Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933-1945: Band 1 Verfolgung und Exil deutschsprachiger Theaterkünstler 9783110959703, 9783598113741


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German Pages 535 [536] Year 1998

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Table of contents :
Entstehung und Konzeption des Projekts
Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus
Theater am Abgrund der Zeit
Das Theater in der Endphase der Weimarer Republik
Polemik und Anspruch des Nationalsozialismus
„Die Hölle regiert“
Veränderungen im Theater nach dem 30. Januar 1933
Die Vertriebenen und Verfolgten
Von der Ausschaltung zur Ausrottung der Juden
Die Gründung des Kulturbundes Deutscher Juden
Mentalitäten
Gesang und Spiel im Vorhof der Hölle - Kabarett, Theater und Film in Westerbork und Theresienstadt
Die Sondergenehmigungen
Glanz und Elend des Exiltheaters
Exiltheater - „ein Nonsens“?
Grundformen des Exiltheaters
Leistungsbilanz der Emigranten für die Entwicklung der nationalen Kultur des Exillandes
Der Blick vom Ende des „Dritten Reiches“ auf sein Theater
Die Haltung der Bühnenkünstler
Theater im „Dritten Reich“: „Eine Zeit des Glanzes“?
Das Dilemma: War im „Dritten Reich“ ein nicht-nationalsozialistisches Theater möglich?
Musiktheater: Zwiespältige Kontinuität
Heimkehr in die Fremde? Die Wiederbegegnung der Emigranten mit den Daheimgebliebenen
Schwierige Heimkehr
Konzeptionen
Verfehlte Katharsis
Mißglückte Annäherung
Der Einfluß des Exiltheaters auf die deutsche Schauspielkunst
„Das Spiel muß weitergehen!“
Der Test: Die Intendantenepisode Gustav von Wangenheim
Der Einfluß des Exiltheaters in der Nachkriegszeit
Das Zürcher Emigrantenensemble
Kontinuität
„Auf Abruf“ - Das Theater des Jüdischen Kulturbundes im „Dritten Reich“ 1933 - 1941
Produktive Selbsthilfe - Arbeitsmöglichkeiten für jüdische Künstlerinnen und Künstler
Das Publikum - Mitglieder des Jüdischen Kulturbundes
NS-Behörden zwischen Restriktion und Duldung
Ringen um das Repertoire
„Jüdisches“ Theater
Der Reichsverband - Organisierte Kultur
Nach dem Novemberpogrom 1938
Fazit
Exilland Österreich
Die politische Situation der dreißiger Jahre: Der „soziale, christliche, deutsche Staat“ Österreich
Ständestaatliche Kultur- und Theaterpolitik
Engagementbedingungen für Emigranten: Exiltheater in Österreich?
Staatliches Repräsentationstheater
Die Wiener Privattheater: Theater in der Josefstadt, Deutsches Volkstheater, Scala
Albert und Else Bassermann
Rosa Valetti
Otto Wallburg
Der Fall Leo Reuß
Theaterdirektoren auf der Suche nach Wirkungsstätten
Die Kammerspiele in der Rotenturmstraße
Hans J. Rehfisch: Kein Glück mit der Komödie, Erfolg als Dramatiker
Geschäftstheater: Arthur Spitz und Hans Sanden im Neuen Wiener Stadttheater
Der Aufschwung des Theaters an der Wien unter Arthur Hellmer
Kleinbühnen und Kabaretts
Emigrantentheater
Finale 1938
Exiltheater in der Tschechoslowakei
„Helft den Opfern Hitlers!“
„Es wird unser Stolz sein ...“
Hoffnung auf Prag
„... eine einzige gemeinsame Front...“
„Tscheche und Deutscher“
Sicherheit ohne Gewähr
Aktivitäten außerhalb der offiziellen Bühnen
Das Ende des Freisinns
Exiltheater in Frankreich
Asylgesetzgebung und Asylpraxis
Periodisierung
Voraussetzungen für die Integration der Exilierten
Unterschiede der Theatersysteme
Die Sammlung der Theaterschaffenden
Erfolg und Mißerfolg des Exiltheaters auf französischen Bühnen: Die Fälle Bruckner und Brecht
Theater in deutscher Sprache in Paris und in der Provinz - mit einem Exkurs über das jüdische Theater
Höhepunkte des Exiltheaters in Paris: Die Brecht-Jahre 1937/38
Ein „Deutsches Theater in Paris“: Ein 1938 nur teilweise realisiertes Projekt
Die Kleinkunst - zwischen Unterhaltung und antifaschistischem Engagement
Exiltheater in den Niederlanden
Politische und kulturelle Bedingungen
Einzelbeispiele im Bereich von Kabarett und Revue
Theater und Rundfunk - Reinhardt, Jeßner und Busch
Film
Besatzungszeit, Kollaboration und Untergrund
Theater im Internierungslager
Nachwirkungen
Exil in der Provinz - Luxemburg
Die politischen und kulturellen Bedingungen
Die Gastspiele der PFEFFERMÜHLE
Dffi KOMÖDIE - ein Exiltheaterensemble in Luxemburg
Exiltheater in Polen
Exilierte Theaterkünstler auf polnischen Bühnen
Dramatik von Exilierten auf polnischen Bühnen
Theater zwischen 1933 und 1939 in der Freien Stadt Danzig
Exiltheater in der Schweiz
Hoffnung auf die deutschsprachigen Bühnen der Schweiz
Die Emigranten am Zürcher Schauspielhaus
Basel - Theater an der Grenze zu Deutschland
Einzelne emigrierte Schauspieler an anderen deutschsprachigen Bühnen
Das Kabarett und die kleinen Gruppen
Das Zürcher Schauspielhaus im Zweiten Weltkrieg
Die veränderte Situation gegen Kriegsende
Der Ertrag der schweren Jahre
Theater im sowjetischen Exil
Vorexil - Wege ins Exil
Gescheiterte Pläne - die verschiedenen Ansätze deutschen Exiltheaters in der Sowjetunion
Ende auch beim Film und in anderen Nachbarkünsten
Die theaterlosen Jahre 1937- 1945
Deutschsprachiges Theater im skandinavischen Exil
Flüchtlingspolitik und Flüchtlinge in den skandinavischen Staaten
Theater und Exiltheater in den skandinavischen Staaten
Exiltheater in Dänemark
Ein Triumph der Weigel - Die Gewehre der Frau Carrar
„... auf jeden Fall nicht kommunistisch“
„... auf die politische Subkultur angewiesen“
Exiltheater in Norwegen
Exiltheater in Schweden
„... aus der latenten Depression herausgerissen“ - Der Freie Deutsche Kulturbund (FDKB)
„Humanistische Tradition und fortschrittliche Bedeutung“ - die FREIE BÜHNE
Kulturpolitisches Bekenntnis zum klassischen Erbe
„Für jeden etwas“
„Zwischen den Stühlen“
Curt Treptes Tätigkeit für den schwedischen Rundfunk
Österreichische Kulturarbeit
Persönlichkeiten des deutschsprachigen Exiltheaters auf schwedischen Bühnen
„... auf dem Inselchen Lidingö“ - Bertolt Brecht in Schweden
Fazit
Exiltheater in Großbritannien
Politische und strukturelle Rahmenbedingungen
Schauspielerkarrieren in Film und Theater
Regisseure, Theaterleiter und Bühnenbildner
Filmkünstler in London
Exildramatik auf englischen Bühnen
Musik- und Tanztheater
Die deutschsprachigen Bühnen während des Zweiten Weltkriegs
Der deutsche und österreichische Dienst der BBC
Rückkehr oder Verbleib in Großbritannien?
Eine Schule für Schauspiel- und Musiktheater in der Türkei
Zwischenstaatliche Hilfe und innertürkische Reformkonzeptionen
Paul Hindemith und der Aufbau der Staatlichen Kunsthochschule
Die Aufgabenstellung der Theater- und Musikschule
Durchführung und Organisation
Exiltheater in Palästina/Israel
Exiltheater in den US A
Beispiele für Erfolg und Mißerfolg am Broadway - Fritz Kortner und Otto Preminger
Was ist künstlerischer Erfolg? - Lili Darvas, Mady Christians, Elisabeth Bergner, Ernst Deutsch, Albert Bassermann
Regisseure auf amerikanischen Bühnen
Schwierigkeiten der Dramatiker bei der Anpassung an die amerikanische Bühne
Kabarett
Film-und Theaterschauspieler an der Westküste
Ein Sonderfall „verspäteten“ Exiltheaters: Die PLAYERS FROM ABROAD
Das Theaterexil ist Episode geblieben
Es begann mit der Galgentoni - Theater im Heinrich-Heine-Klub (Mexiko)
Exiltheater in Südamerika
Einreisebedingungen und Asylgesetzgebung
Buenos Aires und die kulturelle Situation vor 1939
Die FREIE DEUTSCHE BÜHNE P. Walter Jacobs
Organisation des Spielbetriebs, Spielplan, Ensemble
Exiltheater innerhalb und außerhalb des Umfeldes der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE
Exiltheater in Shanghai 1939 - 1947
Historische und politische Voraussetzungen
Lebensbedingungen in Shanghai
Exilierte Theaterkünstlerinnen und -künstler in Shanghai
Praktische Schwierigkeiten eines Theaterbetriebs
Alfred Dreifuß: „Vom Kulturbund zur EJAS“
Die Theaterarbeit der EJAS
Weitere Theaterinitiativen
In Shanghai entstandene Stücke I
In Shanghai entstandene Stücke II: Fremde Erde und Die Masken fallen
Auseinandersetzungen um den Spielplan
Rundfunk, Film und Marionettentheater
Resonanz der Kulturarbeit - weitere Aktivitäten
Nach dem Pazifikkrieg
Auswahlbibliographie
Personenregister
Bühnen- und Ensembleregister
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Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933-1945: Band 1 Verfolgung und Exil deutschsprachiger Theaterkünstler
 9783110959703, 9783598113741

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Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933 - 1945 Herausgegeben von Frithjof Trapp Werner Mittenzwei Henning Rischbieter Hansjörg Schneider

Band 1 Verfolgung und Exil deutschsprachiger Theaterkünstler

Band 2 Biographisches Lexikon der Theaterkünstler (2 Teilbände)

Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters

1933 - 1945 Herausgegeben von Frithjof Trapp Werner Mittenzwei Henning Rischbieter Hansjörg Schneider

Band 1

Verfolgung und Exil deutschsprachiger Theaterkünstler Redaktion: Ingrid Maaß Michael Philipp

K-G-Saur

München 1999

Erstellt mit Unterstützung der P. Walter Jacob Stiftung (Hamburg)

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933 - 1945 / hrsg. von Frithjof Trapp ... - München : Saur ISBN 3-598-11373-0 Bd. 1. Verfolgung und Exil deutschsprachiger Theaterkünstler / Red.: Ingrid Maaß ; Michael Philipp. - (1999) ISBN 3-598-11374-9

Θ Gedruckt auf säurefreiem Papier / Printed on acid-free paper © 1999 by Κ. G. Saur Verlag GmbH & Co. KG, München Part of Reed Elsevier Alle Rechte vorbehalten. All Rights Strictly Reserved Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlags ist unzulässig Datenübernahme und Satz: Microcomposition, München Druck : Strauss Offsetdruck, Mörlenbach Binden: Buchbinderei Schaumann, Darmstadt ISBN 3-598-11373-0 (Gesamtwerk) ISBN 3-598-11374-9 (Band 1)

Inhalt Frithjof Trapp Entstehung und Konzeption des Projekts

3

Werner Mittenzwei Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus

7

Theater am Abgrund der Zeit Das Theater in der Endphase der Weimarer Republik Polemik und Anspruch des Nationalsozialismus

7 7 13

„Die Hölle regiert" (Joseph Roth)

18

Veränderungen im Theater nach dem 30. Januar 1933 Die Vertriebenen und Verfolgten Von der Ausschaltung zur Ausrottung der Juden Die Gründung des Kulturbundes Deutscher Juden Mentalitäten Gesang und Spiel im Vorhof der Hölle - Kabarett, Theater und Film in Westerbork und Theresienstadt Die Sondergenehmigungen

18 24 30 32 34 37 39

Glanz und Elend des Exiltheaters Exiltheater - „ein Nonsens"? Grundformen des Exiltheaters a) Theater der Gemeinsamkeit b) Kabarett und das Kleinkunsttheater c) Ensemblebildung innerhalb des großstädtischen Berufstheaters d) Der Alleingang in der Fremde - Emigrierte Schauspieler auf ausländischen Bühnen Leistungsbilanz der Emigranten für die Entwicklung der nationalen Kultur des Exillandes

41 41 44 46 48 50

Der Blick vom Ende des „Dritten Reiches" auf sein Theater Die Haltung der Bühnenkünstler Theater im „Dritten Reich": „Eine Zeit des Glanzes"? Das Dilemma: War im „Dritten Reich" ein nicht-nationalsozialistisches Theater möglich? Musiktheater: Zwiespältige Kontinuität

53 53 55 57 59

Heimkehr in die Fremde? Die Wiederbegegnung der Emigranten mit den Daheimgebliebenen Schwierige Heimkehr Konzeptionen

60 60 61

51 52

V

Inhalt

Verfehlte Katharsis Mißglückte Annäherung

62 64

Der Einfluß des Exiltheaters auf die deutsche Schauspielkunst „Das Spiel muß weitergehen!" Der Test: Die Intendantenepisode Gustav von Wangenheim Der Einfluß des Exiltheaters in der Nachkriegszeit Das Zürcher Emigrantenensemble Kontinuität

66 66 68 71 73 74

Herbert Freeden „Auf Abruf' - Das Theater des Jüdischen Kulturbundes im „Dritten Reich" 1933 - 1941

81

Produktive Selbsthilfe - Arbeitsmöglichkeiten für jüdische Künstlerinnen und Künstler Das Publikum - Mitglieder des Jüdischen Kulturbundes NS-Behörden zwischen Restriktion und Duldung Ringen um das Repertoire „Jüdisches" Theater Der Reichsverband - Organisierte Kultur Nach dem Novemberpogrom 1938 Fazit Hilde Haider-Pregler Exilland Österreich Die politische Situation der dreißiger Jahre: Der „soziale, christliche, deutsche Staat" Österreich Ständestaatliche Kultur- und Theaterpolitik Engagementbedingungen für Emigranten: Exiltheater in Österreich? Staatliches Repräsentationstheater: a) Das Burgtheater b) Die Salzburger Festspiele Die Wiener Privattheater: Theater in der Josefstadt, Deutsches Volkstheater, Scala Albert und Else Bassermann Rosa Valetti Otto Wallburg Der Fall Leo Reuß Theaterdirektoren auf der Suche nach Wirkungsstätten Die Kammerspiele in der Rotenturmstraße Hans J. Rehfisch: Kein Glück mit der Komödie, Erfolg als Dramatiker Geschäftstheater: Arthur Spitz und Hans Sanden im Neuen Wiener Stadttheater Der Aufschwung des Theaters an der Wien unter Arthur Hellmer Kleinbühnen und Kabaretts a) Kabaretts und Kleinkunstbühnen VI

81 83 85 87 88 90 91 94

97 98 100 105 108 110 111 114 116 117 118 121 122 123 125 126 128 129

Inhalt

b) Theater für 49 Emigrantentheater: a) Walter Firners ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE b) Jüdisches Theater mit politischem Anspruch ba) Leopold Jeßner und die jüdische Laienspielbewegung

132 136 136 144 144

b b ) D a s JÜDISCHE KULTURTHEATER

147

Finale 1938

151

Hansjörg Schneider: Exiltheater in der Tschechoslowakei „Helft den Opfern Hitlers!" „Es wird unser Stolz sein ..." Hoffnung auf Prag „... eine einzige gemeinsame Front..." „Tscheche und Deutscher" Sicherheit ohne Gewähr Aktivitäten außerhalb der offiziellen Bühnen Das Ende des Freisinns Claudie Villard Exiltheater in Frankreich Asylgesetzgebung und Asylpraxis Periodisierung Voraussetzungen für die Integration der Exilierten Unterschiede der Theatersysteme Die Sammlung der Theaterschaffenden Erfolg und Mißerfolg des Exiltheaters auf französischen Bühnen: Die Fälle Bruckner und Brecht Theater in deutscher Sprache in Paris und in der Provinz - mit einem Exkurs über das jüdische Theater Höhepunkte des Exiltheaters in Paris: Die Brecht-Jahre 1937/38 Ein „Deutsches Theater in Paris": Ein 1938 nur teilweise realisiertes Projekt . . . Die Kleinkunst - zwischen Unterhaltung und antifaschistischem Engagement . . Ben Albach/Jaques Klöters Exiltheater in den Niederlanden Politische und kulturelle Bedingungen Einzelbeispiele im Bereich von Kabarett und Revue Theater und Rundfunk - Reinhardt, Jeßner und Busch Film Besatzungszeit, Kollaboration und Untergrund Theater im Internierungslager Nachwirkungen

157 158 160 161 165 166 169 176 189

193 193 194 195 196 197 200 204 208 210 212

219 219 221 225 228 229 232 233 VII

Inhalt Ingrid Maaß/Nicole Suhl Exil in der Provinz - Luxemburg

235

Die politischen und kulturellen Bedingungen

235

Die Gastspiele der PFEFFERMÜHLE

237

DIE KOMÖDIE - ein Exiltheaterensemble in Luxemburg

238

Boguslaw Drewrtiak Exiltheater in Polen Exilierte Theaterkünstler auf polnischen Bühnen Dramatik von Exilierten auf polnischen Bühnen

245 245 247

Boguslaw Drewrtiak Theater zwischen 1933 und 1939 in der Freien Stadt Danzig

251

Werner Mittenzwei Exiltheater in der Schweiz

259

Hoffnung auf die deutschsprachigen Bühnen der Schweiz Die Emigranten am Zürcher Schauspielhaus Basel - Theater an der Grenze zu Deutschland Einzelne emigrierte Schauspieler an anderen deutschsprachigen Bühnen Das Kabarett und die kleinen Gruppen Das Zürcher Schauspielhaus im Zweiten Weltkrieg Die veränderte Situation gegen Kriegsende Der Ertrag der schweren Jahre Peter Diezel Theater im sowjetischen Exil Vorexil - Wege ins Exil Gescheiterte Pläne - die verschiedenen Ansätze deutschen Exiltheaters in der Sowjetunion Ende auch beim Film und in anderen Nachbarkünsten Die theaterlosen Jahre 1937 - 1945 Helmut Müssener Deutschsprachiges Theater im skandinavischen Exil Flüchtlingspolitik und Flüchtlinge in den skandinavischen Staaten Theater und Exiltheater in den skandinavischen Staaten Exiltheater in Dänemark Ein Triumph der Weigel - Die Gewehre der Frau Carrar „... auf jeden Fall nicht kommunistisch" „... auf die politische Subkultur angewiesen" Exiltheater in Norwegen Exiltheater in Schweden

vm

260 262 268 273 276 278 284 285

289 289 296 310 313

319 319 321 322 323 324 325 326 327

Inhalt „... aus der latenten Depression herausgerissen" - Der Freie Deutsche Kulturbund (FDKB) „Humanistische Tradition und fortschrittliche Bedeutung" - die FREIE BÜHNE . . Kulturpolitisches Bekenntnis zum klassischen Erbe „Für jeden etwas" „Zwischen den Stühlen" Curt Treptes Tätigkeit für den schwedischen Rundfunk Österreichische Kulturarbeit Persönlichkeiten des deutschsprachigen Exiltheaters auf schwedischen Bühnen . „... auf dem Inselchen Lidingö" - Bertolt Brecht in Schweden Fazit James M. Ritchie Exiltheater in Großbritannien

329 330

331 332 333 334 334 335 337 338 341

Politische und strukturelle Rahmenbedingungen Schauspielerkarrieren in Film und Theater Regisseure, Theaterleiter und Bühnenbildner Filmkünstler in London Exildramatik auf englischen Bühnen Musik- und Tanztheater Die deutschsprachigen Bühnen während des Zweiten Weltkriegs

341 344 347 349 352 354 357

a) D i e KLEINE BÜHNE des F D K B b) DAS LATERNDL c) D i e ÖSTERREICHISCHE BÜHNE u n d DIE BLAUE DONAU

357 359 361

Der deutsche und österreichische Dienst der BBC Rückkehr oder Verbleib in Großbritannien?

362 363

Frithjof Trapp Eine Schule für Schauspiel- und Musiktheater in der Türkei Zwischenstaatliche Hilfe und innertürkische Reformkonzeptionen Paul Hindemith und der Aufbau der Staatlichen Kunsthochschule Die Aufgabenstellung der Theater-und Musikschule Durchführung und Organisation

365 365 368 371 373

Erich Gottgetreu ( f ) Exiltheater in Palästina/Israel

377

Henry Marx ( f ) Exiltheater in den USA

397

Beispiele für Erfolg und Mißerfolg am Broadway - Fritz Kortner und Otto Preminger Was ist künstlerischer Erfolg? - Lili Darvas, Mady Christians, Elisabeth Bergner, Ernst Deutsch, Albert Bassermann Regisseure auf amerikanischen Bühnen Schwierigkeiten der Dramatiker bei der Anpassung an die amerikanische Bühne

400 403 409 413 IX

Inhalt

Kabarett Film-und Theaterschauspieler an der Westküste Ein Sonderfall „verspäteten" Exiltheaters: Die PLAYERS FROM ABROAD Das Theaterexil ist Episode geblieben

414 416 418 420

Wolf gang Kießling Es begann mit der Galgentoni - Theater im Heinrich-Heine-Klub (Mexiko)

423

Frithjof Trapp Exiltheater in Südamerika

437

Einreisebedingungen und Asylgesetzgebung Buenos Aires und die kulturelle Situation vor 1939 Die FREIE DEUTSCHE BÜHNE P. Walter Jacobs Organisation des Spielbetriebs, Spielplan, Ensemble Exiltheater innerhalb und außerhalb des Umfeldes der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE

Michael Philipp Exiltheater in Shanghai 1939- 1947 Historische und politische Voraussetzungen Lebensbedingungen in Shanghai Exilierte Theaterkünstlerinnen und -künstler in Shanghai Praktische Schwierigkeiten eines Theaterbetriebs Alfred Dreifuß: „Vom Kulturbund zur EJAS" Die Theaterarbeit der EJAS Weitere Theaterinitiativen In Shanghai entstandene Stücke I In Shanghai entstandene Stücke Π: Fremde Erde und Die Masken fallen Auseinandersetzungen um den Spielplan Rundfunk, Film und Marionettentheater Resonanz der Kulturarbeit - weitere Aktivitäten Nach dem Pazifikkrieg

437 439 442

447 452

457 457 458 460 460 462 463 465 467 468 470 473 474 475

Auswahlbibliographie

477

Personenregister

491

Bühnen- und Ensembleregister

521

X

Verfolgung und Exil deutschsprachiger Theaterkünstler

Frithjof Trapp

Entstehung und Konzeption des Projekts Der Plan, an der Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur (HAfdE) eine Überblicksdarstellung zur Geschichte des deutschsprachigen Exiltheaters zu erarbeiten, entstand Anfang der siebziger Jahre. Seine Initiatoren waren P. Walter Jacob, Gründer und langjähriger Direktor der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE in Buenos Aires, später Intendant der Städtischen Bühnen Dortmund, und Hans Wolffheim, der erste Leiter der HAfdE. Zum damaligen Zeitpunkt lag zwar bereits eine Darstellung über das Theater des Jüdischen Kulturbundes in Deutschland vor. Ihr Verfasser war Herbert Freeden, der ehemalige Dramaturg des Kulturbundtheaters.1 Die Geschichte des Exiltheaters 1933 - 1945 war jedoch erst in Teilaspekten bearbeitet. Grundlage der Darstellung sollten zum überwiegenden Teil Augenzeugenberichte sein. Jacob und Wolffheim sammelten zu diesem Zweck eine Reihe höchst informativer Berichte über das Exiltheater in den Niederlanden (Herbert Nelson), in Frankreich (Horst Schumacher), Palästina/Israel (Erich Gottgetreu), Uruguay (Hermann P. Gebhardt) und Brasilien (Willy Keller).2 Sie korrespondierten darüber hinaus mit zahlreichen Theaterkünstlern, die nach 1933 Deutschland verlassen mußten, so mit Leo Askin oder Hugo F. Königsgarten. Der Sammelband wurde jedoch nicht abgeschlossen. Der Grund dafür war vermutlich, daß 1973 mit Hans-Christof Wächters Studie Theater im Exil eine erste wissenschaftliche Darstellung des Exiltheaters 1933 - 1945 erschienen war.3 Die auf Augenzeugenberichten basierende Darstellung, die notwendigerweise perspektivisch begrenzt ausfallen mußte, war damit obsolet geworden. Der Abbruch des Projektes war jedoch kein Zeichen dafür, daß das Interesse für das Thema bereits erlahmt war. Im Gegenteil, Forschungen zum Theater im Exil hatten Konjunktur. 1973 fand in der Akademie der Künste in Berlin zu diesem Thema eine von Walter Huder initiierte Ausstellung statt. Sie vermittelte der Forschung vor allem durch ihren Katalog4 wichtige Impulse. Die Ausstellung wurde begleitet von einem mit Zeitzeugen und Wissenschaftlern besetzten internationalen Symposium, auf dem auch P. Walter Jacob über die FREIE DEUTSCHE BÜHNE referierte.5 1 2

3

4 5

Herbert Freeden: Jüdisches Theater in Nazideutschland. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1964. Einer dieser Berichte, die Darstellung über das Exiltheater in Palästina/Israel von Erich Gottgetreu, wurde mit geringen Ergänzungen in das vorliegende Handbuch aufgenommen. Die Studien von Gebhardt und Keller wurden 1989 von Fritz Pohle in der Schriftenreihe des P. Walter JacobArchivs veröffentlicht. Vgl. Fritz Pohle: Emigrationstheater in Südamerika abseits der „Freien Deutschen Bühne", Buenos Aires. Mit Beiträgen von Hermann P. Gebhardt und Willy Keller. Hamburg 1989 (= Schriftenreihe des P. Walter Jacob-Archivs. Bd. 2). Der Bericht von Herbert Nelson wurde 1993 in H. 2 der Zeitschrift Exil veröffentlicht; vgl. Herbert Nelson: Amsterdam 1933 - 1945. Theater in der Legalität und der Illegalität. In: Exil 13 (1993), H. 2, S. 52 - 65. Hans-Christof Wächter: Theater im Exil. Sozialgeschichte des deutschen Exiltheaters 1933 - 1945. Mit einem Beitrag von Louis Naef: Theater der deutschen Schweiz. München: Carl Hanser Verlag 1973. Theater im Exil 1933 - 1945. Ausstellungskatalog der Akademie der Künste Berlin. [Berlin] 1973. Theater im Exil 1933 - 1945. Ein Symposium der Akademie der Künste. Hrsg. von Lothar Schirmer. Berlin: Akademie der Künste 1979.

3

Frithj of Trapp Etwas später als in der Bundesrepublik begann in der DDR die Erforschung des Exiltheaters. Den Beginn machte die Länderdarstellung Exiltheater in der Sowjetunion 1932 - 1937 von Peter Diezel (1978). Es folgten Untersuchungen über das Zürcher Schauspielhaus (Werner Mittenzwei), das Exiltheater in der Tschechoslowakei (Hansjörg Schneider) und den DRAMATIC WORKSHOP von Erwin Piscator in New York (Thea Kirfel-Lenk)6. Überraschenderweise brach anschließend in Ost wie in West die Kontinuität ab. Es fehlten Untersuchungen über so wichtige Aufnahmeländer wie Frankreich und Großbritannien, vor allem aber zum Exiltheater in Südamerika und in Shanghai. Nur teilweise wurden diese Lücken durch die von 1978 an erscheinende Überblicksdarstellung Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil in sieben Bänden geschlossen. Dieses Projekt war gemeinsam von der Akademie der Wissenschaften der DDR und der Akademie der Künste entwickelt worden. Methodisch stellte sich das Problem, daß während der knapp zehnjährigen Periode intensiver Forschungsanstrengungen in Ost wie in West vor allem das politisch motivierte Exiltheater thematisiert worden war. Für die Mehrzahl der Theaterkünstler stellte sich jedoch die Frage gar nicht, ob sie „politisches" oder „unpolitisches" Theater betreiben wollten - sie durften froh sein, wenn sie im Exil überhaupt eine Anstellung fanden. Fast in allen Asylländern waren die Exilbühnen zudem Restriktionen unterworfen, die nur wenig Entscheidungsfreiheit hinsichtlich des Spielplans und des manifesten politischen Engagements erlaubten. Durch diesen perspektivisch verengten Zugang geriet der größte Teil der exilierten Theaterkünstler aus dem Blick der Forschung. Es kam hinzu, daß sich die Forschung ausschließlich auf das Exil, nicht aber auf das zeitlich parallele Geschehen, das Theater des Jüdischen Kulturbundes, konzentriert hatte. Das Kulturbundtheater war jedoch personell wie auch thematisch aufs engste mit dem Exiltheater verknüpft. Viel zuwenig war auch die Theatersituation in Österreich zwischen 1933 und 1938 berücksichtigt worden, und nur in Teilaspekten das Exil der österreichischen Theaterkünstler nach 1938, also nach dem „Anschluß" Österreichs. Es lag angesichts dieses Sachverhalts auf der Hand, die abgerissenen Fäden in gemeinsamer Kooperation zwischen Ost und West wiederaufzunehmen. Die entsprechenden Vorbereitungen begannen 1987. Geplant war eine internationale Tagung an der HAfdE, auf der Wissenschaftler aus Ost und West und vor allem auch eine österreichische Theaterwissenschaftlerin, Hilde Haider-Pregler, vertreten sein sollten. Die P. Walter Jacob Stiftung und die Freie und Hansestadt Hamburg erklärten sich bereit, die Kosten zu übernehmen. Als die Tagung im Herbst 1990 in Hamburg stattfand, hatte sich die politische Situation jedoch grundlegend verändert. Zunächst einmal sah es so aus, als ob die Chancen für die Zusammenarbeit größer denn je seien. Die Teilnehmer der Tagung waren einhellig bereit, das Projekt zu unterstützen und durch entsprechende Beiträge mitzutragen. Gleichzeitig zeichnete sich aber bereits zu diesem Zeitpunkt ab, daß die Institutionen, an denen in der - nun ehemaligen - DDR Exilforschung betrieben worden war, also die Akademie der Wissenschaften oder die Akademie der Künste, entweder ganz oder teil6

4

Peter Diezel: Exiltheater in der Sowjetunion 1932 - 1937. Berlin [DDR]: Henschelverlag 1978; Hansjörg Schneider: Exiltheater in der Tschechoslowakei 1933 - 1938. Berlin [DDR]: Henschelverlag 1979; Werner Mittenzwei: Das Zürcher Schauspielhaus 1933 -1945 oder Die letzte Chance. Berlin [DDR] 1979; Thea KirfelLenk: Erwin Piscator im Exil in den USA 1939 -1951. Eine Darstellung seiner antifaschistischen Theaterarbeit am Dramatic Workshop der New School for Social Research. Berlin [DDR]: Henschelverlag 1984.

Entstehung und Konzeption des Projekts

weise aufgelöst werden sollten. Damit fehlte dem Projekt plötzlich eine hinlänglich breite institutionelle Basis. Verschiedene Versuche, das Projekt in die Neugestaltung der Forschungsinstitutionen einzubeziehen, scheiterten. In dieser Situation erwies es sich als außerordentlich hilfreich, daß die P. Walter Jacob Stiftung sich erneut erbot, das Vorhaben finanziell zu unterstützen. Daraufhin konnte die Überblicksdarstellung in Angriff genommen werden. Meine Kollegen Werner Mittenzwei (Akademie der Wissenschaften der DDR), Henning Rischbieter (Theaterwissenschaftliches Institut der Freien Universität Berlin) und Hansjörg Schneider (Akademie der Künste der DDR) erklärten sich bereit, das Projekt mit mir gemeinsam wissenschaftlich zu tragen. In modifizierter Form konnte also die ursprüngliche Intention, unterschiedliche Forschungsrichtungen zusammenzuführen, weitergeführt werden. Zeitgleich mit den konzeptionellen Vorbereitungen für die Erarbeitung der Überblicksdarstellung wurde an der Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur damit begonnen, eine EDV-gestützte Datei zur Theatertätigkeit im Exil 1933 - 1945 aufzubauen. Sie umfaßt gegenwärtig rd. 7.000 Namen und dokumentiert nahezu vollständig das Schauspiel-, Tanz- und Figurentheater sowie das Kabarett im Exil. Auf der Grundlage dieser Vorarbeit wurde Ende 1993 von Werner Mittenzwei und mir bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein Antrag für die Erarbeitung eines Biographischen Lexikons der verfolgten/exilierten deutschsprachigen Theaterkünstler 1933 - 1945 gestellt. Aus den hierfür bewilligten Mitteln wurden während dreieinhalb Jahren zwei wissenschaftliche Mitarbeiter finanziert. Die Überblicksdarstellung sollte anschließend, so der neue Plan, mit dem Biographischen Lexikon zu einem zweiteiligen Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933 -1945 zusammengefaßt werden. Nachdem die Fertigstellung des Biographischen Lexikons nunmehr absehbar ist, wird von uns als erster Teil des Exiltheater-Handbuchs die Überblicksdarstellung Verfolgung und Exil deutschsprachiger Theaterkünstler 1933 -1945 vorgelegt. Bei der Konzeption dieser Überblicksdarstellung haben wir neue Wege beschritten, indem wir uns darauf konzentriert haben, die Theatertätigkeit der Hitlerflüchtlinge in ihrer jeweils länderspezifischen Eigenart zu erfassen. Aus methodischen, nicht zuletzt aus der Überlieferungsgeschichte resultierenden Überlegungen haben wir auf den Versuch verzichtet, Vollständigkeit zu erreichen, also sämtliche Einzelvorgänge, womöglich mit detailliertem Spielplan und genauer Besetzung, aufzuführen. Dies hätte eine allzu kleinteilige Darstellung, letztlich die Aufzählung zahlloser Einzelaktivitäten zur Folge gehabt. Statt dessen haben wir uns bemüht, deutliche Schwerpunkte zu setzen, um auf diese Weise die Phänomene, die für das jeweilige Aufnahmeland charakteristisch sind, stärker in den Vordergrund zu rücken. Die Länderartikel differieren infolgedessen nach Struktur und Anlage, und diese Unterschiedlichkeit spiegelt die durch die Unterschiede des politischen und kulturellen Milieus bedingten differenten Strukturen und Erscheinungsformen des Exiltheaters. Ein Grund dafür, auf Vollständigkeit zu verzichten und statt dessen nur die jeweils exemplarischen Aktivitäten darzustellen, liegt auch in der über weite Strecken ungleichmäßigen und lückenhaften Überlieferung. Dem Gegenstand ermangelt es in mancher Hinsicht an Kohärenz. Viele Aufführungen des Exiltheaters sind nur als Faktum bekannt. Schon ihre genaue Datierung ist ein Problem. Es fehlt an Besetzungslisten, Kritiken und dokumentierenden Fotos. Solche Strukturen können zwar im Rahmen einer le5

Frithjof Trapp xikalischen Darstellung, wie sie durch den Band Π, das Biographische Lexikon, vorgelegt wird, geschlossen werden, aber nicht in einer Gesamtdarstellung. Eine weitere konzeptionelle Veränderung gegenüber den früheren Darstellungen zur Geschichte des Exiltheaters 1933 - 1945 besteht darin, daß der von uns gewählte Ausgangspunkt nicht das Exil, sondern die durch die nationalsozialistische Machtergreifung entstandene Verfolgungssituation ist. Von der Verfolgung betroffen waren vermutlich rd. 5.000 Vertreter von Schauspieltheater, Kabarett und Kleinkunst. Aus diesem methodischen Ansatz ergibt sich zwingend, daß das Theater des Jüdischen Kulturbundes von uns als integraler Bestandteil der Darstellung verstanden wird. Die eingeschränkte, .ghettoisierte' Öffentlichkeit innerhalb Deutschlands korrespondiert, was die immanenten Problemstellungen - so die Diskussion über den Spielplan, über den spezifisch .jüdischen' Charakter des Theaters, den Bezug auf ein begrenztes wie konstantes Publikum u.a. mehr - betrifft, mit den Aktivitäten der Exilierten außerhalb Deutschlands. Die andere Besonderheit betrifft unsere Entscheidung, die Theatersituation, die sich in Österreich in der Zeit zwischen Januar 1933 und März 1938, dem Datum des „Anschlusses", entwickelte, ausführlich zu thematisieren. In bezug auf Österreich ist eine „doppelte Optik" vonnöten. Der Blick ist nicht allein auf diejenigen zu richten, die aus dem „Dritten Reich" nach Österreich flüchteten; zu thematisieren ist zugleich auch die Theatersituation im „Ständestaat" selber. - Dies gilt in analoger Form übrigens auch für das deutschsprachige Theater in der Tschechoslowakei. Ebenso wichtig sind zwei weitere Merkmale. Stärker als in den bisherigen Darstellungen zur Geschichte des Exiltheaters 1933 - 1945 ist der Blick auf exemplarische Einzelpersönlichkeiten und ihren künstlerischen Werdegang gerichtet. Notwendigerweise treten damit Aspekte der Diskontinuität mitunter stärker in Erscheinung als die der Kontinuität. Der Grund liegt in der Einsicht, daß für die Theaterkünstler das Exil in vielen Fällen einen so entscheidenden Einschnitt bedeutete, daß es eine unangemessene perspektivische Verengung wäre, einzig und allein die erfolgreichen Momente der künstlerischen Entwicklung zu berücksichtigen. Das Scheitern und die Erfolglosigkeit sind durchaus exilspezifische Phänomene. Man würde die komplexen Voraussetzungen außer Betracht lassen, die in den Asylländern die künstlerischen Entfaltungsmöglichkeiten einengten, würde man diese Tatbestände nicht mitthematisieren. Eine Darstellung des Exiltheaters 1933 - 1945 verlangt zwar, stärker als in anderen Bereichen der Theatergeschichte politische und soziale Problemstellungen, biographische und kulturelle Besonderheiten zu berücksichtigen, sie verlangt aber ebenso eine übergreifende Darstellung künstlerischer, vor allem auch stilistischer Entwicklungen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn der Blick auf die Gesamtentwicklung des deutschsprachigen Theaters gelenkt wird, also die Entwicklung der Theaterkunst im Exil vor dem Hintergrund der Entwicklung gesehen wird, die das Theater im „Dritten Reich" durchläuft. Natürlich sind dies disparate Untersuchungsfelder. Es ist jedoch einzig diese Disparität, die dem Blick auf das Exiltheater Tiefenschärfe verleiht. Zugleich treten auf diese Weise auch Stärken und Schwächen des Theaters im „Dritten Reich" in Erscheinung.

Hamburg, den 1. November 1998

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Werner Mittenzwei

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus Theater am Abgrund der Zeit Das Theater in der Endphase der Weimarer Republik Das Theater der Weimarer Republik wird allgemein als eine aufregende, an buchenswerten Ereignissen reiche, ja als glänzende Angelegenheit beschrieben. Selbst maßvolle Betrachtungen charakterisieren diese Zeit als die der literarischen und künstlerischen Opulenz, in der sich eine Vielzahl von Talenten entfaltete und das Neue die Aufmerksamkeit des Publikums beanspruchte. Wenn in dieser Phase auch nicht gerade viele große, bleibende Werke entstanden, so gab es doch auf dem Theater Ereignisse, die in Erinnerung blieben und um die sich bis heute Legenden ranken. Die zwanziger Jahre seien ein „Labor der Moderne" gewesen und die Bühne habe den Zeitgeist bedient, wie in der Geschichte nie zuvor. Kein Wunder also, daß man über diese Epoche ins Schwärmen geriet, daß in populären wie wissenschaftlichen Publikationen immer wieder auf diese Zeit als eine der produktivsten verwiesen wurde. Als sich Fritz Kortner und Oskar Homolka im amerikanischen Exil des Lobes voll und mit Wehmut an diese 14 Jahre erinnerten, vermerkte Brecht in seinem Journal lakonisch: „Beide nähren einen Mythos vom deutschen Theater der Weimarer Republik. Als welches schlecht war." 1 Wie war es nun um dieses Theater tatsächlich bestellt? Kann einer Theaterepoche dauerhafter Ruhm zugesprochen werden, mit der die Nationalsozialisten in kurzer Zeit aufräumten? Oder täuschte man sich in der Annahme, daß sie dieses Theater ausgelöscht hätten? In welchem Zustand war es, als sie es sich aneigneten und für ihre Zwecke nutzten? Aus historischem Abstand erscheint diese Zeit als eine kurze, aber abgeschlossene Epoche, markiert durch die deutsche Niederlage von 1918, der eine unvollendete Revolution folgte, und die nationalsozialistische Machtübernahme. Die Übergänge, die es sehr wohl gab, verblaßten hinter den markanten Zäsuren. Allerdings ist diese Phase alles andere als einheitlich, vielmehr geprägt durch den schnellen Wechsel künstlerischer Erscheinungen, die sturzähnliche Ablösung von Richtungen. Diese Zeit drängte auf Tempo und machte das Tempo zu ihrem Markenzeichen, zu einer Tugend; sie vertrieb Beschaulichkeit, Beständigkeit und die gewohnten Erwartungen aus der Kunst. Es entstand innerhalb kurzer Zeit eine Theaterkultur, die sich vom Königlichen Hof- und Stadttheaterbetrieb auffällig unterschied, obwohl die äußere Struktur und Organisation kaum aufgesprengt wurde. Die republikanischen Kräfte vermochten die politischen Eliten nicht auszuwechseln. Doch in der Kunst kam es zu einem neuen Wertesystem, das sich revolutionärer durchsetzte als irgend etwas in der Politik. In Kunst und Literatur wurde kräftig aufgelöst, zersetzt, zerschlagen, was allzu fest gefügt schien. Selbst eine so neue künstlerische Erscheinung wie der Expressionismus 1

Bertolt Brecht: Werke. Journale 2. Berlin und Weimar/Frankfurt am Main 1995, S. 199 (= Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 27).

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Werner Mittenzwei

fand sich nach 1918 schon in der Auflösung. Das Drama hörte auf, eine festumrissene, technisch genau bestimmbare Bauform zu sein. Bernhard Diebold sprach programmatisch von der „Anarchie im Drama". Das alles vollzog sich mehr produktiv als destruktiv, weil das Theater in Bewegung geriet. Die Schauspieler fühlten sich mobilisiert, denn diese Richtung brachte ihre Körperlichkeit, ihre Vitalität ins Spiel und ermöglichte der Regie einen ganz anderen Zugriff. Die ältere Künstlergeneration sah das allerdings keineswegs so positiv. Für Hofmannsthal war das „die Auflösung der höheren Theaterkultur". Das schnelle Ablösen der Richtungen und Stile verriet die Unruhe, die Unsicherheit und Unzufriedenheit in der Gesellschaft. Keine Losung behielt lange Geltung. Was gestern gepriesen, wurde heute schon verlacht. Den expressionistischen Stücken von Unruh, Hasenclever, Kaiser, die den neuen Menschen ankündigten, folgten sehr bald die von Brecht, Bronnen oder Jahnn, die diese Verheißungen zerstörten, die Illusionen diffamierten. Brecht blieb nicht dabei, den expressionistischen Idealismus zu zersetzen. Ihm schien das „Chaos aufgebraucht". Er begann, die soziale Frage, die Widersprüche zur methodischen Basis seines epischen Theaters zu machen. Die Bühnen schienen damals über einen schier unerschöpflichen Fundus von Stücken zu verfügen. Zu der älteren expressionistischen Theatergeneration, deren Stücke vor 1918 meist nur in geschlossenen Vorstellungen gezeigt werden konnten, trat mit Brecht, Zuckmayer, Bruckner, Wolf eine neue, deren Werke nicht isolierte literarische Ereignisse blieben, sondern die öffentliche Diskussion bestimmten und auch politisch Furore machten. In der Endphase der Weimarer Republik, in den Spielzeiten von 1929 bis 1933, als die Aufführung gesellschaftskritischer Stücke immer mehr erschwert wurde, zählten diese Autoren zu den bekanntesten Dramatikern. Dabei war die Theaterstadt Berlin nicht einmal der bevorzugte Aufführungsort. Im Reich hatten sich Theaterzentren gebildet, die der üblichen Bezeichnung „Provinz" widersprachen und ihr einen polemischen Akzent verliehen. In Frankfurt am Main kamen die Stücke von Hasenclever, Kornfeld, von Unruh und Bronnen heraus. Gustav Härtung machte das Darmstädter Landestheater zu einem Mekka der jungen Dramatik und zu einer der anspruchsvollsten Bühnen Deutschlands. In Hamburg eröffnete Erich Ziegel seine Kammerspiele. Wedekind wurde als Repertoireautor durchgesetzt, aber auch Klaus Mann, Hans Henny Jahnn und Ernst Barlach kamen hier zu Wort. An den Münchner Kammerspielen setzt sich Otto Falckenberg für die jungen Autoren ein. Seine Bühne wurde zu einem Sammelpunkt von Schauspielern, die kurze Zeit später in Berlin zu Ruhm kamen. Über die sogenannte „Provinz" jener Jahre schrieb Günther Rühle: „Ein Autor wie Friedrich Wolf wird neun Jahre lang von den Bühnen der Provinz gestützt, bis er 1930 plötzlich in Berlin zu spektakulärsten Erfolgen kommt. Die Entdeckerfreudigkeit, aber auch der Mut zum Risiko blieben in der Provinz bis zum Ende der Republik größer als in den Berliner Theatern."2 In Berlin überließ man die Uraufführung junger Autoren nicht den großen, festen Häusern. Die wirtschaftliche und geistige Krise führte zu Alternativgründungen wie Moriz Seelers Spielgemeinschaft JUNGE BÜHNE, der GRUPPE JUNGER SCHAUSPIELER oder Gustav von Wangenheims TRUPPE 31. Die Autoren suchten in ihren Stücken in Inhalt und Form der Zeit Ausdruck zu geben. Was sie auf die Bühne brachten, entbehrte 2

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Günther Rühle: Thealer in unserer Zeit. Frankfurt am Main 1976, S. 21.

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meist nicht der Provokation, sie wollten, gleich welcher Richtung sie sich zuzählten, radikal sein. Ihre Werke setzten dem Publikum zu, aber gerade deshalb fanden sie Resonanz. Das Zeitstück war nicht ausschließlich eine Schöpfung dieser Phase, aber in ihr bekam es seinen spezifischen Ausdruck, seine aggressive Schärfe, und es installierte den Anspruch, etwas verändern zu wollen. Die neuen Stücke veränderten zuerst den Schauspieler. Ein neuer Schauspielertypus setzte sich durch. Anstelle der Zwischentöne, der Virtuosität der Nuance trat die Expressivität, die sprichwörtlich für den Darstellungsstil der Schauspieler in der Weimarer Republik wurde. Die Eigenheit in Stimme und Geste, in der Variation vieler Talente, verlor sich nicht, als die Republik verschwand und die Schauspieler sich im Exil befanden oder einem neuen Regime dienten. Diese neue Schauspielergeneration, die sich herausgebildet hatte, verfügte über ein großes Reservoir von Begabungen, das später die Liquidatoren der Republik zu nutzen verstanden. Die Theaterkunst der Weimarer Republik wurde geprägt von Schauspielern wie Werner Krauß, Fritz Kortner, Emil Jannings, Heinrich George, Eugen Klopfer, Alexander Granach, Elisabeth Bergner, Käthe Dorsch, Lucie Mannheim, Grete Mosheim und vielen anderen. Sehr verschieden in ihrem Ausdruck, in ihren Mitteln, setzten sie neue Akzente, verdeutlichten sie den Unterschied zur Vorkriegszeit. „Das Theater ist heute Bewegungskunst", schrieb Herbert Jhering bereits 1922.3 Die Körpersprache, die Geste, das Wort zerriß den früheren „Bildstil" (Jhering) und gab dem Theater einen ganz anderen Rhythmus. Die Schauspieler erhielten ihre Anregungen von der jungen Dramatik, die aus den bisherigen Vorstellungen von Literatur, von Dichtung ausbrach, sie wurden beflügelt durch die szenische Phantasie neuer Regisseure, durch den gesamten Umbruch in den Künsten. Das alles wirkte sich produktiv auf den Gesamtprozeß Theater aus. So entstand eine schöpferische Atmosphäre. Die Aufführungen spiegelten die politische Wirrnis der Zeit, die Verzweiflung, die Not und die gesellschaftliche Zerrissenheit in einer künstlerischen Verfremdung wider, die das Publikum erregte und faszinierte. Auf diese Weise entstand der Eindruck von einer unerhört interessanten, vitalen Phase deutscher Theatergeschichte. Anfang der dreißiger Jahre lenkte Herbert Jhering die Aufmerksamkeit auf eine Reihe junger Schauspieler, die von sich reden machten. Dazu zählte er Bernhard Minetti, Gustaf Gründgens, Luise Ullrich, Ernst Busch, Peter Lorre, Ernst Ginsberg, Leonard Steckel, Paul Dahlke, Mathias Wiemann, Wolfgang Langhoff. Trotz der Wirtschaftskrise ließ sich kein Rückgang schauspielerischer Neuentdeckungen erkennen. Die Begabungsexplosion, ein Kennzeichen dieser Zeit, kam durch die sich verschärfenden ökonomischen und politischen Widersprüche nicht zum Stillstand. Wesentlichen Anteil an der Profilierung des Theaters hatten die Regisseure, die in den zwanziger Jahren aus dem Schatten Max Reinhardts heraustraten, so Leopold Jeßner, Jürgen Fehling, Karl Heinz Martin, Gustav Härtung, Erich Engel, Heinz Hilpert. Leopold Jeßner, der nach dem Krieg von Königsberg nach Berlin kam und das Staatliche Schauspielhaus am Gendarmenmarkt übernahm, war der erste, der künstlerisch wie organisatorisch etwas erstrebte, das dem Geist des demokratischen Staatsgebildes entsprach und deshalb allenthalben auf Widerstand stieß. Er räumte gründlich mit allen Formen des Königlichen Hoftheaters auf. Seine 7e//-Inszenierung von 1919 mit Albert 3

Herbert Jhering: Die zwanziger Jahre. Berlin 1948, S. 52.

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Werner Mittenzwei Bassermann und Fritz Kortner kam einem Aufruhr gleich. Er prägte das Bild des politischen Regisseurs. Dieser Mann schlug ein neues Kapitel in der Theatergeschichte auf und kreierte einen Stil, der sich durch die ganze Epoche zog und dem schillernden Bild des modernen Theaters einige Konturen gab. Das Theater der Weimarer Republik war ein Theater der Gegensätze. Es favorisierte nicht nur das Zeitstück, sondern auch seinen Gegensatz: das Unterhaltungsstück. Dieses Genre mutierte zur Unterhaltungsbranche. Die politischen Widersprüche, die diese Republik zerrissen, töteten nicht das Unterhaltungsbedürfnis ab. Im Gegenteil! Diese Zeit brauchte die Betäubung ebenso wie die politische Illusion, die gesellschaftliche Utopie. Neben der Salonkomödie schob sich die Revue in den Vordergrund. Ihre vielfältigen Möglichkeiten nutzten allerdings auch die politisch engagierten Autoren. Ihre größte Popularität erlangte die Revue jedoch in der Form wenig bekleideter Girl-Truppen. Berlin schwärmte von der Haller-Revue, von der Erik-Charell-Show. Wenn etwas zum Symbol der vielfältigen Kunst der sogenannten „goldenen" zwanziger Jahre wurde, so die Revue. Aber alle Formen der Unterhaltungsbranche schienen in dieser Zeit zu expandieren: neben der Revue die Operette, das Kabarett. Herbert Jhering sah vor allem auf diesem Gebiet die Reaktion heranschleichen. Hier erblickte er mit Erschrecken das wahre „Zeittheater". In der höchsten Entfaltung beginnt die Krise - diese Erkenntnis des Krisentheoretikers Karl Marx traf auch auf das Theater Anfang der dreißiger Jahre zu. Der Gipfelpunkt kündigte den Umschlag an. Neben der ökonomischen war die geistige Krise nicht zu übersehen. Man hatte den Entwicklungsraum ausgeschritten, auf allen Gebieten experimentiert, entschlossen auf das Neue gesetzt, aber alles weitere Fortschreiten ließ an dem Fortschritt zweifeln. Die Experimente ermüdeten. Was sollte nach dem Neuen noch Neues kommen? Das deutsche Theater stand an der Spitze der modernen Kunstentwicklung. In keinem anderen Land - vom revolutionären Rußland einmal abgesehen - hatte man die traditionellen Fesseln so entschieden abgestreift wie in Deutschland, nicht in Frankreich, nicht in England. „Dies Land", schrieb Alfred Kerr 1932, „war bis jetzt das erste Theaterland der Welt."4 Die Wirtschaftskrise mußte es um so schmerzhafter treffen, weil es, wie Kerr meinte, auch „das verwöhnteste" war. „Deutschland opferte dem Theater viel Geld [...] und muß heute dem Geld das Theater opfern."5 Das war keine Übertreibung, zieht man dazu die Erhebungen in einer Denkschrift der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger von 1932 zu Rate. Der Abbau von Engagements in der Spielzeit 1928/29 bis zur Spielzeit 1932/33 betrug ca. 32 Prozent. Am Stichtag, dem 31. Dezember 1932, waren 52 Prozent der statistisch erfaßten Schauspieler im Engagement und 48 Prozent arbeitslos. An einzelnen Theatern wurden in einer Spielzeit bis zu 50 Prozent des Ensembles entlassen. Statt Jahresverträgen bot man nur noch Saisonverträge mit einer Laufzeit von 6 bis 9 Monaten an. Im Jahre 1932 mußten zahlreiche Privattheater schließen, staatlich subventionierte Bühnen wurden verpachtet oder aufgelöst, so in Berlin das SchillerTheater und die Kroll-Oper. Die bisherigen Rechtsformen wurden zurückgeschraubt, Privatisierungen und Fusionierungen angestrebt. Selbst die Schließung des Schauspielhauses am Gendarmenmarkt, unter Jeßners Leitung die erste Bühne in Deutschland, wurde erwogen. 4 5

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Alfred Kerr: Was wird aus Deutschlands Theater? Dramaturgie der späten Zeit. Berlin 1932, S. 8. Ebenda, S. 5.

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Die Krise des Theaters hatte vielfältige Ursachen; die, die genannt wurden, leuchteten nicht immer ein. Die, die Alfred Kerr zum Beispiel in seiner Schrift Was wird aus Deutschlands Theater? anführte, erwiesen sich als eklatanter Irrtum. Weder die Ablösung des „gefugten Dramas" durch das „anreihende Drama" noch Brechts episches Theater, das nicht auf einem Prinzip, sondern auf einem Defekt beruhe, führten zur Krise, nicht das „Parteistück", nicht das „Massenstück" noch die gesamte „Dramenverwirrnis eines Jahrzehnts". Jhering warnte vor der „getarnten Reaktion", die für ihn viele Gesichter besaß. Für ihn kam die Reaktion „getarnt als Entwicklung". Doch die tatsächlichen Ursachen, sieht man einmal von den direkten politischen Eingriffen ab, ließen sich schwer bestimmen. Die produktiven Kräfte stießen zu extremen Positionen vor und hielten es unter Umständen für nötig, an dem Ast zu sägen, auf dem sie saßen. Unter den Avantgardisten schlossen einige auch einen geordneten Rückzug vorerst nicht aus. Wie oft bei weit vorgetriebenen Experimenten stand man vor der Frage, ob dem weiteren Vorstoß nicht erst einmal der Rückzug vorzuziehen sei. Zwar bestand die Theaterwelt der zwanziger Jahre schon immer aus unterschiedlichen, gegensätzlichen Positionen, aber jetzt, Anfang der dreißiger Jahre, kam es zu einer immer stärkeren Polarisierung. Die Experimente der marxistisch orientierten Künstler hatten die Möglichkeit eingeschlossen, den künstlerischen Bereich zu verlassen, wenn neue Einsichten das nötig machten. Erwin Piscator und Bertolt Brecht, die weitgreifende Entwürfe für ein künftiges Theater vorlegten, zielten auf eine „Fundierung durch Politik", jedoch auf eine ganz andere Art, als Jeßner das Theater als politisches Forum verstand. Brecht plädierte für einen kollektiven Ausbau des Theaters und sammelte eine Mannschaft um sich. Er wollte eine ganz neue Beziehung zwischen Kunstproduktion und Kunstkonsumtion herstellen. Der Zuschauer mußte das unterbreitete Material einsehen und beurteilen können, um andere Lösungen zu sehen. Der souveräne Zuschauer avancierte zum Koproduzenten. Nicht an den einfühlsamen, sondern an den mitproduzierenden Zuschauer wandte er sich. Nichts weniger als eine materialistisch dialektische Denkkultur, bei der die Dialektik zu einer Gefühlssache werde, gedachte er zu etablieren. Seine Kunstentwürfe wandten sich auch gegen das alte politische Tendenzstück. Brechts radikaler Umbau des Theaters einigte die linke Theaterfront nicht, sondern sprengte sie. Doch der Dialektiker meinte, den Ausweg in der Sackgasse zu finden. Zur gleichen Zeit gab es aber auch ein Besinnen auf Grenzen, ein Abgehen von allzu zügellosen Experimenten. Der Gedanke an einen vorsichtigen Rückzug, das Eingeständnis der Ratlosigkeit, der Ermüdung, fiel zusammen mit ökonomischen Sachzwängen und mit dem Einfluß der politischen Reaktion. Das Bestreben, den erreichten Standard sinnvoll bewahren zu wollen, verband sich mit Resignation, mit Preisgabe auf Raten, mit Windstille. Der politischen Komponente kam nicht die auslösende Funktion zu. Der Prozeß begann in der Kunst selber. Die Hast nach dem Neuen verlangte erst einmal nach einer Atempause. Was sich zu Beginn der dreißiger Jahre ereignete, war keineswegs eine deutsche Angelegenheit. Sie vollzog sich fast überall in Europa. Die Moderne machte eine Pause, die Kunst zog sich auf verschiedene Varianten des Realismus zurück, der künstlerische Errungenschaften und Eroberungen der zwanziger Jahre mit traditionellen Kunstmitteln verband. Insofern setzte eine Beruhigung der Kunstszene ein. Wie sie kein spezifisch deutscher Vorgang war, war sie auch kein spezifisches Resultat der politischen Veränderungen. Aber die zeitweilige Erschöpfung der Moderne und das durch die faschisti11

Werner Mittenzwei

sehe Machtübernahme erzwungene Exil fielen zusammen und verschärften, komplizierten den Prozeß. Anfangs wurde diese Umkehr in der Kunst nur sehr zögerlich oder überhaupt nicht wahrgenommen, gelegentlich als bloß negativ vermerkt. Paul Cohen-Portheim konstatierte für England in den dreißiger Jahren eine Wiederkehr des 19. Jahrhunderts mit seiner betulichen Poesie. Für andere war sie einfach ein Anzeichen der Erschöpfung, der Ermüdung. Die Sisyphusarbeit des Experimentierens konnte nicht einfach fortgesetzt werden. In Deutschland führte diese Phase europäischer Kunstentwicklung jedoch durch die aufkommende nationalsozialistische Diktatur zu einigen besonderen Verwerfungen. Die revolutionären Kunstentwürfe und alles Experimentieren wurden gewaltsam unterbunden. Anstelle von Entwicklung kam es zum Bruch. Das Nachdenken über die Schwierigkeiten der Moderne wurde in andere Bahnen gelenkt. Im Exil wie in Deutschland überwogen die äußeren Einflüsse. Der Zweite Weltkrieg vertrieb die Kunst vollends vom Schauplatz der Öffentlichkeit. Brecht notierte: „Es ist interessant, wie weit die Literatur, als Praxis, wegverlegt ist von den Zentren der alles entscheidenden Geschehnisse".6 Die inneren Widersprüche blieben verborgen. Die Künstler wie ihr Publikum hatten genug zu tun, sich ihrer Haut zu wehren. Wie dieser Prozeß Anfang der dreißiger Jahre begann, wie er sich in persönlichen Entscheidungen niederschlug, zeigen die Vorgänge um die Abdankung Leopold Jeßners als Intendant des Schauspielhauses und die Übergabe von Reinhardts Deutschem Theater an Heinz Hilpert. 1930 gab Jeßner unter politisch administrativem Druck die Intendanz auf. Er, der das politische Theater einführte, hatte in den letzten Jahren die Bühne vor allzu deutlicher Parteinahme bewahren wollen. Das führte bei der politischen Polarisierung des Theaters dazu, daß die sensationellen Aufführungen an anderen Bühnen stattfanden. Jhering, der gerne das Haus am Gendarmenmarkt in den Händen von Brecht und seiner Mannschaft gewußt hätte, wandte sich gegen Jeßner, für den er keine Aufgaben mehr sah. „Jhering wollte das Staatstheater wieder als Sammelplatz der neuen Kräfte, wie Jeßner es einst geführt hatte, aber diese Kräfte waren 1929/30 die, die aus Piscators politischem Theater hervorgegangen waren und das linke Theater in Berlin am S c h i f f b a u e r d a m m u m d i e GRUPPE JUNGER SCHAUSPIELER p r ä g t e n . " 7

Als ein Jahr später, am 15. März 1931, Heinz Hilpert Direktionsstellvertreter in Max Reinhardts Deutschem Theater wurde, markierte er aus eigener Erfahrung die allgemeine Tendenz, die sich durchzusetzen begann: „Wir wollen versuchen, im Dienste des Dichters die Welt mit seinen Augen zu sehen, und wir wollen die Welt zwingen, den Dichter so zu sehen, wie er ist, und nicht so, wie man ihn nach dahin oder dorthin deuten könnte. Wir wollen das Werk und nicht seine Ausdeutung. Und wollen das Kunstwerk. Wie der Regisseur, der Aktualität des Ewigmenschlichen dienend, die Dichtung von der Aktualität des Tages fernhalten sollte, so sollte er auch, den schauspielerischen Menschen dienend, diese von Typisierung und Spezialisierung fernhalten [...]. Es scheint so, als ob sich die vielleicht notwendige Durchgangsperiode des autokratischen Regisseurs endgültig ihrem Ende zuneigt."8 Wie zur Selbstbestätigung dieser Richtung unterzog sich Jeßner im Börsen-Courier der Selbstkritik: „Es war vielleicht eine Sünde, wenn wir 6

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Bertolt Brecht: Werke. Journale 1. Berlin/Frankfurt a. M. 1994, S. 424 (= Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 26). Günther Rühle: Theater in unserer Zeit, a.a.O., S. 77. Ebenda, S. 77 f.

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus

aus Rücksicht auf äußere Schwierigkeiten (Finanzsorgen und Angriffe) vor der Zeit unser Darstellungsprinzip abschwächten, jedenfalls in technischer Hinsicht. Aber jede Zeit erfordert eine Kunst, die ihr durchaus gerecht wird."9 In der Endphase der Weimarer Republik verfügte das Theater über einen üppigen Fundus von Talenten, über neu erworbene Gestaltungsmittel, über das größte Reservoir an Erfahrungen, über eine politisch differenzierte und in seinen verschiedenen Lagern organisierte Zuschauergemeinschaft. Die Bühnen vermochten auf neue Stücke zurückzugreifen, die sie mit vorzüglichen Schauspielern besetzen konnten. Aber dieses Theater war bis ins Mark verunsichert. Zur Utopie gesellte sich die Ratlosigkeit. Man sehnte sich nach neuen Ufern und verlangte doch nach festem Boden unter den Füßen. Polemik und Anspruch des Nationalsozialismus Der Nationalsozialismus besaß in seiner Frühzeit kein kulturpolitisches Programm, schon gar nicht eine konzeptionell-strategische Vorstellung, wie das Theater aussehen sollte. In der Polemik bediente er sich allgemeiner Losungen aus dem Parteiprogramm. Die richteten sich vor allem gegen den angeblichen .jüdisch-marxistischen Einfluß", gegen die Überfremdung, gegen alles, was seine Anhänger nicht als deutsch empfanden. Die internationale Ausrichtung der Kunst wurde zum Vorwurf. Vor allem durch den „Individualismus und Marxismus" sei das deutsche Theater geistig und wirtschaftlich bedroht. Sie hielten es für geistig und seelisch krank, in einem Zustand des Niedergangs. Im Parteiprogramm hieß es: „Wir fordern den gesetzlichen Kampf gegen eine Kunstund Literatur-Richtung, die einen zersetzenden Einfluß auf unser Volksleben ausübt, und die Schließung von Veranstaltungen, die gegen diese Forderung verstoßen."10 Hitler vermerkte in Mein Kampf demagogisch, daß durch die jüdische Führungsposition Schmutz und Kitsch auf den deutschen Bühnen überhandgenommen hätten. „Die Tatsache, daß neun Zehntel alles literarischen Schmutzes, künstlerischen Kitsches und theatralischen Blödsinns auf das Schuldkonto eines Volkes zu schreiben sind, das kaum ein Hundertstel aller Einwohner im Lande beträgt, ließ sich einfach nicht wegleugnen, es war eben so" 11 . Für Goebbels gab es überhaupt keine Kunst, die an sich international sei. Goethe war für ihn nur deshalb ein „Weltkünstler", „weil er der beste Deutsche" gewesen sei. Die Nationalsozialisten forderten eine „volkhafte" Dramatik, ein auf Rasse, Blut und Seele ausgerichtetes Theater. Voller Verachtung wandten sie sich gegen alle modernen Richtungen. Für sie war das Scharlatanerie und Verfall. Hitler erklärte 1933: „Das ,noch nie Dagewesene' ist kein Beweis für die Güte einer Leistung, sondern kann genausogut der Beweis für ihre noch nicht dagewesene Minderwertigkeit sein. Wenn daher ein sogenannter Künstler seine Lebensaufgabe nur darin sieht, eine möglichst wirre und unverständliche Darstellung von den Leistungen der Vergangenheit oder auch der Gegenwart hinzustellen, dann werden immerhin die wirklichen Leistungen der Vergangenheit Leistungen bleiben, während das künstlerische Gestammel eines solchen malenden, musizierenden, bildhauenden oder bauenden Scharlatans einst nur ein Beweis sein wird für die Größe des Verfalls einer Nation." 12 9 10 11 12

Ebenda, S. 78. Programm der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei. Punkt 23 c. Sonderdruck (nach 1933). Adolf Hitler: Mein Kampf. München 1941, S. 62. Max Domarus: Hitler. Reden und Proklamationen 1932 - 194S. Kommentiert von einem Zeitgenossen. Bd. 1,1: Triumph 1932 - 1934. München 1965, S. 298.

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Werner Mittenzwei In den zwanziger Jahren blieb der Einfluß der Nationalsozialisten auf die Künstler äußerst gering. Es gelang ihnen nicht, bedeutende Persönlichkeiten aus Kunst und Literatur für sich zu gewinnen. So verkündeten die Politiker, die Parteiführer, wie das Theater auszusehen habe. Doch auf diese Weise gewannen sie keine Kunstfreunde und schon gar nicht die Künstler. Das änderte sich Anfang der dreißiger Jahre, als es zu einer stärkeren Polarisierung des gesamten Kunstlebens kam. Auf der Gegenseite hatte sich um 1930 eine vielfältige sozialistische Literatur und Kunst von beachtlichem Niveau und politischer Operativität herausgebildet. Auf dem Gebiet des Theaters und des Romans gab es neue Autoren und Werke. Willi Bredel, Hans Marchwitza, Adam Scharrer, Ernst Ottwalt traten mit ihren ersten Werken hervor. Auf dem Theater erregten die Stücke von Bertolt Brecht, Friedrich Wolf, Gustav von Wangenheim das Interesse der Öffentlichkeit, obwohl sie bereits von einer immer stärker auftrumpfenden Kulturreaktion behindert wurden. Die kommunistisch orientierte Arbeiterbewegung verfügte über ein modernes Agitproptheater, über Spieltrupps, in denen junge Künstler und Autoren eine Möglichkeit sahen, Neues auszuprobieren. Piscator war zum Inbegriff des politischen Theaters geworden. Bevor eine nationalsozialistische Kunstszene entstand, trat um 1930 die nationalkonservative Literatur mit neuen Autoren und neuen Werken hervor, die eine breite Leserschaft gewannen.13 Ihr Einfluß bereitete die Entwicklung nach 1933 vor. Sie füllte die bestehende Lücke aus und verdeckte den Mangel, die Schwäche im geistig-kulturellen Potential dieser Partei. Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre entstanden die meisten Romane, mit denen später das „Dritte Reich" einen nicht geringen Teil seines literarischen Haushalts bestritt. Mehr als vom eigenen Schrifttum zehrte der Nationalsozialismus von diesem Fundus, von Werken, die auf einer anderen Ideenbasis entstanden, die aber eine Verwandtschaft zur Gedankenwelt des Nationalsozialismus erkennen ließen. Doch auf dem Gebiet des Theaters gab es keinen vergleichbaren Vorgang. Die Entwicklung von Literatur und Theater einschließlich der Dramatik verlief recht unterschiedlich. Nur auf das Theater zu sehen, das hieße, bestimmte Einflüsse und Wirkungen außer acht zu lassen. Verglichen mit dem revolutionären, sozialistisch orientierten Theater vermochten die Nationalsozialisten auf der Bühne nichts zu schaffen, was auch nur annähernd gleichrangig gewesen wäre und die Öffentlichkeit beschäftigt hätte. Die nationalkonservative Dramatik erfuhr zwar zu Beginn der dreißiger Jahre gleichfalls eine Belebung, die sich vor allem in Aufführungen in der Provinz ausdrückte, besaß aber bei weitem nicht das künstlerische Gewicht und die Resonanz wie der nationalkonservative Roman. Die nationalkonservativen Dramatiker, auf die das „Dritte Reich" zurückgreifen konnte, waren zwar zahlreich, wie die 1938 erschienene Monographie Deutsche Dramatiker der Gegenwart von Hermann Wanderscheck ausweist, aber unter ihnen gab es wenige, die zu den repräsentativen Autoren der Weimarer Republik gehörten. Eine Begabung war zweifellos Hanns Johst, der als Expressionist begonnen hatte 13

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Zu dieser neuen Welle zählten Paul Alverdes mit Die Pfeiferstufe (1929), Werner Beumelburg mit Sperrfeuer um Deutschland (1929), Gruppe Bosemüller (1930), Erwin Erich Dwinger mit Die Armee hinter Stacheldraht (1929), Zwischen Weiß und Rot (1930), Wir rufen Deutschland (1932), Karl Benno von Mechow mit Das ländliche Jahr (1929), Ernst von Salomon mit „Die Geächteten" (1930), Die Stadt (1932), Franz Schauwecker mit Auf bruch der Nation (1931), Heinz Steguweit mit Der Jüngling im Feuerofen (1932), Josef Magnus Wehner mit Sieben vor Verdun (1930).

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus

und dessen Werk eine kontinuierliche Entwicklung aufwies. Einige seiner Stücke hatten Erfolg, wie Thomas Paine, das 1927 an acht Bühnen gleichzeitig zur Aufführung kam. In den zwanziger Jahren ließ er sich politisch nur schwer einordnen. Bei Bertolt Brecht wie bei Friedrich Wolf besaß er lange Zeit Kredit. Johst faszinierte von jeher ein Typus, der die Masse hinter sich hatte, aber in der Masse nicht aufging. In seinem Stück Der König hieß es: „Wer an das Volk glaubt / den züchtigt es. / Wer das Volk züchtigt, / an den glaubt es." Ende der zwanziger Jahre muß Johst dann seinen Helden in der Bewegung Hitlers gesehen haben. Er gab seine bisherige Haltung auf und stellte sich offen in den Dienst der Partei des kommenden Mannes. Seine literarische Maxime, die auf dem „dramatischen Willen" und der „Konsequenz des Schicksals" beruhte, führte ihn geradewegs zu Hitler. 1928 trat er in die NSDAP ein. Neben Johst gab es nur vier Dramatiker von einiger Bedeutung, die sich Anfang der dreißiger Jahre durchsetzten und dann im „Dritten Reich" eine Rolle spielten: Eberhard Wolfgang Möller, Sigmund Graff, Hans Rehberg und der aus Österreich stammende Richard Billinger. Zu jener Zeit ließen sie sich kaum in eine Reihe stellen, waren auch nicht ohne weiteres in ihrer Vorläuferrolle zu erkennen. Johst, Möller und Graff besetzten nach 1933 wichtige Funktionen in Goebbels' Propagandaapparat. Ihre Werke aus der Weimarer Republik wurden im „Dritten Reich" zeitgemäß uminterpretiert, die zum neuen Staat hinführenden Elemente herausgearbeitet. Möller kam nach dem 1928 aufgeführten Stück Aufbruch in Kärnten, das später als erstes „Grenzlanddrama" bezeichnet wurde, mit dem Heimkehrer-Schauspiel Douaumont oder die Heimkehr des Soldaten Odysseus zu einem beachtlichen Erfolg. Das Werk, das expressionistische Einflüsse aufweist, zeigt, wie stark Möller von der zeitkritischen Dramatik dieses Jahrzehnts beeinflußt war. Die Berliner Volksbühne spielte es sozialkritisch, anklägerisch, wenn Möllers Kritik sich auch nur an dem Gegensatz von hungernden, heimkehrenden Kriegern und satten Kriegsgewinnlern festmachen ließ. In seinen weiteren Stücken Kalifornische Tragödie (1929) und Panamaskandal (1930) wurde die verheerende Macht des Goldes, des Geldes dargestellt, die die schöpferische Arbeit zerstört. Bereits in Panamaskandal hob er die Geldgesinnung als Kennzeichen eines verrotteten Bürgertums hervor, die ihren politischen Ausdruck im Parlamentarismus gefunden habe. Alles lief schon auf die nationalsozialistische Unterscheidung von „raffendem" und „schaffendem" Kapital hinaus. Nicht ganz zu Unrecht sah man hier Möllers Übergang zu nationalsozialistischen Positionen. Sigmund Graff wurde mit dem Stück Die endlose Straße, gemeinsam mit Carl Ernst Hintze geschrieben, zu einem vielgespielten Dramatiker. 1930 verschickte der Bühnenvertrieb 356 Angebotsbriefe und erhielt 48 Ablehnungen und zwei Annahmen. Zwei Jahre später gab es schon 178 Annahmen bei 47 Ablehnungen. Nach der Berliner Aufführung in der Regie von Leopold Lindtberg und der Besetzung mit Walter Franck, Fritz Genschow, Alexander Granach, Albert Florath, Hans Otto, Veit Harlan, Paul Bildt, Heinrich Greif, Bernhard Minetti nahm das Stück verschiedene Richtungen für sich in Anspruch. Obwohl der Autor dem „Stahlhelm" nahestand, wurde die Aufführung noch keineswegs der konservativen, schon gar nicht der nationalsozialistischen Szene zugeordnet. Der Autor, kein großes Talent, aber geschickter Dramatiker, stützte sich bei diesem Stück auf den in der Weimarer Republik entwickelten dokumentarischen Stil, literarisch, thematisch verfuhr er ähnlich wie Remarque und Beumelburg. Das Stück hatte vieles mit der Thematik des nationalkonservativen Romans gemeinsam, ohne dessen li15

Werner Mittenzwei terarisches Niveau zu erreichen. Doch in der Gebundenheit des einzelnen an die Gemeinschaft, auch wenn sie in den Tod führte, ließ sich schon Graffs politisches Credo erkennen. 1932 sahen Kritik und Publikum bei ihm weit eher Resignation, ihn selber mehr als das Sprachrohr einer Generation ohne Ausweg. Hans Rehberg war zweifellos eine Begabung, ein Dichter, aber eingebunden in eine konservative Gedankenwelt. Er trat 1930 mit dem Schauspiel Cecil Rhodes hervor, machte aber nach 1933 die preußische Geschichte zum bevorzugten Gegenstand seines Schaffens und schrieb einen vierteiligen Hohenzollern-Zyklus. Was vielleicht als Flucht vor der nationalsozialistischen Gegenwart gedacht war, band ihn auf verhängnisvolle Weise. Seine eigenwillige Darstellung der preußischen Geschichte stand nicht im Einklang mit nationalistischen Auffassungen. Als Literatur mit Niveau ließ man sie gelten, diente sie doch anspruchsvollen Bühnen als Ersatz für die ausgegliederte zeitgenössische Weltdramatik. Bernhard Minetti, der oft in seinen Stücken spielte, schrieb über ihn: „Er war in der Partei und hatte auch irgendwo eine hohe Protektion. Er war nicht nazihaft f...]."14 Innerhalb von drei Jahren, von 1931 bis 1933, erschienen von Richard Billinger nicht weniger als sechs Stücke, die von den berühmtesten Regisseuren der Republik inszeniert wurden. Die Urfassung des Perchtenspiels brachte Max Reinhardt 1928 heraus. Rauhnacht inszenierte 1931 Jürgen Fehling im Berliner Staatstheater, nachdem es zuvor Otto Falckenberg in den Münchner Kammerspielen aufgeführt hatte. Bei dem Stück Rosse führte 1933 Leopold Jeßner Regie, seine letzte Arbeit in Deutschland. Das Verhalten der Nationalsozialisten zu Billinger gestaltete sich zwiespältig. Einerseits wollte man den Dramatiker, von dem man glaubte, daß er sich in seiner Thematik von den „intellektualistischen" Stücken aus der Zeit der Weimarer Republik unterschied, für sich beanspruchen, andererseits war das Bauerntum, wie es Billinger in Rauhnacht gestaltete, für sie unannehmbar. Das Stück blieb deshalb während der gesamten nationalsozialistischen Zeit für die Bühnen verboten. Zu Beginn der dreißiger Jahre versuchte auch der Romancier Erwin Guido Kolbenheyer, sich auf dem Theater Geltung zu verschaffen. Doch der als Romancier berühmt gewordene Autor war kein Dramatiker. Seine Gestalten predigten zuviel, zwar nicht das Parteiprogramm der NSDAP, aber die Thesen seiner verworrenen „Bauhütten"-Philosophie. Seine Stücke Heroische Leidenschaften (1928), Jagt ihn - ein Mensch (1931), Das Gesetz in Dir (1931) wurden zwar in der Provinz öfter gespielt, aber der Sprung auf die Berliner Bühnen gelang ihm vor 1933 nicht. Aber Anfang der dreißiger Jahre war er überzeugt, daß für Dramatiker seiner Gesinnung die Zeit für den Wechsel von der Provinz nach Berlin gekommen sei. Er sollte recht behalten. Sein nächstes Stück Gregor und Heinrich kam in prominenter Besetzung am Berliner Schiller-Theater heraus. Der künstlerische Rang des revolutionären Theaters wie der Piscator-Bühne, der Truppen junger Schauspieler ließ die Nationalsozialisten nicht ruhen, etwas Ähnliches zu schaffen. Was vor allem ihren Neid hervorrief, war die ausgezeichnete Publikumsorganisation dieser Theaterbewegung. Sie unternahmen zahlreiche Bemühungen, aber alle blieben erfolglos. Nicht anders verhielt es sich mit den Versuchen der Nationalkonservativen. Von rechts schien kein Theater eine Chance zu haben. Voran gingen die nationalkonservativen Kreise, die 1925 die „Nationalbühne e. V." gründeten, die den „Verfall 14

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Bernhard Minetti: Erinnerungen eines Schauspielers. Hamburg 1988, S. 117.

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus des deutschen Theaters" und den „Zersetzungsprozeß" aufhalten sollte. Diese Einrichtung blieb eine Episode, eine von der Öffentlichkeit kaum bemerkte Randerscheinung. Zwei Jahre später versuchten die Nationalsozialisten, eine eigene Volksbühne aufzubauen. 1927 entstand aus der „NS-Versuchsbühne" die „NS-Volksbühne". Hier kam auch Joseph Goebbels' Stück Der Wanderer zur Aufführung. Was Goebbels von der Bühne verkündete, war nun wirklich das Parteiprogramm, und zum Schluß der Vorstellung wurde, von der Orgel intoniert, das Horst-Wessel-Lied gesungen. Was dem Redner Goebbels gelang, die Massen zu faszinieren, mißlang dem Dramatiker völlig. Zu einer ersten regulären Spielzeit der NS-Volksbühne mit vier bis sechs Aufführungen pro Monat kam es erst 1930/31. Man wollte das Wallner-Theater in Berlin pachten, doch das scheiterte, und zog nunmehr in das Theater in der Klosterstraße. Über das Niveau dieser Bühne schrieb Herbert Jhering: „Die NS-Volksbühne ist das kläglichste Versagen einer Kulturpolitik, das überhaupt denkbar ist. Herr Dr. Goebbels, der Propagandachef, müßte entsetzt sein." 15 1931 ging es mit diesem Unternehmen auch schon zu Ende. In Berlin am Morgen konnte man lesen: „Die Strassersche Deutsche Revolution meldet, daß die nationalsozialistische Volksbühne nach einem ruhmlosen Dasein zusammengebrochen ist. Wir haben seinerzeit einige Male über die in jeder Hinsicht lächerlichen Versuche der Hakenkreuzler, eine Nazi-Volksbühne ins Leben zu rufen, berichtet und schon damals den baldigen Krach dieser jämmerlichen Schmiere vorausgesagt."16 Noch im gleichen Jahr wurde ein neuer Anlauf unternommen und der Verein „Deutsches National-Theater Berlin" ins Leben gerufen. Die Sehnsucht der Deutschen, wie die Gründer in ihrem Programm formulierten, sollte auf diese Weise mit „frischem Mut" erfüllt werden. In regelmäßigen Abständen wollte dieser Verein in dem gemieteten Theater am Schiffbauerdamm klassische und neue Stück vorstellen. „Ausgezeichnete deutsche Dichter und Schauspieler stehen zur Verfügung. Durch euren Massenaufmarsch werden wir beweisen, daß der deutsche Theaterbesucher da ist, wenn er von Deutschen in die Vorstellung wertvoller deutscher Dichter gerufen wird", hieß es in einem Werbezettel.17 Dieses angeblich „überparteiliche Theater" nutzten die Nationalsozialisten als Versammlungsstätte. In der Vossischen Zeitung war zu lesen: „Vor beiden Aufführungen wurden Reden gehalten. Nachmittags sprach Dr. Goebbels über .Nationalsozialismus und Theater' mit der Ankündigung, daß der Weg vom Schiffbauerdamm in die Staatstheater führe. Vor der Abendvorstellung, zum Besten der Nationalsozialistischen Gefangenenhilfe, sprach der Abgeordnete Hinkel unter heftigen Beschimpfungen Max Reinhardts und der Dreigroschenoper" Im Januar 1932 Schloß das „Deutsche National-Theater e. V." bereits wieder seine Pforten, wenn auch - wie verlautete - „vorläufig". „Die Bude zu, die Pfosten abgebrochen! Unser Beileid", hieß es ironisch im Berliner Tageblatt.18 Trotzdem sollte Goebbels recht behalten mit seiner Behauptung, sie seien auf dem Weg vom Schiffbauerdamm zum Staatstheater. Daß die Nationalsozialisten mit ihren Theaterbestrebungen nicht Fuß fassen konnten und alle Bemühungen mit Niederlagen endeten, lag auch daran, daß sie kaum von be15

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Herbert Jhering: Von Reinhardt bis Brecht. Vier Jahrzehnte Theater und Film. Bd. 3: 1930 - 1932. Berlin [DDR] 1961. S. 131. Berlin am Morgen, 3. Juli 1931. Weimarer Republik. Katalog. Herausgegeben vom Kunstamt Kreuzberg und dem Institut für Theatergeschichte der Universität Köln. Berlin 1977, S. 914. Ebenda, S. 918.

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Werner Mittenzwei rühmten Persönlichkeiten unterstützt wurden. Weder Dramatiker noch Schauspieler bekundeten ihre Sympathie, weder aus der alten noch aus der jungen Generation. Mit den dramatischen, extrem antisemitischen Werken des 1923 verstorbenen Dietrich Eckhard war kein Staat zu machen. Paul Ernst und Ernst Bacmeister besaßen zu Beginn der dreißiger Jahre kaum noch literarisches Gewicht, ihre Stücke waren längst aus dem Repertoire verschwunden. Unter den bekannten Schauspielern erklärten sich zwar einige Berühmtheiten bereit, dem künstlerischen Beirat der obskuren „Nationalbühne e. V." anzugehören wie Eugen Klopfer, Agnes Straub, Theodor Loos, Hermann Thimig, Lucie Höflich. Aber das war noch kein Parteiunternehmen. Mit den Nationalsozialisten sympathisierten nur wenige und brachten das außerdem nicht an die Öffentlichkeit. Nazimitglieder unter den bekannten Schauspielern waren Lothar Müthel und Otto Laubinger vom Berliner Staatstheater. Müthel galt als ein Schwärmer, der sich von dem Redner Hitler verführen ließ. In einer frühen Publikation hieß es: „Aus dieser machtvollen Anziehung aber wurde stärkste, ausschlaggebende Beherrschung an dem Tage, als Müthel sich in einer jener Massenversammlungen einen Platz erkämpfte - ,der erste Faustschlag, der mich traf', erzählte er, ,war mein Ritterschlag' - und Adolf Hitler sprechen hörte. Diese Führerrede mußte auf Müthel entscheidenden Eindruck machen."19 Er zählte innerhalb der Partei zu der mehr proletarisch orientierten Gruppierung um Strasser. Die ihn näher kannten, hielten es durchaus für möglich, daß er unter den Opfern hätte sein können, als Hitler mit Ernst Röhm aufräumte. Vor 1933 gab es kaum Schauspieler, von der Provinz einmal abgesehen, die sich für die nationalsozialistische Propaganda einspannen ließen. Als der Schweizer Schauspieler Leopold Biberti, der sich von dem NS-„National-Theater" engagieren ließ, mit ansehen mußte, daß Goebbels vor der Vorstellung Reden hielt, protestierte er und verließ diese Bühne. „Die Hölle regiert" (Joseph Roth) Veränderungen im Theater nach dem 30. Januar 1933 Die von Hitler gebildete Regierung nannte sich „nationale Konzentration": Hitler plus von Papen, Göring plus von Blomberg. Dem neuen Kabinett gehörten nur drei Nationalsozialisten an. Aber dennoch vollzog sich ein Erdrutsch, der sich schon im September 1930 abzeichnete, als die Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen für alle überraschend, auch für die braunen Parteigänger selber, 95 Sitze hinzugewannen und mit 107 Sitzen die zweitstärkste Fraktion im Reichstag stellten. Die große Wirtschaftskrise mit der hohen Arbeitslosenzahl, der Bankenkrach von 1931, die tagtäglichen politischen Auseinandersetzungen, die nicht nur im Parlament, sondern auch auf der Straße ausgetragen wurden, führten bei Menschen ganz unterschiedlichen weltanschaulichen Denkens zu der Meinung, daß diese Republik auf allen Gebieten versagt habe. Die ungeliebte Republik fand immer weniger Verteidiger. Im Berliner Kabarett Willi Schaeffers witzelte man damals: „Wenn wir wüßten, was der Adolf mit uns vor hat / Wenn er die Macht erst mal am Brandenburger Tor hat." In dieser Frage ließen die Nationalsozialisten bald niemanden mehr im Zweifel: Beseitigung der Demokratie. Bereits 1928 erklärte Goebbels: „Wir sind doch eine antiparlamentarische Partei, lehnen aus guten Gründen die Weimarer Verfassung und die von ihr eingeführten republikanischen Institutionen ab. [...] So sehen wir aus! Glaubt einer von 19

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Johannes Günther: Der Schauspieler Lothar Müthel. Berlin 1935, S. 40.

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euch, daß wir, wenn wir in das Plenum des hohen Hauses einmarschieren, gleich mit Philipp Scheidemann Brüderschaft trinken?"20 Nach den für Hitler so erfolgreichen Septemberwahlen erklärte er: „Demokratie ist ein süßes Gift, das jeden verantwortungslos macht. Wir haben eine Organisation aufgebaut auf dem Gedanken der Autorität der Persönlichkeit, haben entfernt alles, was nach Demokratie aussieht. Wir wollen Männer, die befehlen [...]."21 Das war Klartext! Aber es gab auch die Angst vor der Unsicherheit dieser Republik mit ihren Notverordnungen, vor dem immer häufigeren Auswechseln der Regierungen. Man fühlte sich am Abgrund. In Erwartung der Katastrophe gewöhnte man sich an die Katastrophe. Welche Haltung nahmen zu jener Zeit die Bühnenkünstler ein? Das Krisengefühl drückte sie nicht weniger als die anderen Teile der Intelligenz. Wie sollte es auch anders sein. Die Theater leerten sich, weil sich immer weniger einen Besuch finanziell leisten konnten. Kulturstätten mußten geschlossen werden. Während der Hochkultur der zwanziger Jahre erwarben sich die Künstler im „Labor der Moderne" einen beachtlichen beruflichen Standard. Diese Zeit hatte sie geprägt. Hineingestellt in einen dynamischen, vielfältigen Prozeß stießen sie jedoch immer wieder auf Grenzen, die die wirtschaftliche Situation zog. Dadurch fühlten sie sich in ihrem Talent beeinträchtigt. Die Dichtung und die zeitkritische Essayistik, vom gleichen Gefühl beherrscht, brachten diese Zeitstimmung auf verschiedene Weise zum Ausdruck, beschworen die Katastrophe, beklagten die „Entzauberung der Welt" oder drängten zur Entscheidung, zu einer Wende, zu einer neuen Zeit. Bei den Schauspielern gab es zu Beginn der dreißiger Jahre eine Unruhe, die auf die politischen Zustände zurückzuführen war, die aber von ihnen selber, im Unterschied zu den Literaten und Philosophen, kaum gedanklich reflektiert wurde. Am Berliner Staatlichen Schauspielhaus, das über die besten Schauspieler, über große Namen verfügte, schilderte der Dramaturg Eckart von Naso die Atmosphäre so: „Die Unruhe wurde auch im Theater spürbar, stärker von Woche zu Woche, bis sie sich gegen Ende Januar 1933 zu einer Panik steigerte."22 An diesem Hause gab es unter den Spitzenkräften eine Polarisierung in Anhänger des Nationalsozialismus und des Kommunismus. Lothar Müthel, Veit Harlan, Otto Laubinger, Ernst Keppler auf der einen, Hans Otto, Wolfgang Heinz, der Bühnenbildner Teo Otto auf der anderen Seite. Noch größer war die Zahl derer, die die Rassenpolitik der neuen Machthaber fürchten mußten. Unter diesen Umständen fand Eckart von Naso, daß am Hause am Gendarmenmarkt die Hälfte des Ensembles in ihrer „politischen Tragbarkeit" gefährdet war. Nicht an allen Theatern gab es eine solche Konstellation. Weit mehr herrschte eine abwartende Haltung vor, die geprägt war aus einer Mischung von Unruhe und Neugier auf das, was sich da ereignen werde. Sich den jeweils Regierenden anzuschließen gehört zur Mentalität vieler Menschen. Schauspieler meinten, das auch ihrem Beruf schulden zu müssen. „Kommt dazu, daß Schauspieler, um sich ihr Selbstverständnis zu erhalten, Kunst und Wirklichkeit zu trennen haben. Sie müssen sich wohl mit ihren Rollen identifizieren, nicht aber mit der Wirklichkeit hinter diesen Rollen. [...] Schauspieler, auch wenn sie selber gerne das Gegenteil glauben, sind nicht unbedingt dazu prädestiniert, politisch bewußte Menschen zu sein. Das rührt zunächst daher, daß sie an und für sich 20 21 22

Der Angriff, 30. April 1928. Karl-Heinz Janßen: 30. Januar. Der Tag, der die Welt veränderte. Rastatt 1987, S. 117. Eckart von Naso: Ich liebe das Leben. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten. Hamburg 1953, S. 613.

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Werner Mittenzwei zumeist nicht sonderlich bewußte Menschen sind [...]. Das hat mit besonderen Zwängen seines Metiers mehr zu tun als mit Charakterlosigkeit."23 So gab es im Januar 1933 unter den namhaften Schauspielern zwar wenige, die sich bewußt auf die Seite der Hitlerpartei stellten, aber durchaus eine große Schar, die sich bereit fand, sich verführen zu lassen, die die Hemmschwelle sehr schnell überwand und Hitler folgte, ohne daß sie sich mit dem Nationalsozialismus identifizierte. Die Großen der deutschen Schauspielkunst machten da keine Ausnahme, oft gingen sie voran. Als Hitler die Reichskanzlei bezog, bekam das Theater nicht sofort den neuen Wind zu spüren. In der ersten Zeit lief noch manches nebeneinander, was Goebbels sehr bald ausschalten sollte. „Der 30. Januar kam. Nichts änderte sich. Offiziell ging man noch sehr leise vor, man baute ab, man schaltete aus: ganz langsam von unten nach oben [...]" schrieb Eckart von Naso. Am Berliner Schauspielhaus habe am 30. Januar nur ein Schauspieler um Urlaub nachgesucht, um am Abend am Fackelzug vor der Reichskanzlei teilzunehmen, was von der Leitung mit mißbilligendem Erstaunen aufgenommen worden sei. So „leise" gingen die neuen Machthaber aber keineswegs vor. Sobald sie Tritt gefaßt hatten, schlugen sie zu. Den Nationalsozialisten kam es bei ihrer „Revolution" nicht auf ein Auswechseln der Eliten an, sondern auf ein zielgerichtetes Vernichten des politischen Gegners und der Juden. Diese sollten in ihrer geistigen, wirtschaftlichen und auch in ihrer physischen Existenz getroffen werden. Mit dem Zerschlagen aller linken Kulturorganisationen wurden auch die Köpfe des sogenannten „Kulturbolschewismus" ausgeschaltet und verfolgt. Das Staatliche Schauspielhaus in Berlin entließ Alexander Granach, Lucie Mannheim, Eleonora von Mendelssohn, Mathilde Sussin, Wolfgang Heinz, Hans Otto. An der Städtischen Oper verlor Carl Ebert seinen Posten als Intendant, ebenso Gustav Härtung seine Stellung in Darmstadt. Mit ihm wurden die Schauspieler Hermann Gallinger, Karl Paryla, Ernst Ginsberg, Hugo Kessler, Lilli Palmer erst zwangsweise beurlaubt, dann entlassen. In Breslau begnügte man sich nicht mit dem Hinauswurf von Paul Barnay, man mißhandelte ihn auch noch. In Hamburg nahm man den Schauspieler Gerhard Hinze in „Schutzhaft". In München wurde Otto Falckenberg, der Leiter der Kammerspiele, „irrtümlich" für ein oder zwei Tage verhaftet. Wolfgang Langhoff, der jugendliche Held des Düsseldorfer Theaters, kam als erster Schauspieler in ein neu errichtetes Konzentrationslager. In den Wochen nach Hitlers Machtantritt gab es von den Theaterkünstlern kaum Widerstand, war doch der neue Mann legal in die Reichskanzlei gelangt. Es existierte auch wenig Beistand und Solidarität mit den von der Bühne vertriebenen Kollegen. Wolfgang Langhoff, der sich oft für die Interessen anderer Kollegen eingesetzt hatte, empfand das als besonders bitter. „Auf der Kriminalpolizei sagte man meiner Frau, daß eine Erklärung der Kollegen vom Stadttheater für eine Entlassung sehr förderlich sein könnte. Sie sollten nur bestätigen, daß sie mich als anständigen und menschlich einwandfreien Kollegen schätzen und kennen würden. Nicht einer war dazu zu bewegen." 25 Nur wenige bekannten sich zu ihren Lehrmeistern: zu denen, die sie zum Erfolg geführt hatten und mit denen sie groß geworden waren. Eduard von Winterstein brachte den Mut auf und 23 24 23

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Werner Wollenberger: Hein Greller - der große Schweizer Schauspieler. Zürich 1978, S. 63 f. Eckart von Naso: Ich liebe das Leben, a.a.O., S. 614 u. 619. Wolfgang Langhoff: Die Moorsoldaten. Berlin/Weimar 1975, S. 64.

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erklärte 1933 seine Verbundenheit mit Max Reinhardt. Er wandte sich gegen jede Art von Antisemitismus. Gleich zu Beginn des „Dritten Reichs" setzte eine gefühlsmäßige Intoleranz, eine Denunziationsbereitschaft ein, die nicht nur von nationalsozialistischen Kreisen ausging. Man glaubte sich für erlittene oder eingebildete Nöte, Einbußen oder Demütigungen während der Weimarer Republik rächen zu müssen. Man gierte nicht nur nach neuen Posten, sondern suchte auch die zu schädigen, die in der vorangegangenen Zeit Posten innegehabt hatten. Die Stimmung nahm solche Formen an, daß sich die Reichskanzlei schon am 31. Mai 1933 veranlaßt sah, einen Erlaß herauszugeben, der betonte, daß es erforderlich sei, daß „die in den letzten Wochen beobachtete Sucht, überall Nachforschungen nach Vergehen aus früherer Zeit anzustellen und die Schuldigen noch nach Jahren zur Verantwortung zu ziehen, aufhört und dem verächtlichen Angebertum, das sich allenthalben breitgemacht hat, entgegengetreten wird." 26 Beim Amtsantritt der neuen Regierung fehlte es nicht an Proklamationen, was auf dem Gebiet von Kunst und Literatur verändert werden sollte. In seiner Regierungserklärung vor dem Reichstag hob Hitler hervor, wie er Theater, Film, Literatur und Kunst auszurichten gedachte: „Die Kunst wird stets Ausdruck und Spiel der Sehnsucht und der Wirklichkeit einer Zeit sein. Die weltbürgerliche Beschaulichkeit ist im raschen Entschwinden begriffen. Der Heroismus erhebt sich leidenschaftlich als kommender Gestalter und Führer politischer Schicksale. Es ist die Aufgabe der Kunst, Ausdruck dieses bestimmten Zeitgeistes zu sein. Blut und Rasse werden wieder zur Quelle der künstlerischen Intuition werden [...]. Indem die Regierung entschlossen ist, die politische und moralische Entgiftung unseres öffentlichen Lebens vorzunehmen, schafft und sichert sie die Voraussetzung für eine wirklich tiefe Einkehr religiösen Lebens." 27 Was die Theaterleute zu erwarten hatten, legte Goebbels in schroffer Schonungslosigkeit 1935 auf der Eröffnung der Reichstheaterwoche in Hamburg dar: „Wenn man aber dem Künstler mit seiner stark ausgereiften Individualität die Möglichkeit gibt, sich organisatorisch auszuleben, dann wird man meistenteils nur sehr üble Erfahrungen machen. Wenn ein Stand, dann der Stand - hat der Stand der schaffenden Künstler eine starke und leitende Hand notwendig. Man darf ihn in Fragen, von denen er nichts versteht, nicht sich selbst überlassen. (Beifall) Deshalb haben wir die widerspenstigen Elemente unter ein Kommando zu bringen versucht [...]. Denn der Kredit des deutschen Künstlertums war in den damaligen Monaten bis zu einem kleinen Rest aufgebraucht. Es bedurfte der Zunahme des politischen Kredits, um ihn überhaupt wieder öffentlich kreditfähig zu machen." 28 Die starke Hand hatten die Künstler bereits zu spüren bekommen. Noch wurde von den meisten Schauspielern nicht erkannt, daß es sich 1933 nicht nur um einen Regierungswechsel, sondern um einen Wechsel in der geistigen Existenzweise handelte: daß sich jetzt das große Spiel unter einer anderen Regie vollzog. Viele Theaterkünstler merkten gar nicht das langsame In-Dienst-Stellen ihres Talents. Sie glaubten vielmehr, sich in ihrer Haltung nicht verändert zu haben. Man verhielt sich loyal gegenüber der neuen Regierung, machte Gebrauch von den neuen Möglichkeiten und wurde 26

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Nachrichtenblatt des RMVP, 14. Juni 1933. S. 48. Zitiert auch in: Wolf-Eberhardt August: Die Stellung der Schauspieler im Dritten Reich. München 1973, S. 55. Max Domarus: Hitler, a.a.O., S. 232. Joseph Goebbels: Goebbels Reden 1932 -1939. Hrsg. von Helmut Heiber. Bd. 1: 1932 - 1939. Düsseldorf 1971, S. 223.

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so in die Politik hineingezogen, die ins Verderben führte. Der Schauspieler braucht den Beifall, er gehört zu seiner Kunst. Doch der Beifall des Publikums geht leicht in den Beifall der Herrschenden über. Das kann er kaum beeinflussen. Er kann nur wegbleiben oder weggehen. Bleibt er, legitimiert er durch seine Kunst die Autorität der Herrschenden. Wenn er auf der Bühne steht, liefert er sich aus, je großartiger er ist. „Es liegt nun einmal in der Natur des Schauspielers, daß er sich als Mittelpunkt der Welt fühlen möchte", sagte Paul Henckels in einem Interview, „und daß man das Theater so wichtig nimmt, tut uns allen deshalb so wohl."29 Daß die Nationalsozialisten das Theater wie auch die anderen Künste wichtig nahmen, wurde ihnen honoriert. Es gab einige Künstler, die nach 1933 eine radikale Wendung von links hin zu Hitler vollzogen, am auffälligsten wohl von Heinrich George und Veit Harlan. Bei beiden mag das nicht nur gewissenloser Opportunismus und schamloses Anbiedern gewesen sein. Was man aber auch an psychischen Motiven anführen mag, ihr Verhalten bleibt beklagenswert. Ihre Kollegen im Exil konnten es ihnen nicht verzeihen. Heinrich George empfahl sich wegen seiner Sympathie für die Linken in der Weimarer Republik nicht gerade den Nationalsozialisten. Er soll deswegen denunziert worden sein. Er fürchtete, in Ungnade zu fallen, nicht mehr in der ersten Reihe zu stehen. Bei einer 7e//-Aufführung im Deutschen Theater, der Adolf Hitler beiwohnte, stand er als Geßler auf der Bühne. Beim Rütlischwur erhoben die Schauspieler die Hand zum Hitlergruß, um so dem neuen Machthaber ihre Reverenz zu erweisen. Einige Monate später, anläßlich der Volksabstimmung vom 12. November 1933, schrieb George an Goebbels: „Ich muß verzeihen Sie die Kühnheit - Ihnen sagen, daß ich, wie von einem Alp befreit, aufgeatmet habe, als unser Führer, unser großer Volkskanzler und seine Regierung, der Welt wieder einmal in klarer, göttlicher Eindeutigkeit die Antwort auf scheinbar Unlösbares gegeben hat und somit den ersten Spatenstich in die Herzen von Millionen unerweckter Volksgenossen diesseits und jenseits der Meere tat."30 Wieder anders vollzog sich die Wendung bei Veit Harlan, jugendlicher Held am Staatstheater, der in den zwanziger Jahren mit den Linken sympathisierte. Ihn trieb das Unbehagen am Kulturbetrieb der Weimarer Republik auf die andere Seite, wenn ihn dabei auch mehr persönliche Belange und Konflikte bewogen. Er verinnerlichte die antisemitischen, auf den „Kulturbolschewismus" zielenden Attacken der Nationalsozialisten. Als Jeßner das Stück Das Nürnberger Ei seines Vaters Walter Harlan aufführte und damit einen an einen Skandal grenzenden Mißerfolg erzielte, lastete das Harlan Jeßner an. Harlan meinte, der Jude Jeßner habe den Mißerfolg bewußt herbeigeführt, um zu zeigen, wie schlecht das Stück seines Vaters sei. Ein weiterer Grund war ein spektakulärer Zusammenstoß mit Kortner während einer Probe mit privat-persönlichem Hintergrund.31 Das Persönliche mischte sich mit dem Politischen und drängte Harlan immer mehr zu den Nationalsozialisten, an deren Seite er dann seine zweite Karriere als Filmregisseur begann. Keineswegs behutsam verfuhren die Nationalsozialisten mit dem Repertoire, das sie in den ersten Monaten des Jahres 1933 vorfanden. Sie veränderten es gleich zu Beginn ihrer Herrschaft. Dabei stießen sie auf so gut wie keinen Widerstand, vielmehr auf die 29 30

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Zitiert bei: Sigmund Graff: Von S.M. zu N.S. Erinnerungen eines Bühnenautors. München-Wels 1963, S. 182. Völkischer Beobachter, 2. November 1933. Zitiert bei: Cassie Michaelis, Heinz Michaelis und W. O. Somin: Die braune Kultur. Ein Dokumentenspiegel. Zürich 1934, S. 185. Leopold Lindtberg im Gespräch mit Werner Mittenzwei. Wien, 27. November 1982. Burgtheater.

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus

Bereitschaft, Stücke, die Anstoß erregen konnten, noch vor dem Verbot aus dem Spielplan zu nehmen. Die zeitgenössische deutsche Dramatik dominierte vor 1933 auf den Bühnen. In den Jahren 1929 - 1933 stellte sie prozentual den größten Anteil. Er betrug durchschnittlich 30 Prozent des Gesamtspielplans. „Nach der .Machtübernahme' sank er durch das Verbot zahlreicher Werke bereits in der ersten .nationalsozialistischen' Spielzeit 1933/34 erheblich auf 5,56 Prozent [...]. In der Spielzeit 1937/8 unterschritt er die 2-ProzentMarke (48 Insz.) und erreichte in der Spielzeit 1943/4 mit 1,49 Prozent (25 Insz.) den absoluten Tiefstand." 32 Der sinkende Anteil erklärt sich aus dem Verbot der linken und der jüdischen Dramatiker. Von den 339 Autoren, die in der Weimarer Republik aufgeführt wurden, durften nach 1933 nur noch 52 gespielt werden. Nach 1935 schieden wiederum 28 aus. Die Mehrzahl dieser Autoren vertrat das heitere Genre, das Lustspiel. Für die verbotenen Dramatiker: Brecht, Wolf, Zuckmayer, Kaiser, Bruckner, Horväth, Wedekind, Sternheim und viele andere, mußte Ersatz gefunden werden. Die Lücken füllten zunächst die nationalkonservativen Autoren aus. Aber auch die vor 1933 zum Nationalsozialismus konvertierten Dichter wie Hanns Johst und Wolfgang Möller rückten jetzt zu Erfolgsdramatikern auf. Aufschlußreich ist eine Statistik, die Hermann Wanderscheck 1938 in seinem Buch Deutsche Dramatik der Gegenwart über die ersten fünf Spielzeiten (1933 - 1938) abdruckte. „Danach erreichte Bacmeister an 7 Bühnen 57 Aufführungen, Paul Joseph Cremers an 22 Bühnen 177 Aufführungen, Langenbeck an 25 Bühnen 82 Aufführungen, Paul Ernst an 46 Bühnen 282 Aufführungen, Bethge an 64 Bühnen 506 Aufführungen (vornehmlich durch Marsch der Veteranen), Möller an 86 Bühnen 437 Aufführungen und Johst an 183 Bühnen 1337 Aufführungen (vornehmlich durch den Erfolg des Thomas Paine)."33 Autoren wie Paul Ernst und Dietrich Eckhard konnten sich jedoch nur unmittelbar nach 1933 im Repertoire behaupten. Die nationale Welle rief auch die Konjunkturritter auf den Plan. Die nationalistische Thematik in allen Schattierungen überschwemmte die Bühnen. Eckart von Naso, Chefdramaturg am Berliner Staatstheater, berichtete, daß unter den 2.400 Manuskripten, die 1933 in der Dramaturgie eingingen, „sich an die 500 Arminiusse und Thusnelden" befanden. Aber nicht nur das zeitgenössische Repertoire unterlag dem Eingriff, die Nationalsozialisten unterwarfen auch die Klassiker ihrer unterschiedlichen Wertschätzung. Ohne daß ein Verbot nötig gewesen wäre, verschwand gleich nach dem 30. Januar 1933 Lessings Nathan der Weise aus dem Spielplan. Die letzte Aufführung fand am 6. März 1933 statt. Die Selbstzensur funktionierte bereits total. Nathan der Weise wurde nur noch im Jüdischen Kulturbund gespielt. Zum meistinszenierten Klassiker stieg Friedrich Schiller unter den Nationalsozialisten auf. Die größte Steigerungsrate nach 1933 erreichte Heinrich von Kleist. Seine Stücke wurden zum „Eck- und Grundpfeiler" eines Spielplans der „stählernen Romantik". Kleists Hermannsschlacht erlebte nach Hitlers 32

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Thomas Eicher: Theater im,Dritten Reich'. Eine Spielplananalyse der deutschen Schauspieltheater 1929 - 1944. Diss. Inst, für Theaterwiss., FU Berlin. 1992, S. 277. - Die statistischen Angaben - soweit nicht anders vermerkt - sind der oben genannten Untersuchung entnommen, in der erstmals der Versuch gemacht wurde, den Anteil einzelner Dramatiker und Dramatikergruppen in bestimmten Epochen prozentual zu errechnen. Hermann Wanderscheck: Deutsche Dramatik der Gegenwart. Eine Einführung mit Textproben. Berlin o. J. (1938), S. 152.

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Werner Mittenzwei Machtantritt 32 Inszenierungen. Auch der früher wenig gespielte Grabbe rückte ins Repertoire. Daß am Anteil der Weltdramatik Abstriche gemacht würden, war zu erwarten gewesen, denn die Polemik der Nationalsozialisten richtete sich seit jeher gegen den weltliterarischen Standpunkt. Fortan gab es nur noch den deutschen Standpunkt, von dem aus die Weltdramatik gesehen werden sollte. Hanns Johst bestärkte alle, die ein Zurückdrängen der ausländischen Stücke gefordert hatten. „Das deutsche Theater wird sich vor allem auf sich selber besinnen müssen und daran zu denken haben, daß es in erster Reihe deutschem Geist und Wesen zu dienen hat und daß der deutsche Autor vor den ausländischen rangiert. Es darf nicht vorkommen, daß drei Viertel des Spielplans eines Theaters von Ausländern in Anspruch genommen werden. Die Ausländerei, die früher schon manchen Schaden angerichtet hat, in den letzten Jahren aber zu einer ausgesprochenen Plage in unserem Theaterwesen wurde, muß bekämpft werden, um unserer deutschen Kultur, unserer deutschen Geistesarbeit willen."34 Insgesamt schrumpfte der Anteil der europäischen Dramatik des 20. Jahrhunderts von 19,08 Prozent in den Jahren 1929 1933 auf 6,74 Prozent. Besonders stark war der Aderlaß bei der französischen und russischen Dramatik. Paul Claudel, Jean Cocteau, Andre Gide, Jean Giraudoux, Romain Rolland, Jules Romains verschwanden aus dem Spielplan. Kein zeitgenössisches Stück aus der Sowjetunion gelangte nach 1933 mehr auf eine reichsdeutsche Bühne. Die Vertriebenen und Verfolgten Wenn Hitler vom „inneren Feind" sprach, nannte er Marxisten und Juden in einem Atemzug. Auch sein Feldgeschrei gegen den „Kulturbolschewismus" verstand er als Abrechnung mit dem Marxismus und mit dem Judentum. Obwohl es unter den jüdischen Intellektuellen, besonders unter den Schriftstellern und Künstlern, nicht wenige Marxisten gab, hatte der größere Teil der Juden, auch der jüdischen Künstler, mit dem Marxismus nichts zu tun. Hitler betrachtete den Marxismus als jüdisches Geistesprodukt, und deshalb waren für ihn Juden und Marxisten ein und dasselbe und gleichermaßen verhaßt. Die Zahl der Schauspieler, die 1933 offiziell der Kommunistischen Partei angehörten, war gering, die Zahl derer, die mit der KPD politisch sympathisierten, jedoch groß. Es existierte eine linke Kunstszene von beachtlichem Ausmaß. Nach 1933 war jedoch die Zahl derer, die sich einem aktiven Antifaschismus verpflichtet fühlten, sehr klein. Doch dieser Teil hat den meisten Widerstand geleistet und, von den jüdischen Verfolgten abgesehen, die größten Opfer gebracht. Dieser Gruppe, Kommunisten, Marxisten, Sozialdemokraten, galt der erbitterte und schonungslose Vernichtungskampf der Nationalsozialisten. Dabei aber sollte es nicht bleiben. Der Terror erstreckte sich im Laufe der nationalsozialistischen Herrschaft auch auf Christen, Liberale und Demokraten, vor allem aber auf die Juden. Bereits vor 1933 hatte man bei entsprechenden Regierungskoalitionen kein Mittel unversucht gelassen, um die Kräfte auszugrenzen, die eine sozialistische Lösung der gesellschaftlichen Konflikte anstrebten. In den Jahren 1929 bis 1933 fehlte es nicht an Versuchen, die Stücke der links engagierten Dramatiker wie Brecht, Wolf, von Wangenheim, Toller, Mühsam aus dem Spielplan hinauszudrängen. Sie mußten sich ihre eige34

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Hanns Johst: Das Theater im Neuen Reich. In: Der Autor. Berlin. 8. Jg. 1933, H. 5, S. 8.

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nen Organisationen schaffen, um ihr Publikum zu erreichen. Je mehr Anklang ihre Stükke fanden, desto stärker wurde der Druck. Friedrich Wolf erreichte mit seinen Werken immerhin noch einen Inszenierungsanteil von 0,15 Prozent am Gesamtspielplan. Weit weniger günstig verhielt es sich mit den Dramen Ernst Tollers. Die Stücke Erich Mühsams verschwanden 1929 - 1933 bereits ganz aus dem Repertoire. Einen drastischen Rückgang mußte Georg Kaiser hinnehmen, der einmal ein Erfolgsautor gewesen war. In der ersten Hälfte der Spielzeit 1932/33 kam es nur noch zu drei Inszenierungen. Brecht fand für sein Schauspiel Die heilige Johanna der Schlachthöfe, ein Höhepunkt seines Schaffens, trotz intensiver Bemühungen des Verlags Felix Bloch keine Bühne mehr. Dabei bemühten sich Regisseure wie Erwin Piscator, Gustaf Gründgens, Berthold Viertel und Heinz Hilpert um das Stück. Als Gustav Härtung es am Hessischen Landestheater Darmstadt herausbringen wollte, kam es zu einer Sitzung des Stadtrates, der durchsetzte, daß eine Aufführung in jeglicher Form zu unterbleiben habe. Was erreicht werden konnte, war eine einstündige Sendung einer Hörspielfassung in der „Berliner Funkstunde". Aber auch Schauspieler, denen man einigen Einfluß auf den Spielplan zutraute, wurden angegriffen. „Die Diktatur Kortners" war ein Artikel in der Hugenberg-Presse überschrieben. Im Preußischen Landtag warf man Kortner vor, durch seinen Einfluß werde das Staatstheater völlig „veijudet". Man spielte auf vier Neuengagements von Schauspielern an, obwohl sich darunter kein einziger Jude befand. Ein Brief Piscators an Brecht machte deutlich, wie unsicher, unbeständig alles geworden war: „Solange noch irgendeine Gelegenheit besteht, die beiden Stücke Die heilige Johanna und Die amerikanische Tragödie zusammen in einem Theater, mit dem gleichen Ensemble herauszubringen, verpflichten wir uns gegeneinander, keine Abmachung zu treffen, welche diese Zusammenarbeit unmöglich macht." 35 Man spürte allerorten, daß die Möglichkeiten beschnitten wurden. Piscator nahm bereits 1931 eine Einladung aus Moskau an und verließ das Land. Obwohl die Gefahren der heraufziehenden Diktatur schon vor dem 30. Januar 1933 gesehen wurden, gab es unter den linken Theaterkünstlern - von Jeßner, Härtung, Ebert einmal abgesehen - wenig Bereitschaft, diese Republik zu verteidigen, hatten sich in ihr doch die sozialen Konflikte in einem unerträglichen Maße verschärft. Die immer schneller wechselnden Regierungen besaßen für keines der dringlichen Probleme eine Lösung. Hitler hielten viele für einen schnell verbrauchten Mann, für eine Durchgangsstation zu einer wirklichen Wende. Die entschiedene Linke wollte sich nicht mehr mit Halbheiten begnügen; sie träumte von der deutschen Räterepublik. Die Maßnahmen, die Hitler nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 ergriff, machten deutlich, daß er vor keinem Terror zurückschrecken würde, um an der Macht zu bleiben. Wie es auch zu diesem Brand kam - die Nationalsozialisten benutzten ihn als Anlaß, um alles auszuschalten und zu verfolgen, was zu ihnen in Opposition stand. Hitler richtete einen Aufruf an seine Partei, aus dem entnommen werden konnte, wie er seine Macht zu festigen gedachte: „Mit dem heutigen Tag hat in ganz Deutschland die nationale Regierung die vollziehende Gewalt in den Händen. [...] Ihr müßt, meine Kameraden, dafür sorgen, daß die nationale Revolution 1933 nicht in der Geschichte verglichen werden kann mit der Revolution der Rucksack-Spartakisten im Jahre 1918. Im übrigen laßt euch in keiner Sekunde von unserer Parole abbringen: Sie heißt: Vernich35

Erwin Piscator an Bertolt Brecht, 18. April 1932. In: Brecht, Bertolt: Die heilige Johanna der Schlachthöfe. Bühnenfassung, Fragmente, Varianten. Kritisch ed. von Gisela E. Bahr. Frankfurt am Main. 1971, S. 223.

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Werner Mittenzwei tung des Marxismus!" 36 Für den einsetzenden Terror übernahm Göring in zynischer Offenheit die Verantwortung: „Ich habe erst angefangen zu säubern, es ist noch längst nicht fertig. Für uns gibt es zwei Teile des Volkes: einen, der sich zum Volk bekennt, ein anderer Teil, der zersetzen und zerstören will. Ich danke meinem Schöpfer, daß ich nicht weiß, was objektiv ist. Ich bin subjektiv. Ich stehe einzig und allein zu meinem Volke, alles andere lehne ich ab. [...] Wenn sie sagen, da und dort sei einer abgeholt und mißhandelt worden, so kann man nur erwidern: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Wir haben jahrelang die Abrechnung mit den Verrätern angekündigt. Ruft nicht soviel nach Gerechtigkeit, es könnte sonst eine Gerechtigkeit geben, die in den Sternen steht und nicht in euren Paragraphen! [...] jetzt gilt es, die letzten Bastionen zu stürmen."37 Die nach dem Reichstagsbrand ausgelösten Terrormaßnahmen richteten sich in erster Linie gegen kommunistische und sozialdemokratische Funktionäre, aber auch gegen prominente nichtparteigebundene Künstler und Schriftsteller. Bereits am 28. Februar 1933 suchte in Düsseldorf die Polizei nach dem Schauspieler Wolfgang Langhoff. Noch am gleichen Tage wurde er in seiner Wohnung verhaftet, ins Gefängnis gebracht und schwer mißhandelt, später ins Konzentrationslager Börgermoor bei Papenburg eingeliefert. In Berlin nahm Hans Otto eine ähnliche Position ein wie Langhoff in Düsseldorf. Beide waren gewählte Vertreter der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) und der Revolutionären Gewerkschaftsorganisation (RGO). Im Oktober 1931 war Hans Otto zum Obmann des Lokalverbandes Staatstheater gewählt worden, sein Stellvertreter wurde Wolfgang Heinz. Das Präsidium hatte versucht, die Bestätigung der Wahl hinauszuziehen, aber Kollegen wie Paul Bildt, Jürgen Fehling, Walter Franck, Alexander Granach, Bernhard Minetti, Aribert Wäscher, Maria Koppenhöfer, Elsa Wagner hatten sich für Hans Otto eingesetzt. Am 27. Februar 1933 erhielt er, der in der Faust //-Inszenierung den Kaiser gespielt hatte, von der neuen Leitung des Staatstheaters sein Kündigungsschreiben, es sei denn, er schwöre mit einer Erklärung am Schwarzen Brett seiner kommunistischen Gesinnung ab. Da Otto das ablehnte, wurde er mit sofortiger Wirkung entlassen. Seine Rollen sollte er bis Ende der Spielzeit behalten. Ihm die Entlassung mitzuteilen oblag dem neu ernannten Ersten Dramaturgen Hanns Johst. Johst, dem die Sache peinlich zu sein schien, begründete die Entlassung nicht vordergründig politisch. „Er entließ seinen ,Egmont' und .Hornburg' und ,Max Picolomini', weil er - so sagte er ihm - ,kein rechter jugendlicher Held' sei. Er meinte damit und äußerte das auch, er sei kein Schauspieler, wie ihn die nationalsozialistische .Erneuerung des deutschen Theaters' brauche, einer, der ,naiv und gläubig der nationalen Kunst ergeben' sei." Hans Otto habe darauf geantwortet, „daß ein Künstler nicht kritiklos gestalten dürfe. Daß naive Gläubigkeit keineswegs Voraussetzung für eine objektive Nachgestaltung einer dichterischen Figur sei. Der Schauspieler müsse sich nicht notwendig mit der Ideologie des Dichters identifizieren, um dessen Charaktere interpretieren zu können." 38 Johst habe Otto noch gefragt, ob er den Schlageter spielen würde. Otto lehnte das ab, da das Stück eine gegenwärtig propagandistische Funktion erfülle. 36

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Das Dritte Reich. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik. Hrsg. von Wolfgang Michalka. Bd. 1: „Volksgemeinschaft" und Großmachtpolitik 1933 - 1939. München 1985, S. 29. Ebenda, S. 29 f. Zitiert nach: Margit Lenk und Jutta Wardetzky: Hans Otto - der Schauspieler. In: Schriften zur Theaterwissenschaft. Berlin [DDR]. Bd. 4. 1966, S. 321 f.

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus

Die Freunde Ottos drängten ihn, ins Ausland zu gehen. Er bekam Angebote aus Wien von Max Reinhardt, aus Zürich, vom Neuen Deutschen Theater in Prag. Aber er wollte bleiben. „Gefährdet sind wir jetzt alle. [...] Gerade jetzt ist jeder einzelne wichtig und unersetzlich."39 Statt in ein Engagement im Ausland ging Otto in die Illegalität, in den Widerstand. Am 13. November 1933 verhaftete ihn die SA in einem kleinen Cafe am Viktoria-Luise-Platz. Von einer Folterstätte in die andere geschleppt, brachte man ihn in die Voßstraße, wo er entsetzlich gequält wurde, bis sein Körper nur noch eine blutige Masse war. Es bedurfte elf Tage, bis sie ihn zu Tode geschunden hatten, dann warfen sie ihn aus dem dritten Stock der Voßkaserne auf die Straße. Es sollte wie ein Selbstmord aussehen. Diese Version propagierte dann auch Joseph Goebbels. Gustaf Gründgens soll die Begräbniskosten bezahlt haben. Aber kein Kollege folgte seinem Sarg auf dem Stahnsdorfer Friedhof. Aus dem Exil fragte Bertolt Brecht in einem offenen Brief Heinrich George, wo sein Kollege Hans Otto geblieben sei. „Sie selber und Ihre Kollegen sind über Nacht zu Hampelmännern geworden. Traurige Schauspielbeamte werdet ihr, der Gemeinheit gleichgeschaltet, .geführt' von Henkern [...]. Wir müssen Ihnen sogar dringend abraten, sich gar so geflissentlich für den Beifall zu bedanken, der von blutigen Händen gespendet wird. Wir ermahnen Sie, an den Wandel der Zeiten zu denken, Sie und Ihresgleichen, die Sie so rasch bereit sind, mitzumachen, allzu fest vertrauend auf den ewigen Bestand der Barbarei und die Unbesieglichkeit der Schlächter."40 Der offene Brief wurde zum Flugblatt. Widerstand mit den Mitteln des Theaters war innerhalb des „Dritten Reiches" so gut wie unmöglich, politischer Widerstand nur noch innerhalb gut organisierter antifaschistischer Gruppen möglich. Einer, der sich für den illegalen Kampf in Deutschland entschied, war der Schauspieler, Regisseur und Initiator der revolutionären BerufstheaterGruppe TRUPPE IM WESTEN Willy Schürmann-Horster. Ihm gelang es, ein Engagement als Schauspieler und Regisseur an der Rheinischen Schauspielbühne in Bad Godesberg zu bekommen. 1935 wurde er verhaftet, aber wegen Mangels an Beweisen freigesprochen. 1938 stellte er Kontakt zur Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/Harnack her und gliederte sich hier in die illegale Arbeit ein. In seinen dramaturgisch-theoretischen Schriften und Analysen kritisierte er den Gefühlskult des Theaters im „Dritten Reich", unter anderem auch dort, wo dieser nicht auf nationalsozialistischen Einflüssen beruhte, wie im Theater Jürgen Fehlings. Junge hochbegabte Schauspieler wie Horst Caspar suchte er für eine kritische Einsicht empfänglich zu machen. 1942 wurde er erneut verhaftet und nach Plötzensee gebracht. Im September 1943 verurteilte man ihn zum Tode. Zu denen, die sich wie Willy Schürmann-Horster nach 1933 dem Widerstand anschlossen, gehört auch Adam Kuckhoff. Zusammen mit seiner Frau Greta Schloß er sich der Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/Harnack an. In den zwanziger Jahren arbeitete der bereits als Bühnenautor bekannte Kuckhoff vorwiegend als Regisseur und Dramaturg. Als Spielleiter in Frankfurt am Main tätig, kam er 1930 als Dramaturg und Regisseur an das Berliner Staatstheater. Man drängte ihn jedoch wegen einer angeblich mißlungenen Aufführung eines Stücks von Kokoschka aus dem Theater. Seine erste Frau, die Schauspielerin Mie Paulsen, ging damals die Ehe mit dem am gleichen Theater be39 40

Ebenda, S. 323. Bertolt Brecht: Werke. Schriften 2,1. Berlin/Frankfurt a.M. 1993, S. 24 f. (= Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 22,1).

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Werner Mittenzwei

schäftigten Hans Otto ein. Kuckhoffs kommunistische Gesinnung war ebenfalls bekannt wie die Hans Ottos. Kuckhoff verfaßte mit John Sieg die illegale Flugschrift „Brief des Polizeihauptmanns Denken an seinen Sohn" als 8. Folge der „Offenen Briefe an die Ostfront". Als die Rote Kapelle, der er angehörte, aufflog, wurde er am 12. September 1942 verhaftet und 1943 in Plötzensee hingerichtet. Mit seinem 1937 erschienenen Roman Der Deutsche von Bayencourt hatte Kuckhoff zudem geschafft, was auf dem Theater nicht möglich war: in literarisch verschlüsselter Form gegen den faschistischen Zeitgeist anzugehen. Dieser antiimperialistische, antimilitaristische Roman erschloß sich dem nachdenklichen Leser zugleich als antifaschistischer Roman. Heute gilt er als ein wichtiges Zeugnis der Inneren Emigration. Theaterleute, die Widerstand gegen den Faschismus leisteten und ihren Einsatz mit dem Leben bezahlten, waren meist Kommunisten. Zu dieser Gruppe gehörte auch Hans Meyer-Hanno. 1931 bis 1933 spielte er in der TRUPPE 1931 bei Gustav von Wangenheim. Im Unterschied zu den meisten Mitgliedern dieser Truppe ging Meyer-Hanno nicht ins Exil, sondern in den Untergrund. 1939 gelang es ihm, ein Engagement am Schiller-Theater in Berlin zu bekommen. Auch bei der Ufa und anderen Gesellschaften kam er unter und spielte kleine Rollen in etwa 40 Filmen. Doch das alles brachte ihn nicht von seiner illegalen Arbeit ab. 1944 verhaftete ihn die Gestapo während der Dreharbeiten zu dem Veit-Harlan-Film Kolberg. In den Gerichtsverhandlungen trat Veit Harlan für ihn ein. Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt. Als er gegen Kriegsende aus dem Zuchthaus Bautzen fliehen wollte, wurde er erschossen. 1937 verurteilte man den Schauspieler Helmuth Kionka, der an Berliner Bühnen und im Film spielte, zum Tode wegen seiner Kurierdienste zwischen Widerstandskreisen in Frankreich und Deutschland. Hingerichtet wurde wegen ihres antifaschistischen Widerstands die Tänzerin Oda Schottmüller. Ins Konzentrationslager kam der Bühnenbildner Karl von Appen. Den Schauspieler Max Burghardt verurteilte man zu viereinhalb Jahren Zuchthaus. Ernst Busch, in Frankreich verhaftet und der Gestapo ausgeliefert, bekam zehn Jahre. Er entging der Todesstrafe, weil sich Gustaf Gründgens für ihn einsetzte. Gründgens erklärte wahrheitswidrig dem Kammergericht, daß Busch als Künstler unpolitisch gewesen sei. Er bezahlte Busch einen bekannten Anwalt, der das Argument ins Spiel brachte, man könne den Angeklagten gar nicht wegen Hoch- und Landesverrats verurteilen, weil er bereits vorher ausgebürgert und jetzt staatenlos sei. Ums Leben gebracht wurden nach gegenwärtigem Kenntnisstand an die fünfhundert Bühnenkünstler. Sicherlich liegt die tatsächliche Zahl beträchtlich höher. Die Nationalsozialisten entwickelten während ihrer Herrschaft ein System der Überwachung, mit dem sie jeden erfaßten, der nicht mehr im Einklang mit Führer, Volk und Reich stand. So drohte Goebbels auch berühmten Schauspielern, wenn sie sich widerspenstig zeigten, er könne sie auch dahin bringen, wo sie ganz anders behandelt würden. Oftmals genügte schon eine formale Befragung in der Gestapo-Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße zur Einschüchterung. Ein häufiges Mittel zur Disziplinierung von Künstlern waren Auftrittsverbote in der Reichshauptstadt. Wer wußte schon, was noch folgen konnte. Hingerichtet oder eingesperrt wurden auch Schauspieler, die nur ihr Mißfallen gegenüber dem Hitlerregime äußerten. Robert Dorsay, ein beliebter Kabarettist und Komiker, der mit Gustaf Gründgens, Olga Tschechowa, Attila Hörbiger, Luis Trenker vor der Kamera stand, wurde wegen eines ironischen Privatbriefes über „unseren geliebten Führer" und weil er in der Kantine des Deutschen Theaters Führerwitze erzählt hatte, der Wehrkraft28

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus

zersetzung angeklagt und am 29. Oktober 1943 hingerichtet.41 In gleicher Weise verfuhr die Gestapo mit der Hamburger Schauspielerin Hanna Mertens. Daß auch in den Folterstätten, in den Konzentrationslagern, Theater gespielt wurde, ist eine der erschütterndsten Erscheinungen der Theatergeschichte. Die eingekerkerten Schauspieler Wolfgang Langhoff und Erwin Geschonneck haben nicht nur bezeugt, wie es zustande kam, sie haben es auch selbst angeregt und mitgewirkt. Geschonneck schreibt: „Wie kam es zu Theateraufführungen im Konzentrationslager Dachau unter den Maschinengewehren der Mörder? Dazu muß man sich die damalige Situation ins Gedächtnis rufen. Für die faschistische Armee wurde die Lage 1943 immer schwieriger. Mit der Niederwerfungsstrategie der Nazis ging es nicht mehr wie geplant weiter. Man brauchte alle Kräfte, auch in den Konzentrationslagern, um die Rüstung voranzutreiben. Es war unproduktiv, wie bisher die Häftlinge einfach zu vernichten, sie zu dezimieren. Man wollte nun aus ihnen herauspressen, was für die Rüstungsindustrie notwendig war. Alle verfügbaren Arbeitskräfte wurden mobilisiert. Jetzt tat man auch viel, um den Häftlingen ein Existenzminimum zu geben. Dazu gehörte ein gewisses Maß an Freizeit, etwa in dem Sinne: ,Du mußt von morgens bis abends schwer arbeiten, bis du kraftlos hinfällst. Also muß auch etwas Erleichterung sein!' Und dazu gehörte das Merkwürdige, daß man im Jahre 1943 den Häftlingen im Konzentrationslager Dachau erlaubte, Theater zu spielen."42 Schon zu Beginn der Hitlerzeit wurde in den Konzentrationslagern versucht, durch Spiel die eigene Lage, wenn auch nur vorübergehend, zu erleichtern, wie Wolfgang Langhoff berichtete. Langhoff übte mit seinen Mitgefangenen den,Zirkus Konzentrazani" ein. Das Theaterspiel erlaubte hintergründige Wendungen und Anspielungen wie diese: „Unser Zirkus Konzentrazani, zur Zeit der größte Deutschlands, hat bereits die fabelhaftesten Erfolge in anderen Hauptstädten des Landes, ζ. B. in Esterwege, Oranienburg (ungeheures Lachen) davongetragen [...]."43 Innerhalb solcher Betätigung entstanden das „Moorsoldaten-Lied", das „Buchenwald-Lied" oder das „Dachau-Lied". Der Autor des „Buchenwald-Liedes" war der Librettist Fritz Beda-Löhner, der des „DachauLiedes" der Dramatiker Jura Soyfer. Solche Texte halfen den Gefangenen, die schreckliche Zeit zu überstehen. „Und der letzte Refrain", heißt es in Langhoffs Erinnerungsbuch, „das: ,Nicht mehr mit dem Spaten' wurde laut und mächtig gesungen. Die Erstarrung löste sich. Bei der Wiederholung des Refrains sangen alle neunhundert Mann: ,Dann ziehn die Moorsoldaten / Nicht mehr mit dem Spaten / Ins Moor!' 1,44 Im Konzentrationslager Dachau inszenierte Erwin Geschonneck Hanns Johsts Schauspiel Thomas Paine. Die Wahl fiel darauf, um die SS-Bewachung zufriedenzustellen. In diesem Stück gab es Szenen, in denen, vermittelt durch das Thema der Revolution, zum Ausdruck kam, was die Spieler tatsächlich dachten und fühlten. Den grotesk-makabren Höhepunkt des aus heutiger Sicht befremdlichen Theaters im KZ bildete das Stück des österreichischen Häftlings Rudolf Kalmar Die Blutnacht auf dem Schreckenstein. Es ist die Geschichte des Raubritters Adolar, eines Wüstlings, und seines grausigen Endes. Wie dieses Ritterstück, das als Lachtheater gedacht war, wirkte, beschreibt in Erwin Geschonnecks Buch Karl Röder: „Angesichts der vielen Begabungen, die plötzlich auf41 42 43 44

Vgl.: Ulrich Liebe: Verehrt, verfolgt, vergessen. Schauspieler als Naziopfer. Weinheim/Berlin 1992, S. 7. Erwin Geschonneck: Meine unruhigen Jahre. Berlin [DDR] 1986, S. 103. Wolfgang Langhoff: Die Moorsoldaten. Berlin und Weimar 1975, S. 153. Ebenda, S. 162.

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Werner Mittenzwei tauchten, wurden die ,Untermenschen' wieder zu Menschen. So betrachtet, waren die Veranstaltungen ein wertvoller Bestandteil des inneren Widerstands, und es ist keine Übertreibung, wenn gesagt wird, daß mit ihrer Hilfe vielen Menschen das Leben gerettet wurde. [...] Der Widerstand im KZ hat sich in vielfältiger Weise dokumentiert. Die Blutnacht auf dem Schreckenstein war nur ein Aspekt, aber, wie mir scheint, ein sehr wichtiger und auch wirksamer f...]."45 Die unmittelbare Funktion eines solchen Theaters bestand in der psychischen Entlastung der Häftlinge, auch in der Möglichkeit, in einer extremen Zwangssituation ein Mindestmaß an kollektiver Identität zu schaffen. Das Theaterspiel bewahrte einen Rest von Menschenwürde unter den Bedingungen eines barbarischen Zwangs. Man muß sich fragen, warum die Theaterkünstler im „Dritten Reich" nicht mehr von untergründigen Wirkungen des Theaters Gebrauch gemacht haben, die doch im Wesen der Bühnenkunst liegen. Zweifellos gab es Aufführungen, die das Publikum auch politisch nachdenklich stimmten, die einen Gestus vorführten, der sich gegen den propagierten Zeitgeist richtete, wie Jürgen Fehlings Inszenierung von Richard III. Aber im Theater saß ein Publikum, das sich zum großen Teil in Übereinstimmung mit den Regierenden befand. Erst die einsetzenden Niederlagen im Zweiten Weltkrieg bewirkten eine Sensibilisierung, so daß selbst Lothar Müthels Inszenierung von Sophokles' Antigone im Burgtheater als eine Auflehnung gegen die alles niederhaltenden braunen Machthaber empfunden wurde. Ob Müthel selber auch nur eine Spur des Protestes ausdrücken wollte, ist fraglich, aber der Zuschauer empfand die Aufführung als eine Gegenwelt zum Nationalsozialismus, die allerdings wieder zugedeckt wurde durch die tiefe Tragik der Mächtigen, hier der Kreons. Das Theater bot immer wieder Augenblicke, wo die Darstellung auf der Bühne den einzelnen Zuschauer in seiner persönlichen oppositionellen Haltung bestärkte. Seltener kam es dazu, daß die Szene zur bewußten Aktion wurde, so, wie überliefert, in einer Aufführung von Kabale und Liebe, wo der Darsteller des Ferdinand, Raimund Scheicher, sich direkt der Loge zuwandte, in der Joseph Goebbels saß, als er den Satz sprach: „Ich verwerfe dich - ein deutscher Jüngling." Goebbels reagierte unauffällig, aber prompt. Raimund Scheicher rückte in das Strafbataillon 999 ein. Von der Ausschaltung zur Ausrottung der Juden Die Künstler jüdischer Herkunft mußten in Hitlers Machtantritt für sich eine akute Gefahr sehen, denn dieser Mann hatte es in Wort und Schrift nicht an Deutlichkeit fehlen lassen, wie er mit ihnen zu verfahren gedachte. Sensibel reagierte man darauf im Kreis der Künstler, während sich die Gesamtheit deutscher Juden zunächst eher gelassen verhielt. In ihrer Geschichte war ihnen viel widerfahren und der Antisemitismus in jeder Form präsent. Den Nationalsozialismus betrachteten sie als eine der vielen Erscheinungsformen dieses Phänomens. Manche von ihnen meinten, es werde sich ja erweisen, ob Hitler mit seiner antijüdischen Propaganda nur einschüchtern wolle, sich aber, einmal an der Macht, geschmeidiger zeigen werde. Zunächst reagierten die Sprecher der jüdischen Öffentlichkeit nicht anders als der große Teil der nichtnazistischen Bevölkerung: „Im übrigen gilt heute ganz besonders die Parole: Ruhig abwarten."46 Doch schon nach 45 46

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Erwin Geschonneck: Meine unruhigen Jahre, a.a.O., S. 113. Die Juden in Deutschland 1933 - 1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft. Hrsg. von Wolfgang Benz. München 1989, S. 17.

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus den Reichstagswahlen vom März 1933 gab es besorgte Stimmen, verbunden mit einer Belebung jüdischer Tradition. Obwohl in den Reden der nationalsozialistischen Führer nach dem Reichstagsbrand vom Jüdischen Bolschewismus', vom .jüdischen Marxismus' die Rede war, den es auszurotten gelte, drohte unmittelbare Gefahr zu diesem Zeitpunkt vor allem dem politischen Gegner. „Das traf für die Juden als gesellschaftliche Gruppe noch nicht zu, denn die zahlreichen Übergriffe unmittelbar nach der .Machtergreifung' konnten, auch wenn sie mancherorts pogromartigen Charakter hatten, noch als Verfehlung lokaler Nazi-Hitzköpfe deklariert werden, und so wurden die Schmähungen, Tätlichkeiten und Überfälle, denen jüdische Bürger ausgesetzt waren, auch gesehen, nicht zuletzt von den Vertretern des Judentums selbst."47 Am 1. April 1933 kam es zu Boykottmaßnahmen gegen die Juden, die, wenn auch noch nicht flächendeckend, davon zeugten, daß es die neue Regierung nicht bei bloßen Ankündigungen belassen werde. Als noch weit schlimmer in den Auswirkungen erwies sich das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933, das Beamte „nichtarischer Abstammung" in den Ruhestand versetzte. Für jüdische Künstler, die mit Beamten gleichgestellt wurden, sofern sie nicht an Privattheatern tätig waren, hieß das: Auflösung ihrer Verträge, Vertreibung aus dem Theater, aus dem Orchester, vom Podium. Mit diesem Gesetz wollte man „rechtlich" lösen, was mit dem „Radau-Antisemitismus" beabsichtigt wurde. Daß mit dem Gesetz viel rigoroser, massiver gehandelt werden konnte, brachte auf seine demagogische Art Hans Hinkel zum Ausdruck: „Wir wissen, daß die jüdische intellektuelle Vorherrschaft in Deutschland schließlich dahin geführt hat, daß insbesondere auf kulturpolitischem Gebiet wir Deutschen kein Hausrecht mehr besaßen. Daß solche Zustände einfach untragbar für jeden ehrliebenden Deutschen sind. [...] In den staatlichen, den beamteten Stellungen werden wir Deutschen uns gerade auf künstlerischem Gebiet unser Hausrecht vorbehalten und es, wenn es notwendig [ist], mit allen Mitteln verteidigen."48 Wie Hinkel die Leitungssituation der deutschen Bühnen einschätzte, geht aus dem „Kurzen Jahresbericht über meine Erfahrungen und das Ergebnis der Arbeit des Amtlichen Preußischen Theaterausschusses im Jahre 1933" hervor. Ein Drittel der Theaterleiter verdiene es, daß sie weiter von den Nationalsozialisten unterstützt würden, weil sie „früher oder später den Nationalismus erlebt und ihn so in sich aufgenommen haben". Ein zweites Drittel sollte vorerst geduldet werden, bis ein Nachwuchs „nationalsozialistischen Typs" gewachsen und vorhanden ist. „Dieser Nachwuchs ist verhältnismäßig rasch im Werden. Eine tiefe Beruhigung". Das letzte Drittel müsse „ohne jede Gefühlsduselei und trotz mancher Empfehlungsschreiben" entfernt werden. Das seien „im Gefühl Abgestorbene", die „schleunigst beseitigt werden" müßten. Deutschland gehe da nichts Namhaftes verloren 4 9 Die Ausschaltung aller Juden aus dem Kulturleben hatte begonnen, wie sie im Programm der NSDAP und in den Hitlerreden vorher angekündigt worden war. Von da an suchten jüdische Künstler ins Ausland zu gehen. Das Gesetz wurde noch komplettiert durch die Gründung der Reichskulturkammer am 22. September 1933. Obwohl die Mitgliedschaft noch nicht an den Arierparagraphen gebunden war, schien es fast aussichts47 48 49

Ebenda, S.23. Ebenda, S.80. Document Center, Berlin. R. Th. K. : 2232/33.

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Werner Mittenzwei los für Juden, hier aufgenommen zu werden. Goebbels behielt sich vor, Fälle dieser Art selber zu entscheiden. Sein Nein konnte stets vorausgesetzt werden. Die Mitgliedschaft galt als Vorbedingung für jede berufliche künstlerische Tätigkeit. Die sogenannten Nürnberger Gesetze vom September 1935 zur „Reinhaltung des deutschen Blutes" sanktionierten dann den rassistischen Antisemitismus auf staatlicher Basis. Damit war die erste Etappe der Entrechtung und Ausgrenzung der Juden abgeschlossen. Die Gründung des Kulturbundes Deutscher Juden Für die ausgegrenzten, von heute auf morgen zur Arbeitslosigkeit verurteilten Künstler - die Schätzungen belaufen sich auf vermutlich über 10.000 Betroffene - wurde der Kulturbund zu einem Auffangbecken. 50 Seine Gründung Mitte Juli 1933 war ein Wagnis - der Versuch, der kunstvertrauten jüdischen Bevölkerungsgruppe einen Ersatz für das zu bieten, was sie verloren hatte, und ihr ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen. Andererseits kam die Gründung der von den Nationalsozialisten erstrebten Ghettoisierung, der Aussonderung der Juden aus dem gesellschaftlichen Leben, entgegen. Die Initiative ging vor allem von dem Regisseur Kurt Baumann, dem Arzt, Musikwissenschaftler und Dirigenten Kurt Singer und dem Kritiker Julius Bab aus. Was sie unternahmen, lief subjektiv auf einen Akt künstlerischer Selbstbehauptung hinaus, führte aber die von den Bühnen veijagten Künstler mit einem ausgegrenzten Publikum zusammen. Ein solches Unternehmen ließ sich nicht aufbauen, ohne daß die staatlichen Stellen ihre Zustimmung gaben. Verantwortlich dafür im Apparat der Diktatur war Hans Hinkel. Über die ersten Schritte dieser nicht ungefährlichen Zusammenarbeit berichtet Kurt Baumann: „Von den internen Verhandlungen haben wir offiziell nie etwas erfahren, aber Mitte Mai 1933 teilte Herr Hinkel Dr. Singer mit, daß dem Vertrag nichts mehr im Wege stehe, daß er - Hinkel - von Göring zum Leiter ernannt sei und daß Dr. Singer mit seinem Kopf für die reibungslose Ausführung der im Vertrag enthaltenen Bedingungen haftbar sei. Es war nur noch nötig, sich bei Minister Göring vorzustellen und seinen , Segen' zu erhalten. Das geschah dann auch; Göring versuchte, leutselig und jovial zu sein, und sagte ungefähr: ,Wenn ihr alles richtig macht und Herrn Hinkel pariert, dann wird alles gutgehen, wenn ihr über die Strenge haut, dann knallt's, ihr wißt das ja." 51 Den Initiatoren blieb die Widersprüchlichkeit ihrer Gründung stets bewußt. Baumann betonte sie, wenn er erklärte: „Wir gingen tatsächlich ins Ghetto, aber wir brachten dem jüdischen Publikum wenigstens für einige Zeit eine Kulturstätte mit Darbietungen, die sie [sie!] gewohnt waren, und in einer Umgebung, die sie vor Unannehmlichkeiten aller Art schützte."52 Der Kulturbund mit seinen 2.500 Künstlern aller Sparten und 70.000 Mitgliedern wurde mit seinen Einrichtungen in etwa 100 Städten zu einer weitverzeigten Organisation, die beachtliche künstlerische Leistungen bot. Zum darstellenden künstlerischen Personal gehörten in der Regel weniger prominente Künstler. Diese sträubten sich; denn für sie war der Kulturbund ein „Schritt zurück ins Ghetto". Über das Verhältnis zwischen Emigranten und Kulturbundkünstlern schreibt Herbert Freeden, damals Regieassistent bei Fritz Wisten: „Wer von der Weimarer Schauspielprominenz bereits ausge50 51 52

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Vgl. den Artikel von Herbert Freeden in diesem Band, S. 81-96. Die Juden in Deutschland 1933 - 1945, a.a.O., S. 86. Ebenda, S.88.

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wandert war, betrachtete den Kulturbund mit Mitleid und Kopfschütteln und sah in Hinkel den wirklichen Leiter. Umgekehrt: Die Schauspieler des Kulturbundes beneideten ihre Kollegen in Zürich und Prag, denen es gelungen war, aus- bzw. einzuwandern, einen Job zu finden - noch dazu ein Theater, Arbeitsgenehmigung zu erhalten [,..]."53 Das Kulturbundtheater konnte sich in keine großen Grundsatzdiskussionen verstricken. Es mußte den unmittelbaren und sehr verschiedenartigen Bedürfnissen seiner Zuschauergemeinde nachkommen. Julius Bab wie auch später Fritz Wisten wollten kein nur den jüdischen Traditionen verpflichtetes Theater. Sie versuchten, die Theaterkunst fortzusetzen, die sie in der Weimarer Republik herausbilden halfen, an der ja jüdische Schauspieler und Regisseure einen bedeutenden Anteil hatten. Ein rigoroser Einschnitt erfolgte nach den Novemberpogromen 1938. Das Attentat auf den Legationssekretär der deutschen Botschaft in Paris, Ernst von Rath, nahmen die Nationalsozialisten zum Anlaß, um Ausschreitungen gegen jüdische Wohnungen, Geschäfte und Synagogen im ganzen Reich zu veranlassen. Unter dem verharmlosenden Namen „Kristallnacht" kam es zu einer weiteren Verschärfung der Judenverfolgung. Die Novemberpogrome lösten unter der nichtjüdischen deutschen Bevölkerung, insbesondere der künstlerischen Intelligenz, eine merkwürdige Reaktion aus. Man mißbilligte den Terror, suchte ihn aber als Randerscheinung abzutun, um wieder mit dem eigenen Gewissen ins reine zu kommen. Bereits hier zeichnete sich ab, daß auch noch größere Verbrechen, die im Krieg folgten, die Deutschen nicht zum Bruch mit Hitler veranlaßten. Im November 1938 wurden vorübergehend alle Veranstaltungen des Kulturbundes verboten. Unterschiedliche Konzeptionen im Judenreferat des Reichssicherheitshauptamtes bewirkten, daß die jüdischen Theaterveranstaltungen wieder erlaubt wurden, ja daß man die Leitung des Kulturbundes geradezu zwang, die Vorstellungen wiederaufzunehmen; denn nach den Gewalttätigkeiten bei dem Novemberpogrom gab es bei der jüdischen Bevölkerung wenig Verlangen nach Theater. Da weiterhin drakonische Maßnahmen, Zensurauflagen und Schikanen nicht ausblieben, erstarb die Lust am Spiel. Immer mehr Künstler und Musiker verließen das Land, so daß das Repertoire sich kaum noch aufrechterhalten ließ. Auch Kurt Singer, der sich während der „Kristallnacht" in den USA befand, wurde gewarnt, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Er ging nach Holland. Während der deutschen Okkupation wurde er in das Konzentrationslager Westerbork und weiter nach Theresienstadt deportiert. Einer, der von Anfang bis Ende die Geschichte des Jüdischen Kulturbundtheaters miterlebte und wesentlich mitgestaltete, war Fritz Wisten. Als Schauspieler, Regisseur und ab 1939 in der Nachfolge von Kurt Singer als künstlerischer Leiter hat er das Profil dieser Einrichtung wesentlich mitbestimmt. 1933 hatte man ihn, den hochgeschätzten Darsteller klassischer Rollen am Württembergischen Landestheater, nach zwölfjähriger Tätigkeit fristlos entlassen. Julius Bab und Kurt Singer verpflichteten Wisten mit der Höchstgage von monatlich 480,- RM für das Theater des Jüdischen Kulturbundes. Am 1. Oktober 1933 spielte er in der Eröffnungsvorstellung den Derwisch in Lessings Nathan der Weise. 1935 führte er erstmals Regie, er inszenierte Shaws Man kann nie wissen. 1938, in der Pogromnacht vom 9. zum 10. November, wurde er verhaftet und in das KZ Sachsenhausen gebracht. Als vom Reichspropagandaministerium befohlen wurde, 53

Herbert Freeden an Frithjof Trapp. Brief vom 29.9.1993.

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Werner Mittenzwei das Jüdische Kulturbundtheater habe weiterzuspielen, kam Wisten frei. Nach der Schließung des Kulturbundes am 11. November 1941 wandte er sich an Gustaf Gründgens, ob er ihn nicht wenigstens als „Bühnenarbeiter, Gehilfe eines Requisiteurs" an seinem Theater unterbringen könne, um nicht die seit Jahrzehnten gewöhnte Theaterluft entbehren zu müssen. 1942 wurde er abermals verhaftet. Seiner Familie gelang es aber, ihn über eine Weisung von Admiral Canaris freizubekommen. Als Partner in einer „privilegierten Mischehe", er war mit einer Nichtjüdin verheiratet, entging er der Deportation und arbeitete bis zum Kriegsende in einer feinmechanischen Fabrik. Aus späterer Sicht erscheint die „Kristallnacht" als „Anfang vom Ende" (Wolfgang Benz). Am 11. September 1941 liquidierte die Gestapo den Kulturbund als Organisation. Sie beschlagnahmte das Eigentum und leitete die Deportation seiner Mitglieder ein. Ihr Weg endete in Auschwitz. Nur wenige, wie Fritz Wisten und Alfred Balthoff, überlebten. Mentalitäten Wenn die Wortführer der Nationalsozialisten auch ständig die Begriffe j ü d i s c h ' und .kommunistisch' synonym gebrauchten, z.B. vom .jüdischen Bolschewismus' sprachen, so standen doch die wenigsten jüdischen Theaterkünstler radikal links. Bis 1932 stimmte die Mehrzahl der deutschen Juden für die Deutsche Demokratische Partei (DDP) und nur 30 Prozent für linke Parteien. Als 1932 die DDP zusammenbrach, stimmten etwa zwei Drittel der Juden für die Sozialdemokraten. „Alle demokratischen Parteien erhielten Wähler und finanzielle Unterstützung von den Juden, und die Sozialdemokraten bekamen den größten Anteil [...]. Die Juden waren die einzige Gruppe in Deutschland, die sich für die Verteidigung der Weimarer Republik einsetzte." 54 Unter den jüdischen Theaterkünstlern blieb der Typus Kortner/Jeßner oder gar Wolfgang Heinz eine Ausnahme. Für Leopold Jeßner setzten die Ausgrenzungen schon vor 1933 ein. Jeßner hielt zu dieser Republik, mit der er aufgestiegen war. Gerade weil er es als nötig empfand, u m dieser Republik willen zu taktieren, verlor er Freunde und fand keine neuen. Die Kompromisse, die er zu ihrem Erhalt, zum Konsens gesellschaftlicher Kräfte, für nötig hielt, drängten ihn ins Abseits. Er wollte konsequent sein, und sei es um den Preis des Rücktritts. Dm, der das „perikleische Zeitalter des Theaters" eingeläutet hatte, machte die Reaktion zum Buhmann. Von der Leitung des Theaters verdrängt, blieb er ohne Kraft, ohne Vision. Die „Verteidigung der Republik" erwies sich nicht als zündende Parole. Die Nationalsozialisten trieben ihn in die Emigration. Im Exil unternahm er verschiedene Anläufe, sich neue künstlerische Positionen zu schaffen: durch den Aufbau eines Tournee-Ensembles, in Palästina, in der Zusammenarbeit mit jüdischen Theatergruppen in Wien, durch eine - wie er es geplant hatte - spektakuläre TellAufführung im amerikanischen Exil. Aber all diese Anläufe scheiterten. Ohne den Rückhalt, den er über Jahre hinweg in der Weimarer Republik gefunden hatte, bot ihm das Exil keine hinreichende künstlerische Chance. Fritz Kortner haßten die Nationalsozialisten als Juden und als Künstler. Wenn einer ihrem zukünftigen Theater der .heroisch stählernen Romantik' im Wege stand, dann Kortner. „Kortners Art, realistisch zu spielen, den gesellschaftlichen Widersprüchen in den Rollen auf die Spur zu kommen und sie auf die Bühne zu stellen, war neben seiner 54

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Lucy S. Dawidowicz: Der Krieg gegen die Juden 1933 - 1945. München 1979, S. 160.

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jüdischen Herkunft die Hauptursache für das haßerfiillte Vorgehen der Antisemiten gegen ihn, das sich in Zeitungskampagnen und Morddrohungen äußerte."55 Vielleicht hätte Kortner ein Schicksal wie Hans Otto ereilt, wäre nicht jene seit langem geplante Gastspielreise gewesen, auf die er sich am 31. Januar 1933 begab. - Aus dieser Zeit existiert ein Brief Kortners, in dem er die künstlerische Gefährdung selbst schon berühmter Künstler im Exil befürchtet und klagt: „Meine Niedergeschlagenheit ist beklemmend. Eine irre Lebensangst. - Der ganz große künstlerische Erfolg, den ich hier hatte, beruhigt mich nicht für Minuten. Wo soll ein so verausgabter Mensch wie ich die Kraft hernehmen für diesen zermürbenden Kampf? Wo ist auch nur eine Chance zu sehen? Ein Name verbraucht sich erschreckend schnell. Ohne Film verschwindet er - diesem Vorgang kann man geradezu zusehen - gänzlich [...]. Wenn du nur ein wirklich ermutigendes Wort für mich weißt, dann sag's. Ich weiß keins."56 Fritz Kortner war im Exil auf den Kampf eingestellt. Die Politik überraschte ihn nicht. Er unternahm immer wieder Anläufe, der auferlegten Beschäftigungslosigkeit zu trotzen: durch Filmrollen in Großbritannien. Weitere Engagements wurden durch nationalsozialistische Boykottdrohungen verhindert. Im amerikanischen Exil hatte er mit seinem in der Weimarer Republik erarbeiteten Stil keinen Erfolg. Und selbst dort, wo er welchen hatte, war er nicht im entferntesten mit dem früherer Jahrzehnte vergleichbar. Im Exil schrieb er Stücke und betätigte sich als politischer Mitarbeiter der amerikanischen antifaschistischen Publizistin Dorothy Thompson. Elisabeth Bergner, die Anfang der dreißiger Jahre als Schauspielerin Triumphe feierte, verließ mit ihrem Mann, dem Regisseur Paul Czinner, schon 1932 Deutschland. Was sie bewog, war noch nicht die Flucht vor den immer gefährlicher werdenden Nazis, sondern künstlerische Pläne. Wie sehr sie, die sich nicht um Politik kümmerte, bereits gefährdet war, erfuhr sie von ihren Kollegen. Bei ihrem letzten Auftritt in Berlin, in Gabriel Schillings Flucht von Gerhart Hauptmann, stürmte Hans Otto in ihre Garderobe und riet ihr hastig, ja flehend, sie solle, so schnell sie könne, Deutschland verlassen. Sie verstand nicht. Werner Krauß bat sie, ihr Engagement um vier Vorstellungen zu verlängern, er werde alles mit der Direktion besprechen. Er kam enttäuscht zurück und gestand ihr, daß die neue Direktion sie nicht mehr länger wolle. Sie solle an einem jüdischen Theater spielen. Sie ging nach England. Dort wandelten sich die Projekte, die als deutsch-englische Zusammenarbeit gedacht waren, immer mehr in rein englische. Elisabeth Bergner übte sich in der englischen Sprache. Dir gelang es, ihre Karriere fortzusetzen, ihren Ruhm zu stabilisieren. Vom Typus Kortner und Jeßner, selbst von dem der Bergner unterschied sich die Mentalität der meisten anderen jüdischen Künstler. Weitgehend unpolitisch, wurden sie von heute auf morgen mit der ihnen völlig unfaßbaren nationalsozialistischen Politik konfrontiert. Obwohl ihnen Antisemitismus nicht unbekannt war, besaßen sie keine Vorstellung von dem, was auf sie zukam. Nur wenige trafen Vorsorge für den Fall politischer Zuspitzung. Um so tragischer gestaltete sich ihr Schicksal. Paul Morgan befand sich auf dem Höhepunkt seines Ruhms, als ihn die neuen Machthaber zwangen, am KABARETT DER KOMIKER am Lehniner Platz die Hakenkreuzfahne zu hissen. Der seit langem in Berlin lebende österreichische Schauspieler, Kabarettist, 55

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Matthias Brand: Durchdringung der Nacht und des Nebels. Zur Tätigkeit Fritz Kortners im Exil (1933 - 1947). In: Sammlung. Jahrbuch für antifaschistische Literatur und Kunst. Frankfurt a. M. 3. 1980, S. 102. Fritz Kortner an Else Schreiber Zdanov, Brief vom 7. Juni 1933. In: Sammlung, a.a.O., 102.

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Werner Mittenzwei Komiker, Librettist, eben ein Multitalent, hatte in den verschiedenen Genres Erfolg: im Theater nicht weniger als im Film, in den euopäischen Hauptstädten wie in Hollywood. Der erfolggewohnte Morgan verließ Berlin. In Zürich sah er das Kabarett DIE PFEFFERMÜHLE der Erika Mann, eine Bühne des Exils, getragen von Künstlern, die sich gegen Hitler entschieden hatten. Die Aufführung machte ihm klar, daß es für ihn unmöglich wäre, vom Ausland aus politisch gegen Nazi-Deutschland zu wirken. Politische Satire war nicht seine Sache. In seiner Heimatstadt Wien bekam er nicht gleich ein Engagement, gastierte deshalb am Neuen Deutschen Theater in Prag. Im Theater an der Wien stand er dann in dem Stück Axel an der Himmelstür mit Otto Wallburg und Fritz Grünbaum wieder auf der Bühne; bei diesem Stück zeichnete er auch als Mitautor. Hier fand am 8. Februar 1938 mit Dixie seine letzte Premiere statt. Er, der durch seine internationalen Erfolge, seine Begabung für das heitere Genre, seinen Sinn für marktgängige Wirkungen, seine vielen Auslandsgastspiele weit eher als mancher seiner Kollegen für die Emigration gerüstet schien, wollte Wien nicht verlassen. „ ,Ich will nicht weg. Ich habe ja auch gar nichts getan.' [...] Als am 13.3.1938 die deutschen Truppen nach Österreich kommen, den Anschluß der Heimat ihres Führers an das Deutsche Reich vollziehen, sitzt Paul Morgan immer noch in seiner Wohnung in der Nähe des Theaters an der Wien. [...] Am Morgen des 22.3. wird er von drei Gestapomännern abgeholt und in ein Gefängnis an der Elisabethpromenade gebracht."57 Weitere Stationen waren die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald. Hier starb Morgan am 10. Dezember 1938. Neben Paul Morgan gehörten Otto Wallburg, Kurt Gerron, Fritz Grünbaum zu den großen Komikertalenten des Theaters der Weimarer Republik. Sie haben durch ihre exzellente schauspielerische Begabung dem trivialen Genre Glanz verliehen, es zum Genuß gemacht und gelegentlich in den Bereich achtenswerter Kunst gehoben. Den Zauber der „Goldenen Zwanziger", der nicht zuletzt von der Unterhaltungsbranche ausging, haben sie mitgeprägt. Wallburg ging durch die Schule Max Reinhardts. Kurt Gerron stand bei der spektakulären Dreigroschenoper-Prerräere auf der Bühne und erreichte mit dem „Kanonen-Song", daß das vorerst noch laue Publikum zu stürmischem Beifall überging. Fritz Grünbaum, der zwischen Wien und Berlin pendelte, war, als er 1933 Berlin verlassen mußte, ein ausgesprochener Publikumsliebling. Otto Wallburg erhielt als Träger der Weltkriegsauszeichnung, des Eisernen Kreuzes, noch eine vorläufige Spielerlaubnis. Fritz Grünbaum fand in Wien eine Bühne, die ihn engagierte. Es war das Theater in der Josefstadt und gehörte Max Reinhardt. Als Hitler 1938 mit seinen Truppen in Wien einzog, wurde Fritz Grünbaum wie Paul Morgan festgenommen. Über das KZ Dachau kam er nach Buchenwald. 1940 heißt es über ihn: „Fritz Grünbaum ist nicht zu brechen, aber er verfällt zusehends. Nachdem man sich vor den Toren der Goethe-Stadt alle Mühe gegeben hat, ihn zu entwürdigen, wird er im Oktober 1940 wieder ins KZ Dachau überstellt. Hier hat er Silvester 1940 seinen letzten Auftritt. Der an einer Magen- und Darmtuberkulose Leidende sitzt, eingehüllt in dicke Pullover und Schals, in der Krankenbaracke. Der Kollege Karl Schnog, der hier einen Vortragabend gestalten will, erkennt ihn kaum wieder. Aber die Mitwirkung an diesem Abend will sich Fritz Grünbaum nicht nehmen lassen. Schnog kündigt ihn an als den , einst prominenten Conferencier Fritz Grünbaum', aber der wehrt ab: ,Ich bitt' Euch, nicht der Fritz Grünbaum 57

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Ulrich Liebe: Verehrt, verfolgt, vergessen, a.a.O., S. 155.

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spricht zu Euch, sondern eine Nummer, die Euch am letzten Tag des Jahres etwas Freude bereiten will.' 1,58 Vierzehn Tag später erlosch des Leben dieses Künstlers. Morgan starb im Konzentrationslager Buchenwald, Grünbaum in Dachau. Gerron und Wallburg endeten in der Gaskammer von Auschwitz. Alle vier waren sie Partner, Kollegen der bekanntesten Schauspieler, die jetzt im „Dritten Reich" auf der Höhe ihres Ruhms standen, während sie im Konzentrationslager, im Gas von Auschwitz umkamen. Dabei hatten sie, wie Paul Morgan sagte, „ja nichts getan". Ihnen mußte eine solche Welt, in der die Rollen so verteilt wurden, völlig absurd vorkommen. Gesang und Spiel im Vorhof der Hölle - Kabarett, Theater und Film in Westerbork und Theresienstadt Als im Zweiten Weltkrieg die Armeen Hitlers die europäischen Länder überfielen, endete damit auch die künstlerische Arbeit vieler Emigranten, die in diesen Ländern Zuflucht gesucht hatten. Fortan galten hier Gesetze wie im Reich. Auf der Bühne durfte nur der Schauspieler stehen, der eine Genehmigung der Kulturkammer besaß. Für Juden war da wieder jeder Weg versperrt. Er führte für sie in das Auffanglager Westerbork, zwischen Assen und Coevorden an der niederländischen Grenze gelegen. Hier wurde unter der Schirmherrschaft der SS noch einmal Theater gespielt, hier traten die Prominenten der zwanziger Jahre, jetzt Gefangene der Gestapo und der SS, noch einmal auf. Vor dem Abtransport in das Vernichtungslager Auschwitz sollte noch einmal das „Allerbeste" geboten werden. Den Anstoß zur Gründung der GRUPPE BÜHNE im Lager Westerbork hatten wahrscheinlich Max Ehrlich und Willy Rosen gegeben, in den zwanziger Jahren die Stars des THEATERS DER PROMINENTEN, jetzt Gefangene im Lager Westerbork. „Er (Max Ehrlich - W. M.) zeichnete für die Inszenierungen der Revuen und .Bunten Abende' als Regisseur verantwortlich und war in jeder Aufführung der meistbeschäftigte Darsteller. Willy Rosen schrieb die Texte für die Revuen, und zusammen mit Erich Ziegler, der die Vorstellungen musikalisch leitete, komponierte er auch die Musik zu allen Chansons, Liedern, Zwischenspielen und Tanzeinlagen. In jeder Revue blieb Rosen und Ziegler auch eine Szene vorbehalten, in der sie an zwei Flügeln als Solisten auftraten. Die Mitglieder des Kabaretts kamen überwiegend Ende des Jahres 1942 und zu Beginn des Jahres 1943 nach Westerbork. Sie bildeten die GRUPPE BÜHNE. Zahlenmäßig erreichte das Ensemble mit dem dritten Programm, der Revue ,Bravo! Da capo!' im Oktober 1943 seinen höchsten Stand. Damals bestand es aus insgesamt einundfünfzig Lagerinsassen: sechzehn darstellenden Mitgliedern, elf Musikern, von denen einer als Darsteller beschäftigt wurde, und acht Tänzerinnen [...]."59 Hier spielte auch Kurt Gerron, jedoch nur ein einziges Mal. Ebenfalls im Lager befand sich für kurze Zeit Otto Wallburg, der allerdings wegen seines schlechten Gesundheitszustandes an den Lageraufführungen nicht teilnehmen konnte. Im Juli 1944 wurde er über Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Die letzte Revue, die im Juli 1944 in Westerbork vorbereitet wurde, hieß „Total verrückt!" Im Programmheft stand der makabre Satz: „Ach, sind wir meschugge jetzt spielen wir Ihnen eine Oper vor! Ludmilla oder Leichen am laufenden Band." 58 59

Ebenda, S. 122. Hugo Fetting/Klaus Hermsdorf: Exil in den Niederlanden. Leipzig 1981, S. 98 f. (= Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933 - 1945, Bd. 6).

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In der mehr als zweitausendjährigen Theatergeschichte hat es wohl kaum einen vergleichbaren Vorgang gegeben, bei dem die Tragik, die Groteske, die Absurdität der Situation alles überbot, was je auf einer Bühne hätte gespielt werden können. Westerbork und Theresienstadt wurden zu makabren Existenzweisen des Künstlers. Hier ging es nicht mehr darum, mit künstlerischen Mitteln zu helfen, ein elendes Lagerleben zu überstehen - Kunst wurde hier zum Betäubungsmittel. Dabei waren sich auch die Darsteller bewußt, daß sie ihrem Publikum im Tod nachfolgten. Der eigentliche Mobilisator der GRUPPE BÜHNE im Lager Westerbork war der SSObersturmführer Konrad Gemmeker. Man könnte ihn als den Intendanten dieser Bühne bezeichnen. Die .Fürsorge' des SS-Obersturmführers Gemmeker für die Lagerbühne und ihre Mitarbeiter war offenbar Teil seiner Eitelkeit und Geltungssucht. Das lassen auch die Vergünstigungen erkennen, die er den wichtigsten Darstellern seines , Hoftheaters' gewährte, wie beispielsweise ihre Unterbringung in kleinen Häusern statt in einer der dreistöckigen Holzpritschen in einer überbelegten Baracke oder ihre Bewirtung mit Kognak, Zigarren und Zigaretten nach Premieren, wobei er dann mit ihnen großmütig wie mit seinesgleichen bis tief in die Nacht hinein plauderte.60 Über die geistige Physiognomie dieses Mannes ist kaum etwas bekannt. Ob er das, was er mit den Künstlern ins Werk setzte, aus der sachlichen Erwägung tat, in eine Extremsituation, in der es ihm oblag, Menschen in den Tod zu schicken, Ruhe und Ablenkung hineinzubringen; ob er vielleicht ein Liebhaber der Kunst eines vergangenen Jahrzehnts war; ob er darin Befriedigung fand, die Künstler seiner Verehrung noch einmal unter seinem Kommando zu sehen; ob er die Macht genoß, große Talente in seiner Hand zu haben, über deren Leben und Tod entscheiden zu können? Wir wissen es nicht. Ein bloßer bürokratischer Vollstrecker scheint er nicht gewesen zu sein. Das ca. 60 km nördlich von Prag gelegene Theresienstadt hatten die mit der Judenvernichtung beauftragten Stellen zu einem riesigen Ghetto ausgebaut. Im Unterschied zu den Vernichtungslagern gab es hier eine kleine Chance zu überleben, wenn man nicht abtransportiert wurde. Hierher deportierten die SS-Spezialisten viele Künstler, oft aber war Theresienstadt für letztere nur eine Durchgangsstation. Unter grauenhaften Bedingungen fanden sich hier Schauspieler, Musiker zusammen, um etwas vorzuführen, was den Menschen half, über ihre Lage hinwegzukommen. In Theresienstadt wurde Moliere, Schiller, Gogol, Shakespeare, Hofmannsthal und Molnär gespielt. Selbst Opern, wenn auch nur mit Klavierbegleitung, kamen zur Aufführung. Mozarts Zauberflöte, Verdis Aida, Puccinis Tosca und La Boheme, Offenbachs Hoffmanns Erzählungen fanden ein dankbares Publikum. Ein noch größeres Betätigungsfeld, das ein breites Publikum anzog, bot die Revue, das Kabarett, die Operette. Die Faktoren, die das Theater in Theresienstadt bestimmten, hat Volker Dahm auf folgenden Nenner gebracht: „Erstens durch seine Opportunität und die damit verbundene Freizügigkeit, zweitens durch ein alle Schichten erfassendes, beinahe triebhaftes Unterhaltungs- und Bildungsbedürfnis und drittens durch den Umstand, daß auf Grund der behördlichen Gesichtspunkte für die ,Überstellung* nach Theresienstadt Tausende mitteleuropäischer Intellektueller im Lager konzentriert waren. Das Resultat war ein Veranstaltungsprogramm, das von Darbietungen hohen künstlerischen Niveaus bis hin zur 60

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Ebenda, S. 97.

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leichten Unterhaltung reichte und das in seiner Fülle und Gedrängtheit wohl alles in den Schatten stellte, was der Jüdische Kulturbund je hatte bieten können."61 Deshalb verwundert es nicht, daß man im Stab von Heinrich Himmler auf die Idee kam, hier einen Film unter dem Titel Der Führer schenkt den Juden eine Stadt zu drehen. Der Propagandazweck war ganz offenkundig. Der Film sollte das aufgebrachte Ausland über die tatsächlichen Deportationen und die Vernichtung der Juden täuschen. Mehr als mit Pressebesichtigungen konnte man mit einem solchen Film erreichen. Den Auftrag bekam der „Filmjude" Kurt Gerron. Seit Februar 1944 befand er sich mit seiner Ehefrau in Theresienstadt. Der Film sollte ein unbeschwertes, harmonisches Leben in dieser Stadt vorgaukeln. Gerron wußte, was es mit diesem Auftrag auf sich hatte. Er fragte beim Ältestenrat der Jüdischen Selbstverwaltung an, wie er sich verhalten sollte. Hätte er überhaupt ablehnen können? Ablehnung wie Annahme führten in den Tod. Gerron stieg in diese Arbeit ein und ließ sich von ihr mitreißen. Im September 1944 war sie abgeschlossen. Im Oktober 1944 bekam Gerron Bescheid, sich auf der Bahnrampe einzufinden. Der Zug nach Auschwitz stand bereit. Berichtet wird, ein völlig verstörter Kurt Gerron sei vor dem wachhabenden SS-Mann auf die Knie gefallen, der ihn mit einem Fußtritt in den Waggon befördert habe. Als die Schiebetür zufiel, war Kurt Gerron aus der Welt verschwunden. In Auschwitz kam er gleich ins Gas. Wie Kurt Gerron endeten viele. In einem Bericht der Sängerin Grabova heißt es: „Fast alle Männer - Künstler, Schauspieler, Komponisten, Sänger, Dirigenten, Instrumentalisten - kamen ums Leben. Und in Theresienstadt blieben vom ganzen Ensemble 7 Frauen, die vergessen worden waren. [...] Als der letzte Transport [...] abgefertigt wurde [...] und der Judenälteste Murmelstein dem Lagerleiter Rahm den Rest jener präsentieren wollte, die an ihm nicht vorbeidefiliert waren, [...] fragte Murmelstein, ob sie [die sieben Frauen - W. M.] in diesen letzten Transport eingereiht werden sollen, da sagte Rahm gnädig lächelnd im Wiener Dialekt: ,Aber was, lassen Se's da. Sollen's dann wieder spielen und singen.' " 6 2 In Theresienstadt kamen neben vielen anderen die Schauspieler Eugen Burg, Mathilde Sussin ums Leben, starb der Organisator des Jüdischen Kulturbundes Kurt Singer. In Auschwitz vergast wurden die Künstler Otto Bernstein, Alice Dorell, Franz Engel, Max Ehrlich, Dora Gerson, Kurt Lilien, Willy Rosen, Jenny Schaffer-Bernstein, Fritz Schönfeld, Ben Spanier, Otto Wallburg, Geza Weisz. Die Namensliste läßt sich lange fortführen. Die Sondergenehmigungen In den Kriegsjahren ging Goebbels dazu über, auch berühmte Schauspieler unter Druck zu setzen, die entweder nicht ganz „reinrassig" waren oder deren Ehepartner keine „arische Abstammung" nachweisen konnten. Unter den bekannten Darstellern, den Publikumslieblingen, war deren Zahl nicht unbeträchtlich. Um auf sie nicht verzichten zu müssen, erteilte Goebbels sogenannte „Sondergenehmigungen". Sie galten als vorläufig. Auf diese Weise konnte jederzeit Wohlverhalten eingefordert und, wenn nötig, Druck ausgeübt werden. Eine an Goebbels adressierte Liste der „aus der Reichstheaterkammer ausgeschlossenen Juden, jüdischen Mischlinge und mit Juden Verheirateten" aus dem 61 62

Die Juden in Deutschland 1933 - 1945, a.a.O., S. 262. Ebenda, S. 266.

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Jahre 1938 enthielt ca. 500 Namen. Darunter waren 76 mit einem Kreuz kenntlich gemacht; sie wurden weiter als „bühnenfähig" betrachtet und kamen für eine zeitweise gültige Sondererlaubnis in Frage. Während des Krieges engte Goebbels diesen Kreis immer weiter ein. Von den einem Millionenpublikum bekannten Darstellern besaßen zum Beispiel Georg Alexander, Paul Bildt, Horst Caspar, Joachim Gottschalk, Paul Henckels, Trude Hesterberg, Theo Lingen, Hans Moser, Henny Porten, Otto Wernicke, Erich Fiedler, Eduard von Winterstein eine solche Sondergenehmigung. Goebbels gedachte damit keineswegs großzügig umzugehen: „Wenn ein deutscher Mann es jetzt noch fertigbringt, mit einer Jüdin in einer legalen Ehe zu leben, dann spricht das absolut gegen ihn, und es ist im Krieg nicht mehr an der Zeit, diese Frage allzu sentimental zu beurteilen."63 Eine Probe aufs Exempel unternahm Goebbels bei dem jungen Schauspieler Joachim Gottschalk, der mit der jüdischen Schauspielerin Meta Wolff verheiratet war. Gottschalk, der in den letzten Jahren einen Erfolg nach dem anderen feiern konnte, sei es im Film oder auf der Bühne, zuletzt in dem Film Die schwedische Nachtigall mit Ilse Werner, war zu einem begehrten Darsteller geworden. Veit Harlan wollte ihn als Partner für Kristina Söderbaum in dem Film Die goldene Stadt haben. Aber da schaltete sich Goebbels ein. Vorher müsse sich Gottschalk von seiner jüdischen Frau trennen. Auf diese Bedingung ging Gottschalk nicht ein. Als der Druck stärker wurde, schied er am 5. November 1941 mit seiner Frau und seinem Sohn aus dem Leben. Er war kein Hitlergegner, eher national gesinnt und vom Sieg der Nationalsozialisten in ganz Europa überzeugt. Deshalb sah er auch in der ihm angebotenen Ausreise seiner Frau in die Schweiz keine Chance. So wählten sie den Freitod. Obwohl Goebbels alles unternahm, damit von diesem tragischen Vorfall nichts an die Öffentlichkeit drang, löste er doch unter den Künstlern tiefe Betroffenheit aus. Es schien Goebbels auch nicht angeraten, weitere Versuche in dieser Hinsicht zu unternehmen. „Der damalige Oberspielleiter am Berliner Schiller-Theater Walter Felsenstein entgegnete beispielsweise auf das Ansinnen, sich scheiden zu lassen, eher würden er und die anderen Betroffenen ,den Weg von Gottschalk gehen'." 64 Mit geradezu unglaublicher Naivität und Demut wandte sich der Schauspieler Hans Moser nach dem „Anschluß" Österreichs mit einem Brief an „seinen Führer", in dem er sich für seine jüdische Frau einsetzte: „Mein Führer! Ich lebe mit meiner Frau seit 25 Jahren in glücklicher Ehe. Ich bin vollkommen arischer Abstammung, während meine Frau Jüdin ist. Die für Juden geltenden Ausnahmegesetze behindern mich außerordentlich, insbesondere zermürben sie mich seelisch, wenn ich ansehen muß, wie meine Frau, die so viel Gutes für mich getan hat, dauernd abseits stehen muß. Ich würde mir nicht erlaubt haben, dieses Gnadengesuch einzubringen, aber ich habe so viel Kummer (jetzt wieder durch die neuen Reisebestimmungen). Ich bitte Sie deshalb inständigst, meiner Gattin die für Juden geltenden Sonderbestimmungen gnadenweise zu erlassen, insbesondere von der Eintragung des ,J* in ihrem Paß und von der Führung des ihr auferlegten jüdischen Vornamens zu befreien. Heil mein Führer!"65 Es wird nicht dieses Schreiben gewesen sein, das Hitler bewog, Mosers „Gnadengesuch" zu entsprechen. Der Schau63

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Joseph Goebbels am 11. März 1943. In: Goebbels' Tagebücher aus den Jahren 1942 - 43. Mit anderen Dokumenten hrsg. von Louis Lochner. Zürich 1948, S. 267. In: Wolf-Eberhaidt August: Die Stellung der Schauspieler im Dritten Reich, a.a.O., S. 253. In: Oliver Rathkolb: Führertreu und gottbegnadet. Künstlereliten im Dritten Reich. Wien 1991, S. 39.

