vorhersehbarkeit bei einfachrechtlichen Konflikten Diese Betrachtung ist ohne weiteres angebracht, sofern auf beiden Seiten ausschließlich einfachrechtlich geschützte Positionen durch den Konflikt betroffen sind. In diesem Fall steht – wie dargestellt – das eigentliche Vertragserfüllungsinteresse des Gläubigers dem Interesse des Schuldners an der Leistungsverweigerung ohne Einschränkungen gegenüber. Hier ist folglich auch die bloße Vorhersehbarkeit des Konflikts in die Interessenabwägung einzubeziehen.127 Die Vorhersehbarkeit erscheint dabei letztlich als Gesichtspunkt der Risikokalkulation und Risikoverteilung.128 Konnten beide Seiten den möglichen Konflikt vorhersehen, so ist diese Möglichkeit – untechnisch gesprochen – gleichsam zur „Geschäftsgrundlage“ geworden und von den Parteien beim Vertragsschluss letztlich akzeptiert worden. Bei einseitiger Vorhersehbarkeit hingegen ist diese jeweils zulasten der Vertragspartei zu werten, die den Konflikt vorhersehen konnte. Dies muss freilich – abweichend von den bisher diskutierten Konzeptionen, welche die „Vorhersehbarkeit“ ausschließlich zulasten des Leistungsschuldners werten wollten – für beide Seiten gelten: Konnte der Leistungsgläubiger beim Vertragsschluss die Möglichkeit des eingetretenen Konfliktes vorhersehen, so ist dies auch zu seinen Lasten zu berücksichtigen. Der Leistungsgläubiger konnte in diesem Fall dem von ihm erkennbaren Risiko etwa durch die Einkalkulierung eines Risikoabschlages bei der Entgeltgestaltung Rechnung tragen.129 Ebenso konnte er angesichts eines gewichtigen Risikos der Leistungsverweigerung auch gänzlich vom Vertragsschluss absehen. Damit trifft ihn der Vorwurf, den erkennbaren Konflikt bei Vertragsabschluss und Vertragsgestaltung unberücksichtigt gelassen zu haben. Dieser Umstand ist dann im Konfliktfall zu seinen Lasten zu berücksichtigen. Im praktisch wahrscheinlicheren Fall, dass nur der Schuldner den Konflikt vorhersehen konnte, ist dieser Aspekt bei der Entscheidung über die Leistungsverweigerung zu seinen Lasten zu berücksichtigen. Indem er den Konflikt schon beim Vertragsschluss absehen konnte und gleichwohl den Vertrag abge 126 Scheschonka, Gewissensnot, S. 116 ff.; Otto, Personale Freiheit, S. 121; Krüger RdA 1954, 373; Wieacker JZ 1954, 466 (467). 127

Vgl. oben § 9 III 1. Vgl. oben § 5 I 2 c) und § 9 III 1. 129 Vgl. oben § 5 I 2 c). 128

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schlossen hat, hat er sich die spätere Berufung auf den Konflikt abgeschnitten; die Vorhersehbarkeit des Konfliktes ist zu seinen Lasten zu berücksichtigen. Bei einer positiven Vorhersicht auf den Konflikt kann dabei der Einwand des venire contra factum proprium oder sogar der konkludenten Abbedingung einer späteren Geltendmachung des Konflikts entgegengehalten werden: Es ist zumindest treuwidrig, einen Vertrag in Kenntnis entgegenstehender Interessen abzuschließen und diese Interessen später als Grund einer Leistungsverweigerung anzuführen.130

b) Verfassungsrechtliche Implikationen aa) Vorhersehbarkeit Diese rein einfachrechtliche Betrachtung greift jedoch immer dann zu kurz, wenn Verfassungsgüter betroffen sind. Wird die bloße Vorhersehbarkeit des Konfliktes zulasten des Schuldners berücksichtigt, so wird damit das reine Erfüllungsinteresse des Gläubigers geschützt. Dieses im Regelfall einfachrechtliche Interesse kann jedoch immer dann nicht zum Abwägungsgesichtspunkt werden, wenn seitens des Leistungsschuldners vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte betroffen sind. In diesem Fall darf die bloße Vorhersehbarkeit des Konfliktes keine Rolle spielen, da ihre Berücksichtigung die Grundrechtsposition des Schuldners einem verfassungsrechtlich nicht statuierten Gesetzesvorbehalt unterstellen würde.131 Überdies wird das Kriterium der Vorhersehbarkeit auch wegen des spezifischen Schutzbereiches der betroffenen Grundrechte weitgehend leer laufen. Anschaulich wird dies bei der Gewissensfreiheit. Aufgrund der extremen Subjektivität und Wandelbarkeit des Gewissens kommt hier per se der Vorhersehbarkeit im Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine entscheidende Bedeutung zu; entscheidend muss vielmehr die aktuelle Situation im Zeitpunkt der Leistungsverweigerung sein.132  130

Maunz/Dürig-Herzog Art. 4 GG Rn. 147; Otto, Personale Freiheit, S. 121; Scheschonka, Gewissensnot, S. 116 ff.; Wallmeyer, Kündigung des Arbeitsvertrags, S. 32 ff. m.w.N.; Grabau BB 1991, 1257 (1260). 131

Mit unterschiedlichen Begründungen eine Relevanz der bloßen Vorhersehbarkeit ablehnend daher auch – statt vieler – Heffter, Auswirkungen der Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 70 ff.; Mayer ArbuR 1985, 105 (110); Henssler AcP 190 (1990), 538 (553); MayerMaly, Festschrift Müller (1980), S. 325 (331); a.A. Wallmeyer, Kündigung des Arbeitsvertrags, S. 32 ff.; Emmerich, Leistungsstörungen, S. 47. 132 Auf diesen besonderen Aspekt bei der Gewissensfreiheit weist auch Kaufmann AcP 161 (1962), 289 (305) hin; zutreffend lehnt auch Grabau BB 1991, 1257 (1261) einen Ausschluss der Leistungsverweigerung bei Änderung der religiösen Haltung ab.

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

bb) Vorhersicht als Akt des Grundrechtsverzichtes Ganz anders verhält es sich mit der positiven Voraussicht des Konfliktes. Es ist in der Grundrechtsdogmatik mittlerweile praktisch unbestritten, dass der einzelne Grundrechtsträger auf die Ausübung oder Wahrnehmung grundrechtlich geschützter Positionen verzichten kann.133 Dieser Grundsatz muss umso umfassendere Geltung beanspruchen, je stärker der grundrechtliche Konflikt auf der zivilrechtlichen Ebene der Gleichordnung stattfindet. Begibt sich ein Grundrechtsträger in positiver Kenntnis eines entstehenden Konfliktes zu seinen grundrechtlich geschützten Positionen und Rechtsgütern in ein Vertragsverhältnis, das gerade diesen Konflikt beinhaltet und verursacht, so liegt hierin ein Akt des Grundrechtsverzichtes.134 Dies ist der tiefere Grund, weshalb auch vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes in der weit überwiegenden Zahl der Stellungnahmen für den Fall positiver Voraussicht des Konfliktes eine Berufung auf das Leistungshindernis abgelehnt wurde.135 Nichts anderes meint Preuß, wenn er feststellt, in diesen Fällen positiver Voraussicht der Kollision fehle es an der „grundrechtstypischen Konfliktsituation“.136 Der so handelnde Grundrechtsträger ist – zumal im privatrechtlichen Kontext – des Schutzes weder bedürftig noch würdig; er hat durch die bewusste Eingehung des Vertragsverhältnisses in Kenntnis möglicher Konflikte zum Ausdruck gebracht, dass er auf den grundrechtlichen Schutz ein Stück weit verzichten möchte.137 Auf die einfach-zivilrechtliche Ebene heruntergebrochen lässt sich diese verfassungsrechtliche Schlussfolgerung auch dahingehend formulieren, dass ein Schuldner, der sich sehenden Auges in ein grundrechtsbeeinträchtigendes Vertragsverhältnis hineinbegeben hat, widersprüchlich und damit  133 Grundlegend BVerwGE 14, 21 ff.; Dürig AöR 81 (1956), 117 (152), der die These aufbringt, Grundrechtsverzicht sei gerade Grundrechtsgebrauch; vgl. auch HbStR-Lerche V § 122 Rn. 45; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 123 f.; Geiger NVwZ 1989, 35; Göldner JZ 1976, 352 (355); Bleckmann JZ 1988, 57 (58). 134 Ähnlich Zöllner AcP 196 (1996), 1 (13 f.); Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; Preuß ArbuR 1986, 382 (383), der das Fehlen einer „grundrechtstypischen Konfliktsituation“ in diesen Fällen für entscheidend hält; a.A. Hager JZ 1994, 373 (380). 135 Wie hier Otto, Personale Freiheit, S. 121, Scheschonka, Gewissensnot, S. 109 ff.; Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (39 f.), a.A. Bosch/Habscheid JZ 1956, 301; Hamel, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte Bd. IV/1, S. 37 (76): Bei vorhergesehenen Gewissenskonflikten dürfe keinesfalls von schuldhafter Nichterfüllung gesprochen werden, denn dem Gewissen zu folgen, sei keine Schuld. Damit verkennt er, dass es sich nicht um ein Problem des Verschuldens sondern des Grundrechtsverzichtes handelt. Vermittelnd schließlich Isenhardt, Freiheit des Gewissens, S. 121. 136

Preuß ArbuR 1986, 382 (383). Anders jedoch Hamel, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte Bd. IV/1, S. 37 (76): Menschenrechte seien „unveräußerlich“ und daher auch nicht der vertraglichen Disposition anheimgestellt. 137

§ 9 Unzumutbarkeit und Interessenabwägung

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treuwidrig handeln würde, wenn er sich in der Konfliktsituation dann auf die betroffene Grundrechtsposition als Leistungshindernis berufen würde.138

cc) Voraussetzungen des Grundrechtsverzichtes Freilich müssen dafür die anerkannten Voraussetzungen eines Grundrechtsverzichtes vorliegen.139 Hier sei vor allem darauf hingewiesen, dass die Grundrechtsposition überhaupt zur Disposition des Schuldners stehen muss.140 Dies ist nicht der Fall, wenn dem Inhalt des betroffenen Verfassungsgutes ausnahmsweise nicht nur eine freiheitserweiternde Funktion zukommt, sondern er dem Grundrechtsträger zugleich Pflichten auferlegt. Besonders anschaulich und praktisch relevant wird dies bei dem „Pflichtrecht“ der elterlichen Sorge.141 Gleiches wird generell für jene Fälle zu gelten haben, in denen das Grundrecht nicht ausschließlich dem Schutz des Einzelnen dient, sondern zugleich öffentliche Interessen entfaltet und schützt. Wie schon dargestellt, ist dies insbesondere immer dann anzunehmen, wenn die Menschenwürde als unverzichtbarer, wertsetzender Höchstwert der Verfassung betroffen ist.142 In diesen Fällen fehlt es an der Disponibilität des geschützten Verfassungsgutes; der Grundrechtsträger kann nicht in einem Akt freier Selbstbestimmung auf den grundrechtlichen Schutz verzichten. Auch im Kontext der zivilrechtlichen Pflichten- und Rechtsgüterkollision kann nichts anderes gelten: Wegen mangelnder Disponibilität kann im Vertragsschluss in Kenntnis bestehender Konflikte kein konkludenter Verzicht auf die entsprechende Grundrechtsposition gesehen werden.

dd) Grundrechtsverzicht und Interessenabwägung Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass der wirksame Grundrechtsverzicht durch Eingehung des Vertragsverhältnisses in positiver Kenntnis der Grundrechtsbetroffenheit selbstverständlich kein Element der zur Ermittlung von „Unzumutbarkeit“ erforderlichen Interessenabwägung ist:143 Verzichtet  138 139

Otto, Personale Freiheit, S. 121, Scheschonka, Gewissensnot, S. 109 ff. Vgl. ausführlich Stern, Staatsrecht III/2, § 86 II mit weiteren umfangreichen Nachwei-

sen. 140

Stern, Staatsrecht III/2, § 86 II 5. Vgl. ausführlich oben § 5 I 1. 142 Vgl. ausführlich oben § 6 II 3 b) bb) (2.). 141

143

Anders aber die Rspr. des BAG; vgl. nur BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1.

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

eine Partei auf die Geltendmachung einer Rechtsposition, kommt es vielmehr schon zu gar keiner Rechtsgutskollision. Einer Interessenabwägung zur Feststellung von „Unzumutbarkeit“ bedarf es in diesen Fällen gar nicht, weil es schon an der grundlegenden Voraussetzung einer Rechtsgüter- oder Pflichtenkollision fehlt. Die Frage nach dem Vertragsschluss in positiver Kenntnis des bestehenden oder entstehenden Konfliktes stellt sich folglich als eine vorrangige Frage nach dem Vorliegen einer Rechtsgüter- oder Pflichtenkollision dar.

6. Bedeutung des Vertretenmüssens für die Leistungsverweigerung Schon die bisherigen Ausführungen haben verdeutlicht, dass dem Vertretenmüssen des Schuldners im Hinblick auf das Leistungshindernis keine absolute Relevanz zukommen kann. Die umstrittene Frage nach der Bedeutung des Vertretenmüssens im Kontext der Leistungsverweigerung aus ideellen Gründen ist daher eindeutig dahingehend zu beantworten, dass der Bestand des Leistungsverweigerungsrechts von einem Vertretenmüssen des Schuldners im Grundsatz unabhängig ist. Dies ergibt sich unmittelbar aus den dargestellten Vorgaben der Verfassung. Steht etwa das Gewissen des Arbeitnehmers der Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten entgegen, so ist grundsätzlich unerheblich, ob er den Konflikt mit herbeigeführt hat, ihn also etwa schon beim Abschluss des Arbeitsvertrages hätte vorhersehen können. Ebenso kann man einer Mutter, die ihr Kind versorgen muss, nicht die vertraglich geschuldete Leistung mit der Begründung abverlangen, dass sie durch die gewollte Geburt des Kindes den Konflikt vorsätzlich herbeigeführt habe. Diese Sichtweise würde den verfassungsrechtlichen Vorgaben klar widersprechen. Eine Grenze, an der das Vertretenmüssen relevant wird, ist lediglich in der positiven Vorhersicht des Konfliktes zu erkennen. In diesen Fällen einer vorsätzlichen Herbeiführung des Konfliktes durch den Schuldner kann von einem Grundrechtsverzicht gesprochen werden, der freilich, wie soeben gezeigt, entscheidend die Disponibilität der Grundrechtsposition voraussetzt. Sah also der Regierungsentwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vom 9.5.2001 noch vor, sowohl das jetzt in § 275 II BGB als auch das in § 275 III BGB geregelte Leistungsverweigerungsrecht von dem Vertretenmüssen des Schuldners abhängig zu machen,144 so wurde durch die letztlich eingeführte Differenzierung zwischen beiden Absätzen den verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge getan. Aus der Natur der betroffenen Rechtsgüter ergibt sich, dass zwar das Leistungsverweigerungsrecht des Abs. 2 umfassend von einem  144

§ 275 II 3 Halbs. 2 RE; BT-Drucks. 14/6040 S. 6.

§ 9 Unzumutbarkeit und Interessenabwägung

361

Vertretenmüssen des Schuldners abhängen kann, dieselbe Regelung bei Abs. 3 jedoch verfehlt wäre. Dies gilt jedenfalls, soweit vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte betroffen sind: Die Berufung auf einen Gewissenskonflikt oder die ansonsten beeinträchtigte Menschenwürde zu verweigern, weil der Konflikt beim Vertragsschluss vorhersehbar war und der Schuldner dies fahrlässig nicht erkannt hat, hieße, die verfassungsrechtlich anerkannten engen Voraussetzungen eines Grundrechtsverzichts außer Acht zu lassen und die Grundrechtsposition einer einfachrechtlichen Einschränkung unterzuordnen. Dies würde jedoch die Gewissensfreiheit oder die Menschenwürde in ihrer Wirksamkeit einer einfachrechtlich angeordneten Einschränkung – dem Vorbehalt der Nicht-Vorhersehbarkeit – unterordnen, der in der Verfassung nicht angelegt ist. „Unantastbar“ oder „unverletzlich“ gestellte Verfassungspositionen würden damit letztlich einfachrechtlich eingeschränkt. Von Verfassungs wegen kann hier nur – in den dargestellten Grenzen – die positive Voraussicht im Sinne eines konkludenten Grundrechtsverzichtes Bedeutung erlangen. Anders stellt sich die Situation dar, wenn gesetzesvorbehaltlich gewährleistete Grundrechtspositionen oder lediglich einfachrechtliche Positionen des Schuldners durch die Leistungserbringung beeinträchtigt werden: Die Vorhersehbarkeit des Konfliktes und damit das Vertretenmüssen kann hier durchaus in die Interessenabwägung einbezogen werden.145 Letztlich handelt es sich hierbei – wie bereits gezeigt146 – um eine Frage der vertraglichen Risikoverteilung. Hätte der Schuldner den Gläubiger beim Vertragsschluss auf einen erkennbaren Konflikt hingewiesen, hätte dieser den Konflikt in seine Risikokalkulation durch Vereinbarung eines niedrigeren Entgelts oder Vertragsabschluss mit einem anderen Vertragspartner einbeziehen können. Hat der Schuldner ihm diese Möglichkeit durch die fahrlässige Nichtoffenlegung des Konfliktes genommen, ist der Umstand zu seinen Lasten in die vertragliche Risikoverteilung einzubeziehen. Würde der Schuldner sich nun in vollem Umfang auf den vorhersehbaren Konflikt berufen können, so müsste der Gläubiger die negativen Folgen eines fahrlässigen Verhaltens des Schuldners tragen. Die Berufung auf den vorhersehbaren Konflikt nähert sich damit dem Vorwurf der Rechtsmissbräuchlichkeit.147 Folglich ist bei Betroffenheit gesetzesvorbehaltlich oder nur einfachrechtlich gewährleisteter Rechtspositionen ein Vertretenmüssen des Konfliktes zwar nicht als absolutes, jedoch als gewichtiges Abwägungskriterium in die Interessenabwägung einzubeziehen.  145

Vgl. oben § 9 III 1. Vgl. oben § 9 III 5 a). 147 Vgl. Scheschonka, Gewissensnot, S. 116 ff. 146

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

7. Erstreckung auf anfängliche Leistungshindernisse Die dargestellten grundrechtlichen Wertungen beanspruchen selbstverständlich auch dann Geltung, wenn das ideelle Leistungshindernis nicht erst im Durchführungsstadium des Vertrages entsteht, sondern schon anfänglich existiert. Die von Fischer aufgeworfene und als „rechtspolitisch höchst brisant“ eingeschätzte Frage148 stellt sich einfachrechtlich als Scheinproblem dar, da hier § 311a I BGB – auch schon im Regierungsentwurf – die klare Regelung trifft, dass anfängliche Leistungshindernisse die Leistungspflicht nach sämtlichen Tatbeständen des § 275 BGB entfallen lassen können. Verfassungsrechtlich betrachtet wird bei anfänglichen Leistungshindernissen freilich meist eine positive Kenntnis des Schuldners und damit ein partieller Grundrechtsverzicht durch Eingehung des Vertrages vorliegen oder aber – bei einfachrechtlichen Konflikten – der Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens zulässig sein. In diesen Fällen kommt es nicht zur „Unzumutbarkeit“ der Leistungserbringung, da dem Schuldner die Berufung auf seine Rechtsposition durch den Vertragsschluss abgeschnitten ist. In den verbleibenden Fällen eines anfänglichen Leistungshindernisses ohne positive Vorhersicht des Schuldners ist eine Lösung entsprechend den hier entwickelten Methoden angezeigt.

IV. Allgemeine Formel der ideellen „Unzumutbarkeit“ Was „Unzumutbarkeit“ aus ideellen Gründen inhaltlich ausmacht, ist damit letztlich schon dargestellt. Man könnte die Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen auf Grundlage der angestellten Überlegungen etwa durch folgende Formel zusammenfassend umschreiben: Ideelle Unzumutbarkeit der Leistungserbringung ist anzunehmen, wenn (1.) durch die geschuldete Leistungserbringung ein Konflikt zwischen geschützten Rechtsgütern oder Rechtspflichten des Schuldners und Gläubigers entsteht, (2.) die betroffenen Rechtsgüter des Schuldners höher zu gewichten sind als die durch eine Leistungsverweigerung betroffenen Rechtsgüter des Gläubigers oder Dritter – dabei kann sich die Höherwertigkeit entweder schon aus Gründen der Normhierarchie oder aber aus einer umfassenden Interessenabwägung ergeben –, und (3.) kein schonender Interessenausgleich etwa durch organisatorische Änderungen möglich ist. In diesen Fällen steht dem Leistungsschuldner ein Leistungsverweigerungsrecht auf Grundlage der jeweils einschlägigen einfachrechtlichen Normen zu.

 148

Fischer DB 2001, 1923 (1926).

§ 9 Unzumutbarkeit und Interessenabwägung

363

Die Formel hebt mit dem Erfordernis einer Abwägung der beteiligten Rechtsgüter und Pflichten (2.) deutlich hervor, dass die Interessenabwägung logisch zwingend schon ein Bestandteil des Unzumutbarkeitsbegriffs ist.149 Das Element der positiven Vorhersicht des Konfliktes wird hingegen schon für die erste Voraussetzung (1.) relevant, indem sie – wie gezeigt – schon den Konflikt zwischen Rechtsgütern oder Pflichten ausschließt. Auch das verfassungsrechtliche Erfordernis schonenden Ausgleichs, praktischer Konkordanz, hat Eingang in die Formel gefunden, wenn zuletzt auf die vorrangige Möglichkeit eines schonenden Interessenausgleichs Bezug genommen wird (3.): Die Anerkennung von „Unzumutbarkeit“ durch Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechts kann immer nur als ultima ratio in Betracht kommen, wenn ein schonenderer Interessenausgleich nicht möglich ist. In allen anderen Fällen mag zwar eine Rechtsgüter- oder Pflichtenkollision vorliegen. Diese kann jedoch durch vorrangige mildere Maßnahmen als eine Leistungsverweigerung abgewendet werden – „Unzumutbarkeit“ der Leistungserbringung liegt damit nicht vor. Mit der Formel wurde eine alle Fallgruppen umfassende Konkretisierung des Begriffs der ideell motivierten Unzumutbarkeit vorgeschlagen, die auch die praktische Handhabung dieses sperrigen und „schillernden“ unbestimmten Rechtsbegriffs erleichtern mag. Vor allem aber fasst die vorgeschlagene Formel die hier dargestellten dogmatischen Hintergründe zusammen und eröffnet den Blick auf die eigentlich tragenden, stark verfassungsrechtlich vorgeprägten Wertentscheidungen, die hinter der zivilrechtlichen Anerkennung der ideellen Unzumutbarkeit stehen.

 149

Vgl. Preis, Prinzipien, S. 151 m.w.N.; ders. ZG 1988, 319 (326).

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

§ 10 Die systematische Einbindung der ideellen Unzumutbarkeit in das Leistungsstörungsrecht Die Tatbestände der Unzumutbarkeit führten als ungeregelte Leistungsstörungstatbestände bis zur Neuregelung durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz ein Schattendasein im Grenzbereich zwischen Unmöglichkeitsrecht und allgemeinen, unbestimmten Rechtsinstituten wie dem Grundsatz von „Treu und Glauben“.1 Insgesamt herrschte im „alten“ Schuldrecht eine erhebliche Unsicherheit, auf welche Weise Unzumutbarkeits-Tatbestände systematisch handhabbar gemacht werden könnten. Diese Unsicherheit wurde durch die sehr weit gefasste und unbestimmte Neuregelung nur ein Stück weit beseitigt; vielfach wurden die Unsicherheiten und Unklarheiten des alten Rechts infolge der legislativen Selbst-Zurücknahme dem neuen, kodifizierten Recht implementiert.2 Die fortbestehende Unsicherheit in der Einordnung und Handhabung zeigt sich insbesondere in der Kontroverse um die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit.3 Daher ist es nach der Neuregelung umso gebotener, den Versuch einer systematischen Klarstellung zu unternehmen.

I. Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit – § 275 I-III BGB 1. Strukturverschiedenheit Im alten Schuldrecht musste das Recht der Unmöglichkeit dazu herhalten, verschiedenste Erscheinungsformen ungeregelter Leistungsstörungs-Tatbestände einer Lösung und rechtlichen Verankerung zuzuführen.4 Zielte die originäre Konzeption des BGB, die Urvorstellung des Gesetzgebers, noch allein auf die Regelung der naturgesetzlichen sowie der rechtlichen Unmöglichkeit ab,5 so wurde der Anwendungsbereich von § 275 BGB a.F. schnell auf Fälle der faktischen6 und schließlich der wirtschaftlichen7 Unmög 1

Vgl. ausführlich oben § 2 III 1 c) und – beispielhaft für Gewissenskonflikte – § 3 IV 2. Vgl. schon oben § 2 V. 3 Vgl. ausführlich oben § 7 III sowie Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 100 ff. m.w.N.; Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 ff.; Canaris JZ 2001, 499 (501, 504); Däubler NZA 2001, 1329 (1332); Fischer DB 2001, 1923 (1924); Joussen NZA 2001, 745 (747); Löwisch NZA 2001, 465 (466). 2

4

Vgl. oben § 2 II; ausführlich Fabricius, Leistungsstörungen, S. 29 ff. Mot. II, S. 45; Prot. I, S. 314 f.; vgl. dazu Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 20. 6 RGZ 105, 351. 7 RGZ 94, 47; RGZ 102, 273; ähnlich noch RGZ 107, 157. 5

§ 10 Die systematische Einbindung der ideellen Unzumutbarkeit

365

lichkeit ausgedehnt. Auch Konstellationen, die später der positiven Forderungsverletzung zugeordnet wurden, sollten über ein ausdehnendes Verständnis des Unmöglichkeitsbegriffs gelöst werden.8 Während sich in der Rechtsprechung schon zu einem recht frühen Zeitpunkt ein Paradigmenwechsel von diesem ausdehnenden Verständnis des Unmöglichkeitsrechts hin zu einer rechtsschöpferischen Findung gänzlich neuer Rechtsbehelfe – etwa des Wegfalls der Geschäftsgrundlage – abzeichnete,9 wurde der ursprüngliche Weg, den Unmöglichkeitsbegriff weit ausdehnend zu verstehen, in der Literatur zum Teil weiterhin beschritten. So schlug Kohte noch 1989 vor, ideelle UnzumutbarkeitsTatbestände generell dem Unmöglichkeitsrecht zuzuordnen.10 Diese Tendenz verkannte, dass bei weitem nicht alle in diesem Kontext diskutierten Spielarten von Leistungsstörungen durch das Unmöglichkeitsrecht eine adäquate Regelung erfahren konnten. Die Tatbestände der Unzumutbarkeit unterscheiden sich schon in ihrer Grundstruktur ganz gravierend von der ursprünglich in § 275 BGB a.F. gemeinten naturgesetzlichen und (richtig verstandenen) rechtlichen Unmöglichkeit: Während dort der Schuldner die Leistung aus naturgesetzlichen oder rechtlich-logischen Gründen gar nicht erbringen kann, selbst wenn er es wollte, zeichnen sich die Tatbestände der Unzumutbarkeit gerade dadurch aus, dass die Leistung naturgesetzlich und logisch weiterhin erbringbar bleibt.11 In den Fällen der Unmöglichkeit wird die Entscheidung für oder gegen eine Leistungserbringung dem Schuldner durch die vorgefundenen Fakten gleichsam abgenommen, ein Entscheidungsspielraum verbleibt ihm nicht. Für sämtliche dargestellten Fallgruppen der Unzumutbarkeit ist die dem Schuldner verbleibende Entscheidungsmöglichkeit hingegen geradezu charakteristisch:12 Die Leistungserbringung bleibt naturgesetzlich möglich; erst die rechtliche Wertentscheidung ergibt, dass die Leistungspflicht  8 Vgl. Himmelschein AcP 135 (1932), 255 (281 ff.); Kleineidam, Unmöglichkeit und Unvermögen, S.24 f., 94 f.; Titze, Unmöglichkeit der Leistung, S. 161 f. 9 Grundlegend RGZ 103, 332. Weber, Juristen-Jahrbuch III 212 (225) beschreibt diesen Vorgang als „Sprung aus einer Beurteilungssphäre in eine andere“. 10 Kohte NZA 1989, 161 ff.; ders. Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. Allgemein zum ausdehnenden Verständnis des Unmöglichkeitsbegriffs Kley, Unmöglichkeit und Pflichtverletzung, S. 24 ff. 11 Richtig daher auch die klare Abgrenzung bei Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 23: „Unmöglichkeit bedeutet ein absolutes Nichtleistenkönnen. [...] Sie hat darum nach den §§ 275, 323 BGB als einzig sinnvolle Konsequenz der unmöglichen Leistung eine absolute Rechtsfolge, die Befreiung des Schuldners. [...] Zu dem „relativen“ Tatbestand der bloßen Leistungserschwerung will die Übernahme der „absoluten“ Rechtsfolge aus den §§ 275, 323 BGB [...] von vornherein nicht passen.“ Ähnlich deutlich auch Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (44); Scheschonka, Gewissensnot, S. 32 ff.; Weber, Juristen-Jahrbuch III 212 (227). 12

Zu Recht stellt daher Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 38, 40 auf das Kriterium der Wahlmöglichkeit ab, die dem Schuldner in Fällen der Unzumutbarkeit verbleibt.

366

3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

mit Blick auf höherrangige Rechtsgüter oder Pflichten des Schuldners zu seiner Disposition gestellt wird.13 Angesichts dieser grundverschiedenen Struktur beider Spielarten von Leistungsstörungen verbot sich schon vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes eine einfache Gleichstellung von Konstellationen der Unzumutbarkeit mit Fällen der Unmöglichkeit. Der durch das Unmöglichkeitsrecht geregelte Entfall der Leistungspflicht von Gesetzes wegen bildet nur dann eine angemessene Rechtsfolge, wenn die Leistung zuvor schon naturgesetzlich unmöglich geworden ist. Nur die absolute Unerbringbarkeit der vereinbarten Leistung verträgt eine absolute Rechtsfolge, wie sie für das Recht der Unmöglichkeit charakteristisch ist.14 Gleiches gilt für den „automatischen“ Entfall des Gegenleistungsanspruchs: Hier das Unmöglichkeitsrecht auf UnzumutbarkeitsTatbestände anzuwenden, führt zu den im einzelnen schon dargestellten praktischen und systematischen Schwierigkeiten.15 Konsequent bringt daher das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz erstmals eine klare inhaltliche Trennung zwischen Unmöglichkeits- und Unzumutbarkeitstatbeständen zum Ausdruck.16 Während § 275 I BGB die Fälle der Unmöglichkeit in der hergebrachten Weise regelt und insbesondere den bekannten ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht und -möglichkeit fortschreibt, enthalten die Abs. 2 und 3 der Vorschrift Leistungsverweigerungsrechte mit Einredecharakter, die jeweils unterschiedliche Tatbestände der Unzumutbarkeit regeln.17 Die Neuregelung trägt damit inhaltlich der aufgezeigten Strukturverschiedenheit beider Erscheinungsformen von Leistungsstörungen Rechnung und ver 13

Weber, Juristen-Jahrbuch III 212 (227): Unmöglichkeit und Nichtzumutbarkeit liegen „auf verschiedenen Ebenen“. 14 Vgl. Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 23. Auch das BAG weist in seiner Entscheidung vom 24.5.1989 (AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1) darauf hin, dass die Annahme einer „absoluten Unmöglichkeit“ etwa bei Gewissenskonflikten „dem zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Konflikt nicht gerecht werden“ könne, da bei konsequenter Anwendung des Unmöglichkeitsrechts kein Raum für die gebotene Interessenabwägung verbleibe. 15 Diese treten gerade bei der besonderen Problematik der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zu Tage; vgl. oben § 7 II und III. 16 Vgl. Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106; anders Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 320, und Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 480, die die von § 275 III BGB erfassten Konstellationen ausdrücklich als „persönliche Unmöglichkeit“ charakterisieren. Ähnlich Emmerich, Leistungsstörungen, S. 46 („sittliche Unmöglichkeit“). 17 An dieser Stelle sei auf den engen entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang hingewiesen, in dem die Abs. 2 und 3 der Vorschrift stehen. Noch in dem Regierungsentwurf vom 9.5.2001 wurden beide Tatbestände in einem Absatz geregelt. Erst in der Endphase des Gesetzgebungsverfahrens wurde die Thematik – sinnvollerweise – in zwei Absätze aufgespalten. Dennoch verdeutlicht gerade die Entstehungsgeschichte, dass es sich in beiden Fällen um systematisch eng verwandte Leistungsstörungs-Tatbestände der Unzumutbarkeit handelt.

§ 10 Die systematische Einbindung der ideellen Unzumutbarkeit

367

meidet die bisher bei einer ausdehnenden Anwendung des Unmöglichkeitsrechts auftretenden Wertungsfehler, die einen unbefriedigenden Korrekturbedarf auslösten.18

2. Abgrenzung von § 275 I zu § 275 II, III BGB Die klare Auftrennung in Unmöglichkeits- und Unzumutbarkeitstatbestände, die nun insbesondere auch in den divergierenden Rechtsfolgen Niederschlag findet, ist vor allem als Richtschnur zur Abgrenzung der einzelnen Absätze des neuen § 275 BGB heranzuziehen. Durch die separate Regelung der Unzumutbarkeits-Tatbestände in § 275 II und III BGB wird die Unmöglichkeit des § 275 I BGB auf ihren eigentlichen Kernbereich zurückgedrängt.19 Das dargestellte ausweitende Verständnis des Unmöglichkeitsrechts wird damit durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz legislativ korrigiert, die Unmöglichkeit auf ein angemessenes Maß reduziert. So unterfallen die unter dem Stichwort der „ideellen Unzumutbarkeit“ zu diskutierenden Konstellationen nunmehr jedenfalls nicht mehr der Unmöglichkeit i.S.v. § 275 I BGB – insoweit hat das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz mit der expliziten Regelung in § 275 III BGB eine eindeutige inhaltliche Klarstellung gebracht.

a) Praktische und faktische „Unmöglichkeit“ Ebenfalls nicht mehr dem Unmöglichkeitsrecht im engeren Sinne unterfallen auch die Konstellationen der „praktischen“ oder „faktischen“ Unmöglichkeit.20 Nach der Regierungsbegründung sollen diese Konstellationen nun von § 275 II BGB erfasst sein.21 Für diese Fallgruppen ist charakteristisch, dass die Leistung zwar nicht naturgesetzlich, „wirklich“22 unmöglich geworden ist. Die vertragsgemäße Leistungserbringung würde dem Schuldner allerdings einen „unverhältnismäßigen Aufwand“23 abverlangen, sie kann dem Schuldner aus mate 18

Vgl. allgemein Palandt-Heinrichs63 Vorbem. vor § 275 Rn. 5: das unabgestimmte Nebeneinander von geschriebenem Recht und Richterrecht habe zu Ungereimtheiten und Widersprüchen geführt. 19

Vgl. Mot. II, S. 45; Prot. I, S. 314 f. ; vgl. auch Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 20. Vgl. nur Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 320. 21 BT-Drucks. 14/6040 S. 129 re. Spalte unten; ein anschauliches und auch von der Regierungsbegründung zitiertes Beispiel ist der „Ring auf dem Meeresboden“. 22 So die Terminologie der Regierungsbegründung; vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 130. 20

23

BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte; gemeint sind demnach einerseits Aufwendungen in Geld, andererseits jedoch auch Tätigkeiten und sonstige persönliche Anstrengungen.

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

riell-wirtschaftlichen Gründen nicht zugemutet werden. Die bisherige „faktische“ oder „praktische“ Unmöglichkeit stellt damit im Grunde eine Extremkonstellation von materiell-wirtschaftlicher Unzumutbarkeit dar. § 275 II BGB korrigiert daher die zweifelhafte Einordnung in das klassische Recht der Unmöglichkeit, indem die Vorschrift dem Schuldner für derartige Fälle ein Leistungsverweigerungsrecht zur Seite stellt. Ihm sollen keine unzumutbaren wirtschaftlichen Anstrengungen aufgebürdet werden.24 Die Vorschrift suspendiert damit die vertragliche Leistungspflicht des Schuldners zugunsten seiner bedrohten Vermögensinteressen.25 Erfasst sind daneben auch unzumutbare „persönliche Anstrengungen“,26 wobei der Unzumutbarkeitsbegriff materiell-wirtschaftlich zu konkretisieren ist. Typisch dürften hier Fälle sein, in denen die vertragsgemäße Leistung dem Schuldner ein persönliches Tätigwerden abverlangt, das ihm die anderweitige wirtschaftliche Verwertung seiner Leistung in unzumutbarer Weise erschwert. Durch die gewählte Konstruktion eines Leistungsverweigerungsrechts mit Einredecharakter trägt § 275 II BGB der auch in diesen Konstellationen fortbestehenden Wahlmöglichkeit des Schuldners – er kann ohne weiteres auch die „unverhältnismäßige Anstrengung“ auf sich nehmen und vertragsgemäß leisten – Rechnung und erkennt mit der klaren konstruktiven Trennung zwischen § 275 I und II BGB die Strukturverschiedenheit von Unmöglichkeit und materieller Unzumutbarkeit legislativ an. Für § 275 I BGB verbleibt damit nur ein Kernbereich des Unmöglichkeitsrechts, nämlich zum einen die naturgesetzliche Unmöglichkeit, also jene Fälle, in denen die geschuldete Leistung schlechthin nicht mehr erbracht werden kann.27 Zum anderen bleiben dem Anwendungsbereich von § 275 I BGB Fälle der „rechtlichen“ Unmöglichkeit zugeordnet.28 Diese Gleichstellung erscheint sinnvoll, ergibt sich in dieser Fallgruppe doch eine der naturgesetzlichen Unmöglichkeit äußerst verwandte Struktur: Wie bei naturgesetzlicher Unmöglichkeit die Leistung aus naturgesetzlich-tatsächlichen Gründen schlechthin nicht erbringbar ist, ist die Leistung bei der rechtlichen Unmöglichkeit aus rechtlichen Gründen nicht erbringbar. Das rechtliche Können des Schuldners ist hier wie sein tatsächliches Können in den Fällen der naturgesetzlichen Unmöglichkeit derart beschnitten, dass die Leistung schlechthin nicht mehr erbracht werden kann.  24 Ähnlich Canaris JZ 2001, 499 (505): Die Vorschrift enthalte eine Konkretisierung des Rechtsmissbrauchsverbotes und greife hierfür auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip zurück. 25

Vgl. Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte Abs. 3. 27 BT-Drucks. 14/6040 S. 130 spricht von „wirklicher“ Unmöglichkeit. 28 Ebenso Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 40. 26

§ 10 Die systematische Einbindung der ideellen Unzumutbarkeit

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b) Rechtliche „Unmöglichkeit“ Aus dem Gesagten ergibt sich zugleich jedoch eine bemerkenswerte Einschränkung für die rechtliche Unmöglichkeit: Die – unter § 275 I BGB zu verortende – rechtliche Unmöglichkeit ist konsequenterweise auf jene Fälle zu reduzieren, in denen die der Leistungserbringung entgegenstehende Rechtsnorm schon das rechtliche Können des Schuldners beschneidet. Zweifellos ist daher die Verpflichtung des Schuldners zur Übereignung einer Sache, welche dem Gläubiger bereits gehört, ein Fall rechtlicher Unmöglichkeit.29 Gleiches gilt etwa für die Vereinbarung eines Nutzungsrechtes, das dem Gläubiger bereits infolge Gemeingebrauchs zusteht,30 die Übereignung einer beschlagnahmten oder enteigneten Sache31 oder die Bestellung eines vererblichen Nießbrauchs (vgl. § 1061 BGB).32 Nur in derartigen Fällen ist die Sachund Interessenlage den Fällen „wirklicher“ naturgesetzlicher Unmöglichkeit vergleichbar. Ist hingegen lediglich das rechtliche Dürfen des Schuldners beeinträchtigt, so bleibt die Leistung als solche erbringbar, mag die Leistungserbringung auch rechtlich missbilligt sein.33 Dem Schuldner verbleibt die charakteristische Entscheidungssituation, ob er dem entgegenstehenden rechtlichen Verbot gehorcht oder aber seiner vertraglichen Leistungspflicht folgt. Diese Konstellation ist daher gerade keine Situation rechtlicher Unmöglichkeit, sondern allenfalls rechtlicher Unzumutbarkeit:34 Hier kann es dem Schuldner ideell unzumutbar sein, eine drohende rechtliche Sanktion infolge der Vertragserfüllung auf sich zu nehmen – rechtlich unmöglich ist ihm die Leistungserbringung jedoch angesichts der verbleibenden Entscheidungsmöglichkeit für oder gegen eine Leistungserbringung gerade nicht. Beispielhaft sei hier ein Beschäftigungsverbot wegen der Überschreitung von Schadstoff-Grenzwerten im Betrieb oder der  29 30

Beispiel nach BGH VIZ 1996, 519.

Beispiel nach RGZ 150, 218. Beispiele nach BGH DtZ 1996, 26 und BGHZ 90, 292. 32 Beispiel von Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 367. 33 Anders freilich die Regierungsbegründung BT-Drucks. 14/6040 S. 129 re. Spalte, die schon ein Arbeitsverbot für die Annahme „wirklicher“ rechtlicher Unmöglichkeit nach § 275 I BGB genügen lassen will. Dies erscheint inkonsequent, wenn man zutreffend die dem Schuldner verbleibende Entscheidungsmöglichkeit als zentrales Abgrenzungskriterium betrachtet (vgl. Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 40). 34 Wie hier auch schon Enneccerus/Lehmann, Bürgerliches Recht Bd. 2, § 29 I 2: Juristische Unmöglichkeit könne nur eintreten, wenn der Schuldner aus rechtlichen Gründen tatsächlich nicht leisten könne. MünchArbR-Blomeyer § 48 Rn. 45 spricht von „subjektivem Unvermögen aus ‚sozialethischer Unzumutbarkeit‘“; ähnlich auch § 39 ArbVG 1992 mit Begründung D 103; § 39 ArbVG Brandenburg mit Begründung S. 171; dagegen Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 109. 31

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

Nichtbeachtung anderer Bestimmungen der Arbeitssicherheit angeführt. Soll der Arbeitnehmer, der gleichwohl arbeitet, seinen Lohnanspruch ipso iure nach § 326 I BGB verlieren? Dieses recht paradoxe Ergebnis wäre Konsequenz einer Einordnung als „rechtlicher Unmöglichkeit“ i.S.v. § 275 I BGB. Insofern lassen sich die zur krankheitsbedingten „Arbeitsunzumutbarkeit“ entwickelten Gegenargumente übertragen.35 Schon in Anbetracht der fortbestehenden Entscheidungsmöglichkeit stellen auch die Fälle einer Kollision zwischen Arbeits- und Elternpflicht keine Fallgruppe rechtlicher Unmöglichkeit sondern ideeller Unzumutbarkeit dar:36 Zwar gebietet in derartigen Fällen die Rechtsordnung die Leistungsverweigerung, sie erzwingt sie jedoch nicht. Anders gesagt beschneidet die entgegenstehende rechtliche Pflicht nicht das rechtliche Können des Arbeitnehmers, sondern lediglich sein rechtliches Dürfen. Die verbleibende charakteristische Entscheidungsmöglichkeit des Schuldners offenbart, dass es sich hier um keinen Fall von Unmöglichkeit sondern eine Unzumutbarkeitskonstellation handelt, in der höherrangige Rechtspflichten mit der Vertragspflicht in Konflikt treten. Aus diesem Grunde wäre in derartigen Fällen auch der von § 275 I BGB statuierte ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht und -möglichkeit unpassend, würde er doch dem Schuldner die rechtlich nicht ausgeschlossene, charakteristische Entscheidung abnehmen.

c) Strukturprinzipien Insgesamt verlangt das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz somit nach einer klar getrennten Betrachtung von Unmöglichkeits- und Unzumutbarkeitstatbeständen.37 § 275 I BGB ist ausschließlich für Fälle einschlägig, in denen die Leistung aus naturgesetzlichen oder rechtlichen Gründen gar nicht erbracht werden kann, dem Schuldner also kein Entscheidungsspielraum für oder gegen eine Leistungserbringung verbleibt. Nur in diesen Fällen stellt der von § 275 I BGB statuierte ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht eine adäquate Rechtsfolge dar. Sie erscheint nur dann angemessen, wenn zuvor schon die naturgesetzliche oder rechtliche Leistungsmöglichkeit entfallen ist. Diejenigen Fälle hingegen, in denen die Leistung naturgesetzlich und rechtlich weiterhin erbracht werden kann, mit Blick auf höherrangige Rechtsgüter oder Pflichten dem Schuldner jedoch keine unbedingte Leistungspflicht aufgebürdet werden soll, unterfallen im Grundsatz den neu geschaffenen Unzumut 35

Vgl. oben § 7 II 2. Vgl. ausführlich oben § 5 I 2 und 3 d). 37 Vgl. Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106. 36

§ 10 Die systematische Einbindung der ideellen Unzumutbarkeit

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barkeitstatbeständen der Abs. 2 und 3. Danach kann der Schuldner selbst entscheiden, ob er die Leistung verweigern oder aber trotz objektiv bestehender Unzumutbarkeit die vertraglich geschuldete Leistung erbringen möchte. Insgesamt lässt sich festhalten, dass durch die Neuregelung der Anwendungsbereich des Unmöglichkeitsrechts auf einen Kernbereich zurückgedrängt wurde, der dem originären Vorstellungsbild des historischen Gesetzgebers weitgehend entspricht.38 Zugleich haben ungeregelte Leistungsstörungstatbestände, die bislang in Teilen ebenfalls dem Unmöglichkeitsrecht zugeordnet wurden, nun eine eigenständige Regelung erfahren, die in den Rechtsfolgen dem Charakter der jeweiligen Tatbestände weit eher gerecht wird als eine pauschale Gleichstellung mit Tatbeständen der Unmöglichkeit.

3. Abgrenzung zwischen § 275 II und § 275 III BGB § 275 II und § 275 III BGB weisen auf den ersten Blick eine enge Strukturverwandtschaft auf: Beide Regelungen enthalten Leistungsverweigerungsrechte mit Einredecharakter; in beiden Fällen wird das „Leistungsinteresse des Gläubigers“ gegen ein Leistungshindernis abgewogen, das der vertragsgemäßen Leistungserbringung entgegensteht. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Tatbeständen liegt in der Natur dieses Leistungshindernisses: Voraussetzung des Leistungsverweigerungsrechts nach § 275 II BGB ist, dass die vertraglich geschuldete Leistung „einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht“. Die hierdurch erfassten Fallgruppen der „faktischen“ oder „praktischen“ Unmöglichkeit39 sind dadurch gekennzeichnet, dass die vertraglich geschuldete Leistung zwar nicht naturgesetzlich unmöglich ist, dem Schuldner allerdings einen „unverhältnismäßigen Aufwand“40 abverlangen würde. Dem Schuldner sollen keine unzumutbaren wirtschaftlichen Anstrengungen aufgebürdet werden.41 Auch die Spielart der unverhältnismäßigen „persönlichen Anstrengungen“42 ist an dieser Stelle materiell-wirtschaftlich zu verstehen.43 Damit durch 38

Vgl. Mot. II, S. 45; Prot. I, S. 314 f.; vgl. auch Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 20. Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 129 re. Spalte unten. 40 BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte; gemeint sind demnach einerseits Aufwendungen in Geld, andererseits jedoch auch Tätigkeiten und sonstige persönliche Anstrengungen. 41 Ähnlich Canaris JZ 2001, 499 (505): Die Vorschrift enthalte eine Konkretisierung des Rechtsmissbrauchsverbotes und greife hierfür auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip zurück. 39

42 43

BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte. Vgl. oben § 10 I 2 a).

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

bricht die Vorschrift in den erfassten Fallgestaltungen die vertragliche Leistungspflicht des Schuldners zugunsten seiner bedrohten Vermögensinteressen; es handelt sich um Konstellationen materiell-wirtschaftlicher Unzumutbarkeit. Die bisherige Bezeichnung als „faktische“ oder „praktische“ Unmöglichkeit war demgegenüber irreführend, da die vertragsgemäße Leistung in diesen Fällen gerade nicht unmöglich, sondern lediglich erschwert ist. Wie also das Leistungsverweigerungsrecht des § 275 II BGB die vertragliche Leistungspflicht trotz fortbestehender Leistungsmöglichkeit zugunsten bedrohter Vermögensinteressen des Schuldners durchbricht, ordnet § 275 III BGB dasselbe für einen Konflikt zwischen der vertraglichen Erfüllungspflicht und höherrangigen, ideellen Rechtsgütern und Pflichten des Schuldners an. Die Vorschrift bestimmt, dass der persönlich leistungspflichtige Schuldner die Leistung verweigern kann, wenn ihm die Leistungserbringung „unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann“. Gemeint sind damit – wie schon im Detail dargelegt – Konstellationen ideell-personaler Rechtsgüter- und Pflichtenkollisionen.44 Hier muss die vertragliche Erfüllungspflicht – vielfach schon aufgrund verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen45 – gegenüber dem bedrohten, konfligierenden Rechtsgut zurücktreten. Für dieses Leistungsverweigerungsrecht soll jedoch nicht die Bedrohung eines jeden beliebigen Rechtsgutes ausreichen. Wie gezeigt wurde, bedingt gerade die besonders personale Struktur der bedrohten Rechtsgüter oder die persönliche Leistungspflicht den auftretenden Konflikt.46 Nur bei einem stark personalen Charakter der Konfliktsituation kann die verfassungsrechtliche Wertentscheidung zur „Unzumutbarkeit“ der ordnungsgemäßen Vertragserfüllung führen. Gerade aus diesem Grund beschränkt § 275 III BGB sich auf die Regelung der Problematik in Schuldverhältnissen mit persönlicher Leistungspflicht. Wie dargestellt, übersieht die Norm dabei, dass im Einzelfall die besonders intensive personale Prägung einer (Grund-)Rechtsposition – insbesondere bei Menschenwürde und Gewissensfreiheit – auch bei nicht personalen Leistungspflichten zu vergleichbaren Konflikten führen kann.47 Hier führt die Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs zu den aufgezeigten Schwierigkeiten; andere Lösungswege müssen gefunden werden.48  44 Zu den Fallgruppen oben § 3 – 8; vgl. auch den Überblick bei Henssler AcP 190 (1990), 538 (559 ff.) und jetzt bei Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 97 ff. 45

Oben § 9 III 2 b). Oben § 3 II 2 d). 47 Vgl. oben § 3 II 2 d) und Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (39). 48 Oben § 3 III 2. Zutreffend erscheint daher in diesen Konstellationen eine Lösung über § 242 BGB; vgl. so schon zum alten Schuldrecht ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 970 f.; Henssler AcP 190 (1990), 538 (545); Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personen46

§ 10 Die systematische Einbindung der ideellen Unzumutbarkeit

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Für die Abgrenzung der Anwendungsbereiche von § 275 II und III BGB lässt sich an dieser Stelle festhalten: § 275 II BGB regelt umfassend – für alle Arten von Schuldverhältnissen – die Konstellationen der bisherigen „faktischen“ oder „praktischen“ Unmöglichkeit, die sich treffender als Konstellationen materiellwirtschaftlicher Unzumutbarkeit beschreiben lassen. § 275 III BGB regelt hingegen Fälle der Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen, nämlich bei Rechtsgüter- und Pflichtenkollisionen im Bereich personaler Leistungspflichten. Offen bleibt dabei zunächst die Frage, welche Schlüsse sich hieraus für die Regelung vergleichbarer Konflikte im Bereich nicht-persönlicher Leistungspflichten ableiten lassen.

II. „Unzumutbarkeit“ und „Geschäftsgrundlage“ Vor allem Zimmer49 hat die Frage aufgeworfen, wie man die Tatbestände des § 275 II, III BGB von dem jetzt in § 313 BGB geregelten Wegfall der Geschäftsgrundlage abgrenzen könne. Das Gesetz mache in keiner Weise deutlich, welches Verhältnis zwischen den drei Rechtsbehelfen bestehen soll; dem Wortlaut nach ergäbe sich ein großer Überschneidungsbereich. Betrachtet man den Gesetzeswortlaut isoliert, so liegt der Einwand der Unabgrenzbarkeit der Tatbestände durchaus nahe: Wie Zimmer richtig ausführt, greifen dem Wortlaut nach sowohl § 275 BGB als auch § 313 BGB ein, wenn die Parteien den Vertrag in Anbetracht des von § 275 II oder III BGB erfassten Leistungshindernisses nicht oder nicht mit gleichem Inhalt abgeschlossen hätten.50 Die divergierenden Rechtsfolgen – einerseits Einräumung eines Leistungsverweigerungsrechts mit schadensersatz- und kündigungsrechtlichen Konsequenzen, andererseits Vertragsanpassung – machen jedoch eine Abgrenzung dringend erforderlich. Betrachtet man die historische Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, so wird deutlich, dass er für Konstellationen materiellwirtschaftlicher Unzumutbarkeit geschaffen wurde.51 Entsprechend dem eingangs dargestellten Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung des Reichsge bedingte Kündigung Nr. 9; Ortlepp Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; Kramer Anm. zu BAG AP § 123 BGB Nr. 23; zum neuen Schuldrecht bislang Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 136, 447; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 482, der „flexiblere Lösungen“ unter Rückgriff auf § 242 BGB anmahnt. 49 Zimmer NJW 2002, 1 (11 f.); ähnlich auch MünchKomm-Ernst § 275 n.F. Rn. 111; Henssler RdA 2002, 129 (131). 50 51

Zimmer NJW 2002, 1 (12). Henssler AcP 190 (1990), 538 (545 f.).

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

richts52 drängte die Lehre von der Geschäftsgrundlage die aufgezeigten Fehlentwicklungen eines ausweitenden Verständnisses des Unmöglichkeitsrechts ein Stück weit zurück und schuf ein eigenständiges, flexibleres Instrumentarium für Fälle wirtschaftlicher Unzumutbarkeit der Leistungserbringung. Es blieb jedoch eine deutliche Strukturverwandtschaft zu den Fällen der „faktischen“ oder „praktischen“ Unmöglichkeit. Das oft zitierte Beispiel des „Rings auf dem Meeresboden“ hätte man ohne weiteres auch mit Hilfe der Lehre von der Geschäftsgrundlage lösen können. Die „faktische Unmöglichkeit“ ist somit letztlich nichts anderes als ein zugespitzter Extremfall der „wirtschaftlichen Unmöglichkeit“. Bei beiden Fallgruppen handelt es sich nicht um Tatbestände der Unmöglichkeit, sondern vielmehr um Konstellationen materiell-wirtschaftlicher Unzumutbarkeit; in beiden Fällen verbleibt dem Schuldner der für Unzumutbarkeits-Konstellationen charakteristische Entscheidungsspielraum. Konsequenterweise hätte daher schon vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes eine einheitliche Lösung gefunden werden sollen, die auch für Fälle der faktischen Unmöglichkeit in dem flexibleren Instrumentarium des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gelegen hätte. Rechtswissenschaft und -praxis hielten jedoch für den Sonderfall der „praktischen“ oder „faktischen“ Unmöglichkeit an der problematischen Einordnung in das Unmöglichkeitsrecht fest, obwohl diese für die umfassendere Fallgruppe der wirtschaftlichen Unmöglichkeit zu Recht schon in der Aufwertungs-Rechtsprechung des Reichsgerichts als unangemessener Lösungsansatz erkannt worden war.53 Da also der Sonderfall der „faktischen Unmöglichkeit“ an dem dargestellten Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung nicht teilnahm und weiterhin dem Unmöglichkeitsrecht zugeordnet wurde, erfuhren bis zum Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes zwei Fallgruppen der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit eine Lösung nach gänzlich unterschiedlichen rechtlichen Mustern: Einerseits mit Hilfe der „faktischen“ Unmöglichkeit, also dem älteren Ansatz, den Unmöglichkeitsbegriff ausdehnend zu begreifen, andererseits – bei den „leichteren“ Leistungserschwerungen der früheren „wirtschaftlichen Unmöglichkeit“ – mit dem neueren Rechtsbehelf des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Damit verkannte die Rechtspraxis, dass es sich bei den Fallgruppen der „wirtschaftlichen“ und der „faktischen“ Unmöglichkeit nicht um unterschiedliche rechtliche Phänomene, sondern vielmehr um nur graduell zu unterscheidende Ausprägungen einer Leistungserschwerung aus materiellen Gründen handelt, letztlich also um eng verwandte Tatbestände materiell-wirtschaftlicher Unzumutbarkeit. Die divergierenden Lösungswege wurden in das neue Schuld 52 53

Vgl. oben § 2 II und Weber, Juristen-Jahrbuch III 212 (225). Grundlegend RGZ 103, 332.

§ 10 Die systematische Einbindung der ideellen Unzumutbarkeit

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recht übernommen: So stellt nun § 275 II BGB – als der Unmöglichkeit regelungstechnisch nahegestellter Unzumutbarkeits-Tatbestand54 – das Instrumentarium zur Bewältigung von Konstellationen der bisherigen „praktischen Unmöglichkeit“ zur Verfügung. § 313 BGB kodifiziert die Lehre von der Geschäftsgrundlage. Dass somit für eng verwandte Fallgruppen wirtschaftlich-materieller Unzumutbarkeit durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz keine einheitliche Regelung geschaffen wurde, stellt ein Defizit der Reform dar; die Abgrenzung zwischen § 275 II BGB und § 313 BGB fällt somit in der Tat äußerst schwer.55 Weit weniger problematisch ist hingegen die Abgrenzung zwischen § 275 III BGB und § 313 BGB. § 313 BGB regelt – wie gezeigt – Fälle materiellwirtschaftlicher Unzumutbarkeit. § 275 III BGB hingegen erfasst Konstellationen der ideellen Rechtsgüter- oder Pflichtenkollision. Damit regelt § 275 III BGB keine Fälle materiell-wirtschaftlicher Unzumutbarkeit, sondern Konstellationen einer Unzumutbarkeit aus ideellen und personalen Gründen. Zwar besteht zwischen beiden Tatbeständen eine recht enge Verwandtschaft:56 Für beide ist die verbleibende Entscheidungsmöglichkeit des Schuldners charakteristisch; es handelt sich in beiden Fällen um Konstellationen der Unzumutbarkeit. Die Abgrenzungslinie zu § 313 BGB verläuft freilich klar und eindeutig – ähnlich wie zu § 275 II BGB – genau an der aufgezeigten Stelle: Während § 275 III BGB Fälle ideeller Unzumutbarkeit regelt und sich daher – irrig57 – in seinem sachlichen Anwendungsbereich auf persönliche Leistungs 54

Zur regelungstechnischen Umsetzung vgl. unten § 12. Zum Teil wird eine qualitative Abgrenzung beider Tatbestände vorgeschlagen, vgl. Canaris JZ 2001, 499 (505); ders. ZRP 2001, 329 (330): Bei § 275 II BGB komme es entscheidend auf das Leistungsinteresse des Gläubigers an; das Interesse des Schuldners an der Leistungsverweigerung spiele gar keine Rolle. Anders komme es bei § 313 BGB auf die Unzumutbarkeit der Leistungserbringung für den Schuldner an. Diese Abgrenzung entspricht kaum der geltenden Rechtslage, da § 275 II BGB gerade das Leistungsinteresse des Gläubigers in Abwägung zu dem „Aufwand“ des Schuldners stellt, also – wie auch bei § 313 BGB durch den Begriff der „Zumutbarkeit“ zum Ausdruck gebracht – beide Rechtspositionen gegeneinander abgewogen werden müssen. Überwiegend wird daher – wie bisher zwischen „faktischer Unmöglichkeit“ und Wegfall der Geschäftsgrundlage – eine Abgrenzung nach dem Grad der Leistungserschwerung vorgeschlagen; die „bloße Leistungserschwernis“ – BT-Drucks. 14/6040 S. 130 – soll nach § 313 BGB gelöst werden; für eine Anwendung von § 275 II BGB soll das Leistungshindernis ein Gewicht erreichen, dass die Leistungserbringung von keinem vernünftigen Schuldner erwartet werden kann; vgl. AnwK-Dauner-Lieb § 275 Rn. 14. Ob dieses Kriterium wirklich zu einer klaren Abgrenzung beider Tatbestände geeignet ist, kann bezweifelt werden. Kritisch auch Stoll JZ 2001, 589 (591); Wilhelm JZ 2001, 861 (867); Dedek, in: Henssler/v.Westphalen § 275 Rn. 28. Die Problematik kann hier kaum vertieft werden, da sie den Rahmen und die Themenstellung dieser Arbeit sprengen würde. 55

56

Vgl. Henssler AcP 190 (1990), 538 (545 f.); ders. RdA 2002, 129 (131). Es sei nochmals auf die besondere Problematik bei Gewissenskonflikten hingewiesen, die eben nicht allein bei persönlicher Leistungspflicht, sondern letztlich in jedem Schuldverhältnis auftreten können; vgl. oben § 3 II 2 d) und sogleich unten § 10 III. 57

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

pflichten beschränkt, erfasst § 313 wie § 275 II BGB Fälle materiellwirtschaftlicher Unzumutbarkeit.58 Das Abgrenzungsproblem ergibt sich also zwischen § 275 III und § 313 BGB kaum; umso drängender ergibt es sich zwischen § 313 und § 275 II BGB.59

III. Das Verhältnis zum Rechtsprinzip von Treu und Glauben, § 242 BGB Vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetz stellte – wie im einzelnen schon dargestellt – das Rechtsprinzip von Treu und Glauben den richtigen Ansatzpunkt zur Bewältigung von Konstellationen ideell motivierter Unzumutbarkeit dar.60 Wie für Fälle materiell-wirtschaftlicher Unzumutbarkeit die Lehre von der Geschäftsgrundlage letztlich auf diesem Rechtsprinzip fußt, so speist sich eine angemessene Lösung der Problematik ideeller Unzumutbarkeits-Tatbestände aus dem Gedanken treuwidrigen, rechtsmissbräuchlichen Verhaltens seitens des Gläubigers.61 Somit diente nach zutreffender Ansicht auch in diesem ungeregelten Bereich des Leistungsstörungsrechts § 242 BGB als Ansatzpunkt einer rechtsfortbildenden Lösung der Problematik.62 Durch die Neuregelung in § 275 III BGB wurde ein umfangreicher Bereich dieser auf Basis von § 242 BGB entwickelten Lösung kodifiziert; einer Verankerung in § 242 BGB bedarf es daher im Regelungsbereich von § 275 III BGB nicht mehr. Schon an dieser Stelle sei freilich hervorgehoben, dass die dogmatische Herkunft des jetzt in § 275 III BGB geregelten Leistungsverweigerungsrechts aus dem Kontext von Treu und Glauben nicht vergessen werden darf, will man die regelungstechnische Konzeption der Neuregelung angemessen würdigen.63  58

Grundlegend verfehlt ist daher die Aussage der Regierungsbegründung, Gewissenskonflikte bei der Leistungserbringung ließen sich „nur über § 313 RE oder über die Anwendung von Treu und Glauben lösen“, BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte. Die Regierungsbegründung verkennt damit die klare Abgrenzungslinie zur Lehre von der Geschäftsgrundlage, die nicht Konstellationen ideell-personaler, sondern materiell-wirtschaftlicher Unzumutbarkeit gerecht werden will. 59

Vgl. Zimmer NJW 2002, 1 (4); Henssler RdA 2002, 129 (131). ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 970 f.; Henssler AcP 190 (1990), 538 (545); Ortlepp Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; Kramer Anm. zu BAG AP § 123 BGB Nr. 23. 60

61 Vgl. noch Canaris JZ 2001, 499 (504): § 275 III BGB enthalte eine „Konkretisierung des Rechtsmissbrauchsgedankens“. Ähnlich Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 447: Die Frage könne „juristisch nur bei der Billigkeit angesiedelt werden“. 62 63

Oben § 10 Fn. 60. Dazu unten § 12.