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus

spieler, nicht nur auf der Bühne, sondern vor allem im Film unentbehrlich, besaß beim Publikum zuviel „außerordentliche Durchschlagskraft", als. daß auf ihn hätte verzichtet werden können. Glanz und Elend des Exiltheaters Exiltheater - „ein Nonsens"? Der Schauspieler im Exil hatte es meist schwerer als der Schriftsteller, der Komponist, der Maler. Der Schauspieler wirkt immer nur jetzt, im gegenwärtigen Augenblick. Er ist auf einen komplizierten Apparat, das Theater, und auf ein Publikum angewiesen. Als wesentliches Ausdrucksmittel dienen ihm sein Körper und seine Sprache. Sich auf der Bühne in einer anderen Sprache auszudrücken, betrachteten viele als eine Barriere, die sie meinten, nicht überspringen zu können. Ein Dialog wird auf der Bühne durch den Untertext lebendig, durch Zwischentöne. Zudem besitzt jeder bedeutende Schauspieler seine eigene Sprachmelodie, die zu dem Zauber seiner Persönlichkeit gehört. All das war schwer in eine andere Sprache zu übertragen. Nur wenige schafften es. Für den geglückten und den vergeblichen Einstieg in eine andere Sprache stehen die Namen der Schauspieler Elisabeth Bergner und Fritz Kortner. Der Bergner gelang es, im Exil ihre Karriere fast nahtlos fortzusetzen. Sie blieb auf der Erfolgsleiter. Ob es zwischen den Rollen in deutscher und englischer Sprache vielleicht doch einen Qualitätsunterschied gab, läßt sich - zumindest für das Theater - schwer sagen. Daß Fritz Kortner in der anderen Sprache letztlich durchfiel und kaum noch beschäftigt wurde, lag sicher nicht an mangelnder Begabung für Fremdsprachen. Schauspieler sind geübt und lernen leicht. Seine Darstellungskunst, seine spezifische Eigenart, war stärker an die Entwicklung deutscher Schauspielkunst nach 1918 gebunden. Diese persönliche Note, den Kern seiner schauspielerischen Individualität, wollte er nicht ohne weiteres aufgeben. Einige Schauspieler vermochten sich trotzdem auf englischsprachigen Bühnen durchzusetzen: Adolf Wohlbrück, Lilly Kann, Gerhard Hinze, obwohl auch sie in gleicher Weise von der Theaterkultur der Weimarer Republik geprägt waren. Etwas Vergleichbares gelang aber nicht in Paris und in anderen europäischen Städten. Eine Ausnahme in dieser Hinsicht war Alexander Moissi. Von Geburt im Vorteil, Sohn eines albanischen Vaters und einer florentinischen Mutter, wuchs er im multikulturellen Triest auf und vermochte in deutscher, englischer, auch russischer, französischer und italienischer Sprache zu spielen. Wie an der Oper, so hätte er es gern gesehen, eine Rolle in der jeweiligen Originalsprache zu spielen. Mit jeder neuen Sprache erschließe sich ihm auch ein neues Leben. Doch über solche Voraussetzungen verfügte kaum ein anderer. Allein die Sprachbarriere bewirkte, daß sich das Augenmerk der Schauspieler, die Deutschland verlassen mußten, auf die Bühnen Österreichs, der Schweiz und auf die deutschsprachigen Theater in der Tschechoslowakei richtete. Das waren durch Gastspiele vertraute Bühnen, die der innerdeutschen Theaterkultur und -organisation entsprachen und zu denen seit je vielfältige persönliche Beziehungen bestanden. Österreich galt allerdings als anschlußverdächtig, obwohl einer Eingliederung in das Deutsche Reich völkerrechtliche Bestimmungen entgegenstanden. Viele Emigranten betrachteten diese Zuflucht als Wagnis und nutzten Österreich nur als Durchgangsstation. Dennoch war der Zustrom gerade von Theaterleuten nach 1933 beträchtlich. In dem ersten Jahrfünft 41

Werner Mittenzwei der Hitlerdiktatur muß Österreich durchaus als Aufnahmeland angesehen werden, obwohl es bereits damals schon österreichische Künstler gab, die wie ihre deutschen Kollegen das Land verließen. Die demokratischen Freiheiten wurden schon unter der Dollfuß-Regierung eingeschränkt.66 Bevorzugt wurde die Theaterstadt Wien. Vor allem zog es diejenigen Künstler in diese Stadt, die sich im heiteren Genre einen Namen gemacht hatten, sei es nun auf dem Theater oder im Film. Viele von ihnen waren hier geboren oder hatten hier ihre Karriere begonnen. Oft bestand noch ein Kontakt zu den Theatern dieser Stadt. Nur zu verständlich, daß sie zuerst nach Wien emigrierten. Aber selbst berühmten Theaterleuten, die hier schon Triumphe gefeiert hatten, kam man nicht entgegen, so daß sie kaum wieder Fuß fassen konnten. Ihnen blieb vorerst nur übrig, Wien als Ausgangspunkt für Gastspiele in andere Länder und Städte zu benutzen. Die großen Theater, vor allem das Burgtheater, zeigten sich abweisend. Kortner kam in seine Vaterstadt nur, um seine Eltern zu besuchen. Daß er am Burgtheater auftreten würde, schien undenkbar. Während zur gleichen Zeit viele österreichische Schauspieler in Berlin spielten, boten die österreichischen Bühnen nicht an, ihre aus Deutschland vertriebenen Kollegen aufzunehmen. Die österreichischen Theater nutzten nicht einmal - wie das Zürcher Schauspielhaus die Chance, gute Schauspieler billig einzukaufen. Wenn Schauspieler auf der Flucht überhaupt eine Wahl hatten, mußten sie überlegen, in eine Stadt zu gehen, die ein vielfältiges Theaterleben besaß und über ein entsprechendes Publikum verfügte. Die Auswahl war nicht allzu groß. Riskant erwies sich der Schritt ins Exil insbesondere für jene, die in den letzten Jahren zwar Aufmerksamkeit gefunden hatten, die aber noch nicht auf der oberen Stufe des Ruhms standen. Für sie, die im Aufstieg begriffen waren, blieb es höchst ungewiß, ob sie ihre Karriere würden fortsetzen können. Daß eine ganze Reihe von ihnen wie Steckel, Ginsberg, Langhoff, Heinz, Paryla, die Giehse als Berühmtheiten zurückkehrten, besagt nicht, daß das Wagnis unbegründet gewesen ist. In ihrem Fall gab es ungewöhnlich günstige Umstände. Weit verhängnisvoller war die Lage für die nichtprominenten Schauspieler: Sie wurden vollends an den Rand des Theaterlebens gedrängt: zu temporär spielenden Bühnen, zum „Amüsiertheater". Das Exil erwies sich vielleicht als eine Schule der Lebenskunst, ein Wegbereiter der Schauspielkunst war es nicht. Vom Exil des einzelnen Schauspielers führt der Weg nicht unmittelbar zum Exiltheater. Der Begriff ist umstritten. Er sei eine Erfindung der Germanisten, die ihn von der Literatur auf das Theater übertragen hätten. Bereits in der ersten umfangreichen Darstellung über das Theater im Exil sah sich der Autor Hans-Christof Wächter gleich auf der ersten Seite genötigt, auf diesen Streit einzugehen: „[...] doch gilt es, einer offensichtlich weit verbreiteten Meinung entgegenzutreten, die schlicht besagt, ein Theater im Exil habe es im Grunde nicht gegeben und einzelne stattgefundene Produktionen seien ohne Auswirkungen und Einfluß auf die weitere Entwicklung geblieben."67 Die Einwände lassen sich nicht ohne weiteres zur Seite schieben. Theater existiert in der Einheit von Darstellungskunst und Zuschaukunst. Die Kunst, die auf einer Bühne vorgeführt wird, findet in der Aneignung durch den Zuschauer ihren Abschluß. Erst in der Aufnahme 66 67

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Vgl. hierzu den Artikel von Hilde Haider-Pregler in diesem Band, S. 97-155. Hans-Christof Wächter: Theater im Exil. Sozialgeschichte des deutschen Exiltheaters 1933 - 1945. München 1973, S. 7.

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus

durch den Zuschauer realisiert sich Theaterkunst. Brecht pflegte zu sagen, Theater ohne Publikum sei ein Nonsens. Hatte das Theater im Exil ein Publikum? Trat ein emigrierter Schauspieler nicht in einem großstädtischen Theater des Auslands auf, das ein angestammtes Publikum besaß, sondern in einem im Exil gebildeten Ensemble, spielte er meist nicht vor einem Publikum, sondern vor einer Gemeinde: der Gemeinde der Emigranten. Das Exiltheater ist deshalb nach Publikumsformen zu unterscheiden. In der Regel richtete sich das Exiltheater auf diese „Gemeinde" aus: auf den Zusammenhalt unter den Emigranten, auf einen bestimmten Freundeskreis, auf einen Club, auf politische und kulturelle Institutionen, die sich die Flüchtlinge geschaffen hatten. Theater erschien nur möglich, wo sich aus politischen, geographischen und existentiellen Gründen viele Emigranten zusammenfanden und gegenseitige Verständigung suchten. Obwohl ein Theater durch eine Gemeinde mehr Unterstützung fand als durch ein allgemeines Publikum, war es doch nicht das, was ein Theater braucht. Publikum ist immer etwas Anonymes. Erst dadurch erfährt man, was wirkt. Gerade durch die Anonymität kommen unverhoffte Wirkungen zustande, entstehen nicht vorhersehbare Spannungen. Eine Gemeinde geht von bestimmten Erwartungen aus, die das Theater thematisch und künstlerisch binden, ggfs. einigen. Die Abhängigkeit eröffnet Chancen, aber schafft mehr noch Spannungen, die vom Theater ausgeglichen werden müssen. Helmut Müssener hat am Beispiel der Kulturbundbühne in Schweden sehr anschaulich dargestellt, wie sich ein Teil der jüdischen Emigranten durch die allzu deutsche Tradition abspaltete, wie österreichische Emigranten wegblieben, weil ihnen der Spielplan zu norddeutsch, zu „reichsdeutsch" erschien. Dieser Sachverhalt hat sich an allen Orten in modifizierter Form wiederholt. Die erzwungene Abwanderung deutscher Künstler ins Exil setzte zu einem Zeitpunkt ein, als sich die Kunst der Weimarer Republik nicht nur in einer wirtschaftlichen, sondern auch in einer Orientierungskrise befand. Quo vadis Moderne? Im Ausland, ohne die organisatorischen Bindungen und den Kontakt mit einem großen Publikum, konnten bestimmte Versuche nicht fortgeführt werden. Was eintrat, war der Abbruch aller bisherigen Arbeitsbeziehungen. Plötzlich war da nichts mehr. Das traf vor allem jene, die sich um ein revolutionäres Theater, um neue Ausdrucksformen bemüht hatten. Nicht nur, daß ihre Wortführer eingesperrrt oder verfolgt wurden - auch die Möglichkeit des Experimentierens, des organisatorischen Zusammenschlusses ging verloren. Die neuen Kunstentwürfe, die zu Beginn der dreißiger Jahre erprobt wurden, zielten auf eine Revolutionierung der Rezeptionsebene, auf eine radikale Veränderung des Verhaltens von Kunstproduzenten und Kunstkonsumenten. Verallgemeinert wurden diese Bemühungen unter dem Begriff „Materialästhetik".68 Die Materialästhetik schöpfte ihre Vorstellungen aus der subjektiven Revolutionsbereitschaft der Massen, aus deren Veränderungswillen, aus deren Sehnsucht nach einer neuen Zeit, wie auch aus der organisatorischen Basis, die durch die proletarische Kunstoffensive entstanden war. Die Gesamtheit dieser Bewegung war durch die faschistische Diktatur an ihrer Wurzel getroffen. Die deutsche Arbeiterklasse, damals die bestorganisierte der Welt, erlitt eine Niederlage, von der sie sich nicht wieder erholte. Im Exil fehlten jegli68

Vgl.: Werner Mittenzwei: Brecht und die Schicksale der Materialästhetik. In: Wemer Mittenzwei: Kampf der Richtungen. Leipzig 1978.

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Werner Mittenzwei che Voraussetzungen, um diese Bemühungen fortzusetzen. Es fehlte das neue Publikum. Die „Fundierung auf Politik" (Benjamin) war im Theater des Exils nicht mehr in der Weise machbar, wie in den Jahren der Weimarer Republik. Besonders schlimm wirkte sich der Bruch auf dem Gebiet des Arbeitertheaters aus. Hier kam er einer Vernichtung des bisher Erreichten gleich. Bereits zu Beginn der dreißiger Jahre mühte sich Erwin Piscator im Internationalen Arbeitertheaterbund/Internationaler Revolutionärer Theaterbund (IRTB/ARTB), eine Veränderung der Publikumsorganisation zu erreichen. Ihm schien eine breitere Basis notwendig, die sich auch wirtschaftlich trug. „Wo es keine Konsumenten gibt, gibt es auch keine Produzenten,"69 war sein Standpunkt, der in drastischer Form auch das Dilemma des Exiltheaters beschreibt. Ihm kam es darauf an, ausgehend von der Organisation der Jungen Volksbühne über die Idee eines Deutsch-Russischen Theaters, eines Internationalen Theaters, den „Gedanken einer Zuschauerorganisation auch im internationalen Maßstab" zu entwickeln.70 Zwar gelang es, bereits vor 1933 innerhalb des IRTB einige ideologische Schranken beiseite zu räumen und die Einrichtung schrittweise zu einer Vereinigung aller revolutionären Theaterleute, vor allem aus dem Berufstheater, auszubauen. Sogar Max Reinhardt wollte Piscator für seinen Bund gewinnen. Doch die sowjetische Kulturpolitik übte einen immer stärkeren restriktiven Einfluß auf diese Einrichtung aus. Der Elan, im internationalen Maßstab zu denken und zu organisieren, verlor sich. Piscator, der sich seit 1931 in der Sowjetunion befand, erklärte 1932: „Wenn wir keine Basis schaffen, auf der professionelle Theater entstehen, sich entwickeln und ein neues System erarbeiten können, auf wen sollen wir uns dann stützen?"71 Das wurde zur entscheidenden Frage für die Theaterleute im Exil. Als 1937 der IRTB auf Anordnung der Komintern aufgelöst wurde, gab es keine organisatorische Basis mehr, um weitgespannte Projekte zu verwirklichen. Piscator konnte weder sein Projekt in Engels noch seine Friedensfestspiele, die er auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs aufzuführen gedachte, durchführen. Mit dem Vorwurf belastet, sich immer mehr den Trotzkisten zu nähern, wurde er aus der kommunistischen Arbeiterbewegung hinausgedrängt. Als er von Paris nach den USA emigrierte, war die Zeit des revolutionären Theaters, die Zeit der Verheißungen, weltweit vorbei.

Grundformen des Exiltheaters Eine Definition des Exiltheaters ist nur über die einzelnen Grundformen möglich. Über sie eröffnen sich die Vielfalt, die enormen Anstrengungen und die Verdienste dieser Bühnen, die in der Theatergeschichte ein eigenes Kapitel beanspruchen können. Das Exiltheater kann nur mit einer Methode erfaßt werden, die seiner Eigenart und seinen besonderen Bedingungen gerecht wird. Dazu gehört, daß die ökonomischen, gesellschaftspolitischen und kulturellen Bedingungen des Exillands berücksichtigt werden. Mehr als in der allgemeinen Theatergeschichte sind die politischen und persönlichen Motive zu untersuchen, die zum Theaterspiel im fremden Land Anlaß gaben. Exiltheater mag aus den unterschiedlichen Anlässen stattgefunden haben, letzten Endes war es im69

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In: „Wenn wir zu spielen - scheinen". Studien und Dokumente zum Internationalen Revolutionären Theaterbund. Hrsg. von Peter Diezel. Bern 1993, S. 24. Vgl. den Artikel von Peter Diezel in diesem Band, S. 289-318. Peter Diezel: „Wenn wir zu spielen - scheinen", a.a.O., S. 24.

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mer Bekenntnistheater. Selbst das reine Spiel vermittelte durch den Umstand, warum gespielt wurde und wer auf der Bühne stand, eine Botschaft. Das Exiltheater konnte die Berührung mit den Theaterverhältnissen des Gastlandes nicht umgehen, sie kam ganz zwangsläufig zustande. Ein solches Zusammenwirken vollzog sich auf sehr verschiedene Weise, im Rahmen freundschaftlicher Unterstützung und Hilfe, aber es konnte auch in einem Spannungsverhältnis zu den Behörden und Organisationen bestehen. Je bedeutender, künstlerisch und politisch gewichtiger das Theater der Emigranten war, desto mehr rückte es in Beziehung zu dem des entsprechenden Landes, seiner Tradition, seinem politischen und kulturellen Grundverständnis. Eine spannungsvolle Wechselbeziehung Schloß eine produktive Beeinflussung und Entwicklung nicht aus. Andererseits konnten die künstlerischen Veranstaltungen der Emigranten in der Theaterlandschaft des Gastlandes völlig randständig bleiben, so daß sie von der Öffentlichkeit fast unbemerkt blieben. Aber ein Zusammenwirken gab es schon deshalb, weil sie sich in die entsprechenden gesetzlichen und kulturellen Bedingungen einfügen mußten. Ein Emigrant konnte unter Umständen im fremden Land illegal existieren, das Theater der Emigranten nicht. So ist Exiltheater immer zugleich auch integraler Bestandteil des kulturellen Lebens im jeweiligen Exilland. Es wird der Theater- und Kulturwissenschaft jener Länder obliegen, wie sie eine solche Erscheinung im Gesamtbereich ihrer Theaterentwicklung wertet. Exiltheater gliedert sich in historische Phasen und existiert in verschiedenen Grundformen. Zunächst muß man zwischen zwei Phasen unterscheiden, die durch die politischen Ereignisse in Europa bestimmt wurden. Der Einschnitt, der die beiden Phasen voneinander trennt, liegt zwischen März 1938, dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich, und den Jahren 1940/41. Danach war das europäische Exil fast unmöglich geworden. Der Zweite Weltkrieg rückte das Interesse an kulturellen Aktionen in der Öffentlichkeit in den Hintergrund. In der ersten Phase gab es zahlreiche antifaschistische Betätigungen in den an Deutschland angrenzenden Ländern. Die Emigranten flohen in die Anrainerstaaten, formierten sich in Tournee-Ensembles, in Kabaretts, in operativen Spieltrupps und Clubs mit kulturellen Programmen. Der politische Impuls, Widerstand zu leisten, sich zu wehren, Zeugnis abzulegen, bestimmte weitgehend diese Aktionen. Es war der Versuch, das progressive Theater der Weimarer Republik fortzuführen. In Deutschland gab es für die aus rassenideologischen Gründen aus ihren künstlerischen Berufen Vertriebenen noch die Möglichkeit, im Jüdischen Kulturbund ein Betätigungsfeld zu finden. Prominente jüdische Künstler wichen in das deutschsprachige Theater der Anrainerstaaten (Österreich, Tschechoslowakei, Schweiz) aus. Der politische Druck der nationalsozialistischen Regierung schränkte aber diese Betätigung zunehmend ein. Es gab Künstler, die über Gastspiele ihre künstlerische Existenz zu erhalten suchten und sich noch nicht völlig zur Emigration entschließen konnten. In der zweiten Phase änderten sich die Bedingungen grundlegend. Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich und der verstärkten Ausreise von Juden nach den Novemberpogromen 1938 veränderte sich auch die Zusammensetzung des Exils. Die aus Deutschland und Österreich geflohene Bevölkerung war wesentlich durch die deutsche Kultur geprägt und bekannte sich zu ihr. Die Verfolgung und Vertreibung erschütterte jedoch die jüdischen Bevölkerungsteile in ihrem sozialen und kulturellen Bewußtsein, so daß es im Exil auch zu einer stärkeren Rückbesinnung auf die jüdische 45

Werner Mittenzwei Herkunft und Tradition kam. Das führte dazu, daß man sich aus jüdischer Selbstbehauptung differenzierter zur deutschen Kultur verhielt. Diese komplizierten Prozesse spiegeln sich in der Publikumsstruktur und in der Entwicklung des Exiltheaters wider. Auch in dem aktiven politischen Exil gab es Veränderungen. Der angestrebte und anfangs mit großem Elan betriebene Zusammenschluß aller antifaschistischen Kräfte kam nicht voran und erlitt Rückschläge. Die Volksfrontpolitik büßte selbst unter den Kräften, die sie nachdrücklich befördert hatten, ihre Dynamik ein. Zurückzuführen war das auf zwei Faktoren: die Moskauer Prozesse, die Stalin 1936 und 1938 gegen die innerparteiliche Opposition anstrengte, und auf den Hitler-Stalin-Pakt von 1939, der zu einem zeitweiligen Bündnis, zu einem Nichtangriffspakt zwischen Hitlerdeutschland und der Sowjetunion, führte. Diese Ereignisse lösten größte Verwirrungen aus. Sie dezimierten auch die politischen Aktionen des Exiltheaters. Der zusammenführende Impuls wurde schwächer. Erst in den letzten Kriegsjahren kam es wieder zu einer stärkeren Belebung. In der zweiten Phase bildeten sich durch die radikale Verfolgung der Juden in dem besetzten Österreich und der Tschechoslowakei neue Emigrantenensembles in den Überseeländern. Sie richteten sich vorwiegend auf das jüdische Publikum der Vertriebenen aus, das in diesen Ländern überwog. Das Exiltheater der zweiten Phase unterschied sich wesentlich von der Anfangsphase, obwohl sich die Grundformen als übergreifend erwiesen. Es wurde im starken Maße von nichtprominenten Künstlern bestimmt. Der Spielplan war stärker an dem Publikumsinteresse orientiert und daher unpolitischer, mehr auf Unterhaltung ausgerichtet. In den Ensembles gab es sowohl reichsdeutsche als auch österreichische Schauspieler. Zwischen folgenden Grundformen des Exiltheaters ist zu unterscheiden: 1. Theater der Gemeinsamkeit (Gruppentheater), 2. Kabarett und Kleinkunsttheater, 3. Ensemblebildung innerhalb des großstädtischen Berufstheaters, 4. der Alleingang in der Fremde, 5. Leistungen der Emigranten für die nationale Kultur des Exillandes. a) Theater der Gemeinsamkeit Überall, wo Zentren des Exils entstanden, wurde der Versuch gemacht, Theatergruppen zu bilden. Man fand sich in ad hoc gebildeten Ensembles im Rahmen von politischen Organisationen wie später in dem in verschiedenen Ländern gegründeten Freien Deutschen Kulturbund zusammen, um ein Forum zu haben, von dem aus auf die Gefahr des Faschismus aufmerksam gemacht werden konnte, wo es eine Gelegenheit gab, seinen Beruf weiter auszuüben, wo dem Bedürfnis nachgegangen werden konnte, an das kulturelle Leben vor der Zeit der Verfolgung anzuknüpfen. Man ließ sich davon leiten, das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Emigranten zu stärken, das Leben in der Fremde erträglich zu machen. Hierin bestand der am weitesten gefaßte Konsens dieses Theaters der Gemeinsamkeit. Gründungen dieser Art waren in ihren Absichten, ihrer Zusammensetzung wie in ihren künstlerischen Ergebnissen sehr verschieden. Es gab Aufführungen, die im Rahmen des Laientheaters blieben. Emigranten standen auf der Bühne, die aus verschiedenen Berufen kamen, Schriftsteller, Maler, Musiker. Die Anregung zum Spiel ging meist von Schauspielern aus. Doch auch dort, wo sich Ensembles aus Berufsschauspielern bildeten, kam kaum eine Truppe ohne Laien aus. Die breite, vielfältige Theaterbewegung, 46

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die es in Deutschland gegeben hatte, wirkte auf diese Weise fort. Das Zusammenspiel von Berufskünstlern und Laien führte in einigen Fällen zu beachtlichen Erfolgen. Eine besondere Stellung nahmen dabei einzelne Spieltrupps ein, die an die Traditionen des Arbeitertheaters der Weimarer Republik anknüpften. Als politische Spieltrupps besaßen sie zumeist nur wenig Auftrittsmöglichkeiten; häufig suchten sie daher die Anbindung an das Kabarett. Theatergeschichtlich von Bedeutung waren die beiden Brecht-Inszenierungen Die Gewehre der Frau Carrar und 99 % („Furcht und Elend des Dritten Reiches"), die 1937 und 1938 unter der Regie von Slatan Dudow in Paris zustande kamen. In beiden Aufführungen spielte Helene Weigel, in der von 99 % am 21. Mai 1938 auch Ernst Busch. Die beiden Inszenierungen Slatan Dudows mit dem kleinen Emigrantenensemble DIE LATERNE wurden ein Erfolg, der nicht nur die Spieler ermutigte, ihre Arbeit fortzusetzen, der auch den Dichter bewog, weiter für die kleinen Spieltrupps der Emigranten zu schreiben. Nach der Aufführung von Die Gewehre der Frau Carrar heißt es in einem Brief Brechts an Helene Weigel: „Bis Du kommst, hoffe ich, die paar kleinen Stücke über Deutschland fertig zu haben. [...] Ich habe große Lust, wieder so etwas zu machen, jetzt nach Paris, am meisten vor allem dazu. So kann man besser als irgend sonst die epische Spielweise weiterbilden."72 Bei den Pariser Inszenierungen konnte an bestimmte Erfahrungen und Experimente aus der Zeit der Weimarer Republik angeknüpft werden. Hier wurde nicht nur ein Standard bewahrt, sondern vom Dichter und vom Regisseur der Versuch gemacht, einen Neuansatz zu finden, um unter den Bedingungen des Exils ein modernes Theater auszubilden. In der Emigration ein nicht allzu häufiger Vorgang! Was allerdings nicht gelang, war die kontinuierliche Fortsetzung der Arbeit in Frankreich. In der Forschung gibt es noch immer eine unterschiedliche Bewertung dieser kleinen Spieltrupps, die nur mit wenigen Aufführungen hervortraten. Einerseits wird die politische Initiative überbewertet und dadurch kaum in Betracht gezogen, wie wenig Zuschauer im Grunde die Aufführung sahen. Eben nur eine Gemeinde! Andererseits wäre es verfehlt, die geringe Wirkung zum Maßstab zu machen und diese Vorstellungen nicht als geschichtswürdigen Vorgang zu betrachten. Das Exiltheater blieb auch in der Öffentlichkeit des Auslands weitgehend ausgegrenzt; es mußte sich über viele Schwierigkeiten und Hemmungen hinweg Aufmerksamkeit verschaffen. Seine eingeschränkte Resonanz gehörte zu den Bedingungen, unter denen es existieren mußte. Aber auch unter diesen Voraussetzungen vermochte es dem Zuschauer klarzumachen, „was ein deutsches Theater bedeuten kann" (Anna Seghers über die Pariser Brecht-Aufführung). Während des Krieges bildeten sich in den Internierungslagern Theatertruppen. Auch hier waren Repertoire und Absicht sehr verschieden. Der Zweck des Theaterspiels reichte von der Beschäftigung als Lebenshilfe - so vor allem in Gurs und in den englischen Internierungslagern - bis zum engagierten antifaschistischen Bekenntnis als Ausdruck des Widerstands gegen die Hitlerdiktatur wie in den Internierungslagern Gordola und Bassecourt in der Schweiz. Dagegen wurde während des Krieges das Angebot deutscher Emigranten in der Sowjetunion zurückgewiesen, in den Kriegsgefangenenlagern Theatergruppen aufzubauen. 72

Bertolt Brecht an Helene Weigel. Brief von Anfang November 1937. In: Bertolt Brecht: Briefe. Hrsg. und kommentiert von Günter Glaeser. Frankfurt a.M. 1981, S. 141.

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In der zweiten Phase des Exils tauchen zunehmend stärker professionelle und halbprofessionelle Bühnen auf: so das LATERNDL und die KLEINE BÜHNE in Großbritannien, die ÖSTERREICHISCHE BÜHNE in N e w Y o r k u n d die FREIE DEUTSCHE BÜHNE in B u e n o s

Aires. Von ihnen ist die FREIE DEUTSCHE BÜHNE sicherlich die bedeutendste Gründung. Während die Spieltrupps sich an den Traditionen des Arbeitertheaters der Weimarer Republik orientierten, richtete sich die Theaterarbeit der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE in Buenos Aires ganz an der harten, unerbittlichen Realität aus. Die Bühne durchlief alle nur denkbaren Schwierigkeiten, war aber eben deshalb typisch für das Theater der Emigration. Obwohl hier nur von Monat zu Monat, von Woche zu Woche geplant werden konnte, was gespielt wurde, gelang eine kontinuierliche Arbeit über einen längeren Zeitraum, blieb das Theater von 1940 bis über das Jahr 1945 hinaus bestehen. Es ist vor allem dem Gründer dieser Bühne, P. Walter Jacob, zu danken, daß er mit kleinsten Größen zu projektieren verstand und stets vor dem Spiel daran dachte, wem er es vorführen konnte, aus welchen Menschen sich sein Publikum zusammensetzen werde. Als er in Buenos Aires eintraf, erkundigte er sich zuerst, wieviel deutschsprechende Einwohner es in dieser Stadt gab und welche wohl ein Theater besuchen würden. Buenos Aires besaß eine über mehrere Einreisewellen zustande gekommene deutsche Kolonie, die sich aber in ihrer Mehrheit unpolitisch verhielt. In dieser Stadt bestand bereits eine deutsche Bühne, die sich nationalsozialistischer Unterstützung erfreute. Dennoch gelang es, von 1940 bis 1945 mehr als 80 Lustspiele, sieben Kriminalspiele, eine Operette und elf moderne Stücke aufzuführen. Ein politisch ausgerichteter Spielplan war jedoch aufgrund der Publikumsstruktur nicht möglich. Die Besonderheiten dieses Theaters und seiner Existenzbedingungen im Unterschied zu anderen Exilbühnen hat Frithjof Trapp herausgearbeitet, der besonders hervorhob, daß es sich hier um eine Gründung in einer späten Phase handelt, in der das Theater eine andere Rolle spielte als unmittelbar nach 1933. Die Judenvernichtung im „Dritten Reich" führte in der Emigration dazu, daß die Juden eine größere selbständige Rolle spielten, jetzt auf ihrer eigenen Kultur bestanden. Ein Umstand, der die Spielplangestaltung schwierig machte. Dazu kam: Das überseeische Exiltheater war weiter von den Traditionen der Weimarer Republik entfernt als das Theater, das nach 1933 in den Nachbarländern Deutschlands gemacht werden konnte. Obwohl an der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE kaum Stücke mit einer ausgeprägten antifaschistischen Tendenz gespielt wurden, stellte dieses Theater eine antifaschistische Position dar; denn auf dieser Bühne standen Leute, die vertrieben, ausgegrenzt worden waren, die allein schon durch ihr Spiel dagegen protestierten, was in Deutschland geschah, was ihnen widerfahren war. b) Kabarett und das Kleinkunsttheater Von allen Formen theatralischer Darbietung kam im Exil dem Kabarett die größte Bedeutung zu. Vom Anfang bis zum Ende blieb es in allen Ländern das gefragteste Genre. Wo ein paar Leute zusammensaßen, konnte Kabarett gemacht werden. Wo sich ein Club bildete, entstand auch bald ein Kabarett. Seine Wirkung ging auch im kleinsten Kreis nicht verloren, sie konnte da sogar noch gewinnen. Es war leichter möglich, die Darbietungen zu erweitern, zu größeren Formen auszubauen, wenn mehr Publikum kam, wenn es beständig blieb. Für Dudows Truppe in Paris bildete das Kabarettprogramm die Basis, den Ausgangspunkt, um Stücke aufzuführen. Doch selbst Truppen, die es zum 48

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Schauspiel drängte, kamen auf die Dauer nicht ohne kabarettistische Darbietungen aus. Sie ließen sich mit einem Minimum von Ausstattung bewerkstelligen. Die Spielstätten konnten schneller gewechselt werden als bei Theateraufführungen. Ein unschätzbarer Vorteil für kleine Truppen, die selten wußten, was ihnen am anderen Tage an finanziellen Mitteln noch zur Verfügung stand. Bevorzugt wurde das Kabarett nicht zuletzt von politischen Emigranten, die ihr Publikum darüber aufklären wollten, was in Deutschland unter Hitler vor sich ging. Man konnte schnell auf politische Tagesereignisse reagieren. Zudem bot die nationalsozialistische Führungsriege ein unerschöpfliches Reservoir für kabarettistische Wirkungen im Ausland. Die Kabarettkunst hatte in Deutschland zu Beginn der dreißiger Jahre einen Ruhm und eine Popularität erreicht wie nie zuvor. Da das Kabarett über eine ganze Reihe von international berühmten Darstellern jüdischer Herkunft verfügte, bekannt auch durch den Film, erlitt es nach 1933 die größten Verluste. Mit Hitler vollzog sich im wahrsten Sinne des Wortes „das Ende der Spaßmacher" (Karl Schnog). Sie starben in Buchenwald und Dachau oder wurden in Auschwitz vergast. Kein anderes Genre wurde von den Nationalsozialisten so liquidiert wie das Kabarett. Seine Niveauunterschiede mußten sich im Exil noch größer ausnehmen als vor 1933. Von den Stars Max Ehrlich, Willy Rosen, Kurt Gerron, Paul Morgan konnte sich keiner zur aggressiven antifaschistischen Satire entschließen. Ensembles dieser Art aufzubauen gelang weit eher jüngeren Kräften wie Erika Mann und Leuten, die von ganz anderen Tätigkeiten kamen, aber von ihrer Haltung her und durch die politische Situation zur Satire gedrängt wurden. Auf diese Weise entstanden einige berühmte Ensembles, die die Kabarettkunst des Exils repäsentieren: DIE PFEFFERMÜHLE, geleitet von Erika Mann; STUDIO 1934 in Prag mit Hedda Zinner, Fritz Erpenbeck; DIE LATERNE in Paris mit Hans Altmann, Günter Ruschin, Steffi Spira, Henryk Keisch; DAS LATERNDL in London mit Paul Lewitt, Paul Knepler, Georg Knepler, Martin Miller, Otto Stark; in England bestand neben dem LATERNDL noch die KLEINE BÜHNE mit Fritz Gottfurcht, Erich Freund, Annemarie Hase; das DEUTSCHE THEATER „KOLONNE LINKS" in der

UdSSR, eine Truppe, die Helmut Damerius aufbaute. Erika Manns PFEFFERMÜHLE kommt dabei sicher die größte Bedeutung zu, weil es hier durch Therese Giehse, Robert Trösch und einige hervorragende Schweizer Künstler zu kabarettistischen Spitzenleistungen kam, die in der Geschichte des Exilkabaretts verzeichnet bleiben, aber auch durch den größeren Aktionsradius dieses Ensembles, der sich über mehrere Länder bis in die USA erstreckte. Im Unterschied dazu gab es Darbietungen, die für den Tag bestimmt waren, denen keine Bedeutung in der politischen Auseinandersetzung zukam. Ein spezielles Zentrum bildete sich, wie Jacques Klöters in seinem Artikel zeigt, um Willy Rosen und Rudolf Nelson in den Niederlanden. Holland nahm das Angebot freundlich auf. Eine vergleichbare, allerdings stärker auf Einzelpersonen: Karl Farkas, Fred Spielmann, Armin und Jimmy Berg, ausgerichtete Entwicklung gab es in New York während der vierziger Jahre. In geringerem Umfang entstand Anfang der dreißiger Jahre Vergleichbares in Paris. Es handelte sich hier um kommerziell bestimmte Unternehmungen, die sich fast immer an ein nichtdeutschsprachiges Publikum wandten, wo also das Unterhaltungselement überwog. Walter Rosier, dem eine Übersicht über die Vielfalt des deutschsprachigen Exilkabaretts zu danken ist, wies auch auf die gravierenden Unterschiede im Niveau und in der politischen Haltung hin: „Es wäre eine falsche Vorstellung, wenn man annäh49

Werner Mittenzwei me, daß alles, was im Exil unter dem Namen Kabarett firmierte, im Dienst antifaschistischer Satire gestanden habe. Neben engagierten Attacken gegen das Naziregime finden wir auch unpolitisches Amüsierkabarett.' c) Ensemblebildung innerhalb des großstädtischen Berufstheaters In dieser Grundform existierte für einen längeren Zeitraum nur eine Bühne: das Emigrantenensemble am Zürcher Schauspielhaus. Während sich alle Versuche, in den verschiedenen Exilländern deutsches Theater vorzuführen, auf eine kurze Zeitphase erstreckten oder auf einzelne Aufführungen beschränkt blieben, konstituierte sich am Zürcher Schauspielhaus ein über zwölf Exiljahre konstant bleibendes Ensemble antifaschistischer Bühnenkünstler. Der Zürcher Beitrag ist der umfassendste, sicher auch der gewichtigste in der Geschichte des deutschen Exiltheaters. Das Theater, keine Gründung von Emigranten, durchlief zwei unterschiedliche Leitungsphasen, eine, die von Ferdinand Rieser, und die, die ab 1938 von Oskar Wälterlin bestimmt wurde. Doch bei allen Unterschieden in der künstlerischen Ausrichtung überspannt beide Phasen ein politisch-ästhetisches Credo ganz eigener Art. In der Rieser-Phase kam das Politische direkter zum Ausdruck, allein schon durch solche Stücke wie Professor Mannheim (außerhalb Zürichs Professor Mamlock) und Die Rassen. In der zweiten Phase setzte Wälterlin deutlichere künstlerische Akzente. Er wollte kein Theater der politischen Aktion, sondern der inneren Bereitschaft, ein Theater der Sammlung aller Kräfte gegen die spürbare faschistische Bedrohung während des Zweiten Weltkriegs. Es war nicht so sehr der Konzeptions- und Haltungswechsel des Theaters, der unterschiedliche Phasen erkennbar machte, als vielmehr die veränderte Einstellung des Zürcher Publikums zu diesem Theater. Als „politisches Kampftheater" galt es zwischen 1933 und 1938 vor allem deshalb, weil die Schweizer Frontisten gegen dieses Theater demonstrierten, während sich der Großteil der Zürcher Bevölkerung abseits von diesen Auseinandersetzungen hielt. Im Zürcher Schauspielhaus vollzogen sich künstlerische Entwicklungen wie sonst kaum während der Emigration. Die Schauspieler, die hier nach 1933 Zuflucht fanden, damals am Anfang ihrer Karriere, wurden zu wichtigen Protagonisten des deutschen Nachkriegstheaters. Das Haus probierte Stücke einer neuen Dramatik aus (Brecht, Hochwälder, Wilder, Sartre), die nach 1945 das deutsche Repertoire bestimmten. Aufnahme an diesem Haus fand auch die politische Exildramatik von Bruckner, Wolf und Kaiser. Es kam zu einer Wechselwirkung von politischem Engagement und Ästhetik, die Spuren in der Theatergeschichte der zwei deutschen Staaten hinterließ. Das Zürcher Schauspielhaus in der Zeit von 1933 bis 1945 ist Schweizer Theatergeschichte, aber zugleich auch Geschichte des deutschen Exiltheaters. Zu dieser Grundform hinzuzufügen wäre die kurze Phase der von Maxim Vallentin geleiteten Theater in Dnepropetrowsk und Engels. Nach dem Scheitern der großen Pläne Piscators, der Engels zur „Sammelstelle" aller künstlerischen Kräfte, zu einem Weimar der Emigration machen wollte, führte Vallentin in bescheidenerem Rahmen diese Arbeit fort, die zwar recht erfolgreich, aber nicht ohne Tragik verlief. Aus dem bedeutenden Vertreter des Agitprop-Theaters, der nichtillusionistischen Szenenmontage, wurde ein 73

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Walter Rosier: Aspekte des deutschsprachigen Exil-Kabaretts 1933 - 1945. In: Exiltheater und Exildramatik. Maintal 1991, S. 283 (= Exil. Sonderband 2).

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus Anhänger der verordneten Stanislawski-Methode. Nach 1937 blieben für die emigrierten Theaterleute in der Sowjetunion aufgrund der noch immer anwachsenden Repressionen und Verfolgungen, die zur Verhaftung und zum Tod vieler Theaterkünstler führten, nur noch wenige Möglichkeiten, ihre Kunst auszuüben. d) Der Alleingang in der Fremde - Emigrierte Schauspieler auf ausländischen Bühnen Auf einer Bühne des Auslands, inmitten eines fremdsprachigen Ensembles aufzutreten und auch noch erfolgreich zu sein, das gelang nur wenigen, wie z.B. dem bereits erwähnten Alexander Moissi. Als ihm die neuen Machthaber in Deutschland einen „levantinischen" Darstellungsstil nachsagten, ging er nach Italien. Moissi besaß Freunde, die sich bei Mussolini für ihn einsetzten, so daß er ihm sogar die italienische Staatsangehörigkeit gewährte. Mit dem Tournee-Ensemble Moissi-Capodaglio begann er seine italienische Karriere. Bis 1938 gab es in Italien für deutsche Emigranten noch Zuflucht, sofern sie sich nicht politisch äußerten. Auch Max Reinhardt konnte von 1933 bis 1935 noch ungehindert in Italien inszenieren. 1933 brachte er bei den Festspielen in den Boboli-Gärten in Florenz Shakespeares Sommernachtstraum und 1934 während der Biennale in Venedig den Kaufmann von Venedig heraus. Bevor er endgültig in die USA emigrierte, begab er sich von Österreich aus abwechselnd zu Gastinszenierungen nach Frankreich, in die USA und nach England. Wie Reinhardt überbrückten die international renommierten Schauspieler die ersten Jahre nach 1933 mit Gastspielen. Vor allem Künstler, die sich auch früher öfter auf Gastspielreisen begeben hatten wie Albert Bassermann, versuchten auf diese Weise, ihre Kunst auszuüben. Bassermann wirkte im April 1933 bei der Uraufführung von Hanns Johsts Schlageter mit und dachte Ende 1933, als er sich in Wien befand, wieder ins Reichsgebiet zurückzukehren. Da ihm aber nicht mehr gestattet wurde, mit seiner jüdischen Frau aufzutreten, brach er alle Brücken ab. Als Gast trat er auf Schweizer Bühnen und in der Tschechoslowakei auf. In Österreich gelang ihm das immer weniger. Als Walter Hasenclever 1934 sein Stück Münchhausen dem Burgtheater zur Uraufführung anbot und wünschte, Albert Bassermann möge als Gast die Hauptrolle spielen, erhielt er sein Manuskript mit dem Vermerk zurück, Gastspiele von auch noch so prominenten Künstlern werde es nicht mehr geben. Auf englischen und später amerikanischen Bühnen versuchten Elisabeth Bergner, Lucie Mannheim, Grete Mosheim, Fritz Kortner, Oskar Homolka, Ernst Deutsch, Paul Graetz Fuß zu fassen. Es gab Karrieren, doch selten einen Durchbruch, einen Neuansatz in der schauspielerischen Entwicklung. Bassermann, Kortner, Deutsch, auch Grete Mosheim gelang es nicht, ihre frühere Leistungshöhe auf fremden Bühnen fortzuführen. Einigen eigenwilligen Talenten wurde auch ihr im Theater der Weimarer Republik geprägter Darstellungsstil weder in London noch in New York und Hollywood abgenommen. Schauspieler, in Deutschland überschwenglich gefeiert, riefen mit diesem Stil im Ausland nur Kopfschütteln hervor. Zu spüren bekam das, wie Henry Marx dargelegt hat, vor allem Fritz Kortner. Kortner, die stärkste Begabung unter den Schauspielern des Exils, blieb fast unbeschäftigt. Vor allem im Broadway-Theater hatten die deutschen Schauspieler und Regisseure keine Chance. Die großen Regisseure der Vorhitlerzeit, Reinhardt, Jeßner, Piscator, versuchten gar nicht erst, hier anzukommen. Es gab allen51

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falls einige wenige Ausnahmen wie den österreichischen Regisseur Otto Preminger, der 1935 nach New York kam und innerhalb weniger Jahre acht Stücke inszenierte, oder, unter den Schauspielerinnen, Lili Darvas oder Mady Christians. Die Mehrzahl der übrigen Schauspieler mußte sich mit kleinen und kleinsten Rollen durchschlagen - wenn sie überhaupt eine Anstellung erhielten. Froh konnte sein, wer an einem deutschsprachigen Theater ein Engagement fand. Neben den Theatern in der Schweiz waren die der Tschechoslowakei begehrte Zufluchtsorte. Im Neuen Deutschen Theater in Prag, der größten deutschsprachigen Bühne in der Tschechoslowakei, sahen die Emigranten ein ebenso begehrtes Ziel ihrer Wünsche wie Zürich. Nach Prag kamen 1934 Rainer Litten, Friedrich Richter, Lotte Stein, Lux Rodenberg, Amy Frank, Charlotte Küter, Paul Lewitt. Auf dieser Bühne konnten noch Stücke gespielt werden, die in Deutschland verboten waren, wenn auch mit größeren Einschränkungen durch die Zensur als in der Schweiz. Es existierte an dieser Bühne allerdings auch eine Gruppe von Schauspielern, die mit der nationalsozialistischen Henlein-Partei sympathisierte; diese Leute blieben jedoch in der Minderheit. In dem böhmischen Gürtel kleiner deutschsprachiger Bühnen fanden in den ersten Jahren nach 1933 emigrierte Schauspieler ebenfalls häufig eine Tätigkeit. Doch mit dem zunehmenden Einfluß der Henlein-Partei - sie erreichte in den deutschsprachigen Gebieten einen Stimmenanteil von 80 Prozent - schwand auch diese Möglichkeit. Nach dem Münchner Abkommen von 1938 flohen viele emigrierte Schauspieler nach England. Mit ihnen emigrierten auch zahlreiche deutschsprachige tschechische Kollegen wie Fritz Valk und Julius Gellner. Leistungsbilanz der Emigranten für die Entwicklung der nationalen Kultur des Exillandes An dieser Stelle muß vermerkt werden, daß emigrierte Künstler mit ihrer Arbeit nachhaltig auf einzelne Kunstgebiete des Gastlandes einwirkten und sie entwickeln halfen. In England beteiligten sich deutsche Emigranten an den Festspielen in Glyndebourne, die 1934 John Christie begründete. Diese Opernfestspiele, auf einem alten Herrensitz, 80 km von London entfernt, sollten im Sommer zu einer Touristenattraktion und zu einem musikalischen Ereignis werden. Wesentlichen Anteil daran hatten vor allem der Regisseur Carl Ebert und der Dirigent Fritz Busch. In den fünf Spielzeiten bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bestimmten diese beiden Emigranten wesentlich das Profil und das Niveau dieses Opernfestivals. Ebert und Busch arbeiteten mit einem internationalen Sängerensemble. Hier traten neben Emigranten wie Erika Storm, Lilli Heinemann, Paul Schwarz, die in Deutschland zuletzt im Jüdischen Kulturbund auf der Bühne standen, auch Sänger aus Hitlerdeutschland auf. Obwohl die Besetzung von den internationalen Gegebenheiten her erfolgte, wurde in Glyndebourne dennoch sichtbar, daß hier die von den Nazis vertriebenen Künstler eine Wirkungsstätte gefunden hatten. Die Türkei bot nicht nur deutschen Gelehrten, sondern auch deutschen Musikern Exil. Deren Tätigkeit vollzog sich innerhalb eines Reformprogrammes, das der türkische Präsident Kemal Atatürk eingeleitet hatte. Atatürk suchte die Bindung an Europa und hielt es für erforderlich, daß die Türkei eine Beziehung zur europäischen Kultur fand. Er holte an die hundert deutsche Gelehrte ins Land. Für die Musiker war von Bedeutung, daß dieser Politiker die Gründung eines Staatlichen Konservatoriums anregte. Als deut52

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scher Berater fungierte der Komponist Paul Hindemith. Obwohl Hindemith mehrmals in Ankara weilte und sich intensiv mit den Reformplänen auf dem Gebiet der Musik beschäftigte, band er andere in diese Aufbauarbeit ein, so Carl Ebert, Ernst Praetorius und den Pianisten und Dirigenten Eduard Zuckmayer, den älteren Bruder des Dichters Carl Zuckmayer. Während Hindemith 1938 das Exil in den USA bevorzugte, gingen die drei in die Türkei. Hindemith blieb jedoch auch von den USA aus mit ihnen in Verbindung. Während des Krieges, als die Festspiele in Glyndebourne nicht stattfinden konnten, verlegte Carl Ebert seine Tätigkeit in die Türkei. 74 Er entwickelte für die türkischen Behörden eine Konzeption „Wie muß die zukünftige Nationaloper organisiert werden?", arbeitete als Lehrer des künstlerischen Nachwuchses und als Regisseur im Schauspiel und der Oper. Besonders stolz war er darauf, daß er mit Butterfly die erste Oper in türkischer Sprache herausbrachte und damit die türkische Oper auf den Weg brachte. Rückblickend bezeichnete Ebert seine Tätigkeit in der Türkei als sein „Lieblingskind". Im Unterschied zu Ernst Praetorius, dessen Aufgabe es war, an der Hochschule in Ankara ein gutes Orchester heranzubilden, lehnte der Emigrant Ebert in Ankara jede Beziehung zur deutschen Botschaft ab. Nach Stompor wirkten am Konservatorium in Ankara insgesamt zwölf Emigranten aus Deutschland und neun aus Österreich. Der Blick vom Ende des „Dritten Reiches" auf sein Theater Die Haltung der Bühnenkünstler Als Hitler im Bunker der Reichskanzlei seinem Leben ein Ende setzte, lag Deutschland in Trümmern, auch die Theater. Von den 362 Theatergebäuden, die es 1942 noch gab, gehörte nach dem Krieg ein Teil nicht mehr zu Deutschland. Östlich von Oder und Neiße wurde auf den Bühnen jetzt polnisch gesprochen. Nach Henning Rischbieter gab es auf dem Gebiet der späteren Bundesrepublik unmittelbar nach dem Kriege noch etwa 45 weitgehend erhaltene Theatergebäude. 5 Dennoch waren die Spitzenkräfte, Schauspieler und Regisseure, bis in die letzten Kriegswochen tätig gewesen, wenn auch nicht auf den Bühnen - am 1. September 1944 ließ Goebbels im Zuge der totalen Kriegsmaßnahmen alle Theater schließen - , so doch im Film. Die Künstler, die nicht ins Exil gingen, stellte der Nationalsozialismus in seine Dienste, ob sie das wollten oder nicht. Er hatte ihnen einiges geboten und dafür alles verlangt. „Nie vorher, nie nachher hat es in Deutschland eine dem Theater so aufgeschlossene Regierung gegeben wie im Dritten Reich." 76 Mit diesem Satz beginnt Hans Daiber sein Buch Schaufenster der Diktatur. Theater im Machtbereich Hitlers. Daiber formuliert zu absolut, als daß man ihm uneingeschränkt zustimmen könnte. Richtig aber ist, daß den prominenten Schauspielern eine Beachtung geschenkt wurde wie nie zuvor. Sie kamen in den zwölf Jahren zu Ruhm und Geld. Dafür mußten sie sich oft auch für etwas hergeben, was nicht ihren Auffassungen entsprach. Einigen war auch bewußt, daß sie sich schuldig gemacht hatten. Gründgens meinte, man habe mehr schlucken müssen, als man dürfe, ohne Schaden an seiner Seele zu nehmen. Er selber hatte in dem Film Ohm Krüger die Rolle des Chamberlain zu spielen. In diesem Film warf man England die 74 75

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Vgl. den Artikel von Frithjof Trapp über die Türkei in diesem Band, S. 365-375. Henning Rischbieter: Theater. In: Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von Wolfgang Benz. Bd. 4: Kultur. Frankfurt am Main 1989, S. 93. Hans Daiber: Schaufenster der Diktatur. Theater im Machtbereich Hitlers. Stuttgart 1995, S. 11.

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Werner Mittenzwei Einführung der Konzentrationslager vor, während man in den eigenen KZs Menschenvernichtung im großen Stil betrieb. In einem Brief an den Tobis-Film stellte Gründgens klar, daß er hier nur einer Weisung folge: „Es gibt in der uns zusammenführenden Angelegenheit nichts zu besprechen. Ich habe der an mich ergangenen Bitte des Reichsministers Dr. Goebbels nicht als Künstler, sondern in selbstverständlicher Konsequenz meiner Stellung innerhalb der Reichskulturkammer und des engeren Stabes des Herrn Reichsmarschalls Folge geleistet. Ich habe daher keinerlei Wünsche, sondern sehe ihren Weisungen entgegen." 77 Auch die ihm zustehende Gage lehnte er ab. Gründgens' Diktion ist aufschlußreich, weil sie zeigt, worauf er sich eingelassen hatte. Bei ihm gab es Distanz, aber eben auch Einverständnis. Ferdinand Marian weigerte sich anfänglich, die Hauptrolle in dem Film Jud Süß zu übernehmen. Doch diese Beispiele waren nicht allzu häufig, die Bereitschaft überwog. Die Frage, wie verhielten sich die Schauspieler im „Dritten Reich", ist noch immer kaum untersucht. Die äußerliche, feuilletonistische Aufarbeitung dieses Problems hat mehr verdeckt als aufgeklärt. Die fleißigen Recherchen, wer von den Prominenten von Hitler und Goebbels eingeladen wurde, wer Grußtelegramme an sie richtete, wer für die Winterhilfe sammelte, lenkten von gründlicheren Untersuchungen ab. Der Journalismus verallgemeinert voreilig, was erst einmal hätte analysiert werden müssen. Über die geistige, politische Physiognomie dieses Standes und die Frage, in welchem Grad er sich vom „Dritten Reich" beeindrucken ließ, muß noch geforscht werden. Das Verhältnis kann ja nicht nur so primitiv opportunistisch gewesen sein, wie es Gustav Fröhlich am Beispiel seines Kollegen Emil Jannings beschrieb: „,Hören Sie das Wort eines Schauspielers. Wenn die - ' , er wies auf eine gerahmte Photographie des Propagandaministers, ich konnte die Widmung lesen, die schräg über das Bild lief, und die Unterschrift ,Ihr Joseph Goebbels',,- wenn die Brüder bleiben sollten, [...] dann habe ich zwei Filmstoffe fertig, die denen unerhört gefallen werden. Natürlich ich in der Hauptrolle!' [...] ,Aber wenn der Gefreite untergeht..., [...] für diesen Fall hat mir jemand zwei andere, ebenso gute Filmstorys geschrieben, die mir die Neuen garantiert aus der Hand reißen werden.' " 7 8 Die Schauspieler und Regisseure, die Goebbels 1933 vorfand, wurden durch das Theater der Weimarer Republik, durch den Kulturumbruch in dieser Periode geprägt. Diese 14 Jahre zwischen 1919 und 1933 veränderten die Kunst und die Künstler mehr als je ein Jahrzehnt zuvor. Darüber gaben sich Goebbels und sein Führungsstab keiner Illusion hin. Im internen Kreis ließen sie verlauten, daß alle Schauspieler von dem Juden Reinhardt geprägt und deshalb unbrauchbar seien. Wenn man Reinhardt als überragende Gestalt der Zeit vor 1933 nimmt, hatten sie damit gar nicht einmal so unrecht. Selbst eine so junge Schauspielerin wie Ilse Werner, der Nachwuchsstar der Ufa, kam aus der Schule Max Reinhardts. Reinhardt selber fand die Schauspieler, die durch ihn groß geworden waren, undankbar, als sie sich dem neuen Regime zur Verfügung stellten. Goebbels wiederum betrachtete sie mit Mißtrauen, verhätschelte und beschimpfte sie. Wie widersprüchlich sein Verhältnis zu ihnen war, verraten seine Tagebücher. Eine ganze Skala von Gefühlen bricht da auf: grenzenlose Bewunderung neben tiefer Verachtung. 77

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Gustaf Gründgens an die Tobis. 30. Dezember 1940. In: Gustaf Gründgens-Ausstellung des Dumont-LindemannArchivs. Düsseldorf 1980, S. 106. Gustav Fröhlich: Waren das Zeiten. Meine Film-Heldenleben. Frankfurt am Main 1989, S. 238.

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus

Man hat die Rolle und Bereitschaft der Schauspieler im „Dritten Reich" damit zu entschuldigen gesucht, daß das Hineinsteigern in eine Rolle, daß ihre Gestaltung Anpassung erfordere. Friedrich Nietzsche sprach dem Schauspieler eine „Falschheit mit gutem Gewissen" zu, ausgelöst durch einen „Überschuß von Anpassungs-Fähigkeit aller Art". Ein solcher Instinkt, der sein Talent ermögliche, verführe ihn aber auch, „den Mantel nach jedem Wind zu hängen" (Die fröhliche Wissenschaft. Aphorismus 361). Deshalb meinte Ernst Jünger, um heute durch die Welt zu kommen, müsse man nicht zuwenig vom Mimen und nicht zuviel vom Ehrenmanne besitzen. Doch das klingt zu zynisch, um der politischen Rolle der Schauspieler im „Dritten Reich" gerecht zu werden. Nachdenklicher stimmt schon die Bemerkung von Gustaf Gründgens, der selbstkritisch 1946 schrieb: „Die Schauspielerschaft ist immer ein Instrument und bisher noch nicht ein aktiver Faktor gewesen." 79 Die besondere Aufmerksamkeit, die der Schauspieler bei Publikum und Presse genießt, hebt ihn heraus und isoliert ihn von den anderen. Auf diese Weise bekommt er eine Verantwortung aufgebürdet, die eigentlich nicht gerechtfertigt ist. Harry Buckwitz meint in diesem Sinne, den Schauspieler verteidigen zu müssen. „Ich weiß nicht, warum ein Schauspieler mehr Verpflichtungen haben soll, sich heldisch zu benehmen, als der normale Mensch." 80 Will man die recht unterschiedliche Haltung der Schauspieler während der Hitlerdiktatur in der Gesamtheit ihres Wirkens verallgemeinern, wäre die Formulierung zu erwägen: Die Kunst der Schauspieler im Theater, im Film und die Kunst der Musiker hat vielleicht am nachhaltigsten zur Stabilität des „Dritten Reichs" beigetragen, selbst oder vor allem dann, wenn sie nicht politisch sein wollte, obwohl der Stand der Schauspieler einer gewesen sein dürfte, dessen talentiertester Teil sich vergleichsweise wenig mit dem Nationalsozialismus verbunden fühlte. Walter Franck erklärte nach dem Krieg seinem emigrierten Kollegen Leopold Lindtberg, von den prominenten Schauspielern seien nur ca. drei Prozent Nazis gewesen.81 Theater im „Dritten Reich": „Eine Zeit des Glanzes"? Hans Daiber meint, das Theater der Hitleqahre eine „Zeit des Glanzes" nennen zu müssen. Eine solche Wertung wurde oft angeführt und ihr noch öfter widersprochen. Bereits 1951 wunderte sich Brecht, wie man noch „von der glänzenden Technik der Göringtheater" sprechen könne. Aus seiner Sicht gab es auf den Bühnen des „Dritten Reichs" nichts Hervorhebenswertes; denn er hielt schon das Theater der Weimarer Republik für schlecht. Ausgehend von einer ganz anderen Art von Theater, sah er im völligen Abbau, im Niederreißen dieser Erbschaft eine Aufgabe. Als er nach seiner Rückkehr aus dem Exil in Konstanz in einer Inszenierung von Heinz Hilpert erstmals wieder deutsches Theater zu Gesicht bekam, meinte er entsetzt: „Hier muß man ja wieder ganz von vorne anfangen!" 82 Während Brecht bei seiner ersten Besichtigung des deutschen Theaters nur „Trümmer der Schauspielkunst" wahrnahm, urteilte Fritz Kortner weniger abwertend. Er gestand einigen Daheimgebliebenen zu, auch unter Hitler „außerordentliches Theater" ge79 80 81 82

Gustaf Gründgens: Briefe, Aufsätze, Reden. Hrsg. von Peter Badenhausen u.a. Hamburg 1967, S. 57. In: Horst Daiber: Schaufenster der Diktatur, a.a.O., S. 253. Leopold Lindtberg im Gespräch mit Werner Mittenzwei, a.a.O. Klaus Völker: Brecht-Chronik. Daten zum Leben und Werk. München 1971, S. 126.

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Werner Mittenzwei macht zu haben. „Später tauchten die Widerstandskämpfer gegen den Hitlerstil, wie Engel, Fehling, Gründgens, aus ihrer anfänglichen Verschollenheit wieder auf. Sie waren ein Trost. Die im Hitlerreich verbliebenen außerordentlichen Männer waren außerordentlich geblieben. Die Zufluchtstätten des unterdrückten, vorhitlerischen Theaterstils im Dritten Reich waren - vertrauenswürdigen Berichten zufolge - das Theater von Gründgens und das von Hilpert. Aber wie verbissen sich diese beiden Bühnen auch gewehrt haben mögen, sie konnten nicht verhindern, daß der Zeitgeist das Theater penetrierte, daß es ihn spiegelte und abbildete."83 Wenn man von den verschiedenen Möglichkeiten, Theater zu spielen, ausgeht, sind Leistungen auch in dieser Phase nicht zu übersehen. Ob man sie mit der „Glanz"-Metapher charakterisieren muß, ist eine andere Frage. Eine solche Kennzeichnung verbirgt zuviel. Für die Geschichtsschreibung scheint die Schwierigkeit darin zu bestehen, daß es schwerfällt zuzugeben, auch unter einem verbrecherischen System sind große künstlerische Leistungen möglich. Zu analysieren bleibt, wie sie zustande kamen. In einer frühen Untersuchung kommt Ilse Pitsch zu dem fragwürdigen Schluß, daß sich die nationalsozialistische Gleichschaltung praktisch nicht habe durchsetzen lassen, da die Theaterleiter und Regisseure ihren eigenen Intentionen nachgegangen seien.84 Jutta Wardetzky wiederum meint, die Rivalität der anderen Medien habe dem Theater die Möglichkeit gegeben, spezifische Bedürfnisse eines spezifischen Publikums zu befriedigen. Es habe sozusagen einen Nischenplatz innegehabt, der manches erlaubte.85 Gegen diese Auffassungen polemisiert in einer neueren Darstellung Thomas Eicher, indem er anhand einer statistisch aufgeschlüsselten Spielplananalyse nachweist, daß es den Nationalsozialisten sehr wohl gelang, ihre Politik durchzusetzen, „daß die .Machtübernahme' der Nazis einen Einschnitt mit tiefgreifenden Veränderungen für die deutsche Theaterlandschaft bedeutete. In mehreren Etappen wurde etwa die Hälfte (48 Prozent) der bis 1933 in den Spielplänen vertretenen Werke eliminiert."86 Es bleibt allerdings bei statistischen Aufschlüssen. Eicher untersucht nicht, wie gespielt wurde, wie Schauspieler und Regisseure sich auf die neue Situation einstellten. Doch räumt er ein, daß an den Berliner Bühnen andere Bedingungen bestanden als an den Provinzbühnen. Er hält aber daran fest, daß daraus nicht auf ein Scheitern der NS-Kulturpolitik geschlossen werden könne, schon gar nicht auf die These vom „Theater als Fluchtort" oder als „Widerstandsnest". Unbedingt richtig ist, daß es im Theater des „Dritten Reichs" keine Kraft, keine Persönlichkeit gab, die etwas zu verhindern vermochte. Die Nationalsozialisten setzten durch, was ihren Ansichten entsprach. Aber dabei darf nicht übersehen werden, wie die Theaterleute auf den Lenkungsapparat reagierten, welche Möglichkeit sie fanden, ihre künstlerische Individualität zum Ausdruck zu bringen. Das läßt sich allerdings nicht statistisch erfassen, auch nicht als Strukturproblem lösen. Für die Schauspielerelite existierten andere Möglichkeiten als für den Hauptteil der Künstler, und zwar nicht nur deshalb, weil die Elite hofiert wurde, sondern weil sie ihr ganz persönliches Credo ausgebildet hatte, das sie nicht einfach wegstecken konnte, ohne sich selbst aufzugeben. So falsch es wäre, sich bei einer Untersuchung nur auf die Spitzenkräfte zu stützen, so bedenklich ist auch, sie in ihrer Besonderheit zu ignorieren. 83 84 85 86

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Fritz Kortner: Aller Tage Abend. München 1972, S. 305. Ilse Pitsch: Das Theater als politisch-publizistisches Führungsmittel im Dritten Reich. Diss. München 1952. Jutta Wardetzky: Theaterpolitik im faschistischen Deutschland. Berlin [DDR] 1983. Thomas Eicher: Theater im ,Dritten Reich', a.a.O., S. 391.

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus

Sie sind schon deshalb wichtig, weil ihre Arbeit Spuren hinterläßt, die die Theatergeschichte markieren. Das Dilemma: War im „Dritten Reich" ein nicht-nationalsozialistisches Theater möglich? Was sollten die Spitzenkräfte des deutschen Theaters tun, als Goebbels und Göring sich anschickten, die Bühnen auf ihre Weise auszurichten, sofern sie nicht zu der Überzeugung gekommen waren, sie müßten ins Exil gehen? Ihr Profil hatte eine der opulenten, experimentierfreudigsten Perioden der Kunstgeschichte geprägt. Regisseure wie Erich Engel, Jürgen Fehling, Heinz Hilpert, Gustaf Gründgens, Karl Heinz Martin mußten sich fragen, wie und in welcher Weise sie überhaupt ihre Entwicklung fortsetzen sollten. Sie, die nicht ins Exil gingen, aber auch keine Hitleranhänger waren, merkten sehr bald, daß es im „Dritten Reich" keine Freiräume gab, auch nicht für das Theater. Die neuen Machthaber wiederum mußten sich eingestehen, daß sie auf diesem Gebiet ihrer Anhängerschaft nichts zu bieten hatten, was anziehend, beeindruckend gewesen wäre. Mit der Losung von der „heroisch stählernen Romantik" des Theaters, die Goebbels ausgab, wußten die Künstler, die in den zwanziger Jahren zu Ruhm gekommen waren, nichts anzufangen. Aber auf sie mußte sich das Regime stützen, wenn es mit dem Theater auf die Massen einwirken wollte. Innerhalb dieser Situation, in der die Künstlerelite gebraucht wurde und sie nach einem gangbaren Weg suchte, sich selber und ihre Kunst zu bewahren, entstand ganz pragmatisch eine bestimmte Haltung, ein Stil. Bewegten sich diese Künstler „zwischen Anpassung und Widerstand"? Diese Formel ist zu plakativ, zu wenig brauchbar, um die Möglichkeiten auszuloten, die für Spitzenkräfte wie Gründgens, Hilpert, Fehling und andere zu dieser Zeit bestanden. Denn im Grunde wollten sie weder Widerstand noch Anpassung. Innerhalb ihrer Bemühungen um eine Haltung kam ihnen entgegen, daß Anfang der dreißiger Jahre überall nach einem Ausweg aus der alles in Frage stellenden Experimentierphase gesucht wurde. Das Labor der Kunst betraten damals selbst die Avantgardisten mit Zweifel. Bevor es die Nationalsozialisten zerschlugen, hatte man doch bereits begonnen, für „Verläßlichkeit" zu plädieren. Das Nachdenken hatte eingesetzt, bevor die Nationalsozialisten kamen. Deren jetzige Forderung nach dem ganz Neuen stieß die Künstler eher ab. War man vor 1933 nicht aus der Krisenstimmung herausgekommen, sah man sich jetzt durch die Verhältnisse zwangsweise zu einer Lösung gedrängt, wollte man nicht vereinnahmt, nicht künstlerisch gleichgeschaltet werden. Was einige Spitzenkräfte an nicht-nationalsozialistischer Kunst in den zwölf Jahren zustande brachten, geschah weniger bewußt, schon gar nicht manifestativ. Jeder suchte, auf seine Weise an der eigenen Entwicklung festzuhalten. Man wollte, was Goebbels auch verkündete, sich nicht allzuweit von der Moderne entfernen, aber wieder festen Boden unter den Füßen haben. Statt des „Tumults der Stile", der in der Weimarer Republik vorherrschte, sollte es in der Kunst ein von der Politik unabhängiges Ordnungs- und Leitprinzip geben. „Keine ,Zeitungen - sondern Ewigkeiten'", wie sich Heinz Hilpert, auf Jacob Burckhardt sich berufend, 1943 ausdrückte, sollte maßgebend sein. Halt wurde in der Klassik gesucht. Hans Dieter Schäfer hat diese Tendenz, das avantgardistische Erbe nicht auszuschlagen, aber die Klassik als Ordnungsprinzip zu akzeptieren, für die nicht-nationalsoziali57

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stische Literatur als „Moderne Klassik" beschrieben.87 Er räumte ein, daß sich diese Richtung nur „zögernd artikulierte". Das trifft auch auf die Theaterkunst zu. Doch hier war der stilistische Gehalt unvergleichlich stärker, deutlicher ausgeprägt. Die Theaterkunst zeigte sich stilprägender als die Literatur. Von den Spitzenkräften, so von Fehling, Gründgens, Hilpert, Engel, Karl Heinz Martin, aber auch von Müthel, Stroux, Felsenstein wurde ein Ausweichstil gefunden, der einerseits den während der Weimarer Republik erreichten Standard in seiner Vielfalt bewahrte, einschließlich des Realismus mit seinen kühnen künstlerischen Vereinfachungen, der andererseits über das Vorbild Klassik auch eine Tragikauffassung enthielt, die im Sinne der zeitgenössischen Schicksalsgläubigkeit, des Mythischen interpretiert werden konnte. Diese Verbindung ermöglichte, bestimmte Errungenschaften der vergangenen Experimentierphase beizubehalten, freilich ohne die sozialkritische Sicht und die Utopieerwartung. Andererseits ließ sich die aus der Klassik entlehnte Vorstellung von Tragik auch in das „ h e r o i s c h e Theater" einbinden. Man kam auf diese Weise den nationalsozialistischen Intentionen entgegen, ohne sie zu teilen. Dabei wäre es verfehlt, die aus der Klassik entwickelte Tragikauffassung als Anbiederung zu verstehen. Sie war meist sehr persönlich empfunden und unterschied sich in den Handschriften der einzelnen Künstler. Fehling erfaßte sie anders als Gründgens oder Hilpert. Fehling stellte sie als etwas Elementares, dem Menschen Innewohnendes dar, das zerstörerisch wirkte. Seine Auffassung schien nationalsozialistischen Interpretationen entgegenzukommen, obwohl er die nationalsozialistische Ideologie entschieden ablehnte. Erich Engel wiederum drängte die ins Mythische gehenden Züge fast ganz zurück und versuchte noch am ehesten, die Sachlichkeit, die Rationalität der vergangenen Epoche zur Geltung zu bringen. Der sogenannte Ausweichstil vermied den „radikalen, fast tödlichen Schnitt durch die organischen Stränge" (Hans Bender), den einige Theoretiker zwischen der Kunst der Weimarer Republik und der des „Dritten Reichs" hervorheben. Dieser Stil, der eher eine Verallgemeinerung wahrgenommener Möglichkeiten ist, gestattete einigen Künstlern beachtliche Leistungen, die die Theatergeschichte nicht übersehen kann. Dazu gehören Fehlings Inszenierung von Richard der Dritte, Gründgens' Fawjf-Inszenierungen, Engels Othello, Müthels Antigone, Hilperts Kleist-Inszenierungen. Wenn festzustellen ist, daß auch in dieser Zeit großartiges Theater gemacht wurde, so darf doch nicht übersehen werden, daß der Ausweichstil bestimmte Elemente und Errungenschaften konservierte, aber nicht weiterentwickelte, weil ihm die Basis dafür fehlte. Die Theaterkunst dieses Systems zehrte vom erreichten Standard der Weimarer Republik. Was in einer experimentierfreudigen Phase entstanden war, besaß auf wesensfremder Basis auf längere Dauer keine Lebensfähigkeit. Insofern war der Ausweichstil der Nachklang der vergangenen Kunstperiode. Doch er verschaffte der Bühnenkunst des „Dritten Reichs" das meiste Ansehen, während das „heroische Theater" wohl als Doktrin durchgesetzt wurde, aber keine eigenständigen Leistungen von Format zustande brachte. Doch dieser Stil wurde nur von einem kleinen Kreis von Spitzenkräften in den Theatermetropolen hervorgebracht. Insgesamt ließ er sich nicht durchsetzen. Bei Untersuchungen über das Theater im „Dritten Reich" muß zwischen den Möglichkeiten und Er87

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Hans Dieter Schäfer: Das gespaltene Bewußtsein. München/Wien 1983.

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus

gebnissen in den Metropolen und der Provinz unterschieden werden. In der Provinz lief vieles anders. Dort hatten es die Machthaber oft auch leichter, die nationalsozialistische Doktrin durchzusetzen. Konrad Dussel, der in seiner Arbeit Ein neues, ein heroisches Theater sehr ausführlich die begrenzten künstlerischen Möglichkeiten der Provinztheater zu Beginn der dreißiger Jahre beschreibt, macht deutlich, daß hier eine andere Situation als in den Metropolen bestand. Es gab schon von den Möglichkeiten her weniger Veranlassung, nach einem Ausweichstil zu suchen. Musiktheater: Zwiespältige Kontinuität In den Forschungen über das Musiktheater im „Dritten Reich", soweit diese zu Verallgemeinerungen vorstoßen, existieren noch immer zwei recht deutlich geschiedene Lager. Das eine betont den Bruch, der 1933 einsetzte und alle Spuren der Musikkultur der Weimarer Zeit „aufs gründlichste zu tilgen versucht" (Hermand/Trommler)88, das andere sieht in einem solchen Bruch „nichts anderes als eine historiographische Inszenierung" (Michael Walter).89 Wenn schon eine Zäsur angemerkt werden müsse, so liege sie in den Jahren 1919/1920. Im Unterschied dazu bestehe in der Zeit zwischen 1920 und 1945 eine bemerkenswerte Kontinuität. Das Musikleben der Weimarer Republik unterscheide sich wesentlich von der Kaiserzeit, nicht aber von der während des „Dritten Reichs". Die Musikkultur dieser Phase sei eher „der Nachklang der republikanischen gewesen", so Michael Walter. Er schreibt weiter: „Aber eine wirkliche Musikpolitik, im emphatischen Sinne des Wortes - über die Durchführung rassistischer Maßnahmen und die Funktionalisierung vor allem der populären Musik als Propagandainstrument hinaus - , hat es im Dritten Reich nicht gegeben. [...] Es gelang nicht, das Gerede vom .Neubau deutscher musikalischer Kultur' (Peter Raabe) in die Tat umzusetzen, weder hinsichtlich des Musiklebens, also neuer Darbietungsformen der Musik, noch hinsichtlich der Komposition."90 Doch in den einschneidenden Maßnahmen von 1933 nur veränderte „Rahmenbedingungen" zu sehen heißt, vieles zu übersehen. Gegen eine solche Auffassung setzte sich Fred K. Prieberg zur Wehr, der besonders die Verluste anmerkte, die die deutsche Musikkultur allein schon durch das quantitative Ausmaß der Aussonderungen erlitt. „Es ist unwahr, daß die deutsche Musikkultur diesen Aderlaß mühelos ausglich; auch dies ein Propagandamärchen, denn jede Sparte der Musikinterpretation war gleichzeitig gestört, und nicht nur der jähe Streichermangel zwang zur Improvisation, die qualitätsmindernd wirkte, oder eben zu Ausnahmeregelungen." Dennoch kommt man nicht umhin, beim Musiktheater und im Konzertleben des „Dritten Reichs" eine Kontinuität festzustellen. Die Eingriffe der Nationalsozialisten in das Repertoire waren nicht so weitgehend wie in die Spielpläne des Schauspieltheaters. Dann gibt es noch ein methodisches Problem. Die Musikkultur der Weimarer Republik kann nicht nur aus der Sicht der Moderne, nicht nur als „Labor der Moderne" wahrgenommen werden. In dieser Phase wurden so unterschiedliche Werke wie Brecht/Weills Dreigroschenoper, Mahagonny und Richard Strauss' Arabella uraufgeführt. Das Unvereinbare existierte erfolgreich nebeneinander. Diese Ungleichzeitigkeit muß methodisch 88 89 90 91

Jost Hermand/Frank Trommler: Die Kultur der Weimarer Republik. München 1978. S. 7. Michael Walter: Hitler in der Oper. Deutsches Musikleben 1919 - 1945. Stuttgart/Weimar 1995, S. XII. Ebenda, S. IX. Fred K. Prieberg: Musik im NS-Staat. Frankfurt am Main 1982, S. 45.

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Werner Mittenzwei immer beachtet werden, um nicht falschen Verallgemeinerungen zu unterliegen. Wenn Michael Walter feststellt, daß in den letzten Jahren der Weimarer Republik nicht Schönberg, Berg oder Weill eine zentrale Rolle gespielt haben, sondern Puccini und Richard Strauss, so läßt er doch außer acht, daß mit der radikalen Tilgung der Moderne durch die Nationalsozialisten der lebendige Entwicklungsstrang durchschnitten wurde, auch wenn in einigen Werken der Standard von einst bewahrt werden konnte. Für das Regime, das zwölf Jahre bestand, wirkte sich der Abbruch, der die Entwicklung blockierte, noch nicht verhängnisvoll aus. So gesehen war es eben eine zwiespältige Kontinuität. Daß es den Nationalsozialisten nicht gelang, eine „wirkliche Musikpolitik" durchzusetzen, führt Michael Walter, wie auch einige Historiker des Schauspieltheaters, auf den kulturpolitischen Konkurrenzkampf zwischen Alfred Rosenberg und Joseph Goebbels zurück. Hitler habe, was Walter sehr informativ belegt, selbst eingreifen müssen. Doch diese Rivalitäten haben letztlich nicht die Gleichschaltung verhindert, sondern höchstens dementsprechende Illusionen verstärkt. Heimkehr in die Fremde? Die Wiederbegegnung der Emigranten mit den Daheimgebliebenen Schwierige Heimkehr In den ersten Jahren des Exils wollte Brecht immer in der Nähe Deutschlands bleiben, um einmal schnell heimkehren zu können. Als der Krieg zu Ende ging, befand er sich wie viele seiner Schicksalsgenossen weit von Deutschland entfernt. Die Heimkehr gestaltete sich schwierig; sie zog sich über Jahre hin. Viele kehrten gar nicht mehr zurück. Das Bild vom ungeduldigen Emigranten, der auf den Tag der Heimkehr wartet, trifft nur auf einen Teil zu, nicht auf die Mehrheit. Nach grober Schätzung sollen von rund einer halben Million Emigranten, darunter 125.000 Österreicher, etwa 20 Prozent nach Deutschland zurückgekehrt sein; etwa 3 bis 4 Prozent der jüdischen Exilanten, 20 Prozent der Schriftsteller, ein Drittel der Wissenschaftler. Was die einzelnen bewog, nicht oder erst spät zurückzukehren, ist sehr unterschiedlich. Daß auch unter den Ungeduldigen viele zu denen zählten, die relativ spät heimkehrten, hatte meist politische Gründe, die bei den Besatzungsmächten lagen. Jede Siegermacht verfolgte eigene Vorstellungen, und keine dachte daran, die Rückkehr in eine andere Besatzungszone zu unterstützen. Was jetzt mit Deutschland geschah, wie es in Zukunft aussehen sollte, lag bei den Siegern. In ihre Politik wollten sie sich nicht von den Emigranten hineinreden lassen. Ihre schnelle Ausreise aus dem Exilland wurde oft zeitlich verzögert. So meinte Oskar Maria Graf, der Bayer in New York, das Exil beginne erst jetzt, bisher sei ihr Aufenthalt im fremden Land nur „Wartezeit" gewesen. Die ersten Rückkehrer trafen noch vor der Kapitulation Ende April 1945 in Berlin ein. Sie gehörten zu der Gruppe Ulbricht aus Moskau, darunter auch der Theatermann Fritz Erpenbeck. Sechs Wochen später kam Johannes R. Becher. Zwischen der sowjetischen Regierung und den deutschen Emigranten hatte es gegen Kriegsende eine Phase der konzeptionellen Vorbereitung für die Zeit der Neugestaltung Deutschlands gegeben. Es wurden Pläne für den kulturellen Neubeginn entworfen. Diese Arbeit ist später maßlos überschätzt worden, als sei die zukünftige Entwicklung von den Emigranten in Moskau entworfen worden. Aber Konzeptionen für konkrete Arbeitsgebiete bestanden schon. 60

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus

Einige Emigranten kehrten in Uniform heim, als Kulturoffiziere der alliierten Armeen. Alle vier Siegermächte hatten sie in ihren Reihen, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung. Da die sowjetische Besatzungsmacht sich auf die Emigranten stützte und sie mit selbständigen Aufgaben betraute, spielten sie als Kulturoffiziere nicht die Rolle. Diese Funktion blieb sowjetischen Offizieren vorbehalten und wurde oft von hochgebildeten jüdischen Intellektuellen wahrgenommen, die nicht nur ausgezeichnet Deutsch sprachen, sondern auch profunde Kenner, ja Liebhaber der deutschen Kultur waren. Was der mehr gefürchteten als begrüßten Siegerarmee bei den Deutschen zuerst Anerkennung eintrug, war die Arbeit und Haltung ihrer Kulturoffiziere. Als amerikanische Kulturoffiziere kamen bekannte emigrierte Schriftsteller nach Deutschland zurück, so Klaus Mann und der erst im Exil zum Schriftsteller gewordene Stefan Heym. Unter den Kulturoffizieren der französischen Armee befand sich Alfred Döblin. Bei den Amerikanern gab es auch direkte Theateroffiziere, so Benno D. Frank (Fränkel), vor 1933 Regisseur am Wiesbadener Staatstheater, dann Oberregisseur an der Hamburger Oper; Frederic (Friedrich) Mellinger, vor der Emigration Schauspieler in Berlin und München; Gerard Willem van Loon kam aus dem Max-Reinhardt-Seminar in Wien; Walter Behr gehörte zum Ensemble der KATAKOMBE. Sie waren die ersten, die mit den Daheimgebliebenen ins Gespräch kamen. Daß diese ersten Begegnungen oft nur bestätigten, wie fremd ihnen die eigenen Landsleute geworden waren, zeigt die Unterredung, die der Kulturoffizier Klaus Mann, der sich aber nicht zu erkennen gab, mit Richard Strauss führte. 92 Geringere Schwierigkeiten bereitete die Rückkehr aus Ländern wie der Schweiz, die nicht in den Krieg hineingezogen wurden. Für die Emigranten des Zürcher Schauspielhauses blieb es weitgehend eine persönliche Entscheidung, ob sie relativ schnell das Exilland verließen wie Wolfgang Langhoff und Wolfgang Heinz oder sich erst später zur Rückkehr entschlossen wie Kurt Horwitz, Ernst Ginsberg oder im Lande blieben wie Leopold Lindtberg, Erwin Parker, Teo Otto. Aber selbst hier gab es Eingriffe der Siegermächte, die eine schnellere Rückkehr verhinderten, wie der Fall Leonard Steckel zeigt. Als Steckel sich Anfang 1951 entschloß, Zürich zu verlassen und in die Bundesrepublik überzusiedeln, erhielt er kein bundesdeutsches Visum. Einflußreiche Personen und Dienststellen wurden eingeschaltet, und der Emigrant Steckel richtete sogar ein Gnadengesuch an den neuen amerikanischen Botschafter in Bonn. Erst später stellte sich heraus, daß er versehentlich auf die schwarzen Listen der Amerikaner geraten war. Konzeptionen In den Jahren der Emigration wurde fortwährend an Konzeptionen gebastelt, wie das Deutschland nach Hitler aussehen müsse, um dort zu Hause sein zu können. Das geschah keineswegs nur von den Wortführern der Parteien und Organisationen. Jeder, der Deutschland verließ, weil er um sein Leben fürchten mußte, hing bestimmten Vorstellungen an, hatte seine Träume. Diese Vorstellungen unterschieden sich oftmals von den Manifesten und Erklärungen, die die Exilanten unterschrieben, weil sie meinten, eine Bewegung unterstützen zu müssen, die vielleicht etwas bewirken könnte. In den beiden ersten Nachkriegsjahren waren alle Siegermächte bestrebt, einen konsequenten Antifaschismus durchzusetzen. In Übereinstimmung mit dieser Politik 92

Vgl.: Klaus Mann: Der Wendepunkt. Berlin/Weimar 1974, S. 641 - 644.

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brachte aber jede Besatzungsmacht ihre eigene Ideologie ein. Auf kulturellem Gebiet wirkte sich dieser Pluralismus sehr anregend aus. Doch diese Phase endete bereits 1947/48. „Nach der kurzen antifaschistischen Periode verschwanden die Begriffe Faschismus und Antifaschismus mehr und mehr aus den offiziellen Programmen, und die anti-antifaschistische Besatzungspraxis wurde ab November 1947 offiziell als eine antikommunistische definiert"93, schreibt Wigand Lange in seiner Untersuchung der Theaterpolitik in der amerikanischen Besatzungszone. Da dieser Wechsel in der Besatzungspolitik, der den Kalten Krieg eröffnete, tief in die Belange jedes einzelnen eingriff, änderten sich auch die Deutschlandvorstellungen. In der ersten Periode lassen sich die Gedanken über den Neubeginn, die auch das Verhältnis der Emigranten zu den Daheimgebliebenen berührten, noch relativ unverstellt von der Politik verfolgen. Daß sich das Aufeinandertreffen schwierig gestalten würde, war zu erwarten; denn hier trafen unterschiedliche Erfahrungen aufeinander, standen sich verschiedene Verhaltensweisen gegenüber. Dazu kam, daß der Krieg die Verbindung zu den Daheimgebliebenen, die es vor 1939 noch gab, total unterbrochen hatte. Man wußte nichts mehr voneinander. Wie hatten sich die Daheimgebliebenen während der kriegerischen Schlächterei verhalten? Mit welchen Vorstellungen kehrten die Emigranten zurück? Die Heimkehr der Theaterleute vollzog sich weniger auffällig als die der Schriftsteller, obwohl es auch bei ihnen an Aufmerksamkeit der Presse nicht fehlte. Was sie dachten und was sie wollten, sollte auf der Bühne seinen Ausdruck finden. Wie sie mit ihren in Deutschland gebliebenen Kollegen zurechtkamen, wie sie den Zustand ihrer Kunst empfanden, das kam meist erst später in ihren Memoiren zur Sprache. Anders verlief die Annäherung bei den Schriftstellern. Hier kam es zu Kontroversen, hier kreuzten sich konzeptionelle Vorstellungen. So subjektiv im einzelnen, sind sie doch von allgemeiner Bedeutung, weil durch sie das gesellschaftliche Klima merkbar wird, weil da die Erwartungen und Enttäuschungen beider Seiten zur Sprache kommen. Verfehlte Katharsis Georg Lukäcs ging in seinen in den letzten Kriegsmonaten geschriebenen Arbeiten davon aus, daß die Deutschen in eine geschichtliche Situation einträten, in der sie nach verschuldetem Leid und Elend eine geistige Reinigung durchmachen und so zum Lenker ihres eigenen Schicksals würden. Die Deutschen stünden vor einer Schicksalswende, die sie tief erschüttern werde. Die Scham über die vergangenen Verbrechen, über das Leid, das sie über die Welt gebracht hätten, würde eine nationale Katharsis, eine Metakatharsis, auslösen. Lukäcs entwarf das als einen großen praktischen und theoretischen Vorgang. Daß er mit diesen Gedanken nicht allein stand, zeigt eine Erklärung Alfred Anderseits, der nach dem „Zusammenbruch der alten Welt" ein „originales Neu-Werden, für das es keine Muster und Vorbilder" gebe, forderte. Doch Lukäcs' nationale Metakatharsis blieb eine Utopie. Statt zu einer nationalen Katharsis kam es zu Entnazifizierungsverfahren. Ursprünglich nur für die Führungsgruppen vorgesehen, erstreckten sie sich dann auf alle Schichten der Gesellschaft. Auch prominente Schauspieler, Regisseure und Musiker mußten 93

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Wigand Lange: Theater in Deutschland nach 1945. Zur Theaterpolitik der amerikanischen Besatzungsbehörden. Frankfurt a.M. u.a. 1980, S. 41.

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sich vor Spruchkammern und Entnazifizierungsgerichten verantworten, die entschieden, ob der Betreffende 1. zu den Hauptschuldigen, 2. zu den Schuldigen oder Aktivisten, 3. zu den Minderbelasteten, 4. zu den Mitläufern oder 5. zu den Entlasteten zählte. Die bisherigen Forschungen zu diesem Thema, die Arbeiten von Lutz Niethammer und Wigand Lange, heben den widersprüchlichen Doppelaspekt dieser Verfahren hervor: Säuberung und Rehabilitierung, „[...] Aspekte, die allerdings schon ein kritisches Licht auf den Vorgang der Entnazifizierung werfen: Sie widersprechen sich, heben sich gegenseitig auf, da der zweite den ersten rückgängig macht." 94 Die Entnazifizierungsverfahren wurden in jeder Besatzungszone anders gehandhabt. Wigand Lange meint, in der sowjetischen Besatzungszone seien die Verfahren gegen Künstler weniger streng, bei den Amerikanern dagegen anfangs sehr rigoros durchgeführt worden. Er führt das darauf zurück, daß die Sowjets eine ökonomische Entmachtung der früher herrschenden Klasse verfolgten, während die Amerikaner im deutschen Faschismus „ein rein psychologisches Phänomen" gesehen hätten und deshalb bestrebt gewesen seien, die „deutsche Mentalität", den deutschen Nationalcharakter, zu verändern. In der englischen und französischen Besatzungszone spielten die Verfahren eine geringere Rolle. Bevor die prominenten Künstler des „Dritten Reichs" wieder eine Bühne betreten konnten, mußten sie sich entnazifizieren lassen. Als die Russen Berlin eroberten, soll Gustaf Gründgens siebenmal verhaftet worden sein. Danach kam er in der amerikanischen und britischen Zone vor eine Entnazifizierungskommission. Aber für ihn setzten sich gleich am Anfang viele seiner Kollegen ein. In München wurden Unterschriften für ihn gesammelt, an der Spitze stand der Name von Erich Engel. Paul Henckels, Paul Bildt, Theo Lingen, die er geschützt hatte, traten für ihn ein. Gewicht besaß das Zeugnis von Ernst Busch, der bekannte, daß Gründgens der einzige gewesen sei, „der für mich eingetreten ist und der mir indirekt das Leben gerettet hat". In Berlin zeigten sich die sowjetischen Besatzungsoffiziere interessiert, Gründgens wieder zu einer Bühne zu verhelfen; die deutschen Antifaschisten verhielten sich da weit vorsichtiger. Gründgens wiederum trat für seine Kollegen Lothar Müthel, Paul Hartmann und auch für Emmy Göring ein. Lothar Müthel war von 1939 bis 1944 Intendant des Burgtheaters Wien gewesen; Paul Hartmann aber Präsident von Goebbels' Reichstheaterkammer, wenn auch mehr als Repräsentationsfigur. Daß Gründgens als Entlastungszeuge für Emmy Göring auftrat, davon meinten selbst seine Freunde ihm abraten zu müssen. An diese Frau hatte er sich gewandt, als er in Bedrängnis war und Hilfe für seine Mitarbeiter brauchte. Er meinte, er könne sich einer Aussage nicht verweigern, und gab an, daß Emmy Sonnemann, spätere Frau von Hermann Göring, als Schauspielerin am Staatstheater keine Privilegien genossen, nicht mehr Rollen als andere Vertreterinnen dieses Faches erhalten habe und auch keine höhere Gage. Es blieb nicht aus, daß bei diesen Verfahren Emigranten als belastende oder entlastende Zeugen auftraten. Diese Form der Begegnung führte eher dazu, daß sich die Beziehungen komplizierten. Im Fall von Werner Krauß, der wegen seiner Darstellung in dem Film Jud Süß mehrfach vorgeladen wurde, setzte sich der Emigrant Carl Zuck94

Ebenda, S. 122. - Über die Entnazifizierungsverfahren von Künstlern ist zwar in Biographien und Memoiren nachzulesen, aber eine Gesamtdarstellung und Wertung gibt es nicht, da die Quellenlage außerordentlich schwierig zu erschließen ist. Wigand Lange hat in seiner umfangreichen Untersuchung über die Theaterpolitik in der amerikanischen Besatzungszone die Entnazifizierungsverfahren von Theaterleuten in München herausgegriffen und 66 Fälle untersucht.

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mayer entlastend für ihn ein, während der Emigrant Leopold Lindtberg geäußert haben soll, wenn Krauß wieder das Burgtheater betrete, werde er es verlassen. Jahrzehnte später schrieb der Schriftsteller Erich Kuby über diese Art der Vergangenheitsbewältigung: „Die entsetzliche Methode der Denazifizierung mit den Fragebögen wurde sehr schnell, nachdem sie in deutsche Hände übergegangen war, eine Komödie. Alle besorgten sich irgendwoher einen Persilschein. Es begann ein Betrug ohnegleichen, an dem sich nahezu die gesamte Bevölkerung beteiligte, weil ja vorher nahezu die Gesamtbevölkerung dieses Regime bejubelt hatte."95 Insgesamt gesehen führten die Entnazifizierungsverfahren zu keinem wirklichen Umdenken, zu keiner Läuterung und Einsicht in Schuld. Sie müssen als ein verfehlter Versuch betrachtet werden. Wigand Lange kam es bei seinem Studium der Entnazifizierungsakten vor, „[...] als ob es sich bei ihnen [den Künstlern - W. M.] um mehr oder weniger aktive Antifaschisten handelte. Das Theater des .Dritten Reichs' erscheint hier als eine Hochburg des Widerstands, die es - das wissen wir - , von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht gewesen ist."96 Was an Gegnerschaft zur Hitlerdiktatur vorgewiesen wurde, sei nur „Gesinnungsantifaschismus" gewesen, „weil die Gegnerschaft zum NaziRegime - wenn überhaupt - nur als .Gesinnung', .Einstellung' und .Meinungsäußerung' vorhanden war."97 Die meisten Betroffenen wurden als „Mitläufer" eingestuft. Die Entnazifizierungsverfahren gerieten mehr und mehr zu einer betont formaljuristischen Angelegenheit. Mit dem Ende der progressiven Nachkriegsperiode, dem Wechsel von Antifaschismus zum Antikommunismus, hörten sie ganz auf. Mißglückte Annäherung Die Wiederbegegnung und Annäherung zwischen den emigrierten und daheimgebliebenen Künstlern gestaltete sich schwierig, auch wenn die Heimkehrer von Presse und Publikum freudig begrüßt wurden. Es gab immer wieder Anlässe, daß die unterschiedlichen Lebenserfahrungen aus dem letzten Jahrzehnt zu Konflikten führten. Das Vergangene schien immer noch Sprengstoff zwischen denen zu sein, die ins Exil gingen, und denen, die in Deutschland blieben. Das zeigte der „Fall Jürgen Fehling" oder, wie es im Telegraf hieß, der „Kulturkampf um Jürgen Fehling". Der aus dem Züricher Exil heimgekehrte Wolfgang Langhoff hatte, drei Monate nachdem er das Deutsche Theater in Berlin übernommen hatte, im Sommer 1946 Jürgen Fehling aufgefordert, fortan am Deutschen Theater tätig zu sein. Der Vertrag schien perfekt. Fehling, der damals als „die stärkste Kraft des deutschen Theaters" galt, bezeichnete den Abschluß als einen „Freundschaftspakt". Man konnte meinen, ein Brückenschlag zwischen Emigranten und Daheimgebliebenen, in diesem Fall ließ sich auch sagen: zwischen äußerer und innerer Emigration, hatte stattgefunden. Der Entschluß Langhoffs war mutig, auch wenn er von einigen Freunden und von Theaterkritikern wie Wolfgang Harich dazu gedrängt worden war, denn das explosive, anarchistische Temperament Fehlings konnte jedes Theater ebenso mitreißen wie niederreißen. Dazu kam, daß sich die beiden kaum kannten. Lang95

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Mit Schreibmaschinen ändert man das System nicht. Gespräch mit Erich Kuby. In: Freitag. Berlin. 17. März 1995. Nr. 12. Wigand Lange: Theater in Deutschland nach 1945, a.a.O., S. 153 f. Sein großes Bekenntnis zum Deutschen Theater. Gespräch mit Jürgen Fehling. In: Nacht-Express. Berliner Abendzeitung. 6. November 1946.

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus hoff hatte keine Inszenierung Fehlings gesehen, und Fehling wußte nichts von Langhoffs Züricher Arbeit. Wie wenig der eine den anderen kannte, zeigt die emphatische Formulierung Fehlings nach Vertragsabschluß: „Ich habe nach einem Jahr, das durch Enttäuschung, Mißverständnis und Undankbarkeit für mich nicht leicht war, die freudige Feststellung gemacht, daß kein Hitlertum und kein Krieg zwei Männer des deutschsprachigen Theaters verhindern konnten, die deutsche Theaterfrage aus dem durch nichts zu trübenden Generalnenner des deutschen Idealismus anzugehen."98 Doch was schon als neue Epoche des deutschen Theaters ausgegeben wurde, endete mit einem Krach, der zum Abbruch aller Beziehungen führte. Als Heinrich George am 25. September 1946 in einem sowjetischen Internierungslager an einer Blinddarmentzündung verstarb, veröffentlichte Jürgen Fehling im Kurier vom 12. November 1946 einen Nachruf, in dem er die Leistungen des großen Schauspielers würdigte. George war, wie zunächst auch Gustaf Gründgens, verhaftet worden. Zuvor, am 5. Mai 1945, also drei Tage vor der deutschen Kapitulation, hatte er bei Mitarbeitern des Generaloberst Bersarin vorgesprochen, um ein Theater zu eröffnen. Die Russen verhörten ihn mehrmals, schickten ihn aber wieder nach Hause, bis sie ihn dann doch verhafteten. Während Gründgens sehr bald entnazifiziert wurde und wieder spielen durfte, meinte man, in George die Symbolfigur für die nazifreundliche Anpassung der Prominenten sehen zu müssen. Von den großen Schauspielern, die im Lande blieben, war George eine der stärksten, wenn nicht die stärkste Begabung. Seinen Darstellungsstil hatte er bereits vor 1933 voll ausgebildet. Wie der Kortners war auch der seine geprägt von den expressiven Kunstformen der zwanziger Jahre. George suchte gleichfalls die Schauspielkunst, in der er groß geworden war, zu bewahren. Aber sein Stil mit den explosiven Übergängen von zarten, leisen Tönen zum gewaltigen Pathos ließ sich von den Nazis leichter beanspruchen als die künstlerische Individualität anderer Schauspieler. Von seiner geistigen Physiognomie her war George sicher kein Anhänger des Nationalsozialismus, aber sein Anpassungsinstinkt, seine Witterung für Stimmungen, machten ihn anfällig für Aussagen, die er als Intendant von sich gab, die man ihm jetzt vorhielt und die einflußreiche Leute davon abhielten, für ihn einzutreten. Im Internierungslager ließen ihn die Russen seine Lieblingsrolle, Puschkins Postmeister, in russischer Sprache spielen. Man darf durchaus annehmen, daß er nach kurzer Zeit entlassen worden wäre und wieder hätte spielen können, hätte er diese Zeit gesundheitlich durchgestanden. Denn auch Lothar Müthel holte man einige Zeit später in der Nachfolge für den tödlich verunglückten Ferdinand Marian als Mephisto in Weimar wieder auf die Bühne. Unmittelbar nach dem Krieg wollte man aber in George den Prototyp des Anpassers sehen, der sich an die Nazis herangeschmissen habe. Was viele getan hatten, blieb an ihm haften. Für George trat dann Fehling so entschieden ein, daß sein Nachruf auf den großen Schauspieler als provokativ empfunden wurde. Langhoff, der ehemalige KZ-Häftling und Emigrant, der allen Grund gehabt hätte, mit George hart ins Gericht zu gehen, mußte Fehlings Eintreten für George empörend finden. Für ihn war das der Anlaß, jede weitere Zusammenarbeit mit Jürgen Fehling aufzukündigen. Fehling habe einen Mann in überschwenglichen Ausdrücken gelobt, der „bekanntermaßen ein aktiver Nationalsozialist und Kriegsverbrecher gewesen" sei. Mit keinem Wort habe Fehling auf Georges Verrat, „auf seinen mit diesem Verrat bedingten 58

Ebenda.

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Werner Mittenzwei künstlerischen Abstieg hingewiesen", vielmehr habe er noch die politische Taktlosigkeit besessen, unter Georges Rollen auch die des Luther in einem Stück von Hanns Johst hervorzuheben. Mit seiner Meinung über George stand Langhoff nicht allein, die Zeitungen schrieben darüber nicht anders. Selbst der Telegraf kennzeichnete George als eine „Art Gauleiter in den geistigen Bezirken des Nazismus". Fehling wiederum nannte jetzt Langhoff einen „Herrn, der aus dem sicheren Zürich ins zerrissene, bettelarm gewordene Deutschland mit großem Ehrgeiz heimgekehrt" sei. Wenn die praktische Arbeit auf der Bühne in schriftlich formulierte Bekenntnisse abglitt, schien der Konflikt vorprogrammiert. Das Aufeinanderzugehen und der Abbruch der Beziehungen zwischen Langhoff und Fehling offenbarten die potentiellen Möglichkeiten und Gefahren bei der Rückkehr der Emigranten. In der progressiven Nachkriegsphase (1945 - 1947) wurden diese Konflikte noch als Einzelfälle, als Kontroversen von Personen ausgetragen. Einige Zeit später gingen sie in der allgemeinen Frontstellung des Kalten Krieges auf. Fehling, völlig überrascht von dem, was er ausgelöst hatte, verabschiedete sich von Langhoff im Intendantenzimmer des Deutschen Theaters mit den Worten: „Sie werden kein glücklicher Mensch sein, Langhoff. Über solcher Überheblichkeit sind die Erinnyen." Zwei Jahre später kam es abermals zu einem Vorfall, der deutlich machte, daß sich die Beziehungen zwischen Emigranten und Daheimgebliebenen komplizierter gestalteten, als es die allgemeine Willkommensbereitschaft ahnen ließ. 1948 starb Karl Heinz Martin, der nach Kriegsende Intendant des unzerstört gebliebenen Hebbel-Theaters in Berlin geworden war. Jürgen Fehling, vom Deutschen Theater zurückgewiesen, wollte jetzt im Hebbel-Theater zum Zuge kommen. Die Tatsache, daß er in dem aus den USA zurückgekehrten Fritz Kortner einen Mitbewerber erblickte, veranlaßte ihn - nach Ausdrücken höchster Wertschätzung für den Künstler Kortner - zu der antisemitischen Bemerkung, dennoch würde er lieber Kortners Grabstein in Auschwitz begegnen. Ein neuer Skandal! Fehling, dem keiner je eine nazifreundliche Haltung nachgesagt hatte, entschuldigte sich, aber Kortner nahm die Entschuldigung nicht an. Erst Jahre später normalisierten sich die Beziehungen, aber zu einer künstlerischen Zusammenarbeit kam es nicht. Der Einfluß des Exiltheaters auf die deutsche Schauspielkunst „Das Spiel muß weitergehen!" Da die Deutschen sich nicht gegen Hitler erhoben, sondern befreit werden mußten, bestimmten in Deutschland jetzt die Siegermächte. Ihre Entscheidungen berührten alle Bereiche des Lebens, auch die des Theaters. Obwohl die Alliierten anfangs ihre Politik koordinierten, verfuhren sie auf einzelnen Gebieten recht unterschiedlich. Die Amerikaner verboten mit dem Gesetz Nr. 191 nach Kriegsende jegliches Theaterspielen in der Öffentlichkeit. Die Theater blieben geschlossen. Erst im Herbst 1945 kam es in der amerikanischen Besatzungszone wieder zu Aufführungen. Die Sowjets erteilten schon am 16. Mai, acht Tage nach der Kapitulation, Spielerlaubnis. Als es wieder möglich war, den Vorhang zu öffnen, standen die emigrierten Schauspieler noch nicht zur Verfügung. Die sowjetische Besatzungsmacht, daran interessiert, daß Theater gespielt wurde, suchte nach nicht belasteten Künstlern, die in der Lage wa99

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Jürgen Fehling rechnet ab. Der Kurier. 21. November 1946.

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus

ren, trotz fehlender Voraussetzungen ein Ensemble und ein Publikum um sich zu sammeln. In Berlin zählten Paul Wegener, Fritz Wisten, Ernst Legal, Karl Heinz Martin, Viktor de Kowa, Boleslaw Barlog, Walter Felsenstein mit zu den ersten, die die Erlaubnis erhielten, eine Bühne zu eröffnen oder zu inszenieren. Die Russen zeigten sich anfangs gegenüber Schauspielern viel großzügiger als die anderen Besatzungsmächte. Die „Artisten", wie die Russen die Künstler nannten, waren gefragt. Paul Wegener, während der Nazijahre ein prominenter, vielbeschäftigter Darsteller, setzten die Russen als Präsident der Kammer der Kulturschaffenden ein, der ersten ordnenden, administrativen Behörde auf künstlerischem Gebiet nach dem Krieg. Am Gartenzaun von Wegeners Haus in der Binger Straße in Friedenau brachten die Russen ein Schild an, auf dem stand: „Hier wohnt Paul Wegener, der große Künstler, geliebt und verehrt auf der ganzen Welt." 100 Als sein Sekretär in der Kulturkammer amtierte der Theaterkritiker Wolfgang Harich. Die an die Spitze eines Theaters gestellt wurden, wie Ernst Legal, Karl Heinz Martin, Viktor de Kowa, später Fritz Wisten und Walter Felsenstein, waren fast alle im „Dritten Reich" prominente Schauspieler oder Regisseure gewesen, die aber auf Distanz zu den Nationalsozialisten blieben. Zu den Verfolgten gehörte Fritz Wisten. Einst im Jüdischen Kulturbund tätig, hatte er die letzten Kriegsjahre nach kurzer Haft wie durch ein Wunder überstanden. Er übernahm das Theater am Schiffbauerdamm. Alles begann eigentlich recht konzeptionslos, zufällig. Wer überlebt hatte, nicht als belastet galt und zur Verfügung stand, erhielt die Möglichkeit, wieder eine Bühne zu betreten. Wo es noch eine Dekoration und Schauspieler gab, wurde gespielt. Die programmatischen Eröffnungen, die die Leitlinien lieferten, erfolgten später, als das Spiel schon begonnen hatte. In den ersten Monaten nach Kriegsende schien man nach der Losung Paul Wegeners zu verfahren: „Das Spiel muß weitergehen!"101 Was sich zuerst veränderte, waren die Spielpläne. Gefragt war jetzt, was bisher verboten wurde, was man nicht kennenlernen konnte. Mit einem weltoffenen Spielplan sollte ein Neuanfang gemacht, die Erneuerung des Theaters herbeigeführt werden. Der Goethe-Titel eines Stücks jener Jahre, M r heißen euch hoffen, konnte als Programm gelten. Tatsächlich begannen die Theater in der Phase von 1945 - 1947 mit einer Ouvertüre, die auf Weltoffenheit, auf internationale Vielfalt gestimmt war. Allerdings ließ sich von Anfang an nicht übersehen, daß jede der vier Besatzungsmächte ihre eigene Dramatik, ihre eigene Auffassung von dem, was den Deutschen not tue, zur Geltung brachte. Nach 1947 hörte die Vielfalt auf. In den westlichen Besatzungszonen gab es keine sowjetischen Stücke zu sehen, und in der östlichen kamen keine „formalistischen", „kosmopolitischen" Werke mehr auf die Bühne. Mehr und mehr gingen die Besatzungsmächte auch dazu über, ihre eigene Dramatik, die in Deutschland gespielt werden sollte, stärker zu zensieren. Die Amerikaner setzten sozialkritische und politisch engagierte Werke wie die von Lilian Hellman und Clifford Odets auf den Index und empfahlen die leichteren unpolitischen Stücke. Aus dem sowjetischen Repertoire gelangte ein Teil der Revolutionsdramatik gar nicht nach Deutschland. Ein Werk wie Pogodins Aristokraten verfiel bis in die siebziger Jahre dem Verbot durch den sowjetischen Botschafter in Berlin. Aber auch die Wiederbegegnung mit Werken aus den zwanziger Jahren verlief spärlich und wenig glücklich. Zu einer Renaissance dieser Werke kam es nicht. Vom Spielplan verschwanden die maßgeblichen Autoren des „Dritten Reichs". Nur Werke von Ri100

Wolfgang Schivelbusch: Vor dem Vorhang. Das geistige Berlin 1945 - 1948. München/Wien 1995, S. 76. ""Ebenda, S. 76.

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Werner Mittenzwei chard Billinger und Hans Rehberg gelangten im westlichen Teil Deutschlands Anfang der fünfziger Jahre noch zur Aufführung. Der Test: Die Intendantenepisode Gustav von Wangenheim Einer der allerersten, wenn nicht überhaupt der erste Schauspieler, der aus der Emigration zurückkehrte, dürfte Heinrich Greif gewesen sein. Bereits am 1. Mai 1945, als noch gekämpft wurde, gehörte er zu einer Gruppe von Antifaschisten, die mit dem Flugzeug von Moskau nach Dresden gebracht wurde. Doch Greif kam nicht als Schauspieler, sondern als Organisator, der mithelfen sollte, in Deutschland etwas Neues aufzubauen. Er wurde Stadtrat für Kultur und Volksbildung in Dresden. Doch bald kam er nach Berlin und stieß zu Gustav von Wangenheim, der sich seit Juni 1945 in Berlin befand. Ihm hatte man die Leitung der nicht zerstörten Bühne Max Reinhardts, das Deutsche Theater in der Schumannstraße, übertragen. Daß ihm diese Aufgabe zufiel, schien sich ganz folgerichtig zu ergeben. Seit Piscator Moskau verließ, galt Gustav von Wangenheim als der repräsentative Theatermann in der sowjetischen Emigration. Zwischen ihm und Piscator bestand bereits in Moskau eine Rivalität. Am 22. August 1934 schrieb Wangenheim an Stanislawski, daß er beauftragt sei, ein „Deutsches Theater in Moskau" zu schaffen, und bat seinen Briefpartner um Unterstützung. Warum sollte er jetzt nicht der sein, der das Deutsche Theater in Berlin übernahm, zumal sein Vater, der ReinhardtSchauspieler Eduard von Winterstein, an diesem Theater beschäftigt war? In den ersten Nachkriegsmonaten wurde das Theater in der Schumannstraße zum Sammelpunkt der Prominenten. Die Großen der deutschen Schauspielkunst fanden sich hier ein, um wieder auf einer Bühne zu stehen: Käthe Dorsch, Paul Bildt, Paul Wegener, Aribert Wäscher, Gustaf Gründgens, Gerda Müller, Werner Hinz, Horst Caspar, Ernst Legal, Lola Müthel, Walter Richter. Versammelt waren hier große Teile des Hilpertund des Gründgens-Ensembles zu einem neuen Staatstheater. Wangenheim holte sich Heinrich Greif nicht nur als Schauspieler, sondern setzte ihn als Berater und Mitarbeiter der Intendanz ein. Auf diese Weise kam es zu einer ersten Berührung der Daheimgebliebenen mit den Emigranten in der unmittelbaren Arbeit. Innerhalb einer solchen Konstellation mußte die Intendantentätigkeit Gustav von Wangenheims zu einem Testfall werden. Wangenheim führte auch Regie, was den Erwartungsdruck noch steigerte. Doch die kulturpolitischen Verhältnisse im sowjetischen Exil hatten seine künstlerische Identität gebrochen. Sein Name verband sich mit der spektakulären Aufführung seines Stückes Die Mausefalle durch die von ihm geleitete TRUPPE 1931 zu Beginn der dreißiger Jahre. Aber dem Agitprop-Stil mit seinen kühnen, verknappten Formen hatte er im Exil abgeschworen, wie auch sein Kollege Maxim Vallentin. Diese Wandlung blieb dem deutschen Publikum zunächst verborgen. Einige Kenner und die Kritiker wollten in ihm einen Piscator-Ersatz sehen. Ob Wangenheim durch diese gebrochene Identität nach 1945 als Regisseur versagte oder ob ihm für den Regiestuhl im Deutschen Theater das Format fehlte, müßte einer genaueren Untersuchung vorbehalten bleiben. Sein Regieanspruch hatte vergessen lassen, daß er ein ausgezeichneter Schauspieler war, der über die expressive Kraft verfügte, die sich in den zwanziger Jahren herausgebildet hatte. Wangenheim inszenierte am Deutschen Theater vier Stücke: Gerichtstag von Julius Hay, Hamlet, Wir heißen euch hoffen von Fred Denger und Stürmischer Lebensabend von Leonid Rach68

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manow. Vor allem Hamlet und Stürmischer Lebensabend führten die daheimgebliebenen Spitzenkräfte mit den Emigranten zusammen. Was auf der Bühne zustande kam, hinterließ bei Publikum und Kritik den Eindruck, daß Wangenheim nicht das Niveau zu wahren verstand, das das Theater in den vergangenen zwölf Jahren besessen hatte. Dabei waren die beiden Stücke hervorragend besetzt. Hamlet mit Horst Caspar in der Titelrolle, Heinrich Greif als Fortinbras, Stürmischer Lebensabend mit Paul Wegener, Gustaf Gründgens, Walter Richter. In Hamlet versuchte Wangenheim, mit seinen Schauspielern eine marxistische Konzeption zur Geltung zu bringen, doch das mißlang völlig. Horst Caspar, der 1933 in Bochum anfing, Theater zu spielen, 1940 nach Berlin ging und hier bald als der jugendliche Held par excellence galt, kam mit dieser Konzeption überhaupt nicht zurecht. Wangenheim verstand aber auch nicht, ihn für seine Intention empfänglich zu machen. Sie wäre vielleicht mit Heinrich Greif in der Titelrolle viel eher aufgegangen. Aber einem solchen Vergleich wollte sich der Regisseur nicht aussetzen beziehungsweise hielt ihn für verfrüht. Caspar, trainiert, sich in Gefühle hineinzusteigern und ihnen sprachlichen Glanz zu verleihen, verfehlte die Rolle gründlich. Sein hochgestimmter Ton, an das Idealische gebunden, traf nicht die Aussage, die Wangenheim anstrebte. Das Publikum, das den Darsteller von früher kannte, sah hier nur Reste ehemaliger Schauspielkunst. Einige Kritiker, die von Wangenheim eine Aufführung im Piscator-Format erwartet hatten, waren von der unbeholfenen, konzeptionell nicht überzeugenden Regie tief enttäuscht. Für den Kritiker Wolfgang Harich war das ein „Kinkerlitzchen-Hamlet". Noch katastrophaler fiel die Inszenierung von Stürmischer Lebensabend aus, die gedacht war, Einblick in die sowjetische Lebensweise zu geben, die Verständnis wecken sollte für das Bündnis zwischen alter Intelligenz und den revolutionären Kräften. Sie lieferte viel eher den Beweis, daß die emigrierten Künstler nicht mit den Daheimgebliebenen zusammenfanden. Paul Wegener, der die Figur des Professors mit naturalistischen Details zerbröselte, und Gustaf Gründgens verhielten sich in diesem Stück wie in einer fremden Welt, mit der sie nichts anzufangen wußten. Das Zusammenführen der verschiedenen Kräfte gelang in der ersten Phase nicht. Es kam zu keinen persönlichen Konfrontationen, aber die Zusammenarbeit blieb ohne Impuls, das Aufeinandertreffen ohne Produktivität. Daß es auch im Politischen Schwierigkeiten gab, daß Wangenheim zu belehrend, zu bevormundend auftrat, darüber gibt eine Erinnerung Kurt Seegers Auskunft, der die Verhältnisse im Theater genau kannte: „Die Hilpert-Leute, zu denen ich gehörte, hatten eine Reihe von Matineen veranstaltet bzw. noch geplant, bevor Wangenheim und Greif aus der SU zurückgekehrt waren. Wir hatten lange Zeit totgeschwiegene Dichtungen und Dichter (zum Beispiel Lessing, Hofmannsthal, Heine) wieder zu Wort kommen lassen, Gerhard Puchelt hatte Klavier gespielt, Peter Anders seine herrliche Stimme selbstlos in den Dienst unserer Bemühungen um einen neuen Anfang gestellt - wieder stand eine solche Veranstaltung bevor, als Wangenheim mich zu sich ins improvisierte Intendantenzimmer bat. Auch Greif war anwesend. Man wies mich auf einzelne Programmteile hin, die unserer neuen Situation nicht mehr ganz entsprächen - und begann, mir diese neue Lage verständlich zu machen. Ich unterbrach und machte beiden klar, daß ich als alter Arbeitersportler und Antifaschist, dem auch die illegale Arbeit nicht fremd geblieben war, eine politische Belehrung nicht nötig hätte. Schon hier begann Greif aufzutauen, und als ich beiden dann noch klarzumachen wußte, warum ich in meiner Programmgestaltung eine gewisse .Zwischenlinie' gewählt hatte, nämlich um die total verschreckten Menschen jener Zeit 69

Werner Mittenzwei nicht vor den Kopf zu stoßen, fand ich vor allem bei Greif sofort Verständnis."102 Als Greif im Juni 1946 an einer mißlungenen Operation starb, geriet Wangenheim zunehmend in die Isolation. Ende August 1946 erfolgte die Ablösung Gustav von Wangenheims als Intendant. Dieser Vorgang gehört für den Autor Wolfgang Schivelbusch, der dem geistigen Leben in Berlin während der Jahre 1945 bis 1948 nachgegangen ist, zu den „rätselhaften Episoden". So rätselhaft war sie wiederum nicht, betrachtet man sie aus dem Gesamtzusammenhang der sowjetischen Kulturpolitik. Sicher hat Schivelbusch recht, wenn er meint, daß Wangenheim als Regisseur und Intendant neben seinen neu eingesetzten Kollegen durchaus bestehen konnte. In der unmittelbaren Nachkriegszeit gab es außer Fehlings Inszenierung von Sartres Fliegen und der Aufführung von Jewgenij Schwarz' Der Schatten in der Regie von Gustaf Gründgens keine großen Regietaten. Aber der Emigrant Wangenheim wurde ja auch nicht abgelöst, weil er als Regisseur nicht überzeugte. Warum Wangenheim gehen mußte, ist auf zwei unterschiedliche Gründe zurückzuführen; auf einen äußeren, den Schivelbusch zu Unrecht für am unwahrscheinlichsten hält: daß ein hoher sowjetischer Offizier auf einer bestimmten Person bei der Besetzung einer weiblichen Hauptrolle bestand, und einen tieferliegenden, der das Miteinander von Emigranten und Daheimgebliebenen betraf. Die sowjetische Besatzungsbehörde, sicher in Absprache mit der Ulbricht-Gruppe, hielt Wangenheim nicht für fähig, mit den Spitzenkräften der Nazizeit, mit den „bürgerlichen Künstlern", auszukommen. Das trauten sie viel eher Wolfgang Langhoff zu, dem Mann aus Zürich, jetzt noch Intendant in Düsseldorf. Das mag Kenner verwundert haben, denn Wangenheim kannte die Berliner Spitzenkräfte besser als Langhoff. Mit Gustaf Gründgens, auf den jetzt alle warteten, hatte er in Hamburg gemeinsam auf der Bühne gestanden. Die Anrede des ersten Briefes, den Gründgens Wangenheim zukommen ließ, lautete: „Lieber Intendant und Gustav". 103 Daß Wangenheim gleich auf Gründgens zuging, ihm Angebote machte und ihn bat, sich das Stück selber auszusuchen, mit dem er sein Comeback einzuleiten gedenke, entsprach ganz der Auffassung der sowjetischen Kulturbehörden. Die Spitzenkräfte sollten gewonnen werden. Das würde Langhoff besser gelingen als Wangenheim, von dem der eigene russische Stallgeruch ausging, in dem zu sehr der Beauftragte Moskaus gesehen wurde. Langhoff war in Zürich im gegenseitigen Respekt und Vertrauen zwölf Jahre mit unterschiedlichen Künstlerpersönlichkeiten ausgekommen, das werde er auch in Berlin schaffen. Daß es dann Langhoff gleichfalls nicht vermochte, das Ensemble von Spitzenkräften zusammenzuhalten, worauf Wangenheim später hinwies,104 lag weniger an ihm als an der sich rasch verändernden politischen Situation. Nach der Währungsreform, die die Spaltung des Landes einleitete, verließen die meisten Prominenten den Osten. Es blieben nur die, die sich im Sinne des Sozialismus engagierten, die jahrzehntelange Bindungen zur Arbeiterbewegung besaßen. Das war dann schon die Phase, die vom Kalten Krieg geprägt wurde.

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Heinrich Greif: Künstler und Kommunist. Berlin [DDR] 1974, S. 85. Gustaf Gründgens: Briefe, Aufsätze, Reden, a.a.O., S. 53. 104 Gustav von Wangenheim im Gespräch mit Werner Mittenzwei. 103

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Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus Der Einfluß des Exiltheaters in der Nachkriegszeit Im Unterschied zur Exilliteratur wurde dem Exiltheater keine maßstabsetzende Bedeutung zugeschrieben, aber dennoch bestand der Anspruch, daß vor allem die Rückkehrer das vorgefundene Theater verändern müßten, und das nicht nur in organisatorischer und ideologischer Hinsicht. Die zurückkehrenden Theaterleute befanden sich da in einer schwierigen Situation. Sie kamen nicht mit weiterentwickelten Kunstentwürfen und experimentell erprobten Verfahren zurück, wie das Piscator zu Beginn des Exils geplant hatte. Nur Brecht kehrte mit präzis ausgearbeiteten Vorstellungen von einem neuen Theater zurück und lehnte deshalb entschieden ab, was bisher gemacht wurde. Wenn er auch meinte, mit keinem der hier gebliebenen Schauspieler einen Shakespeare inszenieren zu können, so zeigte er doch keine Vorbehalte, keine Scheu, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Das Theater des Exils durchlief keine so fruchtbare Periode wie die Literatur. Exiltheater bedeutet Verzicht, Selbstbeschränkung; es war eine Möglichkeit unter unmöglichen Bedingungen. Dennoch gab es Einflüsse, die die Theaterentwicklung nach 1945 bis weit in die fünfziger Jahre hinein bestimmten. Diese Spuren sind unübersehbar, sie waren profilprägend. Es empfiehlt sich jedoch zu unterscheiden zwischen Einflüssen, a) die von Erfahrungen einzelner Personen ausgingen und auf einzelne Personen wirkten, b) die sich konzeptionell verallgemeinern lassen, die eine bestimmte Richtung markieren, die einer Schule gleichkommen. Der persönliche Einfluß einzelner Emigranten auf die Daheimgebliebenen, auf die Generation, die unter dem Faschismus aufwuchs, war außerordentlich vielfältig, aber er vollzog sich meist unmerklich, wurde erst später als solcher benannt. Er kam eher in Memoiren zur Sprache als bei der künstlerischen Arbeit. Ein schulbildender, richtungweisender Einfluß des Exiltheaters läßt sich auf zwei Entwicklungen zurückfuhren: 1. auf Brechts Ausbau der Methode des epischen Theaters als ein Vorrat für eine spätere Praxis, 2. auf die Leistungen und das erreichte Profil des Emigrantenensembles am Zürcher Schauspielhaus. Brecht baute seine Vorstellungen vom Theater im Exil weiter aus, ohne sie praktisch ausprobieren zu können. Was er entwarf, blieb eine Theorie für eine kommende Zeit. Im Exil schuf er nicht nur die Stücke, die ihn zum wichtigsten Dramatiker des 20. Jahrhunderts machten, sondern erarbeitete auch methodische Hinweise, wie die Werke aufgeführt werden sollten. Das im Exil nie Aufführbare wurde für eine Zeit entwickelt, von der er sich wünschte, daß sie auf günstigeren gesellschaftlichen Voraussetzungen beruhe. Er installierte eine Methode, mit der er eine andere Art von Theater, das nicht-aristotelische, einzuführen gedachte. Es war nicht nur ein Entwurf in großen Linien, sondern eine Theorie mit praktischen Ratschlägen. Die fehlende Praxis wurde vom Schreibtisch aus generalstabsmäßig erschlossen. Eine Vorbereitungsarbeit dieses Zuschnitts hatte es bisher nie gegeben. Daß es gelang, diese im Exil geschaffenen Entwürfe maßstabgerecht, wenn auch über mehrere Vorbereitungsstufen, umzusetzen, erschien wie ein Wunder, wenn man bedenkt, wie wenig glücklich das Aufeinandertreffen der Emigranten mit den Daheimgebliebenen verlief. So führte die Berliner Inszenierung von Mutter Courage und ihre Kinder zu einer Wende in der Theaterkultur der Nachkriegszeit. Was bisher entweder als Nachklang einer vergangenen Theaterära oder als unbefriedigender Neuanfang hingenommen wurde, wurde abgelöst durch etwas erregend Neues. Ein Emi-

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grant hatte etwas eingebracht, das eine Zäsur setzte, das nicht vergleichbar mit dem Vorherigen war. Mit der Courage-Inszenierung von 1949 vollzog sich ein anderes Miteinander von emigrierten und daheimgebliebenen Künstlern, zumindest vom Ergebnis her. Regie führten der Emigrant Brecht und der in Hitlerdeutschland verbliebene Erich Engel. Brecht ging ganz selbstverständlich auf Engel zu, als wäre ihre Zusammenarbeit nie unterbrochen gewesen. Für ihn gab es bei der Rückkehr keine psychologische Hemmschwelle. Sein Grundsatz war, bei der Arbeit werde es sich erweisen, ob man miteinander auskomme oder nicht. Erich Engel wiederum war sich nicht so sicher, ob Brecht noch zu ihm stand. 1946 hatte er an Fritz Kortner geschrieben: „Siehst Du Brecht manchmal? Wie steht er denn zu mir?" 105 Fritz Kortner selber vermochte seinem alten Freund Erich Engel lange nicht zu verzeihen, daß er geblieben und nicht ins Exil gegangen war. Während der Inszenierung gab es zwischen Brecht und Engel keine Probleme. Vielleicht lag es daran, daß Engels Regieeigenheit während der vergangenen zwölf Jahre auf einem sicheren geistigen Fundament stand, daß er Ausweichmöglichkeiten mehr im Film gesucht hatte. Für ihn schien jetzt in der Zusammenarbeit mit Brecht eine Weiterentwicklung seiner eigenen Intention möglich, die er in den zwanziger Jahren ausgebildet hatte. Die Weigel, die im Exil ihre Kunst nicht ausüben konnte, stand mit Schauspielern wie Paul Bildt als Koch und Werner Hinz als Feldprediger auf der Bühne, die im Theater und im Film der Nazizeit zu den Spitzenkräften gehörten. Brecht warf den Schauspielern nicht vor, daß sie unter Goebbels und Göring Theater gespielt hatten, aber er verschwieg ihnen auch nicht, daß es dadurch zu Beschädigungen gekommen war. Da er mit ihnen arbeitete und nicht über die Vergangenheit diskutierte, kam er gut mit ihnen zurecht. Nur gelegentlich empfand er etwas erstaunt und ärgerlich zugleich, daß von ihnen eine „merkwürdige Aura von Harmlosigkeit" ausgehe. Die Courage-Premiere am 11. Januar 1949 in Berlin löste vor allem im Ostteil der Stadt eine Kritikerschlacht und eine lang anhaltende Diskussion aus. Doch der Anstoß zu einem neuen Theater war gemacht, das allerdings noch verschiedene Hürden zu nehmen hatte und sich in der Bundesrepublik erst spät durchsetzte. Unter dem Einfluß dessen, was Brecht auf die Bühne brachte, verblaßte der „Glanz des Göring-Theaters", bildeten sich neue Maßstäbe heraus. Ein mit dem Brecht-Theater vergleichbarer Umbruch vollzog sich nach dem Kriege nur noch durch Walter Felsenstein auf dem Gebiet des Musiktheaters. Sein Entschluß aus seiner Züricher Zeit, keine Operetten und Opern zu inszenieren, wenn nicht Bedingungen vorhanden sind, die es erlauben, mit den alten Gewohnheiten zu brechen, führte ihn zu der Erkenntnis, daß jetzt die Zeit gekommen sei, die Erneuerung der traditionellen Oper und Operette zu wagen. Er begann seine zweite Karriere. Die entsprechenden Bedingungen fand er 1947 in der von ihm im Ostteil der Stadt gegründeten Komischen Oper, die er mit der Operette Die Fledermaus eröffnete. In der DDR entwickelte er sein realistisches Musiktheater, das in der Nachkriegsperiode einen ähnlich starken Einfluß auf die deutsche und internationale Bühnenkultur ausübte wie das Brecht-Theater. Dabei war es von der Methode und der angestrebten Wirkung her der Gegensatz zur Kunst des Berliner Ensembles. 105

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Klaus Völker: Fritz Kortner. Schauspieler und Regisseur. Berlin [West] 1987, S. 164.

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Das Zürcher Emigrantenensemble Das Exil bot keine Gelegenheit zur kontinuierlichen Entwicklung. Es gab aber eine Ausnahme: das Zürcher Schauspielhaus. Als 1944 in Deutschland auf Anordnung von Goebbels alle Theater geschlossen wurden, stand das Zürcher Schauspielhaus, das vor 1933 in der Bühnenwelt zur Provinz zählte, auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Die Geschichte dieses Hauses läßt sich nicht einfach für das Exiltheater reklamieren; sie ist in komplizierter Verflechtung zugleich Teil der Schweizer Bühnengeschichte. Nach Kriegsende, als sich absehen ließ, daß das Ensemble auseinandergehen würde, machten die Mitglieder den Versuch, ihre Arbeit zu resümieren. Kurt Horwitz bekannte: „Daß man sich trotzdem in der Arbeit fand und sich gegenseitig respektierte - das ist das schöne Fazit der zwölf Jahre Schauspielhaus, und das war der Grund, daß es immer wieder zu Vorstellungen kam, die uns allen als gelungen erschienen. Ein einheitlicher, durchgehender Stil ist jedoch nicht entstanden, er konnte nicht entstehen, und es wäre nicht gut gewesen, wenn er entstanden wäre." 106 Was hier durch glückliche Umstände und weise Leitung zustande kam, war ein produktives Fortwirken der in der Weimarer Republik entwickelten Kunstmittel und der dort erworbenen Kunstauffassung in Verbindung mit einem aus persönlichen und geschichtlichen Notlagen entstandenen Antifaschismus der einzelnen Ensemblemitglieder. Verallgemeinert werden könnte diese Entwicklung mit dem von Peter Weiss entliehenen Begriff einer „Ästhetik des Widerstands". Daß es etwas Gemeinsames gab, das die verschiedenen künstlerischen Talente und ästhetischen Elemente im Widerstand gegen die Hitlerdiktatur verband, geht schon daraus hervor, daß die Exiltradition des Hauses auf die deutsche Theaterentwicklung bis weit in die fünfziger Jahre einwirkte. Die Zürcher Exiltradition ging in die Theaterarbeit des Berliner Ensembles und in die des Deutschen Theaters in Berlin ein. Wie aus einem Brief Bertolt Brechts an Leonard Steckel hervorgeht, bemühte sich Brecht sehr zielgerichtet darum, daß die Künstler des Pfauentheaters ihre „Exil-Tradition" an seiner Berliner Bühne fortsetzten. Neben Leonard Steckel, Therese Giehse, Teo Otto wollte er gern noch Ernst Ginsberg und Leopold Lindtberg nach Berlin holen. Seine Theaterkonzeption beruhte darauf, die jungen Kräfte mit den großen Theaterleuten des antifaschistischen Exils zusammenzuführen. Das Auftreten von Steckel, der Giehse, die Arbeit von Teo Otto am Berliner Ensemble vermittelten einen sehr lebendigen Eindruck von dem, was Brecht vorschwebte. Daß seine Pläne nicht ganz aufgingen, lag nicht an ihm, sondern an den Auswirkungen der Politik des Kalten Krieges auf das Theater. Dennoch hinterließ die begonnene Arbeit Spuren. Am nachhaltigsten wirkte die Zürcher Traditionslinie auf die Entwicklung des Deutschen Theaters in Berlin ein, das nach Wolfgang Langhoff von Wolfgang Heinz geleitet wurde. Der Einfluß bekam vor allem Gewicht, als das Deutsche Theater 1956 einen Großteil der Mitglieder der Wiener Scala übernahm, nachdem dieses Theater schließen mußte. Aber bereits zuvor gastierten Wolfgang Heinz und Karl Paryla regelmäßig am Deutschen Theater. An dieser Bühne verschmolzen in den fünfziger Jahren die Kunsterfahrungen aus der Weimarer Republik, die angestrebte Stanislawski-Methode mit der mehr praktisch ausgerichteten Zürcher Theatertradition. Durch die Entwicklungsarbeit von Wolfgang Langhoff und Wolfgang Heinz bekam die abstrakt übermittelte Stanis106

Theater. Meinungen und Erfahrungen [von] Mitgliedern des Zürcher Schauspielhauses. Affoltera 1945, S. 36 (= Schriftenreihe „Über die Grenzen", Bd. 4).

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Werner Mittenzwei lawski-Methode eine praktische Fundierung. So setzte sich in den fünfziger Jahren am Deutschen Theater eine Spielweise durch, die neben der des Berliner Ensembles als eigenständige Richtung in der DDR-Theaterkunst betrachtet werden muß. Einige Inszenierungen, wie zum Beispiel Gorkis Kleinbürger, zählten zu den herausragenden Leistungen deutscher Bühnenkunst dieser Jahrzehnte, die allerdings im Schatten des Weltruhms standen, den damals das Berliner Ensemble erzielte, und daher nicht die gebührende Auszeichnung fanden. Daß sich in Österreich keine eigenständige Traditionslinie herausbildete, nachdem 1948 „Das Neue Theater in der Scala" unter der Direktion von Wolfgang Heinz mit Mitgliedern des Zürcher Ensembles gegründet wurde, lag daran, daß unter den Bedingungen des Kalten Krieges die Scala keinen andauernden Nachhall erreichen konnte. Das Publikum fand sich nicht - wie in Zürich - zum „Chor" bereit, zur Koproduktion des Zuschauers mit der Bühne, wodurch die Kunstleistung erst zum fortwirkenden Ereignis wird. Von Anfang an als „Kommunistenpuff' diffamiert, von der staatlichen Kunstförderung übergangen, mußte die Bühne nach Abzug der Alliierten schließen. Die Heimkehr der emigrierten Künstler vollzog sich in Österreich noch komplizierter als in dem politisch härteren Klima der deutschen Bundesrepublik. Selbst im Musikleben war die Geste des Willkommens selten. „Das offizielle Österreich war - von Ausnahmen abgesehen - an einer Rückkehr der Vertriebenen nicht interessiert. Einladungen an die .österreichischen Künstler und Kulturschaffenden in den USA', publiziert in der Austro American Tribune (New York) und der Nueva Austria (Buenos Aires), machte nur der damalige Kulturstadtrat und ehemalige KZ-Häftling Viktor Matejka. [...] Erich Kleiber, Hermann Scherchen, Karl Rankl, Fritz Busch, Erich Leinsdorf, Jascha Horenstein, Wilhelm Steinberg, Fritz Stiedry blieben an der Peripherie des Musiklebens. 1947 waren bereits wieder fast ausschließlich Profiteure des NS-Systems im Wiener Musikleben verankert - die Wende war vollzogen. Die während der Jahre 1938 bis 1945 ,Sitzengebliebenen', die in hohe Funktionen aufgestiegen waren, bildeten eine uneinnehmbare Nomenklatura des österreichischen Kulturbetriebs."107 Kontinuität Nach 1945 gelang es nicht, einen totalen Bruch mit dem Theater des „Dritten Reichs" herbeizuführen, obwohl es in der Spielplanpolitik an drastischen Maßnahmen nicht fehlte. Im Unterschied zum Spielplan blieb die Spielweise weitgehend unberührt. Es setzte sich die Kontinuität des Ausweichstils durch, der eine Brücke zur Nachkriegszeit bildete, zu einem Theater, das sich vom Faschismus distanzierte, das aber über kein Arsenal für einen Neubeginn verfügte, das auch den radikalen Bruch scheute. Über die unmittelbaren Nachkriegsjahre hinaus fuhr man in der Bundesrepublik fort, Theater in der gewohnten Weise zu machen. Der stagnierende Ausweichstil, der sich jetzt nicht mehr von etwas absetzen mußte, der nicht mehr untergründig gegen machtgeschützte Vorbilder und Losungen zu polemisieren brauchte, verlor an künstlerischer Aussagekraft. Großen Schauspielern und Regisseuren fiel es nach anfänglichen Schwierigkeiten nicht schwer, ihr Niveau zu halten. Doch es war keine Kraft, kein Anlauf zu etwas Neuem vorhanden. Der Entwicklungsstillstand wurde mehr und mehr offenbar. In welchem Zu107

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Walter Pass/Gerhard Scheit/Wilhelm Svoboda: Orpheus im Exil. Die Vertreibung der österreichischen Musik von 1938 - 1945. Wien 1995, S. 186, 188.

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus stand sich das deutsche Theater befand, merkten vor allem die, die es von außen betrachteten, die aus dem Ausland kamen, die Emigranten, weniger das heimische Publikum, das froh war, daß das Spiel weiterging. 1947 kehrte Fritz Kortner zurück, für den als Schauspieler das Exil eine Zeit tiefer Erniedrigung gewesen war. „Wir hatten alle unsere Demütigungen, und wir haben nichts zu lachen gehabt" 108 , pflegte der Kortner-Freund Hanns Eisler zu sagen. Kortners Rückkehr fand zwar bei der Presse die gebührende Aufmerksamkeit, und es fehlte nicht an Umarmungen der Kollegen, auch derer, auf die er verzichtet hätte, aber auf die Bühne und an das Regiepult gelangte er nicht so schnell. Es gab Angebote. Aber in Berlin machten die Amerikaner Schwierigkeiten. „Kortner hätte damals seine amerikanische Staatsbürgerschaft aufgeben und in den Ostsektor .überlaufen' müssen, um dort spielen zu können." 109 Das Theater, das Kortner in Berlin sah, fand er „zum Weinen schlecht"; die große Dorsch in Stella „grauenhaft". An Kurt Hirschfeld in Zürich schrieb er: „Das Theater ist genauso, wie Sie es mir schilderten. Erbarmungswürdig provinziell mit geringen Ausnahmen. Nach wie vor fühle ich aber, daß der Wiederaufbau möglich ist, jedoch der besten vorhandenen Leute des Theaters bedarf." 110 Den „einfachen, wahrhaften Ausdruck" fand er von falschem Pathos, vom „Wagnergeist" verdrängt. Was auf der Bühne vor sich ging, kam ihm vor, als übten aufgeregte Theaterleute „epileptische Konvulsionen". Merkwürdig erschien ihm, daß selbst begabten Schauspielern das „Fehlingsche Zelotentheater" als Ideal vorschwebte. Aus seinen Beobachtungen ist zu entnehmen, daß er das deutsche Theater sich weiter in der Richtung bewegen sah, die es im „Dritten Reich" eingeschlagen hatte. Selbst die Begabtesten schienen an dem festzuhalten, woraus man in der Not der vergangenen zwölf Jahre eine Tugend gemacht hatte. An einen Freund aus der Emigration schrieb Kortner: „In der herrschenden Maßstablosigkeit empfinden sie sogar ihre höhere Gattung als inferior. Inferior einem Theater gegenüber, dessen falscher Dynamo den Schauspielern die Krampfadern in den Waden schwellen macht, das eine unflätige Walpurgisnacht für den Faust hält, das nicht an Geist und Herz appelliert, sondern beide betäubt, das den Gehirnschlag an die Stelle von Ergriffenheit setzt, ein Theater, auf dem sich die Schauspieler das Bäuschel herausreißen und es als Herz offerieren." 111 Gegenüber diesem Zustand fühlte er sich machtlos. Der einzelne, vor allem der einzelne Schauspieler, würde da nichts ausrichten können. Der Regisseur schon eher. Daß sich Brecht und Engel mit der Courage-Inszenierung der falschen Entwicklung entgegengestellt hatten, nahm er als ein Zeichen dafür, daß man doch etwas bewirken könne. Kortner ging nach München und inszenierte dort 1949 sein in den USA geschriebenes Stück Donauwellen. Er hoffte auf diese Weise das Theater eher beeinflussen zu können, als ihm das als Schauspieler möglich schien. Doch das Stück fand eine laue Aufnahme und wurde bald vergessen. Erst zwei Jahre nach seiner Rückkehr gelang es ihm, von München nach Berlin vorzudringen. Er spielte in Strindbergs Vater und in Millers Tod eines Handlungsreisenden. Als er 1950 Don Carlos inszenierte, kam es, wie die Kritik meinte, zum ersten großen Theaterskandal nach dem Kriege. Kortner inszenierte den 108

Hanns Eisler: Gespräche mit Hans Bunge. Fragen Sie mehr über Brecht. Leipzig 1975, S. 49. Klaus Völker: Fritz Kortner, a.a.O., S. 170. ""Ebenda, S. 183. 111 Fritz Kortner an Joseph Glücksmann. Brief vom 19. Juni 1949. In: Klaus Völker: Fritz Kortner, a.a.O., S. 185. 109

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Klassiker als politisches Stück, die Karikatur eines Staatsapparats, in dem der Ruf nach Gedankenfreiheit als hohle Schwärmerei erscheint. Der Posa war mit Horst Caspar besetzt, dessen hochgerissener pathetischer Ton hier eher satirisch wirkte, weil er die politische Misere deutlich machte: das Pathos als Phrase. Diese Inszenierung verfratzte die klassischen Gestalten, um dem Zuschauer zu einer kritischen Sicht zu verhelfen. Der Aufführungsstil nahm etwas vorweg, was erst im Theater der siebziger Jahre voll zur Entfaltung kam. Das Publikum, noch immer an den „Glanz" des alten Staatstheaters gewöhnt, war empört. Zu einer gar nicht gewollten, aber dennoch bezeichnenden Provokation kam es, als im fünften Akt ein Trupp Alba-Soldaten durch falsche Arretierung der Drehbühne eine volle Gewehrsalve in das Publikum abfeuerte. War das die Antwort Kortners an das deutsche Publikum? Die damalige Reaktion der Zuschauer beschreibt Klaus Völker: „Man war aber offensichtlich nur zu bereit, den Vorfall mißzuverstehen, und hier zeigt sich, wie tief der Riß denn doch war zwischen dem Emigranten, den die Nazis zum jüdischen Dämon schlechthin erklärt hatten, und den daheimgebliebenen braven Untertanen, die schlechten Gewissens sich in die Rolle von Opfern der Rachsucht dieses Dämons gedrängt sahen." 112 Die Reaktion des Publikums und das Unverständnis der Kritik trafen Kortner tief. Er verließ fluchtartig Berlin und ging wieder nach München. Ein großer Teil seiner Inszenierungen blieb ein Widerhaken in der fortbestehenden Kontinuität des Theaters. Er gab nicht auf, Schauspieler aus alten Vorstellungen zu lösen, die begabten jungen heranzubilden, die so zäh an falschen Vorbildern festhielten, an dem idealischen Heldentypus, dem sie durch die Sprache Glanz zu geben versuchten. Diese Entwicklungsarbeit blieb nicht ohne Erfolg. „Über die Darstellung von Helden" schrieb Kortner: „Ich habe diese desperaten, beglückend begabten Burschen, die heute unsere Helden spielen, in der Arbeit kennen und liebengelernt - ob es nun Horst Caspar war oder ob es Hans Christan Blech ist." 113 Im Hinblick auf die Demütigungen während der Exilzeit meinte Hanns Eisler, Kortner sei jetzt glänzend rehabilitiert. „Er ist gewissermaßen der Kunstdiktator von München geworden." 114 Doch bei seiner Heimkehr stieß er mit seiner Kunst erst einmal auf Widerstand und Unverständnis. Nicht überall standen für ihn die Türen offen. Mehr Glück hatte Berthold Viertel, der wie Kortner aus dem amerikanischen Exil zurückkehrte. Bevor er nach Wien ging, inszenierte er in Brechts Berliner Ensemble Wassa Schelesnowa (1949), eine viel umjubelte Aufführung, in der er junge Schauspieler mit den großen Darstellern des Exils (Therese Giehse) zusammenführte. In Wien traf er, wie auch der Schweizer Emigrant Leopold Lindtberg, auf den großen Kreis prominenter Schauspieler, die unter Hitler in Deutschland geblieben waren. Die Schauspielkunst, die er hier vorfand, betrachtete er mit großer Skepsis und sprach gelegentlich vom „Reichskanzleistil" der Bühnen. Trotz seiner Erfolge am Wiener Burgtheater, betrachtete er dieses traditionsreiche Theater stets kritisch. Ernst Haeussermann, der spätere Intendant, bezeichnete ihn deshalb als einen „Zerrissenen des Theaters". Viertel starb 1953. Die Spätheimkehrer, zu denen Erwin Piscator und Kurt Horwitz zählten, fanden eine andere Situation vor als die der unmittelbaren Nachkriegsjahre, obwohl sie es auch nicht leichter hatten. U2

Ebenda, S. 239. "'Ebenda, S. 358. 114 Hanns Eisler: Gespräche mit Hans Bunge, a.a.O., S. 49.

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Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus Für die fortdauernde Kontinuität des Theaters bis in die fünfziger Jahre steht der Name Gustaf Gründgens - schon deshalb, weil er zur Identifikationsfigur und zum Sammelpunkt der früheren Spitzenkräfte wurde. Als er 1947 nach Düsseldorf und 1955 nach Hamburg ging, folgten ihm die prominenten Darsteller, mit denen er früher gearbeitet hatte: Marianne Hoppe, Paul Hartmann, Elisabeth Flickenschiidt, Paul Henckels, Antje Weisgerber, Horst Caspar, Werner Hinz, Will Quadflieg, Adelheid Seeck. Er half ihnen, den gewohnten Stil zu wahren. Zum Düsseldorfer Ensemble gehörten aber auch Sybille Binder und Adolf Wohlbrück. Gründgens machte virtuoses Theater, das aber in seiner Eigenart weitgehend Erinnerungstheater blieb. Obwohl viel gerühmt und geehrt, wurde er wegen seiner Vergangenheit auch angegriffen. Als er nach dem Krieg (1949) erstmals ein Auslandsgastspiel in Edinburgh absolvierte, kam es zu Publikumsprotesten. Dort sah man in ihm den Repräsentanten des Nazitheaters. Für ihn blieb das eine lang nachwirkende Verletzung. 1952 suchte Gründgens im sogenannten „Düsseldorfer Manifest" seinen Stil als eine allgemeingültige Richtung, als Ausdruck von Werktreue, „gegen die willkürliche Interpretation der Dichtung durch ungerechtfertigte Experimente" zu verteidigen. Dieses Manifest, unterstützt und unterschrieben von den prominenten Schauspielern seines Ensembles, polemisierte gegen eine Regieauffassung, die sich zwischen den Dichter und das Publikum stelle. Gerichtet war es im Grunde gegen die Erneuerungsversuche der Rückkehrer, gegen Brecht, Kortner, Piscator. Aber Gründgens griff die zurückgekehrten Emigranten nicht persönlich an, suchte vielmehr die Verbindung zu ihnen. So fragte er bei Brecht an, ob er dessen Heilige Johanna der Schlachthöfe uraufführen könne. Brecht sagte zu. Den Mauler wollte Gründgens mit Fritz Kortner besetzen, doch der hielt auf Distanz zu Gründgens. In der Diskussion um dieses Manifest polemisierte Gründgens gegen die „kleinen wilden Regisseure von heute". Dagegen betonte er: „Partitur muß man spielen, das ist der Auftrag an den Regisseur".115 Das „Düsseldorfer Manifest" löste keineswegs nur Zustimmung aus. Vielmehr meldete sich erstmals auch Widerspruch zu einer Entwicklung, in der das Theater von Gründgens dominierte. Gründgens inszenierte nach dem Krieg auch moderne Stücke, wenn auch selten, wie Sartres Fliegen, Brechts Heilige Johanna der Schlachthöfe, aber er veränderte sich nicht. Das Phänomen seiner Inszenierungs- und Darstellungskunst bestand darin, daß er über drei ganz unterschiedliche gesellschaftliche Regime hinweg einen Stil von steter Kontinuität entwickelt und durchgehalten hatte. Bei ihm wurde alles immer virtuoser, niemals anders. Würde man bestimmte Rollenauffassungen und Inszenierungen analysieren, käme man zu dem Ergebnis, daß er immer der gleichen Auffassung nachging, für die er jedesmal den besseren, den vollkommeneren künstlerischen Ausdruck suchte. Sein Durchbruch begann 1932/33 mit der Darstellung des Mephisto, und sein Vermächtnis wurde die Hamburger Faitff-Inszenierung von 1967/68. Dazwischen lag wiederum die Inszenierung der beiden Teile des Faust von 1941/42. Es ist, als habe er sein ganzes Leben dazu gebraucht, um seiner Auffassung von Goethes Mephisto auf der Bühne Ausdruck zu geben. Ausgangspunkt seiner Gestaltung blieb immer die Sprache. Wenn Kurt Hirschfeld von ihm sagte, bei ihm hebe die Sprache immer zum „Parademarsch" an, so charakterisierte er damit, vielleicht nicht ganz glücklich, die Faszination des rhetoriU5

I n : Alfred Mühr: Mephisto ohne Maske. Gustaf Gründgens, Legende und Wahrheit. München/Wien 1981, S. 332.

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sehen Theaters. Seine Gestaltungskraft kam von der Sprache, sie mußte den Körper mitreißen. Man kann mit gutem Grund das Nachkriegstheater der Bundesrepublik bis in die fünfziger Jahre das Gründgens-Theater nennen, das freilich insgesamt nicht auf dem Niveau von Düsseldorf und Hamburg stand. Aber noch immer wurde dem nachgeeifert, was Gründgens und auch andere vorgemacht hatten. Selbst auf den Höhepunkten dieser Periode lag noch immer der Abglanz der Vergangenheit. Eine Kontinuität lief aus, innerhalb derer es keine Kraft zum Widerspruch, zum radikalen Bruch gab, der setzte erst in den sechziger Jahren ein. Von da an formierte sich das Theater neu, junge Kräfte mit einer ganz anderen Art von Theater traten hervor, aber auch hier, wo es keinen direkten Einfluß des Exiltheaters mehr gab, blieb die Zeit der Verfolgung und Vertreibung lebendig.

Literatur Wolf-Eberhardt August: Die Stellung der Schauspieler im Dritten Reich. München 1973. Hans Daiber: Schaufenster der Diktatur. Theater im Machtbereich Hitlers. Stuttgart 1995. Lucy S. Dawidowicz: Der Krieg gegen die Juden 1933 -1945. München 1979. Thomas Eicher: Theater im,Dritten Reich'. Eine Spielplananalyse der deutschen Schauspieltheater 1929 - 1944. Diss. Inst, für Theaterwiss., FU Berlin. 1992. Heinrich Greif: Künstler und Kommunist. Berlin [DDR] 1974. Herbert Jhering: Von Reinhardt bis Brecht. Vier Jahrzehnte Theater und Film. Bd. 3: 1930 - 1932. Berlin [DDR] 1961. Die Juden in Deutschland 1933 - 1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft. Hrsg. von Wolfgang Benz. München 1989. Alfred Kerr: Was wird aus Deutschlands Theater? Dramaturgie der späten Zeit. Berlin 1932. Margit Lenk und Jutta Wardetzki: Hans Otto - der Schauspieler. In: Schriften zur Theaterwissenschaft. Berlin [DDR], Bd. 4. 1966. Ulrich Liebe: Verehrt, verfolgt, vergessen. Schauspieler als Naziopfer. Weinheim/Berlin 1992. Alfred Mühr: Mephisto ohne Maske. Gustaf Gründgens, Legende und Wahrheit. München/Wien 1981. Ilse Pitsch: Das Theater als politisch-publizistisches Führungsmittel im Dritten Reich. Diss. München 1952. Fred K. Prieberg: Musik im NS-Staat. Frankfurt am Main 1982. Oliver Rathkolb: Führertreu und gottbegnadet. Künstlereliten im Dritten Reich. Wien 1991. Günther Rühle: Theater in unserer Zeit. Frankfurt am Main 1976. Wolfgang Schivelbusch: Vor dem Vorhang. Das geistige Berlin 1945 - 1948. München/ Wien 1995. Klaus Völker: Fritz Kortner. Schauspielerund Regisseur. Berlin [West] 1987. Hans-Christof Wächter: Theater im Exil. Sozialgeschichte des deutschen Exiltheaters 1933 - 1945. München 1973. 78

Verfolgung und Vertreibung deutscher Bühnenkünstler durch den Nationalsozialismus

Michael Walter: Hitler in der Oper. Deutsches Musikleben 1919 - 1945. Stuttgart/Weimar 1995. Jutta Wardetzky: Theaterpolitik im faschistischen Deutschland. Berlin [DDR] 1983.

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„Auf Abruf" - Das Theater des Jüdischen Kulturbundes im „Dritten Reich" 1933 -1941 Produktive Selbsthilfe - Arbeitsmöglichkeiten für jüdische Künstlerinnen und Künstler Unmittelbar nach ihrem Machtantritt am 30. Januar 1933 begannen die Nationalsozialisten mit diffamierenden und einschränkenden Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung Deutschlands. Eine erste, zunächst überwiegend symbolische Aktion war der propagandistisch inszenierte, demonstrative Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933. Die SA-Posten vor den Läden zogen bald wieder ab, aber die Ausgrenzung der Juden aus der Gesellschaft in Deutschland wurde konsequent weiterbetrieben. Unter den ersten, deren öffentlichem Wirken nach dem 1. April ein Ende gesetzt wurde, waren die jüdischen Künstlerinnen und Künstler - insgesamt mehrere tausend. Eine Statistik zählte im Jahre 1925 im Freistaat Preußen knapp 2.400 jüdische Musiker, Regisseure, Schauspieler, Sänger, Tänzer, Varietekünstler und andere. Eine Hochrechnung auf die Zahl der jüdischen Künstler im Deutschen Reich des Jahres 1933 muß verschiedene Faktoren berücksichtigen: Nur ein Teil der jüdischen Künstler wurde von dieser Konfessionsstatistik erfaßt; getaufte waren dabei nicht berücksichtigt. Unter der Annahme, daß in Preußen etwa die Hälfte aller jüdischen Künstler lebte, wäre die ermittelte Zahl des Jahres 1925 zu verdoppeln. Außerdem hatte sich in den Jahren von 1925 bis 1933 die Zahl der jüdischen Künstler in Deutschland durch Einwanderung aus Osteuropa und Österreich vermehrt, 1933 war ein Fünftel der Juden in Deutschland ausländischer Herkunft. Unter Einbeziehung dieser Faktoren ergibt sich eine Schätzung von 8.000 bis 10.0000 jüdischen Künstlerinnen und Künstlern aller Sparten. Diese plötzlich erwerbslos gewordenen jüdischen Künstler schufen ein akutes soziales Problem. Deklarationen der Sympathie mit den Verfolgten und Proteste gegen die Verfolger, die in vielen Ländern laut wurden, änderten wenig an der Rigorosität der Einwanderungsgesetze dieser Staaten. Zwar gelang es den Prominenteren unter den Künstlern oft, schnell im Ausland Zuflucht zu finden, die Mehrheit jedoch konnte oder wollte nicht unmittelbar ausreisen. Die Notwendigkeit, für diese Künstler Arbeit zu finden, gab den Anlaß, die Möglichkeit ihrer Beschäftigung im jüdischen Kreise und die Frage eines jüdischen Theaters, darüber hinaus eines jüdischen Kulturinstituts, zu diskutieren. Die Initiative zur Gründung einer solchen Einrichtung unter dem Namen „Kulturbund Deutscher Juden" ergriff nach einer Anregung des Regisseurs Kurt Baumann der Arzt, Musikwissenschaftler und Dirigent Kurt Singer, der zwischen 1927 und 1931 stellvertretender Intendant der Städtischen Oper Charlottenburg war. Der Musiker und Organisator Singer gewann mit Julius Bab einen Mann des Wortes und des Theaters zum gleichrangigen Mitarbeiter. Die behördliche Genehmigung zur Gründung erfolgte am 16. Juni 1933 mit der Auflage, daß nur Juden Mitglieder des Bundes sein und daß nur Mitglieder Zutritt zu den geschlossenen Veranstaltungen haben dürften. Am gleichen Tage wurde in Singers Wohnung mit primitivsten Mitteln ein Büro eröffnet, das zuerst fünf, später zwölf Men81

Herbert Freeden sehen beschäftigte. Die Wirtschaftshilfe der Jüdischen Gemeinde Berlin, der Centraiverein, die Zentralwohlfahrtsstelle und andere jüdische Instanzen stifteten Geldbeträge, Förderer setzten sich für die Arbeit ein. Die Genehmigung Schloß auch die Pacht eines Theaters ein, und unter den wenigen in Betracht kommenden Gebäuden wurde das Berliner Theater in der Charlottenstraße gewählt. Das Ehrenpräsidium des Bundes bestand aus Leo Baeck, Martin Buber, Arthur Eloesser, Georg Hermann, Leonid Kreutzer, Max Liebermann, Max Osborn, Franz Oppenheimer und Jakob Wassermann. Dem Vorstand, dem die künstlerische und administrative Leitung oblag, gehörten neben Kurt Singer und Julius Bab Kurt Baumann, Arthur Lilienthal, Leo Löwenstein, Friedrich Ollendorff, Arthur Rau, Eva Reichmann-Jungmann und Hermann Schildberger an. Als Sekretär für die Verwaltungsarbeit engagierte Singer den Journalisten Werner Levie. Es liefen insgesamt 2.000 Bewerbungen von künstlerischen, technischen und gewerblichen Arbeitskräften ein. Engagiert wurden zunächst 35 Schauspielerinnen und Schauspieler, 35 Orchestermitglieder, 22 Choristinnen und Choristen, 10 Tänzerinnen und eine je nach Inszenierung schwankende Anzahl von Statisten. Mit verwaltendem, technischem und gewerblichem Personal waren dies insgesamt rund 200 Personen. Darüber hinaus hatte der Kulturbund bereits im ersten Jahr vier Gastdirigenten, 36 Konzertsolisten, über 50 Vortragenden und einer großen Anzahl von sonstigen Mitwirkenden Gelegenheit gegeben, vor das Publikum zu treten. Vom Jahresumsatz 1933/34 in Höhe von 600.000 Reichsmark beanspruchte der Gagenetat von 350.000 RM mehr als die Hälfte der Gesamteinnahmen. Der Berliner Jüdische Kulturbund zählte im ersten Jahr fast 20.000 Mitglieder; ihnen wurden gegen einen Beitrag von 2,50 RM zwei Veranstaltungen pro Monat geboten alternativ ein Schauspiel und Konzert bzw. eine Oper und ein Vortrag. Für Sonderveranstaltungen wurde eine zusätzliche Gebühr erhoben. Damit folgte der Kulturbund dem Prinzip der Berliner Volksbühne, in deren Vorstand sich Julius Bab schon engagiert hatte. Der künstlerische Apparat umfaßte zunächst vier Gruppen - Oper, Schauspiel, Konzert, Vortrag - , später auch Kleinkunst und Film. Jede dieser Sparten bedurfte eines besonderen Vorbereitungsplans, der die Grenzen des Möglichen hinsichtlich der Organisation, der Wirtschaftlichkeit und der künstlerischen Leistungen absteckte. In den ersten Jahren liefen mehr als 70 Veranstaltungen im Monat; das hieß, der Theaterraum genügte nicht, und zusätzliche Säle mußten gemietet werden; Hunderte von Spielern, Rednern, Musikern, Arbeitern, Angestellten, Ordnern waren zu verschiedenen Diensten zu verschiedenen Zeiten einzusetzen. 50 Zahlstellen arbeiteten mit dem Mitgliederbüro, dieses wieder mit dem Werbebüro, beide mit der Gesamtverwaltung Hand in Hand. Die Post brachte täglich 500 bis 600 Briefe. In den ersten zehn Monaten seiner Tätigkeit bot der Kulturbund 403 Veranstaltungen - 1 7 1 Theaterabende (102 Schauspiele und 69 Opern) und 107 Konzertveranstaltungen. Daneben fanden 114 Vorträge sowie vier Veranstaltungen der Kinderbühne statt. Fast gleichzeitig, vom Berliner Beispiel inspiriert, begannen sich im Reich Kulturbünde zu formen, von denen drei zu .Produzenten' wurden. Der Kulturbund Rhein-Ruhr mit Sitz in Köln baute ein eigenes Schauspielensemble auf und gab in den ersten sechs Monaten des Spieljahres 1934/35 über 300 Personen Beschäftigung. Der Kulturbund Hamburg gründete ebenfalls ein eigenes Theaterensemble, das zu einer Tournee-Gruppe 82

,Auf Abruf' - Das Theater des Jüdischen Kulturbundes im „Dritten Reich" 1933 - 1941

wurde, der Kulturbund Rhein-Main mit Sitz in Frankfurt bildete ein Symphonieorchester mit etwa vierzig Mitgliedern. Unter Einbeziehung der vielen lokalen Kulturbünde, die keine eigene künstlerische Organisation errichteten, sondern nur eine Hörer-Vereinigung bildeten und in loser Folge Sänger, Rezitatoren, Kammermusiker, Kabarettisten engagierten, erreichte die Zahl der durch die Jüdischen Kulturbünde beschäftigten Künstler fast 600 und die der kaufmännischen, gewerblichen und Verwaltungsangestellten ebenso viele. Rechnet man noch Handwerker etc. hinzu, so dürften bis zu 1.500 Kräfte durch die Kulturbünde entweder gelegentliche Beschäftigung oder dauernde Anstellung gefunden haben. Damit wurde die Kulturbundbewegung zum größten Einzelfaktor in der Arbeitsbeschaffung für jüdische Menschen im nationalsozialistischen Deutschland. Die Idee der Nothilfe, des Sozialwerks, lag der Entstehung des Kulturbundes zugrunde; das treibende Motiv seiner Entstehung war das der produktiven Selbsthilfe. Es gab kein Kulturprogramm. Und wenn in jenen Tagen von Kulturpolitik die Rede war, dann nur insofern, als sie den Beschäftigungsgrad der Künstler bestimmte. Die Situation änderte sich in dem Augenblick, da der Bund aus dem Stadium der Vorbereitung in das der Verwirklichung trat und sich zum erstenmal der jüdischen Öffentlichkeit vorstellte. Das Publikum - Mitglieder des Jüdischen Kulturbundes Der Kulturbund hatte sich die Aufgabe gestellt, die arbeitslos gewordenen Künstler mit einem heimatlos gewordenen Theaterpublikum zusammenzubringen. Die jüdischen Künstler wurden 1933 aus dem allgemeinen Kulturleben ausgeschlossen, das jüdische Publikum erst 1938. Bis zu den Novemberpogromen hielt es nichts vom Besuch der allgemeinen Kunst- und Unterhaltungsstätten zurück als sein Taktgefühl und das Unbehagen, ein Theater durch das Frontportal zu betreten, aus dem die jüdischen Spieler durch die Bühnentür auf die Straße gesetzt worden waren. Sehr rasch bildete sich eine Mitgliedschaft des Kulturbundes. Es trat der merkwürdige Fall ein, daß ein Theater gegründet wurde, weil ein Publikum sichtbar war und nicht, wie bei sonstigen Theaterunternehmungen, weil ein Regisseur oder ein Darsteller sich selbst, seinen eigenen Stil, eine Richtung, eine Weltanschauung, eine Literaturform manifestieren wollte. „Während sonst zu einem Programm erst ein Publikum gesucht werden muß, war hier primär das Publikum vorhanden, aber es fehlte das Programm", hieß es im Israelitischen Familienblatt am 18. Juni 1936. Dieses Publikum stand in der zweiten Hälfte des Jahres 1933 vor einer völlig neuen Situation: Ganz abgesehen von den politischen Ereignissen war es kulturell entwurzelt worden. Man hatte die öffentlichen Theater besucht, an den bekannten Orchesterkonzerten teilgenommen; man hatte sich für diese oder jene literarische Richtung entschieden, diesen oder jenen Künstler akklamiert, das eine oder andere Stück besonders gern gesehen. Man war im allgemeinen Publikum aufgegangen. Man kannte einander nicht und hatte unterschiedliche Interessen und Vorlieben. Diese aus den verschiedensten Schichten, verschiedensten Berufen, verschiedensten Weltanschauungen kommenden Menschen mußten nun zu einer neuen Einheit zusammengeschmolzen werden. Im gewöhnlichen Kunstbetrieb hat das Publikum ein Gesicht; hebt sich aus der amorphen Masse ab. Jedes Theater erfaßt einen bestimmten Sektor; in jedem Kunstwerk, das zur Wiedergabe gelangt, wird immanent eine Publikumsforderung geltend gemacht, in 83

Herbert Freeden jedem Stück also schon ausgesprochen, für welches Publikum, für welche Bildungsund Gesellschaftsschicht es geschrieben ist. Im Kulturbund war das anders: Es gab diese Differenzierung nicht mehr. Darin lag ein gewisser Reiz, aber auch eine große Erschwerung der Arbeit. Früher hatte das jüdische Publikum zur Theatergemeinde von deutschen Großstädten gehört, die nur am Besten Genüge fand. Nun war es ein Publikum für sich geworden, das willig und aufmerksam auch an mittelmäßigen Darbietungen teilnahm. Damit war eine große Verantwortung in die Hände der Kulturbünde gelegt, denn dieses Publikum wollte geführt sein. Es war „so neu in seiner sozialen Funktion wie die jüdische Theatergruppe in ihrer. Beide müssen einander näherkommen und ihre eigentliche, über das rein Theatermäßige hinausgehende Rolle erst entdecken", kommentierte die Jüdische Rundschau vom 29. November 1935. Nicht jedem Mitglied war deutlich, daß die Kulturbünde keine Fortsetzung der Philharmonischen Konzerte, der Oper oder des Schauspiels waren, die es gewohnt war, sondern daß sie etwas Neues darstellten, für dessen Aufbau keinerlei Erfahrung vorlag. Und diese Mitglieder bildeten, so die Zeitung des Centraivereins am 11.9.1933, eine Gemeinschaft, „die in ihren wirtschaftlichen Grundlagen gefährdet, in ihrer seelischen Struktur erschüttert, in ihrem inneren gesellschaftlichen Aufbau umlagerungsbedürftig, in ihrer Altersgliederung stark gegensätzlich, in ihren geistigen und religiösen Zielsetzungen vielfach auseinanderstrebend, neue Gestaltung ihrer Umweltbedingungen suchend, eine Metamorphose von elementaren Ausmaßen nicht aus zwingend innerem Drang erlebt". Im Winter 1936/37 zählte der Berliner Kulturbund 15.900 Mitglieder, nachdem im vorangegangenen Sommer durch Werbeaktionen ca. 3.000 neue Mitglieder gewonnen worden waren. Da der Mitgliederstand in der Spielzeit 1935/36 rund 18.000 betrug, mit den neu gewonnenen 3.000 also 21.000 hätte ergeben müssen, ist davon auszugehen, daß 5.000 Mitglieder den Kulturbund innerhalb eines Jahres verlassen hatten. Meistens erfolgte überhaupt keine formelle Kündigung, die Mitglieder „verschwanden". Soweit Gründe für den Austritt angegeben wurden, waren es Auswanderung (1.467), Tod oder Krankheit in der Familie (358) und wirtschaftliche Not (1.424). Gelegentlich wurden auch andere Gründe genannt, wie die zeitlich zu lange Bindung (12 Monate), Kritik an den künstlerischen Leistungen, mangelndes Interesse am Programm, Bedenken gegen die jüdische oder nichtjüdische Richtung. Noch im Frühjahr 1937 mußte Singer in einer Sitzung des Verwaltungsrates feststellen, daß ein größerer Teil der Juden Berlins sich grundsätzlich dem Kulturbund fernhielt, nämlich „die Menschen, die den Weg zu den anderen Theatern für wesentlicher halten, sich nicht ,ghettoisieren' lassen wollen, nicht an bestimmte Tage gebunden, resp. überhaupt nicht gebunden sein wollen". Um diese Zeit gab es in Berlin mehr als 12.000 jüdische Familien, von denen kein einziges Mitglied dem Kulturbund angehörte. Jüdische Organisationen stellten dem Kulturbund eine Liste von 7.000 gutsituierten jüdischen Bürgern zur Verfügung, die durch Werbung als Mitglieder gewonnen werden sollten. Um die durch Abwanderung, Todesfälle und Verarmung rückläufige Mitgliederzahl wieder aufzufüllen, wurden jedes Jahr Werbeaktionen veranstaltet, und zwar durch Sondervorstellungen, Bunte Abende, Aufrufe der zentralen Instanzen und Organisationen, Zeitungspropaganda und Essay-Wettbewerbe wie „Mein schönstes Kulturbunderlebnis". 84

,Auf Abruf' - Das Theater des Jüdischen Kulturbundes im „Dritten Reich" 1933 - 1941 Tatsächlich gelang es immer wieder, Tausende, die noch abseits standen, zu mobilisieren und den Stand der Mitglieder in Berlin nicht unter 17.000 sinken zu lassen. NS-Behörden zwischen Restriktion und Duldung Die Nationalsozialisten schlossen die Juden aus ihrem, dem „deutschen", Kulturkreis aus, hatten aber nichts gegen eine jüdische Auffangorganisation einzuwenden, solange sie unter Ausschluß der deutschen Öffentlichkeit funktionierte. Die Veranstaltungen des Kulturbundes waren nur Juden gegen Ausweis zugänglich. Die nichtjüdische Presse, von behördlich geduldeten Ausnahmen abgesehen, mußte darüber schweigen. Die Nationalsozialisten sahen es nicht ungern, daß sich die Juden aus eigener Kraft ein Haus für die Kunst bauten - um so leichter konnten sie das jüdische Kulturleben durch Verordnungen und Verbote kontrollieren und einschränken. Dieser Versuch der Ghettoisierung blieb nicht auf das Organisatorische beschränkt. Nicht weniger ausgeklügelt waren die Machinationen, den Juden den geistigen Boden zu entziehen. Für den Kulturbund war von nationalsozialistischer Seite ein „Kommissar z. b. V." im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda zuständig, Hans Hinkel, Träger des „Goldenen Parteiabzeichens" und seit 1921 Angehöriger der NSDAP mit der Mitgliedsnummer 287. Möglicherweise wäre die Kulturbundbewegung in Form und Ausmaß niemals zustande gekommen, hätte nicht dieser „Sonderbeauftragte" des NSRegimes in der ihm eigenen Ambivalenz sie unterstützt und gleichzeitig immer wieder gehemmt. Auf der einen Seite schützte er sie vor dem Zugriff der Gestapo, der Intervention der Reichstheaterkammer, den Übergriffen der örtlichen Partei- und Polizeistellen, half, die notwendigen Räumlichkeiten zu erlangen, und sorgte für störungsfreien Ablauf der Veranstaltungen; auf der anderen Seite schränkte er den geistigen Lebensraum jüdischer Kulturarbeit mehr und mehr durch eine Zensur ein, die am Ende groteske Formen annahm, und erschwerte durch verwaltungstechnische Schikanen die Arbeit zusehends. Inwieweit oder wie lange Hinkel das aus eigenem Antrieb oder unter Druck und auf Befehl der ihm Übergeordneten tat, die ihm nur zeitweilig freie Hand gelassen zu haben scheinen, ist nicht nachvollziehbar. Schien Hinkel in den ersten Jahren nicht ohne Stolz den Kulturbund auch als „sein" Werk zu betrachten - er zeigte sich oft gesprächsbereit und besuchte häufig die Veranstaltungen des Kulturbundes - , so änderte sich ab 1937 seine Haltung. Verzerrt stellte er die jüdische Situation dar, gehässig sprach er den Juden das Recht ab, Werke nichtjüdischer Autoren oder Komponisten aufzuführen. Die Jüdische Rundschau vom 14.5.1937 zitierte Hinkeis Äußerungen in einem Interview: „Als Anmaßung muß jedoch empfunden werden, wenn bei Vorschlägen bzw. Anträgen zu Veranstaltungen der Judenschaft unter sich Werke von Beethoven, Goethe und Mozart auftauchten; denn es ist nicht der Zweck der Übung, inhaltlich deutsche Kulturbünde mit jüdischen Mitgliedern aufzuziehen. Vielmehr soll dem Judentum Gelegenheit zur Entfaltung in den eigenen geistigen und schöpferischen Grenzen gegeben werden. Sollte diese Entfaltung dem Juden zu dürftig sein, dann wird er es um so besser verstehen, warum wir ihn nicht als Herrn und Meister über unser Kulturleben haben mögen". Die nationalsozialistische Überwachung des Kulturbundes erstreckte sich ebenso auf den Inhalt des Programmes wie auf die Person der Interpreten. Der Auftritt von Künstlern konnte verboten werden, wenn die Betreffenden sich eines „politischen Vergehens" schuldig gemacht hatten. „Hierzu gehören auch jene Elemente, die sich vor der Macht85

Herbert Freeden Übernahme aktiv und in gehässiger Weise gegen die nationalsozialistische Bewegung gestellt haben", gab die Jüdische Rundschau vom 26.11.1935 eine entsprechende Meldung der NS-Presse wieder. Manchmal waren solche Auftrittsverbote zeitlich begrenzt und konnten durch Intervention des Kulturbundvorstandes verkürzt werden, wie im Falle des Komikers Max Ehrlich und des Hamburger Kabarettisten Leo Raphaeli; andere waren unwiderruflich wie etwa bei Leo Reuß und Ludwig Hardt. Zur inhaltlichen Kontrolle beschäftigte das Büro Hinkel eine Anzahl von Lektoren, die jedes Wort und jede Note, die in einer jüdischen Veranstaltung gesprochen, gesungen oder gespielt wurden, einer nach bestimmten Linien ausgerichteten Zensur unterwarfen. Zuerst enthielten diese Weisungen die Forderung, keine „roten" Schriftsteller und solche, die der „Greuelpropaganda" im Ausland verdächtigt waren, oder Stücke mit „staatsfeindlichen" Tendenzen aufzuführen. Bald aber wurden auch solche Autoren und Stücke verboten, bei denen es sich um „deutsches Staats- und Volkstum" handelte. So wurden ab 1935 Schiller und die deutschen Romantiker von Aufführungen ausgeschlossen, um „deutsche Nationaldichtung" nicht durch jüdische Interpretation „entstellen" zu lassen. Goethe, als Weltbürger verdächtig, wurde erst 1936 gemeinsam mit der gesamten deutschen Klassik auf die schwarze Liste gesetzt; schließlich wurden sämtliche deutschen Autoren aus dem Repertoire gestrichen. Ausländische Dramatiker durften aufgeführt werden, wenn sie länger als fünfzig Jahre tot, also nicht mehr tantiemepflichtig waren, denn der Kulturbund erhielt keine Genehmigung, Tantiemen ins Ausland zu transferieren. Einige Autoren, an erster Stelle J. B. Priestley und Franz Molnär, verzichteten auf Honorierung und konnten gespielt werden, aber viele andere, die gleichfalls verzichtet hatten, wurden von der Zensur abgelehnt, weil das Ministerium etwas gegen ihre Person einzuwenden hatte. So mußte ein Stück von Ossip Dymow plötzlich abgesetzt werden, weil der Autor irgendwo in Amerika ein unliebsames Wort über Hitler gesagt haben sollte. Aber selbst in den erlaubten Stücken wütete der Rotstift des Zensors und machte nicht halt vor Shakespeare und nicht vor Molifcre. Besonders verpönt waren Worte wie „deutsch" und „blond", und selbst in Verbindung mit einer Aktenmappe - in einer Komödie von Molnär heißt es: „Leb wohl, Du ungetreue blonde Aktenmappe" - mußte das Wort „blond" durch das Wort „schön" ersetzt werden. Ein Genehmigungsantrag bezog sich auf die Komödie Der Unbestechliche von Hugo von Hofmannsthal, gegen deren Inszenierung durch den Kulturbund der Reichsdramaturg in einem Gutachten Stellung nahm: „Gegen das an sich harmlose Stück wäre nichts einzuwenden, falls ein gewöhnliches Privattheater sich dieses Stückes annehmen wollte. Wird indessen die komische Hauptrolle von einem Juden gespielt, und werden, was mehr naheliegend ist, die anderen Rollen,arisch' karikiert, so scheinen mir doch Gefahren in Richtung einer tendenziösen Verallgemeinerung vorzuliegen". In diesem Lustspiel, das ein niederösterreichisches Gut im Jahre 1912 zum Schauplatz hat, kommt dem Diener Theodor die Rolle des Schicksals zu; er arrangiert das Leben der Baronin, des Generals, des jungen Herrn sowie dessen Frau und zweier Geliebten - all dies auf leicht ironische, beschwingt komödienhafte Art, wobei nicht feststeht, ob der geheimnisumwitterte Theodor nicht lediglich eine Symbolisierung des Fatums ist. Der Reichsdramaturg fürchtete offenbar, daß Theodor, von einem jüdischen Darsteller verkörpert, die .arischen' Adelsleute am Gängelband tanzen lassen würde - ein Beispiel für politische Zensur auch bei einem inhaltlich „harmlosen" Stück. 86

,Auf Abruf' - Das Theater des Jüdischen Kulturbundes im „Dritten Reich" 1933 - 1941 Vor allem drei Motive dürften die teils restriktive, teils duldende Haltung der Nationalsozialisten gegenüber dem Kulturbund bestimmt haben: Unter dem Aspekt der außenpolitischen Wirkung konnte der Bund die angebliche Toleranz des NS-Regimes gegen die deutschen Juden belegen, solange sie sich in ihrer eigenen Sphäre bewegten. Darüber hinaus erleichterte die Konzentrierung der gesamten künstlerischen Tätigkeit der Juden in einer einzigen Organisation eine umfassende Kontrolle. Schließlich gelang es den Nationalsozialisten, die geistige Basis jüdischer Existenz mehr und mehr einzuengen und die Juden kulturell zu ghettoisieren. Was Hinkel als die „Zusammendrängung des geistig-künstlerischen Judentums" bezeichnete, sollte ein Instrument der Demoralisierung sein. Ringen um das Repertoire Die nationalsozialistische Überwachung war nur einer von vielen Faktoren bei der Gestaltung des Spielplans. Die Stücke mußten alternieren zwischen allgemeinen und jüdischen Inhalten, zwischen anspruchsvoller Literatur und Unterhaltung, sie mußten dem Geschmack des Publikums Rechnung tragen und gleichzeitig versuchen, es zu erziehen; es konnten nur solche Stücke gewählt werden, für die es innerhalb des kleinen Ensembles entsprechende Kräfte gab; Dekorationen, Kostüme und die Zahl der Statisten mußten sich nach dem Budget richten. Politischer Zwang und die Begrenztheit der Mittel ließen von vornherein nur einen kleinen Sektor der Dramenliteratur zur Auswahl. Unter diesen einschränkenden Voraussetzungen ist das Schauspielrepertoire des Kulturbundes zu bewerten. Die Premiere des Berliner Kulturbundes wurde zugleich der Auftakt zum Kampf um seine geistige Existenz und Formgebung. Am 1. Oktober 1933 ging im Berliner Theater der Vorhang zum erstenmal auf - gespielt wurde Nathan der Weise unter der Regie Carl Loewenbergs, der vormals am Schauspielhaus Frankfurt/Main beschäftigt gewesen war. Zur Einführung hielt Kurt Singer eine programmatische Ansprache: „Wenn sich der Vorhang hebt, dann ahnen wir: aus einer Gemeinschaft, von der Not gezimmert, ist eine Gemeinschaft der schaffenden Arbeit geworden. Nur so kann uns das Theater, sonst wohl als eine Stätte der Unterhaltung und Erbauung geliebt, eine Stätte der Weihe und des Kults in schmerzreicher Zeit werden. Nie ist der Zusammenhang zwischen Bühne und Publikum, zwischen oben und unten im Theater so groß gewesen wie jetzt, nie das Geben und Nehmen so sehr in eins verschmolzen wie heute, wo jeder Atemzug, jedes Wort, jede Geste zu sagen, ja, uns in die Seele zu hämmern scheint: Schicksalsgemeinschaft." (Monatsblätter des Kulturbundes Berlin, November 1933) Das zweite Drama, das der Berliner Bund auf die Bühne brachte, war Shakespeares Othello in einer Inszenierung von Wilhelm Chmelnitzki. Der Wunsch nach einem spezifischen Spielplan, der die Situation des Theaters und seines Publikums widerspiegelte, konnte auch zu willkürlichen Umdeutungen führen. So hieß es in einer Rezension des Othello im Israelitischen Familienblatt vom 21.12.1933: „Es stellt sich aber heraus, daß dieses Werk ebensogut in den Spielplan des Kulturbundtheaters paßt [...] wie Nathan der Weise. Die Ehe zwischen der Venezianerin und einem Andersrassigen ist dabei nicht einmal das Entscheidende [...] Othello ist ein Maure aus königlichem Blut, ist Feldherr der Republik Venedig; der Vater Des87