§ 10 Die systematische Einbindung der ideellen Unzumutbarkeit

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Weiterhin geeigneter Ansatzpunkt einer angemessenen Lösung ist § 242 BGB im Bereich der ideellen Unzumutbarkeit dort, wo sich das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz bewusst oder unbewusst einer Regelung enthält. Dies ist vor allem der Fall im Bereich der Glaubens- und Gewissenskonflikte.64 Hier bringt die Regierungsbegründung klar zum Ausdruck, dass die Fallgruppe nicht der Neuregelung des § 275 III BGB unterfallen soll; diese Fälle sollen sich nach dem klaren Willen des Gesetzgebers „nur über § 313 RE oder über die Anwendung von Treu und Glauben lösen“ lassen.65 Dass die vorgeschlagene Verortung in § 313 BGB verfehlt ist und die Abgrenzungslinie zwischen beiden Rechtsinstituten verkennt, wurde schon dargestellt.66 Es verbleibt nach dem klaren legislativen Willen also alleine eine Einordnung unter § 242 BGB, wie sie schon vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes verbreitet anerkannt war.67 Diese „gespaltene“ Lösung einer einheitlichen Problematik ist unbefriedigend; sie scheint jedoch unausweichlich, wenn man bedenkt, dass Gewissenskonflikte – anders als andere ideelle Leistungshindernisse – aufgrund der besonders intensiven personalen Prägung des betroffenen Rechtsguts „Gewissen“ auch bei nicht persönlichen Leistungspflichten auftreten können, die Regelung in § 275 III BGB also auch inhaltlich für Gewissenskonflikte nicht passt.68 Auf die hier schon vorgeschlagene elegantere Lösungsmöglichkeit der Problematik sei nochmals hingewiesen.69 Der Gesetzgeber hat demgegenüber den unbefriedigenden Weg gewählt, einerseits mit § 275 III BGB einen umfassenden Ausschnitt ideeller Unzumutbarkeits-Tatbestände ausdrücklich zu regeln, für die Teilproblematik der Gewissenskonflikte jedoch lakonisch auf die hergebrachte rechtsfortbildende Verankerung im Rechtsprinzip von „Treu und Glauben“ zu verweisen. Letztlich wird auch und gerade an dieser Stelle ein gesetzgeberi-

 64 Wie hier Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 136, 447. Vgl. ausführlich oben § 3 III und IV 2 b); zu weiteren Konstellationen von § 242 BGB vgl. oben § 8 I 1. 65

BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte. Oben § 10 Fn. 58. 67 Henssler AcP 190 (1990), 538 (545); ähnlich ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 970 f.; Ortlepp Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; Kramer Anm. zu BAG AP § 123 BGB Nr. 23. 66

68 Erinnert sei an das anschauliche, wenn auch etwas skurrile Beispiel der „Stromboykottfälle“; vgl. OLG Hamm NJW 1981, 2473; LG Dortmund NJW 1981, 764; AG Hamburg NJW 1979, 2315; AG Lörrach RdE 1988, 217. Ihren Grund findet die spezifische Problematik letztlich in der extremen Subjektivität des Gewissensbegriffs; vgl. ausführlich oben § 3 II 2 a) und III. 69 Vgl. oben § 3 III 2 mit Fn. 397; kritisch insbes. auch AnwK-Dauner-Lieb § 275 Rn. 19.

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

sches Versagen vor der selbst gestellten Aufgabe einer radikalen „Entrümpelung“ und Vereinfachung des Schuldrechts offenbar.70 Festzuhalten bleibt, dass durch die Reform § 242 BGB zwar eines weiten Bereichs seiner bisherigen Fallgruppen im Bereich ideeller UnzumutbarkeitsTatbestände beraubt wurde. Verblieben ist ihm jedoch insbesondere der Bereich der Glaubens- und Gewissenskonflikte sowie verwandter Fallgruppen, der weiterhin mittels eines aus § 242 BGB abzuleitenden Leistungsverweigerungsrechts bewältigt werden muss, soweit nicht mit § 616 BGB eine Sonderreglung der Problematik eingreift. Insgesamt kann für diese besondere Problematik auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.71

IV. Das Verhältnis zu § 616 BGB Ein vor der Schuldrechtsreform weitgehend ungeklärter Problemkomplex tut sich auf, wenn man die systematische Einbindung des § 616 BGB in den Blick nimmt. Nach zutreffender Ansicht72 regelte § 616 BGB schon im originären BGB einen praktisch besonders bedeutsamen Teilbereich ideeller Unzumutbarkeits-Tatbestände umfassend, nämlich den Bereich kurzzeitiger ideeller Leistungshindernisse im Bereich der Dienstverträge. Dabei kamen § 616 BGB zwei Funktionen zu: Explizit regelte er ausschließlich das Schicksal des Gegenleistungsanspruchs abweichend von § 323 I BGB [a.F., jetzt § 326 I BGB].73 Implizit gewährte die Norm jedoch dem Dienstverpflichteten bei kurzzeitigen Leistungshindernissen auch ein Leistungsverweigerungsrecht hinsichtlich seiner primären Leistungspflicht.74 Für diese Sichtweise spricht entscheidend die Gesetzessystematik: Es wäre widersinnig anzunehmen, der historische Gesetzgeber habe zwar die sekundäre Folgefrage nach dem Entgeltanspruch explizit regeln wollen, zugleich aber die vorrangige Frage nach dem Schicksal der primären Leistungspflicht der rechtsfortbildenden Ableitung aus § 242 BGB überlassen.75 Soweit § 616 BGB also Unzumutbarkeits-Tatbestände erfasste, regelte  70 Zu dieser Zielsetzung vgl. anschaulich Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundestagsdebatte v. 18.5.2001, Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Bd. 207, S. 16724. 71

Oben § 3 IV. Dagegen aber vor allem Erman-Belling § 616 Rn. 1; Konzen/Rupp, Gewissenskonflikte, S. 131 m.w.N. 73 Allgemeine Meinung, vgl. nur Staudinger-Oetker § 616 Rn. 19; Erman-Belling § 616 Rn. 1. 72

74 75

So jüngst noch LAG Hamm NZA 2002, 675 (676); Richardi NZA 2002, 1004 (1007). Vgl. ausführlich die Herleitung oben § 3 IV 1 c).

§ 10 Die systematische Einbindung der ideellen Unzumutbarkeit

379

er bis zum Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners implizit mit.76 Durch die Neuregelung in § 275 III BGB ist § 616 BGB ein weiter Bereich dieser impliziten Zweitfunktion genommen worden und jetzt ausdrücklich von § 275 III BGB geregelt: Ausweislich der Regierungsbegründung soll die Neuregelung ausdrücklich auch strukturell kurzzeitige Leistungshindernisse erfassen, so etwa während der Arbeitszeit notwendige Arztbesuche, Behördengänge und Gerichtstermine.77 Die elegantere Lösung, § 616 BGB weiterhin als umfassende, gegenüber der generellen Regelung in § 275 III BGB vorrangige Spezialregelung für kurzzeitige Leistungshindernisse im Dienstvertragsrecht zu begreifen, ist angesichts dieses klaren legislativen Willens ausgeschlossen.78 Daher ergibt sich folgende Systematik: Soweit ideelle UnzumutbarkeitsTatbestände von § 275 III BGB erfasst sind, ist § 616 BGB auf seine explizite Funktion zurückgedrängt, im Dienstvertragsrecht das Schicksal des Gegenleistungsanspruchs abweichend von § 326 I BGB zu regeln und somit den Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ aus sozialen Gründen zugunsten des Dienstverpflichteten zu durchbrechen.79 Das bisher von § 616 BGB implizit mitgeregelte Leistungsverweigerungsrecht bei kurzzeitigen Leistungshindernissen hingegen wird jetzt insgesamt von § 275 III BGB erfasst. Außerhalb des Anwendungsbereiches von § 275 III BGB verbleibt es allerdings bei der ursprünglichen Doppelfunktionalität des § 616 BGB. Namentlich bei Gewissenskonflikten, für die nach zutreffender, wenn auch nicht unbestrittener Ansicht80 § 616 BGB ohne weiteres Anwendung findet, leitet sich das Leistungsverweigerungsrecht bei kurzzeitigen Gewissenskonflikten aus § 616 BGB ab, der eine sachnähere Sonderregelung zu dem allgemeinen, bei Gewissenskonflikten allein aus § 242 BGB abzuleitenden Leistungsverweigerungsrecht darstellt. Zugleich regelt auch im Bereich der Gewissenskonflikte § 616 BGB das Schicksal des Entgeltanspruchs abweichend von § 326 I BGB zugunsten des Dienstverpflichteten.  76 Ebenso schon Henssler AcP 190 (1990), 538 (563); Mohnen, in: Nipperdey/Mohnen/Neumann, § 616 Rn. 3; ähnlich wohl auch Canaris AcP 184 (1984), 201 (238). 77

BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte unten. Anders freilich wohl Richardi NZA 2002, 1004 (1007). 79 Zur sozialen Zielsetzung des § 616 BGB vgl. Mugdan II, S. 258, 901: „sozialpolitische Rücksichten“, „Gründe der Humanität“. 78

80 Dafür Otto, Personale Freiheit, S. 129; Canaris AcP 184 (1984), 201 (238); WendelingSchröder BB 1988, 1742 (1746); Kempen ArbRGegw 25 (1988), 87 ff.; mit bejahender Tendenz wohl auch Henssler AcP 190 (1990), 538 (567); anders jetzt ders. RdA 2002, 129 (131 f.); dagegen auch Staudinger-Oetker § 616 Rn. 69; Erman-Belling § 616 Rn. 28; ErfK-Preis4 § 611 BGB Rn. 850; Reuter BB 1986, 385 (389 Fn. 59); Kohte NZA 1989, 161 (167).

380

3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

Die Komplexität dieser Einbindung des § 616 BGB zeigt deutlich, dass durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz keinesfalls alle Zweifelsfragen des Schuldrechts gelöst worden sind. Gerade im Bereich der kurzzeitigen, ideell motivierten Leistungshindernisse im Dienstvertragsrecht stellen sich die Lösungen infolge der Neuregelung komplizierter dar als zuvor. Dies liegt zum einen an der nicht überzeugenden Einordnung der Gewissenskonflikte; hier wäre de lege ferenda eine Einbeziehung in den Anwendungsbereich von § 275 III BGB nach dem oben vorgeschlagenen Muster deutlich vorzugswürdig gewesen.81 Zum anderen ergeben sich neue Probleme aus der letztlich ungeklärten Rolle, die § 616 BGB im Bereich der ideellen Unzumutbarkeits-Tatbestände gespielt hat und die auch durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz keine umfassende Klärung erfahren hat.

V. Die Sonderregelungen in § 45 III 1, IV SGB V Abschließend sei darauf hingewiesen, dass sich die systematische Situation weiter kompliziert, wenn man bestehende Sonderregelungen außerhalb des BGB in die Überlegungen einbezieht. So regelt § 45 III 1 SGB V für das ideelle Leistungshindernis der Pflege eines erkrankten Kindes durch seine Eltern ein arbeitsrechtliches Leistungsverweigerungsrecht.82 Entgegen des Wortlauts, der einen Freistellungsanspruch nahe legt, wurde die Norm schon bisher überwiegend als Leistungsverweigerungsrecht gehandhabt.83 Dies dürfte angesichts der legislativen Grundentscheidung, in § 275 III BGB keinen Freistellungsanspruch, sondern ein einseitiges Leistungsverweigerungsrecht zu statuieren, noch untermauert worden sein: Bei den von § 45 III 1 SGB V erfassten Tatbeständen ideeller Unzumutbarkeit abweichend von der Grundregel in § 275 III BGB einen bloßen Freistellungsanspruch annehmen zu wollen, erschiene bei  81

Vgl. oben § 3 Fn. 397. Zusätzliche Voraussetzung ist, dass das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder „behindert und auf Hilfe angewiesen ist“. Der Anwendungsbereich der Vorschrift wurde mit Wirkung zum 1.8.2002 durch Einfügung von § 45 V SGB V erheblich ausgeweitet: Auch nicht gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer sind nunmehr erfasst. Damit erscheint schon der regelungstechnische Standort im SGB V angreifbar; zudem wird der Überschneidungsbereich mit dem allgemeinen Leistungsverweigerungsrecht des § 275 III BGB noch erweitert. 82

83

LAG Köln LAGE § 612a BGB Nr. 5 = MDR 1994, 1020 führt ausdrücklich aus, dass § 45 III 1 SGB V nicht nur einen Freistellungsanspruch gewähre, sondern bei Verweigerung der Freistellung ein Leistungsverweigerungsrecht. Hierfür stellt es entscheidend auf die typische Eilbedürftigkeit der Entscheidung ab: Bei anderer Sichtweise sei die Vorschrift „wirkungslos“. Ähnlich ErfK-Dörner2 § 45 SGB V Rn. 13. Dagegen für einen bloßen Freistellungsanspruch BAG AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge Papierindustrie; LAG Hamm v. 24.8.1984 – 14 Sa 372/94 n.v.

§ 10 Die systematische Einbindung der ideellen Unzumutbarkeit

381

wertender Betrachtungsweise kaum gerechtfertigt. Angesichts der typischen Eilbedürftigkeit in den von § 45 III 1 SGB V erfassten Fällen wäre die Vorschrift bei Annahme eines bloßen Freistellungsanspruchs praktisch wirkungslos.84 Das Leistungsverweigerungsrecht aus § 45 III 1 SGB V ist jedoch nur partiell eine vorrangige Sonderregelung.85 Die Norm ist – als unbezahltes Leistungsverweigerungsrecht – schon tatbestandlich subsidiär, soweit „aus gleichem Grund Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht“. Bei kurzzeitiger86 Leistungshinderung wegen der Pflege eines eigenen Kindes gewährt § 275 III i.V.m. § 616 BGB jedoch gerade ein Leistungsverweigerungsrecht unter Fortbestehen des Entgeltanspruchs. Somit ist bei kurzzeitigen Leistungshindernissen das Leistungsverweigerungsrecht aus § 45 III 1 SGB V gegenüber dem – nach § 616 BGB entgeltlichen – Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 III BGB subsidiär.87 Bei länger andauernder Leistungshinderung entfällt hingegen der Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus § 616 BGB; das Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 III BGB wandelt sich in ein unentgeltliches Leistungsverweigerungsrecht. Für derartige Fälle länger andauernder Leistungshinderung wegen der Pflege eines erkrankten Kindes durch seine Eltern stellt somit § 45 III 1 SGB V ein vorrangig heranzuziehendes Leistungsverweigerungsrecht dar, soweit der durch § 45 III 1, II SGB V seinerseits vorgegebene zeitliche Rahmen von zehn bzw. zwanzig Arbeitstagen pro Kind und Kalenderjahr sowie die absolute Höchstgrenze von fünfundzwanzig bzw. fünfzig Fehltagen pro Kalenderjahr nicht überschritten wird. Diese Sichtweise ist auch mit Blick auf die sozialen Belange des betroffenen Arbeitnehmers sinnvoll, gewährt § 45 I SGB V doch einen sozialrechtlichen Anspruch auf Pflegekrankengeld.88 Gleiches gilt für die jüngst eingeführte Sonderregelung zur Pflege schwerstkranker Kinder in § 45 IV 3, III 1 SGB V, die ein Leistungsverweigerungsrecht ohne zeitliche Höchstgrenze normiert. Diese Regelung erscheint angesichts der damit verbundenen Gewährung von Pflegekrankengeld gegenüber § 275 III BGB vorrangig. Kurz gesagt begründet § 45 III 1, IV SGB V somit spezielle, vorrangig heranzuziehende Leistungsverweigerungsrechte bei länger andauernden Leistungshinderungen, die den zeitlichen Rahmen von § 616 BGB übersteigen.89 Im  84

Vgl. ausführlich oben § 5 I 3 b) aa). Vgl. Kohte Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 86 Gemeint ist ein Zeitraum von wenigen Tagen; vgl. ausführlich oben § 3 IV 1 f) bb). 87 Ebenso LAG Köln ArbuR 1995, 269 = BB 1995, 625. 88 ErfK-Dörner2 § 45 SGB V Rn. 13; GK-SGB V-Wagner § 45 Rn. 12 85

89

Zur bedenklichen „Anrechungsregelung“ des § 45 III 2 SGB V vgl. schon ausführlich oben § 5 I 3 b) bb).

382

3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

Falle des § 45 III 1 SGB V ist dabei jedoch dessen zeitliche Höchstgrenze zu beachten. Überschreitet die Fehldauer diese Höchstgrenze, kommt allein ein erneuter Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 275 III BGB in Betracht, der dann allerdings – da § 616 BGB wegen der längeren Fehldauer nicht einschlägig ist – ein unentgeltliches Leistungsverweigerungsrecht einräumt. Bei kurzzeitiger Leistungshinderung ist demgegenüber das Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 III BGB schon tatbestandlich – als Fall „bezahlter“ Leistungsbefreiung (§ 616 BGB) – vorrangig.

VI. Fazit Die systematische Einbindung des § 275 III BGB in den überkommenen Bestand des Leistungsstörungsrechtes offenbart deutliche Schwächen der Neuregelung. Insbesondere die Auswirkungen auf Sonderregelungen wie § 616 BGB oder § 45 III 1, IV SGB V wurden offenbar nicht hinreichend beachtet. So treten infolge der Neuregelung Friktionen zu Tage, die eine Anwendung des geltenden Rechts in dem jeweiligen Konfliktbereich unnötig kompliziert machen. Besondere Probleme ergeben sich vor allem im Bereich der Gewissenskonflikte, da der Gesetzgeber sich hier einer Einbeziehung in die Kodifikation offenbar bewusst enthalten hat und weiterhin auf die rechtsfortbildende Lösung auf Grundlage des § 242 BGB verweist.90 Dadurch wird die einheitliche Problematik der ideell motivierten Unzumutbarkeit in ihrer rechtlichen Behandlung und Einordnung zerrissen. Gerade im systematischen Zusammenspiel mit § 616 BGB führt dies zu erheblichen Schwierigkeiten. Insgesamt seien abschließend und zusammenfassend drei systematische Aspekte nochmals hervorgehoben: Erstens bringt die Neuregelung eine klare inhaltliche Trennung zwischen Unmöglichkeits- und Unzumutbarkeits-Tatbeständen zum Ausdruck.91 Für die  90

BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte. Grundlegend anders allerdings Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 304, 311, die an dem Begriff der praktischen Unmöglichkeit festhalten und für ideelle Unzumutbarkeitskonstellationen den Begriff der „persönlichen Unmöglichkeit“ einführen wollen. Die Neuregelung bringe gerade zum Ausdruck, dass diese „bisher nach § 242 BGB“ behandelten Fälle nunmehr systematisch der Unmöglichkeit zugeordnet würden. Damit verkennen Lorenz und Riehm, dass mit der Entscheidung für ein Leistungsverweigerungsrecht mit Einredecharakter diese Konstellationen gerade aus dem für die Unmöglichkeit charakteristischen ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht herausgelöst wurden und zumindest insofern – wenn auch nicht regelungstechnisch (vgl. unten § 12) eine klare Trennung zur Unmöglichkeit nach § 275 I BGB anzuerkennen ist. Mit ähnlicher Tendenz wie Lorenz/Riehm auch 91

§ 10 Die systematische Einbindung der ideellen Unzumutbarkeit

383

Tatbestände der ideellen und materiellen Unzumutbarkeit wird dabei die zutreffende Konstruktion eines Leistungsverweigerungsrechts mit Einredecharakter gewählt. Dadurch wird die Fehlentwicklung, das Unmöglichkeitsrecht ausdehnend zu begreifen, um ungeregelte Leistungsstörungs-Tatbestände einer Lösung zuzuführen, korrigiert. Der Paradigmenwechsel, der mit der AufwertungsRechtsprechung des Reichsgerichtes seinen Anfang nahm, wird ausgeweitet und legislativ nachvollzogen. Zugleich verschiebt die Neuregelung inhaltlich die Unzumutbarkeits-Problematik von einer Verortung im Unmöglichkeitsrecht hin zu dem adäquateren Lösungsansatz im Kontext von Treu und Glauben. Die regelungstechnische Umsetzung trägt diesem richtigen Ansatz mit der Platzierung der Unzumutbarkeits-Tatbestände in unmittelbarer Nähe des Unmöglichkeitsrechts freilich nur unvollkommen Rechnung.92 Regelungstechnisch unbefriedigend ist ebenfalls die unnötige Aufspaltung materiell-wirtschaftlicher Unzumutbarkeits-Tatbestände in § 275 II und § 313 BGB, die zu neuen Abgrenzungsproblemen führt. Zweitens sei hervorgehoben, dass die Abgrenzungslinie zum Unmöglichkeitsrecht in der Wahl- und Entscheidungsmöglichkeit zu erkennen ist, die dem Schuldner in Fällen der Unzumutbarkeit verbleibt.93 Für Zweifelsfälle ist diese Trennlinie als Richtschnur heranzuziehen. Dass es dabei gleitende Übergänge zwischen Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit gibt, offenbart gerade das Beispiel der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit.94 Eine weitere Trennlinie ergibt sich zwischen den Tatbeständen der materiell-wirtschaftlichen und der ideellen Unzumutbarkeit aus der Natur des jeweiligen Leistungshindernisses. Während § 275 II und § 313 BGB als materiell-wirtschaftliche Unzumutbarkeits-Tatbestände materielle Interessen des Schuldners bei hinreichendem Gewicht als Leistungshindernis anerkennen, dient § 275 III BGB als Kodifikation der ideellen Unzumutbarkeit dem Schutz höherrangiger ideell-personaler Rechtsgüter des Schuldners. Auch an dieser Stelle kann es zu Überschneidungen der jeweiligen Anwendungsbereiche kommen;95 jedoch dürfte diese historisch gewachsene Abgrenzung auch hier dem Rechtsanwender in der Mehrzahl der Zweifelsfälle klare Abgrenzungskriterien an die Hand geben. Drittens werden durch die ausdrückliche Neuregelung in § 275 III BGB die bisherigen Herleitungen des Leistungsverweigerungsrechts – vor allem aus  Canaris ZRP 2001, 330; Emmerich, Leistungsstörungen, S. 46 und Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 480. 92

Vgl. im einzelnen unten § 12; kritisch weist auch Zimmer NJW 2002, 1 (4) auf diesen regelungstechnischen Aspekt hin. 93 Ebenso Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 40. 94 Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 ff.; Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 41. 95

Vgl. oben § 5 I 2 c) für wirtschaftliche Aufwendungen zur Abwendung immaterieller Leistungshindernisse.

384

3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

§ 242 BGB – weitgehend obsolet. Ebenso entfällt im Regelungsbereich des neuen Leistungsstörungstatbestandes die umstrittene Herleitung eines Leistungsverweigerungsrechts für kurzzeitige Leistungshindernisse im Dienstvertragsrecht aus § 616 BGB. Da § 275 III BGB jedoch bedauerlicherweise nach dem klaren Willen des Gesetzgebers nicht alle Fallgruppen der ideell begründeten Unzumutbarkeit erfassen soll, sondern gerade die besonders plastische, umstrittene und dogmatisch bedeutsame Fallgruppe der Gewissens- und Glaubenskonflikte ausspart, verbleiben § 242 und § 616 BGB diese überkommenen Funktionen etwa im Bereich der Gewissens- und Glaubenskonflikte. Somit muss die einheitliche Problematik der ideell motivierten Leistungsverweigerungsrechte inner- und außerhalb des Anwendungsbereiches von § 275 III BGB auf vollständig unterschiedlichen Wegen gelöst werden. Diese uneinheitliche Lösung vermag kaum zu überzeugen; vor allem verfehlt zumindest in dieser Hinsicht das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz seinen Anspruch, die Rechtsanwendung zu vereinfachen, deutlich.

§ 11 Die Problematik der Einrede-Konstruktion

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§ 11 Die Problematik der Einrede-Konstruktion Anders als § 275 I BGB ordnen die Abs. 2 und 3 der Vorschrift keinen Entfall der Leistungspflicht ipso iure an, sondern lassen die Leistungspflicht im Wege der Leistungsverweigerung mit Einredecharakter entfallen.1 Somit machen sie das Fortbestehen oder den Entfall der Leistungspflicht letztlich von einem Tätigwerden des Schuldners abhängig.2 Dass diese Strukturverschiedenheit zu § 275 I BGB in der Sache gerechtfertigt ist, zeigt ein Blick auf die jeweils unterschiedlichen erfassten Spielarten von Leistungsstörungen: Während in den Fällen des § 275 I BGB schon die naturgesetzliche oder rechtliche Leistungsmöglichkeit entfallen ist,3 besteht diese in den Fällen der Abs. 2 und 3 fort: Der Leistungsschuldner kann hier noch ordnungsgemäß leisten; die Rechtsordnung gibt ihm allerdings mit Blick auf seine eigenen Rechtsgüter ein Leistungsverweigerungsrecht, über dessen Ausübung er selbst disponieren soll. Ob der Leistungsschuldner von der rechtlich eingeräumten Möglichkeit der Leistungsverweigerung Gebrauch macht oder nicht, wird durch die Einredekonstruktion in sein Belieben gestellt.4 Diese divergierenden Rechtsfolgen von § 275 I BGB einerseits und § 275 II, III BGB andererseits stellen die adäquate Antwort auf grundverschiedene rechtliche Problemlagen dar: In Fällen naturgesetzlicher oder rechtlicher Unmöglichkeit korrespondiert der Entfall der Leistungspflicht mit dem vorrangigen naturgesetzlichen oder rechtlichen Entfall der Leistungsmöglichkeit. Für die Ausübung eines Leistungsverweigerungsrechts bliebe hier überhaupt kein Raum, da die eingetretene naturgesetzliche Unmöglichkeit dem Schuldner jede Entscheidungsmöglichkeit für eine Leistungserbringung aus der Hand nimmt.5 Auch der grundsätzliche ipso-iure-Entfall des Gegenleistungsanspruchs stellt in diesen Fällen eine adäquate Rechtsfolge dar, trägt die Regelung doch der synal-

 1

Vgl. Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 38. Die etwa im gemeinen Recht vertretene Auffassung, auch Einreden seien von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. zum alten Streitstand Albrecht, Exceptionen, S. 124, 170) ist jedenfalls unter dem Regime des BGB obsolet geworden; damit hat der römischrechtliche Grundsatz des „postulare exceptionem“ Eingang in das geltende Recht gefunden; vgl. zu den Ursprüngen der Geltendmachung von Einreden schon Kroll, Klage und Einrede nach deutschem Recht, S. 268; jetzt ausführlich Roth, Einrede des Bürgerlichen Rechts, S. 8 ff. 3 Die Regierungsbegründung (BT-Drucks. 14/6040 S. 130) spricht von „wirklicher Unmöglichkeit“; vgl. ausführlich zur Abgrenzung oben § 10 I 1. 2

4 5

Vgl. Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 38. Vgl. die Konstellation von BAG AP § 615 BGB Nr. 77.

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

lagmatischen Struktur der Vertragsbeziehung auch in der Situation der Leistungsstörung Rechnung.6 Die Konstellationen der Unzumutbarkeit hingegen sind entscheidend dadurch charakterisiert, dass die naturgesetzliche und rechtliche Leistungsmöglichkeit gerade nicht entfallen ist. Hier wird lediglich die wertende Entscheidung getroffen, dass der Schuldner unter engen Voraussetzungen die Leistung im Wege der Einrede verweigern kann.7 Trotz fortbestehender naturgesetzlicher und rechtlicher Leistungsmöglichkeit soll der Schuldner selbst über die Leistungserbringung disponieren können, wenn seitens des Schuldners hochrangige Rechtsgüter wie Gewissen, Gesundheit oder Familie unter der ordnungsgemäßen Leistungserbringung potentiell leiden würden. Anders als die Leistungsbefreiung bei Unmöglichkeit dienen die Leistungsverweigerungsrechte bei Unzumutbarkeit damit dem Rechtsgüterschutz in Konfliktlagen.8 Für solche Fälle ist das Mittel des Leistungsverweigerungsrechts mit Einredecharakter die angemessene rechtliche Konstruktion: Sie trägt der Entscheidungsmöglichkeit Rechnung, die dem Schuldner verbleibt.9 Zugleich wird sie der individuellen Struktur derartiger Rechtsgutskonflikte gerecht, die eine pauschale Leistungsbefreiung verbietet. Vergleichbare Situationen werden etwa bei potentieller Betroffenheit des Gewissens von den Betroffenen sehr unterschiedlich wahrgenommen: Während es mit dem Gewissen des einen Arbeitnehmers unvereinbar sein wird, mit embryonalen Stammzellen zu forschen, wird dieselbe Tätigkeit das Gewissen eines anderen Arbeitnehmers gänzlich unberührt lassen.10 Ebenso wird ein grippaler Infekt dem einen Arbeitnehmer die Erbrin 6 Vgl. – zur entsprechenden Regelungsintention des alten § 323 I BGB – ausführlich Staudinger-Otto § 323 Rn. 1 ff. 7 Auch der von Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 39 erwogene Einwand, Konstellationen der Unzumutbarkeit ständen inhaltlich dem Rechtsmissbrauch nahe, der bei § 242 BGB zu verorten und nach überwiegender Meinung von Amts wegen zu berücksichtigen sei, spricht nicht dagegen: Zumindest für die Konstellationen ideeller Unzumutbarkeit wurde schon vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes auf Grundlage des § 242 BGB ein einredeweise geltend zu machendes Leistungsverweigerungsrecht anerkannt, vgl. ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 970; Henssler AcP 190 (1990), 538 (545 f.); Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; Ortlepp Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; Kramer Anm. zu BAG AP § 123 BGB Nr. 23; instruktiv jetzt auch Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 136. 8 Letztlich entspricht diese Intention der römischrechtlichen Exzeption, die das Recht des Gläubigers als fortbestehend erachtete, dem Schuldner jedoch eine Einrede für Fälle gab, in denen er sich auf eine gewichtigere kollidierende Rechtsposition berufen konnte, vgl. Kroll, Klage und Einrede, S. 266. 9 Entscheidend stellt daher auch Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 38 auf das Kriterium der Wahlmöglichkeit ab, die dem Schuldner in Fällen der Unzumutbarkeit verbleibt. 10

Zu einer vergleichbaren Konstellation vgl. die „Strahlentherapie-Entscheidung“ des BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1.

§ 11 Die Problematik der Einrede-Konstruktion

387

gung der Arbeitsleistung „unzumutbar“ erscheinen lassen, während ein anderer Arbeitnehmer – bei objektiv gleicher gesundheitlicher Belastung – die Arbeitsleistung anstandslos erbringen wird. Insofern trägt gerade die in § 275 III BGB gewählte Einredekonstruktion den individuellen Belangen angemessen Rechnung: Sie bringt die dem Schuldner verbleibende Entscheidungsmöglichkeit zur vollen Entfaltung und greift zugleich weniger stark in die vertragliche Bindung ein als ein pauschaler Entfall der Leistungspflicht von Gesetzes wegen. Somit stellt einzig die von § 275 III BGB gewählte Einredekonstruktion eine adäquate Möglichkeit zur Lösung der rechtlichen Problematik der ideellen Unzumutbarkeit dar.11

I. Peremptorische oder dilatorische Einrede? Das bürgerliche Recht kennt im Wesentlichen zwei Kategorien von Einreden:12 Peremptorische Einreden, welche die Durchsetzung des betroffenen Anspruchs dauerhaft hemmen, und dilatorische Einreden, die lediglich eine zeitweilige Hemmung des Anspruchs bewirken.13 Zu den peremptorischen Einreden werden etwa die Verjährungseinrede, die Mängeleinrede der §§ 438 IV 2, V, 634a IV 2, V BGB, die Unverhältnismäßigkeitseinrede nach §§ 251 II, 635 III BGB, die Bereicherungseinrede des § 821 BGB und die Einrede der unerlaubten Handlung, § 853 BGB, gerechnet. Um dilatorische Einreden handelt es sich nach allgemeiner Meinung bei der Stundungseinrede, § 205 BGB, den Zurückbehaltungsrechten, §§ 273, 1000, 1100 S. 1, 2022 BGB, der Einrede des nicht erfüllten Vertrages, § 320 BGB, sowie der Einrede der Vermögensverschlechterung, § 321 I BGB.14 Roth hat nachgewiesen, dass sich die Wirkungen sowie die Voraussetzungen der Einredeerhebung bei unterschiedlichen Erscheinungsformen der Einrede im Einzelnen unterscheiden.15  11 Deutlich abweichend freilich etwa Kohte Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9 m.w.N., der die Notwendigkeit der Einredeerhebung im alten Schuldrecht für „systemwidrig“ hielt. 12 Zum Teil werden hiervon noch sog. anspruchsbeschränkende Einreden unterschieden, die nur zur Verurteilung Zug um Zug führen, so etwa Larenz/Wolf, BGB AT, § 18 Rn. 65; Roth, Einrede des Bürgerlichen Rechts, S. 169 ff.; anders noch die Konzeption von Rappaport, Einrede aus dem fremden Rechtsverhältnis, S. 18 ff. 13 Zu terminologischen Fragen im Einzelnen Roth, Einrede des Bürgerlichen Rechts, S. 37 f. 14 Die Aufzählung kann nicht abschließend sein; hier wurden vor allem Einreden des Allgemeinen Teiles und schuldrechtliche Einreden aufgeführt; vgl. weiterhin die Übersichten bei Langheineken, Anspruch und Einrede, S. 292; Jahr JuS 1964, 125 f.; Roth, Einrede des Bürgerlichen Rechts, S. 39 ff. 15 Vgl. im Überblick Roth, Einrede des Bürgerlichen Rechts, S. 320 ff.

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

Bei den neu geschaffenen Einreden in § 275 II und III BGB ist die Einordnung schwierig und zweifelhaft. So hat es bei der Einrede des unverhältnismäßigen Aufwandes nach § 275 II BGB zunächst den Anschein, es handele sich um eine peremptorische Einrede. Der „Ring auf dem Meeresboden“16 kann typischerweise auch nach Verstreichen einer erheblichen Zeitdauer nicht auf wirtschaftlich zumutbare Weise gehoben werden; der Anspruch erscheint dauerhaft ausgeschlossen. Jedoch sind durchaus Konstellationen denkbar, in denen die Einrede des „unverhältnismäßigen Aufwandes“ einfach durch Änderung der äußeren Umstände oder durch Zeitablauf substanzlos wird: Hat etwa der Schuldner sich zur Lieferung einer vergrabenen Goldmünze verpflichtet, auf der mittlerweile ein Gebäude errichtet wurde, so besteht die Einredelage nach § 275 II BGB, solange das Gebäude existiert.17 Wird das Gebäude jedoch nach gewisser Zeit abgerissen oder sonst vernichtet, ist auch das Leistungshindernis des „unverhältnismäßigen Aufwandes“ entfallen. Deutlich anders dagegen die Struktur bei echten peremptorischen Einreden: Ist die Forderung etwa verjährt, kann ihre Durchsetzbarkeit aus Rechtsgründen auch bei einer Änderung der äußeren Umstände oder durch Zeitablauf nicht wieder aufleben. Der entscheidende Abgrenzungspunkt liegt somit darin, dass bei peremptorischen Einreden die Durchsetzbarkeit des Anspruchs aus rechtlichen Gründen dauerhaft ausgeschlossen ist. § 275 II BGB trägt dagegen äußeren Bedingungen Rechnung, die durchaus Veränderungen unterliegen. Daher wird man § 275 II BGB nicht als peremptorische Einrede begreifen können, sondern lediglich als dilatorische, die solange besteht, solange das äußere Leistungshindernis existiert. Insoweit steht die Vorschrift den dilatorischen Zurückbehaltungsrechten nahe, welche ebenfalls die Durchsetzbarkeit des Anspruchs von wandelbaren Umständen – dort nämlich in der Regel von einem Tätigwerden des Gläubigers – abhängig machen. Noch anders stellt sich die Situation freilich bei der Einrede aus § 275 III BGB dar: Anders als § 275 II BGB zielt die Norm typischerweise nicht auf den einmaligen Leistungsaustausch ab,18 sondern kommt gerade in Dauerschuldverhältnissen mit persönlicher Leistungspflicht zur Anwendung. Für einen wesentlichen Teilbereich der erfassten Vertragsverhältnisse – namentlich für die praktisch besonders bedeutsamen Arbeitsverhältnisse – ist nun prägend, dass die persönlich geschuldete Leistung Fixschuldcharakter aufweist, also

 16

Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 130. Das Beispiel stammt von Palandt-Heinrichs61 § 275 Rn. 8. 18 Vgl. für § 275 II BGB die von der Regierungsbegründung und in der Lit. angeführten Beispiele: Allgemein wird der einmalige Leistungsaustausch als typischer Anwendungsfall gesehen. 17

§ 11 Die Problematik der Einrede-Konstruktion

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durch den Schuldner nicht nachholbar ist.19 Übt nun der Schuldner sein Leistungsverweigerungsrecht aus, so entfällt die Leistungspflicht aufgrund des Fixschuldcharakters der geschuldeten Leistung nicht nur vorübergehend, sondern für den Zeitraum, in dem das Leistungsverweigerungsrecht ausgeübt wurde, dauerhaft. Ein erneutes Aufleben des Leistungsanspruchs scheidet für den betroffenen Zeitraum infolge des Fixschuldcharakters aus Rechtsgründen aus. Damit entfaltet das Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 III BGB in Dauerschuldverhältnissen mit Fixschuldcharakter die typische Wirkung einer peremptorischen Einrede. Anderes gilt freilich, wenn keine Fixschuld besteht: Beruft sich etwa ein Werkunternehmer auf das Leistungsverweigerungsrecht, so kommt die Einrede nur solange zum Tragen, solange das Leistungshindernis besteht. Mit Entfall des Leistungshindernisses lebt die ursprüngliche Leistungspflicht zur Erstellung des geschuldeten Werkes wieder ungeschmälert auf. Von einer dauerhaften Undurchsetzbarkeit des Leistungsanspruchs kann daher in diesen Fällen keine Rede sein, da hier – wie bei § 275 II BGB oder Zurückbehaltungsrechten – das Leistungsverweigerungsrecht nur vorübergehend besteht, solange das äußere Leistungshindernis existiert. Damit ergibt sich das überraschende Ergebnis, dass die Rechtsnatur der Einrede aus § 275 III BGB entscheidend davon abhängt, ob sie angesichts einer Leistungspflicht mit Fixschuldcharakter erhoben wird oder aber mit Blick auf eine Leistung, die von Rechts wegen ohne weiteres nachholbar ist. In ersterem Fall hemmt § 275 III BGB die Durchsetzung des Leistungsanspruchs dauerhaft; es handelt sich um eine peremptorische Einrede. In letzterem Fall besteht das Leistungsverweigerungsrecht nur solange das Leistungshindernis existiert. Nach Entfall des Leistungshindernisses lebt die originäre Leistungspflicht wieder auf. Die Struktur nähert sich somit in diesen Fällen der Struktur der dilatorischen Zurückbehaltungsrechte an; es handelt sich um eine dilatorische Einrede. Eine gleiche, differenzierte Struktur gilt auch für das aus § 242 BGB und § 616 BGB entwickelte Leistungsverweigerungsrecht bei Glaubens- und Gewissenskonflikten und anderen besonders personal geprägten Leistungshindernissen.20

 19 Vgl. MünchArbR-Blomeyer § 57 Rn. 11 ff.; Richardi NZA 2002, 1004 (1006 f.); weiterhin Beuthien RdA 1972, 20 (22); Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 227 f. 20 Vgl. oben § 3 III und IV 2 b) sowie § 8 I 1; allgemein auch § 10 III.

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

II. Die Erhebung der Einrede Die divergierende Rechtsnatur der Einrede des § 275 III BGB hat potentiell Auswirkungen auf die Erhebung der Einrede. Welche konkreten Anforderungen an die Erhebung der Einrede zu stellen sind, ist von erheblicher praktischer Bedeutung. Von der Beantwortung dieser Frage hängt schließlich ab, ob der Leistungspflichtige sein Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht und somit rechtlich begründet die vertraglich geschuldete Leistung nicht erbracht hat. Die Problematik wurde bislang vor allem im Zusammenhang mit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit thematisiert. Vielfach wurde sie zum Anlass genommen, die Einordnung der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit unter § 275 III BGB gänzlich abzulehnen, da die Einredekonstruktion des § 275 III BGB zu verfehlten Rechtsfolgen führe.21 So führe das bloße Unterlassen der rechtzeitigen Erhebung der Einrede zwangsläufig zu einem rechtsgrundlosen Fehlen, zum Vorwurf der grundlosen Arbeitsverweigerung und den daran anknüpfenden, gravierenden Konsequenzen bis hin zur außerordentlichen Kündigung.22 Nur vereinzelt wurde dabei in den Blick genommen, dass es sich hierbei keineswegs um eine Problematik handelt, die auf die Fallgruppe der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit beschränkt wäre und deshalb auch gegen die Einordnung der Fallgruppe unter § 275 III BGB sprechen könnte. Vielmehr tritt die Problematik in gleicher Weise auch in anderen, allgemein anerkannten Fallgruppen des § 275 III BGB zu Tage.23 Soll etwa der Arbeitnehmer, der auf dem Weg zur Arbeit zusammen mit seiner Frau im Straßenverkehr verunglückt, sich allein deswegen der grundlosen Arbeitsverweigerung schuldig machen, weil er zunächst seine schwer verletzte Frau versorgt, sie in das Krankenhaus begleitet und erst dann den Arbeitgeber informiert? Das Beispiel zeigt plastisch, dass die Einrede-Struktur des Leistungsverweigerungsrechts es zwangsläufig mit sich bringt, dass der Erhebung der Einrede eine weitreichende Bedeutung zukommt. Welche Bedingungen hier gestellt werden, entscheidet letztlich über den materiellen Bestand der Arbeitspflicht. Die Voraussetzungen und Wirkungen der Einredeerhebung sind gesetzlich nur unzureichend geregelt.24 Daher hat sich um die Voraussetzungen der Einre 21

So etwa Ziemann, in: Schimmel/Buhlmann, Frankfurter Handbuch, I. Rn. 181. Vgl. BAG AP § 626 BGB Nr. 76; BAG AP § 6 LohnFG Nr. 14; ErfK-Müller-Glöge4 § 626 BGB Rn. 103; Stoffels, Vertragsbruch, S. 103. 23 Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 (2109). 24 Zu Recht macht Roth, Einrede des Bürgerlichen Rechts, S. 150 die Problematik – gerade im Hinblick auf den Schuldnerverzug – als „die wohl empfindlichste Lücke in der Einredelehre“ aus. Auch im Zuge der Schuldrechtsreform hat der Gesetzgeber die Chance einer legislativen Klärung der Problematik bedauerlicherweise nicht wahrgenommen. 22

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deerhebung ebenso wie um ihre Auswirkungen auf Schuldnerverzug und Leistungspflicht in Rechtsprechung und Literatur schon lange vor der Schuldrechtsreform eine umfangreiche Kontroverse entwickelt. Diese ist grundsätzlicher Natur und lässt deshalb Schlussfolgerungen auch für die neue, spezifische Problematik im Kontext des neuen § 275 III BGB zu.

1. Peremptorische Einreden Die überwiegende Meinung geht davon aus, dass jedenfalls peremptorische Einreden rechtliche Wirkung entfalten, sofern nur die Einredelage besteht: Bereits die äußeren Umstände, welche dem Schuldner die Berufung auf die Einrede ermöglichen, sollen den Schuldnerverzug ausschließen, ohne dass es einer – gerichtlichen oder außergerichtlichen – Erhebung der Einrede bedürfe.25 Zur Begründung werden im Wesentlichen zwei Ansätze vertreten: Zum einen wird vorgetragen, schon die Fälligkeit der Forderung werde durch die Einredelage ausgeschlossen.26 Andere vertreten die Auffassung, jedenfalls der Schuldnerverzug entfalle bei bloßem Bestehen der Einredelage, da Voraussetzung des Schuldnerverzuges die Durchsetzbarkeit der geltend gemachten Forderung sei. Diese sei jedoch schon mit Eintritt der Einredelage nicht mehr gegeben.27 Der Einwand, diese Auffassung führe potentiell zu einem Auseinanderfallen der gerichtlichen Entscheidung über Hauptsacheanspruch und Verzugsansprüche,28 geht fehl: Ist der Schuldnerverzug durch das bloße Bestehen der Einredelage ausgeschlossen, so ist zwangsläufig für den betroffenen Zeitraum auch die Leistungspflicht suspendiert; eine Verurteilung zur Leistung für den Zeitraum der Einredelage kommt daher nicht in Betracht.29 Durchgreifend spricht jedoch die Rechtsnatur der Einrede gegen die dargestellte Auffassung. Will man das bloße Bestehen der Einredelage zur Bewirkung von Rechtsfolgen genügen lassen, so beraubt man die Einrede gerade ihres prägenden Charakteristikums. Man nähert sich damit der Auffassung des gemeinen Rechts, dass Einreden von  25

Vgl. beispielhaft RGZ 126, 280 (285); RG JW 1925, 1748; BGHZ 26, 7; BGHZ 48, 249 (250); BGHZ 60, 319 (323); BGH NJW 1963, 1149; BGH NJW 1987, 2435 (2436); RGRKAlff § 284 Rn. 7; AK-BGB-Dubischar (1979), § 284 Rn. 2 f.; Enneccerus/Lehmann, Bürgerliches Recht Bd. 2, § 51 II 1; Heck, Grundriss des Schuldrechts, S. 107; Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, S. 154; Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, S. 428; differenzierend Diederichsen JuS 1985, 825 (830). 26

BGHZ 55, 198 (200); Ennecerus/Lehmann, Bürgerliches Recht Bd. 2, § 51 II 1, § 56. Palandt-Heinrichs61 § 284 Rn. 11. 28 Larenz, Schuldrecht AT, S. 350; Roth, Einrede des Bürgerlichen Rechts, S. 151. 29 Wie hier insoweit Schlosser JuS 1966, 257 (266). 27

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

Amts wegen zu berücksichtigen seien.30 Dies entspricht jedoch gerade nicht der Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuches, die auf eine deutliche Trennung von Einwendungen und Einreden abzielt. Vor allem auch die differenzierende Konzeption des neuen § 275 BGB würde wertlos, wollte man auch bei dem Leistungsverweigerungsrecht des § 275 III BGB – jedenfalls sofern es nach den obigen Feststellungen peremptorischer Natur ist – einen derartigen „Automatismus“ anerkennen: Die dem Schuldner verbleibende Entscheidungsmöglichkeit, der die Einredekonstruktion gerade Rechnung tragen soll, würde faktisch durch einen ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht bei bloßem Bestehen der Einredelage ersetzt; damit verlöre der grundlegende Unterschied und Differenzierungsgrund zwischen § 275 I und III BGB jede Bedeutung. Zu folgen ist daher der vielfach vertretenen Auffassung, dass peremptorische Einreden auch im Hinblick auf den Schuldnerverzug gerichtlich oder außergerichtlich erhoben werden müssen.31 Nur diese Sichtweise trägt der besonderen Charakteristik der Einrede angemessen Rechnung; die Gegenauffassung verwischt die Grenze zu anderen Rechtsinstituten. Umstritten ist hier freilich, ob die Erhebung der Einrede lediglich ex nunc Wirkung entfaltet oder aber ex tunc auf den Zeitpunkt zurückwirkt, in welchem die Einredelage entstand. Ist der Verzug erst nach Entstehen der Einredelage eingetreten, wird praktisch unbestritten die Rückwirkung anerkannt.32 Bestritten wird die Rückwirkung der Einrede hingegen für den Fall, dass der Verzug schon vor Entstehen der Einredelage eingetreten ist. Weit überwiegend wird heute vertreten, dass die Rückwirkung sich auch hier auf den Zeitpunkt des Entstehens der Einredelage bezieht, vorher entstandene Verzugsfolgen somit durch die letztlich erhobene Einrede in ihrer Geltendmachung nicht gehindert werden.33 Nimmt man den rechtspolitischen Sinn peremptorischer Einreden, insbesondere dem Schuldnerschutz und dem Rechtsfrieden zu dienen,34 sowie  30

Vgl. oben § 11 Fn. 2. Planck-Siber § 284 Anm. 3 a; deutlich Staudinger-Löwisch § 284 Rn. 11 f.; Oertmann, Recht der Schuldverhältnisse § 284 Anm. 1; Jahr JuS 1964, 293 (303 f.); Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 395 ff., jeweils m.w.N. 31

32 Vgl. Roth, Einrede des Bürgerlichen Rechts, S. 155; in seiner grundlegenden Stellungnahme begründet Oertmann [ZHR 78 (1916), 1 (33)] die Rückwirkung damit, dass es „sicherlich eine sonderbare, ja umständliche Rechtsgestaltung [wäre], wenn die aus dem Verzuge entstandenen Ansprüche, die doch sinngemäß nur zur Verstärkung des einredebehafteten Hauptanspruchs dienen sollen, im Verhältnis zu diesem eine stärkere Widerstandskraft aufweisen würden – zwar die Leistung der Hauptschuld kann der Schuldner durch Geltendmachung der Einrede hintanhalten, aber die bis dahin aufgelaufenen Verzugszinsen muss er widerspruchslos zahlen“. 33 BGH NJW 1971, 1747; AK-BGB-Dubischar § 284 Rn. 2 f.; Hilleringmann NJW 1956, 713 f.; Lange JuS 1963, 59 (62); Eisenhardt JuS 1970, 489; anders allerdings Oertmann ZHR 78 (1916), 1 (46 f.). 34 So für die Verjährung Palandt-Heinrichs63 Überbl. vor § 194 Rn. 8 ff.

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die Handhabung in der Rechtswirklichkeit in den Blick – es entspricht gängiger Praxis, dass Einreden erst im Prozess erhoben werden –, so kann nur die auf den Zeitpunkt des Entstehens der Einredelage beschränkte Rückwirkung angemessene Resultate liefern: Vor Entstehen der Einredelage kommt dem Schuldner der durch die Einrede vermittelte Schutz nicht zu, da es an den tatsächlichen Voraussetzungen der Einredelage fehlt. Nach Entstehen der Einredelage kommt der Schutzzweck der Einrede jedoch voll zum Tragen. Daher ist eine auf den Zeitpunkt des Entstehens der Einredelage bezogene ex-tunc-Wirkung der Einrede anzuerkennen. An dieser Stelle sei freilich schon auf die besondere Problematik hingewiesen, die bei Anerkennung der Rückwirkung auftritt, wenn der Gläubiger in der Zeit zwischen Entstehen der Einredelage und Erhebung der Einrede Gestaltungsrechte ausgeübt hat, die auf dem Schuldnerverzug basieren.35 Hier können gewichtige konstruktive Probleme entstehen, die der Erörterung bedürfen.36

2. Dilatorische Einreden Differenzierend wird die Situation bei dilatorischen Einreden betrachtet. Hier wurde die Auseinandersetzung vor allem im Kontext der Zurückbehaltungsrechte der §§ 273, 320 BGB ausgetragen. Während dabei zu § 320 nahezu Einigkeit besteht, dass das bloße Bestehen der Einredelage die Leistungspflicht suspendiere und damit den Schuldnerverzug ausschließe, ohne dass es auf die ausdrückliche oder konkludente Geltendmachung der Einrede ankomme,37 verlangt die ganz überwiegende Meinung bei dem Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB die gerichtliche oder außergerichtliche Geltendmachung der Einrede.38 Als Begründung für den im Fall des § 320 BGB angenommenen „Automatismus“ wird auf den synallagmatischen Charakter des betroffenen Schuldver 35

Vgl. Roth, Einrede des Bürgerlichen Rechts, S. 153, Oertmann ZHR 78 (1916), 1 (36 f.). Vgl. ausführlich unten § 11 IV. 37 So u.a. RGZ 126, 280 (285); BGH NJW 1966, 200; NJW 1959, 1176; NJW 1963, 1149; BGH JZ 1982, 723; Staudinger-Löwisch § 284 Rn. 11; Soergel-Wiedemann § 320 Rn. 62; RGRK-Alff § 284 Rn. 8; Gernhuber, Festschrift Raiser (1974), S. 57 (70); Jahr JuS 1964, 293 (297); Grunsky JuS 1967, 60 (64). An § 320 orientiert, in der Konsequenz jedoch über § 320 hinausgehend, formuliert die Entscheidung des BGH WPM 1959, 624 (625) den generellen Grundsatz: „Bereits das Bestehen einer Einrede, nicht erst deren Geltendmachung, schließt nach ständiger Rechtsprechung den Schuldnerverzug aus.“ 36

38 RGZ 77, 436 (438); BGH WM 1971, 1020 (1021); Staudinger-Löwisch § 284 Rn. 23 f.; Soergel-Wolf § 273 Rn. 62; Gernhuber, Bürgerliches Recht (3. Aufl., 1991 [nicht mehr in den Folgeauflagen]), S. 290; Diederichsen JuS 1985, 825 (830).

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

hältnisses verwiesen: Solange der Gläubiger seine eigene, zuvor fällig gewordene Leistung nicht erbracht hat, sich also selbst als nicht vertragstreu erwiesen hat,39 soll er billigerweise auch nicht von dem Verzug des Schuldners profitieren.40 Diese Zwecksetzung von § 320 BGB soll unabhängig von einer ausdrücklichen Geltendmachung der Einrede durch den Schuldner zum Tragen kommen. Die Durchbrechung des Grundprinzips, dass Einreden der Erhebung bedürfen und zu keinem Entfall der Leistungspflicht ipso iure führen, hat ihren Grund freilich in der besonderen Funktion des § 320 BGB, der Zug-um-ZugErfüllung zu praktischer Handhabung und Durchsetzung zu verhelfen. Insofern ist sie Ausdruck des für § 320 BGB charakteristischen funktionellen Synallagmas.41 Aufgrund dieser besonderen Funktion des § 320 BGB können die dargestellten Argumente nicht ohne weiteres auf andere Einredetatbestände übertragen werden.42 Auch für § 273 BGB wird jedoch von der dargestellten Maxime, es bedürfe in jedem Fall der Erhebung der Einrede, vielfach die Ausnahme vertreten, dass jedenfalls dann eine Erhebung der Einrede nicht erforderlich sei, wenn die Abwendung der Einredelage durch ein Tätigwerden des Gläubigers ohnehin rechtlich oder faktisch ausgeschlossen sei.43 Das tragende Argument für das Erfordernis der tatsächlichen Einredeerhebung sei demzufolge, dass nur durch die Erhebung der Einrede dem Gläubiger die gesetzlich gewollte Möglichkeit gegeben werde, das Zurückbehaltungsrecht durch Sicherheitsleistung gemäß § 273 III BGB abzuwenden.44 Dieses Argument stößt jedoch immer dann an seine Grenzen, wenn eine Abwendung des Zurückbehaltungsrechtes durch Sicherheitsleistung gar nicht in Betracht kommt. Auch der BGH45 führt explizit aus, jedenfalls dann erübrige sich „die Einrede, wenn ihre Abwendung durch den Gläubiger im Wege der Sicherheitsleistung (§ 273 III BGB) nicht in Frage steht.“ Auch in der Literatur existieren Stimmen, die zwar an dem Grundgedanken festhalten, dass der Schuldner sein Zurückbehaltungsrecht ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten dem Gläubiger gegenüber ausüben muss, jedoch  39

Auf diesen Nenner bringt Roth, Einrede des Bürgerlichen Rechts, S. 172 die Auffassung der Rspr. 40

So schon RG JW 1921, 523 (524); BGH NJW 1971, 1747. Roth, Einrede des Bürgerlichen Rechts, S. 173 f., verweist richtig darauf, dass sich die Besonderheit daraus erklärt, dass synallagmatische Ansprüche „schon ursprünglich die Beschränkung der Zug um Zug-Leistung in sich tragen“. 42 Roth, Einrede des Bürgerlichen Rechts, S. 152. 43 BGHZ 60, 319 (323); RGRK-Alff § 284 Rn. 7; ähnlich Soergel-Wolf § 273 Rn. 57, 62; Emmerich, Grundlagen, § 9 I 3 Fn. 23. 41

44 45

Vgl. insbes. OLG Köln ZIP 1994, 1770 (1772). BGHZ 60, 319 (323)

§ 11 Die Problematik der Einrede-Konstruktion

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immer dann von diesem Erfordernis absehen, wenn die Möglichkeit einer Abwendung des Zurückbehaltungsrechtes durch Sicherheitsleistung nicht in Betracht kommt.46 In diesen Fällen bedürfe es keiner besonderen Geltendmachung. Wolf will demgegenüber sogar in Fällen, in denen eine Sicherheitsleistung in Betracht kommt, die Möglichkeit einer rückwirkenden Geltendmachung der Einrede zulassen. Der Schuldnerverzug soll demnach rückwirkend entfallen.47 Zur Begründung stellt er darauf ab, dass § 389 BGB analog auch auf Zurückbehaltungsrechte angewandt werden könne, so dass davon auszugehen sei, dass bei objektivem Vorliegen der das Zurückbehaltungsrecht begründenden Tatsachen die Verzugsfolgen bei späterer Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechtes ex tunc ab dem Zeitpunkt entfallen, in welchem die objektiven Voraussetzungen für ein Zurückbehaltungsrecht vorlagen. Voraussetzung sei jedoch, dass von der Möglichkeit der Sicherheitsleistung nach § 273 III BGB kein Gebrauch gemacht worden sei. Damit könne vermieden werden, dass dem Gläubiger durch die Rückwirkung der Geltendmachung auch rückwirkend die Möglichkeit der Sicherheitsleistung genommen werde. Andere lehnen jede Rückwirkung der Einredeerhebung ab. Früher wurde teilweise sogar auch eine lediglich ex nunc wirkende Beendigung des Schuldnerverzuges abgelehnt.48 Davon hat man sich zu Recht früh gelöst; mittlerweile wird zumindest eine ex nunc wirkende Beendigung des Schuldnerverzuges durch nachträgliche Erhebung der Einrede praktisch allgemein anerkannt.49 Als Voraussetzung für die Beendigung des Schuldnerverzugs wird dabei statuiert, dass der Schuldner nunmehr seine eigene Leistung Zug um Zug gegen die Leistung des Gläubigers anbieten muss. Jedoch könne die nachträgliche Erhebung der Einrede immer nur ex nunc wirken.50 Auch hierfür wird als Grund genannt, dass andernfalls dem Gläubiger die Möglichkeit genommen werde, die Einrede durch Sicherheitsleistung gemäß § 273 III BGB rechtzeitig abzuwehren.

3. Zwischenergebnis und eigene Meinung Nach den obigen Ausführungen scheint sich die schon angedeutete vermittelnde Lösung anzubieten: Eine erste Grenzziehung dürfte demnach insofern  46

Soergel-Wolf § 273 Rn. 62. Soergel-Wolf § 273 Rn. 62. 48 RG JR 1926 Nr. 1491. 49 Vgl. Staudinger-Bittner § 273 Rn. 112. 50 Staudinger-Bittner § 273 Rn. 112. 47

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

angebracht sein, als die Einrede bei bloßem Vorliegen der Einredelage noch keine Rechtswirkungen entfaltet. Insbesondere vermag sie die vertragliche Leistungspflicht und den Schuldnerverzug nicht ipso iure auszuschließen. Würde man eine solche Lösung befürworten, so verlöre die Einrede gerade ihr prägendes Charakteristikum;51 die Lösung würde sich den Strukturen des gemeinen Rechts annähern, die das Bürgerliche Gesetzbuch gerade nicht aufgegriffen hat. Damit ist als erste Grenzmarke festgelegt, dass es notwendig der Erhebung der Einrede zu irgendeinem Zeitpunkt bedarf, will man nicht der Einrede gerade den sie auszeichnenden Charakter nehmen. Einen Entfall der Leistungspflicht ipso iure anzuerkennen, wie dies namentlich der BGH,52 Wolf53 und Alff54 bei § 273 BGB für jene Fälle postulieren, in denen die Abwendung der Einrede durch Sicherheitsleistung nicht in Betracht kommt, erscheint in Anbetracht der spezifischen Natur der Einrede inakzeptabel. Im Zentrum der Problematik verbleibt damit die Fragestellung, zu welchem Zeitpunkt die Einrede erhoben werden muss, ob also der Einrede des § 275 III BGB eine Wirkung nur ex nunc oder auch ex tunc zukommt. Ein erstes Augenmerk gilt dabei der Rechtspraxis: Vielfach wird ein unabweisbares praktisches Bedürfnis bestehen, die Einrede erst nach Verstreichen einer gewissen Zeit zu erheben. Mitunter wird es praktisch gar nicht möglich sein, die Einrede bei Annahme einer ausschließlichen ex-nunc-Wirkung „rechtzeitig“ zu erheben. Man denke an Fälle, in denen der Gläubiger der Leistung nicht so schnell erreichbar ist, wie es die Erhebung der Einrede erfordern würde. Hier den Schuldner dem schweren Vorwurf vertragsbrüchigen Verhaltens wegen bloßer Verzögerung der Einredeerhebung auszusetzen, erscheint unbillig. Auch die eingangs geschilderten Fälle55 im Umfeld des neuen Einrede-Tatbestandes in § 275 III BGB machen anschaulich, dass die Anerkennung einer reinen exnunc-Wirkung nicht allen denkbaren Fallgestaltungen gerecht wird. Zwingende Argumente stehen der Rückwirkung nur dann entgegen, wenn geschützte Interessen des Gläubigers durch die Rückwirkung ausgehebelt würden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Gläubiger durch eigenes Tätigwerden die Erhebung der Einrede abwenden kann. Vor allem in Konstellationen, in denen eine Sicherheitsleistung nach § 273 III BGB in Betracht  51

Schon Max Rech [Begriff der Einrede, S. 4] macht als das „caracteristicum der Einrede im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs“ die „Berechtigung zur Verweigerung der Leistung, das ‚Leistungsverweigerungsrecht‘“ aus. 52

BGHZ 60, 319 (323). Soergel-Wolf § 273 Rn. 62. 54 RGRK-Alff § 284 Rn. 7. 55 Vgl. oben § 11 II. 53

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kommt, verbietet sich daher eine Rückwirkung. Das Gesetz gewährt in diesen Fällen dem Gläubiger die Möglichkeit, selbst tätig zu werden und dadurch das Fortbestehen der Einredelage und die Möglichkeit der Einredeerhebung abzuwenden. Diese Möglichkeit darf dem Gläubiger nicht durch die Anerkennung einer Rückwirkung genommen werden. Anders verhält es sich, wenn die Einredelage unabhängig von einem Tätigwerden des Gläubigers fortbesteht. Charakteristisch ist dies insbesondere für peremptorische Einreden. Im Falle der Verjährung etwa hat der Gläubiger keinerlei Einfluss auf den einmal eingetretenen Zeitablauf; die Einredelage bleibt von einem Tätigwerden des Gläubigers unberührt. Ist dies der Fall, besteht ein Interesse des Gläubigers an sofortiger Geltendmachung der Einrede allenfalls insofern, als ihm hierdurch die Unsicherheit, ob der Schuldner die Einrede erheben wird oder nicht, genommen wird. Betroffen ist in diesen Fällen also ein reines Informationsinteresse des Gläubigers. Ob aus diesem Interesse eine vertragliche Nebenpflicht des Schuldners zu rechtzeitiger Information – und damit Einredeerhebung oder jedenfalls Ankündigung der Einredeerhebung – besteht, hängt entscheidend von dem Inhalt des jeweils betroffenen Schuldverhältnisses ab. Während etwa im Arbeitsvertrag eine derartige Nebenpflicht im Einzelfall anzuerkennen sein wird – man denke an die spezialgesetzlich geregelte Anzeige einer eingetretenen „Arbeitsunzumutbarkeit“ wegen Krankheit –,56 ist in weniger personal geprägten Schuldverhältnissen Zurückhaltung geboten. Generell wird man jedenfalls eine vertragliche Nebenpflicht zu rechtzeitiger Information über die Einredeerhebung nicht anerkennen können. Zudem wäre es selbst bei Anerkennung einer derartigen Nebenpflicht unangemessen, den Schuldner bei einer Verletzung dieser Pflicht dem Vorwurf der grundlosen Vertragsverletzung im Sinne einer Hauptpflichtverletzung und den hieran anknüpfenden kündigungs- und schadensersatzrechtlichen Konsequenzen auszusetzen. Vielmehr muss der Nebenpflichtverletzung mit dem geeigneten Sanktionsinstrumentarium für Nebenpflichtverletzungen begegnet werden.57 Somit ist in allen Fällen, in denen die Einredelage unabhängig von einem Tätigwerden des Gläubigers besteht, mit Blick auf die beteiligten Interessen eine Rückwirkung der Einredeerhebung anzuerkennen. Die verspätet erhobene Einrede wirkt damit ex tunc ab dem Zeitpunkt, in welchem die Einredelage ent 56 Vgl. allgemein zu Informationspflichten im Arbeitsverhältnis ErfK-Preis4 § 611 BGB Rn. 898; zu den besonderen Anzeigepflichten, die das EFZG für den Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und -unzumutbarkeit statuiert vgl. oben § 7 VI. 57 Vgl. Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 (2110). Ähnlich auch schon Kohte Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9, bei dem der Charakter der unterlassenen Anzeige als Nebenpflichtverletzung freilich schon aus der Gleichstellung von Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit resultiert.

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

standen ist. Kann der Gläubiger die Einredeerhebung hingegen durch eigenes Handeln abwenden, kommt eine Rückwirkung nicht in Betracht. Wenn Roth im Hinblick auf die Voraussetzungen und Wirkungen der Einredeerhebung einen gravierenden strukturellen Unterschied zwischen peremptorischen und dilatorischen Einreden sieht, so lässt sich in der hier vertretenen Konzeption diese Divergenz darauf reduzieren, dass bei vielen dilatorischen Einreden dem Gläubiger die dargestellte Möglichkeit gegeben ist, die Einredeerhebung durch eigenes Tätigwerden abzuwenden.58 Bei peremptorischen Einreden besteht diese Möglichkeit hingegen regelmäßig nicht; die Einredelage ist im Regelfall ausschließlich von objektiven Umständen abhängig, etwa dem Zeitablauf in Fällen der Verjährung und der Mängel- sowie Bereicherungseinrede oder der objektiven, unabänderlichen Unverhältnismäßigkeit erforderlicher Anstrengungen in den Fällen der Unverhältnismäßigkeitseinrede nach §§ 251 II, 635 III BGB. Allein aus diesem Grund kann die Rückwirkung der Einredeerhebung bei peremptorischen Einreden im Grundsatz unproblematischer bejaht werden als bei dilatorischen Einreden; hier bedarf es immer der Prüfung, ob rechtlich und tatsächlich eine Abwendung der Einredeerhebung durch ein Tätigwerden des Gläubigers in Betracht kommt.59

III. Die spezifische Problematik der Einrede in § 275 III BGB Die aufgestellten Grundsätze können auf den neuen Einrede-Tatbestand des § 275 III BGB nahtlos übertragen werden. Würde man hier das bloße Bestehen der Einredelage für den Entfall der Leistungspflicht genügen lassen, so würde die entscheidende Innovation des neuen § 275 BGB, klar zwischen dem ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht in § 275 I BGB und den Leistungsverweigerungsrechten in § 275 II und III BGB zu differenzieren, eingeebnet. Insbesondere würde auch die hier vertretene differenzierende Lösung zu Fällen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und -unzumutbarkeit ihren Wert verlieren, da damit gerade der Grund der Differenzierung verloren ginge, nämlich die Zielsetzung, dem Schuldner in Fällen der Unzumutbarkeit die charakteristische Entscheidungsmöglichkeit offenzuhal-

 58

So bei § 273 BGB durch Sicherheitsleistung nach § 273 III BGB, bei § 320 BGB durch eigene vertragsgemäße Leistung, bei § 321 I BGB durch Sicherheitsleistung oder vertragsgemäße Leistung, bei § 205 BGB durch nachträgliche Stundungsvereinbarung. 59

Im Ergebnis ähnlich Roth, Einrede des Bürgerlichen Rechts, S. 322; die Begründung divergiert.

§ 11 Die Problematik der Einrede-Konstruktion

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ten.60 Dann böte sich in der Tat eine einheitliche Lösung im Sinne des Unmöglichkeitsrechts und ein genereller ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht an. Wenn es mithin im Rahmen des § 275 III BGB in jedem Fall der Erhebung der Einrede bedarf, stellt sich die Frage, welche Anforderungen an die Einredeerhebung zu stellen sind: Sicher wird es für die Erhebung der Einrede nicht genügen, dass der Arbeitnehmer einfach stillschweigend der Arbeit fernbleibt: Ein solches Fernblieben kann einen mannigfaltigen Aussagegehalt haben, der nicht unbedingt in der Erhebung der Einrede der Unzumutbarkeit bestehen muss. Es muss daher eine Erklärung des Arbeitnehmers zu erkennen sein, aus der zumindest schlüssig der Umstand der Leistungsverweigerung und die Motivlage des Arbeitnehmers hervorgeht. Mit Blick auf die dargestellte Argumentation wird man jedoch die Rückwirkung der Einrede ebenfalls bei § 275 III BGB anerkennen können: Gerade die eingangs dargestellten Fälle61 zeigen, dass es ein erhebliches praktisches Interesse gibt, auch Konstellationen, in denen die Einrede nicht schon vor Verzugseintritt erhoben wurde oder auch nur erhoben werden konnte, über § 275 III BGB einer Lösung zuzuführen. Vielfach wird gerade aufgrund der Eilbedürftigkeit der Entscheidung zwischen einer Wahrnehmung der Leistungspflicht oder der kollidierenden Rechtsposition dem Schuldner gar keine andere Möglichkeit verbleiben, als die Erfüllung der Leistungspflicht ohne rechtzeitige Einredeerhebung zu vernachlässigen. Die geschilderten Fälle der Personensorge für ein verunglücktes, schwer verletztes Kind machen die zugespitzte, zeitlich drängende Entscheidungssituation besonders deutlich. Abgesehen von diesem praktischen Interesse, eine rückwirkende Erhebung der Einrede zuzulassen, sprechen auch rechtssystematische Gründe für diese Annahme: Die Diskrepanz zu den Wertungen des EFZG wurde für Fälle einer eigenen Krankheit des Arbeitnehmers bereits skizziert.62 Nimmt man überdies in den Blick, dass das wesentliche Argument gegen eine Rückwirkung im Kontext des § 273 BGB ist, dass damit dem Schuldner die Möglichkeit genommen werde, die Einrede durch Sicherheitsleistung abzuwenden, so kann aus der Regelung in § 275 III BGB geradezu im Umkehrschluss abgeleitet werden, dass hier einer Rückwirkung der Einrede nichts entgegensteht: Die Einrede in § 275 III BGB nämlich sieht die Möglichkeit einer Abwendung des Leistungsverweigerungsrechts durch den Gläubiger nicht vor und kann diese auch gar nicht vorsehen. § 275 III BGB will nämlich allein der persönlichen Konfliktlage des Schuldners durch Gewährung eines Leistungsverweigerungsrechts gerecht werden. Schon aufgrund dieser Regelungsintention kann das Bestehen der  60

Oben § 10 I 1 und Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 38, 40. Oben § 11 II. 62 Oben § 7 VI. 61

400

3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

Einrede schon denklogisch nicht von einer Handlung des Gläubigers abhängen. Anders als § 273 BGB, der dem Schuldner gerade zur Durchsetzung eines Anspruchs gegenüber dem Gläubiger ein Zurückbehaltungsrecht gibt,63 will § 275 III BGB dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht aus übergeordneten, von dem Gläubiger in aller Regel nicht zu beeinflussenden Gründen gewähren. Daher kann das – im Rahmen des § 273 BGB durchaus überzeugende – Argument im Kontext des § 275 III BGB nicht herangezogen werden, da hier eine Abwendung der Einrede durch ein Handeln des Gläubigers überhaupt nicht möglich ist. Seitens des Gläubigers sind damit keine schutzwürdigen Interessen ersichtlich, die eine Rückwirkung der Einrede in den genannten Fällen unangebracht erscheinen ließen. Schutzwürdige Interessen des Gläubigers sind lediglich insofern betroffen, als dieser ein Interesse daran hat, über die Leistungsverweigerung möglichst rechtzeitig informiert zu werden. Es erscheint freilich unangemessen, der bloßen Verletzung von Nebenpflichten zur rechtzeitigen Information mit dem gravierenden Vorwurf der grundlosen Leistungsverweigerung zu begegnen. Vielmehr ist hier im Einzelfall eine Verletzung vertraglicher Nebenpflichten zur Anzeige und Information über Leistungshindernisse anzuerkennen, die den Schuldner möglicherweise schadensersatzpflichtig macht und ihn entsprechenden kündigungsrechtlichen Sanktionen aussetzt.64 Hinsichtlich seiner Hauptpflicht entfallen jedoch die Leistungspflicht und damit auch die Voraussetzungen eines Schuldnerverzuges ex tunc, sobald er die ihm zustehende Einrede der Unzumutbarkeit dem Gläubiger gegenüber geltend gemacht hat.

IV. Insbesondere: Die Rückabwicklung zwischenzeitlich ausgeübter Gestaltungsrechte Als Folgeproblem der hier vertretenen Konzeption stellt sich die auch praktisch bedeutsame Frage nach den rechtlichen Wirkungen von Gestaltungsrechten, die der Gläubiger zwischen dem Entstehen der Einredelage und der Geltendmachung der Einrede ausgeübt hat.65 Bleibt also beispielsweise ein Arbeitnehmer der Arbeit zunächst fern und erhebt nach gewisser Zeit die Einrede der Unzumutbarkeit gemäß § 275 III BGB, so stellt sich die Frage nach dem rechtlichen Schicksal einer verhaltensbedingten Kündigung, die der Arbeitgeber wegen des – scheinbar grundlosen – Fehlens zwischenzeitlich ausgesprochen hat.  63

Vgl. BAG AP § 123 BGB Nr. 23; Söllner ZfA 1973, 1 (3, 27). Dazu unten § 16 II 2 und § 17 II 2 b) bb). 65 Ausführlich zur Problematik Roth, Einrede des Bürgerlichen Rechts, S. 159 ff. 64

§ 11 Die Problematik der Einrede-Konstruktion

401

Nimmt man an, bereits das objektive Vorliegen der Einredelage schließe den Schuldnerverzug aus, so folgt hieraus zwangsläufig die Konsequenz, dass zwischenzeitlich ausgeübte Gestaltungsrechte des Gläubigers bis zur tatsächlichen Ausübung oder Nichtausübung der Einrede ohne rechtliche Wirkungen bleiben, sofern sie an den Schuldnerverzug anknüpfen: Der Schuldner ist bei dieser Annahme nämlich gar nicht in Schuldnerverzug geraten; es fehlt schon an den tatbestandlichen Voraussetzungen des Gestaltungsrechts. Die aufgezeigten Probleme ergeben sich jedoch, wenn der hier vertretenen Konzeption eines rückwirkenden Einredetatbestandes gefolgt wird. Roth hat insgesamt drei Lösungsmodelle der Problematik aufgezeigt. Zum einen könne die Lösung darin liegen, das Gestaltungsrecht des Gläubigers erst mit dem endgültigen Ausbleiben der Einredeerhebung wirksam werden zu lassen.66 Die Folge wäre eine schwebende Unwirksamkeit des Gestaltungsrechtes vom Ausübungszeitraum bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Erhebung der Einrede endgültig ausgeschlossen erscheint. Die Wirksamkeit des Gestaltungsrechtes wäre somit letztlich durch die Nichterhebung der Einrede aufschiebend bedingt. Schon die Bestimmung dieses praktisch wichtigen Zeitpunktes bereitet indes erhebliche Schwierigkeiten: Wann die Einrede endgültig nicht mehr erhoben werden kann, ist kaum zu bestimmen, da dies letztlich von dem freien Tätigwerden des Schuldners abhängt. Eine äußerste, freilich ebenfalls unsichere Grenze liegt in dem Zeitpunkt, in welchem die Erhebung der Einrede verwirkt ist. Bis dahin kann jedoch geraume Zeit vergehen; die Folge wäre ein unbefriedigender Zustand der Rechtsunsicherheit. Allein mit Blick auf die eintretende Rechtsunsicherheit ist das dargestellte Lösungsmodell kaum tragfähig; das Konstrukt eines schwebend unwirksamen Gestaltungsrechtes ist überdies zumindest untypisch.67 Zutreffend lehnt auch Roth daher diese Lösung ab. Auch die von Roth letztlich befürwortete Lösung sieht sich jedoch gewichtigen Einwänden ausgesetzt: Roth befürwortet im Anschluss an Oertmann,68 dass Gestaltungsrechte des Gläubigers im fraglichen Zeitraum ohne weiteres geltend gemacht werden können und von der Rückwirkung der Einrede nicht erfasst werden. Ein Rücktritt aufgrund Schuldnerverzuges etwa soll nach Roth nicht ex tunc unwirksam werden, wenn der Schuldner doch noch die Einrede erhebt, welche den Schuldnerverzug rückwirkend ausschließt. Der Schuldner soll das Gestaltungsrecht nur durch unverzügliche Zurückweisung, faktisch also durch  66 Roth entwickelt das Lösungsmodell in Weiterführung der von Larenz, Schuldrecht AT, S. 350 f. vorgestellten Auffassung, lehnt es jedoch im Endeffekt ab. 67 Dass es sich um ein bedingtes Gestaltungsrecht handelt, spricht freilich nicht zwingend gegen das Lösungsmodell, da es sich hierbei um eine vom Schuldner zu beeinflussende Potestativbedingung handelt; vgl. nur Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 830, 836, 850; Larenz/Wolf, BGB AT, § 50 Rn. 37 f. 68 Oertmann ZHR 78 (1916), 1 (28 f.).

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

unverzügliche Erhebung der Einrede als Reaktion auf die Ausübung des Gestaltungsrechtes, abwenden können. Die Lösung hat den Vorteil, dass sie das zweifelhafte Konstrukt eines aufschiebend bedingten, schwebend unwirksamen Gestaltungsrechtes vermeidet. Dennoch wäre es ein merkwürdiges Ergebnis, wenn der Schuldner die Leistung ex tunc begründet verweigert hätte und dennoch Gestaltungsrechte wirksam wären, die tatbestandlich gerade an die unbegründete Nichtleistung anknüpfen. Vollends zweifelhaft wird das Ergebnis, wenn man die von Roth befürwortete Lösung auf die arbeitsrechtliche Kündigung anwendet, die ja gerade bei § 275 III BGB besonders relevant sein dürfte. Hier erscheint es kaum vertretbar anzunehmen, der Arbeitnehmer habe rückwirkend berechtigt die Arbeit verweigert, könne aber dennoch sozial gerechtfertigt verhaltensbedingt wegen grundloser Arbeitsverweigerung gekündigt werden. Diese Konzeption würde in klarem Widerspruch insbesondere zu dem Grundsatz stehen, dass es für die soziale Rechtfertigung der Kündigung nicht auf die subjektive Kenntnis des Kündigenden, sondern auf das objektive Vorhandensein des Kündigungsgrundes ankommt.69 Gerade dieser Kündigungsgrund – die unberechtigte Arbeitsverweigerung – entfällt jedoch zwangsläufig rückwirkend, wenn die Leistungsverweigerung ex tunc zur berechtigten Leistungsverweigerung wird. Ein Spannungsverhältnis ergäbe sich überdies zu anderen Rechtsinstituten mit Rückwirkung, etwa der Anfechtung: Hier ist es fast selbstverständlich, dass durch die ex tunc wirkende Anfechtung auch Gestaltungsrechte auf Grundlage des rückwirkend vernichteten Vertrages wirkungslos werden.70 In Parallele zu den anerkannten Grundsätzen etwa des Anfechtungsrechts ist daher der dritten, von Roth nur angedeuteten Lösung zu folgen: Zwischenzeitlich ausgeübte Gestaltungsrechte, die an die grundlose Leistungsverweigerung anknüpfen, werden zunächst wirksam, verlieren jedoch mit der rückwirkenden Einredeerhebung ihre tatbestandlichen Voraussetzungen und damit ihre Wirksamkeit ex tunc. Wie bei der Anfechtung Gestaltungsrechte mit der rückwirkenden Vernichtung des angefochtenen Vertrages gegenstandslos werden, so verlieren auch hier Gestaltungsrechte rückwirkend ihre Grundlage. Es handelt sich dabei nicht um einen Fall schwebender Unwirksamkeit eines Gestaltungsrechtes, sondern „schwebender Wirksamkeit“; das Gestaltungsrecht ist durch die Erhebung der Einrede auflösend bedingt. Hierbei handelt es sich um eine auch bei Gestaltungsrechten zulässige Potestativbedingung, da Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des Gestaltungsrechtes ausschließlich von der Einredeer 69 70

Vgl. nur BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 16. Zur umfassenden Wirkung der Anfechtung allgemein Palandt-Heinrichs63 § 142 Rn. 2.

§ 11 Die Problematik der Einrede-Konstruktion

403

hebung, also einem Tätigwerden des Schuldners abhängen.71 Im angeführten Beispiel hätte die – zunächst sozial gerechtfertigte – Kündigung wegen grundloser Arbeitsverweigerung rückwirkend ihre soziale Rechtfertigung verloren.

V. Fazit Es wurde gezeigt, dass die von § 275 II, III BGB gewählte Einredekonstruktion die adäquate Lösung für Konstellationen der Unzumutbarkeit darstellt. Nur die Einredekonstruktion trägt der Wahl- und Entscheidungsmöglichkeit, die dem Schuldner typischerweise angesichts des Rechtsgüter- oder Pflichtenkonfliktes verbleibt, angemessen Rechnung. Bei der Erhebung der Einrede ist davon auszugehen, dass der bloße Bestand der Einredelage nicht ausreicht, die Rechtsfolgen der Einrede zu bewirken. Dies würde der Einrede gerade ihr prägendes Charakteristikum nehmen. Jedoch ist mit Blick auf die beteiligten Interessen die rückwirkende Erhebung der Einrede anzuerkennen. Bezugspunkt der Rückwirkung ist dabei der Zeitpunkt, in dem die Einredelage entstanden ist.

 71

Vgl. RGZ 104, 100; BGHZ 47, 391.

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

§ 12 Die regelungstechnische Stellung des § 275 III BGB im Bürgerlichen Gesetzbuch I. Problematik und Meinungsstand Vereinzelt wurde die Frage gestellt, inwieweit die neu kodifizierten Unzumutbarkeits-Tatbestände eine systematisch sinnvolle Positionierung im Leistungsstörungsrecht erfahren haben. So weist Zimmer darauf hin, dass sich eigentlich eher eine Regelung in systematischer Nähe zum Wegfall der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB, angeboten hätte. Nichts sei gewonnen, „wenn diese Fälle nicht mehr auf Grundlage des § 242 BGB (Rechtsmissbräuchlichkeit eines Beharrens des Vertragspartners auf Erfüllung oder auch Wegfall der Geschäftsgrundlage) gelöst, sondern in die Nähe der Tatbestände der Unmöglichkeit gerückt werden“.1 Geradezu konträr zu dieser Stellungnahme weist Medicus darauf hin, dass infolge der Neuregelung die Problematik der Unzumutbarkeit „in die Nähe des Rechtsmissbrauchs“ gerückt werde, der bei § 242 BGB zu verorten sei. Ein Spannungsverhältnis entstehe daraus, dass die Rechtsmissbräuchlichkeit nach überwiegender Meinung von Amts wegen zu berücksichtigen sei; dies harmoniere nicht mit der Einredekonstruktion in § 275 II, III BGB. Da er diese jedoch für angemessen hält, will er aus der Neuregelung ableiten, dass die Dogmatik des Rechtsmissbrauchs insgesamt zu überdenken sei.2 Auch Canaris3 und Dauner-Lieb4 weisen darauf hin, dass es sich bei den Unzumutbarkeits-Tatbeständen in § 275 II und III BGB um Konkretisierungen „des Rechtsmissbrauchsverbotes unter Rückgriff auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip“ handele.5 Dennoch möchte Canaris die Tatbestände in § 275 II und III BGB klar dem Unmöglichkeitsrecht zuordnen; die Zuordnung zum Rechtsmissbrauchverbot einerseits, andererseits zum Unmöglichkeitsrecht schließe sich keineswegs aus. Lorenz und Riehm vermeiden gar den Begriff der Unzumutbarkeit und ordnen den Tatbestand des § 275 III BGB als „persönliche Unmöglichkeit“ eindeutig dem Unmöglichkeitsrecht zu.6 Ähnlich bezeichnet Emmerich diese Konstellationen als „sittliche Unmöglichkeit“.7  1

Zimmer NJW 2001, 1 (4). Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 39. 3 Canaris JZ 2001, 499 (505). 4 AnwK-Dauner-Lieb § 275 Rn. 14. 5 So Canaris JZ 2001, 499 (505). 6 Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 320. 7 Emmerich, Leistungsstörungen, S. 46. 2

§ 12 Die regelungstechnische Stellung des § 275 III BGB

405

Wilhelm schließlich sieht eine klare inhaltliche Trennung zwischen der Unmöglichkeit und den in § 275 II, III BGB geregelten Tatbeständen der Unzumutbarkeit. Bei faktischer oder praktischer Unmöglichkeit gehe schon aus der Regierungsbegründung hervor, dass sie gerade „kein Fall der Unmöglichkeit sein soll, den ja § 275 I BGB behandelt“. Bis zur Unabgrenzbarkeit angenähert sei zumindest der Tatbestand in § 275 II BGB jedoch dem Wegfall der Geschäftsgrundlage.8 Die Regierungsbegründung ordnet die Tatbestände der Abs. 2 und 3 klar dem Unmöglichkeitsrecht zu. Vor allem zu Abs. 3 wird ausgeführt, bei persönlich-ideellen Leistungshindernissen liege grundsätzlich „kein Wegfall der Geschäftsgrundlage, sondern Unmöglichkeit vor“.9 § 275 III BGB soll also ein Unterfall der Unmöglichkeit sein. Merkwürdigerweise wird eine besonders anschauliche Fallgruppe persönlich-ideeller Leistungshindernisse hiervon ausgenommen: Ausweislich der Regierungsbegründung sollen sich Gewissenskonflikte „nicht mit § 275 II 1 RE [jetzt § 275 II BGB], sondern nur über § 313 RE oder über die Anwendung von Treu und Glauben“ einer Lösung zuführen lassen.10 Hier wird also – im offenkundigen Widerspruch zur grundsätzlichen regelungstechnischen Einordnung in systematischer Nähe zum Recht der Unmöglichkeit – die Einordnung eines persönlich-ideellen Leistungshindernisses in den Kontext der §§ 242, 313 BGB vorgeschlagen. Der hier nur skizzierte Meinungsstand offenbart eine große Unsicherheit bei der regelungssystematischen Einordnung der Unzumutbarkeitstatbestände. Teilweise wird die Neuregelung im Sinne einer klaren Zuordnung zum Unmöglichkeitsrecht gedeutet; dafür spricht zweifelsohne die Regierungsbegründung und die systematische Positionierung in § 275 BGB. Zum Teil wird aber zutreffend darauf verwiesen, dass die Abgrenzung zur „wirklichen“ Unmöglichkeit des § 275 I BGB in der Praxis leicht fällt, die Abgrenzung zu Rechtsinstituten wie § 313 BGB dafür umso schwerer. Allein dies scheint auf eine weit engere systematische Verwandtschaft zu diesen Rechtsinstituten als zum Institut der „wirklichen“ Unmöglichkeit hinzudeuten. Damit setzen sich die Unsicherheiten, die bei der systematischen Einordnung der Unzumutbarkeit im alten Schuldrecht bestanden, im neuen Schuldrecht in ähnlicher Weise fort. Der Gesetzgeber hat hier eine Chance zur Klärung vertan. Die regelungstechnische Umsetzung der Neuregelung legt die systematische Einbindung der Tatbestände der Unzumutbarkeit und Leistungserschwerung nicht offen; vielmehr verstellt die Neuregelung sogar den Blick auf die systematischen Strukturen.  8

Wilhelm JZ 2001, 861 (866 f.). BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte. 10 BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte. 9

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

II. Eigene Stellungnahme Der bisherige Gang der Darstellung hat vor allem eines offengelegt: Bei Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit handelt es sich um grundverschiedene Phänomene des Leistungsstörungsrechts. Während bei der „wirklichen“ Unmöglichkeit dem Schuldner jede Dispositionsmöglichkeit über die Leistungserbringung genommen wird, sieht sich der Schuldner in den Fällen der Unzumutbarkeit gerade einer zugespitzten Entscheidungssituation ausgesetzt. Die Unmöglichkeit trägt der naturgesetzlichen oder rechtlichen Unerbringbarkeit der Leistung Rechnung; Unzumutbarkeits-Tatbestände erfordern hingegen die rechtliche Wertung, dass die Leistungspflicht gegenüber höherrangigen, konfligierenden Rechtsgütern oder Pflichten zurücktreten muss. Aus beiden Aspekten ergibt sich eine massive Strukturverschiedenheit zwischen beiden Leistungsstörungstatbeständen. Ebenfalls dargestellt wurde die Verwandtschaft der Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen zum Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, der seinerseits Fälle wirtschaftlich-materieller Unzumutbarkeit regelt.11 Gezeigt wurde auch, dass erste Ansätze zur Bewältigung der Problematik nicht primär im Recht der Unmöglichkeit, sondern vielmehr im Kontext von Treu und Glauben gesucht wurden.12 Deutlich wurde insbesondere auch, dass jene Lösungen, welche eine Verankerung im Unmöglichkeitsrecht befürworteten, der Natur der Unzumutbarkeit nicht gerecht werden. Aus diesen Gründen wäre in der Tat eine Kodifikation der UnzumutbarkeitsTatbestände in engem Regelungszusammenhang mit § 313 oder § 242 BGB wünschenswert gewesen. Auf diese Weise hätten die bestehenden systematischen und historischen Zusammenhänge zwischen den Rechtsinstituten deutlich gemacht werden können. Zugleich hätte eine abgestimmte, einheitliche Regelung gerade auch der materiell-wirtschaftlichen Unzumutbarkeit die erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten vermieden, die sich jetzt zwischen § 275 II und § 313 BGB ergeben.13 Diese Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich vor allem nämlich daraus, dass beide Vorschriften Fälle materiell-wirtschaftlicher Unzumutbarkeit regeln, die sich nicht qualitativ, sondern lediglich graduell unterscheiden. Dass hier eine Abgrenzung schwer fällt, liegt auf der Hand. Die divergierenden Rechtsfolgen beider Vorschriften stellen daher keine angemessene Antwort auf die parallelen Rechtsprobleme dar, die von beiden Vorschriften erfasst werden.  11

Vgl. oben § 2 II und § 10 II. Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 (215). 13 Oben § 10 II. 12

§ 12 Die regelungstechnische Stellung des § 275 III BGB

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Die jetzt vorgenommene regelungstechnische Eingliederung in den Kontext der Unmöglichkeit ist daher verfehlt. Sie verkennt die historische Entwicklung, nach der Konstellationen ideeller und materieller Unzumutbarkeit nicht dem Unmöglichkeitsrecht, sondern vielmehr dem Rechtsprinzip von Treu und Glauben nahe stehen.14 Sie verkennt durch die Einordnung in § 275 BGB ebenfalls die deutliche systematische Trennung zwischen Tatbeständen der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, die sich schon aus der Natur des jeweiligen Leistungshindernisses ergibt. Dies verwundert umso mehr, als in anderer Hinsicht die Neuregelung durchaus dieser Strukturverschiedenheit angemessen Rechnung trägt: § 275 II und III BGB statuieren Leistungsverweigerungsrechte mit Einredecharakter – ein rechtliches Konstrukt, das zur Regelung von Unzumutbarkeits-Tatbestände angemessen, dem Recht der Unmöglichkeit jedoch vollkommen fremd ist. Der insoweit beifallswürdige Inhalt der Neuregelung findet also in der regelungstechnischen Positionierung der Tatbestände leider keinen Niederschlag. Auch hier treten vertane Chancen einer wirklichen Vereinfachung des Leistungsstörungsrechtes zutage. Die Verkennung systematischer Zusammenhänge im Gesetzgebungsverfahren, wie sie schon bei den Gewissenskonflikten sowie im Zusammenspiel der Neuregelung mit § 616 BGB und § 45 III 1, IV SGB V aufgezeigt wurde, kommt auch hier zum Tragen. Insoweit ist der unfreundliche Vorwurf Wilhelms, bei § 275 II RE – jetzt im Wesentlichen in § 275 II, III BGB umgesetzt – handele es sich um eine „Missgeburt“,15 nicht ganz von der Hand zu weisen.

 14 Symptomatisch der Regierungsentwurf, der sich für die Zuordnung zum Recht der Unmöglichkeit auf die Entscheidung des BAG v. 22.12.1982 [NJW 1983, 2782, 1784 = AP § 123 BGB Nr. 23] beruft, in welcher eine Zuordnung zum Recht der Unmöglichkeit befürwortet werde. Damit wird die Intention der zitierten Entscheidung grob verkannt: Dort wird nur hinsichtlich des Entgeltanspruchs § 323 I BGB a.F. analog herangezogen; das Leistungsverweigerungsrecht jedoch aus einer Analogie zu §§ 616, 904, 228 BGB, 72 HGB a.F. abgeleitet. Die Einordnung in das Unmöglichkeitsrecht wird damit gerade abgelehnt. Würde es sich um einen Fall der Unmöglichkeit handeln, hätte es hinsichtlich des Entgeltanspruchs gar nicht der analogen Anwendung von § 323 I BGB a.F. bedurft, dieser wäre vielmehr unmittelbar anwendbar gewesen. Wie hier kritisch auch Richardi NZA 2002, 1004 (1005). 15 Wilhelm JZ 2001, 861 (866).

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3. Teil: Übergreifende Fragestellungen

§ 13 Fazit und zusammenfassende Bewertung Erörtert wurden „übergreifende Fragestellungen“ der Leistungsverweigerung bei ideeller Unzumutbarkeit. Festzuhalten bleibt dabei vor allem, dass die Neuregelung inhaltlich der Strukturverschiedenheit von Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit erstmals legislativ Rechnung trägt. Der Anwendungsbereich des Unmöglichkeitsrechts wird damit auf einen Kernbereich reduziert. Der Unmöglichkeit verbleiben im Wesentlichen Fälle der naturgesetzlichen Unmöglichkeit sowie bestimmte Konstellationen rechtlicher Leistungshindernisse. Die vielfältige Fehlentwicklung, ungeregelte Leistungsstörungs-Tatbestände einfach dem Unmöglichkeitsrecht gleichzustellen, wird damit weiter zurückgedrängt und die schon bislang verbreitete Ansicht, Konstellationen der Unzumutbarkeit mittels eines einredeweise geltend zu machenden Leistungsverweigerungsrechts zu lösen, legislativ bestätigt. Dieser richtige Ansatz spiegelt sich freilich in der regelungstechnischen Umsetzung nur unzureichend wider. Hier hätte es sich angesichts der systematischen und rechtshistorischen Bezüge weit eher angeboten, die Tatbestände der materiellen und ideellen Unzumutbarkeit in Nähe des Rechtsprinzips von Treu und Glauben zu regeln. Ebenso hätte die Regelung stärker mit der Kodifikation des Wegfalls der Geschäftsgrundlage abgestimmt werden müssen, der seinerseits eine Erscheinungsform materiell-wirtschaftlicher Unzumutbarkeit darstellt. Auftretende Abgrenzungsprobleme hätten dadurch vermieden werden können. Gerade die unbestimmte Fassung der „Unzumutbarkeits-Tatbestände“ öffnet ein Einfallstor für grundrechtliche Wertungen. Der Drittwirkung der Grundrechte kommt insoweit entscheidende Bedeutung für Konkretisierungen des Unzumutbarkeitsbegriffs zu. Soweit Grundrechte betroffen sind, ist die vorzunehmende Interessenabwägung daher intensiv grundrechtlich vorgeprägt; für einfachrechtliche Modifikationen verbleibt nur ein begrenzter Spielraum.

Vierter Teil

Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

§ 14 Einführung Zu den am stärksten umstrittenen Fragen im Umfeld der Leistungsverweigerung bei ideell motivierter Unzumutbarkeit zählte vor dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes die Frage nach den sekundären Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung, also die Frage nach dem Schicksal der synallagmatischen Gegenleistung,1 nach schadensersatzrechtlichen Konsequenzen2 und nach der Möglichkeit einer Vertragsbeendigung.3

I. Der Meinungsstand im alten Schuldrecht Zum Teil wurde davon ausgegangen, dass durch die Einräumung des Leistungsverweigerungsrechts auch schon über die genannten Folgefragen entschieden sei. Insbesondere sei eine Kündigung oder schadensersatzrechtliche Haftung des Schuldners schon durch die positive Entscheidung über das Leistungsverweigerungsrecht ausgeschlossen.4 Der Schuldner, dem die Leistungserbringung aus übergeordneten Gründen unzumutbar sei, müsse auch vor sonstigen negativen Konsequenzen bewahrt bleiben.5 Ihm dürften angesichts der höherrangigen Rechtsgüter, die durch die Leistungserbringung bedroht seien, auch keine „unzumutbaren“ Negativfolgen der berechtigten Leistungsverweigerung abverlangt werden.6 Es sei wertungswidersprüchlich, wenn einerseits die  1

Unten § 15. Unten § 16. 3 Unten § 17. 4 Reuter BB 1986, 385 (389). 5 So zuletzt noch für Gewissenskonflikte Sachs-Kokott Art. 4 GG Rn. 59: An religiös motivierte Arbeitsverweigerung dürften grundsätzlich keine Nachteile geknüpft werden. 6 Reuter BB 1986, 385 (389) . 2

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

Rechtsordnung ein Leistungsverweigerungsrecht einräume, die Leistungsverweigerung also rechtfertige, andererseits aber an die berechtigte Leistungsverweigerung negative Konsequenzen geknüpft würden.7 Diese Auffassung, die letztlich eine „Präjudizierung“ weiterer Rechtsfolgen durch die Zuerkennung des Leistungsverweigerungsrechts impliziert, wurde in diversen Varianten vertreten. Überwiegend wurde sie auf die Frage der gläubigerseitigen Kündigungsmöglichkeit sowie auf schadensersatzrechtliche Fragen bezogen.8 Einzelne Stimmen in der Literatur wollten sogar den Entgeltanspruch trotz der Leistungsverweigerung unbedingt fortbestehen lassen, da schon der Entfall des Entgeltanspruchs eine „unzumutbare“ Konsequenz darstelle.9 Gegen die These einer generellen „Präjudizierung“ wandten sich schon früh die Rechtsprechung und die überwiegende Lehre.10 Bereits in den ersten Entscheidungen des BAG zur Thematik finden sich zahlreiche differenzierende Ansätze. So bejaht etwa die BAG-Entscheidung vom 22.12.1982 zur Leistungsverweigerung wegen Einberufung zum ausländischen Wehrdienst ein Leistungsverweigerungsrecht, stellt für das Schicksal der Gegenleistung jedoch auf eine analoge Anwendung des § 323 BGB a.F. ab.11 Die Arbeitsverhinderung könne in dieser Hinsicht aufgrund der einschneidenden Sanktionen bei Nichterbringung des Wehrdienstes dem Unvermögen der Erfüllung der Arbeitspflicht gleichgestellt werden.12 Vielfach hält das BAG auch eine Kündigung bei Bejahung eines Leistungsverweigerungsrechts für möglich.13 Als Vergleichspunkt wird dabei zutreffend die krankheitsbedingte Kündigung angeführt: Auch hier sei trotz Freistellung von der Leistungspflicht unter bestimmten Voraussetzungen eine Kündigung möglich.14 In seiner Entscheidung vom 20.5.1988 – ebenfalls zur Problematik des ausländischen Wehrdienstes – statuiert das BAG erstmals ausdrücklich die Regel, dass durch die Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechts über Gegenrechte des Arbeitgebers, etwa  7

Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (45); ähnlich Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 (217). 8

Beispielhaft Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 (217). So Brox Anm. zu BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27, der freilich schon der Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechts enge Grenzen zieht. 10 Vgl. Wendeling-Schröder BB 1988, 1742 (1746); Kohte NZA 1989, 161 (164). 9

11

BAG AP § 123 BGB Nr. 23. Vgl. hierzu ausführlich unten § 14 II 2. 13 BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; ähnlich BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27. Jedoch wird die soziale Rechtfertigung der Kündigung jedenfalls dann verneint, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine andere Arbeit hätte zuweisen könne, vgl. BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27. 12

14

Vgl. BAG AP § 123 BGB Nr. 23; ähnlich Reuter JuS 1990, 591 (592); jüngst auch LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2.

§ 14 Einführung

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eine personenbedingte Kündigung, nicht entschieden sei, sondern eine eigenständige Bewertung nach den jeweils anzuwendenden Vorschriften zu erfolgen habe.15 Diesen Gedanken griff wenig später Henssler auf und setzte der These der Präjudizierung den „Grundsatz der rechtlichen Selbständigkeit“ entgegen.16 Hiernach ist die Frage nach weiteren Rechtsfolgen generell getrennt von der Frage nach dem Leistungsverweigerungsrecht entsprechend dem jeweils anwendbaren Recht zu beurteilen. Diese Sichtweise entspricht der überkommenen Struktur in der verwandten Kategorie der Unmöglichkeit, in der trotz einer Befreiung von der primären Leistungspflicht die Gegenleistungspflicht grundsätzlich erlischt und Schadensersatzansprüche sowie unter Umständen eine Vertragsbeendigung durch Rücktritt oder Kündigung seitens des Gläubigers möglich sind. Damit ist zugleich offen gelegt, dass der Vorwurf, die Zulassung nachteiliger Folgen bei gleichzeitiger Anerkennung eines Leistungsverweigerungsrechts sei „wertungswidersprüchlich“,17 verfehlt ist. Dass ein Sachverhalt für den Schuldner zunächst positive Folgen hat, sich daran aber Schadensersatzansprüche und andere negative Folgen knüpfen, ist dem bürgerlichen Recht nicht unbekannt: Neben der Regelung der Unmöglichkeit sei hier auch an die Regelung in § 122 BGB erinnert, die dem Schuldner, nachdem er sich von dem Vertrag hat lösen dürfen, gleichwohl einen Schadensersatzanspruch aufbürdet.18 Dieses Phänomen resultiert daraus, dass anerkennenswerten Interessen immer auch gegenläufige Interessen des Vertragspartners entgegenstehen, die ihrerseits nach rechtlicher Anerkennung verlangen. Daher ist es ein vielfach gewähltes Mittel des gerechten Interessenausgleichs, zunächst aus überragenden Gründen einen Wegfall der Leistungspflicht anzuerkennen, sodann aber eine gegenläufige Schadensersatzpflicht zu statuieren.

II. Partielle Klärung und offene Fragen durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz Der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes hat sich auf die Fahnen geschrieben, das kodifizierte Zivilrecht modernisieren und zugleich die  15

BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. Henssler AcP 190 (1990), 538 (566). 17 Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (45). 18 Vgl. allgemein Palandt-Heinrichs63 § 122 Rn. 1; auf Parallelen der Problematik zu § 122 BGB verweisen etwa auch Staudinger-Weber11 § 242 Rn. B 617 f.; Brecher, Festschrift Nipperdey II (1965), S. 52; dazu Scheschonka, Gewissensnot, S. 132 ff. m.w.N. 16

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

Rechtsanwendung vereinfachen zu wollen.19 Hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Leistungsverweigerung wegen ideeller Unzumutbarkeit hat er jedenfalls in Teilen den aufgezeigten Grundsatzstreit Präjudizierung versus Einzelbetrachtung entschieden. Durch die klare Einbindung in die Kategorien des kodifizierten Leistungsstörungsrechts wurde die These der Präjudizierung im Grundsatz abgelehnt und die modernere Auffassung der Einzelbetrachtung legislativ bestätigt.

1. Klare Einbindung in die Strukturen des Leistungsstörungsrechts Charakteristisch für die Neuregelung ist, dass hinsichtlich der geregelten Rechtsfolgen die im Ausgangspunkt getrennt betrachteten Kategorien der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit rechtstechnisch zusammengefasst werden. So stellt die Nichtleistung bei Unzumutbarkeit – wie auch die Nichtleistung bei Unmöglichkeit – eine Pflichtverletzung i.S.d. § 280 BGB dar, die unter den Voraussetzungen der §§ 283, 280 I BGB dem betroffenen Gläubiger einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung gewährt.20 Ebenso regelt sich der grundsätzliche Wegfall der Gegenleistung nun umfassend nach § 326 I BGB, der ausdrücklich für alle Fälle einer nach § 275 I-III BGB gerechtfertigten Nichtleistung anwendbar ist.21 Während das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz also einerseits die gravierenden systematischen Unterschiede zwischen Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit durch die getrennte und deutlich divergierende Regelung in § 275 I BGB sowie § 275 II und III BGB hervorhebt, werden beide Kategorien hinsichtlich der Rechtsfolgen gleichbehandelt. Inwieweit diese Gleichstellung von Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit hinsichtlich sekundärer Rechtsfolgen angemessen und interessengerecht erscheint, ist nach der oben festgestellten Strukturverschiedenheit beider Kategorien22 fraglich und soll sogleich eingehend untersucht werden. Für Schadensersatzansprüche des Gläubigers und das Schicksal des Entgeltanspruchs hat das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz jedenfalls eine im  19 Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 1 f. sowie Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundestagsdebatte v. 18.5.2001 – Verhandlungen des Deutschen Bundestags Bd. 207, S. 16724: „Mit der Reform des Schuldrechts entrümpeln wir unser angestaubtes Bürgerliches Gesetzbuch und bringen es wieder auf Hochglanz. Wir gleichen das BGB internationalen Standards an und machen es für die Rechtsanwender [...] verständlicher.“ 20

Näher unten § 16 II 2 a). Vgl. ausführlich Palandt-Heinrichs63 § 326 Rn. 2. 22 Vgl. oben § 10 I 1. 21

§ 14 Einführung

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Grundsatz begrüßenswerte Klärung der Rechtslage herbeigeführt: Die klare Einbindung in die Strukturen des Leistungsstörungsrechts führt regelmäßig zu eindeutigen, praktisch handhabbaren Resultaten. Zumindest im Hinblick auf Schadensersatzansprüche des Leistungsgläubigers und den Entgeltanspruch des Leistungsschuldners tritt also nach geltendem Recht keine Präjudizierung in dem dargestellten Sinne ein. Beide Institute können wie in den Fällen der Unmöglichkeit als Kompensationsinstrumente zugunsten des von der Leistungsverweigerung betroffenen Gläubigers nutzbar gemacht werden. Detailfragen bleiben jedoch auch in diesem Bereich zu klären, insbesondere die schon mehrfach angeklungene Einbindung von § 616 BGB23 sowie die Systematik des Annahmeverzugs (§ 615 BGB).24 Fraglich ist vor allem, ob nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes auch Normen, die durch die Gesetzesnovelle keine ausdrückliche Änderung erfahren haben und bislang vor allem auf die Unmöglichkeit zu beziehen waren, nun auch für die Tatbestände der ideellen Unzumutbarkeit anwendbar sind. Insbesondere gilt dies für § 297 BGB.25 Eine gewisse Klärung ist durch die Neuregelung auch hinsichtlich der gläubigerseitigen Vertragsbeendigung infolge der Leistungsverweigerung eingetreten: Hier bestimmen §§ 326 V, 323 I BGB, dass im Grundsatz ein Rücktritt möglich sein soll.26 In den für § 275 III BGB typischen Dauerschuldverhältnissen stößt diese Norm jedoch schnell an Grenzen, da hier statt des dort geregelten Rücktritts der spezifische Beendigungstatbestand der Kündigung mit speziellen Voraussetzungen einschlägig ist. Besondere Probleme ergeben sich vor allem für das Arbeitsrecht mit seinem stark ausdifferenzierten Kündigungsschutz. Nach teilweise vertretener Ansicht soll bei in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnissen an die Stelle des Rücktritts stets ein Recht zur außerordentlichen Kündigung treten.27 Bedenkt man, dass bislang in Fällen der ideellen Unzumutbarkeit in Arbeitsverhältnissen entweder die Kündigungsmöglichkeit ganz abgelehnt28 oder aber – überwiegend – nur ein Recht zur ordentlichen  23

Oben § 3 IV 1 und unten § 15 II 2 d). Unten § 15 II 4. 25 Für eine Anwendung schon nach alter Rechtslage zuletzt LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2. 26 Der Absatz wurde erst im Rechtsausschuss angefügt. Als ratio wurde dabei benannt, dass der Gläubiger eine Vertragsbeendigung auch in Fällen herbeiführen können soll, in denen Ungewissheit über den Grund der Nichtleistung besteht, sich also Verzug – als Voraussetzung für einen Rücktritt nach § 323 I BGB – nicht nachweisen lässt; vgl. im einzelnen Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 77 m.w.N. Darüber hinaus lassen sich aus der Existenz der Norm generelle Schlussfolgerungen für die Frage der Präjudizierung bei § 275 III BGB ziehen. 24

27

Palandt-Heinrichs63 § 323 Rn. 4; ähnlich AnwK-Krebs § 314 Rn. 11. 28 Benda, Industrielle Herrschaft, S. 478; ähnlich auch Reuter BB 1986, 385 (389, 391).

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

Kündigung anerkannt wurde,29 so wird deutlich, dass die Neuregelung bei einem derartigen Verständnis die kündigungsrechtliche Situation massiv zuungunsten des Leistungspflichtigen verändern würde. Es entstünde auch an dieser Stelle ein erhebliches Spannungsverhältnis zu dem Programmsatz des Gesetzgebers, nicht in arbeitsrechtliche Besitzstände eingreifen zu wollen.30 Mit Blick auf diese Schwierigkeiten lässt sich der Reform somit zwar die Grundaussage entnehmen, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine Vertragsbeendigung infolge der Leistungsverweigerung möglich sein soll. Nach welchen Voraussetzungen und konkreten Formen sich diese Vertragsbeendigung im Dauerschuldverhältnis vollziehen soll, bleibt jedoch offen. Diese offenen Fragen können nach wie vor nur systematisch-teleologisch beantwortet werden, da der Gesetzgeber hier wünschenswerte Klarstellungen versäumt hat.

2. Grundzüge der Neuregelung Schon dargestellt wurde der Grundgedanke der Neuregelung: Die in § 275 II, III BGB geregelten Fälle der Unzumutbarkeit werden hinsichtlich sekundärer Rechtsfolgen der Unmöglichkeit gleichgestellt. Die §§ 280, 283 BGB beinhalten einen umfassenden Schadensersatztatbestand für alle Fälle der Nichtleistung. Der Grund der Nichtleistung – Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit – tritt gegenüber diesem gemeinsamen Anknüpfungspunkt in den Hintergrund. Gleiches gilt für das Schicksal der synallagmatischen Gegenleistung und – im dargestellten fragmentarischen Umfang – für die Vertragsbeendigung. Auch hier liefert § 326 BGB eine für Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit einheitliche Regelung. Gedanklicher Anknüpfungspunkt ist auch an dieser Stelle die Nichtleistung als gemeinsamer wertneutraler Oberbegriff von Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit. Die Gleichstellung erscheint mit Blick auf die schon ausführlich dargestellte Strukturverschiedenheit beider Spielarten von Leistungsstörungen31 zunächst fragwürdig, bei näherer Betrachtung jedoch durchaus sinnvoll. Bei den gemeinsam geregelten Rechtsfolgen der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit wirkt sich nämlich die Strukturverschiedenheit beider Rechtsinstitute nicht aus.  29 So zieht das BAG in std. Rspr. stets nur eine ordentliche Kündigung in Betracht, vgl. nur BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; ähnlich BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27, dem folgt die überwiegende Lit.. Anders allerdings Otto, Personale Freiheit, S. 128 f.; Misera SAE 1983, 271 (273), die in bestimmten Konstellationen eine außerordentliche Kündigung für möglich halten. 30 31

BT-Drucks. 14/6857 S. 48 re. Spalte unten. Vgl. oben § 10 I 1.

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Die sekundären Rechtsfolgen dienen – wie schon angeklungen – primär einer Kompensation der durch die Nichtleistung eingetretenen Verschiebung des Synallagmas. Sie sollen somit die Nachteile ausgleichen, die dem Gläubiger infolge der Nichtleistung entstanden sind. Bezugspunkt dieser Rechtsfolgen ist somit vor allem die Interessenlage des Gläubigers. Bezugspunkt des Erlöschens der primären Leistungspflicht war hingegen – jedenfalls im Bereich der ideellen Unzumutbarkeit – in erster Linie das Interesse des Schuldners, gegenüber dem gegenläufige Interessen des Gläubigers schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nur begrenzt Berücksichtigung finden können.32 Für die Interessenlage des Gläubigers ist – anders als für die Interessenlage des Schuldners hinsichtlich der Leistungsverweigerung – die Ursache der Nichtleistung, also das Vorliegen von Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit, im Grundsatz gleichgültig. In beiden Fällen ist er gleichermaßen von der Nichtleistung betroffen. Da somit der gemeinsame Charakter beider Leistungsstörungen, nämlich das Ausbleiben der geschuldeten Leistung, in den Vordergrund tritt, ist eine Gleichstellung hinsichtlich der Rechtsfolgen mit den Fällen der Unmöglichkeit angemessen und angebracht. Die Differenzierung zwischen ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht und einredeweiser Geltendmachung des Leistungshindernisses war für die primäre Leistungspflicht von entscheidender Bedeutung. Zu Recht regelt daher § 275 BGB Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit getrennt und gestaltet den Entfall der primären Leistungspflicht differenziert aus.33 Betrachtet man jedoch die sekundären Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung, wirkt sich der Strukturunterschied im Grundsatz nicht mehr aus: Gemeinsamer Anknüpfungspunkt der sekundären Rechtsfolgen ist bei beiden Leistungsstörungen nichts anderes als das bloße Ausbleiben der Leistung, das in beiden Fällen gleichermaßen nach einer Kompensation zugunsten des Gläubigers verlangt. Dies wurde auch vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes unabhängig von der jeweiligen Herleitung des Leistungsverweigerungsrechts so vertreten. So lehnt etwa das BAG in seiner Entscheidung vom 22.12.1982 eine Verankerung des Leistungsverweigerungsrechts im Unmöglichkeitsrecht gerade mit Blick auf den bestehenden Strukturunterschied zwischen Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit ausdrücklich ab, erkennt für das Schicksal der Gegenleistung jedoch trotzdem § 323 I BGB a.F. als Rechtsgrundlage an.34 Diese Lösung erscheint – mit Blick auf die dargestellte Interessenlage – stimmig.  32 Vgl. oben § 9 III 2 b) bb) und cc). Anknüpfungspunkt der ideellen „Unzumutbarkeit“ ist freilich stets das Interesse des Leistungsschuldners an der Leistungsverweigerung. 33 34

Vgl. oben § 10 I 1 und § 12. BAG AP § 123 BGB Nr. 23.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

Trotz dieser grundsätzlichen Angemessenheit einer gemeinsamen Regelung der Rechtsfolgen von Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit kann die einheitliche Regelung bei Detailproblemen, insbesondere der teilweisen Unzumutbarkeit, zu systematischen Schwierigkeiten führen. Diese werden im folgenden darzustellen sein.35

3. Einheitliche Regelung für alle Fälle der Unzumutbarkeit? Vorrangig klärungsbedürftig bleibt freilich, ob auch die von § 275 III BGB nicht erfassten Fälle der ideellen Unzumutbarkeit, insbesondere also Glaubensund Gewissenskonflikte, von der kodifizierten Regelung der Rechtsfolgen erfasst werden. Grund für die Ausklammerung der Gewissenskonflikte aus dem sachlichen Regelungsbereich des § 275 III BGB war zum einen die insoweit klare Fassung der Regierungsbegründung,36 zum anderen entscheidend der systematische Grund, dass Gewissenskonflikte und verwandte Fallgruppen – anders als andere ideell-personale Leistungshindernisse – keinesfalls allein auf persönliche Leistungspflichten beschränkt werden können. Insofern sprengen sie den eingeschränkten Anwendungsbereich des § 275 III BGB.37 Hinsichtlich der kodifizierten Rechtsfolgen gilt dies jedoch nicht. Hier existiert keinerlei Begrenzung auf persönliche Leistungspflichten. Die besondere Natur der Gewissenskonflikte bereitet somit an dieser Stelle keine Bedenken. Berücksichtigt man zudem, dass vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes auch für Glaubens- und Gewissenskonflikte hinsichtlich der sekundären Rechtsfolgen ganz überwiegend auf das Unmöglichkeitsrecht Bezug genommen wurde – und dies unabhängig von der dogmatischen Begründung des Leistungsverweigerungsrechts38 –, erschiene es kaum sinnvoll, nun Gewissenskonflikte aus dem Anwendungsbereich der entsprechenden Normen ausklammern zu wollen, da doch der ausdrückliche Anwendungsbereich dieser Regelungen durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz gerade auf Fälle der Unzumutbarkeit ausgeweitet wurde. Nichts anderes ergibt sich aus der Interessenlage der Parteien. Insoweit kann im Wesentlichen auf das oben Festgestellte verwiesen werden: Hier setzt sich der gemeinsame Charakter als Nichtleistung durch, da die Interessen des Gläu 35

Unten § 15 II 3. Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 li. Spalte Abs. 2 sowie oben § 3 III 1. 37 Vgl. oben § 3 II 2 d) sowie Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (38 f.). 38 Vgl. oben § 3 IV 2. 36

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bigers, die sich bei Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit nicht strukturell unterscheiden, in den Vordergrund treten. Ebensowenig unterscheiden sie sich bei Gewissenskonflikten und den von § 275 III BGB erfassten Fallgruppen der ideellen Unzumutbarkeit. Wie es an dem Kompensationsinteresse des Gläubigers nichts ändert, ob Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Grund der Nichtleistung ist, ist es auch irrelevant, ob der Grund der Unzumutbarkeit in einem Gewissenskonflikt oder einem von § 275 III BGB erfassten Leistungshindernis liegt. In der Vorschrift des § 326 I BGB etwa kommt das allgemeine Gerechtigkeitsprinzip „Ohne Leistung kein Entgelt“ zum Ausdruck; der Grund der Nichtleistung bleibt für den Entfall der synallagmatischen Gegenleistungspflicht unbeachtlich. Festzuhalten bleibt damit: Schon vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes wurde hinsichtlich sekundärer Rechtsfolgen auch für Gewissenskonflikte das Unmöglichkeitsrecht zumindest analog angewandt.39 An den Wertungen und Interessen hat sich durch die Neuregelung nichts geändert. Vielmehr wurde hierdurch noch zusätzlich bestätigt, dass hinsichtlich der sekundären Rechtsfolgen Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit gleich behandelt werden sollen. Mit Blick auf die alte Rechtslage und die identische Interessenlage der Parteien kann dies ebenfalls für Gewissenskonflikte gelten, auch wenn diese auf der Primärebene keine Regelung in § 275 III BGB gefunden haben.

 39

Vgl. oben § 15 I.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

§ 15 Das Schicksal der Gegenleistung I. Die Rechtslage vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes Nahezu einhellige Meinung war auch schon vor der Schuldrechtsreform, dass in Fällen ideeller Unzumutbarkeit für das Schicksal der Gegenleistung § 323 I BGB a.F. – zumindest analog – heranzuziehen sei.1 Dies galt unabhängig von dem jeweils vertretenen dogmatischen Ansatzpunkt für die Begründung des Leistungsverweigerungsrechts. Insofern wurde schon vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes die Unzumutbarkeit der Unmöglichkeit gleichgestellt, also jener Weg beschritten, den nun auch der Gesetzgeber eingeschlagen hat. Grund für die Anwendung war und ist die schon dargestellte einheitliche Interessenlage des Gläubigers in allen Fällen der Nichtleistung, die hinsichtlich der sekundären Rechtsfolgen die Strukturunterschiede zwischen Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit in den Hintergrund treten lässt. Diese Motivation der Gleichstellung wurde freilich kaum offen gelegt, was auch zu der legislativen Fehldeutung Anlass gegeben haben mag, die ideelle Unzumutbarkeit sei in der Rechtsprechung durch die Bezugnahme auf § 323 I BGB a.F. insgesamt der Unmöglichkeit gleichgestellt worden.2 Dabei wurde auch von Vertretern einer weitreichenden Präjudizierung die Angemessenheit der Gleichstellung im Hinblick auf das Schicksal des Entgeltanspruchs anerkannt: So führt Reuter aus, der einzige Nachteil, den ein Arbeitnehmer infolge eines Gewissenskonfliktes tragen müsse, sei der Verlust des Entgeltanspruchs. Kündigung und Schadensersatzansprüche seien hingegen durch die Zuerkennung des Leistungsverweigerungsrechts negativ präjudiziert.3 Für die Vertreter einer Einordnung der gesamten Problematik in das Recht der Unmöglichkeit folgte schon aus ihrem dogmatischen Ansatz die – unmittelbare – Anwendbarkeit von § 323 I BGB a.F. und damit der grundsätzliche Entfall der Gegenleistung. Kohte hat diesen Gedanken konsequent verfolgt: Für ihn ist die ideelle Unzumutbarkeit ein Unterfall der Unmöglichkeit, also sind die Vorschriften der Unmöglichkeit unmittelbar anwendbar.4 Das Schicksal der Gegenleistung bestimmte sich im Rahmen dieser Konzeption zwangsläufig  1 So etwa BAG AP § 123 BGB Nr. 23; zustimmend in der Lit. etwa ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 970; Henssler AcP 190 (1990), 538 (567 f.); Wendeling-Schröder BB 1988, 1742 (1746). 2 BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte Abs. 3; kritisch dazu auch Richardi NZA 2002, 1004 (1005). 3 4

Reuter BB 1986, 385 (389), anders ders. JuS 1990, 591. Kohte NZA 1989, 161 ff. (insbes. 164).