Herbert Freeden demonas zieht in in sein Haus, Doge und Aristokratie ehren ihn [...] Othello aber [...] weiß um seine Fremdheit, hier ist er verwundbar - wer von uns, dem Zurücksetzung von einem Nichtjuden widerfährt, vermutet den Grund nicht zunächst in seinem Judentum?" Die äußere Situation war eben so zwingend, daß sich Vergleiche mit ihr auch da aufdrängten, wo sie literarisch nicht vertretbar waren, wovor die Jüdische Rundschau in ihrer Ausgabe vom 29.12.1933 warnte: „Der jüdische Zuschauer und Zuhörer ist oft genug geneigt, an Stelle des Wortes ,Mohr' das Wort ,Jude' zu setzen und den Sinn der Οί/ieZZo-Tragödie, jener übersteigerten Ehrempfindlichkeit des mit einem deutlichen Stigma versehenen Außenseiters, auf sich selbst zu beziehen. Trotzdem: Shakespeare hat es ganz gewiß nicht so gemeint und wollte im Grunde nur eine individuelle Tragödie geben. Es ist daher nur mit allergrößter Vorsicht möglich, hierbei aktuelle Parallelen zu ziehen". Das galt auch für den Versuch einer Ibsen-Renaissance. Die Frage nach der Aktualität Ibsens wurde damit beantwortet, daß auch bei Ibsen eine Parallele zum jüdischen Schicksal zu erkennen sei: die Menschen existierten im luftleeren Raum, flohen aus der Wirklichkeit, führten ein „Leben in der Retorte", wie Arthur Eloesser schrieb. Selbst der Komödie Sturm im Wasserglas von Bruno Frank unterlegte das Publikum aktuelle Bezüge, so wenn von einem Hund gesagt wurde, es komme doch nicht auf die Rasse, sondern auf das Herz an. „Jüdisches" Theater Daß Juden kulturelle und künstlerische Darbietungen nur als Juden im jüdischen Kreise bringen und erleben durften, war ein solches Novum, daß man zunächst sowohl beim jüdischen Publikum wie auch in der nichtjüdischen Öffentlichkeit, soweit sie davon erfuhr, eine gewisse Desorientierung feststellen konnte. War eine Kultur-Autonomie beabsichtigt, oder drohte eine Ghettoisierung - oder wurde die bisherige kulturelle Linie fortgesetzt, nur in geschlossenem Kreis? Seit März 1934 hatte der Berliner Kulturbund Schwierigkeiten, seinen Namen ins Vereinsregister eintragen zu lassen, da das zuständige Amtsgericht Charlottenburg die Registrierung der Bezeichnung „Deutscher Juden" verweigerte. Die Staatspolizeistelle schaltete sich ein und verlangte ultimativ eine Änderung der Vereinsbezeichnung. Auf die Anordnung des Polizeipräsidenten wurde der Name „Kulturbund Deutscher Juden" umgewandelt in „Jüdischer Kulturbund Berlin". Diese Namensänderung mußte, um den Schein des Rechts zu wahren, von einer Mitgliederversammlung bestätigt werden. Den für den 26.4.1935 ins Berliner Theater einberufenen Mitgliedern blieb nichts anderes übrig, als in dieser Sache zu einem einstimmigen Beschluß zu kommen. Die nationalsozialistische Rassenideologie konstruierte einen „blutsmäßigen" Gegensatz zwischen „Deutschen" und „Juden" und forderte eine strikte Trennung beider „Völker". Der 1933 erzwungene Ausschluß der deutschen Juden aus der Gesellschaft erneuerte zugleich die inneijüdische Diskussion zwischen Zionisten und „Assimilanten". Die zionistische Analyse ging von der Frage aus, was an den Veranstaltungen des Kulturbundes eigentlich .jüdisch" sei. Für bewußte, nationale Juden, so hieß es, sei es selbstverständlich, die Werke großer Dichter und Musiker als solche zu genießen und sie minderwertigen Produkten jüdischer Provenienz vorzuziehen. Es wäre lächerlich, 88

,Auf Abruf' - Das Theater des Jüdischen Kulturbundes im „Dritten Reich" 1933 - 1941

wenn etwa nur Opern jüdischer Komponisten gespielt werden sollten. Das .Jüdische" eines solchen Kulturbundes dürfe nicht darin bestehen, daß er engherzig nach der Abstammung der Künstler, deren Werke aufgeführt werden, frage, sondern darin, daß er sich bewußt sei und in seinen Mitgliedern das Bewußtsein stärke, daß sie als Juden zusammengeschlossen seien und als Juden diese Kunst oder Kulturgüter empfingen. Die Jüdische Rundschau kommentierte am 25.7.1933: „Die Aufzählung, was jüdische Komponisten oder jüdische Virtuosen geleistet haben [...], ist ein Überbleibsel der apologetischen Assimilations-Dialektik. [...] Für die Welt offen sein, aber als Juden: das ist es, was das neue Judentum von dem alten Assimilations-Judentum unterscheidet". Nach Meinung der Zionisten durfte der Kulturbund, obwohl er aus deutschen Juden bestand und in deutscher Sprache arbeitete, nicht den Anspruch erheben, „deutsche" Kultur zu schaffen. Die Frage, was denn im damaligen Deutschland .jüdische" Kultur sei, beantwortete die Jüdische Rundschau am 4.10.1933: „Das jüdische Leben ist im letzten Jahrhundert innerlich sehr arm geworden. Außer in den Bezirken des Religiösen und Konfessionellen gibt es keine bewußte jüdische Gemeinschaftsbetätigung, die künstlerische Formen angenommen hätte. Zwar haben einzelne Juden auf verschiedenen Gebieten der Kultur Beträchtliches geleistet; ihre Leistungen hatten auch eine jüdische Note, aber als jüdische Kultur' könnte nur bezeichnet werden, was als Blüte und Ausdruck eines großen jüdischen Gemeinschaftserlebnisses entsteht". Diesen tragischen Zustand der deutschen Juden, aus der deutschen Kultur ausgeschlossen zu sein, ohne ein jüdisches Äquivalent zu besitzen, bezeichnete Julius Bab als „geistige Not", die im Augenblick noch nicht so furchtbar empfunden werde wie die wirtschaftliche Not, wie das moralische Leiden, sicherlich aber auf die Dauer die schwerste sein würde. Auf einer Kulturtagung im September 1936, deren Leitung mit Benno Cohn und Kurt Singer die zionistische wie die nicht-zionistische Richtung repräsentierte, wurde über diese Fragen diskutiert. Für Singer bedeutete das Jahr 1933 das Ende der mehr als hundertjährigen Emanzipationsperiode. Eine langsame Evolution habe die Juden allmählich zur Besinnung auf ihre wahrhaft jüdische Existenz gebracht; die gewaltsame Unterbrechung dieser Entwicklung verwirre und isoliere sie. Es fehle das Wissen um die Grundlagen des Judentums, seiner Literatur und Ethik, es fehle der Sinn für die Eigenkultur der Juden in den östlichen Ländern, der Glaube an die Wirksamkeit prophetischer Gedanken, vor allem an die Existenz gegenwärtiger Kulturmöglichkeit aus dem Geiste jüdischen Wissens heraus. Der Name „Kulturbund Deutscher Juden", so Singer, wandele sich - von außen erzwungen zum .Jüdischen Kulturbund", von innen zur Aufgabe, die Judaisierung westlicher Kulturbegriffe auf dem Theater zu entwickeln. Singer entwikkelte ein Programm, in dem er drei Prinzipien unterschied: zum einen die großen Besitztümer der Weltliteratur, also die Stücke Shakespeares, Goethes, Lessings, Shaws, Molieres, Wedekinds etc., den Juden lebendig zu erhalten; zum zweiten jene Dramatiker zu spielen, die, weil sie Juden waren, in Deutschland nicht mehr aufgeführt wurden, also Schnitzler, Werfel, Frank, Molnär, Heimann, Bernstein, Langer; und drittens, hebräische und jiddische Dichtung in ausgewählten Beispielen übersetzen und bearbeiten zu lassen. Die Tagung beschloß unter anderem, so der Bericht der Jüdischen Rundschau vom 8.9.1936, „eine dramaturgische Zentralstelle zu schaffen, die mit [...] einem Hebraisten, einem Jiddischisten und einem Dramaturgen besetzt sein soll. Die dramaturgische Zen89

Herbert Freeden tralstelle hat die Aufgabe, mit den jüdischen Theaterinstitutionen in Osteuropa, Palästina und Amerika in Verbindung zu treten, um eine Zusammenarbeit zu ermöglichen. Sie soll durch Sammlung, Übersetzung und Bearbeitung der jüdischen dramatischen Literatur die Basis für eine Auswahl jüdischer Stücke schaffen". Daneben sollte es zu einer .jüdischen Schulung des Schauspielers in den Jüdischen Kulturbünden" kommen, „an Hand der aufzuführenden Stücke sollen die jüdischen Wissensgebiete am dramatischen Stoff aufgezeigt werden, so daß der eigentlichen Probenarbeit die Erschließung des Werkes aus jüdischem Wissensstoff vorangeht". Die Tagung fand ein positives Echo in der jüdischen Öffentlichkeit. Die Jüdische Rundschau, die dem Kulturbund oft genug kritisch gegenübergestanden hatte, nannte nunmehr seinen Versuch mit nichts vergleichbar, was bisher unter .jüdischer Kulturarbeit" verstanden wurde. Denn auf der einen Seite solle der ganze Umkreis des kulturellen Interesses, das ja alle großen Werke der Menschheit umfasse, in einem spezifisch jüdischen Rahmen dargeboten werden; auf der anderen Seite gehe es um die Verlebendigung eigener, jüdischer Kulturwerte. Das Israelitische Familienblatt stellte am 10.9.1936 befriedigt fest, daß auf der Tagung der Fehler vermieden wurde, einen Gegensatz zwischen den Kulturwerten der Welt und den spezifisch jüdischen zu konstruieren. Es wäre geradezu närrisch, hier ein Entweder-Oder aufzurichten und die Frage „Beethoven oder Jüdisches Volkslied" zu stellen. Eine zionistische Stimme hatte schon zu früherem Zeitpunkt vor krampfhaften Versuchen gewarnt, die vermehrte Aufführung jüdischer Werke zu forcieren, die doch nur Ergebnis einer allmählichen Entwicklung sein könnte. Damit fand die öffentliche Diskussion über Kulturpolitik ihren Abschluß. Die jüdische Note im Repertoire wurde stärker betont. Aus dem Jiddischen wurden übertragen: Perez Hirschbein: Grüne Felder, Scholem Alejchem: Amcha, J. L. Perez: Die goldene Kette, Mendele Moscher-Sfarim: Benjamin - Wohin?. Daneben gab es weitere Bearbeitungen und Uraufführungen sowie Übersetzungen aus dem Hebräischen des palästinensischen Theaters. Der Reichsverband - Organisierte Kultur Während in Berlin die Kulturbundtätigkeit nahezu störungsfrei vonstatten ging, kam es in der Provinz häufig zu Übergriffen seitens der lokalen Parteistellen und zu Einmischungen der örtlichen Polizei oder Gestapo. Da die Direktiven aus Berlin nicht immer in die Provinz drangen (und ohnehin auf Preußen beschränkt blieben, solange Hinkel preußischer Staatskommissar war), waren nichtjüdische Saalbesitzer abgeneigt, ihre Räume jüdischen Veranstaltern zu überlassen. Im Laufe des Jahres 1934 nahmen die Schwierigkeiten so überhand, daß von einer geordneten Arbeit im Reich nicht die Rede sein konnte. Hinkel intervenierte zugunsten der Kulturbünde in zahlreichen Städten, um bei den dortigen Stellen Verbote der Saalvermietung oder ähnliches rückgängig zu machen. Auf einer Tagung im April 1935, an der sich Vertreter von 46 jüdischen kulturellen Organisationen aus dem gesamten Reichsgebiet, daneben auch Hinkel nebst Adjutant und Beamten der Gestapo, beteiligten, kamen diese und andere Schwierigkeiten zur Sprache. Es ist nicht mehr genau nachzuvollziehen, ob die auf dieser Tagung beschlossene Gründung eines Dachverbandes der Jüdischen Kulturbünde auf Hinkeis Initiative 90

.Auf Abruf - Das Theater des Jüdischen Kulturbundes im „Dritten Reich" 1933 - 1941 zurückging, der dadurch sowohl seine persönliche Machtbefugnis erweitern als auch seine Überwachungsmöglichkeiten verbessern konnte. Für den Kulturbund erschien eine verstärkte Zentralisierung zur Fortsetzung der Arbeit unerläßlich zu sein; darüber hinaus würde sie eine bessere Planung von Gastspielen und die wirtschaftliche Verwendung der künstlerischen Kräfte ermöglichen, kleinere Gemeinden könnten so besser mit Veranstaltungen versorgt werden. Dem geschäftsführenden Vorstand des Reichsverbandes der Jüdischen Kulturbünde in Deutschland gehörten neben Kurt Singer Vertreter der Bünde aus Köln, München, Stuttgart, Hamburg, Frankfurt/Main und anderen Städten an; Werner Levie wurde Verbandssekretär. Am 18. August 1935 veröffentlichte der Völkische Beobachter die neuen Richtlinien, nach denen nur noch der Reichsverband der Jüdischen Kulturbünde den organisierten Zusammenschluß aller jüdischen Kulturorganisationen im gesamten Reichsgebiet darstellen durfte. Sämtliche jüdischen Kulturorganisationen, mit Ausnahme der Schulen und Kulturgemeinden, mußten bis zum 15. September in den Reichsverband eingegliedert werden. Nur jüdische Künstler, die Mitglieder des Reichsverbandes waren, konnten an seinen Veranstaltungen mitwirken, und nur Juden, deren Mitgliedschaft durch Lichtbildausweis bestätigt war, durften diese Darbietungen besuchen, die den Charakter von „geschlossenen Veranstaltungen" hatten. Die einzigen Ausnahmen bildeten „arische" Ehegatten von jüdischen Mitgliedern eines Kulturbundes. Was von jüdischer Seite nur als notwendige Maßnahme betrachtet worden war, um den Betrieb der Kulturbünde reibungsloser und wirtschaftlicher zu gestalten, hatte zwangsläufig den Charakter der Ausschließlichkeit erhalten. Die Dachorganisation war als freiwilliger Zusammenschluß geplant, der Reichsverband aber zum einzigen Forum geworden, auf dem Juden in Deutschland künstlerische Arbeit leisten und erleben durften. Sein Zustandekommen schien noch in der freien Entscheidung der Juden gelegen zu haben, nach seiner Gründung wurde er der „allein gestattete organisatorische Zusammenschluß aller jüdischen Kulturorganisationen", wie es in den Informationsblättern der Reichsvertretung der Juden in Deutschland am 22.9.1935 hieß. Er hatte somit ein mit Verantwortung beladenes Monopol, das ihn quantitativ zur größten Mitgliedervereinigung unter den Juden Deutschlands machte und qualitativ das geistige Gesicht des jüdischen Lebens jener Jahre entscheidend formte. Nach dem Novemberpogrom 1938 Von zeitweisen Verboten abgesehen - wie im Februar/März 1936 nach der Ermordung des Landesgruppenleiters der NSDAP in der Schweiz oder im April bis Juni 1937 konnte der Kulturbund seine Arbeit kontinuierlich fortsetzen. Das Jahr 1938 brachte noch einmal eine rapide Verschlechterung der Lebensbedingungen der Juden in Deutschland. Im Februar wurde eine Änderung im Wirtschaftsministerium vorgenommen und Schacht durch Funk abgelöst, womit der Druck der Partei und der Arbeitsfront auf eine .Ausschaltung' der Juden aus dem Wirtschaftsleben sich verstärkte. Der im März erfolgte ,Anschluß' Österreichs, der 200.000 Juden zu Opfern von Expropriationen und anderen Willkürakten machte, erschütterte die ohnedies labile Lage der Juden im alten Reichsgebiet. Im April erfolgte die Registrierung des gesamten jüdischen Eigentums, und die Verlautbarungen der offiziellen Presse wurden immer aggressiver. Das Sprachrohr der SS, Das schwarze Korps, forderte in einer berüchtigten Serie von 91

Herbert Freeden drei Artikeln die Enteignung der Juden, die Zerstörung ihres Besitzes durch Plünderung und ihre Liquidierung als „Wirtschaftsfaktor". Dazu kam die beklemmende Atmosphäre der internationalen Krise, die die Kriegsgefahr akut werden ließ und im September 1938 im „Münchner Abkommen" mündete. Der diplomatische Sieg der Nationalsozialisten hatte eine niederschmetternde Wirkung auf das deutsche Judentum, das sich nunmehr schutzlos den feindseligen Aktionen ausgesetzt sah. Ein Stimmungsbild gibt ein Artikel in der Jüdischen Rundschau vom 2. September 1938: „Neben der Sorge um das Visum und Vorzeigegeld darf, ja muß die Sorge um das geistige Selbst stehen, das zwischen den Mühlsteinen des Existenzkampfes und des Ringens um Auswanderung nicht zerrieben werden darf". Nicht weniger drastisch schrieben die Mitteilungen des Reichsverbandes in ihrer letzten Nummer, im August 1938: „Der Kulturbund geht in den bisher schwersten Winter seiner Existenz [...] Der Liquidationsprozeß des Judentums in Deutschland hat derart rasante Formen angenommen, daß alle Positionen, auf die sich unsere Arbeit stützen konnte, ins Wanken gekommen sind. Werte, um die eben noch gestritten wurde, sind illusorisch geworden; es geht nicht mehr um den künstlerischen Wettstreit der einzelnen Bünde, sondern um Sein oder Nichtsein der Kulturbundarbeit überhaupt. [...] Gefährlicher noch als der Mitgliederschwund ist die Resignation und Mutlosigkeit [...] Wir wissen, wie die beruflichen Sorgen und die Vorbereitung der Auswanderung jeden einzelnen beschäftigen und absorbieren. Aber trotz aller Anstrengungen um die Auswanderung werden diesen Winter in zahlreichen Gemeinden noch genügend Juden vorhanden sein, zu denen der Kulturbund sprechen muß". Nach dem Attentat Herschel Grynspans auf den deutschen Gesandtschaftssekretär in Paris verfügte das Propagandaministerium die Schließung des Kulturbundtheaters am 8. November 1938. In der darauffolgenden Nacht initiierten die Nationalsozialisten den Novemberpogrom mit der Plünderung jüdischer Geschäfte, der Zerstörung der Synagogen und der willkürlichen Verschleppung Zehntausender jüdischer Männer und Frauen in Konzentrationslager. Nach einem Erlaß des Propagandaministeriums war es Juden „künftig untersagt, öffentliche Theater, Kinos, Konzerte und Kabaretts zu besuchen". Das Verbot jüdischer Kulturveranstaltungen dagegen wurde bereits am 14.11.1938 wieder aufgehoben. Den Nationalsozialisten lag offenbar so sehr an einer Fortführung der Arbeit des Kulturbundes, daß Hinkel die Entlassung von verhafteten Theatermitarbeitern aus dem KZ erwirkte. Sogar zu finanzieller Unterstützung erklärte er sich bereit, nachdem durch Plünderung der Geschäfte und wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen viele Mitglieder die Beiträge nicht mehr zahlen konnten und so dem Kulturbund die materielle Basis genommen worden war. „Der Reichsverband der Jüdischen Kulturbünde hat seine Tätigkeit wieder aufgenommen", verlautete es am 23. November 1938 im Berliner Jüdischen Nachrichtenblatt, der nunmehr einzigen jüdischen Zeitung Deutschlands. Das Programm kündigte Regen und Wind, einen Studentenschwank, im Berliner Kulturbund, die Premiere von Paul Heyses König Saul im Theater der Jüdischen Schulen und die Fortsetzung der Kleinkunstrevue Gemischtes Kompott von Max Ehrlich und Willy Rosen an. An alle aktiven Mitglieder erging die Aufforderung, sich schriftlich zu melden, da eine Übersicht über die noch verfügbaren Künstlerinnen und Künstler nötig geworden war. Für Dezember wurde die 92

, Auf Abruf' - Das Theater des Jüdischen Kulturbundes im „Dritten Reich" 1933 - 1941

Premiere von Benjamin - Wohin? und ein Liederabend in Regensburg angezeigt. „Der Jüdische Kulturbund Rhein-Ruhr beginnt die Arbeit nächstens", hieß es vielversprechend. Die Premiere von Regen und Wind hatte ihresgleichen nicht - selbst in den bewegten Annalen der Theatergeschichte. Die Portale des Theaters in der Kommandantenstraße waren weit geöffnet. Das Halbrund des Parketts strahlte in altem Glanz. Die Kronen an der Decke leuchteten, die Platzanweiserinnen in schmucken Uniformen standen im Foyer und auf roten Teppichen, die in die Logen führten. Zu Hause warteten Frauen auf Nachricht von ihren verschleppten Männern und Söhnen; zu Hause saßen Menschen auf den Trümmern ihrer Existenz - und im Theater gingen auf Befehl die Lichter an. Die Gesamtleitung der zentralen Organisation lag weiterhin in den Händen von Werner Levie, die Schauspielleitung bei Fritz Wisten, die musikalische Leitung bei Rudolf Schwarz. Leo Hirsch war Dramaturg, Berthold Sander hatte nach wie vor die Chordirektion inne. In Berlin war der Beitrag von 2,85 RM auf 1,85 RM ermäßigt worden, für den die Mitglieder das Recht auf eine Theatervorstellung im Monat hatten. Für Konzerte mußten sie zusätzlich 0,75 RM und für Vorträge 0,50 RM Eintritt zahlen. Es war nicht mehr selbstverständlich, von jüdischen Menschen zu erwarten, sich als feste Mitglieder dem Kulturbund zu verpflichten. Im Jüdischen Nachrichtenblatt hieß es am 21. Juli 1939 über die Situation: „Unser Leben heißt .Warten'- unser Leben heißt .Wandern', ist angefüllt mit Formularen, mit Worten und Begriffen wie Transfer, Affidavit, Zertifikat, Permit, Vorzeigegeld, Lift. Wir sind unterwegs - unterwegs, das ist .schon' und doch ,noch nicht'; schon die Zelte abgebrochen und neue noch nicht wieder aufgebaut". Im März 1939 verabschiedete sich Max Ehrlich in der Kleinkunst-Revue Kleines Nachtlokal; er ging nach Holland und fiel dort im nächsten Jahr den Nationalsozialisten wieder in die Hände. Kaimans Operette Gräfin Mariza wurde zum letzten, großen Publikumserfolg und in 25 ausverkauften Häusern im Sommer 1939 vor fast 20.000 Menschen gespielt. Der Spielplan für das Jahr 1939/40 sah Werke vor von Shakespeare, Ben Jonson, Goldoni, Henri Bernstein, Priestley, Benedetti, Scholem Alejchem und Jecheskel Mosche Neumann. Symphoniekonzerte sollten, entsprechend der Ankündigung, alle vierzehn Tage stattfinden und nicht wie früher, als noch die Oper spielte, nur alle zwei Monate. Die letzte Premiere vor Kriegsbeginn, die auch die letzte im Theater in der Kommandantenstraße wurde, das vier Jahre lang Glanz und Elend des Kulturbundes gesehen hatte, war ein Doppelprogramm, Mirandolina von Goldoni in Bearbeitung von Ludwig Fulda (der wenige Monate vorher 77jährig in Berlin gestorben war) und die Pantomime Die Entführung nach der Musik von Gretry und Bossi. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges brachte eine vorübergehende Stillegung des Betriebes, aber drei Wochen später, am 24 September 1939, begann die Filmbühne wieder zu spielen. Die erste größere Veranstaltung nach Kriegsbeginn fand Ende September in Form einer Matinee in der Aula der Josef Lehmann-Schule statt. Leo Baeck hielt einen Vortrag über das Thema „Der Prophet Jeremias, der jüdische Mensch in der Geschichte". Zwei Nocturnos von Ernest Bloch und ein Klavier-Trio von Mendelssohn bildeten die künstlerische Umrahmung. Im Oktober nahm der Laienchor - der einzige der zahlreichen jüdischen Chöre, der geblieben war - unter Leitung von Berthold Sander seine Proben an Judas Maccabäus wieder auf. 93

Herbert Freeden Auch in der Leitung hatten sich in den letzten Jahren große Veränderungen ergeben. Die Menschen, die den Kulturbund aufgebaut und geführt hatten, waren nicht mehr da. Kurt Singer war 1938 auf der Rückreise von einem USA-Aufenthalt nach Warnungen seiner Freunde in Holland geblieben, Julius Bab, nach einem Zwischenaufenthalt in Paris, in die Vereinigten Staaten emigriert, wo sich auch Max Wiener befand. Benno Cohn, Vizepräsident des Reichsverbandes, war in Palästina, und im November 1939 hatte auch Levie Deutschland verlassen. Sein Nachfolger war Martin Brasch geworden, dessen Titel „Kommissarischer Gesamtleiter des Jüdischen Kulturbundes Deutschland e.V." lautete. Die künstlerische Leitung, nicht nur wie bisher für das Schauspiel, sondern für alle noch verbleibenden Sparten, wurde Fritz Wisten übertragen. Leo Hirsch wirkte als Dramaturg, als musikalischer Berater Karl Wiener. Die Leitung der Filmbühne übernahm der Schauspieler Werner Hinzelmann, einst Leiter des Theaters der Jüdischen Schulen. Im Laufe des Jahres 1940 wurde in Berlin noch hier und da Theater gespielt. Gewöhnlich erlebte ein Stück, auf der Bühne des Kulturbundsaales inszeniert, nicht mehr als vier bis sechs Vorstellungen. Aufgeführt wurden Bob beehrt sich vorzustellen, ein heiteres Stück von Gregor Rogoff, eine konzertante Wiedergabe von Cavalleria Rusticana, das Schauspiel Die Mutter des jiddischen Autors Jakob Gordin, eine von Leo Hirsch arrangierte Bearbeitung des Eingebildeten Kranken mit Musik von alten Meistern, eine konzertante Aufführung des Bajazzo und ein Maskenspiel von Jacinto Benavente, Der tugendhafte Glücksritter. Einen der Höhepunkte bildete ein von Schwarz geleitetes Symphoniekonzert, mit Werken von Berlioz, Tschaikowsky und Schönberg. Am 9. August 1941 fand die Premiere von Molnärs Spiel im Schloß unter der Regie von Fritz Wisten statt. Die Mitwirkenden waren Alfred Berliner (Balthoff), Ben Spanier, Fritz Tachauer, Fritz Grünne, Steffi und Werner Hinzelmann und Georg Jacobsohn, für die Ausstattung hatte Hanna Litten gesorgt. Spiel im Schloß wurde die letzte Inszenierung des Kulturbundes überhaupt; die angekündigten Tourneen nach Breslau und Hamburg fanden nicht mehr statt. Am 11. September 1941 wurde der Jüdische Kulturbund verboten, sein Eigentum konfisziert und seine Mitarbeiter verhaftet. Einen Monat später begannen die ersten Deportationen der Juden Berlins. Fazit Existenz und Arbeit der Jüdischen Kulturbünde, zu denen in den Jahren 1933 bis 1941 2.500 Künstler aller Sparten und vortragende Dozenten sowie fast 70.000 Mitglieder in etwa hundert Städten gehörten, sind ein Dokument jüdischer Selbstbehauptung unter der nationalsozialistischen Diktatur. Unter schwierigen, immer problematischer werdenden Bedingungen - die technischen Mittel waren improvisiert, die finanziellen Möglichkeiten begrenzt, die politischen Gegebenheiten lähmend, die ständige Abwanderung der künstlerischen Kräfte unterbrach jede Kontinuität - ermöglichten sie den im „Dritten Reich" verbliebenen jüdischen Künstlern Arbeitsmöglichkeiten, dem aus der Gesellschaft ausgeschlossenen Publikum Kunstgenuß und Unterhaltung, moralische Stärkung, und sie bildeten ein soziales Gefüge. Die Bedingungen der gesellschaftlichen Isolation, des Bruches mit der bisher gewohnten Lebensweise und der Frage nach der eigenen Identität weisen Parallelen mit der Situation des Publikums des Exiltheaters auf. Ungleich stärker als in der Emigration 94

,Auf Abruf' - Das Theater des Jüdischen Kulturbundes im „Dritten Reich" 1933 - 1941

allerdings war die akute und ständig zunehmende Bedrohung der in Deutschland lebenden Juden. Mit der sich steigernden Einschränkung der Lebensbedingungen kam dem Kulturbundtheater auch ein immer grotesker werdender Aspekt zu: Während draußen Diskriminierung und Verfolgung vor sich gingen, war auf der Bühne die Welt noch in Ordnung; Stücke mit politischen Anspielungen waren nicht zugelassen. Der Jüdische Kulturbund hat sich auch von den Nationalsozialisten für ihre Zwecke - ein Alibi gegenüber dem Ausland, bessere Kontrolle des jüdischen Kulturlebens - instrumentalisieren lassen. Diese Ambivalenz schmälert aber nicht seine kulturelle, geistige und moralische Leistung. Die meisten Mitarbeiter des Kulturbundes - soweit sie nicht nach Übersee oder England emigriert waren - kamen in Konzentrationslagern ums Leben. Kurt Singer, aus Holland nach Theresienstadt deportiert, starb dort Anfang des Jahres 1944. Werner Levie, auch er in Holland verhaftet, überlebte das Konzentrationslager Bergen-Belsen, starb aber einen Monat nach der Befreiung. Fritz Wisten überlebte im Untergrund; als 1945 das Deutsche Theater in Berlin, die einstige Wirkungsstätte Max Reinhardts, wiedereröffnet wurde, übernahm er die erste Inszenierung - Nathan der Weise, dasselbe Stück, mit dem zwölf Jahre zuvor der Jüdische Kulturbund begonnen hatte. Wie sehr die Arbeit des Kulturbundes im nationalsozialistischen Deutschland „Auf Abruf' geschah, wie nah am Abgrund dieses Theater stattfand, belegt seine letzte Inszenierung, Molnärs Spiel im Schloß, durch Ben Spanier. Nachdem wegen des KulturbundVerbotes die Aufführungen in Berlin kurz nach der Premiere eingestellt werden mußten, inszenierte Spanier das Stück noch einmal in Theresienstadt, bevor er ins Todeslager deportiert wurde.

Literatur Herbert Freeden: Jüdisches Theater in Nazi-Deutschland. Frankfurt a. M. u.a. 1985 [zuerst Tübingen 1964], Eike Geisel/Henrik M. Broder: Premiere und Pogrom. Der Jüdische Kulturbund 19331941. Texte und Bilder. Berlin 1992. Geschlossene Veranstaltung. Der Jüdische Kulturbund in Deutschland 1933-1941. [Ausstellungskatalog] Hrsg.: Akademie der Künste. Berlin 1992. Barbara Müller-Wesemann: Theater als geistiger Widerstand. Der Jüdische Kulturbund in Hamburg 1934-41. Stuttgart 1996. Volker Dahm: Kulturelles und geistiges Leben. In: Die Juden in Deutschland 1933 1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft. Hrsg. von Wolfgang Benz. 3. durchges. Auflage. München 1993, S. 75-267.

Archive Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin: Kurt-Singer-Archiv, Fritz-WistenArchiv, Julius-Bab-Archiv, Sammlung Jüdischer Kulturbund Leo-Baeck-Institut, New York Wiener Library, London Yad Vashem, Jerusalem 95

Hilde Haider-Pregler

Exilland Österreich Als „eine verschwommene, verschmierte Zeit" hat die Wiener Schriftstellerin Hilde Spiel die fünf Jahre zwischen 1933 und der Annexion Österreichs durch NS-Deutschland im März 1938 im Gedächtnis behalten: „Deutsche Emigranten und gebürtige Österreicher kommen nach Wien, um Hitler zu entrinnen, Wiener gehen aus Abscheu vor dem heimischen Regime nach London oder Paris" 1 - oder in andere Exilländer. Die große Dame des österreichischen Kulturlebens, die, der Notwendigkeit zuvorkommend, als junge, sozialdemokratisch engagierte Literatin jüdischer Herkunft schon 1936 nach London emigrierte, umreißt in zwei knappen Sätzen die Lebensbedingungen während der Spätphase der Ersten Republik und rührt dabei an die Problematik, die sich bei der Erforschung von Emigrantenschicksalen im damaligen Österreich grundsätzlich stellt. Die Frage, ob und inwieweit der autoritäre Ständestaat - zu gleicher Zeit Immigration tolerierend und zur Emigration nötigend - überhaupt als Exilland angesehen werden kann, muß den Ausgangspunkt bilden. Gewiß haben Historiker, Politologen und Literaturwissenschaftler gerade in jüngerer Zeit in einer Vielzahl fundierter Studien den Nachweis erbracht, daß die zu bewältigende österreichische Vergangenheit nicht erst im März 1938 beginnt. Eine rege interdisziplinäre Exilforschung dokumentiert und würdigt Biographien und Leistungen von Österreichern, die - nicht wenige schon vor Hitler - ihr Land verlassen mußten. Beim Aufdecken der austrofaschistischen Strukturen des Dollfuß- und Schuschnigg-Regimes und beim Gedenken an jene, die in und außerhalb Österreichs im antifaschistischen Widerstand wirkten, blieb jedoch der 1933 einsetzende Flüchtlingszustrom nach Österreich weitgehend unbeachtet. Erst Untersuchungen aus alleijüngster Zeit dokumentieren Österreichs zwiespältige Rolle als „Asylland wider Willen." 2 Die österreichische Regierung war freilich bemüht, die Emigrantenfrage zu marginalisieren. So konnte der Eindruck entstehen, Österreich wäre von den meisten Emigranten entweder gar nicht als Einwanderungsland in Erwägung gezogen oder bereits bei der Einreise nur als kurzfristige Zwischenstation empfunden worden. Was die Theaterleute anbelangt, täuscht dieser Eindruck. Im Wiener Theater der dreißiger Jahre stößt man auf zahlreiche Emigranten und erzwungene Österreich-Heimkehrer, die kein Überbrükkungsengagement suchten, sondern im Vertrauen auf die trügerische Sicherheit des „zweiten deutschen Staates" den Aufbau einer neuen Existenz planten. Wer 1933 die österreichische Grenze überschritt, kam in ein von Arbeitslosigkeit gezeichnetes, poli1 2

Hilde Spiel: Die hellen und die finsteren Zeiten. Erinnerungen 1911 - 1946. München 1989, S. 103. Asylland wider Willen. Flüchtlinge in Österreich im europäischen Kontext seit 1914. Hrsg. von Gernot Heiss und Oliver Rathkolb. Wien 1995 (= Veröffentlichungen des Ludwig-Boltzmann-Institutes für Geschichte und Gesellschaft, Bd. 25). Die dreißiger Jahre behandelt Oliver Rathkolb: Asyl- und Transitland 1933 -1938? S. 109 - 121. Rathkolb weist nach, daß die emigrierten Künstler in Anbetracht der restriktiven Flüchtlingspolitik zu einer „Gruppe von relativ privilegierten deutschen Exilanten" zu zählen sind; bezüglich des künstlerischen Wirkens der Emigranten in der österreichischen Theaterlandschaft verweist Rathkolb allerdings nur auf Stephan Stompors diesbezüglich wenig zuverlässiges Werk: Künstler im Exil. In Oper, Konzert, Operette, Tanztheater, Schauspiel, Kabarett, Rundfunk, Film, Musik- und Theaterwissenschaft sowie Ausbildung in 62 Ländern. 2 Bde. Frankfurt a. M. u.a. 1994.

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Hilde Haider-Pregler tisch instabiles, alsbald vom Bürgerkrieg erschüttertes Land, das die Erlangung seines temporären Friedens mit dem Verlust der parlamentarischen Demokratie bezahlte. Die Krise hatte auch das Theater nicht verschont. Die Arbeitslosenrate unter den Schauspielern war erschreckend hoch, nur wenige Theater konnten einen kontinuierlichen Spielbetrieb aufrechterhalten, die Aussicht auf ein fixes Engagement zu kollektivvertraglichen Bedingungen war gering, sogar prominente Künstler schlugen Zuverdienste durch Star-Auftritte im Variete oder dergleichen nicht aus, die meisten Privattheater schlitterten von einer Direktionskrise in die andere. Wenn es trotzdem eine Vielzahl berühmter und weniger berühmter Emigranten in die traditionsreiche, wenngleich krisengeschüttelte Theaterstadt Wien zog, so taten sie diesen Schritt unter Negierung oder Fehleinschätzung der politischen Warnsignale, in der Hoffnung auf eine von Sprachbarrieren unbeeinträchtigte Berufsausübung. Den von den reichsdeutschen Bühnen vertriebenen Künstlern standen ja neben den österreichischen nur noch die deutschsprachigen Theater in der Schweiz und in der tschechoslowakischen Republik offen. Für sie alle gilt wohl, was Max Reinhardt später - in den USA von der eigenen Sprache abgeschnitten - zu Blandine Ebinger sagte: „Wo wir auch zu Hause sein mögen, Blandine: die Heimat ist das Wort."3 Die politische Situation der dreißiger Jahre: Der „soziale, christliche, deutsche Staat" Österreich Nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie entwickelte die junge Erste Republik im Gegensatz zu den anderen Nachfolgestaaten kein Bewußtsein einer eigenen nationalen Identität. Die Idee des - völkerrechtlich zwar untersagten - Anschlusses an Deutschland beschäftigte nicht nur die großdeutschen und völkischen Fraktionen, sondern auch die Sozialdemokraten, die im „roten Wien" sozialpolitisch bahnbrechende Leistungen erbrachten, während auf Bundesebene die bürgerlichen und konservativen Kräfte regierten.4 Die starke christlich-soziale Partei, vor 1918 loyal zur Habsburger-Dynastie, vertrat eine auf Kleinbürgertum und Mittelstand zugeschnittene, klerikal-konservative Position, die über alle weltanschaulichen Differenzen hinweg nicht weniger antisemitisch prononciert war als jene des antiklerikal-völkischen Bürgertums. Die Spannungen zwischen dem linken Flügel und den bürgerlichen Gruppierungen spitzten sich gegen Ende der zwanziger Jahre bedrohlich zu. Beide verfügten über paramilitärische Organisationen: die Sozialdemokraten über den Republikanischen Schutzbund, die Christlich-Sozialen über die Heimwehren. Das Gefüge der Demokratie geriet ins Wanken. War die Politik der österreichischen Republik bis 1931/32 von „vielfältigen, den jeweiligen Interessen entsprechend politisch ausgeformten, in unterschiedlichem Maße publiken Strömungen dominiert, Österreich dem deutschen Reich anzugliedern"5, so leitete die Kabinettsbildung durch Dr. Engelbert Dollfuß im Mai 1932 - der christlich-soziale Politiker war ein Jahr zuvor als Landwirtschaftsminister in die Regierung eingetreten - eine Neuorientierung hin zu einem 3 4

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Blandine Ebinger 1973 in einem Gespräch mit der Vfn. Zur Geschichte der Ersten Republik vgl.: Österreich 1918 - 1938. Geschichte der Ersten Republik. Hrsg. von Erika Weinzierl und Kurt Skalnik. 2 Bde. Graz/Wien/Köln 1983; Anton Staudinger: Zur „Österreich"-Ideologie des Ständestaates. In: Das Juli-Abkommen von 1936. Vorgeschichte, Hintergründe und Folgen. Hrsg. von Ludwig Jedlicka und R. Neck. Wien 1977, S. 198 - 240. Staudinger 1977, a.a.O., S. 198.

Exilland Österreich Bekenntnis zur staatlichen Souveränität Österreichs ein. Während Österreich die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise voll zu spüren bekam, radikalisierte sich innenpolitisch der Kampf zwischen den parlamentarisch-demokratischen und autoritär-ständestaatlichen Kräften; gleichzeitig konnten die österreichischen Nationalsozialisten, die nach der Machtergreifung der NSDAP den von ihnen heftig postulierten Anschluß in greifbarer Nähe sahen, beträchtliche Gewinne verbuchen. Dollfuß lehnte jedoch die Gleichschaltung dezidiert ab. Nach der „Selbstauflösung des Parlamentes" am 4. März 1933 - alle drei Nationalratspräsidenten demissionierten - griff man, um die Handlungsfähigkeit der bestehenden Regierung zu gewährleisten, auf das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1917 zurück. Das hieß zunächst: Einschränkung der Pressefreiheit und Aufmarschverbot, verbunden mit der systematischen Ausschaltung der marxistischen Kräfte. Ende März 1933 wurde die Auflösung des Schutzbundes angeordnet, im Mai die KPÖ verboten. Am 20. Mai kam es zur Gründung der Vaterländischen Front, definiert als „überparteiliche" Vereinigung aller „regierungstreuen Österreicher", die nach Abschaffung der parlamentarischen Demokratie durch die „Mai-Verfassung 1934" gewissermaßen als Einheitspartei fungieren sollte. Die Illegalerklärung der NSDAP am 19. Juni 1933 führte zu einer weiteren Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen mit dem „Dritten Reich", das mit wirtschaftlichen Repressionen reagierte und seinen Staatsbürgern in der Folge Reisen nach Österreich nur nach Abführung von tausend Reichsmark an den Staatssäckel gestattete. Die Konsequenzen dieser „Tausendmarksperre" bekamen auf dem Kultursektor u. a. die Salzburger Festspiele zu spüren.6 Das von Dollfuß im Sommer 1933 mit dem Vatikan ausgehandelte Konkordat sicherte der katholischen Kirche eine nicht unerhebliche Machtposition im politischen Leben. Die unüberbrückbaren Gegensätze zwischen den Christlich-Sozialen, deren Kanzler Dollfuß in Übereinstimmung mit den Heimwehren für die „Abschaffung des Parlamentarismus" plädierte, und den mit repressiven Maßnahmen schikanierten Sozialdemokraten, die in Reaktion auf die politische Umwälzung in Deutschland auf ihrem letzten Parteitag in Österreich im Oktober 1933 den Anschlußartikel aus ihrem Programm strichen, entluden sich im Februar 1934 in einem im Grunde mutwillig provozierten Bürgerkrieg. Dieser wurde von Regierungstruppen - in der Ersten Republik ein Berufsheer - gegen die sich in ihren Arbeiterheimen und Gemeindebauten verteidigenden Sozialdemokraten blutig niedergeschlagen.7 Die Regierung ließ im Widerspruch zu einem halbherzigen Pardon-Appell bei Waffenniederlegung neun standrechtliche Todesurteile exekutieren, die sozialdemokratische Partei wurde noch am 12. Februar verboten, ihre Vermögenswerte beschlagnahmt, viele Sozialdemokraten - darunter Otto Bauer und Julius Deutsch - flüchteten. Die in den Untergrund gedrängte Parteiarbeit für Österreich wurde in der Zukunft von Brünn aus gelenkt. In Österreich drohte Sozialdemokraten, Kommunisten und Nationalsozialisten bei politischer Betätigung die Inhaftierung in einem Anhaltelager. Am 1. Mai 1934 trat „im Namen Gottes, von dem alles Recht ausgeht", die „Verfassung 1934" in Kraft, mit der Dollfuß sein Ziel erreichte, Österreich zum „sozialen, christlichen, deutschen Staat [...] auf ständischer Grundlage und mit starker autoritärer 6

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Vgl. Edda Fuhrich/Gisela Prossnitz: Die Salzburger Festspiele. Ihre Geschichte in Daten, Zeitzeugnissen und Bildern. Bd. 1: 1920 - 1945. Salzburg/Wien 1990. Die Kälte des Februar. Österreich 1933 - 1938. Hrsg. von Helene Maimann und Siegfried Mattl. Wien 1984.

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Hilde Haider-Pregler Führung" zu machen. Außenpolitisch schien Mussolini der wichtigste Verbündete zur Abwehr großdeutscher Anschlußgelüste. Nach der Ermordung von Engelbert Dollfuß bei einem nationalsozialistischen Putsch im Juli 1934 führte sein Nachfolger Dr. Kurt Schuschnigg die österreichische Souveränitätspolitik weiter fort. Unter amtliche Schreiben setzte man nun gerne die Schlußformel: „Treu Österreich!" Das sogenannte , Juli-Abkommen" vom 11.7.1936, das sich aus zwei Teilen - einem offiziellen „deutsch-österreichischen Kommunique" und einem geheimen „Gentlemen's Agreement" - zusammensetzte, sollte die diplomatischen Beziehungen mit dem „Dritten Reich" normalisieren8; nicht nur die „Tausendmarksperre" fiel, Hitler akzeptierte zunächst auch entgegen seinen wahren Absichten Österreichs Eigenstaatlichkeit. Die dafür verlangten Zugeständnisse, die zu einschneidenden innenpolitischen Konzessionen zwangen, leisteten jedoch den deutschen Aggressionsplänen Vorschub. Die Bereiche Medien, Kultur und Wissenschaft wurden im geheimen Teil des Abkommens behandelt. Reichsdeutsche Zeitungen, die mit Ausnahme der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Österreich nicht vertrieben werden durften, mußten schrittweise zugelassen werden, österreichische Blätter sollten sich künftig jeder NS-Deutschland attackierenden Berichterstattung enthalten, um einen bilateralen „Pressefrieden" zu gewährleisten. Daß auch die deutsche Presse in der Folge ihre Österreich-Angriffe subtiler gestalten mußte, geschah konform zu Hitlers außenpolitischem Konzept, die Westmächte von seinen Expansionsplänen abzulenken. Durch Mussolinis Bündnis mit Hitler im Oktober 1936 konnte Österreich de facto nicht mehr auf seinen wichtigsten Bündnispartner aus der Gruppe der österreichfreundlichen Staaten zählen. Das Ende Österreichs war nicht mehr aufzuhalten, obwohl es sich als der - legitimere - „zweite deutsche Staat" und - so Schuschnigg noch im Jänner 1938 in einem Interview mit dem Daily Telegraph - durch „einen Abgrund vom Nationalsozialismus" getrennt sah. Nach einer als (fehlgeschlagene) Abwehrmaßnahme gedachten, vorsichtigen Akzeptanz der Illegalen im Jahr 1937, i.e. der getarnten österreichischen Nationalsozialisten, zitierte Hitler den österreichischen Kanzler am 12. Februar 1938 auf den Obersalzberg und diktierte seine den endgültigen „Anschluß" vorwegnehmenden Bedingungen. Genau einen Monat später überschritten die deutschen Truppen, übrigens mit Mussolinis telefonischem Einverständnis, Österreichs Grenzen. Ständestaatliche Kultur- und Theaterpolitik Das Schauspielergesetz (1922) und das Wiener Theatergesetz (1928) lösten die noch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammende alte „Theaterordnung" ab und fixierten gemäß dem sozialen Fortschritt die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer und -geber.9 Das politische Lagerdenken bezog die Theaterszene als Schauplatz in den Kulturkampf mit ein. Die Theaterzensur, über deren rechtliche Grundlage nach dem Zusammenbruch der Monarchie Unklarheit herrschte, wurde schließlich in den zwanziger Jahren offiziell 8

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Gabriele Volsansky: Das „Juli-Abkommen". Der deutsch-österreichische Vertrag vom 11. Juli 1936. Eine Untersuchung der Entstehung, des Charakters und der Umsetzung des Vertrages, mit besonderer Berücksichtigung seiner Auswirkungen auf die Selbständigkeit Österreichs. Diss., Wien 1995. Zur Theatersituation der Ersten Republik vgl. Heidemarie Brückl-Zehetner: Theater in der Krise. Sozialgeschichtliche Untersuchungen zum Wiener Theater der Ersten Republik. Diss., Wien 1988.

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Exilland Österreich abgeschafft, in der Folge jedoch durch die Mai-Verfassung 1934 für Bedarfsfälle wieder legitimiert.10 Die mit der Mai-Verfassung gesetzlich zur „Trägerin der politischen Willensbildung im neuen Österreich" erklärte Vaterländische Front hatte in ihrem Organisationsstatut auch jene Einrichtungen verankert, die zur Neustrukturierung des Kulturlebens gemäß den austrofaschistischen Wertvorstellungen dienten. Als Prämissen förderungswürdigen Kulturschaffens galten die „Achtung vor den Lehren des Christentums" und die „Achtung vor dem wahren Deutschtum und vor der neuen Volksgemeinschaft".11 Abgesehen von der ideologischen Zielsetzung erhofften sich die Kulturpolitiker für den Theatersektor durch die Reorganisation der beruflichen Interessenvertretungen und durch gezielte Förderungsmaßnahmen, sei es durch direkte Subventionen, sei es durch Abnahme von Kartenkontingenten oder Befreiung von der Lustbarkeitssteuer, eine Behebung der seit den zwanziger Jahren latenten Krise.12 Am 15. Juni 1934 fand die konstituierende Sitzung der Österreichischen Kunststelle statt, deren wichtigste Zielsetzung dahin ging, als „Sanierungszentrale der Wiener Theater" zu wirken, indem sie ihren Mitgliedern die Möglichkeit bot, stark verbilligte Karten für „förderungswürdig" erachtete Vorstellungen zu beziehen. In der Österreichischen Kunststelle wurden bereits seit längerem funktionierende volksbildnerische Institutionen verschiedener Richtungen einer Dachorganisation einverleibt. Die ehemals größte und initiativste unter den sieben Kunststellen war die bereits im Februar 1934 aufgelöste Sozialdemokratische Kunststelle, die David Bach 1919 ins Leben gerufen hatte. Als Präsident der Österreichischen Kunststelle fungierte Hans Brecka, vormals Gründer und Leiter der Christlichen Kunststelle. Der Einfluß der Österreichischen Kunststelle auf das Theaterleben war tiefgreifend. Durch ihre Monopolstellung wirkte sie auch ohne nominelle Befugnis als Zensurstelle. Die von der Abnahme von Kartenkontingenten abhängigen Privattheater mußten ihre Textbücher noch vor Probenbeginn vorlegen; eine Ablehnung bedeutete den Verlust der indirekten Subvention. Manchmal wurden auch spezielle Spielplanwünsche angemeldet. Alsbald unterschied die Kunststelle zwischen „erhaltungswürdigen" und „nicht erhaltungswürdigen" Theatern und verlangte überdies ein Mitspracherecht bei der Wahl des Regisseurs und der Besetzung. Im Rahmen der Vaterländischen Front wurde dann 1936, gewiß nicht unbeeinflußt von „dopo lavoro" und trotz dezidierter ideologischer Distanzierung auch von „Kraft durch Freude", die Freizeitorganisation Neues Leben eingerichtet. Auf Wunsch von Bundeskanzler Schuschnigg rief das eindeutig antisemitisch dominierte Frontwerk im August 1936 eine ÖSTERREICHISCHE LÄNDERBÜHNE ins Leben. Dieses Tournee-Unternehmen hatte einerseits den Auftrag, „in Städten und Gebieten ohne ständige Theater wahre echte Theaterkunst dem Volke zu vermitteln"13, andererseits Arbeitsplätze für engagementlose Schauspieler zu sichern. Die im Neuen Leben für die ÖSTERREICHISCHE LÄNDERBÜHNE Verantwortlichen setzten ihren Stolz darein, ihr Ensemble ,judenrein" zu halten. Die antisemitischen Tendenzen der Kulturpolitik lassen sich auch in der De10

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Anton Staudinger: Abwehr des Nationalsozialismus durch Konkurrenz? In: 100 Jahre Volkstheater [Wien], Theater, Zeit, Geschichte. Hrsg. von Evelyn Schreiner. Wien/München 1989, S. 85 ff. Rainer Schubert: Das Vaterländische Front-Werk Neues Leben. 2 Bde. Diss., Wien 1978, S. 2. Vgl. Christian Dunzinger: Staatliche Eingriffe in das Theater von 1934 - 1938 als Teil austrofaschistischer Kulturpolitik. Magisterarb., Wien 1995. Zit. nach Schubert, a.a.O., S. 97.

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batte um ein staatlich kontrolliertes „Theater der Jugend" verfolgen14, das nach Privatinitiativen Anfängen durch eine Vereinskonstruktion unter ministerielle Kontrolle genommen wurde und zunehmend in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Neuen Leben geriet, bis es schließlich im Februar 1937 als vom Unterrichtsministerium subventionierte Organisation der Österreichischen Kunststelle eingegliedert wurde. Unbestreitbar ist die Tatsache, daß durch die Theaterkrise in Wien bereits in den zwanziger Jahren ein Überangebot an engagementsuchenden Schauspielern bestand. Rechtliche und berufsständische Erschwernisse für den Zugang zum Bühnenberuf und für dessen Ausübung sollten der Bildung eines „Schauspielerproletariats" entgegensteuern. Die Bestimmungen wurden gewiß nicht zufällig zu jener Zeit verschärft, als der Zustrom der aus dem „Dritten Reich" vertriebenen Bühnenkünstler die Zahl dieser „Enterbten des Theaters" - so der Titel einer Reportage im Neuen Wiener Journal vom 3. Oktober 1934 - weiter vermehrte; die gegen Ausländer gerichteten Restriktionen traten just in jenem Monat in Kraft, in dem Goebbels, wie auch die Wiener Presse vermeldete, das Auftreten von „Nichtariern" auf deutschen Bühnen neuerlich streng untersagte und darauf hinwies, daß in jedem Fall die nur „Ariern" mögliche Zugehörigkeit zur Reichstheaterkammer nachzuweisen sei. Mit dem 22. März 1934 verloren in Österreich jedenfalls die - zuvor bestimmten „Kategorien von Kunstpersonal" zugestandenen Ausnahmebestimmungen bezüglich der Anwendung des Inländerarbeiterschutzgesetzes (vom Dezember 1925) ihre Gültigkeit. Auch „Direktoren, Solodarsteller und Solosänger, Spielleiter, Dramaturgen und Kapellmeister" nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft benötigten von diesem Zeitpunkt an, „sofern sie sich nicht seit mindestens 1. Jänner 1922 im Bundesgebiet ständig aufhielten", eine behördliche Beschäftigungsbewilligung, um die der Arbeitgeber - also der Theaterdirektor - beim Wanderungsamt anzusuchen hatte, das dann seine Stellungnahme an die von Ministerialrat Dr. Karl Wisoko geleitete Abteilung im Unterrichtsministerium zur Erledigung weiterreichte. Gegen eine allzu rigorose Handhabung des Inländerarbeiterschutzgesetzes protestierte allerdings bereits im April 1934 sowohl die Interessenvertretung der österreichischen Theaterdirektoren als auch jene der Schauspieler, da sie Vergeltungsstrategien für die an ausländischen Bühnen engagierten Österreicher fürchteten: Angeblich waren damals etwa 1.400 Sänger und Schauspieler im Ausland beschäftigt, während an österreichischen Bühnen nur ca. 60 Ausländer Engagementverträge hatten (Neues Wiener Journal, 11. April 1934). Man einigte sich in der Folge auf einen Kompromiß. Zwar war die Verordnung nicht mehr zurückzunehmen, die zuständigen Behörden versprachen aber den Theaterleuten eine großzügige Handhabung. Im Klartext hieß das, daß eine de jure bestehende Verordnung de facto zur Ermessenssache wurde: in genehmen Fällen konnte man sie umgehen, in weniger genehmen exekutieren. Für Engagements in konzessionierten Theatern mußte auf alle Fälle um eine Genehmigung nachgesucht werden, da gab es auch für einen Albert Bassermann oder Ernst Deutsch keine Ausnahmen. Freilich 14

Seitens des Unterrichtsministeriums dürfte es in der Vorbereitungsphase informelle Kontaktgespräche mit Josef Jarno-Niese gegeben haben, doch alsbald wunderte sich der Sohn des geschäftstüchtigen, zugleich aber als Strindberg- und Wedekind-Vorkämpfer literarisch ambitionierten Theaterdirektors Josef Jarno und der Volksschauspielerin Hansi Niese darüber, daß man dann amtlicherseits auf seine schriftliche Interessensbekundung für die in Frage stehende Aufgabe nicht einmal mehr reagierte. Der wahre, allerdings nicht offiziell formulierte Grund für die ablehnende Haltung war Jarao-Nieses enge Bindung an die Emigrantenszene - was vorher offenkundig nicht bedacht worden war.

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wurden Anträge mit prominenten Namen fast immer konziliant erledigt. Weniger prominente oder unbekannte Darsteller hingegen waren nach Ansicht der Behörden unschwer durch Österreicher zu ersetzen. Der Ring österreichischer Bühnenkünstler konstituierte sich im April 1934 als Nachfolgeorganisation des aufgelösten, weil sozialdemokratisch dominierten Deutsch-österreichischen Bühnenverbandes. Der Zusammenschluß der Interessenvertretungen der deutschsprachigen Bühnenangehörigen Österreichs, Deutschlands, der Tschechoslowakei und der Schweiz zum Kartellverband der deutschen Bühnenangehörigen hatte die wechselseitige Anerkennung der an die Mitgliedschaft in den jeweiligen staatlichen Organisationen geknüpften Zulassungsbestimmungen zur Folge. Gewiß versuchte die Reichstheaterkammer auf diese Weise, auch das deutschsprachige Theater im Ausland unter Kontrolle zu bringen. 15 Für eine solche Gleichschaltung konnte sich Hans Homma, Präsident des Ringes österreichischer Bühnenkünstler und selbst Schauspieler und Regisseur am Deutschen Volkstheater, dem sogar Ludwig Ulimann in seinen Lebenserinnerungen charakterliche Integrität bescheinigt, trotz vorwurfsvoller Mahnungen aus Berlin nicht erwärmen. 16 Auch die österreichischen Bühnenverleger, die ebenfalls mit der deutschen Verlegerorganisation kartelliert waren, protestierten vehement gegen eine in Deutschland vorgenommene Statutenänderung, die auch die ausländischen Mitglieder zur Übernahme der Grundsätze der Reichstheaterkammer gezwungen hätte (Die Stunde, 31. Jänner 1934). Der Ring machte ab Herbst 1935 die von der Reichstheaterkammer geforderte Bühnenberechtigungsprüfung zur Vorbedingung für das Engagement an einem konzessionierten Theater. Für die „erwerbsmäßige Tätigkeit als Bühnenkünstler" brauchte man daraufhin einen Berechtigungsschein, für den das Zeugnis der Prüfungskommission vorzulegen und der Nachweis der Unbescholtenheit sowie der Mitgliedschaft beim Ring zu erbringen war. Mitglieder des Ringes, die bereits länger als drei Jahre ununterbrochen im Engagement standen, erhielten ihre Bühnenzulassung ohne weitere Formalität bestätigt. Wer jedoch seinen Beruf längere Zeit nicht ausgeübt hatte - und dies betraf nicht wenige stellenlose Schauspieler - beziehungsweise weder dem Ring noch einer gleichgestellten Organisation angehörte, war bezüglich seiner Zulassung auf die Entscheidung von Hans Homma angewiesen. Die Ausländerfrage blieb während des Ständestaates auf Dauer ein heißes Eisen. So gab es im September 1937 eine Theaterkonferenz im Unterrichtsministerium, da die Beamten des Wanderungsamtes in der Engagementpolitik grundsätzlich die Bevorzugung 15

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Vgl. Anton Thaller: „Arisches Theater". Nationalsozialistische Theaterprojekte in Wien 1923 bis 1938. Magisterarb., Wien 1992, S. 55 ff. Die die Theateragenden betreffenden Akten des Unterrichtsministeriums im Archiv der Republik lassen die schwankende und unentschiedene Haltung des Ringes österreichischer Bühnenkünstler in bezug auf die Beschäftigung von Emigranten deutlich erkennen. Im Gegensatz zur Schweiz und zur Tschechoslowakei, die in den Verhandlungen im Herbst 1935 den von der Reichstheaterkammer geforderten indirekten Arierparagraphen strikt ablehnten, stimmte Österreich bei Beibehaltung der Kartellverträge mit der Schweiz und der Tschechoslowakei einem Sondervertrag mit der Reichstheaterkammer zu, der in § 7 forderte, „nur solche Mitglieder der Fachschaft aufzunehmen, die sich mit dem bis zum Zeitpunkte des Verlassens des reichsdeutschen Gebietes zum Zwecke des Übertritts quittierten Mitgliedsbuch der Fachschaft ausweisen können." Dessenungeachtet wurde - wenn auch zumeist widerwillig - geflüchteten jüdischen Künstlern wie z.B. Arthur Mainzer, Otto Wallburg, Rosa Valetti oder Else Schiff-Bassermann die Arbeitsgenehmigung erteilt. Hommas Reaktion auf die vor allem nach dem ,Juli-Abkommen" diesbezüglich an ihn gerichteten Unmutserklärungen der deutschen Behörden dokumentiert seine Fehleinschätzung der NS-Politik bezüglich der Nürnberger Gesetze. Vgl. dazu auch Thaller, a.a.O., S. 61 ff. und Dunzinger, a.a.O., S. 73 ff.

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Hilde Haider-Pregler österreichischer Staatsbürger forderten, was nur bedingt den lavierenden Strategien der Theaterdirektoren und des Ringes entsprach, die neben künstlerischen Erwägungen auch immer wieder die Interessen der Auslandsösterreicher ins Spiel brachten (Neues Wiener Journal, 16. September 1937), vor allem jener in Deutschland wirkenden. Die Ausländerfrage beschäftigte auch den Finanz- und Budgetausschuß des Bundestages, wenn bei der Finanzplanung des Staatshaushaltes über Mittel für den Kunst- und Theatersektor debattiert wurde. So prangerte beispielsweise ein Abgeordneter während einer Sitzung im November 1937 die seiner Ansicht nach allzu große Konzilianz bei der Erteilung von Arbeitsbewilligungen an und illustrierte die Notwendigkeit seiner Forderung: „Schutz dem österreichischen Künstler!" anhand der Causa Olga MalzmannFuchs: Nach Ausstellung eines negativen Bescheides „wurde von einer halboffiziellen Stelle angesucht: sie möge als Beraterin bei einer Prüfungskommission fungieren dürfen. Man muß sich wirklich fragen: Braucht die österreichische Schauspielerschaft ausgerechnet die Frau Malzmann? Dieses Ansuchen wurde zunächst abgelehnt, dann aber, da der Vorstand des Bühnenringes darauf bestand, doch erteilt" (Wiener Zeitung, 11. November 1937). Olga Malzmann-Fuchs trat seit 1933 an Walter Firners ÖSTERREICHISCHER VOLKSBÜHNE und an Kleinbühnen auf. Von wirklicher Relevanz war die Arbeitsbewilligung nämlich nur für die soziale Sicherheit garantierenden Fixengagements an konzessionierten Theatern. In den nichtkonzessionspflichtigen Unternehmungen, von denen die meisten auf Teilung spielten, sah die Sache anders aus. Gerade in den dreißiger Jahren florierte in Wien eine ungeheuer lebendige, vielfältige, vielfach miteinander vernetzte Kleinbühnen- und Kleinkunstszene, die theaterbesessenen Künstlern zwar weder finanzielle noch soziale Sicherheit, aber immerhin die Chance auf berufliche Selbstverwirklichung bot. Ausgelöst wurde dieser Kleinbühnen-Boom dadurch, daß ein findiger Kopf der Überlieferung nach der aus einem ukrainischen Dorf stammende E. Jubal - beim genauen Studium des Wiener Theatergesetzes einen Freiraum entdeckte. Als Theater wurde da „ein Unternehmen" definiert, „das Bühnenwerke in geschlossenen Räumen oder im Freien zur Aufführung bringt, wenn die Anlage einen Fassungsraum von mindestens 50 Personen besitzt." 17 Spielte man vor nicht mehr als 49 Zuschauern, mußte der Unternehmer zwar die behördliche Anmeldepflicht erfüllen, benötigte jedoch keine Konzession: eine solche stellte der Magistrat nur nach Überprüfung der künstlerischen Eignung und vor allem der finanziellen Bonität des Bewerbers aus. Allerdings wurde auch das Programm der nichtkonzessionierten Unternehmen durch behördliche Kontrollorgane mehr oder minder argwöhnisch überwacht. Zusammenfassend läßt sich die austrofaschistische Kulturpolitik dergestalt charakterisieren, daß der um seine Souveränität ringende autoritäre Staat trotz seiner ideologischen Absage an den Nationalsozialismus seinerseits Organisationsstrukturen aufbaute, aus denen die neuen Machthaber dann im März 1938 nur die ihnen nicht genehmen Persönlichkeiten zu entfernen und durch stramme Parteigenossen zu ersetzen brauchten.

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Gesetz vom 11. Juli 1928, mitgeteilt im Landesgesetzblatt für Wien, Jahrgang 1929,1. Stück, Nr. 1; vor E. Jubal hatte sich bereits Rudolf Spitz diese Gesetzeslücke für das Kabarett STACHELBEERE zunutze gemacht.

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Exilland Österreich Engagementbedingungen für Emigranten: Exiltheater in Österreich? Unter den Flüchtlingen, die wegen ihres Judentums und/oder ihrer politischen Gesinnung als Verfolgte des NS-Regimes auf Exilsuche nach Österreich kamen, befanden sich nicht nur deutsche Staatsbürger. Nicht wenige in künstlerischen Berufen tätige Österreicher - Theaterleute, Musiker, Schriftsteller, Journalisten - , die seit Jahren oder gar Jahrzehnten in Deutschland wirkten, mußten nun plötzlich in ihre Heimat zurückkehren, zu der sie die Bindung längst verloren hatten. „Halbe Emigranten" nennt sie der Wiener Kultuijournalist Stefan Großmann: Der einstige Redakteur der Arbeiterzeitung und Leiter der Wiener Volksbühne hatte seit 1912 „ein halbes Menschenleben in Berlin verbracht", im Glauben, Preußen könne ihm zwar nicht „Heimat", aber „dereinst eine beglückende Arbeitsstätte seiner Kinder" sein. Wieder in Österreich, sah er nun seine vorrangige Aufgabe darin, engagierte Aufklärungsarbeit über das Naziregime zu leisten, die bestialischen Übergriffe gegen Juden und politische Gegner öffentlich zu machen und die Emigranten beim Aufbau einer neuen Existenz mit allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu unterstützen. Freilich mahnte er auch die Vertriebenen an ihre politische Pflicht, zur Entkräftung der deutschen Lügenpropaganda die Öffentlichkeit mit der ganzen Wahrheit über die Geschehnisse im Nazistaat zu informieren, statt resignativ zu schweigen (Der Morgen, 3. Juli 1933). Scharf tadelte er die österreichischen Verleger, die mit Rücksicht auf den deutschen Markt und aus Furcht vor dem hierorts aufkommenden „klerikal angehauchten Faschismus" nicht die in Deutschland geächteten und verbrannten Autoren wie Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Joseph Roth oder Alfred Polgar unter Vertrag genommen hätten. Um so dringender legt er den Theaterverantwortlichen eine „zweite [...] außerordentliche Kunstchance" ans Herz. „Die vorzüglichsten Kräfte des deutschen Theaters" - nicht nur die zwangsweise Vertriebenen, sondern auch „sehr deutsche, sehr nationale Künstler, die in der vortrefflichen Reichskaserne nicht mehr atmen wollen" - planten nämlich die Gründung eines Theaters in Wien, das - programmatisches Signal für ein Gesinnungstheater - mit Nestroys Freiheit in Krähwinkel eröffnet werden sollte (Der Morgen, 27. November 1933). Das Projekt kam nicht zustande. In jener kritischen Phase der Ersten Republik, als sich die demokratischen Kräfte noch gegen die drohende Wende zu einem autoritären System auflehnten, konnte man nicht nur in der couragiert argumentierenden Wochenzeitung Der Morgen am 6. März 1933 einen Aufruf an die österreichische Regierung lesen, ja nicht, wie gerüchteweise kolportiert, eine Anordnung auf Zurückweisung von im Verdacht der Freigeisterei stehenden, also politischen Flüchtlingen zu erlassen. Die liberalen Blätter wiesen ebenso wie die (1934 dann verbotene) Arbeiterzeitung mehrfach auf die Notwendigkeit hin, die Theateremigranten ins österreichische Kulturleben zu integrieren oder deren eigene Exiltheaterinitiativen zu fördern. Bereits im Jänner 1933 entwickelten Hans Norden und Jakob Feldhammer angesichts der Horrormeldungen aus Deutschland den Plan einer Selbsthilfeaktion für erwerbslose jüdische Schauspieler, die als Wanderbühne auf einer sechsmonatigen Tournee durch verschiedene Länder vor allem deutsche Klassiker aufführen sollten, zur Widerlegung des Naziantrags im Preußischen Landtag, in dem es hieß, „daß den Juden jedes Verständnis für die deutsche Kunst fehle" (Der Morgen, 23. Jänner 1933). Am 12. August 1933 meldete Die Stunde, „emigrierte deutsche Schauspieler jüdischer Konfession" bemühten sich, in der seit Jahren geschlossenen Neuen Wiener Bühne ein eigenes Theater 105

Hilde Haider-Pregler zu eröffnen. In der Wiener Bundespolizeidirektion war man jedenfalls, wie aus einem Bericht an die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit hervorgeht, bereits im Sommer 1933 über den innerhalb .jüdischer Kreise" erwogenen Plan sehr wohl informiert, „die in der letzten Zeit aus Deutschland geflüchteten jüdischen Künstler in einer Arbeitsgemeinschaft zusammenzufassen."18 Von einem stehenden Theater aus sollten Gastspielreisen in die Provinz unternommen werden. Allerdings hielt man es nicht für opportun, die jüdische Identität des Unternehmens zu betonen. Als geeignete Bezeichnung stand ÖSTERREICHISCHE BÜHNE zur Debatte. Für den Ehrenschutz des Unternehmens hätte Max Reinhardt gewonnen werden sollen. Auch die Jüdische Kunststelle erwog im Spätherbst die Schaffung eines aus jüdischen Emigranten zusammengesetzten Tournee-Ensembles. Vorrangig aber war es in der Kunstberatungsstelle der Jüdischen Kunststelle notwendig, den Flüchtlingen Engagements, Auftrittsmöglichkeiten, eventuell auch nichtkünstlerische Überbrückungsbeschäftigungen zu vermitteln (Der Morgen, 12. Dezember 1933). Freilich sondierte ab 1933 so mancher Künstler erst die Lage in Österreich, ohne sich gleich hier niederzulassen. Einige zogen gleich in andere Exilländer weiter, andere fluktuierten zwischen den ihnen noch offenstehenden deutschsprachigen Theaterlandschaften. 1933 gastierte Rudolf Nelson mit einer Revue, in der auch Max Ehrlich mitwirkte, im Ronacher, kehrte jedoch nach antisemitischen Störaktionen Wien alsbald den Rükken. 19 Willy Rosen konnte in Wien ebensowenig Fuß fassen wie der Vortragskünstler Paul O'Montis (i.e. Paul Wendel). Ernst Ginsberg ging nach fruchtloser Engagementsuche ans Zürcher Schauspielhaus. Ein Wiener Auftritt von Ernst Busch blieb folgenlos. Fritz Kortner besuchte seine Vaterstadt nur als Durchreisestation nach England. Anfang 1934 bemühte sich Kurt Gerron mit wenig Erfolg, seine in Deutschland abgebrochene Karriere beim österreichischen Film fortzusetzen. Fritz Spira, der 1935 aus Bielitz nach Wien kam, mußte sich mit winzigen Nebenrollen begnügen, sei es einmal beim Film, ein andermal als älterer Herr in der Uraufführung des musikalischen Lustspiels Jimmys Bar von G. Fetter in der Komödie; immerhin gehörte seine Tochter Camilla seit der Übernahme des Theaters in der Josefstadt durch Max Reinhardt dessen Ensemble an. Im Reinhardt-Seminar unterrichtete der ehemalige Theaterdirektor Carl Meinhard, der auch bei der Sascha-Film beschäftigt war. Und abseits der bekannten Namen erzählen Berichte, die nicht auf den Kulturseiten der Zeitungen erschienen sind, von entwurzelten Theaterleuten, die angesichts ihrer hoffnungslosen Zukunftsperspektiven mit dem Gesetz in Konflikt gerieten. Fraglos trugen die Tournee-Gastspiele von Emigranten-Truppen - die sich allerdings nicht als solche auswiesen - entscheidend dazu bei, daß das Problem eines deklarierten Exiltheaters in Österreich immer wieder zur Diskussion gestellt wurde. Ein wichtiges Ereignis war diesbezüglich ein Ensemble-Gastspiel im Deutschen Volkstheater im Oktober 1933. Albert und Else Bassermann, Tilla Durieux und Paul Morgan traten da in Max Alsbergs Schauspiel Konflikt auf. Das Stück, in dem ein Rechtsanwalt in unmittelbarer Betroffenheit die Diskrepanz zwischen Rechtsempfinden aus menschlichem Mitgefühl und juristischer Rechtsprechung erlebt, war zwar tagespolitisch nicht aktuell, zum damaligen Zeitpunkt aber dennoch ein politisches Memento. Max Alsberg, ein als 18

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Bericht vom 30. Juli 1933. Archiv der Republik, Akten des Bundeskanzleramtes (Aktenzahl unleserlich) Pr.Zl.IV. 5542/1933; zit. nach Ulrike Mayer: Theater für 49 in Wien 1934 - 1938. Diss., Wien 1994, S. 63. Vgl. Thaller, a.a.O., S. 59.

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Schriftsteller und Jurist humanitär engagierter Berliner Rechtsanwalt jüdischer Herkunft, hatte nach Hitlers Machtübernahme wohl in die Schweiz flüchten können, beging aber im Exil Selbstmord. Die Kritiker versäumten es nicht, auf das „Emigrantenschicksal" des Autors aufmerksam zu machen. Und es war allgemein bekannt, daß die bis vor kurzem auch in Berlin umjubelten Hauptdarsteller von den Bühnen Deutschlands verwiesen waren bzw. sich ihnen verweigerten20. Doch die instabile politische Situation und die wirtschaftliche Krise des österreichischen Theaters standen der Gründung eines Exiltheaters entgegen, das sich bewußt und programmatisch als solches deklariert hätte. Gewiß erschien noch in den ersten Monaten des Ständestaates, genauer gesagt am 17. Dezember 1934, im Morgen der Appell, Österreich möge seine „historische Aufgabe" erfüllen und der deutschen Kunst „Asyl" gewähren: „Unter Goebbels' und Rosenbergs Führung hat Deutschland die Rückreise in die Primitivität angetreten. Diese heimatlos gewordene Kunst steht ängstlich, eine neue Heimat suchend, auf dem Perron. Und diese neue Heimat muß sie in Österreich finden [...]. Österreich ist heute das Mobiliendepot der deutschen Kultur geworden, aus Österreich sollen sich einmal unsere deutschen Brüder diese Kultur abholen, wenn sie sich nach ihr zurücksehnen." Im Grunde schien sich dies mit der Österreich-Ideologie des Ständestaates zu decken - und doch gab es im Verständnis des Begriffes der „deutschen Kunst" einen gewaltigen Unterschied. Die ständestaatliche „deutsche Kunst" durfte weder der christlichen Weltanschauung widersprechen, noch sollte sie .jüdisch" sein: Antisemitische Argumente wurden in der Kulturpolitik freilich niemals offiziell verwendet, denn vor dem Gesetz gab es keinerlei Diskriminierungen. Der latente Antisemitismus manifestierte sich in strategischen Winkelzügen zur Ausgrenzung jüdischer Künstler. Daß Walter Firner unter diesen Umständen seine ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE, die einzige Emigranten-Truppe der Wiener Theateröffentlichkeit, als prononciert österreichisches Unternehmen propagierte, verwundert nicht weiter. Das zweite Emigrantenensemble hingegen, das 1935 gegründete JÜDISCHE KULTURTHEATER, das in erster Linie einem jüdischen Publikum jüdisches Kulturgut vermitteln wollte, erfüllte im Grunde von sich aus die unausgesprochenen, aber von vielen Politikern erwünschten Dissimilierungstendenzen und konnte daher sogar einen verhältnismäßig politisch akzentuierten Spielplan wagen, bis hin zum aktuellen Zeitstück. Aufklärerische Exildramatik marxistischer oder als links geltender Autoren wäre in Österreich spätestens seit Inkrafttreten der „Mai-Verfassung" mit Aufführungsverbot belegt worden. Mit dem „Juli-Abkommen" wurden dann auch offene Äußerungen des konservativen Widerstands gegen den Nazistaat weitgehend unterbunden.21 Politisch engagierte Emigranten mußten sich, wollten sie im österreichischen Theater reüssieren oder zumindest Unterschlupf finden, den herrschenden Bedingungen anpassen. An den Provinzbühnen dürften jüdische Künstler, ob aus Deutschland zugewanderte oder in Österreich ansässige, in den dreißiger Jahren von vornherein wenig Chan20

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Neues Wiener Tagblatt und Neues Wiener Journal, 11. Oktober 1933; Der Wiener Tag und Reichspost, 12. Oktober 1933; Arbeiterzeitung, 13. Oktober 1933. Die Tendenz des, Juli-Abkommens" zielte von deutscher Seite dahin, das österreichische Theater im Sinne eines „evolutionären Anschlußkonzeptes" nationalsozialistisch zu unterwandern. Vgl. Volsansky, a.a.O., S. 146 ff.

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cen gehabt haben. Denn bei einer Versammlung des österreichischen Theaterdirektorenverbandes prangerte 1937 Ignaz Brantner, der Direktor des Linzer Landestheaters, den seit längerem merkbaren, immer offener zutage tretenden „Theater-Antisemitismus" in der österreichischen Provinz an. Mit Rücksicht auf Publikum und Presse müsse ein Direktor bei Engagementverhandlungen die Frage nach der Religionszugehörigkeit vor die Beurteilung der künstlerischen Eignung stellen. Die Stimme, das Organ der Zionisten in Österreich, bringt am 4. Juni 1937 in ihrem Kommentar zu Brantners mutiger Rede ein weiteres Problem zur Sprache, was die erschwerten Arbeitsbedingungen jüdischer Emigranten aus Deutschland anbelangt. Wie alle ausländischen Schauspieler bedurften sie für die Tätigkeit an einer konzessionierten Bühne - und nur eine solche garantierte eine für den Lebensunterhalt ausreichende Gage - einer Arbeitsbewilligung. Durch den Kartellbeschluß zwischen Österreich, NS-Deutschland, der Schweiz und der CSR wurde aber, wie bereits ausgeführt, die Mitgliedschaft in der zuständigen Standesvertretung zwingend vorgeschrieben. Nun verweigerte die Reichstheaterkammer Juden die Mitgliedschaft, so daß jüdischen Schauspielern, ihrem Paß gemäß nach wie vor Reichsdeutsche, die Beschäftigungsmöglichkeit von vornherein genommen war. Die Arbeitsbewilligung konnte aber auch für „halbe Emigranten" zum Problem werden: nämlich für jene, deren Geburtsort in einem der Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Monarchie lag und die es aus welchem Grund auch immer versäumt hatten, nach 1918 rechtzeitig ihre Option auf die österreichische Staatsbürgerschaft abzugeben. Sie galten als Ausländer oder als Staatenlose. Doch auch jene „halben Emigranten", die über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügten und keine Arbeitsbewilligung benötigten, befanden sich als der österreichischen Theaterszene Entfremdete als Exilsuchende im eigenen Land. Sie sind aus einer Untersuchung über Exil in Österreich nicht auszuklammern. Nun stellt sich die Frage, welche Entfaltungsmöglichkeiten all diese Künstler unter den geschilderten Bedingungen in der Wiener Theaterlandschaft fanden. Bei der genaueren Inspektion dieser Theaterlandschaft ist in den letzten Jahren viel bisher Unbekanntes oder Vergessenes zutage gekommen; man stößt auf eine Fülle von Namen und entdeckt zudem, daß gerade die aus Deutschland nach Wien gekommenen Künstler sehr wagemutig zu einer Belebung und Bereicherung dieser Theaterszene beigetragen haben: an Repertoirebühnen, im Unterhaltungs- und Geschäftstheater, in Tournee-Produktionen und auf dem Kabarett-, Kleinkunst- und Kleinbühnensektor, der sein Entstehen wohl dem Überangebot an Schauspielern verdankt. Die Widersprüche und Ungereimtheiten der austrofaschistischen Epoche spiegeln sich auch im Theaterleben. Eine umfassende Theatergeschichte jener Zeit muß noch geschrieben werden. Staatliches Repräsentationstheater: a) Das Burgtheater Die Erste Republik hatte die beiden k.k. Hofbühnen - Burgtheater und Hofoper - nach dem Ende der Monarchie als Bundestheater finanziell und administrativ übernommen. Die Spielplan- und Engagementpolitik dieser Bühnen steht daher im Konsens mit der Kulturpolitik der Regierung. Im Spielplan der dreißiger Jahre herrschten naturgemäß konservative Tendenzen vor, ohne daß sich - vor dem ,Juli-Abkommen" immerhin mögliche - Ansätze zu konservativem Widerstand erkennen lassen. In der Direktionskanzlei der Burg amtierte seit 1932 mit dem aus Hamburg berufenen Hermann Röbbe108

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ling ein vielleicht nicht sehr feinsinniger, doch tüchtiger Theaterpraktiker. Im großen Haus am Ring standen Klassiker-Inszenierungen und buntbewegte Bilderbogen im Sinne der Österreich-Ideologie im Vordergrund, im 1922 als Kammerspielbühne angegliederten Akademietheater dominierte die Unterhaltungsware, darunter - allerdings ohne politischen Impetus - so manches Stück von jüdischen Autoren. Mit dem Schelm von Bergen (1. November 1934) von Carl Zuckmayer, der sich in Henndorf bei Salzburg niedergelassen hatte, kam immerhin ein nach Österreich emigrierter Autor zu Wort, mit dem Lächerlichen Sir Anthony (24. Jänner 1937) der nach Wien geflüchtete Hans Jose Rehfisch - jedoch unter dem Pseudonym H. G. Tennyson Holm. Als Robert Neuner stand auch der von den Nazis mit Schreibverbot belegte Erich Kästner mit seinem Lebenslänglichen Kind (27. September 1934) höchst erfolgreich 58mal auf dem Theaterzettel. Aus den Korrespondenzen der Burgtheater-Dramaturgie geht deutlich hervor, daß einerseits von NS-Verlagen zugeschickte Tendenzstücke strikt retourniert wurden, daß aber auch Emigranten und kritischen Autoren gegenüber deutliche Reserviertheit herrschte. Ödön von Horväth kam, obwohl die Manuskripte von Die Unbekannte aus der Seine und Der jüngste Tag zur Uraufführung vorlagen, schon deshalb nicht in Betracht, weil er sich ja mit seinen 1931 mit dem Kleist-Preis ausgezeichneten Geschichten aus dem Wiener Wald als Autor eines im Austrofaschismus nicht genehmen, kritischen Österreich-Bildes profiliert hatte. In den Dramaturgie-Korrespondenzen wird, besonders wenn Friedrich Schreyvogl dafür zeichnet, eine mehr oder minder unterschwellige antisemitische Haltung spürbar. Die Furcht vor eventuellen Krawallaktionen von (nationalsozialistischen) Illegalen führte im Fall von Franz Theodor Csokors 3. November 1918 sogar zur internen Selbstzensur, indem ohne Wissen des Autors nach der Premiere (10. März 1937) eine Schlüsselszene entstellt wurde: Der jüdische Regimentsarzt Dr. Grün durfte nicht mehr die Worte „Erde aus Österreich" sprechen. Für emigrierte Schauspieler standen die Chancen für ein Burgtheater-Engagement auf Null. Im Sommer 1933 gab es zwar vielkommentierte Verhandlungen mit Max Palenberg, doch in diesem Falle warb eher die Burg um einen vielgefragten Bühnenstar, der den Rappelkopf in Der Alpenkönig und der Menschenfeind, ferner den Tartujfe und den Geizigen spielen sollte. Letztlich war es Pallenberg, der den fast schon perfekten Vertrag nicht unterzeichnete und dies mit seiner künstlerischen Verbundenheit zu Max Reinhardt begründete. Da Burgschauspieler nicht an anderen Wiener Bühnen auftreten durften, wäre Pallenberg eine Tätigkeit am Theater in der Josefstadt untersagt gewesen - und gerade dort sollte ja im Herbst 1933 eine Adaption von Reinhardts Salzburger FaKif-Inszenierung mit Pallenberg als Mephisto herauskommen (Neues Wiener Journal, 12. August 1933; Die Stunde, 11. u. 20. August 1933). Die Berlinerin Ellen Schwanneke, Tochter des bekannten Regisseurs und Schauspielers der Volksbühne am Bülowplatz Viktor Schwanneke, wurde als Gast für die Aufführungsserie einer Neuinszenierung von Gerhart Hauptmanns Die versunkene Glocke im November 1937 als Rautendelein verpflichtet, ohne daß es in der Folge zu einem längerfristigen Vertrag gekommen wäre. Dabei hatte sich die Gewissensemigrantin Ellen Schwanneke im Wiener Theaterleben, vor allem an Walter Firners ÖSTERREICHISCHER VOLKSBÜHNE, bereits einen ausgezeichneten Namen gemacht; und ihre nichtjüdische 109

Hilde Haider-Pregler Herkunft wäre damals für ein Engagement am Burgtheater, wo jüdische Künstler deutlich unterrepräsentiert waren, fraglos als Vorteil gewertet worden. Mit Josef Gielen, dem Schwager von Berthold Viertel, verpflichtete Röbbeling immerhin einen Künstler als „ersten Regisseur", der sich in Dresden einen ausgezeichneten Namen gemacht hatte, 1936 von Clemens Krauss nach Berlin geholt worden war und 1937 mit Rücksicht auf seine Frau emigrieren mußte. Gielen führte sich in Wien am 23. Dezember 1937 mit Friedrich Schreyvogls historischem Schauspiel Der Gott im Kreml bestens ein, hatte mit Eugene O'Neills Trauer muß Elektra tragen am 12. Februar 1938 einen großen künstlerischen Erfolg und fungierte ausgerechnet als Regisseur jener Premiere, mit der die „Ostmark" am 20. April 1938 den Geburtstag des „Führers" feierte: dem Wilhelm Teil war ein von Josef Weinheber verfaßter und von Ewald Baiser gesprochener „Hymnus auf die Heimkehr" vorangestellt. Burgtheaterdirektor war damals nicht mehr der von einem Tag auf den anderen gefeuerte Röbbeling, sondern der stramme Nazi Mirko Jelusich. Gielen blieb noch bis zum Frühjahr 1939 in Wien. Da man ihm die Lösung seines Vertrages verweigerte, kehrte er von einer Auslandsreise nicht mehr zurück und ging mit seiner Familie nach Buenos Aires ins Exil, wo er am Teatro Colön wirkte. Von den drei Inszenierungen, die er in Wien noch unter dem Naziregime gestaltete, erreichte Nestroys Lumpazivagabundus insgesamt 106 Aufführungen und stand immer noch auf dem Spielplan, als man Gielen 1948 als Burgtheaterdirektor aus Argentinien zurück nach Wien holte. Mit dem ehemaligen Reinhardt-Schauspieler Carl Ebert, der schon 1933 am Teatro Colon inzenierte, verpflichtete das Burgtheater einen weiteren emigrierten Theatermann. Doch dessen einzige Burgtheater-Inszenierung - Shakespeares Julius Cäsar - erlebte ihre Premiere erst am 19. März 1938, als Ebert Österreich bereits wieder verlassen mußte. b) Die Salzburger Festspiele Die Salzburger Festspiele, alljährlich einer der Höhepunkte des internationalen Kulturlebens, spiegeln als Treffpunkt von emigrierten, von in NS-Deutschland bestens akkreditierten und von österreichischen Künstlern im Verein mit solchen aus anderen Nationen besonders signifikant das oszillierende, widersprüchliche Österreich-Bild der dreißiger Jahre, sowohl auf dem Theater- als auch, noch stärker, auf dem Opern- und Musiksektor. Wirtschaftlich bekamen die Festspiele 1933 die Auswirkungen der „Tausendmarksperre" empfindlich zu spüren. Einige Künstler aus dem „Dritten Reich" - unter ihnen Eugen Klopfer - sagten ihre Mitwirkung ab. Spiritus rector des Salzburger Schauspiels war nach wie vor Max Reinhardt, dessen Jedermann-Inszemenmg auf dem Domplatz seit 1920 einen Fixpunkt des Programms bildete und - unterbrochen nur durch die Zeit der Naziherrschaft - bis heute noch bildet. Der Österreicher Max Reinhardt war 1933 selbst zum Emigranten geworden. Das von Werner Krauß übermittelte Naziangebot einer „Ehrenarierschaft" lehnte er mit Entschiedenheit ab. Seine Berliner Bühnen - lange Zeit hindurch Zentrum seines Wirkens hatte er in einem erschütternden Brief dem deutschen Staat übertragen. Doch Reinhardt mußte sich, auch wenn er in Nazideutschland nicht mehr inszenieren durfte und wollte, vorerst keine Exilexistenz im eigentlichen Sinn aufbauen. Er war nach wie vor in der 110

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ganzen Welt gefragt. Als Schloßherr in Leopoldskron empfing er die internationale Prominenz. Seine Fawj/-Inszenierung in der Felsenreitschule, wo Clemens Holzmeister in der Art einer mittelalterlichen Simultanbühne die berühmte Fawsi-Stadt aufbaute, wurde 1933 zum Ereignis des Festspielsommers. Margarete Wallmann übernahm die Choreographie. Ewald Baiser, der seine Tätigkeit ab 1933 zwischen dem Burgtheater und Berlin aufspaltete, gab den Faust, die sowohl in Berlin als auch in Österreich willkommene und hochgeschätzte Paula Wessely war das Gretchen, den Mephisto spielte - ein gewagtes Besetzungsexperiment - der aus NS-Deutschland veqagte Starkomiker Max Pallenberg. Sein Tod bei einem Flugzeugabsturz im Juni 1934 machte in den folgenden Jahren Umbesetzungen nötig: im Sommer 1937 spielt ausgerechnet Werner Krauß, einst Ensemble-Mitglied der Reinhardt-Bühnen, wieder unter dem seine schauspielerische Entwicklung prägenden Regisseur. Auch andere ehemalige Reinhardt-Schauspieler, die im „Dritten Reich" hohes Ansehen genossen, arbeiteten in Salzburg weiterhin mit ihm zusammen. Paul Hartmann war von 1932 bis 1934 der Jedermann, dann mußte er die Rolle zurückgeben, da die Reichstheaterkammer preußischen Staatsschauspielern Auftritte an österreichischen Bühnen und im österreichischen Film untersagte. Reinhardt machte auch noch Pläne für den Festspielsommer 1938. Er dachte an eine Neuinszenierung der Fledermaus, doch konnten seine Wünsche in bezug auf Spielort und Ausstattung nicht erfüllt werden. Danach stand noch Hofmannsthals Großes Salzburger Welttheater zur Debatte. Doch die Salzburger Festspiele 1938 boten schließlich für Max Reinhardt und viele andere Künstler keinen Platz mehr. Die neuen Machthaber diktierten das neue Programm des von ihnen als „ausgesprochen jüdisch-österreichisches Bollwerk" angeprangerten Festivals. Jedermann und Faust wurden abgesetzt. Die Wiener Privattheater: Theater in der Josefstadt, Deutsches Volkstheater, Scala Daß diese drei Bühnen nicht gesondert betrachtet werden, ist durch die starke Fluktuation auch innerhalb der Wiener Theaterlandschaft bedingt. Gerade die aus Deutschland kommenden Schauspieler lassen sich kaum auf Dauer einem ganz bestimmten Ensemble zurechnen. Dazu kommt die Gepflogenheit, gewinnträchtige, noch nicht abgespielte Erfolgsproduktionen eines Theaters an einem gerade freien bzw. überhaupt leerstehenden anderen Haus in Serie weiterlaufen zu lassen oder Gastproduktionen anzubieten. An der von Rudolf Beer geleiteten Scala gab es etwa neben Eigenproduktionen und Stargastspielen auch aus dem Volkstheater oder dem Theater in der Josefstadt übernommene Inszenierungen zu sehen. Als eine gezielte Spurensuche nach Zeugnissen des Exiltheaters begann, wurde, was Österreich anbelangte, auf das Theater in der Josefstadt als einzige nennenswerte Bühne hingewiesen, deren Ensemble namhafte Exilschauspieler zu integrieren wußte. 22 Freilich muß man dabei bedenken, daß sich Max Reinhardt mit diesem Haus, das seinen Wünschen entsprechend nach dem Vorbild des Teatro Fenice in Venedig umgestaltet und im April 1924 neu eröffnet worden war, seinen Traum eines echten Schauspielertheaters zu erfüllen gedachte. Dies brachte schon der Name zum Ausdruck: Dieser 22

Vgl. Curt Riess: In Österreich. In: Theater im Exil 1933 -1945. Ausstellung der Akademie der Künste. Katalog [hrsg.]von Walter Huder. Berlin 1973, S. 18 f.

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lautete, obwohl Reinhardt die Direktionsgeschäfte nur bis zu Beginn der Herbstspielzeit 1926 selbst führte, bis 1938 „Die Schauspieler im Theater in der Josefstadt unter der Führung von Max Reinhardt". Das Ensemble setzte sich also von Anbeginn an aus Reinhardt-Schauspielern zusammen, von denen sich die Josefstädter „Gründer" zu mehrmonatiger Anwesenheit in Wien verpflichten mußten. Selbstverständlich fluktuierten Reinhardt-Schauspieler zwischen Wien und Berlin, ehe das legendäre Reinhardt-Ensemble 1933 auseinanderbrach. So wie Reinhardt selbst wurden auch viele seiner Darsteller um ihren bisherigen Berliner Wirkungskreis gebracht; das Theater in der Josefstadt als Reinhardt-Bühne bot jedoch vorerst Gewähr zu künstlerisch kontinuierlicher Arbeit mit vertrauten Kollegen. In der Direktionskanzlei waltete ab 1933 der Wiener ReinhardtSchüler Otto Preminger, der bereits 1935 nach Hollywood ging. Die Theaterleitung übernahm danach Ernst Lothar, der - anders als seine Vorgänger - unter dem preziösen Titel der Schauspielergemeinschaft „unter der Führung von Max Reinhardt" auch namentlich als Direktor auftrat. Die Spielzeit 1933/34 hatte mit der „Taschenausgabe" von Reinhardts Salzburger Fawjf-Inszenierung einen glanzvollen Auftakt. Darüber hinaus betreute Max Reinhardt in dieser Saison drei weitere Inszenierungen, nämlich Cocteaus Monodrama Die geliebte Stimme (21. Februar 1934), eine Neueinstudierung von Pirandellos Sechs Personen suchen einen Autor (6. März 1933) und als Auftakt einer großen Europa-Tournee Schillers Maria Stuart (22. März 1933) mit Helene Thimig als Elisabeth und Eleonora Mendelssohn in der Titelrolle. Die Uraufführung von Franz Werfeis Schauspiel In einer Nacht am 5. Oktober 1937 sollte Reinhardts letzte Inszenierung auf europäischem Boden werden. Ehe Reinhardt zu seinen Verpflichtungen in die USA abreiste, versicherte Ernst Lothar auf einem zu Ehren des großen Theatermannes veranstalteten Premierenempfang: „Lassen Sie mich ein Wort des Werkes variieren, das Sie heute inszeniert haben: Der Ozean zwischen uns bringt uns einander nur näher. Nichts kann uns trennen." 23 Für Max Reinhardt wurde die Überfahrt zur Reise ins Exil. Ernst Lothar mußte Österreich im April 1938 verlassen: die Vereinigten Staaten wurden auch sein Exilland. Das Theater in der Josefstadt unter Ernst Lothar und das Deutsche Volkstheater, das von 1932 bis 1938 von Rudolf Jahn geleitet wurde, profilierten sich allerdings abseits vom alltäglichen Repertoirebetrieb als Spielstätten eines Emigrantenensembles, indem nämlich literarisch wagemutige Studio-Aufführungen der von Walter Firner gegründeten ÖSTERREICHISCHER VOLKSBÜHNE eingegliedert wurden. Davon wird noch an anderer Stelle die Rede sein. Bespielte das Theater in der Josefstadt bereits seit den zwanziger Jahren fallweise die Kammerspiele als Filialbühne, so war das Deutsche Volkstheater unter Jahn zunächst mit dem Raimundtheater und später dann mit der Komödie verbunden. Josefstadt und Volkstheater hingegen erschienen mit Ensemblegastspielen in der Scala, die ab 1933 von Rudolf Beer, Jahns Vorgänger am Volkstheater, geleitet wurde. Der Grazer Rudolf Beer, nach einem Jura-Studium Absolvent von Max Reinhardts Berliner Theaterschule, hatte 1921 das Raimundtheater, drei Jahre später auch noch das Volkstheater übernommen, ging 1932 mit großen Plänen nach Berlin, sah sich aber bereits 1933 aufgrund der Januar-Ereignisse zur Rückkehr nach Wien gezwungen. Mißhandlungen durch die SA trieben ihn im Mai 1938 in den Selbstmord. 23

Zit. nach Anton Bauer/Gustav Kropatschek: 200 Jahre Theater in der Josefstadt. 1788 - 1988. Wien 1988, S. 109.

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Exilland Österreich An der Scala knüpfte Beer an seine bewährte Theaterpolitik an, mit Stargastspielen und Unterhaltungsware - unter Berücksichtigung der Kino-Dramaturgie - Kassenerfolge anzupeilen, um derart auch künstlerisch Anspruchsvolles riskieren zu können. Nicht anders operierte Jahn im Volkstheater. Die Namen zugkräftiger Stars finden sich daher auf den Theaterzetteln aller drei Häuser, und obendrein kommt es auch zu Überschneidungen im Ensemble. Um nur einige Beispiele zu nennen: Der Wien-Heimkehrer Herbert Berghof trat bis 1938 an allen drei Häusern auf, daneben wirkte er in zahlreichen Kleinbühnen- und Kabarettproduktionen mit. Nicht viel anders verhält es sich bei den deutschen Staatsbürgern Otto Wallburg und Felix Bressart: Auch sie gehörten einmal diesem, dann jenem Ensemble an und erschienen darüber hinaus auch noch in anderen Gruppen und an anderen Häusern. Als Dramaturg für die Scala verpflichtete Beer den Kölner August Hermann Zeiz, vormals Journalist in Berlin, Korrespondent für das Neue Wiener Journal und Komödienautor. Der Dramaturgenposten Schloß Spielverpflichtung für winzige Rollen mit ein. Dieser entledigte sich Zeiz, wie die Theaterzettel dokumentieren, unter seinem bürgerlichen Namen, während er seine Gebrauchsstücke - übrigens in enger Verbindung mit dem Marton-Verlag und mit Hans J. Rehfisch - unter dem Pseudonym Georg Fräser herausbrachte. So feierte am 9. Oktober 1936 Das letzte Signal seine Uraufführung, elf Tage später als Ensemblegastspiel des Theaters an der Wien Neun Offiziere. Dessen Direktor Arthur Hellmer hatte diese Premiere kurz entschlossen an die Scala verlegt, da in seinem eigenen Haus Axel an der Himmelstür weit länger als vorhergesehen volle Häuser brachte. In den Neun Offizieren wirkten übrigens Erwin Parker, der später zum vielgerühmten Zürcher Exilensemble gehörte, und der gleichfalls aus Deutschland emigrierte Sigurd Lohde mit, dessen nächste Exilstationen Mährisch-Ostrau (1937/38) und Sydney waren. Als Tournee-Leiter eroberte sich auch der Ex-Berliner Hans Sanden, der sich dann später als Theaterdirektor versuchte, einen Platz in der österreichischen Theaterlandschaft. Zwei seiner Produktionen - die musikalischen Lustspiele Lieber reich, aber glücklich! nach Arnold und Bach von Walter Kollo (11. Mai 1935) und Warum lügst du, Chine? (23. Dezember 1936) - konnte er erfolgreich in der Scala unterbringen. Mit Fritzi Massary, der Gattin Max Pallenbergs, als Eine Frau, die weiß, was sie will - Text von Alfred Grünwald, Musik von Oscar Straus - präsentierte Rudolf Beer bereits im September 1933 einen in die Emigration gedrängten Publikumsliebling, den man zuvor in Berlin als „deutsche Mistinguette" apostrophiert hatte. Neben der Massary gab auch die bereits erwähnte Berlinerin Ellen Schwanneke ihr Wien-Debüt. Bald darauf sah man Paul Morgan als Oberkellner Pomerol und Curt Bois als Mustafa Bei im Ball im Savoy, den der Komponist Paul Abraham persönlich dirigierte (15. Dezember 1933), dann zog Curt Bois in Charleys Tante (7. Jänner 1934) alle Register seiner Komik, Gisela Werbezirk gastierte in Schottenring, Otto Wallburg in Lieber reich - aber glücklich!, Albert Bassermann in Großstadtluft. Im Jänner 1935 sicherte sich Direktor Beer für die Operette Die verliebte Königin von N. Brodsky die gefeierte Diva Gitta Alpar, die im selben Jahr auch als Star für die Verfilmung von Ball im Savoy verpflichtet wurde. Gitta Alpar führte von Wien aus ihren Scheidungsprozeß gegen Gustav Fröhlich. In Interviews wies sie in aller Offenheit darauf hin, daß die Emigration aus Nazideutschland für jüdische Künstler die einzige Zukunftsperspektive sei. Da sie als „Nichtarierin" ihren Beruf nicht mehr ausüben dürfe 113

Hilde Haider-Pregler und überdies persönlich gefährdet sei, könne sie auch die Aufforderung ihres - bereits anderweitig liierten - Gatten zur unverzüglichen Rückkehr und Weiterführung der Ehe nur als Scheinangebot betrachten (Die Stunde, 2. Dezember 1934; Neues Wiener Journal, 25. August 1935). Als Publikumsmagneten wurden ferner Felix Bressart, Ernst Deutsch, Leopoldine Konstantin und Tilla Durieux neben manch anderen, nicht vom Emigrantenschicksal bedrohten Künstlern angekündigt. Im Zuge dieser Gastspielpolitik traten dann und wann Emigranten und in Nazideutschland gefeierte Stars gemeinsam auf: Für den Schwank Der selige Toupinel von Alexander Bisson (20. November 1935) warb man beispielsweise mit den fettgedruckten Namen von Otto Wallburg und Heinz Rühmann. Paul Morgan erschien 1937 als Roland in Herzklopfen von Bertuch, als Friedensrichter in Die Herrin von La Paz und schließlich als Autoindustrieller in dem musikalischen Lustspiel Der süßeste Schwindel der Welt von Robert Stolz. Immerhin kamen mit Hans J. Rehfisch und Ödön von Horväth auch zwei Exilautoren mit Uraufführungen zu Wort: ersterer mit dem Lustspiel Erste Liebe (16. Februar 1937), der zweite mit der von ihm selbst später als „Sündenfall" eingestuften - Komödie Mit dem Kopf durch die Wand, die als satirische Persiflage auf den Kunstbetrieb den damals so beliebten Einblick ins Filmmilieu bietet, ohne jedoch damit den erhofften Publikumsansturm auslösen zu können. Die Position von zuvor in Deutschland populären Stars im Wiener Theaterleben wird exemplarisch am Beispiel einiger namhafter Künstler deutlich, die vorrangig als Mitglieder der behandelten Bühnen tätig waren. Albert und Else Bassermann Die Wiener Auftritte von Albert und Else Bassermann wurden ab 1933 durchaus im Zusammenhang mit der politischen Entwicklung wahrgenommen. Sie gehörten dem bereits erwähnten, überwiegend aus Emigranten zusammengesetzten Tournee-Ensemble an, das im Oktober 1933 mit Max Alsbergs Konflikt im Volkstheater gastierte. Direktor Jahn verpflichtete Bassermann daraufhin als Hauptdarsteller für die geplante Erstaufführung von Ludwig von Zilahys Schauspiel In zwölfter Stunde-, die Inszenierung kam jedoch aus politischen Bedenken nicht zustande, da man das Thema des Stückes - ein messianischer Staatsmann begründet in einem Utopia eine neue Ordnung - als (unfreiwillige) Propaganda für Hitlerdeutschland hätte werten können (Die Stunde, 9. Februar 1934). Im Frühjahr 1934 informierte Bassermann die Öffentlichkeit von seinem Entschluß, Nazideutschland unwiderruflich den Rücken zu kehren. Anlaß für seine Entscheidung waren die Vorfälle anläßlich eines vertraglich bereits fixierten Gastspieles am Leipziger Schauspielhaus, wo man Else Schiff-Bassermann die Auftrittsbewilligung verweigerte. Albert Bassermann trat daraufhin aus der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger aus und legte auch seine Ehrenmitgliedschaft nieder. Bereits am 31. Mai 1933 hatte die Arbeiter-Zeitung empört über Schikanen der Nazis gegen Bassermann, „einen der letzten großen Bühnenkünstler, die überhaupt noch in Deutschland wirken", berichtet. Doch auch die Presse des verfassungsmäßig gerade konstituierten Ständestaates ließ es nicht an bewundernder Zustimmung für den mutigen Schritt des Gesinnungsemigranten Albert Bassermann fehlen. Seine Erklärung an das Präsidium der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger in Berlin wurde in mehr als einer Zeitung veröffentlicht: 114

Exilland Österreich „Anfang Juli vorigen Jahres habe ich nach Beendigung des Ufafilms Ein gewisser Herr Gran Berlin verlassen mit der Hoffnung, daß die Bestimmungen der deutschen Regierung bezüglich der Wirksamkeit unserer nichtarischen Kollegen (also auch meiner Frau) mit der Zeit sich abschwächen und zum großen Teil wieder aufgehoben würden. Die Fälle Grete Mosheim, Lucie Mannheim, Lotte Stein, Wallburg usw. schienen mir recht zu geben und ich entschloß mich, mit meiner Frau unser übliches Frühjahrsgastspiel am Leipziger Schauspielhaus zu absolvieren. Während der Verhandlungen kam plötzlich die Demonstration gelegentlich der Vorführung des Elisabeth-Bergner-Films in Berlin und bald darauf erschien ein neuer Erlaß des Propagandaministeriums, der leider eine Verschärfung der obengenannten Bestimmungen in Aussicht stellte. Das Resultat der Verhandlungen, die das Leipziger Schauspielhaus seit einiger Zeit mit Ihnen über unser Gastspiel pflegte, veranlaßte die Direktion des genannten Theaters, mich im Interesse seines Fortbestehens zu bitten, dieses Gastspiel allein zu absolvieren. Das bedeutet also eine Ausschaltung meiner Frau auf den deutschen Bühnen, meiner Frau, mit der zusammen ich ein Menschenalter lang in Deutschland gewirkt habe. Sie werden begreifen, daß ich trotz der Sorgen um meine Leipziger Kollegen und trotz der inständigen Bitten meiner Frau, das Gastspiel ohne sie zu absolvieren, mich dazu nicht entschließen konnte. Meiner Frau Vorschlag, sich von mir scheiden zu lassen, um das Gastspiel zu ermöglichen, kommt natürlich überhaupt nicht in Frage. Und Sie, meine Herren, und die deutsche Regierung müßten mich als einen traurigen Charakter einschätzen, wenn ich unter diesen Umständen nicht die Konsequenzen zöge. Ich melde hiedurch unseren Austritt aus der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger an und lege damit selbstverständlich auch meine Ehrenmitgliedschaft nieder. Was für Gefühle der Trauer dieser Entschluß in mir und meiner Frau auslöst, brauche ich hier nicht weiter auszuführen" (Neues Wiener Journal, 4. Mai 1934; Die Stunde, 5. Mai 1934). Bassermann verlegte in der Folge das Zentrum seines Wirkens nach Wien, wo er seit jeher ein gern gesehener Gast war, absolvierte aber zusammen mit seiner Frau auch immer wieder Tourneen an zahlreichen Bühnen im ihm noch offenstehenden deutschsprachigen Raum. Das Juni-Gastspiel der Bassermanns an der Scala in Großstadtluft von Blumenthal und Kadelburg, in Ibsens Wildente - den Gregers spielte Ernst Deutsch und mit Vemeuils Zweipersonenstück Der Fall Lamberthier stand nicht nur im Zeichen der künstlerischen Begegnung, sondern löste auch politisch-menschliche Solidaritätskundgebungen aus: „Nicht allein dem großen Schauspieler galten die Sympathiebeweise, die bei seinem Erscheinen minutenlang andauerten, sie galten vor allem dem Menschen Bassermann, der Nazideutschland kurz entschlossen für immer den Rücken gekehrt hat" (Der Morgen, 11. Juni 1934). Im November 1934 entdeckte man das Ehepaar Bassermann - diesmal nicht als Stargäste hervorgehoben - in zwei Uraufführungsproduktionen der Scala, und zwar in Wilhelm Lichtenbergs Lustspiel Herr über Millionen (9. November 1934) und in der vom Autor Richard Duschinsky selbst in Szene gesetzten Komödie Der Charmeur von London. 1935 gab Bassermann unter der Regie des aus Berlin heimgekehrten Heinrich Schnitzler am Deutschen Volkstheater den Konsul Bernik in Ibsens Stützen der Gesellschaft, im nächsten Jahr kreierte er mit seiner Frau die Erfolgsproduktion Jean von BusFekete. Auf der Bühne des Theaters in der Josefstadt erschienen Albert und Else Bassermann zum ersten Mal in der deutschsprachigen Erstaufführung von Louis Verneuils Lebenslüge am 20. März 1935: „[...] und man ist erstaunt, wie heimisch er hier ist, wie sich die 115

Hilde Haider-Pregler Atmosphäre dieses Hauses, in dem der vornehme Konversationsstil seine Pflege findet wie vielleicht nirgends sonst, mit dem Wesen seiner Kunst verschwistert", urteilte sogar der Kritiker der konservativen Reichspost am Tag nach der Premiere. Eine Reihe anspruchsvoller Aufgaben für Bassermann, zusammen mit Rollenangeboten für dessen Frau, hielt dann Direktor Ernst Lothar bereit, dessen Spielplan - abgesehen von der für ein Privattheater überlebenswichtigen Unterhaltungsware - in seiner literarischen Ausrichtung mit seinem starken Österreich-Bezug und mit der Berücksichtigung von zu Toleranz und Pazifismus aufrufenden Werken sehr wohl eine Sensibilisierung des politischen Bewußtseins bewirken wollte. Bassermann war im Serienerfolg von Emmet Laverys Die erste Legion der Prior, er gab in Lothars eigener Inszenierung den Bancban in Grillparzers historischem Trauerspiel Ein treuer Diener seines Herrn, und er verkörperte am 17. März 1936 Lessings Nathan, der übrigens im Burgtheater seit 1927 nicht mehr im Repertoire war. In Gorkis Nachtasyl rührte Bassermann als Pilger Luka, und er war auch in Lothars Dramatisierung der Schnitzler-Novelle Fräulein Else beschäftigt, die jedoch - wie noch zu zeigen sein wird - nicht seinetwegen die Gemüter erregte. Obwohl die Bassermanns ab 1935 Ensemble-Mitglieder der Josefstadt waren - was Gastauftritte nicht ausschloß - , mußte Ernst Lothar dennoch mehr als einmal die künstlerische Notwendigkeit dieses Engagements vor den Behörden vertreten, um dem NichtÖsterreicher Bassermann die offizielle Auftrittsgenehmigung zu sichern. Gewiß war dies im Fall Bassermann eine Formsache; immerhin nahm die Stunde vom 9. Oktober 1936 diesen Fall zum Anlaß, um auf die verschärfte Handhabung des Inländerarbeiterschutzgesetzes zum Nachteil der um ihre Existenz ringenden Emigranten zu verweisen und darauf aufmerksam zu machen, daß sogar Prominente wie Otto Wallburg und Arthur Mainzer nicht immer vor einer Ablehnung gefeit waren. Für die Popularität Bassermanns spricht einer seiner letzten Wiener Auftritte, der in einer Umgebung stattfand, wo man kaum Publikumsinteresse für den großen Charakterdarsteller vermutet hätte. Noch im Jänner 1938 gastierten Albert und Else Bassermann mit Felix Saltens Einakter Lebensgefährten sogar im gut frequentierten Prater-Variete von Wilhelm Leicht, der das Auftreten seiner Stargäste folgendermaßen ankündigte: „Nun, meine lieben Gäste, bringe ich Ihnen das Größte, Einzigdastehende, unseren genialen, gottbegnadeten Albert Bassermann. Vergessen Sie aber nicht, unsere fabelhaften Klobassy in Saft für nur 50 Groschen" {Der Morgen, 17. Januar 1938). Rosa Valetti Im Wiener Exil lebte auch Rosa Valetti, die Schwester Hermann Vallentins, der mit Saisonbeginn 1935 fix bei Rudolf Zeisel in Mährisch-Ostrau engagiert war, wo die Valetti damals gleichfalls gastierte. Sie wurde in manchen, vor allem von Emigranten zusammengestellten Produktionen als Stargast angekündigt, etwa im Herbst 1933 in der Komödie, wo Hans J. Rehfisch gerade als künstlerischer Leiter eingezogen war. Hier trat sie auch noch unter der Direktion von Rudolf Jahn auf, so als Bijou, Star der JimmyBar, in G. Fetters Komödie mit Musik Jimmys Bar im November 1935. Relative Sicherheit, wenn auch kaum adäquate Beschäftigung fand sie im Ensemble des Theaters in der Josefstadt. An ihre großen Berliner Triumphe konnte sie jedoch in Wien in keiner Weise anknüpfen. Ludwig Ulimann widmet ihr am 13. Dezember 1937 im Morgen einen überaus einfühlsamen Nachruf: 116

Exilland Österreich „Die große Schauspielerin hat in ihren letzten Wiener Jahren eines ehrenvollen Exils im Schatten gelebt. Die geniale Unmittelbarkeit ihres Wesens, die unabwendbare Schärfe ihrer Darstellung, die geistige Energie ihrer Persönlichkeit waren schwer in den aktuellen Unterhaltungsspielplan einzugliedernde Werte. Mit allen Anzeichen hohen Respekts blieb sie häufig genug unbeschäftigt. Aber sooft sie auf der Bühne stand, leuchtete sie von grimmigem Humor und von grimmiger Wahrheit. Und wieviel stille weisheitsvoll kleinlaute Güte konnte die unnachahmliche Groteskkomikerin dazwischen mit einfließen lassen. Zuletzt hat sie - in der Josefstadtfiliale der Kammerspiele - einen Schwank gespielt, der in diesem Zusammenhang den grausam schicksalsironisch anmutenden Titel Freut euch des Lebens trug. Sie gab da ein von ätzenderen Lichtern völlig freies Bild einer schnurrigen Seele, die sich gewissermaßen den Privatluxus einer Lebenslüge gestattet, um der Bitterkeit des realen Lebens keinen Eintritt zu gewähren. Diese Bitterkeit hat sie seit Jahr und Tag hart genug verspürt. In ihren großen Tagen war sie ein Gipfel und eine Zierde des geistigsten Berliner Theaters. Von einer elementaren zeichnerischen Messerschärfe, die Spuk und Tiefsinn mischte. Der sinnloseste Schicksalsschlag hatte sie zu jenen Überflüssigen geworfen, an deren Abwesenheit diese ganze Theaterepoche von heute, eine Epoche mehr der Flach- als der Gleichschaltung, krankt. Sie war eine Dienerin jenes heiligen Lachens, in dem Witz und Wahrheit war, Anklage und Mitleid, Bitterkeit und Zartheit schonungsloser Enthüllungen. Im Ensemble des lieben Gottes stand sie in der ersten Reihe. Ein starkes Herz hat mit ihr zu schlagen aufgehört, ein kluges Herz, ein gerechtes Herz. Auch Spiel und Spott ihres Handwerks waren ihr ehrwürdige Begriffe, und diese Ehrfurcht vor dem Schicksal rühmen die Freunde der Verewigten in dieser Stunde als das erschütternde Vermächtnis der Frau, die so viele lachen machte und gleichwohl so manche bittere Träne darum weinen mußte".24

Otto Wallburg Otto Wallburg, der beleibte Charakterkomiker, Reinhardt-Schauspieler und Ufa-Star, entschloß sich erst im Frühjahr 1934 zur Emigration, als die ihm als Weltkriegsteilnehmer zugestandene Sondergenehmigung zur Berufsausübung widerrufen wurde.25 Wallburg befand sich damals gerade mit dem bewährten Schwank Lieber reich, aber glücklich! von Arnold und Bach, den Walter Kollo musikalisch angereichert hatte, als bejubelter Buchhalter Eduard Haselhuhn auf einer von Hans Sanden organisierten Tournee durch Deutschland. Sanden, der wie Wallburg in Österreich blieb, brachte die Produktion zum Abschluß nach Wien an die Scala. Waliburgs Frau, auf dem Theaterzettel als Charlotte Ahnert verzeichnet, zählte in der winzigen Rolle einer Kammerzofe gleichfalls zu den Mitwirkenden. Bis 1936 wurden Wallburg mehrere Filmrollen angeboten: Unter der Regie von Hermann Kosterlitz spielte er in Peter, das Mädchen von der Tankstelle, unter Kurt Gerrons Leitung in Bretter, die die Welt bedeuten, danach folgten weitere Filme mit Kosterlitz, darunter die Verfilmung der Paul-Abraham-Operette Ball im Savoy (1935), die ja noch vor Waliburgs Ankunft in Wien an der Scala ein Bühnenerfolg gewesen war, ferner 24

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Rosa Valetti (recte: Vallentin) war ab 4. Aug. 1936 ständig in Wien gemeldet; sie starb am 10. Dez. 1937; ihre Tochter Elisabeth (Lisi) Singer-Valetti kam, von einigen vorherigen Auftritten abgesehen, nach den Meldeunterlagen im Wiener Stadt- und Landesarchiv im Dez. 1936 von London nach Wien und emigrierte am 17. Mai 1938 nach New York. Ulrich Liebe: Verehrt, verfolgt, vergessen. Schauspieler als Naziopfer. Weinheim/Berlin 1992, S. 179 ff.

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Kleine Mutti und Katharina die letzte - übrigens auch der letzte Film von Paul Morgan. Nach Das ist der schönste Tag in meinem Leben - mit dem Startenor Joseph Schmidt im Mittelpunkt - und Bubi, der kleine Kavalier (1936) blieben die Filmangebote aus. Auch Theaterdirektoren versicherten sich, obwohl die Hürde der Arbeitsgenehmigung zusehends schwieriger zu überwinden war, der Popularität Otto Waliburgs. Fettgedruckt erschien sein Name am 11. Februar 1935 auf dem Theaterzettel der Scala im Schwank Da stimmt was nicht von Franz Arnold, im November desselben Jahres, wie bereits erwähnt, zusammen mit Heinz Rühmann in Der selige Toupinel. Daneben trat er auch im Ensemble des Theaters in der Josefstadt auf. In dem Serienerfolg von Ralph Benatzkys - übrigens mit behördlichem Jugendverbot belegtem - musikalischem Lustspiel Der König mit dem Regenschirm verkörperte er unter der Regie von Otto Preminger den Jacques Morelli, in Skandal im Konzerthaus von Karl Farkas einen vielbeschäftigten Impresario. Auftritte im Deutschen Volkstheater, dessen Ensemble er sporadisch angehörte, wechselten mit solchen an der Scala. Im Volkstheater sah man ihn in der Regie von Heinrich Schnitzler in Eltern und Kinder von G. B. Shaw, aber auch als Polonius in Hamlet unter der Regie von Direktor Jahn. An der Scala gab es leichtere Kost: eine Exzellenzen-Karikatur in der Hofloge von Karl Farkas (28. März 1936) und den Kammerdiener Horatio Cromwell in Warum lügst du, Chine? Als Arthur Hellmer, bei dem Wallburg bereits in Deutschland gearbeitet hatte, im Herbst 1936 das Theater an der Wien übernahm, wollte er den persönlichkeitsstarken Schauspieler in sein Ensemble integrieren.26 In der Silvestervorstellung 1936 spielte Wallburg - groß angekündigt neben den Bassermanns, Felix Bressart und Gisela Werbezirk - im Raub der Sabinerinnen, ferner eine Hauptrolle in dem Lustspiel Katinka von Bonyi, doch dann erreichte auch Hellmer trotz seiner mehrfach bewiesenen Zähigkeit in derartigen Angelegenheiten keine weitere Verlängerung einer Arbeitsgenehmigung. Man findet Otto Wallburg aber nicht nur an großen Bühnen, sondern auch in der Kleinkunstszene. Reinhart, sein Sohn aus erster Ehe, konnte nach Inhaftierung im KZ Lichtenburg schließlich nach Wien ausreisen, wo er Kabarettvorstellungen organisierte.27 Die Familie Wallburg - Otto, Charlotte und Reinhart - tingelte sogar mit eigenen Sketchen - Ich bin es nicht, Die eiserne Jungfrau Ovelgönne - in Varietes und Kabaretts. Wallburg trat in gewinnversprechenden Etablissements wie dem Ronacher oder dem Prater-Variete Leicht auf, doch er war auch im anspruchsvollen Kabarett wie dem LIEBEN AUGUSTIN oder der LITERATUR AM NASCHMARKT ein gerngesehener Gast. Angesichts der in Österreich immer restriktiver werdenden Arbeitsbedingungen entschloß sich Otto Wallburg im Mai 1937 nach einem wenig erfolgreichen Gastspiel am Zürcher Schauspielhaus, mit seiner Familie in die Niederlande zu gehen. Von dort wurde er nach Internierung in Westerbork am 31. Juli 1944 nach Theresienstadt und von dort am 28. Oktober nach Auschwitz deportiert, wo er am 30. Oktober ermordet wurde. Der Fall Leo Reuß Am Theater in der Josefstadt wurde ein komödiantisches Virtuosenstück zu einem brisanten Ereignis von ungeahnter politischer Tragweite. Die Köpenickiade des engage26

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Daß Wallburg in der Eröffnungspremiere - Axel an der Himmelstür - aus Mitleid in einer kleinen Rolle beschäftigt worden sei, entspricht nicht den Tatsachen. Er war in dieser Premiere gar nicht besetzt. Vgl. Liebe, a.a.O., S. 205.

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Exilland Österreich mentlosen Schauspielers Leo Reuß, die die Haltlosigkeit der NS-Rassenlehre entlarvte, sorgte Ende 1936 für Schlagzeilen in der internationalen Presse und wird bis heute als drehbuchreife Theaterlegende tradiert.28 Der Kern der in unzähligen Lesarten überlieferten Geschichte entspricht der historischen Chronologie. Im Herbst 1936 dringt ein blonder, bärtiger Bauer in die Direktionskanzlei der Josefstadt vor. Kaspar Brandhofer nennt er sich. Er kommt direkt von seinem Salzburger oder Tiroler Einschichthof und kann eine Empfehlung von Max Reinhardt vorweisen, den der theaterbesessene Autodidakt während der Festspiele bei einem abgetrotzten Vorsprechen von seiner Begabung zu überzeugen vermochte. Das Naturtalent, das angeblich nie zuvor auf einer Bühne gestanden hat und neben seiner Schwerarbeit als Landwirt Klassikerrollen nur insgeheim aus Reclam-Heften studiert haben will, wird vom Fleck weg engagiert und sogleich in der nächsten Premiere, der Uraufführung von Lothars Dramatisierung der SchnitzlerNovelle Fräulein Else (2. Dezember 1936), in einer Hauptrolle herausgestellt, und zwar als der zynische großbourgeoise Ästhet Dorsday. Natürlich muß er die Bühnenberechtigungsprüfung ablegen und besteht sie auch glanzvoll: als Kaspar Altenberger, auf diesen Namen lauten nämlich seine Papiere. Nur aus Rücksicht auf seine ländliche Familie will er als Schauspieler unter dem Pseudonym Brandhofer figurieren. Und Brandhofer behauptet sich im Josefstädter Ensemble geradezu triumphal, wird, besonders von den konservativen und NS-infiltrierten Blättern, aufs höchste gelobt, bis es wenige Tage nach der Premiere zum Eklat kommt: das urgermanische Blut-und-Boden-Genie ist niemand anderer als der jüdische Schauspieler Leo Reuß, dessen perfekte Maske sogar Kollegen und alte Freunde zu täuschen vermochte. Freilich waren nicht alle bis zuletzt so unwissend, wie es die Erzählstruktur der Geschichte im Hinblick auf ihre Pointe geraten sein läßt. Wer nun wirklich zu den Eingeweihten zählte und wer nicht, tut jedoch wenig zur Sache. Viel wichtiger sind Motivation und Konsequenzen dieser minuziös geplanten und durchgehaltenen Tarnung eines Vollblutschauspielers, der sich nicht nur eine andere Identität im Leben gab, sondern auf der Bühne mit hochprofessionellen Mitteln den ungelenken, aber begabten Anfänger inmitten von Routiniers glaubhaft machte. Leo Reuß hatte sich im Berliner Theaterleben der zwanziger Jahre als Schauspieler, unter anderem in Piscator-Inszenierungen, und als Regisseur, der seine Herkunft aus der Piscator-Schule nicht verleugnete, eine anerkannte Position erkämpft. Nach dem Vorbild der J U N G E N B Ü H N E seines Freundes Moriz Seeler versuchte er, der Theaterkrise der beginnenden dreißiger Jahre mit dem als Kollektiv organisierten T H E A T E R DER SCHAUSPIELER zu begegnen. Als seine Lebensgefährtin Agnes Straub ihr Tournee-Ensemble gründete, hatte er als Schauspieler, Regisseur und unermüdlich mit Verlagen und Theaterdirektoren verhandelnder künstlerischer Leiter wesentlichen Anteil am Erfolg des Unternehmens. Obwohl ihm als ehemaligem Frontkämpfer von Hinkel ungestörte Arbeitsmöglichkeiten garantiert wurden, mußte er seine Tätigkeit nach 1933 Schritt um Schritt hinter die Kulissen verlagern. Doch Agnes Straub, die zu jener Zeit eine Sommervilla in Österreich - genauer gesagt: in Gries bei Zell am See - erwarb, stand beruflich und privat zu ihm, bis ihn die Nürnberger Gesetze im Herbst 1935 schließlich zur Emigration zwangen. Leo Reuß hatte als Altösterreicher die Absicht, sich in seiner alten Heimat eine neue künstlerische Existenz aufzubauen. Allerdings trafen ihn die Bestimmungen des Inlän28

Hilde Haider-Pregler: Überlebenstheater. Der Schauspieler Leo Reuß. Wien 1998.

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Hilde Haider-Pregler derarbeiterschutzgesetzes mit voller Härte: Sein Geburtsort (Dolina/Galizien) lag wohl auf dem Territorium der einstigen Monarchie, so daß er zeitgerecht seine Option auf die österreichische Staatsbürgerschaft hätte anmelden können. Leo Reuß hatte dies aber unterlassen und galt nun als staatenlos. Der in Deutschland Arrivierte fand in Österreich kein Engagement. In dieser Situation kam ihm die Idee, seine schauspielerische Begabung unübersehbar und unanzweifelbar zu demonstrieren. Die Vorbereitungen dazu traf er auf dem Straub-Gut in Gries im Pinzgau. Der schwarzhaarige glattrasierte Schauspieler Leo Reuß verwandelte sich da mit Hilfe von Wasserstoffsuperoxyd in einen flachshaarigen, bärtigen Älpler, der seine Echtheit mit echten Papieren dokumentieren konnte: mit jenen des Landwirts Kaspar Altenberger, der den Straub-Hof verwaltete. Leo Reuß hatte - vorerst - richtig kalkuliert. Das Wiener Theater bedurfte der Attraktionen. Der Sensationsmann aus dem Gebirge wurde mit Angeboten überhäuft, obwohl lange vor der Premiere von Fräulein Else Gerüchte auftauchten, die seine Authentizität in Frage stellten. Doch die Eingeweihten bzw. Wissenden standen zu ihm - sei es aus Solidarität mit dem Emigranten, sei es im Hinblick auf einen publikumswirksamen Theatercoup. Immerhin hatte Reuß bereits in Berlin mit Bassermann, nun sein Bühnenpartner in Fräulein Else, gespielt, und der Vorsitzende der Prüfungskommission, die ihm seine Eignung zum Schauspieler bescheinigte, war sein ehemaliger Direktor Emil Geyer. An dessen Neuen Wiener Bühne hatte er nach dem Ersten Weltkrieg seine Schauspielerkarriere begonnen. Mit der offiziellen Aufdeckung hingegen wendete sich das Blatt. Ein Ehrengericht der Schauspieler des Theaters in der Josefstadt trat zusammen, um zu entscheiden, ob Brandhofer-Reuß weitere Auftritte zu gestatten seien. Man entschied zu seinen Gunsten. Direktor Lothar kam auch um die behördliche Arbeitsbewilligung ein, beschränkte sein Ansuchen jedoch auf die Aufführungsserie von Fräulein Else. Den mit Kaspar Brandhofer geschlossenen Vertrag hingegen erklärte er wegen vorsätzlicher Täuschung für ungültig. Zusätzlich mußte sich Leo Reuß vor dem Bezirksgericht wegen Falschmeldung verantworten und wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Die österreichische Presse kommentierte das Ereignis je nach Blattlinie voll Empörung - über die Aneignung von Blutund-Boden-Werten durch einen „Fremdrassigen" - oder voll Amüsement über den geglückten Schelmenstreich. Daß die NS-Rassenideologie dabei von einem um sein künstlerisches Überleben ringenden Schauspieler mit einem Schlag lächerlich gemacht wurde, sprachen hingegen fast nur ausländische Blätter offen aus. Gerade diese - von den Theaterleuten zunächst wohl nicht in aller Tragweite eingeschätzte - politische Dimension brachte Leo Reuß in Österreich, wo ja seit dem Sommer 1936 das „Juli-Abkommen" mit NS-Deutschland in Kraft war, um den erhofften Erfolg seiner aufsehenerregenden Aktion. Sein Brandhofer-Ruhm ließ sich nicht vermarkten. Im Frühjahr 1937 nahm er - nicht ohne Schwierigkeiten - bis Saisonende ein Engagement an den JÜDISCHEN KÜNSTLERSPIELEN an: Er debütierte im Theater in der Taborstraße in Arnold Zweigs Die Sendung Semaels in der Rolle eines judenfeindlichen Untersuchungsrichters, wobei es nicht so sehr ins Gewicht fiel, daß er sich als einziger im jiddisch sprechenden Ensemble hochdeutsch ausdrückte. Umso mehr würdigte die jüdische Presse in der Folge sein Bemühen, sich das Jiddische anzueignen. Mittlerweile war man in Hollywood auf den Schauspieler „who hoaxed the Nazis", aufmerksam geworden. Die Metro-Goldwyn-Mayer nahm Leo Reuß unter Vertrag. Einen künftigen Hollywood-Star als Napoleon wollte sich aber Direktor Arthur Hellmer 120

Exilland Österreich vom Theater an der Wien in der Herbst-Premiere der Madame sans Gene nicht entgehen lassen. Er rang den Behörden die Beschäftigungsbewilligung für Leo Reuß ab, mußte die Rolle aber nach vierzehn Tagen mit einem Österreicher - Ludwig Donath, alsbald selbst ein Emigrant - besetzen. Leo Reuß meldete sich mit 17. September 1937 von Wien ab und konnte als Lionel Royce im amerikanischen Film Fuß fassen, ohne jedoch zum Star aufzusteigen. Theaterdirektoren auf der Suche nach Wirkungsstätten Gerade die besonders krisenanfälligen unter den Wiener Privattheatern wurden in den dreißiger Jahren von Emigranten geleitet. Wenn ihnen der Nachweis ihrer finanziellen Seriosität gelang, gab es bei der Konzessionserteilung keine nennenswerten Schwierigkeiten, da ja die neuen Direktoren die Revitalisierung von Häusern, die ihren Spielbetrieb zeitweilig eingestellt hatten, zu garantieren schienen und damit Arbeitsplätze für Schauspieler schufen. Freilich mußten die Theaterleiter unter solchen Umständen dann in der Praxis Kassenfüllern den Vorzug vor einem literarisch anspruchsvollen Programm geben. Und trotzdem ging die Rechnung für so manche nicht auf. Große und kleinere Theater, die in den dreißiger Jahren immer wieder ins Wellental der Konjunktur gerieten, gab es in Wien mehr als genug. Dazu gehörten das Raimund-, Renaissance-, Bürger- und Carl-Theater, ferner das Neue Wiener Stadttheater, die Roland-Bühne, die Komödie, die Kammerspiele, die Volksoper und auch das traditionsreiche Theater an der Wien. Viktor Barnowsky erkundete im Frühjahr 1933 die Möglichkeiten, eines der leerstehenden Wiener Häuser zu pachten. In einem in der Stunde vom 27. April erschienenen Interview betonte er seine Überzeugung, in Wien wäre neben den bestehenden Bühnen noch Raum genug für „ein Theater künstlerischen Charakters". Allerdings visierte er ein „zumindest über mehr als tausend Plätze" fassendes Theater an, da kleinere Bühnen seiner Ansicht nach unter den herrschenden wirtschaftlichen Bedingungen nicht mehr gewinnbringend zu führen seien. Barnowskys Wiener Verhandlungen blieben ergebnislos. Im Frühjahr 1934 sondierte dann Heinz Saitenburg genauso ergebnislos das Wiener Terrain. Und am 18. Juni 1935 meldete die Stunde: „Nun ist auch Direktor Kraußhaar vom Stuttgarter Residenztheater nach Wien gekommen. Er will indes hier keine Direktion übernehmen, sondern in Wien als Privatmann leben. Direktor Kraußhaar hat das Stuttgarter Residenztheater durch viele Jahre überaus erfolgreich geleitet. Die Verhältnisse in Deutschland haben ihn nun veranlaßt, auf die weitere Theaterleitung zu verzichten." Den freiwilligen Schritt ins Exil dürfte eine prominente deutsche Schauspielerin 1935 ernsthaft erwogen haben: Zwar mußte Agnes Straub mit ihrem Tournee-Ensemble ein Gastspiel an der Volksoper wegen der Unzuverlässigkeit der Wiener Vertragspartner im letzten Moment stornieren und unverrichteter Dinge nach Deutschland abreisen, doch die damals lancierten und von der Straub begreiflicherweise dementierten Pressemeldungen, die Künstlerin plane die Übernahme einer Wiener Bühne, waren nicht ganz aus der Luft gegriffen. Aus Unterlagen im Straub-Nachlaß wird deutlich, daß die Tournee-Planung des Straub-Ensembles 1934/35 in hohem Maße, wenn auch ohne positive Resultate, Ziele jenseits der deutschen Grenzen ansteuerte und sogar Offerten nach England und Frankreich schickte; und Leo Reuß, der Lebenspartner von Agnes Straub, ver121

Hilde Haider-Pregler handelte mit zwei Wiener Theateragenturen zwecks Vermittlung eines mit attraktiven Gastproduktionen zu bespielenden Theatergebäudes, bekam aber trotz seines Drängens keine ihm zusagenden Angebote. Besser erging es Kurt Robitschek, Erich Ziegel, Hans Jose Rehfisch, Arthur Spitz, Hans Sanden und Arthur Hellmer, die allesamt die begehrte Konzession als Theaterdirektoren erhielten. Längerfristigen Erfolg hatte aber nur Arthur Hellmer. Die Kammerspiele in der Rotenturmstraße Neun Jahre lang hatte der gebürtige Prager Kurt Robitschek in Berlin das legendäre KABARETT DER KOMIKER geleitet, wo sich die künstlerische und intellektuelle Prominenz auf der Bühne und im Zuschauerraum ein Stelldichein gab, bis die neuen Machthaber das ihnen unliebsame Widerstandsnest „arisierten" und dem Schauspieler Paul Morgan, dessen treffende Hitlerparodien noch lebhaft in Erinnerung waren, dadurch demütigten, daß ausgerechnet er am KADEKO die Hakenkreuzfahne hissen mußte. Robitschek traf via Prag im Sommer 1933 in Wien ein, pachtete kurz entschlossen die Kammerspiele in der Rotenturmstraße und kündigte, wie die Wiener Zeitung am 27. Juli 1933 meldete, eine „Bühne des Lachens" an, die als „neuer Theatertyp" nicht mit den bestehenden Wiener Bühnen in Konkurrenz treten, sondern unter Verzicht auf abendfüllende Stücke „eine Mischung aller Arten von Bühnenkunst" - vorrangig Parodien, Grotesken und aktuelle Satiren - pflegen wollte. Das Theater, zu dem so mancher Star der Berliner Kabarett-Szene gestoßen war, eröffnete im September mit der Revue Wiener Illustrierte Tageszeitung mit Musik in 25 Rubriken, wobei die aktuellen politischen Anspielungen u. a. eine Parodie auf Mussolinis Napoleon-Stück - die mit den Nazis sympathisierende Wiener Presse, insbesonders das Wiener Montagsblatt, in Empörung geraten ließen.29 In der zweiten Kabarett-Revue Liebe kleine Bosheiten war dann auch schon der WienHeimkehrer Paul Morgan mit dabei und investierte sogar eigenes Geld in das Unternehmen.30 An „ehemaligen Berlinern" sind noch Willy Trenk-Trebitsch, Curt Bois, Daisy Solms und die Sängerin Irene Eisinger zu nennen. Doch das Wiener Publikum zeigte Kurt Robitschek und seinem Team die kalte Schulter. Die Pleite kündigte sich schon im November an. Robitschek kündigte, bevor er eine Informationsreise nach Paris antrat, mit erstem Dezember das gesamte technische Personal und ließ die Presse wissen, daß er seinen bis Saisonende geschlossenen Pachtvertrag bereits in den nächsten Wochen aufzulösen gedenke. Daraufhin konnte das Theater in der Josefstadt die Kammerspiele wie schon zuvor - temporär als Filialbühne, vor allem für Aufführungsserien erfolgsträchtiger Haupthaus-Produktionen, nützen. Ganz andere Pläne als Robitschek hatte dann Erich Ziegel. Der bestrenommierte Hamburger Theatermann - 1918 Gründer der Hamburger Kammerspiele, 1926 bis 1928 Intendant des Schauspielhauses, danach Direktor der Kammerspiele im Thalia-Theater - folgte im Frühjahr 1934 seiner Frau Mirjam Horwitz nach Wien, obwohl er selbst wie er der Stunde gegenüber betonte - Deutschland weder „aus rassischen noch aus politischen Gründen" hätte verlassen müssen. Ein Zusatz verrät aber doch seinen Abscheu vor dem NS-Regime: 29 30

Thaller, a.a.O., S. 59. Vgl. Liebe, a.a.O., S. 152.

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Exilland Österreich „Ich habe mich nur darum zur Arbeit in Wien entschlossen, weil die Lockung wirklich unsagbar groß war - und weil hier ja doch schließlich und endlich freier Kunstentfaltung nicht die Grenzen gesetzt sind, wie - bei aller Loyalität der Hamburgischen Regierung, wie ich noch einmal betonen möchte - in Deutschland." Ziegel unterzeichnete einen auf drei Jahre anberaumten Vertrag und stellte einen Spielplan in Aussicht, der sich mit dem „eigentlichen Begriff des Wortes ,Kammerspiel'" decken sollte. In der Rotenturmstraße sollte fortan die „feine Literatur" zu Hause sein: anspruchsvolle Komödien, Shakespeare-Lustspiele und andere „farbige, bunte Klassiker" sowie interessante Experimente. Doch die Pläne blieben Papier, Erich Ziegel mußte sehr bald nach der Eröffnung mit einer eigenen Bearbeitung von Grabbes Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung am 20. September 1934 der Wiener Theaterrealität weitgehende Konzessionen machen. Zwar folgte neun Tage später noch Strindbergs Rausch, doch dann rückten Schwänke und musikalische Lustspiele in den Vordergrund, nur kurzfristig unterbrochen im Februar durch ein mehrtägiges Gastspiel der Gruppe junger Schauspieler um Ernst Lönner mit ihrer ausgezeichnet besprochenen, kurz zuvor in der Komödie herausgebrachten Produktion von Horväths Volksstück Kasimir und Karoline. Gegen Saisonende stellte Ziegel sein Programm dann überhaupt auf leichte, witzig pointierte Unterhaltung um und brachte Serienaufführungen von Farkas-Grünbaum-Revuen. Mit einer Revue von Karl Farkas und Fritz Grünbaum begann Erich Ziegel dann auch sein zweites Direktionsjahr. Der Titel lautete Theater zu verkaufen! und sollte sich nur allzubald bewahrheiten. Ziegel führte die Saison nicht zu Ende, sondern ging nach Berlin zu Gustaf Gründgens, dank dessen Hilfe Miqam Horwitz vor den Verfolgungen durch die Nazischergen geschützt war. Ihre künstlerische Tätigkeit konnte sie aber erst nach 1945 wiederaufnehmen. Bei Ziegel standen neben seiner Gattin u. a. Martin Magner und Erich H. Altendorf als Regisseure, Karl Josefovicz als Bühnenbildner und als Darsteller Egon Curth, Ludwig Donath, Paul Morgan, Lothar Rewalt und Sidonie Lorm unter Vertrag. Die Kammerspiele wurden dann in der Folge wieder vom Theater in der Josefstadt bespielt. Hans J. Rehfisch: Kein Glück mit der Komödie, Erfolg als Dramatiker Hans J. Rehfisch kam im Mai 1933 nach Wien. Der Berliner Schriftsteller, der auf den deutschen Bühnen mit seinen sozial- und zeitkritischen, manchmal ans Kolportagehafte streifenden Schauspielen starken Widerhall gefunden hatte, wagte zusammen mit Conrad Dwerthon die Übernahme der seit Februar 1932 leerstehenden Komödie in der Johannesgasse. Rehfisch, als Co-Regisseur bei Piscator mit der Theaterpraxis vertraut, fungierte dabei als künstlerischer Leiter. Die neue Direktion begann ihre Tätigkeit in dem intimen, etwa 450 Zuschauer fassenden Haus, das 1924 eröffnet und bis 1927 als Modernes Theater geführt worden war, am 8. September 1933 mit G. B. Shaws Arzt am Scheideweg in einer Inszenierung von Oskar Homolka, der selbst den Colenso Ridgeon gab. Die nächste Premiere, die Ausgrabung von Otto Ludwigs Dramatisierung der Ε. T. A. Hoffmann-Novelle Das Fräulein von Scuderi sicherte sich mit den beiden Stars Traute Carlsen und Alexander Granach besonderes Interesse. Für Paul Osborns Lustspiel Frag' mich was! - Ludwig Hirschfelds Übersetzung von The Vinegar Tree - wurde Rosa Valetti, bis vor kurzem Star des Berliner Kabaretts, ans Haus geholt. Eine JUN-

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Hilde Haider-Pregler zeigte bei einem Gastspiel mit Toni von Gina Kaus literarische Ambitionen. Darüber hinaus startete im Herbst 1933 eine Emigranten-Truppe ihre Tätigkeit: nämlich Walter Firners ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE, in deren Rahmen dann mit Lothar Rewalt, Ludwig Roth und Herbert Berghof Schauspieler aus dem Komödien-Ensemble wirkten. Die Komödie selbst mußte ihren Spielbetrieb „infolge gänzlichen Mangels an Betriebskapital" bereits mit 31. Dezember 1933 wieder einstellen. Am 11. Februar 1934 meldete die Wiener Zeitung, über den rettungslos verschuldeten Conrad Dwerthon sei „wegen des Verdachtes der Veruntreuung" die Untersuchungshaft verhängt worden. Rehfisch selbst wurde nicht in den Ruin seines Co-Direktors hineingezogen. Er fand in Wien Freunde beim Marton-Verlag und durfte einige erfolgreiche Inszenierungen seiner Stücke an Wiener Bühnen verbuchen. Freilich nahm Rehfisch in den nun entstehenden Werken sein einst gezeigtes zeitkritisch-politisches Engagement zurück und bediente sich überdies mehrerer Pseudonyme. Unter seinem eigenen Namen erlebte am 28. März 1934 das Schauspiel über den österreichischen Arzt Doktor Semmelweis, den Entdecker des Kindbettfiebers, am Deutschen Volkstheater unter der Regie von Karl Heinz Martin eine höchst erfolgreiche Uraufführung. In der Folge verschanzte sich Rehfisch hinter Decknamen. Ein gewisser S. Philips zeichnete für die Komödie Gentlemen, die das Volkstheater am 2. November 1935 ein Jahr nach ihrer Uraufführung dem Luzerner Stadttheater nachspielte. Immerhin wurde das belanglose Werk durch diesen Trick auch in Berlin herausgebracht. Noch weitaus erstaunlicher gestaltete sich jedoch die Bühnengeschichte von Wasser für Canitoga. Der Autor des wirkungssicher gezimmerten und im Deutschen Volkstheater am 20. Februar 1936 stürmisch akklamierten Reißers nannte sich Georg Turner. Daß dieser geheimnisvolle Unbekannte kein Neuling war, sondern ein erfahrener Theater-Profi und folglich ein raffinierter „Tarner" sein mußte, wurde von einigen Kritikern vermerkt. Manche ließen auch anklingen, daß sie zu den Eingeweihten zählten. Im Rückblick scheint es kaum glaublich, daß die Reichstheaterkammer von diesem Versteckspiel nicht Kenntnis gehabt hat. Jedenfalls ging das Werk im „Tausendjährigen Reich" zwischen 1936 und 1939 über mehr als siebzig Bühnen und errang durch die - sogar mit dem Prädikat „künstlerisch wertvoll" - bedachte Verfilmung mit Hans Albers noch zusätzliche Popularität.31 GE GRUPPE

Weit weniger Resonanz fand ein gewisser H. G. Tennyson Holm mit seiner in exotischen Gefilden spielenden und am Zürcher Schauspielhaus am 7. November 1935 uraufgeführten Ärztekomödie Der lächerliche Sir Anthony. Im Jänner 1937 erscheint das Stück im Spielplan des Akademietheaters. In der Direktionskanzlei der Burg herrschte über die Identität des Dramatikers gewiß kein Zweifel, da nach einem Erlaß der Bundestheaterverordnung in den Bundestheatern Pseudonyme nur zugelassen waren, wenn die dahinterstehende Person bekannt war. Dies bedeutete die Verpflichtung zur genauen Überprüfung neuer Dramatikernamen. Der Öffentlichkeit wurde jedoch in der Stunde vom 21. Jänner 1937 der neue Akademietheater-Autor Holm mit Photo und Curriculum vorgestellt: als smarter Kosmopolit mit Pfeife und hochgestelltem Mantelkragen, 38 Jahre alt, auf einem Landsitz in Südwestengland aufgewachsen, vorzüglich erzogen, trotz seiner Jugend Weltkriegsteilnehmer, danach Journalist und in dieser Funktion zuletzt Korrespondent in Berlin. Die den Emigranten freundlich gesinnten Blätter agierten 31

Eva Maria Quatember: Hans Jost Rehfisch. Eine Einführung in sein dramatisches Werk. Diss., Wien 1983.

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Exilland Österreich ganz deutlich als Mitverschworene. Oskar Maurus Fontana begrüßte im Wiener Tag vom 27. Jänner 1937 in eleganter, für hellhörige Leser unschwer decodierbarer Umschreibung diese Art der Autorenförderung, obwohl er dem Stück selbst nur wenig abzugewinnen vermochte: „Diese Komödie von einem ungewissen H. G. Tennyson Holm strebt nach Erweiterung des Bühneninteresses, wie es Semmelweis mit dem Kampf um die Entdeckung des Kindbettfiebers oder wie es Wasser für Canitoga mit der Bezwingung eines technischen und hygienischen Problems versucht haben. Nichts ist gegen solche Absicht zu sagen." Trotzdem interessierte sich in der Folge keine andere Bühne für das Werk des geheimnisvollen Briten. Bei der Uraufführung der Komödie Erste Liebe, die am 16. Februar 1937 in einer Inszenierung von Direktor Rudolf Beer an der Scala herauskam, stand jedenfalls wieder Hans Rehfisch auf dem Theaterzettel. Im Nachlaß von Hans J. Rehfisch befindet sich noch ein weiterer, in Wien entstandener und in Wien spielender Text, nämlich das Volksstück Der nackte Mann, das ein heiter getöntes Stimmungsbild jener von Arbeitslosigkeit geprägten Zeit zeichnet und recht originelle Figuren - u. a. aus dem Variete-Milieu - auf die Bühne bringt. Die kleinen Leute schaffen sich da dank phantasie- und trickreicher Aktivitäten doch irgendwie ihr Auskommen. Trotzdem wird das junge Paar, das erst am Ende zueinanderfindet, lieber die Chance auf ein besseres Leben in Amerika wahrnehmen. Diese Schlußwendung erteilt - ob unterschwellig oder bewußt - der keineswegs resignativ gezeichneten österreichischen Realität doch eine deutliche Absage. Vielleicht war das der Grund, daß das Stück unaufgeführt geblieben sein dürfte. Rehfisch soll, wie man den Biographien entnehmen kann, bereits im Mai 1936 nach England übergesiedelt sein. Er bleibt aber bis 21. Jänner 1937 in Wien gemeldet; erst unter diesem Datum ist seine endgültige Abreise nach London behördlich registriert. Geschäftstheater: Arthur Spitz und Hans Sanden im Neuen Wiener Stadttheater Dr. Arthur Spitz, vormals Theaterdirektor in Berlin, übernahm im Jänner 1935 die Leitung des Neuen Wiener Stadttheaters und brachte das ursprünglich als Volksbühne projektierte, 1914 schließlich von Josef Jarno eröffnete, später dann als Operetten- und Revuebühne geführte Haus in der Skodagasse im achten Bezirk nach Monaten der Flaute wieder zum Florieren, zumindestens was die Auslastung betraf.32 Ludwig Ulimann, der unerschrockene Mahner vor der nationalsozialistischen Gefahr und als Gegner des Austrofaschismus seit 1934 gleichsam in der inneren Emigration, stellte dem Geschäftstheatermann, der gewiß einen anderen Kunstbegriff als Ullmann vertrat, dennoch in seiner kurzlebigen Kulturzeitschrift Fledermaus am 9. März 1935 das allerbeste Zeugnis aus. Auch Arthur Spitz vertraute wie sein Vorgänger Hubert Marischka auf die Zugkraft der Operette, kalkulierte jedoch dahingehend, daß ausverkaufte Vorstellungen „zu Kinopreisen" gewinnbringender sein müßten als halbleere zu den im Ausstattungstheater üblichen Tarifen. (Die Idee, das Stadttheater zum Kino umzuwidmen, war in der Tat einige Zeit zuvor erwogen worden.) Die Rechnung von Arthur Spitz ging auf. Der Publikumszuspruch war derart rege, daß zusätzlich zu den Abendvorstellungen auch noch am Nachmittag gespielt werden mußte. Spitz gab jedoch - trotz anderslautender Erklärungen der Presse gegenüber - nach Übernahme des Königstheaters in Budapest seine Kon32

Ruth Bauer: Die Geschichte des Neuen Wiener Stadttheaters. Diss., Wien 1970.

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Hilde Haider-Pregler Zession bereits im Herbst 1935 zurück und überließ das Stadttheater seinem bisherigen Geschäftsführer Ernst Tolczyner. Diesem standen mit dem Regisseur Theo Bachheimer und Hans Sanden, der an den Berliner Rotter-Bühnen die Negativseiten spekulativen Geschäftstheaters kennengelernt hatte, zwei bereits unter Spitz bewährte Stützen des Betriebes zur Verfügung. Hans Sanden hatte sich in Wien, wie erinnerlich, ja bereits 1934 als Organisator von Gastspielen eingeführt und verlagerte seine Tätigkeit in der Spielzeit 1936/37 wieder auf dieses Gebiet. Nach Tolczyners Konkurs im Februar 1937 pachtete er im folgenden Herbst das Stadttheater, konnte jedoch - da eine „Internationale Operngesellschaft" mit sehr anspruchsvollem Programm auf ihrer vertraglich zugesicherten Spielberechtigung insistierte - erst am 15. Oktober mit seinem Operettenprogramm beginnen. Trotz relativ guter Auslastung des Hauses schlitterte Sanden in finanzielle Schwierigkeiten, so daß Lilian Marischka-Karczag, die Eigentümerin des Stadttheaters, den Pachtvertrag im Februar 1938 löste. Auch ohne diese Vorkommnisse wäre Hans Sanden bald darauf als Direktor abgesetzt worden. Er gelangte noch 1938 nach Frankreich. Der Aufschwung des Theaters an der Wien unter Arthur Hellmer Von den aus Nazideutschland verjagten Theaterdirektoren war Arthur Hellmer fraglos der in Österreich erfolgreichste.33 Am 29. Juni 1881 als Arthur Ehrlich in Thomasdorf geboren, wuchs er in Wien auf, lebte jedoch seit seinem zwanzigsten Lebensjahr in Deutschland. Nach verschiedenen Engagements als Schauspieler gründete er 1911 zusammen mit Max Reimann das Neue Theater in Frankfurt am Main, das in der Folge zu einer der interessantesten und eigenwilligsten Privatbühnen Deutschlands werden sollte. Von 1928 bis 1934 fungierte Hellmer auch als Vizepräsident des „Vereins deutscher Bühnenvorstände". Ab April 1933 nahmen die neuen Machthaber sein Theater unbarmherzig ins Visier. Im November 1934 wurde die Bühne aufgrund der „nichtarischen Leitung" als „kulturschädigend" gebrandmarkt. Im April 1935 mußte Hellmer das im Besitz seiner Familie befindliche Theater zwangsweise der Stadt Frankfurt verpachten und übersiedelte nach einigen Erkundungsbesuchen im Oktober 1935 als österreichischer Staatsbürger endgültig nach Wien. Während sein Sohn Kurt bereits unter der hoffnungslos verschuldeten Direktion von Hans Knappl im Theater an der Wien mitarbeitete, war der finanziell bestens beleumundete Hellmer selbst mehrfach als Direktionsanwärter verschiedener Wiener Bühnen im Gespräch. Nach Zusammenbruch der Direktion Knappl am 1. Februar 1936 bemühte sich Hellmer energisch um die Übernahme des am höchsten verschuldeten Wiener Privattheaters und einigte sich mit dessen bankrotten Eigentümern Hubert und Lilian Marischka am 18. März auf einen Pachtvertrag für die Saison 1936/37 mit einer Option auf weitere zwei Jahre. In seinem Konzessionsansuchen an den Wiener Magistrat, dem er zusätzlich einen persönlichen Brief an den Bürgermeister beigab, wies er sich als gewiefter Kenner der österreichischen Verhältnisse aus und fand genau die richtigen Worte, um die Behörden davon zu überzeugen, daß er der richtige Mann für die von ihm angestrebte Aufgabe sei. Die anderen Privattheaterdirektoren protestierten aus Furcht vor einer übermächtigen Konkurrenz gegen Hellmers Konzept, 33

Angela Eder: Ich kehre lieber um und geh' zurück ins Morgen. Wien 1936 - 1938. Theater, Kino, Kulturpolitik. Das Theater an der Wien in der Direktionszeit Arthur Hellmer und die Emigrationssituation seiner Künstler. Magisterarb., Wien 1993.

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Exilland Österreich in den Spielplan des Theaters an der Wien sowohl Operetten als auch Sprechstücke aufzunehmen. Der Konzessionswerber hingegen betonte „als Wiener und treuer Österreicher" seine Verbundenheit mit der österreichischen Theatertradition, an deren beide Stränge - Schauspiel und Operette - er mit gediegenen Aufführungen anknüpfen wolle: „Österreichische Schauspieler, österreichische Komponisten und Autoren, österreichische Arbeiter sollen in überwältigender Mehrheit hier eine Wirkungsstätte finden und das Gesicht dieses Theaters mitbestimmen."34 Arthur Hellmers Konzessionsansuchen wurde in seinem Sinn bewilligt. In der Tat landete Hellmer bereits mit seiner Eröffnungspremiere, der von ihm inszenierten Uraufführung des musikalischen Lustspiels Axel an der Himmelstür am 1. September 1936, einen Sensations- und Serienerfolg. Das Buch stammte von Paul Morgan und Adolf Schütz, der junge Hans Weigel steuerte die Liedtexte bei, die Musik war von Ralph Benatzky. In der Rolle der Diva Gloria Mills erlebte Zarah Leander ihren Durchbruch, neben ihr brillierten der aus Berlin bestens bekannte Max Hansen, der in Wien auch am Deutschen Volkstheater der dreißiger Jahre im Vordergrund stand, und Paul Morgan, ferner Annie Reiter und Arthur Mainzer, die bereits in Frankfurt bei Hellmer gespielt hatten, sowie eine Reihe von Darstellern, die von der Wiener Kabarett- und Kleinbühnenszene her bestens bekannt waren. Das Theater an der Wien war mit einem Schlag saniert. Wenn auch keine der späteren Inszenierungen an den Erfolg der Eröffnungspremiere herankam, so waren die musikalischen Lustspiele, Operetten, Schwänke und trivialen Volksstücke doch publikumswirksam genug. Dem ursprünglich angekündigten Programm entsprachen sie freilich nicht, dafür garantierten sie - dargeboten von erstklassigen Schauspielern - allemal für volle Häuser. Zusätzlich öffnete Hellmer sein Haus für Vorstellungen des Theaters der Jugend und sicherte sich attraktive Gastspiele wie mit Albert Bassermann oder Gisela Werbezirk. In den eineinhalb Jahren seiner Direktion fand sich in der Endphase der Ersten Republik ein Ensemble zusammen, das viele der noch in Österreich verbliebenen Deutschland-Flüchtlinge und so manche ab 1938 ebenso bedrohte österreichische Künstler vereinigte. Dazu gehörten, um neben den schon Erwähnten nur einige zu nennen: Felix Bressart, Herbert Berghof, Otto Wallburg, Leo Askin, Manfred Inger, Oskar Denes, Hans Jaray, Erwin Parker, Rosy Barsony, Emil Stöhr, Ludwig Donath und Leo Reuß. Obwohl Paul Morgan als Autor und Schauspieler in Axel an der Himmelstür so entscheidend zum Wiederaufstieg des Theaters an der Wien beigetragen hatte, eroberte er an dieser Bühne keine führende Position. In einem Faschingsprogramm kam noch 1938 seine Burleske Elisabeth von England mit Gisela Werbezirk zur Aufführung, und in Dixie, einem „musikalischen Kriminalroman in fünf Bildern" von Karl Farkas und Adolf Schütz, agierte er ab dem 8. Februar 1938 als Inspektor. Aus den Theaterakten des Unterrichtsministeriums im Archiv der Republik läßt sich ablesen, daß Hellmer mehr als einmal um die Arbeitsgenehmigung für von ihm engagierte Darsteller kämpfen mußte. So lief beispielsweise Otto Waliburgs Auftrittserlaubnis kurz nach der Premiere des Lustspiels Katinka von Adoijan von Bonyi (2. März 1937) ab und wurde auf Empfehlung des Ringes österreichischer Bühnenkünstler mit dem Hinweis auf die hohe Arbeitslosenquote unter österreichischen Schauspielern nicht 34

Konzessionsansuchen an die Magistratsabteilung 52 der Stadt Wien, Abschrift an das Bundesministerium für Unterricht. Archiv der Republik, Akten des Bundesministeriums für Unterricht, ZI. 13826/36.

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Hilde Haider-Pregler mehr verlängert. Diese rigide Haltung des „Ringes", der sich auf Proteste seiner Mitglieder gegen das Auftreten der „sogenannten Emigranten" berief und die Unentbehrlichkeit Wallburgs „mit Rücksicht auf das Vorhandensein entsprechend begabter österreichischer Kräfte" nicht bestätigen wollte, wurde sogar von der Presse aufgegriffen und im Morgen vom 8. März 1937 durchaus kritisch referiert. Mehr Glück hatte der zunächst auch abgelehnte Oskar Denes, dessen Unersetzbarkeit in dem Paul-Abraham-Vaudeville Roxy und ihr Wunderteam Hellmer mit dem Verweis auf die akrobatischen Anforderungen der Partie schließlich glaubhaft machen konnte. Ein umfangreicher Akt dokumentiert, wie widerwillig sich die Behörden die schließlich für ganze zwei Wochen gewährte Spielerlaubnis für Leo Reuß abringen ließen, den Hellmer im Hinblick auf dessen skandalumwitterte Brandhofer-Popularität und künftigen Hollywood-Ruhm in Madame sans Gene, Eröffnungspremiere der Spielzeit 1937/38, als Napoleon besetzt hatte. Am Tag nach dem Einmarsch der deutschen Truppen mußte Arthur Hellmer die Direktionskanzlei räumen. Vor dem Bühnentürl des Theaters an der Wien wurde ein Berg verdreckter Schuhe angehäuft, die der entmachtete Direktor Paar um Paar eigenhändig putzen mußte - zum Gaudium deqenigen Theaterangehörigen und Bühnenarbeiter, die sich für das neue Regime begeisterten. Rudolf Kutschera, damals Eleve am Theater an der Wien und viele Jahre später selbst Direktor dieser Bühne, war Zeuge dieser ihn tief schockierenden Szene.35 Arthur Hellmer konnte aus Österreich flüchten. Über das Datum seiner Ausreise liegen widersprüchliche Angaben vor: Laut Auskunft der amerikanischen Einwanderungsbehörden ist er am 11. Juli 1938 in New York eingetroffen36, in Wien hingegen ist er noch bis zum 2. Juni 1939 in der Pension „Atlanta" in der Währinger Straße behördlich gemeldet. Kleinbühnen und Kabaretts Die österreichische Kleinbühnen- und Kabarettszene erlebte, wie bereits eingangs geschildert, gerade in den dreißiger Jahren eine Hochblüte. Ohne den künstlerischen, manchmal auch politischen Impetus zu negieren, muß man sich dennoch vor Augen halten, daß der auslösende Faktor dieser Alternativszene neben dem traditionellen Representations· und Geschäftstheater in der durch die Theaterkrise bedingten Schauspielerarbeitslosigkeit zu sehen ist, die durch den Zustrom der Emigranten noch spürbarer wurde. In der Kleinbühnen- und Kabarettszene tat sich abseits der konzessionierten Theater und ohne deren rechtlich verankerte soziale Absicherungsstrukturen immerhin ein Betätigungsfeld auf, verbunden mit der Hoffnung des Entdecktwerdens. Die Theater für 49 annoncierten literarisch anspruchsvolle Programme, und im Kabarett traf sich ein Widerstandspotential, dessen Spitzen ebenso gegen das „Tausendjährige Reich" wie gegen die „schlampige Diktatur" des Ständestaats gerichtet waren. Die bekanntesten Kabaretts bzw. Kleinkunstbühnen - DER LIEBE AUGUSTIN, LITERATUR AM NASCHMARKT - waren zwar keine Gründungen für 49 Zuschauer, fügten sich jedoch im Hinblick auf ihre Ambitionen durchaus in diese Szene ein. Während in den meisten Kabaretts Getränke und kleine Speisen serviert wurden, lehnten die Kleinbühnen zur Manifestation ihres Theaterstatus derartige Usancen ab. 35 36

Mündliche Mitteilung von Rolf Kutschera. Eder, a.a.O., S. 146.

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Die Produktionsbedingungen entsprachen oft genug jenen der (angeblich längst überwundenen) Schmiere. Zumeist spielte man - mit dem Risiko einer leeren Theaterkasse auf Teilung, wobei die Gage täglich ausbezahlt wurde. Oft genug wurde vor nur halbvollem Zuschauerraum gespielt, Vorstellungen wurden erst abgesagt, wenn sich weniger als drei zahlende Gäste eingefunden hatten. Viele Mitwirkende mußten sich durch anderweitige Gelegenheitsbeschäftigungen über Wasser halten, was einen regulären Probenbetrieb von vornherein erschwerte. Um so oszillierender war das Spektrum der an dieser Szene Beteiligten: Anfänger, engagementlose oder unterbeschäftigte Schauspieler mit prominenten oder auch weniger prominenten Namen sowie die um Fortsetzung ihrer Künstlerlaufbahn besorgten Emigranten und Wien-Heimkehrer sahen da ihre Chance. Ulrike Mayer hat in ihrer minuziös recherchierten Dissertation über die Theater für 49 vor einer Prolongierung des retrospektiv hineinprojizierten Mythos einer solidarischen Alternativszene gewarnt. Ähnlich wie in den Privattheatern mischen sich da Emigranten mit arbeitsuchenden österreichischen Schauspielern unterschiedlichster politischer Richtung. Gemeinsam war den Theatern für 49 jedoch, daß sie durch ein hochwertiges literarisches Repertoire den Praktiken des seichte Unterhaltung nach kommerziellen Aspekten anbietenden „Geschäftstheaters" bewußt Widerpart bieten wollten. Explizite kulturpolitische Perspektiven der Repertoiregestaltung und Ensemblebildung unter Berücksichtigung des Emigrantenproblems bot aber nur das JÜDISCHE KULTURTHEATER. Es wird daher weiter unten in diesem Kontext zu betrachten sein. a) Kabaretts und Kleinkunstbühnen Scharf akzentuiertes politisches Kabarett beschränkte sich in Wien auf Ausnahmefälle und hatte dann ab den frühen dreißiger Jahren aufgrund der politischen Entwicklung überhaupt keinen offiziell genehmigten Raum mehr. Trotzdem florierte eine überaus reichhaltige Kabarettszene, wobei sich viele Unternehmen nicht allein mit spritziger Unterhaltung begnügen wollten, sondern höchst anspruchsvolle, literarisch-musikalische Kleinkunst-Programme anboten. Trotz des ständestaatlichen Maulkorbs flössen in dieser fast durchwegs links orientierten, wenn auch nicht mehr offen links deklarierten Szene, die ganz besonders stark von bereits bzw. noch nicht emigrierten Künstlern geprägt wurde, immer wieder politische Nummern und Anspielungen von erstaunlicher Direktheit in die Kleinkunst mit ein. Das am längsten bestehende Wiener Kabarett, der 1912 eröffnete SlMPLICISSlMUS, kurz SlMPL genannt, galt als reines Unterhaltungsetablissement. Hier entwickelte Karl Farkas zusammen mit Fritz Grünbaum schon in den zwanziger Jahren die legendären Doppelconferencen zwischen dem „Gescheiten" und dem die klugen Aussagen relativierenden „Blöden". Grünbaum, über den man auch in Berlin lachte, mußte seine Tätigkeit ab 1933 wieder ganz auf Wien beschränken. Nach Beilegung der zwischen ihm und Farkas aufgetretenen Spannungen nahm das Duo schließlich seine Doppelconferencen wieder auf, daneben verfaßten sie als Co-Autoren wie schon früher sehr erfolgreiche, an großen Bühnen laufende musikalische Revuen. Für so manch andere Künstler bot ein gelegentlicher Auftritt im SlMPL zusätzliche Verdienstmöglichkeit. Freilich kommentierten Farkas und Grünbaum in ihren Blödel-Conferencen auch das Zeitgeschehen. Ende Februar 1938 hatte das letzte von ihnen gemeinsam verfaßte SlMPL-Programm - Metro Grünbaum Farkas höhnende Wochenschau - Premiere. Am 10. März kam Fritz 129

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Grünbaum auf die dunkle Bühne und sagt: „Ich sehe nichts, absolut gar nichts, da muß ich mich in die nationalsozialistische Kultur verirrt haben." 37 Bereits am nächsten Tag waren Grünbaum und Farkas aus dem SlMPL ausgesperrt. Fritz Grünbaum starb nach einer langen Leidensgeschichte am 14. Jänner 1941 in Dachau, Karl Farkas konnte emigrieren und sollte den SlMPL nach dem Krieg wieder zur Heimstatt amüsanten Unterhaltungskabaretts machen. Literarisch-politische Kleinkunst bot Stella Kadmon in ihrem am 7. November 1931 im Keller des Ringstraßenkaffees Prückl eröffneten LIEBEN AUGUSTIN, für den sie den später in Auschwitz ermordeten Peter Hammerschlag als Haus- und ,Blitz'dichter, Alexander Szekely als Ausstatter u. ,Blitzzeichner' und Fritz Spielmann als Komponisten und Musiker gewann. Das .Blitzen' - also gewitzte, spontan auf Publikumswünsche reagierende Improvisationskunst - wurde im LIEBEN AUGUSTIN zur Perfektion entwickelt. 1934 verließ Hammerschlag das Ensemble, dafür wurde der über Zürich nach Wien emigrierte, zunächst für die (alsbald verbotene) Arbeiterzeitung tätige Gerhart Hermann Mostar als neuer Hausautor gewonnen. Von Mostar stammt eine der einprägsamsten Nummern der Kabarettgeschichte, nämlich die von dem Wien-Remigranten Herbert Berghof vorgetragene „Legende vom namenlosen Soldaten", in der ein gefallener jüdischer Soldat stellvertretend für alle Anklage erhebt gegen die Naziorder, die Namen der jüdischen Kriegsteilnehmer aus den Ehrentafeln zu tilgen. Einen weiteren interessanten, mit literarischen Parodien brillierenden Autor gewann Stella Kadmon in dem gebürtigen Brünner Hugo F. Königsgarten, der 1933 aus Deutschland nach Wien ins Exil gegangen war und später für das Londoner Exilkabarett schrieb. Gemeinsam verfaßten Mostar und Königsgarten 1935 mit Reineke Fuchs eine Abrechnung mit Hitler. Mit dem Berliner Kabarettisten Curt Bry, der seit 1933 die Wiener Kabarettszene bereicherte - man findet ihn auch noch im REGENBOGEN, im ABC und bei Trude Kolman - wurde eine weitere überaus vielseitige Kraft gewonnen, da Bry sein Talent als Autor, Musiker und Darsteller unter Beweis stellte. Mit Vilma Kürer, Alice Lach, Manfred Inger, Peter Ihle, Martin Magner und Leo Askin - um nur einige zu nennen - erschienen im LIEBEN AUGUSTIN zahlreiche auf Wiener Klein-, aber auch Privatbühnen bestens renommierte Darsteller. Besonderes Interesse verdienten die Solo-Auftritte der pantomimisch und tänzerisch hoch begabten Cilli Wang, die auch scharfzüngige Texte ihres Gatten Hans Schlesinger vortrug. DER LIEBE AUGUSTIN mußte im März 1938 schließen. Stella Kadmon kehrt nach dem Krieg aus Palästina zurück und wandelte ihren wiederbelebten LIEBEN AUGUSTIN 1948 z u m z e i t k r i t i s c h e n THEATER DER COURAGE u m . 3 8

In einem anderen Kaffeehauskeller - und zwar unter dem Cafe Dobner am Naschmarkt - etablierte sich im November 1933 eine zweite bedeutende Kleinkunstbühne, die von Rudolf Weys und F. W. Stein gegründete LITERATUR AM NASCHMARKT, deren Spezialität das sogenannte „Mittelstück" - ein ins Nummernprogramm eingeschobenes kleines Theaterstück, zumeist ein Einakter - wurde. Von den Mittelstück-Autoren ist neben Hans Weigel und Rudolf Weys vor allem Jura Soyfer mit seinem Der Lechner Edi schaut ins Paradies (1936) hervorzuheben. Als Autoren wirkten ferner Peter Hammerschlag, Harald Peter Gutherz, Kurt Nachmann und Rudolf Spitz. Die starke Fluktuation innerhalb der Theater- und Kabarettszene bezeugt die Namensliste der an der LLTE37 38

Liebe, a.a.O., S. 153. Vgl. Birgit Peter: Gewitzt. Stella Kadmon und DER LIEBE AUGUSTIN. Magisterarb., Wien 1996; Monika Griensteidl: Peter Hammerschlag und das Wiener Kabarett der dreißiger Jahre. Magisterarb., Wien 1995.

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Exilland Österreich RATUR AM NASCHMARKT beteiligten Bühnenkünstler. Da findet man u. a. Lisi Valetti, Manfred Inger, Gerda Landers, Martin Magner, Hermann Kner, Herbert Berghof, Walter Engel, Grete Heger, Paul Lindenberg, Martin Miller, Elisabeth Neumann, Erich Pohlmann und Gerda Waschinsky. Als Regisseur ist vor allem Rudolf Steinboeck, der 1945 Direktor des Theaters in der Josefstadt wurde, zu nennen. Auch die LITERATUR AM NASCHMARKT mußte im März 1938 zusperren. Neben diesen Kleinkunst-Institutionen schössen nach 1933 zahlreiche, oft nur kurzlebige Klein-Kabaretts für 49 oder noch weniger Zuschauer aus dem Boden, nachdem Rudolf Spitz mit seiner STACHELBEERE im Cafe Döblingerhof im Frühjahr 1933 noch vor den Theaterleuten die Umgehung der Konzessionspflicht entdeckt hatte. Die STACHELBEERE übersiedelte 1934 ins Cafe Colonnaden am Rathausplatz, wo sie die SEESCHLANGE ablöste, und nannte sich 1935 KLEINKUNST IN DEN COLONNADEN, bis am

19. November 1935 der Spielbetrieb eingestellt wurde. Spitz, später Gründer des Londoner Exilkabaretts LATERNDL, gehörte wie Rudolf Weys zum „Bund junger Autoren Österreichs", die ursprünglich ein gemeinsames Kabarett gründen wollten. Die Verbindungen zwischen der LITERATUR AM NASCHMARKT und der STACHELBEERE blieben

aber trotz der Spaltung auch personell recht eng. Die STACHELBEERE zeigte Mut zu politischer Aggressivität. Spitz war zugleich Autor und Conferencier, neben ihm schrieb u. a. auch Hans Weigel Texte. Regie führten Rudolf Steinboeck, Peter Ihle und Hermann Kner. Als Künstler profilierten sich - neben so manchen von der LITERATUR AM NASCHMARKT bekannten - Hans Horwitz, Heinrich Krips, Josef Pechacek, Grete Spohn, Hilde Sykora und Gertie Sittels. Im März 1934 eröffnete im Cafe City in der Porzellangasse im 9. Bezirk das BRETTL AM ALSERGRUND, das im nächsten Jahr ins Cafe Arkaden in der Universitätsstraße übersiedelte, wo vorher der REGENBOGEN beheimatet war. Man nannte sich nun ABC IM REGENBOGEN, später dann nur noch ABC. Schon in der Eröffnungsvorstellung im Cafe City - mit Texten von Kurt Breuer und Hugo Wiener - waren u. a. Willy Trenk-Trebitsch, Eduard Linkers und Erich Pohlmann mit dabei. Im November 1934 übernahm Hans Margulies, vorher Gerichtsberichterstatter der Zeitung Der Tag, die Leitung und machte das ABC zum politisch schärfsten Kabarett der dreißiger Jahre. Im Frühjahr 1935 stieß Leo Askin - damals noch: Askenasy - als Regisseur dazu, im Februar 1936 übernahm Rudolf Steinboeck, der dann als Mitglied des Theaters in der Josefstadt während der Kriegsjahre über verschiedene Kanäle in Kontakt mit seinen emigrierten Kollegen bleiben sollte, die künstlerische Leitung. Der Hausautor des ABC wurde der von einer verdienstvollen Forschung erst in jüngerer Zeit in seiner vollen Bedeutung gewürdigte Jura Soyfer, ferner lieferten u. a. Hammerschlag, Königsgarten, Mostar und Weigel Texte für die mutige Bühne. Unter den Darstellern entdeckt man neben vielen anderen wieder Herbert Berghof, Kitty Mattem, Ilia Raudnitz, Cissy Kraner, Fritz Eckhardt und Lilli Palmer, aber auch - typisch für die Zeitsituation - Theo Frisch-Gerlach, von dem noch die Rede sein wird. Der März 1938 bedeutete auch für das ABC das endgültige Aus. An kurzlebigen Kabarett-Versuchen lassen sich die 9 SCHARFRICHTER im Cafe Künstlerheim in der Praterstraße (1934), DER FRÖHLICHE LANDMANN (1936) im Cafe Landmann auf der Ringstraße, ferner DIE OPTIMISTEN, T u r n FRUTTI, LUMPAZI, das THEATER PICCOLO unter Willi Horst - recte: Wilhelm Furlan - in der Kellermanngasse, 131

Hilde Haider-Pregler DAS BRETTL unter Maria Blum in der Nußdorferstraße 6 im Kolosseumkeller und DAS KLEINE CABARET, das der Bruder von Willy Trenk-Trebitsch führte, aufspüren. Die Durieux-Schiilerin Trude Kolman, die noch bis 1935 in Berlin arbeitete, eröffnete im September 1935 zusammen mit Beate Moissi im Grandhotel ein eigenes Kabarett, mit tatkräftiger Unterstützung von Paul Morgan, der sich schon seit 1933 in Wien aufhielt, vergebens bei Direktor Barnay um ein fixes Engagement am Raimundtheater vorstellig gewesen war und seither von Gelegenheitsauftritten im Prater-Variet6 Leicht und an verschiedenen Bühnen und im Film lebte. Er stellte sich als Conferencier ohne Gage zur Verfügung. Im Theater an der Wien unter Direktor Hellmer feierte der gebürtige Wiener, wie bereits erwähnt, dann noch mit Axel an der Himmelstür einen späten großen Erfolg. Morgan wurde im Dezember 1938 im KZ Buchenwald zu Tode gequält. Die Texte für Trude Kolman schrieb Max Colpet, der aus Deutschland zunächst nach Paris und von dort aus nach Wien geflüchtet war. 1936 eröffnete Trude Kolmann dann mit Curt Bry das Kabarett DER SECHSTE HIMMEL und brachte sich vor ihrer endgültigen Emigration mit der Leitung verschiedener Bars und Restaurants durch. b) Theater für 49 Auf dem Theatersektor eröffnete E. Jubal mit seinem THEATER FÜR 49 am 13. April 1934 in einem adaptierten Keller in der Maria-Theresienstraße 4 im ersten Bezirk die erste Bühne, die nach rechtlicher Definition gar kein Theater war und deren Name zum Synonym für die Kleinbühnenbewegung der dreißiger Jahre wurde. E. Jubal war ein Zuwanderer aus dem Osten und präsentierte sich selbst gerne als Stanislawski-Schüler; die Wiener Kritik attestierte seinen Inszenierungen in der Tat bereitwillig Stanislawski-Atmosphäre, während Nina Körber, Jubais langjährige Lebenspartnerin und als dramaturgische und administrative Mitarbeiterin de facto Co-Direktorin des THEATERS FÜR 49, die autobiographische Selbstdarstellung etwas relativiert. Die Kleinbühne, die sich bis 1938 halten konnte, wartete mit einem literarisch überaus ambitionierten Programm auf, das auch Uraufführungen mit einschloß. Eröffnet wurde mit Oscar Wildes Florentinischer Tragödie, gefolgt von Molieres George Danditt. Doch schon die nächsten Produktionen waren Ur- bzw. Erstaufführungen: Joachim Ringelnatz' Seemannsballade Die Flasche, danach Bärentanz, ein Schauspiel des tschechischen Dramatikers Vilem Werner, dessen Menschen auf der Eisscholle wenig später ein internationaler Erfolg wurde, und die Komödie Rigorosum von Ludwig Josef Anger. Gewiß waren die Ur- und Erstaufführungen zum überwiegenden Teil heute vergessenen Autoren gewidmet, doch es gab auch Ausnahmen. Am 3. März 1936 kam die Komödie Liebe in Florenz oder Die unziemliche Neugier des 24jährigen Fritz Hochwälder heraus, damals ein unbekannter Nachwuchsautor und gelernter, jedoch arbeitsloser Tapezierer jüdischer Herkunft. Prompt lobte die Neue freie Presse am 17. März 1936 Jubais Fähigkeit, „Begabungen zu entdecken". Hochwälder selbst glückte 1938 die Flucht in die Schweiz, wo er im Exil sein am Städtebundtheater Biel-Solothurn uraufgeführtes Schauspiel Das heilige Experiment schrieb, das ihm in der Nachkriegszeit Weltruhm einbrachte. Sein größtes Verdienst um die zeitgenössische Dramatik erwarb sich Jubal aber sicherlich mit der Uraufführung von Ödön von Horväths kleinem Totentanz Glaube Liebe Hoffnung. Das Werk erlebte am 13. Dezember 1936 im Theaterkeller in der Maria Theresienstraße seine Premiere unter dem Titel Liebe, Pflicht und Hoffnung in Anwesenheit des in NS-Deutsch132

Exilland Österreich land verbotenen und in Österreich für die offizielle Kultur- und Literaturpolitik mißliebigen Autors. Um so mehr interessierten sich die Wiener Intellektuellen - Emigranten oder vor dem bald notwendigen Schritt ins Exil sich bereits als Emigranten im eigenen Land Fühlende - für das Ereignis: Franz und Alma Werfel, Hertha Pauli, Franz Theodor Csokor und Horväths Freundin Wera Liessem verfolgten gespannt die Aufführung, deren darstellerische Leistungen von der Presse einhellig gewürdigt wurden, während das Stück selbst ambivalente Aufnahme fand. Besonderen Beifall errang Hedwig Schlichter mit ihrer Interpretation der Elisabeth. 1898 in Wien geboren, kam Hedwig Schlichter über München, Düsseldorf und Leipzig nach Berlin, wo auch der Film auf sie aufmerksam wurde. 1933 Schloß sie sich zunächst dem JESSNER-ENSEMBLE an und ging dann über Österreich nach Buenos Aires an die FREIE DEUTSCHE BÜHNE von Paul Walter Jacob. Ein nicht zustande gekommenes Uraufführungsprojekt verdient immerhin Erwähnung: Jubal plante bereits 1936 eine Produktion der - letztendlich erst 1965 auf die Bühne gekommenen - Komödie der Eitelkeit von Elias Canetti, der im Gästebuch des Theaters über Jubais Inszenierung von Leonid Andrej ews Das Leben des Menschen (4. März 1937) in der Übersetzung von Nina Körber ein enthusiastisches Urteil abgab: „eine große künstlerische Tat. Es hat in Wien lange nichts gegeben, was mit diesem fünften Bild zu vergleichen war." 39 Jubais Befähigung für russische und ostjüdische Milieuschilderungen wurde allgemein hervorgehoben: vor allem bei seiner Inszenierung von Gorkis Nachtasyl auf der winzigen Bühne oder bei Ossip Dymows Schauspiel Musik im Dorf. Die spätere Verwirrung, die Robert Lantz mit seiner Unbekannten aus der Seine wegen der Titelgleichheit mit Horväths Schauspiel auslöste, wäre nicht weiter registrierenswert, wäre Lantz nicht im Herbst 1937 mit einem weiteren Schauspiel neuerlich zu Wort gekommen: Das geliebte Leben erzählte in Komödienform die Liebesgeschichte zwischen einer Schauspielerin und einem Maler - Schauplätze waren Berlin 1932, Paris 1934 und London 1935 - , wobei die Emigrantenproblematik nur koloritgebend am Rande gestreift wurde. Die Kritiker beurteilten eine derartige Gestaltung des brennend aktuellen Themas zu Recht als Entgleisung und rügten, „daß das Thema Emigrantenlos nicht unbegründet und nur als Aufputz und Schlagwort mißbraucht werden darf' (Der Wiener Tag, 17. November 1937). In dieser letzten Spielzeit des THEATERS FÜR 49 amtierte allerdings schon Otto Waldmann als Direktor, unterstützt von Marianne Lamberg-Offer als Direktionsstellvertreterin und Oberspielleiterin. Jubal selbst, der 1935 neben seiner Bühne in der Maria Theresienstraße auch die künstlerische Leitung des JÜDISCHEN KULTURTHEATERS übernommen und 1936 die Geschäftsführung des THEATERS FÜR 49 offiziell an Nina Körber übertragen hatte, eröffnete am 2. November 1937 mit dem MODERNEN THEATER am Schwarzenbergplatz eine weitere Miniaturbühne, die mit anderen avantgardistisch orientierten Theatern des Auslands - u. a. mit E. F. Burians D 34 in Prag - in Austausch treten wollte. Die ehrgeizigen Pläne mußten ebenso Ankündigung bleiben wie die vielversprechende Repertoirevorschau. Nach dem Auftakt mit dem Antikriegsstück Feuer auf Tschapei von William Watt - übrigens ein unentschlüsseltes Pseudonym - gab es, abgesehen von Lesungen, nur noch drei Premieren, die letzte am 18. Februar 1938 mit Gogols Revisor in einer Neuübertragung von Nina Körber. 39

Faksimile bei Ulrike Mayer, a.a.O. Anhang.

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So wie Jubal sein MODERNES THEATER am Schwarzenbergplatz an spielfreien Abenden oder bei Matineen für Lesungen, Vorträge oder musikalische bzw. tänzerische Veranstaltungen zur Verfügung stellte, so hatten im Theater für 49 sich formierende freie Gruppen immer wieder Auftrittsmöglichkeiten: Die einen nannten sich THEATERGILDE, andere DIE DREI oder DIE INSEL, wobei vor allem die letzte, von Leon Epp und seiner Gattin Elisabeth, geb. Eschbaum, gegründete Gruppe zu erwähnen ist. Leon und Elisabeth Epps Ziel war ein kompromißloses „Theater der Dichtung" jenseits aller Politik; im Herbst 1937 eröffneten sie eine eigene Kleinbühne, wo u. a. Aristophanes, Goldoni, Claudel, Musset, aber auch Olga Scheinpflug auf den Spielplan gesetzt wurden. Die politischen Ereignisse besiegelten jedoch das Schicksal der kleinen INSEL, deren Mitarbeiterstab eine ganze Reihe jüdischer Künstler - Hans Schlesinger, Alfred Lipschütz, Kurt Nachmann, Hedda Berger, Maria Bickner, Franz Deutsch oder Otto Waldis - umfaßte. Nach kurzer Schließung konnte Leon Epp, der selbst nicht zu den Gefährdeten gehörte, die Spielzeit zu Ende führen, ehe er sein Theater endgültig räumen mußte. Nach dem Krieg knüpften Leon und Elisabeth Epp in ihrer - größeren - INSEL in der ehemaligen Komödie an ihr „Theater der Dichtung" an, bis Leon Epp 1952 als Direktor ans Volkstheater berufen wurde und hier bis 1968 den für die damalige Zeit wohl mutigsten, politisch-aufklärerischen Spielplan der Wiener Bühnen aus seiner humanistisch-pazifistischen Weltsicht heraus realisierte. Beim Studium der Besetzungszettel des THEATERS FÜR 49 und des MODERNEN THEATERS am Schwarzenbergplatz stößt man auf beinahe dreihundert Namen, so daß von einem geschlossenen Ensemble nicht die Rede sein kann. Natürlich wirkten nicht wenige Darsteller sowohl an diesen beiden Bühnen als auch am JÜDISCHEN KULTURTHEATER - oder an anderen Kleinbühnen. Von vielen - etwa von Lisi Valetti, Hedda Berger, Herbert Berghof, Olga Fuchs, Dinorah Preß, Hans Karl Magnus, Peter Ihle, Eduard Linkers, Kurt Nachmann, Hanne Norbert-Miller oder Lothar Rewalt - lassen sich nur ein oder zwei Auftritte im THEATER FÜR 49 und/oder im MODERNEN THEATER nachweisen. Als häufiger beschäftigter Stammschauspieler kann man Robert Guth, Marcel Lerner, Kitty Mattfuß (d.i. Kitty Mattern), Martin Miller, Maria von Ostfelden, Kurt Reding, Arthur Schaffer, Otto Waldis, Rudolf Weiß, Harry Flatow und Rafael Zimmermann bezeichnen. Als Regisseur trat Hans Wohlmuth, als Bühnenbildner Martin Eisler mehrfach in Erscheinung. Gerade an den Kleinbühnen kämpften besonders viele jüdische Darsteller ums tägliche Überleben, oft genug an der Seite von Kollegen, die sich ideologisch durchaus an die Politik des Ständestaates und später dann an jene der Nazis anpaßten oder sich sogar damit identifizierten. Theo Frisch-Gerlach stellte im Jänner 1937 - übrigens noch im THEATER FÜR 49 - sein Programm eines ÖSTERREICHISCHEN THEATERS vor, das er dann in einem Theaterkeller in der Neubaugasse zu verwirklichen suchte, wo gerade das den großen Häusern Unterhaltungsware mit weniger professionellen Mitteln nachspielende THEATER AM NEUBAU Pleite gemacht hatte. Frisch-Gerlach bemühte sich für seine Kleinbühne um Wohlwollen und Förderung durch kulturpolitische Institutionen und einflußreiche Persönlichkeiten. Er konnte sich auf gute Kontakte zum rechtslastigen Friedrich Schreyvogl berufen und umwarb Rudolf Henz, den Leiter des Neuen Lebens, mit der Bitte, ihm ein Schauspiel zur Uraufführung zu überantworten. Seine Spielplanvorschau jedoch - u. a. Wenter, Scharmitzer, Jelusich - gefiel zwar dem Korrespondenten des Völkischen Beobachters, wo nur in seltenen Fällen über österreichisches Theater be134

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richtet wurde, ungemein gut, weckte jedoch bei den österreichischen Behörden wegen der starken NS-Schlagseite Bedenken gegen Frisch-Gerlachs Unternehmen, in dem überdies mit dem Schauspieler Karl Baumgartner ein der Polizei wohlbekannter Illegaler wirkte, aktenkundig als Mitglied der „Nationalsozialistischen Kulturorganisation", deren Ziel die Einrichtung von geheimen, von Vertrauensleuten geleiteten NS-Betriebszellen an den einzelnen österreichischen Bühnen und anderen Kulturinstitutionen war. Andererseits wirkten mit Hedda Berger, die in Theresienstadt umgekommen sein dürfte, und mit Else Baring, die 1939 mit ihrem Mann, dem Kabarettisten Alfred Baring, über England nach Australien emigrieren konnte, auch jüdische Künstler an dieser ÖSTERREICHISCHEN BÜHNE.

Nur wenige Monate, nämlich vom Oktober 1934 bis zum Februar 1935, hielt sich die von Hans Herwig-Schenirer gegründete TRIBÜNE am Rathausplatz. Herwig, der später im bereits erwähnten THEATER AM NEUBAU und ab Herbst 1937 im THEATER FÜR 49

auftrat, wollte das Publikum offenbar mit einer Mischung aus literarischer Ambition etwa Oscar Wildes Salome - und Sensation anlocken und geriet diesbezüglich prompt mit der Zensur in Konflikt. In der Eröffnungsvorstellung - Tsarakojfs Puppen von einem sich Martin Brown nennenden unbekannten Autor - erntete Fritz Schrecker in der Rolle eines morphiumsüchtigen Regisseurs ausgezeichnete Kritiken. Seine Karriere als Charakterdarsteller an Berliner Bühnen war 1933 jäh unterbrochen worden; in Wien brachte er sich in den dreißiger Jahren an Kleinbühnen und im Kabarett durch, bis er neuerlich in die Emigration gezwungen wurde, wo er im Londoner Exil als „Gefreiter Adolf Hirnschal" im deutschsprachigen BBC-Programm ungeheure Popularität erlangte. Auch an der TRIBÜNE arbeiteten offenbar von den Nazis veijagte Darsteller und jüdische Schauspieler aus Österreich Seite an Seite mit völkisch eingestellten Kollegen. Alma Köhler etwa war ab 1935 Mitglied der illegalen NSDAP, während Alfred Schaff-Immendorf und Bert Maimann - mit denen sie in der von der Zensur beanstandeten Komödie Moritat von Bernhard Wendler aufgetreten war - dem mosaischen Glauben angehörten. In einer anderen (ebenso belanglosen) Komödie, zu welcher der 1938 nach Australien emigrierte Kurt Popper das Bühnenbild entwarf, findet sich der Name von Jacques Arndt, gleichzeitig Mitglied von Walter Firners ÖSTERREICHISCHER VOLKSBÜHNE, auf dem Theaterzettel: Arndt stammte aus Sarajevo, flüchtete im Mai 1938 nach Luxemburg, ein Jahr später nach Uruguay und gelangte schließlich an die FREIE DEUTSCHE BÜHNE in Buenos Aires. Emigrieren mußte auch Hans Herwig selbst: er gelangte über Brüssel in die Schweiz. Noch kurzlebiger als die TRIBÜNE war das gleichfalls im Oktober 1934 von Hans und Lucy Roth eröffnete WIENER KAMMERTHEATER, das nicht einmal den Jahreswechsel überstanden haben dürfte. Wichtige Akzente im Wiener Theaterleben setzte hingegen die GRUPPE ERNST LÖNNER. Lönner, bei Rudolf Beer ausgebildet, mußte nach verheißungsvollen Anfängen in Berlin 1933 in seine Heimatstadt zurückkehren. Ab November 1933 veranstaltete er mit Schauspielerkollegen, von denen er viele - wie Otto Waldis, Fritz Schrecker, Fritz Grünne - aus Berlin kannte, verschiedene Inszenierungen an wechselnden Spielorten, zunächst im Volksbildungshaus Urania, im Herbst 1934 in der Kleinkunstbühne REGENBOGEN und an anderen Bühnen. Bald nach der Premiere von Horväths Kasimir und Karoline - als einmaliges Gastspiel in der Komödie und sodann an den Kammerspielen ein Aufstieg aus der Szene der Theater für 49 - nannte sich die Schauspielerarbeitsgemeinschaft GRUPPE LÖNNER, wurde im Herbst 1935 kurz im 135

Hilde Haider-Pregler konzessionspflichtigen - Kleinen Theater in der Praterstraße seßhaft, wo vorher so wie nach Lönners Abgang die JÜDISCHE BÜHNE ihre Heimstatt hatte; hier wurde - in veränderter Besetzung - Horväths Volksstück neu aufgenommen. Ende Oktober 1936 eröffnete Lönner im Künstlerhaus mit seinem Avantgardetheater eine eigene Miniaturbühne. In der Eröffnungspremiere - Das Spiel von Don Quichote von Friedrich Lichtnecker und Dora Brandt - verzichtete Lönner auf die Guckkastenbühne und ordnete die imaginären Schauplätze rund um die Zuschauer an. Die geplante Uraufführung von Horväths Hin und her kam nicht mehr zustande. Das Avantgardetheater mußte nach wenigen Wochen resignieren. Die Pressemeldung über die Bankrotterklärung beleuchtet drastisch die Produktionsbedingungen an den Kleinbühnen: „Der Betrieb mußte sich als unrentabel erweisen, weil die Einnahmen aller 49 verfügbaren Sitzplätze des kleinen Theaters 165 S[chilling] betragen hätten, die Tagesspesen jedoch schon ohne Schauspielerentlohnung 150 S ausmachten. Die Künstler konnten also nicht auf ihre Rechnung kommen ..." (Österreichische Volkszeitung, 18. November 1936). Emigrantentheater: a) Walter Firners ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE

Der gebürtige Wiener Walter Firner, der sich nach Anfängen in Bonn dann in Berlin u. a. im Ensemble des Deutschen Staatstheaters - einen guten Namen gemacht hatte, kam im Sommer 1933 nach Österreich zurück. Dem damals 28jährigen Schauspieler, Regisseur und Dramatiker gelang es, mit der ÖSTERREICHISCHEN VOLKSBÜHNE auf hohem künstlerischem Niveau eine vorrangig aus Emigranten und unfreiwilligen Heimkehrern zusammengesetzte Schauspielertruppe zu organisieren. Noch heute betont der hochbetagte Walter Firner mit berechtigtem Stolz: „Wir waren ein echtes Emigrantentheater". 40 Gerade diese Tatsache nahmen die für die Theaterförderung verantwortlichen Instanzen zum Anlaß, dem ambitionierten Unternehmer mit fadenscheinigen Argumenten das Wasser abzugraben. Trotzdem konnte sich die ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE bis 1938 erfolgreich gegen die heimtückischen Verhinderungsstrategien behaupten. Für Firner selbst zählen im Rückblick die Leistungen seiner Truppe weit mehr als die bürokratischen Schikanen, die er generös bagatellisiert. Die Schauspielergemeinschaft, die sich am 6. Oktober 1933 mit einer literarischen Ausgrabung, nämlich Josef von Eichendorffs Lustspiel Die Freier, in einer Bearbeitung von Otto Zoff, in der Komödie vorstellte und im November als ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE konstituierte, wollte eine Lücke im Wiener Theaterleben schließen. Unter dem Motto „Theater zu Kinopreisen" sollten einem jungen Publikum an Nachmittagsterminen Klassiker-Inszenierungen angeboten werden: nicht in der Art der sattsam bekannten, lieblos heruntergespielten Schüler-Vorstellungen, sondern als sorgfältig vorbereitete Produktionen von hoher künstlerischer Qualität. Firner warb an den Wiener höheren Schulen für eine Besucherorganisation, die im Laufe der Spielzeit 1933/34 von 400 auf 2.000 Mitglieder anwuchs. 1 Die Presse reagierte fast durchweg positiv, so daß die erste Spielzeit recht vielversprechend verlief. Auf Die Freier folgte am 16. Dezember der Hamlet, dann wechselte das Ensemble nach Schließung der Komödie an die von 40

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In einem Gespräch mit der Verfasserin. Walter Fimer hat eine von ihm in mehreren Bänden zusammengestellte Materialien-Dokumentation über die ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE (Theaterzettel, Kritiken, Zeitungsartikel, Briefe, Szenenphotos) dem Österreichischen Theatermuseum übergeben. Vgl. Walter Firner: Zwei Jahre ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE. In: Fledermaus, 24. Mai 1935.

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Rudolf Beer geleitete Scala, wo bis Saisonschluß Don Carlos (10. Februar 1935), Die beiden Veroneser (28. April 1935) und Die Jungfrau von Orleans (2. Juni 1934) herauskamen, während man den Sophokleischen König Ödipus, von Heinz Liepmann neu übersetzt, im Volksbildungshaus Urania zeigte. Aus Pressemeldungen läßt sich ablesen, daß Walter Firner damals sehr wohl bemüht war, den Eindruck zu erwecken, in seinem Ensemble hätten sich durchweg Österreicher - Heimkehrer aus Deutschland zusammen mit begabten Anfängern und von der Theaterkrise betroffenen Schauspielern aus Wien - zusammengefunden, was nicht ganz den Tatsachen entsprach. Seine Frau Irma Carla Stein, Lothar Rewalt, Olga Fuchs, Inge Conradi, Franz Ortmayer, Rudolf Weiß und Egon Curth kamen jedenfalls direkt von reichsdeutschen Bühnen nach Wien. Die meisten Zeitungen honorierten die entpathetisierten, der Psychologie der Figuren nachspürenden, unkonventionell wirkenden Klassiker-Inszenierungen der Truppe. Ganz andere Töne schlugen hingegen die nationalsozialistisch infiltrierten Blätter an. Die Österreichische Abendzeitung setzte ihrer Kritik über die Jungfrau von Orleans (6. Juni 1934) folgende Einleitung voran: „Warum hält diese Schauspielergruppe daran fest, sich ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE zu nennen? Es ist eine Falschmeldung. Es ist weder eine .Volksbühne', noch weniger eine .österreichische*. (Die paar mehr oder weniger bodenständigen Wiener, die gelegentlich mitspielen dürfen, können die Bezeichnung nicht berechtigt machen.) Es ist deutlich gekennzeichnetes - Emigrantenensemble. Warum dieses Streben, unter falscher Flagge zu segeln? Ein ehrliches Bekenntnis würde es der Kritik bedeutend erleichtern, die fleißige und bemühte Arbeit dieser Schauspielertruppe wohlwollend anzuerkennen." Und so mündet die betuliches Wohlwollen heuchelnde Würdigung in den hinterfotzigen Schlußsatz: „Der Darsteller des englischen Herold jedoch schien unmittelbar aus Podjebrad zu kommen." Gemeint war Hugo Brady. Walter Firner machte selbstverständlich keinen Unterschied zwischen österreichischen Staatsbürgern und deutschen Emigranten. Ob wirklich alle an der ÖSTERREICHISCHEN VOLKSBÜHNE mitwirkenden Künstler über eine Arbeitsgenehmigung verfügten, dürfte nicht allzu genau kontrolliert worden sein. Firner jedenfalls versichert, er habe diesbezüglich niemals ernsthafte Probleme gehabt. Die Bühne für den Don Carlos und für den Ödipus entwarf der im April 1933 aus Berlin über Prag nach Wien geflüchtete Wolfgang Roth, der u. a. bereits mit Piscator und Brecht zusammengearbeitet hatte. Der junge, politisch engagierte Künstler war Mitglied der KPD und der Assoziation revolutionärer Bühnenbildner Deutschlands. Roth hat aus seiner Wiener Zeit recht ambivalente Erfahrungen im Ge "ichtnis behalten: einerseits deprimierte ihn das ausländerfeindliche Klima, andrerseits erlebte er dankbar die Solidarität eines großteils aus Emigranten und Rückkehrern bestehenden Freundeskreises. Seinen Erinnerungen nach hat Roth seinen Wiener Aufenthalt als U-Boot gefristet, der zunächst bei Freunden Unterschlupf fand, bis er sich dank einiger unterderhand vermittelter Arbeitsaufträge endlich ein illegal gemietetes Zimmer leisten konnte. In der Tat findet sich keine aktenkundliche Arbeitsgenehmigung über seine Beschäftigung in einem Architektenbüro, seine Ausstattung für Jerome Κ. Jeromes Stück Nicholas Snyder and His Soul an einer Kleinbühne, seine Mitarbeit an der Einrichtung des Nachtklubs RAKER oder sein Engagement bei der VOLKSBÜHNE. Andererseits ist er auf den Thea137

Hilde Haider-Pregler terzettein der ÖSTERREICHISCHEN VOLKSBÜHNE namentlich genannt. Der aus Berlin zugezogene „akademische Maler" ist auch vom 5. April 1933 bis zum 4. Juni 1934 ordnungsgemäß an drei Wohnadressen polizeilich gemeldet, ehe er von der Fremdenpolizei wegen angeblichen Widerstandes gegen das Dollfuß-Regime während der FebruarKämpfe ausgewiesen wurde. Walter Firner ließ, ungewöhnlich für die damalige Zeit, sogar eine Frau ans Regiepult. Mirjam Horwitz-Ziegel, die ihre Karriere als Schauspielerin in Wien begonnen hatte, inszenierte mit ihr bestens bekannten Schauspielern in der Bearbeitung ihres Gatten Shakespeares selten gespielte Komödie Die beiden Veroneser, den einstigen Serienerfolg an den von Ziegel geleiteten Hamburger Kammerspielen. Nach dieser erfolgreich abgeschlossenen ersten Spielzeit der ÖSTERREICHISCHEN VOLKSBÜHNE bemühte sich der mittlerweile verfassungsgemäß konstituierte Ständestaat um eine Institutionalisierung eines Theaters der Jugend, das einerseits als lebendige Illustration des Literaturunterrichts die Schüler mit der Welt der Klassik vertraut machen sollte und sich andererseits als Betätigungsfeld für engagementlose Theaterschaffende anbot. Statt jedoch ein neues Theater zu gründen, begnügte man sich damit, in Kooperation mit Wiener Bühnen und Ensembles als offizielle Organisation verschiedene Inszenierungen, die man für Jugendliche geeignet hielt, in ein Theater-der-Jugend-Abonnements- und Vertriebssystem aufzunehmen und den Schulen auf diese Art geförderte, gewissermaßen approbierte Schülervorstellungen zu vermitteln. Im Grunde bedeutete dies nichts anderes als eine Monopolisierung der bisherigen, genügend Spielraum für Privatinitiativen bietenden Praxis. Neben Walter Firners ÖSTERREICHISCHER VOLKSBÜHNE hatte nämlich auch ein von Stephan Wagner auf die Beine gestelltes THEATER DER SCHULEN mit höheren Wiener Lehranstalten kooperiert, nach dem Zeugnis von Oskar Maurus Fontana allerdings allzu geschäftstüchtig und künstlerisch weit unter dem Niveau des Firner-Ensembles (Der Tag, 15. Juli 1934). Unter dem Protektorat des Unterrichtsministeriums sollte nun der Ring österreichischer Bühnenkünstler unter Einbindung der neugeschaffenen Österreichischen Kunststelle die verantwortliche Oberaufsicht über das zu gründende Theater der Jugend führen, für dessen künstlerische Leitung in der Presse mehrere Namen gehandelt wurden, darunter selbstredend auch Firner, der in einem Grundsatzartikel in der Neuen Freien Presse vom 14. Juni 1934 von einem ausschließlich für die Jugend spielenden Repertoiretheater mit klassischem Spielplan in einem eigens dafür adaptierten Haus träumte und auf seine Berliner Erfahrungen als Leiter der Jugendvorstellungen des Katholischen Bühnenvolksbundes verwies. Das Unterrichtsministerium ließ es zunächst bei einem Kompromiß bewenden, wobei offenbar das Theater der Schulen - laut Wiener Journal (30. August 1934) hatte es für die kommende Spielzeit etwa 24 Darsteller, „ausschließlich Österreicher", engagiert - bevorzugt wurde, während die ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE ihre Nachmittagsvorstellungen in der Scala, eventuell auch im Deutschen Volkstheater, sowie ihre Abende in der Urania fortführen sollte. Als Vertrauensmann des Ringes österreichischer Bühnenkünstler fungierte Robert Valberg, der im März 1938 bei der Gleichschaltung des österreichischen Theaters eine unrühmliche führende Rolle spielen sollte. Organisatorisch beschloß man für das Theater der Jugend letztendlich die Konstruktion eines Vereins, der vom Unterrichtsministerium subventioniert und durch einen Aufsichtsrat kontrolliert wurde. Diesem gehörten neben dem im Unterrichtsministerium für Theateragenden zuständigen Hofrat Karl Wisoko der Vorsitzende des Vereins, Vertreter des Wiener und des nieder138

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österreichischen Stadtschulrates, die Volksbildungsreferenten für Wien und Niederösterreich, der Präsident der Österreichischen Kunststelle, ein Repräsentant des Ringes österreichischer Bühnenkünstler sowie Ex-Burgtheaterdirektor Herterich als künstlerischer Leiter des Theaters der Jugend an. Angesichts der Tatsache, daß das Ministerium derart „die Jugendtheateridee aufgriff und an sich nahm, ohne sie selbst in der versprochenen Weise zu verwirklichen" - so Walter Firner in der Fledermaus (24. Mai 1935) - , sah sich die ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE, in deren Leitung im Laufe der Saison Angelo Stimatz eintrat, zu einer Ausweitung ihres Programmes gezwungen, um auch andere Publikumsschichten anzusprechen: Zwar wurden Klassikeraufführungen beibehalten, u. a. Prinzessin Turandot von Gozzi und Medea von Euripides, das Hauptaugenmerk jedoch galt nun der Profilierung als literarische Studiobühne. In diesem Rahmen kam am 30. Dezember 1934 in der Urania eine von Walter Fimer und Peter Hammerschlag ins Wiener Milieu transponierte Bearbeitung des Berliner Volksstückes Robert und Bertram von Gustav Raeder heraus, bald darauf folgte als Matinee im Neuen Stadttheater in der Skodagasse die österreichische Erstaufführung von Renate Uhls Aufbruch der Jugend - in Deutschland war das Zeitstück um die Arbeitslosenproblematik unter dem Titel Hafenlegende gespielt worden - , und ab April bot sich wieder die Komödie als Spielraum an. Das „künstlerisch ausgezeichnete Avantgardetheater" gestaltete Lessings Jugendlustspiel Die Matrone von Ephesus unter dem Titel Die treulose Witwe zusammen mit einer Neubearbeitung des Reichtums von Aristophanes durch Heinz Lipmann geradezu zu einem „modernen Satirikerabend" (Arbeiter-Sonntag, 21. April 1935). Einhelliges Lob erntete die ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE kurz vor Saisonende für Walter Firners Inszenierung der Jugendtragödie Kind im Kampf. Nicht mehr klären läßt sich, welche Überlegungen Firner dazu veranlaßten, sein eigenes Werk unter dem Namen Ludwig Wegner herauszubringen - mit dem Hinweis, daß sich hinter diesem Pseudonym eine ungenannt bleiben wollende österreichische Schriftstellerin verberge. In der Rolle des halbwüchsigen Mädchens, das an der Scheidung seiner Eltern zugrunde geht, machte Ellen Schwanneke als „eine der sympathischsten und eigenartigsten jugendlichen Schauspielerinnen, die in den letzten Jahren für das Wiener Theater gewonnen wurde" (Wiener Journal, 23. Mai 1935), weit nachdrücklicher auf sich aufmerksam als in ihren vorangegangenen Auftritten an der Scala: „Und all diese und andere Begabungen, meist aus Deutschland kommend, sind jetzt künstlerisch heimatlos. Sie fügen zum Kind im Kampf noch die Zeittragödie .Schauspieler im Kampf'" (Neues Wiener Tagblatt, 26. Mai 1935). Walter Firner hat nach eigener Aussage Ellen Schwanneke später ein Affidavit für die USA verschafft. Im Lauf dieser Spielzeit trat Firner an einer Wiener Bühne auch namentlich als Dramatiker in Erscheinung. Am 26. Februar 1935 kam im Raimundtheater sein mit Jugendverbot belegtes, zusammen mit dem Rechtsanwalt Fritz Flandrak verfaßtes semidokumentarisches Schauspiel Hohes Gericht! über den mysteriösen Wiener Kriminalfall um den als Giftmörder verurteilten ehemaligen k.u.k. Offizier Adolf Hofrichter in der Regie von Josef Glücksmann zur Uraufführung. Im Oktober 1935 gründete Firner mit Josef Jarno-Niese, Sohn des legendären Wiener Theaterdirektors Josef Jarno und der Volksschauspielerin Hansi Niese, eine Interessengemeinschaft. Jarno-Niese trat als administrativer Leiter in die ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE ein. Derart konnte das Ensemble regelmäßig in Preßburg gastieren, da 139

Hilde Haider-Pregler Jarno-Niese für die dortigen deutschen Spieltage verantwortlich war; außerdem sah auch er in der Leitung des Theaters der Jugend eine reizvolle Aufgabe - übrigens mit ebenso wenig Erfolg wie Walter Firner. In dieser Saison nahm das verleumderische Kesseltreiben der kulturpolitischen Instanzen gegen Firner und seine Mitarbeiter bedenkliche Formen an, wovon die Betroffenen erst reichlich spät Kenntnis bekamen. Im Spätsommer 1935 fand im Unterrichtsministerium wieder einmal eine Sitzung „betr. Gründung eines Theaters der Jugend" statt, in deren Verlauf Firners Bewerbung mit den Behauptungen, er sei Jude, Marxist, Kommunist und Atheist, ad acta gelegt wurde. Das angeblich „ausführliche Protokoll" dieser Sitzung war schon im Jahr darauf unauffindbar. 42 Die ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE startete ihre nach wie vor sehr gut rezensierten Produktionen teils in der Komödie, teils in Preßburg. Firners Hofrichter-Stück blieb ebenso im Repertoire wie Kind im Kampf, neu hinzu kamen Firners Einrichtung der die Problematik einer Werkstudenten-Ehe beleuchtenden Komödie Jugend zu zweit von Caspar von Zobeltitz, Strindbergs Rausch, Schillers Kabale und Liebe, Robert E. Sherwoods von Irma Stein bearbeitete und von Heinrich B. Kranz übersetzte Komödie Palais Royal, Shakespeares Was ihr wollt und Gesellschaft von Galsworthy. Mittlerweile zeigte sich auch das Deutsche Theater in Brünn an Ensemblegastspielen interessiert. Die Spielzeit klang mit zwei vielbeachteten Uraufführungen aus. Walter Firner, als einstiger Chemie-Student mit der Materie vertraut, erhob in Pentagon I und II (Premiere am 4. April 1936 in der Komödie) couragiert Anklage gegen Wettrüsten, Kriegstreiberei und besonders gegen die Entwicklung eines chemischen Waffenpotentials. Während die österreichische Presse einschließlich der ultrakonservativen Reichspost den pazifistischen Grundtenor bejahte, aber nur mit diskreten Umschreibungen auf die Aktualität des Werkes verwies, konnte man am 7. April 1936 anläßlich eines Gastspiels im Brünner Tagesboten lesen: „Es beweist auch Mut und freie Meinungsäußerung des Publikums, bei anklagenden Worten gegen Aufrüstung und Kriegshetze minutenlang bei offener Szene zu applaudieren." In dieser Inszenierung debütierte Dinorah Preß, die noch unter Max Reinhardts Direktion am Deutschen Theater in Berlin neben Werner Krauß die Inken Peters gegeben hatte, im Ensemble der VOLKSBÜHNE. Auch die nächste Uraufführung, nämlich das Grz7//jarzer-Lebensbild von Piero Rismondo am 16. Mai 1936, war durchaus politisch akzentuiert. Rismondo, damals Kulturredakteur beim Echo, gab dem Stück den Untertitel „fünf Akte aus einem österreichischen Drama". Freilich ließ sich der Verzicht des österreichischen Dichters „auf lockende Anträge aus Weimar" ganz im Sinne der ständestaatlichen Ideologie aus der „Verbundenheit mit seinem Heimatboden" deuten, wie es die österreichische Presse überwiegend als Lesart vorschlug. Jenseits der Grenzen jedoch wies man in der Preßburger Zeitung vom 27. Mai 1936 offen auf gegenwartsbezogene Zwischentöne hin und konstatierte: „Österreicher sein heißt deutsch sein und etwas mehr." Während Firner im Juni 1936 mit Rudolf Jahn erfolgreich über eine die Selbständigkeit des Unternehmens im Hinblick auf Bundesländer- und Auslandstourneen nicht tangierende Eingliederung der ÖSTERREICHISCHEN VOLKSBÜHNE ins Deutsche Volkstheater als dessen literarisches Studio verhandelte, beschäftigte sich auch der Aufsichtsrat des Theaters der Jugend am 22. Juni 1936 in seiner Sitzung im Unterrichtsministerium mit einer weiteren Einbin42

Reorganisation des Theaters der Jugend. Archiv der Republik, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Akten des Bundesministeriums für Unterricht, ZI. 39866/36.

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Exilland Österreich dung des Deutschen Volkstheaters, aus dessen Repertoire man in der abgelaufenen Spielzeit mehrere Inszenierungen als Schülervorstellungen angeboten hatte. Eine Pressemeldung von Jahns Kooperation mit Firner ließ offenkundig die Diskussion um den unerwünschten Aspiranten wieder aufflammen. Das Protokoll verzeichnet lapidar: „Eine Verbindung mit der OESTERR. VOLKSBÜHNE (Walter Firner) ist abzulehnen."43 Firner, von wem auch immer von den nicht protokollierten Verleumdungen wenigstens teilweise informiert, ging am 29. Juli mit einem an den Aufsichtsrat gerichteten, dem Akt gleichfalls beigegebenen Schreiben in die Offensive. Eidesstattlich erklärte der als Kommunist Verdächtigte, niemals Mitglied einer politischen Partei gewesen zu sein und niemals ein „Theater der Gottlosen" geleitet zu haben; abschließend behielt er sich rechtliche Schritte gegen jene unbekannten Rufmörder vor, die nicht nur seine eigene, sondern auch die Existenz seiner Ensemblemitglieder gefährdeten. Eine Antwort blieb aus. Mittlerweile begann die ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE, die zunächst auch noch mit Josef Jarno-Niese verbunden blieb, ihre Tätigkeit am Deutschen Volkstheater mit der Uraufführung von Felix Saltens Kaisertochter (20. Oktober 1936), einem Stück über die mit Napoleon vermählte österreichische Erzherzogin Marie Louise. Mit Beginn dieser Studio-Inszenierungen verschwimmen die Grenzen zwischen dem Stamm-Ensemble des Volkstheaters und den Mitgliedern der VOLKSBÜHNE. Als nächste Aufgabe übertrug Jahn Walter Firner die als Vorstellung des Theaters der Jugend angesetzte Inszenierung von Grillparzers Märchenspiel Der Traum ein Leben. Nach der Premiere (24. Oktober 1936) geiferte das Wiener Montagblatt (9. November) unter dem Titel „Jugend in Gefahr! Sämtliche Theatervorstellungen für Kinder und Studenten in jüdischen Händen": „Armer Grillparzer! Arme studierende Jugend! Man hat für die Regie dieser Vorstellung niemanden anderen gefunden als einen Herrn Walter Firner, der eigentlich Finkler oder Finkelstein heißt, ein Rabbinersohn sein soll und den vor etwa drei Jahren die gewisse große Welle mit vielen anderen seiner Rassegenossen aus Berlin nach Wien geschwemmt hat." Ebenso gehässig werden Dinorah Preß, Kyser, Herbert Berghof und Leo Askin an den Pranger gestellt. „Nur in zwei kleineren Rollen dürfen einwandfrei arische Künstler mitwirken, offenbar als Renommierchristen." Im selben Stil wird dann noch über gleichfalls vom Theater der Jugend angebotene Märchenaufführungen in der Volksoper und im Theater an der Wien hergezogen: den Namen Marie Gutmann kenne man bereits aus sozialdemokratischen Jugendorganisationen und „Herr Knüpfer, recte Knöpfelmacher" sei gar ein Emigrant. Der anonyme Schreiber schließt im Namen „von tausenden Vätern und Müttern" mit der Aufforderung an die Unterrichtsbehörden, „unverzüglich nach dem Rechten zu sehen." Dieser Hetzartikel kam einigen Herren der zuständigen Behörden sicher nicht gänzlich ungelegen. Für den 18. November 1936 war eine Aufsichtsratssitzung zwecks Eingliederung des Theaters der Jugend in das Neue Leben einberufen. Hans Brecka, der Präsident der Österreichischen Kunststelle, hatte sich bereits am 26. Oktober 1936 in einem vertraulichen Brief an Ministerialrat Dr. Karl Wisoko beschwert, daß sich „schon wieder so ziemlich alle Menschen und Gruppen" im Theater der Jugend versammelt hät43

Protokoll im Archiv der Republik, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Akten des Bundesministeriums für Unterricht, ZI. 22046/36; der Presseausschnitt ist dem Akt als ausgewiesene Beilage beigegeben. Zur Eingliederung des „Theaters der Jugend" ins Vaterländische Front-Werk Neues Leben ab Herbst 1936 vgl. Horst Jarka: Fallstudie: Theater für eine .Jugend in Gefahr". In: Aufbruch und Untergang. Österreichische Kultur zwischen 1918 und 1938. Hrsg. von Franz Kadmoska. Wien 1981 S.579 - 586.

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ten, „die wir vor mehr als zwei Jahren durch die damalige ministerielle Verordnung, welche dem Theater der Jugend sein Monopol sicherte, ausschalten wollten" - insbesondere Firner und Knüpfer. Und Hofrat Dr. Hans Zwanzger, Vorsitzender des Vereines Theater der Jugend und Aufsichtsratsmitglied, schrieb am Erscheinungstage des Montag-Blattes ganz offiziell an den Präsidenten des Wiener Stadtschulrates: „Seit Wochen bemüht sich die unterzeichnete Leitung des Theaters der Jugend vergeblich, den jüdischen Einfluß auf ihre Aufführungen zurückzudämmen. In wiederholten Vorsprachen bei den Direktionen des Deutschen Volkstheaters, der Volksoper und beim Ring der Bühnenkünstler hat sie auf das Unrecht hingewiesen und dagegen protestiert, daß die bodenständigen Künstler zugunsten der jüdischen Emigranten zurückgesetzt werden. Sowohl in den Vorstellungen für Haupt- und Mittelschüler als auch in den Aufführungen der Kinderbühne sind die christlichen bodenständigen Künstler fast ganz ausgeschaltet. Das Deutsche Volkstheater läßt einzelne Stücke v o n d e r s o g e n a n n t e n ÖSTERREICHISCHEN VOLKSBÜHNE s p i e l e n , d i e v o n d e n H e r -

ren Jarno-Niese und Walter Firner geleitet wird und nur aus jüdischen Mitgliedern bestehen dürfte. Die Kinderbühne, die im Einvernehmen mit dem Unterrichtsministerium (Aufsichtsrat des Theaters der Jugend) vom Ring der Bühnenkünstler die fertig gestellten Stücke übernimmt, um auf diese Weise für arbeitslose Schauspieler Verdienstmöglichkeiten zu schaffen, sieht sich vor die vollendete Tatsache gestellt, daß vom Ring der Jude Kurmann als ausführendes Organ bestellt erscheint, der naturgemäß wieder nur jüdische Interessen vertritt, wie er es mit der Wahl der Spielleiterin Gutmann bewiesen hat. Der Umstand, daß das Theater der Jugend kein eigenes Haus besitzt, schafft selbstverständlicher Weise das bedauerliche Abhängigkeitsverhältnis von den in jüdischen Händen befindlichen Theatern bezw. von deren ausführenden jüdischen Organen. Der Artikel im Wiener Montagblatt vom 9. d. ist vielleicht nicht zuletzt auf unsere Vorstellungen bei verschiedenen maßgebenden Stellen zurückzuführen." Walter Firner selbst hatte mittlerweile gegen Hans Homma, den Präsidenten des Ringes österreichischer Bühnenkünstler, wegen Verbreitung der rufschädigenden Gerüchte eine Beleidigungsklage eingebracht und teilte dies Hofrat Wisoko am 11. November brieflich mit. 44 Auch Kurt Kaiser-Kyser ersuchte höflich und dringlich, derartigen Angriffen wie jenem im Montag-Blatt erschienenen künftig Einhalt zu gebieten 4 5 Beide Eingaben wurden in der streng vertraulichen, ausführlich protokollierten Sitzung vom 18. November behandelt. Kaiser-Kyser würdigte man nicht einmal einer Antwort, während im Fall Firner über die Taktik der Aufsichtsratsmitglieder debattiert wurde. Man einigte sich auf die Lösung, sich jedweder Beurteilung von Firners Richtigstellung zu enthalten, sondern ihm lapidar mitzuteilen, der Aufsichtsrat habe von seiner Erklärung Kenntnis genommen, daß er niemals einem Theater der Gottlosen angehört noch sich kommunistisch betätigt habe. Ein derartiger Brief wurde am 19. November von Wisoko abgefaßt. Mehr Kopfzerbrechen erforderte die vom Bezirksgericht in der Schiffsamtgasse geforderte Auskunft, ob und in welcher Weise Hans Homma - übrigens als Schauspieler des Deutschen Volkstheaters im selben Haus wie Firner tätig - die diskriminierenden Äußerungen getan habe. Homma selbst berichtete, daß in der ersten Verhandlung 44

45

Archiv der Republik, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Akten des Bundesministeriums für Unterricht, ZI. 38575/ 36. Ebenda, ZI. 38890; Kaiser-Kysers verzweifelter Bittbrief wurde mit der lapidaren Bemerkung abgelegt, er sei in der Sitzung vom 18. November dem Aufsichtsrat zur Kenntnis gebracht worden.

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Exilland Österreich „der Hauptzeuge umgefallen" sei, der Richter ihm aber dennoch wohl „guten Glauben" zubillige und er die eingeklagten Behauptungen wahrscheinlich in einer Aufsichtsratssitzung gehört und Josef Jarno-Niese aus Kollegialität weitererzählt habe. Homma bekam überdies Rückenstärkung vom Präsidenten der Österreichischen Kunststelle, daß er es doch nicht als kränkend empfinden würde, wegen Firner verurteilt zu werden. Peinlicherweise ließ sich weder das genaue Datum der angesprochenen Sitzung eruieren, geschweige denn war ein Protokoll aufzufinden. Wisoko bot daher dem Gericht seine Bereitschaft zur Zeugenaussage an. Der Ministerialrat hatte auch einen Textvorschlag parat: Es sei tatsächlich in einer Sitzung über „dieses Gerücht" gesprochen worden, doch dies hätte „keinen wesentlich bestimmenden Einfluß auf die Beziehung zwischen dem Theater der Jugend einerseits und Herrn Firner andrerseits" gehabt. Dies stimmte in der Tat. Hans Homma brachte es auf den Punkt: Für das Theater der Jugend war weder der Atheismus- noch der Kommunismusvorwurf relevant - beides konnte nach den Gesetzen des Ständestaats existenzvernichtend sein, auch wenn es sich laut Homma unter einer „anderen Regierung" zugetragen habe - , sondern eine ganz andere Tatsache: „Ich konnte nicht sagen, daß Herr Firner Jude sei und daher für uns nicht in Betracht kä«46

me. Die ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE wandte sich in der Folge völlig dem zeitgenössischen Drama zu und brachte bis Saisonschluß immerhin drei Uraufführungen: Am 5. Dezember 1936 kam Alexander Lernet-Holenias Komödie Frau des Potiphar als Nachtvorstellung heraus, am 25. März 1937 hatte Piero Rismondos Raimund, ein „Wiener Mysterium in fünf Akten", Premiere, und am 24. April stand das einen historischen Kriminalfall aus der französischen Geschichte aufgreifende Schauspiel Wer kämpft für Calas? von Hedwig Rossi auf dem Theaterzettel. Die wichtigste Inszenierung war aber gewiß die österreichische Erstaufführung von Seltsames Zwischenspiel von Eugene O'Neill, dessen Einverständnis für die aus urheberrechtlichen Gründen im letzten Moment beinahe verbotene Aufführung der Regisseur und Bearbeiter Walter Firner telegraphisch erbat und mit dem schlichten „Do it!" erhielt. Ihre letzte Spielzeit startete die ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE noch im Deutschen Volkstheater mit der Uraufführung von Walter Firners Mut zur Wahrheit, einem Schauspiel um journalistisches Berufsethos. Zur Neueröffnung der Komödie im Oktober 1937 unter der Direktion Ludwig Schurli inszenierte Fimer sein Konversationslustspiel Schule der Liebe, verbarg sich aber als Autor hinter dem Namen Hugo Heinz Körner (in den Hauptrollen Ernst Deutsch und Ellen Schwanneke). Dann nahm Direktor Ernst Lothar vom Theater in der Josefstadt die ÖSTERREICHISCHE VOLKSBÜHNE unter seine Fittiche und vertraute ihr in seinem Haus literarische Studio-Aufführungen an, in denen auch Ensemblemitglieder der Josefstadt auftraten. Zu Gerhart Hauptmanns 75. Geburtstag inszenierte Firner eine Nachtvorstellung von Hamlet in Wittenberg (27. November 1937) mit Herbert Berghof in der Titelrolle. Die Wiener Erstaufführung des Siegfried von Jean Giraudoux - am 15. Jänner 1938 in Anwesenheit des französischen Gesandten - wurde als Aufruf zur Völkerversöhnung und als Friedensappell aufgenommen; die Produktion, die auch in Preßburg gastierte, übersiedelte dann in die der Josefstadt angeschlossenen Kammerspiele in der Rotenturmstraße. Walter Firners Inszenierung von Das gerettete 46

Neunseitiges Sitzungsprotokoll mit Beilagen. Archiv der Republik, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Akten des Bundesministeriums für Unterricht, ZI. 39866/36. Die Eingliederung des „Theaters der Jugend" in das Vaterländische Front-Werk Neues Leben wurde vom Aufsichtsrat einstimmig begrüßt.

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Hilde Haider-Pregler Venedig von Hugo von Hofmannsthal (26. Februar 1938) sollte die Abschiedsvorstellung der ÖSTERREICHISCHEN VOLKSBÜHNE werden, wenn auch die Künstler die Zeichen der Zeit immer noch nicht wahrhaben wollten: Walter Firner stand Anfang 1938 kurz vor der Eröffnung einer eigenen Kleinbühne in der Annagasse im 1. Bezirk47, Anfang März wurde Ernst Lothars Vertrag als Direktor der Josefstadt auf weitere fünf Jahre verlängert, am 20. März meldeten die gleichgeschalteten Zeitungen triumphierend, Lothar sei zurückgetreten, Robert Valberg habe die kommissarische Leitung des Theaters übernommen. Am selben Tag emigrierte Emst Lothar mit seiner Tochter in die Schweiz. Österreichs Ende bedeutete auch das Ende der ÖSTERREICHISCHEN VOLKSBÜHNE. Für die Mitglieder des „Emigrantentheaters" war der neuerliche Weg in die Emigration die einzige Überlebenschance. Walter und Irma Firner konnten noch 1938 in die USA einreisen. 1946 kehrten sie nach Österreich zurück. b) Jüdisches Theater mit politischem Anspruch Künstlerisch verantwortungsbewußtes Theater, das sehr wohl zeitbedingte politische Anliegen zu artikulieren trachtete, wurde im Wiener jüdischen Kulturleben der dreißiger Jahre zu einem immer vorrangigeren Anliegen. Es ging dabei programmatisch sowohl um jüdisches Identitätsbewußtsein durch die Vermittlung jüdischer Literatur als auch um ernsthafte oder satirische Kritik an der Rassenideologie, um (historische) Pogrome, um Stellungnahme zur Judenverfolgung in NS-Deutschland sowie zur Situation der Emigranten. Trotz der restriktiven, latent antisemitischen Kulturpolitik des Ständestaats gibt es keine Zeugnisse darüber, daß die Behörden Schritte gegen die Realisierung dieser kulturellen, von der jüdischen Presse offen propagierten Aktivitäten unternommen hätten. Sucht man nach einer Erklärung für diese Akzeptanz eines oppositionellen Freiraums im scheinbaren Widerspruch zur offiziellen kulturpolitischen Linie, dann läßt sich in diesem Verhalten der Kontrollinstanzen nur auf den ersten Blick hin eine Parteinahme für die jüdischen Emigranten vermuten; viel wahrscheinlicher drückt sich darin die Fortsetzung der Dissimilierungsstrategien aus, die Politiker des Bürgerblocks - unter Ausklammerung sonstiger Antagonismen zwischen Christlich-Sozialen, AntiklerikalDeutschnationalen und Deutsch-Völkischen - während der Ersten Republik mehrfach forderten und gerne per Gesetz festgeschrieben hätten.48 ba) Leopold Jeßner und die jüdische Laienspielbewegung Unter dieser Perspektive wird auch begreiflich, warum sich die großen Wiener Bühnen das Engagement eines der stilprägenden Regisseure unseres Jahrhunderts, Leopold Jeßners, entgehen ließen. Zwar berichtete das Neue Wiener Journal am 10. August 1935, die Direktion des Deutschen Volkstheaters sei bemüht, den derzeit in London wirkenden Starregisseur für die deutschsprachige Erstaufführung der Gentlemen von Sidney Philipps - i.e. Hans Jose Rehfisch - mit Alfred Bassermann in der Hauptrolle zu verpflichten. Terminrücksichten auf Bassermann erforderten eine Umdisposition. Am 16. August kündigte Direktor Jahn der Presse eine Jeßner-Inszenierung der Braut von Messina an 47 48

Mitteilung von Frau Sylvia Stastny, aus den Recherchen zu ihrer Diplomarbeit über Walter Fimer. Vgl. Anton Staudinger: Katholischer Antisemitismus in der Ersten Republik. In: Eine zerstörte Kultur. Jüdisches Leben und Antisemitismus in Wien seit dem 19. Jahrhundert. Hrsg. von Gerhard Botz, Ivar Oxaal und Michael Pollak. Buchloe 1990. S. 247 - 270.

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Exilland Österreich und stellte in Aussicht, Tilla Durieux für die Rolle der Isabella aus Holland nach Wien zurückzuholen. Es blieb jedoch bei der Ankündigung. Der ehemalige Intendant des Berliner Staatstheaters kam erst eineinhalb Jahre später aus London nach Wien, zunächst nur auf Durchreise. Am 22. Februar 1937 referierte er unter dem Titel „Theater als Spiegelbild seiner Zeit" im Klubheim des Ringes der Altherrenverbände der zionistischen Verbindungen über seine Theaterarbeit in England und Palästina. Er verwies dabei auf einen - aus der Stabilität der gesellschaftlichen Verhältnisse und der „Saturiertheit des Landes" erklärbaren - „gewissen Konservativismus" des englischen Theaters, das stilistische Neuerungen nur zögernd annehme und gerade die Treppe für Shakespeare-Inszenierungen entdeckt habe. Um so enthusiastischer berichtete er von seinen Eindrücken in Palästina. „Nach Palästina kam Jeßner in den Tagen der großen Unruhen. Mit tiefer Ergriffenheit berichtete er von der großen Disziplin, die er überall fand, von dem Mut, mit dem die Bevölkerung ihrer Arbeit nachging, und von der großen Sehnsucht nach allem, was Kultur heißt, insbesondere aber nach dem Theater. Die Kolonisten, die den ganzen Tag schwer auf den Feldern arbeiteten, darunter ehemalige Rechtsanwälte und Ärzte, hatten in der Nacht Wachtdienst, da man immer Überfälle der Araber gewärtigen mußte. Dennoch kamen die Kolonisten zwischen der Beendigung ihrer Arbeit und dem Antritt ihrer Wache, müde und abgearbeitet, von weit und breit, um Jeßners Vorträge anzuhören." Jeßner charakterisierte daraufhin das Arbeitertheater Ohel und - als das eigentliche Nationaltheater - die Habimah, wo er den Kaufmann von Venedig und den Wilhelm Teil inszeniert hatte. „Nun sind auch Bestrebungen im Gange, eine Art von Nationaldrama zu schaffen, nicht vielleicht jenes Drama, das sich mit den Ereignissen der letzten Jahre beschäftigt, sondern eines, das der geschichtlichen Sendung Palästinas Rechnung trägt. An der Spitze dieser neuen Richtung marschiert Bistricki, der augenblicklich in Wien weilt und den Jeßner auch den Anwesenden vorstellte" (Wiener Zeitung, 23. Februar 1937; vgl. auch Neues Wiener Journal, 23. Februar 1937). In einem Interview mit Bruno Heilig, seinem „alten politischen Mentor" aus der Berliner Zeit, bekannte sich Jeßner zu seinem Engagement in der jüdischen Laienspielbewegung, die er „als unentbehrliches Instrument der Volkwerdung des Judentums" einschätzte; und so nannte er es als sein Ziel, diese „nationalen Spiele" mit Hilfe der zionistischen Instanzen von Jerusalem, der Jewish Agency, der Exekutive und der Fonds „besonders in der Diaspora" zu organisieren (Die Stimme, 2. März 1937). Von seinen künftigen Plänen verriet Leopold Jeßner nur soviel, daß er vorerst nach Warschau weiterzureisen gedenke. Wenige Tage später jedoch entschied sich der Sozialdemokrat Leopold Jeßner für den christlich-sozialen Ständestaat als nächste Exilstation: vom 4. März 1937 bis zum 15. März 1938 war er im ersten Bezirk, Michaelerplatz 1/1/16, d. h. in einer der im Komplex der Wiener Hofburg befindlichen Privatwohnungen, polizeilich gemeldet, ohne allerdings im Bereich der professionellen Theaterinstitutionen einen Wirkungskreis zu finden. Um so aktiver förderte er mit Unterstützung von Keren Kajemeth und des „Ringes der Zionistischen Alten Herren" die jüdische Laienspielbewegung auf Wiener Boden. Die Förderung einer solchen gemeinschaftsfördernden Spielkultur, die sich scharf von einem zum Amüsierbetrieb abgesunkenen Berufstheater und dem als gesellschaftliche Unterhaltung betriebenen gefälligen Dilettantentheater alten Stils abgrenzte, wurde als politisches Anliegen verstanden. Die Spiele, die sich den aktuellen Problemen 145

Hilde Haider-Pregler „Tragödie der Entwurzelung, Heimkehr zum Volkstum, Aufbau Erez Israels" - stellen sollten, wurden, obwohl die orthodoxe Lehre Theater und bildende Künste verwarf, als Weiterfuhrung der „alten Liturgie" propagiert: „Denn die Keime zu einem national-religiösen Drama sind in den Responsorien des synagogalen Gottesdienstes enthalten, der wieder den kirchlichen Gottesdienst und somit auch das mittelalterliche Laienspiel beeinflußt hat" (Die Stimme, 15. Juni 1937). Für eine stärkere Heranziehung von Laienspielern, „welche der Bühne einen Teil ihrer Kulturaufgaben abnehmen könnten", sprach sich Jeßner auch in einem im Juni in Wien gehaltenen Vortrag über das „Theater als Spiegelbild seiner Zeit" aus, in dem er in Ablehnung eines L'art-pour-l'art-Standpunkts das Theater von der Antike über die Shakespeare-Zeit hin zur deutschen Klassik, zu den Bestrebungen von Max Reinhardt und Otto Brahm sowie zu Stanislawski und den russischen Avantgarden in seiner historisch-gesellschaftlichen Prägung charakterisierte {Die Stimme, 11. Juni 1937). Am 22. Juni 1937 präsentierten jugendliche Amateure im Offenbach-Saal das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit mit dem Regisseur, der den Spieltext - ein Chorwerk von Malkah Locker - aus Palästina mitgebracht hatte.49 Eingeleitet wurde der Abend mit einer Rezitation von Margarete Bach, die den 91. Psalm und aus dem Propheten Ezechiel „Die Auferstehung der Gebeine" zu Gehör brachte. In der Stimme, dem Organ der österreichischen Zionisten, findet sich am 25. Juni eine eindrucksvolle Schilderung der Aufführung: „Das eigentliche Spiel begann mit einem Prolog, den Alfred Werner geschrieben hat. Er wurde von einem jungen Mädchen vorgetragen, das eine verheißungsvolle Probe der Begabung dieser Jugend gab. Dieses Mädchen stand, wie die Laienspieler alle, zum erstenmal auf einer richtigen Bühne. Das wußte man, aber angesehen hat man es ihr nicht. Mit absoluter Unbefangenheit sprach sie den Prolog, ihre sympathische Stimme ohne jedes Lampenfieber souverän beherrschend. In das Ende des Prologs klang dann der Chor hinein, Jerusalem ist das Thema des ersten Abschnitts des Werkes Palästinakalender von Malkah Locker, mit dem die Volksspiele debütiert haben. Die Herrlichkeit Jeruschalajima, die Sehnsucht des jüdischen Volkes nach seiner Stadt werden in dichterisch schönen Formen und mit leidenschaftlicher Glut ausgedrückt. Es folgten gesprochene Bilder aus dem heutigen Erez Israel. Die Arbeit, der Kampf, die Hoffnung und die Zuversicht des jüdischen Volkes auf seine Wiedererstehung finden einen Ausdruck, dessen Intensität sich spürbar von der Bühne auf die atemlos lauschende Masse der Zuschauer mitteilte. Achtzig Spieler standen auf der Bühne. Die Einzelrollen waren auf etwa zehn Spieler aufgeteilt. Sie haben alle ihre Aufgabe ausgezeichnet gelöst und Professor Jessner kann mit den Objekten, an denen er diesmal seine große Regiekunst erproben durfte, hochzufrieden sein. Sie haben sich als namenlose Spieler vorgestellt, darum mögen sie namenloses und kollektives, aber um so aufrichtigeres Lob zur Kenntnis nehmen. Die Musik, die das Spiel verständnisvoll begleitete, hatte Wilhelm Grätzer komponiert. Die musikalische Leitung der Aufführung lag in den Händen von Siegfried Hacker." Das .junge Mädchen' war niemand anderer als die damalige Gymnasiastin Mirjam Laserson, die sich danach für den Schauspielerberuf entschied, in Rudolf Beers Theaterschule aufgenommen wurde und noch im März 1938 in kleinen Rollen an der Scala auf49

In der von Hugo Fetting edierten Ausgabe der Schriften von Leopold Jeßner wird als Titel dieses Chorwerks Kalender des Jahres 1933 angegeben und die Wiener Aufführung mit 1936 datiert. Leopold Jessner: Schriften. Theater der Zwanziger Jahre. Hrsg. von Hugo Fetting. Berlin [DDR] 1979, S. 302, 326.

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trat. Miqam Laserson setzte - als Gattin von Benno Weiser - ihre Schauspielerkarriere im Exil fort und lebt heute in Boston. b b ) D a s JÜDISCHE KULTURTHEATER

Die jüdischen Volksbildungs- und Kulturinstitutionen schenkten in den dreißiger Jahren auch dem professionellen Theater verstärktes Augenmerk. Im September 1933 konstituierte sich eine Proponentengruppe, die den Verein .Jüdische Kunststelle" beim Wiener Magistrat anmeldete. Analog zu den anderen Kunststellen sollten zwar auch verbilligte Theater-, Konzert- und Ausstellungskarten vermittelt werden, die kulturpolitischen Ziele waren jedoch weiter gesteckt. Angestrebt wurde die Förderung jüdischer Künstler, insbesondere der aus Hitlerdeutschland vertriebenen, mit der Zukunftsperspektive, in Wien unter Einbeziehung von Persönlichkeiten der Literatur, Kunst, Musik und Wissenschaft ein Zentrum jüdischen Geisteslebens zu schaffen. Im Frühjahr 1934 wurde die Jüdische Kunststelle, die ihren Namen in einer außerordentlichen Generalversammlung unter dem Vorsitz von Oscar Teller am 27. März 1934 in „Jüdische Kulturstelle" umänderte, in die Dachorganisation der Österreichischen Kunststelle eingegliedert. Daß selbst jüdische Blätter die beabsichtigte, letztlich nicht zustande gekommene Schaffung eines Jüdischen Kulturbundes begrüßten, ohne die gefährliche Namensparallele zur gleichnamigen Organisation in NS-Deutschland zu problematisieren (Die Neue Welt, 16. März 1934), zeugt vom hoffnungsvollen Vertrauen in die erfolgreiche Zusammenarbeit „mit den staatlichen, städtischen und offiziell-jüdischen Stellen" (Jüdische Front, 15. Oktober 1934). Zu den politischen und sozialen Problemen der Juden in Österreich und Deutschland nahm zwischen 1927 und 1938 das von Dr. Oscar Teller ins Leben gerufene, ganz bewußt deutsch anstelle von jiddisch spielende JÜDISCH-POLITISCHE CABARET in scharfen und kritischen szenischen Revuen Stellung.50 Nach 1933 wurde das NS-Regime mit ätzendem Spott bedacht. Hinter dem Verfassernamen Viktor Berossi verbargen sich Oscar Teller, Viktor Schlesinger und Fritz Stöckler, die zuvor schon mit Heurigenliedern von Teller und Schlesinger als „Original Jüdisches Heurigen-Duo" vorgetragen - reüssiert hatten. Zu ihnen stießen noch Benno Weiser, Leopold Dickstein, Otto Presser, Dr. Kurt Riegelhaupt, Rosl Safir und als Komponist, Dichter und Klavierspieler Arthur Reichenbaum. Bei dieser Truppe, die kein eigenes Haus besaß und nur zum Wochenende spielte, handelte es sich jedoch um Laien, wenn auch mit durchaus professionellem Auftreten.51 Vor allem auf Initiative von Oscar Teller bemühte sich die Kulturstelle, die im August 1935 von der Aspernbrückengasse in der Leopoldstadt in besser ausgestattete Räumlichkeiten im ersten Bezirk am Franz-Josefs-Kai 3 übersiedeln konnte, um die Errichtung eines eigenen „Theaters im Geiste der Habimah" {Die Garbe, Nr. 21, Juli 1935). Dieses JÜDISCHE KULTURTHEATER war nicht als Konkurrenz zu den beiden damals noch bestehenden, in jiddischer Sprache spielenden Bühnen - der 1908 gegründet e n JÜDISCHEN BÜHNE u n d d e r 1 9 2 7 e r ö f f n e t e n JÜDISCHEN KÜNSTLERSPIELE i n d e r P r a -

terstraße - gedacht, da man schon in den Vorankündigungen darauf hinwies, daß ein 50

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Davids Witz-Schleuder. Jüdisch-Politisches Cabaret. SO Jahre Kleinkunstbühnen in Wien, Berlin, London, New York, Warschau und Tel-Aviv. Auswahl u. Einführung von Oscar Teller. Darmstadt 1982. Vgl. Brigitte Dalinger: Jüdisches Theater in Wien. Magisterarb., Wien 1991, S. 148 ff.

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Hilde Haider-Pregler spezifisch jüdisches Repertoire mit besonderer Betonung von Übersetzungen der ostjüdischen Dramatik von einem erstklassigen Ensemble in deutscher Sprache dargeboten werden sollte, um vor allem dem assimilierten, des Jiddischen nicht mächtigen Bürgertum die von ihm oftmals unterschätzte jüdische Theatertradition nahezubringen. „Es wird - abseits vom Betrieb des Geschäftstheaters - und klar unterschieden vom Ghettotheater im mißgünstigsten Sinn dieses Wortes - in deutscher Sprache von dem Reichtum und der Vielfalt jüdischer Dichtung Zeugnis ablegen, die auch in Zeiten materieller Bedrängnis nicht verstummt. Der moderne Autor soll ebenso zu Wort kommen, wie die großen, bereits klassisch gewordenen Dichter des Ostjudentums, die unverdientermaßen der Welt des Westens bis nun nicht genügend zugänglich gemacht wurden" (Die Garbe, Nr. 26, Dez. 1935). Für das neue, für 49 Zuschauer zugelassene Theater wurde der Keller im Haus der Kulturstelle mit liebevoller Sorgfalt zur „wohl schönsten Kleinbühne Wiens" (Oscar Teller) ausgestaltet. Als künstlerischen Direktor gewann man mit E. Jubal, der neben dieser neuen Aufgabe auch die Leitung seines THEATERS FÜR 49 beibehielt, den geistigen Vater dieser nicht konzessionspflichtigen Kleinbühnen. Die Eröffnung fand am 11. Dezember 1935 mit einem von Ina Mare gesprochenen Prolog von Uriel Birnbaum und Ossip Dymows Drama Höre Israel! statt. Daß sich die Wahl dieser Pogrom-Tragödie aus dem zaristischen Rußland als mahnende Warnung lesen ließ, registrierte der Kritiker des Wiener Tages mit bemerkenswerter Offenheit: „Ossip Dymows jüdische Tragödie ist bekannt. Aber sie ist, heute, gerade mit Hinblick auf die Verfolgungen im Dritten Reich, von einer schmerzlichen Aktualität" (5. Dezember 1935). Die hohe künstlerische Qualität des JÜDISCHEN KULTURTHEATERS, insbesondere der Regieleistungen E. Jubais, wurde auch von nichtjüdischen Wiener Blättern nicht nur bei der Eröffnungsvorstellung, sondern ebenso bei so gut wie allen weiteren Inszenierungen immer wieder hervorgehoben. Die erste Spielzeit brachte an weiteren Premieren Anton Slonimskis satirische Komödie Lopes Erbschaft, danach das als Welturaufführung angekündigte, von Siegfried Schmitz aus dem Jiddischen übertragene chassidische Spiel Die goldene Kette von Jizchak Leib Perez. Am 21. April 1936 erschien mit dem dreiaktigen Schauspiel Die Grenze ein Zeitstück über einen „achtzehnjährigen Mischling, der sein Judsein entdeckt und in der Mühle des Hasses zermalmt wird" (Die Garbe, Nr. 35, 15. April 1936), auf dem Spielplan. Der Untertitel - „ein Schicksal aus 600.000" - macht deutlich bewußt, daß die private Tragödie des Gymnasiasten Hans-Jochen Leist stellvertretend für die unzähligen Familientragödien steht, die sich tagtäglich in NS-Deutschland ereignen. Ein Schauspieler und eine Schauspielerin erläutern in einem Vorspiel symbolhaft das Anliegen des Werkes. Eine inhumane Rassenpolitik hat zwischen den Menschen eine willkürliche Grenze aufgerichtet. Angeklagt sind aber nicht nur die Grenzwächter, sondern „die ganze lebendige Welt, die den Wahnsinn sieht, erlebt, duldet und schweigt und schweigt und schweigt -". Wie ein „Hammerschlag" soll das „Schicksalsspiel" die Menschen aufrütteln, die Grenze, „die herrisch-gottloser Haß aufgerichtet hat", niederzureißen und die „goldene Brücke" der Liebe neu aufzubauen. Auf dem Theaterzettel wurde das Stück zwei dänischen Schriftstellern namens Morten Cederlund und Niels Dalberg zugeschrieben. Für die Übersetzung zeichnete Albert Ganzert, auch er ein Unbekannter. Es war allerdings ein offenes Geheimnis, daß man es mit einem Tarnungsmanöver zu tun hatte und daß man mit keiner Übersetzung, sondern 148

Exilland Österreich mit dem Original eines deutschen Emigranten konfrontiert wurde, der seine Identität geheimhalten mußte. Bei der Drucklegung im Wiener Verlag Gsur & Co. deklarierte sich dann der angebliche Übersetzer als alleiniger Autor, allerdings unter Beibehaltung seines Pseudonyms Albert Ganzert. Dahinter verbarg sich der aus der Bukowina gebürtige Awrum Albert Haibert, der nach einem Studium an deutschen Universitäten bis 1933 in Deutschland als Schriftsteller und Journalist gewirkt hatte und danach als Emigrant in der Schweiz lebte. Dem vergessenen Exildrama, das in aufrüttelnder Weise zwar nicht zum politisch definierten, doch zum allgemein menschlichen Widerstand gegen die nationalsozialistischen „Rassegesetze" aufruft, kommt trotz gewisser dramaturgischer Schwächen in der österreichischen Theaterlandschaft ein ganz besonderer Stellenwert zu, da die austrofaschistische Kulturpolitik die Rezeption der international beachteten Exildramatik verwehrte: Friedrich Wolfs Professor Mamlock stand als Werk eines Marxisten im Ständestaat von vornherein auf der Verbotsliste, und auch an Ferdinand Bruckners Rassen wagte sich keine österreichische Bühne heran. Walter Steiners Inszenierung der Grenze bescherte dem JÜDISCHEN KULTURTHEATER ausverkaufte Häuser, erlebte mehr als 200 Reprisen und wurde überdies auf Gastspielen in Paris, Amsterdam (Juni 1936) und Litauen (Juni 1937) gezeigt. Den Auftakt zur nächsten Spielzeit gab neuerlich Ossip Dymow, diesmal mit dem märchenhaft-poetischen Spiel Der Sänger seiner Trauer. Am 24. November 1936 wurde mit dem Chanukkah-Spiel Das Lied vom Licht ein weiteres Werk von Albert Ganzert uraufgeführt, im Dezember kam Scholem Alejchems bewährte, nicht nur an jiddischen Bühnen erfolgreiche Verwechslungsgroteske Schwer zu sein ein lud in der deutschen Übersetzung und Bearbeitung von Jakob Rosenthal heraus. Mit Ignatz Waghalters Oper Purim, die der Komponist selbst leitete, wagte sich die Kleinbühne sogar erfolgreich an eine Musiktheaterproduktion heran. Auf die im Possentempo abschnurrende Komödie Sonkin und der Haupttreffer von Semen Juschkewitsch folgte zum Abschluß der Saison noch Lion Feuchtwangers Jud Süß in der Bearbeitung von Ashley Dukes. Die Leitung des JÜDISCHEN KULTURTHEATERS konnte auch mit dem Verlauf der zweiten Spielzeit mehr als zufrieden sein. Die Kritik würdigte übereinstimmend das hohe Niveau der Aufführungen, und der Publikumszustrom hielt ungebrochen an, so daß man von Seiten der Kulturstelle sogar nach einem größeren Haus Ausschau hielt und für die Saison 1937/38 ein noch reichhaltigeres Programm ankündigte. Die ehrgeizigen Pläne konnten jedoch nur teilweise verwirklicht werden. Im März 1938 wüteten Schlägertrupps im Haus am Franz-Josefs-Kai 3, verwüsteten die Räume der Kulturstelle und demolierten das Theater. Begonnen hatte die letzte Spielzeit des JÜDISCHEN KULTURTHEATERS mit einem künstlerischen Paukenschlag. Sammy Gronemann, ehemals Rechtsanwalt in Berlin, nun höchster Richter des Parteigerichtes der zionistischen Weltorganisation, reiste eigens aus Palästina nach Wien, um der deutschsprachigen Erstaufführung seiner Komödie Jakob und Christian beizuwohnen. Diese „vielleicht geistreichste Komödie, die je über das weltumfassende Problem der Rassen geschrieben wurde" (Das Echo, 21. Oktober 1937), handelte von zwei bei der Geburt vertauschten Kindern: „[...] welcher ist nun der Jude, welcher der Arier? Generaldirektor Christian Stockebrand, der sich aus dem Nichts emporgearbeitet hat und Wortführer der Antisemitenpartei ist? Sein Milchbruder 149

Hilde Haider-Pregler Jakob Jakubowitz, der seine Riesenerbschaft verflattern ließ?" (Die Garbe, Nr. 59, 15. Oktober 1937) Mit der im 19. Jahrhundert nicht nur am Wiener Burgtheater vielgespielten Tragödie Uriel Acosta von Karl Gutzkow erschien zum Jahreswechsel 1937/38 erstmals das Werk eines nichtjüdischen Autors im Repertoire des Kulturtheaters. Im Jänner lachte man noch über Scholem Alejchems Komödie Das große Los, und auch die letzte Inszenierung war einer Komödienausgrabung gewidmet: Henri Bernsteins Der Jude Justin Gottlieb in der Übersetzung von Rudolf Lothar dürfte nach der Premiere nur eine einzige Reprise, und zwar am 11. März 1938, erlebt haben. Das wegen seines besonders qualitätvollen Ensembles immer wieder gerühmte JÜDISCHE KULTURTHEATER scheute sich nicht, sich offen als Emigrantentheater zu deklarieren: „Da sind die Schauspieler: starke Begabungen, prächtige Menschen - aber sie kommen vom deutschen, zum Teil sogar vom reichsdeutschen Theater (eine Fremdheit mehr!) und mußten sich in ein Bühnenmilieu einleben, das ihnen weit, weit befremdlicher war als selbst - ein chinesisches Stück [...]. Sie mußten dazu gebracht werden, den jüdischen Menschen in sich zu entdecken, um ihn spielen zu können" (Die Stimme, 9. Oktober 1936). Oscar Teller erinnert sich: „Es war Emigrantentheater im besten Sinn des Wortes. Aus dem Reich strömten - 1935 - vertriebene Schauspieler in großer Zahl nach Wien; man hatte daher für ernste Vorhaben nicht die geringste Schwierigkeit, höchstes Darstellerniveau zu erreichen."52 Obwohl das Ensemble des JÜDISCHEN KULTURTHEATERS relativ stabil war, lassen sich immerhin 64 Personen auflisten, die - zum Teil auch in die übrige Wiener Theaterszene verstrickt - an dieser Kleinbühne wirkten.53 Der bereits von Walter Firners ÖSTERREICHISCHER VOLKSBÜHNE bekannte Rudolf Weiß war als Schauspieler und Regisseur eine unentbehrliche Stütze des Unternehmens, Hans Karl Magnus (Pseudonym für Rosenberg) kam gleichfalls aus Berlin, Fritz Links hatte an Emil Geyers Neuer Wiener Bühne begonnen und später an deutschen Bühnen gespielt, der immer wieder gelobte Rudolf Müller war niemand anderer als Martin Miller, im Damenensemble stachen vor allem Alice Koch, eine gebürtige Budapesterin, und - als Wien-Debütantin - die von der Kritik mit der Werbezirk verglichene Jula Benedek hervor. Mit dem „Anschluß" Österreichs im März 1938 wurde das Wiener jüdische Theater, das sich seit der Jahrhundertwende in verschiedenen Ausprägungen entwickelt hatte, mit einem Schlag vernichtet und geriet auch in der theaterhistorischen Forschung beinahe in Vergessenheit. Erst in jüngster Zeit konnten dank der mühevollen und akribischen Recherchen von Brigitte Dalinger die weithin verstreuten Quellen über die Wiener jüdischen Bühnen aufgespürt werden.54 Neben dem JÜDISCHEN KULTURTHEATER und dem JÜDISCH-POLITISCHEN CABARET gab es bekanntlich bis 1938 noch Vorstellungen jiddisch sprechender Truppen in der JÜDISCHEN BÜHNE und in den JÜDISCHEN KÜNSTLERSPIELEN, WO noch im Februar 1 9 3 8 52 53 54

Teller, a.a.O., S. 288. Mayer, a.a.O., Materialienband. Dalinger, 1991, a.a.O.; Brigitte Dalinger: Zwischen Brody und Brooklyn. Jiddisches Theater in Wien. Ästhetik, Ökonomie und Soziologie einer Theaterform. Diss., Wien 1995. Brigitte Dalinger hat ein weiterführendes, vom Fonds für Wissenschaft und Forschung ermöglichtes Projekt über das Jiddische Theater abgeschlossen; die Ergebnisse sollen 1998 im Wiener Picus-Verlag erscheinen.

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Exilland Österreich nach langen Vorverhandlungen ein Gastspiel der Habimah stattfand.55 Die aus Eingaben ersichtliche Hoffnung der Direktoren, die jiddischen Bühnen analog zum Theater des Jüdischen Kulturbundes in NS-Deutschland weiterführen zu können, erfüllte sich in Wien nicht.56 Nur ein Teil der an diesen Bühnen tätigen Künstler fand einen Weg ins Exil. Von einigen weiß man, daß sie der Shoah zum Opfer fielen. Über das Schicksal von vielen gibt es keinerlei Hinweise mehr. Finale 1938 Österreich fungierte zwar nur wenige Jahre als „Asylland wider Willen". Trotzdem kommt ihm in der Exilforschung nicht, wie bisher angenommen, bloß marginale Bedeutung zu. Die Dollfuß- und Schuschnigg-Diktatur bot freilich keinen Raum für ein antifaschistisches Exiltheater. Die restriktive Flüchtlings- und Ausländerpolitik sowie der offiziell nicht eingestandene, aber um so prononciertere Antisemitismus der ständestaatlichen Kulturpolitiker standen der Gründung eines Emigrantentheaters entgegen57, das sich offen als solches deklariert hätte. Dennoch konstituierten sich mit Walter Firners ÖSTERREICHISCHER VOLKSBÜHNE, die aus taktischen Gründen nicht als Exiltruppe, sondern als österreichisches Schauspielerkollektiv wahrgenommen werden wollte, und dem JÜDISCHEN KULTURTHEATER zwei Emigrantenensembles. Das KULTURTHEATER bekannte sich öffentlich dazu, und die Behörden tolerierten es, da das Programm dieser Kleinbühne der von christlich-sozialer Seite seit jeher propagierten Dissimilierungspolitik Vorschub zu leisten schien, sprach doch das JÜDISCHE KULTURTHEATER vorrangig ein jüdisches Publikum an, mit dem Ziel, dem assimilierten und akkulturierten Wiener Judentum seine jüdische Identität bewußtzumachen. Nicht unterschätzt werden darf die Zahl jener jüdischen Theaterschaffenden, die als Emigranten im österreichischen Kulturleben Fuß faßten oder vergeblich Fuß zu fassen versuchten. Nicht nur in künstlerischer Hinsicht waren ihre Chancen in Wien weit höher als an den Bühnen der Landeshauptstädte, wo offener „Theater-Antisemitismus" herrschte (Die Stimme, 4. Juni 1937); das kurze Engagement der jungen Grete Mosheim am Klagenfurter Stadttheater (1933) blieb ein Ausnahmefall. Verläßliche Zahlen über die aus rassistischen Gründen nach Österreich emigrierten Künstler liegen nicht vor, waren doch die Pässe vor 1938 noch nicht mit dem berüchtigten „J" gestempelt. Da Menschen im austrofaschistischen Österreich nicht nach den „Nürnberger Gesetzen" eingestuft wurden, schien auch der Anteil jüdischer Künstler unter den österreichischen Theaterschaffenden den Angaben des Ringes österreichischer Bühnenkünstler zufolge nicht einmal zwei Prozent auszumachen; dies betraf vor dem „Anschluß" selbstverständlich nichts anderes als das Bekenntnis zum mosaischen Glauben. Die Zahl von Künstlern jüdischer Herkunft war ungleich höher. Welch unwiederbringlichen, tiefgreifenden Verlust das österreichische Theater durch die gnadenlose „Arisierung" erlitt, zeigte sich bereits im März 1938. 55

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Vgl. Hilde Haider-Pregler: Exilland Östeneich? In: Exiltheater und Exildramatik 1933-1945. Maintal 1991, S. 29 f. (= Exil, Sonderband 2). Neue Quellenfunde verweisen darauf, daß sich auch in Wien ein Jüdischer Kulturbund konstituierte, dessen Aktivitäten und Wirkungsbereich bisher noch nicht erforscht wurden. Mitteilung von Brigitte Dalinger. Vgl. Hilde Haider-Pregler: Ausgrenzungen. Auswirkungen antisemitischer Tendenzen in der Kulturpolitik auf das österreichische Theater von der Jahrhundertwende bis 1938. In: Theatralia Judaica. Emanzipation und Antisemitismus als Momente der Theatergeschichte. Hrsg. von Hans-Peter Bayerdörfer. Bd. 1: Von der LessingZeit bis zur Shoah. Tübingen 1992 (= Theatron, Bd. 7).

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Hilde Haider-Pregler An fast allen Bühnen wurden die Direktoren unverzüglich ausgewechselt. Schon am 12. März 1938, also noch vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Wien, wurde der sogar nach Meinung der NS-Vertrauensleute „politisch vollkommen neutral[e] und farblos[e]" Burgtheaterdirektor Hermann Röbbeling abgesetzt und in vorauseilendem Gehorsam durch den „verdienten NSDAP-Funktionär" Mirko Jelusich ersetzt.58 Nicht weniger eilfertig drängten die nationalsozialistischen Ensemblemitglieder auf die gleichzeitige „Beurlaubung" ihrer wenigen jüdischen Kollegen59, deren Bezüge mit 30. April eingestellt wurden, während man sich für „Mischlinge" und „Versippte" - vor allem wohl unter dem Gesichtspunkt der „Nützlichkeitsüberlegungen" - um Sondergenehmigungen bemühte. 60 Im Theater in der Josefstadt übernahm Robert Valberg, trotz seiner führenden Position im Ring österreichischer Bühnenkünstler längst illegales NSMitglied, am 20. März 1938 die kommissarische Leitung, nachdem er, unterstützt von Erik Frey und Robert Horky, dem amtierenden Direktor Ernst Lothar zwar höflich, aber um so dezidierter die Tür gewiesen hatte. Schon am 18. März versicherte Valberg dem Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart, das Theater werde zu Monatsende „100 % arisiert" sein.61 Dies betraf zahlreiche Ensemblemitglieder, darunter Hans Jaray, Lilly Darvas, Ernst Deutsch, Adrienne Gessner, Daisy Solms, Albert und Else Bassermann u. a.m. Der mit dem Schuschnigg-Regime fraglos sympathisierende Ernst Lothar bemühte sich, wie Briefe in seinem Nachlaß dokumentieren, aus seinem temporären Exil in der Schweiz vergeblich um die Weiterführung seines Theaters, dessen Direktion im Herbst 1938 dem Berliner Heinz Hilpert, vormals Mitarbeiter von Max Reinhardt, übertragen wurde. Mit Ausnahme der wenigen Parteimitglieder bemühte man sich an der Josefstadt um Distanz zur nationalsozialistischen (Kunst-)Ideologie und fand auch während der Kriegsjahre Möglichkeiten, den Kontakt mit emigrierten Kollegen und Kolleginnen aufrechtzuerhalten.62 Im Deutschen Volkstheater konnte der bewährte Opportunist Rolf Jahn auch nach den Märztagen noch im Amt bleiben, während das Ensemble drastisch dezimiert wurde. Mit Spielzeitbeginn zog jedoch der Rheinländer Walter Bruno Iltz in die Direktionskanzlei des künftig „Kraft durch Freude" spendenden Theaters ein. Trotzdem gab es Schauspieler und Regisseure, die sich von ihren linientreuen Kollegen abgrenzten und in manchen Inszenierungen deutlich entschlüsselbare Zeichen gegen den Ungeist der Zeit setzten - und Iltz besaß genug Zivilcourage, diesen inneren Widerstand 58

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Vgl. Oliver Rathkolb: Führertreu und gottbegnadet. Künstlereliten im Dritten Reich. Wien 1991, S. 152 ff. Diese eigenmächtige Entscheidung fand nicht die Zustimmung von Joseph Goebbels, so daß Jelusich, obwohl lupenreiner Parteigenosse, bereits im Sommer 1938 die kommissarische Leitung an Ulrich Bettac - ebenso wie Fred Hennings, Eduard Volters und Richard Eybner ein überzeugter Nationalsozialist des BurgtheaterEnsembles - abgeben mußte, bis schließlich am 8. Mai 1939 Lothar Müthel als dem Propagandaministerium genehmer Direktor sein Amt antreten konnte. Betroffen waren überwiegend die in Chargenrollen eingesetzten Schauspieler Lilly Karoly, Fritz Strassny, Fritz Blum, Hans Wengraf, der Dramaturg Friedrich Rosenthal und die Chormitglieder Jakob Wolf und Adolf Zombor. Else Wohlgemuth, verehelichte Gräfin Thun, gefeierte klassische Tragödin und Salondame, wurde als italienische Staatsbürgerin mit vollen Bezügen beurlaubt. Elisabeth Ortner-Kallina zum Beispiel, nach der damals geltenden Diktion „halbjüdisch", wurde im Gegensatz zu Lilly Stepanek und Lisa Thenen weiter beschäftigt. Vgl. Angela Eder: Das Theater in der Josefstadt. Manuskript. Kopie im Besitz der Verf. (Erscheint voraussichtlich 1998). Vgl. Hilde Haider-Pregler: Willkommene Heimkehrer? Zur Rezeption des Schweizer Exiltheaters in Österreich. Ausgangspunkt Schweiz. Nachwirkungen des Exiltheaters. Hrsg. von Christian Jauslin und Louis Naef. Willisau 1989 (= Schweizer Theateijahrbuch, Bd. 50).

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Exilland Österreich nicht nur zu tolerieren, sondern Künstler wie Günther Haenel, Judith Holzmeister, Dorothea Neff oder Inge Konradi vor Denunzianten zu schützen.63 Eine „KdF"-Bühne wurde auch aus dem Raimundtheater, um dessen Übernahme sich bereits in den letzten Monaten der Schuschnigg-Ära eine Organisation nationalsozialistischer Künstler aus dem Kreis um Bruno Brehm und Mirko Jelusich - allerdings erfolglos - bemüht hatte. 64 Im Theater an der Wien sorgte nach dem demütigenden Hinauswurf von Arthur Hellmer ein ehemaliger Chorsänger namens Georg Ringhofer im März 1938 als kommissarischer Leiter für gründliche „Arisierung". Aus der Scala wurde ein Ufa-Lichtspieltheater. Die Kleinbühnen wurden sofort nach dem Einmarsch der deutschen Truppen liquidiert, im Falle des JÜDISCHEN KULTURTHEATERS mit brutaler Gewalt. Nur der politisch unauffällige Leon Epp erhielt nach einigen Wochen den Auftrag, die INSEL am Parkring - ohne die jüdischen Ensemblemitglieder - wieder zu eröffnen; doch am 18. Juni 1938 fand auch hier die letzte Vorstellung statt. Daneben überlebte noch die KLEINE BÜHNE in der Josefstadt, die eine streng katholische, der austrofaschistischen Kulturideologie genehme Linie verfolgt hatte, mit einem von den Nationalsozialisten akzeptierbaren Spielplan die politische Wende um einige Monate. Kein Pardon gab es für die Kabaretts, die alle unverzüglich mit Spielverbot belegt wurden. An den prominenten jüdischen Kabarettisten sollten besonders grausame Exempel statuiert werden. Wer sich nicht rechtzeitig retten konnte, wurde inhaftiert und mit den ersten Transporten nach Dachau und Buchenwald deportiert. Als einziges vom SS-Regime toleriertes Kabarett nahm im Jänner 1939 das im Rahmen des Möglichen widerborstige WIENER WERKEL mit einigen ehemaligen Mitgliedern der LITERATUR AM NASCHMARKT unter dem parteitreuen Direktor Adolf Müller-Reitzner den Spielbetrieb auf. Auf den Kulturseiten erschienen täglich neue Berichte über die erfolgreiche „Säuberung" des „vequdeten" Wiener Theaters. Wie viele Bühnenkünstler - Exilanten, Österreicher oder „halbe" Emigranten - aus dem „Asylland wider Willen" verjagt oder in den Konzentrationslagern ermordet wurden, läßt sich bis heute nicht genau feststellen. Schließt man neben Schauspielern, Regisseuren, Dramaturgen, Autoren, Bühnen- und Kostümbildnern auch Sänger, Musiker und die in Varietes und Unterhaltungsetablissements Tätigen mit ein, müssen es weit über tausend gewesen sein. Nur wenige von ihnen sind nach 1945 wiedergekommen. Das wiedererstandene Österreich, das, überzeugt von seiner Märtyrerrolle als Hitlerdeutschlands erstes Opfer, noch lange die Augen vor jeder Mittäterschaft verschloß, machte ihnen die Heimkehr nicht leicht. Die offiziellen Stellen verabsäumten es, Einladungen zur Rückkehr auszusprechen. So rasant die bürokratische Maschinerie im Frühjahr 1938 funktioniert hatte, so schleppend setzte sie sich in der Nachkriegszeit für die finanzielle Wiedergutmachung in Gang. Im Theater hatte die hohle Pathetik der nationalsozialistischen Ästhetik unübersehbare Spuren hinterlassen. Berthold Viertel konstatierte, als er 1948 von seinem Schwager Josef Gielen ans Burgtheater geholt wurde, voll Entsetzen einen prolongierten „Reichskanzleistil", gegen den er und Leopold Lindtberg energisch ankämpften. Die Vorstellungen, die man im vierfach besetzten Wien vom Wiederaufbau des österreichischen Thea63

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Vgl. Evelyn Schreiner: Direktion W. B. Iltz. Zwischen Linientreue und stillem Protest. In: 100 Jahre Volkstheater [Wien], a.a.O., S. 116 ff. Vgl. Edda Fuhrich: „Schauen Sie sich doch in Wien um! Was ist von dieser Theaterstadt Übriggeblieben?" Zur Situation der großen Wiener Privattheater. - In: Verspielte Zeit. Österreichisches Theater der dreißiger Jahre. Hrsg. von Hilde Haider-Pregler und Beate Reiterer. Wien 1997, S. 120 ff.

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Hilde Haider-Pregler ters hatte, stimmten nur in Ausnahmefällen mit jenen Plänen überein, die im Exil für einen Neuaufbau des österreichischen Kulturlebens ausgearbeitet worden waren.65 Eine Gruppe engagierter Künstler erkämpfte sich zwar das Neue Theater in der Scala, wo das in der Schweizer Emigration von Karl Paryla, Wolfgang Heinz, Emil Stöhr und Hortense Raky entwickelte Konzept einer kollektiv geführten ÖSTERREICHISCHEN VOLKSBÜHNE realisiert werden sollte. Doch das 1948 eröffnete, in der sowjetischen Besatzungszone gelegene Theater geriet trotz seines ausgewogenen Spielplans und darstellerischer Höchstleistungen wegen der KP-Nähe seiner Protagonisten als erratischer Block in der österreichischen Theaterlandschaft in die vorderste Schußlinie des Kalten Krieges und mußte mangels Unterstützung durch die österreichische Kulturpolitik 1956 trotz internationaler Proteste resignieren. Leon und Elisabeth Epp, die ihr in der kleinen INSEL am Parkring begonnenes Programm eines Theaters der Dichtung nach 1945 auf einer größeren INSEL in den Räumen der ehemaligen Komödie Wiederaufnahmen, standen sechs Jahre später vor dem finanziellen Ruin; Leon Epp konnte jedoch in der Folge als Direktor des Volkstheaters, das sich nach 1945 nicht mehr „Deutsches" nannte, von 1952 bis 1968 mit viel Zivilcourage die Bühne zur moralischen Anstalt machen, die sich sowohl der unmittelbaren Vergangenheit als auch der Gegenwart stellte. Das neue Aufleben der Kellertheater, die oftmals als Ersatz für die nach 1945 nicht mehr existierenden deutschsprachigen „Provinzbühnen" in den ehemaligen Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie angesehen wurden, basiert auf völlig anderen Voraussetzungen als die ehemaligen Theater für 49. Unwiderbringlich vernichtet war die jüdische Theaterkultur. Das Vakuum, das durch die Vertreibung und Ermordung der jüdischen Künstler und ihres Publikums entstanden war, zeigte sich - trotz der Rückkehr von Karl Farkas - besonders deutlich im Kabarett und in der Unterhaltungskultur. Man kann nicht sagen, daß sich das österreichische Theater den Pflichtübungen zur sogenannten Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit entzogen hätte. Die eigene Mitschuld an dieser Vergangenheit wurde dabei freilich verdrängt. Auf der Suche nach einer österreichischen Identität blieb die Auseinandersetzung mit der austrofaschistischen Vergangenheit langhin auf der Strecke. Literatur Österreichische Literatur der Dreißiger Jahre. Hrsg. von Klaus Amann u. Albert Berger. Wien/Köln/Graz 1985. Jürgen Doll: Le theatre politique dans l'Autriche de l'entre-deux-guerres. De l'agit-prop social-ddmocrate au theatre dialectique de Jura Soyfer. Lille 1993 (deutsch: Theater im Roten Wien. Vom sozialdemokratischen Agitprop zum dialektischen Theater Jura Soyfers. Wien/Köln/Weimar 1997). Verspielte Zeit. Österreichisches Theater der dreißiger Jahre. Hrsg. von Hilde HaiderPregler u. Beate Reiterer. Wien 1997. Horst Jarka: Jura Soyfer. Leben, Werk, Zeit. Wien 1987. Außruch und Untergang. Österreichische Kultur zwischen 1918 und 1938. Hrsg. von Franz Kadrnoska. Wien/München/Zürich 1981. 65

Dramaturgie der Demokratie. Theaterkonzeptionen des österreichischen Exils. Hrsg. von Peter Roessler und Konstantin Kaiser. Wien 1986.

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Exilland Österreich

Dramaturgie der Demokratie. Theaterkonzeptionen des österreichischen Exils. Hrsg. von Peter Roessler u. Konstantin Kaiser. Wien u.a. 1986. Austrofaschismus. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934 - 1938. Hrsg. von Emmerich Tälos und Wolfgang Neugebauer. 4. erw. Aufl., Wien 1988. Archive, Bibliotheken Österreichisches Staatsarchiv: Archiv der Republik, Allgemeines Verwaltungsarchiv Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands Österreichisches Theatermuseum Wiener Stadt- und Landesarchiv Handschriftensammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek

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Hansjörg Schneider

Exiltheater in der Tschechoslowakei In ihren Erinnerungen Eine Tür steht offen beschreibt Tilla Durieux ihren Weggang aus Deutschland so: „Die Vorstellung schloß um einviertel vor elf, um elf ging der Zug über Dresden nach Prag [...]. Ich fand ihn voll besetzt von flüchtenden Personen, darunter viele bekannte Namen: die Direktoren Bernauer und Meinhard, die seit Jahren eines der großen Theater leiteten, den feinen Essayisten Polgar, den Chefredakteur des Berliner Tageblattes, Theodor Wolff, prominente Rechtsanwälte, Schriftsteller und Maler ,.."1 Und Georg Zivier, der Biograph von Ernst Deutsch, berichtet, daß am 1. April, dem Tag des Judenboykotts, auch Ernst Deutsch mit seiner Frau und Alexander Moissi die deutsche Grenze Richtung Prag passierten.2 Seit Ende Februar 1933 ergoß sich in die Tschechoslowakei ein Strom von Flüchtlingen. Die wenigsten kamen wie eingangs geschildert. Viele, vor allem aus Arbeiterkreisen, konnten, wie es in einem Aufruf der Liga für Menschenrechte in der CSR hieß, „nichts als das nackte Leben zu uns herüber retten" (Prager Tagblatt, 1. März 1933). Ohne Geld und ohne Ausweispapiere blieb ihnen nur der Weg über die sogenannte ,grüne Grenze'. Die Tschechoslowakei gehörte für die Verfolgten und Bedrohten zu den bevorzugten Asylländern. Abgesehen davon, daß dieser Nachbarstaat am schnellsten zu erreichen war, ein Visumzwang nicht bestand und sich der Grenzübergang auch ohne Legitimationsnachweis oder mittels eines Passierscheins im .Kleinen Grenzverkehr' ermöglichen ließ, abgesehen auch von verwandtschaftlichen, beruflichen und freundschaftlichen Kontakten, bedeutete die Zuflucht in dieses Land für viele keinen Schritt in die Fremde. Schon gar nicht für die Bühnenkünstler, die Böhmen als Theaterprovinz und beliebtes Gastspielterrain kannten. In der CSR existierte eine starke deutsche Minderheit von 3,2 Millionen (22 Prozent der Gesamtbevölkerung), es erschienen deutschsprachige Zeitungen und Bücher, es gab deutsche Schulen, Theater, Verlage, Kinos und andere kulturelle Einrichtungen. Die Flüchtlinge sahen sich also keineswegs von einer ihnen vertrauten Umgebung abgeschnitten. Außerdem galt die CSR weithin als demokratisches Land mit Männern wie T. G. Masaryk und Edvard Benes an der Spitze, die in der Tradition des bürgerlichen Liberalismus standen, selbst die Emigration kennengelernt hatten und große Wertschätzung in der Welt genossen. „Von allen europäischen Völkern", konstatiert Klaus Mann, „waren es die Tschechen, die damals am mutigsten und am klarsten eben die Ideale und Überlieferungen repräsentierten, die in Deutschland mit Füßen getreten wurden."3 Die Zahl der in die Tschechoslowakei geflohenen Bühnenkünstler wird allgemein auf 250 Personen geschätzt, unter ihnen tschechoslowakische Staatsbürger, die bislang in Deutschland gewirkt hatten und nun in ihre Heimat zurückzukehren gezwungen waren. 1 2

3

Tilla Durieux: Eine Tür steht offen. Erinnerungen. Berlin [DDR] 1965, S. 261. Georg Zivier: Ernst Deutsch und das deutsche Theater. Fünf Jahrzehnte deutscher Theatergeschichte. Der Lebensweg eines großen Schauspielers. Berlin [West] 1964, S. 63. Klaus Mann: Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht. München 1969, S. 324.

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Hansjörg Schneider Für einen Teil der Theater-Emigranten bedeutete der Aufenthalt in der CSR ein Durchgangsstadium, bis sie anderswo ein Unterkommen gefunden hatten. Für die Mehrzahl der Vertriebenen aber wurde die CSR zur ersten Station ihres Exils. „Helft den Opfern Hitlers!" Die Flüchtlinge konnten sich bald davon überzeugen, daß ihnen die übergroße Mehrheit der Bevölkerung der CSR Verständnis und Sympathie entgegenbrachte und sich von den Ereignissen in ihrem Nachbarland, die auch ihre eignen Landsleute nicht verschonten, beunruhigt und bestürzt zeigte. Bereits im Februar 1933 war die tschechische Sopranistin Jarmila Novotnä, Partnerin von Richard Tauber in der Operette Frühlingsstürme von Jaromir Weinberger im Berliner Admiralspalast, heftigen Angriffen ausgesetzt, und im Juni wurden an der Lindenoper die Verträge der tschechoslowakischen Künstler nicht mehr verlängert. Hugo Steiner-Prag, Professor an der Akademie für graphische Kunst und Buchgewerbe in Leipzig und dort seit 25 Jahren auch künstlerischer Beirat der Städtischen Bühnen, verlor seinen Lehrstuhl, und Julius Gellner, Oberspielleiter und Direktionsstellvertreter der Münchner Kammerspiele, seine Anstellung. Zu Entlassungen und Amtsenthebungen kamen Verhaftungen, wie die der Journalisten Walter Tschuppik und Egon Erwin Kisch. Die Hitlerregierung hatte sich mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" und dem „Gesetz über die Errichtung einer vorläufigen Filmkammer" vom Juli 1933 ein Instrumentarium geschaffen, mit dessen Hilfe nicht nur „rassisch und politisch Belastete", sondern auch Künstler nichtdeutscher Staatsbürgerschaft ausgeschaltet werden konnten. Und wo beide Gesetze nicht vollauf griffen, ließ sich mit der preußischen Ausländerpolizeiverordnung von 1932 eine „mißliebige Person" ausweisen, wie im Falle Kischs geschehen. Abscheu und Empörung herrschten im böhmischen Nachbarland über das terroristische Vorgehen gegen Juden und Andersdenkende, die Inhaftierung bekannter Schriftsteller wie Renn, Mühsam, Ossietzky, den Hinauswurf hochgeschätzter Persönlichkeiten aus der preußischen Dichterakademie. Die Vertreibung von Fritz Busch vom Pult der Dresdner Staatsoper meldete das Prager Tagblatt auf der ersten Seite. Als Goebbels am 10. Mai 1933 das berüchtigte Autodafe veranstalten ließ, in dessen Flammen auch die Werke von Max Brod, Jaroslav Hasek und Ivan Olbracht aufgingen, erklärte der tschechische Dichter Josef Hora: „Wir sind erfüllt von Ekel über dieses Bubenstück des Dritten Reiches und protestieren mit der ganzen gebildeten Welt." 4 In der Tschechoslowakei entstand eine breite und keinesfalls auf die Arbeiterparteien oder jüdische Kreise begrenzte Solidaritätsbewegung mit den Opfern des Faschismus, die wesentlich mitgetragen wurde von namhaften Vertretern des tschechischen Geisteslebens wie den Schriftstellern Karel Capek, Vladislav Vancura, Frantisek Langer, Ivan Olbracht, Viteslav Nezval, Marie Majerovä, Julius Fucik, den Hochschullehrern Otokar Fischer und F. X. Saida, Juristen, bildenden Künstlern und Theaterleuten. Sie initiierten in der Prager Stadtbibliothek eine Sammelstelle für die in Deutschland verbotene Literatur, forderten in Schreiben an die Deutsche Gesandtschaft die Freilassung der inhaftierten deutschen Schriftsteller, gründeten ein Komitee zur Rettung Carl von Ossietzkys und arbeiteten in Ausschüssen zur Befreiung Ernst Thälmanns und der des Reichstagsbrands Angeklagten 4

Zitiert in: Exil und Asyl. Antifaschistische deutsche Literatur in der Tschechoslowakei 1933 - 1938. Berlin [DDR] 1981, S. 52.

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Exiltheater in der Tschechoslowakei

mit. Von ihnen wurde auch der Vorschlag an den Präsidenten der Republik herangetragen, zugunsten Ossietzkys auf den Friedensnobelpreis 1935 zu verzichten. Sie förderten die Entstehung von Exilzeitschriften oder gründeten, wie der Literaturhistoriker F. X. Saida, ein Flüchtlingskomitee, das vorzugsweise Unke Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler unterstützte. Bereits am 1. März 1933 war der Zentralausschuß der Liga für Menschenrechte in der Tschechoslowakischen Republik mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit getreten, in dem es hieß: „Helft den Opfern Hitlers! Die Wahnsinnstat der Brandstiftung im Reichstag, die offiziell und unkontrollierbar Kommunisten zugeschrieben wird, hat die Gewalten der Reaktion aufs höchste entfesselt. Die Kerker Deutschlands füllen sich mit den Opfern Hitlerscher Proskriptionslisten [...]. Gegen dieses blinde Wüten der Gewalt mit Worten zu protestieren, wäre nutzlos. Aber den Opfern der Gewalt, soweit diese in unserem Lande Zuflucht suchen, zu helfen, muß die Aufgabe nicht nur aller freiheitlich denkenden, sondern auch aller menschlich fühlenden Männer und Frauen in unserer demokratischen Republik sein" (Prager Tagblatt, 1. März 1933). Neben dem Flüchtlingskomitee der Liga für Menschenrechte und dem Saida-Komitee entstanden weitere Hilfswerke von jüdischer, sozialdemokratischer und kommunistischer Seite. Hilfeleistungen erfuhren die Flüchtlinge auch von Privatpersonen durch kostenlose ärztliche Behandlung und Nutzung von Probe- und Trainingsräumen, Vermittlung von Auftritten, Herstellung von Kontakten. Der Dichter Viteslav Nezval stellte die mit seinem Staatspreis verbundene Dotierung den Emigranten zur Verfügung. Der Hilfsbereitschaft waren allerdings staatlicherseits Grenzen gesetzt, wenn es sich um Arbeitsgenehmigungen handelte. Die wurden - nach einem 1928 erlassenen Gesetz zum Schutze des heimischen Arbeitsmarktes - Ausländern nur dann erteilt, wenn für eine freie Stelle oder bestimmte Arbeit eine gleichwertige inländische Kraft nicht zur Verfügung stand. Das begünstigte die Flüchtlinge mit tschechoslowakischer Staatsbürgerschaft, für deren vorrangige Unterbringung sich der „Bühnenbund in der Tschechoslowakischen Republik", die deutsche Schauspielergewerkschaft des Landes sowie die von den Remigranten geschaffenen „Schutzverbände" einsetzten. Auf diese Weise fanden - um drei Beispiele zu nennen - ein Unterkommen - in Teplitz-Schönau: Charlotte Küter, Paul Lewitt (beide bisher Frankfurt a. M.) und der junge Regisseur Eduard Rothe, der sein Engagement in Bremen wegen seiner tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft aufgeben mußte; - in Troppau, wo von 1934 bis 1937 Dr. Georg Terramare (bisher Oberspielleiter am Hamburger Schauspielhaus) die Direktion innehatte: Grete Bäck (Volksbühne Berlin), Elisabeth Fothy (Frankfurt a. M.), Rolf Döring (Metropoltheater Berlin); - in Brünn: Carl Meinhard, Friedrich Richter (Rosenthal) (TRUPPE IM WESTEN, Düsseldorf), Raoul Alster (Mannheim), Hermine Sterler (Rose Theater Berlin), Herbert Brunar (Rundfunk Breslau), Emil Reißner (Zwickau). Freilich bot auch die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft keine Gewähr für eine Festanstellung. Nach Angaben des Verbandes der tschechoslowakischen Schauspieler (Svaz ceskoslovenskeho herectva) waren 1930 bereits 600 tschechische Bühnenschaffende arbeitslos5, eine Zahl, die sich in den folgenden Jahren erhöht und einen ähnlichen 5

Schreiben des Svaz ceskoslovenskeho herectva vom 30.4.1930 an die Genossenschaft Deutscher BühnenAngehöriger (Original im Besitz der Akademie der Künste, Exil-Archiv).

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Hansjörg Schneider Umfang auch auf deutscher Seite erreicht haben dürfte. Für Lilli Molnär, in Berlin eine bekannte und gesuchte Chargenspielerin, fand sich kein Fest-Engagement, sondern nur eine fallweise Beschäftigung am Neuen Deutschen Theater und am tschechischen OsVOBOZENE DIVADLO v o n V o s k o v e c u n d W e r i c h , d e m BEFREITEN THEATER. Ä h n l i c h la-

gen die Dinge bei Ferdinand Hart vom Berliner Staatstheater. Er, der seine Laufbahn am Prager Deutschen Theater begonnen hatte, Tschechoslowake war, auf eine Karriere in Deutschland verweisen konnte, spielte bis zu seinem Tod 1937 fast ausschließlich an tschechischen Bühnen. Eine solche .Konvertierung' gelang allerdings nur den Doppelsprachlern unter den Darstellern. - Für die Schauspieler mit deutschem Paß bestanden nur geringe Chancen einer Festanstellung. Sie blieben, wollten sie sich betätigen, auf das Patronat einer inländischen Körperschaft oder Vereinigung angewiesen wie: Liga für Menschenrechte, Linksfront (Leva fronta), Verband der Freunde der Sowjetunion (Svaz pratel SSSR), Bert-Brecht-Klub, einer 1934 entstandenen Vereinigung von emigrierten und Deutschprager Schriftstellern, der sozialdemokratischen Bildungszentrale, des kommunistischen Arbeiterlaientheaterbundes DDOC (Svaz delnickych divadelnych ochotnikü ceskoslovenskych) und dessen deutschsprachiger Schwesterorganisation „Volksbühnenbund". Übereinstimmend ist von allen CSR-Emigranten bestätigt worden, daß sie ohne diese solidarische Hilfe nicht hätten wirksam werden können. Das bezieht sich gleichermaßen auf die literarische Emigration, die eine besondere Ausstrahlung gewann und die CSR zu einem wichtigen Zentrum des freien Wortes werden ließ.

„Es wird unser Stolz sein ..." Im November 1933 erklärte Außenminister Benes: „Es wird in der Zukunft unser Stolz sein, wie es seit Jahrzehnten und Jahrhunderten der Stolz Englands, Amerikas, Frankreichs und der Schweiz ist, daß wir politischen Flüchtlingen ein Asyl gewährt haben. Es ist dies nicht nur eine Selbstverständlichkeit für einen Staat, der unter Umständen entstanden ist wie die Tschechoslowakei, an dessen Entstehung unsere Emigration einen großen Anteil hat. Es geht dies auch hervor aus der ganzen politischen und rechtlichen Struktur unseres Staates" (Prager Tagblatt, 9. November 1933). So eindeutig wie in dieser Erklärung stellte sich die offizielle Flüchtlingspolitik der CSR in der Praxis freilich nicht dar. Sie war während der sechs Jahre nicht konstant, konnte es angesichts der geographischen Lage des Landes und seiner Umklammerung durch Hitlerdeutschland nicht sein, und schwankte je nach der außen- und innenpolitischen Situation zwischen Großzügigkeit, Duldung und Restriktion. Auch erfuhren die einzelnen Gruppen der Emigranten eine unterschiedliche Behandlung. Während wohlhabende jüdische Emigranten, die sich vielfach in den nordböhmischen Bädern niedergelassen hatten, von Behelligungen völlig verschont blieben, hatten politische Emigranten diese zu gewärtigen. Während namhafte Vertreter der deutschen Literatur die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erhielten (neben Heinrich Mann auch Thomas Mann und Klaus Mann), wurden kommunistische Arbeiter observiert oder als Flüchtlinge nicht aufgenommen, und während man die antifaschistische Tätigkeit bekannter Schrift160

Exiltheater in der T s c h e c h o s l o w a k e i

steller und Journalisten tolerierte, konnte sie Mitglieder von Exilparteien in große Schwierigkeiten bringen. Die Unterschiedlichkeit in der Haltung gegenüber den Emigranten widerspiegelte die konträren Strömungen in der tschechoslowakischen Regierung und der sie tragenden Parteien. Der sogenannte ,Burgflügel' u m Präsident Masaryk und Dr. Benes stand, wie die Mehrheit der Bevölkerung, den Flüchtlingen wohlwollend gegenüber und konzedierte den Vertriebenen auch das Recht, „ihren eigenen politischen Standpunkt zu vertreten und Kritik an den Verhältnissen ihres Heimatlandes zu üben", wie es der stellvertretende Außenminister Dr. Krofta dem deutschen Gesandten gegenüber formulierte.6 Auf Ablehnung bis Feindseligkeit stießen die Flüchtlinge bei den Kräften in den bürgerlichen Parteien, meist zum rechten Flügel gehörend, die eine Übereinkunft, wenn nicht gar Annäherung an Hitlerdeutschland anstrebten. Sie betrachteten die Flüchtlinge als lästige Zuwanderer, deren Anwesenheit diese Absichten störte, das diplomatische Verhältnis zum deutschen Nachbarn unnötig belastete und stets zu neuen Spannungen führte. Von den Zeitungen dieser Parteien wurden die Emigranten immer wieder attackiert, was nicht ohne Einfluß blieb auf das Vorgehen des Innenministeriums, dem in der aus Sozialisten und Bürgerlichen bestehenden Koalitionsregierung ein Vertreter der konservativen Republikanischen Partei, der Agrarier, vorstand und dessen Vorgehen vielfach der Flüchtlingspolitik des ,Burgflügels' zuwiderlief. Wiederholt kam es in den ersten Jahren nach 1933 durch diese Behörde zu Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für Emigranten, Überwachungen, Quartierdurchsuchungen, Verhaftungen, Ausweisungen, auch Auslieferungen, wogegen die demokratische Presse und Öffentlichkeit heftig protestierte und schließlich den uneingeschränkten Schutz der Vertriebenen erzwang. Übergriffen dieser Art waren die Theaterleute nicht ausgesetzt. Es ist auch kein Fall bekannt, wo eine Aufenthaltsbewilligung verweigert wurde oder es zu Abschiebungen kam. Verlangt wurde allerdings, sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Gastlandes einzumischen und die öffentliche Ruhe, Sicherheit oder Ordnung des Staates nicht zu gefährden, wie immer man diese Formulierungen interpretierte und auslegte. Aber auch Verletzungen oder Verstöße wurden geflissentlich übersehen und nicht geahndet. Hoffnung auf Prag Die meisten Theater-Emigranten konzentrierten sich, sofern sie nicht ein Unterkommen an einem deutschen Theater in Böhmen oder Mähren fanden, in Prag, wo noch am ehesten Beschäftigungsmöglichkeiten durch Funk, Film, Rezitationstätigkeit bestanden und wo es das Neue Deutsche Theater (NDT) gab, auf das sich die Hoffnungen vieler Flüchtlinge richteten. Wie die Direktionsbüros anderer deutscher Theater wurde durch den Ansturm der aus Deutschland Vertriebenen auch das NDT mit Anfragen und Bewerbungen überschwemmt, selbst von prominenten Künstlern, die Prag sonst allenfalls für Gastspiele in Erwägung gezogen hätten. Renommierte Dirigenten, Sänger, Regisseure, Schauspieler rissen sich um eine Beschäftigungsmöglichkeit an diesem Haus, das nun als eine freie Bühne außerhalb des deutschen Reichsgebiets eine Bedeutung erlangte, die es vor 1933 nicht besaß. 6

Bericht der Deutschen Gesandtschaft Prag vom 17. 6. 1933 an das Auswärtige Amt Berlin (betr. „Die reichsdeutsche Emigration in der Tschechoslowakei"), Bundesarchiv Berlin, R. M. d. I. 25 782, Blatt 277 f.

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Hansjörg Schneider Das Neue Deutsche Theater Prag, die größte deutschsprachige Bühne in der Tschechoslowakei, galt nach Tradition und Selbstverständnis als kultureller Mittelpunkt der in Prag ansässigen deutschen Bevölkerung. Seinen guten Ruf hatte in der k.u.k. Monarchie Angelo Neumann begründet, dessen Nachfolger ihn zu wahren suchten. Mit Prag verband sich eine vorbildliche Mozartpflege, die Durchsetzung der Werke Richard Wagners, das Wirken bedeutender Dirigenten, das Auftreten des deutschen Theaterexpressionismus. Auch nach der Gründung des tschechoslowakischen Staates blieb Prag ein wichtiges Bindeglied zwischen dem österreichischen und dem deutschen Theaterleben, war nach wie vor Sprungbrett und beliebte Gastspielstadt. Viele 1933 aus Deutschland vertriebene Künstler waren bereits in den zwanziger Jahren hier aufgetreten: Albert und Else Bassermann, Tilla Durieux, Max Pallenberg, Curt Bois sowie Alexander Moissi und Ernst Deutsch, die beide vor dem Ersten Weltkrieg in Prag begonnen hatten. Auch Wiener und Berliner Novitäten fanden rasch den Weg ins Repertoire der Prager deutschen Bühne; von 1927 bis 1932 allein zwanzig: Stücke von Brecht, Feuchtwanger, Ferdinand Bruckner, Leonhard Frank, Hans J. Rehfisch, Zuckmayer, Alsberg u.a. 1932 wurde Dr. Paul Eger zum Direktor des Neuen Deutschen Theaters berufen. Eger, Schweizer Staatsbürger, der am Prager Deutschen Theater vor 1918 als Dramaturg und Regisseur wichtige künstlerische Erfahrungen gesammelt hatte, dann Leiter des Hamburger Schauspielhauses und der „Berliner Festspiele" gewesen war, verstand es als versierter Theatermann innerhalb kürzester Zeit, das „nahezu erloschene Theaterinteresse der Prager neu zu beleben" (Max Brod im Prager Tagblatt, 30. Juni 1933). Unter seiner Direktion gewann das NDT in der Oper, der hauptsächlich seine Aufmerksamkeit galt, ein Profil, das - abgesehen von Wien - seinesgleichen im deutschen Theaterraum außerhalb des Hitlerstaates bis 1938 suchen konnte. Ein leistungsstarkes Sängerensemble, profilierte Dirigenten (Georg Szell, Fritz Zweig) gestatteten einen anspruchsvollen Spielplan, der auch Ur- und Erstaufführungen berücksichtigte (Katerina Ismailowa von Schostakowitsch, Karl V. von Ernst Krenek, Jakobsfahrt von Fidelio F. Finke, Hansens Königreich von Otakar Ostreil). Hatte Eger mit Renato Mordo aus Darmstadt 1932 einen erfahrenen Regisseur gewonnen (Mordo fungierte als Spielleiter der Oper, inszenierte aber auch Schauspiel und Revue), gelang ihm das ein Jahr später ebenfalls mit Julius Gellner, der als Remigrant in seine Heimatstadt zurückkehrte. Gellner hatte als Schauspieler begonnen, war über Würzburg und Düsseldorf an die Münchner Kammerspiele gekommen, dort zum Oberspielleiter aufgestiegen, bis das „Dritte Reich" diese Entwicklung unterbrach. An sein Prager Engagement waren hohe Erwartungen geknüpft: „[...] er soll dem Schauspiel einen ähnlichen künstlerischen Auftrieb verleihen, wie Eger ein solcher auf dem Gebiete der Oper geglückt ist. Besonders wird es zu begrüßen sein, wenn er die vielen guten Einzelleistungen, die es auch jetzt gibt, in eine große künstlerische Linie einzuordnen versteht" (Prager Montagsblatt, 24. April 1933). Letzteres war zumindest in der ersten Spielzeit nicht zu erwarten, obwohl mit ihm weitere wichtige Kräfte wie Paul Demel und Anton Schmerzenreich (beide vom LobeTheater Breslau) kamen und Fritz Valk, 1932 bereits vom Düsseldorfer Schauspielhaus nach Prag übergewechselt, blieb. Im Ensemble stießen die Emigranten auf reichsdeutsche Schauspieler, unter denen einzelne, wie es in einer tschechischen Zeitung hieß, „ih-

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Exiltheater in der Tschechoslowakei re Neigung zum Hakenkreuz nicht verbergen".7 Durch sie wurden 1933/34 Vorfälle heraufbeschworen, die das Theater in eine ernste Krise stürzten: plötzliche Abgänge von Darstellern mitten in der Spielzeit, Weigerung, künstlerische Aufgaben zu übernehmen, wodurch eine von Gellner geplante Inszenierung der Rassen zu Fall gebracht wurde, Spitzeltätigkeit für die Deutsche Gesandtschaft. Der Völkische Beobachter, für den das Prager Deutsche Theater ein „Tummelplatz aller jüdischen Schauspieler, Flüchtlinge und Emigranten" war, wertete die Vertragsbrüche als „Flucht aus dem jüdischen Inferno", da es keinem arischen Darsteller zugemutet werden könne, „den jüdischen Schauspielern in Prag den Reifen zu halten, damit sie springen können" (Völkischer Beobachter, Berliner Ausgabe; 1. Dezember 1933). Als Konsequenz aus diesen Vorkommnissen setzte der „Bühnenbund" 1934 eine verschärfte Anwendung der Beschäftigungsklausel für Ausländer durch, was in vielen Fällen den Entzug von Arbeitsbewilligungen für reichsdeutsche, teilweise auch österreichische Künstler zur Folge hatte. Von dieser Maßnahme profitierten in erster Linie die Theater-Emigranten mit tschechoslowakischem Paß, und so findet sich 1934 ein Schauspielensemble von erstaunlicher Qualität zusammen. Neben Gellner und Direktionsstellvertreter Max Liebl wurden als Regisseure und Darsteller Arnold Marie, bisher Oberspielleiter am Hamburger Schauspielhaus, und Walter Taub hinzugewonnen; zum Ensemble stießen Rainer Litten, Friedrich Richter, Lotte Stein (Berlin), Lux Rodenberg (ab 1935) und - mit Stückverträgen - Carola Neher, Ferdinand Hart, Fritta Brod (Frankfurt a. M., Berlin), Lilli Molnar, Amy Frank (Richter), Charlotte Küter, Paul Lewitt, Felix Kühne, Walter Gußmann. Als ständige Gäste standen dem Theater Tilla Durieux, Gisela Werbezirk und Ernst Deutsch zur Verfügung. Diese Konzentration von Künstlerpersönlichkeiten garantierte ein beachtliches Aufführungsniveau, das allerdings bei den harten Arbeitsbedingungen nicht durchgängig zu halten war. Eine Premierendichte von 50 bis 55 Inszenierungen pro Jahr (für zwei zu bespielende Häuser) hatte ein Ungleichgewicht des Repertoires zur Folge, dessen Unterhaltungsanteil hoch war und - wie Kritiker meinten - auch den Erfordernissen einer repräsentativen deutschen Bühne außerhalb des „Dritten Reiches" nur ungenügend Rechnung trug. „Das Prager Deutsche Theater", urteilte die Zeitschrift Aufruf der Liga für Menschenrechte, „hat, das werden auch seine Freunde zugeben müssen, in der Zeit seit dem März des Jahres 1933 die Mission, Kultstätte freiheitlicher deutscher Kultur zu sein und sich in den Dienst einer kämpferischen Demokratie zu stellen, nur sehr mangelhaft erfüllt. Es hat sich die Gelegenheit entgehen lassen, das, was in Deutschland zerstört wurde, zu ersetzen und ein Bekenntnis zu jener Freiheit und Fortschrittlichkeit abzulegen, in dem allein die Kunst leben und gedeihen kann. Nicht immer war das die Schuld der Leitung, vielfache Einflüsse, die auf die Prager deutsche Bühne wirken, nicht zuletzt die Beschränkungen, denen sie durch die Zensur des Landes unterworfen ist, mögen die bequeme Flucht in das Unterhaltende, Unkämpferische, begreiflich erscheinen lassen" (1. Mai 1934). Beschränkungen durch die Zensur, die Bruckners Krankheit der Jugend ebenso sperrte wie Ungars Gartenlaube und Friedrich Wolfs Cyankali, Rücksichten auf ein zahlungskräftiges bürgerliches Publikum und einen Theaterverein, der bei der nicht ausreichenden Subventionierung dieser Bühne (die kein Staatstheater war) nur zu oft als Kunstmäzen fungierte, ließen in den ersten Jahren zumindest eine Kontur7

Übersetzter Artikel aus dem „Vecerni ceske slovo" vom 20.6.1933 in den Unterlagen des Neuen Deutschen Theaters Prag im Archiv der Hauptstadt Prag (Archiv hlavniho mesta Prahy), Nemecke divadlo, 78, Karton 1.

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Hansjörg Schneider schwäche des Spielplans erkennen, was sich ab Mitte der dreißiger Jahre, nicht zuletzt durch den Einfluß des Tschechisch-deutschen Bühnenklubs, änderte. Dennoch kann nicht behauptet werden, daß das Prager Deutsche Theater für die in Deutschland verbotenen Autoren und die heimatlose Exildramatik keine Rolle gespielt hätte. Es läßt sich für diese Bühne eine ebenso aussagekräftige Bilanz ziehen wie für das Zürcher Schauspielhaus unter Ferdinand Rieser, der Privatdirektor war und einem Einspartentheater vorstand. Gespielt wurden in Prag bis 1938 - um Beispiele zu nennen - Stücke von Wilhelm Speyer, Wilhelm Lichtenberg, Vicki Baum, Rudolf Bernauer/Rudolf Östereicher, Paul Leppin, Max Brod, Franz Werfel, Bruno Frank, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Rudolf Eger, Henri Nathansen, Ferdinand Bruckner (Napoleon der Erste)·, Prag bringt Leonhard Franks Außenseiter sowie die Horväth-Stücke Figaro läßt sich scheiden und Ein Dorf ohne Männer zur Uraufführung (alle drei 1937). Und in Prag haben - wie nirgendwo sonst in diesen Jahren - tschechische Autoren ein Heimatrecht auf der deutsche Bühne: Frantisek Langer, Olga Scheinpflugovä, Edmond Konräd, Frafia Srämek, Vilem Werner, Adolf Hoffmeister und Karel Capek, dessen antifaschistisches Drama Die Mutter („Matka") - unter der Regie von Gellner und mit Tilla Durieux in der Titelrolle - zu einem Höhepunkt der Spielzeit 1937/38 wird. Das Fundament des Spielplans blieben Klassiker, für die Fritz Valk prädestiniert war (er spielte Nathan, Wilhelm Teil, Wallenstein, Othello, Julius Cäsar, Macbeth, Woyzeck, Danton, Mephisto, Robert Guiskard, König Philipp, Oberon, Heinrich IV. und den Präsidenten von Walter) und Werke des kritischen Realismus: Tolstoj, Gogol, Gorki, Ibsen, Strindberg, Wilde, Shaw, Wedekind und Hauptmann. Und hier hat Julius Gellner, neben seinem Regiekollegen Max Liebl, Hervorragendes geleistet. Seine Fähigkeit, eine Inszenierung gedanklich auf einen Kernpunkt zu konzentrieren, zeigte sich bei allen Stücken, die ihn geistig herausforderten. In Dantons Tod (1935) waren es die politischen Repliken, die .großen Reden', die er herausarbeitete, argumentativ gegeneinanderstellte und dadurch das Drama aktualisierte, so daß, wie es in einer zeitgenössischen Kritik heißt, „die im Konvent gesungene Marseillaise stürmischen Applaus auslöst und beinahe mitgesungen wird" (Sozialdemokrat, 16.5.1935). In Capeks utopistischem Kollektivdrama WUR (1935) ließ er das Robotergeschehen zu einer beklemmenden Zeitvision werden. Eine ähnlich beschwörende Verdichtung erfuhr Giraudoux' Es kommt nicht zum Krieg („La guerre de Troie n'aura pas lieu", 1936). Bei Gerhart Hauptmanns Die Weber (1937) arbeitete er „besonders sorgfältig das Übergreifen der Empörung von einem Hungernden auf das ganze Dorf heraus; das Überspringen des Funkens; den Rausch, den die befriedigte Rachsucht gewährt", wie es Ludwig Winder empfand (Deutsche Zeitung Bohemia, 26. November 1937). Und Emil Faktor notierte: „Gellners Regiebegabung wächst von Inszenierung zu Inszenierung. Sein weltstädtisches Format erleidet durch die Schnelligkeitsansprüche einer Repertoirebühne wenig Einbuße. Es ist erstaunlich, wie durchgearbeitet die Einzelfiguren, die Stimmungen, die revolutionären Situationen der Aufführung sind. Es ist ein Zurücktauchen von Ausdrucksformen, die bereits Traditionen ansetzten, in das unmittelbare Erlebnis" (Prager Mittag, 26. November 1937). Bei Kabale und Liebe war schon die Wahl des Spielorts Teil seiner Konzeption. Er entschied sich nicht für das große Haus, sondern die Kleine Bühne und zeigte „ein Kammerspiel, das die kleinen Verhältnisse nicht nur im Hause Millers, sondern im ganzen Herzogtum naherückt" (Sozialdemokrat, 12. Dezember 1937). Seine letzte Inszenierung 164

Exiltheater in der Tschechoslowakei in Prag - Don Carlos im September 1938 - sollte zur geistigen Mobilisierung des Publikums beitragen, doch er konnte diese Absicht nur unvollkommen verwirklichen, da wie bei den Rassen - der Darsteller einer Hauptrolle zu den Schlußproben nicht erschien, was eine kurzfristige Umbesetzung erforderlich machte. Auch im Neuen Deutschen Theater hatten sich Schauspieler „in den Dienst der Bewegung" gestellt, die sich - wie ihr Führer Konrad Henlein - zur „großen Kulturgemeinschaft der Deutschen in aller Welt" bekannten.8 Sie waren und blieben in diesem Theater, das seine demokratische Position bis zuletzt wahren konnte, eine verschwindende Minderheit. Auf der Gegenseite standen jene Künstler, die das Bündnis mit ihren tschechischen Berufskollegen im Tschechisch-deutschen Bühnenklub eingingen, der wiederum nur Teil einer größeren antifaschistischen Bewegung war. „... eine einzige gemeinsame Front..." Es gehört zu den Besonderheiten des Asyllandes CSR, daß in den Jahren 1933 - 1938 diese Gegenwehr entstand, die gleichermaßen tschechische und deutsche Intellektuelle, Emigranten und Einheimische umfaßte und eine eigene Ausprägung bei den Theaterleuten erfuhr. Sie entwickelte sich aus der Solidaritätsbewegung mit den Opfern des Faschismus, trug unzweifelhaft Züge der Volksfrontpolitik und wurde ausgelöst und gefördert durch besorgniserregende innenpolitische Vorgänge. Am 30. August 1933 fiel Theodor Lessing, der in Marienbad (Mariänske Läzne) Zuflucht gefunden hatte, einem heimtückischen Mord zum Opfer, dessen Spuren über die Grenze führten. Der deutsche Hochschullehrer, Philosoph und Schriftsteller hatte sich 1925 gegen die Präsidentschaftskandidatur Hindenburgs ausgesprochen und war für die neuen Machthaber im Reich Persona non grata, Prototyp „undeutschen Geistes". Auf der von der Liga für Menschenrechte veranstalteten Trauerfeier beschwor Friedrich Bill, verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift Aufruf und Mitarbeiter des Sozialdemokrat, die Zuhörer: „Freunde, die Ihr gegen Krieg und Mord und Lüge kämpfen wollt, gleichgültig welcher Parteiangehörigkeit Ihr seid: schließt eine einzige gemeinsame Front, die Front derer, denen Menschenrechte noch heilig sind, die Front gegen die Vernichtung".9 Veranlassung zu Besorgnis gab auch der sog. „Insignienstreit" im November 1934, der den alten nationalen Hader zwischen Tschechen und Deutschen wieder aufflammen ließ. Aus dem Konflikt um die Übergabe der Insignien der deutschen Universität an die tschechische - unter Berufung auf ein Universitätsgesetz von 1920 - entwickelten sich von einer beiderseitigen nationalistischen Hetze begleitet - tagelang anhaltende Krawalle, die von den Rechtskräften in beiden Lagern geschürt wurden. Gegen diese Umtriebe wandte sich die tschechoslowakische Schriftstellergemeinde mit einem Manifest, das die Unterschriften von 300 Kulturschaffenden trug und in dem „die Gewalttätigkeiten gegen anderssprachige Mitbürger und Mitbürger eines anderen religiösen und politischen Bekenntnisses" verurteilt wurden {Prager Presse, 28. November 1934). Zu einer schweren Belastungsprobe für die bürgerliche Demokratie gestalteten sich die Parlamentswahlen im Mai 1935. Neben der „Nationalen Sammlung" (Närodni sjednoceni), einer Vereinigung der konservativen tschechischen Nationaldemokraten (Nä8 9

Zitat aus Henleins .Kultuirede' 1936 in: Sudetendeutsche Tages-Zeitung vom 25.2.1936. Zitiert in: Exil und Asyl, a.a.O., S. 50.

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Hansjörg Schneider rodni Demokratie Strana) mit den faschismusfreundlichen Kräften in anderen bürgerlichen Parteien, trat erstmals die Sudetendeutsche Partei (SdP) des Turnwarts Konrad Henlein an, die den Wahlkampf zu einer „Willensbekundung für das Sudetendeutschtum" machte. Das Wahlergebnis schockierte. Die SdP hatte zwei Drittel aller deutschen Wählerstimmen auf sich vereinigen können und sich mit einem Schlage zur zahlenmäßig stärksten Partei in der CSR entwickelt. Auch auf kulturellem Gebiet war ein Vordringen faschistoider Tendenzen erkennbar: Wiederholte Randale gegen das BEFREITE THEATER von Voskovec und Werich und deren antifaschistische Revuen, antidemokratische, auch antisemitische Ausfälle in rechten Presseorganen, Drohungen gegen linksorientierte Intellektuelle, die Verweigerung des Bürgerrechts für Heinrich Mann durch die Reichenberger Stadtväter, die Absage des Internationalen Musikfestes durch die Stadt Karlsbad, die Überschwemmung sudetendeutscher Lichtspielhäuser und Buchhandlungen mit reichsdeutschen Erzeugnissen und andere Erscheinungen ließen unter den Intellektuellen die Erkenntnis für die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns reifen. Es war im Land eine Situation entstanden, die Wieland Herzfelde rückschauend so charakterisierte: „Deutsch-tschechisch, das war für uns eine Sprachschwierigkeit, aber kein ideologisch-moralischer Gegensatz. Der Gegensatz, mit dem wir es zu tun hatten, war der zwischen Humanismus und Barbarei. Und der ging durch die Bevölkerung auch der Tschechoslowakei, gleich welche Sprache sie sprach".10 In die sich bildende antifaschistische Phalanx gliederten sich auch Künstler ein, die politischen Bindungen ablehnend oder reserviert gegenüberstanden. Zur tschechisch-deutschen Zusammenarbeit kam es bei kulturellen Veranstaltungen wie einer „Akademie für Emigranten" des Saida-Komitees, der Gedenkfeier für Erich Mühsam (Dezember 1934) und beim Reichenberger Arbeiter-Musikfest (Juni 1935). Auf diese Weise wurde der Boden bereitet, auf dem eine in diesen Jahren wohl einmalige Assoziierung entstehen konnte wie der .Tschechisch-deutsche Bühnenklub' (Klub ceskych a nemeckych divadelnich pracovnikü). „Tscheche und Deutscher" Am Zustandekommen dieser Vereinigung hatten der Opernregisseur Hanus Thein vom National-Theater (Närodni divadlo) und Walter Taub vom Neuen Deutschen Theater wesentlichen Anteil. Taub, Sohn eines prominenten Funktionärs und Abgeordneten der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (DSAP), verfügte über viele Beziehungen in Prag, die auch den Emigranten zugute kamen, und da er als gebürtiger Brünner die tschechische Sprache souverän beherrschte, war er zur Herstellung von Kontakten zu den tschechischen Künstlern wie kein anderer geeignet. Daneben wurden in dieser Richtung auch die Emigranten Elli Schließer und Wolfgang Langhoff aktiv. Elli Schließer, ehemaliges Mitglied des ROTEN SPRACHROHRS, die unter dem Decknamen Hanna Herfurth im Prager Exil lebte, schuf und unterhielt Verbindungen zu tschechischen Künstlern und Organisationen wie dem DDOC, um den Prozeß der Annäherung voran10

Wieland Heizfelde: Erfahrungen im Exil zu Prag 1933 - 1938. In: Weltfreunde. Konferenz über die Prager deutsche Literatur. Prag 1967, S. 374.

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Exiltheater in der Tschechoslowakei zutreiben. In ähnlicher Richtung wirkte auch Wolfgang Langhoff, der im Frühsommer 1935 nach Prag kam. Über die Gründe seines Aufenthalts schreibt Else Wolf: „Er wird voraussichtlich nicht in Z[ürich] bleiben. Evtl. Prag. Plan eines neuen deutschen Theaters, (sehr illusorisch!) Evtl. Paris."11 Tatsächlich wurden im Jahre 1935 in der tschechoslowakischen Hauptstadt Überlegungen zur Gründung eines deutschen Theaters angestellt, für das - neben Langhoff auch Carola Neher, Heinrich Gretler, Ernst Busch, Helene Weigel, Hanns Eisler und Brecht gewonnen werden sollten. Das Vorhaben blieb Projekt. In Prag hatte Langhoff Kontakt mit der deutschen Emigration, mit Walter Taub und Fritz Valk, seinem Kollegen vom Düsseldorfer Schauspielhaus, Frantisek Spitzer und weiteren Funktionären des DDOC, E. F. Burian und Darstellern des Nationaltheaters. „Sein Gedanke war es, einen internationalen Klub zu gründen", so Eliska Frejkovä (Elsbeth Warnholtz)12, der nicht auf Prag beschränkt bleiben sollte und vermutlich mit Vorstellungen des Internationalen Revolutionären Theaterbundes (IRTB) korrespondierte. Die offizielle Kontaktaufnahme zwischen den Künstlern beider Nationalitäten erfolgte noch vor der Sommerpause 1935; sie wurde fortgesetzt nach Spielzeitbeginn im Herbst 1935 und führte am 21. Dezember 1935 zur Gründung des Klubs, als dessen Initiatoren Walter Taub, Elsbeth Warnholtz auf deutscher Seite und Hanus Thein, Vaclav Vydra, Karel Dostal, E. F. Burian, Vaclav Vnoucek, Jan Werich, Jiff Voskovec und Frantisek Salzer gelten können und der das Ziel verfolgte, „die Freiheit der geistigen Produktion, der künstlerischen Arbeit und der Gesinnung zu verteidigen und [...] sich gemeinsam gegen engstirnigen Nationalismus und Fascismus [sie] zur Wehr zu setzen" (Walter Taub; Sozialdemokrat, 15. Oktober 1935). Der konstituierenden Versammlung vorausgegangen war eine Umfrage unter Vertretern des europäischen Geisteslebens, „ob in einer Zeit, da Krieg und Frieden, Barbarei und Fortschritt miteinander ringen, das Theater abseits stehen darf." Ein einmütiges Nein war die Antwort (Prager Tagblatt, 24. Dezember 1935). Die Stellungnahmen u. a. von Thomas Mann, Bruno Walter, Arnold Zweig, Joseph Roth, Martin Andersen Nexö, Karel Capek, Max Brod, Vladislav Vancura, Otakar Fiser, Theodor Plivier, Friedrich Wolf, Adolf Hoffmeister, Roda Roda - wurden den Anwesenden zur Kenntnis gebracht und das Programm des Klubs vorgestellt, der zu seinen Aufgaben die Gewinnung neuer Publikumsschichten zählte sowie ein gemeinsames Auftreten tschechischer und deutscher Darsteller. Die Mitglieder des Klubs - über 300 - setzten sich aus Angehörigen des deutschen und der tschechischen Theater Prags zusammen, unter ihnen auch die in der Moldaustadt lebende Brahm-Schauspielerin Else Lehmann, und umfaßten darüber hinaus Kritiker, Schriftsteller, Vertreter Prager Theaterdirektionen. Präsidenten der Vereinigung waren der Emigrant Fritz Valk und Vaclav Vydra. Im Lauf seines dreijährigen Bestehens trat der Bühnenklub mit antifaschistischen Manifestationen an die Öffentlichkeit, hatte seine Vertreter bei internationalen Kongressen, veranstaltete regelmäßig Nachtvorstellungen für Schauspieler in den Prager Thea11

12

Else Wolf: Bericht über die Arbeit des ATB in Zürich und Prag (1934/35). Archiv der Akademie der Künste, Friedrich-Wolf-Archiv. Eliska Frejkovä: Der tschechisch-deutsche Bühnenklub. Ein Bericht. Typoskript, S. 51. Archiv der Akademie der Künste, Exiltheater.

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Hansjörg Schneider tern und Klubabende in den eigenen Räumen, bei denen u. a. Thomas Mann, Lion Feuchtwanger, Erich Kleiber und Bruno Walter Gäste waren. Der Klub initiierte eine neue Besucherorganisation - das Lidove divadlo („Volkstheater"), für das allein in der Spielzeit 1937/38 159 Vorstellungen gegeben wurden - und dessen Pendant, das „Deutsche Volkstheater", in Anlehnung an sein Vorbild auch „Deutsche Volksbühne" genannt, in die 17 Organisationen integriert waren, so der sozialdemokratische Bildungsverein, der seit 1906 im Neuen Deutschen Theater Arbeitervorstellungen veranstaltete. Ein Höhepunkt seines Wirkens war das gemeinsame Auftreten tschechischer und deutscher Schauspieler in einer Inszenierung - als Geste der Versöhnung gedacht, was Stück, Spielort und Besetzung noch unterstrichen: Cech an Nemec („Tscheche und Deutscher") von Jan Nepomuk Stepänek, mit Premiere im Ständetheater (Stavovske divadlo, vormals Landestheater). Diese Bühne hatte sowohl in der deutschen als auch der tschechischen Theatergeschichte Prags eine wichtige Rolle gespielt. 1783 von Graf Nostitz-Rienek „dem Volk gestiftet", war in diesem Haus 1787 Mozarts Don Giovanni uraufgeführt worden, hatte hier Anfang des 19. Jahrhunderts Carl Maria von Weber als Operndirektor gewirkt. Auf dieser Bühne j»ab es aber auch tschechische Vorstellungen, die dank der Aktivität von Jan Nepomuk Stepänek zwischen 1824 und 1834 mit Regelmäßigkeit stattfanden. Um diese Bühne spitzte sich nach dem Ersten Weltkrieg der Nationalitätenkonflikt empfindlich zu. Als Reaktion auf deutsche Ausschreitungen in Nordböhmen wurde sie 1920 von tschechischen Demonstranten besetzt und schließlich als zweites Haus dem Nationaltheater angegliedert. Dieser ,Theaterraub', wie die deutsche Presse den Vorgang wertete, lastete in der Folgezeit schwer auf den deutsch-tschechischen Beziehungen, und es dauerte Jahre, bis zaghafte Versuche der Annäherung erfolgten. Das Stück von Stepänek, 1816 geschrieben, spiegelt auf naive Weise das altböhmische Dorfleben zu Beginn des vorigen Jahrhunderts wider. Es ist an der tschechischdeutschen Sprachgrenze angesiedelt und führt das friedliche Nebeneinander von Bevölkerungsteilen beider Nationalitäten vor. Aufgrund seiner Zweisprachigkeit stellt es ein Kuriosum in der dramatischen Literatur dar: gewisse Rollen sind deutsch, andere tschechisch abgefaßt, zwei Figuren sprechen tschechisch wie deutsch. Aus der Unkenntnis der jeweils anderen Sprache ergeben sich MißVerständnisse, und hieraus bezieht das Stück zu einem guten Teil auch seine komische Wirkung. Stepänek versucht zu zeigen, daß Tschechen und Deutsche einander näherkommen würden, wenn sie die Sprache des anderen verstünden. Über diese Feststellung geht das Stück nicht hinaus. „Nicht das Stück also gab dem Abend seinen Sinn, sondern die wirklich prachtvolle Zusammenarbeit deutscher und tschechischer Künstler, die so spielten, als gehörten sie einem Ensemble an", urteilte die Prager Abendzeitung (25. Mai 1936). Die Premiere am 23. Mai 1936, der Edvard Benes, seit Dezember 1935 Präsident der Republik, beiwohnte, war ein vielbeachtetes gesellschaftliches Ereignis. Auch die Besetzung des Stückes war ungewöhnlich: Die Rolle des deutschen Kutschers Jirka spielte nicht etwa, was naheliegend war, ein deutscher Schauspieler, sondern Väclav Vydra vom Nationaltheater, während der mehr tschechisch als deutsch sprechende Student Javornik mit Anton Schmerzenreich vom NDT besetzt war. Walter Taub brillierte in beiden Idiomen. Einer der Mitwirkenden hatte im November 1920 zu jenen tschechischen Demonstranten gehört, die das deutsche Landestheater besetzten. Führende Künstler standen für kleine, kleinste und stumme Rollen zur Verfügung, so Frantisek Salzer, Ha168

Exiltheater in der Tschechoslowakei

nus Thein, Karel Dostal, Fritz Valk, Lotte Stein, Lux Rodenberg, Marion Wünsche. Auch in musikalischer Hinsicht war der Abend eine Gemeinschaftsarbeit. Unter Verwendung von deutschen und tschechischen Volksweisen hatten Otakar Jeremias und Fritz Rieger eine Bühnenmusik geschrieben, die zur Atmosphäre der Aufführung wesentlich beitrug. Das Bühnenbild stammte von Vaclav Gottlieb, die Regie besorgte Vaclav Vydra. Die Aufführung fand bei Publikum wie Presse eine starke Resonanz; sie wurde am 10. Juni 1936 als Nachtvorstellung im Neuen Deutschen Theater wiederholt, am 20. Juni im Stadttheater auf den Weinbergen (Mestske divadlo na Vinohradech) gezeigt und am 12. Dezember 1936 nachmittags noch einmal im Neuen Deutschen Theater für die Schuljugend gegeben. Auch außerhalb Prags wurde das Stück gespielt, so im April 1937 in Mährisch-Ostrau als erste Veranstaltung der dort gegründeten Zweigstelle des Tschechisch-deutschen Bühnenklubs. Im März 1938 wurde auch in Brünn eine Zweigstelle gegründet, die als erste Vorstellung Karel Capeks antifaschistisches Drama Die weiße Krankheit („Bflä nemoc") wählte, wobei der erste Teil tschechisch, der zweite deutsch gespielt wurde. Diese Aufführung stand schon an der Schwelle der entscheidenden Auseinandersetzungen um die deutschen Bühnen in Böhmen und Mähren. Sicherheit ohne Gewähr Diese Theaterlandschaft mit Bühnen unterschiedlicher Größe, Struktur und Qualität war in Mitteleuropa eine wohl einmalige Erscheinung. Beinahe jeder Ort mit mehr als 30.000 Einwohnern besaß sein eigenes Theater. Ein dichtes Netz von städtischen Bühnen erstreckte sich entlang der tschechisch-deutschen Grenze von Eger (Cheb), Brüx (Most), Teplitz-Schönau (Teplice-Sanov) über Aussig (XJsti nad Labem), Reichenberg (Liberec), Gablonz (Jablonec) bis nach Troppau (Opava) und Mährisch-Ostrau (Moravska Ostrava). Dazu kamen die traditionsreichen Häuser in Prag und Brünn (Brno) sowie die Kurtheater in Karlsbad (Karlovy Vary), Marienbad (Mariänske Läzne) und Franzensbad (Frantiskovy Läzne). Kleinere Bühnen gab es in Saaz (Zatec), Komotau (Chomutov), Bodenbach (Podmokly), Leitmeritz (Litomerice), Iglau (Jihlava), Znaim (Znojmo), Böhmisch-Krumau (Cesky Krumlov) und Mährisch-Schönberg (Sumperk). Zudem zogen eine Vielzahl von Wanderbühnen durchs Land, die die Bezeichnung .Schmiere' oft zu Recht verdienten. Diese Theaterdichte war ein Erbe der k.u.k. Monarchie und nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, daß im böhmischen Raum das Theater nicht nur musisches Zentrum schlechthin war, sondern gleichermaßen politischer Eckpfeiler im Nationalitätenkonflikt zwischen Deutschen und Tschechen, der die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und darüber hinaus beherrschte. Über kommunales Prestigedenken und bürgerliches Repräsentationsbedürfnis hinausgreifend, wurden Theater zu .Stätten patriotischer Gesinnung und nationaler Kultur'. Zur Einweihung des Gablonzer Theaters 1907 hieß es in einer Festschrift: „Unsere Schaubühne muß insofern durchaus national sein und immerdar bleiben, als deutsche Schauspieler für deutsche Zuschauer deutsche dramatische Dichtungen darzustellen haben." 1 Solche Beispiele übersteigerten Nationalbewußtseins finden sich selbstredend auch auf tschechischer Seite. 13

Adolf Lilie: Festschrift aus Anlaß des neu erbauten Stadttheaters in Gablonz an der Neiße. Gablonz 1907, S. 6.

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Hansjörg Schneider Nach der Gründung des tschechoslowakischen Staates erhielten die nationalen Rivalitäten neue Nahrung. Olmütz (Olomouc), Pilsen (Plzen), Budweis (Ceske Budejovice), Mährisch-Ostrau und Brünn gingen ihrer Theater verlustig. Ausweichspielstätten oder andere Kompromißlösungen wurden von den Deutschen, die sich nur schwer damit abfanden, nun kein Staatsvolk mehr zu sein, als Zurücksetzung empfunden, als deren sichtbarster Ausdruck der Verlust des Prager Landestheaters galt. Zu Veränderungen dieser Art kam es in den Theaterstädten mit deutscher Bevölkerungsmehrheit nicht. Sie hatten lediglich zu gewährleisten, daß in ihren Häusern jährlich eine zwei- bis dreimonatige tschechische Spielzeit stattfinden konnte (wie es in Städten mit tschechischer Mehrheit eine ebensolche Lösung für den deutschen Bevölkerungsteil gab). Im übrigen setzten sie ihren Spielbetrieb fast unbeeinflußt von den veränderten politischen Verhältnissen fort. Sie blieben, obwohl nun zum tschechoslowakischen Staat gehörend, nach wie vor auf Deutschland und Österreich orientiert und zählten für die deutschen Theaterverbände und Körperschaften ihrerseits zum .deutschen Kulturraum'. Es gab zwar in der CSR ab 1919 eine eigene bühnengewerkschaftliche Organisation, den „Bühnenbund in der Tschechoslowakischen Republik", auch existierte seit 1923 ein „Verband Deutscher Bühnenleiter in der Tschechoslowakei" - von einer Selbständigkeit dieser Vereine konnte aber nur bedingt die Rede sein. Die Leiter der sudetendeutschen Theater, vielfach aus dem Reich stammend, waren gleichzeitig Mitglieder des deutschen Direktorenverbandes (Deutscher Bühnen-Verein), während der Bühnenbund mit adäquaten Verbänden in Österreich, der Schweiz und der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger zum „Kartellverband" gehörte, in der die Genossenschaft Stimmenmehrheit besaß. Die sich daraus ergebende Abhängigkeit vom stärkeren deutschen Partner drückte sich unter anderem darin aus, daß der Bühnenbund bis 1934 keine eigene Stellenvermittlung besaß. Auch in der Spielplangestaltung und in der Ensemblepolitik gab es eine starke Orientierung auf Berlin und Wien. Wie bisher kamen die künstlerischen Kräfte aus Deutschland und Österreich, denen die sudetendeutschen Theater ein reiches und vielfältiges Betätigungsfeld boten. Wenn die Tschechoslowakei in Fachkreisen gern als .Konservatorium Europas' bezeichnet wurde, weil sie die Bühnen des Kontinents mit qualifizierten Musikern und Sängern versorgte, läßt sich mit gleichem Recht von den sudetendeutschen Theatern als einem ,Depot der Talente' sprechen. Viele später prominente Darsteller - ihre Zahl ist Legion - begannen zwischen Eger und Galonz ihre Laufbahn. Noch nach 1933 starteten Künstler von Prag bzw. Mährisch-Ostrau und Troppau aus zu einer Filmkarriere im „Dritten Reich". Besonders für Operettenkräfte schien die künstlerische Herkunft aus Böhmen ein Gütesiegel zu sein. Nach einer kurzen Phase der Konsolidierung Mitte der zwanziger Jahre, wozu die Beteiligung der deutschen bürgerlichen Parteien und der deutschen Sozialdemokraten an der Regierung beitrug, wurden die deutschen Theater in den Strudel der Weltwirtschaftskrise gerissen, die sich im deutschen Gebiet der CSR besonders schlimm auswirkte, denn hier konzentrierten sich die vom Export abhängigen Industriezweige. Spielzeitverkürzungen, Subventionsabbau, Gagenreduzierungen, Auslassung von Spielgattungen (meist auf Kosten der aufwendigen Oper), Zusammenlegung von Theatern, Pleiten der Direktoren und Weiterführung des Spielbetriebs unter Arbeitsgemeinschaften waren an der Tagesordnung. Einige Städte - Iglau, Komotau, Znaim, Bodenbach, 170

Exiltheater in der Tschechoslowakei

Böhmisch-Krumau - waren gezwungen, den ständigen Theaterbetrieb gänzlich einzustellen. Die Krise hatte nicht nur Theaterschließungen zur Folge, sondern auch eine Verschärfung der ohnehin harten Arbeitsbedingungen. Durch den Rückgang der Besucher verringerte sich die Laufzeit der Stücke, was noch kürzere Probenzeit und Mehrbelastung der Darsteller mit sich brachte. Paul Lewitt, 1933/34 Oberspielleiter des Schauspiels am Theater in Teplitz-Schönau, der größten sudetendeutschen Bühne mit zwei Spielstätten und insgesamt 1.600 Plätzen bei 50.000 Einwohnern und etwa ebensoviel Kurgästen im Jahr, vermerkt in seinem Erinnerungsbericht: „[...] Die Arbeitsbedingungen waren unwahrscheinlich. Die Vorbereitungen für ein Stück sahen so aus: Montag Stellprobe, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag Stückprobe, Freitag Haupt- und Sonnabend Generalprobe und Premiere. Allerdings verlängerte ich die bis dahin übliche Probenzeit von 2 1/2 Stunden (10 - 12.30 Uhr) auf 4 1/2 Stunden (9.30 - 14.00 Uhr), und Gespräche über das Stück und wesentliche Gestaltungsfragen verlegten wir auf die Nachmittagsstunden ins Theatercafe".14 Noch 1935 kamen in Teplitz in 84 Tagen 34 Stücke heraus, davon 15 Schauspiele, 13 Operetten und 4 Märchen. Faktisch war .jeden dritten Tag eine Premiere", und an den beiden Weihnachtsfeiertagen mußte das Ensemble 12 Vorstellungen durchhalten (Sozialdemokrat, Prag, 29. Dezember 1935). Zur wirtschaftlichen Misere kam im deutschen Gebiet ein Aufflammen des Irredentismus durch die Veränderung des politischen Systems in Deutschland und ihre Resonanz in den Grenzgebieten der CSR, deren Bevölkerung sich in zwei Lager zu spalten begann: in ein auf Deutschland fixiertes und ein auf die parlamentarische Demokratie und den tschechoslowakischen Staat orientiertes. Abermals wurden die deutschen Theater dieser Region in diese Auseinandersetzungen hineingerissen. Auf sie konzentrierten sich vornehmlich die Angriffe der nationalistisch-völkischen Kräfte von jenseits und bald auch diesseits der Grenze. Gemäß ihrer auf den ,Zusammenschluß aller Deutschen' ausgerichteten Politik suchte die Hitlerregierung Einfluß auf das .Auslandstheater' von außen her zu gewinnen, während die Sudetendeutsche Partei ihrerseits von innen operierte. Zum Spektrum dieser Störmanöver und Attacken gehörten personelle Unterwanderung, finanzielle Unterstützung .genehmer' Direktoren, Diversionstätigkeit der diplomatischen Vertretungen, Gastspiele reichsdeutscher Künstler als .Sendboten der Kultur des Dritten Reiches', Infiltration in die deutsch-böhmischen Organisationen, Kultur-, Heimat- und Volkstumsverbände, .Wirtschaftshilfe' durch Vorstellungsabnahme, Aufbau völkischer Besucherringe, Boykottierung von Bühnen, die von jüdischen Direktoren geleitet wurden, Gleichschaltungsversuche ,νοη oben'. Die Henleinpartei betrachtete sich als .Sprecherin des Sudetendeutschtums' auch auf kulturellem Gebiet, nützte bei ihrem subversiven Vorgehen die Schwachstellen in der Nationalitätenpolitik der Regierung aus (Benachteiligung der Deutschen bei Anstellung im Staatsdienst, der Vergabe von Investitionen und Subventionen, dem Gebrauch der Muttersprache) und ließ - ermutigt und unterstützt durch rechte Kräfte im tschechischen Lager - den schwelenden nationalen Antagonismus zum global geführten Volkstumskampf eskalieren, der - flankiert von der reichsdeutschen Aggressions- und der westlichen Appeasement-Politik 14

Erinnerungsbericht von Paul Lewitt, im Besitz des Verfassers.

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Hansjörg Schneider die Souveränität und Sicherheit des tschechoslowakischen Staates untergrub und das Land schließlich in den Abgrund stürzte. Wie sich im Laufe nur weniger Jahre diese Entwicklung vollzog, ist an den deutschen Bühnen, auf die sich ein Hauptstoß der faschistischen Politik richtete, abzulesen. 1934 wurden in Eger die Wallenstein-Spiele veranstaltet. Die Stadt nahm den 300. Todestag des großen Feldherrn und den 175. Geburtstag Schillers zum Anlaß, an eine vor dem Ersten Weltkrieg durch Max Grube begründete Tradition anzuknüpfen und den Festspielgedanken mit einer repräsentativen Aufführung der Wallenstein-Trilogie neu zu beleben. Als künstlerischer Leiter des Unternehmens wurde Dr. Theodor Modes verpflichtet, zu dieser Zeit Direktor des Theaters in St. Gallen. Modes, gebürtiger Brünner, hatte 1932 durch eine Jedermann-Aufführung in Nordböhmen auf sich aufmerksam gemacht und sich für diese Aufgabe empfohlen. Ein Ensemble von Darstellern, „in erster Linie nach ihrer Eignung für die betreffenden Hauptrollen" ausgewählt15, vereinigte Künstler aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei, unabhängig davon, ob sie Emigranten waren oder nicht. Auch das Kriterium .deutschstämmig' schien, nach der Besetzung zu urteilen, keine Rolle gespielt zu haben: Friedrich Richter (-Rosenthal) stand als Octavio neben Hedwig Bleibtreu (Gräfin Terzky) und Maximilian Wesolowski (Titelrolle) auf der Bühne. 1938 zeigte sich ein anderes Bild. Bereits im Vorfeld der Spiele hatte die SdP mit dem Goebbels-Ministerium Absprachen getroffen, um personelle Hilfe (Gäste) und finanzielle Unterstützung gebeten und ihren .sudetendeutschen Landsmann' Dr. Modes („ein völkisch einwandfreier Mensch und Künstler", wie es in einem Schreiben des Kulturpolitischen Amtes der SdP nach Berlin hieß 16 ) als Leiter empfohlen. Modes' Konzeption und Darstellerkreis unterschied sich auffallend von dem vier Jahre zuvor: mit seinen Intentionen, in Eger ein ,Schiller-Bayreuth' zu begründen, hätte sich das Engagement von Emigranten, Juden oder linksorientierten Künstlern - wie noch 1934 von Fritz Diez (Max) - nicht in Einklang bringen lassen. Und so wurden unter der .Schirmherrschaft' von Konrad Henlein (1934 standen die Spiele unter dem Patronat des Landespräsidenten von Böhmen) die Eger-Festspiele 1938 zu einer .Weihestätte deutscher Kultur', die der .Führer des Sudetendeutschtums' mit den Worten eröffnete: ,.Noch vor wenigen Jahren haben sich auf unseren Bühnen bluts- und volksfremde Geister breit gemacht. Immer stärker wurde dadurch das Theater dem Volke entfremdet. Da standen in den letzten Jahren Männer auf, die zur Umkehr riefen [...]" (Die Zeit. Sudetendeutsches Tagblatt Prag; 23. August 1938). Mit dieser Klassifizierung hatte die SdP bereits Jahre vorher die sudetendeutschen Bühnen eingeteilt in deutsch und undeutsch, was auch synonym war für .veijudet' oder .emigrantenlastig'. Deutsch war das Theater am Sitz der Hauptleitung der SdP in Eger unter Anton Kohl, der schon wenige Wochen nach Amtsantritt 1935 dem Propagandaministerium die Versicherung gab, „daß ich Emigranten überhaupt nicht nehme", und im Januar 1936 an dieselbe Stelle berichten konnte, „mit arischem Personal auch einen reinarischen Spielplan streng eingehalten" zu haben 17 , was ihn jedoch nicht davor be15 16

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Wallensteinfestspiele 1934 in Eger. Eger (1934), S. 62. Brief des Kulturpolitischen Amtes der SdP an Amtsrat Klaus im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda vom 27.1.1938. Bundesarchiv Berlin, ProMi 550, Blätter 291 - 294. Brief von Anton Kohl an Oberregierungsrat Dr. Rainer Schlösser, Reichsministerium fur Volksaufklärung und

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Exiltheater in der Tschechoslowakei wahrte, seiner Intendanz verlustig zu gehen, da die jüdische Bevölkerung sein Theater mied. Dieser Gefahr setzte sich Curt Hurrle, seit 1935 Direktor des Stadttheaters TeplitzSchönau, um das sich 1933 die Emigranten Gustav Härtung und Heinrich Fischer erfolglos beworben hatten, nicht aus. Reichsdeutscher wie Kohl und wie dieser mit einer Dotierung aus Berlin gestützt, orientierte er sich nicht ausschließlich auf die .deutschbewußte' Bevölkerung. Er beschäftigte emigrierte und jüdische Künstler (zu seinem Ensemble gehörte u. a. P. Walter Jacob) und spielte auch jüdische Autoren, was ihm weder das Deutsche Konsulat in Reichenberg noch die Henleinpartei durchgehen ließ. Doch Hurrle wußte beiden Instanzen klarzumachen, daß ein „vollständiger Verzicht auf Verpflichtung von Nichtariern" an seiner Bühne unmöglich sei, „da das Teplitzer Theater auf den Besuch der hiesigen jüdischen Bevölkerung angewiesen ist" und ein „Boykott durch diese Kreise [...] zum Untergang des hiesigen Theaters führen" würde, weil weder die SdP noch der ,Bund der Deutschen' eine finanzielle Unterstützung gewährleisten könnten. 18 Ausgeräumt wurden diese Streitpunkte auf einer für die weitere Entwicklung wichtigen Tagung Ende 1936 in Dresden, an der neben zwei Vertretern des Propagandaministeriums, Beamten der deutschen diplomatischen Vertretungen in der CSR und Führern der SdP auch Theaterleute - u. a. Curt Hurrle - teilnahmen. Die Anwesenden waren sich einig darüber, daß ihrer Meinung nach der derzeitige Zustand an den deutschen Theatern in Böhmen keineswegs befriedige, da sie mehrheitlich von Juden geleitet würden und überdies der „Emigrant Leo Kestenberg, der jetzt an wichtiger Stelle im Unterrichtsministerium in Prag sitzt, [...] in systematischer Weise durch Konzessionseinschränkungen, Streichen der staatlichen Subventionen, Auftrittsverbote für Ausländer, Zensur und Vorstellungsverbote die Aufrechterhaltung des Betriebes" behindere. Da die Stadtverwaltungen meist sozialdemokratische Mehrheiten hätten, könne „eine Besserung der unerträglichen Lage [...] nur durch die deutschbewußten Besucher selbst geschaffen werden". Als Sofortprogramm wurde beschlossen, völkische Besucher-Organisationen aufzulegen und das von Paul Barnay geleitete Theater in Reichenberg so lange „ausnahmslos zu boykottieren, bis dieser abgewirtschaftet hat". 19 Als diese Beratung stattfand, war das Kesseltreiben gegen Paul Barnay bereits im Gange. Barnay, aus einer bekannten Künstlerfamilie stammend (sein Onkel Ludwig Barnay hatte die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger geschaffen, war Mitbegründer des Deutschen Theaters Berlin und hernach Intendant des Königlichen Schauspielhauses am Gendarmenmarkt gewesen), zählte in der Weimarer Republik zu den führenden Theaterleuten. 1933 wurde er nach langjähriger erfolgreicher Direktionstätigkeit an den Vereinigten Theatern in Breslau (Lobe- und Thalia-Theater) aus dem Amt gedrängt; er ging nach Wien, seiner Heimatstadt, und übernahm dort gemeinsam mit Prof. Dr. Hock das Raimundtheater. 1936 mit den Stimmen aller im Reichenberger Stadtrat vertretenen Parteien zum neuen Theaterdirektor gewählt, begann er mit der Reorganisation dieser Bühne, die sein Vorgänger aus wirtschaftlichen Gründen vorzeitig

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Propaganda vom 11. Oktober 1935. Bundesarchiv Berlin, ProMi 550, Blatt 517 ff. und Brief von A. Kohl an Dr. Rainer Schlösser vom 22.1.1936, ebd., ProMi 550, Blatt 41 und Rückseite. Brief Hurries vom 3.9.1936. Ebd., ProMi 428, Blatt 162 f. Aufzeichnung (von einer Beratung in Dresden) vom 26.11.1936. Bundesarchiv Berlin, ProMi 550, Blätter 136 140.

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Hansjörg Schneider hatte aufgeben müssen. Er engagierte ein leistungsstarkes Ensemble, zu dem die Emigranten Lothar Rewalt (ehemals Breslau, zuletzt Wien), Paul Lewitt (Frankfurt a.M., zuletzt Teplitz-Schönau), Hilde Maria Kraus (ehemals Chemnitz), Dr. Heinrich Jarlowetz (Köln) als Opernchef gehörten, konnte binnen kurzem die Abonnentenzahl gegenüber dem Voqahr verdoppeln, die Eintrittspreise senken, eine Platzmiete für Arbeiter auflegen und die bis dahin übliche Probenzeit verlängern, um bessere Arbeitsergebnisse zu erzielen. Sein künstlerisches Credo war: „Echtes Theaterspielen muß auch in der Provinz möglich sein! [...] Grundbedingung ist die makellose Vorbereitung eines Werkes [...] Die für die mustergültige Einstudierung nötige Zeitspanne wird natürlich nur unter der Voraussetzung zur Verfügung stehen, daß ein einmal herausgebrachtes Stück möglichst viele Aufführungen erlebt" (Reichenberger Zeitung, 28. Juli 1936). Seine künstlerischen Erfolge zeichneten sich schon ab, als nach wenigen Wochen die Nationalsozialisten eine Kampagne gegen den .Juden und Kulturbolschewisten' Barnay entfesselten, die von der Henleinpresse aufgegriffen und kolportiert wurde. Die SdP verlangte - trotz ihrer ursprünglich gegebenen Zustimmung zu Barnay - eine Neubesetzung der Direktion, forderte die Einholung eines Gutachtens bei der Reichskulturkammer und erklärte sich bereit, das Theater sofort übernehmen zu wollen, falls Barnay zurückträte. Da dies nicht geschah und sich die Angestellten des Reichenberger Theaters, die mehrheitlich zur SdP tendierten, hinter ihren Direktor stellten, griffen die Henleinfaschisten zum Boykott. Die Vorfälle von Reichenberg zeitigten Auswirkungen über den lokalen Rahmen hinaus. In Prag protestierten der Bühnenbund, der Verband der tschechoslowakischen Schauspieler und der Tschechisch-deutsche Bühnenklub gegen das Vorgehen der SdP und stellten sich hinter Barnay, der seine Direktionsgeschäfte zwei Jahre weiterführen konnte, zunehmend aber mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und 1938, ein Jahr vor Ablauf seines Vertrages, aufgab. Sein Nachfolger im Amt wurde vorübergehend Curt Hurrle, der nun den Theatern Teplitz-Schönau und Reichenberg vorstand. Das Frühjahr 1938 brachte mit dem Regierungsaustritt der deutschen bürgerlichen Parteien und ihrer Eingliederung in die Sudetendeutsche Partei eine weitere Zuspitzung der innenpolitischen Lage. Nach den Gemeindewahlen im Mai/Juni, die der SdP im deutschen Gebiet einen Stimmenanteil von 80 Prozent sicherten und die Mehrheitsverhältnisse in den Kommunen zu ihren Gunsten veränderten, erfolgte ihr Schlag gegen die Theater, die ihre unabhängige Position bisher bewahren konnten. Auf diese Weise verlor der couragierte Direktor von Bodenbach, Emil Feldmar, seine Intendanz, wurde Rudolf Zeisel in Mährisch-Ostrau aus dem Amt gedrängt. Zeisel, aus Mähren stammend, hatte seine Ausbildung in Wien bei Ferdinand Gregori erhalten, war dann als Schauspieler und Regisseur an verschiedenen Bühnen Berlins und Wiens tätig gewesen und hatte 1929 das Deutsche Theater in Mährisch-Ostrau übernommen. Unter seiner Leitung entwickelte sich diese Bühne, an der nur Schauspiel und musikalisches Lustspiel gepflegt wurden, künstlerisch zu einer der besten Sprechbühnen in der CSR. In seinem Ensemble vereinigten sich Künstler von Rang und aufstrebender talentierter Nachwuchs. Er brachte nach 1933 einen Spielkörper zusammen, der den Vergleich mit Großstadtbühnen nicht zu scheuen brauchte. Bei ihm waren für Jahre oder kürzer verpflichtet: Josef Almas und Sigurd Lohde (bisher Volksbühne Berlin), Hermann Vallentin und Paul Marx (Meinhard-Bemauer-Bühnen), Fritta Brod (Frankfurt 174

Exiltheater in der Tschechoslowakei a.M.), Ernst Duschy und Rolf Döring (Metropoltheater Berlin), Richard Duschinsky, Verfasser des Stückes Stempelbrüder, Paul Demel (Breslau, danach Neues Deutsches Theater Prag), dazu Leo Bieber, Peter Winner, Martin Miller, Walter Szurovy, Christa Bühler und Irene Bäsch. Gastspiele der Bassermanns, von Tilla Durieux, Ernst Deutsch und anderen Prominenten, Auftritte der PFEFFERMÜHLE gehörten ebenfalls zum künstlerischen Profil des Hauses. In Zeisels Spielplan hatten tschechische Autoren einen festen Platz, was ihm bereits 1936 Kritik seitens der SdP einbrachte. Als er in der Spielzeit 1937/38 mit Karel Capeks antifaschistischen Dramen Die weiße Krankheit und Die Mutter die demokratische Position seines Theaters unterstrich, rechneten die Henleinleute nach ihrem Wahlerfolg mit ihm ab. Das Prager Tagblatt meldete: „Rudolf Zeisel, der das einzige deutsche Theater der Republik zu führen verstand, das ohne wesentliche Subventionen der öffentlichen Hand finanziell im Gleichgewicht blieb, stand in den letzten Monaten im Mittelpunkt heftiger Angriffe seitens der Sudetendeutschen Partei, die sechs von den neun Sitzen des Theatervereins innehat. Der Abgang Zeisels aus Ostrau hat die Bestrebungen verstärkt, ihn für eine Übernahme der Direktion des Brünner demokratischen Theaters zu gewinnen" (Prager Tagblatt, 17. Juli 1938). An den Vereinigten deutschen Theatern Brünn war es Mitte April 1938 zu einem handstreichartigen Gleichschaltungsversuch gekommen, der zur Spaltung des Ensembles führte. Seit 1935 hatten die Henleinanhänger versucht, auf diese zweitgrößte deutsche Bühne des Landes Einfluß zu gewinnen - ohne nennenswerten Erfolg. Nun, nach der Besetzung Österreichs durch Hitlerdeutschland, glaubten sie, im Zuge des von Henlein propagierten .Zusammenschlusses des Sudetendeutschtums unter den Fahnen der SdP' sich auch dieser Bühne bemächtigen zu können. Ihre Pläne liefen darauf hinaus, den Theaterverein in den Konkurs zu treiben. Das Ende der Brünner Spielzeit 1937/38 hatte mit einer Inszenierung von Capeks Die weiße Krankheit und der Gründung einer Zweigstelle des Tschechisch-deutschen Bühnenklubs noch einmal einen Höhepunkt gebracht. Ab April wurde das Theater, das zwei Häuser bespielte und dem ein Tag in der Woche im tschechischen Landestheater zur Verfügung stand, von einer Arbeitsgemeinschaft unter dem Reichsdeutschen Hans Baumann weitergeführt, der - unter Ausschaltung des Bühnenbundes - das Personal zu einer Massenklage gegen den Theaterverein veranlassen wollte, um dessen Eingeständnis seiner Zahlungsunfähigkeit zu erzwingen, und eine Debatte über sein autoritäres Vorgehen nicht zuließ. 42 Darsteller des Ensembles stellten sich gegen ihn, erstatteten bei der Polizei Anzeige wegen Betriebsterrors, verließen die Arbeitsgemeinschaft und bemühten sich um eine Konzession zur Weiterführung des Spielbetriebs auf demokratischer Basis. Die Gegenseite, hinter der die Mehrheit der SdP-hörigen Mitglieder stand, operierte rigoroser, besetzte das Schauspielhaus (die sog. „Redoute"), brachte den Fundus in ihren Besitz und beanspruchte die alleinige Fortsetzung des Spielbetriebs. Der Kampf um das Brünner Theater, bei dem schon bald in Presse und Öffentlichkeit von einer demokratischen und einer völkischen Gruppe gesprochen wurde, beschäftigte Stadtverwaltung, Landesbehörde und schließlich die Regierung in Prag. Die 42 demokratischen Schauspieler erfuhren eine vielfältige Unterstützung durch Bevölkerung, Künstlerverbände, Theater wie Mährisch-Ostrau und das tschechische BEFREITE THEATER von Voskovec und Werich, es entstand ein demokratischer Theaterverein, und schließlich wurde auch die Konzessionsfrage entschieden: sowohl die demokratische als 175

Hansjörg Schneider auch die völkische Gruppe erhielt Anfang Juli 1938 die Spielerlaubnis; die demokratische Gruppe für die Redoute, die völkische für das Deutsche Haus und für einen Tag im tschechischen Landestheater. - Die ersten Aufführungen, mit denen das demokratische Theater hervortrat, waren Frantisek Langers Reiterpatrouille („Jizdni hlidka") und Brechts Dreigroschenoper (als Freilichtaufführung). Neu an dieser Inszenierung von Väsa Hochmann war - mit Rücksicht auf das gemischtsprachige Publikum - der Vortrag des Moritaten-Songs in deutsch und tschechisch. Hochmann ließ Shakespeares Sommernachtstraum folgen und Raynals Grabmal des unbekannten Soldaten. Inzwischen waren auf der Gegenseite die Weichen für den Spielzeitanfang gestellt worden. Die neugegründete Deutsche Theatergemeinde verpflichtete für das Deutsche Theater in Brünn, wie sich die völkische Gruppe nun nannte, Theodor Modes als Intendanten, dessen Spielplan alle drei Kunstgattungen vorsah. Der Demokratische Theaterverein betraute mit der Leitung des Neuen Schauspielhauses Brünn, so die Firmierung, Mitte Juli 1938 Rudolf Zeisel. Beide Bühnen wollten im Herbst beginnen, mit entgegengesetzten Konzepten. Modes favorisierte ein ,Kulturtheater', welches von der Voraussetzung ausging, daß das „deutschsprachige liberale Theater [...] in Brünn, wie überall, mit einem völligen Zusammenbruch sein natürliches und wohlverdientes Ende" nicht zuletzt deshalb gefunden habe, weil es unter den Einfluß „volksfremder Elemente und intellektueller Wirrköpfe" geriet (Tagesbote, Brünn, 30. August 1938). Zeisel beabsichtigte ein Theater, „das dem Gedanken der .geistigen Landesverteidigung' dient" (Volksfreund, Prag, 31. Juli 1938). Gewähr dafür sollte ein Spielplan bieten, der neben Klassikern und tschechischen Stücken (Capeks Mutter war für den Staatsfeiertag am 28. Oktober vorgesehen) auch den im „Dritten Reich" verbotenen Autoren (Gorki, Heinrich und Thomas Mann, Horväth) einen Platz einräumte. Zu seinem bis Mitte September verpflichteten Ensemble gehörten Mitglieder der demokratischen Gruppe, deutsche Emigranten (Lothar Rewalt, Josef Almas), auch österreichische Exilanten. Dem Neuen Schauspielhaus sollte eine Elevenschule zur Ausbildung des Nachwuchses angeschlossen werden. Zur Eröffnung dieser Bühne kam es nicht. Die Entwicklung nach München setzte diesem hoffnungsvollen Beginnen - gedacht als „Sammelpunkt aller der Geistesfreiheit und dem Humanitätsgedanken zugeneigten Menschen" (Volksfreund, Prag; 3. Juli 1938) - ein jähes Ende. Und während die völkische Bühne im November 1938 ihren Spielbetrieb aufnehmen konnte, begann für einen Teil der demokratischen Künstler die Zeit der Verfolgung und Emigration. Aktivitäten außerhalb der offiziellen Bühnen Als Beginn des Exiltheaters in der Tschechoslowakei werden gewöhnlich die Prominenten-Gastspiele nach dem Januar 1933 angesehen, was bei genauerer Betrachtung so eindeutig nicht ist. Seit je gehörten Gastspiele in Prag, den nordböhmischen Bädern und in anderen deutschen Theaterstädten der CSR zum festen Bestand einer Spielzeit. Meist handelte es sich dabei um den Auftritt eines Stars mit begleitendem Ensemble, seltener um das Ensemble-Gastspiel eines reichsdeutschen oder österreichischen, vor allem Wiener Theaters. An dieser Praxis änderte sich auch nach dem Machtantritt Hitlers zunächst nichts, und Gastspiele aus dem Reich wurden von Presse und Publikum in der CSR nicht als Folge der Ereignisse in Deutschland angesehen, eher als Weiterführung des be176

Exiltheater in der Tschechoslowakei

stehenden kulturellen Austausche. Wie verworren sich selbst für die Künstler die Situation darstellte, geht aus dem Gastspiel des Konflikt-Ensembles hervor. Die Premiere dieses Stückes von Max Alsberg konnte am 5. März 1933 wegen der Reichstagswahlen nicht in Berlin stattfinden und wurde deshalb nach Prag verlegt. Anschließend fuhr die Truppe, zu der Tilla Durieux, Rainer Litten, Paul Morgan und die Bassermanns gehörten, nach Berlin zurück. Ein Teil der Darsteller verließ Deutschland endgültig einen Tag vor dem Judenboykott, ein anderer Teil erst wesentlich später. Auch in anderen Fällen gab es durch allgemeine Verunsicherung ein heilloses Hin und Her. Insofern ist eine zeitliche Markierung, wann die bisherige Gastspiel-Praxis als Theater der Verfolgten anzusehen ist, für das erste Halbjahr 1933 kaum auszumachen. Anders lagen die Dinge bei den Flüchtlingen, die in Prag eine berufliche Weiterarbeit versuchten. Bei ihnen spricht die Presse von ,Emigranten-Ensembles'. Aus Prag sind zwei Gruppen bekannt, die im Sommer 1933 auftraten, deren Spuren sich dann aber verlieren. Ein Emigranten-Ensemble hatte seinen Spielort im Wintergarten des Cafes Aschermann, stand unter der Leitung des Bühnenschriftstellers Fritz Freund-Collmäry, und in seinen Programmen, einer Folge lockerer Vortragsnummern, wirkten Erna Saiten, Friedrich Günther, Hans Pasch, Sidney Marco, Beppo Lederer, Max Grünberg, Heinrich Heller, Marja Norden, Robert Klein-Lörk und Friedrich Kerten mit. Die Truppe strebte mit ihren Bunten Abenden „zunächst nur die Unterhaltung seines nicht minder bunten Publikums" an (Prager Presse, 16. August 1933), war aber auch ernsterer Töne fähig, wenn in einem Programm jiddische Volkslieder und Texte von Stefan Zweig, Erich Kästner und Walter Mehring zum Vortrag gelangten. Eine andere Truppe, in der Presse als .Kabarett von Emigranten' bezeichnet, zu der Eva Maria Medak und der Sänger Heinrich Heller gehörten, spielte während des Zionistenkongresses ab 21. August 1933 allabendlich in der Prager Alhambra. Auch hier wechselten ernste und heitere Nummern. Diese zusammengewürfelten Gruppen waren charakteristisch für die erste Phase der Emigration in der Tschechoslowakei. Die geflüchteten Bühnenkünstler versuchten, in der neuen Umgebung so rasch wie möglich Fuß zu fassen und ihre berufliche Tätigkeit fortzusetzen, wobei sie auf Bekanntes und Bewährtes zurückgriffen. Auch kam ihnen das allgemeine Durcheinander in Behörden und Amtsstuben zustatten, weil nach Arbeitsbewilligungen zunächst nicht gefragt wurde. Ein Jahr später waren diese .wilden Einsätze' so nicht mehr möglich. Auch basierten die weiteren Exil-Unternehmungen auf anderen Voraussetzungen und verfolgten andere Ziele. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, bestimmten die Arbeit der bis 1938 agierenden Gruppen politisches Profil, aufklärerische Absicht und antifaschistisches Engagement. Diese Ingredienzen eingreifender Kunst sind für die Emigranten-Spieltruppen in der CSR ebenso charakteristisch wie ihre Operativität (Kleine Form/Theater ohne Aufwand) und ihre Verankerung in einheimischer Trägerschaft, die ihnen Existenz und Wirkungsmöglichkeit sicherte. Gemessen an dem kurzen Zeitraum von 5 Jahren und den Bedingungen eines Durchgangsasyls mit häufiger Fluktuation waren die Aktivitäten der Theater-Emigranten in der CSR zahlreich und vielfältig, und manche gewannen Ausstrahlung auf das Gastland und darüber hinaus wie das von Hedda Zinner und Fritz Erpenbeck Ende 1933 gegründete und 15 Monate bestehende STUDIO 1934. Dieses zwölfköpfige, vorwiegend jugendliche Ensemble bestand aus Berufsschauspielern und Amateuren, von denen sechs reichsdeutsche, zwei österreichische und vier tschechoslowakische Staatsbürger waren. 177

Hansjörg Schneider

Neben Hedda Zinner, der Initiatorin und wichtigsten Repertoireschöpferin der Truppe, gehörten zum Darstellerkreis Erich Freund, bis 1933 bei der Ufa, Christa Bühler (d. i. Anna Adler), Ruth Frank, Hella Guth, Maija Norden (d. i. Marya Lörk-Norden), Robert Klein-Lörk, Herbert Kronberger, Julius Unruh (d. i. Julius Simon), Viktor Sordan (d. i. Viktor Steuer), Fritz Walter Nielsen (d. i. Friedrich, auch Fritz, Wallensteiner) und der Pianist Rolf Jacoby, der schon in Berlin mit Hedda Zinner zusammengearbeitet hatte. Später stießen zum inzwischen kleiner gewordenen Ensemble der Schriftsteller Albin Stübs (Stuebs), die Schauspielerin Charlotte Küter, der Komponist Ferovy Gyulai und der Regisseur Hans Burger vom Neuen Deutschen Theater Prag. Ein entscheidendes Motiv zur Gründung der Gruppe bestand darin, der gefährlichen, enervierenden Untätigkeit entgegenzuwirken, der die Flüchtlinge durch die Unmöglichkeit einer Arbeitsaufnahme ausgesetzt waren. Gleichzeitig tauchte die Frage nach dem Ziel der künstlerischen Arbeit im Exil auf. „So stark in uns allen die Sehnsucht war, wieder spielen, musizieren, schreiben zu können, so selbstverständlich war für uns trotz unserer sehr verschiedenen weltanschaulichen Positionen eines: Wir mußten mit unserer Kunst unser wichtigstes Anliegen ausdrücken - Kampf gegen den Faschismus! Aber wie sollte das geschehen? Theater, Agitprop, Kabarett?" An die Etablierung eines eigenen Theaters, was in der deutschsprachigen Umgebung nahelag, war unter den gegebenen Umständen nicht zu denken. Der Besitz einer Konzession, das Vorhandensein von Betriebskapital und Kaution stellten Bedingungen dar, die von den Emigranten nicht erfüllt werden konnten. „Agitprop schalteten wir aus, weil wir den Zuhörerkreis damit von vornherein sehr eingeengt hätten. Also Kabarett? Variete?"21 Die entscheidende Anregung erhielt Hedda Zinner von E. F. Burian, in dessen Theater sie einen Voiceband-Abend erlebte. Der geniale, vielseitige tschechische Theatermann erzielte mit seinem ,Stimm-Orchester' die erstaunlichsten Wirkungen. Hedda Zinner, obwohl der tschechischen Sprache nicht mächtig, war von dem verschiedenartigen Einsatz vokaler und musikalischer Elemente beeindruckt und sah in der Übernahme dieser Form „eine Möglichkeit, unseren Inhalten starken künstlerischen Ausdruck zu verleihen und gleichzeitig auf Theaterspiel, Kostüme und Requisiten verzichten zu können". 22 Gemeinsam mit Rolf Jacoby erarbeitete sie die ersten Programmnummern, während sich das Truppenmitglied Hella Guth um die Legalisierung des entstandenen Kollektivs bemühte. In dem Prager deutsch-jüdischen Verein „Linas Hacedek", der seine Tätigkeit u.a. in den Dienst der Emigrantenhilfe stellte, fand sie einen Rechtsträger. Unterstützt wurde die Truppe weiterhin von F. C. Weiskopf und Walter Taub. Nach dreimonatiger intensiver Probenarbeit stand dann das STUDIO 1934, wie sich das Kollektiv mit deutlichem Bezug auf E. F. Burians D 34 nun nannte, das erste Mal auf einer Prager Bühne (10. März 1934). Zum solistischen wie chorischen Vortrag gelangten die Voiceband-Nummern „Das gelbe Gesicht", „Das Ungeheuer vom Loch 20

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Erinnerungsbericht von Hedda Zinner: Wir sprechen aus, was ist. Studio 1934. In: Erlebte Geschichte. Von Zeitgenossen gesehen und geschildert. 2. Teil: Vom Untergang der Weimarer Republik bis zur Befreiung vom Faschismus. Berlin [DDR] 1972. S. 68. Ebd., S. 69. Ebd.