§ 15 Das Schicksal der Gegenleistung

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nach § 323 I BGB a.F. und bestehenden Sonderregelungen zu dieser Norm. Dabei möchte Kohte bei Nichtannahme einer durch den Arbeitnehmer angebotenen Alternativtätigkeit § 615 BGB zur Anwendung bringen.5 § 616 BGB sei demgegenüber zumindest für den Sonderfall der Gewissenskonflikte nicht anwendbar, da diese Norm nur für generelle, nicht aber für bloß tätigkeitsbezogene Leistungshindernisse einschlägig sei. Insgesamt liegt es in der Logik des Ansatzes – der unmittelbaren Anwendung des Unmöglichkeitsrechts –, dass sich auch die sekundären Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung nach dem Recht der Unmöglichkeit bestimmen, sie also durch die Zuerkennung des Leistungsverweigerungsrechts nicht präjudiziert werden. Auch außerhalb dieses Ansatzes wurde die Anwendung der Grundregel des § 323 I BGB a.F. weit überwiegend befürwortet. Henssler führt aus, der Entgeltanspruch entfalle „entsprechend der Grundregel des § 323 I BGB [a.F.]“, wenn nicht § 615 oder § 616 BGB als vorrangige Sonderregelungen eingriffen.6 Auch Wendeling-Schröder vertritt diese Sichtweise, will aber – abweichend von der überwiegenden Meinung – auch bei Gewissenskonflikten § 616 BGB als Sonderregelung zur Anwendung bringen.7 In der Rechtsprechung des BAG finden sich im Wesentlichen zwei einander widersprechende Ansätze. Die schon erwähnte Entscheidung vom 22.12.1982 zur Problematik der Einberufung zum ausländischen Wehrdienst führt aus, dass hinsichtlich des Schicksal des Entgeltanspruchs § 323 BGB [a.F.] analog anwendbar sei.8 Insoweit – nicht jedoch hinsichtlich der dogmatischen Herleitung des Leistungsverweigerungsrechts – könne die Nichtleistung in derartigen Fällen der Konstellation der subjektiven Unmöglichkeit gleichgestellt werden. Als Begründung wird freilich nicht – wie hier – auf die gleichartige Interessenlage des Gläubigers in allen Fällen der Nichtleistung abgestellt, sondern letztlich inkonsequent auf die Natur des Leistungshindernisses.9 Dies passt schwerlich zu der klaren Ablehnung einer Verankerung des Leistungsverweigerungsrechts im Unmöglichkeitsrecht an gleicher Stelle.10 Ein deutlich anderer systematischer Ansatz für den Entfall des Entgeltanspruchs findet sich – ebenfalls zur Problematik des ausländischen Wehrdienstes  5

Kohte NZA 1989, 161 (167). Henssler AcP 190 (1990), 538 (567 f.), ebenso ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 970. 7 Wendeling-Schröder BB 1988, 1742 (1746). 8 BAG AP § 123 BGB Nr. 23. 9 Die Konstellation könne insbes. wegen der gravierenden Sanktionen, die dem Arbeitnehmer bei Nichtantritt des Wehrdienstes drohen, dem Unvermögen gleichgestellt werden, vgl. dazu jedoch oben § 10 I 1. 10 Vgl. oben § 6 II 1 a). 6

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

– in der Entscheidung vom 7.9.1983.11 Aus § 242 BGB folge eine auf die Dauer des Wehrdienstes beschränkte Suspendierung der vertraglichen Hauptpflichten, also seitens des Arbeitnehmers eine Suspendierung der Arbeitspflicht, seitens des Arbeitgebers eine Suspendierung der Vergütungspflicht. Grundlage für den Entfall des Entgeltanspruchs sei somit nicht § 323 I BGB [a.F.], sondern § 242 BGB. Hier wird also die strukturelle Trennung auf Ebene des Leistungsverweigerungsrechts auch auf die sekundären Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung erstreckt, obwohl dies – wie dargestellt – die Strukturverschiedenheit von Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit gerade nicht erfordert. Dieser Ansatz stellt sowohl in der Rechtsprechung des BAG als auch gegenüber der ganz überwiegenden Literaturmeinung eine singuläre Abweichung von einem ansonsten weitgehend einheitlichen Meinungsbild dar.

II. Die Rechtslage nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes Insoweit konnte daher die Neuregelung – anders als hinsichtlich der Herleitung und Einordnung des Leistungsverweigerungsrechts12 – auf ein recht einheitliches, gesichertes Meinungsbild zurückgreifen. Dieses Meinungsbild wurde durch die Gesetzesnovelle praktisch unverändert dem kodifizierten Schuldrecht implementiert, indem die Regelung des Entgeltanspruchs in Fällen der Unmöglichkeit schon ihrem Wortlaut nach auf Konstellationen der materiellen und ideellen Unzumutbarkeit ausgedehnt wurde. § 326 I 1 Halbs. 1 BGB statuiert nun den grundsätzlichen Entfall des Gegenleistungsanspruchs in allen Fällen der Nichtleistung. Tatbestandlicher Anknüpfungspunkt ist nicht mehr – wie in § 323 I BGB a.F. – das Vorliegen von Unmöglichkeit, sondern das Erlöschen der Leistungspflicht nach § 275 I-III BGB, also der bloße Umstand der Nichtleistung. Allein durch die Veränderung dieses tatbestandlichen Anknüpfungspunktes wurde somit eine Einbeziehung der materiellen und ideellen Unzumutbarkeit in den unmittelbaren Anwendungsbereich der Vorschrift bewirkt.

1. Grundstrukturen der Neuregelung Nach § 326 I 1 Halbs. 1 BGB entfällt die Gegenleistungspflicht in Fällen der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit grundsätzlich ipso iure, ohne dass es eines  11 12

BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7. Vgl. oben § 1 II 1 und Einl. zu § 3.

§ 15 Das Schicksal der Gegenleistung

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Tätigwerdens des Gläubigers bedarf.13 Ratio der Regelung ist – entsprechend § 323 I BGB a.F. –, dass auch in der Situation der Leistungsstörung das funktionelle Synallagma von Leistung und Gegenleistung aufrecht erhalten bleibt: Der Gläubiger soll nicht noch mit einer eigenen Leistungspflicht belastet bleiben, wenn er schon die durch den Schuldner zu erbringende Leistung nicht erhält.14 Entsprechend dieser ratio kann der Gläubiger eine schon geleistete Gegenleistung nach § 326 IV i.V.m. §§ 346 ff. BGB zurück verlangen. Ist die Gegenleistung in diesen Fällen beim Schuldner untergegangen, haftet er dem Gläubiger gem. §§ 326 IV, 346 III 1 Nr. 3 BGB nur für die Verletzung eigenüblicher Sorgfalt i.S.d. § 277 BGB. Voraussetzung für den Entfall der Gegenleistungspflicht ist in den Fällen der einredeweise geltend zu machenden Leistungsverweigerungsrechte des § 275 II, III BGB die Erhebung der Einrede.15 Dies ergibt sich schon klar aus dem Gesetzeswortlaut, der verlangt, dass die Leistungspflicht des Schuldners nach § 275 I-III BGB erloschen sein muss. Mittelbar wirkt sich damit trotz der einheitlichen Regelung der Rechtsfolgen die unterschiedliche Natur von Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit auch an dieser Stelle aus. Diese Konsequenz aus dem Einredecharakter des § 275 III BGB führt freilich zu dem Problem, dass es faktisch der Schuldner in der Hand hat, ob die Gegenleistungspflicht fortbesteht oder nicht: Er kann das Erlöschen seines Entgeltanspruchs durch einfaches Unterlassen der Einredeerhebung abwenden.16 Ein praktisch bedeutsames Spannungsverhältnis ergibt sich insbesondere, wenn man wie hier davon ausgeht, dass die Einrede des § 275 III BGB auch rückwirkend erhoben werden kann.17 Dann besteht möglicherweise ein lang andauernder Schwebezustand, der für den Schuldner günstig ist, weil er ihm die Entscheidung für oder gegen eine rückwirkende Einredeerhebung offen hält, den Gläubiger jedoch in einer schwer erträglichen Ungewissheit belässt. Praktisch entschärft wird dieser Konflikt freilich dadurch, dass bei Nichterbringung der Leistung ohne jede Einredeerhebung die Konsequenz des Verzuges mit den entsprechenden verschärften Schadensersatzfolgen droht (§§ 287 ff. BGB),18 da die Leistungspflicht dann gerade mangels Einredeerhebung nicht  13

Palandt-Heinrichs63 § 326 Rn. 2. Vgl. Richardi NZA 2002, 1004 (1007 f.). 15 BT-Drucks. 14/6040 S. 188 re. Spalte. 16 Vgl. zur Parallelproblematik bei § 285 BGB Mattheus, in: Schwab/Witt, Einführung in das neue Schuldrecht, S. 97. 14

17 18

Vgl. oben § 11 II und III. Dazu Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 505.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

nach § 275 III BGB entfallen ist. Besteht – wie typischerweise in den Fällen einer ausbleibenden Einredeerhebung – Unklarheit über den Grund der Nichtleistung, kann zudem das Rücktrittsrecht gemäß § 326 V BGB ausgeübt werden,19 sofern es sich nicht um ein in Vollzug gesetztes Dauerschuldverhältnis handelt. Auch im in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnis droht bei unterbleibender Einredeerhebung die Konsequenz der Vertragsbeendigung in Gestalt der außerordentlichen Kündigung wegen grundloser Leistungsverweigerung, § 314 BGB (im Arbeitsverhältnis § 626 BGB).20 Die verspätete Einredeerhebung bewirkt zwar den rückwirkenden Entfall des Schuldnerverzuges, stellt jedoch – wie schon gezeigt21 – gegebenenfalls eine Nebenpflichtverletzung dar und zieht entsprechende kündigungs- und schadensersatzrechtliche Sanktionen nach sich. Der Einwand, die Abhängigkeit der Rechtsfolgen einer Leistungsverweigerung vom Willen des Leistungsverweigernden zeige deutlich, dass das System nicht hinreichend auf Fälle der § 275 II, III BGB abgestimmt sei,22 geht fehl, da sich anders die dem Schuldner verbleibende Entscheidungsmöglichkeit in Fällen der Unzumutbarkeit nicht realisieren lässt. Würde man etwa das bloße objektive Vorliegen von „Unzumutbarkeit“ für einen Entfall der Gegenleistungspflicht genügen lassen, würde der Einredecharakter des Leistungsverweigerungsrechts faktisch entwertet und zum bloßen Scheinprivileg. Der möglicherweise drohende Schwebezustand ist der Preis für die rechtliche Anerkennung ideell-personaler Leistungshindernisse, die naturgemäß eine subjektive Struktur aufweisen und daher in ihrer Geltendmachung notwendig von einer subjektiv geprägten Entscheidung des Betroffenen abhängen müssen.23

2. Ausnahmen Abweichend von dem dargestellten Grundsatz bleibt der Anspruch auf die Gegenleistung in bestimmten Fällen erhalten, in denen das funktionelle Synallagma auf andere Weise gewahrt bleibt oder aber gegenüber höherrangigen Interessen in den Hintergrund tritt.  19

Zu dieser ratio des § 326 V BGB: Palandt-Heinrichs63 § 326 Rn. 18. Vgl. BAG AP § 626 BGB Nr. 76; BAG AP § 6 LohnFG Nr. 14; ErfK-Müller-Glöge4 § 626 BGB Rn. 103; Stoffels, Vertragsbruch, S. 103; vgl. auch ausführlich unten § 17 II 3. 21 Oben § 11 II 3. 22 Mattheus, in: Schwab/Witt, Einführung in das neue Schuldrecht, S. 97; ähnlich Huber, in: Ernst/Zimmermann, Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 148. 23 Vgl. schon oben § 10 I 1 und § 11. 20

§ 15 Das Schicksal der Gegenleistung

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a) Gegenleistung bei Herausgabe des stellvertretenden commodums, § 326 III BGB So entfällt der Gegenleistungsanspruch nicht – oder nicht vollständig –, wenn der Gläubiger von seinem Anspruch aus § 285 I BGB Gebrauch macht und dem Schuldner die Herausgabe des stellvertretenden commodums abverlangt.24 § 326 III BGB sieht in diesen Fällen vor, dass der Anspruch auf die Gegenleistung erhalten bleibt, jedoch nach Maßgabe des § 441 III BGB insoweit gemindert wird, als der Wert des Ersatzes oder Ersatzanspruchs hinter dem Wert der geschuldeten Leistung zurückbleibt. Dies dürfte in den Fällen der ideellen Unzumutbarkeit zwar nur in seltenen Fällen praktisch relevant werden,25 dennoch bedeutet die Regelung eine erste Durchbrechung der Grundregel des § 326 I BGB. Grund dieser Durchbrechung ist, dass der Gläubiger bei Herausgabe des stellvertretenden commodums zwar nicht die geschuldete Leistung erhält, dafür jedoch einen Ersatz oder Ersatzanspruch. Das funktionelle Synallagma erfordert es damit gerade, dass auch der Gegenleistungsanspruch in demselben Umfang erhalten bleibt, in welchem der Gläubiger befriedigt wurde.26

b) Gegenleistung bei Teilleistungen, § 326 I 1 Halbs. 2 BGB Ähnlich verhält es sich bei Teilleistungen, § 326 I 1 Halbs. 2 BGB. Auch hier soll der Gegenleistungsanspruch als Ausprägung des funktionellen Synallagmas erhalten bleiben, soweit der Gläubiger durch die Teilleistung befriedigt wurde. § 326 I 1 Halbs. 2 BGB verweist in diesem Fall – wie schon § 326 III BGB – auf § 441 III BGB. Inwieweit die Teilleistungsproblematik im Kontext der ideellen Unzumutbarkeit überhaupt relevant werden kann, stellt ein bemerkenswertes Sonderproblem dar, auf das sogleich ausführlich einzugehen sein wird.27 Vorweggenommen sei schon an dieser Stelle, dass die Einschlägigkeit der Vorschrift entscheidend von dem Begriff der Teilbarkeit der Leistung abhängt. Bei Übertragung des rein quantitativen Teilbarkeitsbegriffs, wie er im alten Schuldrecht zur Teilunmöglichkeit entwickelt wurde28 und nach der Regierungsbegründung  24

Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 76. Vgl. AnwK-Dauner-Lieb § 285 Rn. 4 und ausführlich unten § 16 I 1. 26 Vgl. MünchKomm-Emmerich § 323 Rn. 2, 27 ff.; allgemein auch zur ratio des § 326 I BGB: Hüttemann, Leistungsstörungen, S. 203 ff.; Hager, Gefahrtragung, S. 68 ff. 27 Unten § 15 II 3. 25

28

Vgl. BGHZ 116, 334 (357); RGZ 168, 121 (128); MünchKomm-Emmerich § 275 Rn. 50 m.w.N.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

anscheinend auch im Rahmen des neuen § 326 I 1 Halbs. 2 BGB einschlägig sein soll,29 dürfte eine Anwendung im Kontext der ideellen Unzumutbarkeit faktisch ausscheiden: Eine rein quantitativ zu bestimmende ideelle Teilunzumutbarkeit – etwa in dem Sinne, dass ein Arbeitnehmer zeitgleich mehrere gleiche Tätigkeiten zu verrichten hat, ein Gewissenskonflikt sich jedoch nur auf eine der Tätigkeiten bezieht – dürfte kaum vorstellbar sein.30 Vielmehr tritt in den Fällen der ideellen Unzumutbarkeit wohl immer eine vollständige Unzumutbarkeit des gesamten Pflichtenprogramms für einen bestimmten Zeitraum ein. Insofern entsteht auch hier ein Spannungsverhältnis zu der Regierungsbegründung, die für die Einschlägigkeit der Regelungen zur Teilleistungsproblematik ausdrücklich auch auf die in § 275 III BGB geregelten Fälle verweist.31

c) Gegenleistung bei Vertretenmüssen des Gläubigers und Annahmeverzug, § 326 II BGB Praktische Relevanz dürfte hingegen auch im Kontext der ideellen Unzumutbarkeit die Ausnahmeregelung des § 326 II BGB erlangen. Demnach behält der Schuldner den Anspruch auf die Gegenleistung, wenn der Gläubiger allein oder weit überwiegend32 für die Ursache der Leistungsbefreiung verantwortlich ist. Dabei muss sich der Schuldner freilich dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Befreiung von der Leistungspflicht erspart, durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt (§ 326 II 2 BGB). Ausdrücklich soll die Vorschrift in den Fällen des § 275 I-III BGB Anwendung finden, insbesondere also auch in Konstellationen der ideellen Unzumutbarkeit. Abgesehen von dieser Modifikation des tatbestandlichen Anknüpfungspunktes übernimmt die Neuregelung die alte Vorschrift des § 324 I 2 BGB a.F. und bezieht beide Tatbestände des § 324 BGB a.F. in die Regelung ein.33

 29 30

BT-Drucks. 14/6040 S. 188 re. Spalte Abs. 3.

Ausführlich unten § 15 II 3 a) bb). BT-Drucks. 14/6040 S. 188 re. Spalte Abs. 2. 32 Vgl. zum Maßstab der erforderlichen Verantwortlichkeit BT-Drucks. 14/6040 S. 187: Hiernach ist mit „weit überwiegender Verantwortlichkeit“ ein Maß an Mitverantwortung gemeint, bei dem ebenfalls ein Schadensersatzanspruch des Gläubigers gegen den Schuldner nach § 254 BGB ausgeschlossen wäre; vgl. auch Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 347; Canaris JZ 2001, 499 (511). 33 Palandt-Heinrichs63 § 326 Rn. 1. 31

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aa) Der Maßstab der Verantwortlichkeit In den Fällen der ideellen Unzumutbarkeit muss demnach der Gläubiger „allein oder weit überwiegend“ für das Eintreten des ideellen Leistungshindernisses verantwortlich sein. Schon im alten Schuldrecht ungeklärt war die Frage, welche Umstände der Gläubiger zu „verantworten“ hat, nach welchem Maßstab also die Verantwortlichkeit zu ermitteln ist. Diese Problematik ist auch durch die Neuregelung keiner legislativen Klärung zugeführt worden. Sie muss daher weiterhin nach den Leitlinien entschieden werden, die in Rechtsprechung und Literatur zu der entsprechenden Regelung des § 324 I BGB a.F. entwickelt wurden.34 Es fällt auf, dass die Konstellation selten praktisch relevant geworden ist; nur vereinzelt existiert Rechtsprechung zu der Thematik.35 Vor allem wurde die Frage nach einer Verantwortlichkeit des Gläubigers zwar im Kontext der Unmöglichkeit, nicht aber im Kontext der ideellen Unzumutbarkeit diskutiert. Die bislang diskutierten Fälle zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf materielle Leistungshindernisse zugeschnitten sind.36 Die Neuregelung macht daher eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich, ob derartige Fälle bei ideeller Unzumutbarkeit überhaupt denkbar sind und ob die zur Unmöglichkeit entwickelten Maßstäbe ohne weiteres auf die Konstellationen ideeller Unzumutbarkeit übertragen werden können. Dabei kann zumindest auf eine überwiegende Meinung Bezug genommen werden, die für Konstellationen der Unmöglichkeit im alten Schuldrecht §§ 276-279 BGB a.F. als Maßstab der Verantwortlichkeit des Gläubigers entsprechend anwenden wollte.37 Anhaltspunkte für eine demgegenüber entwickelte „Sphärentheorie“, die eine Verantwortungszuweisung allein nach Kausalitätsgesichtspunkten und „Risikosphären“ vorschlug, lassen sich dem neuen Recht ebenso wenig entnehmen wie der alten Regelung.38 Dagegen spricht vor allem, dass das Zivilrecht eine verschuldensunabhängige Sphärenhaftung nur in besonders geregelten Ausnahmefällen kennt. Als Regelfall ist jedenfalls das Verschuldensprinzip anzuerkennen.39 Eine rein kausalitätsbezogene Haftung nach „Risikosphären“ würde  34

AnwK-Dauner-Lieb § 326 Rn. 10. Soergel-Wiedemann § 324 Rn. 8. 36 Vgl. die Fallbeispiele bei Soergel-Wiedemann § 324 Rn. 9 und 11. 37 MünchKomm-Emmerich § 324 Rn. 10, Staudinger-Otto § 324 Rn. 7 ff.; Nassauer, Sphärentheorien, S. 192 ff.; Fikentscher, Schuldrecht, § 44 III 2 c); Müller NJW 1993, 1678 (1679). 35

38 39

AnwK-Dauner-Lieb § 326 Rn. 10; Soergel-Wiedemann § 324 Rn. 15. BGHZ 135, 116 (118 f.).

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

demgegenüber zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen. Letztlich handelt es sich schon bei der Definition und Abgrenzung von Risikosphären um nichts anderes als Billigkeitsentscheidungen, deren Ergebnis nur begrenzt einer dogmatischen Untermauerung zugänglich ist.40 Gegen die entsprechende Anwendung der §§ 276 ff. BGB als Maßstab der Verantwortlichkeit des Gläubigers wurde vor allem der Einwand erhoben, dass Voraussetzung für eine Anwendung von § 276 BGB die Verletzung von Vertragspflichten sei, im Regelfall den Gläubiger jedoch keinerlei Vertragspflichten hinsichtlich der Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Schuldners treffen.41 Dies wird im Regelfall insbesondere auch bei ideellen Leistungshindernissen zutreffen: Infolge der subjektiv-personalen Struktur des Leistungshindernisses hat es der Gläubiger im Regelfall überhaupt nicht in der Hand, auf die Leistungsfähigkeit des Schuldners einzuwirken. Am ehesten könnte man hier noch an den Fall denken, dass der Leistungsschuldner eine Alternativtätigkeit anbietet, die etwa bei einem Gewissenskonflikt gewissensneutral ist, die Leistungsfähigkeit also unberührt lässt. Inwieweit hier eine Pflicht des Gläubigers besteht, diese angebotene Alternativtätigkeit anzunehmen, ist eine Frage, die nicht generell beantwortet werden kann, sondern entscheidend von dem jeweiligen Vertragsinhalt abhängt.42 Zudem wäre in diesem Fall nicht die allgemeine Regelung des § 326 II BGB, sondern die vorrangige Sonderregelung des Annahmeverzuges einschlägig.43

bb) Fälle einer Verantwortungszuweisung an den Gläubiger Auch wenn demnach den Gläubiger im Regelfall keine Vertragspflicht trifft, die Leistungsfähigkeit des Schuldners zu erhalten und Leistungshindernisse abzuwenden, kann eine derartige Pflicht dennoch aufgrund einer besonderen Vertragsgestaltung existieren. So macht Emmerich als wichtigsten Fall jene Konstellationen aus, in denen den Gläubiger eine Mitwirkungspflicht hinsichtlich der Leistung des Schuldners trifft, die Leistung also ohne Erfüllung dieser Mitwirkungspflicht unmöglich wird.44  40 Vgl. Nassauer, Sphärentheorien, S. 183 ff.; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 60 ff.; Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage, S. 110 ff.; jeweils m.w.N. 41 Vgl. zu diesem Einwand auch MünchKomm-Emmerich § 324 Rn. 10. 42 Eine solche wird nur in besonders personal geprägten Schuldverhältnissen wie dem Arbeitsverhältnis anzuerkennen sein; hier resultiert sie im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers; vgl. BAG AP § 297 BGB Nr. 2 und ausführlich unten § 15 II 4 b) bb). 43 44

Vgl. unten § 15 II 4 a). MünchKomm-Emmerich § 324 Rn. 10.

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Übertragen auf die Fälle der ideellen Unzumutbarkeit wird man sagen können, dass bei besonderen Vertragsgestaltungen der Gläubiger durchaus die vertragliche Verpflichtung übernimmt, den Schuldner vor ideellen Leistungshindernissen zu bewahren. Wird bei schuldhafter (§§ 276 ff. BGB) Nichterfüllung dieser Pflicht die vom Schuldner persönlich zu erbringende Leistung ideell unzumutbar, liegt ein Fall von § 326 II BGB vor. Beispielhaft sei der Blick auf folgende – praktisch ohne weiteres vorstellbare – Fallkonstellation gelenkt: Unterhält der Arbeitgeber etwa einen Betriebskindergarten, der die Kinderbetreuung für die Mitarbeiter übernimmt, und kann diese Betreuung aus betrieblichen Gründen kurzfristig nicht gewährleistet werden, so liegt gegebenenfalls ein Fall der überwiegenden Verantwortlichkeit des Arbeitgebers vor, wenn der Arbeitnehmer zur nun erforderlichen persönlichen Betreuung seines Kindes die Arbeit verweigern muss. Konsequenz ist, dass dem Arbeitnehmer der Entgeltanspruch nach § 326 II BGB erhalten bleibt. Zugleich stellt diese Konstellation freilich auch einen Fall von § 616 BGB – als weiterer Durchbrechung der Grundregel in § 326 I BGB – dar. Der Entgeltanspruch bleibt also nach beiden Normen aufrecht erhalten, zwischen denen ein klares Verhältnis der Vor- oder Nachrangigkeit in Überschneidungsbereichen wohl nicht auszumachen ist. Letztlich handelt es sich in derartigen Konstellationen um einen Fall der vertraglichen Risikoübernahme durch den Arbeitgeber.45 Ebenfalls eine Verantwortlichkeit des Gläubigers i.S.d. § 326 II BGB sollen nach überwiegender Auffassung auch sonstige gläubigerseitige Pflichtverletzungen „im weitesten Sinne“ begründen, insbesondere Verstöße gegen Treu und Glauben.46 Man wird hierunter – bedeutsam im Kontext der ideellen Unzumutbarkeit – auch die Verletzung von Informations- und Aufklärungspflichten im vorvertraglichen Bereich fassen können. Neben die dargestellten Konstellationen, in denen der Gläubiger eine Vertragspflicht zur Abwendung von Leistungshindernissen übernimmt, treten daher Fälle, in denen die Verantwortlichkeit des Gläubigers schon in der Vertragsanbahnungsphase begründet wird. Im Bereich der ideellen Unzumutbarkeit ist daher der Fall vorstellbar, dass das Leistungshindernis beim Vertragsschluss nur für den Gläubiger erkennbar war. Gibt etwa der Bewerber für eine Stelle in der Pharmaforschung anlässlich eines Bewerbungsgespräches deutlich zu erkennen, dass er die Forschung mit embryonalen Stammzellen aus Gewissensgründen ablehne, und schließt der Arbeitgeber dennoch einen Arbeitsvertrag mit dem Bewerber, obwohl in dem Unternehmen bereits die Absicht besteht, in diesem Bereich zu forschen, so kann hierdurch eine alleinige oder weit überwiegende Verantwortlichkeit des  45 46

Vgl. dazu Soergel-Wiedemann § 324 Rn. 10. MünchKomm-Emmerich § 324 Rn 10.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

Arbeitgebers begründet werden. Dieser Fall ließe sich freilich auch anders lösen: Zu überlegen ist, ob durch den Vertragsschluss in Kenntnis der Gewissenshaltung des Arbeitnehmers nicht bereits das Weisungsrecht des Arbeitgebers eingeschränkt wird, da dann der Vertragsinhalt auf gewissensneutrale Fälle verengt ist. In beiden dargestellten Fallkonstellationen bleibt also bei einer Leistungsverweigerung der Entgeltanspruch – abweichend von § 326 I 1 Halbs. 1 BGB – dem Leistungsschuldner erhalten. Praktisch bedeutsam ist dabei, dass – wie sich aus der Bezugnahme auf § 276 BGB klar ergibt – auch § 278 BGB für die Verantwortlichkeit des Gläubigers einschlägig ist, ihm also ein schuldhaftes Verhalten seiner Erfüllungsgehilfen zuzurechnen ist.47 Da die Vorschrift auch schon im vorvertraglichen Bereich Anwendung findet, begründet sie eine umfassende Einstehenspflicht für Mitarbeiter. Weiterhin ungeklärt bleibt auch nach neuer Rechtslage der Fall der beiderseits zu vertretenden Leistungsstörung.48 Auch im Kontext der Unzumutbarkeit sind derartige Fälle durchaus vorstellbar, etwa wenn die eintretende Unzumutbarkeit auf eine beiderseitige Verletzung von Informations- und Aufklärungspflichten im vorvertraglichen Stadium zurückzuführen ist. Die praktische Bezifferung von prozentualen Verschuldensanteilen dürfte hier freilich besondere Schwierigkeiten bereiten. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass § 326 II BGB auch den Fall der Leistungsverweigerung während eines bestehenden Annahmeverzuges erfasst:49 Der Annahmeverzug muss allerdings schon vor Eintritt des Leistungshindernisses vorliegen, darf also nicht erst infolge der Leistungsverweigerung eintreten. Die praktisch bedeutsamen Fälle, in denen der Leistungspflichtige eine zumutbare Alternativtätigkeit anbietet,50 lassen sich daher nicht über diese Vorschrift lösen, da hier der Annahmeverzug erst nach erfolgter Leistungsverweigerung eintritt. Vorstellbar ist eine Anwendung der Vorschrift etwa, wenn der Gläubiger aus anderen Gründen in Annahmeverzug ist51 und der Schuldner während dieser Zeit die zunächst nach §§ 293 ff. BGB angebotene Leistung aus ideellen Gründen verweigert. Die praktische Bedeutung der Vorschrift dürfte im Kontext der ideellen Unzumutbarkeit denkbar gering bleiben, da der persönlich leistungspflichtige Schuldner bei bestehendem Annahmeverzug des Gläubigers regelmäßig ohnehin keine Leistung erbringt. Das Eintreten eines akuten  47

Soergel-Wiedemann § 324 Rn. 9. Vgl. BGH NJW-RR 1995, 534; Honsell JuS 1979, 81 (85); Faust JuS 2001, 133. 49 Vgl. allgemein Soergel-Wiedemann § 324 Rn. 16 ff. 50 Vgl. ausführlich unten § 15 II 4 b) bb). 51 Vgl. die Ausführungen bei ErfK-Preis4 § 615 BGB Rn. 58 ff. 48

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ideellen Leistungshindernisses erscheint daher in diesen Fällen kaum vorstellbar.

d) Gegenleistung bei kurzzeitiger persönlicher Leistungshinderung im Dienstverhältnis, § 616 BGB Schon mehrfach thematisiert wurde im Rahmen dieser Untersuchungen die Funktion des § 616 BGB als umfassender sozialpolitischer Ausnahme zum Entfall des Gegenleistungsanspruchs im Dienstvertragsrecht. Insoweit kann auf die obigen ausführlichen Darstellungen verwiesen werden. In dieser expliziten Funktion52 ist § 616 BGB durch die Schuldrechtsreform nicht geändert worden. Innerhalb des Anwendungsbereichs von § 275 III BGB kommt § 616 BGB nunmehr einzig der Charakter einer Ausnahme zum Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“, § 326 I 1 Halbs. 1 BGB, zu. Außerhalb des Anwendungsbereichs von § 275 III BGB begründet die Norm in ihrer impliziten Funktion darüber hinaus auch ein eigenständiges Leistungsverweigerungsrecht für kurzzeitige Leistungshindernisse.53 Tatbestandliche Voraussetzung des § 616 BGB ist zum einen das Vorliegen eines Dienst- oder Arbeitsvertrages. Zum anderen muss ein in der Person des Dienstverpflichteten begründetes Leistungshindernis vorliegen,54 das in seiner zeitlichen Ausdehnung als „verhältnismäßig nicht erheblich“ charakterisiert werden kann. Die Konkretisierung der letztgenannten Voraussetzungen bereitet erhebliche Schwierigkeiten. Nach den obigen Feststellungen dürfte der Zeitraum der „verhältnismäßigen Unerheblichkeit“ entscheidend von der Gesamtdauer des Vertragsverhältnisses abhängen und insgesamt – absolut – die Dauer weniger Tage nicht überschreiten.55 Dies ergibt sich aus den schon ausführlich dargelegten systematischen Erwägungen. Nochmals hingewiesen sei an dieser Stelle darauf, dass nach der hier vertretenen, freilich stark bestrittenen Ansicht § 616 BGB als Ausnahme zu § 326 I 1 Halbs. 1 BGB auch auf Gewissenskonflikte Anwendung findet.56 Ein stärker  52 Zur Doppelfunktionalität des § 616 BGB ausführlich oben § 3 IV 1 c) und jüngst LAG Hamm NZA 2002, 675 (676); Richardi NZA 2002, 1004 (1007). 53 Oben § 3 IV 1 d) und § 10 IV. Wie hier wohl auch Richardi NZA 2002, 1004 (1007). 54 Staudinger-Oetker § 616 Rn. 45 ff. 55 Oben § 3 IV 1 f) bb). 56 Dafür Otto, Personale Freiheit, S. 129; Canaris AcP 184 (1984), 201 (238); WendelingSchröder BB 1988, 1742 (1746); Kempen ArbRGegw 25 (1988), 87 ff.; Grabau BB 1991, 1257 (1262); wohl auch Henssler AcP 190 (1990), 538 (567); dagegen mit unterschiedlicher Begründung Staudinger-Oetker § 616 Rn. 49, 69; Erman-Belling § 616 Rn. 28; ErfK-Preis4

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

„in der Person“ des Schuldners liegendes Leistungshindernis als ein Gewissenskonflikt ist kaum vorstellbar. Auch erscheint es nicht einleuchtend, weshalb die sozialpolitische Privilegierung durch § 616 BGB zwar der Teilnahme an der goldenen Hochzeit der Eltern zugute kommen soll,57 für die schon verfassungsrechtlich höchstrangige Gewissensentscheidung jedoch etwas anderes gelten soll.58

e) Gegenleistung bei Krankheit im Arbeitsverhältnis, § 3 I EFZG Ebenfalls eine sozialpolitische Ausnahme von § 326 I 1 Halbs. 1 BGB findet sich in § 3 I EFZG. Hiernach erhält ein unverschuldet arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer Entgeltfortzahlung bis zur Dauer von sechs Wochen. Die Vorschrift ist damit letztlich eine Sonderregelung zu § 616 BGB, die einen Teilbereich „in der Person“ begründeter Leistungshindernisse, nämlich die Fälle der krankheitsbedingten Leistungshinderung, einer besonderen arbeitsrechtlichen Regelung zuführt.59 In diesen Fällen soll – abweichend von § 326 I 1 Halbs. 1 BGB – der Anspruch auf die Gegenleistung fortbestehen. Erfasst sind damit sowohl die Konstellationen der naturgesetzlichen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als auch der krankheitsbedingten Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung.60 Bemerkenswert ist, dass dies schon insoweit im Wortlaut der Norm zum Ausdruck kommt, als dieser nicht an die krankheitsbedingte Unmöglichkeit der Leistung anknüpft, sondern an den weiteren Begriff der „Verhinderung“, der semantisch auch die Konstellation der Unzumutbarkeit umfasst. Damit unterscheidet sich die Norm – wie auch § 616 BGB, der ebenfalls auf den weiten Begriff der „Verhinderung“ abstellt – deutlich von den sonstigen Ausnahmen zu § 323 BGB a.F. im alten Schuldrecht (also etwa §§ 323 II, 324 BGB a.F.), die immer an den engen Begriff der Unmöglichkeit anknüpften. Bei § 3 I EFZG mag sich dieser Umstand vor allem daraus erklären, dass die Norm historisch unter anderem aus § 616 II BGB a.F. hervorging,61 somit § 616  § 611 BGB Rn. 850; Reuter BB 1986, 385 (389 mit Fn. 59); Kohte NZA 1989, 161 (167); jüngst dagegen auch Henssler RdA 2002, 129 (131 f.); vgl. ausführlich oben § 3 IV 1 e). 57

So BAG AP § 616 BGB Nr. 43. Wie hier Grabau BB 1991, 1257 (1262). 59 Zur Genese des § 3 EFZG unter anderem aus § 616 BGB vgl. Schmitt Einl. EFZG Rn. 25 und § 3 Rn. 6. 60 Zur Unterscheidung vgl. ausführlich oben § 7 II 2 und Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 ff. 61 Vgl. Schmitt Einl. EFZG Rn. 25 und § 3 Rn. 6. 58

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BGB Vorbild der Neuregelung war und die Begrifflichkeit einfach von dort übernommen wurde. Bei § 616 BGB freilich trägt die Terminologie dem Umstand Rechnung, dass die Vorschrift auch vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes als fragmentarische Regelung von Konstellationen der Unzumutbarkeit zu begreifen war, ihr also schon durch den Gesetzgeber des BGB ein über den Bereich der Unmöglichkeit hinausgehender Anwendungsbereich zugewiesen wurde.62 Durch den Vorbildcharakter des § 616 BGB und die Übernahme seiner Terminologie knüpft mittelbar auch § 3 I EFZG an einen umfassenderen Begriff als den der Unmöglichkeit an. Die Norm verdeutlicht damit zusätzlich den differenzierten Charakter der krankheitsbedingten Leistungshinderung, der vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vielfach unbeachtet blieb.63 In Fällen der krankheitsbedingten Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung hängt die Einschlägigkeit der Norm entscheidend von der Erhebung der Einrede ab. Damit genügt der Arbeitnehmer zugleich seiner Anzeigepflicht nach § 5 I 1 EFZG.64 Durch die verspätete Einredeerhebung entsteht – wie schon ausführlich gezeigt – das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers rückwirkend.65 Mit der verspäteten Einredeerhebung entfällt ebenfalls rückwirkend auch das zunächst gemäß § 7 I EFZG bestehende Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich der Entgeltfortzahlung, so dass der Entgeltanspruch ex tunc wieder auflebt.

 62

Hingewiesen sei auch darauf, dass zunächst der Begriff der Unmöglichkeit ausschließlich im naturgesetzlichen und rechtlichen Sinne verstanden wurde und Ausweitungen erst später eintraten, vgl. ausführlich oben § 2 II und § 10 I 1. Auch dies deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber des BGB bei § 616 BGB bewusst nicht den Begriff der Unmöglichkeit, sondern den wertneutraleren Begriff der „Verhinderung“ benutzte. Ansonsten wären die gerade vom Gesetzgeber für regelungsbedürftig gehaltenen Fälle (vgl. Mugdan II, S. 258) angesichts des engen Verständnisses des Unmöglichkeitsbegriffs gerade nicht der Norm unterfallen. 63 Vgl. oben § 7 I. Richtig aber BAG AP § 1 LohnFG Nr. 54, wo ausdrücklich darauf abgestellt wird, dass die Leistungserbringung dem Arbeitnehmer infolge der Verschlimmerungsgefahr „unzumutbar“ sei. Freilich wurden aus dieser zutreffenden Einordnung keine rechtlichen Folgerungen abgeleitet. 64 65

Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 104. Oben § 7 VI und § 12.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

3. Sonderproblem: Unzumutbarkeit einer Nebenpflicht – nur teilweise Unzumutbarkeit i.S.d. § 326 I 1 Halbs. 2 BGB? Die „Kopftuch-Entscheidungen“ des LAG Frankfurt vom 21.6.200166 und des BAG vom 10.10.200267 haben auf einen weiteren bemerkenswerten Aspekt der Problematik hingewiesen: Besondere Schwierigkeiten ergeben sich, wenn die Unzumutbarkeit lediglich einen Teil des vertraglichen Pflichtenprogramms erfasst. Insbesondere fällt die rechtliche Bewältigung schwer, wenn die vertragliche Hauptpflicht von dem Leistungshindernis zunächst unberührt bleibt und allein die Erfüllung einer Nebenpflicht als „unzumutbar“ zu charakterisieren ist. Im entschiedenen Fall war zunächst ausschließlich die Pflicht zur Einhaltung einer vertraglichen „Kleiderordnung“ aus religiösen Gründen unzumutbar;68 das Gericht geht jedoch – ohne weitere Problematisierung – von einer Unzumutbarkeit der gesamten Vertragserfüllung mit den einschneidenden Rechtsfolgen einer personenbedingten Kündigung und eines vollständigen Erlöschens des Entgeltanspruchs aus. Die Problematik ist wohl ausschließlich vorstellbar in den besonders stark ideell-personal geprägten Fallgruppen der ideellen Unzumutbarkeit, also vor allem bei Gewissens- und Glaubenskonflikten. Während etwa die krankheitsbedingte Unzumutbarkeit oder die Unzumutbarkeit wegen der Betreuung eines Kindes sich praktisch immer in der Weise darstellen, dass schon die Erfüllung der vertraglichen Hauptpflicht durch das Leistungshindernis unzumutbar wird, kann – wie schon gezeigt – ein Gewissens- oder Glaubenskonflikt angesichts jeglicher Vertragspflicht, also auch einer isolierten Nebenpflicht auftreten.69 In den genannten Vergleichsgruppen tritt der Konflikt dergestalt zu Tage, dass der Leistungsschuldner ausschließlich durch die Verweigerung der Hauptleistung dem Schutz höherwertiger Rechtsgüter oder der Wahrnehmung höherrangiger Pflichten gerecht werden kann, etwa weil er ansonsten zeitgleich an zwei verschiedenen Orten persönlich anwesend sein müsste. Gewissens- und Glaubenskonflikte können sich hingegen auch auf einzelne Pflichten beziehen. Ähnliches gilt für die Fallgruppe der Leistungsverweigerung aus Angst oder andere stark „menschenwürdebezogene“ Fallgruppen.70  66

LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2. BAG NZA 2003, 483. 68 Freilich war dabei schon der Bestand der vertraglichen Nebenpflicht, kein Kopftuch zu tragen, äußerst zweifelhaft und wurde daher zu Recht vom BAG in der Folgeentscheidung [NZA 2003, 483 (486 f.), bestätigt durch BVerfG NZA 2003, 959] verneint. Vgl. zur Thematik ausführlich Preis/Greiner, Festschrift Rüfner (2003), S. 653. 67

69 70

Vgl. oben § 3 II 2 d) und Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (38 f.). Oben § 8 I 1.

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a) Teilweise Unzumutbarkeit versus vollständige Unzumutbarkeit Im Kern der Problematik steht die Frage, ob die Gleichbehandlung der Unzumutbarkeit einer bloßen Nebenpflicht mit der vollständigen Unzumutbarkeit des vertraglichen Pflichtenprogrammes, wie das LAG Frankfurt sie vorgeschlagen hat, angemessen erscheint. Man könnte demgegenüber daran denken, die Konstellation für einen Fall teilweiser Unzumutbarkeit zu halten, wie er in § 326 I 1 Halbs. 2 BGB mit Blick auf das Schicksal des Gegenleistungsanspruchs geregelt ist. Dabei weicht die Konstellation von den typischen Konstellationen der teilweisen Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit deutlich ab. Meist handelt es sich dabei nämlich um eine quantitativ teilbare Hauptleistungspflicht, also etwa die Lieferung einer bestimmten Menge an gleichartigen Gegenständen.71 Wird hiervon ein Teil unmöglich oder unzumutbar, sind zweifellos die Regelungen der teilweisen Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit heranzuziehen. Anders hier: In der zu betrachtenden Konstellation handelt es sich um ein einheitliches Pflichtenprogramm aus Haupt- und Nebenpflichten, von denen nicht ein quantitativer Anteil unzumutbar wird, sondern mit der Erfüllung einer Nebenpflicht ein qualitativer Anteil. Letztlich geht es hier also entscheidend um die Frage nach der Reichweite der Regelungen über die teilweise Unzumutbarkeit. Konkret ist zu klären, ob der Begriff der teilweisen Unzumutbarkeit i.S.d. § 326 I 1 Halbs. 2 BGB auch durch die vollständige Unzumutbarkeit einer vertraglichen Nebenpflicht erfüllt ist, der „teilweise“ Charakter der Unzumutbarkeit also nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht ermittelt werden kann.

aa) Der Befund in der Regierungsbegründung Zur Klärung der Frage ist unter anderem die Regierungsbegründung heranzuziehen. Diese spricht davon, dass § 326 I 1 Halbs. 2 BGB die Fälle umfassen soll, in denen „sich das Leistungshindernis nur auf einen Teil der geschuldeten Leistung bezieht.“72 In solchen Konstellationen müsse der Gläubiger im entsprechenden Umfang von seiner Pflicht zur Gegenleistung freigestellt werden. Die Vorschrift wolle diesen Fall ähnlich der Minderung beim Kauf regeln und verweise deshalb für die Berechnung des Umfangs der Befreiung auf die Vor 71 Nach MünchKomm-Emmerich § 275 Rn. 50 ist dies praktisch der einzige Fall, für den der Gedanke der Teilunmöglichkeit heute noch nutzbar zu machen sei. 72 BT-Drucks. 14/6040 S. 188.

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schriften über die Berechnung der Minderung in § 441 III BGB. Die Neuregelung entspreche damit dem bisherigen § 323 I letzter Halbs. BGB. Erfasst sei – ebenso wie in dem bisherigen § 323 I letzter Halbs. BGB – ausschließlich die teilbare Leistung. Zwei Klarstellungen lassen sich der zitierten Begründung ohne weiteres entnehmen: Bezugspunkt der Abgrenzung von teilweiser und vollständiger Unzumutbarkeit ist die vertraglich geschuldete „Leistung“, die – als Grundvoraussetzung einer Anwendung von § 326 I 1 Halbs. 2 BGB – teilbar sein muss. Zum zweiten führt die Regierungsbegründung die Klarstellung herbei, dass die Regelung dem bisherigen § 323 I letzter Halbs. BGB inhaltlich entsprechen soll. Zur Klärung von Zweifelsfragen kann also entscheidend auf die Dogmatik dieser Vorschrift zurückgriffen werden. Offen bleibt hingegen zunächst die hier entscheidende Frage, ob der Begriff der Teilbarkeit ausschließlich quantitativ oder auch qualitativ zu konkretisieren ist. Wendet man die Aussagen der Regierungsbegründung auf die hier interessierende Konstellation an, so ergibt sich folgendes Bild: Die geschuldete Leistung i.S.d. § 326 I 1 Halbs. 2 BGB ist die Erbringung der Hauptleistung unter Erfüllung bestehender Nebenpflichten. Ein qualitativer Teil dieser Gesamtleistung, nämlich die Erfüllung der Nebenpflicht, ist aus ideellen Gründen unzumutbar, während der Rest der geschuldeten Leistung, nämlich die Erfüllung der Hauptpflicht, bei abstrakter Betrachtung erbringbar bleibt. Im Ansatz scheint die Vorschrift damit einschlägig.

bb) Der Begriff der Teilbarkeit der Leistung Entscheidend kommt es damit auf die Teilbarkeit der Leistung an. Ergäbe eine wertende Betrachtung die Unteilbarkeit der Leistung, wäre auch bei Unzumutbarkeit einer Nebenpflicht die gesamte geschuldete Leistung unzumutbar; es würde sich also – wie vom LAG Frankfurt angenommen – um einen Fall vollständiger Unzumutbarkeit mit den hieran geknüpften Rechtsfolgen handeln. Bei Teilbarkeit wäre hingegen ausschließlich die Nebenpflicht von der Leistungsverweigerung betroffen, so dass der Gläubiger den verbleibenden Rest der geschuldeten Leistung – also die Hauptpflichterfüllung unter Missachtung der „unzumutbaren“ Nebenpflicht – auch nicht einfach zurückweisen dürfte, sondern nur unter den Voraussetzungen des § 283 S. 2 i.V.m. § 281 I 2, V BGB. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Gläubiger an der Teilleistung „kein Interesse“ hat.73 Für das Schicksal der Gegenleistung gälte bei Teilbarkeit im  73

Zu diesem Tatbestandsmerkmal BGH NJW 1990, 2550; Palandt-Heinrichs63 § 281 Rn. 38.

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Grundsatz § 326 I 1 Halbs. 2 BGB; auch hinsichtlich der Vertragsbeendigung käme es gemäß § 323 V BGB entscheidend auf das mangelnde Interesse an einer Teilleistung an. Insgesamt ergäben sich also deutlich modifizierte Rechtsfolgen. Zur Konkretisierung des Begriffs der „Teilbarkeit“ kann nach der Regierungsbegründung entscheidend auf die Dogmatik des alten § 323 I letzter Halbs. BGB Bezug genommen werden.74 Nach praktisch allgemeiner Ansicht75 darf sich demnach bei Teilunmöglichkeit der unmöglich gewordene Anteil nur der Größe, nicht aber seinem Wesen nach von der geschuldeten Gesamtleistung unterscheiden. Der Leistungsgegenstand „als solcher“ darf durch die Ausscheidung des unmöglich gewordenen Teils keine Änderung erfahren.76 Dieses enge Verständnis resultiert letztlich aus der schon mehrfach angedeuteten Zurückdrängung des Unmöglichkeitsrechts nach den begrifflichen Ausweitungen der Anfangszeit. Insbesondere sollten die Fälle der Schlechterfüllung aus dem Begriff der Teilunmöglichkeit ausgeschieden werden.77 Mit Blick auf dieses enge Verständnis im alten Schuldrecht, das auch auf die Neuregelung anzuwenden sein soll,78 kommt es also entscheidend auf die Identitätswahrung des verbleibenden Leistungsgegenstandes an. Dieser darf nur quantitativ, nicht aber qualitativ durch die teilweise Nichterbringung der Leistung geschmälert sein; andernfalls liegt vollständige Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit vor.79 Diese enge Sichtweise wirft zugleich die Frage auf, ob es sich bei der Hauptpflichterfüllung unter Verletzung einer Nebenpflicht nicht viel eher um Schlecht- als um Nichtleistung handelt. Andererseits handelt es sich hier um Fälle, in denen die Erfüllung der Nebenpflicht aufgrund einer Kollision mit höherrangigen Rechtsgütern schon als unzumutbar charakterisiert  74

BT-Drucks. 14/6040 S. 188 re. Spalte Abs. 3. BGHZ 116, 334 (357); RGZ 168, 121 (128); MünchKomm-Emmerich § 275 Rn. 50 m.w.N. 76 Ein noch engeres Verständnis offenbart BGH NJW-RR 1995, 853, wonach vollständige Unmöglichkeit auch bei Teilbarkeit anzunehmen sei, „wenn nach Inhalt und Zweck des Vertrages nur an der vollständigen Erfüllung ein Interesse besteht“. Diese Auffassung ist durch die differenzierten Rechtsfolgen des neuen Schuldrechts, die den Aspekt des „fehlenden Interesses“ gerade bei Teilunmöglichkeit für eine Zurückweisung der Teilleistung (§ 283 S. 2 i.V.m. § 281 I 2 BGB) und die Vertragsbeendigung (§ 323 V BGB) aufgreifen, ohnehin obsolet geworden; vgl. zudem die zutreffende Kritik aus systematischer Hinsicht bei Staudinger-Löwisch § 275 Rn. 43 sowie bei Kaiser, Rückabwicklung gegenseitiger Verträge, S. 143 ff. und Huber, Leistungsstörungen II, §§ 45 I 2 c), 56 III (S. 416, 724 ff.). 77 Zur historischen Entwicklung MünchKomm-Emmerich § 275 Rn. 49, allgemein auch MünchKomm-Emmerich § 275 Rn. 6 ff. 75

78

Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 188 re. Spalte Abs. 3. Vgl. etwa die Beispiele in BGH NJW 1990, 2541 (Detektiv, der über einen längeren Zeitraum tätig werden soll, tatsächlich jedoch nur an einzelnen Tagen seine Aufgabe ausführt); OLG Zweibrücken OLGZ 1970, 306; OGH NJW 1949, 943. 79

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werden muss; die Frage nach Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit einer Leistungspflicht ist jedoch gegenüber der Frage der Schlechterfüllung vorrangig: Wo keine Leistungspflicht mehr besteht, kann auch von der Schlechterfüllung dieser Pflicht keine Rede sein.80 Bei bloßer Verletzung von Nebenpflichten handelt es sich nach zutreffender Ansicht allenfalls um Schlechterfüllung „im weiteren Sinne“, wohingegen Schlechterfüllung im engeren Sinne die mangelhafte Erfüllung der Hauptpflicht meint.81 Die Einordnung als Schlechterfüllung stößt jedenfalls auch angesichts ihrer Rechtsfolgen an Grenzen;82 die Behandlung mittels der hier entwickelten Dogmatik der Unzumutbarkeit erscheint angemessener.83 Jedenfalls handelt es sich um einen Berührungspunkt beider Themenkreise.84

cc) Andere Betrachtung bei teilweiser Unzumutbarkeit Durch das dargestellte enge Verständnis des Begriffs der „teilweisen“ Unmöglichkeit wird dem Schuldner freilich die Entscheidung über das Ausmaß seiner Leistungsverweigerung praktisch abgenommen. Der Schuldner kann demnach die Leistung nicht allein hinsichtlich der unzumutbaren Nebenpflicht verweigern; vielmehr wird ihm nach der Konzeption des Gesetzes anscheinend ein „Alles oder Nichts“ an Leistungsverweigerung abverlangt: Er kann die Leistungsverweigerung nicht auf die Nebenpflichterfüllung beschränken, sondern wird zugleich ipso iure auch von der Erfüllung der Hauptpflicht freigestellt. Dies erscheint zweifellos passend für die Fälle teilweiser Unmöglichkeit, da hier ohnehin ein ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht anzuerkennen ist. Bei Fällen der Unzumutbarkeit hingegen entsteht ein erhebliches Spannungsverhältnis zu der grundlegenden Feststellung, dass ein ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht schon im Ansatz unpassend und durch die Neuregelung überholt ist.85 Erfordert es nicht die Dogmatik der Unzumutbarkeit, dass der Schuldner nicht nur über das „Ob“ einer Leistungsverweigerung, sondern auch über deren  80

Vgl. zur Abgrenzung ErfK-Preis4 § 611 BGB Rn. 846. 81 ErfK-Preis4 § 611 BGB Rn. 846. 82 Vgl. zu den Rechtsfolgen der Schlechterfüllung im Arbeitsverhältnis ErfK-Preis4 § 611 BGB Rn. 844 ff. 83 Daher problematisiert die Entscheidung des LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2 die Frage auch gar nicht. 84 Insgesamt stellt die Abgrenzung von Nicht- und Schlechtleistung gerade im Arbeitsrecht ein vieldiskutiertes und kaum zufriedenstellend lösbares Problem dar; vgl. etwa Beuthien ZfA 1972, 73 (74); Motzer, Positive Vertragsverletzung, S. 137 f. 85 Vgl. oben § 10 I 1.

§ 15 Das Schicksal der Gegenleistung

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Reichweite und Ausmaß entscheiden kann? Durch die partielle Wiedereinführung eines ipso-iure-Automatismus hinsichtlich der Reichweite der Leistungsverweigerung wird dem Schuldner die für Konstellationen der Unzumutbarkeit eigentlich charakteristische Entscheidungsmöglichkeit für oder gegen eine Leistungserbringung wieder ein Stück weit abgenommen und die Grundkonzeption der Neuregelung, zwischen Tatbeständen der Unmöglichkeit mit ipsoiure-Entfall der Leistungspflicht und Tatbeständen der Unzumutbarkeit mit Einredecharakter zu differenzieren, durchbrochen. Zu überlegen ist daher, für den Bereich der teilweisen Unzumutbarkeit andere Abgrenzungskriterien zu finden, als sie zur teilweisen Unmöglichkeit entwickelt wurden. Allein auf diese Weise könnte der stärker subjektiven Prägung der Leistungsstörung Rechnung getragen werden; dem Schuldner bliebe so sein charakteristischer Entscheidungsspielraum auch hinsichtlich der Reichweite seiner Leistungsverweigerung erhalten.86 Demnach müsste er auch die Erfüllung der Nebenpflicht verweigern, zugleich aber eine logisch trennbare Hauptpflicht erbringen können. Die Grenze einer derartigen Teilleistung könnte dabei allein die logische Trennbarkeit von Haupt- und Nebenpflicht darstellen, da hier eine natürliche, absolute Grenze von Teilleistungen vorgegeben ist. In der vom LAG Frankfurt entschiedenen Konstellation sind die beiden Pflichten logisch ohne weiteres trennbar; die Hauptleistung kann auch unter Verletzung der Nebenpflicht logisch erbracht werden: Die muslimische Verkäuferin kann schließlich Waren – abstrakt betrachtet – auch mit Kopftuch verkaufen. Bei natürlicher Betrachtung hingegen existiert in dem Beispiel nur ein einheitlicher „Leistungsvorgang“, der durch Haupt- und Nebenpflichten ausgestaltet ist. Das Kernproblem ergibt sich also daraus, dass § 326 I 1 Halbs. 2 BGB auf den unscharfen Begriff der „Teilleistung“ abstellt, ohne offen zu legen, ob hiermit auch die Nichterfüllung einer Teilpflicht angesichts eines einheitlichen Leistungsvorganges erfasst sein soll. Folge der hier erwogenen allein logischen Definition der „Teilbarkeit“ einer Leistung wäre, dass der Schuldner seine Hauptpflicht unter gleichzeitiger Verweigerung einer Nebenpflicht erbringen könnte. In dem vom LAG Frankfurt entschiedenen Fall könnte die Verkäuferin also ihre Arbeitsleistung erbringen und zugleich die nach Ansicht des LAG Frankfurt87 geschuldete Entfernung des Kopftuches verweigern. Der Gläubiger könnte im Gegenzug (nur) unter den Voraussetzungen des § 283 S. 2 i.V.m.  86 Andererseits könnte auch erwogen werden, dass es sich hier um eine sinnvolle und gewollte Grenze des Entscheidungsspielraumes handelt: Der Gläubiger soll eben keiner teilweisen Verweigerung einer bloß logisch trennbaren Nebenpflicht ausgesetzt werden. Gegen diese Sichtweise sprechen allerdings die sogleich darzustellenden Widersprüche in Gesetzesbegründung und Gesetzeswortlaut. 87 Nicht jedoch des BAG NZA 2003, 483 (486 f.), bestätigt durch BVerfG NZA 2003, 959.

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§ 281 I 2 BGB die Teilleistung zurückweisen und Schadensersatzanspruch verlangen sowie sich unter den Voraussetzungen des § 323 V BGB vom Vertrag lösen. Er müsste also jedenfalls nachweisen, dass er an der Teilleistung legitimerweise „kein Interesse“ hat. Die Gegenleistung könnte er dann nach § 326 I 1 Halbs. 2 BGB lediglich um den Wert der verweigerten Teilleistung mindern. Diese Bezifferung des Wertes dürfte freilich in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Grundlegend gegen die denkbare Modifikation der Abgrenzungskriterien bei teilweiser Unzumutbarkeit spricht freilich ein gesetzessystematischer Aspekt: § 326 I 1 Halbs. 2 BGB regelt einheitlich alle Fälle einer Teilleistung, also sowohl Fälle der Teilunmöglichkeit als auch der Teilunzumutbarkeit. § 326 I 1 Halbs. 1 BGB macht dies durch die Bezugnahme auf § 275 I-III BGB unmissverständlich klar; noch deutlicher wird dies in der Regierungsbegründung.88 Zugleich legt die Regierungsbegründung offen, dass die Regelung inhaltlich der alten Regelung in § 323 I letzter Halbs. BGB entsprechen soll.89 Mit beiden Feststellungen lässt sich ein differenzierender Begriff der Teilbarkeit kaum vereinbaren; es ist nach dem klaren Willen des Gesetzgebers vielmehr offenbar an der überkommenen Dogmatik zur Abgrenzung teilweiser und vollständiger Unmöglichkeit festzuhalten. Zugleich soll diese Dogmatik anscheinend auch auf Fälle der Unzumutbarkeit ausgedehnt werden.90 Kaum mit diesem Befund zu harmonisieren ist der Umstand, dass die Teilleistungsregelung in § 326 I 1 Halbs. 2 BGB nach der Regierungsbegründung explizit auf § 275 I-III BGB, also alle drei dort geregelten Spielarten von Leistungsstörungen anzuwenden sein soll. Eine quantitative Teilunzumutbarkeit nach den überkommenen Kriterien zur Abgrenzung von Voll- und Teilunmöglichkeit erscheint in den Fällen des § 275 III BGB (anders als bei § 275 II BGB) schon wegen der Natur des Leistungshindernisses kaum vorstellbar: Dass ein Schuldner sich in einem ideellen Konflikt befindet, dieser jedoch nur einen quantitativen Teil geschuldeter gleichartiger Leistungen betrifft, ist praktisch undenkbar. Die umfassende Bezugnahme des § 326 I 1 BGB auf § 275 IIII BGB läuft somit bezüglich der Teilleistungsproblematik hinsichtlich § 275 III BGB leer. Es zeigt sich also, dass die rechtstechnische Gleichstellung von Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit hinsichtlich sekundärer Rechtsfolgen zwar im Grundsatz kaum zu systematischen Schwierigkeiten führt. Bei Detailproblemen wie der teilweisen Unzumutbarkeit aus ideellen Gründen wirkt sich die Strukturverschiedenheit beider Leistungsstörungen freilich auch auf Ebene der sekundären  88

Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 188 und oben § 15 II 3 a) aa). BT-Drucks. 14/6040 S. 188 re. Spalte Abs. 3. 90 Vgl. nur Palandt-Heinrichs63 § 326 Rn. 2, 5. 89

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Rechtsfolgen aus; die Gleichbehandlung von Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit stößt an ihre Grenzen. Die im Grundsatz durchaus praktikable Gleichstellung von Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit hinsichtlich sekundärer Rechtsfolgen verursacht damit in Sonderkonstellationen dogmatische Schwierigkeiten. Erklärbar ist dies nur dadurch, dass der Gesetzgeber den Fall der Unzumutbarkeit einer Nebenpflichterfüllung kaum wahrgenommen, sondern sich mit § 326 I 1 Halbs. 2 BGB auf die Schaffung einer pauschalen und damit dogmatisch inkonsistenten Regelung der Teilleistungsproblematik beschränkt hat.91 Den Bedürfnissen der Praxis trägt die Einordnung hingegen durchaus Rechnung: Würde man die alleinige Verweigerung einer leistungsbezogenen Nebenpflicht mit der Folge einer teilweisen Unzumutbarkeit i.S.d. § 326 I 1 Halbs. 2 BGB zulassen, ergäbe sich das gravierende Problem, den Wert der unzumutbaren Nebenpflicht zu beziffern, was zwingende Voraussetzung für eine Minderung des Gegenleistungsanspruchs nach § 326 I 1 Halbs. 2 BGB wäre. Die Regelung in § 326 I 1 Halbs. 2 BGB liefe praktisch leer, wenn der Wert der verweigerten Nebenpflicht schlechthin unbezifferbar ist. Dies ist jedoch schon in dem durch das LAG Frankfurt entschiedenen Fall anzunehmen. Niemand kann beziffern, welcher Verlust durch das Tragen des Kopftuches für den Arbeitgeber eintritt oder welchen wirtschaftlichen Wert umgekehrt die Unterlassung des Kopftuchtragens für den Arbeitgeber hat.

b) Fazit und praktische Folgerungen Nach geltendem Recht werden die Fälle teilweiser Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit in § 326 I 1 Halbs. 2 BGB einer einheitlichen Regelung zugeführt. Die Abgrenzungskriterien zwischen vollständigen und teilweisen Leistungshinderungen sollen dabei nach der Regierungsbegründung der überkommenen Dogmatik zur Teilunmöglichkeit entnommen werden.92 Demnach sind Fälle der Wesensänderung Fälle der vollständigen Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit. Lediglich bei rein quantitativer Teilbarkeit einer Leistung sollen die Regeln der Teilunmöglichkeit und -unzumutbarkeit Anwendung finden. Problematisch ist, dass ein derartiger Fall quantitativer Teilunzumutbarkeit in den Fällen der ideellen Unzumutbarkeit kaum vorstellbar ist. Der Einführung ande 91 Ein Indiz für mangelndes Problembewusstsein mag auch schon die Formulierung von § 275 III BGB, die – anders als Abs. 1, der die Teilunmöglichkeit ausdrücklich berücksichtigt („soweit“) – semantisch anscheinend nur auf die vollständige Unzumutbarkeit der Leistung Bezug nimmt („wenn“). Auch hier entsteht ein Widerspruch zu BT-Drucks. 14/6040 S. 188, wonach § 326 I 1 Halbs. 2 BGB ausdrücklich auch die teilweise Unzumutbarkeit in Fällen des § 275 III BGB erfasst sein soll. 92 BT-Drucks. 14/6040 S. 188 re. Spalte Abs. 3.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

rer Abgrenzungskriterien, etwa einer logisch definierten Teilbarkeit, steht demgegenüber zunächst die Regierungsbegründung und die Einheitlichkeit der Regelung in § 326 I 1 Halbs. 2 BGB entgegen. Zum anderen würden bei dieser Sichtweise die aufgezeigten praktischen Probleme bei der Bestimmung des Minderungsbetrages nach § 326 I 1 Halbs. 2 BGB entstehen. Damit ergibt sich folgendes Bild: Im Bereich der ideell motivierten Unzumutbarkeit – insbesondere also bei Gewissenskonflikten – kann sich die Leistungsverweigerung regelmäßig nur auf das gesamte Pflichtenprogramm beziehen. Konsequenz für den Entgeltanspruch ist, dass keine teilweise Unzumutbarkeit mit den Folgen des § 326 I 1 Halbs. 2 BGB, sondern vollständige Unzumutbarkeit eintritt und daher im Grundsatz – vorbehaltlich bestehender Sonderregelungen – auch der Gegenleistungsanspruch nach § 326 I 1 Halbs. 1 BGB vollständig erlischt. Dem Leistungsschuldner ist es damit verwehrt, die Erfüllung einer Nebenpflicht bei gleichzeitiger Erfüllung der Hauptpflicht zu verweigern. Dies resultiert aus dem legislativ gewollten engen Begriff der teilweisen Unzumutbarkeit, der allein auf Fälle der quantitativen Teilbarkeit beschränkt werden soll. Hinsichtlich der Reichweite der Leistungsverweigerung wird folglich eine Art ipsoiure-Mechanismus wirksam. Dadurch entsteht zwar ein dogmatisches Spannungsverhältnis zu Grundgedanken der Unzumutbarkeit, wonach gerade der charakteristische Entscheidungsspielraum des Schuldners zur Entfaltung gebracht werden soll.93 Andererseits lässt sich diese Modifikation auch als eine durchaus sinnvolle Begrenzung dieses Entscheidungsspielraumes deuten: Der Gläubiger soll keiner Hauptpflichterfüllung ausgesetzt werden, die für ihn – bei Verweigerung der Nebenpflicht – keinen Wert mehr hat. Insofern und mit Blick auf die dargestellten praktischen Vorteile liefert die Neuregelung eine handhabbare und durchaus interessengerechte Regelung. Die dogmatischen Bedenken und insbesondere die aufgezeigten Widersprüche in der Regierungsbegründung und Gesetzessystematik lassen sich freilich kaum ausräumen.

4. Auswirkungen auf den Annahmeverzug Eine weitere Problematik im Umfeld des Gegenleistungsanspruchs erschließt sich, wenn man die Auswirkungen der Leistungsverweigerung auf den Annahmeverzug des Arbeitgebers in den Blick nimmt.  93

Vgl. oben § 10 I 1 und § 11.

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§ 615 BGB statuiert für den Bereich des Dienstvertragsrechts die Grundregel, dass dem Dienstverpflichteten sein Entgeltanspruch erhalten bleibt, wenn der Dienstberechtigte mit der Annahme der geschuldeten Leistung in Verzug gerät.

a) Grundzüge der Regelung Die Vorschrift modifiziert damit die Rechtsfolgen der §§ 293 ff. BGB im Bereich des Dienstvertragsrechts und stärkt die Position des Dienstverpflichteten.94 Der Grund dieser Sonderregelung ist, ähnlich der ratio von § 616 BGB, sozialpolitischer Natur: Der Arbeitnehmer – als praktisch wichtigster Fall eines Dienstverpflichteten – ist regelmäßig auf sein Entgelt zur Bestreitung des Lebensunterhaltes angewiesen.95 Zugleich kann er auf einen Annahmeverzug des Arbeitgebers im Regelfall nicht kurzfristig reagieren und andere Möglichkeiten zur Verwertung seiner Arbeitskraft wahrnehmen.96 Damit zielt die Vorschrift auf eine Verbesserung der sozialen Situation des in hohem Maße schutzbedürftigen Arbeitnehmers ab.97 Besondere Bedeutung erlangt die Vorschrift bei unwirksamen Kündigungen. Kündigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, bietet dieser aber dennoch seine Leistung an98 und stellt sich später die Unwirksamkeit der Kündigung heraus, etwa wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung oder dem Fehlen einer sozialen Rechtfertigung, so befand sich der Arbeitgeber in der Zeit der Nichtannahme der angebotenen Leistung im Annahmeverzug, ist also nach § 615 BGB zur Entgeltzahlung verpflichtet.99 Dies dürfte gerade bei Kündigungen infolge einer Leistungsverweigerung nach § 275 III BGB bedeutsam werden, da hier – wie noch ausführlich darzustellen ist – die Voraussetzungen und Ausgestaltungen  94

ErfK-Preis4 § 615 BGB Rn. 1. Damit stellt § 615 BGB keine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, sondern regelt das Schicksal des originären Entgeltanspruchs abweichend von § 326 I 1 Halbs. 1 BGB, vgl. Nierwetberg BB 1982, 995; a.A. Staudinger-Richardi § 615 Rn. 8. 95 Palandt-Putzo63 § 615 Rn. 1. 96

ErfK-Preis4 § 615 BGB Rn. 1. Vgl. allgemein Larenz/Wolf, BGB AT, § 2 Rn. 42. 98 Dies kann auch konkludent, insbes. durch Erhebung der Kündigungsschutzklage, erfolgen, vgl. BGH NJW-RR 1997, 537. Zur streitigen Frage, ob ein Angebot des Arbeitnehmers nach einer Kündigung überhaupt noch erforderlich ist, vgl. BAG AP § 615 BGB Nr. 34 sowie in der Lit. grundlegend Eisemann ArbRGegw 19 (1982), 33 (47). 97

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Vgl. BAG AP § 615 BGB Nr. 26 mit Anm. Blomeyer; BAG AP § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 13.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

einer Kündigung kaum geklärt und zweifelhaft sind.100 Die Fehleranfälligkeit von Kündigungen in diesem Bereich ist angesichts dieser Rechtsunsicherheit besonders hoch.

b) § 297 BGB als Ausnahme Spezifische101 Probleme der Leistungsverweigerung wegen Unzumutbarkeit ergeben sich aus den in §§ 293 ff. BGB statuierten Voraussetzungen des Annahmeverzugs und insbesondere dem tatbestandlichen Ausschluss des Annahmeverzuges in § 297 BGB. Hiernach ist der Annahmeverzug ausgeschlossen, wenn der Schuldner ohnehin „außerstande ist, die Leistung zu bewirken“. In diesen Fällen kommt es nicht zum Annahmeverzug; daher ist auch die Regelung in § 615 BGB unanwendbar. Da in diesen Fällen Unmöglichkeit oder, wie zu zeigen sein wird, eine Leistungsverweigerung wegen Unzumutbarkeit vorliegt, bleibt es bei dem Entfall des Entgeltanspruchs gemäß § 326 I 1 Halbs. 1 BGB. Die Frage, ob § 297 BGB auch auf Fälle der Unzumutbarkeit Anwendung findet, oder – anders gesagt – ob der Schuldner auch bei einer Leistungsverweigerung wegen ideeller Unzumutbarkeit i.S.v. § 297 BGB zur Leistung „außerstande“ ist, war schon vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes nicht abschließend geklärt102 und stellt sich nach der Schuldrechtsreform noch problematischer dar. Praktisch ist diese Frage außerordentlich bedeutsam. Verweigert etwa ein Arbeitnehmer die vertraglich geschuldete Tätigkeit aus Gewissensgründen, bietet dem Arbeitgeber jedoch zugleich eine zumutbare, gewissensneutrale Alternativtätigkeit an, so stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber bei Ablehnung dieser Alternativtätigkeit in Annahmeverzug gerät. Würde die Leistungsverweigerung in jedem Fall die Konsequenz des § 297 BGB herbeiführen, so wäre mit der Leistungsverweigerung auch ein Annahmeverzug des Arbeitgebers ausgeschlossen. Die Möglichkeit einer Alternativtätigkeit zur Abwendung der Unzumutbarkeit hängt damit erheblich von der Anwendbarkeit und tatbestandlichen Konkretisierung des § 297 BGB ab.  100

Vgl. unten § 17. Zu den erheblichen generellen Auseinandersetzungen um dogmatische Einordnung und Regelungsgehalt von § 615 BGB vgl. ErfK-Preis4 § 615 BGB Rn. 3 ff.; Staudinger-Richardi § 615 Rn. 17 ff.; MünchArbR-Boewer § 78 Rn. 9 ff.; Ramrath SAE 1992, 56, 57) Picker JZ 1979, 285, 292; Rückert ZfA 1983, 1. Die ausführliche Darstellung der Probleme würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 102 Vgl. nur Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 101

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aa) Anwendbarkeit in Fällen der Unzumutbarkeit Generelle Unstimmigkeiten ergeben sich in Dauerschuldverhältnissen daraus, dass die Regelung des Annahmeverzuges in §§ 293 ff. BGB eigentlich für einen einmaligen Leistungsaustausch konzipiert ist, daher die Anwendung auf Dauerschuldverhältnisse nicht in jedem Fall zu angemessenen Resultaten führt.103 Die Verweisung in § 615 BGB ist jedoch dermaßen eindeutig, dass die Bezugnahme als legislative Entscheidung hinzunehmen ist.104 Der Wortlaut des § 297 BGB wurde durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nicht geändert. Tatbestandlicher Anknüpfungspunkt der Norm ist nach wie vor, dass der Schuldner zur Leistung „außerstande“ sein muss. Die Begriffe der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit werden also nicht ausdrücklich benannt; semantisch lässt die Fassung des Tatbestandes freilich eine gewisse Nähe zur Unmöglichkeit erkennen: Im Wortsinne zur Leistung „außerstande“ ist der Schuldner vor allem, wenn ihm die Leistung naturgesetzlich oder rechtlich unmöglich ist.105 Die Frage, ob daneben auch Fälle der Leistungsverweigerung infolge Unzumutbarkeit erfasst sein sollen, kann nur systematisch beantwortet werden. Die grundlegende Konzeption des Schuldrechtsmodernisierungsgesetz geht – wie festgestellt – dahin, die Kategorien der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit zwar als strukturverschiedene Typen von Leistungsstörungen zu begreifen, diese aber hinsichtlich ihrer sekundären Rechtsfolgen gleichzustellen. Dies gilt insbesondere auch für das Schicksal des Gegenleistungsanspruchs. Daher müsste bei konsequenter Anwendung der aufgezeigten Grundstruktur auch § 297 BGB als Sonderregelung der Entgeltzahlung auf Fälle der Unzumutbarkeit Anwendung finden. Dies ergibt sich auch aus der Interessenlage der Parteien: Wie der Gläubiger durch § 297 BGB in jedem Fall vor Annahmeverzug bewahrt bleiben soll, wenn der Schuldner gar nicht leisten kann, besteht ein ganz ähnliches Interesse in Fällen, in denen der Schuldner die Leistung wegen Unzumutbarkeit verweigert hat: Auch hier soll der Schuldner nicht von einem Annahmeverzug des Gläubigers profitieren, wenn er die Leistung ohnehin nicht erbringt. Daher wandte auch die Rechtsprechung vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisie-

 103 Ebenso BAG AP § 615 BGB Nr. 45; Wiedemann/Wonneberger Anm. zu AP § 615 BGB Nr. 45; grundlegend Konzen Anm. zu BAG AP § 615 BGB Nr. 34 und 35; a.A. Ramrath SAE 1992, 56 (57). 104 105

Vgl. Löwisch Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Nr. 66. Zur rechtlichen Unmöglichkeit vgl. oben § 10 I 2 b).

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rungsgesetzes § 297 BGB ohne weiteres auf Fälle der ideellen Unzumutbarkeit an.106 In einem seltsamen Widerspruch zu diesem Befund – und damit insbesondere in Widerspruch zur Grundtendenz des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit hinsichtlich sekundärer Rechtsfolgen gleichzustellen – steht die im Zuge der Gesetzesnovelle eingeführte amtliche Überschrift zu § 297 BGB. Diese lautet explizit „Unvermögen des Schuldners“, scheint also Fälle der Unzumutbarkeit auszuschließen. Nimmt man demgegenüber in den Blick, dass eine derartige Annahme in klarem Widerspruch zu der dargelegten Grundstruktur stünde und zugleich eine erhebliche inhaltliche Änderung zu der zuvor schon in der Rechtsprechung anerkannten Rechtslage einträte, so passt dies schwerlich zu dem offenkundigen legislativen Willen, den Regelungsinhalt der §§ 293 ff. BGB weitgehend unangetastet zu lassen. Berücksichtigt man diese Aspekte, ist entgegen der jetzt eingeführten amtlichen Überschrift zu § 297 BGB eine Anwendung der Norm auf Konstellationen der Unzumutbarkeit nach wie vor geboten. Auch an dieser Stelle dürfte sich die mit Konstellationen der Unmöglichkeit vergleichbare Interessenlage des Gläubigers als entscheidender Gesichtspunkt durchsetzen. Diese schon vor Inkrafttreten der Novelle verbreitete Ansicht wurde durch die grundsätzliche Gleichbehandlung von Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit hinsichtlich sekundärer Rechtsfolgen im Schuldrechtsmodernisierungsgesetz sogar noch bestätigt. Umso mehr erstaunt, dass die amtliche Überschrift zu § 297 BGB die Unzumutbarkeit nicht berücksichtigt, obwohl die Kategorie doch nun erstmals Aufnahme in das kodifizierte Leistungsstörungsrecht gefunden hat. Anscheinend handelt es sich hier um ein Redaktionsversehen, das erneut ein partielles Scheitern vor dem selbstgestellten Anspruch des Gesetzgebers verdeutlicht, die Rechtsanwendung grundlegend und konsequent vereinfachen zu wollen.107

bb) Bezugspunkt des § 297 BGB – Angebot von Alternativtätigkeiten Von der erörterten Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit auf Fälle ideeller Unzumutbarkeit ist die Frage nach der tatbestandlichen Konkretisierung zu trennen. Klärungsbedürftig ist dabei vor allem, wann der Schuldner in Fällen der ideellen Unzumutbarkeit im Sinne der Vorschrift zur Leistung „außerstande“ ist.  106 Vgl. BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; jüngst deutlich auch LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2. 107 Vgl. oben § 1 I.

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Dabei sind drei Aspekte hervorzuheben: Zum einen bedarf es auch an dieser Stelle der Einredeerhebung i.S.v. § 275 III BGB. Ansonsten entfällt in Konstellationen der Unzumutbarkeit nicht die Leistungspflicht; der Schuldner muss weiterhin leisten, so dass § 297 BGB nicht infolge von Unzumutbarkeit einschlägig ist. Freilich ist die Einredeerhebung hier praktisch bedeutungslos, da jedenfalls im Arbeitsverhältnis bei einer grundlosen Leistungsverweigerung ohnehin Unmöglichkeit infolge des Fixschuldcharakters eintritt.108 Somit bleibt auch bei Nichterhebung der Einrede § 297 BGB anwendbar, dann aber nicht wegen Unzumutbarkeit, sondern wegen Unmöglichkeit.

(1) Insbesondere: Pflicht des Arbeitgebers zur Annahme angebotener Alternativtätigkeiten Zweitens hängt die schon angesprochenen Möglichkeit von Alternativtätigkeiten entscheidend von dem Bezugspunkt des „Außerstande-Seins“ i.S.v. § 297 BGB ab. Fraglich ist dabei, ob die Norm schon dann Anwendung findet, wenn nur ein Teilbereich des vertraglichen Pflichtenprogrammes von der Leistungsverweigerung betroffen ist, theoretisch also noch ein Restbereich von Tätigkeiten verbleibt, die der Schuldner gleichwohl verrichten könnte. In diesem Fall würde durch die Anwendung von § 297 BGB dem Schuldner die Möglichkeit abgeschnitten, die verbleibenden Alternativtätigkeiten anzubieten und sich so seinen Entgeltanspruch zu erhalten. Umgekehrt betrachtet könnte der Gläubiger bei dieser Sichtweise die Annahme angebotener Alternativtätigkeiten, die einen Ausschnitt des vertraglichen Pflichtenprogrammes darstellen, verweigern. In der Entscheidung des LAG Frankfurt vom 21.6.2001 hatte genau diese Sichtweise zur Konsequenz, dass die wegen berechtigter Leistungsverweigerung gekündigte Arbeitnehmerin während des Laufes der Kündigungsfrist keine Alternativtätigkeit verrichten konnte und ihr der Annahmeverzugslohn unter Verweis auf § 297 BGB versagt wurde.109 Vorrangig, so führt das LAG aus, sei allerdings zu prüfen, ob das dauernde Beschäftigungshindernis „im Rahmen der dort [im Betrieb] bestehenden Möglichkeiten nicht ausgeräumt werden kann.“ Demnach soll der Arbeitgeber anscheinend trotz der Leistungsverweigerung in Annahmeverzug geraten können, wenn betriebliche Möglichkeiten zur Abwendung des Leistungshindernisses ersichtlich sind. Ist dies nicht der Fall, so ist  108

Vgl. insbes. Richardi NZA 2002, 1004 (1005 f.); allgemein auch MünchArbRBlomeyer § 57 Rn. 9 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht Bd. 1, S. 274; Fabricius, Leistungsstörungen, S. 98 f. 109

LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2; vgl. auch schon BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1.

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auch dann, wenn im Grundsatz nur ein Teil des Pflichtenprogrammes von der Unzumutbarkeit betroffen ist, § 297 BGB anwendbar. Der Arbeitgeber muss im entschiedenen Fall also nicht hinnehmen, dass die betroffene Arbeitnehmerin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist die geschuldete Nebenleistung – Nichttragen des Kopftuchs – verweigert, jedoch die Hauptleistung einer Verkäuferin erbringt, faktisch also mit Kopftuch arbeitet. Der zuletzt genannte Aspekt ist jedenfalls dann zwingend, wenn man – wie hier – davon ausgeht, dass auch die Unzumutbarkeit einer Nebenpflicht zur vollständigen Unzumutbarkeit der geschuldeten Leistung führt.110 Dann kann auch hinsichtlich des Annahmeverzuges nicht zwischen vollständiger und teilweiser Unzumutbarkeit differenziert werden. Dass eine qualitativ-logisch abgegrenzte Teilunzumutbarkeit nach geltendem Recht nicht vorstellbar ist, wurde schon ausführlich dargelegt und erscheint mit Blick auf die praktischen Rechtsfolgen fast zwingend. Daher ist auch hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 297 BGB an dem Grundsatz festzuhalten, dass die Unzumutbarkeit einer Nebenpflicht stets zur vollständigen Unzumutbarkeit der Erfüllung des vertraglichen Pflichtenprogrammes führt. Konsequenterweise muss dann auch § 297 BGB Anwendung finden.111

(2) Alternativtätigkeiten und „betriebliche Möglichkeiten“ Noch bedeutsamer freilich erscheint die zweite Aussage des LAG Frankfurt: Hiernach muss zunächst versucht werden, im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten das Leistungshindernis abzuwenden. Die Verrichtung von Alternativtätigkeiten zur Abwendung des „Außerstande-Seins“ i.S.v. § 297 BGB wird damit anscheinend im Grundsatz bejaht, freilich an die Grenze der „betrieblichen Möglichkeiten“ geknüpft. Dabei ergibt sich das – aus dem Bereich der Unmöglichkeit bekannte – Problem, ob diese Grenze – wie vom LAG nahegelegt – nur in der betrieblichen Möglichkeit einer Alternativtätigkeit oder schon im Arbeitsvertragsinhalt zu ersehen ist. Anders gesagt stellt sich die Frage, ob der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber auch Tätigkeiten anbieten kann, die außerhalb seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit liegen, oder ob der Arbeitgeber nur zu Modifikationen innerhalb der vertraglich geschuldeten Tätigkeiten verpflichtet ist, also lediglich bei der Ausübung seines Direktionsrecht zur Abwendung des Leistungshindernisses gehalten ist.  110

Vgl. oben § 15 II 3 b). Im Ergebnis richtig daher auch ArbG Stuttgart NZA-RR 1996, 362, wonach in der parallelen Konstellation der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit schon eine teilweise Arbeitsunfähigkeit den Annahmeverzug ausschließt. 111

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Das BAG vertritt – zumindest vereinzelt – erstere Auffassung: So soll der Arbeitgeber verpflichtet sein, auch eine andere als die vertraglich geschuldete Tätigkeit zu akzeptieren, wenn einem bei ihm beschäftigten Kfz-Fahrer der Führerschein entzogen wird.112 Begründet wird diese Sichtweise mit der „Fürsorgepflicht des Arbeitgebers“.113 An anderer Stelle wird zur Begründung auch auf Parallelen zum Kündigungsrecht verwiesen: Hier gelte das ultima-ratioPrinzip, wonach der Arbeitgeber vorrangig zur Änderungskündigung verpflichtet sei.114 Maßstab ist nach der genannten BAG-Entscheidung zunächst zwar der Arbeitsvertragsinhalt; darüber hinaus soll der Arbeitgeber jedoch „vorübergehend“ auch verpflichtet sein, andere als die vertraglich geschuldeten Tätigkeiten zu akzeptieren. Als Grenze dieser Pflicht wird dabei – neben der zeitlichen Beschränkung auf „vorübergehende“ Zeiträume – ausschließlich das Zumutbarkeitsprinzip angeführt: Die Alternativtätigkeit muss demnach dem Arbeitgeber „zumutbar“ sein.115

(3) Eigene Auffassung Die dargestellte Auffassung begegnet freilich schwerwiegenden Bedenken. Die Pflicht zur Zuweisung anderer als der geschuldeten Tätigkeiten stellt einen gravierenden Eingriff in die Vertrags- und Unternehmerfreiheit dar:116 Dem Vertrag wird qua Gesetz ein ganz anderer Inhalt gegeben, als ihn die Vertragsparteien ursprünglich intendierten. Ein derart schwerer Eingriff in die Vertragsfreiheit lässt sich schwerlich allein durch den Verweis auf die „Fürsorgepflicht des Arbeitgebers“ rechtfertigen. Das BAG versucht daher in anderen Entscheidungen, diesem Vorwurf durch Anerkennung eines bloßen Anspruchs auf Vertragsänderung zu entgehen, so etwa wenn einem Schwerbehinderten die Arbeit aus Gesundheitsgründen unmöglich wird.117 Dies harmoniert besser mit dem Kündigungsschutzrecht, denn auch hier bringt der Vorrang der Änderungskündigung keine Änderung des  112

BAG AP § 297 BGB Nr. 2. BAG AP § 297 BGB Nr. 2. 114 ErfK-Preis4 § 615 BGB Rn. 44. 115 Ebenso auch BAG v. 14.7.1983 – 2 AZR 54/82 – n.v.; vgl. auch BAG AP § 611 BGB Fürsorgepflicht Nr. 27 mit Anm. Hueck (Beschäftigung an anderem als dem vertraglich vereinbarten Ort). 116 Ähnlich MünchArbR-Boewer § 78 Rn. 26; Boecken Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Nr. 69. 117 BAG AP § 14 SchwbG 1986 Nr. 1. 113

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Vertragsinhalts ipso iure mit sich.118 Der bedenkliche Eingriff in die Vertragsfreiheit wird dadurch freilich nicht beseitigt, sondern nur gemildert. Konsequenz dieser Sichtweise ist jedenfalls, dass sich durch die Möglichkeit vertraglich nicht geschuldeter Alternativtätigkeiten an der tatbestandlichen Einschlägigkeit von § 297 BGB nichts ändert. Auch wenn der Arbeitgeber zur Vertragsänderung verpflichtet ist, bleibt es doch dabei, dass der Arbeitnehmer hinsichtlich der aktuellen Vertragspflichten zur Leistungserbringung „außerstande“ ist.119 Bezugspunkt von § 297 BGB ist damit immer das aktuelle vertragliche Pflichtenprogramm, nicht aber die „betriebliche“ Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung jenseits aktueller vertraglicher Pflichten.120 Dem Arbeitnehmer entsteht in diesen Fällen, in denen eine Vertragsänderung denkbar wäre, somit kein Anspruch auf Annahmeverzugslohn aus §§ 611, 615 BGB, sondern allenfalls ein Schadensersatzanspruch aus § 280 I BGB in Höhe des zu erwartenden Entgelts nach der geschuldeten Vertragsänderung, da der Arbeitgeber in diesem Fall seine Fürsorgepflicht, die eine Vertragsänderung erfordert hätte, vernachlässigt hat.121 Eine Abweichung von diesen Grundsätzen ist auch für den Bereich der ideellen Unzumutbarkeit nicht geboten: Auch hier ist Bezugspunkt des § 297 BGB stets und ausschließlich das aktuelle vertragliche Pflichtenprogramm. Die Möglichkeit von Alternativtätigkeiten schließt somit ein „Außerstande-Sein“ i.S.v. § 297 BGB nur dann aus, wenn diese Alternativtätigkeiten durch bloße Änderung der Ausübung des Direktionsrechts zugewiesen werden können. Die betriebliche Möglichkeit einer darüber hinausgehenden, vom aktuellen Arbeitsvertrag nicht umfassten Alternativtätigkeit mag für kündigungs- und schadensersatzrechtliche Fragen bedeutsam sein, ändert an der tatbestandlichen Einschlägigkeit von § 297 BGB jedoch nichts.122 Soweit die Rechtsprechung zum Teil für die Anwendbarkeit von § 297 BGB gerade auf die verbleibende Möglichkeit von Alternativtätigkeiten „im Betrieb“ abstellt,123 verundeutlicht dieser Bezugspunkt den eigentlichen Maßstab einer Anwendung von § 297 BGB, der immer und ausschließlich in dem aktuellen vertraglichen Pflichtenprogramm zu finden ist.  118

Vgl. nur ErfK-Preis4 § 615 BGB Rn. 44; Boecken Anm. zu EzA BGB § 615 Nr. 69. MünchArbR-Boewer § 78 Rn. 26; ähnlich ErfK-Preis4 § 615 BGB Rn. 44; a.A. LAG Köln LAGE § 615 BGB Nr. 23; Stahlhacke ArbuR 1992, 8 (15); Staab, Annahmeverzug des Arbeitgebers, S. 143. 120 Ähnlich Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 121 MünchArbR-Boewer § 78 Rn. 26; Kraft Anm. zu BAG EzA § 615 BGB Nr. 53; Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 119

122

Wie hier ErfK-Preis4 § 615 BGB Rn. 45; Staudinger-Löwisch § 297 Rn. 4. 123 LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2.

§ 15 Das Schicksal der Gegenleistung

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cc) Fazit Die Einschlägigkeit von § 297 BGB wird demnach nicht dadurch ausgeschlossen, dass im Betrieb zumutbare Alternativtätigkeiten bestehen. Konnte etwa in dem durch das LAG Frankfurt entschiedenen Fall die Verkäuferin ohne weiteres trotz ihrer Leistungsverweigerung für Lagerarbeiten eingesetzt werden, so hätte dies nichts an dem Ausschluss des Annahmeverzuges nach § 297 BGB geändert, wenn Lagertätigkeiten nicht ihrem aktuellen Arbeitsvertragsinhalt entsprachen. Damit bleibt es – mangels Anwendbarkeit von § 615 BGB – bei dem Erlöschen des Entgeltanspruchs nach § 326 I 1 Halbs.1 BGB, sofern nicht § 616 BGB oder eine andere Ausnahmeregelung einschlägig ist.124 Die Möglichkeit betrieblich zumutbarer Alternativtätigkeiten berührt die Frage nach dem Annahmeverzug nicht, kann jedoch für die soziale Rechtfertigung einer Beendigungskündigung eine erhebliche Rolle spielen. Ebenso kann aus dem Vorhandensein derartiger Alternativen ein Anspruch auf Vertragsänderung und bei Verweigerung dieser Vertragsänderung ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung von Fürsorgepflichten entstehen.125 Zum Annahmeverzug kommt es hingegen in derartigen Fällen, wenn der Arbeitsvertrag selbst Alternativtätigkeiten vorsieht und der Arbeitgeber derartige Alternativtätigkeiten zurückweist. Verbleibt also ein Bestand an vertragsgemäßen Alternativtätigkeiten, so ist der Arbeitnehmer nicht i.S.v. § 297 BGB zur Leistung „außerstande“; es kommt zum Annahmeverzug.

 124 Hinzuweisen ist darauf, dass das LAG Frankfurt eine Anwendung insbes. von § 616 BGB anscheinand überhaupt nicht erwogen hat. 125 Vgl. dazu unten § 16 III.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

§ 16 Vermögensrechtliche Konsequenzen I. Herausgabe des stellvertretenden commodums, § 285 BGB In jedem Fall muss der Schuldner bei Leistungsverweigerung nach § 275 III BGB das stellvertretende commodum herausgeben, wenn der Gläubiger dies verlangt (§ 285 BGB).1 Der Gläubiger hat insoweit ein Wahlrecht, ist also ebensowenig wie im Kontext von § 281 BGB a.F. verpflichtet, das stellvertretende commodum zu akzeptieren.2 Dies entspricht der alten, in § 281 BGB a.F. geregelten Rechtslage,3 wurde aber im Kontext der Unzumutbarkeit bislang nicht diskutiert. Durch die Neuregelung wurde auch an dieser Stelle der tatbestandliche Anknüpfungspunkt von dem Vorliegen von Unmöglichkeit hin zu einer Nichtleistung nach § 275 I-III BGB verschoben. Rechtstechnisch wurde also durch denselben Kunstgriff wie bei § 326 I BGB eine Ausdehnung auf Fälle der Unzumutbarkeit bewirkt.

1. Stellvertretendes commodum und ideelle Unzumutbarkeit Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs macht eine Auseinandersetzung mit der Thematik im Kontext der ideellen Unzumutbarkeit erforderlich. Dabei fällt zunächst auf, dass die Herausgabe des stellvertretenden commodums nach § 285 BGB höchst selten im Kontext der Leistungsverweigerung nach § 275 III BGB relevant werden dürfte, da es angesichts der ideell-personalen Struktur des Leistungshindernisses hier nur in Ausnahmefällen zu einer Ersatzpflicht Dritter kommen wird. Die praktische Bedeutung der Norm dürfte also in diesem Kontext gering bleiben. Dauner-Lieb verweist zutreffend darauf, dass schon der Wortlaut eine Anwendung der Norm in diesen Fällen zweifelhaft erscheinen lässt: In den Fällen des § 275 III BGB wird schließlich kein „Gegenstand“ im Sinne einer „Sache“ geschuldet.4 Wenn man den Begriff „Gegenstand“ in § 285 I BGB wertneutral als „Vertragsgegenstand“ auffasst, kann hierunter freilich auch eine persönlich zu erbringende Leistungshandlung i.S.d. § 275 III BGB fallen.5 Gerade mit  1

Palandt-Heinrichs63 § 285 Rn. 2; Mattheus, in: Schwab/Witt, Einführung in das neue Schuldrecht, S. 96 f.; zu spezifisch arbeitsrechtlichen Fragen Löwisch NJW 2003, 2049. 2 Vgl. AnwK-Dauner-Lieb § 326 Rn. 12; MünchKomm-Emmerich § 323 Rn. 27; SoergelWiedemann § 323 Rn. 46 m.w.N. 3

Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 63. AnwK-Dauner-Lieb § 285 Rn. 4. 5 Wie hier Löwisch NJW 2003, 2049 (2050). 4

§ 16 Vermögensrechtliche Konsequenzen

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Blick auf die klare Verweisung in § 285 I BGB, die auch § 275 III BGB einbezieht, wird man daher von einer grundsätzlichen Anwendbarkeit in Konstellationen der ideellen Unzumutbarkeit ausgehen können, mag diese auch selten praktisch bedeutsam werden. Ein praktisches Beispiel liegt jedenfalls in der schuldhaften Herbeiführung des ideellen Leistungshindernisses durch einen Dritten. Denkbar ist dies etwa, wenn in den Fällen der Personensorge der Sorgepflichtige die Personensorge vertraglich einer gewerblichen Betreuungseinrichtung übertragen hat, diese schuldhaft vertragsbrüchig wird und der Sorgepflichtige deshalb selbst die Betreuung zulasten seiner eigenen Vertragspflicht übernehmen muss.6

2. Die Notwendigkeit der Einredeerhebung Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs ist auch hier die Erhebung der Einrede.7 Dies ergibt sich aus dem klaren Wortlaut von § 285 BGB, der als Voraussetzung anführt, dass die Leistungspflicht erloschen sein muss. Der Anspruch trägt der Einredestruktur des § 275 III BGB folglich dadurch Rechnung, dass er dem Schuldner die Entscheidung über die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts und damit auch die Entscheidung über das Entstehen des Anspruchs aus § 285 BGB belässt. Damit soll gewährleistet werden, dass der Gläubiger das Surrogat erst dann verlangen kann, wenn die primäre Leistungspflicht erloschen ist, was bei § 275 III BGB erst durch die Erhebung der Einrede geschieht.8 Dieses Ergebnis ist stark umstritten.9 Teilweise wird eingewandt, dass es den Grundsatz „pacta sunt servanda“ aushöhle, wenn der Schuldner selbst über das Entstehen des Anspruchs disponieren könne. Der Einwand werde bei § 285 BGB vor allem deshalb bedeutsam, weil die Neuregelung dazu führe, dass der Schuldner nach Vertragsschluss ein noch lohnenderes Angebot eines Dritten annehmen und durch simple Nichterhebung der Einrede die Herausgabe des Erlangten vereiteln könne.10  6 Löwisch [NJW 2003, 2049] hält die Regelung auch für den Fall einschlägig, dass ein Arbeitnehmer während krankheitsbedingter Fehlzeiten einer Tätigkeit für einen Dritten nachgeht. Den dadurch erlangten Ersatzverdienst soll der Arbeitgeber nach § 285 I BGB herausverlangen können. 7 Mattheus, in: Schwab/Witt, Einführung in das neue Schuldrecht, S. 96. 8 Vgl. BR-Drucks. 338/01 S. 330 f. 9 Vgl. kritisch Huber, in: Ernst/Zimmermann, Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 148; Dauner-Lieb/Arnold/Dötsch/Kitz, Anmerkungen und Fragen, S. 37. 10 Mattheus, in: Schwab/Witt, Einführung in das neue Schuldrecht, S. 97.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

Vorstellbar mag ein solcher Ablauf im Anwendungsbereich des § 275 II BGB sein, also bei materiell-wirtschaftlicher Unzumutbarkeit. Hier kann die Neuregelung tatsächlich zu den aufgezeigten Problemen führen. Im Bereich der ideell-personalen Unzumutbarkeit ist eine derartige Fallkonstellation hingegen kaum vorstellbar, weil hier die „Unzumutbarkeit“ allein infolge einer echten Kollision der Leistungspflicht mit höherrangigen Rechtsgütern und Pflichten eintreten kann und daher nur begrenzt einer Disposition durch den Schuldner zugänglich ist. Auch hat die Nichterhebung der Einrede zwangsläufig zur Konsequenz, dass die primäre Leistungspflicht eben nicht erlischt, also Schuldnerverzug mit den entsprechenden Rechtsfolgen eintritt.11 Im Dauerschuldverhältnis ist in diesem Fall zudem eine außerordentliche Kündigung wegen grundloser Leistungsverweigerung möglich.12 Angesichts dieser gravierenden Folgen und der ohnehin geringen Praxisrelevanz von § 285 BGB im Bereich der ideellen Unzumutbarkeit dürfte der Einwand zumindest hier kaum praktische Bedeutung erlangen.

II. Schadensersatzansprüche des Gläubigers gegen den Schuldner bei Leistungsverweigerung Eine weitgehende Klärung ist durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz auch hinsichtlich der Frage nach Schadensersatzansprüchen eingetreten. Dabei wurde unter den verschiedenen im alten Schuldrecht entwickelten Lösungsmöglichkeiten erstaunlicherweise eine den Schuldner besonders stark belastende Konzeption gewählt. Auch an dieser Stelle entsteht somit ein gewisses Spannungsverhältnis zu dem plakativen Programmsatz des Gesetzgebers, generell in arbeitsrechtliche Besitzstände nicht eingreifen zu wollen.13

1. Alte Rechtslage Im alten Schuldrecht war die Frage ausgesprochen umstritten. Zum Teil wurde vertreten, dass die Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechts die Folgefrage nach Schadensersatzansprüchen des Gläubigers negativ präjudiziere. Mit der berechtigten Leistungsverweigerung entfalle der Vorwurf vertrags 11

Vgl. oben § 15 II 1. Vgl. BAG AP § 626 BGB Nr. 76; BAG AP § 6 LohnFG Nr. 14; ErfK-Müller-Glöge4 § 626 BGB Rn. 103; Stoffels, Vertragsbruch, S. 103. 13 BT-Drucks. 14/6857 S. 48. 12

§ 16 Vermögensrechtliche Konsequenzen

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brüchigen Verhaltens und damit jeder Anknüpfungspunkt einer Schadensersatzpflicht.14

a) Die These der Präjudizierung bei Schadensersatzansprüchen So führt etwa Reuter aus, bei Gewissenskonflikten müsse der Schuldner nicht nur von der gewissenswidrigen Leistungspflicht freigestellt, sondern ebenfalls vor „unzumutbaren“ Folgen bewahrt werden.15 Als eine derart unzumutbare Folge benennt er ausdrücklich auch Schadensersatzansprüche des Gläubigers. Die einzige zumutbare Folge, die der Schuldner in einem Gewissenskonflikt tragen müsse, sei der Verlust des Entgeltanspruchs. In einer weiteren Stellungnahme distanziert sich Reuter allerdings von dieser Position16 und möchte dem Schuldner auch weitere Negativfolgen der Leistungsverweigerung aufbürden. Auch Brox hält Schadensersatzansprüche bei berechtigter Leistungsverweigerung für ausgeschlossen, zieht jedoch schon der Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechts bei Gewissenskonflikten enge Grenzen.17 Ähnlich weitgehend wie Reuter in seiner ersten Stellungnahme äußerten sich – ebenfalls zur spezifischen Problematik der Gewissenskonflikte – auch schon Bosch und Habscheid:18 Vermögensrechtliche Negativfolgen der Leistungsverweigerung wie Vertragsstrafen oder Schadensersatzansprüche seien potentiell geeignet, den Schuldner faktisch zum „Verrat an seinem Gewissen“ zu zwingen. Dies stehe jedoch in klarem Widerspruch zu dem hohen Gewicht, welches der Gewissensbetätigung in Art. 4 I GG zugemessen werde. Daher könne bei Gewissenskonflikten generell davon ausgegangen werden, dass durch die Anerkennung eines Leistungsverweigerungsrechts auch schon negativ über Schadensersatzansprüche des Gläubigers entschieden sei. Gleiches vertritt – als Argument gegen die Anerkennung des Gewissens als Leistungshindernis – auch Diederichsen: Es stelle einen Wertungswiderspruch dar, einerseits die Gewissensbetätigung als förderungswürdiges Verhalten anzuerkennen und durch ein Leistungsverweigerungsrecht zu sanktionieren, andererseits jedoch dieselbe Verhaltensweise zum Anknüpfungspunkt einer Schadensersatz 14

Bosch/Habscheid JZ 1954, 213 (217); Reuter BB 1986, 385 (389); ähnlich Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (45 f.). 15 Reuter BB 1986, 385 (389). 16 Reuter JuS 1990, 591. 17 Brox Anm. zu BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27. 18

Bosch/Habscheid JZ 1954, 213; dies. JZ 1956, 297 (302); ähnlich noch Grabau BB 1991, 1257 (1262).

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

haftung zu machen.19 Wenn schon die Leistungspflicht entfalle, fehle es zwangsläufig auch an einer schadensersatzrechtlichen „culpa“. Dies gelte unabhängig von den divergierenden dogmatischen Anknüpfungspunkten einer Schadensersatzpflicht. Die Argumentation weist freilich erhebliche Schwächen auf: Nicht jede Schadensersatzpflicht impliziert einen moralischen oder auch rechtlichen Vorwurf. Schon eingangs wurde dargestellt, dass vor allem die Rechtsfolge des Schadensersatzes vielfach dem Gedanken des gerechten Ausgleichs dient.20 Ebenso wie sich an die Irrtumsanfechtung die schadensersatzrechtliche Folge des § 122 BGB knüpft,21 entspricht es der hergebrachten Rechtslage, dass auch die Freistellung von der Leistungspflicht bei Unmöglichkeit potentiell schadensersatzrechtliche Konsequenzen nach sich zieht, die für den Schuldner nachteilig sind. Das Korrektiv des Vertretenmüssens sorgt hier für eine hinreichende Einschränkung der Schadensersatzpflicht auf jene Fälle, in denen das Unmöglichwerden der Leistung dem Verantwortungsbereich des Schuldners zuzurechnen ist. Mit Blick auf diese im Grundsatz wertneutrale Ausgleichsfunktion der Schadensersatzansprüche ist es auch im Bereich der Unzumutbarkeit angebracht, Schadensersatzansprüche nicht schon im Ansatz auszuschließen. Auch hier kann – sofern das Leistungshindernis dem Verantwortungsbereich des Schuldners zuzurechnen ist – ein berechtigtes Kompensationsinteresse des Gläubigers entstehen. Ebenso wie sich an die rechtlich gewollte Lösungsmöglichkeit durch Anfechtung oder die Freistellung von der Leistungspflicht bei Unmöglichkeit schadensersatzrechtliche Folgen knüpfen können, kann dies auch im Bereich der Unzumutbarkeit der Fall sein.22 Auffallend ist, dass die dezidiert ablehnenden Stellungnahmen überwiegend dem Kontext der speziellen Problematik der Gewissenskonflikte entstammen. In der Tat verführt hier die unbedingte Gewährleistung der Gewissensfreiheit in Art. 4 I GG zu der Annahme, die grundrechtliche Gewährleistung erfordere die Freistellung von allen Negativfolgen. Dies ist jedoch – wie schon dargestellt wurde – nicht der Fall. Vielmehr möchte Art. 4 I GG nur die Möglichkeit der Gewissensbildung und -betätigung als solcher umfassend sicherstellen.23 Dies  19

Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (45 f.).

20

Vgl. oben § 14 I. Vgl. Palandt-Heinrichs63 § 122 Rn. 1; auf Parallelen der Problematik zu § 122 BGB verweisen etwa auch Staudinger-Weber11 § 242 Rn. B 617 f.; Brecher, Festschrift Nipperdey II (1965), S. 52; dazu Scheschonka, Gewissensnot, S. 132 ff. m.w.N. 21

22

Oben § 14 I. BVerfGE 78, 391 (395); so auch BSGE 61, 158 (162); v.Mangoldt/Klein-Starck Art. 4 GG Rn. 62 f.; Maunz/Dürig-Herzog Art. 4 GG Rn. 135; HbStR-Bethge VI § 137 Rn. 13; AKGG-Preuß Art. 4 Abs. 1, 2 GG Rn. 41. 23

§ 16 Vermögensrechtliche Konsequenzen

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wird durch die Gewährung eines Leistungsverweigerungsrechts erreicht. Die Freistellung von allen rechtlichen oder auch nur faktischen Negativfolgen verlangt die grundrechtliche Gewährleistung hingegen nicht; hierbei handelt es sich vielmehr um „lästige Alternativen“, in denen sich das Gewissen gerade bewähren muss.24

b) Die These der Einzelbetrachtung bei Schadensersatzansprüchen Zutreffend kristallisierte sich daher mehr und mehr eine herrschende Meinung dahingehend heraus, dass auch die schadensersatzrechtlichen Folgen der Leistungsverweigerung getrennt nach dem jeweils einschlägigen Recht zu beurteilen sind, also keine Präjudizierung eintritt. Bei Kohte etwa resultiert diese Folgerung schon zwingend daraus, dass er die Unzumutbarkeit der Unmöglichkeit gleichstellt und somit auch die für Unmöglichkeit geltende schadensersatzrechtliche Konsequenz im Grundsatz nicht ausschließen kann.25 Nach seiner Konzeption richtete sich also der Schadensersatzanspruch des Gläubigers – wie von § 325 I 1 BGB a.F. vorgesehen – auf das positive Interesse.26 Freilich weist er darauf hin, dass regelmäßig ein solcher Anspruch am fehlenden Vertretenmüssen des Schuldners scheitern müsse.27 Henssler schließlich setzt dem Grundsatz der Präjudizierung generell den schon dargestellten Grundsatz der Einzelbetrachtung entgegen.28 Zugleich durchbricht er diesen Grundsatz selbst, indem er als Anknüpfungspunkt eines Schadensersatzanspruchs die Leistungsverweigerung als solche ausschließen möchte, da diese durch den Bestand des Leistungsverweigerungsrechts gerechtfertigt sei. Ein Schadensersatzanspruch des Gläubigers komme somit nur dann in Betracht, wenn der Schuldner das Leistungshindernis beim Vertragsschluss hätte vorhersehen können. Henssler möchte demnach Schadensersatzansprüche des Gläubigers allein auf den Vorwurf unterlassener Aufklärung im vorvertraglichen Stadium stützen; Rechtsgrundlage ist seiner Auffassung zufolge ausschließlich die culpa in contrahendo. Als fundamentaler Unterschied etwa zu Kohtes Konzeption folgt daraus, dass nach Henssler der Schadensersatzanspruch nicht auf das positive, sondern allein auf das negative Interesse ge 24

Vgl. Luhmann AöR 90, 257 (281 ff.). Kohte NZA 1989, 161 (168). Allerdings verweist Kohte darauf, das es „regelmäßig“ am Verschulden des Arbeitnehmers hinsichtlich des Leistungshindernisses fehlen wird; dazu unten § 16 II 2 a) bb). 25

26

Allgemein Palandt-Heinrichs61 § 325 Rn. 10. Kohte NZA 1989, 161 (168). 28 Henssler AcP 190 (1990), 538 (557), ihm folgend ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 971. 27

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

richtet ist.29 Bei mangelnder Vorhersehbarkeit des Leistungshindernisses bei Vertragsschluss möchte Henssler folgerichtig jede schadensersatzrechtliche Haftung ausschließen, da ansonsten eine gesetzlich nicht gewollte Garantiehaftung Anerkennung fände.30 Zumindest im Ausgangspunkt ist Henssler recht zu geben. Wie schon eingangs gezeigt, verlangt die unterschiedliche Interessenlage bei Leistungsverweigerung und Schadensersatzansprüchen geradezu nach einer getrennten Betrachtung beider Themenkomplexe. Nicht ganz überzeugend erscheint hingegen die ausschließliche Verankerung der Schadensersatzpflicht auf Grundlage der culpa in contrahendo. Auch die Leistungsbefreiung bei Unmöglichkeit war und ist „gerechtfertigt“, dennoch knüpfen sich dort an die bloße Nichterbringung der geschuldeten Leistung für den Schuldner potentiell schadensersatzrechtliche Negativfolgen. Somit ist nicht ersichtlich, weshalb bei ideeller Unzumutbarkeit etwas anderes gelten sollte: Auch hier wird der Schuldner aus höherrangigen Gründen von der Leistungspflicht freigestellt; dennoch kann der bloße Umstand der Nichtleistung ein Kompensationsinteresse des Gläubigers begründen. Der den Schuldner treffende Vorwurf wird oft – insoweit ist Henssler recht zu geben – im vorvertraglichen Raum liegen, insbesondere, wenn der Schuldner den Konflikt vorhersehen konnte und dies in Vertragsverhandlungen nicht offenbarte. Ebenso kann der Vorwurf jedoch auch im Abwicklungsstadium des Vertrages entstehen, wenn nämlich der Konflikt erst durch ein schuldhaftes Fehlverhalten des Schuldners in diesem Stadium entstanden ist. In jedem Fall liegt der Anknüpfungspunkt einer Schadensersatzpflicht im bloßen Umstand der Nichtleistung, wenn der Schuldner eine Leistungsgarantie übernommen hat, insbesondere also beim Werkvertrag.31 In diesen Fällen passt der Anknüpfungspunkt der culpa in contrahendo schon tatbestandlich nicht. Darüber hinaus erscheint auch in den tatbestandlich erfassten Fällen fraglich, inwieweit die Rechtsfolge der culpa in contrahendo interessengerecht ist: Aus culpa in contrahendo haftet der Schuldner lediglich auf das negative Interesse. Weshalb der Schuldner bei einer Nichtleistung infolge zu vertretender Unmöglichkeit auf das positive, bei einer Nichtleistung infolge zu vertretender Unzumutbarkeit hingegen nur auf das negative Interesse haften soll, erscheint nicht einsichtig: Die Interessenlage des Gläubigers ist in beiden Fällen dieselbe; der  29 Dies folgt zwingend aus der Einordnung als Fall der culpa in contrahendo, vgl. nur RGZ 103, 47 (51); BGH NJW 1981, 2050; BGH WM 1981, 787. 30 Henssler AcP 190 (1990), 538 (557). 31

Vgl. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 175, allgemein auch PalandtSprau63 Einf. vor § 631 Rn. 1 m.w.N.

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Grund der Nichtleistung tritt demgegenüber in den Hintergrund.32 Insoweit erschien schon vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes eine Angleichung an die schadensersatzrechtlichen Folgen der Unmöglichkeit angemessener. Trotz dieser problematischen Konsequenzen fand die geschilderte Auffassung in der Literatur verbreitet Zustimmung.33

2. Neue Rechtslage Die neue Rechtslage folgt hingegen weitgehend der Konzeption Kohtes, indem sie hinsichtlich der Schadensersatzfolge34 eine konstruktive Gleichstellung mit den in § 275 I BGB geregelten Fällen der Unmöglichkeit vornimmt. Damit orientiert sie sich auch in dieser Hinsicht an der eingangs entwickelten Grundstruktur, nach der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit zwar zunächst klar voneinander abgegrenzt, bezüglich sekundärer Rechtsfolgen jedoch gleichgestellt werden.35 Insgesamt trägt die Neuregelung dem dargestellten Gedanken Rechnung, dass Schadensersatzansprüche im Grundsatz wertneutrale Instrumente des gerechten Interessenausgleichs darstellen und auch bei rechtlich begründeter Nichtleistung angebracht sein können. Die Leistungsverweigerung in den von § 275 III BGB erfassten Fällen stellt demnach eine Pflichtverletzung36 dar, mag sie auch durch die Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechts „gerechtfertigt“ sein. Damit wird die von Kohte vorgeschlagene Lösung insoweit legislativ bestätigt. Klar abgelehnt wird der Grundsatz der Präjudizierung ebenso wie die alleinige Fundierung der Schadensersatzpflicht mit dem Gedanken der culpa in contrahendo. Die Konstellation schon anfänglich bestehender Leistungshindernisse ist jetzt allerdings ausdrücklich von der Regelung der anfänglichen Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit, § 311a BGB, erfasst. § 311a II BGB begründet hier einen eigenständigen37 Schadensersatzanspruch, der vor allem auch die Konstellation der Verlet 32

Vgl. oben § 14 II 2. Etwa ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 970 m.w.N.; vgl. in der älteren Arbeitsrechtswissenschaft auch schon die Darstellung bei Hamel, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte Bd. IV/1, S. 37 (76): Überwiegend werde eine Haftung auf das Vertrauensinteresse oder Auslagenersatz befürwortet; Hamel selbst lehnt jegliche Schadensersatzhaftung bei Gewissenskonflikten ab. 33

34

Wie auch hinsichtlich des Entgeltanspruchs, vgl. oben § 15 II 1. Vgl. oben § 14 II 1 und 2. 36 Zur Problematik des Begriffes vgl. sogleich unten § 16 II 2 a) aa) (1.). 37 Vgl. unten § 16 II 2 b). 35

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zung vorvertraglicher Informations- und Aufklärungspflichten regeln soll.38 In diesen Fällen stellt sich das generelle Problem einer Abgrenzung der Schadensersatzansprüche nach §§ 280 ff. BGB einerseits und § 311a II BGB andererseits.

a) Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 I, III, 283 BGB aa) Voraussetzungen Unter den Voraussetzungen der §§ 280 I, III, 283 BGB kann der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung verlangen. Auch insofern hat eine legislative Klarstellung stattgefunden: Unter Ablehnung der These, der Schadensersatzanspruch könne auf Grundlage der culpa in contrahendo allenfalls auf das negative Interesse gerichtet sein, wird im Grundsatz die Möglichkeit einer Haftung auf das Erfüllungsinteresse eingeräumt.39

(1) Leistungshindernis und Pflichtverletzung Voraussetzung für den Anspruch aus §§ 280 I, III, 283 BGB ist ein nachträglich entstandenes Leistungshindernis, dessen Entstehen der Schuldner zu vertreten hat. Dass das Leistungshindernis nach Vertragsschluss entstanden sein muss, ergibt sich nicht klar aus dem Gesetzeswortlaut, jedoch aus der notwendigen Abgrenzung zu § 311a II BGB, der bei gegenteiliger Annahme – als eine in Voraussetzungen und Rechtsfolge ansonsten gleichgerichtete Schadensersatznorm – faktisch leer liefe.40 Nach § 283 S. 1 BGB muss zunächst die Leistungspflicht nach § 275 I-III BGB erloschen sein. Der Schadensersatzanspruch entsteht also in den Fällen des § 275 II, III BGB erst mit Erhebung der Einrede.41 Da nach den obigen Feststellungen auch die Möglichkeit einer rückwirkenden Einredeerhebung  38

AnwK-Dauner-Lieb § 311a Rn. 14 m.w.N. Canaris JZ 2001, 499 (507). 40 De lege ferenda hätte sich daher angeboten, auf die an sich überflüssige – da in der Rechtsfolge ohnehin auf §§ 280, 283 BGB verweisende – besondere Anspruchsgrundlage für anfängliche Leistungshindernisse in § 311a II BGB zu verzichten und diese Fälle ebenfalls der allgemeinen Regelung in §§ 280 ff. BGB unterzuordnen. Die geltende Fassung verkompliziert die Rechtsanwendung unnötig. 39

41

Vgl. Mattheus, in: Schwab/Witt, Einführung in das neue Schuldrecht, S. 96; Canaris JZ 2001, 499 (508 f.).

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anzuerkennen ist, kann auch dem Schadensersatzanspruch in diesen Fällen Rückwirkung zukommen. Diese bloße Nichterfüllung einer an sich bestehenden Leistungspflicht stellt die von § 280 I BGB verlangte „Pflichtverletzung“ dar.42 Der Begriff ist dabei wertneutral und impliziert keinen ethischen Vorwurf.43 Auch die Einordnung einer Leistungsverweigerung aus höherrangigen, ideellen Gründen als „Pflichtverletzung“ bereitet daher bei diesem Vorverständnis keine grundsätzlichen Bedenken. Der Begriff ist freilich denkbar missverständlich: Nach allgemeinem Sprachgebrauch beinhaltet die Umschreibung als „Pflichtverletzung“ zum einen einen ethischen Vorwurf, zum anderen setzt der Begriff logisch zwingend den Bestand einer „Pflicht“ voraus, die verletzt werden kann. In den Fällen des § 275 BGB ist jedoch der Schuldner gerade von seiner Leistungspflicht befreit. Eine „Verletzung“ dieser Pflicht ist daher gar nicht mehr möglich. Dennoch hat der Gesetzgeber den Begriff der „Pflichtverletzung“ gewählt, um verschiedene Erscheinungsformen von Leistungsstörungen zusammenzufassen. Dafür hätte sich freilich eher der wertneutrale Begriff der „Leistungsstörung“ angeboten, der die aufgezeigten semantischen Bedenken vermieden hätte.44 Bei der Sonderfrage der bloßen Unzumutbarkeit der Nebenpflichterfüllung – erinnert sei an den plastischen Fall der kopftuchtragenden Muslima45 – schlägt die Unzumutbarkeit der Nebenpflichterfüllung auf die Erfüllung der Hauptpflicht durch, wenn eine Auftrennung des Pflichtenprogramms nach den oben dargestellten quantitativen Kriterien nicht möglich ist.46 Die Unzumutbarkeit der Nebenpflichterfüllung bewirkt damit im Grundsatz vollständige Unzumutbarkeit des vertraglichen Pflichtenprogrammes und nicht etwa nur teilweise Unzumutbarkeit hinsichtlich der betroffenen Nebenpflicht. Daher erfüllt dieser Fall in aller Regel als Nichterfüllung einer Leistungspflicht die Voraussetzungen der Pflichtverletzung.

(2) Nachträgliche und anfängliche Unzumutbarkeit – § 311a II BGB Zu Abgrenzungsproblemen führt das systematische Erfordernis, dass im Rahmen der §§ 280 I, III, 283 BGB das Leistungshindernis nach Vertrags 42 Palandt-Heinrichs63 § 280 Rn. 13; Canaris JZ 2001, 499 (512); zum Begriff der Pflichtverletzung auch Anders ZIP 2001, 184. 43

Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 133 f.; Palandt-Heinrichs63 § 280 Rn. 3, jeweils m.w.N. 44 Kritisch auch Wieser NJW 2001, 121 (124). Vgl. zur Begrifflichkeit auch Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 2 ff. 45 BVerfG NZA 2003, 959; BVerfG NJW 2003, 3111; BAG NZA 2003, 483; dazu oben § 4 II 1 b). 46 Vgl. oben § 15 II 3.

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schluss entstanden sein muss. In Fällen anfänglicher Leistungshindernisse enthält demgegenüber § 311a II BGB eine eigenständige Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche.47 Hiervon soll insbesondere auch die Verletzung vorvertraglicher Informations- und Aufklärungspflichten erfasst sein.48 Man könnte daher daran denken, auch die vielfach diskutierten Konstellationen, in denen dem Schuldner die Möglichkeit einer späteren Leistungshinderung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erkennbar war und er dies nicht offenbarte, der Regelung in § 311a II BGB zuzuordnen. Dafür spricht, dass als Anknüpfungspunkt für das von § 311a II BGB geforderte Vertretenmüssen des Schuldners nicht der Umstand der Nichtleistung, sondern vielmehr die Vorhersehbarkeit oder positive Vorhersicht des Leistungshindernisses zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gewählt wurde – eine Kategorie, die auf die Anwendbarkeit in Konstellationen der Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten hindeutet.49 Gegenüber der alten Rechtslage ist dabei die bemerkenswerte Verschärfung eingetreten, dass der Schuldner nunmehr auch für dieses vorvertragliche Verschulden nicht mehr allein auf das negative, sondern auf das positive Interesse („Schadensersatz statt der Leistung“, § 311a II 1 BGB) haften soll.50 Die eigenständige Regelung in § 311a II BGB ist damit angesichts dieser zu §§ 280 I, III, 283 BGB parallelen Rechtsfolge an sich obsolet und dient lediglich der Klarstellung.51 Die separate Regelung macht jedoch eine Abgrenzung beider Anspruchsgrundlagen erforderlich: Man könnte daran denken, an den Zeitpunkt der  47 BT-Drucks. 14/6040 S. 165; AnwK-Dauner-Lieb § 311a Rn. 12; Mattheus, in: Schwab/Witt, Einführung in das neue Schuldrecht, S. 89; Canaris JZ 2001, 499 (507); Gsell Jb.J.ZivRWiss. 2001, 105 (107 f.) 48 AnwK-Dauner-Lieb § 311a Rn. 12 m.w.N. 49 AnwK-Dauner-Lieb § 311a Rn. 13. 50 Gestützt wird diese Neuerung durch den Verweis darauf, dass der Schuldner in diesen Fällen nicht für die Nichterfüllung der Leistungspflicht hafte, von der er ja nach § 275 BGB befreit ist, sondern für die Nichterfüllung des wirksamen (§ 311a I BGB) Leistungsversprechens. Die Differenzierung zwischen Leistungspflicht und Leistungsversprechen wirkt gekünstelt. Die Haftung auf das positive Interesse ist freilich Konsequenz der Anerkennung der Wirksamkeit des Vertrages: Wenn der Schuldner – trotz Freistellung von der Leistungspflicht nach § 275 BGB – in Fällen nachträglicher Leistungshindernisse auf das positive Interesse haftet (§§ 280 I, III, 283 BGB), dann ist nicht ersichtlich, weshalb der Schuldner bei einem zu vertretenden anfänglichen Leistungshindernis demgegenüber privilegiert werden soll, wenn die Wirksamkeit des Vertrages anerkannt wird. Vgl. zum ganzen BT-Drucks. 14/6040 S. 165; AnwK-Dauner-Lieb § 311a Rn. 14; kritisch v.a. Altmeppen DB 2001, 1399 (1400 ff.); ders. DB 2001, 1821 (1823). 51 Dies folgt daraus, dass auch in Fällen anfänglicher Leistungshinderung eine Freistellung von der primären Leistungspflicht nach § 275 I-III BGB erfolgt. Somit wäre, wenn § 311a II BGB nicht existierte, die Regelung der §§ 280 I, III, 283 BGB auch in diesen Fällen für den Schadensersatzanspruch einschlägig; auch hierüber erhielte somit der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung, § 283 BGB.