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Exiltheater in der Tschechoslowakei Ness" und „Passagiere der leeren Plätze" von Hedda Zinner sowie eine von Fritz Erpenbeck zusammengestellte Auswahl deutscher Vormärz-Dichtungen, „deren Beziehung zum heutigen Deutschland von erschütternder Aktualität ist", wie ein Kritiker schrieb (Prager Mittag, 12. März 1934). Den Mittelpunkt dieser Montage bildete das „Deutschland"-Gedicht von Heine. Der Erfolg, den das STUDIO 1934 mit seiner ersten Inszenierung erzielte, übertraf die Erwartungen aller Mitglieder. Das vorzugsweise aus Prager Deutschen bestehende Premierenpublikum feierte das neuentstandene Ensemble, und die deutsche wie tschechische Presse hob neben der Exaktheit und Diszipliniertheit des Vortrags das beachtliche künstlerische Niveau der Darbietungen hervor. „Im Urania-Theatersaal, aber auch im Prager Deutschen Theater ist man solch präziser kollektiver Ausdrucksgestaltung noch nicht begegnet", schrieb Otto Pick in der regierungsamtlichen Prager Presse (13. März 1934). Und Pravo lidu, das Zentral-Organ der tschechoslowakischen Sozialdemokraten, kommentierte: „Im Programm wechseln sozialkritische Nummern mit fein parodistischen, und es überrascht durch den Erfindungsreichtum, mit dem jedes Stück in immer neuen Schattierungen stimmlich und klanglich komponiert ist" (13. März 1934). Hedda Zinners Texte dieses und des im Oktober 1934 aufgeführten zweiten Programms behandelten, angereichert durch Originaldokumente und statistisches Zahlenmaterial, Themen wie Arbeitslosigkeit, Überproduktion von Waren und deren planmäßige Vernichtung, Kampf gegen Ausbeutung und nationale Unterdrückung und zielten in Anlehnung an die antikapitalistische Literatur der zwanziger Jahre - auf eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse. Szenisch umgesetzt wurde dieses Konzept von der Notwendigkeit des Umbaus der Gesellschaft durch Rückgriffe auf die Praxis der deutschen Arbeiterspieltruppen: „Achtung! Achtung! Hier spricht das STUDIO 1934! Wir sind ein Kollektiv! Drum ist es einerlei, ob ich es sage, Oder ich - oder ich - oder ich Oder wir! Alles, was wir einzeln sagen, Sagen wir als Kollektiv." 23 Der Verdeutlichung dieser Absicht entsprach eine einheitliche Spielkleidung, auch die Musik. Sie diente nicht zur Führung oder Variierung einer Melodie, sondern stützte rhythmisch ab, kontrastierte mit dem Text oder erschien als Zitat. Da die Darsteller in einzelnen Nummern meist saßen und nur an besonders akzentuierten Stellen aufstanden, wirkte ihr Vortrag statisch. Umgesetzt wurden auf diese Weise auch die Titel, die direkt auf den Faschismus gemünzt waren: neben „Vormärz 1848" eine Nummer „Dröhnende Wochenschau" und die Satire „Propaganda-Frühling" von Albin Stübs, in der der Autor, unter Verwendimg des Heine-Gedichts „Lorelei", den von Goebbels propagierten Kampf gegen Miesmacher und Nörgler im „Dritten Reich" glossierte. Es hätte dieser Attacken nicht bedurft, um die Aufmerksamkeit bestimmter reichsdeutscher Stellen auf sich zu ziehen, wie ein Artikel im Beiblatt des 8-Uhr-Abendblatt 23

Ebd.,

s.

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Hansjörg Schneider der National-Zeitung verdeutlicht. Auch die tschechische Polizei interessierte sich für die Truppe und überwachte sie. „Nach vertraulichen Informationen ist dieses Ensemble völlig links orientiert, ja, man kann sagen, direkt kommunistisch. Das läßt sich auch dem Inhalt seiner Rezitationen entnehmen".24 Stärkere Eingriffe waren die Folge. Nach dem zweiten Programm (25. Oktober 1934) urteilte das Prager Tagblatt. „Die Vortragsfolge machte den Eindruck eines vom Zensor gerupften Geiers: dem Elan der Darbietungen tat das keinen Abbruch. Mit Ernst und künstlerischer Strenge wird hier gearbeitet, studiert, gedrillt; nichts Improvisatorisches haftet den Vorführungen an. Sie können sich hören lassen. Aber warum geht man auf dem Podium dieses Studios dem rein und nur Musischen so zielbewußt aus dem Weg? Auf der tschechischen Schwesterbühne, in E. F. Burians D 35, geht es weitaus musischer zu; sie ist Tribüne der Kunst und Zeit, nicht nur der Zeit" (26. Oktober 1934). Die hier benannte Stagnation - in einer anderen Zeitung wurde davon gesprochen, daß der Stil der Gruppe „schon anfängt, Manier zu werden" {Die Wahrheit, 3. November 1934) - versuchten die Darsteller mit ihrem dritten Programm zu überwinden. Es war dem im November 1934 verstorbenen Kabarettisten Joachim Ringelnatz gewidmet und wurde von Hans Burger inszeniert. „Alles war szenisch aufgelöst, und den Höhepunkt bildeten die Turngedichte in der parodistischen Darstellung des Kollektivs".25 Zur Premiere (11. Dezember 1934) sprach Otto Pick Worte des Gedenkens. Auch dieser Abend erzielte mehrere Wiederholungen. Insgesamt hatte das STUDIO 1934 in einem Kalenderjahr 16 Vorstellungen (eine davon zum Prager Frühling) gespielt, die nach der Platzkapazität der Spielorte zu schließen - von etwa 5.000 Zuschauern gesehen wurden. Dieser Bilanz, die für ein nichtstationiertes inländisches Theater in Prag schon ein beachtlicher Erfolg gewesen wäre, entsprach das künstlerische Ergebnis: Trotz Schwierigkeiten von außen (Zensur) war es dem Ensemble gelungen, Publikum und Presse „von der Bedeutung seiner Neuartigkeit zu überzeugen", wie es in der deutschjüdischen Wochenschrift Die Wahrheit hieß (17. März 1934). Von großer Bedeutung waren Mitte der dreißiger Jahre die CSR-Gastspiele des Schweizer Emigranten-Kabaretts DIE PFEFFERMÜHLE, die von deutschen wie tschechischen Zuschauern mit Begeisterung aufgenommen wurden. Im Unterschied zum STUDIO 1934 kam die von Erika Mann geleitete PFEFFERMÜHLE aus der Tradition des deutschen literarischen Kabaretts, das sich Anfang der dreißiger Jahre unter dem Druck der Zeitereignisse zu politisieren begann. Die meist in zwei Teile gegliederten Programme beruhten auf dem solistischen Vortrag einzelner Interpreten, verbunden durch eine Conference. In die Abfolge von gesprochenem, gesungenem und gespieltem Wort waren einzelne Tänze eingestreut, die ein bestimmtes Thema behandelten. Man verzichtete weder auf Kostüme und Requisiten noch auf Beleuchtungseffekte. 24

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Bericht des Polizeipräsidiums Prag an die Zensurbehörde vom 25.5.1934 (Zemskemu üradu ν Praze, V Praze dne 25. Kvetna 1934, in: Staatliches Zentralarchiv Prag (SÜA Praha, zu-odd-pol. 1911 - 1938, XIV 199/a, Karton 26). Erinnerungsbericht von Erich Freund, Fotokopie im Besitz des Verfassers.

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Exiltheater in der Tschechoslowakei Grundlage der PFEFFERMÜHLE war ein ausschließlich aus Berufskünstlern bestehendes Ensemble, dem - teils neben-, teils nacheinander - angehörten: Therese Giehse, Sybille Schloß, Kitty Mattern, Hans Sklenka, Igor Pahlen, Robert Trösch, Paul Lindenberg, Heinz Ortmayer, Jaro Krüger, die Tänzerinnen Lotte Goslar, Cilly Wang, die Komponisten und Pianisten Eugen Auerbach, Magnus Henning, Hans Winternitz, Werner Kruse. Über ihre Kabarett-Arbeit hatte sich Erika Mann 1936 in einem Vortrag in Prag geäußert. Bereits vor dem Machtantritt Hitlers sei die PFEFFERMÜHLE mit „der Waffe des Geistes gegen den Nazismus" aufgetreten; das sei nach wie vor das Anliegen. „Die Zeit zwingt jeden Künstler, sich mit Politik zu beschäftigen". Diese Auffassung habe sie bestätigt gefunden in der Arbeit des BEFREITEN THEATERS von Voskovec und Werich, das Antwort auf Fragen gäbe, welche auch sie und ihre Mitstreiter bewegten. Die vermittelten Anregungen nähme sie dankbar an (Rude prävo, 15. Februar 1936). Mit ihrem Kampf für den „Sieg der Vernunft", gegen Lüge und Dummheit, wie Erika Mann die antifaschistische Position der PFEFFERMÜHLE bestimmte, wandte sie sich in erster Linie an ein bürgerliches Publikum, das die Brandzeichen der Zeit nicht wahrnahm oder ignorierte. Diese Absicht ist an vielen Texten ablesbar, so an Erika Manns Solonummer „Der Prinz von Lügenland": Bei mir daheim im Lügenland Darf keiner mehr die Wahrheit reden, Ein buntes Netz von Lügenfäden Hält unser großes Reich umspannt. Bei uns ist's hübsch, wir haben's gut, Wir dürfen unsre Feinde morden. Verleih'n uns selbst die höchsten Orden Voll Lügenglanz und Lügenmut. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, Wer immer lügt, dem wird man glauben. Zum Schluß läßt sich's die Welt nicht rauben, Daß er die lautre Wahrheit spricht [...]" Und am Ende, die Zuschauer beschwörend: „Glaubt ihnen nicht! Schleudert die Wahrheit Ins Lügengesicht! Denn die Wahrheit ganz allein kann's machen!"26 Oft waren die Attacken gegen das NS-Regime in die Form des Märchens gekleidet wie „Des Fischers Frau", eine Kontrafaktur der Grimmschen Vorlage, oder in die der Allegorie wie „Die Dummheit", eine berühmte Solonummer der PFEFFERMÜHLE, dargestellt von Therese Giehse. Auch arbeiteten die Interpreten mit Andeutungen, Zitaten, 26

Zitiert nach: Soweit die scharfe Zunge reicht. Die Anthologie des deutschsprachigen Cabarets. Hrsg. v. Klaus Budzinski. München/Bem/Wien 1964, S. 350 f.

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Hansjörg Schneider Anspielungen und entwickelten, wie eine Brünner Zeitung schrieb, eine regelrechte „Strategie des Indirekten" (Tagesbote, Brünn; 18. Feber 1935), die dem Gegner nicht verborgen blieb. Gegen das erste Gastspiel protestierte der deutsche Botschafter Dr. Koch; es gelang ihm aber nicht, das Auftreten der Truppe zu verhindern. Und nach dem dritten Gastspiel brachte das Henleinorgan Die Zeit einen Artikel, in dem - mit Bezug auf Erika Manns PFEFFERMÜHLE - von kulturbolschewistischen Tendenzen im Theaterleben der Republik die Rede war (19. Juni 1936). Das erste Prager Gastspiel begann am 18. Januar 1935, war auf 14 Tage festgesetzt, mußte aber des großen Erfolges wegen bis 9. Februar verlängert werden. Uneingeschränktes Lob zollte die deutsche wie tschechische Presse vor allem der künstlerischen Leistung von Erika Mann. Das kommunistische tschechische Reportageblatt Halo noviny schrieb: „Die bezaubernde Persönlichkeit Erika Manns, ihr ungewöhnliches schauspielerisches Talent, sich verbindend mit schriftstellerischer Begabung [...], ihr selbstverständliches, sicheres und vornehmes Auftreten, geben ihrem ganzen Kabarett das Gepräge. Sie macht die Conference, leitet jede Nummer ein und ist die Seele der ganzen Vorstellung" (21. Januar 1935). Neben ihr hatten Therese Giehse, die als großartige Charakterdarstellerin gefeiert wurde, und die Grotesktänzerin Lotte Goslar besonderen Erfolg. Das zweite Programm wurde vom 16. bis 31. August 1935 an der Kleinen Bühne des Neuen Deutschen Theaters gezeigt und ließ „schmerzlich die brutale Hand des Zensors fühlen, der das Objekt der Satire, Hitler-Deutschland, auszumerzen bestrebt war" (Der Gegen-Angriff, 31. August 1935). Höhepunkt der dritten Tournee war der Sketch „Der Prophet": „Da wird als Führer-Gestalt eine simple bayrische Hausmeisterin Frau Motzknödel vorgestellt, die die Wurzel alles Bösen auf dieser Welt im - Telephonwesen erblickt. Sie sammelt eine Gefolgschaft Blindgläubiger um sich und leitet den siegreichen ,Aufbruch der Nation' ein, der mit der allgemeinen Verbrennung aller Telephonzellen endigt. Das Spiel der Prophetin - Therese Giehses - , die wahrhaftig in Hitlers Zungen spricht, mitreißend ..." (Die Rote Fahne, 8. Februar 1936). Abermals schlossen sich an die Aufführungen in Prag (1. - 17. Februar 1936) Gastspiele im deutschen Gebiet an. Durch ihre Vorstellungen erreichte DIE PFEFFERMÜHLE Zehntausende von Zuschauern und warnte sie vor der braunen Gefahr. Und wenn sich 1938/39 viele tschechoslowakische Bürger durch rechtzeitige Flucht vor dem deutschen Faschismus retten konnten, hatte sie durch ihre Aufklärungsarbeit einen Anteil daran. Um die Jahreswende 1935/36 entstand - unterstützt vom Exilvorstand der KPD eine Truppe, die sich FREIE DEUTSCHE SPIELGEMEINSCHAFT, PRAG nannte und aus-

schließlich aus Laien bestand. Ihre Initiatorin Gerda Kohlmey hatte in Berlin der Agitprop-Truppe DAS ROTE SPRACHROHR angehört und nach ihrer Emigration im Flüchtlingsheim in Prag-Straschnitz (Strasnice) Unterkunft gefunden. Hier wurde die 1933 gewaltsam unterbrochene Arbeit mit neuer Zielstellung wieder aufgenommen, wozu das Emigrantenquartier günstige Voraussetzungen bot. Sie und Kurt Perl, ein ehemaliges Mitglied des Roten Frontkämpferbundes und in dieser Eigenschaft oft als Saalschutz bei den Vorstellungen des ROTEN SPRACHROHRS eingesetzt, stellten aus kommunistischen, sozialdemokratischen und parteilosen Jugendlichen ein 15 Mitglieder umfassendes Ensemble zusammen, das mit seinen Auftritten den Widerstandswillen der jungen Emigranten stärken, Demoralisationserscheinungen begegnen und für den politischen Zu182

Exiltheater in der Tschechoslowakei sammenhalt der Flüchtlinge im Sinne der Einheitsfront wirken wollte. Ihre Collage von Songs, Gedichten, Liedern und Szenen nannten sie „Emigranten-Revue". Damit überraschten sie die Öffentlichkeit im Frühjahr 1936. Die Premiere erfolgte im Burian-Theater, wo eine Wiederholung des gezeigten Programms stattfand. Das Truppenlied war der später auch in anderen Exilländern bekannt gewordene „Emigranten-Choral": „Uns fehlt das Meer von Hamburg, Bremen, und der Strand von Swinemünde und Wollin, unsre Berge, Wälder, Täler, Höhen, Kiefernheide, Müggelsee, Funkturm von Berlin. Wir haben nicht für immer Lebewohl gesagt, unsre Straße führt zurück, wir kehren wieder Kameraden, unverzagt!"27 Ein Teil des Programms war dem Alltag der Flüchtlinge gewidmet; eine Szene spielte im Wartesaal eines Hilfskomitees, eine andere im Emigrantenheim. Die illegalen Verdienstmöglichkeiten, die sog. „Emigrantenberufe", wurden in einem Song glossiert: „Ob wir Zeitungen verkaufen; ob wir kleine Hunde führen oder neben tauben Tanten laufen oder als Statist Isolden küren ... alles das, alles das macht uns nicht krumm, denn wir wissen ja, wir wissen ja, warum. Sollte man von uns begehren, Frösche kitzeln, Steine zählen, Wolken schieben oder auch die Moldau kehren oder unseren Wanzen Märchen zu erzählen ... alles das, alles das macht uns nicht krumm, denn wir wissen ja, wir wissen ja, warum."28 Der Text basierte auf Fakten: Kurt Perl, sein Verfasser, war Hundebetreuer, andere Flüchtlinge, ζ. B. Kuba, verkauften Zeitungen oder machten Statisterie (wie später Erwin Geschonneck). Die Mehrzahl der Texte stammte von Kurt Perl, unterstützt von Gerda Kohlmey, andere von in Prag lebenden Emigranten wie Max Zimmering und Albin Stübs. Auch Johannes R. Becher, Brecht und der am DEUTSCHEN GEBIETSTHEATER DNEPROPETROWSK tätige Hans Drach waren mit Beiträgen vertreten. Zum Kreis der Darsteller gehörten neben Gerda Kohlmey: Paul Lindner, Ernst Kuli, Kurt Perl, Erich und Friedl Jahnke. Die Namen der anderen Mitwirkenden sind nicht bekannt. Nach dem Erfolg der Truppe im Burian-Theater fanden weitere Vorstellungen im Emigrantenheim in Strasnice und anderen Stützpunkten der Flüchtlinge statt. Einer dieser Aufführungen wohnte Leo Lania bei: „Da wird in irgend einem Hinterzimmer eines Gasthofes oder in dem Speisesaal der Emigrantensiedlung eine Bühne aufgebaut; die Dekorationen, den Vorhang, die Re27 28

Zitiert nach: Deutsche Zentral-Zeitung, Moskau, vom 26.10.1936. Zitiert nach: Leo Lania: Emigranten spielen ihr Leben. In: Das Neue Tage-Buch, 4. Jg. 1936, H. 36 vom 5.9., S. 865.

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Hansjörg Schneider quisiten haben die jungen Leute selbst angefertig; nun kann es losgehen. Kleine Szenen, Einakter, musikalische Nummern - eine bunte Revue [...] Sehr anspruchslos, sehr schlicht, aber mit ehrlicher Begeisterung und Hingabe spielt man. Das Publikum und die Schauspieler sind eine einzige Gemeinschaft. Das Schönste aber ist der Humor, der echte Optimismus, der jede Szene und jedes Lied überglänzt. Nichts Wehleidiges, kein Weltschmerz, keine Bitterkeit. Diese Jungen zeigen, daß sie sich nicht unterkriegen lassen, daß sie ungebrochen sind, daß sie das Lachen nicht verlernt haben" (Das Neue Tage-Buch 4 [1936], H. 36, S. 865). Am 24. September 1936 trat die Gruppe in der „Unitaria" auf der Karlovä auf. Bei dieser von der Liga für Menschenrechte getragenen Veranstaltung gab es auch ein Presseecho. „Harte Kampflieder", so urteilte das Rude" prävo, „wie wir sie vom Auftreten früherer deutscher Gruppen kennen, sind ein Wesensmerkmal auch dieser Gruppe" (27. September 1936). Das Blatt konstatierte herausragende darstellerische Leistungen und hob besonders den Vortrag des Liedes „Mein Vater wird gesucht" durch Gerda Kohlmey hervor. Weitere Aktivitäten der FREIEN DEUTSCHEN SPIELGEMEINSCHAFT waren - mit verändertem Programm - Einsätze zur Unterstützung des spanischen Freiheitskampfes, die Gestaltung eines Hausfestes im Emigrantenheim Strasnice, bei dem Voskovec und Werich auftraten, die Mitwirkung auf einer deutschen Novemberfeier in Prag 1937. Ende dieses Jahres übergab Gerda Kohlmey die Leitung der Truppe, die bis zum Münchner Diktat bestand und als stabilstes Exiltheater-Unternehmen in der CSR gelten kann, an den aus der Sowjetunion ausgewiesenen Erwin Geschonneck. Gösch, wie er sich damals nannte, studierte mit den jungen Leuten ein neues Programm ein (eine Montage aus Kampfliedern vom Bauernkrieg bis zur Gegenwart), mit dem die Truppe noch während der Septemberkrise 1938 in Prag auftrat. Neben der FREIEN DEUTSCHEN SPIELGEMEINSCHAFT gab es in der CSR eine Vielzahl inländischer, meist kommunistisch oder sozialdemokratisch orientierter Laiengruppen. Eine der bekanntesten war das ECHO VON LINKS. Gegründet und geleitet von Louis Fürnberg, bestand es bis 1936, führte mehrere Tourneen im deutschen Gebiet durch und entlarvte in seinen Programmen die Demagogie der Henleinbewegung: „Im Mai, wie's uns zur Wahl ham gecht, dou is a Goudi gewehn! Doi Nazi ham am lautstn brüllt: 'Mir wem enk Arbeit gebn.' Es war a glei a Führer dou, der hoat an neien Trumpf, sagt: ,Leitla, loasts 'n Klassenkampf, der führt enk nur in 'n Sumpf! Ihr müßts eich gegn Tschechn wehrn, sunst fressens enk nuch aaf! Ich wir enk Brout u Arbeit gebn, verlaßts enk ruhig draaf.' Und wie die Wählerei war z* End, war alles wie zuvor ,.." 29 29

Louis Fürnberg: D' Henlein-Kirwa. In: Louis Fürnberg: Gedichte 1927 - 1946. Berlin/Weimar 1972, S. 140.

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Exiltheater in der Tschechoslowakei

Dem Beispiel Rimbergs folgte der deutsche Emigrant Kurt Barthel (Kuba), ein Mitglied der Sozialistischen Arbeiter-Jugend, der in Westböhmen eine Truppe aufbaute, aus der dann DAS NEUE LEBEN hervorging, für das Fürnberg ebenfalls Texte schrieb und das bis 1938 bestand. Mit der wachsenden faschistischen Gefahr in den Sudeten, die durch die Einwirkung des reichsdeutschen Rundfunks und die illegal eingeschleusten Presseerzeugnisse des „Dritten Reiches" entscheidend gefördert wurde, fanden sich auch unter den Mitgliedern der deutschen Theater Künstler zu einer Spielgemeinschaft zusammen, deren Einsätze außerhalb der regulären Spielzeiten lagen, also von April/Mai bis September, und deren Wirken mit dem Namen Väsa Hochmann verknüpft ist. Hochmann, bis 1934 Schauspieler und Regisseur in St. Gallen, kam 1934 ans Stadttheater Aussig, gründete hier - gemeinsam mit dem Kapellmeister Ernst Hirsche und dem Bühnenbildner Erich Jungwirth - ein Kabarett ZUM WELTGEWISSEN und spielte mit diesem Ensemble, das sich bald TRUPPE 35 nannte, im Sommer 1935 insgesamt 65 Vorstellungen im deutschen Gebiet, die von der sozialdemokratischen Bildungszentrale organisiert wurden. Ihr Programm war eine Bündelung zeitgenössischer politischer und sozialer Themen. Im Frühjahr 1936 startete die TRUPPE 35 - Hochmann war inzwischen nach Brünn gegangen - mit einem neuen Programm unter dem Titel „Der Jahrmarkt von Plundersweilern". Es handelte sich um keine Adaption des Goetheschen Stückes, sondern eine Montage von Szenen, Gedichten, Songs. Zur Aufführung gelangten unter anderem Brechts Szene „Pächter Callas" aus Die Rundköpfe und die Spitzköpfe, eine Bearbeitung der Vögel des Aristophanes von Werner Ilberg, einem deutschen Emigranten, die „Ballade von den Torpedos" von Walter Kolbenhoff und eine bereits im Vorjahr zur Aufführung gelangte Szene „Der Anschluß" von Anton Kuh, dazu Gedichte von Heine, Tucholsky, Mehring, Graf, Chansons und Songs von Ilberg, Voskovec und Werich. „Alle Fragen, die uns heute bewegen, werden auf diesem Jahrmarkt aufgerollt: wir sehen das unglückliche Abessinien, wir sehen die japanischen Räuber am Werk, wir sehen die Illusionen des Arbeitslosen zusammenbrechen, im .Reich der Vögel' tritt uns die furchtbare Bedrohung der Menschheit in höchsteigener Gestalt Adolfs des Kriegsbrandstifters lebendig entgegen" (Die Rote Fahne, 27. Mai 1936). So charakterisierte Nuntius, d. i. Louis Fürnberg, das Programm dieses Ensembles, dessen Leitung Väsa Hochmann durch seine berufliche Inanspruchnahme in Brünn über das Jahr 1936 nicht fortsetzen konnte. In den ersten Jahren herrschte in der Exiltheaterarbeit in der CSR die kleine Form vor, die in der Regel ohne technischen und finanziellen Aufwand realisiert werden konnte. Daß aber auch Inszenierungen von Stücken zustande kamen, war das Verdienst des Arbeiterlaientheaterbundes DDOC, der die Darsteller unterstützte und alle organisatorischen Vorarbeiten leistete. In seinem Auftrag inszenierte Hans Burger das StreikStück Waiting for Lefty („Wo bleibt Lefty?") des Amerikaners Clifford Odets für eine Prager Mai-Feier am 30. April 1936. Er stellte aus deutschen Schauspielern tschechoslowakischer Staatsbürgerschaft und deutschen Emigranten ein Ensemble zusammen, zu dem Fritta Brod, Charlotte Küter, Christa Bühler, Erich Freund, Walter Gußmann, Paul Demel, Frieder Wolf, Edgar Mehlhardt, Josef Bunzl, Paul Lewitt, Hans Fürth, Walter

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Hansjörg Schneider Cramer, Artur Raus und Martin Reach (d.i. Jan Martinec) gehörten. Der Aufführung vorangestellt war ein Komplex mit Rezitationen, Liedern und Konzertstücken. Vier Monate danach gab es eine Wiederholung im großen Saal der Urania. Die unter dem Titel „Theater unserer Zeit" in der Presse angekündigte Veranstaltung brachte außerdem die Uraufführung des Einakters Bessie Bosch von Peter Niki (Johannes Wüsten). In diesem Zweipersonenstück, das den Widerstandskampf in Hitlerdeutschland zum Inhalt hat, spielten unter der Regie von Hans Burger Fritta Brod und Erich Freund. Über diesen Abend urteilte das Prager Tagblatt·. „Durch und durch politisches Theater also; oft genug will man widersprechen, oft genug zustimmen, aber ist es nicht ein Lob für einen Theaterabend, wenn er zu lebhafter Stellungnahme reizt, wenn über brennende Probleme des Tages ein gerades (wenn auch nicht endgültiges) Wort gesprochen wird?" (5. September 1936) Die Aufführung beider Stücke vor einem ausverkauften Haus fand auch in anderen Presseorganen eine positive Resonanz. Hervorgehoben wurden die gute Ensembleleistung, straffe Regie und Schauspielerführung und die Leistungen von Fritta Brod und Erich Freund. Der Einakter Bessie Bosch konnte drei Wochen nach der Uraufführung in einer Veranstaltung der Liga für Menschenrechte am 24. September 1936 wiederholt werden, diesmal gekoppelt mit der „Emigranten-Revue" der FREIEN DEUTSCHEN SPIELGEMEINSCHAFT.

Zuspruch und Widerhall, die den ersten Emigranten-Ensembles mit ihren Bunten Abenden zuteil wurden, den aber auch ein „Abend der Komiker" im April 1934 fand, an dem Paul Morgan, Felix Kühne, Christa Bühler, Emil Feldmar und Hilde Ritter vom Berliner TLNGEL-TANGEL beteiligt waren und der - wie die Presse meinte - wieder einmal bewies, „wie sehr dem deutschen Publikum von Prag ein ständiges Kabarett-Theater fehlt" {Prager Mittag, 19. April 1934), sowie nicht zuletzt der große Erfolg der PFEFFERMÜHLE provozierten den Gedanken, eine Kleinkunstbühne ins Leben zu rufen. Sie entstand Ende 1936, nannte sich DIE SCHAUBUDE, wurde von Hans Fürth geleitet und zählte zu ihrem Darstellerkreis die Tschechoslowaken Hilde Maria Kraus, Gloria Grand (Tänzerin) und die Emigranten Lotte Mosbacher und Erich Freund. Autor der Truppe war Egon Lehrburger, ein exilierter Berliner Journalist, der unter dem Pseudonym „Egon Larsen" Kabarett-Texte schrieb und später in England an den Revuen des Freien Deutschen Kulturbundes mitarbeitete. Als Komponist stand der Truppe Leonhard Heinrich zur Verfügung, der zusammen mit Larsen an zwei Flügeln begleitete. Etabliert hatte sich die Truppe im deutschen Volksbildungsverein Urania, wo auch ihr Programm herauskam. Der erste Teil stellte eine Kabarett-Revue mit Einzelnummern (.Jeder sein eigener Robinson") vor, der zweite Teil brachte eine im Jazzstil gestaltete einaktige Operngroteske: Die Pfändungsoper, die von der Konfiskation eines Klaviers handelte und stilistisch Anklänge an die Dreigroschenoper erkennen ließ. Die Premiere war am 1. Weihnachtsfeiertag 1936, es gab 4 Reprisen bis Jahresende und Gastspiele in Brünn und Teplitz-Schönau. Obwohl von Presse und Publikum freundlich aufgenommen, blieb das erste Programm der SCHAUBUDE auch das einzige. Weder aus Zeitungsnotizen noch aus Erich Freunds Erinnerungsbericht geht hervor, warum das Unternehmen eine so kurze Lebensdauer hatte. Von beeindruckender Präsenz waren im tschechoslowakischen Exil die deutschen Tänzer. In keinem anderen Asylland ist zu dieser Zeit eine ähnlich umfangreiche Tanztätigkeit wie in der CSR nachweisbar. Jenny Gertz und Ilse Loesch, zwei Laban-Schülerinnen, die vor 1933 in Halle einen Bewegungschor geleitet hatten, schufen 1934 mit 186

Exiltheater in der Tschechoslowakei einer aus Tschechen und Bulgaren bestehenden Gruppe in der Prager Lucerna ein Bewegungschorwerk mit dem Thema: Bau des Ostsee-Weißmeer-Kanals. Zum nordböhmischen Arbeiter-Musikfest auf der Königshöhe bei Reichenberg gestalteten sie 1935 mit Arbeiterturnern aus der Region eine Bewegungsszene, die „den siegreichen Kampf des Proletariats gegen den Faschismus [...] darstellte", wie es in der Roten Fahne (19. Juni 1935) hieß. Politisch und klassenkämpferisch intendiert war auch die Tanzkunst von Jean Weidt, der im Januar 1936 nach Prag kam. In Deutschland hatte er mit seiner GRUPPE ROTER TÄNZER bei vielen Veranstaltungen der KPD, der Roten Hilfe, des Arbeitertheaterbundes mitgewirkt und war 1933 emigriert (Moskau, Paris). In Prag baute er mit Hilfe des DDOC eine Tanzgruppe aus jungen Tschechoslowaken auf, die sich im März 1936 der Prager Öffentlichkeit vorstellte. Weidt ging es bei seinem Programm um die Gestaltung gesellschaftlicher Probleme auf der Tanzbühne. Kurz-Ballette wie „Unter den Brücken von Paris" oder „China und China" sind dafür charakteristisch. „Unter den Brücken von Paris", heißt es im Programmheft, „leben schon seit vielen Jahren alte Leute. Sie schlafen, essen und warten dort auf ihren Tod". 30 In der „China"-Szene versuchte er - ähnlich wie vor ihm Hedda Zinner - , die Klischeevorstellungen von diesem Land, wie sie Film und Operette beherrschten, zu zerstören und durch ein realistischeres Bild zu ersetzen. Er bediente sich dabei des Kostümwechsels auf offener Bühne, wie er ihn aus der Praxis des Piscator-Theaters kannte. Zur Verdeutlichung des szenischen Vorgangs arbeitete er außerdem mit Masken, die die Tänzer nach dem ersten (romantischen) Teil abnahmen, so daß das , wahre' Gesicht der hart arbeitenden Kulis zum Vorschein kam. Ein besonderes Anliegen des Tänzers Weidt war die Darstellung von Arbeiterfiguren auf der Tanzbühne. Die Neuartigkeit und künstlerische Bewältigung dieser Thematik erregten nicht nur bei linksstehenden Kreisen des Asyllandes Aufsehen. Die tschechische Legionärszeitung Narodni Osvobozeni betonte, daß es Weidt als Tänzer gelinge, in seiner Person immer das Schicksal einer Klasse zu gestalten (24. März 1936), und die liberale Lidove Noviny, für die Karel Capek schrieb, begrüßte Weidts Absicht, „einen Tanz zu schaffen, der den Verhältnissen und Bedürfnissen von heute entspricht und gleichzeitig den Weg zu einer besseren sozialen Zukunft bahnt" (24. März 1936). Anerkennung zollte seiner Arbeit auch der bekannte tschechische Ballett-Kritiker Jan Rejmoser, den besonders das Antikriegsballett „Die Rückkehr des Soldaten unter das Siegestor von Paris" beeindruckt hatte. Weidts bekannteste Truppe wurde das DYNAMISCHE BALLETT (Les Ballets Dynamiques), das aus der ersten tschechischen Gruppe hervorging, im Sommer 1936 entstand und bei vielen Veranstaltungen in den böhmischen Dörfern mitwirkte, auch in Prag gastierte. - Seine Ballettarbeit in der Tschechoslowakei erstreckte sich auf anderthalb Jahre, dann kehrte er nach Paris zurück, nachdem die Volksfrontregierung in Frankreich seine Ausweisung rückgängig gemacht hatte. Die Grotesktänzerin Lotte Goslar blieb ab Sommer 1935 für etwa 18 Monate in Prag, gab hier und in Brünn eigene Tanzabende und trat Ende 1935 bei Voskovec und Werich erfolgreich in deren Aufführung der Lumpenballade („Ballada ζ hadru") auf. Auch Valeska Gert gab 1936 in Prag einen eigenen Abend. Starke Resonanz fanden Kurt Jooß und sein Tanzensemble im April 1937 im Prager Stadttheater (Mestske divaldo na Vinohradech) mit den Tanzdramen „Großstadt", „Ball 30

Material Weidt, Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Exil-Archiv.

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Hansjörg Schneider in Alt-Wien", „Der verlorene Sohn" und „Der grüne Tisch". Das auf vier Abende geplante Gastspiel mußte des großen Erfolges wegen um drei Tage verlängert werden. Das letzte Exiltheater-Vorhaben in der Tschechoslowakei war eine Aufführung von Brechts Die Gewehre der Frau Carrar am 21. Mai 1938. Sie ging unter dramatischen Begleitumständen vonstatten und war im wahrsten Wortsinn ,Zeittheater'. Die nach dem „Anschluß" Österreichs gegenüber der CSR betriebene reichsdeutsche Politik der Drohung, Einschüchterung und Erpressung erreichte während der Gemeindewahlen im Mai 1938 ihren Höhepunkt in einer Truppenkonzentration an der tschechoslowakischen Grenze. Diese Operation löste Gegenmaßnahmen auf tschechischer Seite aus, und die Regierung ordnete für den 21. Mai die Teilmobilmachung an. Während die Staatsverteidigungswache ihre Stellungen bezog, verfolgte das Publikum in der Prager Unitaria die Aufführung des Brecht-Stückes, veranstaltet von der Gesellschaft der Freunde des demokratischen Spanien in der CSR und vom Volksbühnenbund. F. C. Weiskopf wies in einer Ansprache auf die besondere Bedeutung dieses Schauspielabends hin: „Vielleicht wird es morgen nicht mehr nur um Frau Carrar und ihren Sohn Jose, vielleicht wird es um Frau Noväk und ihren Josef gehen" (Die Rote Fahne, 24. Mai 1938). Unter der Regie von Paul Lewitt spielten: Charlotte Küter (Carrar), Omre Marie, der Sohn von Arnold Marie (Jose), Erwin Gösch, i. e. Geschonneck (Pedro), Amy Frank (Perez), Erich Freund (Padre), Leo Bieber (Verwundeter), Hans Lichtwitz (Stimme des Generals). Die Manuela war mit einer lettischen Studentin, einer Amateurin, besetzt. „Der starke, langanhaltende Beifall, mit dem das Stück aufgenommen wurde, galt nicht nur der Dichtung und den Darstellern, sondern vor allem der Lehre des Stückes, zu der man sich bekennen wollte" (Sozialdemokrat, Prag, 24. Mai 1938). Neben diesen kollektiven Unternehmungen der Flüchtlinge gab es in der Tschechoslowakei eine Vielzahl individueller Aktivitäten, die einen anderen Stellenwert beanspruchen dürfen als sogenannte Tingeleien. Sie sind auch nicht gleichzusetzen mit Partei-Einsätzen, die sich als selbstverständliche Verpflichtung aus einer Mitgliedschaft ergaben. Diese in den seltensten Fällen honorierten .Engagements' erstreckten sich auf Mitwirkung in antifaschistischen Veranstaltungen, Tätigkeit in Organisationen, anleitende Hilfe bei Laiengruppen und waren für viele CSR-Emigranten eine Selbstverständlichkeit, da ihnen bewußt war, daß ihre Sicherheit von der Sicherheit ihres Asyllandes abhing. Zu den meistbeschäftigten Darstellern des Neuen Deutschen Theaters Prag gehörte Fritz Valk. Trotz seiner starken beruflichen Beanspruchung übernahm er die deutsche Präsidentschaft im Tschechisch-deutschen Bühnenklub, auch wirkte er in antifaschistischen Veranstaltungen mit, wie in „Prager Künstler für das demokratische Spanien" (Oktober 1936) sowie in einer Vorstellung der Spieltruppe DAS NEUE LEBEN zugunsten der Notstandsgebiete im Erzgebirge (November 1936). Arnold Marie' war neben Vaclav Vydra, Fritz Walter Nielsen und Felix Kühne beteiligt an der Gedenkfeier für Erich Mühsam. Im Volksbühnenbund gehörte er seit Februar 1937 gemeinsam mit Paul Leppin und Leo Kestenberg zum Vorstand dieser Dachorganisation für alle antifaschistisch-demokratischen Laiengruppen im deutschen Gebiet. Paul Demel, ebenfalls Vorstandsmitglied, rezitierte mit Fritta Brod bei einer von der KPTsch initiierten Großveranstaltung im nordböhmischen Grünwald (Mseno nad Nisou) und spielte dort mit ihr die Uraufführung des Einakters Die Lehre von Maria Stern von 188

Exiltheater in der Tschechoslowakei Johannes Wüsten (Juni 1936). An der Uraufführung der Satire Der Rattenfänger bei den Schildbürgern von Albin Stübs 1938 auf der Königshöhe bei Reichenberg wirkten unter der Regie von Amy Frank Erwin Geschonneck und Leo Bieber mit. Paul Lewitt betreute während seines Reichenberger Engagements 1936/37 eine Laiengruppe, mit der Erich Freund zu einem Fest der Arbeitersportler in Neustadt an der Tafelfichte (Nove Mesto pod Smrkem) 1937 eine Szene aus Fuente ovejuna von Lope de Vega einstudierte. An zahlreichen literarischen Veranstaltungen der „Linksfront" (Leva fronta) waren als Sprecher bzw. Rezitatoren Amy Frank, Charlotte Küter, Friedrich Richter, Walter Taub und Paul Lewitt beteiligt. Eine Wirksamkeit besonderer Art entfaltete Fritz Walter Nielsen. Der 1903 in Stuttgart geborene Publizist, Schauspieler und Mitarbeiter sozialdemokratischer Zeitungen kam Ende Oktober 1933 nach Prag, „um nicht mehr in dem Konzentrationslager Deutschland leben zu müssen". 31 Er schloß sich dem STUDIO 1934 an und baute sich ein Repertoire für Vortragstätigkeit auf. Im Mai 1934 las er anläßlich des Jahrestags der Bücherverbrennung aus Büchern, Briefen und Bekenntnissen Geflüchteter, Gefangener, Ermordeter und wiederholte diesen Abend ein Jahr später - diesmal in tschechischer Sprache. Das Programm, kontrastiert mit NS-Rundfunkreportagen und -reden, bildete den Kern seines 1936 erschienenen Buches Kniha ν plamenech („Buch in Flammen"), das mit Vorbemerkungen von Otokar Fischer, Josef Hora und Vladislav Vancura 1936 im F.-J. Müller-Verlag in Prag erschien. Daß Nielsen auch Veranstaltungen für soziale Zwecke unterstützte, bewies seine Teilnahme - gemeinsam mit Viktor Sordan - an einer Weihnachtsfeier zugunsten des Notstandsgebietes Rothau-Neudeck (Rotava-Nejdek) im Dezember 1934. Wie sehr ihm das Schicksal seines Asyllandes, das in München von den einstigen Verbündeten verraten und Hitler geopfert worden war, am Herzen lag, zeigte sich 1938 in seinem „Appell an die Welt", einem offenen Brief an die Staatsmänner des Westens, der von erstaunlichem politischen Weitblick zeugt. Dem französischen Premier Daladier prophezeite er: „Der Tag wird kommen, da auch Frankreich allein dem Ansturm seiner Gegner ausgeliefert ist." Chamberlain gab er zu verstehen, daß man dessen Namen „in nicht ferner Zukunft" verfluchen werde, „wenn sichtbar wird, welch Gift dem Samen dieser .Friedenstat' entspringt". Denn ihm, Nielsen, war - wie er an Roosevelt schrieb eines klar: „Zwei Urteile wurden in München gefällt; das eine über die Tschechoslowakei, ein anderes über die Demokratien Europas. Das Land der Tschechen und Slowaken wurde schwer verwundet; zu Tode getroffen wurden die großen Mächte des Westens. [·..]"'32

Das Ende des Freisinns Es war nicht nur Enttäuschung und Verbitterung des Demokraten und Weltbürgers, sondern wohl auch des tschechoslowakischen Staatsbürgers Thomas Mann über das 31

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Zitiert in: Drehscheibe Prag. Deutsche Emigranten 1933 - 1939. Ausstellungskatalog. Hrsg. vom Adalbert Stifter Verein. München 1989, S. 60. Zitiert nach: Exil und Asyl, a.a.O., S. 260 f.

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Hansjörg Schneider Münchner Abkommen, das ihn am 4. Dezember 1938 vor zwanzigtausend New Yorkern im Madison Square Garden die Worte sprechen ließ: „Die Geschichte des Verrats der europäischen Demokratie an der tschechoslowakischen Republik, der Darbringung dieses der Demokratie verbundenen und auf sie vertrauenden Staates an den Faschismus, um ihn zu retten, ihn dauernd zu befestigen und sich seiner als eines Landsknechtes gegen Rußland und den Sozialismus zu bedienen, - diese Geschichte gehört zu den schmutzigsten Stücken, die je gespielt worden sind".33 Mit dem Schiedsspruch der Viererkonferenz, an der kein Vertreter der tschechoslowakischen Regierung teilnahm, wurde auf höchster diplomatischer Ebene die sogenannte „Sudetenfrage" gelöst. Auf diese Weise verlor die CSR fast ein Drittel ihres Territoriums mit über einer Million Tschechen und Slowaken. Von den ehemals 3,2 Millionen Deutschen verblieben in der Rest-Republik noch 400.000, davon rund 42.000 in Prag und 52.000 in Brünn. Wirtschaftlich büßte die CSR ungefähr 40 Prozent ihrer gesamten Industriekapazität ein sowie ihr modernes, intaktes Verteidigungssystem. Die Slowakei erzwang die Autonomie mit einer eigenen Landesregierung, auch die Karpatho-Ukraine setzte eine Selbtverwaltung durch. Innenpolitisch waren die Veränderungen in der sog. „Rumpf-Republik" nicht weniger einschneidend. Nach dem Rücktritt von Präsident Bene! (Anfang Oktober 1938) vollzog sich unter der Nachfolgeregierung von Dr. Emil Hächa und Rudolf Beran der schrittweise Abbau der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie. Dem Verbot der KPTsch folgten Angriffe auf führende Vertreter des tschechischen Geisteslebens. Ein Postulat lautete .Säuberung der Nation vom einheimischen und ausländischen Schund', worunter die Werke Karel Capeks, Nezvals, Olbrachts, Vancuras, Majeroväs und anderer zu verstehen waren. Dem BEFREITEN THEATER wurde die Konzession entzogen, aus dem Tschechisch-deutschen Bühnenklub verschwanden auf Druck der Regierung die deutschen Mitglieder, die Zweigstelle des Bühnenklubs in Mährisch-Ostrau mußte auf Weisung der Polizei ihre Tätigkeit einstellen. Nichts charakterisiert die kulturpolitische Entwicklung nach München besser als die Tatsache, daß Capeks Drama Die weiße Krankheit verboten und Hitlers Mein Kampf zugelassen wurde. „... das geistige Klima der sogenannten .zweiten' tschechischen Republik, die mit dem Pakt von München begann, schien uns, die wir an Freiheit gewöhnt waren, unerträglich - es kamen jetzt die reaktionärsten tschechischen Schichten zur Herrschaft, und der Freisinn, der in der ersten Republik (wenn auch nicht durchwegs, wenn auch manchmal nur oberflächlich) den Staat gelenkt hatte, rauchte rasch aus ..." (Max Brod)34 Die Angriffe der tschechischen Rechten lichteten sich auch gegen die deutschen Emigranten. Die Zeit, sie endlich auszuweisen und ihre Presseorgane zu verbieten, hielt die Zeitung der Agrarier Vecer für gekommen. Am 20. Oktober 1938 erschien der Prager Mittag, für den u. a. Emil Faktor schrieb, nicht mehr. Das Neue Deutsche Theater hatte, wie die meisten Prager Bühnen, den Spielbetrieb durch die politischen Ereignisse Ende September einstellen müssen. Nach München 33 34

Dieser Friede. In: Thomas Mann: Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Bd. 12. Berlin u.a. 1965, S. 101. Max Brod: Aufbruch. In: Verbannung. Aufzeichnungen deutscher Schriftsteller im Exil. Hrsg. von Egon Schwarz und Matthias Wegner. Hamburg 1964, S. 45 f.

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Exiltheater in der Tschechoslowakei

wurde es nicht mehr geöffnet; am 31. Oktober erhielten die Künstler ihre Kündigung. Auch das demokratische Theater in Brünn hörte auf zu existieren. Den Emigranten Hermann Vallentin und Josef Almas blieb in Mährisch-Ostrau für ihr Benefiz das Deutsche Theater verschlossen; sie verabschiedeten sich von ihrem Publikum im Tschechischen Landestheater. Einen letzten Versuch der Weiterarbeit unternahmen in Prag Walter Taub und Renato Mordo mit einer literarisch-musikalischen Revue unter dem Titel Böhmische Bilder, an der u. a. Amy Frank, Charlotte Küter, Friedrich Richter und Paul Lewitt beteiligt waren und die auf einer Tournee in Nord- und Südamerika, und zwar fünfsprachig, gezeigt werden sollte. Das - nicht realisierte - Vorhaben stand bereits im Zusammenhang mit der beginnenden Auswanderung bzw. Weiteremigration. Diese Aktion umfaßte die reichsdeutschen und österreichischen Emigranten, die Sudetenflüchtlinge, die im Zuge der faschistischen Besetzung der Grenzgebiete ins Landesinnere geströmt waren, und die in der Rumpfrepublik ansässigen, nicht minder gefährdeten jüdischen oder antifaschistischen Staatsbürger. Parteien, Organisationen, Hilfswerke standen vor der schier unlösbaren Aufgabe, hunderttausend Menschen zu retten, was ohne Hilfe von außen nicht gelingen konnte. Sie wandten sich an politische und karitative Organisationen in aller Welt und erbaten Geld und Einreisevisa. In verschiedenen europäischen Ländern bildeten sich meist auf Initiative namhafter Persönlichkeiten Hilfskomitees zur Unterstützung der Gefährdeten. Obwohl der Völkerbund den Schutz der Sudetenflüchtlinge beschlossen hatte, erfolgte deren Evakuierung, wie auch die der anderen Bedrohten, schleppend und zögerlich, und so war bis zur Vernichtung des tschechischen Staates am 15. März 1939 nur ein Teil der Gefährdeten außer Landes gekommen, so daß die Rettungsaktion hinter dem Rücken der Gestapo weitergeführt werden mußte. Vor allem der Klub „Die Tat" machte sich darum verdient: Elsbeth Warnholtz war bereits im Herbst 1938 in seinem Auftrag nach England gefahren, um - mit Unterstützung von Gerhard Hinze - Visa zu besorgen; nun wurden illegale Grenzübergänge nach Polen organisiert. Zu den Helfern, die die Flüchtlinge ins mährisch-schlesische Industriegebiet brachten und sie dort den Grenzgängern übergaben, gehörten Charlotte Küter und Amy Frank. Der Flüchtlingsstrom aus der Tschechoslowakei erstreckte sich auf europäische und außereuropäische Länder. Nach Übersee gingen - mit Zwischenaufenthalten in westeuropäischen Staaten - Ernst Deutsch, Paul Marx, Lotte Stein, Walter Weinlaub (Wicclair), P. Walter Jacob, Lothar Rewalt - und mit ihnen Jiri Voskovec, Jan Werich und der Komponist Jaroslav Jezek. In Schweden fanden Lux Rodenberg, Walter Taub, Peter Winner, Hugo Steiner-Prag, in Israel Louis Fürnberg und Max Brod, in der Schweiz Hermann Vallentin und Väsa Hochmann Asyl. Die meisten aus der Tschechoslowakei geretteten Emigranten gingen nach England. Zu ihnen gehörten Charlotte Küter, Amy Frank, Friedrich Richter, Paul Lewitt, Erich und Nina Freund, Julius Gellner, Elsbeth Warnholtz, Fritz Valk, Gerhard Hinze, Josef Almas, Heinrich Fischer, Leo Bieber, Arnold Marie, Paul Demel, Kurt Barthel (Kuba), Gerda Kohlmey und mit ihnen Ludwig Winder, Rudolf Fuchs, Otto Pick, Ernst Sommer. Für einige freilich führte kein Weg in die Freiheit, und sie büßten die deutsche Besatzung mit ihrem Leben: Rudolf Zeisel, Hans Fürth, Georg Mannheimer, Paul Leppin, Friedrich Bill, Vladislav Vancura, Josef Capek, die Komponisten Erwin Schulhoff und Hans Kräsa und die DDOC-Funktionäre Klara Lindt und Frantisek Spitzer. 191

Hansjörg Schneider Literatur Exil und Asyl. Antifaschistische deutsche Literatur in der Tschechoslowakei 1933 1938. Hrsg. von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Miroslav Beck und Jiri Vesely. Berlin [DDR] 1981. Hansjörg Schneider: Exiltheater in der Tschechoslowakei 1933 - 1938. Berlin [DDR] 1979. Hansjörg Schneider: Exil in der Tschechoslowakei. In: Ludwig Hoffmann u. a.: Exil in der Tschechoslowakei, in Großbritannien, Skandinavien und Palästina. 2. erw. Aufl. Leipzig 1987 (= Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933 - 1945. Bd. 5). Hansjörg Schneider: Das Neue Deutsche Theater Prag in den dreißiger Jahren. In: Exiltheater und Exildramatik. Maintal 1991, S. 104 - 117 (= Exil. Sonderband 2). Archive Bundesarchiv Berlin (Fonds: Reichsministerium des Innern, Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Deutsche Stiftung, Auswärtiges Amt) Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (früher: Archiv des Instituts für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands), Berlin Staatliches Zentral-Archiv Prag (Statni üstredni archiv ν Praze) Archiv der Hauptstadt Prag (Archiv hlavniho mesta Praha) Theaterabteilung des Nationalmuseums Prag (Narodni muzeum, divadelni oddeleni, Praha) Theaterinstitut Prag (Divadelni ustav) Archiv der Kanzlei des Präsidenten der Republik (Archiv kanzelare presidenta republiky, AKPR) Archiv Schneider (im P. Walter Jacob-Archiv der Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur)

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Exiltheater in Frankreich Asylgesetzgebung und Asylpraxis Zwischen 1933 und 1939 kamen etwa 55.000 deutsche Hitlerflüchtlinge nach Frankreich ins Exil. Im Durchschnitt kann man mit einer permanenten Präsenz von etwa 25.000 Emigranten auf französischem Territorium rechnen, einem Drittel davon in Paris. Sie mußten davon ausgehen, daß bei der französischen Bevölkerung noch Ressentiments infolge der „Grande Guerre" spürbar waren, einem Massenansturm von Deutschen also mit einer gewissen Beklemmung entgegengesehen wurde. Zudem waren die Folgen der Wirtschaftskrise von 1930 noch keineswegs überwunden. Die Asylbestimmungen in Frankreich waren ausgesprochen liberal. Die Aufnahme der ersten Emigrantenwelle im Frühjahr 1933 verlief infolgedessen problemlos. Die Bürokratie schwankte zwischen Härte und Laisser-faire. Die Stimmung im Lande enttäuschte jedoch die Emigranten: Sie stießen auf mangelndes Interesse für die politischen Vorgänge in Deutschland. Von der Rothschild-Familie abgesehen, die einen eigenen Unterstützungsfonds ins Leben rief, verhielt sich der Großteil der alteingesessenen jüdischen Familien den rassisch Verfolgten gegenüber eher zurückhaltend. Mit dem anwachsenden Strom von Exilanten wuchs die Ausländerfeindlichkeit und mit ihr der Antisemitismus. Beides wurde durch die steigende Arbeitslosigkeit, die im kulturellen Bereich besonders gravierend war, noch verschärft. Faschistische Gruppen wie die „Croix de Feu" existierten bereits, blieben aber zunächst eine Randerscheinung. Von einer faschistischen Massenbewegung konnte in den dreißiger Jahren keineswegs die Rede sein. Die offizielle Haltung der französischen Regierung angesichts der Flüchtlingswelle aus NS-Deutschland war von Neutralität gekennzeichnet. Man verbot eine Einmischung in französische Angelegenheiten, ließ aber das antifaschistische Engagement der Exilierten zu. Politische Unterstützung kam nicht in Frage; sie hätte im Zweifelsfall die eigenen außenpolitischen Interessen tangiert. Die Exilpresse wurde nur in seltenen Fällen der Zensur unterworfen. Repressionen und Ausweisungen löste erst das Attentat auf den König von Jugoslawien im Oktober 1934 aus, dem auch Frankreichs Außenminister Louis Barthou zum Opfer fiel. Die Sozialisten erzwangen daraufhin am 29.1.1935 in der Abgeordnetenkammer eine Debatte über das Asylrecht. Die hohe Arbeitslosenzahl in Frankreich diente als Rechtfertigung für das generelle Arbeitsverbot, dem die Exilanten unterlagen. Im Kunst- und Theatersektor wurde das Arbeitsverbot allerdings wenig beachtet. Schon 1934 wurden Pressekampagnen gegen die Ausländer geführt. Angeblich raubten sie den französischen Arbeitern die wenigen Arbeitsplätze. Auch gegen die emigrierten Theaterkünstler, besonders im Variet6-Bereich, fanden Protestkundgebungen von arbeitslosen Franzosen statt. Die Proteste waren von der Sachlage her kaum gerechtfertigt. Zwar kam es in kurzen Perioden zu häufigeren Auftritten vor allem von emigrierten Sängerinnen und Kabarett-Künstlern, aber im allgemeinen waren allein die sprachlichen Schwierigkeiten so groß, daß von einer nennenswerten Konkurrenz nicht die Rede sein konnte. Unter diesen Umständen blieben die Arbeitsbedingungen für die Exilkünstler prekär. 193

Claudie Villard Eine Wende zum Positiven trat mit der Volksfrontregierung unter Führung von Leon Blum 1936 ein. Das Blum-Kabinett erließ am 19.9.1936 ein Dekret, das die Erteilung von Ausweisen für die Flüchtlinge erleichterte. Im außenpolitischen Bereich folgte man dagegen dem Prinzip der Nichteinmischung, so im Spanischen Bürgerkrieg - eine bittere Enttäuschung für die Emigranten. Nach dem Rücktritt der Volksfrontregierung und nach der neuen Flüchtlingswelle ab März 1938 steuerte Frankreich erneut einen repressiven Kurs gegen die Emigranten, der mit dem Beschluß zur Appeasement-Politik (Münchner Abkommen) einen Höhepunkt fand. Inzwischen hatte sich auch die wirtschaftliche Lage wieder verschlechtert; das Scheitern des sozialistischen Experiments hinterließ ein in seinem Verhältnis zu Deutschland gespaltenes Land. Bis zum Kriegsausbruch genossen die exilierten Intellektuellen und Künstler in Frankreich jedoch einen beträchtlichen Freiraum, obwohl ihre Tätigkeit - besonders eine öffentlich wirksame wie im Theater - der deutschen Botschaft oft ein Dorn im Auge war. Die schlechte materielle Lage der meisten Emigranten setzte dieser Freiheit allerdings enge Grenzen. Periodisierung Das Exil in Frankreich läßt sich in vier Phasen einteilen, die von den politischen Entwicklungen in Frankreich und Deutschland bestimmt wurden. Diese Einteilung erweist sich auch im speziellen Fall der Theaterproduktion als relevant. Die erste Periode (1933 bis 1935) war für die Theaterkünstler die Phase der Umstellung und Anpassung an die Verhältnisse in einem fremdsprachigen Exilland. Man gründete Komitees, nahm an deutsch-französischen Kundgebungen gegen den Faschismus teil, organisierte Lesungen. Die Jüngeren versuchten bereits Ende Juni 1933, sich in der JUNGEN DEUTSCHEN TRIBÜNE zu vereinigen. Die Saar-Abstimmung im Januar 1935, die von den Frankreich-Emigranten genau verfolgt wurde, konfrontierte sie mit der möglichen Konsolidierung des Hitlerstaates und bereitete allen Hoffnungen auf sein schnelles Scheitern ein Ende. Der Regierungsantritt der Volksfrontregierung am 4. Juni 1936 leitete die zweite Phase der Kulturarbeit, vor allem für das Exiltheater, ein. Die Förderung der Massenkultur, insbesondere des Arbeitertheaters, stellte größere Möglichkeiten für eine deutschfranzösische Kooperation in Aussicht. Das brutale Ende des Volksfrontexperiments und der „Anschluß" Österreichs im März 1938, der die dort arbeitenden Theaterkünstler in alle Welt zerstreute, bewirkten keineswegs lähmende Resignation, vielmehr wurde ein neuer Wille zur Sammlung der Kräfte erkennbar. Das Projekt der Gründung einer ständigen deutschsprachigen Bühne gewann deutlichere Konturen. Das Jahr 1938 markiert infolgedessen einen Höhepunkt in der Geschichte des Exiltheaters in Paris. Die Zuspitzung der internationalen Spannungen Ende 1938 und schließlich der Beginn des Krieges im September 1939 vereitelten jedoch endgültig alle Pläne für ein deutschsprachiges Ensemble. Es setzten die Masseninternierungen in Lagern wie Gurs, Les Milles, Rieucros oder Le Vernet ein. Während der Besatzungszeit blieb den von den französischen Behörden internierten Emigranten die bescheidene Theaterkultur in den Lagern als Rettungsanker, so in Gurs und an anderen Orten. Im Lager Le Vernet schrieb Friedrich Wolf seinen Beaumarchais und Rudolf Leonhard sein Drama Geiseln (1941). 194

Exiltheater in Frankreich „Trotz alledem" könnte das passende Stichwort zur Charakterisierung dieser letzten Phase des Exiltheaters in Frankreich lauten. Voraussetzungen für die Integration der Exilierten Die Kulturchronik der deutschsprachigen Emigration in Frankreich1 liest sich wie eine kontinuierliche Folge von gemeinsamen oder parallelen Veranstaltungen französischer und deutscher Schriftsteller und Künstler. In keinem anderen Exilland waren die Möglichkeiten für die Emigranten, in der Landessprache Bücher oder Zeitschriftenartikel zu veröffentlichen, so groß wie in Frankreich. Der Zustrom von Emigranten stellte für die meisten französischen Intellektuellen eine Herausforderung dar, auf die sie mit ihrem persönlichen Einsatz antworteten. Besonders linke Autoren, also Pazifisten, Sozialisten und Kommunisten, schlugen sich sofort auf die Seite der Emigranten. Sie initiierten zahllose Protestkundgebungen. Bereits im März 1933 sprach Andre Gide im Rahmen der A.E.A.R, der „Vereinigung revolutionärer Schriftsteller und Künstler", dem französischen Pendant zum deutschen BPRS, über das Thema „Le fascisme contre la culture"; in L'Humanite veröffentlichte er einen Artikel gegen die Verhaftung Thälmanns. Henri Barbusse, Romain Rolland, Jean-Richard Bloch beteiligten sich aktiv an der Gründungsversammlung des „Französischen Komitees für die Unterstützung des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse" (1.4.1933). Kurz vor dem Reichstagsbrandprozeß im September 1933 rief dieses Komitee zu einer Kundgebung auf, auf der Kisch, Leonhard, Malraux und Barbusse das Wort ergriffen. Anfang Januar 1934 wurde in Paris das „Comite International d'aide aux antifascistes allemands" gegründet; den Vorsitz führten Gide und Malraux. Sehr rasch arbeiteten Deutsche und Franzosen Hand in Hand: Gide und Rolland wurden Ehrenpräsidenten der Deutschen Freiheitsbibliothek; der Dramatiker Henri-Rene Lenormand, ein Vertreter des sog. „psychologischen Theaters", hielt eine Rede bei der Eröffnungsfeier (10.5.1934). Einen ähnlichen Rahmen für deutsch-französische Autoren- und Solidaritätsabende bot auch der im Oktober 1933 in Paris neugegründete „Schutzverband Deutscher Schriftsteller" (SDS). (Der alte SDS war von den Nazis übernommen worden.) Am 25.3.1935 hielt hier z.B. der Romancier und engagierte Bühnenschriftsteller Jean-Richard Bloch einen Vortrag über die Literatur der Gegenwart in Frankreich. Umgekehrt wurde Ernst Toller vom französischen PEN-Club unter Blochs Vorsitz zu einem Vortrag über „Le risque de l'intellect dans l'Europe d'aujourd'hui" eingeladen (12.3.1934). Die Solidaritätskundgebungen der französischen Intellektuellen mit den vom NS-Regime verfolgten Kulturträgern aus Deutschland fanden ihren Höhepunkt im „Ersten Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur", der vom 21. bis 25. Juni 1935 in der Mutualite stattfand. Die Theaterkünstler und Dramatiker standen jedoch am Rande. Als einziger prominenter deutscher Dramatiker trat Brecht als Redner bei dieser Veranstaltung auf. Toller schickte ein Grußwort; der Theaterkritiker Alfred Kerr hielt eine kurze Rede. Auf französischer Seite sprachen Jean-Richard Bloch, Edouard Duj ardin, Henri-Rene Lenormand, Leon Moussinac (1932 Leiter des Theatre d'Action International, zwischen 1933 und 1935 dann Regisseur am Jüdischen Theater 1

Vgl.: Albrecht Betz: Exil und Engagement. Deutsche Schriftsteller im Frankreich der dreißiger Jahre. München 1986.

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Claudie Villard in Moskau. Mit Ausnahme eines russischen Redners, der ein Loblied auf das revolutionäre Theater und den sozialistischen Realismus anstimmte, ging jedoch nur Lenormand näher auf das Theater ein. Die meisten großen Persönlichkeiten der französischen Theaterwelt fehlten bei dieser Veranstaltung - Giraudoux, Anouilh, Claudel, Cocteau und andere mehr. Antonin Artaud hatte sich ohnehin vom tragenden Gedanken der Veranstaltung distanziert. Bei der „Verteidigung der Kultur" war das Theater offensichtlich von nur peripherer Bedeutung. Unterschiede der Theatersysteme Vergleicht man das deutsche und das französische Theater der Zeit vor 1933 miteinander, so stößt man auf gewaltige Unterschiede. Die Avantgarde war in Deutschland aus den Wirren von Kriegsniederlage, spartakistischer Revolution und rechtem nationalistischem Revanchismus hervorgegangen. Um die Republik zu verteidigen, mußte sie sich politisch an der Seite der Linken engagieren. Das Theater wurde zum Forum der politischen Auseinandersetzung, zur öffentlichen Instanz. Es experimentierte mit Blick auf zu leistende Aufklärungs- oder Agitationsarbeit. Von dieser Arbeit eines Brecht, eines Piscator war nur wenig nach Frankreich vorgedrungen. In gleicher Weise hatte das französische avantgardistische Theater, das bis in die dreißiger Jahre hinein vom Surrealismus und Dadaismus beeinflußt war (Apollinaire, Cocteau, Raymond Roussel, Tzara, Breton u.a.), auf den deutschen Bühnen nur geringe Resonanz gefunden. Deutlich beschrieben wird diese Differenz in dem Buch Le theatre allemand d'aujourd'hui von Rene Lauret, einer Vermittlerfigur zwischen deutschem und französischem Theater, das - 1933 in Paris herausgekommen - gerade an der Scheide zwischen zwei Epochen des deutschen Theaters steht. Lauret verweist in ihm auf die gewaltige Kluft zwischen dem deutschen und dem französischen Theaterpublikum und somit auf die unterschiedlichen Zielsetzungen der Bühnenautoren in beiden Ländern. Der Franzose spreche von der Schaubühne als „comedie", der Deutsche als „Drama"; der französische Zuschauer wolle sich im Theater erholen und ergötzen - daher der große Erfolg des „Boulevardtheaters" - , der deutsche sich erbauen, etwas lernen. Der größte und beste Teil des deutschen Dramas sei im grauen kleinbürgerlichen Milieu angesiedelt - Lauret spricht von der „Schlechtgelüftetheit" der deutschen Produktion - , den Abgründen des Unterbewüßten und des Kollektiven verhaftet. Das politische „Zeitstück" und das Lehrstück habe die deutsche Bühne der zwanziger Jahre in Deutschland erobert, habe aber kaum Zugang zum französischen Publikum gefunden. Das Pariser Tageblatt, das wichtigste Periodikum des deutschen Exils in Frankreich, stellte seinen Lesern diesen exemplarischen Vergleich der beiden Theaterformen und ihres jeweiligen kulturellen Umfeldes vor (6.5.1934). Der Artikel war eine Warnung an die Adresse der vor 1933 in der Weimarer Republik erfolgreichen Dramatiker und Regisseure vor allzu großer Selbstherrlichkeit, sollte aber beim Neuanfang im französischen Exil nicht lähmend wirken. So legte der Rezensent u.a. Wert auf die Bemerkung, daß sich unter dem Einfluß des in Frankreich erfolgreichen deutschen Films eine Entwicklung anbahne, die zur Annäherung des deutschen Theaters an das französische Publikum führen könne. Dem kann man hinzufügen, daß umgekehrt der französische Film vor 1933 große Erfolge in Deutschland verbuchen konnte. Die Filme von Rene Clair 196

Exiltheater in Frankreich oder Renoir fanden in den Kulturzeitschriften größere Aufmerksamkeit als das französische Theater. Michel Simon z.B. war in Deutschland als Filmschauspieler bekannt, aber kaum als Mitglied der Truppe von Louis Jouvet, die u.a. Siegfried, Giraudoux' Stück mit deutscher Thematik, spielte. Also stand der Film nicht bloß in Konkurrenz zum Theater; er trug in beiden Ländern zum gegenseitigen Verständnis der Kulturwelt des anderen bei, wovon das Theater profitierte. Allerdings wäre es falsch zu denken, die deutschen Regisseure der Weimarer Zeit hätten kein Interesse für das französische zeitgenössische Theater gezeigt. Man spielte auch in Deutschland vor 1933 leichtere Kost wie Sascha Guitry oder Marcel Achard, aber auch Claudel, Romain Rolland, Giraudoux, Cocteau, Jules Romains, Henri-Ren6 Lenormand, Paul Raynal, Edouard Bourdet, Jacques Deval. In Berlin wurde Giraudoux' Amphitryon 38 durch Elisabeth Bergner 1931 zum Erfolg. Max Reinhardt spielte häufig französisches Repertoire. An Piscators Bühne wurden 1922 Rollands Die Zeit wird kommen und 1928 Jean-Richard Blochs Der letzte Kaiser inszeniert - um nur einige Beispiele zu nennen. Die Problematik bei der Integration der exilierten Theaterschaffenden in Frankreich lag also auf der Hand: An eine bloße Verlagerung und Fortsetzung der Weimarer Theaterkultur war im Exilland Frankreich nicht zu denken. Die traditionelle französische Kultur- bzw. Theaterlandschaft mußte erst in ihrer Spezifik erkannt und akzeptiert werden, bevor an Kooperation und gegenseitige Befruchtung zu denken war. Dabei war schon ein erstes Hindernis zu überwinden: Die Theaterschaffenden waren durch das Elend des Exils zersplittert. Es hieß, sie zunächst zu sammeln. An Versuchen in diesem Sinne fehlte es nicht, auch nicht an Erfolgen. Es wäre falsch, sie über die dunklen Jahre der „debacle" und der „occupation" ab Juni 1940 zu vergessen. Paris war nicht nur Durchgangsstation oder „Wartesaal". Die Sammlung der Theaterschaffenden Die genaue Anzahl der deutschsprachigen Theaterkünstler im Exil in Frankreich festlegen zu wollen ist aufgrund der verschlungenen Fluchtwege wenig sinnvoll. Eine Zahl kann mit aller Vorsicht genannt werden: Bei der Gründung der „Vereinigung deutscher Bühnenangehöriger für Künstler von Bühne, Film und Funk" in Paris im November 1935 wurde in der Exilpresse (PTB, 13.12.1935) von etwa 60 Künstlern dieser Berufsgruppen gesprochen. Viele kamen und gingen, je nach den Arbeitsmöglichkeiten, die sich ihnen boten. Im Kabarett ließ sich manches Engagement ergattern; in der Operette gab es gleichfalls zahlreiche, allerdings meist kurzfristige Beschäftigungsmöglichkeiten. Auch die Kontakte zum Film lockten viele nach Paris. Zwei große Schauspieler seien namentlich genannt, die in Paris anläßlich von Rezitations- bzw. deutsch-französischen Abenden auftraten: Ernst Deutsch und Fritz Kortner. Für die im sozialistischen Lager stark engagierten Autoren versprach die UdSSR damals noch bessere Bedingungen für den Aufbau einer deutschen Exilbühne (Friedrich Wolf, Johannes R. Becher, Julius Hay, Gustav von Wangenheim). Schon die erste Theater-Olympiade im Juni 1933 in Moskau lockte manchen Exilanten von Westeuropa weg in die UdSSR. Die große Mehrheit der namhaften Dramatiker der Weimarer Zeit hielt sich auf der Flucht vor den nationalsozialistischen Verfolgungen jedoch zumindest zeitweilig in Frankreich auf. Dabei entstanden wichtige Werke der Exilliteratur. Im Früh197

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jähr 1933, gerade im französischen Exil angekommen, schrieb Friedrich Wolf auf einer Insel in der Bretagne sein Drama Professor Mamlock. Zur selben Zeit verfaßte Ferdinand Bruckner in Maisons-Lafitte bei Paris Die Rassen. Einige Dramatiker zog es in den Süden, insbesondere nach Sanary-sur-Mer und nach Nizza, wo es sich leichter und billiger leben ließ, dafür aber kaum mit einem Theaterleben zu rechnen war. Die Konsequenz war, daß viele von ihnen die dramatische Arbeit entweder hintanstellten oder sie sogar aufgaben - so Bruno Frank, Arnold Zweig und Lion Feuchtwanger. Zu den Dramatikern, die sich zeitweilig an der Cote d'Azur aufhielten, gehört Walter Hasenclever. Er war von der Machtergreifung in Frankreich überrascht worden. Sein Freund Rudolf Leonhard hatte sich schon vor 1933 in Paris etabliert und enge Kontakte zu den französischen Intellektuellen geknüpft, die er den meist hilflosen Emigranten der ersten Stunde zugute kommen ließ. Fritz von Unruh emigrierte 1935 nach Frankreich. Ernst Toller residierte nur sporadisch in Paris im Rahmen seiner Vortragsreisen, insbesondere 1938, während er an seinem Drama Pastor Hall schrieb. Brecht kam 1933, 1935, 1937 und 1938 zur Vorbereitung der Aufführung der eigenen Werke und zu Schriftstellertreffen nach Paris, erwog aber kaum, sich in Paris niederzulassen. Horväths Schicksal bleibt auf tragische Weise mit Paris verbunden, wo ihn auf der Durchreise 1938 der Tod ereilte. Carl Zuckmayer flüchtete erst nach der Annexion Österreichs nach Paris; Leo Lania kam zu politischen Vorträgen. Franz Werfel, der 1938 aus Österreich nach Sanary floh, erlebte dann in Paris die „debacle", die ihn zu seiner Komödie Jacobowsky und der Oberst inspirierte. Als geschlossenes Ensemble versuchte Gustav von Wangenheims TRUPPE 31 gleich im Frühjahr 1933 in Paris Fuß zu fassen. Für diese Truppe hatte Wolf den Professor Mamlock geschrieben. Sie sollte als Tournee-Bühne in den deutschen Anrainerstaaten tätig werden. Die Gruppe mußte sich jedoch bereits im Sommer 1933 aufgrund politischer Pressionen von Seiten des „Dritten Reiches" gegen in Deutschland verbliebene Angehörige sowie wegen materieller Schwierigkeiten auflösen. Die meisten Mitglieder reisten nach Moskau weiter; die restlichen, gruppiert um Steffie Spira, gründeten in Paris zusammen mit Schauspielern aus zersplitterten Berliner Gruppen das deutschsprachige Kabarett DIE LATERNE. Auf dieses Ensemble wird noch genauer einzugehen sein. Für Piscator, der sich in der Sowjetunion großartige Spielmöglichkeiten erhofft hatte, war Paris zunächst nur Durchgangsstation, etwa für Vorträge und bei deutsch-französischen Abenden. Ab 1936 bemühte er sich, in Paris die Zentrale für das revolutionäre Arbeitertheater zu errichten. Alwin Kronacher, früher Regisseur in Leipzig und Frankfurt, gelang es, sich in Paris mit der Inszenierung deutscher und französischer Stücke zu profilieren - kein geringes Verdienst. Ernst Josef Aufricht und Slatan Theodor Dudow führten 1937 und 1938 in zwei denkwürdigen Veranstaltungen Brecht-Dramen in Paris auf. Max Reinhardt, der 1938 zunächst ebenfalls den Plan hatte, nach Paris zu gehen, konzentrierte sich schließlich doch sofort auf die Bühnen in den USA, wo er in den frühen zwanziger Jahren Triumphe gefeiert hatte. Immerhin war seine Fledermaus-Inszenierung, die 1933 in Deutschland abgesetzt worden war, im selben Jahr in Paris erfolgreich zur Aufführung gekommen. Erwähnenswert ist auch die Anwesenheit des Theaterkritikers Alfred Kerr in Paris, wo er bis 1936 für die Theaterspalte im Pariser Tageblatt verantwortlich war. Kerr sorgte dafür, daß den Exilierten die Theaterereignisse auf den französischen Bühnen bekannt wurden. Er postulierte - trotz nostalgischer Rückblicke auf das Theater der Wei198

Exiltheater in Frankreich marer Zeit - immer wieder die Notwendigkeit einer gegenseitigen Befruchtung der deutschen und der französischen Theaterkultur. Neben Kerr berichteten Robert Breuer, Harry Kahn oder Alwin Kronacher regelmäßig im Pariser Tageblatt bzw. dem Nachfolgeorgan, der Pariser Tageszeitung, über die Ereignisse im Bereich des Theaters. Spezielle Organisationen der exilierten Bühnenkünstler hat es sehr früh gegeben. Schon am 29.6.1933 wurde von David Luschnat, später Mitbegründer und Schriftführer des SDS, die JUNGE DEUTSCHE TRIBÜNE gegründet: „eine Vereinigung deutscher Schriftsteller, Schauspieler, Maler, Graphiker und Musiker". Im Juli 1933 bildete sich unter der Leitung von Alexander Maaß ein THEATER DER EMIGRANTEN IM ELSASS. Im Januar 1934 wurde in der Exilpresse über die neuentstandene ARBEITSGEMEINSCHAFT EMIGRIERTER DEUTSCHER SCHAUSPIELER berichtet. Diese führte ein Stück von Arnold Zweig auf; mehr ist allerdings von der Tätigkeit dieser Gruppierung nicht zu sagen. Ende 1935 konstituierte sich, gefördert vom SDS, eine „Vereinigung deutscher Bühnenangehöriger"; sie trat mit Theaterlesungen und einem Hans-Otto-Gedenkabend hervor. Von allen Emigrantenorganisationen, die direkt oder indirekt das Exiltheater förderten, spielte der Schutzverband deutscher Schriftsteller (SDS) zweifellos die größte Rolle. Seine „Montagabende" mit Vorträgen, Lesungen, Rezitationen und Solidaritätskundgebungen wurden zu einer Institution. Der SDS war Sammelpunkt für die Exilanten und zugleich Treffpunkt mit vielen französischen Autoren und Künstlern. Veranstaltungen wie die „Montagabende" boten den in Paris weilenden Schauspielern und Autoren Auftritts- und Aufführungsmöglichkeiten, Ersatz für eigentliches Bühnentheater. Aber auch richtige Theaterabende, bei denen man sich um ein gemischtes Publikum, also nicht nur um ein Exilantenpublikum, bemühte, fanden unter der Obhut und mit der finanziellen Hilfe des SDS statt. Der SDS konnte seine Tätigkeit bis zum Verbot durch die französischen Behörden im Herbst 1939 ohne Unterbrechung ausüben. Der SDS stand der Kommunistischen Partei nahe, konnte aber dank des Engagements einiger seiner Mitglieder - zu nennen sind vor allem Rudolf Leonhard, Heinrich Mann, Anna Seghers und Egon Erwin Kisch - seine Vorrangposition bei der Vertretung der Interessen der Emigration auch dann noch behaupten, als die Spaltung in den Reihen der Exilschriftsteller 1936 zur Gründung des Bundes Freie Presse und Literatur durch Leopold Schwarzschild führte. - Der Bund Freie Presse und Literatur veranstaltete ebenfalls Lesungen und Abende mit Theaterautoren, die Aktivitäten im Theaterbereich blieben jedoch insgesamt recht bescheiden. Ab 1935 leistete die Freie Deutsche Hochschule und ab 1936 Die Deutsche Volkshochschule ihren Beitrag zur Sammlung der Emigranten und zur Aufrechterhaltung der deutschen Kultur. Man konnte z.B. im Frühjahr 1937 dort Vorträge über Theater und Film im „Dritten Reich" von Hans Altmann und Vorträge von Piscator über „Probleme des modernen Theaters" hören. - Die Vereinigung deutscher Bühnenangehöriger schloß sich im Oktober 1938 mit dem SDS, der Freien deutschen Hochschule und dem Freien Kulturbund (für bildende Künstler) zum Deutschen Kulturkartell zusammen. Damit war dann der Höhepunkt bei den Bemühungen, alle Kulturschaffenden im Exil zu sammeln, erreicht. Aber es blieb nicht mehr viel Zeit und Freiraum bis zum Kriegsausbruch für Bemühungen um das Theater.

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Claudie Villard Erfolg und Mißerfolg des Exiltheaters auf französischen Bühnen: Die Fälle Bruckner und Brecht Die Situation, in der sich die Emigranten befanden, rückte für die Theaterkünstler im Pariser Exil zwei Ziele in den Vordergrund: Sie mußten durch ihre Theaterarbeit versuchen, zumindest einen minimalen Beitrag zur Sicherung der eigenen Existenz zu erbringen, und sie mußten durch französischsprachige Aufführungen das örtliche Publikum gewinnen. Beide Ziele waren schwer zu verwirklichen. Von einem tatsächlichen Erfolg ist nur bei wenigen Aufführungen zu sprechen; diese Erfolge aber hoben das Selbstbewußtsein der Theaterkünstler beträchtlich. Am besten gelang die Synthese noch im Bereich der Kleinkunst. Hier war der finanzielle und organisatorische Einsatz am geringsten. Zudem bot das Genre als solches Möglichkeiten eines Brückenschlags - was auch deshalb von Bedeutung war, weil gleichzeitig dem Bedürfnis nach politischer Aktualität Rechnung getragen werden konnte. - Im Bereich des Arbeitertheaters, einem weiteren Aktionsfeld, kam den Exilierten zur Hilfe, daß es Verbindungen aus der Zeit vor 1933 gab, die einige aktuelle Schwierigkeiten minderten. Darüber hinaus schien die Zeit der Volksfrontregierung günstig zu sein, um in Frankreich ein Zentrum des Arbeitertheaters zu schaffen. Doch wurden die gesteckten Ziele nicht erreicht; es blieb letztlich bei den Plänen. Ein exemplarisches Beispiel für die Chancen wie auch Grenzen des deutschen Theaters im französischen Exil ist der Fall Ferdinand Bruckner. Er verdient auch deshalb eingehendere Beachtung, weil er zeigt, daß Publikum und Regisseure in Frankreich unter Umständen für politisches Theater mit antifaschistischer Thematik durchaus empfänglich waren - und dies zu einer Zeit, als solche Stücke weder in London noch in New York gezeigt werden konnten. Raymond Rouleau setzte die französische Erstaufführung der Rassen am 8. März 1934 im Theatre de l'(Euvre in Szene. Das Stück wurde zwischen dem 9. März und dem 26. Mai 1934 um die hundertmal gespielt. Für die Geschichte des Exiltheaters war dieser Erfolg von ähnlich großer Bedeutung wie die Uraufführung desselben Stückes durch Gustav Härtung am Zürcher Schauspielhaus (30. November 1933), zumal die zeitgleich geplanten Londoner und New Yorker Aufführungen in letzter Minute ausfallen mußten - in London aufgrund politischer Zurückhaltung der Behörden, die bereits die Appeasement-Politik ansteuerten, in den USA aufgrund des Unverständnisses für die Materie und des Dilettantismus der Theatre Guild. In Paris gelang es dagegen, mit Hilfe einer geschickt gesteuerten Werbekampagne, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ein brisantes Thema im Nachbarlande zu lenken. Die Premiere wurde zu einem mondänen Ereignis. Das Echo in den meisten französischen Blättern war groß und dauerte noch an, als Ende Mai 1934 die glänzende Feier zur hundertsten Aufführung stattfand. Die erfolgreiche Inszenierung der Rassen in Paris war alles andere als zufällig. Bruckner kam seine persönliche Verankerung in der französischen Kultur zugute: Seine Mutter war Französin, sie übersetzte seine Stücke, er hatte vor 1914 in Frankreich studiert und dabei zahlreiche Verbindungen zu französischen Intellektuellen und zu Künstlerkreisen geknüpft. Der Erfolg war in erster Linie also nicht auf politische Umstände zurückzuführen, es handelte sich deshalb auch nicht um einen „Durchbruch zum antifaschistischen Theater". Vielmehr offenbarte sich hier die Kontinuität des Interesses an einem zeitkritischen Autor, dessen Stücke dem französischen Publikum bereits vor 1933 200

Exiltheater in Frankreich bekannt gewesen waren. Der Text selbst war übrigens in der Zeitschrift Thalia (Paris 1933) erstveröffentlicht worden. Bruckners eigentlicher Durchbruch in Frankreich war 1929 mit Pitoeffs Inszenierung von Les criminels („Die Verbrecher") erfolgt, die es auf 225 Aufführungen brachte. Maladie de la jeunesse („Krankheit der Jugend"), die nachfolgende Bruckner-Aufführung in Paris, wurde zunächst dreimal auf deutsch mit einer einführenden Rede des französischen Dramatikers Jean-Jacques Bernard gezeigt (5.2.1931). Anschließend inszenierte Raymond Rouleau das Stück mit seiner belgischen Truppe am Theatre de l'(Euvre (28.12.1931), dann im Studio des Champs-Elysees (insgesamt ca. 300 Aufführungen). Nach 1933 sind weitere Aufführungen in der Provinz belegt, nämlich in Marseille (25. 27.6.1934) und in Rouen (13.5.1938) - ein Beweis dafür, daß auch die Provinzbühnen in Frankreich am deutschen Theater interessiert sein konnten. - Die Resonanz dieser Werke vor 1933 widerlegt im übrigen die gängige Auffassung, wonach das französische Publikum sich damals stark fürs Boulevardtheater, aber recht wenig für politische Zeitstücke interessierte. Es ist aufschlußreich zu vergleichen, wie die französische und wie die Exilpresse auf die Inszenierung reagierte. In der Exilpresse stand ein Begriff im Mittelpunkt der Berichte: die „Objektivität" und „Wahrheitstreue" der Darstellung einer Jugend „ohne Väter", die der neuen mörderischen Führerideologie anheimfällt (PTB, 11.3.1934). Man spürt bei den Exilanten die Angst, die im Drama vermittelte Alltagsrealität im NSDeutschland könne als übersteigerte Propaganda angesehen werden und das Stück damit seinen Aufklärungszweck verfehlen. „Man hat dem Stück für die Pariser Aufführung seine Klauen und Zähne geraubt", klagt Georg Bernhard, Chefredakteur des Pariser Tageblatts (14.3.1934). Die Eingangsszenen waren vom Publikum sogar mit einer gewissen Heiterkeit aufgenommen worden. Bei den antisemitischen Gewaltszenen schlug die Stimmung jedoch um, tiefe Ergriffenheit wurde spürbar, zumal der Regisseur die Liebestragödie zwischen Karlanner und seiner jüdischen Freundin stark herausgearbeitet hatte. „Das war kein Spiel mehr - das war ein Alb", urteilte das Neue Tage-Buch (17.3.1934). Die französische Kritik2 hob vor allem die logische Kontinuität im Werk Bruckners hervor. Die zuvor aufgeführten Stücke Krankheit der Jugend und Die Verbrecher, deren grelle Mischung aus Psychoanalyse und Gesellschaftskritik äußerst positiv aufgenommen worden war, wurden nun als Vorausblick auf den Aufstieg der faschistischen Herrschaftsideologie im Jahre 1933 interpretiert, der Übergang von der Darstellung individueller Konflikte zu einer kollektiven Problematik wurde unterstrichen. Den dokumentarischen Charakter dieser ersten Werke sowie die Möglichkeit zur Identifikation (besonders Pitoeff spielte Verbrecher als Einfühlungstheater) fand das Publikum in den Rassen wieder. Zum Problem der Objektivität des Autors war die französische Kritik je nach geistigem oder politischem Lager geteilter Meinung. Man lobte die Parteilosigkeit Bruckners, der alle Seiten des Problems unpolemisch und wahrheitsgetreu beleuchte und die Erkenntnis, daß er nicht auf der Seite von kollektiver Gewalt und haßerfüllter Disziplin stehe, dem Publikum selbst überlasse (Paris-Midi, 7.3.1934; Minerva, 24.3.1934). Die 2

Vgl.: Francis Cros: Ferdinand Bruckner und Frankreich. Bruckners Dramen in Frankreich - Frankreich in Bruckners Dramen. In: Österreichische Literatur des 20. Jahrhunderts. Akten der Jahrestagung 1982 der französischen Universitätsgermanisten (A.G.E.S.) in Innsbruck. 1986, S. 141 - 191.

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Claudie Villard

Warnung vor der neuen Machtherrschaft in Deutschland, die den Zusammenbruch der Hoffnungen auf eine liberale Ordnung in diesem Land bedeute, sei unüberhörbar, die Ernüchterung des Autors müsse geteilt werden {Le Temps, 12.3.1934). - Für manche war Bruckners Mäßigung (oder die der Inszenierung) fehl am Platze, sie ließe sich als Nachsicht den Nazis gegenüber mißdeuten. Der Autor nehme nicht eindeutig Partei. Wo anklagendes Pamphlet gefordert sei, lasse er Mitgefühl mit der rassenwahnsinnigen Jugend und Verständnis für bestimmte Rassenunterschiede aufkommen (Paris-Soir, 11.3.1934). Auch der im Stück naheliegende Schluß, daß die deutsche Jugend bzw. das Bürgertum sich bald aus Widerwillen vom Nationalsozialismus abwenden könnte, wurde in Frage gestellt; schon eher könnte ein solcher Abfall vom Fanatismus bei der Arbeiterschaft und den früheren Kommunisten zu erwarten sein - so der Rezensent in der linken Zeitung L'Ami du Peuple (10.3.1934). - Eine solche soziologisch begründete Kritik war jedoch, anders als in der Exilpresse, selten. Irritiert stellten mehrere Kritiker fest, die dokumentarische Dimension des Stückes sei der eigentlichen Wirklichkeit nicht gewachsen (so Lugne-Poe in Avenir, 14.3.34), die individuelle Tragödie - ein billiges Mittel, das Publikum zu verfuhren - verdecke das historische kollektive Drama (Le Temps, 12.3.1934). Auch werde die konventionelle Dramaturgie des Stückes zum Problem, am prägnantesten formuliert durch den Regisseur Jacques Copeau, der über die Aufführung berichtete: der Rahmen der klassischen Tragödie sei zur Darstellung einer sich wandelnden Welt nicht mehr zeitgemäß, die Massenphänomene, also die Rassenkonflikte und die ansteckende, chauvinistische Ideologie, die alle individuellen Verhaltensweisen nivelliere, kämen dabei nur als schwache Kulisse zum Ausdruck (Nouvelles Litteraires, 17.5.1934). Copeaus Vorstellung war zukunftsweisend; sie ging wohl in die Richtung der Verfremdungsdramaturgie, wie Piscator und Brecht sie schon in der Weimarer Zeit entwickelt hatten. Das Pariser Publikum war bisher damit noch nicht konfrontiert worden; es wäre kaum dafür empfänglich gewesen. Daß die rechtsradikale Presse in Frankreich sich nicht mit der Objektivität, sondern mit der .jüdischen Propaganda" in Bruckners Werk auseinandersetzte, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden (Journal des debats, Charivari, Candide), manche Organe dieser Presse hielten sich aber noch bedeckt. Nach diesem Erfolg setzte sich Pitoeff noch ein zweites Mal für Bruckners Dramen ein: Er inszenierte La criature („Die Kreatur") am Pariser Theatre des Mathurins (30.4.1935). Die Resonanz des Stückes aus dem Jahre 1930 war aufgrund der unpolitischen Thematik jedoch geringer als bei Die Rassen. Das Stück brachte es aber immerhin auf 38 Aufführungen. Ein Jahr später meldete das Pariser Tageblatt (26.5.1936) schon die nächste Bruckner-Premiere für die kommende Saison am Theatre de l'(Euvre. Der Titel des Stücks wurde nicht genannt. Wahrscheinlich handelte es sich um Napoleon der Erste, an dem der Dramatiker gerade schrieb. Daß es nicht zur Pariser Aufführung kam, dürfte durch den Umstand zu erklären sein, daß der französische Dramatiker Paul Raynal, ein Freund Bruckners, zur selben Zeit ein „Konkurrenzstück" über dieselbe Materie auf die Bühne brachte. Selbst aus der Hinwendung Bruckners zu einer Thematik aus der französischen Geschichte resultierten also noch keine günstigeren Aufführungschancen. So verließ Bruckner 1936 Frankreich in Richtung USA. 202

Exiltheater in Frankreich In gewisser Hinsicht kann die Rezeption Brechts als ein Gegenbeispiel zur BrucknerRezeption verstanden werden. Als Brecht im April und Mai 1933 nach Paris kam, war er dort ein Unbekannter und auf der Suche nach einem Exilland, wo er billig leben, in Ruhe arbeiten und auf die Aufführung seiner Stücke hoffen konnte. Er schätzte Paris als Theaterstadt nicht besonders, kannte das neue französische Theater kaum. Es kam hinzu, daß man in Paris an seinen Theaterexperimenten nicht sonderlich interessiert war. Aber die Aussicht auf regen Austausch und auf Zusammenarbeit mit den vielen geflüchteten Schriftstellern, Verlegern und Bühnenkünstlern, die sich in der französischen Hauptstadt niedergelassen hatten, ließ ihn eine Zeitlang ein Pariser Exil ins Auge fassen. Er kam, um ein Projekt mit Kurt Weill und dessen Frau Lotte Lenya zu realisieren: das Ballett Die sieben Todsünden. Ein Mäzen, der Mann der Berliner Tänzerin Tilly Losch, finanzierte das Unternehmen; es kam am 7. Juni in der Choreographie von Balanchine zur Aufführung. Caspar Neher war für das Bühnenbild verantwortlich. Lotte Lenya sang die Balladen auf deutsch, die Tänzerin war hervorragend, aber ein großer Erfolg wurde die Aufführung nicht, jedenfalls nicht für Brecht. Es war vielmehr Weills Musik, die das französische Publikum anzog, denn sie erinnerte an die Dreigroschenoper, die in Frankreich vor allem durch Pabsts Film bekannt geworden war. Die Aufführung verhalf Brecht nicht zum Durchbruch auf der französischen Bühne. Zur selben Zeit machte Brecht die Erfahrung, daß die Gründung eines Emigrantentheaters in Paris ohne hinreichende finanzielle Basis recht utopisch war. Sein eigener Plan eines „Theaters der Prozesse" zur Entlarvung der Naziverbrechen entstand in Zusammenhang mit den Reaktionen auf den Reichstagsbrandprozeß. Ihm fehlten aber die gerade für dieses politische Theaterexperiment geeignete Truppe und die Geldmittel; er mußte seine Bühnenpläne zurückstellen. Der Stückeschreiber mußte sich damit zufriedengeben, daß die Schauspielerin Marianne Oswald im Februar 1934 mit seinen Songs aus der Dreigroschenoper einen großen Erfolg vor dem französischen Publikum erzielte. In Le Temps (5.2.1934) erschien allerdings eine vernichtende Kritik. Interessanterweise handelte es sich um ein deutschfranzösisches Programm: Cocteau hatte für Marianne Oswald Texte geschrieben, die sie auf französisch vortrug. Bezeichnenderweise brachte ein Exilant die Anregung zur nächsten französischsprachigen Brecht-Aufführung in Paris. Ernst Josef Aufricht, Brechts Freund und früherer Direktor des Berliner Theaters am Schiffbauerdamm, produzierte als Bühnenleiter die Vorstellung der L'Opera de quat'sous („Die Dreigroschenoper") am Theatre de l'Etoile, die am 28.9.1937 mit Frankreichs größter Diseuse, Yvette Guilbert als Frau Peachum, Raymond Rouleau in der Rolle des Mackie Messer und mehreren Filmstars stattfand. Das Geld für die Vorstellung brachte ein theaterbegeisterter Emigrant aus Berlin auf, Edgar Heumann. Brecht schrieb zwei neue Chansons, reiste, um zusammen mit Francesco von Mendelssohn die Proben zu leiten, aus diesem Anlaß aus Dänemark an (PTZ, 22. u. 29.9.1937). Doch die Arbeit kam nur schwer voran, was Aufricht (und Brecht) zu einer interessanten Erkenntnis führte: „Endlich kamen wir dahinter", so schreibt Aufricht in seiner Autobiographie, „daß der Berliner Stil unfranzösisch ist, und ich übergab Rouleau die Regie. Jetzt ging es rapide vorwärts. Er befreite die Schauspieler aus dem Korsett des einfachen, zum Teil statischen Stils und gab ihrer Lebhaftigkeit nach, ließ die Stellungen öfter wechseln, verordnete neue Gänge und erlaubte mehr Ge203

Claudie Villard sten. Als Helene Weigel Brecht aufforderte zu protestieren, unterstützte er Rouleau."3 Das Premierenpublikum und die Intellektuellen feierten das Stück, die französische Kritik blieb aber zurückhaltend. Die gelungene Aufführung blieb am Rande der aktuellen politischen und dramaturgischen Interessen Brechts, war für ihn eine Art Auftakt zur Sensibilisierung des Publikums für die deutsche Uraufführung der Gewehre der Frau Carrar wenige Wochen später, brachte es aber immerhin auf die beachtliche Zahl von fünfzig Aufführungen. Mehr Zeit wäre nötig gewesen, damit ein Autor wie Brecht Zugang zum Pariser Publikum, insbesondere zur experimentierfreudigen Jugend, hätte finden können. Als der Krieg im Spätsommer 1939 ausbrach, hatte immerhin eine Truppe von Amateurschauspielern, die COMEDIENS D'ANJOU unter der Leitung von Pierre Abraham, gerade mit einer erfolgreichen Reihe von Aufführungen einiger Szenen aus Furcht und Elend des Dritten Reiches in französischer Sprache mit einem Bühnenbild von Frans Masereel begonnen4. Die Ereignisse vereitelten brutal die weitere Verbreitung des ein Jahr zuvor von einem Emigrantenensemble in Paris uraufgeführten Werks. Aufricht gelang es noch einmal, dem französischen Publikum deutsches Theater zu vermitteln. Im April 1939 wurde in der Regie von Julien Bertheau wiederum im Theatre de l'Etoile das zeitkritische Stück von Peter Martin Lampel Revolte im Erziehungshaus in französischer Adaption unter dem Titel Fortes Tetes aufgeführt. Darsteller waren die jungen Schauspieler der Truppe der JEUNES COMßDIENS ASSOCßiS. - Was sonst an deutschen Stücken auf französischen Bühnen gezeigt wurde, ist schnell genannt. Im Januar 1934 konnte das Pariser Publikum eine dramatische Fassung von Stefan Zweigs Brief einer Unbekannten im Studio des Champs-Elysees sehen. Im September desselben Jahres wurde die erste Sternheim-Aufführung (Die Hose) im Pariser Theatre du Rideau angekündigt. Bruno Franks Komödie Nina kam im Oktober 1935 in der französischen Bearbeitung von Renee Cave, der sich für das deutsche Theater in Frankreich immer wieder einsetzenden Mutter Bruckners, auf die Bühne (Comedie des Champs-Elysees). Theater in deutscher Sprache in Paris und in der Provinz - mit einem Exkurs über das jüdische Theater Der erste Versuch, Exiltheater in Paris mit einem deutschen Ensemble aufzuführen, scheiterte - hauptsächlich am politischen Druck. Es handelte sich, wie schon erwähnt, um die geplante Uraufführung von Friedrich Wolfs Professor Mamlock durch Wangenheims TRUPPE 31. Es kam nur zu einer Lesung des Stücks durch die Schauspieler. Bis zum Kriegsausbruch gelangte Wolfs Dramatik kein einziges Mal zur Aufführung. Erst 1938 nahm die Pariser Tageszeitung das dramatische Geschehen in Österreich zum Anlaß, Auszüge aus Wolfs Floridsdorfüber den Schutzbundaufstand von 1934 zu drucken (30.4.1938). Der Autor kam im folgenden Herbst nach Paris, und auf Einladung des SDS las er vor einem Emigrantenpublikum aus dem Mamlock und anderen Werken, darunter auch eine kleine Groteske mit verschlüsseltem Aufruf zur Beseitigung Hitlers. Solche Lesungen müssen hier erwähnt werden, denn bereits ein szenisch minimaler Vortrag durch den Autor oder durch Schauspieler bedeutete doch auch eine öffentliche Ver3 4

Emst Josef Aufricht: Erzähle, damit du dein Recht erweist. Frankfurt a. M. 1966, S. 152. Vgl.: Hans-Christof Wächter: Theater im Exil·. Sozialgeschichte des deutschen Exiltheaters 1933 - 1945. München 1973, S. 65.

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Exiltheater in Frankreich

mittlung der Exildramatik und trug wesentlich zur Erhaltung des Selbstverständnisses der Exilautoren bei. Im Februar 1939 lief in Paris der russische Mamlock-Film von Minkin-Rappaport in den Kinos. Mehr war für Wolf in Frankreich nicht zu erreichen. Gleich zu Beginn des Krieges wurde er im Lager Le Vernet interniert. Dort schrieb er sein letztes Stück im französischen Exil, Beaumarchais, eine Huldigung an das französische Volk als Träger der Revolutionsideale. Schon am 29.5.1933 hatte in Straßburg eine von der Zeitschrift Aktion im Palais des Fetes organisierte Demonstration gegen den Hitlerfaschismus und die Judenverfolgung stattgefunden. Das bedeutete aber keineswegs, daß man dort die deutschen Flüchtlinge bereitwillig empfing. Die Zeit der Annexion hatte offene Wunden hinterlassen, die sich nicht so schnell vergessen ließen. Das Elsaß im allgemeinen und Straßburg im besonderen boten sich zwar als Zufluchtsort am Rande Deutschlands an. Die Nähe zu Deutschland mochte manchem allerdings eher als Risikofaktor erscheinen. Ob das doppelsprachige Kulturleben in der elsässischen Hauptstadt einen Zustrom von deutschsprachigen Theaterkünstlern jedoch überhaupt hätte verkraften können, ist mehr als zweifelhaft. Es kam aber zu mindestens zwei Versuchen, sich mit deutschsprachigen Programmen in Straßburg durchzusetzen. Mitte Juli 1933 fanden in Straßburg und in Mühlhausen zwei Vorstellungen von Raynals Das Grabmal des unbekannten Soldaten durch das THEATER DER EMIGRANTEN IM ELSASS unter der Leitung von Alexander Maaß statt. Der Regisseur war Leopold Lindtberg. Maaß war als Schauspieler u. a. in Köln tätig gewesen, dann als Rundfunkjournalist, zuletzt in Moskau. Autor des Stückes war Paul Raynal, ein französischer Dramatiker, den Alfred Kerr und Bruckner sehr schätzten. Das Grabmal („Le Tombeau sous l'Arc de Triomphe"), in der Comedie Frangaise 1924 uraufgeführt, war ein Antikriegsstück, das auf allen großen Bühnen in Deutschland vor 1933 begeistert aufgenommen worden war. Mit der Wahl dieses Stücks knüpfte Maaß also an die Zeit vor der Machtergreifung an, als durch ein solches Werk Deutschen und Franzosen die Notwendigkeit der Annäherung beider Völker vor Augen geführt werden sollte. Die Aufführung durch ein Emigrantenensemble im Elsaß, das so oft Zankapfel zwischen Deutschen und Franzosen gewesen war, wurde zu einem politischen Bekenntnis. Maaß konnte sich aber in Straßburg damit nicht soweit durchsetzen, daß das Emigrantenensemble sich hätte fest etablieren können. Vielleicht lag das Scheitern dieses ersten Versuchs an der Konkurrenz durch eine andere Exiltruppe, die als DEUTSCHSPRACHIGES SCHAUSPIELENSEMBLE (ensemble dramatique en langue allemande) am Stadttheater von Straßburg schon in der Saison 1933/34 fest im Programm stand und über zwei Jahre regelmäßig spielte, gelegentlich auch noch im Jahre 1936. Diese Truppe stand unter der Leitung von Robert Klupp, dem ehemaligen Direktor des Ensembles in Baden-Baden, der schon vor 1933 gute Beziehungen zum Straßburger Theater unterhielt. Nach Angabe der Straßburger Tageszeitung Derni&res Nouvelles d'Alsace versammelte Klupp deutsche emigrierte Künstler um sich. Unterstützt wurde diese Initiative durch das französische Unterrichtsministerium. Die technische Organisation lag beim Bureau Central de la Musique et des Spectacles, das von der Französischen Liga für Menschenrechte ins Leben gerufen worden war. Der Vertrauensmann dieses Komitees war Hans Altmann.5 5

Brief von Paul Ellmar an Fedor Ganz vom 3.8.1933. EUmar-NachlaB, Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur.

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Claudie Villard Die erste Aufführung des Ensembles fand am 28.10.1933 statt. Geboten wurde einbis zweimal in der Woche im Rahmen des „deutschen Abonnements" ein Programm, wie es vor 1933 an einer kleineren Provinzbühne geläufig war: Zur Hälfte wurden deutschsprachige Autoren gespielt, davon waren wiederum die Hälfte Klassiker. Vorrang hatten Stücke mit hohem Unterhaltungswert. Auffallend groß war der Anteil der jüdischen Autoren, die inzwischen von den deutschen Bühnen verschwunden waren. Es wurden keine Experimente gemacht, kein brisantes Werk mit politischer Problematik, kein Exilwerk stand je auf dem Programm. Gespielt wurden u.a. Bahr, Thoma, Schnitzler, Goetz, Grillparzer, Hebbel, Halbe, Bruno Frank und Zuckmayer. In der Saison 1933/34 gab das Ensemble an 39 Abenden 16 Schauspiele und zwei Singspiele. In der zweiten Saison war das Angebot etwa gleich groß. 1935/36 stand die Truppe nur noch mit sechs Schauspielen auf dem Programm. Dann verschwand sie und wurde durch Gastspiele von Schweizer und Wiener Bühnen ersetzt. Die wöchentlichen Theaterhefte, „offizielles Organ und Programm des Straßburger Stadttheaters", waren zweisprachig und brachten u. a. Texte von Kerr, Reinhardt, aber auch von Gustaf Gründgens. Eine emigrantenfreundliche Ausrichtung war zu erkennen, aber man hütete sich vor jeder Polemik gegen die Situation in Deutschland und gab sich neutral. Im Herbst 1934 kamen zwei Stars, der nach Wien emigrierte Albert Bassermann und die besonders durch den Film bekannte Asta Nielsen. Ensembles aus dem Reich wurden nicht eingeladen - mit einer Ausnahme: Das Badische Staatstheater Karlsruhe präsentierte 1938 den Götz als Gastspiel in einer Inszenierung von Felix Baumbach. Zu den Schauspielern des Ensembles zählten Ewald Allner, Luise Elber, Olga Diora, Rudolf Steinboeck, Walter Gynt, Kitty Aschenbach, Alfred Durra u.a. Robert Klupp und seine Frau Maja spielten in der Regel die Hauptrollen. In der am meisten gelesenen liberalen Tageszeitung Dernieres Nouvelles d'Alsace wurde die Arbeit des Ensembles mit großem Interesse verfolgt. Der Rezensent des ersten Abends, einer Shakespeare-Inszenierung, schrieb über das „Ereignis", seit langem sei es dem Straßburger Publikum nicht gegönnt gewesen, ein künstlerisch so perfektes Spiel zu bewundern (29.10.1933). Die Zeitung berichtete regelmäßig und nahm die Emigranten immer wieder in Schutz gegen die Hetzkampagnen in anderen Zeitungen wie Der Elsässer. Wohl aus taktischen Gründen wurde nach den ersten Besprechungen vermieden, auf den Emigrantenstatus der Ensemblemitglieder hinzuweisen. Die Zuschauerzahl ließ schon in der zweiten Saison nach, obwohl den Schauspielern immer wieder hohes Niveau bezeugt wurde. Daß sich diese Emigrantentruppe mehr als zwei Jahre halten konnte, muß bereits als eine gelungene Integration in den französischen Kunstbetrieb bewertet werden, auch wenn eine solche Bühne sich in einer exponierten Stadt wie Straßburg kein offenes antifaschistisches Engagement leisten konnte. Der NEUEN JÜDISCHEN BÜHNE unter der Leitung von M. Blaustein blieb es vorbehalten, in Paris als erste Exiltruppe die Aufführung eines deutschen Stücks zu bieten. Es handelte sich um Leonhard Franks Karl und Anna am Theatre Pierre Levee am 10. September 1933. Der frühe Versuch zeugt von dem Willen der jüdischen Künstler, die massenhaft aus Deutschland vertrieben wurden, sich zu organisieren. Doch die NEUE JÜDISCHE BÜHNE konnte sich nur bis zum Mai 1934 mit einigen eher unterhaltsamen Programmen auf der Pariser Szene behaupten. Schon im Winter 1933 verlagerte sich das 206

Exiltheater in Frankreich jüdische Theater auf die Kleinkunst. Selbst das im Herbst 1935 gegründete KOLLEKTIV DER JÜDISCHEN SCHAUSPIELER bot kein anspruchsvolles Theater mehr, sondern Operetten und leichte Theaterstücke, mit denen man in der Mutualite ein großes Publikum erreichte (PTB, 6.10.1935). Zu einem Ereignis wurde jedoch am 19. Juni 1937 die Aufführung von Arnold Zweigs Sergeant Grischa auf jiddisch in Belleville mit Kurt Katsch in der Hauptrolle, der in dieser Rolle bereits 1931 unter Kronachers Regie in Frankfurt großen Erfolg gehabt hatte. Das jüdische Theater blieb weiterhin in Paris durch zahlreiche Gastspiele präsent, die das Emigranten-Publikum stark ansprachen. Zuerst gastierte die palästinensische OhelTruppe, ein Arbeitertheater, das Moscheh Halevy 1926 in Tel Aviv gegründet hatte. Gespielt wurde - auf hebräisch - in Anwesenheit des Autors Jeremias von Stefan Zweig (23.5.1934). Die stilisierte, von Halevy inszenierte Aufführung des stark gekürzten Textes brachte, so das Pariser Tageblatt (25.5.1934), „Hybris und Tragik des jüdischen Volks" in prägnanter Weise besonders in den Gruppenszenen zum Ausdruck. Im April 1934 wurde den Emigranten ein Gastspiel des jiddischen Künstlertheaters von Maurice Schwartz aus New York (mit dem Stück Yosche Kalb) geboten. Die Ohel-Truppe war erneut im März 1936 zu Gast in Paris. Ihr folgte im Oktober 1937 das ebenfalls hebräische Ensemble Habimah mit dem ostjüdischen Dybbuk, einer chassidischen Legende, mit der die Truppe ihren Ruhm begründet hatte (PTZ, 3.10.1937). Die beiden letzten Gastspiele mit Schwartz' ART-THEATRE fanden im Juni 1938 und im April/Mai 1939 statt. Dem frühen Beispiel der NEUEN JÜDISCHEN BÜHNE folgten junge Schauspieler, die sich im Januar 1934 ZU einer ARBEITSGEMEINSCHAFT EMIGRIERTER DEUTSCHER SCHAU-

SPIELER zusammengeschlossen hatten. Unter dem Protektorat der Liga für Menschenrechte und mit materieller Hilfe der Quäker führten sie am 7. Januar 1934 ein älteres Schauspiel von Arnold Zweig, Der Prozeß von Tisza-Eczla (i.e. Semaels Sendung) auf. Der Stoff - ein Ritualmordprozeß in Ungarn - war durch die Umstände erneut aktuell geworden; das Stück wurde - trotz Laien-Regie - ein Erfolg. - Annähernd zwei Jahre lang gab es keine weiteren Versuche, Stücke von Exilautoren zu spielen. Das Exiltheater war allerdings in dieser Zeit mit den französischen Bruckner-Aufführungen auf der Pariser Szene präsent. Wie Alexander Maaß in Straßburg setzte auch Alwin Kronacher in Paris ein Zeichen für die Aufnahme des zeitgenössischen französischen Theaters durch die Emigranten. Er brachte unter dem Titel Die Marne Paul Raynals La Francerie zur Uraufführung in deutscher Sprache (23. u. 25. Oktober 1934). Das Stück hatte er zuvor bereits als Gastregisseur in Basel zum Erfolg geführt. Die Pariser hatten die französische Uraufführung ein Jahr zuvor in der Comedie Franfaise mit großem Beifall aufgenommen. Kronacher, der sich vor 1933 in Leipzig für Raynals Stücke eingesetzt hatte und mit ihm befreundet war, lag es daran, gerade dieses von Hitler verbotene Dreipersonenstück über den Ersten Weltkrieg jetzt mit drei großen, nach Prag, Zürich und Wien emigrierten Schauspielern - Sybille Binder, Ferdinand Hart und Herbert Berghof - aus deutscher Sicht in Szene zu setzen. Raynal hatte sein Drama dem deutschen Volke gewidmet und dies mit dem Bewußtsein, daß eine deutsch-französische Annäherung für den kulturellen Aufstieg Europas von großer Bedeutung sei. Georg Bernhard, Chefredakteur des Pariser Tageblatts, griff selbst zur Feder (17.10.1934), um die Aufführung, die vor einem gemischten Publikum aus Deutschen und Franzosen stattfand, zu besprechen. Er nahm den Tod des Ge207

Claudie Villard neralobersten von Kluck, des Verantwortlichen für die deutsche Niederlage an der Marne, zum Anlaß, auf die seinerzeit verpaßte Chance hinzuweisen, rechtzeitig Frieden zu schließen. Das deutsche Volk sei damals betrogen worden und werde auch jetzt wieder durch den Gefreiten Hitler und seinen Generalstab betrogen. Das Stück sei eine aktuelle Warnung. Mit der Konstituierung der Vereinigung deutscher Bühnenangehöriger für Künstler von Bühne, Film und Funk im November 1935 kam im Exiltheater ein neuer Elan auf. Dem Verein gehörten rund 25 Vertreter der Bühnenwelt an. Ein „Hans Otto GedenkAbend" am 30. Januar 1936 war die erste Veranstaltung des neuen Vereins. Es folgte ein „Autorenabend junger Dramatiker" mit Theodor Fanta und Eugen W. Mewes. Unter Beteiligung einiger Mitglieder der Kabarett-Gruppe DIE LATERNE kamen bei der nächsten Veranstaltung Szenen aus Theodor Fantas Hitlequgend-Drama Die Kinder des unbekannten Soldaten zusammen mit der Hutten-Szene aus dem Hörspiel-Zyklus Streitbarer Geist von Hans A. Joachim zur Uraufführung. Am 9. Februar las Iwan Heilbut auf Einladung des Bundes Freie Presse und Literatur aus seiner Komödie Der lenkbare Mensch - oder Kvie erobert eine Zeitung. Die markanteste Kundgebung war dann im Mai bei einem Autorenabend des SDS die Lesung des Gesamttextes von Fantas Stück durch acht junge Schauspieler unter der Leitung von Hans Altmann - „ein aufwühlender Abend" nach dem Zeugnis von Robert Breuer (PTB, 28.5.1936): „Fanta läßt aus schnell wechselnden Szenen die Giftschwaden eines Kinderkreuzzuges aufwallen. Den KaumGeborenen scheint das moralische Auge verlöscht. Sie achten Menschenblut gleich einem Pfifferling. Doch bleibt die Sehnsucht erhalten, die natürliche Sehnsucht der Jugend nach Gerechtigkeit und Reinheit. Und hierin wurzelt die Dramatik dieser Generation und der Totengespräche, die ihr ein Dichter ablauschte. Insofern gibt Fanta einen bleibenden Beitrag zur deutschen Vertierung, aber auch ein Fanal des keimenden Aufbruchs." Dies alles waren nur bescheidene Anzeichen eines neu erwachenden Theaterlebens in den Emigrantenkreisen. Immerhin, es rührte sich etwas, man organisierte sich, um mit engagierten Texten an die Öffentlichkeit zu gelangen, um den Zusammenhalt zu markieren - zu einem Zeitpunkt, als die Notwendigkeit, sich in einem dauerhaften Exil einzurichten, erkannt wurde und als der sich abzeichnende Erfolg der Volksfrontbemühungen in Frankreich zu neuen Hoffnungen im antifaschistischen Kampf Anlaß gab. Auch die Gründung des Bühnenverlags RENAISSANCE im März 1936 in Zusammenarbeit mit der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft und Kunst im Ausland war ein Zeichen dieses neuen Aufschwungs. Erst 1937 brachte dieser Aufschwung sichtbare Ergebnisse ans Licht. Höhepunkte des Exiltheaters in Paris: Die Brecht-Jahre 1937/38 Die Vorbereitung der Weltausstellung 1937 in Paris mobilisierte die Emigranten. Sie erhofften sich, diese als Forum nutzen zu können, um das durch die Olympiade 1936 in Berlin vermittelte Deutschland-Bild zu korrigieren. Eine Fawii-Inszenierung durch Max Reinhardt war im Gespräch. Daß es nicht dazu kam - wahrscheinlich auf Druck des „Dritten Reichs", das bestrebt war, das deutschsprachige Kulturprogramm allein zu bestimmen - war wohl eine große Enttäuschung für die Emigranten, die sich aus diesem 208

Exiltheater in Frankreich Beitrag des in Frankreich durch Opern- und Operetten-Inszenierungen berühmten, im Reich verbotenen Regisseurs eine Stärkung ihrer Position erhofft hatten. Ein andersgeartetes Projekt kam dann aber zustande: Vorbereitet durch mehrere Brecht-Lesungen und im Juli 1937 durch die Ausstrahlung von politischen Gedichten durch den DEUTSCHEN FREIHEITSSENDER, erfolgte am 16. Oktober 1937 in der Salle Adyar die Uraufführung von Die Gewehre der Frau Carrar, einem Zeit- und Agitationsstück über den Spanischen Bürgerkrieg, das Slatan Theodor Dudow, vor 1933 Regisseur bei Agitproptruppen und in Brechts Film Kuhle Wampe, im September 1936 bei dem Dramatiker in Auftrag gegeben hatte. Dudow beabsichtigte von vornherein, das Stück vom kleinen Emigrantenensemble der LATERNE spielen zu lassen, das seit Anfang 1936 mit Kabarett-Programmen neuen Aufwind bekommen hatte. Es sollte der Auftakt zur Verwirklichung des bisher immer wieder vereitelten Plans werden, ein festes Ensemble in den Dienst des Exiltheaters zu stellen: „eine Art Wanderbühne zu schaffen, die gewissermaßen ein geistiger Kristallisationspunkt für die in den Ländern der Emigration zerstreut lebenden Deutschen werden soll" (PTZ, 15.10.1937). Der Stoff aus dem Spanischen Bürgerkrieg war geeignet, die Emigranten zu sammeln. Dies war zu einem Zeitpunkt besonders wichtig, als für jeden erkennbar werden mußte, daß die Nichtinterventionspolitik Frankreichs und Englands die Expansion des Faschismus begünstigte und damit eine Bedrohung für den Frieden bedeutete. Mit den Mitteln des Dramas sollte erreicht werden, was der im Juni desselben Jahres einberufene Zweite Internationale Schriftstellerkongreß in Spanien und Paris bezweckt hatte: die Öffentlichkeit aufzurütteln, die Stellungnahme jedes einzelnen zu erzwingen. Brecht hatte die szenische Struktur des Stückes dem Stoff und den zur Verfügung stehenden geringen Mitteln angepaßt. Ihm lag daran, wie er im Juli 1937 an Dudow schrieb, daß der Stil der Aufführung einfach blieb: „Die Figuren plastisch durchkomponiert wie auf Gemälden. Nichts Zappliges, alles ruhig, überlegter Realismus. Die Details mit Humor, das Ganze überhaupt ja nicht zu drückend."6 Brecht wünschte die Beteiligung von Ernst Busch, aber dieser war in Spanien, stand also nicht zur Verfügung. Die Hauptrolle spielte Helene Weigel. Die LATERNE-Mitglieder Steffie Spira, Hans Altmann, Werner Florian, Günter Ruschin u.a. besetzten die übrigen Rollen. Heinz Lohmar, der Bühnenbildner der Kabarettgruppe, schuf eine zwar sehr karge, aber eindrucksvolle Ausstattung. Die zwei Aufführungen am 16. und 17. Oktober waren vor allem in Emigrantenkreisen ein Erfolg, in erster Linie durch das hervorragende Spiel von Helene Weigel. Den deutschen Machthabern, die im September am Rande der Weltausstellung eine „Deutsche Kulturwoche" in Paris geboten hatten, waren sie ein Dorn im Auge, zumal gleichzeitig auch noch die Dreigroschenoper in französischer Fassung gespielt wurde. Die Resonanz des Stückes veranlaßte Brecht, weiter für die Exiltruppe unter der Regie Dudows und für Helene Weigel zu arbeiten. Er machte sich gleich im November 1937 an die Niederschrift von „kleinen Stücken über Deutschland", mit denen er die epische Spielweise weiterzubilden gedachte (Brief an H. Weigel, Nov. 1937). Brecht trug dokumentarisches Material zusammen und schrieb 27 Szenen, von denen acht durch Dudow unter dem Titel 99 %, später unter dem Titel Furcht und Elend des Dritten Reichs, am 21. Mai 1938 in der Salle d'Iena uraufgeführt wurden. Diesmal konnte Ernst 6

Bertolt Brecht: Briefe. Hrsg. u. komm, von Günter Glaeser. Frankfurt a. M. 1981, S. 330.

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Busch mitspielen, das LATERNE-Ensemble bewährte sich wieder, „die Weigel", wie man sie nannte, machte den Abend zu einem unvergeßlichen Erlebnis. Dudow verstand es, den sachlichen Gestus der Bilder szenisch umzusetzen: „Den klar umrissenen, fest gefügten epigrammatischen Fresken, die Brecht zu einem Kaleidoskop der Hölle (mit zuversichtlichem Lichtkern) reiht, gehorchte der Spielleiter S. Theodor Dudow; er brachte sie, mit erkennender Zurückhaltung, sozusagen wortgetreu auf die Bühne. Er begnügte sich damit, sichtbar werden zu lassen, was Brecht gewollt hat. In solcher Zurückhaltung bewährt sich eine bei Regisseuren gar nicht so häufige Tugend, die disziplinierte Phantasie der Sachlichkeit", schrieb Robert Breuer, der klarsichtige Theaterkritiker der Pariser Tageszeitung (23. Mai 1938). Das Echo der drei vollbesetzten Aufführungen, die unter der Schirmherrschaft des SDS stattgefunden hatten, war groß in den Emigrantenkreisen, auch über die Grenzen hinweg. Die französische Öffentlichkeit registrierte das Stück, das auszugsweise in den Zeitschriften Commune (Feb. 1939) und Nouvelle Revue Frangaise (1. Juni 1939) auf französisch veröffentlicht wurde. Zum ersten Mal wurde auf einer Emigrantenbühne das ganze Ausmaß der Gewalt sichtbar, die das Alltagsleben in Deutschland beherrschte und pervertierte. Neben der Anklage war aber auch der Wille zum Widerstand im deutschen Volk herauszuhören, obwohl Brecht sich diesbezüglich keinen Illusionen hingab. Die NS-Presse reagierte auf das Stück, versuchte durch Hohn und Verfälschung der Zuschauerreaktionen („Gekicher"!) Werk und Autor zu verunglimpfen. Ein „Deutsches Theater in Paris": Ein 1938 nur teilweise realisiertes Projekt Gleich nach der Uraufführung organisierte der SDS einen Diskussionsabend über das Thema „Das deutsche Theater in der Emigration". Leiter der Diskussion waren Egon Erwin Kisch und Anna Seghers. Der Regisseur und die Schauspieler von 99 % nahmen daran teil. Man diskutierte über „die große, fruchtbare, bedeutende Aufgabe, die einer freien deutschen Bühnenkunst im antifaschistischen Kampf zufällt", wie in Das Wort (Aug. 1938) berichtet wurde. Auch das Problem der wirtschaftlichen Machbarkeit kam zu Wort. Man stellte fest, daß ein Publikum vorhanden sei, man dürfe es bloß nicht mit „nur weltanschaulichem oder politischem Programmtheater" abschrecken. Fürs erste dürfte „der Vorrat von (etwa) Lessing bis Anzengruber oder von Nestroy bis Wedekind wohl ausreichen" (PTZ, 25.5.1938). In Aussicht genommen wurde ein Ensemble, das alle zwei, drei oder vier Wochen in Paris, vielleicht auch anderswo spielen sollte. Eine Entscheidung darüber wurde jedoch hinausgezögert. Zwischen August und Dezember 1938 kam es trotzdem zu mehreren deutschsprachigen Aufführungen, die wohl als eine Teilverwirklichung oder Vorstufe des Projekts zu bewerten sind. Kein festes Ensemble trat auf; es waren Gastspiele mit deutschen Exilkünstlern geplant, die aus Prag, Wien oder Amsterdam kamen, unter Beteiligung von Schauspielern des Pariser Exils. Die ersten Vorstellungen wurden ab 12. August als „deutsche Theaterwochen" im Theatre de l'Humour auf dem Pariser Montmartre unter der Leitung von Robert Blum angekündigt, der in Deutschland als Bearbeiter vieler französischer Stücke bekannt geworden war. Um das Publikum anzulocken, wurden große Stars, die meisten aus den ehemaligen Reinhardt-Bühnen, verpflichtet, die in ihren großen Rollen auftreten sollten: Tilla Durieux, Ernst Deutsch und Margarete Hruby in Ibsens Gespenster, erneut Tilla Durieux in Karel Capeks Die Mutter, dann Albert und 210

Exiltheater in Frankreich

Else Bassermann in der romantischen Komödie Der große Bariton, in Ibsens Stützen der Gesellschaft und in Gorkis Nachtasyl. Als Abschluß der deutschen Theatersaison sollte noch Rudolf Nelson mit seinem erfolgreichen Revue-Ensemble aus Amsterdam gastieren. Die Pariser Tageszeitung umriß das Ziel der Veranstaltung damit, Zeugnis für den Lebenswillen des echten deutschen Theaters abzulegen: „Der deutsche Geist, wie er hier vertreten ist, ist keine Sprachangelegenheit. Es handelt sich auch hier um die Flamme, die nie erlöschen soll. Um Protest und Treue. Um Bekenntnis und Beständigkeit. Um die Feststellung vor allem, daß deutsches Theater heute nicht das ist, was jetzt gleichgeschaltete ehemalige Reinhardtschüler mit stramm ausgerichtetem Ideenmangel exekutieren" (10.8.1938). Ernst Deutsch fügte hinzu: „Dieses Theater des Exils wird und muß ein Kampftheater sein. Das heißt: Es wird und muß sich zum Geist bekennen" (ebd.). Robert Blum, Manfred Fürst und Alwin Kronacher sollten sich die Regie teilen. Robert Breuer begrüßte begeistert die erste Aufführung, Ibsens Gespenster: „Das ist deutsches Schauspiel, ein Realismus, der durch die Hölle reitet, ohne je die Sterne zu vergessen" - ein Triumph für Ernst Deutsch und Tilla Durieux (PTZ, 13.8.1939). Bei einem „dem ewigen Österreich" gewidmeten bunten Abend Anfang September führte die von Robert Blum geleitete Truppe Einakter von Schnitzler und Wildgans auf. Über die weiteren angekündigten Abende fehlen die Rezensionen, so daß zu vermuten ist, daß das Projekt nur teilweise realisiert werden konnte, wahrscheinlich nicht zuletzt deshalb, weil die politischen Ereignise im Herbst 1938 (Münchner Abkommen, Besetzung der Sudetengebiete) sich überstürzten. Es kam noch zu einer letzten Aufführung in der Reihe „Deutsches Theater in Paris": Mit Kronacher als Regisseur entdeckten die Pariser Emigranten am 8. Dezember 1938 in der Salle d'Iena Horväths Glaube, Liebe, Hoffnung - ein Stück, dessen Uraufführung 1933 wegen der Machtergreifung verhindert worden war und erst 1936 in Wien nachgeholt werden konnte. Für das Bühnenbild sorgte Heinz Lohmar, die Akteure waren die der kleinen Truppe von Robert Blum am Theatre de l'Humour: Ilka Grüning, Oskar Lichow, Rainer Litten u. a. Robert Breuer pries in der PTZ diesen „kleinen Totentanz" als „erlebtes Theater" im Gegensatz zum französischen, das eher „gespieltes Theater" sei (10.12.1938). Die Erschütterung der Zuschauer war um so größer, als Horväth kaum ein halbes Jahr vorher in Paris auf die bekannte tragische Weise umgekommen war. An seinem Grab hatten sich am 7. Juni alle großen Bühnenkünstler im Pariser Exil versammelt: Erwin Piscator, Carl Zuckmayer, Walter Mehring, Franz Werfel, Alwin Kronacher und viele andere. 1939 war ein trübes Jahr für das Exiltheater. Im Mai waren der Selbstmord Ernst Tollers in New York und der Tod Joseph Roths in Paris zu beklagen, was der SDS zum Anlaß für eine Gedenkfeier nahm, auf der Leo Askenasy eine Szene aus Tollers letztem Stück Pastor Hall über Niemöllers Widerstand gegen das NS-Regime las. Kurioserweise war die letzte deutschsprachige Theateraufführung in Paris vor Kriegsausbruch eine Roth-Dramatisierung nach dem Roman Hiob. Sie fand am 3. Juli im Theatre Pigalle statt, gerade zu der Zeit, als die Verfilmung des Werks in Hollywood herauskam. Regie führte Paul Gordon. Die aufwendige Adaption bot zahlreichen Schauspielern im Pariser Exil noch einmal Gelegenheit, im Dienst der deutschen Literatur im Exil aufzutreten. Es war eine symbolträchtige Hommage, denn, so schrieb Harry Kahn, die Aufführung „greift jedem von uns ans Herz. Nostra res agitur. Es ist unsere Sache, die da agiert und tragiert wird: Wer weiß, wo unser Vaterland ist. Niemand will es wissen. Gott? Er 211

Claudie Villard schweigt." (PTZ, 5.7.1939) Henri Sussmann besorgte das Bühnenbild. Der Prager Schauspieler Hugo Haas spielte erschütternd die Titelrolle, an seiner Seite traten auf: Sidonie Lorm, die große Reinhardt-Schauspielerin, Trude Borg, Hans Reiner, Max Fischer, wieder einmal Steffie Spira, Hans Altmann, Alma Werner, Erich Elmar, Leo Askenasy u.a. Alle hofften, die einmalige Aufführung wiederholen zu können. Es kam nicht mehr dazu. Für die meisten bedeutete die Kriegserklärung am 1. September die Einlieferung in französische „camps de concentration". Die Kleinkunst - zwischen Unterhaltung und antifaschistischem Engagement Beim Durchblättern einer Tageszeitung wie des Pariser Tageblatts wundert sich der heutige Leser über die Fülle des Angebots in Paris im Bereich der sog. „Kleinkunst", und dies gleich in den ersten Exilmonaten. Das mehr oder weniger politische Kabarett hatte Tradition in Deutschland: In den zwanziger oder frühen dreißiger Jahren war häufig die Nazibewegung zur Zielscheibe seiner Kritik geworden. Die Kabarettisten waren daher Emigranten der ersten Stunde. In Paris, wo sich das Genre seine ersten Vorbilder geholt hatte, konnten sie sich einen größeren Anklang erhoffen. So versuchten schon im Sommer 1933 vertriebene Künstler aus den berühmten Berliner Kabaretts TLNGEL-TANGEL, KATAKOMBE oder aus der TRUPPE 31 in der französischen Hauptstadt Fuß zu fassen. Der Bedarf an materiellen Mitteln war gering, die Masse der Emigranten bot sich als Publikum an. Es hieß aber, das französische Publikum zu erobern. In diesem Bereich erfolgte die Integration der deutschsprachigen Künstler ins Pariser Kulturleben vergleichsweise leicht, denn das Wiener Ambiente, das die Truppen häufig kultivierten, war beim Publikum gefragt. Groß war allerdings die Konkurrenz: Gerade in diesen Jahren wurden große Stars wie Yvette Guilbert und Lys Gauty im „Bobino" oder Maurice Chevalier im „Casino de Paris" gefeiert, zumal die Arbeitslosigkeit vor allem im Bereich der Varietes in der Mitte der dreißiger Jahre hier besonders grassierte. Es kam sogar zu demonstrativen Störungen, z.B. 1936 im „Alhambra", obwohl schon im April 1935 im Rahmen einer Quotenregelung die Beteiligung von mehr als 50 Prozent Ausländern bei Variete-Produktionen verboten wurde (PTB, 22.4.1936). Nur gelegentlich kam es deshalb zur produktiven Zusammenarbeit mit französischen Künstlern: So präsentierte sich die satirische Revue von Dorm und St. Granier mit politisch brisanten Nummern im Oktober 1936, am Anfang des Front Populaire, mit dem Berliner Künstler Walter Joseph als Klavierbegleiter. Aber auch untereinander waren die Emigranten Konkurrenten, denn mancher Schauspieler, Sänger und Musiker suchte hier den ihm auf der Theaterbühne verwehrten Einstieg. Es ging ja für viele um das nackte Überleben. Paris war also wie Wien oder Amsterdam ein wichtiger Umschlagplatz für die Kleinkunst. Die ersten systematischen Versuche, Kabarett-Programme zusammenzustellen, gab es schon Ende 1933. Das Jahr 1934 wurde zum Experimentierfeld für vier oder fünf Kleinkunst-Ensembles, die zum Teil gleichzeitig um die Gunst des Publikums warben. Das Problem war für alle, den richtigen Standort zwischen deutschem und französischem Publikum, die richtige Balance zwischen Unterhaltung und politischem Engagement zu finden. Kaum eine Gruppe überlebte das Jahr 1934. Selbst die politisch aktivste Truppe, DIE LATERNE, mußte nach einem Jahr pausieren, bevor sie 1936 einen neuen Anlauf nahm. Über die Arbeit und die Erfolge der LATERNE darf man aber nicht die Be212

Exiltheater in Frankreich mühungen anderer Künstler vergessen: Jüdische Gruppen boten die ersten KabarettAbende, gefolgt von Ensembles mit wienerisch-berlinerischem Flair. Nach dem „Anschluß" 1938 wurde das Angebot an Wiener Kabaretts neu belebt. Das alles ergibt ein sehr vielfältiges Bild. Die erste Kabarett-Gruppe, die es zu einem Programm in Paris brachte, war die JÜDISCHE KLEINKUNSTBÜHNE unter Führung von Michael Rasumnyl Ende Dezember 1933. Die Gruppe hatte schon in Berlin 1931 unter dem Namen DER KUNDAS gespielt. So nannte sie sich wieder, als am 17. Januar 1934 ein neues Programm mit neuartigen „Sketchen, Parodien und Satiren" gezeigt wurde (PTB, 13.1.1934). Gleichzeitig machte sich eine andere Gruppe unter dem Namen PARISER ASASEL bekannt und kündigte unter der künstlerischen Leitung von Leon Kaplun eine .jüdische Volks-Revue" an (PTB, 15.1.1934). Schließlich vereinigten sich beide Truppen, und der Abend fand im Theater vom Petit Journal unter doppelter Regie am 4. Februar statt. Ein Rezensent des Abends begrüßte den Zusammenschluß der Konkurrenten, sagte jedoch warnend, die jüdischen Künstler sollten sich „vor einem hüten: vor Ausflügen in die Politik. Politisch Lied ist in diesem Fall wirklich garstig Lied" (PTB, 6.2.1934), und verwies damit auf die prekäre Situation der Juden auch in Frankreich. - Wie lange die Truppe zusammenblieb, ist schwer auszumachen. Nach den ersten Aufführungen wird z.B. im Pariser Tageblatt zwar noch von jüdischem Theater, aber nicht mehr von einer spezifisch jüdischen Kleinkunstbühne berichtet. Wiener und Berliner Künstlern war es im Frühjahr 1934 erstmals gelungen, deutsches Kabarett anzubieten. Im Restaurant „Chez Lurion" am Boulevard Poissoniere kam ein Programm zustande mit einem Ensemble, das in der Presse als Synthese zwischen Wien und Berlin gefeiert wurde: „Der dichtende Conferencier Max Maennlein beehrte sich mit Erfolg darzubieten: den Tenor Lindenberg, dessen Niggerspirituals den Weg zum Jazzband-Kulturbolschewismus weisen, und die stimmbegabte Mizzi Bera. Ihre Konkurrentin mit Weaner Geschau und Gelock ist Lilli Szendrei, deren trainierter Kehlkopf auf vielstufigen Koloraturen herumklettert. Leo Askenasy brachte die immer notwendige politische Note mit erfreulicher Aggressivität. Mit Gerda Redlich und Peter Bach erreichte der Abend seinen Höhepunkt. Der mit allen Tonarten gewaschene und mit allen Noten gehetzte Adolf Daus spielte am Klavier alles, was ihm vor die Tasten kam" (PTB, 1.2.1934). Die Truppe nannte sich WIENER KÜNSTLER-CLUB und wurde von Max Maennlein geleitet. Gespielt wurde jeden Sonntag und Donnerstag, manchmal auch am Sonnabend mit wechselndem Programm. Neue Künstler kamen hinzu: Olly Gebauer, Lilli Palmer, Wolfgang Zilzer als Conferencier. Es wurde gesungen und rezitiert, auch hinterher getanzt. Am 12. April wurde die Filmprominenten-Revue „Hier wird der Star gestochen" gespielt, in einem Programm, an dem Max Maennlein und Leo Askenasy noch gemeinsam beteiligt waren. Ohne viel Aufsehen trennte sich dann Askenasy von Maennlein, um mit Walter Mehring und einigen jüngeren Künstlern, die ihm folgten - Max Kolpe, Gerda Redlich, Lotte Jäger, Lilli Palmer, Peter Bach u.a. - eigene Kabarett-Abende unter dem Namen KÜNSTLER-CLUB PARIS-WIEN im Pavillon Miramare in der Rue St. Honore zu veranstalten. Als Eröffnungsveranstaltung kam am 5. Mai 1934 die Revue „Wie der kleine Moritz sich die Welt vorstellt" auf die Bühne. Von nun an waren beide Brettl-Bühnen Konkurrenten. Der WIENER KÜNSTLER-CLUB bereicherte sich um eine „französische Diseuse", man las auch mal ein Gedicht von 213

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Brecht vor, man bot als neues Programm „Das Kabarett vor 1900", Berliner Volksmelodien blieben weiterhin hoch im Kurs (PTB, 20.5.1934). Die Arbeit des Ensembles läßt sich bis ins Jahr 1935 - dann unter dem Namen LE TRIANON - verfolgen. Es kamen noch ein Schwank und ein Schnitzler-Stück (Liebelei) auf die Bühne. Sonst gab es nur noch vereinzelte Abende unter dem Motto „Paris-Vienne", weiterhin im Cafe Lurion, wo zu „Tanz und Attraktionen" mit dem Sänger Walter Lindenberg eingeladen wurde (PTB, 14.12.1935). Der KÜNSTLER-CLUB PARIS-WIEN

bot anspruchsvollere Programme und konnte sich bald ein besseres Lokal in einer Galerie, Rue La Boetie, leisten: 500 Zuschauer konnten hier Platz nehmen. Beim neuen Programm „Cacahuetes" am 2. Juni 1934 kamen Felix Bressart und Kurt Gerron hinzu. Gerade von ihnen war zu erwarten, daß das Ensemble nicht dem üblichen Fehler der Emigranten-Kabaretts verfiel, zu sehr vom Alten zu zehren. Der Vortrag von Mehrings neuem Chanson „Hymne an Berlin" und aktuelle Sketche rissen das Publikum zu Beifallsstürmen hin. „Überhaupt ist eine erfreuliche Note politischer Angriffslust festzustellen, namentlich in der Conference des ausgezeichneten Robert Thoeren, der es versteht, viel in und noch mehr zwischen den Zeilen zu sagen", so das Pariser Tageblatt (4.6.1934). Leo Askenasy und die Künstler seiner Truppe präsentierten sich gern auch mal unter einem neuen Gesicht, um das Publikum immer wieder zu überraschen. So findet man sie zusammen mit französischen Künstlern als Trägerensemble von zwei Galaabenden am 7. und 14. Juni 1934 in der Salle d'Iena unter dem Namen LES SANS-CULOTTES „internationales Theater in drei Sprachen (französisch, englisch, deutsch)" (PTB, 6.6. u. 11.6.1934). Man gab sich international und versuchte damit, den leidigen Emigrantenstatus zu überwinden. Askenasys Tätigkeit in Paris, wo er von Februar 1933 bis zum Sommer 1939 die meiste Zeit weilte, dürfte exemplarisch sein für ein Theaterkünstlerdasein im französischen Exil. Ob als Brettl-Künstler und -Regisseur, als Schauspieler bei Rezitationsabenden im „Club Heinrich Heine" oder im Rahmen von SDS-Veranstaltungen bzw. als Mitwirkender bei den seltenen Emigrantenaufführungen - immer gelang es ihm, auf der Exilbühne präsent zu sein und ein kleines Ensemble zusammenzuhalten, das ihn zum Teil auch zwischendurch nach Saarbrücken, wo er während der Saar-Abstimmung politisches Kabarett machte, und zwischen Februar 1935 und März 1938 nach Wien begleitete. Er setzte seine Tätigkeit auch im Internierungslager fort. Erst dann entschloß er sich zur Flucht in die USA. Die besondere Stellung des Kabaretts DIE LATERNE ergibt sich daraus, daß es ihr als einziger Kleinkunst-Gruppe gelang, fast kontinuierlich vom Frühjahr 1934 bis 1938 ein vergleichsweise konstantes Ensemble zusammenzuhalten und mit ihm in Paris eindeutig politisches Kabarett anzubieten. Sie schaffte auch den Sprung auf die Theaterbühne, indem sie sich, wie dargestellt, unter der Regie Dudows an den Pariser Brecht-Uraufführungen beteiligte. Bei dieser Tätigkeit war die Nähe ihrer Mitglieder zum Schutzverband Deutscher Schriftsteller von großer Bedeutung. Der Grundstamm des Ensembles gehörte der TRUPPE 3 1 um Gustav von Wangenheim an, die es in Berlin mit ihren Programmen Die Mausefalle, Da liegt der Hund begraben und, kurz nach der Machtergreifung, dem Anti-Hitler-Stück Wer ist der Dümmste? zu großen Erfolgen gebracht hatte. Fast ein Dreivierteljahr verstrich, bevor es zur ersten Premiere der LATERNE am 7. April 1934 kam. Die kleinen Schritte, die unternom214

Exiltheater in Frankreich men werden mußten, bis es soweit war, zeugen von den enormen Schwierigkeiten, ein deutschsprachiges Exilensemble in Paris durchzusetzen. Man begnügte sich in den ersten Monaten mit der schauspielerischen und musikalischen Gestaltung der „Montagabende", die der SDS im Cafe Mephisto veranstaltete, versuchte, den Kreis zu erweitern, etwa im Rahmen der JUNGEN DEUTSCHEN TRIBÜNE, die David Luschnat und Anna Seghers zusammen mit anderen schon im Juni 1933 gegründet hatten. Diese JUNGE DEUTSCHE TRIBÜNE stellte sich Anfang Februar 1934 auf Kabarett um, mit einem rein deutschen Programm auf improvisierter Bühne unter Beteiligung von Hermann Skalde, Ernst Robert, Lothar Tallert aus Berlin und David Luschnat. Das Programm befriedigte jedoch nicht recht (PTB, 7.2.1934). Dieses etwas unglückliche Experiment war für einige Schauspieler aus der TRUPPE 31, dem TLNGEL-TANGEL und dem KABARETT FÜR ALLE Anlaß, die Sache anders an-

zufangen. Unter dem Namen DER BALLON präsentierte sich ein neues Kabarett-Ensemble am 3. März mit einem deutsch-französischen Programm in der Salle Adyar, Avenue Rapp, „einem der schönsten Theater von Paris" (PTB, 1.3.34). Therese Bärwald hatte mit ihren Parodien großen Erfolg, Lotte Mosbacher trug Hollaenders „Kleptomanin" glanzvoll vor, Julia Marcus brachte Tanzparodien, Steffie Spira rezitierte Heine, Robert Basson war Conferencier zusammen mit dem Franzosen Yves Deniaud, einem Straßenhändler, der seine Krawatten mit so viel Witz anpries, daß er bühnenreif war und bei der LATERNE eine große Karriere im Kabarett begann. - Gerade die deutsch-französischen Zwiegespräche gefielen dem Publikum. Der angestimmte Ton kam gut an, so zum Beispiel die parodistische Darstellung der „ungeschickten ersten Gehversuche der Emigranten auf dem ungewohnten Terrain der französischen Sprache" (PTB, 5.3.1934). Dieser BALLON erwies sich in der Tat als Versuchsballon für die LATERNE, die mit zum Teil gleicher Besetzung ihre Premiere als „Cabaret franco-allemand" am 7. April 1934 ankündigte. Der Spielort war jedoch ein anderer, das geschichtsträchtige „Caveau Camille Desmoulins" am Palais Royal, wo etwa hundert Zuschauer Platz fanden. Man konnte nach der Premiere in der Exilpresse lesen: „Die Atmosphäre des Aufrührerischen liegt über diesem Gewölbe, und auch die kleine Truppe, die hier jetzt mit frischem Angriffsgeist gestartet ist, hat etwas von der historischen Luft eingeatmet. Nicht vorsichtig zeitlos, wie es manche vorziehen zu arbeiten, sondern offen bekennerisch ist das Programm, in dem liebenswürdiger Witz mit stachliger Satire abwechseln" (PTB, 9.4.1934). Zu dem Kollektiv gehörten u.a. auf deutscher Seite Steffie Spira, Werner Florian, Günter Ruschin, Siebenhaar, Gelbart, auf französischer Seite Yves Deniaud, das Duett Jean Darcy und Dame Fraxy als Originale vom Montmartre. Nach dem Erfolg dieses ersten Programms konnte schon ab 5. Mai ein neues Programm dreimal wöchentlich gezeigt werden. Es war vielseitiger und farbiger als das erste und zeugte von „Mut zum eigenen Gedanken und zur Aktualität" (PTB, 14.5.1934). Die meisten Texte wurden von Siebenhaar geschrieben. Warum DIE LATERNE dann für mehr als ein Jahr von der Pariser Bühne verschwand und erst im Januar 1936 zunächst unter dem Namen KÜNSTLER-CLUB LATERNE (in Anknüpfung an die inzwischen auch nicht mehr auftretenden Kabarett-Ensembles von Maennlein und Askenasy) wiederauftauchte, ist heute nicht ganz zu klären. Die Bemühungen um eine Volksfront in den Reihen der Emigrierten sowie auch der Erfolg des „Front populaire", der in Frankreich bald an die Regierung kommen sollte und neue Hoffnungen weckte, bieten eine plausible Erklärung für diesen zweiten Anlauf. Inzwischen war im November 1935 die überpartei215

Claudie Villard liehe „Vereinigung deutscher Bühnenangehöriger in Paris" gegründet worden. Diese Gründung gab wohl dem Ensemble DIE LATERNE neuen Auftrieb. Mit zum Teil neuer Belegschaft spielte das „neue Emigrantenkabarett" (PTB, 28.2.1936) in einem kleinen, verräucherten Raum mit Atmosphäre, der „Salle Duncan" in der Rue de Seine mitten im Quartier Latin, wo 60 bis 80 Zuschauer Platz finden konnten. Gespielt wurde auch zusammen mit der antifaschistischen Vereinigung „Freie deutsche Jugend" (Februar 1936) und vor französischem Arbeiterpublikum bei Veranstaltungen der Gewerkschaft, der CGT, oder der Roten Hilfe.7 Bis April 1938 konnten trotz Drohungen durch rechte Kreise neun Programme gestaltet werden, die letzten wieder im Caveau Camille Desmouslins, wo DIE LATERNE ihre ersten Erfolge gefeiert hatte. Die Programme der „neuen" LATERNE waren von einer größeren politischen Schärfe als die vorherigen. Die meisten Nummern befaßten sich mit zwei Motiven: dem „Dritten Reich" und der Emigration. Manche Programmteile waren besonders wirkungsvoll: so im ersten Programm die satirischen Sketche „Rummel 1936", „Die Montparnassauer", die Parodie „Kraft durch Tomaten" (im Kölner Dialekt) und „Witzolympiade". Auf der Liste der Mitwirkenden trifft man die altbewährten Künstler und einige neue Namen. Für die Musik war Joe Cosma verantwortlich, für das Bühnenbild Heinz Lohmar. Das Kollektiv der LATERNE legte großen Wert auf engen Kontakt mit dem Publikum. So wurde im Februar 1937 das siebte Programm zunächst vor Vertretern der Emigranten-Organisationen erprobt, mit denen eine Debatte stattfand. Gleichzeitig wurde das Publikum in einem Fragebogen nach seinen Lieblingsstücken gefragt. Das Programm, insbesondere die politischen Nummern, stieß auf Zustimmung, so z.B. Hans Altmanns Rückgriff auf Kabale und Liebe und das immer noch aktuelle Motiv des Verrats an den Landeskindern (die Szene „Iler Akt, He Szene von Friedrich von Schiller"). Aber bei aller Anerkennung wurde auch die „Forderung nach einem avantgardistischen Zug in den Darbietungen laut" (PTZ, 20.2.1937). Ihrerseits beklagten sich die Mitglieder der Truppe über das zu geringe Angebot an Texten, so daß sie das meiste selbst schreiben müßten. - Unter dem Motto „Wir intervenieren mit Lachen" kam ein achtes Programm ab 3. Dezember 1937 zustande, im Februar 1938 dann noch ein neuntes. Es konnte bis April gezeigt werden, aber unter Bedingungen, die immer schwieriger wurden. Die französische rechtsorientierte Wochenschrift Candide veröffentlichte Anfang Februar einen dreispaltigen Artikel, der mit der unverhüllten Aufforderung zur gewalttätigen Störung der Aufführungen der LATERNE Schloß. Mit dieser Pressekampagne war das baldige Ende des engagierten Kabarett-Ensembles besiegelt. Es trat noch im April 1938 im Caveau Desmoulins unter dem neuen Namen BUNTE BÜHNE in einem Programm mit dem vielsagenden Titel „Bange machen gilt nicht" auf (PTZ, 17.4.1938), aber viele Mitglieder der ursprünglichen Truppe waren nicht mehr dabei. Zu der „alten Garde" (Altmann, Cosma, Heinz Ganther) gesellten sich neue Gesichter, so Lilly Faber aus Österreich oder die Französin Paule Sandra. Die Situation in Österreich nach dem „Anschluß" gab Anlaß zu manchen politischen Nummern. Als der SDS im November 1938 einen Kabarett-Abend in der Salle Adyar veranstaltete, war die LATERNE erloschen und nur noch die FLÜSTERHARFE ZU hören. Robert Breuer berichtete von einem melancholischen Abend, bei dem „die Schärfen gedämpft 7

Vgl.: Steffie Spira-Ruschin: Trab der Schaukelpferde. Berlin/Weimar 1984, S. 105.

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Exiltheater in Frankreich

und die Spitzen in Watte gewickelt" waren (PTZ, 28.11.1938). Altmann und Ruschin waren dabei, Dudow führte Regie. - Das politische Emigranten-Kabarett kam hier zum letzten Mal zu Wort. Die äußerst gespannte internationale Situation ließ nur noch nostalgische Klänge zu. MELODIE VIENNOISE, ein österreichiches Kabarett-Ensemble unter der Leitung Ronis mit Rudi Bach, Franz Engel und Erwin Saldern als Conferenciers bot noch „Revuen" bis Mai 1939 im Caveau Desmoulins, doch blieb von der Tradition des Revolutionskellers nichts übrig. Nur noch aufs Lachen kam es an. Man mied sorgfältig alles Politische, besang traurig das verlassene Vaterland, ließ Heurigenseligkeit aufkommen (PTZ, 18.10.1938). Andere Wiener Gruppen: VLENNE Ä PARIS sowie ein BRETTL versuchten ihr Glück in Paris bis zum Frühsommer 1939. Der Epilog für viele Vertreter der Kleinkunst in Paris war brutal, besonders wenn sie sich auf der sozialistischen Seite engagiert hatten. Das war der Fall u.a. für Steffie Spira, die gleich Anfang September 1939 als „propagandiste dangereuse" verhaftet und interniert wurde.8 Getrennt von ihrem Mann Günter Ruschin kam sie ins Frauenlager Rieucros, wo sie erneut theatralische Darbietungen organisierte. Zusammen mit einer anderen Schauspielerin, Marina Strasde, schrieb sie die meisten Texte. Im allgemeinen waren die „Bunten Abende" jedoch kollektive Arbeit. Ähnlich wie bei der LATERNE war neben der satirischen auch eine agitatorische Absicht spürbar: Es ging darum, den politischen Zusammenhalt der Frauen im Lager zu stärken. Man parodierte gern bekannte Chansons; man ließ in Gedichten oder Sketchen eine „verkehrte Welt" entstehen. Auch das war Exiltheater, allerdings nicht zum Ruhme des Asyllandes Frankreich. Die Theaterarbeit im Exilland Frankreich bestand aus vielen Einzelversuchen mit erheblicher Variationsbreite. Bis zum Kriegsausbruch waren den Emigranten nur sechs Jahre für ihre Theaterarbeit gegönnt. Sie verliefen, nicht zuletzt aufgrund der politischen Ereignisse, alles andere als ruhig und erfolgreich: Die Volksfrontbemühungen scheiterten; die Moskauer Prozesse verschärften die Fronten auch innerhalb der Emigration. Ohne kulturpolitische Unterstützung von Seiten des Gastlandes minderten organisatorische Instabilität und politische Konflikte die Chancen zur Verwirklichung der Vorhaben. Gerade als sich eine gewisse Stabilisierung abzeichnete und man begann, sich um das Projekt einer festen deutschen Bühne zu sammeln, wurde den meisten klar, daß ein Weiterziehen in ein sicheres Exilland unvermeidlich war. Bemerkenswert ist trotzdem, wie intensiv die Bemühungen der Emigranten waren, auf dem französischen Theater Fuß zu fassen und, in anderer Richtung, französische Stücke in Paris in deutscher Sprache herauszubringen. Blickt man andererseits auf die Rezeptionsbereitschaft der französischen Seite, so ist das Ergebnis aus heutiger Sicht eher unbefriedigend. Nur Bruckner wurde rezipiert, Wolf und Toller gar nicht, auch nicht Hasenclever oder Horväth. Unter den Regisseuren wurde weder Piscator noch Jeßner eine Chance gegeben. Keinem bedeutenden deutschen Schauspieler gelang es, auf einer französischen Bühne wirklich Fuß zu fassen. Besonders bedauerlich ist die nur sehr begrenzte Beschäftigung mit den Werken Brechts. Daß eine breitere Rezeption vorstellbar gewesen wäre, zeigt jedoch das intensive Interesse, auf das Brechts Theater in Frankreich während der Nachkriegszeit stieß. Die Chancen waren also vorhanden, sie wurden aber nicht genutzt.

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Vgl.: Ebenda, S. 151.

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Claudie Villard Literatur Rezensionen und Ankündigungen in Die Aktion, Pariser Tageblatt, Pariser Tageszeitung. Gilbert Badia, Frangoise Joly u.a.: Les barbeles de l'exil. Etudes sur Immigration allemande et autrichienne 1938 - 1940. Grenoble 1979. Albrecht Betz: Exil und Engagement. Deutsche Schriftsteller im Frankreich der dreißiger Jahre. München 1986. Deutsche Emigranten in Frankreich. Französische Emigranten in Deutschland. 1685 1945. Eine Ausstellung des Goethe Instituts. Paris 1985. Mechtild Gilzmer: Fraueninternierungslager in Südfrankreich. Rieucros und Brens. Berlin 1994. Gabriele Mittag: „Es gibt Verdammte nur in Gurs". Literatur, Kultur und Alltag in einem südfranzösischen Internierungslager Gurs 1940 - 1942. Tübingen 1996. Dieter Schiller u.a.: Exil in Frankreich. Frankfurt a. M. 1981 (= Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933 -1945, Bd. 7). Archive Archiv des Theatre Municipal (jetzt Opera du Rhin), Straßburg

Ben Albach/Jacques Klöters

Exiltheater in den Niederlanden Politische und kulturelle Bedingungen Holland war aufgrund seiner unmittelbaren Nachbarschaft zu Deutschland und durch die guten Schiffsverbindungen nach Übersee ein bevorzugtes Ziel für die deutschen Hitlerflüchtlinge. Nach Holland emigrierten Schriftsteller wie Joseph Roth und Klaus Mann, bildende Künstler wie Max Beckmann und Heinrich Campendonck, Filmleute wie Ludwig Berger und Eugen Schüfftan. Die beiden bedeutendsten Verlage des Exils: der Querido Verlag und der Verlag Allert de Lange, waren in den Niederlanden angesiedelt, geleitet oder maßgeblich beeinflußt von Fritz Landshoff und Hermann Kesten. Neben Paris und Prag war Amsterdam zwischen 1933 und 1939 das wichtigste Zentrum der deutschsprachigen Emigration. Es waren vor allem jüdische Flüchtlinge, insgesamt etwa 24.000, die sich über einen längeren Zeitraum hinweg in Holland aufhielten. Die Zahl der .politischen' Emigranten war dagegen erheblich niedriger und unterlag einer beträchtlichen Fluktuation; sie wird auf 1.000 bis 1.500 geschätzt. Hinzu kamen rd. 11.000 Flüchtlinge, die die Niederlande als Transitland für die Weiterfahrt nach den USA oder nach Südamerika nutzten. Die Haltung der niederländischen Regierung gegenüber dem „Dritten Reich" wurde von geographischen und wirtschaftlichen Überlegungen geleitet. Die Niederlande waren auf ein gutes Verhältnis zu Deutschland, ihrem wichtigsten Handelspartner und unmittelbaren Nachbarn, angewiesen. Darüber hinaus hoffte man, im Falle eines erneuten europäischen Konfliktes wie im Ersten Weltkrieg neutral bleiben zu können. Die holländische Regierung legte gegenüber dem „Dritten Reich" infolgedessen politische Zurückhaltung an den Tag - auch als Deutschland 1933 aus dem Völkerbund austrat und die Respektierung der holländischen Neutralität somit aufs höchste gefährdet war. Außenpolitische Rücksichtnahme bestimmte auch die Flüchtlingspolitik. Bereits im Juli 1933 erließ die konservative holländische Regierung ein Verbot, das den Emigranten jegliche politische Betätigung untersagte. Zuwiderhandlungen wurden mit Ausweisung bestraft. Die oppositionelle Sozialdemokratische Arbeiter-Partei kämpfte gegen diesen Beschluß, doch war ihr Widerstand weniger stark als erwartet. - Trotz des Verbots zeigten sich vor allem die Kommunisten sehr aktiv. Ihre Stärke wird auf 250 bis 1.000 Personen geschätzt. Die KPD-Flüchtlinge hielten sich meist illegal im Lande auf, organisierten sich in kleinen Zellen und wurden von ihren holländischen Parteigenossen intensiv unterstützt. Viele holländische Linke bewiesen persönliche Solidarität, etwa indem sie Flüchtlingen beim illegalen Grenzübertritt behilflich waren oder sie in ihre Familien aufnahmen. Da die politischen Flüchtlinge auf materielle Unterstützung angewiesen waren, lebten sie zumeist im Kreis ihrer Gesinnungsgenossen. - Juden waren schon seit 1796 in Holland gleichberechtigt; Antisemitismus gab es kaum. Eine sog. .Judenfrage' wie in Deutschland existierte nicht. Erste Aufnahmebeschränkungen für politisch und .rassisch' Verfolgte wurden im März 1934 erlassen; in den folgenden Jahren verschärfte die Regierung sie zunehmend. 219

Ben Albach/Jacques Klöters Im Frühjahr 1938 wurden schließlich die Grenzen geschlossen. Erst von da an wurde das Flüchtlingsproblem öffentlich diskutiert. Es gab mehr humanitäre Hilfe, zugleich aber zeigten sich auch verstärkte antisemitische Tendenzen. Beim Einmarsch der deutschen Truppen 1940 hielten sich noch etwa 20.000 Flüchtlinge in den Niederlanden auf, davon rund 16.000 jüdische. Im niederländischen Kulturleben spielte die deutsche Sprache und Kultur eine besondere Rolle. Der gebildete Holländer lernte Deutsch in der Schule, las deutsche Bücher, kannte und liebte deutsche Musik, sah viele deutsche Filme und besuchte Gastspiele von deutschen Opern, Operetten und Theatern. Aus den Gastspielreisenden waren 1933 plötzlich Flüchtlinge geworden. Für die meisten der aus Deutschland stammenden Künstler traf das von Konrad Merz geprägte Bild des Menschen, der „aus Deutschland fällt" und nach einer abenteuerlichen Flucht in Holland ankommt, dort mittel- und staatenlos von einer Instanz zur anderen wandert, daher nicht zu. Rudolf Nelson wurde von einer Journalistenschar auf dem Hauptbahnhof erwartet. Erika Mann wurde bewirtet wie ein Fürstenkind und gab im Amstelhotel, wo sonst nur gekrönte Häupter zu logieren pflegten, ihre Pressekonferenz. Davon jedoch abgesehen, war die Zukunft aller Künstler, ob sie prominent waren oder nicht, genauso ungewiß wie die aller anderen Flüchtlinge. Für die Theaterschaffenden unter den Flüchtlingen unterschied sich die Situation beträchtlich von der in Deutschland. Holland kennt nur Stadttheater, die in Form von Privatunternehmen durch Pächter geführt werden. Sogar die „Königliche Schouwburg" im Haag ist nichts anderes als ein Stadttheater. Die Kommunen finanzieren die Theater und ihre ständige Bühnengesellschaft; staatliche Subventionen gab es in den dreißiger Jahren noch nicht. Die Theaterunternehmen waren auf private Unterstützung und die wechselnde Gunst des Publikums angewiesen. Die Wirtschaftskrise der Jahre 1929/30 hatte auch den Theaterbetrieben schwer geschadet; 1932 war die national anerkannte Bühnengesellschaft Koninklijke Vereeniging Het Nederlandsch Tooneel in Konkurs gegangen. Seitdem waren Theatertruppen entstanden, die jeweils einen eigenen Stil vertraten. Das Amsterdamer Theater spielte ein modernes Repertoire, mehr oder weniger engagiertes Theater und klassische Stücke. Die Haager-Rotterdamer Bühnengesellschaft stützte sich auf eine realistische Tradition. Die großen Konzertagenten in Holland pflegten besonders enge Beziehungen zu Deutschland. Die meisten von ihnen waren deutscher Herkunft. Zum führenden Konzertunternehmer hatte sich der deutsche Schriftsteller Ernst Krauss (1887 - 1958) entwickelt, der internationale Berühmtheiten wie Menuhin, Mistinguette, Jack Hylton und Dajos Bela für Auftritte in Holland verpflichtete. Er förderte vor allem die Entwicklung des modernen künstlerischen Tanzes in Holland. Durch Krauss kamen alle großen Ballettkünstler der dreißiger Jahre nach Holland. Im Winter 1932/33 war Kurt Jooß mit seiner FOLKWANG TANZBÜHNE in Holland auf Tournee. Die Erstaufführung seines Balletts Der grüne Tisch hatte dabei einen so großen Erfolg, daß man ihr heute nachsagt, der Tanzkunst in Holland den Weg gewiesen zu haben. Der tschechische Impresario Hugo Helm, ein anderer Konzertuntemehmer, hatte in den zwanziger Jahren etliche bekannte Schauspieler, das Kabarett DER BLAUE VOGEL sowie 1926 die FRITZ HIRSCH OPERETTE nach Den Haag geholt. Zwischen 1926 und 1936 brachte Hirsch in Holland 50 Operetten heraus. - Hirsch galt in diesen Jahren neben Max Pallenberg als der beste deutsche Komiker. Er verfügte über eine hervorragen220

Exiltheater in den Niederlanden de Truppe, zum großen Teil österreichischer Herkunft. In den dreißiger Jahren wurde diese Operettengesellschaft zu einem Sammelpunkt der jüdischen Emigration. Die Konkurrenz von Hirschs Wiener Operette steigerte das Niveau der holländischen Operettentruppen. Der eigentliche niederländische Theaterbetrieb blieb den emigrierten Künstlern jedoch nicht zuletzt aufgrund der Sprachprobleme verschlossen. Hingegen gab es in den Bereichen des Kabaretts und im Variete vielfältige Arbeitsmöglichkeiten. Gerade auf dem Gebiet der „Kleinkunst" spielte die deutschsprachige Emigration in den Niederlanden eine ganz besondere Rolle, die weit über ihre Bedeutung in anderen Ländern hinausreichte. 1933 gab es politisches Kabarett in Holland noch nicht, elegantes Cabaret dagegen bereits seit der Jahrhundertwende. Das überwiegend bürgerliche Publikum wollte ein hochkultiviertes, künstlerisches, unpolitisches und humorvolles Kabarett. Der Journalist Jean Louis Pisuisse hatte sich zum besten Conferencier entwickelt und wurde Lehrmeister einer ganzen Generation von Kabarettisten. Er leitete seit 1911 das KURHAUS-CABARET in Scheveningen; hier entwickelte er unter deutschem Einfluß den holländischen Kabarettstil. - 1931 wurde Louis Davids Leiter des KURHAUS-CABARETS in Scheveningen. Aus dem Kreis des Berliner Kabaretts Dm KATAKOMBE engagierte er junge Künstler wie Dora Gerson und Werner Finck. Dotz Sohn-Rethel und der Conferencier Kurt Egon Wolff kamen von der jungen Berliner Kabarett-Gruppe PlNG PONG hinzu. Mit Mitgliedern dieser Gruppe ging Davids sogar auf Tournee. Anschließend eröffnete er am Leidseplein in Amsterdam ein weiteres Kabarett-Theater. Zwischen 1934 und 1938 traten auf dieser Bühne viele wichtige deutschsprachige Kleinkünstler auf: Sängerinnen und Sänger des Nelson-Kabaretts und von Willy Rosens KABARETT DER PROMINENTEN und Conferenciers wie Max Ehrlich, Karl Farkas, Fritz Grünbaum und Jozef Β aar. 1938 übernahm Baar nach einer Erkrankung Davids' sogar die Leitung des KURHAUSCABARETS.

Einzelbeispiele im Bereich von Kabarett und Revue Im Frühjahr 1933 schlossen sich einige aus Berlin kommende jüdische Kollegen dem Kabarett PING PONG an: Chaja Goldstein, die Schweizer Grotesk-Tänzerin Julia Marcus, Geza L. Weisz und Irmgard Andersen. Diese neue Besetzung, das erste Emigrantenkabarett in Holland, stellte sich am 6. Mai 1933 dem Amsterdamer Publikum. Die Presse erwähnte ihren Flüchtlingsstatus allenfalls indirekt; nur eine einzelne kommunistische Zeitung sprach den Sachverhalt offen an, indem sie die Kabarettisten als eine kleine Gruppe von Künstlern bezeichnete, „die vor dem Hitler-Terror aus Deutschland geflohen sind". PING PONG brachte ein Programm mit typisch zynisch-literarischem Einschlag, der, wie der liberale Nieuwe Rotterdamse Courant schrieb, „in Berlin früher genauso populär war, wie er dort jetzt ,tabu' ist". Dieses Tabu galt jedoch genauso in Holland. Das konservative Handelsblad z.B. empfand Kritik am „Dritten Reich" und decouvrierenden Witz als Mißbrauch der holländischen Gastfreiheit. Im Telegraaf äußerte ein Kritiker den Wunsch, politische Witze über das Nachbarland mögen unterlassen werden. Man mache sich zwar selbst seine Gedanken, aber man wolle nicht, wenn man sich amüsiere, an Politik erinnert werden. Es hieß: „Die Kabarettgruppe PING PONG würde diese Art 221

Ben Albach/Jacques Klöters von Erfolg nicht brauchen, um ihre Existenz bei uns zu rechtfertigen". Den „Walzer 1933", eine Tanzszene, in der Julia Marcus als Halbweltdame auftrat, die sich herausfordernd zurechtmacht und ihr Make-up mit dem Aufsetzen einer Gasmaske beendet, die neben ihrem Lippenstift liegt, nannte die katholische Tageszeitung De Tijd sogar „geschmacklos". - Mittelpunkt des PLNG PONG war Dora Gerson, eine, wie der Journalist Simon Carmiggelt urteilte, „diseuse ä voix": „Was immer sie auch brachte, es war ergreifend und rührend." Die Künstler reagierten entsprechend, milderten die Schärfe, und über das zweite Programm vom August 1933 konnte De Tijd daher schreiben, daß sich PlNG PONG, „von der richtigen Einsicht geleitet, aller Politik enthalten" habe. Die PLNG PONG-Mitglieder wollten keinen Anstoß erregen, sie wollten nur eines: einem breiten Publikum gefallen, um von den Einnahmen leben zu können. Im August 1933 Schloß sich Curt Bry der Truppe an, musikalischer Leiter der Berliner KATAKOMBE. Er brachte ein neues Repertoire mit: Couplets von Brecht, Friedrich Hollaender und eigene Lieder. Daraufhin verbesserte sich das Niveau wieder beträchtlich. - Ende 1933 bekam PLNG PONG Schwierigkeiten mit der Arbeitsgenehmigung. Um diesem Problem auszuweichen, ging die Truppe - mit nur mäßigem Erfolg - auf Tournee in die Schweiz. Zurück in den Niederlanden - allerdings ohne die Stars Dora Gerson und Dotz Sohn-Rethel, aber mit Erwin Parker - , ergab sich eine veränderte Situation. In der Zwischenzeit hatten DIE PFEFFERMÜHLE und Rudolf Nelson mit seinen Revuen beim Publikum starken Eindruck hinterlassen; PLNG PONG wurde - zu ungunsten der Truppe - an diesen Leistungen gemessen. Hinzu kamen Proteste holländischer Künstler: die Ausländer nähmen ihnen Arbeitsplätze weg. Der Bund holländischer Tonkünstler erwirkte eine Verordnung, nach der in ausländische Gruppen einheimische Musiker aufgenommen werden mußten. Die Krise spitzte sich zu, Arbeitslosen-Orchester entstanden, der Bund der Tonkünstler veröffentlichte Plakate mit der Aufschrift „Eltern, laßt eure Kinder nicht Tonkünstler werden". PLNG PONG bekam zwar eine weitere Arbeitsgenehmigung, jedoch mit der Auflage, auch holländische Künstler zu engagieren. Diese enttäuschten. Dazu fiel Geza Weisz aus, der eine Rolle als Schauspieler in der Gesellschaft von Pierre Balledux übernommen hatte. Die Truppe konnte infolgedessen neben den anderen Emigrantenensembles nicht mehr bestehen; die Kritiken waren miserabel. - Ende 1934 löste sie sich auf. Einzelne Mitglieder machten als Solokünstler Karriere, vor allem Chaja Goldstein. Chaja Goldstein, die zarte, temperamentvolle Tänzerin und Interpretin chassidischer Lieder, wurde der Liebling der linken Künstler und Intellektuellen. Indem man ihr zujubelte, jubelte man der bedrohten jüdischen Kultur zu. Unter den Auftritten von Emigrantenkabaretts erzielten die Gastspiele der PFEFFERMÜHLE in den Jahren 1934 bis 1936 eine beispiellose Öffentlichkeitswirkung. Menno ter Braak, Hollands bekanntester Kritiker, berichtete über diese Gastspiele regelmäßig. Immer wieder wiesen die Rezensenten auf die Einzigartigkeit der PFEFFERMÜHLE hin. Sie entlarve den Faschismus durch ihre indirekte, aber sehr ergreifende Art der Darstellung. „Müde und bis auf die Knochen ergriffen, verläßt man schließlich dieses Theater", urteilte das Algemeen Handelsblad. „Dies ist ein Kabarett von der Sorte, auf die wir so lange gewartet haben", hieß es in Het Volk. Der Telegraaf dagegen plädierte für ein einheimisches Kabarett: DIE PFEFFERMÜHLE verstehe nicht, daß „wir Kritik an Nachbarländern lieber selbst üben und dazu keine Fremden brauchen". 222

Exiltheater in den Niederlanden

1936 wurde der PFEFFERMÜHLE die erneute Arbeitsgenehmigung verweigert. Ter Braak protestierte so nachdrücklich, daß es zu einer parlamentarischen Anfrage kam. Ein sozialistischer Abgeordneter stellte zur Diskussion, ob diese Maßnahme wegen politischer Agitation oder wegen der Konkurrenz ergriffen worden sei, die DIE PFEFFERMÜHLE für die holländischen Gruppen darstelle. Dabei handelte es sich um eine rhetorische Frage, denn, wie der Abgeordnete selber hinzufügte, gab es keine mit der PFEFFERMÜHLE vergleichbare niederländische Kabarettgruppe. Das war auch die Meinung von ter Braak. Er argumentierte, der Regierung sei einzig eine Entscheidung darüber erlaubt, ob eine Gruppe ausländischer Künstler durch einheimische ersetzt werden könne oder nicht. Verbieten dürfe die Regierung die Auftritte der PFEFFERMÜHLE nicht. In seiner Antwort begründete der Minister die Ablehnung der Arbeitsgenehmigung mit der eindeutig politischen Tendenz der PFEFFERMÜHLE: Diese werde von den Mitgliedern des Ensembles auch gar nicht bestritten - politische Aktivitäten seien Ausländern in Holland jedoch untersagt. Ein sozialistischer Abgeordneter wandte ein, er habe das Kabarett fünfmal besucht und keinen einzigen direkten Angriff gegen eine Person oder Regierung gehört. Damit hatte er insofern recht, als in der PFEFFERMÜHLE die Kritik am „Dritten Reich" nur indirekt, zwischen den Zeilen, geübt wurde. - Dieser Sachverhalt wird paradoxerweise auch an der amtlichen Begutachtung durch die niederländische Zensur erkennbar: Sie erhob wider Erwarten keinen Einspruch gegen das Programm der PFEFFERMÜHLE. Noch heute findet man auf den betreffenden Texten im Münchner Erika-Mann-Archiv den Stempel der Abteilung Sittenpolizei in Den Haag mit Anmerkungen wie: „Keine Bedenken gegen die Aufführung" oder „Unter Weglassung der letzten Zeile, in der die Hexe sich erleichtert darüber äußert, daß die Juden einen Teil ihres traurigen Schicksals mittragen, ist das Lied zur Aufführung freigegeben."1 Anders als die übrigen Emigrantenensembles unternahm DIE PFEFFERMÜHLE keinen Versuch, einen Platz innerhalb des holländischen Unterhaltungsbetriebs einzunehmen. Sie orientierte sich daher auch nicht an den Wünschen und Normen des einheimischen Kabarett-Publikums. Infolgedessen zog DIE PFEFFERMÜHLE Menschen an, die sonst nie ein Kabarett besuchten. Sie rief nicht zur Aktion auf, sondern brachte in verdeckter Form ihre Sorge um Frieden und Demokratie zur Sprache. Sogar Zeitungen, die auf die harmlosesten politischen Späße von PING PONG ablehnend reagiert hatten, änderten ihre Meinung aufgrund der besonderen künstlerischen Qualität der PFEFFERMÜHLE. Daß gerade dieses Kabarett für unerwünscht erklärt wurde, war ein Zeichen für die Schwäche der niederländischen Demokratie. In seinem letzten Artikel über DIE PFEFFERMÜHLE schrieb ter Braak, jetzt habe sich herausgestellt, daß die Demokratie ihre eigenen Kinder auffräße. Als Rudolf Nelson am 28. April 1934 in Amsterdam eintraf, hatte er ein Lied über diese Stadt in seinem Gepäck. Louis Davids hatte ihn aus Zürich kommen lassen: Nelson sollte in Davids' „Leidschepleintheater" seine Erfolgsrevue 1000 Takte Nelson spielen. Nelson war der Erfinder des Amüsiercabarets, bei dem ein exklusives Publikum in einer feinen Umgebung ein vor allem musikalisches Programm zu hören bekam, voll von Wiener Charme und Berliner Pfiff und Mutterwitz. Neu war, daß Nelson keine 1

Helga Keiser-Hayne: Beteiligt euch, es geht um eure Erde. Erika Mann und ihr politisches Kabarett DIE PFEFFERMÜHLE 1933 - 1937. München 1990, S. 90, 124.