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Pflichtverletzung anzuknüpfen und die Verletzung vorvertraglicher (Informations-)Pflichten § 311a II BGB zuzuordnen. Die Regierungsbegründung legt dies nahe.52 Dann wären die skizzierten Fälle, in denen der Schuldner das Leistungshindernis beim Vertragsschluss hätte vorhersehen können, von § 311a II BGB erfasst, spätere Fehlentwicklungen würden hingegen in den §§ 280 I, III, 283 BGB geregelt. Nicht übersehen werden darf jedoch, dass in diesen Fällen das Leistungshindernis zwar in der Vertragsbeziehung angelegt ist, sich jedoch nicht notwendig sofort aktualisiert: Der Arbeitnehmer, der die Möglichkeit eines Gewissenskonfliktes beim Vertragsschluss vorhersehen konnte, kann durchaus mehrere Jahre arbeiten, ehe ihm erstmals eine Arbeit zugewiesen wird, bei der ein akuter Gewissenskonflikt entsteht. Für ein anfängliches Leistungshindernis i.S.d. § 311a BGB kann es daher nicht schon ausreichen, dass die Möglichkeit eines Leistungshindernisses bei Vertragsschluss absehbar war. Vielmehr muss der Schuldner hierfür von Anfang an „akut“ an der Leistung gehindert sein, also schon bei Beginn der Vertragsdurchführung die Leistung verweigern. Dabei handelt es sich freilich um äußerst seltene Fälle: Fast immer dürfte in diesen Konstellationen eine positive Kenntnis des Schuldners von dem Leistungshindernis und damit schon ein Ausschluss der „Unzumutbarkeit“ eingreifen. In diesen Fällen verzichtet der Schuldner regelmäßig auf seine höherrangige Rechtsposition; es kommt somit zu gar keiner Rechtsgüterkollision. Die Leistungspflicht besteht fort, da die Leistungsverweigerungsrechte der §§ 275 III, 242 BGB mangels Unzumutbarkeit nicht einschlägig sind.53 Verweigert der Schuldner in diesen Fällen gleichwohl die Leistung, treten folglich nicht die Rechtsfolgen der nach § 275 I-III BGB gerechtfertigten Nichtleistung, sondern der grundlosen Nichtleistung ein.54 Voraussetzung dafür ist freilich die Disponibilität der konfligierenden Rechtsposition, so dass vor allem bei kollidierenden Pflichten – etwa der Elternpflicht – eine „Unzumutbarkeit“ der Leistungserbringung trotz positiver Kenntnis des Schuldners von dem Leistungshindernis vorstellbar ist.55 Gleiches gilt für Fälle, in denen die Menschenwürde des Schuldners durch die fortbestehende Leistungspflicht beeinträchtigt würde.56 In diesen Konstellationen wird der Schuldner auch anfänglich von seiner Leistungspflicht gemäß § 275 III BGB frei, so dass hier § 311a II BGB eine taugli 52

Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 165. Vgl. ausführlich oben § 9 III 5. 54 Vgl. Stoffels, Vertragsbruch, S. 103 m.w.N. 55 Vgl. oben § 5 I 3 d) dd) (2.) (c) und § 9 III 5 b). 56 Vgl. oben § 6 II 3 b) bb) (2.). 53

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che Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche des Gläubigers darstellen mag. Darüber hinaus sind – seltene – Fälle vorstellbar, in denen ein akutes Leistungshindernis schon bei der Tätigkeitsaufnahme besteht, ohne dass dies dem Schuldner beim Vertragsschluss positiv bewusst war. Hätte er in diesem Fall die Gefahr der Leistungshinderung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erkennen können, ergibt sich auch hier ein schmaler Anwendungsbereich für § 311a II BGB. In allen anderen Fällen, in denen der spätere Eintritt eines Leistungshindernisses schon beim Vertragsschluss vorhersehbar war, das Leistungshindernis sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt als der Tätigkeitsaufnahme aktualisiert, handelt es sich um nachträgliche Leistungshindernisse. Für den Schadensersatzanspruch des Gläubigers ist dann die Regelung der §§ 280 I, III, 283 BGB einschlägig.

bb) Insbesondere: Vertretenmüssen der Pflichtverletzung Ein zentrales Tatbestandmerkmal des § 280 I BGB ist das in S. 2 geregelte Erfordernis des schuldnerseitigen Vertretenmüssens der Pflichtverletzung.

(1) Bezugspunkt des Vertretenmüssens Das Vertretenmüssen nach § 280 I 2 BGB wird dabei zutreffend umschrieben als die vorsätzliche oder fahrlässige Schaffung des Leistungshindernisses.57 Bezugspunkt des Vertretensmüssens ist also keinesfalls die Nichtleistung als solche, sondern deren Ursache: Dies ergibt sich daraus, dass in Fällen der Unzumutbarkeit (§§ 275 II, III, 242 BGB) die Leistungsverweigerung als solche stets „vorsätzlich“ geschieht: Der Schuldner verweigert bewusst die Leistung und setzt damit die Letztursache der Leistungsbefreiung. Hierauf für Schadensersatzansprüche Bezug zu nehmen, erschiene unangebracht, da dann faktisch eine Garantiehaftung in allen Fällen der Unzumutbarkeit Anerkennung fände. Anders gesagt kann die Ausübung eines gesetzlich vorgesehenen Leistungsverweigerungsrechts nicht als schuldhaftes Verhalten bewertet werden. Bezugspunkt des Vertretenmüssens ist somit stets die „vorgelagerte“ Ursache der Leistungsverweigerung, also das Entstehen des Leistungshindernisses. Der Gesetzeswortlaut, nach dem der Schuldner „die Pflichtverletzung“ zu vertreten  57

Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 344.

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haben muss, ist vor diesem Hintergrund missraten: „Pflichtverletzung“ ist nämlich nach der gesetzlichen Konzeption schon der bloße Umstand der – auch berechtigten – Nichtleistung.58 Der Bezugspunkt des Vertretenmüssens liegt hingegen in der Ursache der „Pflichtverletzung“, nicht aber in der Nichtleistung als solcher.59 Nimmt man also die Herbeiführung des Leistungshindernisses als Bezugspunkt des Vertretenmüssens in den Blick, so bleibt grundlegend festzuhalten: Man kann es dem Schuldner weder als Vorsatz noch als Fahrlässigkeit vorwerfen, dass er ein Gewissen hat, dass er ausländischer Staatsbürger ist und deshalb zum ausländischen Wehrdienst eingezogen wird, oder dass er Vater oder Mutter eines Kindes ist und für dieses sorgen muss.60 Daher ist grundsätzlich in Fällen berechtigter Leistungsverweigerung nach §§ 275 III, 242 BGB der Schadensersatzanspruch mangels Vertretenmüssens ausgeschlossen, § 280 I 2 BGB.61 Nur in Ausnahmefällen kann dem Schuldner ein dahingehender Vorwurf gemacht werden: Insbesondere wenn der Schuldner die Möglichkeit der Leistungshinderung beim Vertragsschluss hätte vorhersehen können, er dies dem Gläubiger in Vertragsverhandlungen jedoch nicht offenbarte, liegt hierin eine fahrlässige Schaffung der Konfliktlage: Da er trotz Vorhersehbarkeit die konfligierende Vertragspflicht auf sich nahm, hat er in vorwerfbarer Weise den späteren Konflikt herbeigeführt. Ähnliches gilt, wenn der Schuldner bestehende Möglichkeiten, den Konflikt abzuwenden, vorsätzlich oder fahrlässig vereitelt hat. Hat der Schuldner etwa eine akzeptable Pflegekraft für sein zu betreuendes Kind gefunden, diese jedoch abgelehnt, und findet er nun in der akuten Situation der Pflichtenkollision keine andere geeignete Pflegekraft, so ist ihm auch dieses Verhalten als – fahrlässige oder vorsätzliche – Schaffung des Leistungshindernisses vorwerfbar.

(2) Der Maßstab des Vertretenmüssens, §§ 276 ff. BGB Der konkrete Maßstab des Vertretenmüssens bestimmt sich nach dem jeweiligen Inhalt der vertraglichen Vereinbarung. Sofern der konkrete Vertragsinhalt  58

Vgl. oben § 16 II 2 a) aa) (1.). Auf die grundsätzliche Problematik des Begriffs der „Pflichtverletzung“ wurde schon hingewiesen, vgl. oben § 16 II 2 a) aa) (1.). De lege ferenda hätte sich daher angeboten, § 280 I 2 BGB wie folgt zu fassen: „Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Ursache der Leistungsstörung nicht zu vertreten hat.“ 59

60 61

Vgl. zu den Fallgruppen oben § 5 I und § 6. So schon zur alten Rechtslage zutreffend Kohte NZA 1989, 161 (168).

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

nichts anderes ergibt, ist § 276 BGB heranzuziehen: Demnach hat der Schuldner jegliches fahrlässige und vorsätzliche Verhalten zu vertreten. Dass § 280 BGB grundsätzlich auf diesen Maßstab Bezug nimmt, ergibt sich schon aus dem allgemein gehaltenen Verweis des § 280 I 2 BGB auf die Regelungen der § 276 ff. BGB. Insbesondere ist eine generelle Beschränkung des Vertretenmüssens bei der Leistungsverweigerung aus ideellen Gründen auf den Maßstab der „Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten“, § 277 BGB, nicht ersichtlich. Die entsprechende Auffassung vertrat im alten Schuldrecht vor allem v.Stebut: Demnach sollte im Hinblick auf Schadensersatzansprüche infolge der Leistungsverweigerung in Arbeitsverhältnissen stets der mildere Verschuldensmaßstab des „gröblichen Verschuldens gegen sich selbst“ Anwendung finden.62 Für diese Auffassung finden sich im geltenden Recht keine Anhaltspunkte; eine derartige Abweichung von der grundsätzlichen Gleichstellung von Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit hinsichtlich sekundärer Rechtsfolgen hätte in jedem Fall einer ausdrücklichen Regelung bedurft. Bislang weitgehend unstreitig war freilich im Bereich des Arbeitsrechts, dass auf die schuldhafte Herbeiführung einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit durch den Arbeitnehmer dieser milderere Maßstab des „gröblichen Verschuldens gegen sich selbst“ Anwendung finden soll. Dies gilt jedenfalls im Bereich des Entgeltfortzahlungsrechts. Um hier den Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 3 I 1 EFZG wegen Verschuldens auszuschließen, muss der Arbeitnehmer gröblich gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen gehandelt und dadurch die Arbeitsunfähigkeit herbeigeführt haben.63 Gemeint ist damit ein grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten.64 Die Formel nähert sich damit deutlich dem Maßstab des § 277 BGB. Zu überlegen ist, ob dieser Maßstab konsequenterweise nicht auch in schadensersatzrechtlicher Hinsicht auf die schuldhafte Herbeiführung einer krankheitsbedingten Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung anzuwenden ist. Es würde einen merkwürdigen Widerspruch darstellen, wollte man dem Arbeitnehmer zwar – mangels Verschuldens – seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung erhalten, ihn andererseits aber – aufgrund Verschuldens – mit Schadensersatzansprüchen des Arbeitgebers belasten. Daher ist für die Fälle der krankheitsbedingten Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung auch auf Schadensersatzansprüche der mildere Verschuldensmaßstab des „gröblichen Verschuldens gegen sich selbst“ anwendbar. Der Arbeitnehmer haftet in  62

v.Stebut SAE 1993, 150 (152 f.). Vgl. statt aller BAG AP § 1 LohnFG Nr. 71; BAG AP § 1 LohnFG Nr. 77; ErfKDörner4 § 3 EFZG Rn. 46; abweichend Künzl BB 1989, 62 (66). 63

64 Zu Einzelfällen vgl. BAG AP § 1 LohnFG Nr. 8, 39, 42, 94; BAG AP § 1 LohnFG Nr. 52 mit Anm. Baumgärtel; BAG AP § 1 LohnFG Nr. 45; BAG AP § 1 LohnFG Nr. 18 mit Anm. Monjau.

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diesen Fällen nur für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz. Systematisch dürfte hierin eine vertragstypspezifische Modifikation der Risikozuweisung liegen, die im Arbeitsverhältnis aus sozialethischen Gründen den Arbeitnehmer in weiterem Umfang von Haftungsrisiken freistellt, als dies in anderen Vertragsverhältnissen der Fall ist.65 Eine vertragstypische Verschärfung des Haftungsrisikos findet sich hingegen generell im Werkvertrag: Hier übernimmt der Werkunternehmer regelmäßig eine Leistungsgarantie i.S.v. § 276 I 1 letzter Halbs. BGB.66 Daher haftet er hier auch für die Nichtleistung infolge nicht zu vertretender Leistungshindernisse. Eine derartige Leistungsgarantie kann durchaus auch bei anderen persönlichen Leistungspflichten vereinbart werden, unterliegt dann jedoch bei vorformulierten Vertragsbedingungen einer strengen Inhaltskontrolle.67 Zusammenfassend kann damit festgehalten werden, dass grundsätzlich als Maßstab des „Vertretenmüssens“ i.S.v. § 280 I 2 BGB die Regelung in § 276 I 1 1. Halbs. BGB Anwendung findet, der Schuldner also jede vorsätzliche oder fahrlässige Schaffung des Leistungshindernisses zu vertreten hat. Ein milderer oder schärferer Maßstab kann sich jedoch aus einer vertragstypspezifischen Modifikation der Risikozuweisung oder einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung ergeben. Die richterrechtlich entwickelte Haftungsmilderung bei Arbeitnehmerhaftung bleibt auch nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes im Grundsatz anwendbar.68 Sie ist jedoch nach zutreffender Ansicht für Konstellationen der Haftung wegen Nichtleistung nicht einschlägig;69 ihr primärer Anwendungsbereich liegt im Bereich der Integritätsverletzungen.70 In Fällen ideeller Unzumutbarkeit bleibt es damit bei den hier entwickelten Grundsätzen.

 65 Vgl. zum Aspekt der Risikoverteilung schon oben § 9 III 1 und § 5 I 2 c). Vgl. auch Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, insbes. S. 23 ff. 66 Vgl. Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 175; allgemein PalandtSprau63 Einf. vor § 631 Rn. 1 m.w.N. 67 Nicht jedoch bei Individualvereinbarungen; vgl. insbes. für Arbeitsverträge Preis, Arbeitsvertrag, S. 107; Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 244; dagegen v. a. Hromadka NJW 2002, 2523 (2525). Bei Individualvereinbarungen findet nach richtiger Ansicht allein eine Rechts-, keine darüber hinausgehende Billigkeitskontrolle statt. 68

Richardi NZA 2002, 1004 (1010); vgl. auch Henssler RdA 2002, 129 (133). Richardi NZA 2002, 1004 (1010). 70 Ebenso Richardi NZA 2002, 1004 (1010). 69

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cc) Rechtsfolge: Schadensersatz statt der Leistung Die Rechtsfolge des Schadensersatzanspruchs nach §§ 280 I, III, 283 BGB besteht im Schadensersatz statt der Leistung, § 283 BGB. Der Schuldner haftet dem Gläubiger also bei Nichterfüllung seiner Leistungspflicht auf das positive Erfüllungsinteresse.71 Gegenüber der vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes verbreiteten Ansicht, der Schuldner hafte bei der Leistungsverweigerung wegen ideeller Unzumutbarkeit ausschließlich nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo und damit auf das negative Interesse,72 ist also durch die legislative Klarstellung eine deutliche Verschärfung der Haftungssituation eingetreten.73 Bedenkt man, dass die Problematik vor allem im Bereich des Arbeitsrechts relevant wird, erscheint dieser Umstand schwer vereinbar mit dem plakativen Programmsatz, durch die Neuregelung des Schuldrechts nicht in arbeitsrechtliche Besitzstände eingreifen zu wollen.74 Die Regelung der schadensersatzrechtlichen Folgen der Leistungsverweigerung erscheint jedoch so klar, dass hier Korrekturen, die sich an dem dargestellten legislativen Programmsatz orientieren, nicht möglich sind. Hinzuweisen bleibt darauf, dass die in §§ 283 S. 2, 281 I 2 BGB angesprochene Teilleistungsproblematik bei der Leistungsverweigerung wegen ideeller Unzumutbarkeit kaum relevant werden dürfte. Gemeint sind damit nach den obigen Feststellungen die Fälle einer rein quantitativ zu ermittelnden Teilleistung.75 Typisch sind Fälle, in denen der Schuldner von mehreren gleichartigen geschuldeten Gegenständen nur einige liefert. Der Fall einer derartigen quantitativ zu ermittelnden ideellen „Teilunzumutbarkeit“ ist kaum vorstellbar.76 Die ideelle Unzumutbarkeit eines Ausschnitts des vertraglichen Pflichtenprogramms – wie im Fall der kopftuchtragenden Verkäuferin – führt hingegen nach den obigen Feststellungen zur vollständigen Unzumutbarkeit der geschuldeten Leistung;77 der Gläubiger kann in diesen Fällen also Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangen, wenn der Schuldner die Schaffung des Leistungshindernisses zu vertreten hat.

 71

Palandt-Heinrichs63 § 281 Rn. 17; allgemein dazu auch BGH NJW 1998, 2901.

72

Henssler AcP 190 (1990), 538 (554); vgl. auch schon die Darstellung bei Hamel, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte Bd. IV/1, S. 37 (76): Überwiegende Befürwortung einer Haftung auf Vertrauensinteresse oder Auslagenersatz. 73

Vgl. näher Schlechtriem, Schuldrecht AT, Rn. 289. BT-Drucks. 14/6857 S. 48. 75 Ebenso Palandt-Heinrichs63 § 281 Rn. 36. 76 Vgl. oben § 15 II 3 a) bb). 77 Vgl. oben § 15 II 3 b). 74

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b) Schadensersatz statt der Leistung aus § 311a II BGB Nach der obigen Darstellung gewähren die §§ 280 I, III, 283 BGB dem Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung bei nachträglich entstandenen Leistungshindernissen, mögen diese auch beim Vertragsschluss schon absehbar und latent im Vertragsprogramm angelegt gewesen sein. § 311a II BGB spricht dem Gläubiger hingegen einen eigenständigen78 Schadensersatzanspruch statt der Leistung in Fällen zu, in welchen das Leistungshindernis schon zu Beginn der Vertragsdurchführung akut wurde. Die Trennlinie zwischen anfänglichen und nachträglichen Leistungshindernissen wurde hier schon dargestellt.79 § 311a II BGB gewährt somit einen Schadensersatzanspruch insbesondere bei anfänglichen Leistungshindernissen, die wegen einer Verletzung des vorvertraglichen Pflichtenprogramms durch den Schuldner entstanden sind.80 Bezugspunkt des von § 311a II BGB verlangten Vertretenmüssens ist dabei – anders als bei dem Schadensersatzanspruch nach §§ 280 I, III, 283 BGB – nicht generell die Verursachung des Leistungshindernisses, sondern ausschließlich der spezielle Fall des Vertragsschlusses in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis des anfänglichen Leistungshindernisses.81 Diese Beschränkung erscheint sinnvoll, da angesichts des „anfänglichen“ Charakters des Leistungshindernisses hier ein späterer Zeitpunkt für die schuldhafte Herbeiführung des Konfliktes gar nicht in Betracht kommt. Praktisch bedeutsam werden dabei – wie schon gezeigt – überwiegend Fälle fahrlässiger Unkenntnis des Schuldners.82 Fälle eines Vertragsschlusses in positiver Kenntnis des Leistungshindernisses sind hingegen regelmäßig schon gar keine Fälle der Unzumutbarkeit. Hier wird auf verfassungsrechtlicher Ebene der Aspekt des Grundrechtsverzichtes bedeutsam, auf einfachrechtlicher Ebene ist der Aspekt widersprüchlichen Verhaltens zu berücksichtigen.83 In der Regel besteht daher in diesen Konstellationen die Leistungspflicht fort. Verweigert der Schuldner dennoch die Leistung, ergibt sich somit eine rechtlich unbegründete Leistungsverweigerung, die Verzugsfolgen nach sich zieht. In diesen Fällen ist auch eine Verurteilung zur Leistung möglich, mag die Voll-

 78 AnwK-Dauner-Lieb § 311a Rn. 12; Mattheus, in: Schwab/Witt, Einführung in das neue Schuldrecht, S. 89; Canaris ZRP 2001, 329 (332); Gsell Jb.J.ZivRWiss. 2001, 105 (107 f.). 79

Vgl. ausführlich oben § 16 II 2 a) aa) (2.). Palandt-Heinrichs63 § 311a Rn. 6 81 Zu diesem Tatbestandsmerkmal auch Palandt-Heinrichs63 § 311a Rn. 9. 82 Vgl. auch AnwK-Dauner-Lieb § 311a Rn. 13. 83 Vgl. ausführlich oben § 9 III 5. 80

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

streckbarkeit auch ausgeschlossen sein, § 888 III ZPO.84 Anderes ergibt sich nur, wenn die mit der Leistungserbringung konfligierende Rechtsposition einer Disposition durch den Schuldner nicht zugänglich war, etwa in Fällen der Wahrnehmung elterlicher Sorge oder bei Betroffenheit der Menschenwürde.85 Hier steht die positive Kenntnis des Schuldners einer Leistungsbefreiung nach § 275 III BGB nicht entgegen. Tritt in solchen Konstellationen die Leistungshinderung schon zu Beginn der Vertragsdurchführung ein, liegt ein Fall des § 311a II BGB vor. Insgesamt dürfte die Bedeutung der Norm in Fällen ideeller Unzumutbarkeit gering bleiben.

c) Schadensersatzanspruch wegen Nebenpflichtverletzung gemäß § 280 I BGB Größere praktische Bedeutung dürfte demgegenüber die Schadensersatzpflicht wegen Nebenpflichtverletzungen erlangen. Auch bei berechtigter Leistungsverweigerung kann der Schuldner Nebenpflichten verletzen, etwa wenn er die Leistungshinderung verspätet anzeigt und damit den Gläubiger schädigt. Unter den schon dargestellten Voraussetzungen des § 280 I BGB kann der Gläubiger in diesen Fällen Ersatz des durch die Nebenpflichtverletzung kausal entstandenen Schadens verlangen.

III. Schadensersatzanspruch des Schuldners gegen den Gläubiger gemäß § 280 I BGB Die bisherigen Ausführungen befassten sich mit Schadensersatzansprüchen des Gläubigers gegen den Schuldner. Allerdings ist schon angeklungen, dass auch umgekehrt dem Schuldner, der die Leistung aus ideellen Gründen verweigert, Schadensersatzansprüche gegen den Gläubiger zustehen können. Dies ist vor allem in Arbeitsverhältnissen der Fall, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer angesichts der Leistungsverweigerung eine Alternativtätigkeit hätte zuweisen können, die zwar nicht vom ursprünglichen Vertragsprogramm umfasst war, jedoch im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten gele 84 Vgl. Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (46 f.); Henssler AcP 190 (1990), 538 (560 f.) sowie ausführlich oben § 3 II 1 d) dd). Allgemein auch Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1076 ff.; Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, § 27 II 1; Wolf JZ 1963, 434. 85

Vgl. Stern, Staatsrecht III/2, § 86 II 4 ff.; zur Menschenwürde ausführlich oben § 6 II 3 b) bb) (2.).

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gen hätte und dem Arbeitgeber zumutbar gewesen wäre.86 In diesen Fällen kommt der Arbeitgeber zwar nicht in Annahmeverzug, da § 297 BGB, für den immer das aktuelle vertragliche Pflichtenprogramm maßgeblich ist,87 den Annahmeverzug ausschließt. Jedoch kann dem Arbeitnehmer ein Schadensersatzanspruch aus § 280 I BGB wegen Verletzung der Fürsorgepflichten des Arbeitgebers zustehen, wenn dieser schuldhaft eine unter betrieblichen Aspekten mögliche und zumutbare Alternativbeschäftigung abgelehnt hat.88 Die Pflicht, dem Arbeitnehmer eine Alternativtätigkeit zuzuweisen, folgt aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.89 Zugleich kann hierfür der aus dem Kündigungsrecht bekannte ultimaratio-Gedanke angeführt werden.90 Ehe eine dauerhafte Unzumutbarkeit der Leistung eintritt – und damit auch die Möglichkeit einer arbeitgeberseitigen personenbedingten Beendigungskündigung besteht91 – muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Möglichkeiten einer sinnvollen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aufzeigen und anbieten. Maßstab dafür sind die betrieblichen Möglichkeiten und der Gedanke der Zumutbarkeit: Unzumutbar ist es dem Arbeitgeber insbesondere, den Arbeitnehmer zur Abwendung des Leistungshindernisses zu befördern oder ihn zu gleichen Bedingungen auf einem geringerwertigen Arbeitsplatz zu beschäftigen. Beides würde in unzumutbarer Weise in die wirtschaftliche Sphäre des Arbeitgebers eingreifen. Andererseits muss er ihm auch die Beschäftigung zu geänderten Bedingungen auf einem geringerwertigen Arbeitsplatz anbieten.92 Insgesamt kann hier auf die Dogmatik des ultima-ratioGedankens im Kündigungsschutzrecht verwiesen werden, mit dem eine Harmonisierung angestrebt werden muss.93 Verweigert in diesen Fällen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer schuldhaft eine betrieblich mögliche und dem Arbeitgeber zumutbare Alternativtätigkeit, so macht sich der Arbeitgeber einer Pflichtverletzung i.S.d. § 280 I BGB schuldig. Der Schadensersatzanspruch ist dann der Höhe nach auf das Entgelt des alternativen Arbeitsplatzes gerichtet.94  86

Vgl. oben § 15 II 4 b) bb). Vgl. ausführlich oben § 15 II 4 b) bb) . 88 Vgl. nur ErfK-Preis4 § 615 BGB Rn. 44; MünchArbR-Boewer § 78 Rn. 26; Kraft Anm. zu BAG EzA BGB § 615 Nr. 53; Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 89 BAG AP § 297 BGB Nr. 2. 90 ErfK-Preis4 § 615 BGB Rn. 44. 91 Vgl. unten § 17 II 2 c). 92 Vgl. BAG AP § 297 BGB Nr. 2; anders allerdings BAG § 611 BGB Fürsorgepflicht Nr. 27; vgl. näher MünchArbR-Boewer § 78 Rn. 26. 87

93

ErfK-Preis4 § 615 BGB Rn. 44. 94 Ebenso MünchArbR-Boewer § 78 Rn. 26.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

Auch andere Pflichtverletzungen des Leistungsgläubigers sind vorstellbar: So kann auch der Leistungsgläubiger es im Rahmen von Vertragsverhandlungen unterlassen haben, den Schuldner auf ein drohendes, zu diesem Zeitpunkt nur für den Gläubiger erkennbares Leistungshindernis hinzuweisen. Aufgrund der subjektiven Struktur der meisten hier erörterten Leistungshindernisse dürfte dies freilich eher ein Sonderfall sein: Zumeist ist das Leistungshindernis weit eher für den Schuldner erkennbar als für den Gläubiger. Entsteht in diesem Fall dem Schuldner ein Schaden, etwa weil er durch die eingegangene Verpflichtung andere Vertragsabschlüsse abgelehnt hat, so kann dem Schuldner ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 311 II, 241 II, 280 I BGB zustehen. Der Schaden wird in diesen Fällen freilich regelmäßig schon dadurch gemindert, dass dann ein vom Gläubiger zu vertretendes Leistungshindernis vorliegt, der Schuldner also seinen Entgeltanspruch gemäß § 326 II 1 BGB behält.95

IV. Ersatz vergeblicher Aufwendungen – § 284 BGB Anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung kann der Gläubiger in den geschilderten Fällen gemäß § 284 BGB Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.96 Ihm steht insoweit ein Wahlrecht zu. Bedeutung erlangt die Vorschrift insbesondere, wenn der Vertrag nicht auf Gewinnerzielung abzielt – da dann ohnehin die Rentabilitätsvermutung eingreift97 –, sondern einen ideellen oder konsumptiven Zweck verfolgt.98 Die Vorschrift beseitigt damit eine Lücke des bisher geltenden Rechts.

V. Resümee Hinsichtlich der schadensersatzrechtlichen Folgen der Leistungsverweigerung wegen ideeller Unzumutbarkeit hat der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes eine klare, praktisch handhabbare Regelung geschaffen. Die grundsätzliche Gleichstellung mit Konstellationen der Unmöglichkeit hinsichtlich sekundärer Rechtsfolgen überzeugt an dieser Stelle. Die wohlfeile  95

Dazu oben § 15 II 2 c). Vgl. insgesamt Canaris JZ 2001, 499 (516 f.). 97 BGHZ 99, 182 (195 ff.); ob auch diese Fälle jetzt unter § 284 BGB fallen, erscheint zweifelhaft, wird jedoch angesichts des weiten Wortlauts der Norm und im Interesse einer einfachen Handhabung geboten sein; vgl. – anscheinend befürwortend – Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 59 sowie – ablehnend – Palandt-Heinrichs63 § 284 Rn. 4. 98 Palandt-Heinrichs63 § 284 Rn. 4. 96

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Maxime des Gesetzgebers, durch die Gesetzesnovelle in arbeitsrechtliche Besitzstände nicht eingreifen zu wollen, wurde hier freilich kaum umgesetzt, folgt die Regelung doch zumindest der restriktivsten der bislang vertretenen Auffassungen: Der Schuldner haftet bei zu vertretender Schaffung des Leistungshindernisses – insbesondere also in Fällen der Vorhersehbarkeit des Konflikts beim Vertragsschluss – nunmehr auf das positive Interesse. Die verbreitete Ansicht, in diesen Fällen komme allein eine Haftung auf das negative Interesse in Betracht, ist nach der neuen Rechtslage obsolet. Insgesamt ist damit zwar eine Klärung bislang streitiger Fragen erreicht; die Rechtsposition des persönlich leistungspflichtigen Schuldners dürfte sich durch die Neuregelung allerdings in schadensersatzrechtlicher Hinsicht verschlechtert haben.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

§ 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung Durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat auch eine weitere Folgefrage der Leistungsverweigerung bei ideeller Unzumutbarkeit eine ansatzweise Klärung erfahren: Hinsichtlich der Vertragsbeendigung infolge einer Leistungsverweigerung statuiert § 326 V BGB, dass im Grundsatz eine Vertragsbeendigung durch Rücktritt möglich sein soll. Die Vorschrift passt dabei freilich in dieser Form nur für den Fall eines punktuellen Leistungsaustausches und ist daher unzureichend an die Besonderheiten der Leistungsverweigerung wegen ideeller Unzumutbarkeit angepasst. Diese bezieht sich vor allem auf Dauerschuldverhältnisse. Hier kommt ein Rücktritt allenfalls dann in Betracht, wenn das Dauerschuldverhältnis noch nicht in Vollzug gesetzt wurde.1 Im Regelfall eines schon in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnisses greift als im Grundsatz besonderes Beendigungsinstitut die – ordentliche oder außerordentliche – Kündigung ein.2 Es zeigt sich auch an dieser Stelle, dass die im Ansatz begrüßenswerte Gleichstellung mit den Regelungen der Unmöglichkeit hinsichtlich sekundärer Rechtsfolgen an Grenzen stößt. Regelfall der Leistungsverweigerung bei ideeller Unzumutbarkeit ist – zumal in den von § 275 III BGB erfassten Fällen – ein dauerhafter Leistungsaustausch. Die simple Gleichstellung mit den Rechtsfolgen der Unmöglichkeit kann daher hinsichtlich der Vertragsbeendigung allenfalls einem Bruchteil von Anwendungsfällen gerecht werden. Beispiele, in denen bei ideeller Unzumutbarkeit eine Anwendung von § 326 V BGB überhaupt möglich erscheint, liegen in den hier seltenen Fällen eines punktuellen Leistungsaustausches. Dies erscheint eigentlich nur bei Gewissenskonflikten und anderen in besonderem Maße menschenwürdefundierten Fallgruppen3 denkbar, die nicht notwendig durch die typische Kollisionssituation bei persönlichen Leistungspflichten charakterisiert sind.4 Ein weiteres – praktisch seltenes – Beispiel dürfte der Fall darstellen, dass die Leistungsverweigerung schon zu Beginn des Erfüllungsstadiums erfolgt, also noch kein Leistungsaustausch stattgefunden hat. Dann kann der Gläubiger nach § 326 V BGB von Vertrag zurücktreten und damit auf die Leistungsverweigerung des Schuldners reagieren. Ungeregelt bleiben hingegen auch nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes die weit relevanteren Fälle einer Leistungsverweigerung  1 Vgl. MünchKomm-Janßen Vor § 346 Rn. 25; MünchKomm-Emmerich Vor § 275 Rn. 342, jeweils m.w.N. 2

Zur Abgrenzung Preis, Individualarbeitsrecht, S. 633 ff. Vgl. oben § 8 I 1. 4 Vgl. oben § 3 II 2 d) sowie Diederichsen, Festschrift Michaelis (1972), S. 36 (39). 3

§ 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung

473

im in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnis. Hier statuiert lediglich § 313 III 2 BGB für die Vertragbeendigung beim Wegfall der Geschäftsgrundlage, dass bei Dauerschuldverhältnissen an die Stelle des Rücktritts die Kündigung tritt.5 Dies ist zum einen unpräzise, da zwischen in Vollzug gesetzten und nicht in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnissen nicht differenziert wird. Zum anderen erscheint unverständlich, dass diese Modifikation der Vertragsbeendigung nicht allgemein, sondern lediglich für den Sonderfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage geregelt wurde. Der durchaus bestehende Regelungsbedarf wurde für die Leistungsverweigerung bei in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnissen und besonders bei Arbeitsverhältnissen in keiner Weise erfüllt. Dieser Umstand mag darin begründet liegen, dass die rudimentäre Vorschrift des § 326 V BGB erst in der Schlussphase des Gesetzgebungsverfahrens und vor allem mit Blick auf andere Rechtsprobleme aufgenommen wurde.6 Insgesamt lässt sich daher für die hier zu erörternde Problematik § 326 V BGB allenfalls die unsichere Aussage entnehmen, dass eine Vertragsbeendigung infolge der Leistungsverweigerung nicht schon im Ansatz ausgeschlossen sein soll – eine Position, die dem bisher überwiegenden, wenn auch nicht unbestrittenen Minimalkonsens in Rechtsprechung und Literatur entspricht.7 Welche Vorschriften für diese Vertragsbeendigung einschlägig sein sollen, bleibt unklar; es ist also auch weiterhin eine Lösung aus systematischer Sicht zu suchen.

I. Vertragsbeendigung im in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnis Im in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnis stellt der Rücktritt kein angemessenes Mittel der Vertragsbeendigung dar. Richtig wird darauf verwiesen, dass die Rückabwicklung eines vielleicht mehrjährigen Leistungsaustausches völlig unpraktikabel wäre.8 Daher erlangt hier die nur in die Zukunft wirkende Kündigung als besonderer Beendigungstatbestand Bedeutung. Problematisch erscheint dabei vor allem, welche Spielart der Kündigung an die Stelle des Rücktritts tritt. Zum Teil wird vertreten, dass in den Fällen des § 326 V BGB stets die außerordentliche, fristlose Kündigung an Stelle des Rücktrittsrechts  5

Vgl. Köhler/Fritzsche, Fälle zum neuen Schuldrecht, S. 38. Geregelt werden sollten primär Fälle irreparabler Schlechtleistungen, daneben Konstellationen der Teilunmöglichkeit und Beweisprobleme; vgl. AnwK-Dauner-Lieb § 326 Rn. 15 ff. Der Regelungsbedarf hinsichtlich der Vertragsbeendigung bei Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit in Dauerschuldverhältnissen wurde hingegen anscheinend kaum wahrgenommen. 6

7 8

Vgl. näher unten § 17 II 1. Vgl. statt aller BGHZ 50, 312 (315).

474

4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

zum Zuge komme.9 Andere sehen die Funktion des § 275 III BGB unter anderem gerade darin, das Recht zur außerordentlichen Kündigung auszuschließen.10 Kern der Problematik ist dabei, ob in den Fällen des § 326 V BGB ein „wichtiger Grund“ für eine außerordentliche Kündigung i.S.v. § 314 I 2 BGB vorliegt. Krebs etwa bejaht dies: Wo bei punktuellem Leistungsaustausch ein Rücktritt gesetzlich vorgesehen sei, greife im Dauerschuldverhältnis im Grundsatz stets die fristlose Kündigung aus wichtigem Grund ein, da die Folgen des Rücktritts noch „gravierender“ seien.11 Dies gelte insbesondere für die Rücktrittsgründe nach § 323 BGB. Dieser Auffassung kann freilich – zumindest in dieser Allgemeinheit – nicht gefolgt werden. § 326 V BGB ist nach der Neuregelung insbesondere auch auf die Vertragsbeendigung infolge einer Leistungsverweigerung nach § 275 III BGB anwendbar. Zentraler Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist das Arbeitsrecht.12 Wollte man – wie Heinrichs und Krebs – aus § 326 V BGB die Folgerung ableiten, im in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnis trete an die Stelle des Rücktritts stets die außerordentliche, fristlose Kündigung, so würde dies eine gravierende Änderung auch für die spezifisch arbeitsrechtliche Vertragsbeendigung bedeuten. Nach überkommenem Meinungsstand war streitig, ob infolge der berechtigten Leistungsverweigerung bei ideeller Unzumutbarkeit eine ordentliche Kündigung oder aber gar keine Kündigung in Betracht komme.13 Die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung wurde nur vereinzelt erwogen.14 In der Tat ist – wie noch im Einzelnen darzustellen sein wird – ein hinreichendes Beendigungsinteresse des Arbeitgebers, das eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könnte, in den Fällen der berechtigten Leistungsverweigerung aus ideellen Gründen zumeist ausgeschlossen.15 Jedenfalls im Arbeitsverhältnis kann daher aus § 326 V BGB keineswegs abgeleitet werden, dass an die Stelle des Rücktritts stets die außerordentliche Kündigung treten soll.16 Eine derartige Verschärfung des arbeitsrechtlichen  9

Palandt-Heinrichs63 § 323 Rn. 4; ähnlich auch AnwK-Krebs § 314 Rn. 11. Köhler/Fritzsche, Fälle zum neuen Schuldrecht, S. 38. 11 AnwK-Krebs § 314 Rn. 11. 12 Vgl. nur BT-Drucks. 14/6040 S. 133 re. Spalte Abs. 2. 13 Vgl. für erstere Konzeption etwa BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; für letztere Konzeption u.a. .Benda, Industrielle Herrschaft, S. 478; Mayer ArbuR 1985, 105 (109). 14 Etwa Otto, Personale Freiheit, S. 128 f.; ähnlich Misera SAE 1983, 271 (273). 15 Unten § 17 II 3. 10

16

A.A. Palandt-Heinrichs63 § 323 Rn. 4, der auch für Dienstverhältnisse anscheinend stets die außerordentliche Kündigung für einschlägig hält.

§ 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung

475

Kündigungsrechts war durch die Gesetzesnovelle sicherlich keinesfalls intendiert;17 auch erfordert die Analyse der bei der Vertragsbeendigung zu berücksichtigenden Interessen eine andere Wertung.18 Fraglich erscheint damit, ob zumindest außerhalb des Arbeitsrechts an Stelle des Rücktritts in Fällen des § 326 V BGB stets eine außerordentliche Kündigung tritt. Der BGH hat in einer Reihe von Entscheidungen an Stelle eines Rücktritts die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung bejaht.19 In den genannten Entscheidungen erforderte jedoch stets die konkrete Interessenlage des Gläubigers eine sofortige Vertragsbeendigung.20 Vorstellbar sind aber – gerade bei einer Leistungsverweigerung wegen ideeller Unzumutbarkeit – zahlreiche Konstellationen, in denen die beteiligten Interessen keineswegs eine sofortige Vertragsbeendigung erfordern, sondern auch das Abwarten einer bestehenden Kündigungsfrist bei ordentlicher Kündigung zumutbar erscheint. Hat der Schuldner seine Leistung berechtigt nach § 275 III oder § 242 BGB verweigert, so entfällt etwa grundsätzlich die Gegenleistungspflicht des Gläubigers, § 326 I BGB. Auch eine mögliche Entgeltfortzahlung gemäß § 616 BGB bei Dienstverträgen endet entsprechend der hier vertretenen Konzeption nach wenigen Tagen.21 Damit treffen den Gläubiger keine spürbaren wirtschaftlichen Belastungen infolge der Leistungsverweigerung; insoweit ist ihm ein Abwarten des Ablaufs einer bestehenden Kündigungsfrist im Regelfall zumutbar. Anders verhielt es sich etwa in dem vom BGH am 10.7.1968 entschiedenen Fall:22 Hier war die Mietsache dem Mieter überlassen, so dass allein eine fristlose Kündigung dem wirtschaftlichen Interesse des Vermieters, die Mietsache durch sofortige Vertragsbeendigung zurück zu erlangen, gerecht werden konnte. Sieht also der Vertrag die Möglichkeit einer ordentlichen, fristgebundenen Kündigung vor, so kann auch außerhalb des Arbeitsrechts nicht in allen Fällen an die Stelle des Rücktritts die außerordentliche Kündigung treten, wenn das Dauerschuldverhältnis in Vollzug gesetzt ist. Vielmehr ist hier die Möglichkeit einer Vertragsbeendigung differenziert nach den beteiligten Interessen der Parteien zu beurteilen. Nur wenn diese Interessenlage tatsächlich eine sofortige Vertragsbeendigung erfordert und ein Abwarten der Kündigungsfrist unzumutbar erscheint, ist Raum für eine außerordentliche Kündigung. Nur in diesen  17

Vgl. nur den legislativen Programmsatz in BT-Drucks. 14/6857 S. 48. Unten § 17 II 3. 19 BGHZ 50, 312 ff.; BGH NJW 1986, 125; BGH NJW 1981, 1264 20 Explizit BGHZ 50, 312 (315). 21 Vgl. oben § 3 IV 1 f) bb). 22 BGHZ 50, 312 ff. 18

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

Fällen ist ein „wichtiger Grund“ i.S.v. § 314 I 1 BGB ersichtlich; diese Abgrenzung stellt § 314 I 2 BGB ausdrücklich klar.23

II. Vertragsbeendigung im Arbeitsverhältnis Besondere Überlegungen sind freilich hinsichtlich der Vertragsbeendigung in Arbeitsverhältnissen angezeigt. Bei dem arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz handelt es sich um ein eigenständig geregeltes, stark reglementiertes Rechtsgebiet.24 Es besteht – anders als in anderen Dauerschuldverhältnissen – kein „freies“ Kündigungsrecht des Gläubigers; der Arbeitgeber muss vielmehr bestimmte, eng eingegrenzte Kündigungsgründe darlegen können. Zudem ist gerade im Hinblick auf mögliche Änderungen infolge der Schuldrechtsreform die gesetzgeberische Maxime zu beachten, im Bereich des Arbeitsrechts nicht in Besitzstände eingreifen zu wollen.25 Schon die Feststellung dieses „Besitzstandes“ bereitet jedoch erhebliche Schwierigkeiten, war doch gerade die kündigungsrechtliche Rechtslage nach altem Schuldrecht überaus unklar.26 Schon die Frage, ob bei berechtigter Leistungsverweigerung des Arbeitnehmers überhaupt noch Raum für eine gläubigerseitige Kündigung besteht oder aber mit der Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechtes auch schon negativ über eine Kündigungsmöglichkeit des Arbeitgebers beschieden ist, ist nicht abschließend beantwortet.27 Freilich hat sich hier in letzter Zeit eine deutliche Tendenz in Rechtsprechung und Literatur herauskristallisiert, beide Fragen – also die Frage nach dem Bestehen eines Leistungsverweigerungsrechtes und nach der Möglichkeit einer gläubigerseitigen Kündigung – getrennt voneinander zu betrachten.28 Dies folgt aus der allgemeinen Tendenz, die These der „Präjudizierung“ mehr und mehr abzulehnen und statt dessen eine Einzelbetrachtung der sich stellenden Rechtsfragen vorzunehmen.29 Noch weitaus umstrittener jedenfalls als diese Grundfrage ist nach wie vor die spezifisch arbeitsrechtliche Frage nach dem einschlägigen Kündigungsgrund.30  23 24

Vgl. dazu unten § 17 II 3 und KDZ-Däubler § 1 KSchG Rn. 172. Vgl. Preis, Prinzipien, S. 1.

25

BT-Drucks. 14/6857 S. 48. Näher unten § 17 II 1. 27 Vgl. nur exemplarisch BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; Henssler AcP 190 (1990), 538 (568 ff.); Benda, Industrielle Herrschaft, S. 478; Mayer ArbuR 1985, 105 (109); Misera SAE 1983, 271 (273). 26

28

Näher unten § 17 II 1 a) cc). Allgemein Henssler AcP 190 (1990), S. 538 (566 ff.). 30 Näher unten § 17 II 2. 29

§ 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung

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1. Die Vielfalt des Meinungsstandes Speziell für die Fallgruppe der Gewissenskonflikte wurde zum Teil jede kündigungsrechtliche Relevanz der Leistungsverweigerung schlichtweg verneint, eine Kündigungsmöglichkeit also generell abgelehnt.31 Andere Stimmen in der Literatur hielten eine ordentliche betriebsbedingte32 oder verhaltensbedingte33 Kündigung für zulässig. Bei lang andauernder Leistungsverweigerung wurde sogar eine außerordentliche Kündigung teilweise für gerechtfertigt erachtet.34 Das BAG hielt demgegenüber in der Mehrzahl der entschiedenen Fälle eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung für denkbar, jedoch in Fällen einer berechtigten Leistungsverweigerung für ausgeschlossen.35 Umgekehrt befürwortete das BAG in seiner Entscheidung vom 21.5.1992 die soziale Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung unter Verweis auf das Fehlen eines Leistungsverweigerungsrechts.36 Somit verfolgte insbesondere das BAG lange eine Präjudizierung der kündigungsrechtlichen Folgeprobleme durch die Zuerkennung oder Ablehnung des Leistungsverweigerungsrechts,37 obwohl es doch im Bereich des Entgeltanspruchs schon früh eine deutlich andere Sichtweise vertrat.38 Die überwiegende Literaturmeinung sprach sich demgegenüber in Fällen berechtigter Leistungsverweigerung für die Möglichkeit einer personenbedingten Kündigung aus.39 Schon dieser skizzenhafte Überblick offenbart, dass praktisch das gesamte Spektrum möglicher Lösungsansätze zur Diskussion stand und nicht weniger als sämtliche Kündigungsgründe des § 1 I KSchG für einschlägig gehalten wurden. Die Schwierigkeit und Komplexität dieses Detailproblems führt also in der Tat zu einer erheblichen „Unsicherheit“ in Rechtsprechung und Literatur,40 die für die Beteiligten in der betrieblichen Praxis die kündigungsrechtlichen  31

Benda, Industrielle Herrschaft, S. 478; ähnlich Reuter BB 1986, 385 (389).

32

Misera SAE 1983, 271 (273); Otto, Personale Freiheit, S. 128 f. Etwa Konzen/Rupp, Gewissenskonflikte, S. 169; v.Stebut SAE 1993, 150 (154). 34 Misera SAE 1983, 271 (273); Otto, Personale Freiheit, S. 128 f. 35 Vgl. BAG AP § 123 GewO Nr. 12; BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27. Diese Rspr. verkennt Reuter [BB 1986, 385 (389, 391)], wenn er unter Berufung auf das BAG bei „echten” Gewissenskonflikten die arbeitgeberseitige Kündigung schlechthin als unzulässige Sanktion charakterisiert. 33

36

BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29; zustimmend v.Stebut SAE 1993, 150 (154). 37 Dagegen formuliert BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9 erstmals ausdrücklich den Grundsatz der Einzelbetrachtung beider Fragen. 38

Vgl. oben § 14 I und § 15 I. Näher unten § 17 II 2. 40 HensslerAcP 190 (1990), 538 (570). 39

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

Folgen einer Leistungsverweigerung und den Ausgang eines möglichen Kündigungsschutzprozesses völlig unabsehbar macht. Daher ist es an der Zeit, zumindest den Versuch einer stimmigen Gesamtkonzeption zu unternehmen. Henssler verweist demgegenüber darauf, dass der Streit nur geringe praktische Relevanz habe: Da den Arbeitgeber infolge § 323 I BGB [a.F., jetzt § 326 I BGB] in der Regel keine Lohnzahlungspflicht treffe, sei die Frage nach einer Vertragsbeendigung von „sekundärem Interesse“.41 Freilich befreit diese Feststellung nicht von der Frage, ob dem Arbeitgeber ein Kündigungsrecht zusteht, mag er es nun ausüben oder nicht. Überdies kann der Feststellung auch inhaltlich nicht gefolgt werden: Zwar ist das praktische Interesse des Gläubigers an einer Vertragsbeendigung natürlich reduziert, wenn er von der Erbringung der Gegenleistung freigestellt ist und das durch die Leistungsverweigerung gestörte Synallagma somit in der Situation der Leistungsstörung aufrechterhalten wird. Vollständig verneinen kann man ein Gläubigerinteresse an der Vertragsbeendigung hingegen nicht: Nicht umsonst ist eine der praktisch bedeutsamsten Spielarten der Kündigung von Arbeitsverhältnissen die krankheitsbedingte Kündigung, die sich gerade idealtypisch dadurch auszeichnet, dass bei länger andauernder Krankheit die Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nach Ablauf von sechs Wochen erlischt, § 3 I EFZG.42 Dennoch stellt gerade der Fall der Langzeiterkrankung eine anerkannte und relevante Fallgruppe der krankheitsbedingten Kündigung dar, mag die Vergütungspflicht auch entfallen sein.43 Die Empirie der ideellen Unzumutbarkeit belegt schließlich überdeutlich die Praxisrelevanz gerade der kündigungsrechtlichen Folgeprobleme, handelte es sich doch in beinahe allen höchstrichterlichen Entscheidungen zu der Thematik um Kündigungsschutzprozesse. Das einseitige Abstellen Hensslers auf den Fortfall der Vergütungspflicht erscheint damit wohl verfehlt: Es können durchaus auch bei Wegfall der Vergütungspflicht berechtigte und gewichtige Interessen des Arbeitgebers an einer Vertragsbeendigung existieren, etwa das Interesse, über den – dann frei gewordenen – Arbeitsplatz dauerhaft neu disponieren zu können.44 Angesichts dieser Interessenlage erübrigen sich Aussagen über die kündigungsrechtlichen Folgen einer Leistungsverweigerung keineswegs; hier ein systematisch zufriedenstellendes Lösungsmodell anzubieten, erscheint vielmehr angesichts der Unklarhei 41

Henssler AcP 190 (1990), 538 (569). Vgl. zur krankheitsbedingten Kündigung nur Preis, Krankheitsbedingte Kündigung, S. 93 ff. 43 Vgl. BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 16, 25; v.Hoyningen-Huene/Linck § 1 KSchG Rn. 242 ff.; Popp DB 1981, 2611 (2615). 42

44 Auf das durch ein „Vertragsdurchführungsinteresse“ des Arbeitgebers indizierte Interesse, die Dispositionsgewalt über den Arbeitsplatz zurückzuerlangen, abstellend auch ErfKAscheid 4 § 1 KSchG Rn. 216; ders., Kündigungsschutzrecht, Rn. 391.

§ 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung

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ten der bisherigen Diskussion und im elementaren praktischen Interesse an Rechtssicherheit dringend geboten.

a) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Wie schon angedeutet zeigen sich die dogmatischen Unsicherheiten bereits in der Rechtsprechung des BAG.

aa) Leitlinien der Rechtsprechung des BAG Die früheste BAG-Entscheidung45 zur Fallgruppe der ausländischen Wehrpflicht beschränkt sich dabei noch auf die bloße Feststellung, dass jedenfalls eine fristlose Kündigung angesichts einer acht Wochen nicht überschreitenden Dauer des Wehrdienstes nicht gerechtfertigt erscheine. Hierfür wird die Wertung der §§ 616 BGB, 72 HGB a.F. angeführt, nach denen eine außerordentliche Kündigung bei einer Wehrdienstdauer im bezeichneten Rahmen ausgeschlossen sei. Auf die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung wurde wegen der besonderen Konstellation des Falles nicht eingegangen. Zur Frage einer ordentlichen Kündigung äußerte sich das BAG hingegen ausführlich in seiner Entscheidung vom 7.9.1983 zu einem vergleichbaren Sachverhalt:46 Eine arbeitgeberseitige ordentliche Kündigung wird bei Einberufung zum ausländischen Wehrdienst nur in Gestalt einer verhaltensbedingten Kündigung erwogen; auf die mögliche Einschlägigkeit anderer Kündigungsgründe, etwa einer personenbedingten Kündigung, wird nicht eingegangen. Auch die soziale Rechtfertigung der verhaltensbedingten Kündigung wird jedoch im Ergebnis verneint: Eine berechtigte Arbeitsverweigerung komme, so führt das Gericht aus, weder als „wichtiger Grund“ einer außerordentlichen noch als verhaltensbedingter Grund einer ordentlichen Kündigung in Betracht, da mit der Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechtes die Arbeitspflicht entfallen und die Leistungsverweigerung damit nicht vertragswidrig sei. Eine Kündigung komme in diesen Konstellationen nur dann in Betracht, wenn im Umfeld der berechtigten Leistungsverweigerung Nebenpflichtverletzungen feststellbar seien, die dann ihrerseits zum Anknüpfungspunkt einer verhaltensbedingten Kündigung werden könnten. Insbesondere sei hier an die Verletzung von Anzeige- und Nachweispflichten des Arbeitnehmers zu denken. Ein inte 45 46

BAG AP § 123 BGB Nr. 23. BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

ressanter Nebenaspekt der Entscheidung im Kontext der kündigungsrechtlichen Folgen einer Leistungsverweigerung sei hier noch erwähnt: Das BAG erwägt für den Fall, dass nicht der Arbeitgeber, sondern schon der Arbeitnehmer angesichts des Leistungshindernisses das Arbeitsverhältnis gekündigt hat, einen Wiedereinstellungsanspruch nach Entfall des Leistungshindernisses. Auf welche Grundlage dieser gestützt werden kann, lässt die Entscheidung allerdings offen. Eine ähnliche Tendenz zur Frage der arbeitgeberseitigen Kündigung zeichnet sich auch in den Entscheidungen zur Fallgruppe der Gewissenskonflikte am Arbeitsplatz ab: In der „Zweiten Druckerentscheidung“ vom 20.12.1984 nahm das BAG noch ohne nähere Ausführungen an, dass bei Gewissenskonflikten in Fällen berechtigter Leistungsverweigerung eine hieran anknüpfende Kündigung nicht in Betracht komme.47 In der genannten Entscheidung hatte freilich der konkret zu entscheidende Fall zu gegenteiligen Überlegungen kaum Anlass gegeben, da es sich offenkundig um eine kurzzeitige Leistungshinderung ohne greifbare Wiederholungsgefahr handelte. Damit fehlte es in evidenter Weise an einem legitimen Vertragsbeendigungsinteresse des Arbeitgebers. Vertieft setzte sich das BAG im Zusammenhang mit Gewissenskonflikten erstmals in seiner Entscheidung vom 24.5.1989 mit der Dogmatik der kündigungsrechtlichen Folgen einer Leistungsverweigerung auseinander.48 In der Entscheidung geht es zunächst von dem Grundsatz aus, dass die Verweigerung der vertraglich geschuldeten Leistung an sich einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darstelle. Eine Arbeitsverweigerung sei jedoch dann nicht geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn schon die Zuweisung der Tätigkeit durch den Arbeitgeber die Grenzen des Direktionsrechts überschritten habe. Auch hier wird somit im Ergebnis die Möglichkeit einer Kündigung unmittelbar an die Frage nach der Berechtigung oder fehlenden Berechtigung der vorangegangenen Leistungsverweigerung geknüpft. Soweit ein Leistungsverweigerungsrecht besteht, kommt demnach eine Kündigung nicht in Betracht. Dieselbe Tendenz zeichnet sich auch in der Judikatur zur Leistungsverweigerung aus familiären Gründen ab. In seiner diesbezüglichen Entscheidung vom 21.5.1992 führt das BAG aus, eine – allein zur Diskussion gestellte – verhaltensbedingte Kündigung komme jedenfalls dann in Betracht, wenn die Leistungsverweigerung angesichts einer fortbestehenden Leistungspflicht rechtswidrig und schuldhaft sei.49 Ein Leistungsverweigerungsrecht und damit die Rechtswidrigkeit der Leistungsverweigerung bei einer Kollision zwischen ar 47

BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27. BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 49 BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29. 48

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beitsvertraglichen und familiären Pflichten wird dabei abhängig gemacht von dem Verschulden des Arbeitnehmers an der Herbeiführung der Kollision.

bb) Kategorienvermischung Spätestens hier zeigt sich die deutliche Tendenz des BAG, schon die Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechtes zu verweigern, wenn erkennbar wird, dass das Kündigungsinteresse des Arbeitgebers berechtigt ist. Weil das BAG in den bislang erörterten Entscheidungen offensichtlich einzig eine verhaltensbedingte Kündigung für denkbar hält, ist es nach der Logik des BAG zwingende Konsequenz, schon das Bestehen eines Leistungsverweigerungsrechtes zu verneinen, wenn die Kündigung durch den Arbeitgeber als verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt sein soll.50 Nur bei Versagung eines Leistungsverweigerungsrechtes lässt sich nämlich die Arbeitsverweigerung als verhaltensbedingter Kündigungsgrund nutzbar machen. Um also in diesen Fällen auf der sekundären, kündigungsrechtlichen Ebene zu einer – einzig für möglich erachteten – verhaltensbedingten Kündigung zu gelangen, wird dem Arbeitnehmer schon auf der primären Ebene das Leistungsverweigerungsrecht verweigert. Anders gesagt legte das BAG etwa in seiner Entscheidung vom 21.5.1992 schon bei der primären Frage nach dem Bestehen eines Leistungsverweigerungsrechtes äußerst restriktive Maßstäbe an,51 um auf der kündigungsrechtlichen Sekundärebene zu dem gewünschten Ergebnis zu gelangen: der sozialen Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung. Damit durchbricht es den selbst aufgestellten Grundsatz der Einzelbetrachtung52 und kommt zu einem Gleichlauf hinsichtlich der Zuerkennung des Leistungsverweigerungsrechts und der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung. Zutreffend erscheint demgegenüber ein konträrer Ansatz: Die Zuerkennung des Leistungsverweigerungsrechtes muss zwingend von anderen Wertungen und Abwägungsvorgängen abhängig gemacht werden als die sekundäre Frage nach der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung. Hinsichtlich der Leistungspflicht konfligiert das wirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers an der Erbrin 50

Auch Kohte [Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9] verweist zutreffend darauf, dass der Fokus vielfach vorschnell auf den Gesichtspunkt der (verhaltensbedingten) Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung gelegt wird. Vgl. zu empirischen Untersuchungen Falke/Höland/Rhode/Zimmermann, Kündigungspraxis, S. 688. 51 Kritisch dazu schon oben § 6 I 3 d) aa) und dd) (2.). 52

BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; dazu sogleich § 17 II 1 a) cc).

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

gung der Arbeitsleistung mit dem ideell-personalen Leistungshindernis auf Seiten des Arbeitnehmers. Auf der kündigungsrechtlichen Sekundärebene stehen hingegen nicht mehr das Leistungsinteresse des Arbeitgebers und das Leistungsverweigerungsinteresse des Arbeitnehmers im Fokus der Interessenabwägung, sondern vielmehr das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers an einer vertragsgemäßen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und das Vertragsbeendigungsinteresse des Arbeitgebers.53 Angesichts dieser deutlich divergierenden wertungsrelevanten Interessen und Rechtspositionen bei der Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechtes und der sekundären Frage nach der Kündigungsmöglichkeit sind beide Ebenen strikt zu trennen. Letztlich erklärt sich aus der gegenteiligen Sichtweise des BAG auch die zu konstatierende Kategorienvermischung hinsichtlich der in die Interessenabwägung einzubeziehenden Aspekte:54 Das BAG neigt dazu, Wertungsgesichtspunkte, die für die Kündigungsmöglichkeit des Arbeitgebers von hoher Bedeutung sind, schon auf der Primärebene, also bei der Entscheidung über den Fortbestand der Arbeitspflicht, in die Interessenabwägung einzubeziehen. Besonders anschaulich wird dies bei der Prognose weiterer Leistungshindernisse. Das BAG will diese als Argument gegen das Bestehen eines Leistungsverweigerungsrechtes nutzbar machen.55 Auf der Primärebene der Leistungsverweigerung ist der Ansatz verfehlt, denn die Prognose künftiger gleichartiger Leistungshindernisse bestärkt keinesfalls den Arbeitgeber in seinem Interesse an der Vertragsdurchführung. Sie untermauert vielmehr, dass das gegenwärtige Leistungshindernis von besonderem Gewicht und die mit der Arbeitspflicht kollidierende Rechtsposition von besonderer Bedeutung sein muss.56 Insoweit spricht die Negativprognose auf der Primärebene geradezu für die Notwendigkeit der Leistungsverweigerung. Auf der kündigungsrechtlichen Sekundärebene hingegen stellt die Negativprognose ein beachtliches Moment der Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers dar, denn hier untermauert die Negativprognose sein Vertragsbeendigungsinteresse: Ihm kann die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses umso eher unzumutbar sein, je deutlicher sich die Gefahr gleichartiger Leistungsstörungen prognostisch abzeichnet. Das Beispiel verdeutlich, dass auf der Primärebene bei der Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechtes gänzlich andere Interessen und Wertungen zu berücksichtigen sind als bei der Folgefrage nach der Kündigungsmöglichkeit des Arbeitgebers. Daraus folgt zwingend  53

Vgl. auch ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 183 ff. 54 Dazu schon oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (c) ; ähnlich Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 55 Vgl. insbes. BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 56 Vgl. oben § 3 III 2 c) bb) (1.) (c); ebenso Kohte NZA 1989, 161 (167).

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die strikte rechtliche Trennung beider Fragen. Die dargestellte Rechtsprechung, die schon in die Interessenabwägung hinsichtlich der Leistungsverweigerung Aspekte einbezieht, die eigentlich erst für das Vertragsbeendigungsinteresse des Arbeitgebers und damit auf kündigungsrechtlicher Ebene von Bedeutung sind, erscheint damit systematisch und inhaltlich verfehlt.

cc) Der Grundsatz der Einzelbetrachtung Den hier entwickelten Grundsätzen hatte freilich auch das BAG schon 1988 Rechnung getragen: In seiner bislang jüngsten Entscheidung zur Wehrpflicht im Ausland vom 20.5.198857 statuierte das BAG erstmals ausdrücklich den in der Literatur mit viel Zustimmung bedachten Grundsatz,58 dass die Möglichkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung durch die Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Leistungsverweigerungsrechts noch nicht präjudiziert wird. Die Entscheidung lehnt zwar in dem konkreten Fall ein Leistungsverweigerungsrecht wegen der Länge der zu erwartenden Fehlzeit ab, eine Kündigung hält das Gericht trotz der Verweigerung des Leistungsverweigerungsrechts jedoch für ausgeschlossen. Es handelt sich somit um eine extreme Zuspitzung der „Einzelbetrachtung“, der – wie sogleich darzustellen sein wird – zwar im Grundsatz, nicht aber in der Kosequenz gefolgt werden kann.59 Ausdrücklich verweist das Gericht auf die beiden unterschiedlichen Betrachtungs- und Wertungsebenen, die zur Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechtes und zur Entscheidung über die Rechtfertigung einer Kündigung heranzuziehen sind: Die von ihm vorgenommene Begrenzung des Leistungsverweigerungsrechtes führe nicht dazu, „dass eine durch längeren Wehrdienst bedingte Abwesenheit des ausländischen Arbeitnehmers den Arbeitgeber stets zur Kündigung berechtigt“. Vielmehr komme eine Kündigung bei einem fehlenden Leistungsverweigerungsrecht nur dann in Betracht, wenn nach dem hierfür geltenden Recht des KSchG eine soziale Rechtfertigung der Kündigung zu konstatieren sei. Das BAG hält also auch bei Versagung eines Leistungsverweigerungsrechtes eine Kündigung infolge der Arbeitsversäumnis nicht zwangsläufig für gerechtfertigt.

 57

BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. Vgl. Henssler AcP 190 (1990), 538 (566), der dies zum „Grundsatz der rechtlichen Selbständigkeit“ verallgemeinert. 59 Vgl. unten § 17 II 2 b) aa). 58

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

Indem das BAG hier erstmals keine verhaltens-, sondern ausschließlich eine personenbedingte Kündigung in Betracht zieht,60 löst es sich zwar aus der eindimensionalen Berücksichtigung der verhaltensbedingten Kündigung, verfällt jedoch neuerlich einer kaum befriedigenden Eindimensionalität: Auch die einseitige Bezugnahme auf personenbedingte Aspekte der Kündigung vermag nicht alle Konstellationen der Kündigung bei Leistungsverweigerung zu erklären.61 Vor allem erscheint die auf personenbedingte Aspekte verengte Sichtweise gerade in der konkreten Entscheidung inkonsequent: Wenn schon ein Leistungsverweigerungsrecht abgelehnt wird, liegt naturgemäß eine unberechtigte und damit rechts- und vertragswidrige Arbeitsverweigerung vor. Zwangsläufig kommt damit potentiell eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht!62 Um dieser an sich zwingenden Konsequenz aus der Versagung eines Leistungsverweigerungsrechts zu entgehen, muss das BAG dann auch – vollends inkonsequent – bei der kündigungsrechtlichen Beurteilung den Gedanken einer der Unmöglichkeit gleichzustellenden Unzumutbarkeit mobilisieren, der von ihm auf der Primärebene doch nachdrücklich verworfen wurde.63 Diese doppelte Inkonsequenz und evidente Ergebniskorrektur offenbart deutlich die substantiellen Mängel des Ansatzes.64 Positiv bleibt zu der Entscheidung festzuhalten, dass hier das Gericht erstmals den Grundsatz der rechtlichen Trennung zwischen Leistungsverweigerungsrecht und arbeitgeberseitiger Kündigungsmöglichkeit ausdrücklich entwickelt hat. Ebenfalls positiv ist, dass das Gericht auch die Möglichkeit einer personenbedingten Kündigung infolge der Leistungsverweigerung in den Blick genommen hat. Negativ hingegen ist festzuhalten, dass hier – würde man der restriktiven Haltung des Gerichts zur Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechtes bei länger dauernder Wehrpflicht folgen65 – durchaus Platz für eine verhaltensbedingte Kündigung gewesen wäre. Das Gericht verkennt also ein weiteres Mal die systematischen Bezüge zwischen der Zuerkennung eines  60 Zustimmend Kohte Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 61

Dazu unten § 17 II 2. Gerade hier liegt eine wesentliche „Schnittstelle“ von Leistungsverweigerung und kündigungsrechtlichen Konsequenzen; vgl. Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. Vgl. zur verhaltensbedingten Kündigung wegen grundloser Arbeitsverweigerung auch allgemein BAG AP § 626 BGB Nr. 76; BAG AP § 6 LohnFG Nr. 14; ErfK-Müller-Glöge4 § 626 BGB Rn. 103; Stoffels, Vertragsbruch, S. 103. 63 Die diesbezüglichen Ausführungen Miseras (SAE 1983, 271) bezeichnet das BAG explizit als nicht überzeugend. 62

64 Kritisch insbes. auch Hanau EWiR 1989 § 1 KSchG 4/89, 1027; Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; Kohte Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 65 Dazu oben § 6 II 1 c).

§ 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung

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Leistungsverweigerungsrechtes und der Kündigungsmöglichkeit.66 Freilich agiert es hier gleichsam unter umgekehrten Vorzeichen, indem es den Grundsatz der rechtlichen Selbständigkeit beider Fragen absolut setzt und mögliche zwangsläufige Verknüpfungen zwischen beiden Fragen außer Acht lässt. Der These von der Präjudizierung folgt noch 1993 das LAG Köln67 mit einem aus dem Bereich der krankheitsbedingten Kündigung bekannten68 Argument: Die Kündigung infolge der Ausübung eines Leistungsverweigerungsrechts – hier gemäß § 45 III 1 SGB V – sei schon nach § 612a BGB rechtsunwirksam. Durch die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts mache der Arbeitnehmer von einem ihm zustehenden Recht Gebrauch; hierauf mit einer Kündigung zu reagieren, müsse als unzulässige Maßregelung bewertet werden. Es zeigt sich, dass zumindest in der Rechtsprechung der Instanzgerichte die These der Präjudizierung nach wie vor verbreitet und die kündigungsrechtliche Rechtslage keineswegs geklärt ist.

dd) Die krankheitsbedingte Kündigung als Leitbild Einen bemerkenswerten Lösungsansatz hat das LAG Köln damit freilich indirekt angesprochen: Einzig für den Bereich der Kündigung infolge krankheitsbedingter Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung liegt eine umfangreiche und komplexe höchstrichterliche Judikatur vor, die über Jahrzehnte entwickelt wurde und stark fallgruppen- und praxisbezogene Lösungsmodelle bietet. Angesichts der Komplexität der Materie, die an dieser Stelle den Rahmen der Darstellung sprengen würde, soll es bei eine kurzen Skizzierung der Leitlinien dieser Rechtsprechung sein Bewenden haben. Bei Kündigungen im Kontext der krankheitsbedingten Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit wird abhängig von der jeweiligen Fallgestaltung entweder eine personenbedingte oder aber eine verhaltensbedingte Kündigung für statthaft gehalten. Erstere kommt immer dann in Betracht, wenn die krankheitsbedingte Leistungsverweigerung berechtigt war, die betrieblichen oder wirtschaftlichen Folgen des krankheitsbedingten Fehlens jedoch ein für den Arbeitgeber prog-

 66

Vgl. ebenfalls kritisch Hanau EWiR 1989 § 1 KSchG 4/89, 1027; Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; Kohte Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 67 LAG Köln MDR 1993, 1020 f. 68

Vgl. LAG Frankfurt DB 1988, 1704; ausführlich Preis Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 20; ders. DB 1988, 1444 (1445); Hanau ZfA 1984, 453 (562).

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

nostisch untragbares, unzumutbares69 Maß erreichen.70 In diesen Fällen wird – ungeachtet zahlreicher Streifragen im Detail – allgemein davon ausgegangen, dass in bestimmten Fallkonstellationen das Vertragsbeendigungsinteresse des Arbeitgebers das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers überwiegen und damit eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen kann.71 In diesen Fällen kann von einer krankheitsbedingten Kündigung im eigentlichen, engeren Sinne gesprochen werden.72 Daneben existieren jedoch auch andere Fallgestaltungen, in denen nicht die personen-, sondern vielmehr die verhaltensbedingte Kündigung als einschlägiges Rechtsinstitut in Betracht kommt. Dies ist zunächst in Konstellationen anzunehmen, in denen der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit seiner Erkrankung Nebenpflichten, etwa Anzeige- oder Nachweispflichten verletzt.73 Gleiches gilt für den Fall, dass dem Arbeitnehmer wegen schuldhaft gesundheitsschädlichen Verhaltens gekündigt werden soll.74 Ebenso kommt eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht, wenn der Arbeitnehmer zwar unter Berufung auf eine Erkrankung der Arbeit fernbleibt, er in Wahrheit aber gar nicht erkrankt ist oder seine Erkrankung zumindest keine derartige Intensität erreicht, dass Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung eintritt. Gemeint sind also Fälle, in denen dem Arbeitnehmer die von ihm in Anspruch genommene Befreiung von der Arbeitspflicht wegen Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit in Wahrheit gar nicht zukam. Auch hier wird – sofern die sonstigen Voraussetzungen des Kündigungsgrundes vorliegen – eine verhaltensbedingte Kündigung wegen vertragsbrüchigen Verhaltens in Betracht kommen.75 Insgesamt liegt damit für die Kündigung wegen krankheitsbedingter Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit eine wesentlich ausdifferenziertere und stärker entwickelte Judikatur vor als in den anderen Fallgruppen der Kündigung infolge ideell motivierter Unzumutbarkeit. Aus der Dogmatik der krankheitsbedingten Kündigung lassen sich somit – wie im Folgenden noch darzustellen sein wird – vielversprechende Lösungsansätze für die gesamte Problematik der  69

Vgl. zum Unzumutbarkeitsbegriff bei der ordentlichen Kündigung ausführlich unten § 17 II 3 sowie v.Hoyningen-Huene/Linck § 1 KSchG Rn. 235 m.w.N. 70 BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 30 stellt auf die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung ab. 71

Vgl. BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 25; Schwerdtner DB 1990, 375. Abzugrenzen sind Fälle der verhaltensbedingten Kündigung im Umfeld der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, vgl. Bezani, Krankheitsbedingte Kündigung, S. 15 f. sowie unten § 17 II 2 b) bb). 72

73

Zu Anzeigepflichten bei Krankheit vgl. oben § 7 VI. Vgl. BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 5; ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 355. 75 Vgl. zu den genannten Fallgruppen i.E. Bezani, Krankheitsbedingte Kündigung, S. 15 ff. 74

§ 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung

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Kündigung infolge berechtigter Leistungsverweigerung aus ideellen Gründen ableiten.76

b) Meinungen in der Literatur Auch in der Literatur ist ein äußerst uneinheitliches Meinungsspektrum zu konstatieren.

aa) Kündigung bei Gewissenskonflikten Reuter vertritt noch 1986 den Standpunkt, dass bei echten Gewissensentscheidungen eine außerordentliche oder auch nur ordentliche Kündigung schlechthin unzulässig sei:77 Der Arbeitnehmer sei in einem Gewissenskonflikt lediglich zur Hinnahme „lästiger Alternativen“ verpflichtet, nicht jedoch zur Hinnahme „unzumutbarer“ Alternativen. Eine Kündigung sei bei berechtigter Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen jedoch stets eine unzumutbare Alternative. Der einzige Nachteil, den der Arbeitnehmer in einem Gewissenskonflikt tragen müsse, sei der Verlust des Entgeltanspruchs. In einer zweiten Stellungnahme zu der Thematik von 1990 äußert sich Reuter demgegenüber wesentlich differenzierter. Die Möglichkeit einer personenbedingten Kündigung bei Gewissenskonflikten sei anzuerkennen. Diese These begründet Reuter unter Verweis auf eine strukturelle Parallelität zu den Fällen der krankheitsbedingten Kündigung:78 Der infolge Gewissensnot nicht zu beschäftigende Arbeitnehmer könne nicht besser behandelt werden als der infolge Krankheit arbeitsunfähige Arbeitnehmer. Damit erkennt Reuter die schon angeklungene Strukturverwandtschaft zwischen den Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit und macht sie als Vergleichsmaßstab für die kündigungsrechtlichen Folgeprobleme nutzbar. In der Sache ist seiner Stellungnahme von 1990 jedenfalls beizupflichten: Tatsächlich wäre es wertungswidersprüchlich oder zumindest begründungsbedürftig, wenn man für eine Fallgruppe der ideell motivierten Unzumutbarkeit – nämlich die krankheitsbedingte Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung – eine Kündigungsmöglichkeit ohne weite 76

Vgl. in diesem Sinne etwa BAG AP § 123 BGB Nr. 23; Habscheid JZ 1964, 246 (247); Reuter JuS 1990, 591 (592); jüngst auch LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2. 77 Reuter BB 1986, 385 (389); ähnlich Brox Anm. zu BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27. 78 Reuter BB 1986, 385 (389).

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

res für gegeben hielte, für andere Fallgruppen jedoch ablehnte. Diese ungleiche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte müsste in jedem Fall sachlich gerechtfertigt werden. Selbst jene Autoren, die mit besonderem Nachdruck auf die privatrechtliche Bedeutung der Grundrechte verweisen, gehen kaum so weit wie Reuter in seiner ersten Stellungnahme, eine Kündigung als Folge einer berechtigten Arbeitsverweigerung aus Gewissensgründen generell ausschließen zu wollen: So verweist Mayer, ein Befürworter der unmittelbaren Horizontalwirkung der Grundrechte, darauf, dass als ultima ratio angesichts einer berechtigten Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen eine betriebsbedingte Kündigung durchaus in Betracht komme.79 Mit Blick auf die schon dargestellte These der strikten rechtlichen Trennung von Primär- und Sekundärebene ist besonders interessant, dass Mayer – entsprechend seiner Konzeption einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte – auf der Primärebene eine Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen des Arbeitnehmers mit betrieblichen Interessen des Arbeitgebers generell ablehnt und eine solche Interessenabwägung erst hinsichtlich der sekundären, insbesondere kündigungsrechtlichen Folgen der berechtigten Leistungsverweigerung für angebracht hält.80 Diese spezifisch kündigungsrechtliche Interessenabwägung könne ergeben, dass die betrieblichen Interessen an einer Vertragsbeendigung das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers überwiegen, so dass eine betriebsbedingte Kündigung im Einzelfall gerechtfertigt sei.81 Kohte schließlich führt aus, dass hinsichtlich der kündigungsrechtlichen Folgen einer Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen immer zunächst die Möglichkeit der Vertragsanpassung geprüft werden müsse.82 Die Kündigung bestimme sich im übrigen nach dem hierfür einschlägigen speziellen Recht, werde also durch die Anerkennung von „Unzumutbarkeit“ der Leistungserbringung in keiner Weise präjudiziert.83 Henssler verallgemeinert diesen Gedanken für die sonstigen Fallgruppen der ideell motivierten Unzumutbarkeit und nennt dies den „Grundsatz der rechtlichen Selbständigkeit“ von Primär- und Sekundärebene.84  79

Mayer JZ 1985, 1111 (1113). Mayer JZ 1985, 1111 (1113). 81 Mayer JZ 1985, 1111 (1113); ähnlich auch LAG Düsseldorf DB 1985, 391. 82 Kohte NZA 1989, 161 (168); vgl. auch allgemein Preis, Prinzipien, S. 94 ff., 461 ff. 83 Kohte NZA 1989, 161 (168). 84 Henssler AcP 190 (1990), 538 (566); ähnlich auch schon Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9 für die Fallgruppe der Leistungsverweigerung wegen Einberufung zum ausländischen Wehrdienst. 80

§ 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung

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Eine differenzierende Betrachtungsweise vertritt Preis:85 Die unverschuldete Pflichtenkollision lasse die Rechtswidrigkeit der Leistungsverweigerung entfallen. Daher sei es in diesen Fällen geboten, Sanktionen wegen einer Vertragspflichtverletzung, insbesondere die Möglichkeit einer verhaltensbedingten Kündigung, generell auszuschließen. Dieser Grundsatz erfasse freilich nicht die personenbedingte Kündigung, die auch und gerade bei der berechtigten Leistungsverweigerung möglich bleibe. Bei einer verschuldeten oder vorhersehbaren Pflichtenkollision sei hingegen eine verhaltensbedingte Kündigung denkbar. Einzig diese differenzierende Darstellung wird dem Wesen der Kündigungsgründe gerecht. Der letzten Aussage kann freilich nur zum Teil gefolgt werden: Wie gezeigt wurde, kann auch in Fällen, in denen der Konflikt zwischen Arbeitspflicht und kollidierenden Rechtsgütern vorhersehbar war oder gar positiv vorhergesehen wurde, durchaus noch Raum für ein Leistungsverweigerungsrecht bestehen.86 Auch in diesen Fällen trifft jedoch den Arbeitnehmer hinsichtlich der Leistungsverweigerung kein Rechtswidrigkeitsvorwurf.87 Daher kann auch bei Vorhersehbarkeit oder in bestimmten Fällen positiver Voraussicht nicht in allen Fällen eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht kommen. Präziser kann daher schon an dieser Stelle festgehalten werden, dass im Grundsatz nur dann Raum für eine verhaltensbedingte Kündigung ist, wenn die Leistungsverweigerung unberechtigt und damit rechtswidrig war, dem Arbeitnehmer also kein Leistungsverweigerungsrecht zustand. Dies trifft jedoch nicht auf alle Fälle der Vorhersehbarkeit zu; selbst bei positiver Voraussicht der Pflichten- oder Rechtsgüterkollision kann durchaus die Anerkennung eines Leistungsverweigerungsrechtes aus übergeordneten Gründen geboten sein.88

bb) Kündigung bei anderen Fallgruppen ideeller Unzumutbarkeit Die Stellungnahmen in der Literatur zur Leistungsverweigerung aus familiären Gründen sind sich weitgehend darin einig, dass in Fällen einer berechtigten Leistungsverweigerung lediglich eine personenbedingte Kündigung in Betracht

 85

ErfK-Preis2 § 611 BGB Rn. 970 f. Vgl. oben § 9 III 5. 87 Vgl. Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 86

88 Letzteres ist immer dann der Fall, wenn die betroffene kollidierende Rechtsposition gar nicht zur Disposition des Arbeitnehmers gestellt ist, also vor allem im Bereich der Kollision von Arbeits- und Elternpflicht; vgl. oben § 5 I 3 d) dd) (2.) (c).

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

komme.89 Scheinbar grenzen sie sich damit auch hinsichtlich der dogmatischen Einordnung in das Schema der Kündigungsgründe deutlich von der diesbezüglichen BAG-Entscheidung vom 21.5.1992 ab. In dieser Entscheidung hatte das BAG eine verhaltensbedingte Kündigung angenommen und im Ergebnis für sozial gerechtfertigt gehalten hatte.90 Dennoch weicht die spezifisch kündigungsrechtliche Bewertung und Einordnung der Frage nicht so stark von der Linie des BAG ab, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat: Vielmehr liegt die Divergenz zu der BAG-Entscheidung schon auf der Primärebene: Trümner91 und Kraft92 halten im konkreten Fall ein Leistungsverweigerungsrecht für gegeben und deswegen konsequent eine verhaltensbedingte Kündigung für ausgeschlossen. Dies erscheint zutreffend, da – im Einklang mit dem oben Festgestellten – die Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechtes zwangsläufig die Rechtswidrigkeit der Leistungsverweigerung und damit die Möglichkeit einer verhaltensbedingten Kündigung ausschließt. Diesen Zusammenhang verkennt v.Stebut, wenn er in gleichem Zusammenhang bei allen ideellen Leistungshindernissen eine verhaltensbedingte Kündigung für einschlägig hält.93 Auch er geht von der zutreffenden Prämisse aus, dass es einen Wertungswiderspruch darstelle, wenn „zwar die Pflichtenkollision wegen der notwendigen Pflege eines Kindes, nicht aber die haftbedingte bzw. wehrdienstbedingte Nichterbringung der Arbeitsleistung als ein vorwerfbares Verhalten bewertet“ und hieran, nicht aber an die Leistungsverweigerung in parallelen Fallgruppen, die Konsequenz einer verhaltensbedingten Kündigung geknüpft werde. Seine Folgerung besteht jedoch nicht darin, für Fälle der berechtigten Leistungsverweigerung generell die Rechtswidrigkeit der Leistungsverweigerung und damit auch die Möglichkeit einer verhaltensbedingten Kündigung für ausgeschlossen zu halten. Vielmehr möchte er offenbar alle Fallgruppen – zumindest bei Vorhersehbarkeit der Kollision – der verhaltensbedingten Kündigung zuordnen.94 Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Leistungspflicht nach v.Stebuts Konzeption im Wege objektiver Unmöglichkeit entfallen soll, erscheint seine kündigungsrechtliche Bewertung noch zweifelhafter: Die Nichterfüllung einer Arbeitspflicht, die gar nicht mehr besteht, kann nun einmal nicht rechtswidrig sein. Erkennt man also einen Entfall der Leistungspflicht an, so ist zwingend  89 Trümner ArbuR 1993, 155 f.; Kraft Anm. zu BAG EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 43; anders jedoch v.Stebut SAE 1993, 150 (154). 90

BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29. Trümner ArbuR 1993, 155 f. 92 Kraft Anm. zu BAG EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 43. 93 v.Stebut SAE 1993, 150 (154). 94 v.Stebut SAE 1993, 150 (154). 91

§ 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung

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zugleich negativ über die Möglichkeit einer verhaltensbedingten Kündigung entschieden.95 Die abweichende Konzeption v.Stebuts kann daher nicht überzeugen. Auch er scheint nicht klar zu erkennen, dass es in der vom BAG am 21.5.1992 entschiedenen Fallkonstellation nach Auffassung des Gerichtes gerade um einen Fall unberechtigter Leistungsverweigerung gehandelt hatte und angesichts dieser Prämisse eine von Fällen berechtigter Leistungsverweigerung divergierende kündigungsrechtliche Handhabung durchaus angezeigt erschien. Auch bei der Leistungsverweigerung infolge einer Einberufung zum ausländischen Wehrdienst ist das Meinungsspektrum hinsichtlich der kündigungsrechtlichen Folgen vielgestaltig: Ortlepp vertritt die Auffassung, dass in diesen Fällen je nach Sachlage eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung in Betracht komme, sofern der Arbeitgeber infolge einer versäumten rechtzeitigen Anzeige der Einberufung in eine durch zumutbare Überbrückungsmaßnahmen nicht behebbare Zwangslage gerate.96 Den rechtlichen Anknüpfungspunkt für diese Kündigung lässt Ortlepp jedoch offen. Ungeklärt bleibt insbesondere die Frage, ob Kündigungsgrund die Verletzung der Hauptpflicht oder aber eine Verletzung von Aufklärungs- und Informationspflichten ist.97 Winterfeld nimmt hierzu im gleichen Kontext deutlich entschiedener Stellung: Sie befürwortet generell die Möglichkeit einer Kündigung. Es trete durch den Entfall der Leistungspflicht keine Präjudizierung hinsichtlich der arbeitgeberseitigen Kündigungsmöglichkeit ein. Einschlägig sei in jedem Fall eine personenbedingte Kündigung, Anknüpfungspunkt dafür die Nichterfüllung der Hauptpflicht.98 Bei der krankheitsbedingten Kündigung wird auch in der Literatur – insoweit im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG – ganz überwiegend die Möglichkeit einer personenbedingten Kündigung bei krankheitsbedingter Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit der Arbeitsleistung befürwortet.99 Ebenso wird bei einer bloßen Vortäuschung der Krankheit oder Nebenpflichtverletzungen im Zusammenhang mit einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit durchweg die Möglichkeit einer verhaltensbedingten Kündigung bejaht.100 Die dogmatischen Unsicherheiten bestehen hier also weniger bei der Einordnung in die Systematik der Kündigungsgründe als vielmehr bei der konkreten Typisierung bestimmter Fallgruppen von Kündigungssachverhalten und den konkreten Anforderungen an den Kündigungsgrund. So ist etwa stark umstritten, ob und inwieweit eine krankheitsbedingte Kündigung in Betracht kommt, wenn infolge der  95

Ausführlich unten § 17 II 2 b) aa). Ortlepp Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7. 97 Dazu schon BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7. 98 Winterfeld SAE 1990, 261 (263 f.). 99 Vgl. Preis, Krankheitsbedingte Kündigung, S. 93 ff. m.w.N. 100 GK-KSchR-Dörner § 1 KSchG Rn. 314 ff.; näher auch Lepke NZA 1995, 1084 (1090). 96

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

Krankheit keinerlei Störungen im Betriebsablauf entstanden sind, sondern sich das Kündigungsinteresse des Arbeitgebers ausschließlich auf materiellökonomische Negativfolgen, letztlich also auf die infolge der Krankheit eingetretene Störung des Austauschverhältnisses stützen kann.101

cc) Fazit Insgesamt zeigt sich, dass auch in der Literatur deutliche Unsicherheit über die Einordnung der kündigungsrechtlichen Folgen einer Leistungsverweigerung aus ideellen Gründen herrscht. Explizit umstritten ist dabei die Einordnung in die Systematik der Kündigungsgründe. Weitere fallgruppenspezifische Detailfragen, etwa nach der Konkretisierung des Kündigungstatbestandes, werden meist gar nicht erst aufgeworfen.102 Einzig im Bereich der krankheitsbedingten Kündigung ist die grundlegende systematische Einordnung in das Schema der Kündigungsgründe durch eine umfangreiche Judikatur weit fortgeschritten und in den Grundzügen kaum noch streitig. Hier treten somit derartige Detailfragen schon in den Vordergrund der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Gerade für die Beantwortung dieser Detailfragen auch im Bereich der anderen Fallgruppen kann daher die umfangreiche Judikatur und Literatur zum krankheitsbedingten Kündigung nutzbar gemacht werden. Dass diese Möglichkeit besteht, klingt sowohl in der Rechtsprechung103 als auch in vereinzelten Stellungnahmen der Literatur104 bisweilen an.

2. Der einschlägige Kündigungsgrund Im Arbeitsverhältnis ist die arbeitgeberseitige Kündigung stärker normativ vorgeprägt als in anderen Vertragsverhältnissen. Aus sozialen Gründen besteht hier kein „freies“ ordentliches Kündigungsrecht, sondern die Kündigung ist lediglich unter engen, gesetzlich vorgegebenen Voraussetzungen ausnahmsweise als „ultima ratio“ zulässig. Diese grundlegende Entscheidung, das arbeitgeberseitige Kündigungsrecht auf bestimmte Kündigungsgründe zu reduzieren  101

Insbes. bei Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen, vgl. BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 20 mit kritischer Anm. Preis; vgl. weiterhin LAG Frankfurt a.M. DB 1988, 1704; Preis DB 1988, 1444 (1445); Hanau ZfA 1984, 453 (562). 102

Dazu unten § 17 II 2 c) cc). BAG AP § 123 BGB Nr. 23; LAG Frankfurt § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2. 104 Etwa Reuter JuS 1990, 591 (592). 103

§ 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung

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und innerhalb dieser Kündigungsgründe noch zusätzliche Restriktionen einzuführen, hat ihren Grund in der gesteigerten sozialen Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers.105 Ein Teil der Abwägung zwischen Bestandsschutz- und Kündigungsinteresse ist damit schon durch die Restriktion auf bestimmte Kündigungsgründe vorweg- und mithin aus der eigentlichen kündigungsrechtlichen Interessenabwägung herausgenommen. Mit dieser Feststellung ist aber noch keine Aussage hinsichtlich des einschlägigen Kündigungsgrundes in Fällen ideeller Unzumutbarkeit getroffen. Die Darstellung des Meinungsspektrums hat die Vielfalt denkbarer Ansätze und die offenkundige Unsicherheit im Umgang mit der Thematik offenbart.106 Dabei zeichnen sich die dargestellten Auffassungen überwiegend durch eine ausgeprägte Einseitigkeit, durch ein hartes Entweder-Oder aus: Meist wird entweder die personenbedingte107 oder die verhaltensbedingte Kündigung108 für einschlägig gehalten – und dies jeweils unter Ausschluss anderer denkbarer Kündigungsgründe. Zutreffender dürfte demgegenüber eine differenzierende Betrachtungsweise sein, die das Tatsachenmaterial im jeweiligen Fall in den Blick nimmt und auf dieser Grundlage eine fallgruppenbezogene Einordnung in das bekannte Schema der Kündigungsgründe vornimmt.109

a) Fälle betriebsbedingter Kündigung? Vereinzelt vertreten wird, dass jedenfalls in den Fällen der berechtigten Leistungsverweigerung wegen Pflichten- oder Rechtgüterkollision eine betriebsbedingte Kündigung einschlägig sei.110 Meist wird für diese These keine nähere Begründung genannt oder aber pauschal auf die „betrieblichen Gründe“ für eine Vertragsbeendigung verwiesen.111 Dies deutet auf ein Missverständnis der betriebsbedingten Kündigung hin: Betriebliche oder – umfassender gesprochen – unternehmerische Interessen müssen zwangsläufig bei jeder Kündigung betroffen sein, um überhaupt ein das Bestandsinteresse überwiegendes Beendi 105

Vgl. auch GK-KSchR-Preis Grundlagen B Rn. 3. Vgl. oben § 17 II 1. 107 Dafür BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; Trümner ArbuR 1993, 155 f.; vgl. näher oben § 17 II 1 b). 108 Dafür BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 29; zustimmend v.Stebut SAE 1993, 150 (154); ebenso Konzen/Rupp, Gewissenskonflikte, S. 169; vgl. näher oben § 17 II 1 b). 109 Dafür insbes. auch ErfK-Preis4 § 611 BGB Rn. 850. 110 LAG Düsseldorf DB 1985, 391; Otto, Personale Freiheit, S. 128 f.; Misera SAE 1983, 271 (273). 111 Otto, Personale Freiheit, S. 129. 106

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

gungsinteresse zu begründen. In diesem – weiten und untechnischen – Sinne ist, wie schon Herschel festgestellt hat, jede Kündigung mittelbar „betriebsbedingt“.112 Diese Sichtweise sprengt jedoch keineswegs das Schema der Kündigungsgründe. Vielmehr muss ungeachtet der dargestellten Feststellung Herschels das jeweils Charakteristische der unterschiedlichen Kündigungsgründe hervorgehoben werden: So ist auch eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung zwar auf einer Metaebene insofern „betriebsbedingt“, als betriebliche oder unternehmerische Interessen die Kündigung motivieren und rechtfertigen.113 Sie heben sich jedoch von der betriebsbedingten Kündigung im technischen Sinne dadurch ab, dass im Falle der verhaltensbedingten Kündigung ein vorwerfbares vertragswidriges Fehlverhalten des Arbeitnehmers,114 bei der personenbedingten Kündigung ein in der Person des Arbeitnehmers begründetes Leistungshindernis,115 bei der betriebsbedingten Kündigung hingegen ein Wegfall von Arbeitsplätzen infolge unternehmerischer Entscheidung Anknüpfungspunkt des Kündigungsinteresses ist.116 Ist somit jede Kündigung durch betriebliche oder unternehmerische Interessen bedingt und folglich „betriebsbedingt“ in einem weiten, untechnischen Sinne, so erfolgt die Abgrenzung der Kündigungsgründe gleichwohl anhand der jeweils unterschiedlichen Struktur der das Kündigungsinteresse auslösenden Umstände, die dann entweder im Betrieb, im Verhalten des Arbeitnehmers oder aber seiner Person wurzeln. Die Darstellung hat das Typische der betriebsbedingten Kündigung schon anklingen lassen: Hier muss aufgrund einer selbstbindenden oder gestaltenden Unternehmerentscheidung117 die Beschäftigungsmöglichkeit, also der Arbeits 112

Herschel, in: Festschrift Schnorr v.Carolsfeld (1973), S. 157 (170 f.); ders. Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 2 und LAG Baden-Württemberg AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 3. 113

Vgl. Herschel, in: Festschrift Schnorr v.Carolsfeld (1973), S. 157 (170 f.). GK-KSchR-Dörner § 1 KSchG Rn. 265 ff.; Berkowsky, Personen- und verhaltensbedingte Kündigung, § 18 Rn. 27 ff.; Rüthers/Henssler ZfA 1988, 31 (44). 114

115

GK-KSchR-Dörner § 1 KSchG Rn. 118 ff. m.w.N. GK-KSchR-Dörner § 1 KSchG Rn. 441 ff. 117 Dieses Kriterium war nicht ganz unstreitig: Zwar lag der gedankliche Ansatz der Rspr. zur Konkretisierung der betriebsbedingten Kündigung schon früh beim Begriff der unternehmerischen Entscheidung (so etwa BAG AP § 1 KSchG 1951 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 22; BAG AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 2). Später rückte die Abgrenzung von „inner-“ und „außerbetrieblichen“ Gründen in den Fokus der Betrachtungen (BAG AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 6; BAG AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 8). Mittlerweile besteht jedoch praktisch Einigkeit, dass im Zentrum der betriebsbedingten Kündigung eine willentliche unternehmerische Entscheidung steht, die kausal zum Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten führt und ihrerseits durch inner- oder außerbetriebliche Ursachen motiviert sein kann, vgl. Preis, in: Stahlha116

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platz, kausal weggefallen sein.118 Gerade dies ist in der Fällen der Leistungsverweigerung jedoch fernliegend: Hier besteht die betriebliche Beschäftigungsmöglichkeit und ein betrieblicher Beschäftigungsbedarf gerade fort; der Arbeitnehmer kann diesem Beschäftigungsbedarf aus persönlichen Gründen nicht gerecht werden und löst dadurch das Kündigungsinteresse des Arbeitgebers aus. Die tatbestandliche Struktur ist damit gegenüber den Fällen der betriebsbedingten Kündigung gerade umgekehrt: Die Beschäftigungsmöglichkeit ist nicht weggefallen, sondern besteht unvermindert fort. Das Kündigungsinteresse des Arbeitgebers wird nicht dadurch ausgelöst, dass kein betrieblicher Bedarf für eine Beschäftigung des Arbeitnehmers mehr besteht, sondern dadurch, dass der Arbeitnehmer den bestehenden Beschäftigungsbedarf nicht mehr erfüllen kann. An einer unternehmerischen Entscheidung fehlt es schließlich völlig; das Kündigungsinteresse wird vielmehr durch eine freie Entscheidung des Arbeitnehmers, nämlich die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts, ausgelöst. Damit ist in den hier interessierenden Fällen eine betriebsbedingte Kündigung im technischen Sinne fernliegend. Der typische Kündigungssachverhalt in Fällen ideeller Unzumutbarkeit unterscheidet sich derart deutlich von den anerkannten tatbestandlichen Konkretisierungen der betriebsbedingten Kündigung, dass die in der Literatur vereinzelt zu beobachtende Bezugnahme auf die betriebsbedingte Kündigung eher befremdlich wirkt.

b) Fälle verhaltensbedingter Kündigung Schon angeklungen ist, dass demgegenüber durchaus bestimmte Konstellationen denkbar sind, in denen die verhaltensbedingte Kündigung einschlägig erscheint. Freilich ist dies regelmäßig – vorbehaltlich denkbarer Nebenpflichtverletzungen im Kontext der Leistungsverweigerung – dann nicht der Fall, wenn auf der Primärebene ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers besteht, die Leistungsverweigerung also berechtigt ist. Hier kann offenbar die Leistungsverweigerung als solche kein Anknüpfungspunkt für eine verhaltensbedingte Kündigung sein, da es an einem vorwerfbaren Fehlverhalten des Arbeitnehmers fehlt.

 cke/Preis/Vossen, Rn. 932 ff.; Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rn. 231; Schaub-Schaub § 131 Rn. 2; Wank RdA 1987, 129 (135, 138). 118

Vgl. Rüthers/Henssler ZfA 1988, 31 (39); dies. Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

Die verhaltensbedingte Kündigung setzt nach praktisch unbestrittener Ansicht zunächst ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers voraus.119 Dies ist deutlich abzugrenzen von dem Innehaben einer der Person anhaftenden Eigenschaft, das lediglich eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen kann.120 Der Arbeitnehmer muss also selbst aktiv werden, wobei das Handeln des Arbeitnehmers auch in einem pflichtwidrigen Unterlassen liegen kann. In den hier interessierenden Fällen wird der Arbeitnehmer immer jedenfalls insofern aktiv, als er – berechtigt oder unberechtigt – die Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung verweigert. Das Verhalten des Arbeitnehmers muss zu einer Vertragsstörung, also der Verletzung von Haupt- oder Nebenpflichten führen.121 In den Fällen der Leistungsverweigerung ist zweifellos eine Störung der Arbeitspflicht als vertraglicher Hauptpflicht schon in der bloßen Nichterbringung der geschuldeten Arbeitsleistung zu erkennen.122

aa) Partielle Präjudizierung Die Nichterfüllung der vertraglichen Hauptpflicht ist jedoch nur dann geeigneter Anknüpfungspunkt einer verhaltensbedingten Kündigung, wenn dem Arbeitnehmer hierfür kein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Die Rechtsordnung würde sich zu sich selbst in Widerspruch setzen, wenn sie ein bestimmtes Verhalten einerseits einem Rechtsunterworfenen abverlangen, andererseits dieses Verhalten im kündigungsrechtlichen Kontext zum vorwerfbaren Verhalten und damit zum verhaltensbedingten Kündigungsgrund erklären würde. Besonders anschaulich wird dies im Bereich der Garantenpflichten: Trifft etwa eine Kindesmutter die – strafrechtlich sanktionierte! – Pflicht, für ihr schwer erkranktes Kind zu sorgen,123 so kann die Ausübung dieser höherrangi 119 Vgl. ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 287; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 1168; v.Hoyningen-Huene Anm. zu BAG AP § 626 BGB Nr. 151; abweichend KR-Etzel § 1 KSchG Rn. 396. 120

ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 169 f.; näher Berkowsky NZA-RR 2001, 393. Vgl. nur BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 18; BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 26; BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 36; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 1168. Etwas ungenau wird in der Rspr. demgegenüber mitunter darauf abgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch das Verhalten „berührt“ sein müsse (vgl. etwa BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 19). Gemeint ist jedoch immer die Störung vertraglicher Pflichten als Kernelement des verhaltensbedingten Kündigungsgrundes; vgl. auch KDZ-Däubler § 1 KSchG Rn. 154; v.Hoyningen-Huene/Linck § 1 KSchG Rn. 272 f. 121

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Vgl. nur Herschel/Löwisch § 1 KSchG Rn. 94; ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 172 ff. 123 Oben § 5 I 2; vgl. auch Hanau/Strick, Festschrift Wacke (2001), S. 147 (169).

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gen Pflicht im kündigungsrechtlichen Kontext kein vorwerfbares, pflichtwidriges Verhalten darstellen. Somit ist die Wahrnehmung höherrangiger Pflichten und Rechtspositionen im kündigungsrechtlichen Kontext gleichsam ein „Rechtfertigungsgrund“, der die bloße Nichterfüllung der Arbeitspflicht als verhaltensbedingten Kündigungsgrund entfallen lässt. Anders gesagt muss die verhaltensbedingte Kündigung wegen Verletzung der arbeitsvertraglichen Hauptpflicht aus den dargestellten systematischen Erwägungen immer dann entfallen, wenn ein Leistungsverweigerungsrecht besteht. Umgekehrt kommt die verhaltensbedingte Kündigung immer dann wegen vorwerfbarer, rechtsgrundloser Vertragspflichtverletzung in Betracht, wenn auf der Primärebene das Bestehen eines Leistungsverweigerungsrechts verneint wurde und der Arbeitnehmer gleichwohl die Arbeit verweigert hat. Ausschließlich insofern tritt eine Präjudizierung der kündigungsrechtlichen Ebene durch die Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechts ein. Eben jene zwingenden systematischen Zusammenhänge hat das BAG in seiner Entscheidung vom 20.5.1988124 offenbar verkannt: Hier verneint es auf der Primärebene das Bestehen eines Leistungsverweigerungsrechts und macht damit dem dennoch der Arbeit ferngebliebenen Arbeitnehmer den Vorwurf grundlos vertragsbrüchigen Verhaltens. Auf der kündigungsrechtlichen Sekundärebene lehnt das BAG gleichwohl die Möglichkeit einer verhaltensbedingten Kündigung wie selbstverständlich ab und zieht lediglich eine personenbedingte Kündigung in Erwägung. Dies erscheint nach dem Gesagten grob inkonsequent. Wenn man dem Arbeitnehmer schon ein Leistungsverweigerungsrecht verweigert, so ist damit zugleich eine Vorentscheidung zugunsten einer verhaltensbedingten Kündigung getroffen. Hier hat das BAG den im Ansatz richtigen Grundsatz der rechtlichen Selbständigkeit beider Fragen125 absolut gesetzt und damit außer Acht gelassen, dass bei der Versagung eines Leistungsverweigerungsrechtes durchaus die Frage der Kündigung insoweit vorgeprägt wird, als eine verhaltensbedingte Kündigung wegen rechtsgrundloser Leistungsverweigerung möglich und bei Vorliegen ihrer speziellen Voraussetzungen auch sozial gerechtfertigt sein kann. Diese evidente Inkonsequenz der Entscheidung ist offenbar allein dadurch zu erklären, dass das BAG auf der Primärebene die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Leistungsverweigerungsrechtes unsachgemäß restriktiv eingegrenzt hatte126 und nun offensichtlich vor dem Dilemma stand, einer von ihm  124

BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. Vgl. ausführlich Henssler AcP 190 (1990), 538 (566). 126 Dazu etwa Henssler AcP 190 (1990), 538 (558); Kohte Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; kritisch ebenfalls Hanau EWiR 1989 § 1 KSchG 4/89, 1027; Rüthers/Henssler Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 125

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

selbst als unangemessen empfundenen verhaltensbedingten Kündigung ohne weiteres stattgeben zu müssen. Deshalb geht es auf die bei unberechtigter Leistungsverweigerung naheliegende Möglichkeit der verhaltensbedingten Kündigung gar nicht näher ein, sondern verlegt sich ausschließlich – systemwidrig – auf die personenbedingte Kündigung. Dabei hätte das BAG dieser Inkonsequenz ohne weiteres aus dem Weg gehen können, wenn es sich zu einem schon aus verfassungsrechtlichen Gründen gebotenen weiten Verständnis der Voraussetzungen des Leistungsverweigerungsrechts durchgerungen hätte.127 Bereits auf der Primärebene hätte dem Arbeitnehmer also die Möglichkeit der Leistungsverweigerung unter leichteren Voraussetzungen und in größerem Umfang eingeräumt werden müssen. Dann hätte die rechtliche Selbständigkeit beider Ebenen die Möglichkeit einer personenbedingten Kündigung durchaus offen gehalten; die verhaltensbedingte Kündigung wäre hingegen durch die Zuerkennung des Leistungsverweigerungsrechtes ausgeschlossen gewesen. Dies ist nämlich die entscheidende „Schnittstelle“128 zwischen dem Bestehen eines Leistungsverweigerungsrechtes und den kündigungsschutzrechtlichen Folgen der Leistungsverweigerung: Nur in den Fällen der unberechtigten Leistungsverweigerung kann ohne weiteres von einer rechtswidrigen Vertragsverletzung und damit einem verhaltensbedingten Kündigungsgrund ausgegangen werden. Bei berechtigter Leistungsverweigerung fehlt es hingegen an einer Vertragsverletzung; in diesen Fällen kommt zumindest eine verhaltensbedingte Kündigung nicht in Betracht. Raum bleibt allenfalls – sofern ihre besonderen Voraussetzungen gegeben sind – für eine personenbedingte Kündigung. Dies entspricht der Systematik in der durch eine umfassende höchstrichterliche Judikatur aufbereiteten Fallgruppe der krankheitsbedingten Kündigung.129

bb) Fallgruppen und weitere Voraussetzungen einer verhaltensbedingten Kündigung (1) Unberechtigte Leistungsverweigerung Steht dem Arbeitnehmer kein Leistungsverweigerungsrecht zur Seite, so ist die Verletzung der arbeitsvertraglichen Hauptpflicht nicht gerechtfertigt; die grundlose Leistungsverweigerung kann in diesen Fällen durchaus einen verhal 127

Vgl. oben § 6 II 3 a) bb) (3.). Rüthers/Henssler Anm. zu AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 129 Vgl. unten § 17 II 2 c) cc). 128

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tensbedingten Kündigungsgrund darstellen. Hierunter fallen jene Konstellationen, in denen entweder gar keine Pflichten- oder Rechtsgüterkollision vorliegt oder aber die Kollisionslage bei Abwägung der wertungsrelevanten Interessen keine „Unzumutbarkeit“ der Arbeitsleistung ergibt. Die Leistungsverweigerung ist daher immer für den Arbeitnehmer mit dem gravierenden Risiko verbunden, dass er, etwa infolge eines Rechtsirrtums,130 fälschlich von dem Bestehen eines Leistungsverweigerungsrechts ausgeht und infolgedessen Raum für eine verhaltensbedingte Kündigung besteht. Weitere Voraussetzungen zur Rechtfertigung der verhaltensbedingten Kündigung sind in diesen Fällen – wie auch in Konstellationen der Kündigung wegen Nebenpflichtverletzungen131 –, dass der Arbeitnehmer das die Kündigung motivierende Verhalten verschuldet hat. Er muss also insbesondere schuldfähig gewesen sein;132 zudem muss ihn grundsätzlich der Vorwurf vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens treffen.133 In den hier interessierenden Fällen der unberechtigten Leistungsverweigerung dürfte letzteres in aller Regel unproblematisch zu bejahen sein, da eine bewusste Leistungsverweigerung regelmäßig ein vorsätzliches Verhalten i.S.v. § 276 I 1 BGB darstellt. Zusätzlich erforderlich ist in jedem Fall eine Negativprognose.134 Diese ist zu bejahen, wenn aus der eingetretenen Vertragsverletzung der Schluss abgeleitet werden kann, dass der Arbeitnehmer auch künftig seine Vertragspflichten nicht erfüllen werde. Dies ergibt sich regelmäßig daraus, dass der Arbeitnehmer nach erfolgter Abmahnung den Vertrag ein weiteres Mal in gleicher oder ähnlicher Art verletzt hat.135 Grundsätzlich ebenfalls erforderlich ist – als Ausprägung des  130

Ein solcher schließt nach praktisch allgemeiner Ansicht die Möglichkeit der verhaltensbedingten Kündigung nicht aus, vgl. nur ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 292. Problematisch kann in diesen Fällen freilich das Verschulden des Arbeitnehmers sein: Ein Verschulden ist zu bejahen, wenn der Arbeitnehmer sich vor der Leistungsverweigerung über seine Rechte und Pflichten nicht in genügender Weise informiert hat (vgl. nur Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rn. 431; ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 292; v.Hoyningen-Huene/Linck § 1 KSchG Rn. 279a; KDZ-Däubler § 1 KSchG Rn. 156). Trifft den Arbeitnehmer diesbezüglich kein Vorwurf, so bleibt es zwar beim tatbestandsmäßigen Vorwurf eines vertragsverletzenden Verhaltens. Jedoch ist in jedem Fall bei der notwendigen Prognoseentscheidung zu beachten, dass weitere gleichartige Vertragsverletzungen kaum zu erwarten sind, wenn der Irrtum unverschuldet im dargestellten Sinne war und inzwischen eine Klärung erfahren hat (so auch schon ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 292 m.w.N.). 131 Dazu BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7. 132 BAG AP § 626 BGB Arbeitnehmer im Aufsichtsrat Nr. 1; BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 36; ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 291 m.w.N.; Preis DB 1990, 630 (632). 133 Vgl. näher BAG AP § 626 BGB Nr. 151; KR-Etzel § 1 KSchG Rn. 400; Preis DB 1990, 630 (632) m.w.N.; anders Berkowsky, Personen- und verhaltensbedingte Kündigung, § 18 Rn. 27. 134 Vgl. BAG EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 41 mit kritischer Anm. Rüthers/Müller; BAG NZA 1989, 633; Kraft ZfA 1994, 463 (475) m.w.N. 135 Vgl. statt vieler Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 1180.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

ultima-ratio-Grundsatzes – eine vorrangige Abmahnung.136 Darüber hinaus muss eine abschließende Interessenabwägung ein Kündigungsinteresse des Arbeitgebers ergeben, welches das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers überwiegt. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist demnach nur dann gerechtfertigt, wenn durch den Sachverhalt bei gewissenhafter Abwägung der beiderseitigen Interessen auch ein verständig urteilenden Arbeitgeber zur Kündigung veranlasst würde.137

(2) Nebenpflichtverletzungen bei berechtigter Leistungsverweigerung Als Anwendungsbereich der verhaltensbedingten Kündigung sind neben der unberechtigten Leistungsverweigerung auch Nebenpflichtverletzungen im Umfeld der berechtigten Leistungsverweigerung zu beachten. Ebenso wie im Kontext der krankheitsbedingten Kündigung eine verhaltensbedingte Kündigung wegen Verletzung von Nachweis- und Anzeigepflichten anerkannt ist,138 kann dies auch bei anderen Fallgruppen von Unzumutbarkeit in Betracht kommen.139 Bleibt etwa ein Familienvater wiederholt berechtigt der Arbeit fern, um seiner Elternpflicht zu genügen, so kann eine verhaltensbedingte Kündigung dann in Betracht kommen, wenn er die in solchen Fällen gebotene Anzeige des Leistungshindernisses an den Arbeitgeber unterlässt. Hierin liegt regelmäßig eine vorwerfbare Nebenpflichtverletzung, die unter den dargestellten Voraussetzungen eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen kann.140

c) Fälle personenbedingter Kündigung Auch außerhalb der Fallgruppen der verhaltensbedingten Kündigung kann das Kündigungsinteresse des Arbeitgebers das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers im Einzelfall überwiegen. Deutlich wird dies schon bei der krankheitsbedingten Kündigung: Hier wird allgemein davon ausgegangen, dass eine arbeitgeberseitige Kündigung des Arbeitsverhältnisses unter engen Vor 136

Vgl. Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rn. 62 ff. m.w.N. Vgl. näher BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 5; ErfKAscheid 4 § 1 KSchG Rn. 319. 137

138 Vgl. BAG AP § 626 BGB Nr. 93; GK-KSchR-Dörner § 1 KSchG Rn. 314 ff.; Lepke NZA 1995, 1084 (1090). 139 Vgl. Ortlepp Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7. 140

Vgl. näher zu Nebenpflichtverletzungen ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 343, 348 ff., 358, 365 ff. m.w.N.

§ 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung

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aussetzungen möglich ist, obwohl entweder Unmöglichkeit oder aber Unzumutbarkeit vorliegt.141 Es fehlt in jenen Fällen also an einem vorwerfbaren Fehlverhalten des Arbeitnehmers. Richtigerweise wird daher die krankheitsbedingte Kündigung (im engeren Sinne) als eine spezielle Spielart der personenbedingten Kündigung betrachtet.142 Das Kündigungsinteresse knüpft in diesen Fällen nicht etwa an das Faktum der Krankheit als solcher, sondern vielmehr an die betrieblichen oder wirtschaftlichen Negativfolgen des krankheitsbedingten Fehlens an. Dieser Gedanke kann relativ bruchlos auf die anderen Fallgruppen der Leistungsverweigerung wegen Unzumutbarkeit übertragen werden. Konstellationen der Krankheit im Arbeitsverhältnis stellen – wie schon gezeigt wurde – jedenfalls in einem praktisch bedeutsamen Teilbereich Konstellationen von ideell motivierter Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung dar.143 Wie also bei einer berechtigten Leistungsverweigerung wegen krankheitsbedingter Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung unter bestimmten Voraussetzungen eine personenbedingte Kündigung in Betracht kommt, so gilt dies auch für Gewissenskonflikte im Arbeitsverhältnis, familiäre Leistungsverweigerungsgründe oder andere Fallgruppen ideeller Unzumutbarkeit. In allen Fällen speist sich ein berechtigtes Kündigungsinteresse des Arbeitgebers aus den wirtschaftlichen Negativfolgen, die das Fehlen des Arbeitnehmers für ihn bewirkt.

aa) Allgemeine Kündigungsvoraussetzungen Allgemein werden fünf Voraussetzungen einer personenbedingten Kündigung genannt: Erstens die nicht vorwerfbare Schlecht- oder Nichterfüllung der vertraglich geschuldeten Leistung.144 In den hier interessierenden Fällen liegt diese immer in der – berechtigten – Leistungsverweigerung und der daraus resultierenden Nichtleistung. Ein Arbeitnehmer, der trotz Krankheit, trotz eines Gewissenskonfliktes oder trotz einer Kollision von Arbeits- und Elternpflicht vertragsgemäß leistet, kann nicht personenbedingt gekündigt werden.145 Schon hieran zeigt sich, dass eigentlicher Kündigungsgrund jeder personenbedingten Kündigung nicht „die Person“ des Arbeitnehmers oder ein in seiner Person  141

Zur Systematik krankheitsbedingter Leistungsstörungen vgl. ausführlich oben § 7 II und III sowie Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 ff.; allgemein zur krankheitsbedingten Kündigung Preis, Krankheitsbedingte Kündigung, S. 93 ff. 142

Vgl. nur GK-KSchR-Dörner § 1 KSchG Rn. 134. Vgl. oben § 7 II 2 sowie Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 ff. 144 GK-KSchR-Dörner § 1 KSchG Rn. 118 ff. 145 Vgl. nur ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 175. 143

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

liegender Umstand ist, sondern vielmehr die negativen Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis, die aus dem in seiner Person liegenden Umstand resultieren. Zweitens muss die betriebliche oder wirtschaftliche Sphäre des Arbeitgebers durch die „personenbedingt“ eingetretene Leistungsstörung erheblich beeinträchtigt sein.146 Anders lässt sich ein überwiegendes Kündigungsinteresse des Arbeitgebers nach allgemeiner Ansicht im Bereich des personenbedingte Kündigung nicht begründen.147 Eine derartige betriebliche oder wirtschaftliche Beeinträchtigung kann – wie noch zu zeigen sein wird – aus tatsächlichen wirtschaftlichen Belastungen, etwa durch Entgeltfortzahlung, durch Betriebsablaufsstörungen oder auch aus dem Interesse resultieren, die Dispositionsmöglichkeit über den Arbeitsplatz wiederzugewinnen. Drittens muss zu dem Zeitpunkt, in welchem die Kündigungserklärung dem Arbeitnehmer zugeht, prognostisch mit weiteren Leistungsstörungen zu rechnen sein.148 Es bedarf also einer hinreichend gesicherten Prognosegrundlage an festgestellten Leistungsstörungen in der Vergangenheit und der berechtigten Erwartung weiterer gleichartiger Störungen. Viertens ist anerkannt, dass gerade die personenbedingte Kündigung unzulässig ist, wenn eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen, freien Arbeitsplatz möglich ist und die Negativprognose auf diese Variante der Weiterbeschäftigung nicht zutrifft.149 Hierfür sind auch zumutbare Umschulungsmaßnahmen in Betracht zu ziehen. Während bei der verhaltensbedingten Kündigung das Kriterium nur selten praktisch relevant wird, da die Mehrzahl verhaltensbedingter Kündigungssachverhalte unabhängig von einem bestimmten Arbeitsplatz die Möglichkeit der künftigen vertrauensvollen Zusammenarbeit beeinträchtigt und so das Kündigungsinteresse des Arbeitgebers überwiegen lässt, stellt die fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bei der personenbedingten Kündigung ein zentrales und auch praktisch wesentliches Tatbestandsmerkmal der Kündigung dar. Vor allem dies macht die personenbedingte Kündigung zu einem in ihren Voraussetzungen gegenüber der verhaltensbedingten  146

GK-KSchR-Dörner § 1 KSchG Rn. 125. Vgl. BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 25; BAG AP § 1 KSchG 1969 Umschulung Nr. 1; BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 28; v.Hoyningen-Huene/Linck § 1 KSchG Rn. 177; Preis, Prinzipien, S. 433; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 1193 f. 148 Vgl. BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 10; Weller ArbRGegw 20 (1983), 77 (79 f.); Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rn. 361; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 1195, 1226 ff. 149 Die Leistungsstörungen dürfen – prognostisch – auf dem freien Arbeitsplatz gar nicht oder nur in unbedeutender Weise auftreten; vgl. BAG AP § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 9; BAG AP § 1 KSchG 1969 Umschulung Nr. 1; KR-Etzel § 1 KSchG Rn. 272, 346; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 1199. 147

§ 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung

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Kündigung eingeschränkten und restriktiveren Instrument der Vertragsbeendigung.150 Schließlich soll fünftens in einer umfassenden Interessenabwägung zu prüfen sein, ob das Interesse des Arbeitgebers an der Vertragsbeendigung tatsächlich das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers überwiegt.151 Welche Interessen in diese Abwägung einzubeziehen sind, ist umstritten: Während die Rechtsprechung eine umfassende Interessenabwägung vornimmt und insbesondere auch Sozialdaten, wie etwa Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers zu seinen Gunsten wertet,152 will eine starke Literaturmeinung diese Aspekte ausklammern und nur arbeitsplatzbezogene Interessen in den Abwägungsvorgang einbeziehen.153

bb) Personenbedingte Kündigung und Leistungsverweigerung Die hier interessierenden Fälle berechtigter Leistungsverweigerung infolge ideeller Unzumutbarkeit können ohne weiteres unter die Tatbestandsmerkmale der personenbedingten Kündigung subsumiert werden: Allen Fallgruppen der Leistungsverweigerung wegen ideell motivierter Unzumutbarkeit ist gemeinsam, dass für einen bestimmten Zeitraum keine Leistung erbracht wird. Sofern auf der Primärebene ein Leistungsverweigerungsrecht bejaht wurde, ist diese Nichterbringung der vertraglich geschuldeten Leistung regelmäßig auch nicht vorwerfbar. Ist sie im Einzelfall verschuldet – etwa in den Fällen der positiven Voraussicht oder der sonstigen Vermeidbarkeit des Konfliktes –, besteht meist schon auf der Primärbene kein Recht zur Leistungsverweigerung.154 Einschlägig ist dann nicht die personenbedingte, sondern vielmehr die verhaltensbedingte Kündigung wegen grundloser Leistungsverweigerung. Anderes kann sich nur in Fällen verschuldeter Leistungshinderung ergeben, wenn die kollidierende Rechtsposition nicht disponibel war. In diesen Fällen besteht trotz Vertretenmüssens des Leistungshindernisses ein Leistungsverweigerungsrecht. Die bloße Nichtleistung kommt, da sie durch das Leistungsverweigerungsrecht gerechtfertigt ist, auch in diesen Fällen nicht als verhaltensbedingter Kündi 150 151

Vgl. etwa ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 176; Preis, Prinzipien, S. 308 f., 448 ff., 453 f.

Vgl. nur BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 26; kritisch ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 185. 152 BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 38, 26, 22; KR-Etzel § 1 KSchG Rn. 356 ff. 153 ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 185 f.; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 1201; ders. Krankheitsbedingte Kündigung, S. 111 (Bedeutung der Unterhaltspflichten trete „in den Hintergrund“); Oetker Anm. zu BAG EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 28; Schwerdtner DB 1990, 375 (378); Hoß MDR 1999, 777 (783); Lingemann BB 2000, 1835, jeweils m.w.N. 154 Vgl. oben § 9 III 5.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

gungsgrund in Frage; nur eine personenbedingte Kündigung bleibt unter den dargestellten Voraussetzungen möglich. Mit der Leistungsverweigerung geht typischerweise auch eine Störung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Sphäre des Arbeitgebers einher. Für Art und erforderliches Ausmaß diese Störung lassen sich – wie noch zu zeigen sein wird – in Anlehnung an die Dogmatik der krankheitsbedingten Kündigung bestimmte Fallgruppen bilden. Hier sei nur beispielhaft darauf hingewiesen, dass sich ein Kündigungsinteresse des Arbeitgebers etwa daraus ergeben kann, dass der Betriebsablauf durch den Ausfall des Arbeitnehmers erheblich und dauerhaft gestört wird. Möglich erscheint auch, dass sich der Arbeitgeber bei häufig wiederkehrender Leistungsverweigerung durch seine Pflicht zur Entgeltfortzahlung (§ 616 BGB oder – in Fällen der krankheitsbedingten Unzumutbarkeit – § 3 I EFZG) einer wiederholten Störung des Austauschverhältnisses ausgesetzt sieht.155 Ebenso kann die Störung bei zeitlich unabsehbarer Leistungsverweigerung darin begründet sein, dass der Arbeitgeber seiner Dispositionsmöglichkeit über einen faktisch unbesetzten Arbeitsplatz durch das fortbestehende, gleichwohl inhaltsleer gewordene Arbeitsverhältnis enthoben ist.156 Dass zur Kündigung infolge berechtigter Leistungsverweigerung eine Negativprognose erforderlich ist und anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten nicht bestehen dürfen, ist auch aus der Rechtsprechung des BAG zu den Konstellationen ideeller Unzumutbarkeit bekannt;157 freilich hat das BAG infolge der dargestellten Kategorienvermischung zwischen Primär- und Sekundärebene beide Kriterien schon für die Zuerkennung des Leistungsverweigerungsrechts nutzbar machen wollen.158 Zutreffend erscheint demgegenüber, beide Aspekte auf der kündigungsrechtlichen Sekundärebene zur Feststellung des arbeitgeberseitigen Kündigungsinteresses heranzuziehen. Damit kann nunmehr eine unzweifelhafte Einordnung dieser Fälle als Konstellationen der personenbedingten Kündigung vorgenommen werden. Dies korreliert nicht nur der allgemein anerkannten Einordnung der krankheitsbedingten als Unterfall der personenbedingten Kündigung,159 sondern insbesondere auch der allgemeinen Definition des personenbedingten Kündigungsgrundes: Demnach ist – zusammenfassend gesagt – eine personenbedingte Kündigung  155 Anerkannt für Fälle häufiger Kurzerkrankungen; vgl. BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 14, 20; BAG EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 40. 156 Anerkannt für Fälle der Langzeiterkrankung; vgl. BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 35; deutlich in der Lit. Aden RdA 1981, 280 (283). 157 Vgl. insbes. BAG AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1. 158 Vgl. oben § 3 II 2 c) bb) (1.) (a) und (c). 159

Vgl. statt aller Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 1214; Lepke, Kündigung bei Krankheit Rn. 86; Herbst/Wohlfarth DB 1990, 1816.