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Ben Albach/Jacques Klöters Künstler mit eigenem Repertoire engagierte, sondern sein komplettes Programm auf eigener Musik aufbaute. Er wandte seit 1920 außerdem die Formel, die für das Revuetheater galt: möglichst viele .Girls' auf die Bühne zu bringen, auf das Kabarett an, nur beschränkte er sich dabei auf wenige, jedoch außergewöhnlich schöne Frauen, und statt eines Jazzorchesters setzte er zwei Flügel ein. Als Nelson nach Holland kam, hatte er 19 Revuen geschrieben; in Amsterdam sollten noch rund 60 weitere hinzukommen. Der Kinounternehmer Abraham Tuschinsky engagierte Nelson für eine besondere Art von Veranstaltungen. In dem kleinen Saal „La Gaite" spielte eine Jazzband zum Tanz auf, zwischendurch gab es eine Stunde Kabarettrevue. Zunächst brachte Nelson monatlich, ab Oktober 1934 alle zwei Wochen ein neues Programm heraus. Die Texte wurden von seinem Sohn Herbert zusammen mit Emmerich Bernauer, Rudolf Bernauers Sohn, geschrieben. Sie waren, wie Herbert Nelson nachträglich urteilte, ein Gemisch aus „moderner amerikanischer Sachlichkeit, gewürzt mit etwas Sarkasmus, einer Prise Sentiment und vor allem viel Geist". Rudolf Nelson hielt nichts von Politik auf der Bühne. Sein Sohn sagte später: „Es war mehr Revue als Kabarett, was wir brachten, zu wenig Dornen, die stechen konnten!" Den festen Kern der Truppe bildeten über Jahre hinweg dieselben Personen: Kurt Lilien, Dora Paulsen, Eva Busch, Fritzi Schadl, Walter Fein, Harold Horsten. Ab 1937/38 kamen als weitere Prominente Kurt Gerron, Karl Farkas und Jozef Baar hinzu. War anfangs der Publikumserfolg groß, ließ er im Laufe der Jahre stark nach. Offensichtlich verlangte die große Arbeitsbelastung ihren Tribut. Außerdem bestand nahezu permanent die Gefahr, daß die Arbeitserlaubnis noch stärker befristet wurde. Um keine weitere Angriffsfläche zu bieten, erweiterte Nelson seine Truppe um ein holländisches Orchester und gliederte ihr ein holländisches Ballett an. Trotzdem wurde die Arbeitserlaubnis zuletzt nur noch für drei Monate im Jahr erteilt. Die Schauspielerin Alice Dorell war über die Schweiz und Frankreich nach Holland gekommen, wo sie zusammen mit Annie Prins und der Pianistin Rosa van Hessen im Februar 1935 das erste niederländische Frauenkabarett: DORELL'S DRIE DAMES-CABARET, gründete. In einem Interview sagte sie: „Ich wollte Kritik anbringen - wenn nötig, auch scharf! Ich wollte aber auch meinen Respekt zeigen: die Schwierigkeiten einer Frau schildern, die arbeitet und für diese Arbeit ihre inneren Bedürfnisse völlig vernachlässigt."2 Ihr Bestreben war es, möglichst viele junge Holländer zu integrieren und die Texte auf holländisch vorzutragen. Nach einigen glücklosen Versuchen kam das KLEINKUNSTENSEMBLE ALICE DORELL zustande, das zum großen Teil aus jungen Niederländern bestand, von denen sich Marie Verdenius als das bedeutendste Talent herausstellen sollte. Die drei politisch orientierten Programme trafen laut Rico Bulthuis „den Nagel auf den Kopf in einer Zeit, in der man hoffnungslos auf den Ausbruch des Kriegs wartete"3. Die Kritik beschäftigte sich allerdings weniger mit dem Inhalt von Alice Dorells Programm als vielmehr mit der düsteren Färbung ihres Humors. Sie monierte außerdem den Dilettantismus einiger ihrer Mitarbeiter. - Mit einer anderen Truppe, dem PINGUIN, hatte Alice Dorell 1939 allerdings richtigen Erfolg. Es war ebenfalls ein holländisches Kabarett. Versuche seitens des faschistischen NSB, sie zu beschuldigen, anderen Künstlern Arbeit wegzunehmen oder politische Agitation zu betreiben, blieben daher erfolglos. - Alice Dorrell starb wie viele der emigrierten Künstler in Auschwitz. 2 3

Interview mit Marie J. Brasse: Onder de menschen. NRC, 8.1. und 11.1.1936. In: Het Tooneelschild. Amsterdam. 1. Jg. 1946, Nr. 10/11, S. 22 ff.

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Die PROMINENTEN waren eine Gelegenheitsformation, doch stets unter der festen Leitung des Komponisten und Texters Willy Rosen. Rosens Markenzeichen war seine Ansage: „Text und Musik ... von mir!" Schon 1933 war Rosens Truppe in den Niederlanden mit dem musikalischen Lustspiel Der Chauffeur meiner Frau aufgetreten. Sie bekamen aber keine langfristige Arbeitserlaubnis und tourten daher durch Belgien, Frankreich, Spanien, Italien und Skandinavien. Rosen reiste auch immer wieder nach Berlin, wo noch seine Frau lebte, und arbeitete dort für den Jüdischen Kulturbund an einer Revue Max Ehrlichs mit. Im Winter 1936 stellte er in Zürich eine neue Kabarett-Truppe zusammen, mit der er nach Basel, Bern, Antwerpen, Brüssel und Luxemburg reiste. Im Mai 1937 wurde er von dem deutschen Besitzer des noch jungen Etablissements Lutine Palace nach Scheveningen geholt. Dort trat das THEATER DER PROMINENTEN vier Monate lang auf. Im Sommer 1937 reiste die Gruppe durch Holland und Belgien. In den folgenden Jahren spielte Rosen jeden Sommer etwa vier Revuen in Scheveningen. Die Besetzung wechselte ständig: Etliche der führenden - vor allem jüdischen - Sänger, Komiker und Schauspieler machten für einige Zeit bei dieser Truppe Station, bevor sie früher oder später nach Amerika übersiedelten. So waren 1938 vor allem prominente Filmstars mit ihm unterwegs: Szöke Szakall, Oskar Karlweis und Trade Berliner. Nach dem Novemberpogrom 1938 beschloß Max Ehrlich, Deutschland zu verlassen. Für den Jüdischen Kulturbund gab er zusammen mit Rosen im März 1939 die Abschiedsvorstellung in seiner künstlerischen Heimat Berlin. - Neben Ehrlich stießen einige Künstler der FRITZ HIRSCH OPERETTE ZU den PROMINENTEN, außerdem Cilly Wang, die nach ihrer Zeit bei der PFEFFERMÜHLE in Holland geblieben war. Mit Conny Stuart und Wim Sonneveld standen sogar zwei junge holländische Talente, die das Kabarett der Nachkriegszeit bereichern sollten, auf dem Programm (Lache, Bajazzo, Premiere am 10. Mai 1940). Theater und Rundfunk - Reinhardt, Jeßner und Busch In den Niederlanden hatte das Theater für die Exilierten eine wesentlich geringere Bedeutung als die verschiedenen Sparten der Kleinkunst. Die Gründe hierfür waren sowohl sprachlicher als auch kultureller Natur. Zunächst sah es so aus, als ob Max Reinhardt von dieser Regel die Ausnahme bilden würde. Als Reinhardt und sein Ensemble kurz nach der „Machtergreifung" auf einer Tournee nach Holland kamen, wurde der „Theaterzauberer" in der Presse und vom Publikum mit großer Begeisterung begrüßt. Obgleich faktisch zu dieser Zeit noch Österreicher - er war damals in Salzburg ansässig - , wußte man aufgrund einer kurzen Pressenotiz, warum er als Leiter des Deutschen Theaters entlassen worden war: wegen seiner jüdischen Abstammung. Auf einer Pressekonferenz in Antwerpen tadelte Reinhardt die Methoden des „Dritten Reiches", sagte jedoch zugleich, daß seine Liebe für Deutschland und das deutsche Volk unvermindert bleibe (Volksgazet, 2. 12. 1933). Das holländische Publikum war begeistert von Inszenierungen wie Goldonis Diener zweier Herren, Pirandellos Sechs Personen suchen einen Autor oder Schillers Maria Stuart. Die Stücke boten allerdings keinen Anlaß zu politischen Interpretationen. Wegen der großen Nachfrage wurde die Holland-Tournee bis Mai 1934 verlängert, danach löste sich das Reinhardt-Ensemble auf. 225

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Leopold Jeßner war in Holland weniger bekannt als Reinhardt. Er hatte 1930 auf die Intendanz des Berliner Staatstheaters verzichtet, nachdem die konservative Presse seine aktualisierenden Tendenzen bei Schillerinszenierungen scharf kritisiert hatte. 1933 emigrierte er nach Holland, um dort, wie Walter Huder Jeßners Ziele charakterisiert hat, sein „progressiv-politisches, humanistisches Theater der deutschen Klassik"4 fortzusetzen. Er sammelte ein Ensemble mit einigen Schauspielern aus seiner Berliner Zeit und inszenierte mit ihnen zwei Stücke, Heimat von Hermann Sudermann und Kabale und Liebe von Schiller. Mit Heimat wollte er den Gegensatz zwischen einer autoritären Herrschaft und der Freiheit des Individuums herausstellen. Aus dem Blickwinkel auf das faschistische Deutschland erwies sich das Stück „als aktuell, als aufklärend, ja eben als politisch".5 Kabale und Liebe ließ Jeßner als eine Tragödie von Klassengegensätzen spielen. - Die Reaktion in der niederländischen und belgischen Presse fiel zurückhaltend aus. Den meisten Kritikern entging die aktuelle, zeitbezogene Intention nicht. Trotzdem wurde die Tournee durch verschiedene Provinzstädte kein Erfolg. Das Publikum verstand weder Schillers noch Jeßners Absichten. - Jeßner löste sich schließlich von der Truppe, weil ihr schauspielerisches Niveau zuwenig seinen eigenen Anforderungen entsprach. Er fürchtete, daß durch die Wahl eines seitens des Ensembles geforderten Kassenschlagers seinem Renommee Schaden zugefügt werde (Deutsche Freiheit, 18./19.2.1934). Die Wahl eines reinen Unterhaltungsstückes lehnte Jeßner in Anbetracht der politischen Situation ab. Als Gast der Rotterdamsch-Hoofdstadtoonell (Direktion Cor van der Lugt-Melsert) inszenierte Jeßner im Februar 1934 dann Schillers Wilhelm Teil. Es ging ihm darum, wie De Telegraaf berichtete (2. Februar 1934), „den Freiheitsgedanken, den Menschen, der nach Freiheit strebt", demonstrativ auf der Bühne darzustellen. Die Presse reagierte ausgesprochen positiv. Mehr als Jeßners Theater vermochte eine kleine Gruppe prominenter Schauspieler die Zuschauer anzulocken: Bassermann, Moissi, Deutsch und Tilla Durieux mit einer Kurzfassung von Schillers Don Carlos. Minutenlang bebte das Theater vom Applaus und den Jubelrufen, nachdem Moissi seine inständige Bitte „Geben Sie Gedankenfreiheit!" in den Saal gerufen hatte. Aber der Erfolg des Don Car/oj-Ensembles war nur eine Ausnahme, im allgemeinen konnte in den Niederlanden ebenso wie in Belgien durch die geringe Anteilnahme der Zuschauer kein echtes Emigrantentheater entstehen. Vielleicht hatte das Scheitern der Exilregisseure jedoch nicht nur etwas mit den sprachlichen Barrieren zu tun. Einiges deutet darauf hin, daß es mehr noch im Unverständnis der Niederländer gegenüber dem deutschen Theater begründet war, insbesondere gegenüber dem Anti-Naturalismus der Weimarer Zeit. Eines der wenigen Beispiele einer kontinuierlichen Beschäftigung stellt Ernst Büschs Tätigkeit für den sozialistischen Sender VARA in Hilversum dar. Es handelt sich zugleich um einen der seltenen Fälle politischer Betätigung von Exilierten in Holland. Derartige Aktivitäten wurden zunehmend erschwert. 4

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Walter Huder: Theater aus Deutschland im niederländischen Exil. Ausflucht, Umweg, Lehrstation? In: Die Niederlande und das deutsche Exil 1933 - 1945. Hrsg. von Kathinka Dittrich und Hans Würzner. Königstein/Ts. 1982, S. 165. Ebd.

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Exiltheater in den Niederlanden Die VARA hatte Ernst Busch und Hanns Eisler am Silvesterabend 1932 in ihr Studio geholt. Nach diesem Auftritt sicherte eines der Vorstandsmitglieder Busch zu, daß er mit der Gastfreiheit der VARA rechnen könne, falls in Deutschland „alles schief ginge". So kam Busch am 9. März 1933 wieder nach Hilversum; bereits zwei Tage später sang er vor dem VARA-Mikrofon. Als Sänger hatte er keine Probleme mit der Sprache; in Arbeiterkreisen wurde er in Holland und Belgien schnell ein populärer Künstler. Mit dem VARA-Orchester tourte er durch Holland und Belgien, wobei er den Erlös dieser Veranstaltungen zur Unterstützung von Mit-Emigranten zur Verfügung stellte. Sosehr Busch in den Niederlanden bewundert wurde - ein so engagierter Sänger war hier unbekannt - , im Unterhaltungsbetrieb konnte er nicht reüssieren. Büschs hauptsächliche Aktivität blieb auf Gewerkschaftskundgebungen, anti-nationalsozialistische Solidaritätsabende und das erwähnte Auftreten im Sender VARA beschränkt. Da die VARA jedoch eine sozialdemokratisch orientierte Sendergemeinschaft und das Verhältnis zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten traditionell gespannt war, konnte Busch sich auch bei der VARA nicht so äußern, wie es seine politische Gesinnung eigentlich verlangt hätte. Über sozialistische Kreise hinaus wurde Busch nur durch seinen 1934 in holländischer Sprache - die er dafür erlernte - gesungenen Prolog zu dem sehr populären Film Dood Water zur Kenntnis genommen. 1934 zog Busch nach Belgien. Die Umstände zwangen ihn dazu, „die Kampflieder häufig in Programmen mit Seemannsliedern zu .verstecken', denn auch in Belgien war den Emigranten jedes politische Engagement streng verboten".6 1935 ging er in die Sowjetunion, was als ein Zeichen dafür angesehen werden kann, daß selbst einem so populären Sänger wie Busch ein langfristiger Aufenthalt in Holland oder Belgien kaum möglich war. Nach dem Ende des Spanischen Bürgerkrieges kehrte Busch dann nach Belgien zurück. Die beabsichtigte Einreise in die USA scheiterte an Paßschwierigkeiten. Mit Einschränkungen sang Buch auch weiterhin bei der VARA. 1938 führte er in der Koninklijke Nederlandse Schouwburg in Antwerpen Regie bei einer Inszenierung der Dreigroschenoper. Die Presse schätzte das Stück nicht besonders. Brechts Sarkasmus, sein Galgenhumor und seine Darstellung der Unterwelt wurden als unmoralisch empfunden. Eine Nachwirkung scheint diese Regiearbeit von Busch in Belgien nicht gehabt zu haben, aber Busch selber schrieb: „Natürlich war es ein großer Erfolg - für mich so groß, daß die Faschisten alles versuchten, mir das Leben schwer zu machen."7 Eine belgische Freundin erklärte, daß es in Antwerpen üblich sei, jede Woche ein neues Stück auf dem Programm zu haben, daß aber De 3 Stuivers Opera sechs Wochen lang ausverkauft war. - Im Bürgermeister von Antwerpen, Camiel Huysmans, fand Busch einen Freund, der ihn bei der Gründung eines Kabaretts finanziell unterstützte. DER SILBERNE STIER brachte 1939 Volks- und Kampflieder auf die Bühne, Busch führte Regie und sang auch selbst. Seine Auftritte im Rundfunk wurden seltener, politische Lieder waren dort nicht mehr zugelassen. Bei einer Veranstaltung der Vereinigung holländischer Freunde der Sowjetunion trat Busch zum letzten Mal in Holland auf: Es zollten ihm 10.000 Zuhörer Beifall. 6

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Ludwig Hoffmann/Karl Siebig: Ernst Busch. Eine Biographie in Texten, Bildern und Dokumenten. Berlin [DDR] 1987, S. 160. Ebd., S. 206.

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Ben Albach/Jacques Klöters Film Beim Film spielte Holland hinter den Kulissen international eine wichtige Rolle, die lange Zeit kaum bekannt war. Zwar wurde 1929 in Holland kein einziger - und 1930 nur ein - längerer Spielfilm gedreht, aber die im Jahre 1929 gegründete Filmgesellschaft Tobis wurde schnell zum größten Konkurrenten der Ufa. Die vielleicht interessanteste Persönlichkeit unter den deutschen Theaterkünstlern in Holland war der Film- und Theaterregisseur und Bühnenschriftsteller Ludwig Berger. Seine Karriere, schon 1916 in Mainz als Erneuerer von Klassikeraufführungen begonnen, führte ihn als Filmregisseur ins Ausland: nach London, Hollywood, Paris und schließlich Amsterdam. Ein Bekannter Bergers, der Filmproduzent Rudolf Meyer, war bereits 1936 nach Holland gekommen und hatte sich schnell dort eingelebt. Er motivierte Berger, einen Spielfilm nach Shaws Pygmalion mit prominenten holländischen Schauspielern zu drehen. Eduard Verkade, ein in den Niederlanden geschätzter Theaterregisseur, übernahm in dem Film die Rolle des Colonel Pickering. Er stand Berger, der nur deutsch sprechen konnte, während der Dreharbeiten zur Seite und vermittelte zwischen dem manchmal sehr emotional reagierenden Berger und den holländischen Schauspielern. Berger gelang es, den etwas nüchternen Holländern die subtileren Möglichkeiten des Filmspiels nahezubringen. „Immer haben wir, und andere mit uns, dagegen protestiert, daß Ausländer in unsere Filmindustrie strömen, die auch Niederländer hätte finden können", schrieb der bekannte Kritiker Van Domburg in De Tijd. „Dieser Ausländer sei willkommen und möge bleiben. Von ihm kann man noch das eine oder andere lernen." Aber zu weiteren Produktionen kam es vorerst nicht. Berger bemühte sich zwar, ausländische Produktionsbetriebe zu überreden, einen Teil der Produktionen in einem holländischen Studio durchzuführen. Seine Anstrengungen zur Förderung der niederländischen Spielfilmindustrie, gemeinsam mit Rudolf Meyer unternommen, blieben jedoch ohne Erfolg. Als Eduard Verkade 1938 den Auftrag erhielt, zur Jubiläumsfeier der Königin Wilhelma ein Freiluftfestspiel zu inszenieren, holte er Berger zu Hilfe. Dieser schrieb mit Unterstützung Verkades und dessen Frau ein Spiel über das Entstehen der politischen Einheit der Niederlande, Eenheid door Oranje. 1660 -1673, ein Spektakel, das mit professionellen Schauspielern und Amateuren, Reitern und Tänzern aufgeführt wurde. 1939 inszenierte Berger einen weiteren Film: Ergens in Nederland. Selten hat ein niederländischer Film dieser Epoche ein so großes Presseecho hervorgerufen mit so viel Anerkennung und Bewunderung. Aber der Erfolg war kurz. Wenige Wochen später besetzten die Deutschen das Land. Andere emigrierte Filmemacher wie Heinz Feschel, Hermann Kosterlitz (Henry Koster), Max Nosseck, Richard Oswald, Eugen Schüfftan, Detlef Sierck blieben nur kurz in Holland. Max Ophüls drehte die Komödie ums Geld. Sie wurde ein Fiasko. Eine nachhaltige Wirkung der Emigranten auf die niederländische Filmproduktion ist, wie Kathinka Dittrich urteilt, nur schwer zu entdecken8. Bedeutender war die Rolle Kurt Gerrons. Gerron hatte am 10. April 1933 wegen des Judenboykotts das Studio während der Dreharbeiten für den Film Kind, ich freu mich 8

Kathinka Dittrich: Spielfilm: Die Niederlande und die deutsche Emigration. In: Die Niederlande und das deutsche Exil 1933 - 1940. Hrsg. von Kathinka Dittrich und Hans Würzner. Königstein/Ts. 1982, S. 195.

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Exiltheater in den Niederlanden auf dein Kommen verlassen müssen. Er war aus Deutschland geflohen und hatte wieder völlig von vorne anfangen müssen. Zuerst arbeitete er in Paris, dann in Wien. 1935 übernahm er in den Niederlanden die Regie bei einem Detektivfilm. - Gerron erfüllte die Erwartungen, die man an ihn stellte. Fast hatte es den Anschein, als könnte es ihm gelingen, in Holland Fuß zu fassen. 1936 wurde sein Film Merijntje Gijzens Jugend ein Glanzpunkt des niederländischen Kinojahres. Bereits der nächste Film aber wurde ein künstlerischer und kommerzieller Mißerfolg. Der holländischen Filmkarriere Kurt Gerrons war es kaum förderlich, als 1937 öffentlich diskutiert wurde, ob er als Ausländer einen Filmauftrag für die nationale Luftfahrtgesellschaft KLM bekommen sollte. „Unerwünscht" stand in den Zeitungen, ein Wort, das Gerron bereits in Berlin gehört hatte. Der Auftrag wurde an einen Niederländer vergeben. Gerron zeigte sich zutiefst betroffen und zog sich gänzlich vom Filmgenre zurück, obwohl er noch für eine niederländische Filmschule arbeitete. Diese ging aber auch bald in Konkurs, und Gerron widmete sich von nun an wieder mehr dem Theater. Bereits 1930 hatte er bei Nelson mitgespielt und auch Regie geführt. Jetzt trat er wieder gelegentlich in diesem Ensemble auf. Daneben inszenierte er ein Kriminalstück. - Die folgenden Jahre waren für ihn sehr hart. Eine polizeiliche Eintragung vom 20. September 1940 lautet: „Gibt einige Stunden und erhält wieder Geld aus Amerika"9. Besatzungszeit, Kollaboration und Untergrand Als die deutsche Wehrmacht am 10. Mai 1940 die neutralen Niederlande angriff, befanden sich dort noch etwa 20.000 Emigranten, darunter 16.000 Juden. Über 1.000 Flüchtlinge waren interniert, die meisten in einem eigens für Exilanten eingerichteten Lager in Westerbork. Nach der Kapitulation der niederländischen Armee ließ die deutsche Besatzung das kulturelle Leben zunächst wie bisher weiterlaufen. Der „Reichskommissar" für Holland, der Österreicher Arthur Seyß-Inquart, erklärte, er wolle den Niederländern keine fremde Kultur aufzwingen. Kinos und Theater wurden bald wieder geöffnet, ohne einem besonderen Reglement zu unterliegen, im Gegensatz zu den Medien Radio und Presse, die als Propagandainstrumente genutzt werden sollten. Die Liberalität, die hier proklamiert wurde, war jedoch nur Fassade. Die Okkupationsmacht verfolgte auch im kulturellen Bereich sehr dezidierte Ziele, die nur deshalb scheiterten, weil die Holländer ihnen kein Interesse entgegenbrachten. Das Kulturleben wurde schon bald eingeschränkt und überwacht. Im Oktober 1940 mußten alle Kunstschaffenden einen „Abstammungsnachweis" vorlegen. Damit war die Aussonderung der jüdischen Künstler eingeleitet. Lieder und Stücke von jüdischen Autoren und Komponisten wurden verboten, jüdische Theater- und Konzertagenten sowie Produzenten durften nicht mehr arbeiten. Aus Protest gegen die zunehmende Einschränkung des jüdischen Lebens riefen die Niederländer einen Generalstreik aus, der blutig niedergeschlagen wurde. Ein neu eingerichtetes Ministerium für Volksbildung und Kunst übernahm die Kontrolle des Kulturlebens. Bis zum Mai 1941 wurden alle kulturellen Bereiche „gleichgeschaltet" und mit einer Vorzensur belegt, im November führten die Besatzer wie in Deutschland das Prinzip der Kulturkammern ein. Die Mitgliedschaft, Voraussetzung für 9

Vgl.: Horst J. P. Bergmeier: Deutsche Kleinkunst in den Niederlanden 1933 -1944. Eine Chronologie. Hamburg 1998 (= Schriftenreihe des P. Walter Jacob-Archivs, Bd. 8).

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öffentliche Auftritte, wurde als eine Art Arbeitserlaubnis betrachtet. Alle jüdischen Künstler und Musiker waren aus ihren Arbeitsbereichen vertrieben worden und konnten nur noch in einem abgetrennten Bezirk in Amsterdam agieren. In diesem jüdischen kulturellen Ghetto wurden keine Unterschiede mehr zwischen Deutschen und Niederländern gemacht. Einige nichtjüdische Schauspieler beschlossen, nicht mehr aufzutreten, weil das Arbeitsverbot für ihre jüdischen Kollegen und die Zensur gegen ihr Arbeitsethos verstießen. Die nazistische Holländisch-Deutsche Kulturgemeinschaft engagierte deutsche Künstler für die Niederlande, und sie veranlaßte die Errichtung der NEDERLANDSCHE KAMEROPERA, die mit dem DEUTSCHEN THEATER IN DEN NIEDERLANDEN zusammenarbeitete. Die Gesellschaft, die zum Stab von Seyß-Inquart gehörte, gliederte sich in eine Bühnen-, Opern- und Tanzabteilung. Gespielt wurden vor allem Stücke der deutschen Klassiker und, die beiden einzigen zugelassenen englischen Autoren, Shakespeare und Shaw. Absicht des DEUTSCHEN THEATERS war es, „den Deutschen in den Niederlanden ein Stück Heimat" zu bieten und ein Vorbild zu geben, um die „undeutschen Einflüsse" aus dem holländischen Theaterleben zu eliminieren.10 Der Stellenwert, der dem DEUTSCHEN THEATER zugedacht war, zeigt sich an der Teilnahme von Goebbels bei der ersten Premiere, der Oper Don Giovanni. Das nationalsozialistische Deutschland bezog die Niederlande wirtschaftlich und politisch in seine Rüstungs- und Kriegspolitik ein. Die holländische Bevölkerung hatte den Nationalsozialismus vor 1940 weitestgehend abgelehnt, unter dem Eindruck der Okkupation steigerte sich diese Haltung zu intensivem Haß. Kollaborateure wurden gesellschaftlich ignoriert, und die wenigen Schauspieler, die sich den Besatzern in der Hoffnung auf eine große Karriere andienten und in Kollaborationsensembles wie der FRONTBÜHNE T R E B E L oder der SPIELOPERETTE auftraten, gerieten in völlige Isolation. Ähnlich wie im „Dritten Reich" der Jüdische Kulturbund nicht zuletzt auf die Initiative eines nationalsozialistischen Verwaltungsbeamten zurückging, engagierte sich auch in Holland ein SS-Offizier für ein eigenständiges jüdisches Kulturleben. Der Leiter der Jüdischen Auswanderungsstelle in Amsterdam, aus der Fünten, wollte ein Ghetto mit Musik und Theater einrichten. Er veranlaßte einen reichen jüdischen Industriellen, der sich so seine Freiheit erkaufte, zur Gründung einer Stiftung zur Förderung von Kunst und Wissenschaft für jüdische Niederländer. Es entstand eine Abteilung für Theater unter der Leitung von Elias van Praag und Eduard Veterman, ein jüdisches Symphonieorchester und ein jüdisches Unterhaltungsorchester, das ausschließlich .jüdisches" Repertoire spielen durfte. Die FRITZ HIRSCH OPERETTE in Den Haag hatte ein Auftrittsverbot bekommen. Schon bei Kriegsbeginn im September 1939 hatte sich Fritz Hirsch auf der Bühne über die Deutschen lustig gemacht, nach der Besetzung der Niederlande wurde Hirsch von der Gestapo verhaftet und ins Konzentrationslager Mauthausen deportiert, wo er am 10. Juli 1942 ums Leben kam. Die jüdischen Mitglieder seines Ensembles spielten - für ein ausschließlich jüdisches Publikum - weiter, zumeist bei Willy Rosen, bis sie nach Westerbork verbracht wurden. Die Gruppe um Rudolf Nelson bestand teilweise, die von Willy Rosen weitgehend aus Juden. Zunächst hatte es von den Besatzern kaum Einschränkungen gegeben, so daß 10

Ageeth Scherphuis: Theater in de oorlog. De kultuurkamer of de schuifdeuren. In: Vrij Nederland, 21.8. 1993, S. 38 ff.

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Exiltheater in den Niederlanden sie ihre Auftritte beinahe wie vorher durchführen konnten. Die Prominenten führten einen erbitterten Konkurrenzkampf mit der Gruppe von Nelson, die in derselben Straße wie sie auftrat. Deutsche und Niederländer arbeiteten zusammen an der Hollandse Schouwburg, die inzwischen Joodsche Schouwburg hieß. Die ABTEILUNG BÜHNE spielte Molnärs Spiel im Schloß. Das JÜDISCHE KLEINKUNSTENSEMBLE stand unter der Leitung der holländischen Revuekünstlerin Heintje Davids, die Gesamtleitung hatte Werner Levie inne, ehemals stellvertretender Leiter des Jüdischen Kulturbundes in Berlin. Die Gruppen von Nelson und Rosen wurden gezwungen zusammenzuarbeiten; nach einer gemeinsamen Kabarettrevue gingen sie in die Illegalität. - Im Juli 1942 begannen die Deutschen mit der Deportation von Juden. Das jüdische Theater in Amsterdam, die Joodsche Schouwburg, wurde zur Sammelstelle für die Transporte, die über Westerbork in die Vernichtungslager führten. Nach der Einführung der Zwangsarbeit für die deutsche Kriegsindustrie im Mai 1943 tauchten auch viele nichtjüdische niederländische Künstler, die keinen „Sonderausweis" für Kulturschaffende bekamen, unter. Während das öffentliche Kulturleben mehr und mehr verödete, entstand im Untergrund eine Art subkultureller Szene mit geheimen Veranstaltungen. Die Einnahmen solcher Abende wurden teilweise zur Unterstützung anderer Untergetauchter verwendet. Ludwig Berger fand Freundschaft und Unterstützung bei Eline und Eduard Verkade Cartier van Dissel, die in Breukelen ein Landhaus bewohnten. In ihrer Wohnung in Amsterdam hielt Berger Vorträge über Shakespeare und unterrichtete Studenten und holländische Schauspieler, denen er mit seiner großen Fachkenntnis weiterhalf. Im letzten Kriegswinter inszenierte er mit Holländern A Midsummer Night's Dream in englischer Sprache vor einem Publikum von Freunden. Berger wurde mehrmals von der deutschen Polizei kontrolliert, hatte aber einen Paß ohne den „J"-Stempel bekommen, was ihn vor einer Verhaftung schützte. Der junge Kabarettist, Komponist und Texter Herbert Nelson gab 1943 auf Einladung eines Freundes, der in der Widerstandsbewegung aktiv war, eine private Vorstellung vor etwa dreißig untergetauchten Juden. Die Veranstaltung wurde gut aufgenommen, und Nelson gründete in seiner Amsterdamer Wohnung ein festes Untergrundkabarett für die Niederländer, die nicht mehr in die nationalsozialistisch kontrollierten Theater gehen mochten. „Sie wollten hören, was sie selbst sich nicht zu sagen trauten"11, schrieb Nelson später darüber. Er trat zusammen mit einigen Kollegen mit holländischen Chansons und Texten auf. Dabei baute er jeweils die neuesten Nachrichten, die er in der Nacht vorher im britischen Kurzwellensender gehört hatte, in die Vorstellung ein. Im Januar 1944 gründete H. Meyer-Ricard die HOLLAND GRUPPE FREIES DEUTSCHLAND mit der Absicht, deutsche und niederländische Antifaschisten für den bevorstehenden Kampf und den Aufbau eines sozialistischen Deutschlands zu vereinigen. Die Gruppe versuchte, deutsche Soldaten zum Desertieren zu bewegen. Zu den Emigranten in dieser Gruppe gehörten die Schriftstellerin Grete Weil, die Schauspieler H. O. Guth und Erich Schönlank, der Dirigent Hans Lichtenstein und der Photograph Kurt Kahle. Die Mitglieder standen der „Interessengemeinschaft antifaschistischer Deutscher" nahe, die viele Anhänger unter den Emigranten hatte. Sie beschäftigte sich nicht mit politi11

Herbert Nelson: Gestern ist noch nicht vorbei. (Unveröffentlichtes Manuskript in der Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur, S.75).

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sehen Theorien, sondern mit praktischer Unterstützung und Ratschlägen für die Illegalen. Die HOLLAND GRUPPE führte insgesamt neun antifaschistische Puppenspiele vor Untergetauchten auf, unter anderem die Weihnachtslegende 1943 von Grete Weil und im Sommer 1944 Kein Gott - Kein Kaiser - Kein Tribun von B. von Osten. „In den Jahren der schlimmsten Unterdrückung spielten wir noch Theater mit Mitteln, die uns übrigblieben, Mitteln, die uns trotz aller Einschränkungen die Möglichkeit gaben, das kriminelle Geschehen um uns herum anzuprangern, und den anderen half, bei ihrem Widerstand durchzuhalten. [...] Wir wollten uns von den erbärmlichen Umständen nicht unterkriegen lassen - unter keinen Umständen! Und genauso, wie es für die Untergetauchten unmöglich war, Theaterhäuser, Kinos oder Konzertsäle zu besuchen, so blieb auch für die über Wasser illegal Arbeitenden der Besuch jedweder kultureller Geschehnisse, die unter der Aufsicht oder der Leitung der Besetzer stattfanden, ein absolutes Tabu!" 12 Theater im Internierungslager Das ehemalige Flüchtlingslager Westerbork war unter der Leitung des Reichssicherheitshauptamtes der SS zum Durchgangslager für die Deportationen nach Auschwitz geworden. In Westerbork gründete Max Ehrlich die GRUPPE BÜHNE, die zwischen Juli 1943 und Juni 1944 sechs Programme aufführte. Neben Ehrlich bildeten der Pianist Erich Ziegler und Willy Rosen, als Untergetauchter verhaftet und nach Westerbork verbracht, den festen Kern. Camilla Spira, Jozef Baar, Jetty Cantor, Otto Aurich, Franz Engel, Lisi Frank, Kurt Gerron und .Johnny und Jones' traten bei ihnen auf. Der Kommandant von Westerbork, SS-Obersturmführer Konrad Gemmeker, machte das Lagerkabarett zu seiner persönlichen Sache und gewährte tatkräftige Unterstützung. Er ließ Kostüme und Vorhänge beschaffen; die Bühne wurde mit Materialien aus der verwüsteten Synagoge von Assen angefertigt. Die Darsteller hatten relativ große Freiheiten und lebten bequemer. Sie probten äußerst intensiv; die Zukunft hatte für sie nichts mehr zu bieten, und so klammerten sie sich verstärkt an ihre Leidenschaft, die Bühne. Die Künstler versuchten, an einem Ort, an dem ein Menschenleben nichts mehr zählte, zumindest sich selbst ihren Wert zu beweisen. Durch ihre Auftritte hofften sie, den Vernichtungslagern zu entgehen, aber auch ihren Mitgefangenen in ihrer ausweglosen Situation ein wenig Hoffnung und Trost zu vermitteln. Der Journalist Philip Mechanicus charakterisierte die absurde Situation als „Operettenmusik an den ausgehobenen Gräbern" 13 . Die Premieren fanden zumeist an Abenden vor den Tagen statt, an denen ein Transport in die Vernichtungslager nach Polen abging. Die Kabarettabende wurden viel besucht und von den Zuschauern begeistert aufgenommen, aber ebensoviel gemieden und heftig kritisiert. Nach dem Befehl Himmlers vom 3. September 1943, Westeuropa , judenfrei" zu machen, sollte auch das Lager Westerbork schnell aufgelöst werden. Am 4. September erfolgte die Premiere der Revue Humor und Melodie unter dem Motto: „Wenn man bis zum Halse im Dreck sitzt, hat man nicht zu schwitzen!" In den folgenden Wochen und Monaten wurden immer mehr Künstler nach Theresienstadt deportiert. Die letzte Revue in Westerbork wurde im Juni 1944 vorbereitet, unter dem Titel Total verrückt sollte sie 12 13

Das gefesselte Theater. Hrsg. von der Hollandgruppe „Freies Deutschland". Amsterdam 1945, S. 3. Philip Mechanicus: Im Depot. Tagebuch aus Westerbork. Berlin 1993, S. 185.

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Exiltheater in den Niederlanden auch eine kurze Oper Ludmilla oder Leichen am laufenden Band enthalten. Zur Aufführung kam es allerdings wegen der alliierten Landung in der Normandie am 6. Juni nicht mehr. Im August wurden sämtliche kulturellen Aktivitäten eingestellt, die letzten Künstler wurden im September nach Theresienstadt verbracht. Dort trafen sie Kurt Gerron wieder, der gerade die letzten Aufnahmen für einen Propagandafilm, für Der Führer schenkt den Juden eine Stadt, abschloß. Unmittelbar nach Beendigung der Dreharbeiten begannen die Transporte nach Auschwitz. Dort wurden Ehrlich und Rosen am 30. September 1944 ermordet, einige Tage später Kurt Gerron. Auch Alice Dorell, Franz Engel, Max van Gelder, Dora Gerson, Fritz Grünbaum, Hugo Helm, Fritz Hirsch, Siegfried Laske, Lisi Frank, Johnny und Jones', Kurt Lilien, Maloitz, Otto Wallburg, Geza Weisz, Erich Ziegler und zahllose weitere Künstler wurden in den Konzentrationslagern umgebracht. Nachwirkungen Diejenigen emigrierten Theaterkünstler, für die Holland ohnehin nur eine Zwischenstation gewesen war, hatten wenig Anlaß, nach Kriegsende an ihren Aufenthalt dort anzuknüpfen. Ludwig Berger hatte ein gespaltenes Verhältnis zu Holland. 1952 führte er noch einmal Regie. Unter seiner Leitung spielte eine kleine Gruppe junger Bühnenkünstler Hugo von Hofmannsthals in Holland wenig bekanntes Lustspiel Der Schwierige. Literaturkenner wußten die Aufführung zu schätzen, aber der Publikumserfolg blieb aus. Berger wollte in Deutschland eine neue Karriere beginnen, aber er gestand 1964 einem holländischen Journalisten, daß er sich in Deutschland nicht mehr zurechtfinden könne. Ernst Busch und Erika Mann behielten den Kontakt zu ihren holländischen Freunden. Mitglieder der PFEFFERMÜHLE wie Lotte Goslar und Cilly Wang kamen auch nach dem Krieg oft in die Niederlande und betrachteten sie als ihre zweite Heimat. Rudolf Meyer wurde nach dem Krieg einer der wichtigsten holländischen Filmproduzenten. Einige der ehemaligen Mitglieder der FRITZ HIRSCH OPERETTE wie Otto Aurich wurden von einer neuen niederländischen Operettengesellschaft, der HOOFDSTAD-OPERETTE, angeworben und blieben in ihr über Jahrzehnte tonangebend. Herbert Nelson ging nach New York und trat dort mit der deutschen Form des Kabaretts auf. Rudolf Nelson blieb in Amsterdam. Er wagte zwar ein Comeback in Berlin, aber die Umstände hatten sich dort so verändert, daß ein typischer Vertreter des Vorkriegskabaretts wie er dort nicht mehr Fuß fassen konnte. Dora Paulsen, die Rudolf Nelson durch die Kriegsjahre gebracht hatte, bemühte sich, gegen alle Vorurteile die Erinnerung an das Kabarett der Weimarer Republik und der Emigrantenzeit durch Aufführungen, Schallplatten, Radio- und Fernsehauftritte wachzuhalten. Sie war an der Gründung der ersten und einzigen Kleinkunstakademie in Amsterdam beteiligt und wuchs zur großen ,alten Dame' der Vorkriegskleinkunst heran. Die anderen emigrierten Kabarettkünstler, die in den Niederlanden blieben, hatten es nach dem Krieg zunächst nicht leicht, da allem Deutschen große Vorbehalte entgegengebracht wurden und bei der englisch- und französischsprachigen Kultur ein Nachholbedarf bestand. Die Emigranten haben im niederländischen Theater und Film keine eigenen Akzente gesetzt und auch im künstlerischen Bereich keine langfristige Wirkung über die Kriegs233

Ben Albach/Jacques Klöters jähre hinaus erzielt. Zwar wurden in den Jahren 1933 bis 1940 viele deutsche Theaterstücke, auch jene, die in Deutschland selbst verboten waren, übersetzt und aufgeführt, aber das seriöse Theater hatte schon wegen des sprachlichen Unterschiedes nicht viele Möglichkeiten für Arbeit und Nachwirkung geboten. Im Bereich der Bühnenregie war vor allem der Aufenthalt Ludwig Bergers von Bedeutung. Die wichtigsten Einflüsse aber gingen vom Emigrantenkabarett und von der Kleinkunst aus. Vor allem durch die Auftritte der PFEFFERMÜHLE wurden junge niederländische Künstler inspiriert, und manche bedeutende Kabarettisten der Nachkriegszeit haben ihre Lehutjahre bei exilierten Künstlern absolviert. Das Ensemblekabarett nach deutschem Vorbild war in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg die bevorzugte Form. In den Niederlanden nahm das Kabarett - vermittelt durch das Exilkabarett - den Platz ein, der in anderen Ländern dem Lustspiel und anderen leichten Formen des Theaters vorbehalten ist. Von den Kindern der Verfolgten sind jedoch viele in Holland heimisch geworden. Angehörige dieser zweiten Generation sind heute Politiker, Wissenschaftler, Schriftsteller und nicht zuletzt auch Theaterkünstler. Viel stärker als ihre Eltern haben sie die holländische Kultur bereichern können. Literatur Horst J. P. Bergmeier: Deutsche Kleinkunst in den Niederlanden 1933 - 1944. Eine Chronologie. Hamburg 1998 (= Schriftenreihe des P. Walter Jacob-Archivs, Bd. 8). Klaus Hermsdorf/Hugo Fetting/Silvia Schlenstedt: Exil in den Niederlanden und in Spanien. Frankfurt a.M. 1981 (= Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933 1945, Bd. 6). Die Niederlande und das deutsche Exil 1933 - 1940. Hrsg. von Kathinka Dittrich u. Hans Würzner. Königstein/Ts. 1982. Barbara Felsmann/Karl Prümm: Kurt Gerron - gefeiert und gejagt. 1897 - 1944. Berlin, Amsterdam, Theresienstadt, Auschwitz. Berlin 1992. Carlos Tindemans: Transit. - Exiltheater und Rezeption in Antwerpen 1933 - 1940. - In: Zur deutschen Exilliteratur in den Niederlanden 1933 -1940. Hrsg. von Hans Würzner. Amsterdam 1977, S. 165 -182. Berlijn - Amsterdam 1920 -1940. Wisselwerkingen. Red. Kathinka Dittrich, Paul Blom en Flip Bool. Amsterdam 1982. Kathinka Dittrich: Der niederländische Spielfilm der dreißiger Jahre und die deutsche Filmemigration. Amsterdam 1987. Hub(ertus) Mathijsen: De entertainer van Westerbork [Willy Rosen], In: Vrij Nederland (2. Mai 1992), S. 46-51. Archive Archiv des Theater Instituut Nederland, Amsterdam

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Exil in der Provinz - Luxemburg Die politischen und kulturellen Bedingungen Luxemburg war für die zur Emigration gezwungenen Theaterkünstler trotz der geographischen Nähe und des Fehlens der Sprachbarriere kein geeignetes Exilland - hier befand sich nur ein Theater: das Luxemburger Stadttheater. Es besaß kein eigenes Ensemble, sondern arbeitete auf Pacht- bzw. Gastspielbasis. Sieht man von den Auftritten der PFEFFERMÜHLE 1 9 3 5 und 1 9 3 6 ab, beschränkten sich die Theateraktivitäten der Emigranten in Luxemburg deshalb auf ein Phänomen: die Tätigkeit des Exiltheaterensembles DIE KOMÖDIE in den Jahren 1 9 3 4 und 1 9 3 5 . Gemessen an der geographischen Größe und Einwohnerzahl (300.000 Einwohner, davon 58.000 in Luxemburg-Stadt) ist die Zahl der nach Luxemburg Emigrierten relativ hoch. Bis 1936 hielten sich etwa 3.000 Emigranten1 dort auf. Da viele das Land als Zwischenaufenthalt benutzten, ist eine genaue Zahl schwer zu ermitteln. 1937 wurde die Quote für jüdische Flüchtlinge auf 1.000 festgesetzt. Luxemburg bot sich als Zufluchtsort aus mehreren Gründen an: Die Einreisebestimmungen waren relativ liberal, und Bemühungen, den seit 1926 aufgehobenen Visumzwang unter dem Druck der herrschenden Arbeitslosigkeit wieder einzuführen, scheiterten. Zudem vermittelte die geographische Nähe zu Deutschland den Emigranten das Gefühl, jederzeit schnell in die Heimat zurückkehren zu können. Das war besonders in der Anfangszeit, als der Hitlerterror noch als vorübergehendes Phänomen betrachtet wurde, ein für die Wahl des Asyllandes wichtiger Tatbestand. Die an sich liberale Asylpolitik wurde allerdings durch eklatante Fälle von illegalen Abschiebeaktionen unterlaufen. Die luxemburgischen Zeitungen waren überwiegend deutschsprachig. Blätter wie das Escher Tageblatt, das Luxemburger Wort, die Volksstimme oder die Wochenschrift Die Tribüne waren emigrantenfreundlich und antinationalsozialistisch orientiert; sie boten den Flüchtlingen daher gute Publikationsmöglichkeiten. Allerdings muß angemerkt werden, daß der Journalismus für viele auch die einzige Möglichkeit war, den Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu sichern: nur in diesem Bereich war keine ausdrückliche Arbeitserlaubnis erforderlich. Die meisten Emigranten waren deshalb auf finanzielle Unterstützung durch die jüdische Hilfsorganisation E.S.R.A., die kommunistische Rote Hilfe, die sozialistische Partei oder die Gewerkschaften angewiesen. Luxemburg wies als Exilland aber auch spezifische Nachteile auf. An erster Stelle stand die ständige Drohung einer Annexion. Das nationalsozialistische Deutschland betrachtete die Luxemburger als „Volksdeutsche" , die „heim ins Reich" geführt werden sollten. Sofort nach der Machtübernahme gab es daher intensive Bemühungen, nationalsozialistischen Einfluß in Luxemburg geltend zu machen: 1933 wurden die 20.000 in Luxemburg ansässigen Auslandsdeutschen in „Deutsche Kolonie" umbenannt und ihre Führung mit NSDAP-Mitgliedern besetzt. Im gleichen Jahr wurde - mit ausdrücklicher Genehmigung des luxemburgischen Staatsministers Bech - eine NSDAP-Landesgruppe 1

Vgl. Carlo Sowa: Literarisches Exil in Luxemburg. Staatsexamensarbeit. Esch/Alzette 1988, Anm. 20, S. II.

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gegründet, die zwischen 600 und 800 Mitglieder zählte. Der überwiegende Teil der Bevölkerung stand der NS-Propaganda, die sich auch im Rundfunk und in einigen Zeitungen niederschlug, allerdings ablehnend gegenüber. Der andere Nachteil war, daß Luxemburg kulturelle Provinz war. Es gab keine Universität; außerhalb der Journalistik gab es für Emigranten keine Publikationsmöglichkeiten, da ein entsprechender Verlag fehlte. Diese Situation änderte sich zumindest teilweise nach 1934, als Evy Friedrich den Malpaartes-Verlag gründete. Für die Theaterkünstler wog am schwersten, daß das Luxemburger Stadttheater kein eigenes Ensemble besaß. Das Theater war 1892 gegründet worden, hatte 700 Plätze und wurde von einer Theaterkommission verwaltet, die über die Vergabe deutscher und französischer Gastspiele entschied. Über das Vorhaben der Kommission, für die kommende Saison die Ensembles der Kölner Oper, des Frankfurter Schauspielhauses und des Trierer Stadttheaters zu engagieren, kam es 1935 zu einer Kontroverse. Das Escher Tageblatt begrüßte zwar, daß mit dem Frankfurter Ensemble der dort engagierte Luxemburger Rene Deltgen in seine Heimatstadt zurückkehren würde (10. Oktober 1935), stellte aber die Frage, ob es notwendig sei, „daß man [...] uns auch gleichzeitig mit dem ganzen Apparat eines gleichgeschalteten deutschen Theaters beglücken muß." Es wurde angemerkt, daß man - auch wenn man gleichgeschaltete deutsche Ensembles boykottiere - damit keineswegs bereits auf deutsche Kultur insgesamt verzichten müsse: „Denn zum Glück ist es so, daß dieses Deutschland die wertvollen Kräfte, die es in seinem widergeistigen Amoklauf zu vernichten glaubte, über seine Grenzen gejagt hat, daß gerade diese Kräfte, die besten, die Deutschland besaß, heute so bequem zur Verfügung stehen, wie man es früher nie für denkbar gehalten hätte. Wem wäre es früher eingefallen, daß wir einmal nur zu winken bräuchten, damit uns, der tiefsten Provinz, solche Kräfte zur Verfügung stehen, wie sie uns dasselbe Theater für diesen Winter in Aussicht stellt: Tilla Durieux, Alb. Bassermann, Ernst Deutsch, Fritz Kortner, Rud. Forster, Fritzi Massary, Leopoldine Constantin usw." Die Gastspiele dieser prominenten Emigranten sind nicht nachgewiesen; das Trierer Stadttheater war dagegen im März 1936 mit der Operette Die Königin befiehlt zu Gast. Das bedeutet aber nicht, daß das Luxemburger Theater den Emigranten gänzlich verschlossen war; wie u. a. das Kabarett-Gastspiel von Siegfried Arno und Willy Rosen, die 1937 mit der Revue Bitte einsteigen in Luxemburg auftraten, beweist. Die Arbeitsmöglichkeiten für emigrierte Theaterkünstler waren aber außerordentlich begrenzt. Zwar konnte die Operettendiva Betty Fischer, die 1933 nach Luxemburg floh, dort weiter als Sängerin arbeiten. Durch ihre Vermittlung gelang dem Komponisten Bruno Granichstaedten 1938 die Flucht nach Luxemburg. Er emigrierte 1940 weiter in die USA. Andere mußten sich jedoch mit berufsfremden Arbeiten finanziell über Wasser halten wie z.B. Rudolf Bamberger, ein Dokumentarfilmer und Bühnenbildner, der im Luxemburger Exil in einer Brauerei arbeitete. Ihm gelang die Flucht aus Luxemburg nicht; er wurde in Auschwitz ermordet. Für die aus den Metropolen geflüchteten Künstler und Schriftsteller wurde der Aufenthalt in Luxemburg zu einem „Kulturschock". So empfand das besonders Karl Schnog, neben den Mitgliedern der KOMÖDIE einer der wenigen Künstler aus dem Theaterbereich, der sich längerfristig in Luxemburg aufhielt. Schnog war Schriftsteller, Autor der Weltbühne und des Simplicissimus. Er war gleichzeitig in den zwanziger Jahren als Regisseur und Schauspieler an zahlreichen Theatern und Kabaretts tätig gewesen. So 236

Exil in der Provinz - Luxemburg wirkte er an den prominenten Berliner Kabaretts - dem KÜKA und dem KABARETT DER KOMIKER - mit, wo er eigene Gedichte vortrug und als Conferencier auftrat, und in Piscators Revue Roter Rummel. Daneben arbeitete er als Hörspielautor und Radiosprecher. 1933 wurde gegen ihn Haftbefehl erlassen, er wurde auf offener Straße überfallen. Er floh in die Schweiz (Sommer 1933), erhielt aber keine Aufenthaltserlaubnis, so daß er weiter nach Luxemburg emigrierte. Hier wurde er am ROND-POINT als Conferencier verpflichtet und trat in verschiedenen Kabaretts auf. Als es immer schwieriger wurde, die nötige Arbeitsbewilligung zu erlangen, wechselte er zum Journalismus über. Schnog arbeitete für fast alle namhaften Exilzeitschriften, außerdem für die Luxemburger Wochenillustrierte Α - Ζ, für die Tribüne, die Filmzeitschrift Le Film Luxembourgeois und ab 1935 vor allem für das Escher Tageblatt. Im erwähnten Malpaartes-Verlag erschienen von ihm eine Gedichtsammlung und ein Roman. Trotz seiner Vielseitigkeit und Produktivität lebte Schnog am Rande des Existenzminimums. Er war auf finanzielle Unterstützung u. a. der American Guild angewiesen. Ab 1937 erwog er immer häufiger, in die USA weiterzuemigrieren. Dazu fehlte ihm allerdings das notwendige Affidavit. Er wollte Luxemburg, dem „verlorenen Winkel Europas"2, der ihm in seinem künstlerischen Beruf keinerlei Betätigungsmöglichkeit bot, entfliehen. Am 10. Mai 1940 wurde er von der Gestapo verhaftet und nach Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald deportiert. Hier erlebte er die Befreiung. Er kehrte zunächst nach Luxemburg zurück und ließ sich 1946 wieder in Berlin nieder.

Die Gastspiele der PFEFFERMÜHLE

Herausragende Theateraktivitäten der Emigranten in Luxemburg waren sicherlich die Gastspiele der PFEFFERMÜHLE. Sie wurden 1935 durch das Engagement der „Association franfaise" und der Volksbildungsvereine ermöglicht und von den antifaschistischen Zeitungen als „künstlerisch außergewöhnlich hochstehend" (Luxemburger Zeitung, 3.2.1935) und geeignet, „den Abscheu gegen den Faschismus zu wecken" (Escher Tageblatt, 9.2.1935), lebhaft begrüßt. Das Ensemble trat im Februar und April 1935 zweimal mit unterschiedlichen Programmen in Esch/Alzette in ausschließlich für Mitglieder des Volksbildungsvereins reservierten Vorstellungen auf und am 16. April 1935 in Luxemburg-Stadt in einer überfüllten Brasserie. Es wurde ein Schutz gegen mögliche nationalsozialistische Übergriffe aufgestellt, kam aber zu keinen Störungen. Das Escher Tageblatt (23.4.1935) kommentierte das Programm: „Ihr Spiel ist blutiger Ernst. Erika Mann und ihre Helfer stehen am Bett des kranken Europas. Sie haben .delirium tremens' bei dem Patienten festgestellt und Bangen um eine nahe Agonie. Doch geben sie den Kranken nicht verloren, doch hoffen sie auf Besserung." 1936 fanden wiederum Gastspiele der PFEFFERMÜHLE (10. März in LuxemburgStadt, 11. März in Diekirch) statt, und vom 7. bis 9. Mai gastierte das Ensemble auf der Rückreise von ihrer Holland-Tournee noch einmal in Luxemburg-Stadt. Sieht man von einem Gastspiel in Salzburg im August 1936 ab, war dieser Auftritt der letzte des Ensembles in Europa, das nach den Repressalien der holländischen Regierung Anfang 2 3

Vgl. ebd., AnriU14,S. VI. Zitiert nach Sowa, S. 72.

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Ingrid Maaß/Nicole Suhl 1937 in die USA emigrierte. An den Gastspielen in Luxemburg beteiligt waren neben Erika Mann, die die Texte schrieb und als Conferencier auftrat: Therese Giehse, Sybille Schloß, Igor Pahlen, Heinrich Ortmeyer, Hans Sklenka und die Grotesktänzerin Lotte Goslar. Die sieben Gastspiele der PFEFFERMÜHLE in Luxemburg waren ausverkauft das erste sogar so überfüllt, daß die Qualität des Vortrags beeinträchtigt war. Sie dokumentieren das große Interesse des Luxemburger Publikums und der Presse. DIE KOMÖDIE

- ein Exiltheaterensemble in Luxemburg

Das Ensemble der KOMÖDIE stellte sich in Spielplan und Organisation gezielt auf die Besonderheiten der kulturellen Provinz ein. Mit Aufführungen in allen kleineren und größeren Orten des Landes behauptete es sich für die Dauer von nahezu zwei Spielzeiten. Das Transportmittel für die Akteure, ihre Kostüme und die Dekorationen war ein Bus. Die Leitung der Truppe lag in den Händen von Walter Eberhard. Eberhard hatte seine schauspielerische Laufbahn am Stadttheater Bremen begonnen, war Direktor u.a. am Stadttheater Cuxhaven gewesen, an der Volksbühne Hamburg und im Sommer 1934 am Kur- und Freilichttheater des luxemburgischen Staatsbades Mondorf. Der zweite Mann war P. Walter Jacob (Oberspielleiter, Dramaturg und Schauspieler). Jacob war zuletzt Regisseur für Oper und Operette an den Städtischen Bühnen Essen gewesen, nach seiner Zwangsbeurlaubung im März 1933 war er über Amsterdam nach Paris emigriert.4 Zum Ensemble gehörten während der ersten Spielzeit Elisabeth Eschbaum (Elisabeth Epp), Helena Konschewska, Lola Rösner, Erich Bergmann, Karl Bruck, Ernst Hartmann, Leo Horowitz, Walter Sofka und Gustav Zillinger. Die Bühnenlaufbahn der Darsteller läßt sich nur bruchstückhaft rekonstruieren. Elisabeth Eschbaum gastierte noch 1932 in Wien; Lola Rösner war gebürtige Augsburgerin und hatte Engagements in Ulm, Regensburg, Wiesbaden und in Österreich übernommen, bevor sie ins luxemburgische Exil ging. Ernst Hartmann führte die Flucht vor dem Nationalsozialismus über Paris und Straßburg, WO er kurzfristig im DEUTSCHSPRACHIGEN SCHAUSPIELERENSEMBLE spielte, nach Luxemburg.6 Nach der Premiere am 7. Oktober 1 9 3 4 in Wasserbillig gab DIE KOMÖDIE während ihrer ersten Saison 84 Vorstellungen. Neben Luxemburg-Stadt, wo 15 Auftritte stattfanden, wurde in Esch/Alzette, Echternach, Diekirch, Düdelingen, Ettelbrück, Mersch, Wiltz, Remich, Bettemburg, Differdingen, Petingen, Blanden, Gevenmacher, Kayl, Rümelingen, Seinfort, Clerf und Rodingen gespielt. Besonders in den kleineren Orten trafen die emigrierten Schauspieler auf ein Publikum, dem nur selten professionelle Theatervorstellungen geboten wurden. Die Bühnen des nahen Auslands gastierten fast ausschließlich in der Hauptstadt; in allen anderen Orten standen lediglich kleine Saalbühnen zur Verfügung, die den schauspielerischen Darbietungen von vornherein Grenzen setzten. Die Mitglieder der KOMÖDIE waren demzufolge mit erheblichen organisatorischen Schwierigkeiten konfrontiert. Im Escher Tageblatt vom 21. November 4

5 6

Der überwiegende Teil der Informationen über die KOMÖDIE ist den Beständen des P. Walter Jacob-Archivs entnommen, das in der Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur betreut wird. Zu Paul Walter Jacobs Biographie vgl.: Ein Theatermann im Exil: P. Waller Jacob. Hrsg. v. Uwe Naumann, Hamburg 1985, sowie Karin Vivan Wolfgang: Paul Walter Jacob und die FREIE DEUTSCHE BÜHNE in Argentinien. Diss., Wien 1979. Vgl. Sowa, S. 67 und Anm. 205 und 206, S. XIII. Sowa, S. 67 - 69 und Anm. 207 - 212, S. XIII.

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Exil in der Provinz - Luxemburg 1934 beschrieb Paul Walter Jacob am Beispiel einer Aufführung von Schillers Maria Stuart die Probleme des Ensembles: „Der Rahmen, in dem gespielt werden muß: mit der einzigen Ausnahme des Luxemburger Stadttheaters kleine, oft unzureichende Saalbühnen in den größeren und kleineren Städten des Landes und also gezwungenermaßen ein Minimum an dekorativen Hilfsmitteln. Das Material, mit dem gespielt wird: ein für ein Werk vom Ausmaß der Maria Stuart relativ kleines Ensemble, das am Anfang seiner Arbeit steht und sich in dieser Klassikerinszenierung erstmals an einer Aufgabe größten Formates mißt." Man habe, so fährt Jacob fort, „nicht nur im Dekorativen, das den Umständen entsprechend auf eine fast zeitlose Andeutung des Umraums beschränkt wurde, sondern auch im Personellen und Textlichen" Abstriche machen müssen. Auf die hier anklingenden organisatorischen Hindernisse nahmen die Verantwortlichen der KOMÖDIE bei der Aufstellung ihres Spielplans offensichtlich ebenso Rücksicht wie auf den Geschmack ihres Publikums. Neben wenigen Klassikern und Stücken von zeitgenössischen Dramatikern brachten sie vor allem harmlose Lust- und Singspiele auf die Bühne. Zum Repertoire des Ensembles gehörten - neben Maria Stuart - Straßenmusik von Paul Schurek, Lessings Minna von Barnhelm, Krach um Jolanthe von August Hinrichs, Alt-Heidelberg von Meyer-Förster, Die Großstadtluft und Im weißen Rößl von Oscar Blumenthal und Gustav Kadelburg, Ein Volksfeind von Henrik Ibsen, Zapfenstreich von Franz Adam Beyerlein, Hurrah, ein Junge von Franz Arnold und Ernst Bach, Runder Tisch von Walter Leonhard, Schwestern von Nikolaus Welter, Geschäft mit Amerika von Paul Franck und Ludwig Hirschfeld. Nach ihrer Gründung hatte die KOMÖDIE zunächst mit den üblichen Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen. Im Laufe des Winters 1934 setzte sich das Ensemble allmählich durch. So war z.B. in der Luxemburger Zeitung am 13. Dezember 1934 über eine Aufführung von Ibsens Ein Volksfeind im Stadttheater zu lesen: „[...] das Haus war voll, unten und oben. Und keiner hatte zu bereuen, daß er gekommen war [...]." Insgesamt zog die luxemburgische Presse ein positives Resümee der Bemühungen des Emigrantenensembles. In der Luxemburger Zeitung vom 30. März 1935 war beispielsweise zu lesen: „Wir können heute feststellen, daß von den bisherigen Versuchen, ein ausländisches Bühnenensemble hier dauernd zu halten, der Versuch der KOMÖDIE der einzige war, der nicht in einer Katastrophe endigte. Das Publikum wurde in immer stärkerem Maße durch die Qualität des Gebotenen angezogen und erkannte immer williger die ehrliche Arbeit an, in der sich die KOMÖDIE ihrer Verpflichtungen entledigte." DIE KOMÖDIE beendete ihre erste Saison am 29. März 1935 mit einer Aufführung des Lustspiels Geschäft mit Amerika von Paul Franck und Ludwig Hirschfeld im Luxemburger Stadttheater. In seinem Rückblick auf die erste Spielzeit legte Paul Walter Jacob besonderen Wert auf den finanziellen Aspekt des Theaterunternehmens. Er kam in seinen Berechnungen auf Gesamtausgaben von 150.000 Franken, wobei er betonte, daß davon rund 100.000 Franken in Luxemburg umgesetzt wurden.7 Damit versuchte er offenbar, den Vorurteilen derjenigen Luxemburger entgegenzuwirken, die in den Emigranten Konkurrenten um die Arbeitsplätze und eine Belastung für die luxemburgische Wirtschaft sahen. 7

Paul Walter Jacob: Eine Spielzeit KOMÖDIE. Ein künstlerisch-ökonomischer Rückblick. In: Luxemburger /Zeitung, 20.4.1935. Die Rechtschreibung der zeitgenössischen Quellen ist den heute üblichen Gepflogenheiten angepaßt.

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Um die lange Sommerpause bis zum Beginn der neuen Theatersaison im Oktober 1935 zu überbrücken, organisierten einige Mitglieder der KOMÖDIE zusammen mit luxemburgischen Kollegen Freilichtfestspiele im Hof der Echternacher Abtei, die bei Presse und Publikum allgemein großen Anklang fanden. Vom 30. Juni bis zum 1. September brachte man Verdis La Traviata, Mozarts Die Hochzeit des Figaro, Konradin Kreutzers Nachtlager von Granada und Heinrich Bertes Das Dreimäderlhaus, Hofmannsthals Jedermann, Goethes Faust I und Iphigenie auf Tauris und Nikolaus Welters Griselinde auf die Bühne. Hinzu kamen ein Bunter Abend und ein Festkonzert zum 250. Geburtstag von Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel. Vom Ensemble der KOMÖDIE, wie es in ihrer ersten Spielzeit bestanden hatte, wirkten bei den „Echternacher Festspielen" Elisabeth Eschbaum, Erich Bergmann, Ernst Hartmann und Walter Sofka mit. Walter Eberhard übernahm die Direktion, P. Walter Jacob wurde Oberregisseur und musikalischer Oberleiter. Trotz des großen Erfolges im Sommer 1935 wurde der Plan, die Festspiele zu einem alljährlich wiederkehrenden kulturellen Ereignis zu machen, nicht verwirklicht. Das lag vermutlich nicht zuletzt in finanziellen Problemen begründet. Die Freilichtaufführungen hatten ihre Kosten bei weitem nicht decken können. Neben seinen Aufgaben als Regisseur und musikalischer Leiter der Echternacher Festspiele inszenierte P. Walter Jacob im staatlichen Kurort Mondorf Opernvorstellungen, die unter freiem Himmel oder im Saal Mondorf gegeben wurden. Es wurden die Opern Faust von Charles Gounod, Thais von Jules Massenet und der erste Akt sowie die Abschiedsszene von Richard Wagners Lohengrin gegeben. Aus finanziellen Gründen schrieb P. Walter Jacob daneben Besprechungen für Zeitungen und musikwissenschaftliche Vorträge für Radio Luxemburg, arbeitete dort auch als Dirigent und inszenierte Opernaufführungen am Luxemburger Stadttheater. Bei diesen Inszenierungen wirkten überwiegend einheimische Darsteller sowie Gäste belgischer und französischer Bühnen mit. Die musikalische Leitung lag bei Henri Pensis, dem Chef des Orchesters von Radio Luxemburg. Zum Teil mußte Pensis dabei ohne professionelle Musiker auskommen. Ein Opernabend (22. November 1935) wurde z.B. mit einem aus „Zufallsinstrumentalisten" bestehenden „Militär- und Liebhaberorchester" bestritten. Ohne Erfolg blieben die Bemühungen Jacobs und Eberhards um die Gründung einer Bühne für Schüler und Jugendliche, mit der sie die Hoffnung verbunden hatten, die Publikumsbasis für deutschsprachiges Theater in Luxemburg zu erweitern. Im Herbst 1935 begannen die Vorbereitungen für die zweite - und letzte - Spielzeit der KOMÖDIE. Das Ensemble hatte große personelle Veränderungen zu verzeichnen. Neben Walter Eberhard und P. Walter Jacob standen der KOMÖDIE aus der Truppe der ersten Saison nur Elisabeth Eschbaum und Ernst Hartmann weiterhin zur Verfügung. Neu hinzu kamen Jacques Arndt, Georg Braun, Grete und Georg Bittner, Grete und Arthur Hoffmann, Charlotte Luise Monnasch, Max Balter und Jim Reuter. Nachdem es bereits gegen Ende der Echternacher Festspiele Differenzen zwischen einzelnen Darstellern sowie zwischen Walter Eberhard und Paul Walter Jacob gegeben hatte, verstärkten sich während der zweiten Saison der KOMÖDIE die Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Ensembles. Schon die Zusammenstellung des neuen Spielplans gab Anlaß zu Spannungen, weil Paul Walter Jacob sich dabei übergangen fühlte. Jacob monierte, daß für die angekündigten Stücke keine geeigneten Schauspieler zur Verfügung stünden. Eberhard hatte in einer Presseerklärung Werke von Shakespeare, Ibsen, 240

Exil in der Provinz - Luxemburg Strindberg, Stefan Zweig u. v. a. angekündigt. Tatsächlich realisierte D I E KOMÖDIE nur eines der Stücke, und zwar Lawrence Huxleys Großreinemachen. Statt dessen brachte Eberhards Truppe in der zweiten Saison Der Mann, den sein Gewissen trieb von Maurice Rostand, Johannisfeuer von Hermann Sudermann, Meine Tochter - Deine Tochter von Leo Lenz und R. A. Roberts, Bunbury von Oscar Wilde, Prinz Übermut's Fahrt ins Märchenland von Paul Walter Jacobs Ehefrau Edith Roeder, Banditen im Frack von Fred Heller und Alfred Schütz sowie Goethes Iphigenie auf Tauris und Schillers Kabale und Liebe auf die Bühne. Die zweite Spielzeit der KOMÖDIE stand insgesamt unter keinem guten Stern; Paul Walter Jacob bezeichnete sie bereits am 17. Dezember 1935 in einem Brief an Walter Eberhard als „Unglückssaison". Zu den vielen Problemen, die die Entwicklung der Gastspieltruppe beeinträchtigten, gehörte u.a. die Entscheidung Eberhards, die erste Aufführung der Saison an einem jüdischen Feiertag stattfinden zu lassen, obwohl Jacob mit Rücksicht auf das jüdische Publikum um die Verlegung dieser Vorstellung gebeten hatte. Kritik mußten sich die Verantwortlichen der KOMÖDIE außerdem auch hinsichtlich ihrer Programmauswahl gefallen lassen. Nach der Aufführung von Sudermanns Johannisfeuer schrieb Pier Kornelis am 19. Oktober 1935 in der Tribüne: „Die längst verwesten Organismen, die in diesen fabelhaft gebauten Stücken ihr Unwesen treiben, täuschen wahrhaftig Blut und Leben vor. (Manchmal sogar ,Blut und Boden'.) So etwas sollte die KOMÖDIE doch nicht spielen. Auch als Lückenbüßer nicht." Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Schauspieltruppe um Walter Eberhard bereits in einer schweren Krise, von der sie sich nicht mehr erholen sollte. Die Zahl der Zuschauer, die die Aufführungen der KOMÖDIE anzog, nahm kontinuierlich ab. Nachdem man am Weihnachtsabend Schillers Kabale und Liebe vor nahezu leerem Haus gespielt hatte, äußerte die Luxemburger Zeitung (27.12.1935) Zweifel an der weiteren Überlebensfähigkeit des Emigrantenensembles: „Von vornherein sollte jemand, der von der Lebensfähigkeit einer deutschen Theatertruppe in Luxemburg träumt, sich vor Augen halten, daß diese nur für einen sehr kleinen Bruchteil der mannigfaltigen Luxemburger Theaterbedürfnisse in Frage kommt: Ein dreisprachiges Publikum verlangt französische, deutsche, mundartliche Vorstellungen, Opern und Operetten in den drei Sprachen, mit Belieferung über die drei Grenzen herüber, so daß die stehende Truppe für kaum mehr als drei oder vier Aufführungen in Betracht käme. Es ist eine grausame Wahrheit, und einige von denen, die darunter leiden, haben auf aufrichtiges Mitleid Anspruch." Zu den bereits erwähnten Schwierigkeiten gesellten sich erhebliche finanzielle Engpässe. Offensichtlich war der Direktor der KOMÖDIE im Dezember 1935 gegenüber den Ensemblemitgliedern bereits mit Gagenzahlungen im Verzug. In einem Bericht der luxemburgischen Fremdenpolizei über Ernst Hartmann, der dem Emigrantenensemble bis zu seiner Auflösung angehörte, ist die Rede von einer Verschuldung des Theaterunternehmens in Höhe von 40.000 Franken.8 Zumindest ein Teil dieser Schulden hatte auch nach Ende des Krieges noch Bestand, als sich im Frühjahr 1946 Walter Eberhard darum bemühte, aus seinem Exil in Palästina nach Luxemburg zurückzukehren. Der luxembur8

Vgl. Sowa, S. 62 f., und Anm. 194 und 195, S. XII.

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Ingrid Maaß/Nicole Suhl gische Justizminister Bodson riet ihm daraufhin, zunächst seine noch ausstehenden finanziellen Verpflichtungen im Großherzogtum zu begleichen.9 Unter den organisatorischen und finanziellen Problemen der KOMÖDIE, die vom Beginn der zweiten Spielzeit bis zur Jahreswende 1935/36 ständig zugenommen hatten, litt der Zusammenhalt der Truppe erheblich. Schon früh begann das Ensemble, über eine Zukunft der KOMÖDIE ohne Walter Eberhard nachzudenken. Auf einem Treffen der Schauspieler am 21. November 1935 wurde Paul Walter Jacob gefragt, ob er möglicherweise als Nachfolger Eberhards zur Verfügung stehe, was er jedoch mit dem Hinweis auf die „Unmöglichkeit der Schuldenübernahme, an der wohl jede neue Direktion scheitern müßte", ablehnte.10 Im Februar 1936 brach DIE KOMÖDIE schließlich zusammen. In ihrer letzten Vorstellung gaben die Exilschauspieler am 9. Februar unter Walter Eberhards Regie das Schauspiel Banditen im Frack von Fred Heller und Alfred Schütz im Luxemburger Stadttheater. In einer Kritik des Luxemburger Worts vom 10. Februar 1936 hieß es: „Es fehlten Drang, Tempo und Eleganz. Luise Monnasch war zu weich und farblos, J. Arndt manchmal zu steif, G. Braun nervös. Es schien, als spielten die Darsteller aus einer unzerbrechlichen Kühle heraus." In einem Brief an Elisabeth Eschbaum, die Luxemburg zu diesem Zeitpunkt schon verlassen hatte, berichtete Paul Walter Jacob genauer über die Vorstellung: „Die Aufführung war völlig unvorbereitet, Text - unsicher bis zum Exzeß, ohne jede Regie, da Eberhard diesmal nicht einmal mehr die Stellprobe gemacht hat, sondern wir untereinander ausgemacht haben, wo und wie wir stehen und gehen. Die Aufführung wurde in 3 Tagen herausgebracht und war eine irrsinnige Nervenzumutung für uns alle. Die Kritik hat uns wieder zum größten Teil ignoriert. Heute ist nur eine Besprechung, die jeden einzelnen von uns mit einem Satz bzw. mit einem Wort abtut. Also das völlige Ende."11 Als man sich nach der Vorstellung nicht über die Verteilung der Einnahmen einigen konnte, kündigte Paul Walter Jacob seinen Vertrag. Der Plan einiger Mitglieder der KOMÖDIE, darunter „wahrscheinlich Bittner, Monnasch, Braun und Hartmann", das Unternehmen in kleinem Rahmen weiterzuführen, wurde offenbar nicht verwirklicht. Der Versuch der Gruppe emigrierter Schauspieler, mit Gastspielen in Luxemburg ihr Überleben zu sichern, war nach anderthalb Jahren gescheitert. Einige ehemalige Mitglieder der KOMÖDIE nahmen im Sommer 1 9 3 6 von Luxemburg aus noch an einem vierwöchigen Operettengastspiel am Theatre Royal des Galeries St. Hubert in Brüssel teil, das Walter Eberhard arrangiert hatte. Paul Walter Jacob war erneut als Regisseur engagiert, unter den Mitwirkenden waren außerdem Walter Sofka und Ernst Hartmann. Der weitere Weg der Emigranten ist nur teilweise rekonstruierbar. Walter Eberhard verbrachte nach dem Aufenthalt in Luxemburg einen großen Teil seines Exils in Palästina, wo er u.a. in Tel Aviv als künstlerischer Leiter einer Theateragentur tätig war. In der Nachkriegszeit organisierte er von Frankfurt a.M. aus Theatertourneen durch Deutschland, die Schweiz und die Niederlande. Er starb am 18. Februar 1978. Paul Walter Jacob bekam im Herbst 1936 ein Engagement am Stadttheater im tschechoslowakischen Teplitz-Schönau, bevor er 1940 in Buenos Aires die FREIE DEUTSCHE BÜHNE gründete. Aus 9

10 11

Vgl. Brief Walter Eberhards an Dr. Victor Bodson, Justizminister Luxemburgs, vom 5.3.1946 und dessen Antwort vom 26.4.1946, Archives Nationales, Grand-Duchd de Luxembourg. Vgl. Brief Paul Walter Jacobs an Walter Eberhard vom 17.12.1935. P. Walter Jacob-Archiv. Vgl. Brief Paul Walter Jacobs an Elisabeth Eschbaum vom 10.2.1936. P. Walter Jacob-Archiv.

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Exil in der Provinz - Luxemburg dem Exil nach Deutschland zurückgekehrt, war er von 1950 bis 1962 Intendant der Städtischen Bühnen Dortmund. Elisabeth Eschbaum fand im Winter 1935/36, als die Gehaltszahlungen der KOMÖDIE ausblieben, vorübergehend Unterschlupf bei Verwandten in den Niederlanden. Sie ging anschließend nach Österreich, wo sie in Wien zusammen mit ihrem Mann, Leon Epp, im September 1937 DIE INSEL gründete mit einem zum Großteil aus jüdischen Theaterkünstlern bestehenden Ensemble. DIE INSEL hatte bis zum „Anschluß" Bestand. Elisabeth Epp (Eschbaum) arbeitete nach 1945 weiter als Theaterleiterin und Schauspielerin in Österreich. Jacques Arndt kehrte 1936 zunächst zurück nach Österreich; er flüchtete 1938 ins südamerikanische Exil, wo er u.a. als Sprecher und künstlerischer Programmleiter der deutschsprachigen Rundfunkstunde „La Voz del Dia" in Montevideo und ab 1941 als Schauspieler, Regisseur und Bühnenbildner, später auch Leiter, an der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE in Buenos Aires wirkte. Arndt kehrte nicht nach Europa zurück. Ebenso wie Jacques Arndt flüchtete auch Georg Braun Ende der dreißiger Jahre nach Südamerika, wo er in Bolivien u.a. für den Rundfunk und als Lehrer arbeitete und 1943 die Leitung der NEUEN BÜHNE COCHABAMBA und anschließend der KOMÖDIE in Montevideo übernahm.12 Ernst Hartmann sollte die rechtzeitige Flucht aus Europa nicht gelingen. Erst nach dem Einmarsch deutscher Truppen verließ er Luxemburg und gelangte auf Umwegen in den unbesetzten Teil Frankreichs, nach Marseille. Hier wurde er im Oktober 1942 von der Gestapo verhaftet und nach Polen deportiert, wo er vermutlich in einem deutschen Vernichtungslager den Tod fand. 13 Die Tätigkeit der KOMÖDIE bildet nur eine kleine Facette in der Geschichte des Exiltheaters. Aufschlußreich für die Situation des Exils ist vor allem die Art und Weise, in der das Ensemble um Walter Eberhard versuchte, sich auf die Exilsituation und die spezifischen Umstände in seinem Exilland einzustellen. Man entschied sich für Gastspielreisen durch die großen und kleinen Orte des Landes und wählte dafür ein unpolitisches, dem Publikumsgeschmack Rechnung tragendes Repertoire. Die Tatsache, daß DIE KOMÖDIE trotz vorsichtigen Agierens nach anderthalb Jahren aufgrund von wirtschaftlichen Problemen zugrunde ging, zeigt, wie groß die Schwierigkeiten emigrierter Schauspieler waren, unter den veränderten Bedingungen des Exils weiter beruflich zu arbeiten. Literatur Carlo Sowa: Literarisches Exil in Luxemburg. Staatsexamensarbeit. Esch/Alzette 1988. Ein Theatermann im Exil: P. Walter Jacob. Hrsg. v. Uwe Naumann, Hamburg 1985. Nicole Suhl: DIE KOMÖDIE - ein Exiltheaterensemble in Luxemburg. In: Exil 16. Jg. 1996, Η. 1, S . 7 4 - 8 0 . Archive Archives Nationales, Grand-Duch6 de Luxembourg Paul Walter Jacob-Archiv, Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur 12

13

Vgl. u.a. Fritz Pohle: Emigrationstheater in Südamerika. Abseits der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE, Buenos Aires. Hamburg 1989 (= Schriftenreihe des P. Walter Jacob-Archivs, Bd. 2), S. 77 ff. Vgl. Sowa, S. 67 - 69 und Anm. 207 - 212, S. XIII.

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Boguslaw Drewniak

Exiltheater in Polen Exilierte Theaterkünstler auf polnischen Bühnen Die Zahl der Hitlerflüchtlinge, die in Polen Zuflucht fanden, war nicht hoch. Diese Zahl kann erhöht werden, wenn man den Flüchtlingen aus dem „Dritten Reich" auch die nach Polen ausgewiesenen „polnischen" Juden zurechnet. Darunter war auch eine Reihe von Theaterkünstlern. Die Gesamtzahl der aus Deutschland geflüchteten bzw. ausgewiesenen Juden betrug im Oktober 1933 65.000. Davon entfielen auf Frankreich 25.000, auf die Tschechoslowakei 4.000 und auf Polen 4.500. Die meisten waren ausgewiesene „Ostjuden". Als eine Stätte der deutschen kulturellen Emigration kann Polen keineswegs angesehen werden. Von vornherein war es auch für die meisten deutschen Künstler kein Land, in dem sie ihre Tätigkeit weiterführen konnten oder wollten. So war die Möglichkeit einer künstlerischen Betätigung emigrierter deutscher Theaterleute in Polen problematisch. Zwar gab es deutschsprachiges Theater in Polen, doch bestimmend waren hier die einschränkenden Vorschriften bei der Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung, die bescheidenen finanziellen Möglichkeiten und, vor allem, das politische Klima. Dem Deutschtum stand der polnische Staat zurückhaltend und vorsichtig gegenüber. Daß Polen für marxistische Asylsuchende kein guter Boden war, braucht wohl nicht näher erörtert zu werden. Die jüdischen Zwangsemigranten konnten auf gewisse Hilfe von jüdischen Gemeinden in Polen rechnen. Bereits 1933 entstanden Zjednoczony Komitet dla Walki ζ Przesladowaniem Zydow w Niemczech, das „Vereinigte Komitee zum Kampf gegen die Verfolgung der Juden in Deutschland", und Komitet Niesienia Pomocy Uchodzcom ζ Niemiec, das „Hilfskomitee für die Flüchtlinge aus Deutschland", letzteres mit 150 Außenstellen in mehreren Orten. Insgesamt aber verhielt sich die polnische Judenschaft den Flüchtlingen aus Deutschland gegenüber eher zurückhaltend. Dank der jüdischen Hilfe konnte einige Zeit der Emigrant Alexander Granach in Warschauer jiddischen Theatern spielen. Nach Polen kamen Lotte Loebinger, Walter Grün, Gustav Wohl, Wolfgang Yourgrau und der junge , arische' Kommunist Erwin Geschonneck. Mit Unterstützung der jüdischen Gemeinden spielten sie in deutschsprachigen Orten (u.a. in Bielitz und Teschen) das damals so erfolgreiche Fünf-Personen-Stück Marguerite: 3 von Fritz Schwiefert. In mehreren Orten veranstalteten sie auch literarische Abende, u.a. mit Texten von Johannes R. Becher, Bertolt Brecht und Heinrich Heine. In dem Verein der Jüdischen Schriftsteller und Journalisten in Warschau las Gustav Wohl am 5. April 1934 Texte von Toller, Feuchtwanger, Thomas Mann, Klabund, Wedekind u.a. Im April 1934 weilte halboffiziell Erwin Piscator in Warschau. Er trug sich mit dem Gedanken, zeitweise auch am jiddischen Theater in Polen - ähnlich wie Granach - mitzuwirken. Vergleichbare Pläne hatte später auch Leopold Jeßner. Es kam nicht dazu. Auch die Gruppe von Gustav Wohl und Lotte Loebinger mußte das Land verlassen. 245

Boguslaw Drewniak Obwohl man sich bewußt wurde, daß eine moralische Verpflichtung zur Hilfe bestand, blieben die unmittelbaren Kontakte emigrierter Künstler zu polnischen Kollegen im Bereich des Schauspieltheaters - sowohl das Musik- als auch das Tanztheater (Ruth Abramowitsch, Chaja Goldstein, Julia Marcus) bot mehr Möglichkeiten - besonders gering. Zu den wenigen Ausnahmen gehörte die Einladung Alexander Moissis nach Lemberg. Der berühmte Künstler spielte dort in einem Stück als Gast im polnischen Theater. Im Herbst 1933 entstand außerdem eine Initiative, das Reinhardt-Ensemble nach Polen einzuladen. Der Initiator war Bertold Neuländer, ein jüdischer Kaufmann polnischer Staatsangehörigkeit aus Kattowitz. Max Pallenberg, Tilla Durieux und mehrere andere Künstler, die vor kurzem Berlin hatten verlassen müssen und in Österreich bzw. in anderen Staaten ihre künstlerische Tätigkeit fortführten, sollten nach Polen kommen und in größeren polnischen Städten, darunter auch in Warschau, künstlerische Darbietungen geben. Auch ein Besuch Max Reinhardts war nicht ausgeschlossen. Die zuständige Stelle in Kattowitz gab ihre Einwilligung, doch die Entscheidung lag in den Händen des polnischen Innenministers. Angesichts der neuen politischen Lage in den polnisch-deutschen Beziehungen wurde der Antrag am 28.2.1934 abgelehnt.1 Die „neue politische Lage" entstand nach der Unterzeichnung des auf zehn Jahre abgeschlossenen deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes (26.1.1934) und des deutsch-polnischen Presseprotokolls vom 24.2.1934. Von polnischer Seite wurde zugesagt, hinsichtlich der deutschen Emigrantenangelegenheiten Schritte zu unternehmen, die sich aus dem Sinn und Inhalt der Vereinbarung ergaben. Nach außen hin sollte das Hervortreten irgendeines Zusammenhanges zwischen dem erfolgten Verbot der Gastspiele und dieser Vereinbarung vermieden werden.2 Auch die Programmgestaltung der Theater sollte in beiden Ländern baldmöglichst, „spätestens bis zum nächsten Winterspielplan", im Sinne des Abkommens beeinflußt werden.3 Dennoch ist eine hundertprozentige Anpassung nicht eingetreten. Praktisch konnten in Polen nur die von Berlin genehmigten „reichsdeutschen Künstler" auftreten.4 Anders wurden jedoch die Künstler aus Österreich betrachtet, auch wenn sie früher aus NS-Deutschland geflohen oder ausgewiesen worden waren. So gastierte z.B. in Polen der berühmte Dirigent Bruno Walter, und im März 1935 kam ein Wiener Operetten-Ensemble mit einem Gastspiel nach Lodz. Unter den Gästen, die vor dem deutsch-jüdisch-polnischen Publikum im Philharmonischen Saal auftraten, befanden sich Liane Haid, Felix Bressart und Oskar Karlweis. Nach dem „Anschluß" kamen einige Flüchtlinge aus Österreich nach Polen. Zu den prominentesten Emigranten, die in Polen Zuflucht suchten und die Möglichkeit einer künstlerischen Betätigung wirklich fanden, gehörte Franz Theodor Csokor.5 Auch Mark Katz (Kurt Katsch), der zuletzt an den Reinhardt-Bühnen in Wien spielte, flüchtete nach Polen. Im jüdischen Theater in Krakau fand er sein Betätigungsfeld als Regisseur und Pädagoge. 1

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Archiwum Panstwowe w Katowicach (Staatsarchiv Kattowitz), Urzjsd Wojewödzki Slgski (Schlesisches Wojewodschaftsamt), Nr. 824, S. 177 f. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn, Deutsche Botschaft in Warschau. Nr. 76/1: „Vertrauliche Wiedergabe der Besprechungen vom 23. und 24. Februar 1934". Ebenda. Boguslaw Drewniak zum Thema: Polnisch-deutsche Kulturbeziehungen 1933 - 1939. In: Studio Germanica Gedanensia, Univ. Gdansk, 1.1993, S. 14 ff. Vgl. Franz Theodor Csokor: Zeuge einer Zeit. Briefe aus dem Exil 1933 -1950. München/Wien 1964, S. 208 ff.

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Exiltheater in Polen Deutschsprachiges Theater wurde in Polen schließlich noch von mehreren Laien- und Wanderbühnen bzw. halbprofessionellen Bühnen gespielt. Diese Bühnen standen z.T. unter direktem Einfluß nationalsozialistischer Kreise. Wo das nicht der Fall war, gab es es immer wieder heftige Auseinandersetzungen, indem nationalsozialistische und nationalkonservative Kreise die .jüdischen" Direktoren und Schauspieler persönlich angriffen oder die Spielpläne als „zu linksstehend" kritisierten. Zu diesen Bühnen fanden die Emigranten nur in wenigen Fällen Zugang. Dramatik von Exilierten auf polnischen Bühnen Die polnisch-deutschen Verbindungen auf dem Gebiet des Theaters hatten damals eine wenigstens zwei Jahrhunderte alte Geschichte. In der Weimarer Zeit war sogar eine zeitweilige Vertiefung dieser Beziehungen zu beobachten gewesen. Mehrere politische Künstler interessierten sich stark für die Widerspiegelung der deutschen Kriegs- und Nachkriegszeit in der expressionistischen Dramatik. In Polen bekannt wurden solche Schriftsteller wie Georg Kaiser, Walter Hasenclever, Carl Sternheim, Peter Martin Lampel, sogar Ernst Toller mit dem 1929 aufgeführten Hinkemann. Georg Kaisers bekannteste Werke brachte das Warschauer Teatr Polski in der Regie von Aleksander Zelwerowicz auf die Bühne. Bekannt waren in Polen die kenntnisreichen Theaterkritiken von Alfred Kerr, Siegfried Jacobsohn, Julius Bab und Herbert Jhering. Man interessierte sich gleichermaßen für Fritz von Unruh, Klabund wie auch für Mysterienspiele, die eine Zeitlang von kirchlichen und anthroposophischen Organisationen propagiert wurden. Natürlich spielte man auch, und übersetzte, klassische Werke der deutschen Bühnenliteratur. Werke von Bertolt Brecht oder Friedrich Wolf waren allerdings nicht leicht auf polnische Bühnen zu bringen. In dem Zeitraum 1934 bis 1939 finden sich auf polnischen Bühnen dagegen nur wenige Dramen von den vom Nationalsozialismus verfemten deutschen Autoren. Nach der Unterzeichnung des Presseabkommens mit Deutschland verfolgten die polnischen Zensurbehörden eine Haltung vorsichtiger Neutralität. Man wußte genau, daß die deutsche diplomatische Vertretung in Warschau bereits die Aufführung unpolitischer Werke exponierter deutscher Exildramatiker als Provokation auslegen konnte. Es entsprach dieser Situation, daß der Zugang der deutschen Exilautoren zum polnischen Theater minimal und auf einzelne Initiativen beschränkt war. Es gab jedoch einige spektakuläre Ausnahmen. Im Sommer 1934 wurde im Stadttheater Lodz Ferdinand Bruckners Drama Die Rassen, eine der ersten größeren Manifestationen der deutschen Exildramatik, erstaufgeführt. Regie hatte Leon Schiller. Bruno Winawer, Julian Skadanek und Alfred Szymanski traten in den tragenden Rollen auf. In lobender Weise schrieb über die Aufführung die Lodzer Volkszeitung (5.8.1934), das Organ der deutschen Sozialisten in Polen: „Das Ensemble war mehr als gut. Die Sammelszenen wurden einfach prächtig wiedergegeben. Bruckners Rassen verdienen, gesehen zu werden, denn das in diesem Stück angeschnittene Problem wird jeden zwingen, Stellung zu nehmen." Im Frühjahr 1934 wurde Carl Zuckmayers Paradestück Der Hauptmann von Köpenick in Krakau erstaufgeführt. Die dortige konservative Zeitung Czas schrieb in einer Kritik (5.5.1934): „Die Hitler-Revolution, welche nach dem Erscheinen des Hauptmanns ausgebrochen ist, hat diesem Stück seltsam und nicht der Pikanterie entbehren247

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den Kommentar gegeben. Denn war nicht diese ganze Revolution auch eine .Cöpenikiade'? [...] Das Stück Zuckmayers ist patriotischer, staatlich vernünftiger als die Schöpfungen der offiziellen Lobredner des .Dritten Reiches', wie z.B. Johst mit seinem Schlageten" Dieses Stück wurde im März 1935 am Stadttheater Lodz neuinszeniert. Regie hatte Leon Schiller, der auch kleine Kürzungen des Textes vorgenommen hatte. In der Titelrolle trat Stefan Jaracz, ein Künstler großen Formats, auf. Die Inszenierung wurde gelobt, und die Lodzer Volkszeitung (29.3.1935) urteilte: „Sicher das beste Stück der bisherigen Saison." Die Entwicklung der jüdischen Theater in Polen - 1934 gab es in Polen 15 jiddische Theater - , vor allem des traditionsreichen, 1913 gegründeten Kaminski-Theaters in Warschau und des Wilnaer Theaters, konnte bisher nur unvollständig dokumentiert werden. Die Quellenlage ist hier wenig ermutigend.6 Die Frage, welche Bedeutung den jüdischen Bühnen in Polen für die Exiltheaterforschung zukommt, kann daher noch nicht annähernd vollständig beantwortet werden. Wir wissen immerhin, daß Alexander Granach für das jüdische Theater in Warschau den Kaufmann von Venedig in jiddischer Sprache inszenierte - er spielte auch die Titelrolle - , daß Leopold Lindtberg 1936 in Warschau ebenfalls Regie führte - er inszenierte auf Bitten von Margot Klausner Schulamith Batdoris Das Gericht -, auch daß 1937/38 Carl Meinhard am Jüdischen Nationaltheater tätig war. Für das Exiltheater sind das herausragende Namen. Das spektakulärste Beispiel ist die Welturaufführung von Professor Mamlock, dem wohl namhaftesten Stück von Friedrich Wolf. Hans-Christof Wächter schrieb dazu: „Das Schauspielerkollektiv TRUPPE 1931 war 1933 nahezu geschlossen in die Emigration gegangen und traf sich in Paris wieder, um ein deutsches antifaschistisches Gastspieltheater ins Leben zu rufen. Friedrich Wolf schrieb speziell für diese Truppe seinen Professor Mamlock, dessen Titelrolle Alexander Granach zugedacht war. Die ungünstigen Bedingungen des französischen Exils, das Fehlen ausreichender finanzieller Mittel und schließlich die Sorge der emigrierten Schauspieler, ihr Auftreten in einem so eindeutig antifaschistischen Kampfdrama könne Repressalien gegen noch in Deutschland lebende Familienangehörige zur Folge haben, machten die Realisierung des Plans zunichte. Alexander Granach setzte jedoch alles daran, das Stück auf eine Bühne des Auslandes zu bringen. Seine Bemühungen hatten Erfolg: Im Februar 1934 erlebte das Stück im Warschauer Kaminski-Theater seine Welturaufführung mit Granach als Mamlock. Es wurde in jiddischer Sprache unter dem Titel Der gelbe Fleck gespielt."7 Die Ausführungen Wächters kann man ergänzen, aber man muß sie auch z.T. korrigieren. Zunächst die Korrektur: Die Uraufführung fand am 19.1.1934 statt, und die Regie hatte nicht Herbert Rappaport, sondern Michael Brandt (Weichert). Mit Granach, der die Titelrolle spielte, standen auf der Bühne: Moses Lipman (als Dr. Hellpach), Klara Segalowicz (Inge Ruoff) und Rachel Holcerowna (Mamlocks Frau). Die Inszenierung erreichte mehrere Vorstellungen in Warschau. Am 25. Januar spielte man das Stück zugunsten von Flüchtlingen aus Deutschland. Die polnische Presse reagierte, ihren politischen Positionen entsprechend, unterschiedlich. Selbstverständlich war die jüdische 6

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Vgl. dazu: Teatr zydowski w Polsce do 1939 („Das Jüdische Theater in Polen bis 1939"). In: Pamiftnik Teatralny, Warszawa. 41. Jg. 1992, Η. 1 - 4. Hans-Christof Wächter: Theater im Exil. Sozialgeschichte des deutschen Exiltheaters 1933 - 1945. München 1973, S. 115.

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Exiltheater in Polen Presse daran viel mehr interessiert, d. h. sowohl die jüdischen Zeitungen in jiddischer als auch in polnischer Sprache wie z.B. Nasz Przeglgsd. Wächter schreibt von über „300 Aufführungen und Gastspiele(n) in 68 Städten". Der Autor Friedrich Wolf hat auf der Durchreise in die Sowjetunion vermutlich einer Vorstellung seines Stücks in Warschau beigewohnt. Friedrich Wolfs Hörspiel aus dem Jahre 1929 Krassin rettet Italia bildete ferner die Grundlage einer Inszenierung der jiddischen Experimentalbühne in Warschau (Jung Teater). Sie wurde ebenfalls von Michael Brandt (Weichert) vorbereitet. Er sorgte auch für die Umarbeitung des Wolfschen Textes für die Bühne. Die Krassin-Premiere fand am 24. März 1934 statt. Das aus 52 Bildern bestehende Stück wurde bis Juni 1934 fast hundertmal nachgespielt. Der Erfolg war größer als bei der Mam/ocfc-Aufführung. Einer der Vorstellungen wohnte Piscator bei. Literatur Boguslaw Drewniak: Deutschsprachiges Theater in Polen zwischen 1933 und 1939. In: Exil, 16. Jg. 1996, Η. 1, S. 59 - 73. Albert Klein/Raya Kruk: Alexander Granach. Fast verwehte Spuren. Berlin 1994.

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Theater zwischen 1933 und 1939 in der Freien Stadt Danzig Durch die Bestimmungen des Versailler Vertrages wurde die Hafenstadt Danzig und ihre Umgebung - ein Gebiet, das rund 1.900 qkm umfaßte und ca. 400.000 Einwohner, vorwiegend Deutsche, zählte - aus dem Deutschen Reich herausgelöst und die Freie Stadt Danzig gegründet. Dieses staatliche Gebilde wurde unter den Schutz des Völkerbundes gestellt, bei engen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Polen. Kulturell blieb aber die Freistadt ein Appendix des Deutschen Reiches. Zwar befanden sich ihre kulturellen Einrichtungen außerhalb des physischen Machtbereichs des Reiches, aber immerhin innerhalb des gleichen Sprach- und Kulturbereichs. Die enge Verknüpfung, welche Danzig trotz der rechtlichen Selbständigkeit mit Deutschland verband, ließ es verständlich erscheinen, daß das Schicksal der Deutschen im Reich auch den Danziger Deutschen als unentrinnbare Zukunft vor Augen stand. Danzig rühmte sich seiner langen Theatertradition, doch erst mit Anfang des 19. Jahrhunderts besaß es ein ständiges Theatergebäude, im Volksmunde, seiner Bauart wegen, „Kaffeemühle" genannt - das Königliche Schauspielhaus. In dem benachbarten, vornehmen Badeort Zoppot wurde 1909 die Zoppoter Waldoper gegründet, die größte Freilichtoper der Welt, die auch das Theaterleben der Mottlau-Stadt geprägt hat. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Königliche Schauspielhaus in „Stadttheater" umbenannt. Weiterhin pflegte man hier alle drei Sparten: Schauspiel, Oper, Operette; man gab auch Sinfoniekonzerte. In Zoppot - der Kurort zählte rund 30.000 Einwohner - wurden seit 1922 Richard-Wagner-Festspiele veranstaltet. Zoppot besaß auch ein kleines Stadttheater und Kurtheater, und in Danzig entfaltete das Wilhelmtheater eine allerdings unregelmäßige Tätigkeit (bis 1930). Hier machte neben Kleinkunst, Kabarett- und Revueprogrammen leichtes Unterhaltungstheater den Hauptteil des Spielplans aus. Jahrelang bestimmte Rudolf Schaper den Spielplan des Danziger Theaters. Als Generalintendant leitete er das Institut von 1916 bis 1931 und trat erst mit Ablauf der Spielzeit 1930/31 in den Ruhestand. Er war ein versierter Theatermann, der an zahlreichen deutschen Bühnen als Regisseur oder Direktor seine künstlerischen Erfahrungen gesammelt hatte. Fern von einer nationalistischen Verengung der Perspektive versuchte er als Verantwortlicher, dem Danziger Theater Impulse zu geben, die es über das Niveau einer Provinzbühne hervorheben sollten. Für die Spielzeiten 1931/32 und 1932/33 übernahm Hanns Donadt, der bisherige Oberspielleiter, die Intendantenstelle. Zunächst führte er das Werk Schapers fort, später aber ließ er sich vom politischen Zeitgeist beeinflussen. So wie die Theater im Reich, so war auch das Danziger Stadttheater von finanziellen Zuschüssen abhängig. Die Zuschüsse bewilligte der Senat der Freistadt - nicht immer ohne Zögern: manche Verwaltungsbeamte dachten ziemlich provinziell. Übrigens waren die Unterhaltskosten nicht gering. So betrug z.B. der Jahresetat für die Spielzeit 1928/29 1.262.000 Gulden. Die Zahl der künstlerischen Mitglieder betrug ca. 140 Personen, und die Spielzeit dauerte zehn Monate. Bei dem in der Regel guten Besuch wurden die Ausgaben zu ca. 60 Prozent durch die Einnahmen gedeckt. Natürlich mußte der Spielplan dem Unterhaltungsbedürfnis des Publikums entgegenkommen. In bunter Folge brachte er Ernstes und Heiteres. 251

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Eine vollständige Repertoireanalyse läßt sich derzeit noch nicht erstellen, da der Spielplan jener Jahre erst teilweise dokumentiert ist und das Danziger Theater bislang in der Forschung fast unberücksichtigt blieb.1 Gespielt wurde ein breit gefächertes Programm von Dramen- und Opernklassikern bis zur literarischen Moderne. Bis in die Saison 1931/32 wurden auch die ab 1933 vom Nationalsozialismus verfemten Dramatiker gespielt, allerdings ohne politische Akzentuierung. In der Ära Schapers und unter Direktion Hanns Donadts zeigte das Danziger Theater u.a. folgende Stücke2: H. Rehfisch/W. Herzog: Die Affäre Dreyfus', Carl Zuckmayer: Hauptmann von Köpenick·, Bruno Frank: Sturm im Wasserglas, Perlenkomödie, Nina; Arthur Schnitzler: Liebelei. Am 6.4.1930 fand sogar ein Gastspiel der GRUPPE JUNGER SCHAUSPIELER aus Berlin mit Cyankali von Friedrich Wolf statt. Gespielt wurde von Georg Kaiser Gas [1. Teil], Hellseherei. Am 3.11.1931 veranstaltete das Theater eine Georg-Kaiser-Morgenfeier, mit Ansprache des Intendanten Donadt und der Premiere von Juana in dessen Inszenierung. In der Spielzeit 1930/31 wurde sogar Kaisers Der Zar läßt sich photographieren mit Musik von Kurt Weill als Opera buffa gezeigt, übrigens bei schwacher Anteilnahme des Publikums: das Werk ging nur zweimal in die Szene. Für den 6. Juni 1931 war die Premiere der bereits einstudierten Dreigroschenoper von Bert Brecht vorgesehen. Da, nach Meinung des Senats, „mit aller Wahrscheinlichkeit mit größeren Tumulten bei der Aufführung des Stückes zu rechnen wäre", wurde dem Polizeipräsidenten empfohlen, das Stück zu verbieten. Am 2. Juni erging das Verbot, und die Aufnahme des Werkes in den Spielplan scheiterte.3 Obwohl die deutsche Bühnenliteratur richtungsweise bevorzugt wurde, fanden sich im Spielplan ebenfalls die ausländischen Gegenwartsdramatiker, die auch das Bild anderer deutscher Bühnen bestimmten. George Bernard Shaw war der meistgespielte Autor aus England. Ihm folgten Somerset Maugham und Edward Childs Carpenter. Aus England stammte das Antikriegsdrama Die andere Seite („Journey's End") von Robert G. Sheriff. Es wurde im März 1931 in der Inszenierung von Hanns Donadt erstaufgeführt. Die ältere und gegenwärtige russische Literatur war mit den Namen Leo Tolstoi, Valentin Katajew, Lew Urwancew und Ossip Dymow vertreten. Zur Aufführung kamen neben Moliüre leichte französische Boulevardstücke, aber auch das Antikriegsdrama Das Grab des unbekannten Soldaten von Paul Raynal. Sehr selten wurde italienische (außer Luigi Pirandello) oder spanische Bühnenliteratur berücksichtigt. Großer Beliebtheit erfreuten sich dagegen skandinavische Autoren wie Ibsen, Björnson u.a. Strindberg stand auch im Programm. Polnische Autoren wurden bis in die NS-Zeit überhaupt nicht gespielt. Mit dem politischen Aufschwung der Nationalsozialisten im Reich ließen sich 1932 auch Tendenzen zu einer Änderung des Repertoires im Danziger Theater feststellen - im „völkischen Sinne" natürlich. Nach der NS-Machtübernahme blieb sowohl das politische wie auch das kulturelle Leben der Freistadt nicht von nationalsozialistischen Gleichschaltungsversuchen verschont. Dafür mag ausschlaggebend gewesen sein, daß Hitler von Anfang an aus seinen 1

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Zu erwähnen ist aber der Aufsatz von Zenon Ciesielski: Niemieckie teatry Wolnego Miasta Gdanska i ich stosunek do spoleczenstwa polskiego. In: Rocznik Gdariski (,.Danziger Jahrbuch"). Gdansk. Bd. 28. 1969, S. 53 76. Die Angaben über den Spielplan wurden entnommen aus: Danziger Theaterzettel, Theaterzeitung des Stadttheaters Danzig. Archiwum Panstwowe w Gdansku (Staatsarchiv Danzig). Der Senat der Freien Stadt Danzig, Nr. 2994, S. 77, 79.

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Theater zwischen 1933 und 1939 in der Freien Stadt Danzig Bestrebungen, die Freie Stadt Danzig „ins Reich heimzuführen", keinen Hehl gemacht hat. So galt auch die Mottlau-Stadt für die, die im Reich vor der Notwendigkeit der Emigration standen, nicht als sichere Zuflucht. Dazu trugen die innere politische Situation der Freistadt und die latent vorhandene und weitverbreitete pro-nationalsozialistische Haltung wesentlich bei. Nach dem Muster Berlins wurde durch Senatsbeschluß vom 1.2.1934 für das Gebiet der Freien Stadt Danzig die Landeskulturkammer errichtet. Ihr Leiter war der Senator für Volksbildung, Wissenschaft, Kunst und Kirchenwesen, stellvertretender Leiter der Senator der Senatsabteilung für Volksaufklärung und Propaganda. Durch die Landeskulturkammer wurden folgende Tätigkeitszweige erfaßt und vertreten: Schrifttum, Presse, Theater, Musik, bildende Kunst, Rundfunk und Film. Am 10. April desselben Jahres erschien eine Rechtsverordnung zur Durchführung der Landeskulturkammerordnung. Nach § 1 dieser Rechtsverordnung mußte jeder, der bei der Erzeugung, der Wiedergabe, der geistigen Verarbeitung, der Verbreitung, der Erhaltung und der Vermittlung von Kulturgut mitwirkte, Mitglied einer der aufgezählten Unterkammern sein.4 Die Polen waren nicht verpflichtet, der Kulturkammer anzugehören. Ebenso wie die Juden besaßen sie nicht die erforderliche „Zuverlässigkeit und Eignung". Das polnische Kulturleben in der Freistadt - auch im Bereich des Theaters - entwickelte sich im eigenen Rahmen. So wurde auch das Danziger Theaterleben unter Druck gesetzt. Dieser Druck hatte zum Ziel, den Spielplan und die Zusammensetzung des Ensembles den Wünschen der NS-Theaterpolitik anzupassen. Zunehmend wurden die antidemokratischen Autoren berücksichtigt. Bereits am 11.2.1933 ging das Frontstück Die endlose Straße von S. Graff und C. E. Hintze in die Szene, am 11. April Jagt ihn - ein Mensch von E. G. Kolbenheyer und am 10. Mai das Schlageter-Stück von Hanns Johst. Das Stück inszenierte der Intendant Hanns Donadt. Die Aufführungen waren stark besucht, es gab mehrere Wiederholungen und sogar Sondervorstellungen für die Danziger NSDAP. Am 31. Mai gab es ein Gastspiel der Städtischen Oper Berlin mit Wagners Meistersingern. Unter den Gästen befand sich die Sängerin Rosalind von Schirach, die Schwester des Reichsjugendführers. Im Sommer 1933 gingen die wichtigsten politischen Stellen der Freistadt in die Hände der Nationalsozialisten über. Der neue Senatspräsident Hermann Rauschning erklärte: „Für Danzig als Hüter des Deutschtums im Osten ergab sich nach der Regierungsneubildung die Überführung des Stadttheaters in die Obhut des Staates, um allen Volksgenossen in Stadt und Land deutsche Kunst bieten zu können." Das Stadttheater wurde in „Staatstheater" umbenannt. Es war nicht mehr möglich, in- oder ausländische Dramen und Opern von im Reich verfemten Schöpfern aufzuführen, auch wenn der Index der verbotenen Autoren bzw. Komponisten theoretisch für die Freie Stadt keine Gültigkeit hatte. Zwar konnte das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda bzw. die Reichstheaterkammer keine offiziellen Anordnungen nach Danzig schikken, doch gab es immerhin „entsprechende Empfehlungen". Übrigens schenkten das Reichspropagandaministerium und selbst der „Führer" dem Danziger Theater große Aufmerksamkeit. Aus Berlin kam auch das benötigte Geld für den Umbau des Theatergebäudes und für die „reichswichtige Festspielstätte" in Zoppot. 4

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn, Deutsches Generalkonsulat Danzig, Nr. 111/5.

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Boguslaw Drewniak Ein Kapitel für sich bildete das jüdische Kulturleben in der Freistadt Danzig. Die altansässigen Juden, deren Zahl verhältnismäßig gering war und die die Danziger Staatsangehörigkeit hatten, fühlten sich zum größten Teil als Deutsche und nahmen teil am kulturellen Leben der Stadt wie die übrigen Einwohner. Die meisten von ihnen waren der jiddischen Sprache nicht mächtig. Erst nach dem Ersten Weltkrieg vergrößerte sich die Danziger Judengemeinde zusehends. Die Nachkriegszeit führte eine große Zahl von „Ostjuden" nach Danzig, in der Absicht, sich hier von neuem ihre wirtschaftliche Existenz aufzubauen und bodenständig zu werden. Auch die ursprünglich kleine Zahl von Juden in Zoppot hatte sich seit der Gründung der Freistadt erheblich vergrößert. Der Zuzug bedeutete eine außerordentliche Bereicherung des jüdischen Lebens in der Freistadt. Die neuen Elemente veränderten auch die soziale Struktur der Danziger jüdischen Bevölkerung von Grund auf. Die osteuropäischen Juden gründeten 1924 den „Ostjüdischen Verein in der Freien Stadt Danzig e.V." mit Sitz in Zoppot. 1929 betrug die Zahl der jüdischen Bevölkerung in der Freistadt 10.488 Personen, darunter 5.873 in Danzig und 4.311 in Zoppot. Nach polnischen Schätzungen gab es 1936 in der Freistadt insgesamt ca. 11.500 Juden, von denen nur 3.200 die Danziger Staatsangehörigkeit besaßen. Später ging die jüdische Bevölkerung Danzigs durch Auswanderung kontinuierlich zurück. Kraft der Danziger Verfassung waren die Rechtsverhältnisse der alteingesessenen Juden - rein theoretisch betrachtet - grundsätzlich verschieden von denen der Juden im „Dritten Reich", wofür insbesondere der Artikel 73 der Verfassung der Freistadt sprach: „Alle Staatsangehörige der freien Stadt Danzig sind vor dem Gesetz gleich. Ausnahmegesetze sind unstatthaft. Öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt, des Standes oder Glaubens bestehen nicht." Nach 1933 hatte die Danziger Regierung wiederholt offizielle Erklärungen abgegeben, die sich mit dem Inhalt dieses Artikels deckten. Im praktischen Leben haben sich allerdings diese Erklärungen nicht bestätigt, zunächst vor allem im Bereich des Kulturlebens. „Mögen die Dinge für uns Juden auch staatsrechtlich anders liegen als im Reich" - schrieb der Danziger Jurist und Schriftsteller Max Baumann - , „so ist kulturell doch bereits heute grundsätzlich ebenso rigorose Ausstoßung erfolgt wie dort."6 Ähnlich wie in Deutschland war auch in der Freien Stadt eine Mitwirkung der jüdischen Künstler in Theater und Konzert, in Rundfunk und Vortragssaal nicht erwünscht. Der Danziger Kunstverein erklärte auf Anfrage bereits 1933 offen, daß seine neue Einstellung Mitglieder jüdischer Abstammung nicht zulasse, die Leitung der Zoppoter Waldfestspiele lehnte die Mitwirkung jüdischer Sänger ab, und der Rundfunk hat die Mitarbeit von Juden gleichfalls beendet. Die am Danziger Theater tätigen Dirigenten Otto Seiberg und Henry Prins, ferner der Pianist Günter Berent, wurden entlassen. Seiberg verließ Anfang 1934 Danzig und ging nach Palästina, die beiden anderen engagierten sich im jüdischen Kulturleben in Danzig. So bildete Danzig wie Deutschland nach 1933 für die Juden ein kulturelles Ghetto. Die Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Kulturleben stellte sie vor die Aufgabe, Institutionen zu gründen, die ihnen einen - wenn auch schwachen Ersatz - für die 5

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Dorniger Echo v. 22.2.1934. Vgl. auch: M. Andrzejewski: Uwagi ο dziejach Zydöw w Wolnym Miescie Gdansku w okresie mijdzywojennym. In: Biuletyn Zydowskiego Instytutu Historycznego w Warszawie. Warschau. Nr. 4.1979. Danziger Echo v. 22.2.1936.

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Theater zwischen 1933 und 1939 in der Freien Stadt Danzig verbotenen Kulturwerte schaffen sollten. Hinzu kam die Pflicht, für die aus ihren Berufen völlig ausgeschalteten Künstler zu sorgen. Die Bemühungen, Kunst durch Juden für Juden zu zeigen, stieß von Anfang an auf allergrößte Schwierigkeiten. Abgesehen von den langwierigen Genehmigungsverhandlungen waren auch die Hindernisse von Bedeutung, die sich aufgrund der vorgefundenen objektiven Situation ergaben. Ein eigenes jüdisches Kulturschaffen hatte es im deutschen Sprachraum vorher nicht gegeben, nur vereinzelte schwache Ansätze waren zu verzeichnen. Der Streit um deutsche oder jüdische Inhalte ging hoch her. Noch 1936 sprach der oben erwähnte Max Baumann zum Thema: „Loslösung von der deutschen Kultur?" Er setzte sich für „ehrliche Abgrenzung und dennoch Bekenntnis zur deutschen Kultur" ein. Die verstärkte Verweisung der jüdischen Künstler auf ihr Judentum führte aber dazu, daß sie sich vornehmlich auf die Traditionenjüdischer Kultur besannen und einen entsprechenden Stil zu entwickeln begannen. Die Landeskulturkammer der Freien Stadt Danzig ließ den jüdischen Bewohnern mit Danziger Staatsangehörigkeit fast volle Freiheit, was das Programmm und die Organisationsform ihrer kulturellen Arbeit betraf. Nach dem Muster Berlins wurde im Herbst 1933 der Kulturbund der Juden in Danzig gegründet. Am 22. Oktober nahm er seine Tätigkeit in der Großen Synagoge in einer „musikalischen Feierstunde" zu den Klängen Bachscher Musik auf. Der Kulturbund in Danzig war keine geschlossene Mitgliederorganisation. Auch Nichtmitglieder hatten Zutritt zu seinen Veranstaltungen. Die Zusammenstellung seines Programms war naturgemäß für die erste Saison ein tastender Versuch in einem unbekannten Gebiet. Die Zusammensetzung der jüdischen Gemeinde in der Freistadt brachte es mit sich, daß Veranstaltungen, die dem Empfinden der ostjüdischen Gemeinde etwas boten, besser besucht waren als andere Veranstaltungen. Im allgemeinen setzte sich das Programm des Kulturbundes aus wissenschaftlichen Vorträgen, Diskussionen über zeitpolitische Fragen, literarischen Lesungen, Konzerten und Theaterveranstaltungen zusammen. Besondere Bedeutung kam dem Bestreben zu, Kontakte zu jüdischen Wissenschaftlern, Schriftstellern und Künstlern zu finden. Die Kontakte zu anderen jüdischen Zentren - vor allem in Polen und in den baltischen Republiken - wurden natürlich auch gepflegt. Aus der Not der Zeit geboren, führte der Kulturbund der Juden in Danzig in den rund fünf Jahren seines Bestehens (1933 -38) zahlreiche Veranstaltungen durch, teils Lesungen und Rezitationen, teils Konzert- und Theateraufführungen. Erwin Lichtenstein, sein Geschäftsführer, weist in seinem Rückblick auf die Arbeit des Kulturbundes darauf hin:7 „Der Kulturbund erfüllte in Danzig eine Dopppelaufgabe: Belehrung und Unterhaltung. Die Aufgabe der Belehrung sollte durch Arbeitsgemeinschaften unter Leitung einheimischer Persönlichkeiten verwirklicht werden, in der Hoffnung, von Zeit zu Zeit Vertreter der .Mittelstelle für jüdische Erwachsenenbildung' aus dem Reich zu Gast zu haben. Auch das künstlerische Programm sollte durch die Art seines Aufbaus erzieherisch und bildend wirken. Das Jüdische sollte nicht nur in der Abstammung des Künstlers, sondern auch in der Abstammung des Programms zutage treten." Erst Anfang 1935 konnte vom Kulturbund (Organisator: Dr. Erwin Lichtenstein) der erste Theaterabend veranstaltet werden: unter der musikalischen Leitung von Henry 7

Erwin Lichtenstein: Der Kulturbund der Juden in Danzig 1933 - 1938. In: Zeitschrift ßr die Geschichte der Juden, Tel Aviv. 10. Jg. 1973, Nr. 1/2, S. 185.

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Boguslaw Drewniak Prins, dem in der Mottlau-Stadt ansässigen jüdischen Musiker mit holländischem Paß, bis 1933 Dirigent der Danziger Symphoniekonzerte und des Danziger Orchestervereins. Prins war von Anfang an künstlerischer Berater des Kulturbundes Danzig. Als Gäste aus dem Reich traten in den Hauptrollen Rita Atlasz vom Kulturbund Berlin und Emil Fischer auf. Emil Fischer, in den Jahren des Ersten Weltkriegs Mitglied des Danziger Stadttheaters und bis September 1934 am Nationaltheater in Weimar, führte auch Regie. Die Aufführung, die am 13. und 14. Januar 1935 in der neuen jüdischen Fest- und Turnhalle stattfand, wurde zu einem Riesenerfolg. La serva padrona von Pergolesi war die erste von jüdischer Initiative gebotene Opernaufführung seit der Isolierung jüdischen Kulturlebens. Nach La serva padrona brachte der Kulturbund im März 1935 noch eine weitere Theatervorstellung, nämlich das biblische Drama Der Brief des Uria von Emil Bernhard Cohn, einem Berliner Rabbiner. Dieses 1919 entstandene Schauspiel war von der Berliner jüdischen Künstlerhilfe dargeboten, mit Emil Walter und Fritz Leiden, der auch für die Regie verantwortlich zeichnete, in den Hauptrollen. Es war ein problematischer Versuch, und die Aufführung fand wenig Beachtung. Auf Einladung des Danziger Kulturbundes gastierten an der Mottlau auch andere jüdische Ensembles und Solisten aus dem Reich. Die jüdische Tourneebühne aus Berlin brachte deutschsprachige Aufführungen, und zwar Shakespeares Was ihr wollt und Komödie der Irrungen, das Lustspiel Ingeborg von Curt Goetz, Perez Hirschbeins Grüne Felder und Der Pojaz von Karl Emil Franzos. Ein jüdisches Ensemble aus Hamburg brachte Franz Molnärs Delila. Von Zeit zu Zeit kamen auf Einladung des Kulturbundes bekannte jüdische Solisten nach Danzig. Am 14.3.1934 trat der hervorragende Berliner Bariton Hermann Schey in einem klassischen Liederabend mit Werken von Händel bis Hugo Wolf auf. Die Beteiligung des Publikums war jedoch schwach. Im Mai 1936 kam Alexander Kipnis („neben Schaljapin größter Bassist der Welt", so hieß es in der Werbung) nach Danzig, der, begleitet von Günther Berent, die mit 1.300 „nichtarischen" und „arischen" Zuhörern überfüllte Sporthalle zu Beifallsstürmen hinriß. Im Dezember 1937 gab Alexander Kipnis ein zweites Gastspiel in Danzig. Unter den jüdischen Künstlern aus der Reichshauptstadt, die nach Danzig kamen, befand sich auch der bekannte Komiker Max Ehrlich. Aus Wien kam hin und wieder Dela Lipinska, um an Konzertabenden teilzunehmen (Lieder, Chansons). Sie begann bereits 1924 ihre künstlerische Karriere als unbekannte kleine Schauspielerin in Danzig und konnte sich später lange Zeit unter Max Reinhardt in ihrer Kunst zu einer Meisterin vervollkommnen. Ferner kamen Solisten aus Polen. In den Jahren 1934 bis 1935 kam der berühmte Tenor und Oberkantor der Tlomackie-Synagoge in Warschau, Moses Kusewicki, dreimal nach Danzig. Seine Gastspiele lösten beim jüdischen Publikum Begeisterung aus.8 Seit dem 20. Januar 1934 hatte der „Jüdische Club zu Danzig" seine Pforten in der Böttchergasse 23/27 geöffnet, der zwar in erster Linie geselligen und unterhaltenden Zwecken diente, aber seinen Saal mit einem Fassungsvermögen für 300 Personen oft künstlerischen und belehrenden Veranstaltungen zur Verfügung stellte, die sogar mit den Kulturbund-Abenden in gewissem Sinne konkurrierten. Seine Veranstaltungen mußten natürlich im Einverständnis mit der Danziger Landeskulturkammer durchgeführt werden. Der Club hatte sich zu einem überparteilichen Zentrum der jüdischen Ge8

Ebenda, S. 187.

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Theater zwischen 1933 und 1939 in der Freien Stadt Danzig

sellschaft entwickelt. Im Januar 1936 zog er in die neuen Räume in der Hansagasse 1 ein. Bereits im September 1933 stellte das Jüdische Gemeindeblatt in Danzig fest: „Im Gegensatz zu den anders gelagerten Verhältnissen in Deutschland wird es in Danzig zunächst nicht möglich sein, ein eigenes jüdisches Theater zu schaffen." In den folgenden Jahren wurde die Forderung nach einem ständigen jüdischen Theater immer wieder erhoben, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität. Doch waren die notwendigen Voraussetzungen dafür nicht gegeben. Es fehlten vor allem ausreichende finanzielle Mittel und ein eigenes Haus, das die für einen Theaterbetrieb wichtigen technischen und organisatorischen Bedingungen hätten sichern können. Ein weiterer Faktor war das Publikum. Während man im Reich mit einem jüdischen Publikum rechnen konnte, das im wesentlichen die gleichen Ansprüche stellte, standen sich in Danzig Geschmack und Interessensphären deutscher und östlicher Elemente gegenüber. Es wäre nicht leicht gewesen, dieser Lage gerecht zu werden und beide Teile zu befriedigen. Und doch kann man von der Existenz eines Jüdischen Theaters in Danzig sprechen, das den Anspruch erhob, kein Laientheater, sondern ein professioneller Bühnenbetrieb zu sein. Seine Anfänge fielen in das Jahr 1934 und waren mit Gästen aus Polen, der WLLNAER TRUPPE, verbunden. Organisatorische Hilfe fand das vom Simi (Symche) Weinstock geleitete Ensemble beim Hilfsverein E.S.R.A. Es wurden leichte Unterhaltungsstücke in jiddischer Sprache gegeben.9 Am 17.3.1935 begann eine unter Leitung von S. Weinstock stehende Gruppe ostjüdischer Künstler eine Reihe von Theaterabenden, in deren Mittelpunkt ein „Star"-Gast, Rudolf Zaslawski, stand. Der große Menschengestalter Zaslawski (er stammte aus der Ukraine) gehörte zu den prominentesten Vertretern jüdischer Bühnenkünstler. Ihm stand ein kleines Ensemble (u.a. Njusja Gold, Salomon Naumow, S. Weinstock und seine Frau Lola Silbermann, Hersch Glowinski) zur Verfügung. Diese Künstler hatten ihren Kollegen aus Deutschland eines voraus: ihr Publikum, das zu ihnen von vornherein in einem innigen Kontakt stand, und ihr Repertoire. Ob sie dramatisierte Romane von Scholem Alejchem oder Schalom Asch zur Vorstellung brachten, immer waren die dem Buch entstiegenen Gestalten dem ostjüdischen Publikum vertraut und lieb. Im Spielplan stand als erstes Stück Tewje der Milchiker, das nach dem Zweiten Weltkrieg eine Weltkarriere gemacht hat, und die dramatische Legende Der Dybbuk. Das Interesse an der DybbukAuffiihrung bestand auch in solchen Kreisen, die das Jiddische nicht beherrschten. Mit Rücksicht auf diesen Teil der jüdischen Bevölkerung veröffentlichte die jüdische deutschsprachige Zeitung Danziger Echo eine kurze Inhaltsangabe; die Aufführung wurde auch mit einleitenden deutschen Erläuterungen gegeben. Der nicht übermäßig starke Besuch verursachte, daß selbst bei diesem Werk die Premiere zugleich die letzte Aufführung sein mußte. Zasiawski, der eigentlich nur für ein paar Aufführungen gekommen war, blieb dann doch einige Zeit in Danzig, sogar als künstlerischer Leiter der JÜDISCHEN BÜHNE.

Das Ensemble hatte keine eigene Spielstätte, sondern mietete den erforderlichen Theatersaal zu bestimmten Aufführungen. Man spielte in der Sporthalle bzw. dem Werftspeisehaus der Schichauwerke, im Dom Polski („Polnisches Haus") und einige Zeit im Cafe „Krantor" (Breitgasse 83). Nach einer Rechtsverordnung wurde die öffent9

Vgl. Mieczyslaw Abramowicz: Teatr zydowski w Gdansku 1934 - 1938. In: Pamiftnik Teatralny, Warschau. 41. 1992, Η. 1 - 4, S. 423 ff.

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Boguslaw Drewniak liehe Veranstaltung von Theateraufführungen von der Genehmigung der Landeskulturkammer abhängig gemacht. Aber es gab keine politischen Probleme, da das Theater nur im Dienst der Unterhaltung stand. Die Schauspielertruppen wechselten, und es kamen immer neue Darsteller nach Danzig, so z.B. Samuel Naumow und Jonas Turkow, prominente Gestalten der jüdischen Theaterkunst. Auch das war problemlos. Theoretisch konnte jeder Ausländer, der sich durch einen gültigen Paß ausweisen konnte - ein Pole sogar mit Personalausweis - ohne jedes Visum nach Danzig einreisen. Die Einführung eines Visumzwanges für „nichtarische" Ausländer war nicht möglich, da Danzig keine eigenen Konsulate im Ausland hatte. Das Theater (JÜDISCHES THEATER, NEUE JÜDISCHE BÜHNE) litt ständig unter finanziellen Schwierigkeiten. Nicht selten spielte man vor halbleeren Häusern, und die Eintrittspreise hielten sich - unter größten Anstrengungen - in so niedrigen Grenzen, daß die Balancierung des Etats nur bei vollster Anteilnahme des Publikums möglich war. Die Appelle, das Theater durch regen Zuspruch aller Kreise zu unterstützen, fanden nur mäßig Beachtung. In diese Werbeaktion haben sich der „Verein zur Pflege des jüdischen Theaters" und sogar der konkurrierende Kulturbund eingeschaltet. Aber das Publikumsreservoir verminderte sich ständig. Wegen der Drohungen und antisemitischen Ausschreitungen ging die jüdische Bevölkerung der Freistadt ständig zurück. Es ist erstaunlich, schrieb das Jüdische Gemeindeblatt (1.10.1937), daß das Danziger Jüdische Theater bei einer verhältnismäßig niedrigen Anzahl von einheimischen Juden tätig sein kann. Im Dezember 1937 wurde von den Freunden des Theaters das .Jüdische Theaterkomitee" gegründet, das die Werbung und die Förderung des Theaters mit aller Energie in die Hand nahm. Die letzte nachweisbare Aufführung war das Lustspiel Himmel, wann stirbt er endlich? von Gottesfeld. Am 22. März 1938 veranstaltete man im Jüdischen Club einen feierlichen Abschiedsabend für den Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter Hersch Glowinski. Zum letzten Male trat er, zusammen mit Esther Gruber, Genia Schapiro und Mosche Kuprie vor dem jüdischen Publikum Danzigs auf.10 Literatur Erwin Lichtenstein: Der Kulturbund der Juden in Danzig 1933 -1938. In: Zeitschrift für die Geschichte der Juden, Tel Aviv. 10. Jg. 1973, Nr. 1/2, S. 181 -190. Archive Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Sammlungen Erwin Lichtenstein und Leo Salomon Theatermuseum der Hebräischen Universität Jerusalem, Sammlung Erwin Lichtenstein

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Jüdisches Gemeindeblatt, Danzig. 1938, Nr. 24.

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Werner Mittenzwei

Exiltheater in der Schweiz Unter den Schauspielern und Regisseuren, die 1933 in die Schweiz emigrierten, befand sich eine beachtliche Zahl jüngerer Bühnenkünstler. Für sie, die ihre Laufbahn noch vor sich hatten, war es wichtig, welche Bedingungen sie im Ausland vorfanden. Allein schon die Wahl des Exillandes konnte entscheidend sein. Zu ihnen gehörte Leopold Lindtberg, damals einer der jungen, aber schon vielbeachteten Regisseure. Als Hitler in die Wilhelmstraße einzog, soll er gesagt haben: „Das dauert lange!" Mit dieser Meinung dürfte er einer der wenigen gewesen sein, die die Lage so skeptisch beurteilten. Unter den Theaterleuten, selbst unter denen, die sich wegen ihrer politischen Haltung oder ihrer jüdischen Herkunft gefährdet fühlen mußten, meinten viele, die nationalsozialistische Herrschaft in nicht allzu langer Frist überstehen zu können. Sie packten nicht sofort ihre Koffer, sahen sich aber bereits nach Fluchtmöglichkeiten um. Während der alle Schichten erfassenden Euphorie für Hitler und sein neues Reich ging das Theaterleben vorerst selbst unter massiven Beeinträchtigungen und Verboten weiter. Am Hessischen Landestheater Darmstadt, das durch Gustav Härtung zu einer ersten Bühne geworden war, die auch mit den hauptstädtischen Theatern konkurrieren konnte, inszenierte Kurt Hirschfeld den Richter von Zalamea mit Ernst Ginsberg und Lilli Palmer. Leopold Lindtberg brachte nach dem 30. Januar 1933 noch zwei Premieren heraus, bevor er ins Elsaß auswich. Wolfgang Langhoff stand als Franz Moor in Lindtbergs vielbeachteter Räuber-Inszenierung in Düsseldorf auf der Bühne. Die politische Situation verschärfte sich schlagartig, als am 27. Februar der Reichstag brannte. Jetzt setzten Massenverhaftungen von Kommunisten und Sozialdemokraten ein. Nun blieb vielen keine Zeit, über günstige künstlerische Möglichkeiten außerhalb Deutschlands nachzudenken, sie mußten erst einmal ihr Leben retten. Die neuen Machthaber errichteten die ersten Konzentrationslager. Aussichtslos wurde die Lage für die jüdischen Schauspieler nach dem 7. April 1933, als das sogenannte „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" in Kraft trat. Gekündigt aus dem öffentlichen Dienst, gab es für sie auf den Bühnen des „Dritten Reiches" keine Chance mehr. Nunmehr begann die Welle der Verfolgung und der Emigration. Nicht überall vollzogen sich die „Säuberungen" so dramatisch wie in Darmstadt, wo der neue hessische Ministerpräsident vom Balkon des Landtages als erste Amtshandlung die fristlose Entlassung des Generalintendanten Gustav Härtung und dessen „rechter Hand" Kurt Hirschfeld verkündete. Im Büro des Dramaturgen im Düsseldorfer Schauspielhaus telefonierte Wolfgang Langhoff mit seinem Vater. Das Gespräch wurde abgehört, und Langhoff verschwand im Konzentrationslager Börgermoor. In Berlin trafen sich Leonard Steckel und Ernst Ginsberg bei der Gründungsversammlung des Jüdischen Kulturbundes. Julius Bab sprach über die noch verbliebenen Möglichkeiten der jüdischen Schauspieler. Die Kulturbundbühne sollte mit Nathan der Weise eröffnet werden. Beide waren sich einig, sie wollten nicht zurück ins Ghetto. Die verfemten Künstler suchten zunächst, die Zeit mit Gastspielen im Ausland zu überbrücken. Wolfgang Heinz, vom Preußischen Staatstheater gekündigt, begab sich nach Graz, Karlsbad, dann nach Holland. Hier erreichte ihn die Nachricht von der Er259

Werner Mittenzwei mordung des Schauspielers Hans Otto, mit dem er befreundet gewesen war. Teo Otto, der Ausstattungsleiter des Staatstheaters, wegen seiner kommunistischen Gesinnung verfolgt, telefonierte in höchster Not aus einer Telefonzelle im Ruhrgebiet mit dem Zürcher Schauspielhaus, ob man ihn nicht gebrauchen könne. Auch Schweizer Schauspieler, die an Bühnen des Reiches engagiert waren, kehrten in ihre Heimat zurück. Für Heinrich Gretler war der Zeitpunkt da, als bei einer Aufführung von Wilhelm Teil - er spielte den Pfarrer Rösselmann und Heinrich George den Teil - seine Kollegen beim Rütlischwur die Hand zum Hitlergruß erhoben. Nach der Vorstellung reichte er seine Kündigung ein und fuhr zurück nach Zürich. Hoffnung auf die deutschsprachigen Bühnen der Schweiz Die gefährdeten Theaterleute blickten voller Hoffnung auf die deutschsprachigen Bühnen des Auslands. Für die meisten von ihnen schien es unvorstellbar, sich in einer anderen Sprache ausdrücken zu müssen. Die Sprachbarriere durchbrachen nur ganz wenige Schauspieler. Als dauerhaftes Exil schied für viele Österreich schon deshalb aus, weil es als „anschlußverdächtig" galt. Die demokratischen Freiheiten waren auch hier schon weitgehend reduziert. Aber die Schweiz! Galt dieses Land doch als die klassische Stätte des Asyls. Hier hatten pazifistische Schriftsteller wie Leonhard Frank, Rene Schickele, Stefan Zweig, Klabund, Hugo von Hofmannsthal während des Ersten Weltkrieges eine Zuflucht gefunden. In diesem Lande glaubten sie am ehesten Verständnis für Menschen zu finden, die sich auf der Flucht befanden, die gejagt wurden. Die Bühnen der Schweiz waren trotz ihrer spezifischen Struktur Teil des reichsdeutschen Theaterlebens. Sie orientierten sich an den Bedingungen, die das deutsch-österreichische Theater bestimmten. Die Direktoren- und Intendantenposten wurden in der Regel von Deutschen besetzt. Auch in den Ensembles blieben die Schweizer bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges in der Minderheit. In der Spielzeit 1933/34 machte ihre Zahl nicht mehr als 5 Prozent aus. Aber 120 Schweizer Bühnenkünstler arbeiteten an reichsdeutschen Bühnen. Seit jeher galten die Theater in Zürich, Bern und Basel als beliebte Gastspielorte. Die Verbindungen des deutschsprachigen Theaters der Schweiz mit den Bühnen im Reich waren seit Jahrzehnten so eng, daß sich ein hier engagierter deutscher Schauspieler nicht im Ausland zu fühlen brauchte, denn was in der deutschen Provinz gespielt wurde, spielte man auch in Zürich, Bern und Basel. Aber dieser Zustand wurde von den Schweizern seit Beginn der zwanziger Jahre immer kritischer gesehen. Das Schweizer Theater sollte kein Abklatsch des deutschen Provinztheaters sein. Auch wollte man sich nicht mehr damit abfinden, daß in der Schweizer Literatur das Drama schlecht gedieh, daß ihre Dichter „Furcht vor dem Drama" (Bernhard Diebold) hatten. Der dominierende deutsche Einfluß wurde mehr und mehr als Überfremdung, ja als Bedrohung einer volksverbundenen Schweizer Kultur betrachtet. Die Losung von der „Verschweizerung" der Bühnen kam auf. Bald traten der Schweizerische Schriftstellerverein und der Schweizer Bühnenkünstlerverband mit organisatorischen Forderungen auf, über eine Quotenregelung den Anteil der einheimischen Künstler zu erhöhen. Die Bühnen sollten zu einer Pflegestätte der Dramatik des eigenen Landes werden und nicht mehr den Spielplan der deutschen Provinztheater kopieren oder die Boulevardstücke nachspielen, die in Berlin und Wien Erfolg hatten. Zu Beginn der Spielzeit 1933/34 verlangte der Schweizerische Schriftstellerverein unter Fe260

Exiltheater in der Schweiz lix Moeschlin gemäß des Beschlusses der Generalversammlung vom 30. September 1933, daß das Zürcher Schauspielhaus in der kommenden Spielzeit mindestens acht Stücke von Schweizer Autoren aufführen solle. Der Dramaturg des Theaters müsse ein Schweizer sein. Die Bühnen wollten zwar die künstlerischen Potenzen des eigenen Landes fördern, gaben aber zu bedenken, auch weiterhin auf eine beträchtliche Zahl deutscher Schauspieler, vor allem deutscher Opernsänger, angewiesen zu sein. Durchgesetzt wurde, daß ein deutscher Bühnenkünstler nur dann ein Engagement erhalten sollte, wenn keine gleichwertige eigene Kraft zur Verfügung stand. Die Politik der „Verschweizerung", die vor allem nach 1933 stärker einsetzte, hatte einen doppelten Aspekt. Einmal wurden dadurch organisatorische und bewußtseinsmäßige Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die vom nationalsozialistischen Deutschland angestrebte Gleichschaltung der deutschsprachigen Schweizer Bühnen nicht gelang und sich während des Zweiten Weltkrieges ein Bewußtsein der Selbstbehauptung und des Widerstandes gegen die faschistische Bedrohung herausbildete. Andererseits war diese Politik der „Verschweizerung" nicht frei von provinzieller Enge und Fremdenhaß. Ihre aggressivsten Vertreter blieben nicht unbeeindruckt von den nationalsozialistischen und rassistischen Losungen, die in Deutschland verkündet wurden. Vor allem gestaltete sich die „Verschweizerung" zu einem Instrument der Asylpolitik. Die Schweizer Flüchtlingspolitik wies mehrere Etappen auf, die jedoch bis 1944 bis zur absehbaren Niederlage des Faschismus - auf eine fortlaufende Verschärfung hinausliefen. Eine erste Veränderung trat ein, als Deutschland 1938 Österreich annektierte und die Juden zur Auswanderung zwang. Daraufhin verhandelte die Schweiz mit dem deutschen Außenministerium, um Mittel und Wege zu finden, unerwünschte Emigranten schon an der Grenze abweisen zu können. Diese Absprache bleibt ein dunkles Kapitel in der schweizerischen Flüchtlingspolitik. Mit Wirkung vom 19. September 1938 wurden alle deutschen Juden mit einem ,J"-Stempel im Reisepaß kenntlich gemacht. Als Deutschland 1939 mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg begann, vollzog sich abermals eine Verschärfung. Die Zahl der Zurückweisungen nahm zu. Begründet wurde diese Politik zuerst mit der Gefahr zunehmender Überfremdung, später vor allem mit dem Argument, die Schweiz gleiche einem „vollbesetzten Rettungsboot", deshalb könnten keine Flüchtlinge mehr aufgenommen werden. Selbst die Emigranten, die eine länger befristete Aufenthaltsbewilligung erhielten, mußten sich dem Arbeitsverbot unterwerfen. Im März 1940 gingen die Behörden dazu über, die Emigranten und Flüchtlinge in Lagern unterzubringen. Ein typischer Vertreter dieser offiziellen Politik war der Chef der Polizeiabteilung im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement Dr. Heinrich Rothmund, ein Mann von vaterländischer, nationalistischer Gesinnung, die von einem gefühlsmäßigen Antisemitismus bestimmt wurde. Doch selbst in seinem Dienstbereich gab es Beamte, die nichts unversucht ließen, den Emigranten zu helfen und ihnen ein Bleiberecht zu verschaffen. Dazu zählte die Beamtin der Zürcher Fremdenpolizei Elisabeth Birsinger. Im auffälligen Gegensatz zu ihrem Chef setzte sie sich dafür ein, daß Emigranten von der Ausweisung verschont blieben, daß sie eine Arbeitsmöglichkeit und damit ein Bleiberecht erhielten. Durch sie wurde es überhaupt erst möglich, daß die Emigranten am Zürcher Schauspielhaus die Papiere erhielten, mit denen sie über ein Jahrzehnt in der Schweiz wirken konnten. Das trug ihr die ehrende Bezeichnung „Engel der Emigranten" ein. „Aber keiner, 261

Werner Mittenzwei keine Giehse, Becker, kein Steckel, Kaiser, Otto, Parker, Lindtberg, Hirschfeld hätte in Zürich leben, geschweige denn arbeiten können, wäre die Birsinger nicht gewesen."1 In Zürich, das 1930 248.842 Einwohner zählte, gab es ein 1890/91 erbautes Stadttheater, das vornehmlich der Oper diente, und das Schauspielhaus auf dem Pfauenkomplex am Heimplatz, das sich seit 1926 im Besitz des Weinhändlers Ferdinand Rieser befand, der 1929 die Gesamtleitung des Hauses übernahm. Zu jener Zeit galt die Meinung, daß Zürich über ein neues, modern ausgerüstetes Stadttheater verfüge und über ein schlechtes Schauspiel. Im Pfauentheater, wie das Haus im Volksmund hieß, kam eine Inszenierung im Durchschnitt nicht über drei Aufführungen hinaus. Dabei gab es bereits unter der Direktion von Franz Wenzler (1891 - 1926) beachtliche künstlerische Anstrengungen. Wedekind, Schnitzler, Toller, Kaiser wurden hier aufgeführt. Berühmte deutsche Schauspieler wie Moissi, Kayßler, Bassermann, Wegener, Pallenberg, die Dorsch traten als Gäste auf. Ein reines Schwanktheater, wie oft behauptet wurde, war diese Bühne auch in ihrer Frühzeit nicht.2 Zu Veränderungen kam es, als Ferdinand Rieser den bisherigen künstlerischen Direktor Hermann Wlach entließ und er die Direktion selbst übernahm. Unter seiner Leitung änderten sich das Profil und das Ansehen der Bühne bereits vor 1933. Zunächst ließ er das Theatergebäude für die damals enorme Summe von 700.000 Franken umbauen. Aber auch im Spielplan setzte er neue Akzente. Er wollte die gepflegte Unterhaltung, die anspruchsvolle Boulevardkomödie mit großen Stars. So verpflichtete er aus Wien den damals sehr umschwärmten Theo Shall, einen Schauspieler, der „einen Frack vorzuführen verstand" und eine Atmosphäre vermittelte, die den Zuschauer annehmen ließ, der beste Platz auf der Welt sei der bürgerliche Salon. Damit wollte Ferdinand Rieser das bürgerliche Publikum Zürichs gewinnen, das bisher nicht allzuviel vom Theater hielt. Sein Haus gedachte er zu einem Treffpunkt der bürgerlichen Gesellschaft zu machen. Aber in seinen Ansprüchen ging er noch einen Schritt weiter. Verheiratet mit Marianne Werfel, der Schwester des berühmten Dramatikers, war er auf eine recht merkwürdige Art in das Theater vernarrt. Bei ihm verband sich eine robuste Kaufmannsmentalität, die auch der brutalen Züge des Frühkapitalismus nicht entbehrte, mit einer romantischen Liebe für den Künstler. Sein Theaterideal glich, für einen Direktor ganz ungewöhnlich, dem eines naiven Publikums, das für den jugendlichen Helden und Liebhaber schwärmt. Eine solche Einstellung führt meist in die Katastrophe. Doch Ferdinand Rieser sollte als Theaterdirektor in Zürich zu einer historischen Persönlichkeit, zu einer „buchenswerten" Erscheinung des Theaters nach 1933 werden. Das allerdings konnte sich zu Beginn der dreißiger Jahre noch niemand vorstellen, am allerwenigsten seine Schauspieler. Für den Schweizer Ferdinand Rieser brachten die deutschen Ereignisse von 1933 eine Wende, die er als seine Chance begriff. Die Emigranten am Zürcher Schauspielhaus Daß gefährdete Theaterleute wie Teo Otto bei Direktor Rieser anriefen und fragten, ob er sie engagieren könne, war nicht die Regel. Rieser selber hielt Ausschau nach berühmten Darstellern, die er jetzt billig einkaufen zu können glaubte. Gustav Härtung hatte nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 Deutschland verlassen und im Basler Radio eine Rede gehalten, in der er aufs schärfste die nationalsozialistische Führung kriti1 2

Cuit Riess: Engel der Emigranten. In: Tagesanzeiger. Zürich, 30. September 1975. Vgl. Herv6 Dumont: Das Zürcher Schauspielhaus von 1921 bis 1938. Lausanne 1973, S. 18.

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Exiltheater in der Schweiz sierte. Rieser verpflichtete ihn als Regisseur. Härtung machte seinen Direktor darauf aufmerksam, daß er einen Dramaturgen brauche, der sich in der neuesten dramatischen Produktion auskenne. Obwohl Rieser nichts von Dramaturgen hielt - was ihm ein solcher Mann empfehlen konnte, glaubte er auch von seiner Frau erfahren zu können ging er auf diesen Ratschlag ein. Kurt Hirschfeld, der seinen Aufenthaltsort geheimgehalten hatte, bekam einen Anruf, sofort nach Zürich zu kommen. Er hielt das für einen Witz. Aber der Mann aus Zürich sagte: „Nein, es ist kein Witz! Ich bin Ferdinand Rieser aus Zürich, Generaldirektor vom Zürcher Schauspielhaus!"3 Noch immer mißtrauisch, vereinbarte Hirschfeld, daß er nur dann nach Zürich komme, wenn bis zwölf Uhr das Reisegeld überwiesen werde. Bereits um elf Uhr war es in seinen Händen. Er fuhr nach Zürich und wurde der Spiritus rector der neuen Ära des Schauspielhauses. Fortan machte er Rieser auf Schauspieler aufmerksam, die in Deutschland keine Chance mehr besaßen, aber dem Theater am Heimplatz zum Erfolg verhelfen konnten. Drei Wochen nach Hirschfeld kam auf dessen Empfehlung Leopold Lindtberg nach Zürich. Von diesem jungen Regisseur erhoffte sich Rieser einiges. Vom Aussehen glich Lindtberg einem durchtrainierten Sportsmann, von dem Energie und Risikobereitschaft ausgingen. Ihn wollte Rieser bereits vor Jahren an sein Haus binden, als sein Name noch nicht so bekannt war. Damals bot er ihm 1.000 Franken monatlich, jetzt verpflichtete er ihn für 800 Franken. Zum Theater am Heimplatz stießen bereits in der Spielzeit 1933/34 die jüdischen Schauspieler Ernst Ginsberg, Kurt Horwitz und Leonard Steckel. Ginsberg hatte in Darmstadt, als er beim neuen nationalsozialistischen Kulturreferenten nachsuchte, seine Kündigung rückgängig zu machen, als Antwort erhalten: „Ja, mein Lieber! Das ist so, unsere kleinen Interessen müssen vor den größeren der rassischen Reinigung zurücktreten."4 Ginsberg, der sich wie Horwitz einem tätigen Katholizismus verpflichtet fühlte, stammte aus einem deutschnationalen Elternhaus, das nicht weniger auf Deutschland baute als die nationalsozialistischen Machthaber vorgaben. Zum Zürcher Ensemble stieß auch Erwin Kaiser, der ebenfalls Deutschland verlassen mußte. Wie Steckel hatte er bei Piscator gespielt. Kaiser verließ 1938 für einige Zeit Zürich und ging in die USA, ohne jedoch dort Fuß fassen zu können, und kehrte dann wieder nach Zürich zurück. Zu den Schauspielern, die Rieser schon früher engagieren wollte, gehörte auch Emil Stöhr, der Bruder von Karl Paryla. Paryla kam später nach Zürich, obwohl er zu den entlassenen Darmstädter Schauspielern um Gustav Härtung gehörte. Er ging in seine Heimatstadt Wien zurück, bis er 1938 auch dort vertrieben wurde. Emil Stöhr war beim ersten Angebot von Rieser noch in Breslau bei seinem Intendanten Paul Barnay geblieben. 1933 mußte er Breslau fluchtartig verlassen, denn die NS-Presse warf ihm vor, er sei als Melchthal in Wilhelm Teil mit dem Rotfrontgruß aufgetreten. Erwin Parker, Wolfgang Heinz und Wolfgang Langhoff waren die letzten in der Reihe der Neuverpflichteten. Auf einer Reise nach Wien bestellte sich Rieser den Schauspieler Wolfgang Heinz auf sein Hotelzimmer und ließ sich einige Rollen vorspielen. Er wurde sofort, sozusagen vom Hotelzimmer weg, engagiert. Auf Erwin Parker und Wolfgang Langhoff machte Lindtberg Rieser aufmerksam. Es gelang ihm, ein derartiges Interesse für Langhoff zu wecken, daß sich Rieser entschloß, Langhoff zu engagieren, als dieser sich noch als KZ-Häftling im Lager Börgermoor bei Papenburg befand. Auch 3 4

Kurt Hirschfeld: Zur Erinnerung. Ausstellungskatalog der Stadt Lehrte. 8. November 1985. Emst Ginsberg: Abschied. Erinnerungen, Theateraufsätze, Gedichte. Zürich 1965, S. 133.

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scheute er sich nicht, sich deswegen direkt an das Goebbels-Ministerium zu wenden. Am 12. Juli 1933 schrieb er nach Berlin: „Seit Jahren interessiere ich mich aus rein künstlerischen Gründen für Wolfgang Langhoff, der zuletzt am Düsseldorfer Städt. Theater engagiert war. - Nun erfahre ich, daß Genannter seit Beginn der nationalen Revolution im Konzentrationslager interniert sei. Langhoff soll sich in früheren Jahren kommunistisch betätigt haben; nach meinen Erkundungen soll im letzten Spieljahr von seiner Einstellung in politischer Hinsicht nichts zu merken gewesen sein; er habe sein Versprechen der politischen Nichtbetätigung laut unterzeichnetem Revers (gegenüber der Düsseldorfer Bühnenleitg.) voll gehalten. - Da uns der Schauspieler vom Fach des Langhoff fehlt, da eine politische Betätigung in meinem Betrieb (wie oben bereits erwähnt) nicht gestattet ist, würden wir es außerordentlich begrüßen, diesen wirklich guten Schauspieler an unsere Bühne verpflichten zu können."5 Langhoff kam frei. Riesers Brief dürfte jedoch dazu nicht beigetragen haben. Mit Hilfe des Schweizer Schriftstellers C. F. Vaucher und des Architekten Artaria gelangte er mit falschem Paß über die Grenze. Als sich Langhoff vorstellte, war Rieser enttäuscht. Dieser Mann entsprach keineswegs seinem Bild von einem Darsteller, der bei ihm die Rollen des jugendlichen Liebhabers spielen sollte. Vor ihm stand ein Mann mit ausgeschlagenen Zähnen, der noch alle Spuren der Haft, der Entbehrung und der Mißhandlung zeigte. Aber Rieser hielt zu ihm. Er verschaffte ihm den notwendigen Zahnarzt und bezahlte die Rechnung. Tatsächlich wurde Langhoff die faszinierende Künstlerpersönlichkeit, auf die sich das Interesse des Publikums richtete; allerdings bewirkte er das auf eine andere Weise, als sich Rieser das wohl vorgestellt hatte. Nach noch nicht einmal einem Jahr verfügte das Zürcher Schauspielhaus über Darsteller, die in dieser Qualität und Anzahl früher gar nicht denkbar gewesen wären. Anfangs wurde noch ein wenig polemisch von dem „Emigrantenensemble" gesprochen, obwohl das gerade in der ersten Spielzeit nach den Ereignissen in Deutschland gar nicht so ausschließlich zutraf. Im Hause spielten die Schweizer Heinrich Gretler und Leopold Biberti, die aus Deutschland wieder in ihre Heimat überwechselten. Auch Hermann Wlach, der schon einmal künstlerischer Direktor an diesem Theater gewesen war, gehörte zum Ensemble. 1933/34 hatte Rieser auch Leny Marenbach und Gusti Huber unter Vertrag, die später im nationalsozialistischen Film Karriere machten. Obwohl das Schauspielhaus mit Gustav Härtung und Leopold Lindtberg über bekannte Regisseure und Schauspieler aus den deutschen Theatermetropolen verfügte, begann die neue Ära nicht mit einem Paukenschlag. Lindtberg inszenierte in der ersten Zeit belanglose Unterhaltungsstücke, wie sie seit eh und je in Riesers Spielplan dominierten. Später stellten sich erste größere Publikumserfolge mit Stücken wie Menschen in Weiß von Sidney Kingsley und Die erste Legion von Emmet Lavery ein. Spielte Menschen in Weiß im Milieu eines großstädtischen amerikanischen Krankenhauses, machte Lavery sein Publikum mit den Problemen eines Jesuitenkollegs in den USA bekannt. In dem einen Stück stellte sich Wolfgang Langhoff erstmals in einer großen Rolle dem Zürcher Publikum vor, das andere brachte für Leonard Steckel den Durchbruch als Regisseur. 5

Ferdinand Rieser: Brief an Minister Hinkel. Ministerium für Propaganda, vom 12. Juli 1933. In: Theater im Exil 1933 - 1945. Akademie der Künste. Berlin 1973, S. 66. (Rieser verwendete die Anrede Minister, Hinkel war jedoch nicht Minister.)

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Exiltheater in der Schweiz Internationale Beachtung und eine stürmische Resonanz im Publikum fand das Theater mit der Aufführung von Die Rassen von Ferdinand Bruckner und Professor Mamlock von Friedrich Wolf, das man in Zürich unter den Titel Professor Mannheim spielte. In beiden Stücken ging es um die Rassendiskriminierung und Judenverfolgung im „Dritten Reich". Für Bruckner waren sie mehr ein moralisches Problem, „ein Gespensterkampf auf beiden Seiten", mit „tödlichen Folgen" für beide Seiten, wie es im Stück hieß. Daß sich die Schweizer von diesem Stück durchaus angesprochen fühlten, bewies die Uraufführung am 30. November 1933. Die Rolle der Helene wurde von Sybille Binder gespielt. Die Hauptrolle des jungen Karlanner, der mitschuldig wird an der Verfolgung seines jüdischen Freundes, spielte Emil Stöhr. Der Schauspieler Ernst Ginsberg, der in der Rolle des Siegelmann darzustellen hatte, was Juden in Deutschland zu erdulden hatten, berichtete über diesen denkwürdigen Theaterabend: „Die innere Spannung, in der ich mich während der Premiere befand, war fast unerträglich. Und dann kam eine Stimme von der Galerie; es war, wie ich später erfuhr, ein junger Schweizer, dem es unfaßlich erschien, daß er ein solches mit sich geschehen ließ. Er rief, er flehte mich an: .Siegelmann, so hilf dir doch!' Es war der Einbruch der Zeit ins Theater."6 Zur Uraufführung waren all die gekommen, denen zu Premieren in Berlin kein Platz mehr zugestanden wurde oder die dort keinen mehr einnehmen wollten: Thomas Mann und Franz Werfel, Leonhard Frank und Bruno Walter, Max Pallenberg und Alexander Moissi, Ernst Deutsch und Grete Mosheim. Fast genau ein Jahr später erfolgte die Premiere von Friedrich Wolfs Professor Mannheim. Wolfs Stück trug die Diskussion vom Theater auf die Straße, aus dem theatralischen Erlebnis wurde die politische Aktion. Nicht schlechthin gegen den Antisemitismus wollte Wolf sich wenden, sondern gegen den Faschismus in seiner Gesamtheit. In der Zürcher Aufführung unter der Regie von Leopold Lindtberg spielte Kurt Horwitz den Mannheim. Die Rolle des forschen Gegenspielers von Mannheim, des ganz den Nationalsozialisten ergebenen Dr. Hellpach, übernahm Heinrich Greif, für den die Rolle ja geschrieben war. Dieser Schauspieler, der so aussah, wie die Nazis auszusehen wünschten, wirkte außerordentlich sympathisch, gab aber dieser Figur scharfe, aggressive Züge, ohne sie zum bloßen Schurken zu machen. Selbst an dieser Gestalt wurde noch der Grad der Verführung sichtbar. Eine theatergeschichtliche Leistung! Doch als unvergeßlicher Eindruck blieb bei allen, die diese Aufführung sahen, ein Satz, den Leonard Steckel als jüdischer Krankenpfleger Simon zu sprechen hatte. Als Mannheim, der sich immer auf seine deutschnationale Haltung beruft, nichts mehr begreift, sagt der Pfleger zu seinem Professor: „S'e woll'n uns nicht!" Der große Erfolg des Wolf-Stückes in Zürich rief die Kräfte auf den Plan, die mit der neuen Bewegung in Deutschland sympathisierten. Die schweizerischen Faschisten, die Frontisten, sahen hier einen Anlaß, gegen die Emigranten im Schauspielhaus vorzugehen. Es kam zu Demonstrationen vor dem Theater mit dem Versuch, die Vorstellung zu verhindern. In diesen politischen Kämpfen um das Stück nahm Ferdinand Rieser eine konsequente Haltung ein. So sehr ihm auch die deutsch gesinnte Presse zusetzte, er gab nicht nach und schöpfte alle Möglichkeiten aus, um das Stück durchzusetzen. Als die Frontisten, die im Theaterrestaurant „Zum Pfauen" ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatten, mit Gewalt gegen die Künstler vorgehen wollten, tat er alles, um sie zu schützen. Er 6

Cuit Riess: Sein oder Nichtsein. Zürich 1963, S. 90.

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Werner Mittenzwei verlangte auch von allen Ensemblemitgliedern, sich für die Stücke von Wolf und Bruckner einzusetzen, und drohte jedem mit Entlassung, der sich abzugrenzen versuchte. Dadurch erreichte er ungewollt, daß das Zürcher Schauspielhaus zu einer ausgewiesen antifaschistischen Institution wurde. Künstler, die sich nicht von Hitlerdeutschland lossagen wollten, verließen bald diese Bühne. Zu der Mannheim-Premiere kam aus Deutschland auch Hans Albers, der, wie später in Dänemark, sich Stücke der Emigranten nicht entgehen ließ. Er verlangte aber von Lindtberg eine Loge, wo er sich ein wenig zurücklehnen konnte. Am Schluß der Aufführung sagte er ironisch: „Das wäre ein prima Stück für uns."7 Der Erfolg mit Werken antifaschistischer Emigranten setzte sich jedoch in dieser Weise nicht weiter fort, obwohl sich Rieser nach wie vor um diese Stücke bemühte. Innerhalb seiner Direktion von 1933 bis 1938 brachte er neunzehn Werke von Exilautoren zur Aufführung. Else Lasker-Schülers poetisches Schauspiel Arthur Aronymus in der bezaubernden Ausstattung von Teo Otto wurde ein eklatanter Mißerfolg. Während Wolfs Mannheim es auf eine hohe Aufführungszahl brachte, erreichte das Stück der LaskerSchüler nur zwei Vorstellungen. Die Dichterin blieb nicht in der Schweiz. Die Polizeidirektion Zürich, Abteilung Fremdenpolizei, versagte ihr bereits 1934 das Asylrecht. Ihr wurde mitgeteilt: „Die Notwendigkeit eines langfristigen Aufenthalts kann nicht nachgewiesen werden. Es bestehen zudem berechtigte armenrechtliche Bedenken. Der obengenannten Person wird der Aufenthalt im Kanton Zürich verweigert. Zum Verlassen des zürcherischen Kantonsgebiet wird ihr eine Frist bis 15. November 1934 angesetzt."8 Schwer tat sich das Schauspielhaus mit den Klassikern, obwohl die Inszenierung von Maß für Maß durch Gustav Härtung bei Eröffnung der Spielzeit 1933/34 bereits gezeigt hatte, daß aktuelle Anliegen auch in alten Stücken ausgedrückt werden konnten. Erst als Lindtberg mit Molieres Der eingebildete Kranke und Kleists Der zerbrochne Krug beim Zürcher Publikum gut ankam, ließ sich Rieser überzeugen, daß man auch mit Klassikern ein volles Haus haben könnte. In der Spielzeit 1933/34 kam es zu acht Klassiker-Aufführungen, darunter Richard III. in der Regie von Gustav Härtung mit Albert Bassermann in der Titelrolle. Die Kritik bestätigte dem Hause, daß mit Härtung, Bassermann und Teo Otto der Schritt zum internationalen Format gewagt werden konnte. Durch diese Inszenierungen vollzog sich eine Entwicklung in Regie und Schauspielkunst, die dann während der Zeit des Zweiten Weltkrieges zu Aufführungen von theatergeschichtlicher Bedeutung führte. Gustav Härtung verließ 1934 das Schauspielhaus. Trotz seiner Erfolge kam er mit Rieser nicht aus, der ihn folgendermaßen charakterisierte: „Herr Härtung - am Morgen Bad, Massage, Maniküre, dann Tennis, dann Lateinunterricht; nur inszenieren tut er nicht!"9 Ganz so wird sich der Tagesverlauf eines Emigranten nicht abgespielt haben. Wahrscheinlicher ist, daß sich Härtung nicht in Riesers Inszenierungsmaschinerie einbinden ließ. Auch Kurt Hirschfeld ging 1934 weg; zuerst als Lektor zum Verlag Emil Oprecht, dann von 1935 bis 1938 als Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung nach Moskau. Dieser Verlust hätte sich sehr nachteilig auswirken können, denn über Hirsch7 8

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Leopold Lindtberg: Gespräch mit Werner Mittenzwei, 27. November 1982 Burgtheater Wien. Über die Grenzen. Alltag und Widerstand im Schweizer Exil. Ausstellungskatalog der „Studienbibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung". Zürich 1988. Hans J. Weitz: Darmstadt - Zürich und zurück: Verbindungen und Perspektiven. In: Ausgangspunkt Schweiz. Nachwirkungen des Exiltheaters. Herausgegeben von Christian Jauslin und Louis Naef. Willisau 1989, S. 30.

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Exiltheater in der Schweiz feld wurden die Stückvorschläge an Rieser herangetragen und wurde die Spielplanpolitik gemacht. Aber Hirschfeld büeb dem Theater verbunden und beriet seine Kollegen auch weiterhin. Außerdem gab es am Theater einen sogenannten Gentlemen's-Agreement-Kreis, von dem aber Rieser und auch ein Teil der Kollegen nichts wußten. Dieser Kreis bestand hauptsächlich aus Künstlern, die der Kommunistischen Partei Deutschlands angehörten und am Schauspielhaus eine Zelle bildeten. Dazu gehörten Wolfgang Langhoff, Wolfgang Heinz, Teo Otto, Karl Paryla und Erwin Parker. Sie betrachteten ihre Tätigkeit am Zürcher Schauspielhaus nicht nur als eine Möglichkeit des Überlebens, sondern als eine Form des Widerstands gegen den Hitlerfaschismus. Während sie sich aller politischen Äußerungen gegen das Gastland Schweiz enthielten, versuchten sie, mit ihren Mitteln die Gefahr deutlich zu machen, die vom deutschen Faschismus ausging. Sie standen in Verbindung mit anderen Widerstandsgruppen in und außerhalb der Schweiz. Vor allem aber betrachteten sie es als ihre Aufgabe, mit der richtigen Wahl der Stücke Wachsamkeit und politisches Bewußtsein zu wecken. Unter Riesers Direktion gab es Arbeitsbedingungen, die nur durch gegenseitige Solidarität erträglich gestaltet werden konnten. Die Schauspieler erhielten Achtmonatsverträge. Drei Monate des Jahres blieben sie brotlos. Ginsberg wurde zuerst auf jeweils 14 Tage engagiert. Parker und Paryla erhielten nur Stückverträge. Schauspieler, die für das sogenannte Sommertheater einen Monat mehr im Jahr verpflichtet wurden, gaben einen Teil ihrer Gage ab, um die nichtverpflichteten Kollegen in der „brotlosen" Zeit zu unterstützen. Wie eine Woche am Schauspielhaus ablief, schildert Wolfgang Heinz: „Am Donnerstag war Premierentag. Am Freitag war man um 9.00 Uhr da, auch wenn man nach der Premiere bis vier gesoffen hatte. Am Freitag war die Arrangierprobe. Dabei unterbreitete der Regisseur gewöhnlich schon einige Vorschläge und entwikkelte das Skelett seiner Inszenierungsabsicht. Am folgenden Tag fand die Stückprobe statt. Das hieß, man mußte den Text beherrschen. Mindestens aber einen Akt. Sonnabend kam der zweite Akt. Am Montag mußte das Stück durchprobiert sein. Am Dienstag fand die erste Durchlaufprobe statt. Am Mittwoch Durchlaufprobe. Donnerstag war Generalprobe und Premiere."10 Welche Belastung das für jeden einzelnen bedeutete, erzählt Emil Stöhr: „Wir haben von halbneun bis um sechs gearbeitet, ohne Mittagspause. Dann ging man nach Hause, hat schnell etwas gegessen und ging wieder in die Vorstellung. Im ersten Jahr habe ich dreißig Rollen gespielt in neun Monaten. Man hat sich nach der Vorstellung mit Kaffee hingesetzt und gelernt bis zwei oder drei. Dann hat man Schlaftabletten genommen [...], und hat dann vier oder fünf Stunden geschlafen, dann ging man wieder zur Probe."11 Unter diesen Bedingungen wären junge Schauspieler, wäre nicht die Solidarität der Kollegen gewesen, zusammengebrochen. Wolfgang Heinz meinte, nur eine habe es unter diesen Umständen geschafft, eine große Schauspielerin zu werden: Maria Becker. Anfang 1938 verbreitete sich in Zürich die Nachricht, daß Ferdinand Rieser beabsichtige, die Schweiz zu verlassen. Beunruhigt waren vor allem die exilierten Künstler; denn der Verlust ihrer Arbeitsstelle bedeutete für sie auch den Verlust der Aufenthaltsgeneh10 11

Wolfgang Heinz: Gespräch mit Werner Mittenzwei vom 18. März 1976. Tonbandaufzeichnungen. In: Ausgangspunkt Schweiz, a.a.O., S. 220.

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Werner Mittenzwei

migung. Und dann, wohin? Die Gründe, die Rieser veranlaßten, das Theater aufzugeben, sind bis heute nicht restlos aufgeklärt; denn eine allgemeine Theatermüdigkeit ließ sich bei ihm nicht feststellen. Sein Haus hatte in den letzten Jahren ständig an Ansehen gewonnen. Auch finanziell lag kein Grund vor: Das Theater schloß noch immer mit einem Gewinn ab.12 Der Mann, der bis zuletzt eine erstaunliche Zivilcourage bewies und den auch Beschimpfungen und Drohbriefe nicht einzuschüchtern vermochten, muß massiv unter Druck gesetzt worden sein, oder er unterlag einfach der allgemeinen Angst, von den politischen Ereignissen überrollt zu werden. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Österreich verstärkte sich das Gefühl für die Bedrohung, die vom nationalsozialistischen Deutschland ausging. Rieser verpachtete das Theater und ging erst nach Paris, dann in die USA. Basel - Theater an der Grenze zu Deutschland Ein nicht minder begehrter Zufluchtsort als Zürich war Basel, die Stadt an der Grenze. Sie besaß nicht nur ein Theater, das seit jeher deutsche Künstler beschäftigte, auch ein Teil seines Publikums kam über die Grenze.13 In der Stadt lebten 1936 15.476 Deutsche, 1945 noch immerhin 7.800. Ganze Vorstellungen des Stadttheaters wurden von der deutschen Gemeinschaft gekauft. Ein nicht geringer Teil muß jedoch sehr positiv gegenüber Hitlerdeutschland eingestellt gewesen sein, wenn auch amtliche Berichte nur drei bis vier Prozent als nationalsozialistisch gesinnt angeben. Für die antifaschistischen Flüchtlinge erwies sich das politische Klima dieser Stadt als nicht besonders günstig, obgleich die Behörden sich hier gegenüber den Emigranten aufgeschlossener verhielten als in anderen Teilen der Schweiz. Doch das nationalsozialistische Deutschland beobachtete genau, was in dieser Stadt und an seinem Theater vor sich ging. Wenn dem großen Nachbarn etwas nicht paßte, kam das sofort in Bern unter Protest zur Sprache. Direktor des Stadttheaters war seit 1932 Egon Neudegg, ein Deutscher, vorher Intendant der Städtischen Bühnen Magdeburg. Er hat es bei den Schweizern in schwierigen Jahren lange ausgehalten, wohl auch deshalb, weil er als pflichtbewußter, korrekter Beamter galt, der viel Verständnis für die „Schweizer Art" zeigte. Die bei ihm beschäftigte Schauspielerin Gertrud Ramlo bezeichnete ihn als einen „letztklassigen deutschen Provinzdirektor und fürchterlichen Regisseur", der sich mit Regieanweisungen wie „Machen Sie doch so ein Gesicht wie die Elisabeth Bergner"14 begnügte. Sein Talent, das nicht gering veranschlagt werden soll, bestand in vorsichtigem Taktieren nach allen Seiten. Er wich geschickt dem nationalsozialistischen Druck aus, wenn auch nicht ohne Kompromisse. Er arrangierte sich mit den Basler Behörden, aber sein Haus blieb den Emigranten nicht verschlossen. Um diesen Balanceakt zu bewältigen, mußte er einem völlig unpolitischen Spielplan, einer unpolitischen Kunst das Wort reden. Doch das ent12

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Einen Hinblick in die finanziellen Verhältnisse des Schauspielhauses in Hinsicht auf Ausgaben und Gewinn gibt: Hervi Dumont: Das Zürcher Schauspielhaus von 1921 bis 1938, a.a.O., S. 143. Während sich das Interesse der Exilforschung vorwiegend auf das Zürcher Schauspielhaus richtete, wurde Basel weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Situation hat sich mit dem 1995 erschienenen Buch von Thomas Blubacher geändert (Thomas Blubacher: Befreiung von der Wirklichkeit? Das Schauspiel am Stadttheater Basel 1933 - 1945. Basel 1995). In dieser umfangreichen Studie sind alle Aktivitäten deutscher und österreichischer Emigranten am Schauspielhaus festgehalten. Biographische Angaben korrigieren und ergänzen frühere Forschungen. Thomas Blubacher: Befreiung von der Wirklichkeit? A.a.O., S. 184.

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Exiltheater in der Schweiz sprach seiner eigentlichen Haltung, war nicht durch die Umstände erzwungen. Frei von jeglicher politischen Farbe sollte das Theater in Basel sein und „nur um seiner selbst willen gepflegt werden". Obwohl Neudegg Emigranten von künstlerischem Format an sein Theater holte, vermochte er diesem Hause kein Profil zu geben. In Basel spielten kaum geringere künstlerische Kräfte als in Zürich, aber sie blieben meist nicht lange. Sie lösten einander ab wie auf einer Gastspielbühne. Das Gästeprinzip beherrschte das Theater, im Schauspiel gleichermaßen wie in der Oper. Als Gäste traten nicht nur die Emigranten auf, auch Schauspieler aus Hitlerdeutschland. Vor allem den Regisseuren, die dem Hause hätten Profil geben können, wurden hier nur wenige Spielzeiten gegönnt. Entwicklungen kamen hier kaum zustande, sondern es wurde früher Erworbenes vorgeführt. 1934 gastierte der Regisseur und Schauspieler Carl Ebert, vor dem Januar 1933 Intendant der Berliner Städtischen Oper, in Basel. Er spielte die Titelrollen in Wilhelm Teil und Florian Geyer, inszenierte Shaws Candida, Kleists Amphitryon, Schillers Kabale und Liebe und die Erstaufführung von Emmet Laverys Erster Legion, in der Oper Verdis Macbeth. 1936 verließ er Basel. Dabei wäre gerade er für das Haus mit den auferlegten Zwängen die Lösung gewesen. Obwohl ein entschiedener Hitlergegner, vertrat er in der Kunst keinen kämpferischen Antifaschismus wie etwa sein Kollege Gustav Härtung. In Bern wie in Basel hätten sich die Regierenden mit Ebert arrangiert, wenn er nur gewollt hätte. Damals dürfte sich Ebert noch nicht entschieden haben, mit Hitlerdeutschland völlig zu brechen. Mit der unpolitischen Spielplangestaltung Neudeggs wäre er zurecht gekommen. Doch Ebert schien sich anderswo größere Chancen auszurechnen. Mehr als eine Saison (1933/34) wurde auch Alwin Kronacher nicht zugebilligt. Ihn hatte man als Leiter des Frankfurter Schauspielhauses im Mai 1933 entlassen. „Die Maßnahme ist begründet", hieß es in seinem Entlassungsschreiben, „weil Sie nach der undeutschen Gestaltung des Spielplans [...] sowie nach Ihrer nichtarischen Abstammung nicht die Gewähr dafür bieten, daß Sie jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintreten." 15 Kronacher hatte 1923 in Leipzig Brechts Baal uraufgeführt. Auch er bestand auf keiner betont antifaschistischen Haltung. Seinen Einspruch gegen seine Kündigung begründete er damit, daß er kommunistische Schauspieler entlassen und nur eine jüdische Schauspielerin beschäftigt habe. Kronacher inszenierte in Basel vorwiegend Klassiker (Viel Lärm um nichts, Julius Cäsar, Minna von Barnhelm, Wallenstein), aber sein Wirken hinterließ keine Spuren. Er bemühte sich noch um Gastinszenierungen, die man ihm jedoch nicht gewährte. 1934 ging er nach Paris, 1939 in die USA. Obwohl er in Paris noch einmal inszenierte, war mit seinem Abschied von Basel seine Karriere als Regisseur beendet. Ein ähnliches Schicksal wie Kronacher erlitt Hermann Vallentin, „der prominenteste der ersten Emigranten" (Thomas Blubacher), der 1933 als Schauspieler und Leiter der Operette nach Basel kam. Vielfältig beschäftigt, allerdings auch mit Aufgaben, die er in Berlin als Zumutung empfunden hätte, blieb diese Stadt für ihn die letzte Station vor dem Abstieg. Gegen ihn intrigierten Schweizer Kollegen, die ihre Möglichkeiten durch die Emigranten bedroht sahen. Sein Vertrag wurde Ende der Spielzeit 1933/34 nicht verlängert. Er, der einst unter berühmten Regisseuren gespielt und mit den Großen seiner 15

Albert Richard Mohr: Das Frankfurter Schauspiel 1929 - 1944. Frankfurt a. M. 1974, S. 77.

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Werner Mittenzwei Zeit auf der Bühne gestanden hatte, gastierte nun an kleinen Bühnen, bis er vor Kriegsbeginn nach Palästina auswanderte. Vom Zürcher Schauspielhaus wechselte nach zwei Spielzeiten Alfred Braun nach Basel und blieb hier bis 1936. Er, der die Fronten so oft wechselte, ist am schwersten einzuordnen. Den Hörspielpionier und Rundfunksprecher brachten die Nazis in das KZ Oranienburg. Der Sozialdemokrat und Hitlergegner emigrierte in die Schweiz, in die Türkei, kehrte nach Deutschland zurück, diente Hitler als Kriegsberichterstatter und Drehbuchautor für Veit Harlan. Nach Kriegsende war er zuerst im Rundfunk im sowjetischen Sektor von Berlin tätig, übersiedelte dann in den Westteil der Stadt und wurde Chef des Senders Freies Berlin. Sooft er auch die Seiten wechselte, fühlte sich jedoch keine von ihm verraten. Doch auch in dieser Besonderheit gehört er zur Emigration. Bei Rieser in Zürich hatte er es satt, immer nur kleine Rollen zu spielen. Als er eine ablehnte, entließ ihn Rieser. Auch in Basel blieb er nicht lange. 1937 ging er als Lehrer der Schauspielakademie nach Ankara. Trotz aller Einsprüche und Boykottmaßnahmen, mit denen sich Berlin störend bemerkbar machte, beschäftigte das Stadttheater Emigranten bis Kriegsende, wenn auch nicht so kontinuierlich über zwölf Jahre hinweg wie in Zürich. In Basel spielten die Emigranten Friedrich Schramm, Gertrud Ramlo, Kurd Ε. Heyne, Friedl Wald. Obwohl Neudegg von dem Angebot berühmter Regisseure und Schauspieler, die nicht mehr in Deutschland arbeiten durften, Gebrauch machte, gelang es ihm nicht, dem Theater zu einem höheren Niveau zu verhelfen. Das führte dazu, daß man sich fragte, ob in Basel unbedingt ein Theater notwendig sei, ob nicht eine Fusion mit Zürich zweckmäßiger wäre. Immer schien die Existenz dieses Theaters gefährdet. 1937 besann man sich auf einen Mann, der im Mai 1933 schon einmal in Basel inszeniert hatte, auf Gustav Härtung. Ihm traute man zu, dem Theater das nötige Niveau zu verschaffen. So unumstritten sein künstlerischer Ruf war, so riskant schien es, diesem streitbaren antifaschistischen Künstler eine leitende Stellung anzuvertrauen. Mehr als mancher emigrierte Politiker hatte er gleich nach seiner Flucht aus Deutschland Goebbels den Kampf angesagt. Obwohl er weder Jude noch Marxist war, sahen die Nazis in ihm den typischen „Kulturbolschewisten". 1934 nahm Härtung gegen die Gleichschaltung der von ihm gegründeten Heidelberger Festspiele durch Goebbels Stellung: „Ich protestiere dagegen, daß deutsche Schauspieler unter der Schirmherrschaft des Schänders von Stefan Georges Namen, Freundverräters, Mordaufwieglers und Mordgesellen Josef Goebbels auftreten, der einen der ihren und edelsten, einen Hans Otto, erschlagen ließ [...]"16 Er schrieb auch an Heinrich George, den die Nationalsozialisten zum Star ihrer Heidelberger Festspiele machten. In dem Brief stand der Satz: „Wer sich vor Mördern verbeugt, wird selbst zum Mörder."17 Heinrich George unterbreitete das Schreiben pflichtschuldig Goebbels. Darauf diktierte Goebbels Heinrich George die Antwort: „Wenn Sie zurückkommen, werden Sie nicht eingesperrt - Sie werden gevierteilt."18 Härtung wandte fer16

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Gustav Härtung: Brief an Professor Lieb vom 28. Juli 1945. Archiv der Akademie der Künste. Sammlung Theater im Exil 1933 - 1945. Edward Rothe: Gustav Härtung. Sender Luxemburg. 19. August 1945, angeschlossen die Sender der MilitärRegierung Frankfurt, Stuttgart, München. Passena for Publication: 151./20.8.1945. gez. Shaef/Field Press Censor. Archiv der Akademie der Künste. Berlin. Sammlung Theater im Exil 1933 - 1945. Ebenda.

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Exiltheater in der Schweiz ner viel Aktivität auf, indem er an die antragsberechtigten Persönlichkeiten appellierte, sich für die Verleihung des Friedensnobelpreises an Carl von Ossietzky zu verwenden. Nach seinem Weggang von Rieser wählte ihn der Verwaltungsrat des Berner Stadttheaters zum Direktor. Dagegen protestierte sofort der deutsche Gesandte in Bern, Ernst Freiherr von Weizsäcker. Aber auch der Schweizerische Schriftstellerverein und der Schweizerische Tonkünstlerverband stellten sich dagegen. Nachdem noch die Fremdenpolizei Einspruch erhoben hatte, mußte die Berufung annulliert werden. Daß man sich in Basel für Gustav Härtung als Oberspielleiter entschied, war mutig; denn die Schweizer Gremien wußten, was auf sie zukam. Auch Neudegg geriet in eine schwierige Lage. Als Regisseur und in allen künstlerischen Belangen sah er sich von Härtung an die Wand gedrückt und mußte außerdem noch den Einspruch der neutralitätsbewußten Schweizer Kreise und des Goebbels-Ministeriums befürchten. Die Presse im eigenen Land fragte schon bösartig: „Erhält Basel ein Emigrationstheater" (Basilisk, 16. April 1937)? Die Gegenmaßnahmen von Goebbels ließen nicht lange auf sich warten. Das Reichspropagandaministerium untersagte Gastspiele in Basel, was besonders die Oper empfindlich traf. Goebbels verhängte einen Boykott über das Theater, der erst nach der Ablösung Hartungs aufgehoben wurde und wesentlich dazu beitrug, daß Härtung gehen mußte. In den beiden Spielzeiten 1937/38 und 1938/39, in denen Härtung 30 Inszenierungen (Thomas Blubacher) des Schauspiels, der Oper, der Operette herausbrachte, gelang es ihm, dem Theater wieder zu künstlerischem Ansehen zu verhelfen. Um so deutlicher zeichnete sich die Krise nach seinem Weggang ab. Er inszenierte das Stück Talleyrand und Napoleon des 1933 emigrierten Hermann Kesser mit Albert Bassermann als Talleyrand, bevor für diesen großen Schauspieler die USA zum neuen Exilland wurden. 1938 schickte das Goebbels-Ministerium den Kulturreferenten Ernst Kühnly nach Basel. Er gab seinem Dienstherrn über die Verhältnisse am dortigen Theater folgenden Bericht: „Durch die Sperre deutscher Künsüer sowohl für Saisonverträge, als auch für Gastspiele ist dem Basler Stadttheater in den letzten Jahren ein ganz empfindlicher Einnahmeausfall entstanden, der auf die Dauer untragbar wird und die Existenz dieses Theaters in Gefahr zieht. [...] Präsident Schwabe, mit dem ich ganz offen über die Angelegenheit Härtung sprach, erklärte mir, daß er Herrn Härtung niemals engagiert hätte, wenn er gewußt hätte, in welch übler Weise Härtung sich gegen Deutschland betätigt hatte. Er stellte sich sehr dumm und gab an, von dieser Betätigung Hartungs nichts gewußt zu haben. [...] Ich hatte den Eindruck, daß Präsident Schwabe sich nicht stark genug fühlt, um Härtung ohne weiteres entlassen zu können bzw. dies auch nicht in seiner alleinigen Entscheidungsmöglichkeit liegt. [...] Ich habe den Eindruck, daß man unter Umständen doch die Entlassung Hartungs durchsetzen kann, vor allem wenn man das Stadttheater in Basel noch einige Zeit in Ungewißheit läßt."19 Hartungs Vertrag wurde nicht mehr verlängert. Bis Kriegsende leitete er Meisterkurse für Schauspiel am Basler Konservatorium. 1942 - 1944 übernahm Oskar Wälterlin neben seiner Tätigkeit als Direktor des Zürcher Schauspielhauses auch die Schauspieldirektion in Basel, um den künstlerischen Abstieg aufzuhalten, der nach Hartungs Weggang eintrat. Während bei Neudegg die 19

Ernst Kühnly: Reisebericht vom 22. Juni 1938. Archiv der Akademie der Künste. Sammlung Theater im Exil 1933 - 1945.

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Werner Mittenzwei Einschüchterung durch Berlin Wirkung zeigte, trat Wälterlin der Ablehnung von Emigranten entschieden entgegen. Das Theater zeigte wieder Haltung. Künstlerisch war er jedoch mit der Leitung der zwei Bühnen überfordert, zumal er in Zürich die Zügel nicht schleifen ließ. Während dieser Zeit wurde der auch in Zürich beschäftigte Robert Trösch als Regisseur und Darsteller zu seiner rechten Hand. Der Schweizer Robert Trösch war mit der deutschen Emigration aufs engste verbunden. Als kommunistisch orientierter Schauspieler verließ er Deutschland, als Hitler an die Macht kam, trat im antifaschistischen Kabarett der Erika Mann auf und verließ nach Kriegsende mit den Emigranten die Schweiz und übersiedelte in die DDR. In Basel reifte er zum landesweit bekannten Regisseur heran. Er führte Regie bei der deutschsprachigen Erstaufführung von John Steinbecks Der Mond ging unter mit Gretler in der Hauptrolle, die nicht nur politisch erhebliche Aufregung auslöste, sondern auch zum größten Erfolg während der Kriegszeit wurde - auch in Zürich. Von Berlin aus suchte man die Aufführung dieses Stücks zu verhindern. Daß die Schweizer Regierungskreise dem Druck der deutschen Diplomaten nicht nachgaben, ist hauptsächlich der Autorität Wälterlins zu danken. Thomas Blubacher hat die Niederschrift eines Telefonats aufgespürt, das der deutsche Generalkonsul Gerrit von Haeften am 25. Oktober 1943 mit Oskar Wälterlin führte. Darin heißt es: „v. H[aeften] hatte bereits mit Dirfrektor] Neudegg deswegen gesprochen, der erklärt habe, Dr. Wälterlin sei hierfür verantwortlich, was Dr. W. bejahte, v. H. bemerkt, daß die Aufführung dieses Stückes für das Stadttheater Basel unangenehme Folgen habe könne. Wälterlin wisse, daß da schon gewisse Schwierigkeiten am Stadttheater bestanden hätten, v. H. sei natürlich verpflichtet, über diese Aufführung zu berichten. [...] ν. Η meint, Basel sei ein etwas gefährliches Pflaster in dieser Beziehung. [...] bisher seien solche Schwierigkeiten hier auch nicht aufgetaucht; es sei das erste Stück dieser Art, das da komme. Es sei jetzt gerade ein Moment, der besonders angespannt sei und wo hier in manchem andern eine ausgesprochen antideutsche Stimmung herrsche, in Basel besonders stark, und das wundere ihn, v. H., daß das nun kommen soll."20 Nicht nur durch die Doppelleitung von Wälterlin, auch schon früher, seit Ende der dreißiger Jahre, gestalteten sich die Beziehungen zwischen Basel und Zürich enger. Kurt Horwitz übernahm für eine Spielzeit die Leitung des Schauspiels. Viele prominente Darsteller und Regisseure des Zürcher Emigrantenensembles gastierten in Basel. In der Exilforschung der neunziger Jahre wurde die Frage aufgeworfen, ob nicht die Leistungen der Emigranten in Zürich gegenüber den an anderen Theatern, vor allem in Basel, überschätzt worden seien. Bei Thomas Blubacher heißt es: „Der Eindruck, in der Limmatstadt hätte sich die Creme der Emigranten zusammengefunden, ist so nicht korrekt. Etliche der in Basel tätigen Schauspieler sind in den 30er Jahren mindestens genau so renommiert, können eben solche Erfolge in Deutschland oder Österreich aufweisen wie viele ihrer Zürcher Kollegen. [...] Siegrists Behauptung, daß Emigranten in Basel nur eine äußerst marginale Rolle gespielt hätten, scheint mir [...] nicht haltbar."21 20 21

Thomas Blubacher: Befreiung von der Wirklichkeit? A.a.O., S. 278f. Ebenda, S. 15 u. 10; vgl. Christoph Siegrist: Emigranten am Stadttheater Basel 1933 - 1949. In: Ausgangspunkt Schweiz. Nachwirkungen des Exiltheaters. Willisau 1989.

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Exiltheater in der Schweiz Möglichkeiten und Leistungen der Emigranten an beiden Theatern drängen zum Vergleich. In Basel hat es sicher ebenso viele prominente Exilkünstler gegeben wie in Zürich. Für kurze Zeit waren dort sogar die Arrivierteren, während sich in Zürich die jüngere Generation zusammenfand, die sich vor 1933 anschickte, Karriere zu machen, aber noch nicht den Ruf von Ebert, Kronacher und Härtung besaß. Aber in Basel bestand durch die starke Fluktuation, durch den Gastspielbetrieb aus dem Reich, nicht die Entwicklungsmöglichkeit wie in Zürich, wo die emigrierten Schauspieler über zwölf Jahre zusammenblieben. Auf diese Weise entfaltete sich eine Ensemblekunst, die auch den einzelnen Künstler zu Höchstleistungen führte. Den Schauspielern war es möglich, auch unter weniger günstigen Bedingungen ihre künstlerische Individualität auszubilden. Lindtberg, Steckel, die Giehse, Wolfgang Heinz, Wolfgang Langhoff, Karl Paryla reiften hier zu Künstlerpersönlichkeiten heran, die nach dem Krieg wesentlich das Theater mitbestimmten. In Basel waren die emigrierten Künstler relativ isoliert, auf sich selbst angewiesen. In Zürich gab es ein Emigrantenensemble von seltener Geschlossenheit trotz unterschiedlicher politischer Haltung. Toleranz und Gemeinschaft im antifaschistischen Bekenntnis verbanden sich hier wie an keiner anderen Bühne zu dieser Zeit. In Basel gab es eine Direktion, der man bestenfalls nachsagen kann, daß sie sich gegenüber den Emigranten korrekt verhielt. In Zürich wirkten zwei ganz grundverschiedene Direktoren, die, wenn auch jeder auf seine Weise, Haltung bewiesen. Vielleicht fing auch alles damit an, daß Rieser bei der Zusammensetzung des Ensembles eine ungewöhnlich glückliche Hand bewies oder daß der Zufall ein Ensemble zusammenwürfelte, das sich in schwieriger Zeit künstlerisch höchst bewährte. Einzelne emigrierte Schauspieler an anderen deutschsprachigen Bühnen An den anderen Theatern der deutschsprachigen Schweiz ein Engagement zu finden war noch schwieriger. Die Direktoren konnten sich nicht über die Richtlinien zur „Verschweizerung" hinwegsetzen. Sie unterstanden den Stadtverwaltungen und bekamen über ihre Dienststellen sofort den Druck der Deutschen Gesandtschaft in Bern zu spüren, wenn sie einen Emigranten engagierten oder ein dem „Dritten Reich" nicht genehmes Stück aufführten. In politisch zugespitzten Situationen blieb ihr Spielraum äußerst begrenzt; Zivilcourage mußte durch taktisches Geschick ersetzt werden. Relativ wenige Emigranten befanden sich am Stadttheater Bern. Der Eklat, den die Berufung Hartungs 1934 ausgelöst hatte, wirkte wie eine Warnung, hier unter den Augen der Deutschen Gesandtschaft kein „Emigrantentheater" entstehen zu lassen. Um die Aufmerksamkeit bestimmter Kreise auf die Besetzungspolitik zu lenken, wurden Gerüchte ausgestreut - so etwa, daß man gedenke, Max Reinhardt zum Direktor des Stadttheaters zu wählen. Die wenigen deutschen und österreichischen Schauspieler, die hier ein Engagement erhielten, fanden oft nur für eine Spielzeit Beschäftigung, die meiste Zeit waren sie arbeitslos. 1939 verpflichtete das Theater Paul Kalbeck als Regisseur und Darsteller. Obwohl Kalbeck zu den international renommierten Regisseuren zählte, wurde er nur für eine Spielzeit eingestellt und war dann wieder arbeitslos. Erst 1942 berief man ihn als Oberregisseur fest an das Haus. Als „Halbjude" gefährdet, kam er nach der Besetzung Österreichs in die Schweiz. Er reiste als Tourist nach Basel, wo sein Sohn an der Universität studierte. Diese Täuschung der Fremdenpolizei hätte für ihn Folgen haben können, doch er fand einflußreiche Schweizer Persönlichkeiten wie Rudolf Schwa273

Werner Mittenzwei be, die ihn unterstützten. Doch vermochten sie ihm kein Engagement am Stadttheater Basel zu verschaffen. Kalbeck hoffte, als Nachfolger von Gustav Härtung eine Chance zu haben. Aber das Theater steuerte eher in die Krise, als ihn zu verpflichten. Selbst seine Gastspiele in Basel mußten von privater Seite finanziert werden. Kalbeck hatte 1917 - 1921 an den Münchner Kammerspielen inszeniert und war seit 1923 Regisseur bei Max Reinhardt am Theater in der Josefstadt gewesen. Zugleich galt er im Max-Reinhardt-Seminar in Wien als ein hervorragender Schauspiellehrer. Wo er auftrat, bezeichnete man ihn als Mitarbeiter Max Reinhardts. Als man ihn in Bern engagierte, hielt es die Presse dennoch für notwendig, darüber zu informieren, daß Kalbeck aus einer „kultivierten Wiener Familie" stamme und Johannes Brahms und Paul Heyse zu seinen Taufpaten zählten, daß er der Lehrer und Regisseur von Paula Wessely und Attila Hörbiger sei. Von Wien aus ging auch Friedel Nowack 1938 mit ihrem Mann, dem Theaterkritiker Erwin Reiche, nach Bern. Hier am Stadttheater spielte sie viele tragende Rollen und gastierte auch einmal in Selma Lagerlöfs Kaiser von Portugallien am Zürcher Schauspielhaus. Ein festes Engagement fand Hermann Brand 1935 als Charakterdarsteller und Regisseur in Luzern. Er hatte Glück, daß er hier bis weit über das Kriegsende hinaus bleiben konnte und zu einer festen Stütze des Hauses wurde. In Luzern spielte er die großen klassischen Rollen Geßler, Philipp Π., Mephisto, Miller, Shylock, Jago, Othello. Er bewarb sich zuerst in Basel, hatte aber hier ebensowenig Aussicht wie später Paul Kalbeck. Über das Städtebundtheater Biel-Solothurn kam er nach Luzern. Als Jude gehörte er zu den ersten, die 1933 das Badische Landestheater entließ. Gegen ihn war es schon vor dem Januar 1933 zu antisemitischen Ausschreitungen gekommen. Über das Klima am Theater, dem er als Staatsschauspieler angehörte, schrieb er: .Jeder Betrieb war ein Hexenkessel, in dem die nazistischen Machtanwärter ihre Suppe kochten. 1933. - Viele meiner Schauspieler-Kollegen und Kolleginnen fingen an, sich nach der Seite der voraussichtlichen Machthaber auszurichten. Man rückte vorsichtig von jüdischen Bekannten und mir, dem jüdischen Kollegen, ab." 22 Ihm gelang es, seine Eltern in die Schweiz zu holen und so vor dem Holocaust zu retten, aber er verlor seine beiden Brüder. Seinem autobiographischen Roman Die Tournee geht weiter kann man entnehmen, wie es jüdischen Schauspielern, die in der sicheren Schweiz spielten, aber noch Verwandte in Deutschland hatten, zumute war: „Seine Briefe kamen an bei uns - aber sie waren von der Zensur zerschnitten. Von einem solchen Brief blieben oft nur vier bis fünf Zeilenstreifen übrig. Was waren die ausgeschnittenen Stellen? Ich wußte es gut - Hilferufe waren es. Mein Bruder Bernhard schrie um Hilfe. Er schrie in meinen Träumen - er schrie, wenn ich wach war. Wenn ich morgens auf meinem Fahrrad den See entlang in die Stadt fuhr, um meinen Berufspflichten nachzugehen, war in der schneidenden Winterkälte mein Bruder Bernhard neben mir und schrie f...]·"23 Als Gegenbild zum Zürcher Schauspielhaus fiel das Theater in St. Gallen auf. Der Schweizer Theaterwissenschaftler Louis Naef warf diesem Theater vor, daß es in der 22

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Hermann Brand: Die Tournee geht weiter. Ein jüdisches Schauspielerschicksal in Deutschland und in der Schweiz 1898 - 1966. Konstanz 1990, S. 93. Ebenda, S. 170.

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Exiltheater in der Schweiz

Zeit von 1932 bis 1938 unter der Leitung des „nationalsozialistisch gesinnten" Dr. Theo Modes besonders anfällig für die faschistischen Einflüsse gewesen sei. Modes, ein Deutscher, war gleichzeitig Leiter der sudetendeutschen Festspiele in Eger, einer „Kultureinrichtung von gesamtdeutscher Bedeutung", die unter dem Patronat der Sudetendeutschen Partei Konrad Henleins stand. Der Spielplan seines Theaters in St. Gallen wies zwar keine nationalsozialistischen Stücke auf, aber auch keine der emigrierten Dramatiker: weder Brecht, Wolf, Toller, Bruckner, Kaiser, Zuckmayer, Werfel, Hasenclever, Csokor, Horväth noch andere im „Dritten Reich" unliebsame Autoren. Das Ensemble setzte sich vorwiegend aus deutschen Schauspielern zusammen, die St. Gallen als Sprungbrett für ein Engagement an reichsdeutsche Bühnen betrachteten. Hier gedieh die Spitzeltätigkeit! Was in den Ankleideräumen geäußert wurde, wußten auch die entsprechenden Abteilungen der Reichstheaterkammer in Berlin. Als 1935 der kommunistische Schauspieler Fritz Diez als Emigrant an dieses Theater kam, weil er sich den Nachforschungen der Gestapo entziehen mußte, hatte er es hier unvorstellbar schwer. In diesem Ensemble blieb er in den ersten Jahren völlig isoliert. Wenn es auch in der Bevölkerung von St. Gallen kaum auffällige Sympathien für die neuen Machthaber in Deutschland gab, am Stadttheater gab es sie. Gegenüber Fritz Diez verhielt sich Modes korrekt, anständig. Er engagierte ihn, obwohl ihm sicher nicht entgangen sein dürfte, warum dieser Deutschland verlassen mußte. Als Einzelgänger, beruflich weitgehend isoliert von den anderen Emigranten, lebte Hans Curjel in Zürich. Der Musiker, Dramaturg und Regisseur kam vom Deutschen Opernhaus in Berlin 1933 nach Zürich. 1933 - 1934 und 1942 - 1946 fand er eine Beschäftigung am Corso-Theater in Zürich, das vorwiegend der Operette diente und für Gastspiele vorgesehen war. 1944 leitete er auch ein Ad-hoc-Ensemble der Theater- und Tourneegenossenschaft Zürich. Hier setzte er sich für das Erstlingswerk der Elise Attenhoffer vom CORNICHON-Cabaret ein. Das Stück richtete sich aus Schweizer Sicht gegen die Judenverfolgung im „Dritten Reich" und trug den Titel Wer wirft den ersten Stein. Das Zürcher Schauspielhaus, auch Basel, hatte das Stück abgelehnt. Als Cuijel nach dem Krieg die Leitung des Stadttheaters in Chur übernahm, einer Bühne, an der sich junge Schauspieler ausprobieren sollten, bot er dem aus dem USA-Exil heimkehrenden Brecht sein Theater an, um dort die Antigone mit Helene Weigel in der Titelrolle aufzuführen, ein Experiment, das für die weitere Theaterarbeit Brechts wichtig werden sollte. Cuijel kehrte nicht wieder in seine deutsche Heimat zurück. Zu den Bühnenkünstlern, die keine Möglichkeiten fanden, im Exil ihre Karriere fortzusetzen, gehört Rudolf Frank, Theaterkritiker, Dramaturg, Regisseur und Oberspielleiter bei Otto Falckenberg in München. Er ging 1936 nach Wien und kam 1938 nach Zürich. Da er hier kein Engagement fand, wurde er trotz Arbeitsverbots als Übersetzer von Sinclair Lewis, Thomas Wolfe, John Steinbeck, Somerset Maugham tätig. Wegen dieser Arbeit, mit der er seinen Lebensunterhalt bestritt, entging er nur knapp der Verhaftung. Die Direktoren der deutschsprachigen Theater in der Schweiz, meist Deutsche oder Schweizer mit Theatererfahrung in Deutschland, hatten sich dem Druck der Dienststellen des „Dritten Reiches" zu erwehren, der auf eine Gleichschaltung hinauslief. Ließ sich das nicht erreichen, wurde eine institutionelle Unterminierung versucht. Zwischen 1933 und 1945 fiel dem deutschsprachigen Theater in der Schweiz die historische Mission zu, alles Wertvolle aufzuführen, was in Deutschland nicht mehr gespielt werden

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Werner Mittenzwei durfte. 24 Dem „gefesselten Spielplan" konnte ein „offener Spielplan" entgegengestellt werden. Von den Theaterdirektoren hing also viel ab. Oftmals waren sie von ihrer Herkunft und ihren Erfahrungen nicht die richtigen Leute, um sich innerhalb der Widersprüche zu behaupten. Ein Beispiel dafür war der Direktor des Zürcher Stadttheaters Karl Schmid-Bloss. Ihm unterstand eine Opernbühne von europäischem Ruf. Damit bei ihm weltberühmte Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler und Sänger wie Max Lorenz auftreten konnten, bemühte er sich um einen engen Kontakt zu den nationalsozialistischen Führungskräften. Daß er hierbei nicht ohne Anbiederung auskam, zeigt der Bericht des Goebbels-Beauftragten, der mit ihm verhandelte: „Direktor Schmid-Bloss gab mir im übrigen davon Kenntnis, daß nach seiner Auffassung die Veranstaltung des Konzerts der Philharmonie mit Dr. Furtwängler nicht richtig arrangiert worden sei. Er fand es sehr bedauerlich, daß man zum Arrangement die jüdische Firma Kantorowitz herangezogen hatte, denn er hätte das Konzert ohne weiteres auch selbst veranstalten können. Bei diesem Konzert seien Flugzettel verteilt worden mit abfälligen Bemerkungen über Dr. Furtwängler und Sympathieäußerungen für Toscanini. Vor allem ist zu betonen, daß gerade die Heranziehung des jüdischen Unternehmens ganz besonders für abfällige Propaganda genutzt wurde."25 Andererseits brachte Schmid-Bloss so wichtige, damals umstrittene Werke wie Schostakowitschs Katharina Ismailowa (1936), Alban Bergs Lulu (1937) und Paul Hindemiths Mathis der Maler (1938) zur Erst- bzw. zur Uraufführung, was ihm den Vorwurf eintrug, dem „musikalischen Bolschewismus in der Oper" den Weg zu bereiten. Aber er war auch gegenüber den nationalsozialistischen Führungskräften zu Hilfsdiensten bereit, die schon der Kollaboration gleichkamen. In dem bereits genannten Bericht hieß es: „Schmid-Bloss bemüht sich mit aller Energie, auch das Zürcher Schauspielhaus unter seinen Einfluß zu bekommen. Er glaubt, Aussicht auf Erfolg zu haben, vor allem dann, wenn er im gleichen Maße wie für das Stadttheater deutsche Gäste verpflichten kann. [...] Direktor Schmid-Bloss wird mich im übrigen über die weitere Entwicklung beim Zürcher Schauspielhaus auf dem Laufenden halten."26

Das Kabarett und die kleinen Gruppen Unter den Bedingungen des Exils erwiesen sich das Kabarett und die operativen Theaterformen der kleinen Gruppen, wie sie sich in der Weimarer Republik entwickelt hatten, als besonders geeignet. Dieses Genre kam ohne großen Aufwand aus, und es konnte rasch auf aktuelle politische Ereignisse reagiert werden, worauf es den Emigranten vor allem ankam. So wurde das Kabarett zur Davidsschleuder der Emigranten gegen den nationalsozialistischen Goliath. Zu Beginn des verhängnisvollen Jahres 1933 gründete Erika Mann, die von der nationalsozialistischen Presse als die „berüchtigte Tochter" des „ebenso berüchtigten Vaters" charakterisiert wurde, in München das literarische Kabarett DIE PFEFFERMÜHLE. Die er24

25 26

Vgl. Louis Naef: Das deutschschweizerische Theater im Zusammenhang mit der Gleichschaltung des deutschen Theaters. Zweiter Teil (Manuskript im Archiv der Akademie der Künste Berlin). Emst Kühnly: Reisebericht vom 22. Juni 1938, a.a.O. Ebenda.

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ste Vorstellung fand am 1. Januar 1933 in einem kleinen Theater statt, das sich „Bonbonniere" nannte. Ihr Ensemble setzte sich vorwiegend aus jungen Leuten zusammen. Die Seele des Unternehmens war sie selbst. Von ihr stammten die meisten Texte. Sie sang und rezitierte und war zugleich Conferencier, Direktor und Organisator. Als die alle überragende Begabung erwies sich damals schon die Schauspielerin Therese Giehse. Gerade weil die PFEFFERMÜHLE in München viel Beifall fand, ließ sich ihre Arbeit nach dem Reichstagsbrand nicht mehr fortsetzen. Erika Mann entschloß sich, mit ihrem Ensemble nach Zürich zu gehen. Der Komponist und Pianist Magnus Henning, die Giehse und Sybille Schloß folgten ihr. Im Unterschied zu den meisten Emigranten gab es für Erika Mann, die durch die Heirat mit dem englischen Dichter Wystan H. Auden die britische Staatsbürgerschaft besaß, weniger Paßschwierigkeiten. In Zürich stieß der Schweizer Schauspieler Robert Trösch zum Ensemble. Er war es auch, der Erika Mann riet, für die Vorstellung statt eines kleinen Theatersaals lieber ein volkstümliches Lokal im Niederdorf zu wählen. So saß man dann im „Hirschen" an kleinen Tischen um die Bühne herum. Zum Ensemble gehörten neben Erika Mann, Therese Giehse, Robert Trösch und Magnus Henning noch die Grotesktänzerin Lotte Goslar, die Kabarettisten Igor Pahlen, Hans Sklenka, Heinrich Ortmayer, Paul Lindberg, Jaro Klüger, Sybille Schloß, Katharina (Kitty) Mattern. Künstlerischer Mittelpunkt war die Giehse. Sie besaß für das Kabarett die gleiche große Begabung wie für das Schauspiel. Beeindruckend war vor allem ihre Wandlungsfähigkeit. Sie konnte ganz einfach und schlicht ein Lied, ein Gedicht vortragen, und das Publikum war gerührt. Aber sie besaß auch den harten, bellenden, hysterischen Ton, mit dem sie die Züricher mit der Stimme des „Führers" bekannt machte. Obwohl sich die PFEFFERMÜHLE während ihres Bestehens von 1933 1937 nicht ständig in Zürich befand, sondern Gastspiele in die Tschechoslowakei, nach Holland, Belgien, Luxemburg unternahm, zog sie immer stärker den Haß der einheimischen politischen Kräfte auf sich, die mit dem nationalsozialistischen Deutschland gut auskommen wollten. Es kam zu brutalen Krawallen der Fröntier gegen das Ensemble. Die Schweizer Behörden mußten ein großes Polizeiaufgebot einsetzen und zahlreiche Verhaftungen vornehmen. Trotz der Störungen brachte es das kleine Ensemble insgesamt auf 1.034 Vorstellungen. Ende 1936 ging Erika Mann mit ihrer Truppe in die USA. Doch konnten sie dort nicht Fuß fassen. Die Gruppe löste sich auf. Die Giehse kehrte wieder in die Schweiz, an das Zürcher Schauspielhaus, zurück, wo sie schon, wie auch Robert Trösch, im ersten Jahr ihrer Emigration aufgetreten war. Neben der PFEFFERMÜHLE spielte im „Hirschen" noch das Cabaret CORNICHON, ein schweizerisches Unternehmen, das 1934 von dem Schweizer Autor, Regisseur und Dramaturgen Walter Lesch gegründet worden war. Das CORNICHON setzte die antifaschistische Tendenz der PFEFFERMÜHLE fort. Da es vorwiegend aus Schweizer Künstlern bestand, konnte es die landeseigene Spießbürgerlichkeit und Gleichgültigkeit gegenüber den Gefahren jenseits der Grenzen geißeln. In der Nummer mit dem Titel „Großes Oratorium für Wohlgenährte" hieß es: „[...] Wir sind die Wohlgenährten Und haben nichts im Kopf. Wir stoßen die Gefährten Weit weg vom Suppentopf. 277

Werner Mittenzwei Wir haben nichts zu klagen, Wir kennen keine Not. Wir leben mit Behagen Dicht neben Mord und Tod."27 Zu den vielen ausgezeichneten Schweizer Künstlern zählten in den ersten Jahren auch Heinrich Gretler und Robert Trösch, die dann später zum Schauspielhaus überwechselten. Mathilde Danegger, damals mit Walter Lesch verheiratet, entwickelte sich hier zu einer vielseitigen Darstellerin, die das Zarte wie das satirisch Scharfe mit Virtuosität zum Ausdruck brachte. Diese aus einer alten Schauspielerfamilie stammende österreichische Künstlerin, die bereits vor 1933 an Riesers Schauspielhaus aufgetreten war, gehörte seit 1938 zum festen Kern des Schauspielhausensembles. Dort fühlte sie - die nach dem Krieg nach Ostberlin ging - sich den Emigranten zugehörig. Nicht wenigen Künstlern blieb im Ausland das professionelle Theater verschlossen. Sie versuchten, sich in kleinen Spieltrupps zu betätigen, um ihrer politischen Überzeugung Ausdruck zu geben, wegen der sie aus ihrem Vaterland vertrieben worden waren. Zu denen, die mit ungewöhnlichen Darstellungsformen auch im Exil ein Publikum zu erreichen suchten, gehörte Jo Mihaly. Mit ihrem Mann, dem Schauspieler Leonard Steckel, war sie nach Zürich gekommen. In Zürich war ihr Partner Ernst Busch, der nach 1 9 3 3 oft dort hinkam. 1 9 3 4 probierte sie mit dem NEUEN CHOR, einer Schweizer Gründung, Darstellungsformen aus, wie sie von der deutschen Agitprop-Bewegung vor 1933 her bekannt waren. Mit diesem Chor gestaltete sie aus Tanz, Pantomime, Kurzszenen und Musik Bilderfolgen zu einem bestimmen Thema. Dazu verwendete sie bekannte Texte, berühmte Gedichte und Szenen, die jetzt in Deutschland zur verbotenen Literatur gehörten. Der aggressive sozialkritische Ton, der in ihren Darbietungen angeschlagen wurde, hätte selbst auf der Bühne von Ferdinand Rieser keine Chance gehabt. Der NEUE CHOR, der über vier Jahre bestand, lebte vom Widerhall, den der Kampf gegen den Faschismus in den ersten Jahren nach 1933 bei den Schweizern fand, die in Hitler auch eine Bedrohung ihres Landes erblickten. Das Zürcher Schauspielhaus im Zweiten Weltkrieg Nach dem Weggang von Ferdinand Rieser bestand die Gefahr, daß das sogenannte „Emigrantenensemble" auseinandergesprengt wurde. Berlin ließ nichts unversucht wie die Unterredung des Goebbels-Referenten mit Schmid-Bloss zeigt - , um eine Wende herbeizuführen. Aber die Schweizer, vor allem der Kreis um den Verleger Emil Oprecht, schienen zu wissen, was auf dem Spiele stand. Auch Kurt Hirschfeld stellte sich wieder dem Schauspielhaus zur Verfügung. 1938 wurde die Neue Schauspiel AG gegründet, um die finanzielle Basis für das Weiterbestehen des Theaters zu garantieren. Die Leitung wurde nicht, wie zu vermuten wäre, Carl Ebert angetragen. Man bevorzugte eine Schweizer Lösung, die sich als außerordentlich glücklich erwies. Direktor wurde Dr. Oskar Wälterlin, ein gebürtiger Basler. In den zwanziger Jahren war er erst Dramaturg und Regisseur, später Direktor des Basler Stadttheaters gewesen, ging dann aber als Oberspielleiter der Oper nach Frankfurt am Main. 1938 verließ er Frankfurt, als er erkannte, daß die Unverbindlichkeit der Oper nicht zu jenem Engagement zwinge, das die Zeit verlangte. 27

Das literarische Kabarett. München. 1. Jg. 1946, H. 2, S. 21.

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Exiltheater in der Schweiz Die Schweizer Köpfe, die die Neue Schauspiel AG formierten, suchten nach einem Mann, der „all diese plumpen antifaschistischen Versuche ausschaltete", dem die „künstlerische Leistung das Wichtigste ist". 28 Wälterlin besaß eine sublime Theaterauffassung, für ihn blieb die Aufführung auf der Bühne stets „ein Fest". Aber in seiner geistigen Haltung, in der Ablehnung des Faschismus, unterschied er sich nicht von den Emigranten. In diesem Punkt war er ebenso kompromißlos wie sie. Er übernahm ein Ensemble, dessen einzelne Mitglieder schärfer ausgeprägte soziale und politische Ansichten und Erfahrungen besaßen als er. Aber seine geistige Noblesse und sein Verantwortungsgefühl sagten ihm, daß er diese Truppe zusammenhalten müsse. Neu hinzu kam der jetzt fest verpflichtete Schweizer Heinrich Gretler, der zum Glücksfall für das Ensemble, zum „heimischen Nothelfer" wurde. Werner Wollenberger meint in bezug auf Gretler, möglicherweise wäre das Schauspielhaus auch ohne Gretler geworden, was es in jenen Jahren wurde, aber sicher sei das eben nicht. Als Wälterlin am 1. September 1938 das Haus mit Troilus und Cressida wiedereröffnete, saß ein anderes Publikum im Zuschauerraum als zu Riesers Zeiten. Stadt und Kanton bekannten sich jetzt zu diesem Theater. Aber auch die Stimmung im Publikum, wie in der Bevölkerung allgemein, hatte sich verändert. Nachdem im März die deutsche Wehrmacht in Österreich einmarschiert war, ergoß sich ein Flüchtlingsstrom ins Land. Die Bedrohung, die von Hitler ausging, wurde jetzt auch in der Schweiz stärker empfunden. Die Weltlage sah bedrohlich aus. Dieser Stimmungsumschwung machte sich im Theater bemerkbar, zuerst bei den klassischen Stücken. Als Wälterlin den Götz von Berlichingen mit Heinrich Gretler in der Titelrolle inszenierte, reagierte das Publikum ganz anders als sonst. Mehrere Beteiligte an der Aufführung haben sich daran erinnert, weil ihnen die Reaktion unvergeßlich blieb. „Als ich dann zur Stelle kam", berichtete Heinrich Gretler, „wo es heißt: ,Was soll unser letztes Wort sein? Es lebe die Freiheit!', da blieb es merkwürdig ganz still im Hause, da haben sie gar nicht reagiert, wie das sonst üblich ist, und ich habe gar nicht gewußt, was sie eigentlich wollten, aber da habe ich gespürt, daß sie auf die Fortsetzung des Satzes warteten, und da habe ich die Fortsetzung gesprochen: ,Und wenn sie uns überlebt, können wir ruhig sterben!' Und erst jetzt kam der Applaus, wie ein Gewitter, wie ein Orkan, ich habe nie einen ähnlichen gehört. Es war der mächtigste Applaus, den ich je gehabt habe, aber es war auch der ernsthafteste, [...] sie haben diesen Applaus todernst gemeint. Vielleicht war es überhaupt kein Applaus, sondern ein Bekenntnis."29 Und Wälterlin meinte, das Publikum habe das Gewicht eines Wortes verstanden, in diesem Augenblick sei eine Gemeinschaft entstanden. „Wir hatten gegeben und ausgesprochen, was man von uns erwartete."30 Mit der Gö/z-Inszenierung beginnt die neue Linie des Zürcher Schauspielhauses. Sie wurde nicht durch einen neuen Inszenierungsstil, nicht durch sensationelle theatralische Lösungen und auch nicht allein durch überragende künstlerische Leistungen bewirkt, sondern durch das intensive Bekenntnis des Publikums zu der humanistischen Sendung der klassischen Dichtung. Gerade weil sich der Protestwille der Schweizer Bevölkerung noch nicht eindeutig politisch artikulierte, wurde die klassische Dichtung zu einer Position des Widerstands. 28

29 30

Teo Otto an Carl Ebert, Brief vom 3. Juni 1938. In: Fluchtpunkt Zürich. Zu einer Stadt und ihrem Theater. Schauplätze der Selbstbehauptung und des Überlebens. Hrsg. von der Stadt Nürnberg. Nürnberg 1987, S. 102. Werner Wollenberger: Heiri Gretler - der große Schweizer Schauspieler. Zürich 1978, S. 88. Oskar Wälterlin: Verantwortung des Theaters. Berlin 1947, S. 20.

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Werner Mittenzwei Eine ähnlich starke Reaktion stellte sich ein, als Wälterlin im Januar 1939 den Teil inszenierte, wieder mit Gretler in der Titelrolle. So merkwürdig es klingt, der Teil galt in der Schweiz immer als ein Wagnis und ist selten ein großer Erfolg gewesen. Den Geßler in dieser Inszenierung spielte Wolfgang Langhoff, dem bisher immer die positiven, hellen, aufopferungsfreudigen Figuren vorbehalten geblieben waren. Langhoff spielte nicht den gewohnten Bösewicht, sondern den Herrn, elegant, zynisch, beherrscht, „so wie der KZ-Sträfling Langhoff die großen Herren von der SS kennengelernt haben mag" (Curt Riess). Auch bei dieser Aufführung kam es zu einer Manifestation des Publikums, die von der internationalen Presse politisch geweitet wurde, nämlich als Ausdruck des zunehmenden Verteidigungswillens der Schweizer Bevölkerung. Als Ernst Ginsberg in der Rolle des Pastor Rösselmann den Eidgenossen den Schwur vorsprach, erhob sich das Publikum und sang die Schweizer Nationalhymne. „Es gibt eine Version, wonach diese Demonstration geplant und von Studenten provoziert gewesen sei, aber wie auch immer: sie fand statt, und was einige Studenten begonnen haben mögen, nahm das ganze Auditorium auf, entschlossen, ein sieht- und hörbares Zeichen zu setzen."31 Für eine solche Haltung gab es bereits damals in der Schweiz die Bezeichnung „Geistige Landesverteidigung". Doch dieser Begriff in seiner direkten politischen Bedeutung umschließt sehr verschiedene Inhalte. Er bezeichnet sowohl einen schweizerischen Antifaschismus, der sich des Einflusses Hitlerdeutschlands zu erwehren suchte, wie auch autoritäre bürgerliche Konsolidierungsbestrebungen, die auf einen „Arbeitsfrieden", auf eine „freiwillig auferlegte Geschlossenheit", auf eine „Volksgemeinschaft" hinausliefen. 32 Was im Schauspielhaus mit künstlerischen Mitteln ausgelöst wurde, war die Bereitschaft, allen Versuchen nationalsozialistischer Beeinflussung und Vereinnahmung zu widerstehen. Diese spezifische „Geistigkeit" des Hauses kam durch die künstlerische Ausstrahlungskraft von Heinrich Gretler, Oskar Wälterlin und die der Emigranten zustande. Was sie bei allen Unterschieden verband, wurde von dem Publikum als eine Botschaft verstanden und aufgenommen. Durch seine Rollen am Theater wie im Film sah das Publikum in Gretler den „Nationalheiligen Heiri". „Es war schon paradox: gerade das, was ihn zum Nationalheiligtum gemacht hatte, hinderte ihn daran, eines zu sein. Er fühlte sich unbehaglich, ihm war nicht wohl in seiner Rolle, die ihm zugefallen war, die er aber in keiner Weise gesucht hatte." 33 In der ersten Phase des Theaters - unter Rieser - hatte sich eine operative „Ästhetik des Widerstands" herausgebildet. Sie kam spontan zustande, geprägt durch Aufführungen von Zeitstücken, die die Szene zur Aktion machten. Für ein solches Theater waren die Schauspieler weitgehend vorbereitet gewesen, denn viele von ihnen hatten bereits in Deutschland politisch engagiertes Theater gespielt. Dazu kam, daß die eigenen politischen Erfahrungen der Emigranten nach künstlerischem Ausdruck suchten. Jetzt, unter Wälterlin, der kein Theater der Aktion, sondern der inneren Bereitschaft wollte, wandelte sich diese spontane „Ästhetik des Widerstands". Sie strebte mehr nach Geschlossenheit, nach gemeinsamer Bereitschaft und suchte nicht die Spaltung des Publikums. Dadurch verschwand auch die alte Streitfrage, ob das Schauspielhaus eine schweizeri31 32

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Wemer Wollenberger: Heiri Gretler - der große Schweizer Schauspieler, a.a.O., S. 89. Vgl.: Cornel Doswald: Politisches Cabaret und Geistige Landesverteidigung. Das Beispiel des CORNICHON 1934 - 1942. Historisches Seminar der Universität Basel. Basel 1981 (Manuskript). Wemer Wollenberger: Heiri Gretler - der große Schweizer Schauspieler, a.a.O., S. 18.

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Exiltheater in der Schweiz sehe Institution oder eine Emigrantenbühne sei. War doch jetzt die Bedrohung durch Hitler auch zum Schicksal der Schweiz geworden.34 Im Ensemble gab es unterschiedliche politische Haltungen, die aber zusammengehalten wurden durch das Bestreben, der nationalsozialistischen Barbarei Widerstand entgegenzusetzen, und sei es auch nur durch einen geistigen Widerstand. Die politischen Unterschiede wurden nicht verdrängt. Sie wurden allerdings kaum politisch konzeptionell diskutiert. Dazu war keine Zeit. Denn jetzt kam es zwar nicht jede Woche, doch alle vierzehn Tage zu einer Premiere. Es gab aber auch Stücke, die zu unterschiedlichen politischen Ansichten herausforderten. Das war zum Beispiel bei Büchners Dantons Tod der Fall. Wälterlin übertrug die Regie 1940 Leopold Lindtberg. Er besetzte die Hauptrollen mit Schauspielern, die sich zum Marxismus bekannten. Ihnen konnte es nicht gleichgültig sein, wie in dieser Aufführung die Sache der Revolution dargestellt wurde. Den Danton spielte Wolfgang Heinz, den Robespierre Wolfgang Langhoff, den Camille Desmoulins Emil Stöhr, den St. Just Karl Paryla. Ohne daß ihnen Zeit zu Studien oder langen Überlegungen blieb, standen sie vor der Frage, wie sie dieses Stück spielen sollten, um die Revolution und nicht die Enttäuschung zu akzentuieren. „Schon die Besetzung war ein politisches Programm," bekannte Lindtberg später. Zwischen Lindtberg und seinen Schauspielern gab es unterschiedliche Auffassungen. „Brecht hat mir einmal gesagt", berichtete Lindtberg, „man müsse den Danton so inszenieren, daß Robespierre recht hat. Doch das geht nicht. Da muß man ein anderes Stück schreiben."35 Aber gerade daran orientierten sich seine Darsteller. Wolfgang Heinz gestaltete zwar einen leidenschaftlichen Danton, aber sein Revolutionär war zugleich ein Gentleman comme il faut, der nicht auf den Genuß und den Besitz verzichten wollte. Vor allem aber glaubte er an seine Unantastbarkeit: „Sie werden es nicht wagen." Langhoff gab einen nüchternen, nicht von vitaler Leidenschaft, sondern von der Vernunft gelenkten Robespierre. Alles war bei ihm auf Redlichkeit und Sachlichkeit abgestellt. Hier handelte ein Mann, dem es ausschließlich um die Sache, um die Revolution ging, die auf dem Spiele stand. Kein Zweifel, Langhoff bemühte sich, Robespierre sympathisch zu gestalten. Seine Kollegin Mathilde Danegger berichtete über Langhoff in dieser Rolle: 34

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In ihrem Aufsatz „Das Zürcher Schauspielhaus und die Geistige Landesverteidigung" (Schweizer Monatshefte. 75. Jahrg. April 1995. Heft 4) setzt Ursula Amrein zwischen dem „Emigranten-Juden-Marxisten-Theater" Riesers und dem Theater der „Autonomieästhetik" Wälterlins eine scharfe Zäsur. So notwendig, ja begrüßenswert eine Darstellung des Zürcher Schauspielhauses aus der Gesamtsicht der Schweizer Theatergeschichte und nicht nur der deutschen antifaschistischen Exilgeschichte ist, erscheint mir die Charakteristik der Ära Wälterlins als „Gleichsetzung von Autonomieästhetik und Neutralitätspolitik" im Sinne der Geistigen Landesverteidigung doch problematisch. Diese These „überblendet" den komplizierten geistigkünstlerischen RrozeB zwischen dem aktiven Antifaschismus der deutschen und österreichischen Emigranten und dem politischen Engagement der Schweizer Wälterlin und Gretler in einer befremdlichen Weise. Wälterlin hat nach Riesers Weggang in das fast unverändert gebliebene Ensemble keine neue Linie hineingetragen, er hat sich vielmehr von seiner individuellen ästhetisch-politischen Position aus mit diesem Ensemble solidarisiert, und das Ensemble hat diese Haltung honoriert. Auf dieser Basis wie auch durch die veränderte Haltung des Publikums wurde der Antifaschismus der Emigranten auch zu einem Element der Geistigen Landesverteidigung, ohne daß Antifaschismus und Geistige Landesverteidigung zu „austauschbaren Begriffen" werden. Die Geistige Landesverteidigung hat eigene geistige Grundlagen. Besser als eine theaterfremde Terminologie macht die Analyse der Schauspielkunst Hein Gretlers bewußt, wie Geistige Landesverteidigung im theaterästhetischen Diskurs aufzufassen ist. Leopold Lindtberg: Gespräch mit Werner Mittenzwei v. 27. November 1982, Burgtheater Wien.

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Werner Mittenzwei „Da kam der politische Schauspieler Wolfgang Langhoff zum Zuge. Den jugendlichen Helden hat er in dieser Aufführung weggeschmissen.[...] Er war der Revolutionär, der durch die objektiven Umstände gezwungen wird, so zu handeln. Aber immer mit der Überzeugung, richtig zu handeln. Das hat er über die Bühne gebracht."36 Lindtberg bekannte später, daß er bereits damals von den Stalinschen Säuberungen und Prozessen stark erschüttert war und seitdem ein anderes Verhältnis zur Sowjetunion hatte. „Dennoch", sagte er, „wollten wir das Phänomen der Revolution gestalten. Die historische Sicht auf dieses Phänomen."37 Im Mai 1940 erreichte die Bedrohung der Schweiz ihr höchstes Stadium. Die deutsche Wehrmacht marschierte in Frankreich, Belgien, Holland und Luxemburg ein. Das Land befand sich in höchster Alarmbereitschaft. Inzwischen war es zu den ersten Luftgefechten zwischen der schweizerischen und der deutschen Luftwaffe gekommen. Die Armeeführung ordnete die zweite Mobilmachung an. Nunmehr glaubte die Bevölkerung, daß ein deutscher Angriff unmittelbar bevorstehe. In Basel verließen 20.000 bis 25.000 Einwohner die Stadt. General Guisan charakterisierte später die Situation mit den Worten: „Eine Welle der Panik wogte durch das Land."38 Nicht grundlos glaubten viele Schweizer, Hitler werde versuchen, die Maginotlinie zu umgehen und über die Schweiz in Südfrankreich eindringen. Durch Zürich drängten sich die Flüchtlingsströme. In dieser Situation probte Lindtberg Faust II. Für ihn stand die Fawsf-Inszenierung unter einem doppelt verhängnisvollen Vorzeichen. Er hatte in Düsseldorf mit Faust begonnen, als Hitler an die Macht kam, die Premiere fand nicht statt. Hitler zwang ihn zur Flucht. Er probte in Wien den Faust, und es kam nicht zur Premiere. Jetzt, mitten in den Proben, sah es wieder so aus, als gäbe es keine Premiere. Als es dann doch dazu kam, sagte Lindtberg zu Mathilde Danegger: „Die Premiere war. Jetzt glaube ich auch, daß nach all dem Entsetzlichen, was diese Zeit uns gebracht hat, wir doch noch zu einem guten Ende gelangen." Im Theater selbst gab es keine Spur von Panik, obwohl bei einem Einmarsch der Hitlertruppen die Emigranten um ihr Leben fürchten mußten. Aber kein Mensch sprach von der Gefahr, in der sie schwebten. Jeder ging seiner Aufgabe nach. Wolfgang Langhoff spielte den Faust, Ernst Ginsberg den Mephisto, Maria Becker die Helena, das Gretchen im ersten Teil wurde von Hortense Raky dargestellt. Die Aufführung stand ganz im Zeichen der Schauspielkunst von Wolfgang Langhoff und Ernst Ginsberg. In der Ära Wälterlin wurde das Profil des Hauses von der Klassik bestimmt. Er führte insgesamt weniger Stücke von Emigranten auf als Rieser, aber darunter einige, die den Nachkriegsspielplan des deutschen und europäischen Theaters bestimmen sollten (Bertolt Brecht: Mutter Courage, Der gute Mensch von Sezuan, Galileo Galilei; Georg Kaiser: Der Soldat Tanaka, Zweimal Amphitryon; Carl Zuckmayer: Bellmann; Franz Werfel: Jacobowsky und der Oberst). Im November 1940 kam Kaisers Stück Der Soldat Tanaka zur Uraufführung. Seit 1938 lebte Kaiser im Schweizer Exil, sein Stück Der Soldat Tanaka war wohl das beste, das er hier schrieb. Die Schweizer Exiljahre brachten ihm reichen Ertrag, aber wenig Gewinn. Gleich nach der Uraufführung erhob die Japa36 37 38 39

Mathilde Danegger: Gespräch mit Werner Mittenzwei v. 30. April 1976 (Tonbandaufzeichnung). Leopold Lindtberg: Gespräch mit Werner Mittenzwei, a.a.O. Werner Rings: Schweiz im Kriege 1933 - 1945. Zürich 1974, S. 190. Mathilde Danegger: Gespräch mit Wemer Mittenzwei, a.a.O.

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Exiltheater in der Schweiz nische Gesandtschaft beim Politischen Departement in Bern Protest. Wälterlin war gezwungen, das Stück nach der dritten Aufführung abzusetzen, um politische Verwicklungen zu vermeiden. Mit dem Schauspielhaus, insbesondere mit Hirschfeld, kam Georg Kaiser nicht zurecht. In seinen überzogenen Vorstellungen hielt er diese Bühne für eine „kleinbürgerliche Schmiere". Im ersten halben Jahrzehnt nach 1933 schien Brecht mit dem Schauspielhaus verfeindet gewesen zu sein, weil man sein Stück Die Rundköpfe und die Spitzköpfe politisch ablehnte. Einen direkten Kontakt zur Leitung des Hauses stellte er nicht her. Erst am 19. April 1941 kam es zu einer Brecht-Premiere, die aber sollte in die Theatergeschichte eingehen. Lindtberg inszenierte Mutter Courage und ihre Kinder. Das Stück erhielt er von der Direktion; er besaß keine persönliche Verbindung zu Brecht. Es wurde jedoch vom gesamten Ensemble sofort als ein großes, aufregendes Werk empfunden. Die Courage spielte Therese Giehse, die Courage-Kinder wurden von Erika Pesch, Wolfgang Langhoff und Karl Paryla dargestellt. Der Koch war mit Wolfgang Heinz, der Feldprediger mit Sigfrit (Siegfried) Steiner besetzt. Teo Otto schuf das Bühnenbild. Die Musik zu diesem Stück schrieb Paul Burkhard, damals vielbeschäftigter Hauskomponist am Pfauentheater. Der Ruhm der späteren Berliner Modellinszenierung mit der Weigel hat die Bedeutung der Uraufführung etwas verblassen lassen; dabei übernahm Brecht wesentliche Elemente der Zürcher Inszenierung. So behielt er Lindtbergs Grundarrangement bei, den rollenden Planwagen, wie überhaupt das von Lindtberg und Otto erarbeitete Prinzip der Drehbühnenbewegung. Auch Paul Burkhards Musik traf den Grundgestus des Stückes so genau, daß der spätere Courage-Komponist Paul Dessau daran nicht vorbeigehen konnte. Was man in Zürich nicht erreichte, war die künstlerische Geschlossenheit der Berliner Aufführung, die Präzision, mit der eine theatralische Auffassung bis ins kleinste Detail umgesetzt wurde. Die Giehse äußerte später: „In manchen Szenen ging's ja zu wie bei Ganghofer." 40 Hauptsächlich durch die Darstellerin der Titelrolle wurde die Aufführung zu einem theatergeschichtlichen Ereignis. Später, nachdem der Ruhm der Weigel in dieser Rolle festgeschrieben war, meinten sehr kompetente Leute, daß die Darstellung der Giehse doch die größere Leistung gewesen sei. Das war, bei allem Respekt vor der Weigel, auch die Meinung von Mathilde Danegger, die in der Aufführung die kleine Rolle der Bäuerin spielte: „Ich habe mich immer schon eine halbe Stunde vorher fertiggemacht, obwohl ich als Bäuerin erst gegen Ende des Stücks dran war, um von der ersten Kulisse aus dem Spiel der Giehse zuzuschauen. Ich muß sagen, wer die Giehse nicht als Courage gesehen hat, der kennt das Stück nicht. Wenn die das ,Lied von der großen Kapitulation' gemacht hat, da hat man sich geschämt: Weil du so bist, darum ist die Welt so. Nein, das kann man nicht beschreiben, wie diese Frau in dieser Rolle war. Ich habe sie mir in jeder Vorstellung immer wieder angeschaut."41 Zwei Jahre später kam am Schauspielhaus Brechts Parabelstück Der gute Mensch von Sezuan heraus. Diesmal führte Leonard Steckel Regie, der in kurzer Zeit zu einem bevorzugten Regisseur und Darsteller der Brecht-Stücke werden sollte, obwohl man noch immer über Brechts Theaterästhetik so gut wie nichts wußte. Nach diesen beiden 40 41

Therese Giehse: Ich hob' nichts zum Sagen. Gespräch mit Monika Sperr. Berlin 1977, S. 76. Mathilde Danegger: Gespräch mit Werner Mittenzwei, a.a.O.

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Werner Mittenzwei Inszenierungen war Brecht aus dem Spielplan des Pfauentheaters nicht mehr wegzudenken. Bereits sieben Monate nach der Premiere des Guten Menschen brachte Steckel Galileo Galilei (1943) zur Uraufführung. Die Hauptrolle spielte der Regisseur selber. Er stellte, der dänischen Fassung gemäß, einen auch noch nach dem Widerruf kämpfenden und sich aufopfernden Galilei dar, einen Illegalen, einen Widerstandskämpfer, der zwar in entscheidenden Wendepunkten versäumt hat, für die Vernunft einzutreten, der aber die Vernunft als Arbeits- und Lebensprinzip nicht preisgibt. Die veränderte Situation gegen Kriegsende Während die festverpflichteten Schauspieler ihrer Arbeit nachgehen konnten, wurden mit Kriegsbeginn alle anderen Emigranten interniert. Durch Bundesratsbeschluß vom 12. März 1940 erfolgte die Einweisung der Flüchtlinge in Lager. In der Schweiz befanden sich zu jenem Zeitpunkt 7.000 bis 8.000 Menschen, die vor Verfolgung und Krieg geflohen waren. Ihre Zahl erhöhte sich bis Kriegsende ständig. 1944 gab es in der Schweiz 80 Lager. Daß selbst Internierte, die nicht in Sonderlagern wie Gordola und Bassecourt untergebracht waren, das Lagerleben schwer ertrugen und für ihre Gesundheit fürchten mußten, zeigte sich auf tragische Weise im Falle des Sängers Joseph Schmidt, der sich durch den Film Ein Lied geht um die Welt auch in der Schweiz großer Beliebtheit erfreute. Er war im Lager, weil er nirgends fest engagiert war, obwohl er ein berühmter Sänger war. Über seine letzte Station schreibt der Schweizer Alfred A. Häsler: )rJoseph Schmidt war am 27. Oktober 1942 aus dem Lager Gyrenbad ins Kantonsspital Zürich eingeliefert worden, wo man eine leichte Laryngitis und Tracheitis festgestellt hatte. Er wurde als geheilt entlassen, obwohl er über Schmerzen in der Brust klagte. Joseph Schmidt hatte große Angst, wieder ins Lager zurückzukehren, weil er - und gewiß nicht zu Unrecht - fürchtete, daß sein wertvollstes Kapital, nämlich seine Stimme, in den recht mangelhaften hygienischen Verhältnissen und durch den Staub des Strohlagers in Gyrenbad ernstlich Schaden nehmen könnte. Ein Privatarzt war bereit, Schmidt nach der Entlassung aus dem Spital in seine Klinik aufzunehmen, ihn gründlich zu untersuchen und zu behandeln. Aber die an sich nicht übelwollende Lagerleitung lehnte es - eben aus Gründen der Demokratie - ab, weil auch der bemittelte Flüchding nur in kantonalen Spitälern Aufnahme finden dürfe. So kehrte der achtunddreißigjährige Sänger schließlich ins Lager zurück. Der Lagerleiter quartierte ihn entgegenkommenderweise in dem dem Lager benachbarten Gasthaus ein. Am nächsten Morgen starb Schmidt an einem Herzschlag."42

Als sich die Niederlage Deutschlands immer deutlicher abzeichnete, lockerten sich die Maßnahmen, die von aufrechten Schweizern von Anfang an kritisiert worden waren. In den Lagern entfaltete sich jetzt eine kulturell-künstlerische Betätigung. In den Lagern Witzwill, Malvaglia, Gordola und Bassecourt kam es auch zu Theateraufführungen, die insgesamt ein stattliches und politisch-künstlerisch anspruchsvolles Repertoire ergaben. Aufgeführt wurden Dantons Tod von Georg Büchner, Galileo Galilei von Jakob Bührer, Die Fliegen erobern das Fliegenpapier („Der Mond ging unter") von John Steinbeck, Die Matrosen von Cattaro von Friedrich Wolf und Schwejk in der Schweiz, letzteres ein 42

Alfred A. Häsler: Das Boot ist voll. Die Schweiz und die Flüchtlinge 1933 - 1945. Zürich 1968, S. 272 - 278.

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Exiltheater in der Schweiz von den Internierten selbstverfaßtes Stück, das der politische Emigrant Hans Teubner nach gemeinsamer Diskussion niederschrieb. Von beachtlichem künstlerischem Anspruch war die Aufführung von John Steinbecks Der Mond ging unter, die am 1. Mai 1943 im Lager Gordola stattfand. Regie führte Fritz Köhler, ein Theatermann, der nach dem Kriege viele Jahre am Rundfunk in Frankfurt am Main tätig war. In Gordola gab man dem Stück den Titel Die Fliegen erobern das Fliegenpapier, der den Emigranten politisch aussagekräftiger erschien als der etwas romantisch klingende Originaltitel. Es handelte sich dabei um eine Dialogstelle aus Steinbecks Roman, in der ein Besatzungssoldat eingesteht, daß die Eroberungen zu nichts geführt haben, vielmehr sei man in eine Falle geraten. 1942 erschien der Roman in der Schweiz und wurde sehr bald dramatisiert. Wie in Basel gestaltete sich auch die Aufführung am Zürcher Schauspielhaus mit Langhoff, Gretler, Stöhr und der Giehse unter der Regie von Leonard Steckel zum größten Erfolgsstück der letzten Jahre. Das Verdienst der theaterbegeisterten Gordolaner bestand darin, daß sie noch vor der Aufführung in Basel und Zürich daraus ein Stück machten. Bereits zu dieser Zeit bestand ein enger Kontakt zwischen der Theaterarbeit im Lager und den antifaschistischen Emigranten am Zürcher Schauspielhaus. Wie in anderen Exilländern kam es auch in der Schweiz zur Gründung der „Bewegung Freies Deutschland". Die ersten Verständigungsgespräche fanden in der Wohnung von Jo Mihaly und Leonard Steckel statt. Zu den Mitgliedern der Gruppe, die sich in Zürich bildete, zählten Wolfgang Langhoff, Wolfgang Heinz, Teo Otto, Karl Paryla, Erwin Parker, Jo Mihaly. (Wolfgang Heinz und Karl Paryla wirkten später in der Freien Österreichischen Bewegung.) In Basel zählte Robert Trösch zu den Gründungsmitgliedern, in Bern Friedel Nowack, in St. Gallen Fritz und Martha Diez. In dieser Bewegung, die sich für eine demokratische Friedensregierung, für ein unabhängiges freies Deutschland aussprach, betätigten sich der Kommunist Wolfgang Langhoff ebenso wie der Katholik Ernst Ginsberg. Wolfgang Langhoff spielte in dieser Bewegung eine führende Rolle und trat, wie Jahre zuvor mit dem Buch über seine KZ-Einkerkerung, Die Moorsoldaten, auch publizistisch hervor. Der Ertrag der schweren Jahre Als der Krieg zu Ende war, gab es für die emigierten Schauspieler neue Möglichkeiten, wenn auch nicht sofort und nicht im gleichen Maße für alle. Ihr Emigrantendasein war zu Ende. Als erster verließ Wolfgang Langhoff das Schauspielhaus. Am 27. Oktober 1945 hatte er seine letzte Premiere. Er verabschiedete sich in der Rolle des Schauspielers in Gorkis Nachtasyl von seinem Publikum. Noch einmal zollte die Schweizer Kritik diesem Künstler höchstes Lob. Der Stadtrat von Zürich überreichte ihm eine Barspende von 1.000 Franken als Geschenk der Stadt. Er ging als Intendant an die Bühne, von der er 1933 vertrieben worden war, nach Düsseldorf, später als Nachfolger Gustav von Wangenheims an das Deutsche Theater nach Berlin. Nach Langhoff verabschiedeten sich Wolfgang Heinz, Karl Paryla, Hortense Raky, Emil Stöhr, um in ihrem Heimatland Österreich ein eigenes Theater zu gründen, die Scala. Selbst Robert Trösch, der gebürtige Schweizer, und Mathilde Danegger, die schon vor 1933 in der Schweiz lebten, verließen das Land und gingen nach Ostberlin. Therese Giehse kehrte 1949 nach München zurück. Leonard Steckel wollte gleich nach dem Kriege wieder zurück nach Deutsch285

Werner Mittenzwei land. Nach dem Tod von Gustav Härtung, der 1946 starb, hatte man Steckel die Leitung des Darmstädter Theaters angetragen. Aber er geriet auf die Schwarzen Listen der Amerikaner und erhielt lange Zeit keine Einreiseerlaubnis in die Westzonen und später in die Bundesrepublik. Eine beträchtliche Zahl der Emigranten aus dem berühmt gewordenen Ensemble blieb in der Schweiz: Leopold Lindtberg, er erwarb 1950 die Schweizer Bürgerrechte, Kurt Hirschfeld, Teo Otto, Erwin Parker. Nicht zurück kehrten auch Hans Cuqel und Jo Mihaly. Erst in den fünfziger und sechziger Jahren gingen Kurt Horwitz (1953) und Ernst Ginsberg (1963) in ihre Heimat zurück. Das Ensemble, das über zwölf Jahre eine bewundernswerte Entwicklung durchlaufen hatte, brach nach dem Krieg auseinander. Obwohl es dem Hause auch fernerhin nicht an guten, selbst an berühmten Schauspielern fehlte, war eine Entwicklung zu ihrem Abschluß gekommen. Zürich blieb weiterhin ein Ort vielbesprochener Theaterereignisse und Uraufführungen, aber das Pfauentheater zehrte von seiner großen Zeit. Ein Neuansatz unter anderen Bedingungen fand nicht statt. Was aber hatte die große Zeit erbracht? Was war der Ertrag der schweren Jahre, den die emigrierten Schauspieler für die deutsche Theaterkunst verbuchen konnten? Im Unterschied zu anderen Exilländern hatte es in der Schweiz, vor allem in Zürich, für die emigrierten Schauspieler eine Entwicklung gegeben. In den USA beispielsweise, wo so große Talente wie Kortner oder Bassermann sich nicht entfalten konnten, wären Schauspieler wie Steckel, Ginsberg, Langhoff und Heinz, die 1933 am Anfang einer Erfolgslaufbahn standen, in ihrer Entwicklung zurückgeworfen worden. Die Giehse, Steckel, Langhoff, Heinz, Paryla, Stöhr, Ginsberg, Horwitz kehrten aus der Schweiz als bedeutendere Schauspieler in ihre Heimat zurück, als sie von dort weggegangen waren. Ihr Zuwachs an Talent und Ruhm ließ sich nicht übersehen. Nachzuholen hatte hier das Publikum der Heimatländer. Lindtberg, Steckel und Heinz waren zu Regisseuren von internationalem Format herangereift. Allerdings verhinderte der früh einsetzende Kalte Krieg, daß die Leistungen von Heinz und Langhoff als Schauspieler und Regisseure auch international bekannt und anerkannt wurden. Aber Brecht bezeichnete Therese Giehse als die beste Schauspielerin Europas; Werner Wollenberg hob Heinrich Gretler aus dem Emigrantenensemble als den besten Schauspieler der Schweiz hervor; Teo Otto galt nach dem Kriege als der begehrteste Bühnenbildner der Welt. Das war schon ein Ertrag, der theatergeschichtlich zu Buche schlug. Aus historischem Abstand lassen sich deutlich zwei Traditionslinien verfolgen, die von der Theaterarbeit in der Schweiz, vom Zürcher Schauspielhaus, während der Jahre 1933 bis 1945 ausgingen. Die eine Linie führte zur Weltbedeutung der deutschsprachigen Schweizer Dramatik, die durch die Namen Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch repräsentiert wird. Mit diesen beiden Dramatikern erreichte das Schweizer Drama europäische Geltung. Die „Furcht vor dem Drama" war überwunden. Erstmals dominierten Werke Schweizer Dichter in den Spielplänen der europäischen Theater. Den Boden dafür hatte das opulente Theater zwischen 1933 und 1945, nicht zuletzt das Zürcher Schauspielhaus bereitet. Hier waren nicht nur die verschiedensten internationalen Richtungen des modernen Theaters präsent gewesen wie sonst kaum in Europa, hier hatte auch ein Theater in schwerer Zeit die menschliche Würde und Selbstbehauptung verteidigt. Den Schweizer Dichtern war dieses Theater eine Schule gewesen, die sie geformt hatte. Die Geschichte verschaffte ihnen einen Vorlauf, der ihnen für geraume Zeit eine 286

Exiltheater in der Schweiz einzigartige Stellung in der europäischen Nachkriegssituation sicherte. Dürrenmatt und Frisch erreichten Welterfolge. Die andere Traditionslinie führte nach Berlin und wirkte auf die Theaterkultur in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik. Die Zürcher Exiltradition inspirierte die Theaterarbeit des Berliner Ensembles und des Deutschen Theaters. Wie aus den Briefen Brechts an Steckel hervorgeht, bemühte er sich zielgerichtet darum, daß die Künstler des Pfauentheaters ihre „Exil-Tradition" an seiner Berliner Bühne fortsetzten. Neben Leonard Steckel, Therese Giehse, Teo Otto wollte er gern noch Ginsberg, Lindtberg, später Heinz und Paryla an sein Berliner Ensemble holen. An Lindtberg schrieb er: „Wären Sie interessiert, bei uns eine Inszenierung in der nächsten Saison zu machen? Dies wäre eigentlich fällig."43 Seine Theaterkonzeption beruhte darauf, die jungen Kräfte mit den großen Theaterleuten des antifaschistischen Exils zusammenzubringen. Daß dennoch seine Pläne nicht ganz aufgingen, lag nicht an ihm, sondern an den politischen Zuständen. Am nachhaltigsten wirkte die Zürcher Tradition auf die Entwicklung des Deutschen Theaters in Berlin ein, das seit 1946 Wolfgang Langhoff leitete. Der Einfluß vollzog sich, abgesehen von der Person Langhoffs, über die Wiener Scala, insofern erfolgte er nicht direkt, sondern vermittelt; denn 1956 kam Wolfgang Heinz mit einem großen Teil seines Ensembles, so mit den ehemaligen Mitgliedern der Pfauenbühne Karl Paryla, Emil Stöhr und Hortense Raky, an das Deutsche Theater. Daß sich in Österreich keine eigenständige Traditionslinie herausbildete, lag daran, daß unter den Bedingungen des Kalten Krieges die Scala keinen bleibenden Nachhall erreichen konnte. Das Publikum fand sich nicht - wie in Zürich - zum „Chor" bereit, wodurch erst die Kunstleistung eines Theaterabends zum fortwirkenden Ereignis wird.44 Durch die Entwicklungsarbeit von Wolfgang Langhoff und Wolfgang Heinz bekam die damals in der DDR abstrakt und dogmatisch vermittelte Stanislawski-Methode eine praktische Fundierung. So entstand in den fünfziger Jahren am Deutschen Theater neben dem Berliner Ensemble eine eigenständige Spielweise, die zwar im Schatten von Brechts Weltruhm stand, der aber eine nicht geringere theatergeschichtliche Bedeutung zukam. Für die aus Deutschland und Österreich verjagten Bühnenkünstler erwies sich das Zürcher Schauspielhaus als ein Glücksfall. Im Grunde war es während der Hitlerdiktatur der einzige Ort, wo sich über eine längere Zeit, über zwölf Jahre, ein Emigrantenensemble etablieren konnte, wo eine Weiterentwicklung deutscher Schauspielkunst stattfand. Zürich blieb die Ausnahme. Literatur Herv6 Dumont: Das Zürcher Schauspielhaus von 1921 -1938. Lausanne 1973. Herv6 Dumont: Leopold Lindtberg und der Schweizer Film 1935 -1953. Ulm 1981. Günther Schoop: Das Zürcher Schauspielhaus im Zweiten Weltkrieg. Zürich 1957. 43

44

Bertolt Brecht an Leopold Lindtberg v. 25. April 1950. In: Leopold Lindtberg: Reden und Aufsätze. Hrsg. u. mit Anm. vers, von Christian Jauslin. Zürich 1972, S. 96 (Bildteil). Eine ausführliche Darstellung der Wiener Scala und ihrer Beeinträchtigung in der Phase des Kalten Krieges geben: Hilde Haider: Das Zürcher Schauspielhaus und das Theater in Österreich. In: Das verschonte Haus. Das Zürcher Schauspielhaus im Zweiten Weltkrieg. Hrsg. von Dieter Bachmann u. Rolf Schneider. Zürich 1987; Wilhelm Pellert: Roter Vorhang/Rotes Tuch. Das Neue Theater in der Scala (1948 - 1956). Wien 1979.

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Werner Mittenzwei Curt Riess: Sein oder Nicht-Sein. Der Roman eines Theaters. Zürich 1963. Alfred A. Häsler: Das Boot ist voll. Die Schweiz und die Flüchtlinge 1933 - 1945. Zürich 1968. Werner Mittenzwei: Exil in der Schweiz. Leipzig 1978 (= Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933 -1945, Bd. 2). Werner Mittenzwei: Das Zürcher Schauspielhaus 1933 - 1945 oder Die letzte Chance. Berlin [DDR] 1979. Theater. Meinungen und Erfahrungen. [Von] Mitgliedern] des Zürcher Schauspielhauses. Affoltern 1945 (= Schriftenreihe „Über die Grenzen", Bd. 4). Leopold Lindtberg: Das Zürcher Schauspielhaus in den Dreißiger und Vierzigerjahren. Sonderdruck 1982. Das verschonte Haus. Das Zürcher Schauspielhaus im Zweiten Weltkrieg. Hrsg. von Dieter Bachmann u. Rolf Schneider. Zürich 1987. Ausgangspunkt Schweiz. Nachwirkungen des Exiltheaters. Hrsg. v. Christian Jauslin u. Louis Naef. Willisau 1989. Archive Stiftung Archive der Akademie der Künste, Berlin: Georg-Kaiser-Archiv, Leonard Steckel-Archiv, Leopold Lindtberg-Archiv, Wolfgang-Langhoff-Archiv, BertoltBrecht-Archiv, Friedrich-Wolf-Archiv, Wolfgang-Heinz-Archiv, Sammlung Theater im Exil Archiv des Zürcher Schauspielhauses Politisches Archiv des Schweizerischen Verbandes des Personals öffentlicher Dienste (VPOD). Zürich Schweizerischer Bühnenkünstlerverband Sektion VPOD Basel Schweizerisches Sozialarchiv. Zürich Zentralbibliothek Zürich/Handschriftensammlung. Zürich

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Peter

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Theater im sowjetischen Exil Vorexil - Wege ins Exil Die Zahl der deutschen Theateremigranten in der Sowjetunion nimmt sich merkwürdig gering aus. Mit einer gewissen Unscharfe nach oben, die sich durch manche noch nicht aufgehellte Biographie ergibt, dürften es nur wenig über 40 gewesen sein. Rund ein Viertel von ihnen kam aus den Reihen der Arbeitertheaterbewegung, einschließlich der Leitungsebene des Arbeiter-Theater-Bundes Deutschland. Unter den professionellen Kräften war es dabei die Regel, zumindest zeitweilig einem linksoppositionellen bzw. .revolutionären' Theaterkollektiv angehört zu haben. Nicht erfaßt sind in dieser Statistik Dramatiker, sofern sie nicht zugleich als Theaterleiter, Regisseure oder Schauspieler in Erscheinung traten, sowie Dirigenten, die im sowjetischen Musiktheater tätig wurden. Annähernd die Hälfte jener Theateremigranten erlangte ihren eigentlichen Exilstatus erst nachträglich, befand sich also schon vor dem 30. Januar 1933 in der Sowjetunion. Dies erklärt sich zum einen aus den prekären wirtschaftlichen Bedingungen, denen das linke revolutionäre Theater und der sich eben erst herausbildende proletarische Film in Deutschland ausgesetzt waren, sowie aus den sich besonders im Zuge der Präsidialdiktaturen häufenden Repressionen. Zum anderen hatten sich innerhalb der von Willi Münzenberg gegründeten Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) und des 1929 entstandenen Internationalen Arbeiter-Theater-Bundes (IATB) bzw. - ab 1932 - Internationalen Revolutionären Theaterbundes (IRTB) relativ eigenständige kulturelle Kooperationsbeziehungen mit der Sowjetunion entwickelt, auf die dann im Umbruch zum Exil zurückgegriffen werden konnte. Die deutsch-sowjetischen Theaterkontakte förderte die IAH u.a. durch die Organisierung des Gastspiels der berühmten Moskauer BLAUEN BLUSEN 1927 und des Meyerhold-Theaters 1930. Sie besaß aber auch eine eigene Werbetruppe - die KOLONNE LINKS. Diese war 1927/28 unter Leitung von Helmut Damerius aus Fichte-Wandersportlem des Berliner Stadtbezirks Steglitz hervorgegangen. Im Frühjahr 1931 wurde sie mit einer mehrwöchigen Reise in die Sowjetunion ausgezeichnet. In der Zwischenzeit war in Deutschland die „Notverordnung zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen" in Kraft getreten und über Berlin ein inoffizielles Auftrittsverbot für Agitproptruppen verhängt worden. Die Leitung der deutschen IAH-Sektion beschloß daraufhin, die KOLONNE LINKS vorerst für einige Zeit in der Sowjetunion zu belassen. Dort sollte sie sich um die kulturelle Betreuung der ausländischen Arbeiter und Spezialisten kümmern eine mehrere tausend Menschen umfassende, über viele Industriestandorte verteilte Publikumsgruppe. Doch das betreffende Telegramm erreichte die Truppe nicht mehr rechtzeitig, so daß sie sich, gerade zurückgekommen, sofort wieder zur Abreise rüsten mußte, diesmal an Bord zweier sowjetischer Fischfangtrawler auf dem viel längeren und strapaziöseren Weg durch den Sueskanal nach Wladiwostok im Fernen Osten. Der Kapitän hatte aus Sicherheitsgründen nur die Männer mitgenommen. Das waren neben Damerius Kurt Ahrendt, Hans Kieling, Karl Oefelein, Bruno Schmidtsdorf und der Truppenkomponist Hans Hauska. Als einziges der ursprünglich drei weiblichen Mitglieder reiste Do-

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Peter Diezel ra Dittmann später mit dem Zug nach. Von ständigen Auftritten entlang der transsibirischen Eisenbahn-Trasse unterbrochen, traf die Truppe schließlich Mitte Oktober 1931 in Moskau ein. Nach personeller Ergänzung durch eine Reihe von Laienspielern aus dem Klub ausländischer Arbeiter in Moskau wurde sie als DEUTSCHES THEATER DER ARBEITERJUGEND dem Moskauer ZENTRALEN THEATER DER ARBEITERJUGEND (ZENTRAL-TRAM) angeschlossen. In ihren Programmen setzte sie sich vorwiegend mit der politischen Haltung der ausländischen Arbeiter und Spezialisten auseinander, sei es auf naiv belehrende oder - und hierin lag ihre Stärke - satirisch-kabarettistische Art und Weise. Ihre Tourneen führten sie in fast alle wichtigen Industriegebiete und Aufbauzentren des Landes, darunter zweimal in den Ural. Allein die Bilanz der ersten acht Monate als „Agitbrigade der ausländischen Arbeiter" wies über 80 Veranstaltungen vor rund 50.000 Zuschauern aus (Deutsche Zentral-Zeitung, 18. August 1932). Nicht zuletzt wurde der Agitprop-Stil von den ausländischen Arbeitern deshalb „bejaht", weil er ihnen von Deutschland her bekannt war und so ein besonderes Moment der Bindung an die frühere Heimat bedeutete.1 Mehr noch als das Theater unterstützte die IAH den Film. So setzte die 1926 von LAH und KPD gegründete Prometheus GmbH die großen „Russenfilme" in Westeuropa und den USA durch, allen voran Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin, und ermöglichte gleichzeitig die Produktion der ersten proletarischen deutschen Spielfilme. Da die Prometheus Anfang der dreißiger Jahre in Konkurs ging, konzentrierten sich die weiteren Film-Aktivitäten der IAH auf die 1923 aus dem Zusammenschluß mit der Moskauer „Rus" hervorgegangene Meshrabpom-Filmgesellschaft (russische Abkürzung für Internationale Arbeiterhilfe). Hier wurden u. a. die Pudowkin-Filme Die Mutter (nach Maxim Gorki), Das Ende von St. Petersburg und Sturm über Asien gedreht. Nachdem 1928 die IAH zum alleinigen Aktieninhaber geworden war und das Grundkapital auf 1.200.000 Rubel erhöht hatte, nahmen in der Folge auch westliche Themen und Künstler einen größeren Platz ein. 1931 begann Erwin Piscator mit den Dreharbeiten zu seiner Adaption der Anna-Seghers-Novelle Aufstand der Fischer (von St. Barbara). Während die deutsche Version - noch gab es keine Synchrontechnik - wegen widriger Umstände: Atelierbrand in Moskau, Stürme am Außendrehort Odessa, vertragsbedingte Rückkehr mehrerer Darsteller, schon bald wieder aufgegeben werden mußte, konnte die russische zwar fertiggestellt werden, jedoch - es war inzwischen Anfang 1934 geworden - viel zu spät. Damit hatte sich der Film selbst um seine aktuellen Wirkungschancen gebracht. Heute mutet er wie ein Dokument der trügerischen Revolutionserwartung der Komintern von vor 1933 an. Seine nichtnaturalistische Modell-Wirklichkeit, wofür auch die eingebauten Chöre stehen, und seine in ihrer Dynamik und panoramahaften Weite äußerst eindrucksvollen Montage-Bilder lassen ihn trotz mancher Schwäche in der Handlungsführung als eines der wichtigsten kinematographischen Werke jener Zeit erscheinen. Im Sommer 1932 wurde der Schauspieler Hans Rodenberg, zuletzt Instrukteur der Sektion Film - Bühne - Musik der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition und Vorsitzender der Jungen Volksbühne Berlin, als stellvertretender Produktionsleiter des Meshrabpom-Studios nach Moskau verpflichtet; bereits vorher war Peter Holm (d. i. 1

Ilse Fogarasi: Magnitogorsk. Reisetagebuch. S. 125. Typoskript im Archiv der Akademie der Künste.

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Theater im sowjetischen Exil

Georg Kaufmann), zu Piscators deutscher Aufstand-Besetzung gehörend, von Pudowkin in das ständige Darsteller-Ensemble übernommen worden (Sturmschritt, 10/1932, S. 64). Im Unterschied zur Meshrabpom-Filmgesellschaft verfügte der IRTB zwar kaum über eigene finanzielle Mittel und schon gar nicht über künstlerische Produktionskapazitäten, erwies sich aber in der Folge als wichtigste Vermittlungsinstanz für die deutschen Theater-Emigranten nach der Sowjetunion. Mit Arthur Pieck, ehemals 1. Vorsitzender des Arbeiter-Theater-Bundes Deutschland, im Büro des Moskauer Sekretariats und Erwin Piscator als Sekretariatsmitglied, ab November 1934 sogar IRTB-Präsident, hatten die deutschen Vertreter entscheidende Leitungspositionen inne. Als auf dem 1. erweiterten Plenum des IATB im Sommer 1931 das Projekt eines sogenannten „Internationalen Theaters" in Moskau entwickelt wurde, zeichnete sich darin auch schon die grundlegende Idee der späteren Exiltheater-Planungen ab. Sie basierte auf dem Konsens, daß den internationalistischen Aufgaben und Verpflichtungen wie der künstlerisch-methodischen Qualifizierung von Arbeiterschauspielern aus den kapitalistischen Ländern oder der Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten für Emigranten auch ein konkreter Nutzen für die Sowjetunion, z.B. durch die kulturelle Betreuung der ausländischen Arbeiter und Spezialisten oder der deutschsprachigen nationalen Minderheit, zu entsprechen habe. Zudem sollte so der augenscheinliche Beweis angetreten werden, daß sich die proletarischrevolutionäre und fortschrittlich-humanistische Kunst nur unter sozialistischen Bedingungen wirklich entfalten könne. Parallel zum IATB bemühte sich auch der Kunstsektor beim Volkskommissariat für Bildungswesen der RSFSR, der Russischen Sowjetischen Föderativen Sozialistischen Republik, ein in verschiedene Sprachgruppen - deutsch, englisch und französisch - unterteiltes „Internationales Theater" für die ausländischen Arbeiter aufzubauen. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist jedoch nur die Aufführung - wahrscheinlich sogar Uraufführung - von Anna Gmeyners Zehn am Fließband, einem Stück über das Scheitern eines jüdischen Arbeiter-Erfinders im sich faschisierenden Deutschland. Die russischsprachige Inszenierung wurde sowohl in einem längeren Gastspiel in Magnitogorsk, „wo sie bei allen Zuschauern eine ungeteilt gute Aufnahme" fand (DZZ, 22. August 1932), als auch danach in Moskau gezeigt. Ilse Berend-Groa, ehemals Schauspielerin am Königlichen Theater in Kassel (1905 1912), später Leiterin des PROLETKULT CASSEL ( 1 9 2 1 - 1928), spielte darin eine stumme Rolle. Über das geplante Internationale Theater war sie durch ihre sich damals in der Sowjetunion befindliche Freundin Berta Lask informiert worden, für deren Stücke sie sich in besonderem Maße eingesetzt hatte - u. a. als Regisseurin der Uraufführung von Thomas Münzer 1925 in Eisleben und von Giftgaskrieg gegen Sowjetrußland 1927 in Kassel. Da es Ehepaaren zumindest vor 1918 noch untersagt war, gemeinsam an einer landeshoheitlichen Bühne tätig zu sein, hatte sie nach ihrer Heirat nie wieder ein festes Engagement erhalten.2 Nach der Auflösung des Internationalen Theaters begann sie ein Regiestudium am Moskauer Staatlichen Institut für Theaterkunst (GITIS). Von dort aus wurde sie schon nach dem ersten Jahr, 1935, an das 1933 gegründete deutsche Theaterstudio Odessa, das spätere DEUTSCHE KOLLEKTTVISTENTHEATER ODESSA, geholt. Zur Unterstützung des Internationalen Theaters hatte man auch Mischket Liebermann herangezogen - Tochter eines Rabbiners aus dem Berliner „Scheunenviertel" und vordem 2

Ilse Fogarasi: Magnitogorsk, a.a.O., S. 58 ff.; Protokoll eines Gesprächs am 16. - 21. Dezember 1969 in Budapest.

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Peter Diezel Schauspielerin an Max Reinhardts Kammerspielen - , die schon 1929 an das Weißrussische Jüdische Staatstheater in Minsk gegangen war. Von den anderen Reichsdeutschen blieb nach Auflösung des Internationalen Theaters lediglich Friedrich Voss in der Sowjetunion, ehemaliges Mitglied des KOLLEKTIVS JUNGER SCHAUSPIELER Leipzig. In einer anderen Plan-Variante des Internationalen Theaters fungierte Erwin Piscator als Direktor. Als solcher fragte er im Frühjahr 1932 telegraphisch bei Ernst Held (Heinrich Ernst Rosenbaum) an, Regisseur an den Hamburger und Münchner Kammerspielen, ob er nicht die Uraufführung von Bertolt Brechts Die heilige Johanna der Schlachthöfe übernehmen wolle. Held bekam „zwar ein schönes Gehalt - aber von Piscators Theater in Moskau war [...] nichts zu merken".3 Er hatte dafür das zeitgleiche Angebot, Oberspielleiter am Zürcher Schauspielhaus zu werden, ausgeschlagen. Bedarf an deutschen Schauspielern wurde auch aus der Wolgadeutschen Republik gemeldet. So eröffnete das erst seit Juni 1931 bestehende Deutsche Staatstheater Engels seine Winterspielzeit 1932 mit nicht weniger als sechs Reichsdeutschen" Kräften. Das dortige Ensemble war gerade erst dem künstlerischen Laienschaffen entwachsen und benötigte dringend fachliche Hilfe; ein vorheriger Versuch, mit deutschsprechenden russischen Schauspielern zu arbeiten, war fehlgeschlagen (DZZ, 11. Oktober 1932; Nachrichten, 11. September 1932). Bis auf Karl Weidner, zuvor Dramaturg am Leipziger Theater und Referent für Filmfragen am sächsischen Rundfunk sowie Mitglied des KOLLEKTIVS JUNGER SCHAUSPIELER Leipzig, blieb jedoch keiner der deutschen Schauspieler über die Spielzeit 1933/34 hinaus, das vermutliche Ende ihrer Vertragsdauer. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten und die sogleich von ihnen veranlaßte Verhaftungs- und Verfolgungswelle änderten zunächst kaum etwas an der Aufnahmepraxis deutscher Künstler, speziell Theaterschaffender, durch die Sowjetbehörden. Denjenigen, die sich zu diesem Zeitpunkt gerade in der Sowjetunion befanden und entgegen ihrer ursprünglichen Absicht aus politischen Gründen nicht nach Deutschland zurückkehren wollten, scheint in aller Regel der weitere Verbleib ohne größere Schwierigkeiten gestattet worden zu sein. Anders verhielt es sich mit denen, die erst in die Sowjetunion kommen wollten. Außer der möglichst vorab zu erfolgenden Sicherung eines Arbeitsplatzes mußte eine entsprechende Erlaubnis von deutscher, d. h. KPD-Seite erteilt werden. Als Tendenz hatte sich dies bereits bei den damaligen Engagementsbemühungen des Internationalen Theaters angekündigt. Neben durchaus berechtigten Bedenken in sozialer Hinsicht - unzureichende Gagen, fehlende Garantien für Wohnungen4 spielte dabei auch die politische Eignung eine Rolle.5 1936, angesichts der Moskauer Prozesse, bezog sich Wilhelm Pieck erneut auf diesen Kontrollmechanismus: „Wir hatten zwar den Grundsatz aufgestellt, daß ohne die ausdrückliche Genehmigung der führenden Parteikörperschaften kein Genösse das Land verlassen durfte. Da aber vielfach die Verbindungen der einzelnen Genossen zu den örtlichen und bezirklichen Parteikörperschaften abrissen, so haben die Genossen auf eigene Faust sich zur Flucht entschlossen. Es ist aber an der Zeit, wieder eine parteimäßige Ordnung in diesen Zustand zu bringen."6 3 4 5 6

Ohne Scham. Lebensbericht der Nelly Held, erfragt und herausg. von Marianne Krumrey. Berlin 1990, S. 76. Ilse Fogarasi: Magnitogorsk, a.a.O., S. 118. Hans Otto in einem Brief an Hans Rodenberg, undat. ehemal. ZPA Berlin, NL 14/3. Wilhelm Pieck in einem Brief an die Pariser Auslandsleitung der KPD vom 10. August 1936; ehemal. ZPA Berlin, I 2/3/286.

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Theater im sowjetischen Exil Von den Vorbehalten abgesehen, die sich aus der „klassenmäßigen Einordnung" der Berufstheater-Künstler ergaben, nämlich dem als politisch labil eingeschätzten „Kleinbürgertum" anzugehören und einer entsprechenden Lebensweise verhaftet zu sein, mochte die Zuzugsbegrenzung aufgrund der zum Teil katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse Anfang der dreißiger Jahre - nach der mit der „Liquidierung der Kulaken" verbundenen „durchgängigen Kollektivierung" auf dem Lande sowie dem gewaltige Disproportionen auslösenden Industrialisierungskurs des ersten Fünfjahrplans - sogar angeraten sein. Wie schwer es auf parteilegalem Wege für einen disziplinierten Genossen war, in die Sowjetunion zu gelangen, zeigt das Beispiel Maxim Vallentins. Er, der Sohn des früh verstorbenen Regisseurs Richard Vallentin (deutsche Erstaufführung von Gorkis Nachtasyl, 1903), hatte nach seiner Schauspielerausbildung bei Leopold Jeßner und ersten Engagements in Berlin und Zürich radikal mit dem bürgerlichen Theaterbetrieb gebrochen und sich der Arbeitertheater-Bewegung zur Verfügung gestellt, der er - besonders mit der von ihm aufgebauten und geleiteten Agitproptruppe DAS ROTE SPRACHROHR Berlin - wesentliche Entwicklungsimpulse verlieh. Auf eine erste Anfrage bei den deutschen Sektionsvertretern des IRTB in Moskau erhielt er in einem Brief vom 14. Oktober 1933 zur Antwort: „Wir selbst verstehen Deine Absichten und Pläne, doch stoßen wir bei Vater [der sowjetischen KP] auf Widerstand. Er will nicht, daß Du auch nur besuchsweise zu uns kommst. Er sagt, daß jetzt schon viele Verwandte hier sind, für die er und wir sorgen müssen und daß es über unsre Kräfte geht, wenn die ganze Verwandtschaft hierher kommt."7 Ein „Generalvertreter" namens Fritz (Fritz Heckert) riet ihm, sich direkt an Wilhelm Pieck zu wenden.8 Vallentin tat das Ende Oktober 1933. Da inzwischen der Theaterverein, in dem ein Teil des ROTEN SPRACHROHRS illegal Fuß gefaßt hatte, gezielt von der SA observiert worden war und er wegen seines hohen Bekanntheitsgrades auch nur schwer anderweitig eingesetzt werden konnte, bat er um „die Möglichkeit [...], in der SU" seine „politisch-künstlerische Schulung zu ergänzen, kritisch das bürgerliche Theatererbe sowie die Erfahrungen des Sowjettheaters zu erwerben." Er fügte hinzu: „Ich bin überzeugt, daß ich am Sowjettheater leicht Arbeit finden könnte, keiner Organisation und keinem Einzelnen zur Last fallen würde und auch mit meinen Erfahrungen und Fähigkeiten dem Sowjettheater dienen könnte." Auch die Mitglieder seiner Truppe und der illegalen Reichsfraktionsleitung des ATBD stellten sich hinter seinen Antrag, den er zugleich auf seine Frau Edith ausgedehnt wissen wollte. Im Fall einer Ablehnung ersuchte Vallentin darum, wenigstens „für einige Zeit [...] im Ausland als revolutionärer Regisseur und Dramaturg arbeiten zu dürfen". 9 Am 13. Dezember 1933 wurde ihm schließlich durch das Zentralkomitee die Emigration in die Tschechoslowakei gestattet. Erst im Mai 1935, als Piscator nach einem künst7

8 9

„Heinrich und Grete" [d. i. Heinrich Diament und Margarete Lode] in einem Brief an Maxim Vallentin vom 14. Oktober 1933; Vallentin-Nachlaß, Archiv der Akademie der Künste. Ebenda: Fritz [Heckert] in einem Brief an Maxim Vallentin vom 15. Oktober 1933. Maxim Vallentin; ehemal. ZPA Moskau, 540/49.

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Peter Diezel lerischen Leiter für das zu errichtende DEUTSCHE GEBIETSTHEATER DNJEPROPETROWSK

Umschau hielt, kam man wieder auf ihn zu. In den von ihm 1936 eingereichten Unterlagen zur Überführung in die KPdSU heißt es dazu: „ich überließ die entscheidung über die annahme des angebots völlig der emigr[ations]leitung, die sich für annahme entschied, meine Visumsangelegenheit klappte sehr schnell, und schon im juni fuhr ich nach der S.U. - (nicht auf intourist!)" Auch Gustav von Wangenheim und ein Teil der TRUPPE 1931 wurden aus ihrem Pariser Exil erst gerufen, als die KOLONNE LINKS mit ihrer Hilfe neu aufgebaut werden sollte. Nach der allgemeinen Diskreditierung der Agitproptheater-Form in der Sowjetunion besaß sie - so Fritz Heckert als Kominternvertreter - „keine Existenzberechtigung mehr"10. Von den alten KOLONNE-Mitgliedern hatte sich inzwischen Hans Klering für die männliche Hauptrolle in Boris Barnets Film Okraina („Vorstadt") entschieden und Helmut Damerius für ein Studium an der Kommunistischen Universität des Westens. Ein Versuch, mit Ernst Held Szenen aus Nikolai Pogodins Mein Freund, dem erregenden Porträt eines neuen sozialistischen Wirtschaftsfunktionärs, einzustudieren und diese - auf eine übereilte Forderung hin - auf der Internationalen Olympiade des revolutionären Theaters zu zeigen, mißlang. Held, der erfolgreich mit erlesenen Kräften wie Elisabeth Bergner als Shaws Heiliger Johanna zusammengearbeitet hatte, konnte - und dieser Sachverhalt kann verallgemeinert werden - begreiflicherweise nicht mit dem ihm völlig fremden Typ des Agitpropakteurs zurechtkommen.11 Auf seinen Wunsch hin erhielt er eine Regieassistenz bei Meyerhold, dem er dann 1938 bei Schließung von dessen Theater - wohl aufgrund von Überlebensnot in der Kulturredaktion der DZZ - einen schmähenden „Nachruf' (9. Januar 1938) hinterherschicken mußte. Nachdem Gustav von Wangenheim und Ingeborg Franke, die spätere Schriftstellerin Inge von Wangenheim, schon am 6. August 1933 in Moskau eingetroffen waren12, folgten am 26. Januar 1934 Curt Trepte und seine damalige Frau Luisrose Fournes13. Arthur Pieck, seit März 1933 geschäftlicher Direktor der KOLONNE LINKS, hatte Trepte in einem Schreiben vom 15. Oktober 1933 mitgeteilt: „Die Direktion des deutschen Theaters der Arbeitequgend KOLONNE LINKS, Sitz Moskau, UdSSR, Uliza Gerzena 19, bietet dem Genossen Kurt Trepte, Schauspieler, zur Zeit in Paris, eine Anstellung als Schauspieler zu folgenden Bedingungen an: 1.) Monatsgage Rubel 250-, 2.) Bezahlung der Reisekosten von der Grenze der Sowjet-Union bis Moskau ΙΠ. Klasse."14 Robert Trösch, der als gebürtiger Schweizer zunächst wieder in seine Heimat zurückgekehrt war, und Heinrich Greif, der noch einige Monate illegale Partei- und Gewerkschaftsarbeit in Berlin geleistet hatte, stießen im März bzw. April 1934 hinzu. Von Arthur Pieck war ebenfalls die frühere Piscator-Elevin Lotte Loebinger eingeladen worden, die ihrerseits, nachdem sie schon in Moskau war, Wangenheim auf den noch gänzlich unbekannten Erwin Geschonneck aufmerksam machte. Hinter beiden lag der 10

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Gustav von Wangenheim: Tagebuch-Notiz vom 14. Oktober 1934; Wangenheim-Nachlaß, Mappe 441, Archiv der Akademie der Künste. 19. Juni 1933. Betrifft: KOLONNE LINKS; ehemal. ZPA Moskau, 540/43, Bl. 93-91. Nach dem Tagebuch von Arthur Pieck. Curt Trepte: Politischer Lebenslauf; Trepte-Nachlaß, Archiv der Akademie der Künste. Trepte-Nachlaß, Archiv der Akademie der Künste.

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Theater im sowjetischen Exil Versuch - der in Verhaftung und Ausweisung endete - , im Polen Pilsudskis Theater für die jüdische Minderheit machen zu wollen. Carola Neher, die u. a. den KOLONNELLNKS-Mitgliedern Schauspielunterricht gab, scheint hingegen nicht auf dem Wege gezielter Einladung, sondern durch ihren damaligen Mann, den deutsch-rumänischen Ingenieur Anatol Becker, und entsprechende private Vermittlungen nach Moskau gekommen zu sein. Machen die Engagements für den geplanten Ausbau der KOLONNE LINKS zum DEUTSCHEN THEATER MOSKAU die erste Welle der Theateremigration in die Sowjetunion aus, so resultiert die zweite - wiederum ganz projektbezogen - aus der Errichtung des DEUTSCHEN GEBIETSTHEATERS DNEPROPETROWSK 1935/36. Auch hier übte der IRTB die entscheidende Mittlerfunktion aus. Neben Maxim Vallentin zählen zu dieser Gruppe das Ehepaar Emmi (Amy) Frank und Friedrich Richter (Rosenthal), Hermann Greid, Gerhard Hinze und Leo Bieber. Bis auf letzteren hatten alle schon zuvor ihre bürgerliche Schauspielerkarriere aufgegeben, um sich jungen revolutionären Schauspielerkollektiven anzuschließen: Frank, Richter und Greid vom angesehenen Düsseldorfer Schauspielhaus zur 1929/30 von Willy Schürmann-Horster gegründeten TRUPPE IM WESTEN, Hinze vom Hamburger Schauspielhaus, dessen erster jugendlicher Held er war, zum KOLLEKTIV HAMBURGER SCHAUSPIELER. Rosenthal, Sohn eines jüdischen Textilfabrikanten aus Brünn, der nach dem Ende der TRUPPE IM WESTEN 1932 als Externist am Kölner Schauspielhaus arbeitete und sich dort wegen antisemitischer Stimmungen in Richter umbenennen mußte, sowie seine Frau Emmi Frank wurden Ende März 1933 bei einem Agitpropauftritt verhaftet und, da sie tschechoslowakische Staatsbürger waren, in V

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die CSR ausgewiesen. Hinze geriet in die Fänge der SA und Gestapo, wo er Zeuge des qualvollen Zu-Tode-Folterns von Hans Otto wurde. Anschließend mußte er im KZ Oranienburg die Mißhandlung Erich Mühsams miterleben, ehe er dann selbst nach verbüßter zehnmonatiger Haft in die Tschechoslowakei emigrieren konnte.16 Am 24. November 1935 trat er erstmals auf einem Tolstoi-Abend im Klub ausländischer Arbeiter in Moskau auf, bevor er nach Dnepropetrowsk weiterreiste. Greid, der noch 1932 an die Berliner Volksbühne zu Hilpert gegangen war, hatte sich im März 1933 - kurz bevor ihn eine Haussuchung ereilte - nach Stockholm absetzen können, wo die Familie seiner Frau, einer Schwester des jüdischen Bankiers Aschberg, ansässig war.17 Wangenheim hatte ihn bereits während seiner Übersiedlung von Paris nach Moskau besucht und eine künftige Zusammenarbeit vereinbart. In seinen späteren Aufzeichnungen schreibt Greid: „Es vergingen aber erst noch zwei volle Jahre, ehe wir uns im Menschengewirr des Moskauer Filmateliers treffen konnten. Zwei Jahre der intensiven Vorbereitungen und des immer wieder notwendigen Aufschubs, [...] von knapp dahinter folgenden resignierten Stopp-Telegrammen".18 13 16

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Friedrich Richter im Gespräch mit Peter Diezel. Gesprächsnotizen. Hans Otto - ein Mann seltener Art. Biographie, Lebenszeugnisse, Dokumente. Hrsg. von Jutta Wardetzky unter Mitarbeit von Curt Trepte. Berlin [DDR] 1985, S. 91 ff.; Joan Rodker, Brief an Ρ. Diezel vom 13. Januar 1977. Helmut Müssener: „Wir, denen niemand dankt". Hermann Greids Drama „Die andere Seite" und das deutschsprachige Theater im schwedischen Exil. In: Exiltheater und Exildramatik 1933 - 1945. Maintal 1991, S. 185 f. (= Exil, Sonderband 2). Hermann Greid: Als Fremder drei Jahre -1933 -1936 - in Schweden und in der Sowjetunion, S. 53. Typoskript im Archiv der Akademie der Künste.

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Peter Diezel

Greid hatte sich vorsichtshalber nur auf ein Jahr verpflichtet. Zusammen mit seiner Frau traf er mit einem Riesengepäck (14 große Schiffsfrachtstücke) am 26. August 1935 in Moskau ein. 19 Wie Vallentin ihn nach dem ersten Kennenlernen verächtlich als „Bourgeois" bezeichnete (MV an EV, 12. September 1935), so sah Greid in Vallentin wiederum nur den „fanatischen Theoretiker und Bolschewik(en)" 20 - am Ende schätzten sich beide. Eine dritte Welle der Theateremigration hätte schließlich die Realisierung von Piscators Engels-Projekt 1936/37 auslösen können. Zum engeren Kreis der Ansprechpartner gehörten u.a. neben Carola Neher, Alexander Granach und Ernst Busch, die damals schon auf anderen Wegen in die Sowjetunion gelangt waren, Helene Weigel, Leonard Steckel, Jo Mihaly, Karl Paryla, Erwin Kaiser, Wolfgang Langhoff, Josef (Jose) Almas, Otto Wallburg, Leo Mittler und Herbert Berghof. Gescheiterte Pläne - die verschiedenen Ansätze deutschen Exiltheaters in der Sowjetunion Bezeichnend für die Exiltheater-Projekte in der Sowjetunion ist, daß sie sich entweder überhaupt nicht realisieren ließen oder schon nach kurzer Zeit wieder aufgegeben werden mußten. Spätestens 1937 - kalendarischer Höhepunkt des stalinistischen Massenterrors - , nach nur vier Jahren also, war es mit allen diesbezüglichen Versuchen vorbei. Piscator verfolgte von Anfang an den Plan eines großen repräsentativen Exiltheaters. Er ging von der notwendigen Zusammenführung wichtiger Exilkader aus, die für ein Theater im Sinne seines eingreifenden Politik-Verständnisses und seiner ästhetischen Avantgarde-Intentionen in Frage kamen. In der Leningrader Roten Zeitung (24. Juli 1933) erklärte er: „Dieses Theater müßte zur Konzentration der geistigen Kräfte führen, die erstklassigen Künstler sammeln, die gezwungen waren, Deutschland zu verlassen und jetzt in ganz Europa, Prag, Wien, Paris, Kopenhagen zerstreut sind." Auch Schriftsteller und andere Künstler sollten herangezogen werden. „Die finanzielle Frage wäre durch eine bestimmte Kombinierung von Film- und Rundfunkgruppen zu lösen", heißt es in einer von ihm und Bernhard Reich entworfenen Denkschrift. „Dadurch hätte man die Möglichkeit, bedeutenden Schauspielern entsprechende Gagen bieten zu können, und zu gleicher Zeit den Gagenetat auszubalancieren. Die betreffenden amtlichen Stellen müßten demnach hauptsächlich die in Moskau schwierige Versorgungs- und Wohnungsfrage lösen."21 Während Piscators Vorschläge wegen ihrer auf mindestens eine Million Rubel veranschlagten Subventionssumme als „vorläufig undurchführbar" zurückgestellt wurden 22 , begann Gustav von Wangenheim zunächst ganz unspektakulär mit der vereinbarten künstlerischen Qualifizierung der KOLONNE-LlNKS-Mitglieder. Ihnen hatte sich zuvor noch Hanni Schmitz, die Frau Rodenbergs, angeschlossen, eine ehemalige Tänzerin, die 19

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Maxim Vallentin in einem Brief an Edith Vallentin vom 30. August 1935. Der Briefwechsel wird im folgenden mit den Kürzeln MV an EV und der Datumsangabe zitiert;Vallentin-Nachlaß, Archiv der Akademie der Künste. Hermann Greid: Als Fremder drei Jahre - 1933 - 1936 - in Schweden und in der Sowjetunion, a.a.O., S. 58. Ehemal. ZPA Moskau, 540/43, Bl. 134-133. Erwin Piscator: Zu Händen des Genossen Heckert; ehemal. ZPA Moskau, 540/49.

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Theater im sowjetischen Exil sich als begabte Sängerin erwies, u. a. trug sie Brechts/Eislers Mutter-Lieder in einer Textmontage von Helmut Damerius vor. Neu kamen hinzu: Rudolf Nehls, einer der vorher nach Engels verpflichteten „reichsdeutschen" Kräfte, ehemaliges Mitglied der GRUPPE JUNGER SCHAUSPIELER Berlin, der aber nur für kurze Zeit blieb und später bis zu seiner Verhaftung - als Dozent für deutsche Sprache in der Ukraine arbeitete 23 , sowie das „Multitalent" Konstantin Alin (lt. Programmzettel-Angabe; auch unter dem Namen Ali Weiss), ein russischer Jude, der bei Emil Orlik in Berlin studiert hatte. 24 Alin war Karikaturist, Schnellzeichner - womit er das Publikum zu Beifallsstürmen hinriß - , Bühnenbildner, Schauspieler und Conferencier. Kostümbildnerin mit „ungewollter" Spielverpflichtung wurde Sylta Busse, gelernte Buchbinderin und Absolventin der Staadichen Kunstakademie Berlin, später eine der Großen ihres Fachs. Sie war im Juni 1932 mit ihrem damaligen Mann, dem Journalisten und Fotoreporter Janos Reissmann, in die Sowjetunion gefahren, wo sie von Hitlers Machtantritt überrascht wurden und nicht mehr zurückkehren konnten. Nach einer Lehrzeit bei dem sowjetischen Bühnenbildner Boris Erdmann, mit dem sie bis zu ihrer Ausreise 1938 nach Paris noch mehrere Bühnenausstattungen in Moskau und Kiew betreute, ging sie zur KOLONNE LINKS.25 Mit Helden im Keller (später Faschisten genannt) und Agenten hatte Wangenheim zwei kleinere Stücke geschrieben, die teilweise direkt auf das darstellerische Vermögen der einzelnen KOLONNE-Mitglieder zugeschnitten waren. Helden im Keller (publiziert unter dem Pseudonym „Hans Huss") spielte in einem jener berüchtigten SA-Wachlokale, die zugleich als Verhörzentrale und Folterstätte dienten. Um die Schreie der Gemarterten nicht nach draußen dringen zu lassen, setzte per Lichtsignal Kneipenmusik ein. Der Autor tat gut daran, alles Geschehen im Keller nur indirekt, durch die Reaktionen der SA-Leute, die aus dem Keller nach oben kommen, wiederzugeben - ob nun der eine von ihnen „schlappmacht", wie es in ihrem Jargon heißt, oder der andere, gekonnt von Karl Oefelein gespielt, nachzudenken beginnt: „Wenn die da (er zeigt nach unten) Untermenschen sind, dann sind wir doch keine Helden... Und wenn das keine Untermenschen sind, dann sind wir..." Deutlich von der Handlung abgesetzt war ein Schlußsong (Musik: Hauska), der trotz - eigentlich aber entgegen - der historischen Niederlage der deutschen Arbeiterklasse die Unaufhaltsamkeit der „Kommune" demonstrieren sollte, gestisch sinnfällig durch das Abreißen der Hakenkreuzbinden und Sturmriemen. „Noch nie wurde im sowjetischen Theater so gezeigt, konnte man nicht so zeigen, was deutsche Faschisten sind", resümierte Lotte Schwarz in der Sowetskoje iskusstwo (11. März 1934). Das zweite Stück, Agenten, war eine zeitgenössische Adaption von Goethes Lustspiel Der Bürgergeneral. Hungerleider Schnaps jagte hier in der Maske eines angeblichen Komintern-Agenten einem von der Polizei gesuchten antifaschistischen Flugblatt-Leger nach. Es folgte noch eine Art politischer Kabarett-Teil: Die satirische Szene Brak! Brak! („Ausschuß"), in der, nach einem Gedicht von Demjan Bedny Pope, Kulak und Grundbesitzer als Mächte alten Aberglaubens verspottet wurden, konfrontiert mit dem Wiegenlied einer jungen sowjetischen Mutter (Text: Wangenheim) und - im Stil einer 23 24 25

Nach Auskunft seines Bruders Adolf Fischer. Curt Trepte im Gespräch mit Peter Diezel. Gesprächsnotizen. Sylta Busse im Gespräch mit Peter Diezel, 8. Februar 1971. Gesprächsnotizen; Hans-Ulrich Schmück]e/Sylta Busse: Theaterarbeit. Eine Dokumentation. Hrsg. von Eckehart Nolle. Theatermuseum München; Werner Mittenzwei: Das weithin unbekannte Leben der Sylta Busse. In: Sinn und Form. 1990, H. 3, S. 635 - 641.

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Peter Diezel Hofsänger-Darbietung mit Schnellzeichnungen entsprechender Politiker-Typen durch Konstantin Alin - Brechts/Weills Ballade vom Reichstagsbrand. Von den Mitgliedern der ehemaligen TRUPPE 1931 konnten lediglich Ingeborg Franke sowie - wegen ihrer späteren Ankunft auf Agenten beschränkt - Curt Trepte und Luisrose Fournes eingesetzt werden. Die Premiere fand am 25. Februar 1934 im Klub ausländischer Arbeiter in Moskau statt. Von Ende März bis Anfang Mai unternahm die Truppe eine Tournee durch das Donbass-Kohlerevier. An ihr nahm auch der inzwischen eingetroffene Robert Trösch teil 26 . Ende August reisten sie für mehrere Wochen in die Wolgadeutsche Republik, wo sie insgesamt 26 Vorstellungen vor rund 9.000 Zuschauern gaben (DZZ, 26. September 1934). Die Truppe finanzierte sich zu zwei Dritteln aus eigenen Einnahmen, hauptsächlich über Vorstellungen in Betrieben und Organisationen, und zu einem Drittel aus Dotationen der sowjetischen Gewerkschaften.27 Die Schwierigkeiten solcher Tournee-Reisen in der sowjetischen Provinz veranlaßten Wangenheim, sich mit den bisherigen Bedingungen nicht mehr zufriedenzugeben. „Die zufälligen Klubbühnen, auf denen oft kaum eine Spielmöglichkeit besteht, das Auftreten als .Nummer' nach offiziellen Teilen, die Doppelrolle der Schauspieler als Dekorationsaufbauer, Beleuchter, Bühnentechniker, Kofferschlepper und gleichzeitig als künstlerischer Arbeiter, die Unmöglichkeit, Erfolge im Publikum zu befestigen, die Tatsache, daß durch Krankheit eines einzigen Darstellers das ganze Theater gefährdet ist" - all dies ließ kaum eine Weiterentwicklung zu. Gefordert wurde: „1. Ein stationärer Theaterraum. Wenn nicht anders möglich in Verbindung mit einem anderen Theater. 2. Ein Etat von insgesamt 25 - 30 Schauspielern und dem dazugehörigen technischen Bühnenpersonal, so daß mit Wohnungsgeldzuschüssen ein voraussichtlicher Kostenaufwand von ca. 400.000 Rubel notwendig wird."28 Neben etlichen klassischen Stücken - Schillers Die Verschwörung des Fiesco zu Genua, Büchners Woyzeck und Goethes Faust bzw. Urfaust - tauchten an aktuellen Spielplan-Vorhaben auf: Wolfs neuestes Stück über die Wiener Februarkämpfe Floridsdoif, Brechts/Weills Dreigroschenoper - in der Ideal-Besetzung der Polly durch Carola Neher - sowie Brechts Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. Wangenheims eigene dramatische Pläne sahen u. a. eine im Kolchos-Milieu angesiedelte Adaption von Shakespeares Der Widerspenstigen Zähmung mit Carola Neher als Katharina - und ein Stück über Hans Otto, Egmont ermordet, vor. Es begann ein endloser Verhandlungsmarathon. Selbst ein angeblich „prinzipieller Beschluß" des Organisationsbüros beim Zentralkomitee der KPdSU (A. Shdanow) blieb ohne Direktiven. Weder fand sich ein akzeptabler Raum noch wurden die vereinbarten Übergangssubventionen gezahlt. Nicht von ungefähr erhielt währenddessen der größer dimensionierte Plan Piscators neuen Auftrieb - wenn schon beträchtliche Ausgaben, sagte man sich nicht zu Unrecht, dann für etwas wirklich Lohnendes mit weltweit anerkannten Künstlern. Jetzt war es erneut Wangenheim, der sich mit dem ungleich höheren Ansehen Piscators nicht abfinden konnte und in ein schon fast krankhaft zu nennendes 26 27 28

Reisetagebuch der Tournee in den Donbass; Wangenheim-Nachlaß, Archiv der Akademie der Künste. Anlage A, Mai 1934; ehemal. ZPA Moskau, 540/49. Ebenda.

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Theater im sowjetischen Exil Rivalitätsdenken verfiel. Die fortdauernde Ungewißheit zeitigte schließlich erste Auflösungserscheinungen: Die alten KOLONNE-Mitglieder Kurt Ahrendt und Albert Wolff gingen zurück in einen Betrieb 29 , Greif nahm die Rolle des Dr. Hellpach in der deutschsprachigen Erstaufführung des Professor Mamlock am Zürcher Schauspielhaus an, und Trösch kehrte ebenfalls wieder in die Schweiz zurück. Ein Vorschlag Piscators, einstweilen auf Tourneetheater-Basis weiterzuarbeiten - „mit der Perspektive auf das zu schaffende ständige .Deutsche Theater'" - , fand zwar die Zustimmung der „Mehrheit", doch gab es schon zu viele personelle Ausfälle und Rückzugsabsichten. Wangenheim war zu diesem Zeitpunkt bereits mit seinem Kämpfer-Film befaßt und lehnte jede „Verantwortung für diesen Interimsbetrieb als Notbetrieb" ab. 30 Während ein Teil des auseinanderbrechenden Ensembles in Moskau blieb, sollte der andere schon bald darauf d e m R u f z u m A u f b a u d e s DEUTSCHEN GEBIETSTHEATERS DNEPROPETROVSK f o l g e n .

Daß sich das kulturpolitische Interesse auf ein Theater der deutschsprachigen „nationalen Minderheit" verlagerte, dürfte dabei zu diesem Zeitpunkt nicht zufällig gewesen sein: Die Zahl der ausländischen Arbeiter und Spezialisten hatte sich seit dem Machtantritt Hitlers schlagartig verringert - die alten Verträge liefen aus, an den Abschluß neuer war nicht mehr zu denken, gleichzeitig wurden von den sowjetdeutschen Behörden immer stärkere Anstrengungen unternommen, ein eigenes nationales Kulturleben zu entwickeln. Zwar überwogen auch am DEUTSCHEN GEBIETSTHEATER DNEPROPETROVSK die

Emigranten, doch war es schon durch das Spezifische seiner Aufgabenstellung, ein sogenanntes „Kolchos-" oder „Kollektivistentheater" zu sein, voll in das sowjetische bzw. sowjetdeutsche Leben integriert. Ökonomisch und verwaltungsmäßig gehörte es zum „Theatertrust" in Dnepropetrowsk, wo es auch seine Basis hatte. Hier wurde geprobt, und hier erfolgte die Abnahme der Inszenierungen, d. h. ihre politische und künstlerische Begutachtung, bevor es auf Tournee ging. Die vier der insgesamt acht deutschen Rayons in der Ukraine, die das Theater zu bedienen hatte, umfaßten ca. 200.000 Einwohner. Ein umgebauter Drei-Tonnen-LKW beförderte Spieler und Dekorationen auf unwegsamen Steppenrouten in die jeweiligen Kollektivistendörfer. Zur Erntezeit spielte man vielfach erst einmal draußen in den Feldlagern und auf den Druschplätzen und dann abends im Ort selbst. Als Spielstätten dienten meist ehemalige Kirchen, die im Zuge der Glaubensverfolgung und antireligiösen Propaganda zu Kulturhäusern umfunktioniert worden waren. Oft saßen die Zuschauer sogar noch im alten Kirchengestühl. In vielen Fällen mußte das notwendige Bühnenlicht mit einem über Transmissionsriemen von einem Traktor angetriebenen theatereigenen Dynamo selbst erzeugt werden. Einzigartig in seiner naiven Begeisterung und festlichen Erwartung dürfte das Publikum gewesen sein. So erinnerte sich Hermann Greid, daß sie ein bestimmtes Dorf erst um zwei Uhr nachts erreichten: „Und als wir nach sieben Stunden geduldigen Wartens wirklich ankamen, wurden uns erst große Eimer mit Milch und Berge von Butterbroten mit Belag aufgetischt, um uns zu stärken. Nachdem schließlich die Szene aufgebaut war und wir beginnen konnten, war es drei Uhr morgens geworden [...]."31 29 30 31

Cuit Trepte im Gespräch mit Peter Diezel, a.a.O. IRTB-Protokoll, 30. Dezember 1934; Friedrich-Wolf-Archiv, Archiv der Akademie der Künste. Hermann Greid: Als Fremder drei Jahre - 1933-1936 - in Schweden und in der Sowjetunion, a.a.O., S. 65 f.

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Peter Diezel Für die Zuschauer blieb nach dem Ende der Vorstellung nur noch Zeit, sich für die Arbeit umzuziehen. Von ihrer Οί/ieZ/O-Inszenierung am DEUTSCHEN KOLLEKTIVISTENTHEATER ODESSA, das weiter südlich die anderen vier deutschen Rayons der Ukraine bespielte, berichtete Ilse Berend-Groa: „Die Aufnahme draußen ist so, daß man das Werk meistens 2mal spielen muß. In Selz wurde es sogar 3mal in 5 Tagen dargestellt. Es gibt Kollektivisten, die von einem Dorf zum anderen gehen, um es noch einmal und nochmals zu sehen."32 Da sich das Dnepropetrowsker Gebiets-Parteikomitee auf den 1. Mai 1935 als Eröffnungstermin des neuen Theaters festgelegt hatte, fand sich das bereits aufgelöste DEUTSCHE THEATER „KOLONNE LINKS" noch einmal zu einem dreiwöchigen Gastspiel zusammen. Es gab Wangenheims Agenten und ein antifaschistisches Kabarettprogramm. Von der ehemaligen Truppe hatten sich nur Sylta Busse und Luisrose Fournes, Erwin Geschonneck, Hans Hauska, Karl Oefelein und Curt Trepte zur Mitarbeit bereit erklärt, wobei Hauska und Oefelein schon bald wieder ausschieden. Hinzu kamen: Dora Dittmann-Wolff, Mischket Liebermann, Joan Rodker - Tochter eines linksliberalen britischen Verlegers, die im Sekretariat des IRTB gearbeitet hatte - , der junge schreibende Schauspieler Hans Drach - 1934 in die Sowjetunion emigriert - sowie fünf Absolventen des 1931 eingerichteten deutschen Sektors an der Schauspielabteilung des Dnepropetrowsker Theatertechnikums. In dieser noch unvollständigen Ensemble-Besetzung brachte man zunächst Anfang Juli Alexej Arbusows Lustspiel Die sechs Geliebten und Drach/Hauskas einaktiges Sing- und Tanzspiel Wo ist Emilie? heraus. Beide Stücke waren im kollektivbäuerlichen Milieu angesiedelt: Im ersten sperrte sich der männliche Voijahressieger im sozialistischen Wettbewerb gegen eine weibliche Nachfolgerin, im zweiten wurde aufgeregt nach dem für den Festschmaus zum Erntefest bestimmten entlaufenen Schlachtschwein gesucht. Drachs Schwank endete mit der leitartikelhaft angehängten Sentenz: „Vergeßt bei aller Fröhlichkeit nur eines nicht - die Wachsamkeit! Unser sozialistisches Eigentum ist sicher, wenn wir niemals ruhen" (DZZ, 27. Oktober 1935). Der Stoff dürfte auf der Kenntnis von August Hinrichs Volksstück Krach um Jolanthe beruhen, das bekanntlich auch vom „Führer" geliebt wurde. „Hier im Rot Front-Rayon", schrieb die wenig später zum Ensemble gehörende Edith Vallentin, „gefällt meistens Emilie besser, und sie sind gekränkt, wenn wir sie nicht spielen wollen. ,Das ist doch wenigstens eine Komödie'" (EV an MV, 20. August 1935). Mittels einer schnell aufschlagbaren Zeltbühne konnte sie auf jedem freien Platz aufgeführt werden; das fünfköpfige Orchester dirigierte Hans Hauska. Drei Tourneen in fünf Monaten ergaben 102 Vorstellungen in 71 Ortschaften vor rund 24.600 Zuschauern, wobei Die sechs Geliebten 46mal und Wo ist Emilie? 36mal gespielt wurde. 33 Nachdem auch die Emigranten aus den anderen Exilländern eingetroffen waren, studierte Maxim Vallentin in zweieinhalbmonatiger intensiver Probetätigkeit Alexander Afinogenows Ferne (Ein Punkt in der Welt) und Heinrich von Kleists Der zerbrochne Krug ein. Beide Inszenierungen wurden Anfang März 1936 „in einer gesellschaftlichen 32

33

Ilse Berend-Groa in einem Brief an Curt Trepte vom 18. September 1936; Trepte-Nachlaß, Archiv der Akademie der Künste. Ebenda: Curt Trepte: Über die erste Etappe. Wandzeitungsartikel vom Theater.

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Theater im sowjetischen Exil Schau" in Dnepropetrowsk gezeigt und fanden einhelligen Beifall bei Publikum und Presse (DZZ, 6. März 1936). Schauplatz von Ferne ist eine entlegene sibirische Eisenbahn-Blockstelle, wo ein sowjetischer General wegen einer notwendigen Reparatur für kurze Zeit Zwischenstation machen muß. Obwohl er selbst unheilbar krank ist, vermittelt er den dort Lebenden das Gefühl des Einbezogenseins in die Gesellschaft. Seine heroische Todesüberwindung steht für eine Richtung in der damaligen Sowjetdramatik, bei der sich verstärkte Psychologisierung mit neuem pathetischem Sentiment mischte. Der Aufführung von Der zerbrochne Krug kam allein schon aus politischen Gründen eine große Bedeutung zu. Im Jahr des 125. Todestags des von den Nazis vereinnahmten Dichters wurde hier von antifaschistischer Seite aus Anspruch auf sein Werk und dessen historisch kritische Interpretation erhoben. In der Hervorkehrung des Preußischen hinter der holländischen Fassade wurde den sowjetdeutschen Zuschauern ein realistisches Bild jener Zustände vermittelt, die einst ihre Vorväter zur Auswanderung getrieben haben mochten. Damit sollte bewußt einer häufig anzutreffenden Idyllisierung der Vergangenheit entgegengewirkt werden. Fabel und Figuren wurden entsprechend der Bewegung des gesellschaftlichen Grundwiderspruchs jener Zeit, des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus, geführt. Während Gerichtsrat Walter (Gerhard Hinze) als „ein Feudaler, der verbürgerlicht, [...] mit der Zeitentwicklung geht", bleibt Dorfrichter Adam (Hermann Greid) als „verarmter und verkommner Adel, der keinen Grundbesitz mehr hat und nur Beamter ist", hinter ihr zurück. „Er richtet nach den alten grundherrlichen Gewaltmethoden".34 Daß Walter am Ende sogar bereit ist, sich mit Adam zu versöhnen, „wenn nur seine Kassen stimmen"35, und an seine Stelle der bereits korrupte Schreiber Licht (Friedrich Richter) rückt, sollte die in ihrer restaurativen Tendenz weit in die deutsche Geschichte hineinragende Inkonsequenz und Halbheit des preußischen Weges einer „Revolution von oben" symbolisieren. Für den Zuschauer exponiert wurde diese klassenmäßig-soziologische Lesart durch den angefügten Prolog und Epilog; die szenische Vermittlung erfolgte über klar herausgearbeitete Drehpunkte und betonte gestische Arrangements. Die entsprechenden Publikumskommentare lauteten: „Über den Adam, ja, da hätten das neunzehner Jahr und der Tschapajew kommen müssen"; „Der faule Kompromiß der Richter, trotz aller Gegensätzlichkeit"; „Der Ruprecht hat gar nichts gelernt [...]. Ist fröhlich und tanzt, als ob die Ausbeuterklasse vernichtet wäre und das junge Ehepaar nun in Ruhe und Frieden leben könnte" (Das Wort, 5/1936, S. 63). Neben Ferne und Der zerbrochne Krug wurde noch ein antifaschistisches Programm gezeigt. Es enthielt Ramön Jose Senders aktuellen Einakter Das Geheimnis, in dem zwei spanischen Revolutionären durch Folter der Verrat eines geheimen Waffenlagers abgepreßt werden soll, sowie das szenisch arrangierte „Moorsoldaten"-Lied und Hans Drachs „Kinderlied aus dem Dritten Reich" (Mein Vater wird gesucht). Dazu erzählte Gerhard Hinze von seinen Haft-Erlebnissen (Der Kämpfer, 9/1936, S. 70). Eine anschließende sechswöchige Tournee durch mehrere Rayons erbrachte 40 Vorstellungen „vor etwa 12.400 Kollektivisten" und „24 antifaschistische Diskussionen sowie mehrere Vorträge über Heine und Kleist", Konsultationen für die örtlichen dramatischen Zirkel und Tanzabende (DZZ, 8. Mai 1936). 34 35

Ebenda: Prolog zur Aufführung, verfaßt von Curt Trepte und Maxim Vallentin. Ebenda: Curt Trepte: „Warum spielen wir den Zerbrochnen Krug von Heiniich v. Kleist?" Einfuhrungsvortrag.

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Peter Diezel Das Ensemble hatte mit diesen Inszenierungen gerade ein erstes Mal voll seine Leistungskraft unter Beweis stellen können, als plötzlich im Mai 1936 - so Maxim Vallentin in einem späteren Lebenslauf - „aus wirtschaftlichen und politischen Gründen [...] ein Reduzieren des Betriebes notwendig" wurde. Vallentin selbst ging „auf eigenen Wunsch".36 Mit ihm verließen Curt Trepte und Hermann Greid das Theater - letzterer kehrte wieder nach Stockholm zurück, nicht ohne vorher noch Piscator „prinzipiell und mit Begeisterung" für dessen Engels-Plan zuzusagen.37 Unter der künstlerischen Leitung Gerhard Hinzes spielte das verkleinerte Ensemble noch bis Oktober/November weiter. Es trat mit einem Programm auf, das sich aus antifaschistischen und sowjetischen Liedern, der szenischen Reportage Stachanow-Leute rapportieren und den beiden Tschechow-Einaktern Der Bär und Ein Heiratsantrag - mit Erwin Geschonneck als Lomow - zusammensetzte (DZZ, 10. Oktober 1936). Unter den Faktoren, die zur Schließung führten, dürften die ökonomischen ausschlaggebend gewesen sein. Schon kurz nach seiner Ankunft, bei der Nachaufstellung des Etats für die restlichen Monate bis Jahresende, offenbarte sich für Vallentin eine prekäre Finanzsituation: u.a. durch „nichteinhaltung der produktionsziffer", stattliche Zimmermieten zu je 200 Rubel und des „trotz übervoller Häuser" defizitären Moskauer Agenten-Gastspiels. Für ihn stand fest, „daß der trust sich großspurig mit uns übernommen hatte". Er sah sich deshalb in der „pflicht: 1. eine reorganisation nach (dem) rentabilitätsprinzip anzustreben" und „2. für's erste den plan für die nachbewilligung als minimalplan auszuarbeiten" (MV an EV, 30. August 1935). Außerdem wurde eine Verlegung nach Halbstadt (Molotschansk) erwogen, um gemeinsam mit der ebenfalls dort neu aufzubauenden deutschen Abteilung des Dnepropetrowsker Theatertechnikums in kürzester Frist entsprechenden fachlichen Nachwuchs heranzubilden. Trotz der verringerten Kosten übermittelte der Trust die vereinbarten Gelder nur höchst unregelmäßig und wohl teilweise überhaupt nicht. Greids Gage betrug circa 500 Rubel, Treptes 450, die Regel waren 30038 - dazu freie Unterkunft und Tourneezuschläge. „Da wir auch noch über die Zuschüsse von der kurzen, aber sehr gut bezahlten Arbeit am Film (Kämpfer, P. D.) und im Konservatorium verfügten und unsere Rubel ausschließlich für den Haushalt auszugeben hatten", schrieb Greid, „brauchten wir natürlich nichts zu entbehren. Anders verhielt es sich mit den anderen Mitgliedern während der langen Vorbereitungszeit in der Stadt. Sie litten oft Not. Trotzdem kostete das junge Unternehmen den Staat an die hunderttausend Rubel in diesem ersten Jahr seiner Gründung."39 In seinen Unterlagen zur Überführung in die KPdSU vom 25. September 1936 gab Maxim Vallentin folgende zusammenfassende Erklärung ab:

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Lebenslauf, vom 6. Mai 1938; Vallentin-NachlaB, Archiv der Akademie der Künste. Hermann Greid: Als Fremder drei Jahre - 1933 -1936 - in Schweden und in der Sowjetunion, a.a.O., S. 67. Curt Trepte im Gespräch mit Peter Diezel am 10. Juli 1975. Gesprächsnotizen. Hermann Greid: Als Fremder drei Jahre - 1933-1936 - in Schweden und in der Sowjetunion, a.a.O., S. 63.

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Theater im sowjetischen Exil „in Dnepropetrowsk fand ich einen völlig von unsern deutschen gen[ossen] fahrlässig organisierten betrieb vor. die wurzeln dieser ungesunden zustände wurden mir nicht sofort klar, und ich unterstützte in der meinung, die Schwierigkeiten auf diese art zu beseitigen, zunächst eine politik, die im wesentlichen diese Schwierigkeiten verursachte: durch energisches einsetzen für die bereits von piskator [!] in die Wege geleitete und in falscher konsequenz von mir erweiterte heranziehung von kräften aus dem ausland - die in politischer hinsieht außerordentlich schlecht war. aber das schlimmste war die mit völliger Unkenntnis der sowjetverhältnisse und ohne den wil-

len, ihnen in erster linie gerecht zu werden, eingeleitete objektiv hochstaplerische politik, die, weil sie von rein ausländischen gesichtspunkten geleitet, eine Überbelastung des gebietes mit einem theaterbetrieb zur folge hatte, für den es heute noch keine wirtschaft[liche] und niemals eine politische basis in der SU geben kann, nach kurzer zeit erkannte ich diese gefahr und stellte (übrigens zunächst unter starken widerständen der dortigen trustleitung und der entsprechenden] reg[ierungs] und parteiinstanzen) mein ganzes handeln auf die schnelle, forcierte heranbildung von kadern um." 40 Vallentin formulierte damit bewußt eine Gegenposition zu Piscator, dessen Abschiebung zu diesem Zeitpunkt bereits beschlossene Sache war 41 . Auch hier klingt in Argumentationsweise und Diktion die Nähe zur im selben Monat unter den deutschen Schriftstellern geführten „Säuberungs"-Diskussion an. Selbstkritik mit „richtiger" Schlußfolgerung auf der eigenen Seite steht die polarisiert an den Kriterien von Nutzen oder Schaden für die Sowjetunion festgemachte apodiktische Wertung der anderen Seite gegenüber. Um auf den sachlichen Kern zurückzukommen, ist festzuhalten: Während bei Piscator der antifaschistische Exil-Auftrag Vorrang hatte, ohne deshalb die sowjetdeutschen Interessen auszuklammern, kehrte sich dies bei Vallentin um. Seine KaderAuswahl hätte sich auf wenige geeignete Führungskräfte beschränkt, die zugleich Schauspiellehrer und Ensemble-Erzieher sein sollten. Das benachbarte DEUTSCHE KOLLEKTIVISTENTHEATER ODESSA unter Ilse Berend-Groa kam solchen Vorstellungen wohl sehr nahe. Man mag darüber geteilter Meinung sein. Das Problem, möglichst vielen Theateremigranten Arbeit zu verschaffen, hätte so zweifellos nicht gelöst werden können; wenngleich die Position der jeweils einzelnen Emigranten unter Umständen - aber das war letztlich immer unberechenbar - etwas weniger gefährdet gewesen wäre. Am Ende griff auch schon die politische Verhaftungswelle des Jahres 1936 auf die ukrainischen Behörden über. Eines ihrer ersten Opfer war der jüdische Sekretär des Dnepropetrowsker Gebiets-Parteikomitees, Chatajewitsch, auf dessen Initiative hin das Theater gegründet worden war. „Außerdem macht sich jetzt eine Anti-Ausländerstimmung breit. Die Russ[en] verlangten Führung der Versammlung in russischer] Sprache!!!", wie Edith Vallentin besorgt in einem Brief mitteilte (EV an MV, 1. April 1936). Während Friedrich Richter und Emmi Frank sowie - von ihrem Moskauer Zwischenaufenthalt aus - Curt Trepte und etwas später noch Maxim Vallentin nach Engels gingen, wechselten Gerhard Hinze, Erwin Geschonneck und Leo Bieber zum DEUTSCHEN KOLLEKTIVISTENTHEATER ODESSA. Im Trojanischen Pferd von Friedrich Wolf, das 40 41

Moskau, 1. Oktober 1936; Vallentin-Nachlaß, Archiv der Akademie der Künste. Vgl. den Brief von Wilhelm Pieck an die Auslandsleitung der KPD vom 7. September 1936; ehemal. ZPA Berlin, 12/3/286. Zitiert in: Die Säuberung. Moskau 1936: Stenogramm einer geschlossenen Parteiversammlung. Georg Lukäcs/Johannes R. Becher/Friedrich Wolf u. a. Hrsg. von Reinhard Müller. Reinbek 1991, S. 168.

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Peter Diezel Mitte Juli Premiere hatte, übernahmen sie tragende Rollen (Karl - Geschonneck, März - Bieber, Ruckwit - Hinze), Hinze führte zudem Regie, und Bieber schuf das Bühnenbild. Das zweite und letzte Stück, an dem sie maßgeblich mitwirkten, war Konfrontation der Gebrüder Tur/Scheinin. Es zeigte makabererweise die Aufdeckung eines „Spionagefalls" durch den NKWD. Kurz danach, im Herbst 1937, wurden plötzlich alle drei ohne ersichtliche Gründe ausgewiesen, zuerst Hinze, dann Bieber und schließlich Geschonneck. Das einzige, was sie zu ihrem Vorteil erreichen konnten, war die Ausreise nach Prag. Unbehelligt in Odessa weiterarbeiten konnte hingegen die langjährige künstlerische Leiterin Ilse Berend-Groa. Sie wurde von ihrem jungen Ensemble hoch verehrt und verließ dieses erst 1939 - wegen der häufigen Trennung von ihrem in Moskau lebenden Mann, dem ungarischen Philosophen Belä Fogarasi. Bei ihr dominierten hauptsächlich die Klassiker, die sie in ungebrochenem Pathos mit den neuen gesellschaftlichen Vorgängen in Beziehung zu setzen versuchte. So inszenierte sie Moliüres Der eingebildete Kranke (1935) und Der Herr von Ferkelfeld (Der Herr von Pourceaugnac) (1937), Shakespeares Othello (1936) und Was ihr wollt (1939) sowie Schillers Kabale und Liebe (1937). Aber auch Gorkis Wassa Shelesnowa (1939), mit ihr selbst in der Titelrolle und in einer noch heute bevorzugten eigenen Übertragung des Stücks ins Deutsche, brachte sie zur Aufführung sowie Wangenheims Friedensstörer (1939) und - einmalig für die Sowjetunion - Brechts Die Gewehre der Frau Carrar (1938). In Gerda Schneuer - ehemals im KOLLEKTIV HAMBURGER SCHAUSPIELER, dann nach entdeckter Widerstandsarbeit 1933 im Auftrag der AIZ als Fotoberichterstatterin in die Sowjetunion geschickt fand sie ihre Lady Milford. 42 Einer ihrer zahlreichen Eleven und späterer „Meisterschüler" ist der in einem Dorf bei Odessa gebürtige Albert Hetterle, der dann 1944 infolge eines Evakuierungsbefehls der Wehrmacht - mit der deutschen Besetzung 1941 hatte sich das Theater aufgelöst - nach Deutschland kam. Bühnenbildner bei Friedensstörer und Was ihr wollt war Heinrich Vogeler. Piscators Engels-Plan dürfte erst im Januar 1936 konkrete Gestalt angenommen haben, als er wegen eines geplanten Films über die Wolgadeutschen in deren Hauptstadt weilte und ihn die verantwortlichen Regierungsstellen „um seinen Rat und seine Vorschläge für die Reorganisierung des deutschen Theaters" baten (Der Kämpfer, 9/1936, S. 64). Beide Seiten scheinen den Absichten gefolgt zu sein, die auch den geistigen Gründervätern des 1924 ausgerufenen autonomen Staatswesens mit seinen rund 600.000 Einwohnern vorschwebten - Ausstrahlung auf Westeuropa und insbesondere Deutschland. Nur aus diesem Ansatz, im nochmaligen Aufleuchten „revolutionärer Romantik", ist überhaupt die Größenordnung des Projekts zu verstehen. In einem IRTB-Dokument rekapitulierte Piscator: „Ich erklärte mich bereit, die Leitung dieses Theaters zu übernehmen, und zwar unter der Bedingung, daß im Zusammenhange mit dem Um- und Ausbau dieses Theaters in Engels ein Kulturzentrum, ein Kulturkombinat geschaffen wird." Das schloß eine erst noch zu errichtende „Kinofabrik [...] mit einer Kapazität von 4 5 Filmen jährlich" sowie ein „Theatertechnikum" ein, einschließlich der „Wohnungssiedlung für die Mitarbeiter". Für die ebenfalls heranzuziehenden Schriftsteller sollte „die Herausgabe einer erstrangigen internationalen literarischen Zeitschrift" ermöglicht 42

Gerda Schneuer im Gespräch mit Peter Diezel. Gesprächsnotizen.

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Theater im sowjetischen Exil und der Wolgadeutsche Staatsverlag auf ein entschieden höheres Niveau gehoben werden. 43 Auch wenn sich vorerst alles nur auf das Theater bezog, ein Theater, dessen „Rang und Niveau" 44 ausschließlich von Emigranten bestimmt wurden, waren die inneren Widersprüche fast schon vorprogrammiert. Mit dem zunehmenden Verfall der einstigen internationalistischen Ideale und ihrer Ersetzung durch den neuen „Sowjetpatriotismus" als Kehrseite des Stalinschen Staatsterrorismus mußten sie um so schärfer hervortreten. Zum einen war die Wolgadeutsche Bevölkerung nicht mit dem großstädtischen, proletarisch bis linksliberalen Publikum der Weimarer Republik zu vergleichen, das das politische Avantgardetheater der Weimarer Republik wesentlich mitgetragen hatte. Die durchaus respektablen Leistungen im Bildungswesen nach der Oktoberrevolution konnten in der Kürze der Zeit nicht das wettmachen, was eine über Jahrzehnte andauernde kulturelle Unterdrückung durch den Zarismus angerichtet hatte. Trotz aller Anstrengungen bei der Industrialisierung war und blieb für die Region die Landwirtschaft entscheidend. Ein, wie Brecht meinte, Wiederaufnehmen ihrer damaligen „theatralischen Untersuchungen", „ein großes Experimentaltheater", mußte angesichts dieser Tatsache äußerst fraglich, wenn nicht illusorisch erscheinen.45 Hinzu kam, daß zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon kaum mehr ein Zweifel darüber bestehen konnte, daß jegliche Fortsetzung der vorherigen Piscator- und Brecht-Versuche mit der ästhetisch verengten Doktrin des sozialistischen Realismus zusammenstoßen mußte. Nicht umsonst hatte die in sogenannten „Formen des Lebens" geschriebene, beschränkt sozialpsychologisierende Dramatik eines Afinogenow und Kirschon das offene, materialbedingte Kompositionsprinzip eines Wischnewski (Optimistische Tragödie) verdrängt. Am 28. Januar 1936 war außerdem in der Prawda jener berüchtigte Artikel gegen Dmitri Schostakowitsch's Lady Macbeth von Mzensk erschienen, der mit dem Vorwurf einer Übertragung der „negativsten Züge des , Meyerholdtums1 auf die Oper" den bereits seit längerem eröffneten Feldzug gegen den Protagonisten des „Theateroktobers" und damit gegen die Theatermoderne überhaupt zu einer akuten Bedrohung machte. Unter den Wolgadeutschen Schauspielern, die zu dieser Zeit gerade für mehrere Monate zu einem künstlerischen Qualifizierungslehrgang in Moskau weilten, wurde dies alles schon sehr hellhörig aufgenommen. Viktor Lang, einer der Wortführer der späteren Verleumdungen gegen die dortigen deutschen Emigranten, glaubte in der DZZ (20. April 1936) feststellen zu müssen: „Es ist klar, daß sich der Formalismus auch in unserem Theater breit macht." Zum anderen mußte sich schon aufgrund der geforderten Qualitätsmaßstäbe ein - zumindest auf längere Zeit - unvermeidbares Ungleichgewicht zwischen Exil- und Wolgadeutschen Interessen ergeben. In der nachträglichen Auseinandersetzung um den Piscator-Plan am Theater in Engels, also nach dessen Scheitern, war mehrfach die Rede von 30 bis 40 neu heranzuholenden Exilkräften (EV an MV, 27., 28. und 30. September 1937). Nach Piscators Einschätzung waren von 20 Wolgadeutschen Schauspielern, die damals einen Kursus in Moskau absolvierten, allenfalls - wenn „man beide Augen" zu-

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Ehemal. ZPA Moskau, 540/113, Bl. 33 - 30. Ebenda. Bertolt Brecht in einem Brief an Erwin Piscator. In: Bertolt Brecht: Briefe 1913 - 1956, Bd. 1. Berlin [DDR] 1983, S. 277.

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Peter Diezel drückte - „fünf in kleinen Rollen" zu verwenden. 46 Obwohl die wenigen Theater-Emigranten, die dann in die Sowjetunion kamen, absolut nichts mehr mit dem ursprünglichen Ausmaß des Piscator-Plans zu tun hatten, zeigt ihre Behandlung doch den offenen Ausbruch des vorab angelegten Konflikts. So äußerte der selbst in die Enge gedrängte Wächter, Vorsitzender des Wolgadeutschen Kunstkomitees, in ebenjenen nachträglichen Auseinandersetzungen: „Piscator-Reich war der Anfang. Es handelt sich um Unterdrükkung der örtlichen Kader durch die Ausländer" (EV an MV, 30. September 1937). Und der bereits weiter oben genannte Lang meinte als sein Vorredner in jener Versammlung vom 29. September 1937: „Piscator wollte kein Nationales Theater, sondern ein .Antifaschistisches' Theater." Daß der wirkliche Grund dieser Diffamierungskampagne, die sich so „zeitgemäßer" politischer Mittel bediente, das Gefühl der Zurücksetzung war, wird aus folgender Anmerkung deutlich: „Reich ist gegen Sowjettheater. Ich hatte bis dahin immer die socialen Helden gespielt - ich hätte also den Karl (in Wolfs Trojanischem. Pferd, P. D.) spielen sollen. Aber Lang sollte entfernt werden. Überhaupt alle Komsomolisten - wie Baumann usw." (EV an MV, 30. September 1937). Piscator konnte selbst nicht in Engels sein, als im Sommer 1936 die unmittelbare Vorbereitung beginnen sollte. Ein Komintern-Auftrag hatte ihn zusammen mit Arthur Pieck nach Paris beordert, um dort entsprechend seinen eigenen Vorschlägen einen Neuaufbau des IRTB in die Wege zu leiten. Am 8. Oktober schrieb ihm Wilhelm Pieck, daß der von ihm „übernommene Auftrag in Engels vorläufig nicht ausgeführt werden" könne: „zum Teil wegen nicht durchgeführter Renovierungsarbeiten, aber auch sonst fehlen die Voraussetzungen dazu". Weiter erklärte er, daß Piscator nicht mehr nach Moskau zurückkehren und sich „wieder ganz ausschließlich" seiner „künstlerischen Tätigkeit widmen" solle. 47 Damit kündigte sich die per Komintem-Beschluß am 16. Januar 1937 verfügte Auflösung des IRTB an, der wichtigsten Vermittlungs- und Koordinierungsinstitution der deutschen Theater-Emigration in der Sowjetunion. Pieck selbst schien vom Schauprozeß gegen das sogenannte „trotzkistisch-sinowjewsche Zentrum" vom 19. bis 24. August, bei dem auch sein enger Mitarbeiter Fritz David (d. i. Ilja Krugljanski) als potentieller Stalin-Mörder zum Tode verurteilt worden war, sowie von zahlreichen weiteren Verhaftungen aus den Reihen der KPD zutiefst beunruhigt zu sein und außerstande, die Vorgänge kritisch zu durchschauen. Es wurden sogleich entsprechende Maßnahmen angeordnet: die Bildung von Kommissionen, die , jeden Emigranten gründlich [...] inbezug auf seine politische Vergangenheit und sein Verhalten in der Emigration" überprüfen und gegebenenfalls aus der Kommunistischen Partei ausschließen sollten, und dies auch über die Sowjetunion hinaus, 48 sowie - vorerst auf die Sowjetunion beschränkt - die Anlage einer Foto-Kartothek, die eine einwandfreie Identifizierung von Zweit- und Decknamen ermöglichen bzw. deren Mißbrauch aufdecken sollte. 49 Zu den wegen angeblicher trotzkistischer Verbindungen Verhafteten bzw. 46

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Bernhard Reich: Im Wettlauf mit der Zeit. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten deutscher Theatergeschichte. Berlin [DDR] 1970, S. 351. Wilhelm Reck in einem Brief an Erwin Piscator vom 8. Oktober 1936. Original in der Morris Library. Zuerst teilpubliziert und ausgewertet in: Hermann Haarmann/Lothar Schirmer/Dagmar Walach: Das „Engels"-Projekt. Ein antifaschistisches Theater deutscher Emigranten in der UdSSR (1936 - 1941). Worms 1975, S. 87 f. Aus der Instruktion für den Genossen Jakob; im ehemal. ZPA Berlin, I 2/3/286, Bl. 14. Pieck in einem Brief an die KPD-Auslandsleitung vom 4.9.1936; ehemal. ZPA Berlin, I 2/3/286, Bl. 178.

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Theater im sowjetischen Exil Ausgeschlossenen zählten laut Pieck vom 10. August 193650 Ali Weiss (Konstantin Alin) und Anatol Becker, der als Konstrukteur in einem Moskauer Betrieb arbeitende Mann Carola Nehers. Während bei ihr selbst vorerst „nur" eine falsche Parteimitgliedschaft festgestellt wurde, liefen bereits weitreichende NKWD-Ermittlungen. Darunter fiel auch eine sie belastende Aussage Wangenheims.51 Am 25. August erfolgte schließlich ihre Festnahme. Nach fast einjähriger Untersuchungshaft wurde sie am 16. Juli 1937 vom Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR wegen angeblichen „Botendienstes)" für den „Terroristen Wollenberg" in Prag zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Kasan, wieder kurz Moskau, Oijol - dort mußte sie das Totalbombardement der Stadt durch die deutsche Luftwaffe in ihrer Zelle aushalten - und schließlich Sol-Ilezk wurden ihre Haftstationen, bis sie 1942 an Typhus starb.52 Als „eine der bedeutendsten deutschen Schauspielerinnen" stand sie in Piscators Engagementsliste für Engels.53 Für Pieck und andere hatte sich inzwischen auch Piscator verdächtig gemacht, so daß - dies dürfte sein Glück gewesen sein - ein weiteres Verbleiben in der Sowjetunion nicht länger möglich war. In einem Schreiben vom 7. September 1936, also einen Monat vor seinem eigenen Brief an Piscator, ließ der KPD-Vorsitzende die Auslandsleitung seiner Partei in Paris wissen: „Es steht noch die Frage von Erwin Pisc[ator], der sich dort mit meinem Arthur befindet, um die internationalen Arbeiten auf diesem Spezialgebiete zu machen. E. hat aber diese Sache durch sein hiesiges Auftreten und auch durch seine sehr bedenkliche politische Einstellung, die ihn in sehr enge Berührung mit den Trotzkisten bringt und dessen persönliche Verbindungen eine engere Untersuchung verdienten, sehr kompromittiert, sodaß sogar die völlige Liquidierung dieser Stelle erwogen wird."54 Es war damit wohl zuallererst ein Akt der „Wachsamkeit", der Piscator diese indirekte Verbannung einbrachte. Pieck praktizierte damit eine „mildere", den Zugriff des NKWD gar nicht erst provozierende Variante des sogenannten „antitrotzkistischen Kampfes." Sicher wollte er eine solche künstlerische Potenz wie Piscator auch nicht verlieren, sondern wieder, wie er meinte, auf den rechten Weg zurückgebracht wissen. Als Mann seines Vertrauens hatte Piscator Bernhard Reich zu seinem Stellvertreter in Engels bestimmt. Beide kannten und schätzten sich aus der gemeinsamen Arbeit im IRTB-Sekretariat. Reich war seit 1926 in der Sowjetunion, wo er sich besonders als Theatertheoretiker und -publizist einen Namen gemacht hatte. Zuvor war er Regisseur in Wien gewesen, an den Münchner Kammerspielen - von dort rührte seine Bekanntschaft mit Brecht - und bei Max Reinhardt in Berlin. Mit den Dnepropetrowsker Neuzugängen versuchte er zunächst, den beiden Lehrgangsinszenierungen des Wolgadeutschen Ensembles in Moskau, Shakespeares Was ihr wollt und A. Dawurins Familie Wolkow, ein professionelleres Gesicht zu geben. Am 29. Dezember 1936 folgte schließlich 50

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Wilhelm Pieck in einem Brief an die KPD-Auslandsleitung vom 10. August 1936; ehemal. ZPA Berlin, I 2/3/ 286, Bl. 144. Die Säuberung, a.a.O., S. 560 ff. Peter Diezel: Hilda Duty - Zellengefährtin von Carola Neher. In: Exil, 12. Jg. 1992, H. 2, S. 19. Erwin Piscator: Charakteristiken der Direktion, der künstlerischen Leitung, der Künstler und Schauspieler, die für das Deutsche Theater in Engels in Frage kommen; ehemal. ZPA Moskau, 540/113. Wilhelm Pieck in einem Brief an die Auslandsleitung der KPD vom 7. September 1936; ehemal. ZPA Berlin, 121 3/286.

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Peter Diezel unter seiner Regie die Uraufführung von Friedrich Wolfs Das trojanische Pferd. Das Stück war als Auftragsarbeit des Moskauer Theaters für jugendliche Zuschauer (TJUS) entstanden, wo es nur zwei Wochen später seine russischsprachige Erstaufführung hatte. N. Stalski äußerte in einem Spielzeit-Rückblick: ,£)as trojanische Pferd wird trotz einiger Schwächen der Aufführung und des Stückes (ein gewisser Schematismus, das Fehlen der Gestalt des kommunistischen Führers, schwache Darstellung der faschistischen Gegner) als erster bedeutender Erfolg des Theaters bestehen bleiben." Es habe „unter allen Stücken die begeistertste Zustimmung der Zuschauer der Wolgarepublik gefunden." Junge sowjetdeutsche und erfahrenere Emigranten-Schauspieler hätten sich als „ein starkes und geschlossenes Kollektiv" gezeigt (DZZ, 10. Juni 1937). Distanzierter gegenüber der sichtlichen Verzeichnung der Widerstandsarbeit im Stück urteilte Maxim Vallentin, der erst mit Beginn des Jahres 1937 in Engels eintraf: „furchtbar oberflächlich, pol[itisch] kurzsichtige propaganda], bagatellisierung des feindes - gefährlich im endeffekt, wegen thematik trotzdem erfolg" (MV an EV, 7. [?] Januar 1937). Vallentin inszenierte am Engelser Staatstheater zunächst Ibsens Nora, die am 2. Februar 1937 Premiere hatte. Die Titelrolle spielte die beachtlich gute Li David, die 1935 mit ihrem Mann, dem jüdischen Komponisten und Dirigenten Hans Walter David, in die Sowjetunion gekommen war. Beide hatten früher am Düsseldorfer Schauspielhaus gearbeitet; er leitete inzwischen den Wolgadeutschen Staatschor. Den Helmer gab Friedrich Richter. Nach dem allgemein gewürdigten Erfolg von Nora begann Vallentin mit den Proben zu Moliferes Der eingebildete Kranke. Außerdem studierte er am benachbarten Kolchos-Sowchos-Theater Marxstadt (Katharinenstadt) Friedrich Hebbels Maria Magdalena ein. Am 26. August erhielt er jedoch unversehens seine Entlassung. Als Grund wurde angegeben, „es sei keine Arbeit" mehr für ihn vorhanden;55 im Gebietskomitee der KPdSU soll hingegen der künstlerische Leiter H. Fehrmann erklärt haben, daß „er ginge, wenn Vallentin „bliebe"56. In einem Brief vom 18. September berichtete Edith Vallentin ihrem sich nun wieder in Moskau aufhaltenden Mann: „Inzwischen war eine öffentliche Parteiversammlung, auf der Fehrmann" - der nach Reich amtierende künstlerische Leiter - „sein Programm entwickelte. [...] Als Fritz [d. i. Friedrich Richter] ihn fragte: also 4 Stücke und kein deutscher Regisseur?, wurde ihm geantwortet: ,unser Theater muß unter einer Methode geführt werden, und zwar Stanislawski, und das kann kein deutscher Regisseur.' Fritz und Emmi [Frank] wurden wegen ihrer Unterrichtsmethoden von Lang angegriffen, wenn sie sich nicht ändern würden - dann könnten sie eben nicht unterrichten. Das seien keine Stanislawski-Methoden. Es wurden die Diskussionen aus der Schule in Moskau aufgerollt, wo Kurt [Trepte] gegen Stanislawski aufgetreten sein soll [...]. Dann sprach Lang gegen Deine Moliere-Zwischenakte von wegen Formalismus"(EV an MV, 16. September 1937). Diese Zwischenakte hielt Vallentin für besonders wichtig, weil der Dichter „in ihnen viel sagen konnte (in der karnevalistischen Verkleidung), was er anders nicht sagen konnte" (MV an EV, 22. September 1937). Ein am 23. September in der russischsprachigen Engelser Zeitung Bolschewik erschienener Artikel eines gewissen N. Wetrow bezichtigte schließlich Vallentin, Trepte, Richter und Emmi Frank der faschistischen Spionage, der Zersetzung des Kollektivs und des konterrevolutionären Nationalismus. So habe man gemeinsam den Moskau-Lehrgang der wol55

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Maxim Vallentin: Gesuch an die RKK beim Deutschen Staatstheater Engels vom 1. September 1937; VallentinNachlaß, Archiv der Akademie der Künste. Ebenda: Maxim Vallentin in einem Brief an das Gebietskomitee der RABIS vom 14. September 1937.

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Theater im sowjetischen Exil gadeutschen Schauspieler sabotiert und dabei erklärt, „nichts von sowjetischen Meistern lernen" zu können. Richter und Frank hätten zudem in ihrem Unterricht die jungen Wolgadeutschen Kräfte von der Klassik abgehalten; Richter habe des weiteren mit Hilfe eines alten Sprech-Übungsbuches - ein anderes stand ihm nicht zur Verfügung - „konterrevolutionäre, trotzkistische Losungen" eingeschmuggelt. Zum Kreis der Beschuldigten gehörten ferner Bernhard Reich, Hans Walter David und der inzwischen am dortigen Haus für Volkskunstschaffen arbeitende Hans Drach. Sie alle hätten unter dem Schutz des „Volksfeindes" Wächter vom Kunstkomitee gestanden (Bolschewik, 23. September 1937). In einem parallelen Artikel der Sowetskoje iskusstwo wurden Karl Weidner und ohne Namensnennung - H. W. David als „Helfershelfer bourgeoiser Nationalisten" verunglimpft (23. September 1937). Die politische Schärfe der Presse-Angriffe übertrug sich auch auf die nachfolgenden Versammlungen am Theater. Als auf einer Gewerkschaftssitzung am 30. September in einer Resolution behauptet wurde: „Smurow (der vorherige Direktor, P. D.) und Reich warben ausländische Schauspieler an, die sich zum Schluß als bourgeoise Nationalisten erwiesen", und Friedrich Richter und Li David dagegen protestierten, riefen Lang und ein anderer Wolgadeutscher Schauspieler im Sprechchor: „Sollen wir vielleicht so lange warten, bis die NKWD sie holt!"(EV an MV, 1. Oktober 1937) Richter und Frank - beide wurden am 26. September entlassen - konnten als tschechoslowakische Staatsangehörige wieder nach Prag zurück. Curt Trepte, der noch einen für wenige Wochen gültigen deutschen Paß besaß, fuhr auf Anraten Friedrich Wolfs nach Stockholm. Der verleumderische Angriff in der Zeitschrift Bolschewik bedeutete für die Betreffenden aber auch den Ausschluß aus der KPD. „die deutsche partei erklärt, nur auf grand des artikels gehandelt zu haben - das mußte sie!" schrieb Maxim Vallentin an seine Frau (MV an EV, 29. September 1937), und: „ich ging sofort zur partei - dort ungeheure hilfsbereitschaft - aber sie können nichts helfen, ich muss durch sowjetorgane wiederhergestellt werden" (MV an EV, 29. September 1937). Resigniert stellte er wenig später fest: „ich versteh jetzt alles, aber schwer ist's für uns. dieses land können wir nur von außen verteidigen, hier brauchen sie uns nicht, wir hemmen sie nur" (MV an EV, 14. Dezember 1937). Immerhin konnte er noch seine vollständige Rehabilitierung durchsetzen. Sie erfolgte am 25. Mai 1938 durch die Internationale Kontrollkommission beim Exekutivkomitee der Komintern, zusammen mit einer Einweisung „zur Arbeit im Radiokomitee"57. Dank seiner nachdrücklichen Bemühungen wurden Trepte, Frank und Richter ebenfalls rehabilitiert. Daß manche ihrer Verleumder wie Wächter und Lang wenig später selbst verhaftet wurden, dürfte wesentlich zu dieser Korrektur beigetragen haben, machte aber nichtsdestoweniger die ganze Sache zu einem Circulus vitiosus gegenseitiger „Volksfeind"-Hysterie, wie sie für das politische Klima jener Jahre typisch war. Wenn Maxim Vallentin 1938 von einer Gruppe Wolgadeutscher Schauspieler in Moskau aufgesucht wurde, die ihm das nachträgliche Bedauern des Ensembles über jene Vorgänge überbrachte,58 so war dies zugleich ein Zeichen des Widerstandes gegen solche Verhältnisse und der Versuch, menschlichen Anstand zu bewahren. Am 28. August 1941, wenige Wochen nach dem Überfall durch Hitlerdeutschland, verkündete der 57 58

Ebenda: Maxim Vallentin: Lebenslauf 1938 (in russischer Sprache). Curt Trepte in einem Brief an Friedrich Richter vom 12. September 1938; Trepte-Nachlaß, Archiv der Akademie der Künste.

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Peter Diezel Oberste Sowjet der UdSSR die Liquidierung der Wolgadeutschen Republik, was zur Zwangsdeportation von ca. 450.000 ihrer Bürger führte. Nicht mit zu den damals von Vallentin Verteidigten gehörte Karl Weidner, über dessen Schicksal nach seiner Verhaftung im August 1937 noch nichts weiter bekannt ist. Hans Walter David wurde am 6. November 1937 verhaftet, zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt und 1940 nach Deutschland ausgewiesen. Er kam ins Gestapo-Gefängnis Lublin, wurde zwischenzeitlich ins dortige Ghetto entlassen, wieder verhaftet und in die Gaskammern von Majdanek geschickt.59 Li David wurde ausgewiesen und konnte zunächst nach Belgien, später England gelangen. Lorenz Lochthofen, Redakteur der Nachrichten und positiver Kritiker von Vallentins Nora-Inszenierung, wurde zu Arbeitslager und Zwangsansiedlung im hohen Norden verurteilt. Zu den Verhafteten gehörte auch der Schauspieler Julius Unruh, der sich vergeblich um ein Engagement in Dnepropetrowsk und Engels bemüht hatte.60 Ende auch beim Film und in anderen Nachbarkünsten Im Juni 1936 mußte auch die Meshrabpom-Filmgesellschaft ihre Arbeit einstellen. Ihr Moskauer Studio wurde dem sowjetischen Kinderfilm übergeben.61 Rodenberg begründete dies später damit, daß durch die internationale Entwicklung die Verbindungen der IAH nach Westeuropa und den USA nicht mehr aufrechterhalten werden konnten.62 Entscheidend dürften jedoch die politischen Vorbehalte gegen Willi Münzenberg als Leiter der IAH gewesen sein, dessen undogmatisches Volksfront-Verständnis auf die gemeinsame Gegnerschaft von Stalin und Ulbricht stieß. Im April 1936 konnte nach anderthalbjähriger Produktionszeit gerade noch die deutschsprachige Fassung des Wangenheim-Films Kämpfer fertiggestellt werden. Sie dürfte erstmals am 9. Mai 1936 im Moskauer Haus des Kinos gezeigt worden sein63; im September/Oktober des gleichen Jahres lief sie mit beachtlichem Erfolg in New York (DZZ, 2. Oktober 1936; DZZ, 4. Dezember 1936). Am 5. März 1937 rezensierte die Pariser Tageszeitung die dortige Aufführung. Die russischsprachige Synchronfassung kam ab 1. Dezember in die Moskauer Kinos. Die Idee, den mutigen und überlegenen Auftritt Georgi Dimitroffs im Leipziger Reichtagsbrandprozeß zum Gegenstand eines Films zu machen, stammte von Alfred Kurella, dem damaligen Moskauer Sekretär Dimitroffs. Er und Joris Ivens dachten zunächst an eine dokumentarische Anlage. Dafür hätten allerdings nur wenige Meter Originalaufnahmen zur Verfügung gestanden, und auch eine entsprechende schauspielerische Nachgestaltung wäre auf erhebliche Probleme gestoßen. Der erst später hinzugezogene Gustav von Wangenheim ging hingegen von einer parallelen Spielhandlung aus. Sie zeigt, wie ein erwerbsloser junger Arbeiter von den Nazis als Werkzeug einer 59

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David Pike: Deutsche Schriftsteller im sowjetischen Exil 1933 -1945. Frankfurt/M. 1993, S. 458; In den Fängen des NKWD. Deutsche Opfer des stalinistischen Terrors in der UdSSR. [Hrsg. vom] Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung. Berlin [DDR] 1991, S. 55. Nach Auskunft von Curt Trepte; Hedda Zinner: Selbstbefragung. Berlin [DDR] 1989, S. 105. J. A. Lwunin: Meshrabpom und das sowjetische Kino (1921 - 1936). In: Westnik, 1971, Nr. 4. Deutsch in: Proletarischer Internationalismus und Film. Ausstellungskatalog des Staatlichen Filmarchivs der DDR. Berlin [DDR] 1976. Hans Rodenberg: Protokoll eines Lebens. Berlin [DDR] 1980, S. 120. Einladungskarten im Wangenheim-NachlaB, Archiv der Akademie der Künste.

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Theater im sowjetischen Exil

Brandstiftung mißbraucht werden soll, um sie dann den Kommunisten unterzuschieben. Der Held wandelt sich schließlich zu einem von Dimitroff begeisterten Widerstandskämpfer. In seiner klaren antifaschistischen Tendenz war es ein Film, der anderswo kaum denkbar gewesen wäre. Hinsichtlich des schmalen Reservoirs an EmigrantenSchauspielern in der Sowjetunion stellt er darüber hinaus eine bemerkenswerte Kollektiv- und Ensemble-Leistung dar, die vorwiegend noch filmunerfahrene Berufs- und Laienkräfte zusammenführte. Der berühmteste Nichtschauspieler dürfte Gregor Gog, der „König der Vagabunden", gewesen sein - 1940 verhaftet und verbannt - , der jüngste der kleine Sohn Friedrich Wolfs, Konrad, später selbst ein großer Filmregisseur. Aus der Schweiz hatte Wangenheim erneut Trösch und Greif herangeholt. Beide hatten darstellerisch anspruchsvolle Negativtypen zu spielen - einen sich der SA anbiedernden, moralisch verkommenen, arbeitslosen Bauingenieur der eine, einen überzeugten, zackigen Sturmführer der andere. Aus Polen kam Alexander Granach. Mit der Dekoration und dem Szenenbild wurde Teo Otto vom Zürcher Schauspielhaus betraut, der nach seiner verfrühten Abreise durch Heinrich Vogeler ersetzt wurde. Der inzwischen ebenfalls in der Sowjetunion eingetroffene Ernst Busch sang aus einem Chor von KZ-Häftlingen heraus das von Hans Hauska leitmotivisch einkomponierte „Moorsoldaten"-Lied. Lotte Loebinger gab die einprägsam-schlichte Gestalt einer alleinerziehenden proletarischen Mutter - ihr einziger schauspielerischer Auftritt während der Exiljahre, den Brecht seinerseits wiederum vehement für die beschäftigungslose Weigel zu erstreiten suchte. Für den begabten Bruno Schmidtsdorf - im Film ihr Sohn und Held ebenjener Parallelhandlung - war es der Auftritt seines Lebens. Wenig später, wahrscheinlich im ersten Halbjahr 1937, wurde er als erster der alten KOLONNE-LlNKS-Mitglieder verhaftet. Ihm folgten im September 1937 Albert Wolff und dessen Frau Dora Dittmann, am 20. November 1937 Hans Hauska, am 3. Februar 1938 Kurt Ahrendt, am 7. Februar 1938 Karl Oefelein und am 17. März 1938 Helmut Damerius. Nur Hauska, Damerius und womöglich Dora Dittmann - Curt Trepte sprach von einer Ausweisung - konnten überleben. Hauska wurde nach über einjähriger Haft am 5. Dezember 1938 wegen „konterrevolutionärer Tätigkeit" nach Deutschland ausgewiesen. Obwohl er österreichischer Staatsbürger war, hatte man ihn gegen seinen Willen - er wollte nach England - mit einem reichsdeutschen Rückwandererpaß versehen, der ihn in ,,gebundene[r] Marschroute" direkt der Gestapo auslieferte. Wegen „Vorbereitung zum Hochverrat" wurde er vom Volksgerichtshof Berlin zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. 64 Spionage-Verdacht brachte Damerius zunächst ein Strafmaß von sieben Jahren „Besserungsarbeitslager" ein, die ihn zum Holzeinschlagen hinter Solikamsk im Ural zwangen. Kritische Wandzeitungs- und Theaterarbeit, mit der er zwischen die Lagerfronten geriet, führten zu Karzer und einem erneuten Schuldspruch wegen „konterrevolutionärer Tätigkeit". In einem Revisionsverfahren konnte er nach Kriegsende seinen „Freispruch" durchsetzen, der aber in Wirklichkeit eine noch elf Jahre dauernde Zwangsansiedlung in Kasachstan nach sich zog. 65 Das einzige KOLONNEN-Mitglied, das vorläufig unbehelligt blieb, war Hans Kieling - nach Kriegsausbruch mußte aber auch er für acht Monate zur sogenannten „Trud (.Arbeits*) -Armee", die faktisch einem Arbeitslager glich 6 6 Während der Dreharbeiten zu Kämpfer wurden auch die beiden Assistenten Wangenheims verhaftet 64 65 66

Ebenda: Hans Hauska: Lebenslauf vom 17. Juli 1959. Helmut Damerius: Unter falscher Anschuldigung. 18 Jahre in Taiga und Steppe. Berlin 1990. Dokumentar-Film KOLONNE LINKS von Christian Riemke, 1991.

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Peter Diezel Walter Rauschenbach, ein Wolgadeutscher, und Ernst Mansfeld. Mansfeld, ehemaliges Mitglied der Berliner Agitproptruppe ROTE RAKETEN, lieferte im Film eine gekonnte Persiflage Görings ab. Da er hauptamtlicher Mitarbeiter der IAH war, läßt sich, wie bei der gesamten KOLONNE LINKS, als eigentlicher Verhaftungshintergrund ein gezieltes Vorgehen gegen Willi Münzenberg vermuten. Mit der Schließung von Meshrabpom konnten mehrere, teilweise bereits fest eingeplante Produktionen nicht mehr realisiert werden: Rodenbergs Illegal mit Hanni Schmitz als Hauptdarstellerin, Piscators/Hays „Film der Wolgadeutschen", Wangenheims Schloeffel-Stoff - über einen revolutionären Studenten von 1848 - und Alexander Granachs Mühsam-Biographie.67 Weitere Filmszenarien nach Exilromanen und -stükken wie Feuchtwangers Die Geschwister Oppenheim (späterer Filmtitel Familie Oppenheim) und Wolfs Professor Mamlock sowie Das trojanische Pferd (Der Kampf geht weiter) wurden ausschließlich als sowjetische Filme gedreht. Am 8. Oktober 1936 schrieb Wilhelm Pieck an die Pariser Auslandsleitung der KPD: „Wenn diese Entwürfe" - Illegal, Oppenheim, Schloejfel und Das braune Netz von Heinz Goldberg - „Wirklichkeit werden, so würde uns damit sehr viel geholfen. Wir haben uns deshalb auch für die beschleunigte Herstellung der Filme eingesetzt. Aber es treten dabei sehr ernste Schwierigkeiten auf, die besonders in der Mitwirkung deutscher Schauspieler liegen. Die bisherigen Erfahrungen, besonders wegen ihres politischen Verhaltens, sind nicht sehr günstig und es bestehen Neigungen, überhaupt auf ihre Mitwirkung in der SU zu verzichten. Das wäre im Interesse der deutschen Filme nicht günstig."68 Unter den deutschen Schauspielern wurden lediglich Heinrich Greif und Hans Klering mit größeren Aufgaben im sowjetischen Film betraut. Greif spielte in insgesamt acht, Kieling in 23 sowjetischen Filmen mit. Am überzeugendsten wirkten beide in der Darstellung faschistischer deutscher Wehrmachts- und SS-Angehöriger, die sich brutalsadistisch an Partisanen bzw. Kriegsgefangenen vergehen: Klering als Ortskommandant Werner in Mark Donskois Regenbogen und Greif als „schweigsamer Kurt" in Michail Romms Mensch Nr. 217. Beide 1944 fertiggestellten Streifen erfuhren internationale Beachtung. Granach hatte außer in Kämpfer noch im Meshrabpom-Film Das letzte Zigeunerlager mitgewirkt, wo er einen alten Stammesführer spielte, der sich verzweifelt gegen das Neue stemmt. Im Januar 1936 trat er einen glänzenden Vertrag mit 36.000 Rubel Jahresgage und einer Zweizimmerwohnung am Jüdischen Theater Kiew an.69 Dort spielte er u. a. den Shylock und die Titelrolle in Kulbaks Volksstück Räuber Beutre, außerdem inszenierte er Julius Hays Kamerad Mimi. Ein Wechsel in der künstlerischen Direktion des Hauses bewog ihn, sich in ein westliches Exilland - zuerst zu Piscator und Feuchtwanger nach Frankreich - begeben zu wollen. Kurz vor der geplanten Abreise im November 1937 wurde er verhaftet und nur durch eine direkte Intervention Lion Feuchtwangers bei Stalin wieder frei- und aus der Sowjetunion herausgelassen. Ernst Busch konnte nichts mehr abhalten, nach Spanien zu gehen. Im Februar 1937 verließ er die Sowjetunion, in die er im Oktober 1935 gekommen war. Zurück blieben 67

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Alexander Granach in einem Brief an Lotte Lieven-Stiefel vom 16. Februar 1936; Archiv der Akademie der Künste. Wilhelm Pieck in einem Brief an die Auslandsleitung der KPD vom 8. Oktober 1936; ehemal. ZPA Berlin I 2/3/ 286. Alexander Granach in einem Brief an Lotte Lieven-Stiefel (undat.).

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für alle, die ihn in seinen Konzerten gehört hatten, unvergeßliche Eindrücke bester politischer Lied-Kunst - darunter und vor allem von Bertolt Brecht und Hanns Eisler. Als Vertreter eines sich politischen Themen zuwendenden modernen Ausdruckstanzes hatte es Jean Weidt schon auf der Internationalen Olympiade des revolutionären Theaters im Mai/Juni 1933 recht schwer gehabt. Nachdem er 1935 wegen seiner Mitwirkung an Programmen der Französischen Kommunistischen Partei aus Frankreich ausgewiesen worden war, hatte ihm die Bürgschaft Piscators ein Einjahresvisum für die Sowjetunion verschafft, wo er im Moskauer Kugellagerwerk mit einer von ihm selbst zusammengestellten Laientanzgruppe arbeitete. Eine Verlängerung der Aufenthaltsfrist wurde kategorisch abgelehnt; ein feister Beamter warf ihm den Paß vor die Füße und rief „Raus!"70 Die Tanzgymnastin und -pädagogin Anni Sauer hatte ebenfalls Frankreich verlassen müssen und war durch ihren am Moskauer Marx-Engels-Institut arbeitenden Bruder in die Sowjetunion gelangt. Im September 1937 wurde sie wegen angeblicher Spionage verhaftet und ohne jegliche Verhandlung zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt. Dieses befand sich in der sogenannten kasachischen Hungersteppe, wo es nur jedem vierten Lagerinsassen gelang zu überleben. Nach verbüßter Strafzeit hängte man ihr ein „lebenslänglich" an - 1957 siedelte sie in die DDR über. Für die meisten Dirigenten, die bis dahin fest mit sowjetischen Orchestern zusammengearbeitet hatten, kündigte sich ebenfalls ein Ende an. Zu ihnen gehörten: Georges Sebastian, Fritz Stiedry, Eugen Szenkar, die Brüder Hermann und Kurt Adler sowie Heinz Unger. Bleiben konnten lediglich Oskar Fried - Chefdirigent des Moskauer Radio-Sinfonieorchesters und musikalischer Leiter des Opern- und Ballettheaters Tiflis sowie Kurt Sanderling, unter anderem von 1941 bis 1960 erster Dirigent der berühmten Leningrader Philharmonie. Die theaterlosen Jahre 1937 - 1945 Die meisten der noch verbliebenen Theater-Emigranten, die von den Repressalien nicht betroffen bzw. ihnen entgangen waren, arbeiteten als Sprecher und Redakteure bei den deutschsprachigen Sendungen von Radio Moskau mit. Waren diese bis auf wenige Ausnahmen - Büschs Lieder, ein paar Hörspiele oder literarische Lesungen - eher dem eintönigen Muster sowjetischer Propaganda zuzurechnen, änderte sich das entschieden mit Ausbruch des Krieges. Seit seiner Wiedereinreise in die Sowjetunion 1935 dabei, hatte sich Heinrich Greif zum exzellenten Chef-Sprecher entwickelt. Nun waren es gerade die politischen Meldungen und Frontnachrichten, die seine markant helle und feste Stimme in vielen Exilländern und vor allem unter den heimlichen „Feindhörern" in Deutschland bekannt und vertraut werden ließen. Viele Frauen und Eltern in Deutschland hörten verzweifelt die oft stundenlangen Gruß-Übermittlungen von Kriegsgefangenen nach einem Lebenszeichen ihres Mannes oder Sohnes ab. Greif zur Seite stand als ständige Sprecherin Lotte Loebinger, die gleich nach dem Kämpfer-Film im Rundfunk zu arbeiten begonnen hatte. Zum kleinen Sprecher-Kollektiv gehörten weiter: Maxim Vallentin, Hans Rodenberg und Hanni Schmitz - beide wurden mit Kriegsbeginn verpflichtet - sowie zeitweise Nelly Held, die Frau Ernst Heids, der für die Kulturredaktion tätig war. Friedrich Voss, der schon seit den ersten Exiljahren am Rundfunk beschäftigt war, wurde im Februar 1938 70

Jean Weidt im Gespräch mit Peter Diezel, 13. August 1987.

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Peter Diezel verhaftet und scheint im Lager umgekommen zu sein. Mit der militärischen Bedrohung Moskaus verlagerte sich der Sendebetrieb zunächst nach Swerdlowsk Yekaterinburg) und wenig später nach Kuibyschew (Samara). Im Unterschied zu diesen organisierten Betriebsevakuierungen gab es die als militärische Schutzmaßnahme angeordnete Zwangsumsiedlung aller Deutschen aus den Frontregionen, und damit auch aus Moskau, in weiter östlich gelegene Landesteile. Sie endete nicht selten in chaotischen Verhältnissen. Heinrich Vogeler wurde in Mittellosigkeit und Unterernährung eines ihrer Opfer. Luisrose Fournes kam mit ihrem kleinen Sohn nach Kasan, wo sie zunächst als Traktoristin auf einer Kolchose und später in einem Rüstungsbetrieb arbeitete.71 Gerda Schneuer, deren Mann Imre Beer - ungarischer Jude, Arzt und Spanienkämpfer - 1941 verhaftet und bald darauf erschossen wurde, verschlug es nach Tomsk in Sibirien; sie wurde in einer Munitionsfabrik beschäftigt.72 Gemeinsam mit anderen Emigranten-Autoren stellte sich Gustav von Wangenheim bei Kriegsbeginn der 7. politischen Abteilung der Hauptverwaltung der Roten Armee zur Verfügung, die speziell zur Propaganda in den gegnerischen Reihen geschaffen worden war. Nach seiner Evakuierung nach Taschkent - sie verlief im Rahmen des sowjetischen Schriftsteller-Verbandes - wurde er Mitglied des im Juli 1943 in Krasnojarsk bei Moskau gegründeten Nationalkomitees „Freies Deutschland", für dessen Frontsender er zahlreiche Beiträge verfaßte.73 Arthur Pieck wurde als Offizier jener 7. Abteilung direkt an der Stalingrader Front eingesetzt, wo er u. a. das Ultimatum der sowjetischen deutschen Truppen übersetzte und im Sprechfunk durchgab; im letzten Kriegsmonat wurde er an die Berliner Front unter Bersarin kommandiert.74 Mischket Liebermann und Gerda Schneuer übten von 1943 bis 1947 die Funktion eines Politinstrukteurs und Kulturoffiziers unter deutschen Kriegsgefangenen aus. 1942 setzte sich Maxim Vallentin vergeblich bei der KPD-Führung dafür ein, mit einer kleinen Initiativgruppe in verschiedene Kriegsgefangenlager fahren und dort geeignete Kader für eine Theatergruppe auswählen und heranbilden zu dürfen. Sie sollte „ein Höchstmaß künstlerischer Qualität mit außerordentlicher Beweglichkeit" verbinden und sowohl in den Lagern selbst als auch in den später von der Roten Armee befreiten deutschsprachigen Gebieten auftreten.75 Vallentin war auch einer der Referenten, die auf der am 25. September 1944 von Wilhelm Pieck einberufenen Beratung über den kulturellen Neuaufbau im Nachkriegsdeutschland sprachen. Im Unterschied zur Literatur machte er für das Theater und die anderen Künste im sowjetischen Exil deutlich, daß es „hier gar keine oder nur eine sporadische, auf keinen Fall aber kontinuierliche Produktion und daher auch keine entwikkelte Kritik gab". Ihre derart begrenzten Erfahrungen müßten deshalb „wesentlich" durch die ihrer „Gesinnungsfreunde und Berufskollegen [...] am Züricher Theater", aus deren ununterbrochener Tätigkeit, „ergänzt werden" sowie aus den „Entwicklungsergebnisse[n] der nach England und Amerika emigrierten Bühnenkünstler". Ebenso not71 72 73

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Nach Angaben von Curt Trepte. Nach Angaben von Gerda Schneuer-Raatz und ihrer Tochter Lola Debüser. Gustav von Wangenheim: Lebenslauf (undatiert, aus den 50er Jahren); Wangenheim-Nachlaß, Archiv der Akademie der Künste. Nach dem Tagebuch von Arthur Pieck. Maxim Vallentin in einem Brief an Kostja Selesnojow vom 3. Mai 1942. Mit einer Kopie des vorherigen Briefes an Wilhelm Pieck; Vallentin-Nachlaß, Archiv der Akademie der Künste.