§ 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung

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dann einschlägig, wenn der Arbeitnehmer infolge eines Mangels an persönlichen Voraussetzungen nicht die Eignung und Fähigkeit besitzt, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung ganz oder teilweise zu erbringen.160 Die eingetretene Rechtsgüter- oder Pflichtenkollision lässt die persönliche Eignung des Arbeitnehmers zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung in diesem Sinne entfallen.

cc) Fallgruppenbildung Auch die Fallgruppenbildung der krankheitsbedingten Kündigung kann mit einigen Modifikationen verallgemeinert werden: So erscheint eine personenbedingte Kündigung bei Ausübung eines Leistungsverweigerungsrechts immer dann gerechtfertigt, wenn eine vollständige und dauerhafte Leistungshinderung eintritt, prognostisch also ein Wegfall des ideellen Leistungshindernisses nicht oder nicht in prognoserelevanter Zeit161 absehbar ist. In diesen Fällen erscheint das Arbeitsverhältnis nur noch als „rechtlicher Mantel“162 ohne greifbaren Inhalt. Das Kündigungsinteresse des Arbeitgebers überwiegt stets, da der Arbeitnehmer an dem Fortbestand eines derart inhaltsleeren Arbeitsverhältnis kein legitimes Interesse hat. Dies gilt jedenfalls nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraumes. Der Arbeitgeber hat demgegenüber in diesen Fällen das legitime Interesse, die vollständige Dispositionsgewalt über den freien Arbeitsplatz zurückzugewinnen, die Stelle also anderweitig vergeben zu können.163 Die Situation entspricht damit der anerkannten Fallgruppe der Kündigung wegen dauerhafter oder lang andauernder krankheitsbedingter Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit der Arbeitsleistung.164 Ebenfalls vorstellbar ist die Situation häufiger kurzzeitiger Fehlzeiten infolge ideeller Leistungshindernisse. In diesem Fall ist der Arbeitgeber jeweils von neuem mit Entgeltfortzahlungskosten – etwa nach § 616 BGB – belastet. Die  160

BAG EzA § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 5; ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 169 ff.; Rüthers/Henssler ZfA 1988, 31 (44). 161 Vgl. zur Problematik bei krankheitsbedingter Kündigung BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 30, 36. 162

Deutlich BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 35: „Die auf Dauer bestehende Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers führt zu einer erheblichen Störung des nunmehr sinnentleerten Arbeitsverhältnisses.“ Vgl. auch Aden RdA 1981, 280 (283), der von einem „bloßen juristischen Mantel“ spricht, der „inhaltlich entleert“ sei, sobald die Leistung „auf unabsehbare Zeit unmöglich“ sei. 163 Vgl. ErfK-Ascheid 4 § 1 KSchG Rn. 216. 164

Vgl. dazu v.Hoyningen-Huene/Linck § 1 KSchG Rn. 242 f.; Popp DB 1981, 2611 (2615).

506

4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

Interessenlage entspricht damit der Konstellation häufiger Kurzerkrankungen.165 Hier kann die eintretende Verschiebung des Austauschverhältnisses ein überwiegendes Kündigungsinteresse des Arbeitgebers rechtfertigen. Die genaue quantitative Eingrenzung der zur sozialen Rechtfertigung notwendigen Fehlzeiten erscheint dabei ebenso schwierig und zweifelhaft wie im Bereich der krankheitsbedingten Kündigung.166 Schließlich lassen sich auch die gravierenden Gegenargumente gegen die Anerkennung eines solchen – rein wirtschaftlich definierten – Kündigungsinteresses, die aus dem Bereich der krankheitsbedingten Kündigung bekannt sind,167 verallgemeinern. Insgesamt lässt sich festhalten, dass Grundgedanken der krankheitsbedingten Kündigung auf die Kündigung bei anderen ideellen Leistungshindernissen in Grenzen und mit Modifikationen übertragbar sind. Damit wird jedoch ein Bereich zwar stark ausdifferenzierter, zugleich jedoch unsystematischer und unklarer Rechtsentwicklung in Bezug genommen.168 Die im Kontext der krankheitsbedingten Kündigung bekannten Zweifelsfragen brechen allgemein auch in anderen Fallgruppen ideeller Leistungshindernisse auf. Erinnert sei hier nur an das vom LAG Köln angeführte Argument, die Kündigung nach einer berechtigten Leistungsverweigerung verstoße gegen § 612a BGB.169 Diese Problematik ist aus dem Bereich der krankheitsbedingten Kündigung bekannt170 und begegnet – wie der vom LAG Köln entschiedene Fall zur Personensorge zeigt – auch in anderen Fallkonstellationen berechtigter Leistungsverweigerung. Festzuhalten ist damit, dass zahlreiche Probleme, die bislang nur für die krankheitsbedingte Kündigung diskutiert wurden, in ähnlicher Form auch bei anderen ideellen Leistungshindernissen auftreten können. Hier verbleibt Klärungsbedarf, der im Rahmen dieser Arbeit nur aufgezeigt, nicht jedoch umfassend beantwortet werden kann.

 165 Vgl. nur die Grundsatzentscheidung BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 20 mit krit. Anm. Preis. 166 Vgl. BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 21, 26; kritisch dazu Hanau ZfA 1984, 453 (565); Wank RdA 1992, 225 (231). 167 Preis Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 20; ders. DB 1988, 1444 (1445); Hanau ZfA 1984, 453 (562). 168 Preis, Krankheitsbedingte Kündigung, S. 113. Hanau ZfA 1984, 453 (565); Wank RdA 1992, 225 (231); vgl. auch Preis, Beschäftigungsförderung, S. 20 f. 169 LAG Köln MDR 1993, 1020 f. 170

Vgl. LAG Frankfurt DB 1988, 1704; Preis, Anm. zu BAG AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 20; ders. DB 1988, 1444 (1445); Hanau ZfA 1984, 453 (562).

§ 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung

507

3. Abgrenzung zur außerordentlichen Kündigung Die Abgrenzung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung vollzieht sich in Fällen der Leistungsverweigerung wegen ideeller Unzumutbarkeit nicht anders als in anderen Fallgestaltungen auch. Der entscheidende Unterschied liegt in dem zeitlichen Bezugspunkt der arbeitgeberseitigen Unzumutbarkeit, das Vertragsverhältnis ordnungsgemäß fortzusetzen.171 Dadurch verschieben sich die Maßstäbe der Interessenabwägung, die sowohl bei der ordentlichen als auch bei der außerordentlichen Kündigung im Kern der Rechtmäßigkeitsprüfung der Kündigung steht. Während es zur sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung genügt, dass es dem Arbeitgeber unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus fortzusetzen, muss bei der außerordentlichen Kündigung auch schon die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Zeitraum der Kündigungsfrist unzumutbar sein. In diesen Fällen erreicht also das Vertragsbeendigungsinteresse des Arbeitgebers ein solches Ausmaß, dass schon ein Abwarten der ordentlichen Kündigungsfrist dem Arbeitgeber nicht zumutbar ist. Typischerweise kann dies vor allem bei einer gravierenden schuldhaften Vertragsverletzung durch den Arbeitnehmer eintreten, die eine Weiterbeschäftigung auch für den begrenzten Zeitraum der Kündigungsfrist unzumutbar macht.172 Zu denken ist dabei etwa an Straftaten des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber.173 Hierhin gehört auch der Fall des schuldhaften Vertragsbruchs, etwa durch vorsätzliche Vortäuschung eines ideellen Leistungshindernisses. Ein derartiges Verhalten stellt in der Tat die „wohl schwerstmögliche Form der Verletzung der Arbeitspflicht dar“.174 Die Vertrauensbasis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber wird dadurch derart beschädigt, dass zumeist eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar erscheinen muss. Übertragen auf den speziellen Fall der Kündigung bei Leistungsverweigerung infolge ideeller Leistungshinderung zeigt sich, dass ein legitimes Interesse des Arbeitgebers an sofortiger Vertragsbeendigung nur höchst ausnahmsweise anzuerkennen ist. Die Entgeltfortzahlungspflicht nach § 616 BGB endet in  171 Vgl. wie hier v.Hoyningen-Huene/Linck § 1 KSchG Rn. 235 m.w.N. Auch bei ordentlicher personenbedingter Kündigung müssen die Beeinträchtigungen der Sphäre des Arbeitgebers ein derartiges Ausmaß erreichen, dass sie ihm „nicht mehr zuzumuten sind“. 172 Vgl. ähnlich KDZ-Däubler § 1 KSchG Rn. 172. 173 Vgl. nur beispielhaft BAG AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 47; ErfK-Müller-Glöge4 § 626 BGB Rn. 148 ff. 174 Die plastische Formulierung stammt von Stoffels, Vertragsbruch, S. 103.

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4. Teil: Sekundäre Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung

jedem Fall nach wenigen Tagen.175 Wirtschaftliche Gründe, bei berechtigter Leistungsverweigerung das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden, sind damit in der Regel nicht ersichtlich. Eine tiefgreifende Störung der betrieblichen Zusammenarbeit, die eine sofortige Vertragsbeendigung legitimieren könnte, ist allenfalls in Konstellationen der unberechtigten Leistungsverweigerung unter Berufung auf ideelle Gründe anzuerkennen. Hier kann der vorsätzliche Vertragsbruch des Arbeitnehmers auch eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.176 Bei der berechtigten Leistungsverweigerung ist hingegen in aller Regel nur Raum für eine ordentliche Kündigung unter den dargestellten Voraussetzungen. Mit Blick auf diese Interessenlage zeigt sich deutlich, dass der eingangs dargestellte Schluss, man könne das Rücktrittsrecht bei Leistungsstörungen in Dauerschuldverhältnissen stets durch das Recht zur außerordentlichen Kündigung substituieren,177 verfehlt ist. Regelfall der Vertragsbeendigung wird auch und gerade in Konstellationen ideeller Unzumutbarkeit die ordentliche Kündigung sein, sofern das betroffene Vertragsverhältnis eine solche vorsieht.178

III. Resümee Es wurde gezeigt, dass die kündigungsrechtlichen Folgen der Leistungsverweigerung bei ideeller Unzumutbarkeit differenziert betrachtet werden müssen. Eine generelle Präjudizierung des Kündigungsrechts durch Zuerkennung oder Ablehnung eines Leistungsverweigerungsrechts scheidet mit Blick auf die unterschiedlichen jeweils zu berücksichtigenden Interessen aus. Zu differenzieren ist hinsichtlich der Vertragsbeendigung zum einen nach der Art des Schuldverhältnisses. Für Fälle punktuellen Leistungsaustauschs und nicht in Vollzug gesetzte Dauerschuldverhältnisse lässt § 326 V BGB den Rücktritt zu. Damit ist für den Bereich der Leistungsverweigerung bei ideeller Unzumutbarkeit jedoch nur ein kaum relevanter Teilbereich gesetzlich klar geregelt. Im in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnis tritt an die Stelle des Rücktritts grundsätzlich die ordentliche Kündigung. Im Arbeitsverhältnis tritt eine teilweise Präjudizierung freilich insoweit ein, als der Leistungsverweigerung durch die Zuerkennung eines Leistungsverwei 175

Vgl. oben § 3 IV 1 f) bb). Vgl. Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; allgemein auch ErfK-Müller-Glöge4 § 626 BGB Rn. 103; Stoffels, Vertragsbruch, S. 103. 177 Palandt-Heinrichs63 § 323 Rn. 4; ähnlich AnwK-Krebs § 314 Rn. 11. 176

178

Eine Ausnahme stellen daher ordentlich unkündbare Arbeitnehmer dar; vgl. allgemein Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 814 m.w.N.

§ 17 Leistungsverweigerung und Vertragsbeendigung

509

gerungsrechts ihre Rechtswidrigkeit genommen und dadurch die Möglichkeit einer verhaltensbedingten Kündigung ausgeschlossen wird. In diesen Fällen bleibt jedoch unter den dargestellten engen Voraussetzungen Raum für eine ordentliche personenbedingte Kündigung. Besteht kein Leistungsverweigerungsrecht oder hat der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Leistungsverweigerung Nebenpflichten schuldhaft und rechtswidrig verletzt, so kann eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht kommen. Diese Systematik hat das BAG mehrfach verkannt. Gezeigt wurde ebenfalls, dass für die Konkretisierung des personenbedingten Kündigungsgrundes auf die differenzierte Rechtsprechung zur krankheitsbedingten Kündigung zurückgegriffen werden kann. Insoweit bleiben jedoch all jene Fragen offen, die auch im Bereich der krankheitsbedingten Kündigung nicht abschließend geklärt sind, insbesondere die Frage nach dem für eine Kündigung erforderlichen Ausmaß der Vertragsstörung. Dennoch können die Fallgruppen der krankheitsbedingten Kündigung für eine Typisierung der Kündigungstatbestände auch in anderen Fallgruppen ideeller Unzumutbarkeit nutzbar gemacht werden.

Fünfter Teil

Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der Ergebnisse

§ 18 Ideelle Unzumutbarkeit und gesetzgeberische Gestaltungskraft Preis hat 1988 in einer grundlegenden Schrift zum Unzumutbarkeitsbegriff darauf hingewiesen, dass der ausufernde Rekurs auf den Unzumutbarkeitsbegriff einer „Krise der modernen Gesetzgebung“ gleichkomme.1 Die Verwendung extrem unbestimmter Tatbestandsmerkmale impliziere eine Verlagerung der politischen Verantwortung auf den Richter und deute auf einen Mangel an politischer Gestaltungskraft hin.2 Bei einer Verwendung des Unzumutbarkeitsbegriffs als inhaltsarmer „Leerformel“ nehme der Gesetzgeber die ihm zukommende Abwägungsprärogative nicht wahr; es handele sich – so Preis im Anschluss an Henkel3 – um ein „Stück offengelassener Gesetzgebung“, um „Normverzicht“.4 Zugleich sieht er jedoch ein legitimes Interesse für die Verwendung des Unzumutbarkeitsbegriffs überall dort, wo Ausnahmetatbestände „einer außerordentlichen Leistungserschwerung“ geregelt werden sollen.5 Hierfür benennt er drei Kriterien: Der Rückgriff auf das Unzumutbarkeitsprinzip dürfe stets nur als legislative ultima ratio in Betracht kommen, wenn eine präzisere Normierung mit Blick auf die Regelungsmaterie nicht denkbar sei. Zudem sei die Verwendung des Zumutbarkeitsbegriffs nur dann „verfassungsrechtlich unbedenklich“, wenn der Gesetzgeber die konkreten Maßstäbe der Zumutbarkeit etwa durch Normierung von Regelbeispielen selbst festlege. Schließlich müsse die gesetzliche Regelung selbst beinhalten, welcher Grad an Unzumutbarkeit im konkreten Fall vorliegen müsse. Der Gesetzgeber müsse also stets eine normative  1

Preis ZG 1988, 319 (336). Preis ZG 1988, 319 (333). 3 Henkel, Festschrift Mezger (1954), S. 249 (302 f.). 4 Vgl. Preis ZG 1988, 319 (326); allgemein auch Diederichsen, Flucht des Gesetzgebers (1973); ähnlich Bley, Festschrift Wannagat (1981), S. 19 (21, 49). 5 Preis ZG 1988, 319 (328, 336). 2

§ 18 Ideelle Unzumutbarkeit und gesetzgeberische Gestaltungskraft

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Wertentscheidung treffen, die er nicht einfach auf den Richter übertragen dürfe.6 Gemessen an diesen Maßstäben erscheint die Normierung ideeller Rechtsgüter- und Pflichtenkollisionen, die das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz mit § 275 III BGB geschaffen hat, unbefriedigend. Selbstverständlich handelt es sich bei den erfassten Fallgestaltungen um Ausnahmetatbestände: Die grundlegende Bindung an die Vertragstreue wird zugunsten atypischer Konstellationen der Leistungshinderung durchbrochen. Insoweit stellt die Norm zweifellos eine Ausnahmeregelung dar. Gleichwohl wäre eine stärkere tatbestandliche Konkretisierung ohne weiteres möglich gewesen; der angemahnte „ultima-ratio-Charakter“ des Rückgriffs auf den Zumutbarkeitsbegriff ist somit nicht gewahrt. De lege ferenda hätte sich eine tatbestandliche Umschreibung der fixierten Fälle durch die Begrifflichkeit der ideellen Rechtsgüter- und Pflichtenkollision angeboten. Dies hätte den legislativ intendierten Anwendungsbereich der Vorschrift verdeutlicht und zugleich den unklaren Begriff der Unzumutbarkeit vermieden. Klarstellende Regelbeispiele nennt nicht das Gesetz, sondern lediglich die Regierungsbegründung.7 Dieser kommt jedoch keineswegs Gesetzesrang zu.8 Zudem beinhaltet die Regierungsbegründung – wie exemplarisch dargestellt9 – vielfach weniger eine Klarstellung als eine Verundeutlichung. Die Aufführung von Regelbeispielen in der Regierungsbegründung bleibt in Teilen undeutlich und lässt überdies – gerade mit Blick auf die Aussagen zu Gewissenskonflikten10 – Zweifel an dem Systemverständnis des Gesetzgebers aufkommen. Eine greifbare normative Wertung hat der Gesetzgeber mit der neuen Vorschrift ebenfalls kaum getroffen. Lediglich das „Ob“ einer Anerkennung ideellpersonaler Leistungshindernisse und der Einredecharakter eines bestehenden Leistungsverweigerungsrechts werden geregelt; die genauen Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung bleiben im Dunkeln und müssen mit Blick auf systematische Erfordernisse freigelegt werden. Die grundsätzliche Anerkennung ideeller Leistungshindernisse stellt dabei keine greifbare legislative Wertung dar, sondern resultiert überwiegend schon aus verfassungsrechtlichen und rechtssystematischen Vorgaben.11 Der Rege 6

Preis ZG 1988, 319 (328). Vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte unten. 8 Dauner-Lieb/Arnold JuS 2002, 1175. 9 Vgl. etwa oben § 9 III 4 und § 3 III 1. 10 Vgl. oben § 3 III 1 sowie Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 115 Fn. 232. 11 Vgl. oben § 9 III 2 a). 7

512

5. Teil: Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der Ergebnisse

lungsgehalt der Norm erschöpft sich damit in der klarstellenden Normierung eines Leistungsverweigerungsrechts mit Einredecharakter. Insoweit hat die Vorschrift eine auch inhaltlich begrüßenswerte Entscheidung der alten Streitfrage Einrede versus ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht gebracht. Hinsichtlich des Unzumutbarkeitsbegriffs trifft die Neuregelung jedoch keinerlei normative Eingrenzung. Diese ergibt sich freilich deutlich – sofern Verfassungsgüter mit der Vertragspflicht kollidieren – aus den Vorgaben des höherrangigen Rechts. Für eine echte legislative Gestaltungsentscheidung war daher ohnehin nur Raum hinsichtlich Kollisionen der Vertragspflicht mit einfachrechtlich geschützten Gütern und Interessen des Leistungsschuldners. Auch hier hat der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes jedoch in einem Akt legislativer „self-restriction“ seine gestalterische Aufgabe nicht wahrgenommen. Der Neuregelung bleibt damit der Vorwurf nicht erspart, dass sie sich auf ein Minimum an inhaltlicher Fixierung beschränkt. Gerade die politisch brisante, umstrittene und praktisch bedeutsame Problematik ideeller Leistungshindernisse hätte eine präzisere Normierung und tatbestandliche Eingrenzung verdient. Beispielhaft zeigt sich an dieser Stelle die seit längerem zu beobachtende Neigung der Legislative, sich in politisch brisanten Fragen einer eigenen Wertentscheidung zu enthalten und rudimentäre Regelungen unter Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zu treffen. Die politische Verantwortung wird damit letztlich auf den Richter übertragen.12 Dies erscheint nicht nur im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit bedenklich; es stellt sich auch die Frage nach der demokratischen Legitimation der erforderlichen richterlichen Gestaltungsentscheidung. Zugespitzt lässt sich damit die Normierung ideeller Leistungshindernisse in § 275 III BGB als ein Musterbeispiel für legislative „Verantwortungs-Losigkeit“, für ein Ausweichen vor der Regelung brisanter Fragestellungen sowie für mangelnde politische Gestaltungskraft charakterisieren.13 Auch abseits der genannten Kriterien erscheint die Neuregelung wenig geglückt. Sowohl die systematischen Erwägungen, die zu einer unbefriedigenden Ausklammerung der Gewissenskonflikte und verwandter Fallgruppen führen,14 als auch die Problematik einer Einbeziehung der Rechte Dritter in die anzustellende Interessenabwägung15 deuten auf ein Verkennen der tieferen verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen hin, welche vielfach die dogmatische Grund 12 Kritisch auch – gerade mit Blick auf das Arbeitsrecht – Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 134 („unselige Rücksichten“). 13

Vgl. schon Diederichsen, Flucht des Gesetzgebers (1973). Vgl. oben § 3 III sowie § 8 I 1 und III. 15 Vgl. oben § 9 III 4. 14

§ 18 Ideelle Unzumutbarkeit und gesetzgeberische Gestaltungskraft

513

lage ideeller Leistungshindernisse bilden. Hingewiesen wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit auch auf systematische Brüche gegenüber verwandten Tatbeständen, etwa § 616 BGB oder § 45 III, IV SGB V.16 Hier besteht Harmonisierungsbedarf. Auf mangelndes Systemverständnis des Gesetzgebers deutet schließlich die Regelung im unmittelbaren Zusammenhang mit der Unmöglichkeit (§ 275 I BGB) hin. Während also die Normierung in § 275 III BGB inhaltlich der besonderen Natur ideeller Unzumutbarkeits-Tatbestände durch Anordnung eines Leistungsverweigerungsrechts mit Einredecharakter gerecht wird, bildet sich diese deutliche Differenzierung gegenüber dem Unmöglichkeitsrecht in der systematischen Stellung des Tatbestandes keineswegs ab. Hiermit korrespondiert die verbreitete Fehldeutung, es handele sich bei den Tatbeständen der ideellen Unzumutbarkeit um Fälle „persönlicher Unmöglichkeit“.17

 16 17

Vgl. oben § 10 IV und V.

In diesem Sinne BT-Drucks. 14/6040 S. 130 re. Spalte Abs. 2; ähnlich auch Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 320.

514

5. Teil: Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der Ergebnisse

§ 19 Rechtstheoretische Präzisierung des Unzumutbarkeitsbegriffs Rechtstheoretisch wurden unterschiedliche Ansätze einer Präzisierung des Unzumutbarkeitsbegriffs vertreten. Entgegen einer extremen Subjektivierung, wie sie etwa von v.Hoyningen-Huene befürwortet wurde,1 oder der Übersteigerung des Zumutbarkeitsbegriffs zu einem „metapositiven Rechtswert“2 ist nach dem hier entwickelten System an einer normativ-objektiven Ausfüllung des Begriffs festzuhalten.3 Die Maßstäbe zur Auffüllung des Zumutbarkeitsbegriffs liefern dabei – jedenfalls bei ideell-personalen Leistungshindernissen – vor allem die Wertentscheidungen des höherrangigen Rechts, insbesondere der Verfassung. Daneben können im Einzelfall auch einfachrechtliche Aspekte Bedeutung erlangen; hier ist nach rechtssystematischen Erwägungen eine Vorrangstellung zu ermitteln, die über „Zumutbarkeit“ oder „Unzumutbarkeit“ entscheidet. Damit wird deutlich, dass das Zumutbarkeitsprinzip keineswegs einen „metapositiven Rechtswert“ bildet. Vielmehr stellt es sich als Kulminationspunkt von Rechtsgüter- und Pflichtenkollisionen dar, die auf Grundlage rechtssystematischer Erwägungen durchaus befriedigend gelöst werden können. Die Maßstäbe zur Ermittlung einer Vorrangstellung sind ebenfalls schon in der Rechtssystematik angelegt.4 Das so verstandene Zumutbarkeitsprinzip stellt sich insbesondere als Einfallstor verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen dar. Damit sind Kern des Prinzips allgemeingültige, normativ-objektive Wertungen. Auf einer Metaebene können allerdings subjektive Prägungen zum Tragen kommen. Bei Gewissenskonflikten entscheidet etwa die subjektive Disposition des Betroffenen darüber, wann das Gewissen überhaupt betroffen ist. Nur in diesem Fall wird die normativ-objektive Wertentscheidung der Verfassung, das Gewissen unter weitreichenden Schutz zu stellen, bedeutsam. Diese Feststellung impliziert jedoch keine Subjektivierung des Unzumutbarkeitsbegriffs; sie resultiert vielmehr allein aus der grundrechtlichen Schutzbereichsdefinition speziell im Bereich der Gewissensfreiheit.5 Subjektive Elemente erlangen demnach lediglich mittelbar durch die Natur der betroffenen Rechtspositionen Be 1 2

v.Hoyningen-Huene, Billigkeit im Arbeitsrecht, S. 96.

Herschel ArbuR 1968, 193 (197). Ähnlich schon Preis, Prinzipien, S. 145; ders. ZG 1988, 319 (323 f.); Staudinger-Weber11 § 242 Rn. B 147; Lücke, Unzumutbarkeit, S. 41. 4 Vgl. zum Gedanken praktischer Konkordanz oben § 9 III 2 b) cc) (2.) sowie LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2; Bydlinski SAE 1991, 6 (7); Berger-Delhey Anm. zu BAG AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 1; Böckenförde NJW 2001, 723 (724); Muckel NJW 2000, 689 (691); kritisch Rüfner RdA 1992, 1 (3). 5 Vgl. oben § 3 II 2 a). 3

§ 19 Rechtstheoretische Präzisierung des Unzumutbarkeitsbegriffs

515

deutung, sie sind jedoch nicht schon dem Begriff der Unzumutbarkeit immanent. Das hier vertretene Modell einer Präzisierung des Unzumutbarkeitsbegriffs durch normative Wertungen des höherrangigen Rechts dient damit gerade der vielfach eingeforderten Objektivierung; es verleiht der „leeren Hülse“ der (Un-)Zumutbarkeit6 – im Grundsatz unabhängig von subjektiven Wertungen – einen normativen Kern. Dadurch wird der Begriff der Unzumutbarkeit präziser und praktisch anwendbar. Dem Rechtsanwender, dem die legislative Verantwortung durch Verwendung des extrem unbestimmten Rechtsbegriffs weitgehend aufgebürdet ist, werden damit Anhaltspunkte zu einer systematisch konsistenten Bewältigung der Materie aufgezeigt.

 6

Henkel, Festschrift Mezger (1954), S. 249 (304).

516

5. Teil: Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der Ergebnisse

§ 20 Conclusio Es wurde dargestellt, dass sich im Bereich ideell-personaler Leistungshindernisse „einfache“ Lösungen vielfach verbieten. Oft sind einzig differenzierte Wege geeignet, stimmige Lösungen herbeizuführen. Im Kern der zivilrechtssystematischen Betrachtungen muss der eigenständige Charakter der Unzumutbarkeitstatbestände stehen. Es handelt sich um keinen Unterfall der Unmöglichkeit, sondern um eine besondere Kategorie von Leistungsstörungen.1 Diesem Umstand trägt die Neuregelung in § 275 III BGB erstmals inhaltlich Rechnung, indem sie ein Leistungsverweigerungsrecht mit Einredecharakter normiert, damit deutlich von den überkommenen Strukturen des Unmöglichkeitsrechts abweicht und zu einer inhaltlich angemessenen Lösung findet. Gerade die Neuregelung gibt Anlass zu einer Restriktion des Unmöglichkeitsbegriffs auf seinen originären Kern, Fälle naturgesetzlicher und – richtig verstandener2 – rechtlicher Unmöglichkeit der Leistungserbringung zu regeln. Das entscheidende Abgrenzungskriterium ist dabei die charakteristische Entscheidungsmöglichkeit, die dem Schuldner in Konstellationen der Unzumutbarkeit, nicht hingegen in Fällen der Unmöglichkeit verbleibt.3 Gerade diese Entscheidungsmöglichkeit erfordert die Normierung eines Einredetatbestandes. Ausschließlich in Fällen, in denen dem Schuldner jede Entscheidung für oder gegen eine Leistungserbringung ipso facto abgenommen ist, bildet ein ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht, wie er für das Unmöglichkeitsrecht charakteristisch ist, ein adäquates Lösungsmodell. Diese Abgrenzung legt die Neuregelung durch Normierung von Einredetatbeständen in Fällen der Unzumutbarkeit ausdrücklich offen. Regelungstechnisch bildet sich diese zutreffende inhaltliche Bewertung freilich höchst unzureichend ab, indem systematisch die Tatbestände der Unzumutbarkeit in unmittelbare Nähe der Unmöglichkeit gerückt werden.4 Infolge regelungstechnischer Unzulänglichkeiten wird zudem die Handhabung des neuen Tatbestandes unnötig kompliziert; erinnert sei in diesem Zusammenhang an die weiterhin unklare und streitige Einordnung der Gewissenskonflikte, die nach der hier vertretenen Auffassung § 275 III BGB nicht unterfallen können.5 In Grundsatz überzeugend wirkt hingegen wiederum die Angleichung der sekundären Rechtsfolgen der Leistungsverweigerung an die Rechtsfolgen der  1

Oben § 10 I 1. Oben § 10 I 2 b). 3 Vgl. schon Medicus, in: Haas/Medicus et al., Kap. 3 Rn. 38, 40; Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106 (2107 ff.); vgl. auch oben § 10 I 1. 2

4 5

Oben § 12. Oben § 3 III.

§ 20 Conclusio

517

Unmöglichkeit. Anknüpfungspunkt ist hier der gemeinsame Oberbegriff der Nichtleistung. Das Kompensationsinteresse des von der Leistungsverweigerung betroffenen Gläubigers ist in beiden Fällen gleichgerichtet; der Grund der Nichtleistung – Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit – tritt demgegenüber in den Hintergrund.6 Diese Gleichstellung, so interessengerecht sie im Grundsatz auch sein mag, stößt jedoch bei Detailproblemen an ihre Grenzen. Dies ist immer dann der Fall, wenn sich mittelbar die Strukturverschiedenheit beider Spielarten des Leistungsstörungsrechts auch hinsichtlich sekundärer Rechtsfolgen auswirkt. Erinnert sei nur an die Teilleistungsproblematik.7 Nach wie vor keine umfassende Klärung hat das Problemfeld der Vertragsbeendigung nach einer berechtigten Leistungsverweigerung erfahren; hier sind jedoch allgemeine kündigungsrechtliche Strukturprinzipien konsequent anzuwenden. Insbesondere kann die ausdifferenzierte, freilich ebenfalls unsystematische Rechtsprechung des BAG zur krankheitsbedingten Kündigung auch für Parallelprobleme in anderen Fallgruppen ideeller Unzumutbarkeit nutzbar gemacht werden.8 Insgesamt stellen Konstellationen ideeller Unzumutbarkeit auch nach der Neuregelung ein höchst komplexes Teilgebiet des Leistungsstörungsrechts dar. Dem Rechtsanwender wird hier ein weiter Bereich legislativer Gestaltungskompetenz durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe übertragen. Daraus ergibt sich eine intensive Einwirkung grundrechtlicher Wertentscheidungen auf jegliche Gesetzesauslegung. Entscheidende Richtschnur einer Konkretisierung des Unzumutbarkeitsbegriffs müssen daher die verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere die sich aus der Schrankensystematik und Normenhierarchie ergebenden Folgerungen sein. Solange diese normativen Vorgaben des höherrangigen Rechts hinreichend beachtet werden, kann auch der höchst unbestimmte Rechtsbegriff der „Unzumutbarkeit“ mit Inhalt gefüllt und die auftretenden Konflikte durch ein abgestuftes, differenziertes System von Rechtsfolgen befriedigend gelöst werden. Entnimmt man die Konkretisierungen des Zumutbarkeitsbegriffs nach den schon zusammenfassend dargestellten Methoden ausschließlich normativobjektiven Wertungen, so stellt sich in einem Teilbereich des Leistungsstörungsrechts, der scheinbar von hochgradiger Rechtsunsicherheit geprägt ist, eine überraschende Rechtssicherheit und -klarheit ein. Erst dadurch lassen sich die Tatbestände der ideellen Unzumutbarkeit angemessen konkretisieren und  6 7 8

Oben § 14 II. Oben § 15 II 3.

So auch BAG AP § 123 BGB Nr. 23; LAG Frankfurt AP § 611 BGB Gewissensfreiheit Nr. 2; Reuter JuS 1990, 591 (592).

518

5. Teil: Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der Ergebnisse

die in den jeweiligen Fallgruppen auftretenden Konflikte ausgleichenden, „mittleren“9 Lösungen zuführen.

 9

Mayer-Maly, Festschrift Müller (1980), S. 325 (332).

Literaturverzeichnis

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Alternativkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (Reihe Alternativkommentare), hrsg. von Wassermann, Rudolf (zit. AK-BGB-Bearbeiter) –

Bd. 2: Allgemeines Schuldrecht, bearb. von Brüggemeier, Gert/Dubischar, Roland u.a., Neuwied 1980



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Alternativkommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Reihe Alternativkommentare), hrsg. von Wassermann, Rudolf (zit. AK-GG-Bearbeiter) –

Bd. 1: Art. 1-37, bearb. von Bäumlin, Richard/Preuß, Ulrich K. u.a., 2. Aufl., Neuwied 1989



Bd. 2: Art. 38-146, bearb. von Azzola, Axel/Denninger, Erhard u.a., 2. Aufl., Neuwied 1989

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Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung

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Hochgestellte Ziffern in Fußnoten kennzeichnen die jeweilige Auflage.

Sachwortregister

Abmahnung 305, 499 f. Abschiebung 281 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 256, 281 f. Alternativtätigkeiten 107, 110, 135, 419, 426, 428, 442, 444 ff., 468 f. „Anarchie“ 58, 61, 86, 89 f., 92 f., 95 Anfechtung 43, 82, 91, 402, 411, 454 Angst 53, 308 ff., 316, 432 Annahmeverzug 413, 424, 426, 428, 440 ff., 469  Ausschluss 442 ff. Anspruchsübergang auf die Krankenkasse 232 Äquivalenzverschiebung 56 Arbeitnehmerhaftung 465 Arbeitssicherheit 199, 370 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung,  Beweiswert 292 Arbeitsvertrag,  persönliche Leistungspflicht 111, 128 ff., 218 f., 240  personale Prägung 219  Vertragsgestaltung 114 Arbeitsverweigerung (s. Leistungsverweigerung) Arzt 120 f., 160, 205, 213 f., 222, 226, 249, 292 f., 352 ff. Arztbesuche 160, 214, 222, 226, 379 Aufwertungs-Rechtsprechung 46, 383 Auslegungsmethode, objektive und subjektive 139

Austauschverhältnis 219, 492, 504, 506 Baghwan 180 ff. Bedingung,  auflösende 402  aufschiebende 401  Potestativbedingung 402 Behördengänge während der Arbeitszeit 143, 160, 226, 264, 307, 312, 316 Berufsfreiheit 98, 109, 183, 189, 311, 324 Betriebliche Übung 182 Betriebsablauf 109, 113, 157, 194, 197, 220, 245, 262, 269, 287, 326, 338, 341 f., 492, 504 Betriebskindergarten 427 Betriebsstörung 113, 185, 189, 200, 326, 492 Billigkeitskontrolle 50, 53 f., 72 ff., 79, 87 f., 139, 143, 168, 171 ff., 465  Abgrenzung zu § 242 BGB 173  Funktion 172  widerlegliche Vermutung 172 „Chaos“ 58, 61, 95, 175 clausula rebus sic stantibus 46, 174 culpa in contrahendo 37, 38, 66, 85, 455 f., 458, 466 Dauerschuldverhältnis 443, 472 ff., 508

413 f.,

422,

Sachwortregister Delegation auf den Richter 139 f., 156, 331, 333, 354, 510 ff., 517 Dienstvertrag, freier 219, 289, 315  persönliche Leistungspflicht 218 Direktionsrecht (s. auch Billigkeitskontrolle) 53, 72, 74 f., 79, 87, 108, 112, 139, 169 f., 171 ff., 176, 185, 195, 428, 446, 448, 480 Disposition über den Arbeitsplatz 502, 504 f. Disziplinarrecht 353 f. Drittwirkung,  mittelbare 39, 72 f., 81 ff., 87, 94, 187, 189, 271, 323, 328 ff., 333, 351, 408, 514  unmittelbare 58, 68, 72, 78 f., 87, 118, 329 f., 488 Drucker 51 f., 70 ff., 115, 126, 128, 144, 160, 480 Ehrenamt 264, 307, 313 f. Eigentumsfreiheit 98, 109, 129, 183, 189, 311, 324, 342 Einrede 38, 40, 52, 64, 140, 142, 164, 166, 176, 274, 277, 304 ff., 366, 368, 385 ff., 511 f.  dilatorische 387 ff., 393 ff., 398  Einredelage 391 ff., 397  Erhebung 304 ff., 387, 390 ff., 399, 421, 445, 451, 458  gemeines Recht 391 f.  peremptorische 387 ff., 391 ff., 398  Rückabwicklung von Gestaltungsrechten 400 ff.  Rückwirkung 304 ff., 392 f., 395 ff., 399 ff., 421, 431, 458  Sicherheitsleistung 394 ff. Einzelbetrachtung, Grundsatz der 411 f., 455 ff., 473, 476, 481, 483, 488

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Elterliche Sorge,  absolutes Recht 210  Begriff 208 ff.  Dauer 231 ff., 235 ff., 243, 382  Elternpflicht 232, 370, 501  Elternverantwortung 208  Freistellunganspruch (§ 45 SGB V) 228 ff., 231 ff., 380 ff., 513  höchstpersönliche Ausübung 213 ff., 221, 238, 242, 244  Kindeswohl 209  Krankheit des Kindes 228 ff., 232, 380 f., 513  Pflichtrecht 208 ff.  schwerstkranke Kinder 235  Umfang 210, 214  Wächteramt 209, 244 Entgeltanspruch 38, 88, 134 f., 162, 223, 229, 234, 256 ff., 268 f., 272, 274, 283, 290, 366, 381, 409 ff., 418, 420, 427 f., 453, 470, 475 Entgeltgestaltung 220, 250 f., 327 Erholungsurlaub 256 ff., 266, 313 Ersatzvornahme 274, 286 Europäische Gemeinschaften 266 Familiäre Leistungshindernisse 205 ff., 489  Begräbnis 248, 255, 260  Beweis 263  Ehepartner, Fürsorgepflicht 247 f., 250, 262, 390  Einordnung 206, 221 ff., 242 ff., 261  Einordnung unter § 616 BGB 222 ff.  elterliche Sorge (s. Elterliche Sorge)  Familienfeiern 206, 248

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Sachwortregister

 Geburt/Niederkunft 205, 251, 255, 257 ff.  Geburtstag 261 f.  goldene Hochzeit 152 f., 205, 255, 260  häusliche Gemeinschaft 254  Hochzeit 205 f., 248, 255 ff., 261  Kollision 210 ff., 213  Krankheit des Ehepartners 248  Lebenspartner, Fürsorgepflicht 251, 262  nichteheliche Lebensgemeinschaft 253 f., 257  Personensorge für Angehörige 205 f., 247, 252 ff., 305, 390, 451, 496  Personensorge für Kinder 205, 207, 257 f., 399  Personensorge, Übertragung auf Dritte 245, 325  sittliche Pflicht 207, 210, 213, 242, 248, 252 f., 255, 258, 260, 279  Todesfälle 255, 260  wirtschaftliche Opfer 215 ff., 238, 245, 255 Familie, verfassungsrechtlicher Schutz 123, 208 ff., 212, 214, 232, 240, 244, 247 ff., 254 ff., 262, 315 Fixschuld, absolute 219, 239 f., 241, 388 f., 445 Fließbandarbeit 197 f., 293 f. Freiheit, persönliche 279, 284 f., 323 Freiheitsstrafe, lebenslängliche 280 f. Freistellungsanspruch 188, 225, 229 f., 257, 380 f. Führerschein, Entziehung 447 Garantenpflichten, strafrechtliche 249 f., 252, 262, 311 f., 325, 353, 496

Gebetspausen 180, 188, 198 Generalklauseln 51, 58 f., 73, 271, 331, 334, 351 Gerichtstermine (s. Behördengänge) Geschäftsgrundlage, Begriff 168 f. Gestaltungsrechte, Rückabwicklung 400 ff. Gesundheit (s. Leben und Gesundheit, verfassungsrechtlicher Schutz) Gewissen, Begriff 73, 75, 86 f., 96 ff., 163, 190, 357 Gewissensfreiheit (s. auch Gewissenskonflikt)  forum externum 97  forum internum 97, 100 f.  verfassungsimmanente Schranken 97 ff.  Verhältnis zur Religionsfreiheit (s. Religionsfreiheit, Verhältnis zur Gewissensfreiheit)  Weimarer Reichsverfassung 102 Gewissenskonflikt (s. auch Gewissensfreiheit), 51 ff., 67 ff., 252, 271 f., 282, 299, 323 f., 330, 372, 379, 389, 405, 432, 453 ff., 461, 463, 480, 487, 501  Ablehnung als Leistungshindernis 68, 78, 83 ff.  Anwendungsbereich 83 f.  Beweiserleichterung 131 f.  Dauer 143 f.  dingliche Herausgabeansprüche 83, 110, 129 f. 51 f.,  Druckerentscheidungen 70 ff., 144, 480  Einordnung 68, 79 f., 135 ff., 141 ff., 160 ff., 168 ff., 377, 512  Einordnung unter § 616 BGB 150 ff., 224, 429

Sachwortregister  Gegenleistung 150 ff.  Geldschulden 77  gerichtliche Überprüfung 61, 97, 105, 130 ff.  Indizien 133 f.  Kollektivierung 82, 102 f.  mechanische Tätigkeiten 87, 126  personale Identifikation 108, 125 f., 128  rationale Mitteilbarkeit 103  Schranken 86, 101 f.  Strahlentherapieentscheidung 74 ff., 143  Tendenzträger 88  Unverletzlichkeit 50, 91, 93, 102, 324  Wandelbarkeit des Gewissens 121 f., 357  Wiederholungsgefahr 106, 124 f. Glaubensfreiheit (s. Religionsfreiheit) Glaubhaftmachung 132 f. Grundrechte,  Bindung der Judikative 94 f., 330 ff., 351  Bindung der Legislative 330, 351  Funktion 93, 329, 350  Gesetzesvorbehalt 337 ff.  Kollision 81, 94, 99 ff., 113, 189, 336 f., 345  objektive Wertordnung 95  Schrankensystematik 111, 328 ff., 336 f., 347 f., 517  Schutzauftrag 335  Schutzgebotsfunktion 332 ff., 347, 352 ff.  Verzicht (s. Grundrechtsverzicht)  Vorbehaltlosigkeit 339 f., 346 Grundrechtstypische Konfliktsituation 124, 358

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Grundrechtsverzicht 115, 122 ff., 189, 195, 197 ff., 286, 327, 358 ff.  Änderung der Glaubenshaltung 201 ff.  Disponibilität 122 f., 246, 286, 359, 461  Menschenwürdekern 123, 359, 461 höchstpersönliche Pflichten 288 Ideelle Unzumutbarkeit,  Begriff 55 ff., 67  Fallgruppenbildung 53 f., 66 ff.  historische Entwicklung 42 ff., 66 ff., 78, 127  Missbrauchsgefahr 61 ff., 105  personale Struktur 110, 195, 349 f., 372  politische Prägung 52, 57 ff., 71, 89 f.  Regelungssystematik 277, 283  Schuldrechtsreform 38 ff. Industrialisierung 43 Inflation 45 f. Informationspflichten, vorvertragliche 460 f. Inhaltskontrolle 189, 198 ff.  Individualvereinbarung 200 f., 465  unangemessene Benachteiligung 199 Interessenabwägung 40, 55 f., 72 ff., 99, 106 ff., 115, 154 f., 162, 175 f., 189, 194 ff., 197, 213, 221, 226 f., 231, 242 ff., 272, 316 f., 319 ff., 335, 340 ff., 345 ff., 351 ff., 359 f., 362, 408, 454  deklaratorischer Charakter 322, 355  Kriterien 72 f., 75, 207, 250 ff., 259, 261 ff., 268 f., 284 ff., 345 ff.

550

Sachwortregister

 Rechte Dritter 322, 352 ff., 512 Interessenausgleich 63, 83, 92, 178, 288, 363, 411, 415, 457 interkulturelle Konflikte 57 f., 178 ff. ipso-iure-Entfall der Leistungspflicht 38, 52, 64, 71, 73, 164 f., 174, 230, 239, 269 f., 274, 277, 284, 289 f., 294, 303, 370, 385, 392, 396, 398, 415, 436, 440, 512 Journalist (s. Redakteur) Kindergarten 179 f. Kleiderordnung 198 f., 432 Kleidung,  branchenübliche 184, 198 f.  Unternehmerkonzept 200 Kopftuch 53, 57 f., 178 ff., 182, 187, 200, 432, 437, 439, 446, 459  Vertragspflicht 179, 183 f., 196 Krankheit von Verwandten (s. Familiäre Leistungshindernisse, Personensorge) Krankheit,  Arbeitsunfähigkeit 89, 158, 289 ff., 293 f., 386, 390, 430 f.  „Arbeitsunzumutbarkeit“ 276, 292 ff., 430 f., 501  Arbeitsversuch 294  ärztliche Bescheinigung 263  Begriff 291 f.  Beweis 292  dauernde Leistungsunfähigkeit 183, 505  Einordnung 289 ff., 296 ff.  Entgeltfortzahlung 276, 290, 293, 430 f., 478, 504  „Krankmeldung“ 303  lang andauernde 287  ohne Arbeitsunfähigkeit 291 f.

 Unmöglichkeit 289, 296 ff.  Verschlimmerungsgefahr 295 Kündigung 63, 88, 135, 202, 283, 287, 401 f., 409 ff., 413, 472 ff., 487  außerordentliche 186, 270, 304, 321, 390, 422, 452, 473 ff., 479, 491, 507 ff.  betriebsbedingte 182, 275, 488, 493 ff.  dauerhafte Leistungshinderung 505  Interessenabwägung 500, 503  Interessenlage 475, 478, 480 ff., 483 f., 486, 493 f., 501, 504, 506 ff.  krankheitsbedingte 409, 485 ff., 491 f., 478, 506  Kündigungsfrist 475  Nebenpflichtverletzung 422, 500  Negativprognose 125, 240, 328, 482, 499 f., 502, 504  personenbedingte 183, 195, 202, 239, 484 ff., 489, 491, 493 f., 496, 498, 479, 500 ff., 504 f., 272, 411  Präjudizierung 125, 271, 273, 418, 476 ff.  subjektive Kenntnis vom Kündigungsgrund 402  Ultima-ratio-Prinzip 240, 469, 500, 447  verhaltensbedingte 182, 202, 236, 238, 484 ff., 489 ff., 493 f., 495 ff., 480 f., 479, 477, 502 f., 400 Kündigungsschutz, arbeitsrechtlicher 476, 492 f. Kurban beyram 180, 186 f. „lästige Alternativen“ 88, 104 f., 108, 134 f., 154, 191 f., 264, 293, 455, 487

Sachwortregister Leben und Gesundheit, verfassungsrechtlicher Schutz 50, 211 ff., 279, 281, 284, 295, 299 f., 310, 323, 353 Lebensgefahr 249, 309 Lehrer 178 f., 197 Leistungserschwerung 170, 294, 365, 374 f., 510 Leistungshinderung im Dienstvertrag (§ 616 BGB) 48 ff., 73 f., 88, 143 ff., 222 ff., 237, 268 f., 271, 378 ff., 427, 429 f., 475, 504  Dauer 49, 53, 143 f., 153, 155 ff., 206, 231, 236, 256, 381, 429, 507 f., 513  Funktionen 48 f., 144 ff., 150, 159, 164, 166 f., 188, 205, 207, 222 ff., 227 f., 239, 261, 275, 308, 378 f., 429  Gefahrtragungsregel 144 ff., 149, 223, 239, 275, 379, 429  Historie 48, 145 ff., 153  Leistungsverweigerungsrecht 147 ff., 205  Regelungsintention 48 f.  strukturelle Kurzzeitigkeit 155, 222, 226 f., 262, 307, 321, 326  Systematik 207  Unzumutbarkeit 49, 144 ff., 154 f., 166  Vorhersehbarkeit 157 Leistungsverweigerung, grundlose 238, 390, 397, 422, 452, 461, 484, 498 f., 503 Leistungsverweigerung, Rechtsfolgen 63 f., 95, 113, 195, 409 ff.  Anwendung des Unmöglichkeitsrechts 412, 414 ff., 438 f., 443 f., 457, 470, 472, 516 f.

551

 Einzelbetrachtung (s. Einzelbetrachtung, Grundsatz der)  Präjudizierung (s. Präjudizierung)  teilweise 114, 181 ff. Leistungsverweigerungsrecht (s. auch Einrede) 48, 52 ff., 73, 142, 212, 224, 230 f., 237, 240 f., 268 f., 270, 275, 277, 284, 289, 295, 303, 372, 386, 398, 431, 495 Liberalismus 42 ff., 50 f., 59 f. Mandatsträger, politischer 313 Marktwirtschaft, soziale 50 f., 58 ff., 289 Maßregelungsverbot 485, 506 Meinungsfreiheit 98, 114 f. Meldepflicht 312 Menschenwürde 61, 82, 99 f., 102, 108, 273 f., 279 ff., 282, 286 f., 309 f., 312, 323, 325, 372, 432  Leitbildfunktion 111  Unantastbarkeit 50, 284 f., 317 Mietvertrag 76 f. Minderung 433, 438 f. Mobbing 309 Motivirrtum 43 Nationalsozialismus 44, 47, 50, 59, 70, 101 f. Naturkatastrophen 309, 311 Naturrecht 47 Nebenpflicht,  Anzeige-, Informationsund Nachweispflichten 275, 286, 304 f., 397, 400, 427, 460 f., 479, 486, 491, 500  Fürsorgepflicht 275, 326, 447, 469  Hinweispflicht 270  Rücksichtnahmepflicht 182  Schadensersatz 468

552

Sachwortregister

 Unzumutbarkeit 432 ff., 446, 459  -verletzung 182, 422, 495 Neutralität, staatliche 178, 191, 197 Nichteheliche Lebensgemeinschaft (s. Familiäre Leistungshindernisse, nichteheliche Lebensgemeinschaft) Nichtleistung 412 ff., 420, 456, 461, 503, 517 Normenhierarchie 118, 212, 323, 336, 340, 343, 351, 362 Objektformel 280, 310 öffentlicher Dienst 266 Opferfest (s. Kurban beyram) Opfergrenze 56, 165, 245, 288, 325 Parität im Arbeitsverhältnis 189, 198, 302, 333 f. Parlamentarischer Rat 102 Parteien, politische 98 Personalreserve 342 Personensorge 53, 140, 143, 163, 168 persönliche Leistungspflicht 136 ff., 140 f., 264 f., 350, 372, 377, 416 Persönlichkeitsschutz 50 Pflegekrankengeld 229 ff., 234 f., 243, 381 Pflichtenkollision (s. auch Rechtsgüter- und Pflichtenkollision) 71, 160 f., 164 f., 210 ff., 222 ff., 249 f., 252, 255, 264 f., 267 f., 275, 278 f., 312  äußere 160, 264  innere 161, 165, 264, 310  rechtfertigende (Strafrecht) 312 Pflichtverletzung 37, 412, 457 ff., 462 ff., 470 positive Forderungsverletzung 37 f., 66, 365 Postbote 159 f.

Präjudizierung 410, 418, 457, 476 ff., 409 ff., 452 ff., 485, 487  teilweise 496 ff., 508 praktische Konkordanz 91, 98 ff., 106 ff., 115, 183 f., 189, 195 f., 199, 213, 221, 244, 285, 301, 317, 340, 343 f., 346 ff., 363 Pressefreiheit 98, 114 f. Privatautonomie 42, 116, 170, 183, 196, 334, 337, 447 Prüfungen 307, 314 Rechtsfortbildung 34, 45 ff., 59 f., 65 Rechtsgüter- und Pflichtenkollision 57, 211 ff., 252, 278 f., 295, 320, 360, 372 f., 375, 406, 461, 499, 505, 511, 514  Gleichrangigkeit 336 Rechtsirrtum 499 Rechtsmissbrauch 310, 327, 361 f., 376, 386, 404 Rechtsstaat,  liberaler 93, 101 f., 193 f.  sozialer 42 Rechts(un)sicherheit 40 ff., 65, 69, 275, 442, 517 Rechtswidrigkeit 268, 497 Redakteur 114, 128 Regelbeispiel 510 Religion 53, 178 ff.  religiöser Feiertag 152 Religionsausübung 184 Religionsfreiheit 181 ff., 299, 377  Beweis 191 f.  Darlegungslast 185  forum internum/externum 192  Indizien 193  Kollektivierung 191  Menschenwürdenähe 194, 195 f.  personale Prägung 195

Sachwortregister  Schranken 187, 191, 194 ff.  Schutzbereich 184 f., 187, 189, 191 ff.  Subjektivität 185, 189, 191 ff.  Verhältnis zur Gewissensfreiheit 190 f., 203 f.  Vertragspflicht (s. auch Kopftuch, Vertragspflicht) 202  vorbehaltslose Gewährleistung 193 Religionsgemeinschaften, verfassungsrechtlicher Schutz 98, 197, 200 Religiöse Symbole 178 ff., 198 Risikoverteilung 217 ff., 220 ff., 250, 255, 287 f., 301, 316, 326 f., 356, 361, 427, 465 Rücktritt 413, 422, 472, 508 Ruin 46 f., 55 Sachverständiger 312 Schadensersatz 38, 76 f., 85, 124, 273 f., 283, 286 f., 409 ff., 414, 452 ff.  Anspruch des Schuldners gegen den Gläubiger 468 f.  culpa in contrahendo 455 f., 458, 466  Einzelbetrachtung 455 ff.  Ersatz vergeblicher Aufwendungen 470  Nebenpflichtverletzung 468  negatives Interesse 455 f., 458, 466  positives Interesse 455, 457 f., 460, 466  Präjudizierung 418, 452 ff.  statt der Leistung 458 ff., 466 f. Schlechterfüllung 436 Schöffe 313 Schuldnerverzug 305, 391 f., 401, 421 f., 452, 467 Schuldrechtsreform 33 ff.

553

 Bewertung 377 f., 380, 382, 384, 405 ff., 438 ff., 444, 470, 510 ff.  Eile 34 f., 227, 298  Historie 33 ff., 420  Integration von Nebengesetzen 37  kleine und große Reform 33  Motive 33, 41, 170, 226 ff., 411 f., 414  Systematik und Systemverständnis 35 ff., 137 f., 142, 226 ff., 298, 364 ff., 377 f., 404 ff., 513 Schule (s. Lehrer) Schwangerschaftsabbruch 120 f., 128 Schwebende (Un-)Wirksamkeit 401 f. Schwerbehinderte 447 Selbstbestimmung 302 Sicherheit, soziale 302 Siebenten-Tags-Adventisten 180 Sittenwidrigkeit 42, 71 f., 81 Soziale Marktwirtschaft (s. Marktwirtschaft, soziale) Sozialstaatsprinzip 302 Staatsangehörigkeit 267, 278 f., 281 f. Stammzellenforschung 128, 386, 427 Standesrecht 353 f. Stellensuche 307 stellvertretendes commodum 423, 450 ff. Strengbeweis 132 f. Stromboykott 77 f. Superrevisionsinstanz (BVerfG) 113, 117, 119, 196 Synallagma 167, 219, 393 f., 415, 421 ff., 478 Teilleistung 423 f.  Begriff der Teilbarkeit 423 f., 433 ff., 466 Tendenzträger 114 f.

554

Sachwortregister

Tendenzunternehmen 114 f., 121, 196 f., 200 Todesstrafe 267, 279 ff. Toleranz 178 Trauer 309 f., 316 Treu und Glauben 44, 46, 50, 52, 54, 79, 84, 138, 142, 148 f., 162, 168, 174, 237, 242, 270, 274 f., 283, 290, 299, 310, 371, 376 ff., 379, 383, 389, 404 ff., 420, 427  Funktion 174 ff. Übermaßverbot 248, 347 Umschulung 502 Umzug 307, 314 unbestimmte Rechtsbegriffe 34, 40, 323, 331, 517 Uniform 198 Unmöglichkeit 43, 91, 168, 174, 271 ff.  Abgrenzung zur Unzumutbarkeit (s. Unzumutbarkeit, Abgrenzung zur Unmöglichkeit)  ausdehnendes Verständnis 45, 50, 54, 75, 160 ff., 236, 238 f., 273 ff., 296 f., 364, 374, 383, 408, 455  faktische 364, 367 f., 371 ff., 405  naturgesetzliche 45, 164, 291 ff., 297, 303, 364, 367, 405 f., 516  objektive 239 f., 490  „persönliche“ 80, 366, 404  praktische (s. Unmöglichkeit, faktische)  rechtliche 45, 160 f., 164, 241, 297, 303, 364, 369 f., 516  „sittliche“ 80, 366, 404  teilweise 423, 433 ff.  wirtschaftliche 45, 170 f., 174, 364, 374 Untermaßverbot 248, 347

Unternehmerfreiheit 98, 109 ff., 189, 200, 323 f., 342, 447  personale Prägung 110 ff.  Schutzbereich 111 ff., 185, 196 unvertretbare Handlungen, Vollstreckbarkeit 94 f., 129 f., 468 Unzumutbarkeit,  Abgrenzung zur Unmöglichkeit 148, 160 ff., 164, 277, 364 ff., 382, 406 ff., 412, 415, 421, 513, 516  anfängliche 362, 459 f., 467  Begriff 319 ff., 335, 362, 510 f., 514 f.  Interessenabwägung 354  materiell-wirtschaftliche 45 ff., 54 ff., 216, 309, 371 ff., 383, 406, 452  nachträgliche 459 f., 462  Nebenpflicht 432 ff., 446  teilweise 181, 432 ff., 446, 466  Wahlmöglichkeit 165 f., 174, 238, 240, 276 f., 289, 298, 365, 368, 375, 383 ff., 398, 406, 422, 437, 516 venire contra factum proprium 122, 327, 357 Verbotswidrigkeit 42, 71 f. verfassungskonforme Auslegung 141, 274, 322, 330, 333, 335, 355 Vergebliche Aufwendungen, Ersatz 470 Verhältnismäßigkeit 300, 338, 351 Verkehrsunfall 307, 311 Verschulden (s. Vertretenmüssen) Vertragsanbahnung 427 Vertragsanpassung 169, 488, 507 f. Vertragsbruch (s. auch Leistungsverweigerung, grundlose) 305, 486 Vertragsfreiheit (s. Privatautonomie)

Sachwortregister

555

Vertragstreue 42, 46, 60 ff., 81 ff., 90 f., 116 ff., 174, 190, 314, 394, 511 Vertretenmüssen 206, 237 f., 241, 360 f., 454, 460, 462 ff., 503  beidseitiges 428  des Gläubigers 424 ff.  Mitwirkungspflicht 426 f.  Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten 240, 464 f.  Sphärentheorie 425 f. Verwirkung 402 Verzug 43 (s. auch Annahmeverzug/Schuldnerverzug) Vorhersehbarkeit 73, 75, 82 f., 84, 91, 106, 121 ff., 157, 175 f., 187, 246, 275, 286 f., 327, 341, 355 ff., 456, 460, 463, 489 f. Vorhersicht 114 f., 121 ff., 246, 286 f., 327, 355 ff., 460, 489, 503

Wehrdienst 53, 140, 160, 163, 168, 266 ff.. 410, 419, 463, 479, 483, 491  ausländischer 267 ff.  bundesdeutscher 266, 278  Dauer 267 f., 271 f., 283  Einordnung 267 ff., 277 ff., 283 Wehrstrafrecht 280 Weisungsrecht des Arbeitgebers (s. Direktionsrecht) Werkvertrag 288 f., 389  Leistungsgarantie 217 f., 301, 456, 465 Wertordnung, objektive 286 widersprüchliches Verhalten 83 f., 290 Widersprüchlichkeit der Rechtsordnung 249, 311, 354, 409 f., 411 Wiedereinstellungsanspruch 270, 480 Wiederholungsgefahr 106, 124 f., 327 f., 341, 480, 482

Wahlmöglichkeit (s. Unzumutbarkeit, Wahlmöglichkeit) Wegfall der Geschäftsgrundlage 37, 38, 40, 45 ff., 57, 61, 66, 138, 142, 168 ff., 175 f., 218, 283, 365, 372 ff., 404 ff., 473

Zeuge 312 Zurückbehaltungsrecht 387, 389, 393 f.

237 f.,

267,