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Theater im sowjetischen Exil wendig sei es, die „Lehren aus der vorhitlerischen Theaterpraxis" zu ziehen - vor allem in der Überwindung der mangelnden Bündnisfähigkeit der revolutionären Kräfte. Einen Weg aus jener „Isolierung" könnten „in manchem" die Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre entstandenen, „über die fortgeschrittensten Theater-Konzeptionen" verfügenden Schauspielerkollektive zeigen. Über die Spielplan-Gestaltung, einen differenzierten Umgang mit den unter der NS-Diktatur tätig gewesenen Schauspielern und Bühnenvorständen sowie die „Schlüsselpositionen" Stückvertriebs- und „Volksbesucherorganisation" sollten u. a. die eigenen, kommunistischen Einflußmöglichkeiten gesichert werden. Nicht zuletzt ließ sich daran, wie sich Vallentin an dem Studium Stanislawskis und der realistischen ,,nationale[n] deutsche[n] Theater-Traditionen" orientierte, die Eigenart seiner später in der DDR Schule machenden, jedoch zunehmend in Reglementierung erstarrenden Rezeption des großen russischen Lehrers der Schauspielkunst erkennen.76 Wie im Film die Schließung des Meshrabpom-Studios, so bewirkte auch die Vertreibung der letzten Emigranten-Schauspieler von der Bühne, daß die antifaschistische Thematik - soweit sie über den schriftstellerischen Beitrag hinausging - ausschließlich der sowjetischen Seite überantwortet werden mußte. Ihr war am sowjetischen Theater freilich schon von Anfang an ein ehrenvoller Platz eingeräumt worden. Vor allem Friedrich Wolf konnte sich über mangelnde Rezeption nicht beklagen: Sein Professor Mamlock wurde in fast allen größeren Städten gespielt, darunter in herausragenden Inszenierungen am Leningrader und Moskauer Gewerkschaftstheater, an letzterem allein über zweihundertmal bis zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt77; Floridsdorf wurde 1936 am Odessaer Iwanow-Theater und - anläßlich seines 15jährigen Bestehens - am Moskauer Wachtangow-Theater gezeigt. Für Berta Lasks Fackelzug bekundete 1937 das Moskauer Theater der Revolution Interesse. Hier war es jedoch Wilhelm Pieck, der mit Berufung auf die unter sowjetischen Verhältnissen maßgebliche „Parteimeinung" davon abriet. Dies hatte nicht so sehr künstlerische als vielmehr politische Gründe, die die völlige Fehleinschätzung der Situation in Deutschland durch die KPD dokumentieren. Hinzu trat ein äußerst fragwürdiger Aktualitäts-Anspruch. So sah Pieck den Fehler des Stükkes „darin, daß es sich nur auf die erste Zeit nach Aufrichtung der faschistischen Diktatur bezieht und nur die damals vorhandene Depressionsstimmung widerspiegelt". Die sowjetischen Zuschauer brauchten aber seiner Meinung nach „einen Einblick in den gegenwärtigen Kampf in Deutschland", und der sei von wachsendem Widerstand bestimmt.78 Berta Lask hatte mit der Faschisierung der deutschen Universitäten, dem erzwungenen Niedergang des freigeistigen Liberalismus, immerhin ein wichtiges Thema aufgegriffen. Leider vermochte sie ihre zum Teil durchaus interessanten Figuren-Expositionen - u. a. standen ihr Heinrich Rickert und Max Weber als Typus deutscher Professoren vor Augen - in keinen adäquaten Handlungszusammenhang zu stellen; statt dessen dominierten verbale Direktheit und nackte Konstruktion. 76

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Maxim Vallentin: Einleitende Bemerkungen zur Ausarbeitung von Richtlinien (Theater); Wangenheim-Nachlaß, Archiv der Akademie der Künste, Mappe 452. Friedrich Wolf in einem Brief an S. Meschinskij vom 9. September 1938; Friedrich-Wolf-Archiv, Archiv der Akademie der Künste. Wilhelm Pieck in einem Brief an den Direktor des Moskauer Revolutionstheaters (Sobolew) vom 15. November 1937; ehemal. ZPA Berlin, NL 36/532.

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Peter Diezel Gustav von Wangenheims Friedensstörer wurden 1939 am Schauspielhaus Rostow am Don und am Moskauer Lensowjet-Theater aufgeführt. Das Stück zeigt auf tragigroteske Weise, wie das mit dem Anschluß von 1938 nach Österreich gekommene arische Rasse-Denken eine bürgerliche Familie zerstört. Mit dem Abschluß des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes am 23. August 1939 und seinen verschiedenen Zusatzabkommen mußte jedoch jede offene antifaschistische Propaganda eingestellt werden, so daß auch Professor Mamlock und Friedensstörer aus den Spielplänen verschwanden. Neue Stücke wie Hedda Zinners Cafehaus Payer - ebenfalls vor dem Hintergrund des „heim ins Reich" gekehrten Österreich hatten keine Chance mehr. Dies wirkte nicht zuletzt auf die Stoffwahl zurück: Hatte sich Wangenheim in Stürmisches Wiegenlied noch einmal direkt mit faschistischer Ideologie auseinandergesetzt, in der Genre-Besonderheit eines absurd-hintergründigen Commedia-dell'arte-Spektakels, so wandte er sich nun anderem zu. Die Komödie Er weiß es noch nicht führte bürgerlichen Wahlkampf-Rummel ad absurdum; Schauplatz war Frankreich. In Die Stärkeren ließ sich Wangenheim von der sowjetischen PropagandaVersion inspirieren, daß die mit Hitler ausgehandelte Teilung Polens und der am 17. September 1939 erfolgte Einmarsch der Roten Armee einzig und allein der brüderlichen Hilfeleistung gegenüber der unterdrückten westukrainischen und weißrussischen Bevölkerung dienten. Als „die beginnende Befreiung West-Europas, der Welt"79 sah er darin so etwas wie die nachträglich doch noch siegreich zu gestaltende Weltrevolution. Sein Heinrich von Lettland schließlich zeichnete ein verschlungenes Geschichtspanorama über den Kreuzritterorden, allerdings nicht ohne Anspielungen auf die gegenwärtige Eroberungspolitik. Der 22. Juni 1941, der Tag des deutschen Überfalls, ließ nicht nur wieder offiziell Antifaschismus zu, sondern machte ihn zu einem notwendigen Bestandteil der Verteidigung. Professor Mamlock in Moskau und Friedensstörer in Rostow gelangten erneut auf die Bühne; das Moskauer Komsomol-Theater brachte unter dem Titel Neue Ordnung (Nowy poijadok) Brechts Spitzel-Szene aus Furcht und Elend des Dritten Reiches in Kopplung mit Wolfs Bauer Baetz und dem Einakter eines sowjetischen Dramatikers (.Komsomolskaja Prawda, 3. Oktober 1941); das Wachtangow-Theater plante Lasks Fackelzug und das Tairow-Theater Adam Scharrers Der Acker auf dem schwarzen Berg (Wetschernjaja Moskwa, 2. Oktober 1941) - eine realistische Schilderung des deutschen Dorfes unter dem Nationalsozialismus. Durch die bedrohliche militärische Lage wurden jedoch die meisten hauptstädtischen und auch andere Theater zur Evakuierung oder gar Schließung gezwungen. Die Hoffnung der Exildramatiker konnte sich fast nur noch auf eine spätere Aufführung in einem neuen Nachkriegsdeutschland richten. Johannes R. Bechers deutsche Hamlet-Figur der Ostfront mit ihrem verspäteten Bekenntnis zur Tat, die eine Verweigerung ist, ließ sich kaum auf einer sowjetischen Bühne denken. Immerhin konnte Schlacht um Moskau 1942 in der in Moskau erscheinenden Internationalen Literatur gelesen werden. Völlig aus dem Rahmen fiel Wangenheims Das Zauberspiel von der Ähnlichkeit: Ein aus der Gefangenschaft im afrikanischen Wüstensand nach Berlin heimkehrender Schauspieler erzählt seiner Tochter und ihrem Verlobten Geschichten, die sie ermutigen 79

Gustav von Wangenheim: Die Stärkeren. Einige Bemerkungen für Übersetzer, Regisseur und Schauspieler; Wangenheim-Nachlaß, Archiv der Akademie der Künste.

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Theater im sowjetischen Exil und läutern sollen; sie ist als Chefsekretärin in das Getriebe der Macht eingeweiht und desillusioniert, er ist ein verwundeter Generalstäbler; die Geschichten handeln von der Unbeugsamkeit des spanischen Dichters Cervantes in der Gefangenschaft des Days von Algier und vom neuen Leben im sowjetischen Usbekistan, letzteres freilich ziemlich tendenziös und kolportagehaft dargestellt. Damit löste sich Wangenheim zwar wieder aus der als „sozialistischer Realismus" deklarierten aristotelischen Handlungs-Dramaturgie und knüpfte mit durchaus gestalterischem Gewinn an seine frühere MontageTechnik an, doch zeigte sich zugleich der im Exil und besonders unter den ideologischen Prämissen des sowjetischen Exils eingetretene Verlust an Kommunikationsfähigkeit gegenüber einem möglichen, vorgestellten deutschen Publikum. Das Vertrauen auf bloße, oft naiv oder trivial-melodramatisch gesetzte Appell- bzw. Beispiel-Wirkung ist nur ein Zeichen hierfür. In Käte Rademacher - von Wangenheim ebenfalls während der Evakuierung geschrieben - wird dies in der Motiwerkettung noch um vieles deutlicher: Ein von der Ostfront desertierter deutscher Soldat, der zu den Partisanen kam und dort zum neuen Menschen wurde, baut in der Heimat eine Widerstandsgruppe auf und gewinnt in der Titelheldin sofort eine Mitkämpferin, die Züge mit SS-Kommandos verunglücken läßt. Schuld-Erkenntnis und Sühne-Leistung als unerläßliches Gebot eines Neuanfangs nach Kriegsende machen schließlich das thematische Zentrum in Julius Hays Gerichtstag und Friedrich Wolfs Was der Mensch säet aus. Beide Stücke bemühten sich auf unterschiedliche Weise um eine größtmögliche Totalität der gesellschaftlichen Kräfte: Wolf im Blick auf eine ostpreußische Stadt vom Vorabend des Überfalls auf die Sowjetunion bis zum Einmarsch der Roten Armee, Hay in einem parabelhaft überhöhten Familien-Verhör. Daß die andrängende Stoffülle in den Grenzen aristotelischer Dramaturgie belassen wurde, schmälert auch hier das künstlerische Ergebnis.

Literatur Peter Diezel: Das Exiltheater in der Sowjetunion. 1932 -1937. Berlin [DDR] 1978. Bernhard Reich: Im Wettlauf mit der Zeit. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten deutscher Theatergeschichte. Berlin [DDR] 1970. Hermann Haarmann, Lothar Schirmer, Dagmar Walach: Das „Engels"-Projekt. Ein antifaschistisches Theater deutscher Emigranten in der UdSSR (1936 - 1941). Worms 1975. Hans-Albert Walter: Die Folgen des sowjetischen Staatsterrorismus für die in der Sowjetunion lebenden Exilierten. In: ders.: Europäisches Appeasement und überseeische Asylpraxis. Stuttgart 1984 (= Deutsche Exilliteratur 1933 -1950, Bd. 2). Peter Diezel/Renate Waack-Ullrich: Zur Situation in den darstellenden Künsten. In: Simone Barck u.a.: Exil in der UdSSR. 2., völlig neu bearb. und erw. Aufl. Leipzig 1989 (= Kunst und Exil im antifaschistischen Exil 1933 -1945, Bd. 1). Eckhard John: Vom Traum zum Trauma. Musiker-Exil in der Sowjetunion. In: Musik im Exil. Folgen des Nazismus für die internationale Musikkultur. Hrsg. von HannsWerner Heiste, Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen. Frankfurt/M. 1993, S. 255278. 317

Peter Diezel Archive Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin (AdK): Friedrich Wolf-Archiv; Nachlässe bzw. Sammlungen des Bereichs Darstellende Kunst: Exil, Gustav von Wangenheim, Maxim Vallentin, Curt Trepte, Ilse Berend-Groa, Alexander Granach Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv [= ehemal. Zentrales Parteiarchiv der SED (ZPA Berlin)] Ehemal. Zentrales Parteiarchiv der KPdSU (ZPA Moskau)

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Helmut Müssener

Deutschsprachiges Theater im skandinavischen Exil Flüchtlingspolitik und Flüchtlinge in den skandinavischen Staaten Gemessen an den mitteleuropäischen Asylländern ist die Zahl der Hitlerflüchtlinge, die in den skandinavischen Staaten Zuflucht fanden, niedrig. Sie beläuft sich auf rd. 5.800 Personen, weniger als ein Prozent der deutschsprachigen Emigration insgesamt. In den etwa sechseinhalb Jahren zwischen der Machtübernahme und dem Kriegsbeginn im September 1939 gelangten bestenfalls 1.800 Flüchtlinge aus Deutschland, Österreich und aus den deutschsprachigen Gebieten der Tschechoslowakei nach Dänemark, etwa 840 nach Norwegen und rund 3.200 nach Schweden. Weit mehr als die Hälfte davon war erst nach dem März 1938, d.h. infolge und nach der Okkupation Österreichs und der CSR, geflohen. In Finnland, das im folgenden nicht weiter berücksichtigt wird, fanden bis 1940 etwa 200 Personen fast ausnahmslos für nur kürzere Zeit ihre Zuflucht. Nach dem deutschen Überfall vom 10. April 1940 auf Norwegen und Dänemark bzw. nach der in diesen Staaten 1942 und 1943 einsetzenden Judenverfolgung gelang es dem größten Teil der dort ansässigen Flüchtlinge, nach Schweden zu entkommen, wo ihre Gesamtzahl bei Kriegsende knapp 6.000 betragen haben dürfte. Nicht berücksichtigt sind dabei allerdings einige zehntausend vornehmlich aus rassenideologischen Gründen Verfolgte, die die skandinavischen Staaten nur als Zwischenstation vor der Weiterflucht nach den USA oder Palästina benutzten. - Der Grund für diese niedrige Aufnahmequote lag vermutlich in der geringeren politischen und wirtschaftlichen Attraktivität, zumal die skandinavischen Staaten in den dreißiger Jahren mit großer Arbeitslosigkeit zu kämpfen hatten. Die offizielle Flüchtlingspolitik der drei bis Kriegsausbruch weitgehend sozialdemokratisch regierten skandinavischen Staaten kann alles in allem als vorsichtig liberal bezeichnet werden. Man war darum bemüht, seine Neutralität um fast jeden Preis zu wahren, sich weitgehend aus allen internationalen Konflikten herauszuhalten, den übermächtigen Nachbarn im Süden unter keinen Umständen zu reizen und einen eventuellen Flüchtlingsstrom wenn irgend möglich an den skandinavischen Ländern vorbeizuleiten. Politischen Flüchtlingen - sie machten in den skandinavischen Staaten bei Kriegsende etwa 40 bis 45 Prozent der Asylsuchenden aus, was weit über ihrem Anteil von 10 bis 15 Prozent der Gesamtemigration lag - wurde im allgemeinen fast anstandslos Asyl gewährt, während es „Wirtschaftsemigranten" ausnahmslos verweigert wurde. Die heute so makaber klingende Bezeichnung „Wirtschaftsemigrant" war im Exil selbst bis weit in den Krieg hinein in Gebrauch und bezog sich auf die aus rassenideologischen Gründen Verfolgten. Nur wenige von diesen versuchten daher, meist aufgrund persönlicher oder geschäftlicher Beziehungen, nach Dänemark, Norwegen oder Schweden zu gelangen. Inhabern eines gültigen deutschen oder österreichischen Passes war bis Mitte 1938 eine Einreise jederzeit möglich; die Ankömmlinge mußten sich im Aufnahmeland lediglich dazu verpflichten, keine politische Tätigkeit auszuüben. Dies traf vor allem Mitglieder der Arbeiterbewegung. Da die Furcht vor meist imaginären ,Kominternagenten' in den skandinavischen Staaten weitgehend systemimmanent 319

Helmut Müssener

war, mußten Angehörige der KPD und linkssozialistischer Gruppierungen mit dem Argwohn der Behörden und dem Mißtrauen der Polizeiorgane ebenso rechnen wie parteilose Intellektuelle, die man linksradikaler Gedanken verdächtigte. Darüber hinaus durften die Flüchtlinge dem Staat nicht zur Last fallen, d.h., sie mußten sich selbst versorgen können oder von einem der zahlreichen Hilfskomitees unterstützt werden. Erst nach der Okkupation Österreichs und der sich nun ständig verschärfenden Rassenpolitik der nationalsozialistischen Machthaber verstärkte sich der Flüchtlingsdruck auch auf die skandinavischen Länder, die sich aber dagegen durch eine Reihe von administrativen Maßnahmen zu wehren wußten. Visumzwang bzw. sog. Grenzempfehlungen wurden eingeführt. Sogar der berüchtigte „J"-Stempel verdankt seine Existenz nicht zuletzt schwedisch-schweizerischen Interventionen, denen die deutschen Behörden nur zu bereitwillig Folge leisteten. Allen Flüchtlingen gemeinsam war das Problem der Arbeitsbeschaffung. Sie konnten im allgemeinen zunächst nur als Landarbeiter und Hausangestellte oder in vereinzelten Nischen ihr Auskommen finden. Die Öffentlichkeit nahm sie zwar zur Kenntnis, empfand aber cum grano salis ihre Existenz eher als Belastung denn als Verpflichtung. Weite Kreise des Bürgertums verstanden zudem häufig nicht, warum jemand Deutschland verlassen mußte, obwohl er sich keines Vergehens schuldig gemacht hatte. Ihnen waren sogar antisemitische Regungen nicht fremd. Sie fürchteten eine imaginäre Konkurrenz - eine Furcht, die von den kleinen nationalsozialistischen Gruppierungen in den skandinavischen Ländern nicht ungeschickt geschürt wurde und die bis weit in die bürgerliche Presse hinein ihr Echo fand. So war man denn auch allzu häufig taub gegenüber den Warnungen des „anderen Deutschlands" und zeigte nur wenig Verständnis für dessen kulturelle Tätigkeit, sofern man sie überhaupt zur Kenntnis nahm. Deutschland war für Skandinavien jahrzehntelang der kulturelle Mittelpunkt Europas gewesen; daran änderte auch die Herrschaft des Nationalsozialismus zunächst nur wenig. Bis etwa Mitte 1939 konnten die Flüchtlinge im allgemeinen mit einer relativ großen Bewegungsfreiheit rechnen. In den drei Ländern existierten sogar - allerdings überwacht von Polizei und Geheimdiensten - Gruppen der verschiedenen Parteien der deutschsprachigen Arbeiterbewegung sowie der Gewerkschaften, und es kam zu lebhaften Volksfrontkontakten. In Schweden spielte zudem die „Emigrantenselbsthilfe" eine bedeutende Rolle, deren Mitglieder sich vornehmlich aus bekennenden Juden rekrutierten. In Kopenhagen war Emigranthjemmet (das „Emigrantenheim") Mittelpunkt der gesamten Emigration und durch seine Veranstaltungen auch ihres kulturellen Lebens. Diese organisierte Tätigkeit kam mit dem Kriegsbeginn nach außen hin völlig zum Erliegen. In Schweden lebte sie erst nach den Niederlagen bei El Alamein und von Stalingrad wieder auf. Sehr schnell kristallisierte sich wieder die Fülle alter Gruppierungen heraus. Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Kommunisten in Reichsdeutscher", österreichischer und sudentendeutscher Spielart sowie verschiedene sonstige Splittergruppen der Arbeiterbewegung konkurrierten durch zahlreiche, mehr oder weniger regelmäßig erscheinende Publikationen miteinander. Der Arbeitsausschuß deutscher antinazistischer Organisationen in Schweden, dem SPD, KPD, Gewerkschaftslandesgruppe und der Freie Deutsche Kulturbund (FDKB) angehörten und der als einziges Beispiel eines Kartells aller maßgeblichen Parteien unter Einschluß der KPD über Schweden hinaus beachtenswert ist, trat in seiner öffentlichen Arbeit nur durch drei gemeinsame Resolutionen in Erscheinung. 320

Deutschsprachiges Theater im skandinavischen Exil Der kleinste, aber gemeinsame und Gemeinsamkeit schaffende Nenner, auf den sich die Flüchtlinge unbesehen aller politischen und ideologischen Gegensätze einigen konnten, war oft die kulturelle Arbeit mit Vorträgen und Studienzirkeln, mit Musikabenden und Theateraufführungen. Auf diesem Gebiet versuchten sie, ihre Vorstellung eines „anderen Deutschlands" den Gastländern gegenüber zu manifestieren und diese dem nationalsozialistischen Großdeutschland und seiner Propaganda als „humanistische Alternative" entgegenzustellen - ein Bestreben, das allerdings häufig erst gegen Kriegsende eine gewisse Wirkung erzielte. Nach 1945 versuchte der Arbeitsausschuß, die Heimkehr aller Emigranten nach Deutschland in die Wege zu leiten. Sie scheiterte unter anderem am Widerstand der westlichen Besatzungsmächte, so daß in den Jahren 1945 - 1949 nur etwa ein Viertel der Gesamtemigration zurückkehrte, darunter nahezu alle Mitglieder und Sympathisanten der KPD, die in die damalige sowjetische Besatzungszone gelangten, sowie ein Großteil der österreichischen Emigranten. Innerhalb der jüdischen Emigration bestand dagegen eine verbreitete und wohlbegründete Abneigung, nach Deutschland zurückzukehren, obwohl man sich nur teilweise im Aufnahmeland assimiliert hatte. Theater und Exiltheater in den skandinavischen Staaten Die Aussichten emigrierter Regisseure und Schauspieler, ihren Beruf in den skandinavischen Ländern ausüben zu können, waren aus objektiven wie subjektiven, strukturellen wie individuellen Gründen denkbar gering. So fehlte ihnen allen zunächst einmal die conditio sine qua non jeden Sprechtheaters, die Beherrschung der Landessprache. Sollte diese Hürde aber nach einigen Jahren genommen sein oder, wie im Musiktheater, keine Rolle spielen, so stieß man auf die nächste, nahezu unüberwindbare: die Konkurrenz der einheimischen Kolleginnen und Kollegen. In den dreißiger und vierziger Jahren gab es in den dünnbesiedelten skandinavischen Staaten nur wenige Bühnen. Die weitaus meisten waren zudem in privater Hand und mußten sich nach einer äußerst kurzen und dünnen finanziellen Decke strecken. Im Überlebenskampf um die Gunst des Publikums war man gezwungen, auf Bekanntes und Bewährtes, was Stücke wie Darsteller betraf, zu setzen, und konnte sich nur gelegentlich politische oder künstlerische Experimente leisten. Nur wenige skandinavische Theater waren subventioniert. Alle anderen waren gezwungen, ihre Kosten durch eigene Einkünfte zu decken. Zu den subventionierten Bühnen gehörten allenfalls vier Stadttheater, davon zwei in Schweden, sowie die großen Nationaltheater der Hauptstädte. Die Bezeichnung „königlich", die das Stockholmer und das Kopenhagener Theater trugen, war dabei keineswegs nur Zierat, sondern Ausdruck einer besonderen Verantwortung gegenüber Regierung und Königshaus. Diese Theater waren gezwungen, sich die Gunst ihrer Geldgeber nicht durch Stücke zu verscherzen, die Moral, Sitte und die herrschende politische Meinung allzu radikal in Frage stellten. In Dänemark standen zudem alle professionellen Bühnen unter der Vormundschaft eines Zensors, den das Justizministerium zu bestallen hatte und von dessen berüchtigtem Blaustift nur Amateurtheater und geschlossene Aufführungen nicht betroffen waren. Er war gehalten, alles zu streichen, was nach seiner Meinung nicht der öffentlichen Moral entsprach bzw. was politischer Propaganda verdächtig war. 321

Helmut Müssener Das war nach 1933 eine delikate Aufgabe, da die einflußreichen diplomatischen Vertretungen des Deutschen Reiches ohnehin mit Argusaugen das Wohlverhalten nicht zuletzt der Theater beobachteten. Die Folge war, daß zur direkten Zensur wie in Dänemark auch noch die nicht weniger scharfe Selbstzensur der Theater hinzukam. Diese Selbstzensur ist vor allem nach 1938 bzw., in Schweden, nach Kriegsbeginn klar erkennbar. Sie wurde kompensiert durch Rückgriffe auf Widerstandsdramen eigener Provenienz bzw. durch entsprechend interpretierte Klassiker. Auch die allgemeine Ausrichtung des skandinavischen Theaters war weder für die Exildramatik noch für exilierte deutsche Schauspieler und Regisseure günstig. Es war von den sozialen und politischen Konvulsionen in Kontinentaleuropa kaum berührt worden, und so wurden in erster Linie Stücke des Kanons bis zur Zeitenwende des Ersten Weltkrieges oder einheimische Gegenwartsdramatik gespielt bzw., als Kassenfüller, Operetten und Salonkomödien. Nur wenige Regisseure wie der Däne Per Knutzon oder die Schweden Per Lindberg und Alf Sjöberg hatten, teilweise an Ort und Stelle, notiert, was sich in den zwanziger Jahren auf den Bühnen von Berlin, Moskau und Paris abgespielt hatte. Sie waren im allgemeinen auf die wenigen privaten Avantgarde-Theater angewiesen, die in zu rascher Folge kamen und gingen, um künstlerische Kontinuität und finanziellen Erfolg zu gewährleisten. Die künstlerische Ausrichtung der Theater war, generell gesehen, traditionalistisch. Sie orientierte sich an einem psychologisch fundierten Realismus, der für Regisseure wie Schauspieler nahezu ausnahmslos verbindlich war, während Symbolismus und Expressionismus sich noch nicht hatten durchsetzen können. Selbst der naturalistisch-psychologisch bestimmte Darstellungsstil hatte den Öresund zwischen Dänemark und Schweden noch nicht überschritten. Das Agitproptheater des kommunistischen Teils der Arbeiterbewegung war in Skandinavien bereits Mitte der dreißiger Jahre verschwunden. Nur in Dänemark waren schwache Reste noch vorhanden. Das Amateurtheater schließlich, das in Schweden eine beachtliche Rolle spielte und häufig in der dortigen Arbeiterbildungsbewegung verankert war, widmete sich fast ausnahmslos dem reinen Laienspiel und hatte im allgemeinen nur lokale Bedeutung. So sahen sich die emigrierten Regisseure und Schauspieler bis auf wenige Ausnahmen auf ein Publikum verwiesen, das fast ausnahmslos aus Schicksalsgenossen bestand. Diese Publikumsbasis aber reichte trotz des Optimismus und der Anstrengungen der Akteure nicht dazu aus, eine regelmäßige Theaterarbeit durchzuführen; auch das Ensemble der FREIEN BÜHNE in Stockholm sah sich häufig genug auf die Mitwirkung bei „Bunten Abenden" beschränkt. Exiltheater in Dänemark Sämtliche oben genannten Probleme und Erscheinungen prägen die bescheidenen Ansätze deutschsprachigen Exiltheaters und deutschsprachiger Exildramatik in Dänemark. Sie reduzieren sich zudem gänzlich auf die Stücke und Tätigkeit Bertolt Brechts in einem Land, in dem er von 1934 bis 1939 seinen Wohnsitz hatte, wo er aber bis 1937 meist nur Gastrollen gab, da er sich häufig auf Reisen in die wahren Metropolen wie Paris, Moskau und New York befand. Erst ab 1937 lebte er in einer Art splendid isolation" unter seinem „dänischen Strohdach", sieht man von kleineren Ausflügen nach der noch verbliebenen Metropole Kopenhagen ab. 322

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Ein Triumph der Weigel - „Die Gewehre der Frau Carrar" In Kopenhagen war die Klientel des erwähnten Emigranthjemmet die natürliche Zielgruppe einer Inszenierung des Brechtschen Spanienstückes Die Gewehre der Frau Carrar. In ihr hatte, wie in der Pariser Uraufführung von 1937, die Brecht-Gattin Helene Weigel, die einzige Berufsschauspielerin des Exils in Dänemark, in der Regie von Ruth Berlau die Titelrolle übernommen, während die übrigen Rollen mit Amateuren, ausnahmslos deutschsprachigen Emigranten, besetzt waren. Sie blieben anonym, da man vor Nachstellungen der dänischen Polizei Angst hatte. Die Premiere fand am 14. Februar 1938 im Theatersaal einer Volkshochschule (Borups Hojskole) statt. Dabei hielten „auf den Zuschauerplätzen die linksgerichteten Freisinnigen Dänemarks zum letzten Mal vor der Besatzung ihre Musterung ab".'Unter ihnen befanden sich u. a. Martin Andersen-Nexö, der Grand Old Man der dänischen Literatur und Freund der Flüchtlinge, der Regisseur Per Knutzon und zahlreiche Schauspielerinnen und Schauspieler, bestens dokumentiert in Bildberichten der Tagespresse. Die Aufführung wurde zu einem triumphalen Erfolg „der Weigel", die „den Abend zu einem ergreifenden Erlebnis machte" und die nach dem Fall des Vorhangs die Schauspielerin Bodil Ipsen mit dem Brecht-Gedicht „Die Schauspielerin im Exil" ehrte. Martin Andersen-Nexö rezensierte das Stück im kommunistischen Arbejderbladet sehr positiv. Er lobte dabei besonders die Leistung der Amateure, die den Kampf der spanischen Freiheitskämpfer bereits im eigenen Land hätten austragen müssen und daher auch bei seiner Wiederholung im dramatischen Spiel nicht unglaubwürdig sein könnten. Ein Teil der bürgerlichen Presse dagegen, unter ihnen maßgebende Blätter wie Berlingske Tidende und Nationaltidende, überging die Aufführung mit Stillschweigen. Brecht, der an der Inszenierung beteiligt war, nannte sie in einem Brief an die Darsteller „eine schöne Leistung der Kopenhagener Emigration [...], die in Dänemark, wie die Zeitungen zeigen, uns nützt".2 Die Inszenierung, die u. a. durch Szenenfotos gut dokumentiert ist, erhielt nahezu Modellcharakter, als Brecht 1952 den Text des Stückes zusammen mit den Fotos der Pariser und Kopenhagener Inszenierungen sowie einer Nachkriegsinszenierung von 1952 durch Amateurdarsteller in Greifswald veröffentlichte.3 Eine zweite Aufführung fand möglicherweise auf der Hauptversammlung der Vereinigung Frisinned Kulturkamp („Freisinniger Kulturkampf) am 6. März 1938 statt, eine dritte ist für den 16. April 1938 auf dem Frühlingsfest der Studentersamfund („Studentenschaft") dokumentiert. Dagegen läßt sich eine Notiz im Neuen Tage-Buch vom 19. März 1938, der zufolge das Stück „gleichzeitig in verschiedenen Städten Dänemarks gespielt" wurde, nicht belegen; nicht auszuschließen ist allerdings, daß es sich hier um eine Tournee der dänischsprachigen Inszenierung gehandelt hat. Die Kopenhagener Inszenierung stimmte im großen und ganzen mit einer Inszenierung in dänischer Sprache überein, die bereits am 19. Dezember 1937 anläßlich einer Weihnachtsfeier für deutsche Flüchtlinge mit der Amateurschauspielerin Dagmar Andreasen in der Hauptrolle ihre Premiere gehabt hatte und die, ebenfalls in der Regie 1

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Harald Engberg: Brecht pd Fyn. Odense 1966, Bd.2, S. 81; dort auch die folgenden Zitate. Deutsche Ausgabe: Harald Engberg: Brecht auf Fürten. Exil in Dänemark 1933 - 1939. Wuppertal 1974. Diese Episode S. 193 ff. Hans Christof Wächter: Theater im Exil. Sozialgeschichte des deutschen Exiltheaters 1933 - 1954. München 1973, S. 88. Bertolt Brecht: Die Gewehre der Frau Carrar. Drei Hefte in einer Mappe. Dresden 1952.

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Helmut Müssener Ruth Berlaus, nach der Vorlage der Pariser Uraufführung in der Regie von Slatan Dudow und Bertolt Brecht eingerichtet war. Es spielte eine dänische Gruppe von Amateuren, die sich aus den Restbeständen des sozialdemokratisch beeinflußten Arbejdernes Teater und des kommunistischen Revolutionär Teater der frühen dreißiger Jahre zusammensetzte. Dieses hatte bereits im Herbst 1933 die „Wiegenlieder" von Brecht/Eisler (mit Helene Weigel als Vortragender) und die „Moritat vom Reichstagsbrand" in seinem Programm gehabt. Im Herbst 1935 hatte die oben erwähnte, ad hoc zusammengesetzte Gruppe in der Regie Ruth Berlaus und ebenfalls mit Dagmar Andreasen in der Hauptrolle Die Mutter aufgeführt. Sie war mit dem Brechtschen Theater bekannt, wenn auch kaum vertraut. Das genaue Datum der Aufführung muß ebenso offen bleiben wie die Frage, ob das gesamte Stück oder nur einzelne Szenen gespielt wurden. Allerdings fand die dänische Carrar-Inszenierung in der Öffentlichkeit kaum Beachtung. Zwar wird in der Forschung die Ansicht vertreten, daß die hier gemachten Erfahrungen für Brechts „grundsätzliche Anschauungen über Bedeutung und Möglichkeiten eines neuen Typs des proletarischen Theaters wichtig werden" sollten4, doch gibt es dafür kaum stichhaltige Belege. Im übrigen hat es ganz den Anschein, als habe Brecht sich erst dann ernsthaft für das Amateurtheater und seine Möglichkeiten interessiert, als seine Bemühungen, auf dem dänischen Berufstheater Fuß zu fassen, endgültig gescheitert waren. „... auf jeden Fall nicht kommunistisch" Dieses Scheitern ist auf die Jahreswende 1936/37 zu datieren, als es anläßlich zweier professioneller Inszenierungen von Werken Brechts in der dänischen Öffentlichkeit zu lebhaften Auseinandersetzungen kam, an denen sich hinter den Kulissen auch Vertreter der Behörden beteiligten. Sie wurden ausgelöst durch die Aufführungen des Balletts Die sieben Todsünden und des Dramas Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. Letzteres hatte am 4. November 1936 in dem kleinen Theater Riddarsalen in der Regie des von der bürgerlichen Presse als Salonkommunisten verschrieenen Per Knutzon Premiere. Er gehörte zusammen mit seiner Frau Lulu Ziegler, einem auch beim bürgerlichen Publikum beliebten Star des Ensembles, sowie der Schauspielerin und Regisseurin Ruth Berlau bereits seit Ende der zwanziger Jahre zur künstlerischen Avantgarde und zum eindeutig revolutionären Potential des Landes. Nach mehreren Ausbruchsversuchen in Form einiger kurzlebiger Theaterunternehmungen versuchte er im Herbst 1935 mit dem oben genannten Riddarsalen erneut, sich als Privatunternehmer zu etablieren. Die Masken zu Die Rundköpfe und die Spitzköpfe fertigte der Silberschmied Horst Horster an. Er stammte aus der Gruppe „Kommunistische Politik" Karl Korschs und hatte zusammen mit seiner Gattin in Dänemark Asyl erhalten, wo er sich auch durch seine Puppenspiele einen Namen machte. Anfangs war er mit Aufführungen, die gegen das nationalsozialistische Deutschland gerichtet waren, hervorgetreten, dann war er, aus wohlbegründeter Angst um seinen Status als Asylant, auf unverfängliche Themen ausgewichen. 4

Wächter, a.a.O., S. 89; nach Wächter hatte die Aufführung öffentlichen Beifall gefunden, wofür er allerdings nur eine Rezension des kommunistischen Arbejderbladet anfuhrt.

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Bereits während der Proben kam es zu ständigen Auseinandersetzungen mit dem Zensor, der jede direkte oder auch nur indirekte Anspielung auf real existierende Verhältnisse im südlichen Nachbarland gestrichen sehen wollte. Nach der Premiere, die lediglich vom linken Establishment Kopenhagens bejubelt wurde, gab es lebhafte Proteste, namentlich von nationalsozialistischer, aber auch von christlicher und bürgerlicher Seite, in denen vor allem der Autor als Kommunist und als Jude bezeichnet wurde. Auch insgesamt war die Kritik der Aufführung vernichtend, was dazu führte, daß das Stück trotz aller Werbe-Bemühungen der Theaterleitung ein Mißerfolg wurde und bereits Ende November nach nur elf Aufführungen abgesetzt werden mußte. Die bürgerliche Presse verstand das Stück und die Intentionen seines Autors nicht im geringsten, und sogar die Rezensenten der Zeitungen der Arbeiterbewegung warfen ihm einseitige Beweisführung, politische Agitation und grobe Vereinfachung vor. Die gesamte Kritik ließ erkennen, wie wenig Verständnis man dem „epischen Theater" Brechts entgegenbrachte, zumal seine Thesen selbst den Schauspielern nicht immer eingeleuchtet hatten; schon auf den Proben war es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen „Realisten" und „Epikern" gekommen. Zu einem weiteren Skandal kam es nach der fast gleichzeitig stattfindenden Aufführung des Brechtschen Balletts Die sieben Todsünden mit der Musik von Kurt Weill, das zusammen mit dem Operneinakter Den lille pige med svovlstikkerne nach H. C. Andersen, in der Vertonung von August Ennas, am 12. November 1936 im Königlichen Theater Premiere hatte, aber bereits nach einer Wiederholung abgesetzt wurde. Dabei spricht viel für die Vermutung, daß deutsche Proteste in Berlin wie in Kopenhagen die Entscheidung wenn nicht veranlaßt, so doch zumindest beeinflußt hatten, zumal die Aufführung in der Presse weitgehend positiv bewertet worden war, nicht aber das Werk und sein Librettist. „Jeder Beifall verschwand schnell in der Pressekanonade gegen Brecht und sein gesamtes Wesen", die Knutzons Inszenierung von Die Rundköpfe und die Spitzköpfe entfesselt hatte.5 In dieser Kampagne, in der die „Vorkämpfer des Freisinns bis zur Selbstaufgabe verstummt waren"6, nahm lediglich der kommunistische Journalist Hans Kirk in der marxistischen Zeitschrift Tiden für Brecht Stellung, der aber andererseits über Die Rundköpfe und die Spitzköpfe äußerte, sie seien „nicht richtig zusammenhängend und auf jeden Fall nicht kommunistisch". „... auf die politische Subkultur angewiesen" Der Sturm gegen Autor und Werk hatte sich gelegt, als am 17. September 1937 die bereits als Klassiker anzusprechende Dreigroschenoper in Riddarsalen in der Regie Per Knutzons aufgeführt und von der Kritik wohlwollend als großer Erfolg beurteilt wurde; sie konnte sich drei Monate lang auf dem Spielplan halten. Allerdings kam es in diesem Zusammenhang zum endgültigen Zerwürfnis zwischen Regisseur und Autor, denn das Theater hatte gegen die Proteste Brechts, der sogar den Vorsitzenden der dänischen KP um aktive Hilfe bat, die Tantiemen an den reichsdeutschen Bühnenverlag gezahlt, der die Rechte an dem Stück hielt. Auch ein Tourneetheater spielte das Werk im Januar/Fe5 6

Engberg, a.a.O., Bd. 2, S. 66. Ebd., S. 27 ff.

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Helmut Müssener bruar 1938, wobei bei einer Aufführung in Odense am 5. Februar 1938 sogar Hans Albers unter den Zuschauern saß. Mit der Oper Der Jasager am 8. April und 20. Dezember 1933 sowie einigen Vorstellungen von Mahagonny im Januar 1934, die von der OPERASELSKABET AF 1932 durchgeführt wurden, wurden zwei weitere Werke Brechts in Dänemark aufgeführt. Aufführungen anderer deutscher Exildramatiker in Dänemark sind ebensowenig nachweisbar wie Inszenierungen im Rahmen von Emigranthjemmet oder der bereits erwähnten Amateurtruppen. Zum einen war, auch innerhalb der dänischen Bevölkerung, ein präsumptives Publikum, das mehr als eine Vorstellung hätte tragen können, kaum vorhanden. Zum anderen hatte bis auf Helene Weigel kein Schauspieler und keine Schauspielerin, um die herum man hätte eine Truppe aufbauen können, hier Zuflucht gesucht. Zwar stieg ab März 1938 die Zahl der Emigranten in Dänemark von etwa 750 auf mehr als das Doppelte an, aber die dänischen Behörden fühlten sich nach der Okkupation Österreichs und nach dem Münchner Abkommen vom mächtigen Nachbarn im Süden nicht ohne Grund ernsthaft bedroht und reagierten äußerst nervös auf alle Aktivitäten unter den Flüchtlingen, so daß die Angst vor Asylverweigerung und vor Ausweisung nahezu alle Flüchtlinge zu Wohlverhalten und Stillschweigen veranlaßte. Behauptungen, die in der Forschung anzutreffen sind, daß Brecht letztlich „einen verhältnismäßig - offenen Zugang zum skandinavischen Theater in seinen verschiedenen Ausprägungen [gefunden habe]"7, sind unzutreffend. In der Fülle der skandinavischen Theaterereignisse und im Repertoire der zahlreichen Laienspielgruppen gingen die gelegentlichen Inszenierungen seiner Stücke unter. Gerade die Pressestimmen anläßlich der Aufführungen in Dänemark und Schweden beweisen keineswegs, „wie intensiv man sich schon zu dieser Zeit mit dem Dramatiker und seinem Werk auseinandersetzte". Zwar sammelte sich in der Tat „auch im skandinavischen Exil [...] um Brecht wieder ein Kreis von Diskussionspartnern und Freunden, die er in der für ihn typischen Weise zur Mitarbeit heranzog", aber bei ihnen handelte es sich meistens um einige wenige Schriftsteller und Publizisten. Nur wenige Theaterpraktiker wie Ruth Berlau und Per Knutzon in Dänemark oder Naima Wifstrand in Schweden ließen sich von seinen Ideen beeindrucken, so daß von einer tiefgreifenden Rezeption seines Werkes in Skandinavien und von einer Auseinandersetzung mit seinen theaterpraktischen Ideen nicht die Rede sein kann. Im Gegenteil kann man für Dänemark, aber auch für Schweden nur mit Hans Nörregaard konstatieren, daß Brechts Dramen „auf die politische Subkultur angewiesen waren" und „die Veranstaltungen oft unter der nicht weiter unterteilten Rubrik .Unterhaltung' in den Gewerkschaftsspalten" angezeigt wurden. Seinem Urteil, „Brechts dänische Theaterkarriere wurde - trotz mehrerer [viel]versprechender Gelegenheiten - zu einem Fiasko", ist voll und ganz zuzustimmen.8 Exiltheater in Norwegen Exiltheater und Aufführungen der Werke deutscher Exildramatiker sind in Norwegen eine Quantite negligeable. 7 8

Wächter, a.a.O., S. 86. Hans Chr. Nörregaard: Bertold Brecht og Danmark. In: Steffen Steffensen: Pdflygtfra Nazismen. Tysksprogede emigranter i Danmark efter 1933. K0benhavn 1986, S. 363, 368.

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Deutschsprachiges Theater im skandinavischen Exil Bei der geringen Zahl der Flüchtlinge - bis Anfang 1938 dürfte es sich um etwa 160 Personen gehandelt haben - und vor allem auch aufgrund ihrer politischen Heterogenität gab es keine Basis für eine Entwicklung kulturellen Lebens unter den Emigranten. Für Theateraufführungen fehlte es an Regisseuren, Schauspielern und - auch am Publikum. Auch als sich die Zahl der Flüchtlinge ab Mitte 1938 verdoppelte, verdreifachte und bis Kriegsbeginn gar verfünffachte, änderte das die Situation nicht. Man hat es vermutlich wie in Dänemark vorgezogen, die Öffentlichkeit nicht unnötig auf sich aufmerksam zu machen. Immerhin brachte das Norwegische Nationaltheater in Oslo trotz lebhafter deutscher Proteste, die schon vor der Premiere eingesetzt hatten, im November 1935 Friedrich Wolfs Professor Mamlock heraus. Die Inszenierung erreichte en suite über 60 Aufführungen. Darüber hinaus ist nur die Aufführung einer satirischen Komödie Oy tili salgs („Insel zu verkaufen") durch die Laienspielschar des Osloer Arbeitertheaters für März 1940 nachweisbar. Ihr Verfasser war der linkssozialdemokratische Publizist Otto Friedländer, der zu diesem Zeitpunkt in Norwegen lebte. Das Stück, das kurz zuvor in der Reihe „Tidens teater" erschienen war, geißelte laut der sozialdemokratischen Zeitung Arbejderbladet vom 18. März 1940 eine Reihe von Zeitphänomenen „wie Nazismus und Rüstungswahnsinn". Eine der wenigen Ausnahmen war auch ein „Österreichischer Abend", für den die Flüchtlingshilfeorganisation Nansenhjälp auf den 12. Mai 1939 ins „Haus des Ingenieurs" eingeladen hatte. Primus motor war der Österreicher Robert Peiper. Das Programm des Abends war in seiner Art typisch für zahlreiche ähnliche Veranstaltungen, mit denen deutschsprachige Flüchtlinge in aller Welt für ihre Sache im Aufnahmeland warben und sich ihrer Identität vergewissern wollten. Es begann mit einem Vortrag, den Odd Nansen, Sohn des Friedensnobelpreisträgers Fridtjof Nansen und Leiter der Nansenhjälp, über das Schicksal der Flüchtlinge und ihren Kampf, über die Schuld des Gastlandes ihnen gegenüber und über die Notwendigkeit praktischer Nächstenliebe hielt. Darauf folgte das eigentliche „Kulturprogramm", eine charakteristische Mischung aus anspruchsvollen, populären und politischen Darbietungen. Es wurde mit drei von Hanns Eisler vertonten Liedern eingeleitet, darunter das „Lied der Moorsoldaten" und das „Solidaritätslied". Daran schlossen sich Wiener Lieder und ein musikalischer Streifzug „Von Beethoven bis [Johann] Strauß" an. Darin eingefügt waren ein Sprechchor mit dem Zug des Leidens und eine Szene aus Anton Wildgans' Drama Armut. Es folgte die Satire Der brave Soldat Schweijk überschreitet die Grenze von Robert Peiper, während der gesamte Abend mit einem Walzer-Preistanz ausklang.

Exiltheater in Schweden Die äußeren Bedingungen für Exiltheater und Exildramatik unterschieden sich in Schweden bis Anfang 1939 keineswegs von denen in den beiden anderen skandinavischen Staaten, obwohl das Land bevölkerungsmäßig das weitaus größte unter ihnen war und Stockholm mit seinen elf professionellen Theatern den Rang einer Metropole beanspruchen konnte. Nach der Okkupation Österreichs und der Tschechoslowakei wuchs die Zahl der Flüchtlinge in Schweden von 1.150 auf mehr als das Doppelte und sollte sich nach der Besetzung Dänemarks und Norwegens bis auf fast 6.000 steigern. Im Bal327

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lungszentrum der Hauptstadt war somit zahlenmäßig eine wenn auch äußerst schwache Grundlage für ein Theater gegeben, zumal in Gestalt der bereits erwähnten Emigrantenselbsthilfe, die erst im November 1938 mit Hilfe der Jüdischen Gemeinde in Stockholm gegründet worden war, sogar eine Besucherorganisation zur Verfügung stand. Die Emigrantenselbsthilfe existierte bis 1974, und ihr gehörten in ihrer Blütezeit um 1939/ 40 etwa 700 Personen an. Ihren Statuten nach war sie unpolitisch und nahm sich in erster Linie der aus rassenideologischen Gründen Verfolgten an, zählte aber auch politische Flüchtlinge zu ihren Mitgliedern. Diese nahmen gerade in der Kulturarbeit führende Positionen ein. Neben der sozialen Arbeit war diese das zentrale Ziel der Organisation, wie im Gründungsaufruf ausdrücklich festgestellt wird. Das kulturelle Leben spielte sich vor allem in den Winterhalbjahren in Form von Klubabenden mit Vorträgen, Konzerten und kleineren Aufführungen ab. Eine Namensliste nennt in einem Zehnjahresbericht von 1948 mehr als 100 Mitwirkende; ein Chor und eine Laienspielschar standen unter der Leitung des österreichischen Kapellmeisters Hans Holewa bzw. Hermann Greids. Die erste Saison begann am 11. Januar 1939 mit einem Heinrich-Heine-Abend, wobei der Name des Schriftstellers ebenso wie der Titel „Ich bin ein deutscher Dichter" zum damaligen Zeitpunkt gleichzeitig Bekenntnis waren und Programm. Gestaltet wurde der Abend von Hermann Greid und Hans Holewa, die neben Curt Trepte zu den führenden Persönlichkeiten des deutschsprachigen kulturellen Exils in Schweden gehörten. Greid war auch verantwortlich für einen Lessing-Abend (8. Februar 1939), der den Höhepunkt der Spielzeit bildete. Obwohl die Veranstaltung in einem repräsentativen Lokal stattfand, im Kleinen Saal des Stockholmer Konzerthauses, stieß sie in der Presse auf keine Beachtung. An den Vortrag „Lessing und die Juden" des ehemaligen Redakteurs der Frankfurter Zeitung, Eric Landsberg, Schloß sich eine Inszenierung der Ringparabel aus Lessings Nathan der Weise mit Greid als Nathan und Trepte als Saladin an. Einer Bach-Toccata, die von der Pianistin Hertha Fischer gespielt wurde, folgten der Schlußchor aus dem Jeremias von Stefan Zweig mit Greid und den Mitgliedern der jüdischen Jugendgruppe „Zeire Misrachl" sowie, nach einer Mozart-Sonate, in schwedischer Übersetzung die Aufführung des Lessingschen Jugenddramas Die Juden in der Regie Greids. Das Programmheft ist aufschlußreich; es enthält außer einigen Anzeigen lokaler jüdischer Geschäfte und Stockholmer Verlage, darunter des Bermann-Fischer Verlages, der Besetzungsliste und kurzen Inhaltsangaben auch Absichtserklärungen, die für die Wahl der Stücke ebenso bezeichnend sind wie für das Selbstverständnis der Mitwirkenden und des von ihnen angesprochenen Publikums. So wird im Zusammenhang mit dem Zweigschen Jeremias die prophetische Verkündigung hervorgehoben, daß alle Verfolgung des Judentums „unseren Geist, unsere Existenz, unsere Kraft nach den höchsten Idealen zu streben, nicht vernichten kann". Das Hohelied der Toleranz, die Lessingsche Ringparabel, dient als Beleg dafür, daß „Christ, Muslim und Jude" friedlich zusammenleben können, wenn sie sich nur „eines edlen Lebens und der Bereitschaft, den anderen zu helfen", befleißigen. Die Saison endete nach zahlreichen Vortragsabenden mit einer erneuten Doppelveranstaltung, einem Konzertabend am 17. und 18. April 1939, auf dem Werke von Bach, Beethoven, Dohnanyi, Mahler, Mozart u.a. zum Vortrag kamen. 328

Deutschsprachiges Theater im skandinavischen Exil Am Programm der Saison wird deutlich, wie sehr sich die jüdischen Mitglieder der Emigrantenselbsthilfe zu diesem Zeitpunkt noch der deutschen Kultur verpflichtet fühlten, dem Erbe Lessings und Mozarts, Humanismus und Toleranz. Nach Kriegsbeginn ruhte die nach außen gerichtete Arbeit der Organisation zunächst, zumal alle politische Betätigung streng untersagt war. Ausnahme war lediglich die deutsche Erstaufführung von Mozart und Salieri von Alexander Puschkin am 14. Februar 1942 in der Regie Treptes, die von einem kleinen Mozart-Konzert eingeleitet wurde. Trepte trat in der Rolle Mozarts auf, während Peter Winner den Salieri spielte. Am 10. März desselben Jahres wurde auch die von Peiper verfaßte Purim-Revue Alles schon dagewesen in der Regie Greids und unter Mitwirkung von Autor und Regisseur gegeben. Ab 1943, d.h. nach der Gründung des Freien Deutschen Kulturbundes und der FREIEN BÜHNE, trat die Emigrantenselbsthilfe nicht mehr durch öffentliche kulturelle Veranstaltungen in Erscheinung. Die interne kulturelle Tätigkeit wurde jedoch fortgesetzt. Nach Kriegsende lebte die Emigrantenselbsthilfe dann lediglich als gesellige Vereinigung weiter. „... aus der latenten Depression herausgerissen" - Der Freie Deutsche Kulturbund (FDKB) Rezitationen, Sprechchöre und Klavierspiel waren auch Bestandteil der politischen Versammlungen der Flüchtlinge. Die erste bekannte kulturpolitische Veranstaltung dieser Art in Schweden ist die Feier des 1. Mai 1939, die in der Volkshochschule „Birkagarden" in Stockholm stattfand. Ihr Programm bestand aus Musik von Beethoven und Mozart, Rezitationen von Goethes Prometheus, Langhoffs Moorsoldaten und dem „Solidaritätslied" Brechts/Eislers sowie Sprechchören. Sie ist ein Beispiel für späte Volksfrontbemühungen. Die Veranstaltung fand sogar im fernen Paris ein Echo, in der Deutschen Volks-Zeitung vom 21. Mai 1939: „Da saß der Sozialdemokrat neben seinem Kameraden von der KPD, der SAP-Genosse neben dem Wirtschaftsemigranten [sie!], der Künstler und Wissenschaftler neben dem Mitglied der Arbeiterbewegung." Ebenso anerkennend äußert sich der langjährige Leiter der KPD-Landesgruppe Willy Wagner in einem Brief an den Verantwortlichen der Veranstaltung, Greid. Auch er hebt bezeichnenderweise hervor, daß „auf der Maifeier Kunst und Politik eine glückliche Vermählung eingegangen waren", und schließt mit den Worten: „Ich weiß, daß dieser Abend manchen Emigranten aus der latenten Depression herausgerissen hat".9 Beides, Hoffnung auf eine „glückliche Vereinigung von Kunst und Politik" und Hoffnung auf Hilfe bei der Bewältigung der persönlichen Probleme, veranlaßte viele Flüchtlinge später auch dazu, sich dem Freien Deutschen Kulturbund anzuschließen, der sich, nach erheblichen internen Auseinandersetzungen innerhalb der politischen Emigration, im Januar 1944 konstituierte. In seinem Gründungsaufruf wurde hervorgehoben, daß der Bund die in Schweden lebenden Deutschen ohne Unterschied der Herkunft, der Religion und der parteipolitischen Richtung zur Pflege der künstlerischen und wissenschaftlichen Tradition des deutschen Humanismus, zur Erneuerung seines Geistes sowie zur Vertei9

Nachlaß Hermann Greid, Slg. Exil, Stadtbibliothek Västeras.

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Helmut Müssener digung seines moralischen und politischen Gehaltes gegen die nationalsozialistische Barbarei vereinen wolle. Allen freiheitlichen und demokratisch gesinnten Deutschen solle der Kulturbund die Möglichkeit vermitteln, „sich zur wahren deutschen Kultur zu bekennen und an ihrem Wiederaufbau [...] teilzunehmen". Der Aufruf Schloß mit dem feierlichen Appell, der für das Selbstverständnis seines bzw. seiner anonymen Verfasser bezeichnend ist: „Der Freie Deutsche Kulturbund kämpft für das offene Wort, für Selbstverantwortung und Nächstenachtung, für das verpflichtende Erbe unserer Dichter und Denker und für die deutsche Mitarbeit am Werke der völkerverbindenden Kultur." Der Freie Deutsche Kulturbund wurde in den beiden darauffolgenden Jahren die zentrale Organisation der reichsdeutschen Emigration in Schweden. Ihm gehörten Vertreter fast aller politischen Richtungen und .unpolitische' Flüchtlinge an. Dennoch gelang es ihm trotz wiederholter Versuche nicht, auch Auslandsdeutsche für seine Tätigkeit zu gewinnen. Programmgemäß stellte er in seiner Arbeit die kulturelle Tradition des „anderen Deutschlands" in den Mittelpunkt und wandte sich bis zu seiner Selbstauflösung Mitte 1946 an alle politischen Gruppen, obgleich nach Kriegsende eine Orientierung zur KPD hin immer deutlicher wurde. Charakteristisch für seine Arbeit dürfte die „Erste freie deutsche Kulturveranstaltung" gewesen sein, mit der der Bund am 28. Januar 1944 in Stockholm an die Öffentlichkeit trat. Auf die Eröffnungsansprachen und ein Musikstück folgte ein Vortrag von Walter A. Berendsohn über das Thema „Der Humanist Thomas Mann". Daran Schloß sich eine Lesung der Mannschen Radio-Ansprache an „Deutsche Hörer" an. Nach weiteren Musikeinlagen führten Mitglieder der FREIEN BÜHNE die Rütli-Szene aus Schillers Wilhelm Teil auf. Regie führte Hermann Greid, der auch den Stauffacher darstellte. Curt Trepte spielte den Revolutionär' Melchthal, und in den übrigen Rollen traten die anderen namhaften Schauspieler der Truppe auf: die Österreicher Harald Bernhardt-Brixel, Robert Peiper und Walter Reding, der tschechoslowakische Staatsbürger Peter Winner und der deutsche Hans Verder. „Humanistische Tradition und fortschrittliche Bedeutung" - die FREE BÜHNE In engem Zusammenhang mit der Tätigkeit des Freien Deutschen Kulturbundes ist auch das einzige deutschsprachige Berufsschauspieler-Ensemble in Skandinavien, die FREIE BÜHNE, zu sehen.

Die Initiatoren Greid, Trepte und Winner hatten sich erstmalig zu gemeinsamer Arbeit bei der Studioaufführung der dramatisierten Fassung einer der Zweigschen Sternstunden der Menschheit, Tolstois Flucht zu Gott, zusammengefunden. Diese Inszenierung (4. März 1943), bei der Curt Trepte Regie führte und Hermann Greid in der Rolle des Tolstoi auftrat, wurde in der schwedischen Presse sehr positiv besprochen, allerdings ohne daß der Flüchtlingsstatus von Regisseur und Schauspielern betont wurde. Auf diese Zeit ist auch eine Übersicht zu datieren, in der Curt Trepte den seiner Meinung nach zu erwartenden Zuschauerkreis für ein eventuell zu gründendes Theater skizziert und eine Kalkulation hinsichtlich der Einnahmen wie der Kosten anstellt.10 Die sehr detaillierte Aufstellung geht von insgesamt 1.535 Besuchern aus, rechnet jedoch 10

Sammlung Curt Trepte, Akademie der Künste, Berlin.

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nur mit 400 Besuchern aus dem Kreis der Emigrantenselbsthilfe und der Hilfskomitees, dagegen mit mehr als 1.000 Besuchern aus dem Aufnahmeland, angefangen mit der Jüdischen Gemeinde (100), Schulen und anderen Bildungsorganisationen (575), einem „Freundeskreis" von 200 Personen sowie einem „allgemeinen Publikum" von ebenfalls 200 Personen. Aus der sowjetischen Kolonie erwartete Trepte 50, aus der Schweizer 10 Zuschauer. Die Bilanz der Einnahmen bei ausverkauftem Haus - was sich später allerdings als fragwürdige Annahme erwies - Schloß mit einem Gewinn von 300 Kronen für etwa 9 Beteiligte ab: kaum ausreichend, die Lebenshaltungskosten für mehr als eine Woche zu bestreiten. Eine spätere (undatierte) Kalkulation11 fällt sehr viel realistischer aus. Sie geht von insgesamt 930 Zuschauern aus, von denen 780 aus der deutschsprachigen Emigration stammen. Die größte Gruppe bilden 450 „reichsdeutsche" und 150 „österreichische .Wirtschaftsemigranten'", gefolgt von 120 bzw. 60 „politischen Flüchtlingen" und 100 schwedischen „Gönnern und Freunden". - Auch diese Schätzung sollte sich jedoch als zu hoch erweisen. Organisatorisch betonte die FREIE BÜHNE bewußt die Verbindung zum Freien Deutschen Kulturbund, in dessen Vorstand sie als offiziellen Vertreter Curt Trepte entsandte. Kulturpolitisches Bekenntnis zum klassischen Erbe Die nächste Aufführung fand am 7. Oktober 1943 statt. Bei dieser Gelegenheit - gespielt wurde Kleists Der zerbrochne Krug - trat die FREIE BÜHNE erstmals unter diesem Namen an die Öffentlichkeit. Der Plan dazu war im März des Jahres von Curt Trepte skizziert worden, als weitere Schauspieler, unter ihnen Verner Arpe, zu den drei Initiatoren stießen. Die FREIE BÜHNE war zunächst gedacht als ein deutsch-schwedisches Gemeinschaftsunternehmen und stellte sich daher im Programmblatt als Theaterensemble „deutscher und schwedischer Schauspieler" vor, das sich vorgenommen habe, „im Rahmen der Bildungsarbeit" einer namentlich genannten Volkshochschule, deren Theatersaal man benutzte, „Theatervorstellungen in deutscher Sprache" durchzuführen. Als Aufgabe wurde genannt: „Wertvolle Werke der deutschen Bühnenliteratur in ihrer humanistischen Tradition und fortschrittlichen Bedeutung interessierten Kreisen (incl. Schulen) in lebendiger Form zu vermitteln". Begriffe wie „humanistische Tradition" und „fortschrittliche Bedeutung" kennzeichnen das Selbstverständnis des „anderen Deutschlands" und der dieses Deutschland repräsentierenden FREIEN BÜHNE.

Die Hoffnung jedoch, die man auf eine Zusammenarbeit mit Volkshochschulen und anderen Bildungseinrichtungen gesetzt hatte, sollte nicht in Erfüllung gehen. Auch ein Freundeskreis prominenter Schweden fand nicht die erwartete Resonanz in der schwedischen Öffentlichkeit. So litt die Bühne zeit ihres Bestehens unter großen Schwierigkeiten. Ihre gesamte Tätigkeit gründete auf ideeller Basis. Die Mitglieder mußten froh sein, wenn die Aufführungen kein allzu großes Defizit ergaben, zumal an Gastspiele in der Provinz kaum zu denken war. Hinzu kam, daß weibliche Rollen nur mit Mühe zu beset11

Sammlung Cuit Trepte, Sammlung Exil, Stadtbibliothek Västeräs; der Bestand ist teilweise mit dem in der Akademie der Künste identisch.

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Helmut Müssener zen waren. Persönliche Querelen unter den Schauspielern, wie sie in Briefen immer wieder aufscheinen, erschwerten die Zusammenarbeit zusätzlich. Die Aufführung von Der zerbrochne Krug brachte nach erheblichen Anstrengungen in vierwöchiger Probezeit zwar künstlerisch einen Erfolg, finanziell jedoch einen Mißerfolg. Für die Wahl des Stückes hatten nach Meinung der maßgeblichen Schauspieler mehrere Gründe gesprochen. Zum einen hatten Greid und Trepte bereits bei der ersten .marxistischen' Interpretation des Textes durch Maxim Vallentin 1935 in Dnepropetrowsk mitgewirkt, wo Greid den Dorfrichter Adam und Trepte den Veit Tümpel gespielt hatten; zum andern konnte man das Stück gut besetzen, zum dritten war es für Schweden eine Erstaufführung. Vor allem aber wollte man ein „kulturpolitisches Bekenntnis zum klassischen deutschen Erbe" gerade mit einem Verfasser ablegen, „den die deutschen Faschisten ganz zu Unrecht für sich beanspruchen".12 Die Absicht, Kleist als Vertreter des „humanistischen Erbes" zu reklamieren, mißglückte jedoch. Wie Trepte feststellen mußte, blieb „bedauerlicherweise ein Teil der deutschsprachigen Emigranten der Aufführung fern, weil sie in Kleist in erster Linie den preußischen Junker sahen und auch dem Werk offenbar nicht seinen klassischen Wert beimessen wollten". „Für jeden etwas" Die nächste Aufführung der FREIEN BÜHNE fand nahezu zwei Monate später, am 2. Dezember 1943, in Stockholm statt. Diesmal wandte man sich in erster Linie an die österreichischen Emigranten, denen zuliebe die Einakter Literatur, Die Frage an das Schicksal und Die letzten Masken von Arthur Schnitzler in der Regie von Winner gespielt wurden. Die Aufführung wurde am folgenden Tag wiederholt, und am 30. März des nächsten Jahres gastierte die Bühne mit diesen Stücken auch in der Provinzstadt Norrköping, wo eine starke österreichische Flüchtlingskolonie lebte. Aber auch diesmal war die Programmwahl stark umstritten. Die vornehmlich .politischen' Flüchtlinge aus dem „Reich", aber auch schwedische Zeitungen stellten die Wahl eines .unpolitischen' Autors ebenso in Frage wie seine Eignung für den Kampf um eine sozialistische Zukunft. So wurde als nächstes Programm am 22. Februar (mit Wiederholung an den beiden nächsten Tagen) unter dem Titel „Was mancher nicht kennt" ein vielschichtiger Kleinkunstabend geboten. Gespielt wurden zwei Szenen aus Pastor Hall von Toller, ein kleines Stück, Masken, von Peiper, ein Abschnitt aus Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus, eine dramatisierte Szene aus Der brave Soldat Schwejk von Hasek und die Posse Häuptling Abendwind von Nestroy. Songs, Lieder und Gedichte von Brecht, Oskar Maria Graf, Mahler und Stefan Zweig unterbrachen bzw. verbanden die einzelnen Teile. Unter den Mitwirkenden waren bis auf Greid alle namhaften Mitglieder der FREIEN BÜHNE; Rosalinde von Ossietzky sprach Oskar Maria Grafs „Zuruf*. Eine weitere Veranstaltung am 29. April 1944 war den „Opfern der Gewalt" gewidmet. Es wurden dramatisierte Abschnitte aus den Moorsoldaten Langhoffs vorgestellt, aus Koestlers Arrival and Departure (die Szene „Sammeltransport") und Anna Seghers' Das siebte Kreuz. Gespielt wurde ferner die Satire „Justitia" aus Brechts Furcht und 12

Ludwig Hoffmann/Curt Trepte: Exil in Skandinavien. In: Ludwig Hoffmann u.a.: Exil in der Tschechoslowakei, in Großbritannien, Skandinavien und Palästina. Leipzig 1987 (= Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933 - 1945, Bd. 5), S. 407 ff.

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Deutschsprachiges Theater im skandinavischen Exil Elend des Dritten Reichs. Der Abend fand in der Presse ein großes Echo. Er wurde bestritten von Bernhardt, Trepte, Peiper und Greid, der auch die Regie übernommen hatte. „Zwischen den Stühlen" Die letzte große Inszenierung der FREIEN BÜHNE fand am 5. Oktober 1944 (mit einer Wiederholung am 6. Oktober), fast auf den Tag ein Jahr nach ihrer Gründung, statt: die Uraufführung des Widerstandsdramas Die andere Seite von Hans Dirk (i.e. Hermann Greid), der auch die Regie übernommen hatte und die Hauptrolle spielte. Das Stück war in Kenntnis des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944 geschrieben worden - ein seltenes Beispiel, daß aktuelle Exildramatik auch den unmittelbaren Weg zu einer Bühne fand. Greid wollte ein Bild der Stärke, aber auch der Probleme der Widerstandsbewegung in Deutschland vermitteln. Der Dramatik und Komplexität der tatsächlichen Geschehnisse konnte er jedoch kaum gerecht werden. Das Urteil der schwedischen Presse war geteilt. In künstlerischer Hinsicht war das Stück trotz aller Kritik an Einzelheiten keineswegs ein Mißerfolg, aber eben auch kein Durchbruch. Schwerwiegend war jedoch, daß das deutschsprachige Publikum erneut ausblieb und die erhofften Gastspiele in der schwedischen Provinz nicht stattfanden. Eine letzte große Kraftanstrengung war vergeblich gewesen, die Finanzen waren zerrüttet, und das Ensemble konnte in der Folgezeit keine weiteren Aufführungen in eigener Verantwortung durchführen. Die wichtigsten Gründe für die Misere nennt Peiper in einem Brief an Greid. Er konstatiert, daß „leider viele, sehr viele nicht zu einer Veranstaltung [kommen], wenn sie die FREIE BÜHNE macht. Juden, die erklären, daß es keine deutsche Kultur gibt". Der Satz verdeutlicht die tragische Entwicklung, die seit Anfang 1939 eingetreten war und die viele jüdische Emigranten nicht nur einen Dichter wie Kleist, sondern deutsche Kultur überhaupt ablehnen ließ. Aber nicht nur unter der jüdischen Emigration, sondern auch im Freien Deutschen Kulturbund spaltete die Thematik das Publikum. Der Inhalt des Stückes war frühzeitig bekannt geworden. Da der Vorsitzende des FDKB, Max Hodann, „gegen das Stück war" - so Peiper - , „fehlten ja auch viele des FDKB".13 Angesichts derartiger Spannungen innerhalb des Publikums war keine tragfähige Basis mehr für das Theater vorhanden. So war die FREIE BÜHNE nach einem Spieljahr, fünf Inszenierungen und zehn Aufführungen am Ende angelangt. Ihr Ensemble trat in den kommenden Monaten bis Herbst 1945 lediglich im Rahmen der kulturellen Veranstaltungen des FDKB auf. Dabei wurden einzelne Szenen, Songs und Rezitationen dargeboten. Zweimal spielte die FREIE BÜHNE noch vor deutschen Militärflüchtlingen bzw. einmal sogar vor deutschsprachigen Häftlingen, die im Rahmen der Rote-Kreuz-Aktion des Grafen Bernadotte aus deutschen Konzentrationslagern befreit worden waren. In diesen Gruppen, die lange Jahre hindurch den Kontakt mit jeglicher Kultur hatten entbehren müssen, fand das Ensemble sein wohl dankbarstes Publikum, wie aus einem Brief eines ehemaligen deutschen Soldaten hervorgeht: „Es war wunderbar. Wir waren alle erschüttert und haben den Stockholmern riesigen Beifall gespendet." 13

Sammlung Trepte, Akademie der Künste, Berlin.

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Helmut Müssener Curt Treptes Tätigkeit für den schwedischen Rundfunk Für diesen Kreis ehemaliger Konzentrationslagerhäftlinge, die in schwedischen Krankenhäusern und Erholungsheimen geistig und körperlich in ein normales Leben zurückgeführt werden sollten, veranstaltete der Schwedische Rundfunk seit Anfang April 1945 deutschsprachige Nachrichtensendungen. Man bat Curt Trepte um Hilfe bei dem Versuch, durch „Deklamationen, kurze Sketche, Gesang, Chor und dergleichen" „das Programm etwas abwechselnder zu gestalten".14 So fanden von Ende Juli bis Mitte April 1946 einmal wöchentlich insgesamt 36 halbstündige Radiosendungen unter der künstlerischen Leitung Curt Treptes für dieses Publikum statt. Die Sendungen brachten Ausschnitte aus dem Repertoire der FREIEN BÜHNE, aber auch Musikdarbietungen und ein umfangreiches Literaturprogramm von Lessing über Goethe, Schiller, Heine, Lenau bis hin zu Liliencron, Kästner, Ringelnatz, Becher sowie Thomas und Heinrich Mann. Diese Sendungen wurden von der schwedischen Öffentlichkeit unterschiedlich beurteilt. So warf man Trepte „kommunistische Propaganda" vor, als Songs von Brecht in der Vertonung Eislers gesendet wurden, darunter „Du mußt die Führung übernehmen". Nach einer Sendung Ende März 1946 anläßlich des 75. Geburtstages von Heinrich Mann kündigte der Sender Trepte sogar fristlos, da man die Lesung aus Mut und Ein Zeitalter wird besichtigt erneut als „kommunistische Propaganda" ausgelegt hatte. Die Kündigung wurde schließlich zurückgenommen, da in der Sendereihe ohnehin nur noch zwei Folgen vorgesehen waren. Trepte selbst beurteilt im nachhinein die Leistungen der FREIEN BÜHNE mit dem selbstbewußten Satz: „Die Aufführungen und Darbietungen der FREIEN BÜHNE haben wesentlich dazu beigetragen, in der schwedischen Öffentlichkeit Verständnis für den großen Kampf der Emigration um Freiheit und Menschenrechte, für ein neues demokratisches und sozialistisches Deutschland zu finden und haben dem neuen Deutschland schon im voraus Freunde gewonnen".15 Es sei dahingestellt, inwieweit dieser Satz richtig ist. Aber er drückt zweifellos das Selbstverständnis des Ensembles und seiner Mitglieder aus. Österreichische Kulturarbeit Auch die beiden österreichischen Vereinigungen in Schweden bemühten sich zielbewußt, österreichisches Kulturerbe und damit österreichische Identität zu pflegen. Sie grenzten sich dabei sehr bewußt von ihren reichsdeutschen Schicksalsgenossen ab. So veranstaltete der Klub österreichischer Sozialisten aus Anlaß des 25. Jahrestages der Gründung der Republik Österreich am 12. November 1943 einen „Österreichischen Abend". Für die künstlerische Leitung war wie bereits bei einem ähnlichen Abend in Norwegen Robert Peiper verantwortlich, für den musikalischen Teil Hans Holewa. Mit Szenen und Rezitationen ausschließlich aus Werken österreichischer Autoren wie Grillparzer, Wildgans, Schönlank, Karl Kraus, Friedrich Adler und Stefan Zweig sowie mit Musik und Liedern von Beethoven und Mahler war die Gestaltung charakteristisch für die gesamte österreichische Kulturarbeit. Die Festrede hielt Bruno Kreisky, der die füh14 15

EM. Sammlung Trepte, Sammlung Exil, Stadtbibliothek Västeras.

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Deutschsprachiges Theater im skandinavischen Exil rende Rolle innerhalb des österreichischen Exils in Schweden einnahm. Auch die weiteren kulturellen Veranstaltungen in der Provinz wie in Stockholm wurden ausschließlich mit österreichischen Mitwirkenden und stets mit rein österreichischen Programmen bestritten. Zu erwähnen ist u.a. eine Aufführung des Einakters Literatur von Schnitzler am 7. März 1945, die von kleineren Szenen aus Werken Beer-Hofmanns, Werfeis, Wildgans' und Stefan Zweigs umrahmt wurde. Geschickt die Sympathie nutzend, die man Österreich seit Ende des Ersten Weltkrieges in Schweden entgegenbrachte, betrieb man kontinuierlich eine Kulturpropaganda, die ihre Wirkung auf das schwedische Publikum nicht verfehlte und der man von deutscher Seite trotz aller Bemühungen des Kulturbundes nichts Vergleichbares entgegenzusetzen hatte. Höhe- und Schlußpunkt der österreichischen Kulturarbeit im Exil war vom 21. bis 26. November 1945 eine „Österreichische Woche", die von einem Österreichischen Repräsentationsausschuß in Schweden zusammen mit der schwedischen Hilfsorganisation Rädda Barnen (Rettet die Kinder) als Mitveranstalter organisiert wurde. Die organisatorische und künstlerische Leitung war zwei österreichischen Flüchtlingen, Hans Holewa und Adolf Schütz, anvertraut worden, und eine Reihe namhafter schwedischer Künstler hatte sich unentgeltlich zur Mitwirkung bereit erklärt. Die Veranstaltungsfolge begann mit einem Kirchenkonzert, in dem neben einem schwedischen Quartett die österreichische Sängerin Maria Ribbing als Solistin auftrat. Es folgten Vorträge der Physikerin Lise Mehner über „Die Bedeutung von Wissenschaft und Technik für die kulturelle Entwicklung", der Ärztin Elsa-Brita Nordlund über „Wien, die Stadt der medizinpsychologischen Forschung", des Kunsthistorikers Axel Romdahl über „Österreich, ein Land der Kunst" und des Stockholmer Oberbürgermeisters Carl-Albert Andersson über „Das soziale Wien". Gezeigt wurde der Wiener Film Maskerade mit Adolf Wohlbrück und Paula Wessely, eingeleitet vom schwedischen Star Edvin Adolphson; dazu fand eine musikalische Soiree mit dem österreichischen Pianisten Ernst Wasservogel und schwedischen Solisten statt. Den Abschluß der Woche bildete eine Festveranstaltung in der Königlichen Oper mit verschiedenen musikalischen Darbietungen, dem Einakter Abschiedssouper von Schnitzler, und zum Schluß tanzte das Opernballett den Kaiserwalzer. Als Conferencier hatte sich der dänische Revuestar Max Hansen zur Verfügung gestellt, der seine größten Erfolge im Wien der zwanziger und dreißiger Jahre erzielt hatte. Angesichts dieses Programms und dieser Besetzung nimmt es nicht wunder, daß die „Österreichische Woche" auch finanziell ein voller Erfolg wurde - die Nettoeinnahmen betrugen 500.000 Schwedenkronen, ein Betrag, den die schwedische Regierung um eine weitere Million aufstockte - , und daß die Aktion darüber hinaus auch Wirkung auf die politische und humanitäre Hilfe Schwedens für Nachkriegsösterreich hatte. Persönlichkeiten des deutschsprachigen Exiltheaters auf schwedischen Bühnen Auch innerhalb des schwedischen Theaterlebens spielten einige deutschsprachige Schauspieler und Regisseure eine Rolle. Eine feste Anstellung vermochte jedoch keiner von ihnen - vor allem aus sprachlichen Gründen, aber auch aufgrund der Eifersüchtelei der schwedischen Kollegen - zu erreichen. Zu nennen sind vor allem drei Personen: Hermann Greid, Curt Trepte und Peter Winner. 335

Helmut Müssener Hermann Greid trat im schwedischsprachigen Theater vor allem als Regisseur in Erscheinung. 1938 inszenierte er im Auftrag des Schwedischen Hilfskomitees für Spanien mit einer ad hoc zusammengestellten Truppe Die Gewehre der Frau Carrar. Bei den Proben war Brecht selbst mehrfach anwesend. Die schwedische Schauspielerin Naima Wifstrand, die das Stück übersetzt hatte und für die Brecht später die Rolle der Courage schrieb, übernahm auch die Hauptrolle, während Greid selbst den Pedro spielte. Die Premiere fand am 5. März 1938 statt. Das Stück wurde in diesem und dem folgenden Monat insgesamt vierzehnmal in Stockholm und in der Provinz aufgeführt. Die Rezensionen lassen erkennen, daß Regie und künstlerische Leitung Greids volle Anerkennung fanden und dem Stück politische Schlagkraft zugebilligt wurde. Allerdings spricht auch hier die geringe Zahl der Aufführungen dafür, daß die Inszenierung in erster Linie demonstrativen Charakter hatte und ein größeres Publikum nicht erreicht wurde. Hermann Greid führte ebenfalls Regie bei der .Uraufführung' des Brechtschen Hörspiels Das Verhör des Lukullus im Dezember 1940, das von einer Spielschar der Emigrantenselbsthilfe und der Jüdischen Gemeinde in einem Privathaus als „mimisches Schattenspiel" gespielt wurde, zu dem der Regisseur den Text rezitierte. Mit großem Erfolg inszenierte Greid ferner die in der deutschen Arbeiterbewegung so verbreiteten Sprechchöre. Er leitete Ende der dreißiger Jahre sogar ein eigenes Ensemble, JUNGE STIMMEN, mit dem er u. a. auf den Feiern zum 1. Mai 1939 auftrat. Es dürfte sich um das einzige Beispiel dafür handeln, daß ein Flüchtling erfolgreich die Methoden des deutschen Arbeitertheaters auf ein skandinavisches Gastland übertragen hat. Als Greid im April 1940 Brecht für mehrere Monate nach Finnland folgte, stellte die Gruppe ihre Tätigkeit ein und konnte sie nach seiner Rückkehr aufgrund der in der Zwischenzeit erfolgten Einberufungen zum Wehrdienst auch nicht wieder aufnehmen. Im Februar 1943 führte Greid Regie in Strindbergs Ostern, in dem er auch die Hauptrolle des Lindqvist übernahm, und in Gustav Darlands Familie Björck. Die Stücke wurden allerdings nur einmal im Rahmen der Hilfsaktion „Für die Kinder des Nordens" aufgeführt. Wichtig ist aber vor allem Greids Mitwirken bei der Gründung der Kirchenspielgruppe FÖRENINGEN FOR KYRKLIG DRAMATIK, die Ende 1944 aufgrund seiner Initiative entstand. Sie markierte den Beginn des Kirchenspiels in Schweden überhaupt und existierte bis 1970. Für sie schrieb er fünfzehn Stücke, führte Regie und übernahm im allgemeinen auch die Hauptrolle. Er wirkte ferner als Lehrer an Theater- und Dramatikkursen verschiedener Volkshochschulen und Bildungsorganisationen mit und leitete von 1973 bis zu seinem Tod im Januar 1975 ein Theaterensemble des Arbeiterbildungsvereins, das sich aus Rentnern und Pensionären zusammensetzte und für ein gleichaltriges Publikum u. a. Brecht-Programme aufführte. Zudem war er in den sechziger und siebziger Jahren mit dem LÜBECKER KAMMERSPIELKREIS auch häufig auf Tournee durch die Bundesrepublik Deutschland. Curt Treptes künstlerische Arbeit beschränkte sich nicht nur auf die FREIE BÜHNE. Mit der Spielschar des Arbeiterbildungsverbandes in Vasteräs inszenierte er wie Greid als ersten Auftrag in Schweden Die Gewehre der Frau Carrar. Bei der Premiere am 23. Oktober 1938 war sogar die Botschafterin der spanischen Republik anwesend. Das Stück wurde insgesamt fünfzehnmal in Provinzstädten aufgeführt. Einer Vorstellung anläßlich einer Jugendtagung am 6. August 1939 in Eskilstuna wohnte nicht nur der schwedische Ministerpräsident Per-Albin Hansson, sondern wohnten auch Helene Wei336

Deutschsprachiges Theater im skandinavischen Exil gel und Bertolt Brecht bei. Brecht hatte für diese Aufführung einen Prolog und einen Epilog beigesteuert. - Mit derselben Spielschar führte Trepte auch das Lustspiel Der Hochzeitsgewinn des schwedischen Dramatikers Thunberg auf. Ab 1941 leitete er in Stockholm einen Theaterzirkel der Handelsangestelltengewerkschaft, mit dem er u. a. das Stück des schwedischen Dichters Hjalmar Söderberg Der Abendstern inszenierte. 1944/45 war er auch Regisseur des ersten schwedischen, allerdings nur kurzlebigen Arbeitertheaters, das von der kommunistischen Partei Stockholms initiiert wurde. Mit seinen Schauspielern inszenierte er im Dezember 1944 das Schauspiel Svart granit („Schwarzer Granit") von Sekel Nordstrand und die „ernste Komödie" Solidaritet von Margit Palmaer. Der Sudetendeutsche Peter Winner führte Regie bei der schwedischen Erstaufführung von Büchners Lustspiel Leonce und Lena im Rahmen des Experimenttaltheaters UNGA KONSTNÄRER (Junge Künstler). Die Premiere fand am 15. Mai 1943 statt. Zum Ensemble des Experimenttaltheaters gehörten auch Toiwo Pawlo und Gunnar Sjöberg. Aber weder diese Regieleistung noch die ebenfalls gerühmte Inszenierung des Stücks Varje dag är inte torsdag („Jeden Tag ist nicht Donnerstag") von Robert Peiper, das ein Jahr vorher, im Frühjahr 1942, insgesamt 40 Vorstellungen in einem Privattheater erreichte, brachten Winner die ihm gebührende Anerkennung oder erlaubten eine weitere Tätigkeit als Regisseur oder Schauspieler. Er selbst führte sein Scheitern auf „Ausländerfeindlichkeit" zurück, wie er in einem Brief an Curt Trepte vom 12. Januar 1973 klagte. 16 „... auf dem Inselchen Lidingö" - Bertolt Brecht in Schweden Bertolt Brecht hielt sich fast ein Jahr (von April 1939 bis April 1940) in Schweden auf. Er kam auf Einladung des Schwedischen Reichsverbandes der Amateurtheater ins Land. Zu verdanken hatte er die Einreiseerlaubnis jedoch dem Schwedischen Hilfskomitee für Spanien. Sein Vortrag „Über das experimentelle Theater", den Brecht bereits am 4. Mai 1939 hielt, fand bei seinen Zuhörern keinen größeren Anklang. In den folgenden Monaten lebte Brecht sehr zurückgezogen auf Lidingö in der Nähe Stockholms. Erneut wurde er zum Mittelpunkt eines Diskussionskreises, dem vornehmlich Mitflüchtlinge, aber auch einige schwedische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens angehörten. Theaterfragen standen bei den Gesprächen weitgehend im Hintergrund, und lediglich die Schauspielerin Naima Wifstrand traf häufiger mit ihm zusammen. Auch der Schauspielunterricht, den Helene Weigel zeitweise in einer Stockholmer Theaterschule gab, dürfte kaum langfristigere Wirkung gehabt haben. Von der Öffentlichkeit unbeachtet, der er allenfalls als Dichter der Dreigroschenoper bekannt war, die 1929 und 1938 in Schweden aufgeführt worden war, widmete er sich in erster Linie seinem eigenen Werk. Er arbeitete am Guten Menschen von Sezuan, den er vermutlich in Stockholm abschloß. Von September bis November 1939 entstand die Mutter Courage, die für Naima Wifstrand konzipiert wurde, der er auch das Manuskript widmete. Die Rolle des Kochs war für Hermann Greid gedacht. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die stumme Rolle der Katrin für Helene Weigel geschrieben wurde, die so bei einer erhofften schwedischen Aufführung hätte mitwirken können. Ferner schrieb er unter dem Pseudonym „John Kent" die beiden Einakter Dansen („Der Tanz/Der 16

Sammlung Trepte, Akademie der Künste, Berlin.

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Helmut Müssener

Däne") und Was kostet das Eisen. Letzterer wurde im Herbst 1939 tatsächlich auch von den Teilnehmern einer Amateurtruppe der Heimvolkshochschule Tollare einmal aufgeführt. Aus dem dramatischen Bereich sind außerdem noch die „Übungen für Schauspielschulen" sowie fünf kleinere Übungsszenen für Schauspieler zu nennen, die in diesem Zusammenhang entstanden und in erster Linie für den Unterricht Helene Weigels gedacht waren. Am 17. April 1940 fuhr Brecht zu Schiff nach Finnland weiter, nachdem ihm durch die Besetzung Dänemarks und Norwegens die Lage zu unsicher geworden war. Sein Aufenthalt hatte im schwedischen Theaterleben keinerlei Spuren hinterlassen, und auch die schwedische Erstaufführung des Guten Menschen von Sezuan am 20. März 1945 im Studententheater von Uppsala war nur eine Episode am Rande des Theatergeschehens. Sie war durch den politischen Flüchtling Peter Blachstein veranlaßt worden, der zusammen mit dem Leiter des Theaters die Übersetzung besorgt hatte. Es sollte noch lange dauern, bis sich Brecht auf dem schwedischen Theater durchzusetzen vermochte. Von den Werken der übrigen exilierten Dramatiker wurde lediglich Professor Mamlock von Friedrich Wolf aufgeführt, und zwar im Februar 1938 (im privaten Stockholmer Blanche-Theater). Diese zum damaligen Zeitpunkt mutige Tat erregte, wie kaum anders zu erwarten, großes Aufsehen und wurde, wenn auch sehr unterschiedlich, in sämtlichen Stockholmer Tageszeitungen besprochen. Trotz der ausgezeichneten Besetzung mit schwedischen Stars wie Harry Roeck-Hansen, dem Theaterleiter, in der Rolle des Mamlock, Holger Löwenadler, Georg Rydeberg, Anna Flygare-Stenhammar und trotz der Regieleistung eines Per Lindberg wurde das Stück bereits nach wenigen Vorstellungen abgesetzt. Fazit Das deutschsprachige Exiltheater in Skandinavien blieb Episode. Materielle Schwierigkeiten und die alltäglichen Probleme, mit denen Theaterkünstler sich in anderssprachigen Ländern stets konfrontiert sehen, aber auch Besetzungsschwierigkeiten - es fehlte an geeigneten Schauspielern - , verhinderten eine umfangreichere Tätigkeit. Hinzu kamen Interessengegensätze innerhalb des zahlenmäßig kleinen deutschsprachigen Publikums, in dem ein Teil das politische Engagement vermißte, das der andere kritisierte. Eine über die Emigration hinausreichende Wirkung in die schwedische Öffentlichkeit gab es ebenfalls nicht. So blieben nur diejenigen, die, laut Trepte, zu schätzen wußten, daß sie „deutsches Theater [...] sehen und Heimatsprache in künstlerischer Form [...] genießen" konnten. Für sie, eine kleine Gruppe, trifft sein Urteil zu: „Was die FREIE BÜHNE der deutschen und österreichischen Emigration bedeutete, konnte die schwedische Kritik kaum nachempfinden".17 Literatur Willy Dähnhardt/Birgit S. Nielsen: Geflüchtet unter das dänische Strohdach. Schriftsteller und bildende Künstler im dänischen Exil nach 1933. Katalog der Ausstellung der Königlichen Bibliothek Kopenhagen. Heide 1988. 17

Ebd.

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Deutschsprachiges Theater im skandinavischen Exil Hitierfliichtlinge im Norden. Asyl und politisches Exil 1933 -1945. Hrsg. von HansUwe Petersen [mit Bibliographie]. Kiel 1991. Einhart Lorenz: Exil in Norwegen. Lebensbedingungen und Arbeit deutschsprachiger Flüchtlinge 1933 - 1943. Baden-Baden 1992. Helmut Müssener: Exil in Schweden. Politische und kulturelle Emigration nach 1933. München 1974. Jan Peters: Exilland Schweden. Deutsche und schwedische Antifaschisten 1933 - 1945. Berlin [DDR] 1984. Ludwig Hoffmann/Curt Trepte: Exil in Skandinavien. Mit einem Beitrag von Jan Peters. In: dies.: Exil in der Tschechoslowakei, in Großbritannien, Skandinavien und Palästina. Leipzig 1987 (= Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933 - 1945, 5). Harald Engberg: Brecht pdFyn. 2 Bde. Odense 1966. Deutsch: Harald Engberg: Brecht aufFünen. Exil in Dänemark 1933 - 1939. Wuppertal 1974. Kela Kvam: Deutsches Exiltheater in Dänemark. In: Deutschsprachiges Exil in Dänemark nach 1933. Zu Methoden und Einzelergebnissen. Hrsg.von Ruth Dinesen u. a. Kopenhagen/München 1986, S.178 - 198. Helmut Müssener: Deutschsprachiges Exiltheater in Skandinavien, Stockholm 1977 (= Schriften des Deutschen Instituts der Universität Stockholm, 7). Hans Chr. Nörregaard: Bertold Brecht og Danmark. In: Steffen Steffensen: Pdflygtfra Nazismen. Tysksprogede emigranter i Danmark efter 1933. Kopenhagen 1986, S. 337 -397. Willmar Sauter: Theater als Widerstand. Wirkung und Wirkungsweise eines politischen Theaters. Faschismus und Judendarstellung auf der schwedischen Bühne 1936 bis 1941. Stockholm 1979. Archive Stadtbibliothek Västeras, Sammlung Exil: Sammlung Curt Trepte und Nachlaß Hermann Greid Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Sammlung Curt Trepte

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James Μ. Ritchie

Exiltheater in Großbritannien Politische und strukturelle Rahmenbedingungen Großbritannien schottete sich, wie andere Staaten auch, in den Jahren des Vorkriegsexils gegen den Zustrom von Flüchtlingen aus dem nationalsozialistischen Deutschland ab. Zwischen 1933 und 1938, während der Phase der Appeasement-Politik, wurde nur rund 11.000 Flüchtlingen Asyl gewährt. Voraussetzung für die Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis war ein Beschäftigungsnachweis, der in sechsmonatigem Abstand erneuert werden mußte. Das Home Office achtete strikt darauf, daß diese Auflage eingehalten wurde. War der Beschäftigungsvertrag abgelaufen wie z.B. 1939 bei Berthold Viertel, mußte der Betreffende Großbritannien verlassen. Die britische Regierung praktizierte eine Quotenregelung nach Berufen. Wissenschaftler und qualifizierte Fachkräfte aus technischen Berufen wurden bevorzugt. Die Einreise von Theaterkünstlern scheiterte daher häufig am Einspruch des Home Office. Von der Quotierung nicht betroffen waren wohlhabende Emigranten und Prominente. Erst nach den nationalsozialistischen Pogromen vom November 1938 und dem Einmarsch in die Tschechoslowakei, also nach Zusammenbruch der Appeasement-Politik, änderte sich die britische Asylpraxis. In dieser zweiten Phase stieg die Zahl der Flüchtlinge auf 70.000 an. Die Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis war mit strengen Auflagen, vor allem hinsichtlich des Verbots einer politischen Betätigung, verbunden. Infolgedessen wurde Großbritannien bis zum März 1938 von Angehörigen der politischen Parteien und Organisationen in der Regel gemieden. Als die Flucht aus Österreich einsetzte, dann aus der Tschechoslowakei und, nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, aus Frankreich, stieg die Zahl der im engeren Sinne politischen Emigranten umständebedingt an, insbesondere weil in vielen Fällen eine Fortsetzung der Emigration in die überseeischen Asylländer nicht möglich war. Eine Folge dieser Gegebenheiten war, daß die deutschsprachige Emigration erst Mitte 1938 organisatorisch in Erscheinung zu treten begann. Zuerst entstand das Austrian Centre (AC), dann der Freie Deutsche Kulturbund (FDKB). Beides waren - mit Rücksicht auf das Verbot politischer Betätigung, das weiterhin Bestand hatte - zumindest nach außen hin kulturelle Vereinigungen. Um den Anschein überparteilich-unpolitischer Organisationen zu wahren, wurden ihre Präsidien überwiegend mit Vertretern der literarisch-kulturellen Prominenz besetzt. Besonders aktiv war an der Bildung dieser Organisationsstrukturen die KPD beteiligt, die mit 300 bis 350 Mitgliedern zahlenmäßig fast so stark war wie die übrige nichtkommunistische politische Emigration insgesamt. Aufgrund des Scheiterns der Volksfront war die KPD in dieser Phase kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges besonders stark um neue Formen der politischen Integration bemüht. - Der Freie Deutsche Kulturbund war ein Instrument dieser Bestrebungen. Er wurde Ende 1938 gegründet. Insbesondere während der Phase des Hitler-Stalin-Paktes, als die KPD politisch weitgehend iso341

James Μ. Ritchie liert war, eröffnete der FDKB der KPD die Möglichkeit, eine allgemeinpolitische Wirkung auszuüben.1 Obwohl der dominierende Einfluß der KPD innerhalb der Organisation zeitweilig Anlaß zu Konflikten gab, waren der FDKB und das Austrian Centre für viele nichtkommunistische Künstler und Wissenschaftler von immenser Bedeutung. Beide Institutionen boten ihnen Betätigungsmöglichkeiten, die zuvor nicht bestanden hatten. Für die Theaterschaffenden, die im FDKB in einer eigenen Sparte organisiert waren, kam hinzu, daß der Vorstand, dem der Theaterbetrieb formell unterstand, sich realiter kaum um die künstlerische Arbeit und die Programmgestaltung kümmerte. Der Freiraum war beträchtlich, und die Gemeinsamkeiten überwogen. Unterschiedliche parteipolitische Bindungen und Überzeugungen spielten nach Bekunden von Beteiligten keine oder nur eine marginale Rolle. Daß politische Differenzen jedoch vorhanden waren, wird an der Gründung von Parallelorganisationen wie des Clubs 1943 oder Arthur Hellmers ÖSTERREICHISCHER BÜHNE erkennbar. Als eine spezifische Folge der britischen Deutschland-Politik ist die Tatsache anzusehen, daß der Anteil der ,reichsdeutschen' Emigranten nach 1938 kleiner war als der der österreichischen Emigranten. Bedingt durch diese zahlenmäßige Stärke sowie die politischen Umstände waren Einfluß und öffentliche Wirkung des Austrian Centre wesentlich größer als die des Freien Deutschen Kulturbundes. Entsprechend diesen Entwicklungen und den damit verbundenen strukturellen Gegebenheiten gliedert sich das Exil der nach Großbritannien emigrierten Theaterkünstler in zwei völlig unterschiedliche Phasen. Bis 1938 handelte es sich im wesentlichen um eine Beschäftigung an den Londoner Westend-Theatern und im Film, also in kommerziellprivatwirtschaftlich strukturierten, politikfernen Bereichen. In Einzelfällen war der Anteil von Emigranten innerhalb einer bestimmten Theater- bzw. Filmproduktion vergleichsweise hoch, doch ergeben sich hieraus nur begrenzt Rückschlüsse auf den künstlerischen Einfluß der Emigranten. Es war vielmehr eine mehr oder weniger unspektakuläre, bisweilen aber durchaus erfolgreiche Integration in das britische Theatersystem. Während des Weltkrieges dauerten die Engagements an den Westend-Theatern - wenn auch in kriegsbedingt verminderter Form - an. Während der ersten Periode war die kulturelle Präsenz des „Dritten Reiches" in Großbritannien - verbunden mit einer entsprechenden, auch politisch gefärbten Öffentlichkeitswirkung - vergleichsweise groß. Daran gemessen waren die Möglichkeiten der nach England emigrierten Theaterkünstler, sich auf spezifische Weise zu profilieren von wenigen Prominenten abgesehen, die in der britischen Öffentlichkeit in besonderer Weise politisches Gehör fanden - , gering. Von dieser ersten Phase unterscheidet sich deutlich die zweite. Sie setzte mit der Gründung von Klubtheatern im Rahmen des AC bzw. des FDKB ein. An dieser Entwicklung waren die an den Westend-Theatern beschäftigten Schauspieler z.T. aktiv mitbeteiligt. Damit wurde - von wenigen frühen Tournee-Gastspielen abgesehen - erstmalig in Großbritannien deutschsprachiges Theater gespielt. Nach außen hin handelte es sich auch hier um eine unpolitisch-kulturelle Aktivität; die eigentliche politische Zielsetzung der Theater und ihrer Programme war jedoch angesichts der Zeitumstände offensichtlich. 1

Vgl. Ursula Adam: Zur Geschichte des Freien deutschen Kulturbundes in Großbritannien (Ende 1938 - 1945). Phil. Diss. Akademie der Wissenschaften, Berlin 1983.

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Exiltheater in Großbritannien Während die Klubtheater an kontinentale Traditionen, z.B. der Wiener Kleinkunstbühnen aus der Zeit vor 1938, anknüpften, stellte die Arbeit an den Westend-Theatern die Theateremigranten vor erhebliche Probleme. In den englischen Theatern wurden Stücke häufiger und in längeren Sequenzen en suite gespielt als in Deutschland, teilweise mit zwei Vorstellungen am Tage. Dieser Modus verlangte den Schauspielern außerordentlich hohe Selbstdisziplin und psychische Stabilität ab. Hinzu kam, daß das Repertoire stärker als z.B. im deutschen Stadttheatersystem auf Unterhaltung abgestimmt war, insbesondere auf Konversationsstücke. Regietheater in der in Deutschland üblichen Art fehlte. Die Anforderungen an das schauspielerische Talent waren deshalb andere als in Deutschland, was zur Folge hatte, daß die emigrierten Schauspieler mitunter das Gefühl hatten, nicht ihren besonderen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt zu werden. Daher wanderten viele nach einem vergleichsweise kurzen Aufenthalt in England und trotz z.T. beträchtlicher künstlerischer Erfolge in die USA weiter, vor allem nach Hollywood. Eine ganze Reihe von Schauspielerkarrieren zeigt aber, daß die Integration in die britische Theater- und Filmwelt durchaus auch gelingen konnte. Zahlenmäßig stellt sich die Lage so dar: Vor 1938 ist die Zahl der emigrierten Theaterkünstler relativ klein. Nach 1938/39 emigrierten annähernd 400 deutschsprachige Berufs· und Laienkünstler nach Großbritannien.2 Allenfalls dreißig bis vierzig von ihnen ist die Anpassung an die englische Theaterpraxis geglückt. Die übrigen führten ein karges Exilleben. Bei ihnen war - wie übrigens auch bei einer großen Zahl britischer Schauspieler! - eine außerberufliche Tätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts die Regel. Die Anpassung an das englische Theatersystem wurde durch einige Umstände zumindest teilweise erleichtert. Trotz der Unterschiedlichkeit der Systeme gab es durchaus auch Berührungspunkte. Zum einen bestanden zwischen England und Deutschland lange, intensive kulturelle Kontakte. Sie fanden ihren sichtbarsten Ausdruck darin, daß englische Autoren wie George Bernard Shaw, Somerset Maugham oder Noel Coward häufig und mit großem Erfolg auf deutschen Bühnen gespielt wurden. Umgekehrt waren auch deutsche Autoren wie Toller oder Bruno Frank an englischen Bühnen auf Resonanz gestoßen. Es gab eine Vielzahl von Vermittlern: Theaterpraktiker und Übersetzer sowohl in Deutschland als auch in England, die das jeweils andere Theatersystem gut kannten. Sie halfen nach 1933 den deutschen Schauspielern und Regisseuren, im englischen Theatersystem Fuß zu fassen. An erster Stelle ist hier der Regisseur und Übersetzer Ashley Dukes zu nennen. Dukes hatte in Deutschland die expressionistische Dramatik kennengelernt; bei der Einführung insbesondere Tollers und seiner Dramatik spielte er eine entscheidende Rolle. Ashley Dukes hat sich darüber hinaus auch für andere Dramatiker wie Carl Sternheim eingesetzt.3 In anderer Weise war hilfreich, daß zahlreiche deutsche Theaterkünstler schon vor 1933 in England tätig gewesen waren. Bedeutsam sind hier vor allem die frühen Gastspiele Max Reinhardts und seiner Theater, etwa die englischen Aufführungen von Sumu2

3

Vgl. Erna Wipplinger: „Zünden soll d' Latern". Österreichiches Exiltheater in Großbritannien. In: Wespenest. Wien, 56. Jg. 1984, S. 30. Zur Rolle von Ashley Dukes vgl. James M. Ritchie: Deutschsprachige Exilierte und das englische Theatersystem. In: Exiltheater und Exildramatik 1933 -1945. Maintal 1991, S. 63 - 80 (= Exil, Sonderband 2).

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James Μ. Ritchie run und dem Mirakel in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Die damaligen Regisseure und Bühnenbildner konnten auf wichtige Erfahrungen und Kontakte zurückgreifen. Ähnlich intensive Verbindungen bestanden im Bereich der Operette. Vor allem Erik Charell hatte in England bereits vor 1933 Operetten inszeniert. Diese Entwicklung wurde durch den nationalsozialistischen Machtantritt keineswegs unterbrochen. Schauspielerkarrieren in Film und Theater In Darstellungen zur Geschichte des Exiltheaters in Großbritannien wird häufig eine Notiz aus dem Neuen Tage-Buch (21. Dezember 1935) zitiert: „Die Überpflanzung des Berliner Theaters von ehedem nach London macht ständig weitere Fortschritte. Nach Elisabeth Bergner, Lucie Mannheim, Grete Mosheim, Oskar Homolka, Fritz Kortner, Conrad Veidt, Paul Graetz und anderen vollzieht nun auch Ernst Deutsch den Übergang zur englischen Bühne." Die Beobachtung war der Sache nach zutreffend, die Schlußfolgerung in der hier formulierten Form jedoch falsch. Von den genannten Theaterkünstlern wanderten viele nach vergleichsweise kurzer Zeit in die USA weiter: so Paul Graetz, obwohl er die Titelrolle im Film Mr. Cohen Takes a Walk (1935) gespielt hatte, oder Ernst Deutsch, der 1936 im Garrick Theatre in Page front a Diary aufgetreten war sowie in Karl Grünes Film The Marriage of Corbal. Auch Anton Wohlbrück wanderte in die USA weiter. Er kam jedoch wieder nach Großbritannien zurück und behielt dort seinen Wohnsitz, auch nach Ende des Weltkrieges. Wie Wohlbrück blieben relativ viele Theaterkünstler in Großbritannien - nicht nur diejenigen, die die zur Fortsetzung ihrer Flucht nötigen Visa und Affidavits nicht bekommen konnten. Nicht jedem ist der Übergang zum englischen Theatersystem geglückt. Alle hatten Probleme mit der neuen Sprache, mit der Struktur des Theaterbetriebs und den - gemessen an den Vorstellungen der deutschen Schauspieler - sehr viel spezielleren Erwartungen des englischen Publikums. Um so bemerkenswerter sind die Fälle, in denen die Anpassung relativ gut geglückt ist. Elisabeth Bergner war wohl die bedeutendste Schauspielerin im englischen Exil. Ende November 1932 hielten sie und der Regisseur Paul Czinner, ihr späterer Mann, sich zu Filmverhandlungen in England auf. Aufgrund des Machtantritts der Nationalsozialisten blieben sie in England. In diesem Fall waren die Voraussetzungen für den Wechsel günstig. Elisabeth Bergner war mit Rollen in Shakespeare-Dramen berühmt geworden, war gut vertraut mit der englischen Gegenwartsdramatik - immerhin war die Heilige Johanna in George Bernhard Shaws gleichnamigem Stück eine ihrer Paraderollen gewesen - , und auch im Film war sie international bekannt. Von einem dieser Filme, Ariane (1931), waren sogar Fassungen in drei Sprachen hergestellt worden. Der Wechsel war gleichwohl riskant. Elisabeth Bergner bereitete sich durch Sprachunterricht sorgfältig auf den Neuanfang vor. Das geschah mit Hilfe ihrer englischen Sprachlehrerin Florence Freedman: „Was diese Frau für mich wurde und was sie für mich tat - mein Buch reicht nicht aus, genug von ihr zu erzählen. Sie gab ihre Klassen und alle anderen Privatschüler auf, sie war den ganzen Tag mit mir im Atelier, sie paßte auf jedes Wort auf, sie war unermüdlich, sie war ein Engel. Sie liebte mich und liebte Czinner ebenso."4 4

Elisabeth Bergner: Bewundert viel und viel gescholten ... München 1978, S. 116.

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Exiltheater in Großbritannien Die einfühlsamen Worte tragen eine kaum zu ermessende Dankesschuld ab. Ohne die Hilfe dieser Sprachlehrerin wäre Elisabeth Bergner der Wechsel zur englischen Bühne vermutlich gar nicht möglich gewesen. Ihr Debüt fand im Dezember 1933 in Margaret Kennedys Escape Me Never im Apollo Theatre statt. Das Engagement war durch den einflußreichen Agenten Charles B. Cochran vermittelt worden, den Elisabeth Bergner aus ihrer Berliner Zeit kannte. Einschließlich der Königin Mary begeisterte sich ein großer Teil des englischen Publikums für die Bergner. Das Stück kam 232mal zur Aufführung; und die Bergner war wieder ein Star. Das „Dritte Reich" reagierte mit Hetzkampagnen gegen sie. Zeitweise wurde Elisabeth Bergner eines der bevorzugten Angriffsobjekte der NS-Presse. Die britische Öffentlichkeit antwortete auf ihre Weise: James M. Barrie, der Verfasser des Peter Pan, schrieb aufgrund dieses Erfolges für Elisabeth Bergner The Boy David. Bühnenbild und Ausstattung lieferte Ernst Stern, wie Elisabeth Bergner einer der frühesten Emigranten. Kurzzeitig trat sie auch wieder in Shaws St. Joan auf. - Nachdem Elisabeth Bergner noch in mehreren Filmen: Catherine the Great (1934), As You Like It (1936), Dreaming Lips (1937) und Stolen Life (1939), mitgespielt hatte, ging sie 1940 nach Hollywood. Sie wurde damit vertragsbrüchig, außerdem gab sie ihre britische Staatsbürgerschaft auf, was ihr in der damaligen Situation vom britischen Publikum sehr verübelt wurde. 1951 kehrte sie nach Großbritannien zurück. Ihre Rückkehr wurde anfangs mit Reserve aufgenommen, dann jedoch setzte sie sich ein zweites Mal auf der britischen Bühne durch. Lucie Mannheim, vor 1933 bei Jürgen Fehling, kam 1934 aus der Tschechoslowakei nach England. Bereits im folgenden Jahr spielte sie die Titelrolle in Bruno Franks Nina im Criterion Theatre. Das Stück lief 185mal. Andere Rollen folgten, darunter Ibsens Nora, wobei sie zusammen mit ihrem Mann, dem englischen Schauspieler Marius Goring, Regie führte. Wie Elisabeth Bergner spielte sie in mehreren englischen Filmen, z.B. in Hitchcocks The Thirty-nine Steps (1935) oder in The High Command (1937). Von 1940 bis 1945 machte sie zusammen mit Marius Goring Propagandaarbeit für die BBC. Grete Mosheim, eine führende Schauspielerin auf den Reinhardt-Bühnen, hatte wie Elisabeth Bergner in Deutschland in Stücken von Noel Coward und Shaw gespielt; sie war die erste deutsche Eliza in Shaws Pygmalion gewesen. 1935 trat sie in Two Share a Dwelling im St. James Theatre auf. 1938 wanderte sie jedoch weiter nach Amerika. Wie Grete Mosheim spielte auch ihr früherer Ehemann Oskar Homolka in England in Bühnenstücken und im Film. 1935, nach dem nötigen Sprachunterricht, übernahm er eine Rolle in Close Quarters (Haymarket Theatre), 1938 trat er in Capeks Power and Glory im Savoy Theatre auf. Er spielte außerdem in vielen Hitchcock-Filmen mit, wie z.B. Sabotage (1936). Fritz Kortner läßt sich in seiner Autobiographie Aller Tage Abend sehr ironisch über die „Gefühlstüpfelei", die „Ausdrucksanämie", die „charmante Virtuosität der Ausdrucksunverbindlichkeit" der damaligen englischen Kollegen aus. Obwohl er sich bewußt war, daß er niemals einen englischen Gentleman würde spielen können, hat er trotzdem keine Mühe gescheut, Englisch zu lernen. Immerhin gelang es ihm, in sieben Filmen mitzuwirken und zwei Filmbücher zu schreiben. Ein von den Nazis angezettelter Boykott dieser Filme zwang ihn jedoch, England zu verlassen.5 - Paul Henreid, von 5

Vgl. Klaus Völker: Fritz Kortner. Schauspieler und Regisseur. Berlin 1978, S. 126 f.

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James Μ. Ritchie 1935 bis 1940 in England, fiel es nicht schwer, hier Fuß zu fassen. Er war auf die Aufforderung hin, in dem Konversationsstück Cafe Chantant mitzuspielen, nach England gekommen. Andere Rollen im Londoner Westend und in Filmen wie Goodbye Mr. Chips (1939) folgten. Mit Casablanca kam 1943 in Amerika der Weltruhm. Conrad Veidt, wie Kortner berühmt wegen seiner expressionistischen Rollen, paßte sich den britischen Verhältnissen ebenfalls recht gut an und blieb dort bis 1940. Er wurde 1933 direkt aus Deutschland nach England engagiert, um die Titelrolle in der authentischen, nicht antisemitischen Fassung des Films Jud Süß zu spielen. Zuvor war er bereits in einem anderen Film mit jüdischer Thematik, The Wandering Jew, aufgetreten. Ansonsten spielte er hauptsächlich in Spionagefilmen wie The Spy in Black (1939) oder in Filmen mit exotischer Thematik wie The Thief of Bagdad, mitunter auch in literarisch anspruchsvollen Filmen mit wie in The Passing of the Third Floor Back (nach dem Stück von Jerome Κ. Jerome). Mehr als andere Schauspieler war sich Conrad Veidt der Folgen bewußt, die sich aus dem Zwang zur Anpassung an die fremdsprachige Umgebung ergaben. In dem Bestreben vieler deutscher Kollegen, sich sprachlich möglichst perfekt der Umgebung anzupassen, sah Veidt, wie er in einem Interview sagte (Argentinisches Tageblatt, 4. Oktober 1939), die Gefahr, den eigenen „Typus", die besondere schauspielerische Individualität, zu verlieren. Nach seiner Auffassung war es wichtiger, den „Typus" zu bewahren, als auf der Bühne „korrekt wie ein Brite" zu sprechen. Ein Beispiel dafür, daß ein deutscher Sprecher aufgrund von Sprechweise und stimmlicher Eigenart im Film wie im englischsprachigen Rundfunk sogar berühmt werden konnte, ist Herbert Lom. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg erlangte er eine derartige Popularität, daß er im Bewußtsein der britischen Öffentlichkeit zu einer unverwechselbaren Erscheinung geworden ist. Eine zweite Karriere mit anhaltendem Ruhm nach seiner Rückkehr aus Hollywood machte Adolf Wohlbrück (Anton Walbrook). Wie so oft spielte beim Übergang von der deutschsprachigen zur englischen Bühne auch in diesem Fall Noel Coward eine Rolle. 204mal trat Walbrook 1939 in Cowards Design for Living (Savoy und Haymarket Theatre) auf. Wohlbrück arbeitete mit einem festangestellten Sprechcoach. Für Victoria the Great benötigte er ihn jedoch nicht, denn er spielte neben Anna Neagles als Queen Victoria den deutschen Prinz Albert. Walbrook war ein leidenschaftlicher Gegner des Nationalsozialismus, was man in Großbritannien wußte. Nie hat man deshalb von ihm verlangt, in Propagandafilmen den „bösen Nazi" darzustellen. Er war immer der „sympathische Fremde". Auch Lilli Palmer erlernte schnell die englische Sprache und setzte sich in verhältnismäßig kurzer Zeit durch. Anfangs erhielt sie nur Nebenrollen in unbedeutenden Filmen. Ihr Bühnendebüt gab sie in The Road to Gandahar (1938) im Garrick Theatre. In Little Ladyship (1939) spielte sie bereits die Hauptrolle (Strand Theatre und Aldwych Theatre; 126 Aufführungen). Regie führte Heinz Saitenburg, Bühnenbild und Ausstattung stammten von Ernst Stern. In Beware of Pity, der Verfilmung von Stefan Zweigs Ungeduld des Herzens, stand sie zusammen mit Albert Lieven und Gerhard Kempinski auf der Bühne, die wie sie in England in Filmen und im Westend-Theater Karriere machten. Erst nach 1945 verließ Lilli Palmer England in Richtung Hollywood. Der aus der Tschechoslowakei geflohene Fritz Valk spielte schon in seinem ersten Jahr in England (1939) den Otto Brandt in Sydney Howards Alien Corn (Wyndhams 346

Exiltheater in Großbritannien Theatre). Daneben war er aktiv im Theater des Freien Deutschen Kulturbundes tätig, wurde Lehrer an Berthold Viertels Schauspielschule und übernahm auch Propagandaarbeit für die BBC. Es folgten diverse Filmrollen, z.B. in This Man is Dangerous (1941) und Dangerous Moonlight (1941). - Zu Beginn seiner neuen Bühnenkarriere mußte Valk wie so viele andere Schauspieler vom Kontinent zunächst mit komischen oder nicht-einheimischen Rollen vorliebnehmen. Zunehmend erhielt er jedoch auch Rollen in den großen Shakespeare-Dramen, vor allem in der Old Vic Theatre Company, die gemeinhin als Großbritanniens Nationaltheater gilt. Nach einer Oi/ie/Zo-Inszenierung mit Valk in der Titelrolle und dem wie Valk aus Prag stammenden Julius Gellner als Regisseur urteilte die britische Kritik, daß die deutschen Schauspieler dem englischen Nationaldichter Shakespeare nicht nur künstlerisch, sondern auch sprachlich gewachsen seien. Als Höhepunkt von Fritz Valks Theaterarbeit ist die Gestaltung der Hauptrolle in den Brothers Karamazov anzusehen, mit der er sogar seine Leistungen im Old Vic übertraf und für die er 1946 mit dem Ellen-Terry-Preis für die beste schauspielerische Leistung des Jahres ausgezeichnet wurde. Fast ebenso erfolgreich wie Valk wurde Friedrich Richter, der sich dank der Hilfe des Czech Refugee Fund nach England gerettet hatte. Wie Valk nahm er eine Propagandatätigkeit bei der BBC auf; er folgte Valk in derselben Rolle in Alien Corn sowie in einem anderen Stück Howards, They Knew What They Wanted. 1942 erhielt Friedrich Richter die Rolle des Shylock und verpflichtete sich mit Tyrone Guthrie zu einer zehnwöchigen Shakespeare-Tour mit dem Old Vic durch ganz England. Im Spätsommer des Jahres 1942 schickte ihm sein Agent eine Komödie, die zwei „parts for foreigners" hatte. In dieser Komödie, Claudia, traten Friedrich Richter und seine Frau Amy Frank in zweieinhalb Jahren insgesamt 558mal im St. Martin's Theatre auf. Nach Beendigung der Claudia-Tournee wurde Amy Frank 1945 die Rolle der Prinzessin von Wales in dem Stück The First Gentleman übertragen, das ein Jahr lang en suite im Strand Theatre gespielt wurde. Bei der anschließenden Verfilmung (mit Cavalcanti als Regisseur) behielt Amy Frank als einzige Bühnendarstellerin ihre Rolle auch im Film. Die Rolle des Dr. Stockmann spielte der ebenfalls inzwischen viel engagierte Gerard Heinz (Gerhard Hinze), der in einem Kriegsstück von Terence Rattigan, Flare Path (1942), seine Rolle 680mal im Apollo Theatre gespielt hatte. Viele Schauspieler vollzogen in England Namensänderungen. Aus Adolf Wohlbrück wurde Anton Walbrook, aus Carl Heinz Jaffe wurde Carl Jaffe, aus Fritz Valk Frederick Valk, aus Peter Ihle Peter Illing, aus Gerhard Hinze Gerard Heinz. Regisseure, Theaterleiter und Bühnenbildner Theaterleiter und Regisseure hatten in England mehr Schwierigkeiten mit der andersgearteten Theatertradition als mit der Sprache. Ihnen wurde der Zugang zum englischen Theater jedoch ein wenig dadurch erleichtert, daß sie berühmte deutsche Vorgänger hatten. 1911 hatte Max Reinhardt das Londoner Publikum mit Sumurun (Coliseum) fasziniert. Die Wirkung der Pantomime beruhte ganz auf der Musik Victor Hollaenders und auf der optisch-mimischen Gestaltung. Mit Mirakel (Olympia-Stadion) hatte Reinhardt im selben Jahr einen sogar noch überwältigenderen Eindruck erzielt. In den dreißiger Jahren folgten weitere Reinhardt-Inszenierungen: etwa die Inszenierung von La Belle 347

James Μ. Ritchie Helene mit Ε. W. Korngold als Dirigenten (Adelphi Theatre 1932) oder eine Reprise des Mirakel. Hier führte Stefan Hock, ein Reinhardt-Assistent, die Regie. Hock war auch zwischen 1938 und 1947 erneut in Großbritannien tätig. 1933, nachdem er Deutschland verlassen hatte, inszenierte Reinhardt in Oxford eine Freilichtaufführung des Sommernachtstraums. Bei dieser Gelegenheit wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Universität verliehen, ein Zeichen seiner enormen Wertschätzung in England. Ernst Julian Stern war während der Weimarer Republik Bühnen- und Kostümbildner für Reinhardt-Inszenierungen, Lubitsch-Filme und Charell-Revuen gewesen. Daneben hatte er seit 1929 in England auch Musicals inszeniert. Die Operette Im weißen Rößl („White Horse Inn") war ein ganzes Jahr lang im Coliseum gelaufen (insgesamt 651 Aufführungen). Bei dieser Inszenierung hatte er mit Erik Charell zusammengearbeitet, der sich insgesamt fünf Jahre lang in England aufhielt. An diese Inszenierung Schloß sich Casanova an (1932, ebenfalls im Coliseum). Der Machtantritt Hitlers und die Emigration nach Großbritannien bedeuteten für Stern deshalb keine Unterbrechung der ungemein vielfältigen Arbeit. Immer wieder taucht sein Name im Zusammenhang mit den großen Theatererfolgen der dreißiger und vierziger Jahre auf. 1935 inszenierte er die Benatzky-Operette The Flying Trapeze, 1936 Follow the Sun, 1939 The Merry Widow. Er entwarf für Noel Coward die Kostüme für Bitter Sweet und arbeitete mit Heinz Saitenburg an Little Ladyship. Während der vierziger Jahre war Stern stärker für Revuen und Musicals tätig, er entwarf aber auch Theaterbauten für die Shakespeare-Tourneen Donald Wolfits. Er stattete Operetten und Musicals für das Londoner Westend-Theater aus, ebenso Opern wie Ariadne auf Naxos in Covent Garden. Für das kommerzielle Unterhaltungstheater tätig zu sein bedeutete für ihn nach den Glanzjahren der Reinhardt-Bühnen durchaus keinen Abstieg. Er war sich bewußt, ein Meister seines Fachs zu sein und mit den besten Kollegen zusammenzuarbeiten. Welche Anerkennung Ernst Stern in England durch seine Arbeit erzielte, wird daran deutlich, daß er bis zu seinem Lebensende eine Pension aus der königlichen Privatschatulle bezog. Über enge Kontakte zum englischen Theatersystem verfügte auch Robert Klein, der ehemalige Direktor des Deutschen Theaters in Berlin. In Deutschland hatte er Somerset Maugham und G. B. Shaw inszeniert. Klein arbeitete auch mit Ernst Stern zusammen, z. B. an That Certain Something im Aldwych Theatre (1934). Ein Versuch Kleins, Bruckners Die Rassen zur Aufführung zu bringen, scheiterte allerdings an den politischen Schwierigkeiten während der Appeasement-Phase. Dank seiner Bemühungen wurden aber mehrere Stücke von Hasenclever inszeniert, so Konflikt in Assyrien (in englischer Sprache) mit Sybille Binder in der Hauptrolle - bezeichnenderweise wurde von der englischen Kritik in diesem Fall die Aussprache beanstandet (Observer, 1. Mai 1939) - und John Gielgud als Regisseur. Berthold Viertel führte in England vor allem in Filmen Regie: zuerst in Little Friend (1934), dann in The Passing of the Third Floor Back (1935). Auf der Bühne hatte er nur wenig Erfolg: mit Rosamond Lehmanns No More Music (1938, Duke of York's Theatre) und mit dem Thriller They Walk Alone (1939, Shaftesbury Theatre und Comedy Theatre). Berthold Viertel war es, dem - wie bereits erwähnt - vom Home Office 1939 die Aufenthaltserlaubnis entzogen wurde. 6 6

Vgl. Viertels Welt. Der Regisseur, Lyriker, Essayist Berthold Viertel. In: Aufrisse, Wien. 9. Jg. 1988, H. 4.

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Exiltheater in Großbritannien Erstaunlich ist die Karriere von Brechts Bühnenbildner Caspar Neher während dieser Jahre. Die gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen Neher, der im „Dritten Reich" blieb, und den Exilanten, die Deutschland verlassen mußten, demonstriert, daß die politischen Umstände sich auf die praktische Theaterarbeit bisweilen gar nicht auswirkten. Im Frühjahr 1933 lieferte Neher Bühnenbild und Kostüme für Die sieben Todsünden von Weill/Brecht (Savoy Theatre). Im Oktober, bei den Gastspielen des JESSNER-ENSEMBLES, den deutschsprachigen Aufführungen von Schillers Kabale und Liebe und Sudermanns Heimat (Duke of York's Theatre), stammte das Bühnenbild wiederum von ihm. 1936 entwarf Neher das Bühnenbild für Don Giovanni in Covent Garden; 1938 schuf er auf Einladung von Carl Ebert die Bühnenbilder für Verdis Macbeth bei den Glyndebourne Festspielen. Ein Bühnenbildner, der in England glänzende Karriere machte, war Hein Heckroth. Er hatte vor 1933 u. a. für das JOOSS-BALLETT gearbeitet. Über Paris kam Heckroth 1935 nach London, wo ihm Kurt Weill den Auftrag zur Ausstattung seines Musicals Der Kuhhandel (A Kingdom for a Cow) im Savoy Theatre vermittelte. Im gleichen Jahr bot sich ihm die Möglichkeit, eine Malschule in Dartington Hall (Devon) zu eröffnen. Hier hielt sich während der Exiljahre das JOOSS-BALLETT auf, mit dem er bald erneut zusammenarbeitete. Höhepunkte von Heckroths Schaffen im Exil waren die Arbeit für das Glyndeboume-Opernfestival (Don Giovanni 1935) und das Old Vic Theatre (.Rosalinda 1939). Unterbrochen wurde seine Arbeit durch die Internierung in Australien; nach ihrem Ende fand Heckroth jedoch schnell wieder Kontakt zum JOOSS-BALLETT wie zum Westend-Theater. Eine spektakuläre Anerkennung fand Heckroths Tätigkeit für den Film: 1949 wurde ihm für die Ausstattung von Red Shoes der Oscar verliehen. Für den Film Tales of Hoffmann erhielt er diese Auszeichnung sogar zum zweiten Mal. - Ähnlich erfolgreich wie Heckroth war auch der Österreicher Carl Josefovicz (Carl Joseph): Er war Bühnenbildner für Revuen, Musicals, Opern- und Ballettaufführungen. Anderen mißglückte die Integration. Das prominenteste Beispiel ist Leopold Jeßner. Vielleicht war er nicht mehr flexibel genug, um sich an das andersgeartete Theatersystem anzupassen, vielleicht war er auch zu anspruchsvoll. Das Gastspiel seines Tournee-Ensembles und sein einziger Film stießen jedenfalls auf ein nur mattes Echo. Eine selbständige Inszenierung scheiterte am Einspruch des Home Office. Wie Robert Klein wanderte auch Jeßner in die USA weiter. Filmkünstler in London Wie das Theater erlebt auch der britische Film in den dreißiger Jahren einen Ansturm deutscher Emigranten. Auch hier ist der Beginn der Entwicklung nicht auf das Jahr 1933 zu datieren. Die Ursprünge sind älter und resultierten im wesentlichen aus der Zusammenarbeit der internationalen Filmindustrie, insbesondere aus den Verbindungen, die sich aus der Beteiligung Hollywoods sowohl an der deutschen als auch an der britischen Filmindustrie ergaben. Englische Filmleute hatten während der zwanziger Jahre in Deutschland studiert, deutsche Filmleute waren nach England gekommen. Man kannte sich gegenseitig; der Klang der deutschen Sprache war in London vertraut. Koproduktionen etwa zwischen der Ufa und der Gaumont-British-Organisation waren an der Tagesordnung. In vielen Filmen war die Besetzung international; die Filme wurden außerdem häufig in mehreren 349

James Μ. Ritchie Sprachen gedreht. Der erfolgreichste deutsche Produzent in England während der dreißiger Jahre war Max Schach. Er gründete u.a. die Capitol Film Corporation. Zwischen 1935 und 1938 produzierte Schach 16 Filme, davon drei mit dem in England populären Richard Tauber. Schachs Unternehmen beendete freilich ein spektakulärer Bankrott. Erich Pommer, der nach Schach einflußreichste Produzent, lebte von 1935 bis 1940 in England, wo Korda und Hitchcock für ihn Filme drehten. Isadore Goldsmith und Fred Zelnik hatten bereits in Deutschland zusammengearbeitet. Ihre Filmgesellschaften hatten unter anderem Rudolf Bernauer und Fritz Kortner als Autoren und Paul Czinner und Karl Grüne als Regisseure unter Vertrag. Andere deutsche Produzenten hatten in England wenig oder gar keinen Erfolg. Einige von ihnen wichen in Nachbarbereiche aus. Georg Höllering, bekannt in Deutschland durch Brechts Kuhle Wampe, wurde Geschäftsführer der Film Traders Ltd., Theaterregisseur und Besitzer der Academy Cinemas, Oxford Street. Immerhin konnte er Dokumentarfilme für das Informationsministerium drehen. Lo Hardy führte eine Pension in London, wo sie deutsche Filmkünstler wie Lilli Palmer betreute. Max Mack und Carl Mayer führten Regie in nur einem Film (Be careful Mr. Smith, Union 1935). Mayer, der vor 1933 zusammen mit Paul Czinner viele Drehbücher verfaßt hatte, berühmt durch Filme wie Das Kabinett des Dr. Caligari und Der letzte Mann, arbeitete in England erneut an Bergner-Czinner-Filmen mit. Paul Rötha beriet er bei der Produktion von Dokumentarfilmen. Schwer krank gelang es ihm jedoch nicht, sich durchzusetzen. Er starb verarmt und isoliert nach zwölfjährigem Exil 1944. Leopold Jeßners britische Filmgesellschaft (Jesba Films) brachte nur einen Film heraus, Children of the Fog (1937). Er ist weniger wegen Jeßners Regie bemerkenswert als wegen der hervorragenden Kamera-Arbeit von Eugen Schüfftan und der Musik Josef Zmigrods (im Exil: Allan Gray). In allen Darstellungen der Filmgeschichte dieser Jahre wird die Verfilmung von Feuchtwangers Jud Süß hervorgehoben. In England besaß der deutsche Produzent Ludwig Blattner die Filmrechte, die er aber wegen Bankrotts an Gaumont British verkaufen mußte. Lothar Mendes wurde der Regisseur, Conrad Veidt spielte Joseph Oppenheimer, Paul Graetz Landauer. - Während die Bühnenbearbeitung von Ashley Dukes auf große Resonanz gestoßen war, wurde der Film kommerziell ein Mißerfolg. Ein weiterer Film mit jüdischer Thematik war The Wandering Jew (1934) mit Conrad Veidt. Der Produzent war Julius Hagen, ein Deutscher, der seit seiner Kindheit in England lebte. Pläne für eine Verfilmung von Feuchtwangers Geschwister Oppermann und Hugo Bettauers Stadt ohne Juden konnten nicht realisiert werden. Erst 1944 konnte ein Film wie Mr. Emmanuel gedreht werden. In ihm hatten Walter Rilla, Friedrich Richter, Maria Berger und Arnold Marie tragende Rollen. Der Film spielt im Jahre 1936 und schildert den Besuch eines alten jüdischen Mannes in Deutschland, um die Mutter eines jungen Flüchtlings zu finden. Diese hat jedoch inzwischen einen Nationalsozialisten geheiratet. Dem Film liegt der gleichnamige Roman des jüdischen Schriftstellers Louis Golding zugrunde. Julius Hagen war auch für ein Remake von D. W. Griffiths Broken Blossoms (1934) verantwortlich. Regie führte hier der exilierte Film- und Theaterregisseur Hans Brahm, Dolly Haas spielte die Rolle der Lucy Burrows. Die Kameraführung übernahm Curt Courant, und Karol Rathaus komponierte die Musik. Dieser Film wird in mancher Hinsicht der tatsächlichen Lage in NS-Deutschland in stärkerem Maße gerecht als andere in 350

Exiltheater in Großbritannien dieser Zeit in England entstandene Filme. Dolly Haas war ursprünglich aus Deutschland geholt worden, um eine Hosenrolle in Girls will be Boys (1934) zu spielen; 1936 ging sie nach Hollywood. Marlene Dietrich drehte nur einen Film in England: Knight Without Armour (1937), für Alexander Korda. Luise Rainer, von 1939 bis 1942 in England, spielte auf der Bühne in Behold the Bride (Shaftesbury Theatre 1939, 54 Vorstellungen). Fritz Kortner spielte in Karl Grünes Abdul the Damned (1935) die Hauptrolle, Nils Asther die Rolle des Kadar Pash und Walter Rilla den Hassan Bey. Die Vorlage stammte von Robert Neumann, das Drehbuch von Ashley Dukes. Hanns Eisler komponierte die Musik. Die Handlung dieses zeitgeschichtlichen Films war anspielungsreich, wie nicht nur die Times (3. März 1935) bemerkte. Das Pariser Tageblatt (30. August 1935) konstatierte, daß das „halbasiatische Blutregime eines manischen Tyrannen" ausgesprochen „heutig" anmute. Das Pariser Tageblatt richtete außerdem in recht unverhüllter Form den Vorwurf an die europäischen Regierungen, gegen derartige Diktaturen nicht einzugreifen: „Die Regierungsmethoden des ,Roten Sultans' sind inzwischen in einigen sogenannten .Kulturstaaten' heimisch geworden, und die Welt, die anno 1909 den Befreiungskampf der Jungtürken mit Spannung verfolgte, hat heute kaum noch Zeit, sich um das Schicksal jener Oppositioneller zu kümmern, die in den Diktaturländern mit Hilfe übelster Polizeitricks und einer feilen Justiz niedergeworfen werden." Die politische Aussage des Filmes nannte Hanns Eisler in einem Brief an Brecht „anständig", künstlerisch sei er nichtsdestoweniger „ein Schmarren". Aufgrund der Zensur und der Appeasement-Politik konnten bis 1939 keine eindeutig antifaschistischen Filme gedreht werden. Rudolf Bernauer ζ. B. durfte in den dreißiger Jahren für Max Schachs Capitol Films nur harmlos-unpolitische Filmstoffe entwerfen; erst nach Kriegsbeginn konnte er sich seinen politischen Überzeugungen gemäß bei Propagandasendern engagieren; daneben arbeitete er für den Geheimdienst. Die von Max Schach produzierten Filme waren künstlerisch und intellektuell in der Regel simpel strukturiert. Sie waren deshalb Anlaß zu einer berühmt-berüchtigten Rezension von Graham Greene. Greene, der die expressionistischen Meisterwerke von Mack und Mayer liebte, lobte daher einen Film wie The Robber Symphony (1936), der in England von Robert Wiene und Friedrich Feher gedreht wurde. Karl Grünes kitschiges Drama The Marriage of Corbal lehnte er dagegen ab: „Ein britischer Film? Ist das eine gerechte Bezeichnung für einen Film, der aus einem Roman von Rafael Sabatini stammt, mit Regie von Karl Grüne und F. Brunn, Kameraführung von Otto Kantorek, Redaktion von E. Stokvis, und mit einer Besetzung, die Nils Asther und Ernst Deutsch einschließt [...]? England bot Exilanten schon immer eine Heimat. Man darf aber zumindest den Wunsch äußern, daß sie in solche Berufe gehen, wo ihre Unkenntnis von Sprache und Kultur weniger wunderlich ist."7 Graham Greenes Ausbruch gegen die Exilanten blieb eine Ausnahme. Ohnehin konnten die meisten Kritiker nicht mehr unterscheiden, was „echt britisch" war und was nicht. So urteilte Basil Wright, ein maßgeblicher Kritiker, über Sturm im Wasserglas: 7

Graham Greene: The Pleasure Dome. The Collected Film Criticism 1935 -1940. Hrsg. von John Russell Taylor. London 1972, S. 78 f.

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James Μ. Ritchie „Sturm im Wasserglas [1937] ist das erste britische Lustspiel aus einem englischen Filmatelier [...], ein Film, der zum ersten Mal echt britisch ist."8 In der Tat - „echt britisch" war der Dialog von James Bridie; „echt britisch" waren Vivien Leigh und Rex Harrison. Der Text jedoch stammte von Bruno Frank, der Filmarchitekt war Andrej Andrejew, Kameramann der Deutsche Mutz Greenbaum. - Die Aufhebung nationaler Unterschiede für Kritiker und Publikum kann als ein deutlicher Beleg für die zumindest teilweise gelungene Integration deutscher Künstler in die britische Filmwelt gewertet werden. Sogar an einem Film wie Rhodes of Africa (1936), der klassischen Verherrlichung des britischen Imperialismus, wirkten deutsche Emigranten mit, denn Regie führten Berthold Viertel und Oscar Werndorff. Oscar Homolka spielte den Krüger. Die Exilkünstler haben möglicherweise zur Hebung des technischen Niveaus beigetragen, sie haben vielleicht auch Bewegung in die schläfrige britische Filmindustrie gebracht. In die Geschichte des britischen Films sind die meisten der genannten Filme jedoch nicht eingegangen. Conrad Veidt, Anton Walbrook - einige Namen von Darstellern und Darstellerinnen sind vielleicht noch bekannt. Die von Exilanten mitgestalteten „britischen" Filme dieser Jahre sind dagegen in Vergessenheit geraten. Exildramatik auf englischen Bühnen Antifaschistische deutsche Dramatik gab es auf den Londonder Westend-Bühnen zwischen 1933 und 1945 nicht. Hier dominierte die Unterhaltungsdramatik und, nicht zuletzt, die Operette. Es wurden von deutschen Librettisten verfaßte Operetten gespielt wie etwa Rudolf Bernauers Der tapfere Soldat („The Chocolate Soldier"); es wurden Operetten von emigrierten deutschen Regisseuren inszeniert wie The Flying Trapeze (Charell) oder Die Fledermaus (Bernauer). Stücke wie Wolfs Professor Mamlock oder Brechts Die Rundköpfe und die Spitzköpfe jedoch paßten nicht in das Programm. Abseits der Westend-Theater war das deutsche Theater allerdings sehr wohl bekannt. Die Naturalisten wie Max Halbe oder Sudermann wurden immer wieder aufgeführt, daneben auch Schnitzler, Werfel oder sogar Wedekind. Jeremias und Volpone von Stefan Zweig tauchten häufiger auf den Spielplänen auf. Sehr beliebt beim Theaterpublikum war der Kreidekreis von Klabund. 1939 wird sogar ein Stück von Gina Kaus, Prison Without Bars (Embassy Theatre), gespielt. Weitere Beispiele wären anzuführen. Für die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen gab es einen hervorragenden Vermittler zwischen den beiden Theaterkulturen - Ashley Dukes. Er übersetzte Georg Kaisers Von morgens bis mitternachts, und mit seiner Aufführung dieses exemplarischen Beispiels des deutschen Bühnen-Expressionismus zwang er die widerstrebende englische Kritik, sich mit dieser ungewohnten dramatischen Form auseinanderzusetzen. Dukes übersetzte auch Tollers Maschinenstürmer und Das Schwalbenbuch. Als Toller 1933 nach England kam, entdeckte er, daß er dank des enormen Erfolges von Dukes' Übersetzungen und Aufführungen berühmt geworden war. Zwar wurde Toller nie auf einer Westend-Bühne gespielt, dafür aber von kleineren Bühnen sowohl in der Metropole als auch in der Provinz: Hinkemann (1933, Gate Theatre, London), Masses & Man (1934, 8

Zitiert nach Kevin Gough-Yates: The British feature film as a European concern. Britain and the emigri filmmaker. In: Theatre and Film in Exile. German artists in Britain 1933 -1945. Hrsg. von Günter Berghaus. Oxford (u.a.) 1989, S. 140.

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Exiltheater in Großbritannien Birmingham und London), Miracle in America (1934, Gate Theatre, London), The Blind Goddess (1935, London und Manchester), Draw the Fires (ebenfalls London und Manchester), No More Peace (1934, Gate Theatre, London), Blind Man's Buff (Abbey Theatre, Dublin), Pastor Hall (1939, Manchester und Bradford). Dies sind nur einige der wichtigsten Aufführungen. Wiederum Ashley Dukes führte 1934 Hans Rothes Fassung von Shakespeares Komödie der Irrungen auf, 1935 Rothes Bearbeitung von Plautus In Such α World (Grafton Theatre), 1938 seine Ankunft bei Nacht (Globe Theatre). Noch größeren Erfolg hatte Dukes' Bearbeitung von Sternheims Die Marquise von Arcis (1935). Er veranlaßte Sternheim zu erwägen, vorübergehend nach London überzusiedeln. Daß Dukes darüber hinaus mit den neuesten Theaterexperimenten vertraut war, beweist seine Zusammenarbeit mit Piscator bei dessen berühmtem Tolstoi-Projekt. Während seines Exilaufenthalts in Paris hatte Piscator mit dem Impresario Gilbert Miller Kontakt aufgenommen und unter anderem eine Bearbeitung von Krieg und Frieden durch Alfred Neumann und Dukes vorgeschlagen. Auch Neumanns Patriot war von Dukes inszeniert worden. - Dukes arbeitete ein ganzes Jahr an dem Projekt, zur Aufführung (1943) gelangte allerdings eine von Robert Lucas erstellte Textfassung. In dieser englischsprachigen Inszenierung, die in Manchester, Blackpool und im Londoner Phoenix Theatre gezeigt wurde, traten Frederick Valk, Peter Illing und Henry Oskar auf. Bühnenbild und Kostüme stammten von Hein Heckroth, die Regie führte Julius Gellner. Ein Exildramatiker, der früh Kontakt mit dem englischen Theater aufnahm, war Walter Hasenclever. Er hatte in Oxford studiert, kannte also England gut. Von Frankreich, seinem Asylland, konnte er nach Belieben nach England hinüberfahren, um die Aufführung seiner Stücke zu betreiben. Schon 1933 war Mord in englischer Sprache im kleinen Globe Theatre gespielt worden; 1936 wurde im ebenso kleinen Arts Theatre Ehen werden im Himmel geschlossen in deutscher Sprache von englischen Schauspielern gegeben. Zusammen mit Hubert Griffith schrieb Hasenclever die „Ehekomödie" What should a husband do?, die im Winter Garden, New Brighton (Liverpool), zur Aufführung kam, es aber nicht zu einer Londoner Premiere brachte. Wichtiger war die bereits erwähnte Aufführung von Skandal in Assyrien, einem Stück, das sich im Gewand des biblischen Esther-Stoffes gegen die nationalsozialistische Rassenpolitik wandte. Regisseur war John Gielgud. Obwohl professionell inszeniert, konnte das Stück nur zweimal in geschlossener Aufführung im Rahmen des London International Theatre Club gegeben werden. Ein derartiges Stück galt während der Appeasement-Phase als anstößig. Hasenclever mußte seine Identität hinter einem Pseudonym (Axel Kjellström) verbergen. Während sich Hasenclever nur zeitweilig in England aufhielt, verbrachte Bruno Frank zwischen 1933 und 1937 die Wintermonate regelmäßig in London. Er war ein großer Liebling des englischen Publikums. Besonders sein Sturm im Wasserglas hatte ihm in den zwanziger Jahren die Herzen des englischen Publikums erobert. 1931 wurde sein historisches Drama Zwölftausend im Embassy Theatre aufgeführt, 1935 Nina mit Lucie Mannheim in der Titelrolle (Criterion Theatre, 183 Aufführungen). Ein ebenso großer Erfolg war Die junge Madame Conti mit Constance Cummings in der Titelrolle (1936, Savoy Theatre). In derselben Besetzung tourte das Stück in den USA. Bühnenbild und Kostüme stammten von Ernst Stern. Sturm im Wasserglas in der (schottischen) Bühnenbearbeitung von James Bridie aber überragte in bezug auf den Publikumsan353

James Μ. Ritchie klang alle anderen Stücke. Auf ausdrücklichen Wunsch von Edward VIII. wurde diese Fassung nach der Uraufführung in Edinburgh in London im Royalty, Haymarket und Garrick Theatre gespielt, insgesamt 432mal. Mit Sturm im Wasserglas ist nach der Zahl der Aufführungen nur noch Werfeis Jacobowsky und der Oberst zu vergleichen. Dieses Stück erreichte das Londoner Westend im Juni 1945, also nach Kriegsende. Im Picadilly Theatre spielte Michael Redgrave den Obersten Stjerbinsky, Karel Stepanek den Jacobowsky und Josef Almas den Offiziersburschen Szabuniewicz. Was das englische Publikum außerordentlich genoß, waren Massenspiele nach Art von Max Reinhardts Sumurun. Anfang 1934 kam Ludwig Berger nach England, ein Film- und Bühnenregisseur, der an den Theatern von Reinhardt und Jeßner gearbeitet hatte und sich einen Namen durch die Aufführungen von Opern Paul Kornfelds und von Dramen Carl Zuckmayers gemacht hatte. Im Londoner Coliseum inszenierte Berger mit 200 Mitwirkenden die musikalische Phantasie The Golden Toy von Zuckmayer, die 185 Aufführungen erlebte. Zuckmayer schrieb zu dieser Zeit Filmentwürfe für Korda. Brecht kam zweimal nach England, aber es ist ihm nicht gelungen, Anschluß an die britische Theaterwelt zu finden. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Er war ein zu politischer Autor; außerdem waren seine Stücke nicht in englischer Sprache erhältlich. Abgesehen vom FDKB kamen deshalb nur kleinere Szenen und Einakter zur Aufführung, so etwa Rechtsfindung 1934 und Die Gewehre der Frau Carrar (in englischer Sprache, Unity Theatre 1938). Erstaunlich ist die Aufführungsgeschichte von Hans Jose Rehfischs Die Affäre Dreyfus. Sie wurde von Gilbert Miller, einem Impresario, in die Wege geleitet. Miller wußte, daß James Agate, der führende Theaterkritiker Englands, ein glühender Verehrer Zolas war. Infolgedessen machte Miller Agate auf das Rehfisch-Stück aufmerksam. Agate ließ sich auf die langwierige Mühe ein, das Stück für die britische Bühne zu bearbeiten. Daß Agate, der gefürchtete Kritiker, ein Theaterstück schrieb, erregte Aufsehen. Das Resultat war, daß Vertreter aller führenden Zeitungen im Oktober 1937 bei der Premiere im kleinen Theater in Kew (London) anwesend waren. Musik- und Tanztheater Von den zahlreichen Komponisten, die in Großbritannien Asyl fanden, ist Mischa Spoliansky an erster Stelle zu nennen. Ihm ist eine zweite Karriere in fast allen Sparten des Theaterlebens seines Exillandes gelungen. Spoliansky, der in Deutschland als Komponist von Songs für Kabarett und Revue fast so berühmt war wie Friedrich Hollaender, hat in Großbritannien nach 1933 sofort Anschluß gefunden. Er erhielt eine Einladung nach England, um für die Gaumont British Film Company zu arbeiten. Er sollte bei der Synchronisation eines Filmes mitwirken, den die Ufa schon vor Machtantritt der Nationalsozialisten gedreht hatte: Heute nacht oder nie. Dieser Film hat Spoliansky als Filmkomponisten berühmt gemacht. Spoliansky ließ sich in London nieder und holte seine Familie nach. Insgesamt vertonte er wohl weit über hundert Filme. Viele dieser Filme waren Tagesarbeiten, aber einige davon wie Saunders of the River (1935) haben bleibenden Wert. Mit Who's Taking Liberty? hatte Spoliansky während der dreißiger Jahre auch einen Bühnenerfolg; es wurde 64mal im Whitehall Theatre gespielt. Bis in die vierziger Jahre arbeitete er er354

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folgreich für die Westend-Theater. Spoliansky schrieb Unterhaltungsmusik und war als Pianist, Arrangeur und Komponist tätig. Außerdem war er im Kampf gegen den Nationalsozialismus aktiv. Seine Songs für die Propagandaarbeit des deutschen Dienstes der BBC wurden von Karl Otten getextet und von Walter Rilla gesungen. Komponisten, deren während der Exiljahre geschaffene Arbeiten der Wiederentdekkung harren, sind Josef Zmigrod (Allan Gray), Bernhard Grün, Ernst Hermann Meyer und Georg Knepler. Josef Zmigrod, ein Schönberg-Schüler, der sich einen Namen in Max Reinhardts Deutschem Theater gemacht hatte, war u. a. auch als Komponist für verschiedene Berliner Kabaretts tätig gewesen. Unter dem Namen Allan Gray komponierte er für sechs politische Revuen des FDKB die Musik. Während der Exiljahre in Großbritannien schrieb er hauptsächlich Musik für Featurefilme; nach eigenen Angaben vertonte er über hundert Filme. Der Öffentlichkeit bekannt wurde er jedoch vor allem durch den Powell/ Pressburger Film The Life and Death of Colonel Blimp (1943), in dem Anton Walbrook und Carl Heinz Jaffe mitspielten. Ernst Hermann Meyer schrieb wie andere Kollegen Filmusiken, vor allem bahnbrechende Soundtracks für Dokumentarfilme wie North Sea (1936) und Guns or Butter (1940). Einen Namen in der Musikwissenschaft machte er sich durch seine Studien über die Instrumentalmusik des 16. und 17. Jahrhunderts, die 1946 unter dem Titel English Chamber Music erschienen. Meyer engagierte sich für die musikalische Arbeit des FDKB. Sein österreichischer Gegenpart war Georg Knepler. Der Vater Paul Knepler war in Großbritannien als Librettist von Lehärs Paganini bekannt. Vater und Sohn waren musikalisch verantwortlich für die österreichische Kleinkunstbühne DAS LATERNDL.

Bernhard Grüns Publikum war größer als das der FDKB-Revuen. Er komponierte Operetten, und sein Stil traf den Publikumsgeschmack dieser Jahre. Zusammen mit George Posford stellte er das Musical Balalaika zusammen. Es schlug bald alle Rekorde: 1936 lief es im His Majesty's Theatre 570mal und wurde 1939 als Film ein noch größerer Kassenerfolg. Drei Jahre später arbeitete Grün mit Richard Tauber zusammen an dem Musical Old Chelsea. Aufgrund der Theaterschließungen während des Krieges mußte das Stück abgesetzt werden; es wäre sicherlich noch erfolgreicher als Balalaika geworden. Im Bereich der Oper schätzte das englische Publikum Händel, noch mehr Richard Wagner, der immer wieder in Covent Garden aufgeführt wurde. Der Opernliebhaber John Christie wollte ein Opernhaus eigens für Wagneraufführungen in England bauen. Als sich dies - nicht nur aus finanziellen Gründen - nicht ermöglichen ließ, stellte er sein Landgut zu Glyndebourne als Spielstätte zur Verfügung. Christie gewann in den Jahren 1934 bis 1939 Fritz Busch und Carl Ebert für seine Pläne. Durch Ebert kamen dessen ehemaliger Assistent Rudolf Bing und der Dirigent Hans Oppenheim nach Glyndebourne, die vor 1933 an der Städtischen Oper in Berlin tätig gewesen waren. Was diese Gruppe in dem kleinen Theater auf dem Lande erreichte, kam einer Revolution der Opernproduktion und des Verständnisses vom Musiktheater in England gleich. Während bei den großen Wagneraufführungen von Sir Thomas Beecham in Covent Garden nur die Arien und nicht das Theatralische und Musikalische der Oper zählten, konzentrierte man sich in Glyndebourne insbesondere auf die theatralische Umsetzung der Musik. Beispielhaft für die Entwicklung des Musiktheaters 355

James Μ. Ritchie sollte werden, daß der Dirigent und der Regisseur Hand in Hand arbeiteten und gemeinsam die Inszenierung erstellten. Dies war zu dieser Zeit noch eine absolute Novität. Es dominierte die kleine Form, also Mozart - und zwar in deutscher Sprache! Verdis Macbeth (Bühnenbild Caspar Neher) wurde später aufgeführt, ebenso Donizetti. Bing wurde in Glyndebourne 1936 General Manager; Hans Oppenheim übernahm die Einstudierung der Solisten. Nahezu die gesamte administrative und künstlerische Leitung lag damit in den Händen von Exilanten. Als Fritz Busch versuchte, das Quartett seines Bruders Adolf Busch als Leitstimmen für die Streicher einzusetzen, protestierten die Gewerkschaften. Sie waren mit der „Überfremdung" des Kulturbetriebs nicht einverstanden. Ansonsten jedoch hielten sich die Ressentiments gegen die Konkurrenz vom Kontinent in Grenzen. Eng mit dem Schicksal des Musiktheaters ist auch das des Tanztheaters verbunden. Wie in der Oper hatte Großbritannien auch im Ballett keine eigene Tradition aufzuweisen. Das Interesse für das Ballett war jedoch vorhanden, und so traten in der Metropole London in den dreißiger Jahren viele Tanztruppen auf. Kurt Weill ζ. Β. brachte sein Ballett Die sieben Todsünden nach London (1933). Allerdings rief das Stück trotz des Mitwirkens von Lotte Lenya und des Bühnenbildes von Caspar Neher kein nennenswertes Echo hervor. 1932 hatte Kurt Jooß in Paris mit seinem Tanzdrama Der grüne Tisch den internationalen Wettbewerb für Choreographie gewonnen. Das Thema seines Stückes: Kriegshetze und Friedensverhandlungen, stieß allerdings auf strikte Ablehnung bei den neuen deutschen Machthabern. Als von Jooß verlangt wurde, die jüdischen Tänzer aus seiner Truppe zu entlassen, entschloß er sich, von einer Europatournee nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren. In einer Vorstellung im Savoy Theatre saß das Ehepaar Elmhirst unter den Zuschauern. Sie boten Jooß und seiner Truppe ein neues Zuhause in Dartington Hall in Devonshire an. 1934 kam Sigurd Leeder mit seinen Mitarbeitern und 23 Studenten von der Folkwangschule in Essen. Auch sie hatten die Einladung der Elmhirsts nach Dartington Hall angenommen. 1938 entdeckte Lisa Ulimann den großen Tanzmeister Rudolf von Laban verarmt im Exil in Paris. Auch er fand, jetzt sechzigjährig, in Dartington eine Wirkungsstätte. In kürzester Zeit hatte sich die Creme des deutschen Tanztheaters auf dem Lande in England weit weg von der Metropole konzentriert. Hinzu kamen Hans Oppenheim für die Musikschule und Hein Heckroth für die Malschule. Gropius hatte das kleine Barn-Theater umgebaut. Dartington war schon vor Jooß und Laban ein Begriff gewesen. Das JOOSS-BALLETT machte den kleinen Ort weltberühmt. Von Dartington aus wurden zwischen 1935 und 1938 Welttourneen unternommen. Bei Kriegsbeginn wurde Jooß interniert, 1940 das ganze Gebiet um Dartington wegen Invasionsgefahr gesperrt, so daß die Arbeit zunächst eingestellt werden mußte. - Nach Beendigung seiner Internierung inszenierte Jooß Die Zauberflöte und kurz darauf Die Hochzeit des Figaro für die Sadlers Wells Opera Company. Das JOOSS-BALLETT begann wieder zu arbeiten, jetzt mit Cambridge als Basis. Man gastierte nicht nur in London und in der Provinz, sondern gab auch Vorstellungen für die britischen Truppen. Zum Teil waren ihre Programme noch im expressionistischen Stil gehalten, aber zusammen mit neuen, in England geschaffenen Werken entstand ein Tanzrepertoire, das nicht nur die elitären Ballettkenner erreichte. 356

Exiltheater in Großbritannien Nach dem Krieg kehrte Jooß nach Deutschland zurück, sein Ruhm geriet in England in Vergessenheit. Die tanzpädagogischen Schriften Labans wirkten jedoch weiter. Sein Buch Modern Education Dance galt bald als grundlegend. Rudolf von Labans Einfluß reichte weit über das Exil hinaus, sogar noch auf Joan Littlewood und Ewan MacColl. Im Krieg hatte Labans Lehre indirekt auch gegen den Nationalsozialismus gewirkt: Seine Bewegungstheorien waren auf die Arbeit in den Munitionsfabriken übertragen worden. Die deutschsprachigen Bühnen während des Zweiten Weltkriegs a ) D i e KLEINE BÜHNE d e s F D K B

Ende 1938 wurde der Freie Deutsche Kulturbund (FDKB) ins Leben gerufen. Das Aushängeschild des FDKB waren prominente Künstler und Schriftsteller wie Alfred Kerr, Oskar Kokoschka, Berthold Viertel oder Stefan Zweig. Da den Emigranten in Großbritannien eine direkte politische Betätigung untersagt war, beschränkte man sich im FDKB auf rein kulturelle Aktivitäten. Daß insbesondere die Theatertätigkeit trotzdem einen politischen Anstrich erhielt, ergab sich aus den Zeitumständen.9 Im Dezember 1939 überließ die Church of England dem FDKB einige - und 1942 alle - Räume einer Villa in Hampstead. Dort richtete der FDKB sein „Klubhaus" ein, das zu einem Mittelpunkt der deutschen Emigration in England wurde. Ein Lesesaal, eine Kaffeestube, ein Restaurant „mit echt kontinentaler Küche" standen zur Verfügung. Ein Raum für Diskussions- und Leseveranstaltungen konnte auch für Theatervorstellungen genutzt werden. 1943 wurde dieser Raum erweitert, so daß eine Bühne entstand. Sehr bald bildete sich im Rahmen des FDKB eine Sektion für Schauspieler und 1944 eine Schauspielschule. Dem Lehrkörper der Schauspielschule gehörten hervorragende Kräfte an wie Josef Almas, Heinz W. Litten, Erich Neubürger, Charlotte Küter und Erich Freund. Vorrangig im Wirken des FDKB aber war die KLEINE BÜHNE, wie das Theater genannt wurde. Fritz Gottfurcht, Erich Freund und Annemarie Hase wurden zu künstlerischen Leitern gewählt, Heinz Litten war Regisseur und Karl Wollf und Gerhard Hinze künstlerische Berater. Sekretär war Siegfried Zimmering. Die Texte stammten von Egon Larsen, Fritz Gottfurcht u. a. Da die Aufführungen im geschlossenen Rahmen eines Klubs stattfanden, unterlagen sie nicht der Zensur. Angesichts der räumlichen Enge wurde kaum Theater, sondern zumeist Kabarett gespielt. Politisches Kabarett war in England weitgehend unbekannt. Erst nachdem die Bühne 1943 erweitert worden war, wurden verstärkt Theaterstücke ins Repertoire aufgenommen. Das Theater faßte zu dieser Zeit rund 110 Personen. Die erste FDKB-Veranstaltung trug den Titel Schaffende Emigration und fand am 15. Mai 1939 statt. In ihr kam u. a. die Brecht-Szene Der Spitzel unter der Regie von Heinrich Fischer zur Aufführung. Wichtiger jedoch war die große Revue Going, Going - Gong! der FOUR AND TWENTY BLACK SHEEP, wie sich das Ensemble nannte, im Arts Theatre. Die „schwarzen Schafe" waren nicht 24, sondern ca. 40 Theaterleute im Exil, die dem britischen Publikum mit Songs und Sketchen in englischer und deutscher Spra9

Zur Tätigkeit des FDKB vgl. Alan Clarke: Die Rolle des Theaters des „Freies Deutschen Kulturbundes in Großbritannien" im Kampf gegen den deutschen Faschismus (1938 - 1947). Ein Beitrag zur Untersuchung des deutschen antifaschistischen Exiltheaters. Phil. Diss. Humboldt-Univ., Berlin [DDR] 1972 (masch.).

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James Μ. Ritchie che klarmachen wollten, warum sie ihre Heimat hatten verlassen müssen. Die Veranstaltung war finanziell ein Desaster; sie hatte gezeigt, daß exilierte Theaterkünstler es sich nicht leisten konnten, eine Londoner Bühne zu mieten. Die folgenden Aufführungen des FDKB fanden daher wieder in Hampstead statt. Alle nachfolgenden Revuen waren dank des Könnens der Mitwirkenden und der Qualität der Texte, der Musik und der Bühnenbilder große Erfolge. Rund 5.000 Zuschauer haben die nächste Revue besucht, die u. a. eine Montage John Heartfields Hurrah, die Butter ist alle brachte. Programme mit Titeln wie What's in the News?, What the Stars Foretell, Hampstead wants to see you und Mr. Gulliver goes to School waren, trotz dieser englischen Titel, brillante deutsche Revuen nach berlinischem Muster, dargeboten von professionellen Schauspielern, die genau wußten, wie man die Ängste und Nöte eines Emigrantenpublikums anspricht. Die „Stars" waren Annemarie Hase und die 16jährige Tochter von Rudolf Bernauer, Agnes Bernelle. Im Wechsel mit den Revuen wurden Programme gespielt, die von Monty Jacobs bearbeitete Shakespeare-Szenen, Wedekind-Einakter u.a. enthielten. Die Arbeit der KLEINEN BÜHNE wurde nur durch die Internierung der Männer, den Bombenwinter von 1940/41 und den Kriegseinsatz unterbrochen - Bedingungen, die eine Theaterpause von Ende 1940 bis Anfang 1942 erzwangen. Besonders erfolgreich war die sechste Revue, Mr. Gulliver goes to School, die vom 28. November 1942 bis zum 27. März 1943 lief, vier- bis fünfmal wöchentlich mit Sondervorstellungen für den PEN-Club, Gastspielen im Austrian Centre und im BLUE DANUBE CLUB, Provinztourneen nach Leicester, Guildford usw. Während der langen Laufzeit wurde die Revue von mehr Zuschauern als jedes andere Theaterprogramm der Emigration im britischen Exil gesehen. - Thematisch knüpfte die Revue an einen Text an, der dem englischen Publikum bekannt war. Sie übertrug jedoch diese Fabel auf die Gegenwart: „Nach seinen Reisen zu den Zwergen und den Riesen verläßt Gulliver das 18. Jahrhundert, um eine Fahrt in die Zukunft, unsere Zeit, zu unternehmen, wo er die aufregendsten Abenteuer erfährt. Von Lloyds Kaffeehaus 1720 reist er durch Raum und Zeit zum Hotel Adlon in Berlin, Bürger-Auskunfts-Büro, der Emigrantenschule in Hampstead, einer Farm in Nazideutschland und zur ,Sieges-Bar'. Er trifft auf das ,Herrenvolk', den St. Bernhards Hund Continentalis, die Fremdarbeiter im .Dritten Reich' und seine Kollegen aus dem Märchenland."10 Im Mai 1943, am Jahrestag der Bücherverbrennung, fand im Londoner Scala Theatre eine Feier statt, bei der Szenen aus der Schlacht um Moskau von Johannes R. Becher gespielt wurden. Ende 1943 wurde der Theatersaal der KLEINEN BÜHNE völlig umgebaut. Er faßte jetzt bequem 110 Personen. Anfang Januar 1944 wurde die neue Spielstätte mit der politisch-satirischen Revue My Goodness - My Alibi eröffnet. Dies sollte die letzte der FDKB-Revuen sein. Als Sonderveranstaltung wurde am 2. April 1944 in dem Theater der Universität des East End, der Toynbee Hall, Goethes Iphigenie von Tauris aufgeführt. Es folgten in der KLEINEN BÜHNE Kleists Amphitryon, Priestleys Sie kamen in eine Stadt („They Came to a City") in einer deutschen Fassung von Lutz Weltmann, Sternheims Die Hose, drei Grotesken von Curt Goetz und Oscar Wildes Bunbury. Nach dieser Aufführung im März 1946 löste sich das Ensemble der KLEINEN BÜHNE auf. 10

In: Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur, Nachlaß Erich W. Freund - H. W. Litten.

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Exiltheater in Großbritannien b ) DAS LATERNDL

Am 16. März 1939 wurde in Paddington im Nordwesten Londons unter der Ehrenpräsidentschaft von Sigmund Freud das erste Klubhaus des Austrian Centre eröffnet. 11 Fünf Jahre später konnte Georg Knepler in einer Broschüre berichten, was das Centre zur Pflege der österreichischen Kultur beigetragen habe: Der Austrian Musical Circle hatte rund 50 Konzerte veranstaltet; die Kleinkunstbühne DAS LATERNDL hatte 23 Programme zur Aufführung gebracht; der hauseigene Verlag Free Austrian Books hatte 50.000 Exemplare von Büchern, Broschüren und Flugschriften in englischer Sprache sowie 19.000 in deutscher aufgelegt. Das Centre hatte sich mit 3.500 Mitgliedern, über 70 Angestellten und einem Jahresumsatz von 46.000 Pfd. zu einem Großbetrieb entwickelt. Von Anfang an hatte das Theater eine führende Rolle gespielt. Schon im März 1939 wurde auf Initiative der Schauspieler Fritz Schrecker, Franz Hard (Franz Bönsch) und Franz Schulz eine österreichische Exilbühne in der Tradition der Wiener Kleinkunsttheater gegründet. Das Theater, für das der österreichische PEN-Club das Patronat übernahm, erhielt den Namen DAS LATERNDL. Der Name war bezeichnend gewählt, diese Bühne sollte „Licht in diesen dunklen Tagen spenden". DAS LATERNDL war ein „Klubtheater", das sich - so eine programmatische Erklärung - die Aufgaben stellte: am Kampf für ein unabhängiges und freies Österreich teilzunehmen; der österreichischen Literatur - und besonders der dramatischen - eine „bescheidene Heimstätte" zu schaffen; den Tausenden Emigranten Glaube und Hoffnung in die Gegenwart und Zukunft zu geben. 12 Das Austrian Centre stellte dem Theater in seinem Haus in Westbourne Terrace zwei große Zimmer zur Verfügung. Mit einem Durchbruch wurde Platz für 60 bis 70 Zuschauer geschaffen. Die Eröffnung fand am 27. Juni 1939 statt. Insgesamt wurden in den nächsten Jahren 38 Programme geboten. Dabei alternierten die eigentlichen Theater- bzw. Kleinkunstprogramme regelmäßig mit Lesungen, Vorträgen oder musikalischen Darbietungen. Die Programme hatten eine Laufzeit von mehreren Wochen, manchmal sogar von Monaten. Der eigentlichen Eröffnung ging am 24. Mai 1939 eine Veranstaltung „Ewiges Österreich" in der Londoner Armitage Hall voraus. Mitwirkende waren u. a. Peter Ihle, Fritz Schrecker, Richard Duschinsky und Martin Miller. Diese Schauspieler waren nicht nur für DAS LATERNDL, sondern auch für das Londoner Westend-Theater tätig. Die meisten Texte stammten von Hugo Königsgarten und Rudolf Spitz: Autoren, die bereits in Wien für den LIEBEN AUGUSTIN, die LITERATUR AM NASCHMARKT, das ABC und andere Bühnen gearbeitet hatten. Die Times faßte ihren Eindruck in einer Rezension vom 28. Juni 1939 zusammen, in der deutlich Respekt, aber auch Verwunderung über den Darstellungsstil zum Ausdruck kommen: „Die größtenteils in deutscher Sprache gebotenen, meist politischen Sketche haben einen Anstrich von Bitternis des Exils. Die anspruchsvollste Szene spielt in einem englischen Registrierungsbüro (Bow Street), wo der Ewige Revolutionär, das EwigWeibliche und der Ewige Jude vor dem Richter Menschenverstand, dem General Vorurteil und der Frau Barmherzigkeit stehen." 11

12

Zur Geschichte des Austrian Centre und des LATERNDL vgl. Erna Wipplinger: Österreichisches Exiltheater in Großbritannien (1938 bis 1945). Phil. Diss. Wien 1984 (masch.). Vgl. ebenda, S. 84.

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James Μ. Ritchie Das erste Programm mit sechs Sketchen und drei Liedern wurde 60mal bei vollem Haus gespielt. Bei der Premiere waren H. G. Wells, J. B. Priestley, Stefan Zweig und Robert Neumann anwesend. - Nachdem die Spielstätte in Westbourne Terrace von der Stadtgemeinde geschlossen worden war, mietete DAS LATERNDL ein ehemaliges Konzertstudio in Hampstead. Dank der Regie von Martin Miller, der musikalischen Leitung von Paul und Georg Knepler und der Texte von Albert Fuchs erlebte DAS LATERNDL hier einen noch größeren Erfolg. Berühmt wurde Martin Millers Hitlerparodie aus diesem Programm, die im Radio und im Film wiederholt wurde: „Parteigenossen, Männer und Frauen des deutschen Reichstags, als im Jahre 1492 der Spanier Christoph Columbus, gestützt auf die Erfahrungen deutscher Gelehrter und unterstützt von deutschen Apparaten und Instrumenten, seine nunmehr bekanntgewordene Fahrt über den weiten Ozean unternahm, konnte kein Zweifel darüber bestehen, daß bei einem Gelingen dieses gewiß gewagten Unternehmens, Deutschland teilhaben müßte an den Errungenschaften, die Geschichte Amerikas vor Ihnen zu entwickeln, aber seien Sie versichert, daß diese Geschichte mich schon zu einem Zeitpunkt interessiert hat, da ich als unbekannter Architekt in Wien die Werke des Dichters Karl May studiert habe. Studiert habe von meinem persönlichen Standpunkt und darüber hinaus vom Standpunkt des deutschen Volkes. (Rufe: Wir danken unserm Führer!)"13 Weitere Programme folgten. Besonders hervorzuheben ist, daß das Theater schon 1940 unter dem Titel „Kleines Welttheater" drei Stücke von Jura Soyfer aufführte, und zwar Der Lechner Edi schaut ins Paradies, Vineta und Der treuste Bürger Bagdads. Laut Verfügung der britischen Regierung mußten im Herbst 1940 alle Theater- und Kinounternehmen schließen, so auch DAS LATERNDL. Diese Pause dauerte drei Monate. Trotz der beginnenden Internierung eines Teils der Schauspieler und des Publikums wurden nach dieser Pause noch Haseks Schweijk, Brechts Dreigroschenoper und Zuckmayers Hauptmann von Köpenick gegeben. Die zweite erzwungene Pause dauerte länger. DAS LATERNDL konnte seine Arbeit erst nach fünfzehn Monaten wieder aufnehmen, und zwar in einem anderen Haus (mit ca. 100 Sitzplätzen). Für das erste Programm nach der Pause (Oktober 1941), das sechste insgesamt, schrieb Hugo Königsgarten den Sketch Sodoms Ende, der den Emigrantenalltag realistisch darstellte. Zusammen mit dem Sketch Brennende Erde von Franz Hartl (Bönsch) aus dem neunten Programm führte Sodoms Ende zu einer heftigen Kontroverse in der Londoner Exilpresse. Im österreichischen Zeitspiegel wurde Hartls Sketch über den Kampf der russischen Partisanen gegen die deutschen Okkupanten gelobt, in der deutschen Zeitung dagegen schrieb Monty Jacobs eine vernichtende Kritik. Seiner Auffassung von der Aufgabe des Exiltheaters als reinem „Unterhaltungstheater" widersetzten sich Oskar Kokoschka und Robert Neumann. Nach zahlreichen Meinungsäußerungen und Leserbriefen kam man im Zeitspiegel zu dem Schluß, daß „Exiltheater aktuell und realistisch den Emigrantenalltag und Geschehnisse der Zeit zu gestalten habe". 14 Anläßlich des Todes von Stefan Zweig fand eine Sondervorstellung von Volpone statt. Mit Besserung der Kriegslage wandelte sich das Bild des Theaterprogramms. Ab Mitte 1942 wurden andere Schwerpunkte gesetzt: einerseits großes österreichisches Theater, andererseits Lustspiele mit Unterhaltungscharakter; einerseits Schnitzlers Wie13 14

Vgl.: Reinhard Hippen: Satire gegen Hitler. Kabarett im Exil. Zürich 1986, S. 137. Zitiert bei Wipplinger, a.a.O. S. 118.

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Exiltheater in Großbritannien ner Miniaturen und Professor Bernhardt, andererseits Nestroy, Curt Goetz und Wildgans. Das achtunddreißigste und letzte Programm brachte Schönherrs Weibsteufel. Während der gesamten Zeit des Bestehens blieben Aufführungen von Jura Soyfer ein fester Bestandteil des Repertoires. Ebenso wurden die ursprünglichen politischen Intentionen des Austrian Centre niemals gänzlich aufgegeben. So brachte das zweiundzwanzigste Programm das Schauspiel Professor Polezhayew von L. Rachmanow in der Bühnenbearbeitung von Rudolf Spitz (Regie Paul Lewitt). Arnold Marie spielte die Titelrolle. c) D i e ÖSTERREICHISCHE BÜHNE und DIE BLAUE DONAU

Trotz der weitreichenden Aktivitäten des Austrian Centre und des LATERNDL rief Arthur Hellmer, der in der Weimarer Republik als Direktor des Neuen Theaters in Frankfurt a. M. mit Klassikerinszenierungen und Expressionisten-Aufführungen bekannt geworden war, mit Hilfe der britischen Behörden eine ÖSTERREICHISCHE BÜHNE ins Leben, die ebenfalls als Zentrum deutschsprachigen Theaters gedacht war. 15 Die ÖSTERREICHISCHE BÜHNE sollte samstags und sonntags in der Stern Hall (Seymour Place, 300 Plätze) unter der Direktion von Julius Hahlo und Hein Heckroth mit Hellmer als Regisseur spielen. Sie brachte es nur zu drei Aufführungen in drei Monaten: Lessings Nathan der Weise, Friedrich Wolfs Professor Mamlock und das Lustspiel Die unentschuldigte Stunde von Bekessy/Stella wurden inszeniert. In der Londoner Zeitung vom 25. Februar 1942 besprach Monty Jacobs die Eröffnungspremiere in einem hoffnungsvollen Bericht. Professor Mamlock wurde sogar im Spectator vom 20. März 1942 von Basil Wright ausführlich und positiv besprochen. Dagegen wurde Die unentschuldigte Stunde von der Kritik überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Nach Hans-Christof Wächter wurde die ÖSTERREICHISCHE BÜHNE im Mai 1942 bereits wieder aufgelöst, um sich, zusammen mit dem Ensemble des FDKB, als LESSINGBÜHNE neu zu konstituieren. Offenbar konnte aber auch diese Bühne aufgrund finanzieller Schwierigkeiten nicht lange bestehen. Immerhin war es Arthur Hellmer gelungen, Friedrich Wolfs Mamlock auf die Bühne zu bringen. Robert Klein hatte Bruckners Rassen, das Pendant zum Mamlock - allerdings während der Appeasement-Phase - , nicht inszenieren können. Der Versuch, ein Theater für ernste dramatische Kunst in deutscher Sprache mit Erfolg zu führen, war gescheitert. Der Theatervirtuose Peter Herz bewies, daß das Londoner Publikum dem anspruchsvollen Theater ablehnend gegenüberstand, der leichten Muse jedoch Sympathien entgegenbrachte.16 Bei Kriegsbeginn war Herz wie viele andere interniert worden. Im Internierungslager Hutchinson Camp gründete er das STACHELDRAHT-KABARETT. Nach der Entlassung eröffnete er zuerst unter dem Namen BLUE DANUBE im kleinen Souterrainlokal des Cafe Balsam auf der Finchley Road ein Theater; dann gelang es ihm, in der Nähe zuerst den ehemaligen Konzertsaal eines dortigen Konservatoriums, später das ganze Gebäude zu mieten. Hier wurde fast 15 Jahre 15 16

Zur ÖSTERREICHISCHEN BÜHNE vgl. Wipplinger, a.a.O., S. 188 - 193. Vgl. Peter Herz: Die Kleinkunstbühne BLUE DANUBE in London 1939 - 1954. In: Österreicher im Exil. Protokoll des Internationalen Symposiums zur Erforschung des österreichischen Exils von 1934 bis 1945. Hrsg. vom Dokumentatioasarchiv des österreichischen Widerstandes und der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur. Wien 1977.

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James Μ. Ritchie lang bei stets ausverkauftem Haus gespielt - allerdings bot der Zuschauerraum nur 150 Plätze. Sämtliche Programme - ca. zwei bis drei pro Jahr - verfaßte Peter Herz selbst, der auch als Conf6rencier und Hauptdarsteller auftrat. Daß eine Londoner Kleinkunstbühne auch finanziell reüssieren konnte, hatte Herz seinem theatererfahrenen Kollegen Heinz Saitenburg zu verdanken, der die Verwaltungsarbeit übernahm. Saitenburg war Theaterdirektor in Berlin gewesen, verantwortlich für das Deutsche Künstlertheater und auch für das Theater am Kurfürstendamm. Nach einer Erklärung von Herz aus dem Jahre 1975 rührte die besondere Zugkraft des BLUE DANUBE daher, daß das Programm die „schärfste Antinazitendenz, unerbittlichen Kampf gegen Hitlerismus und Widerstand gegen Nazitum" aufwies.17 Verschiedene weitere Londoner Kleinkunstbühnen bestanden kürzere oder längere Zeit, auch außerhalb Londons gab es mehrere regionale Jugend- und Laientruppen. Die Spieltruppe des Oxforder Refugee Youth Movement etwa brachte Die Abreise - Acht Variationen über ein Thema von Hugo Königsgarten zur Aufführung, die Spielgruppe des Young Austria trat in London 1945 mit einer Festaufführung von Jura Soyfers Vineta in englischer Sprache auf, nachdem sie schon Nestroy, Raimund und verschiedene Revuen gespielt hatte. Ρem's Private Bulletins berichtet auch von einer Wanderbühne, die deutsches Theater für englische Schulen zeigte. U. a. wurden hier Eichendorffs Freier und Lessings Minna von Barnhelm (mit Annemarie Hase, Regisseur Carl Heinz Jaffe) gespielt. Der deutsche und österreichische Dienst der BBC Im deutschsprachigen Propaganda-Service der BBC fanden rund fünfzig Schauspieler Arbeit als Sprecher. Neben den Nachrichten und politischen Kommentaren zur Lage waren es die Sendereihen, die in den Kriegsjahren deutschsprachige Hörer in Europa dazu bewogen, den „Londoner Rundfunk" einzuschalten. Im September 1940 begann die Sendereihe Briefe des Gefreiten Hirnschal. Verfasser war Robert Lucas, Sprecher Fritz Schrecker, Regisseur Julius Gellner. Nach Kriegsende erfuhr die BBC, daß Hirnschal eine fast schon legendäre Gestalt geworden war. Ahnlich erging es der BBC mit Frau Wernicke im Frauenprogramm des Deutschen Dienstes. Der Autor war Bruno Adler, die Sprecherin Annemarie Hase. Zwei weitere fiktive Figuren, die den deutschen Hörern ein Begriff wurden, waren Kurt und Willi. Diese Dialoge wurden von Peter Illing (Willi) und Fritz Wendhausen (Kurt) gesprochen; Dialogregisseur war auch hier Julius Gellner. „Einer der wirksamsten Sprecher des Deutschen Dienstes war der Führer", so Martin Esslin, der die Sendung Hitler gegen Hitler entwickelte. Esslin, der durch seine Arbeit im BBC-Archiv sämtliche Hitlerreden auswendig gelernt hatte, kam auf die glänzende Idee, Hitlers Versprechungen aus früheren Reden zu zitieren: ein durchschlagender Propagandaerfolg angesichts der allmählichen Wende des Krieges zugunsten der Alliierten. - Sehr wichtig im Propagandakrieg waren auch sog. „Features". Ende 1940 wurde eine Programmredaktion geschaffen, die speziell für solche dramatisierten Hörfolgen zuständig war. „Vormarsch der Freiheit" (nach dem amerikanischen Vorbild „The March of Time") nannte sich das erste große Feature. Leiter der Redaktion war Walter Rilla. Karl Otten zählte zu seinen engsten Mitarbeitern. 17

Ebenda.

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Exiltheater in Großbritannien Karl Otten lieferte auch für kabarettistische Sendungen Beiträge in Form von Sketchen und Songtexten, die von Mischa Spoliansky vertont und von Walter Rilla gesungen wurden. Der Deutsche Dienst in London bot außerdem das, was man im deutschen Rundfunk vergeblich suchte: Swing. In der 1942 gestarteten Sendereihe „Aus der freien Welt" wurden Tanzorchester live vorgestellt, und Lucie Mannheim sang zu bekannten Melodien Texte wie: „Der Führer ist ein Schinder, das sehn wir hier genau, zu Waisen macht er Kinder, zur Witwe jede Frau; und wer an allem schuld ist, den will ich an der Laterne sehn."18 Ohne die rege Beteiligung der Emigranten wäre der Deutsche Dienst der BBC, das entscheidende Medium zur antinationalsozialistischen Propaganda, kaum denkbar gewesen. Rückkehr oder Verbleib in Großbritannien? Bei der Rückkehr nach Deutschland bzw. nach Österreich waren die Exilierten in den ersten Nachkriegsjahren voll und ganz auf die Unterstützung durch die alliierten Besatzungsmächte angewiesen. Ohne deren Hilfe waren die Einreisebeschränkungen, die die Militäradministration über Deutschland ebenso wie über Österreich verhängt hatte und die auch für die Emigranten galten, nicht zu überwinden. Die Antwort auf die Frage, ob man überhaupt zurückkehren oder nicht vielmehr in England bleiben sollte, hing vom Alter, der politischen Orientierung und, nicht zuletzt, vom Grad der Integration im Gastland ab. Für Angehörige der älteren Generation wie Kerr, Ernst Stern oder Rudolf Bernauer kam ohnehin nur der Verbleib in England in Frage. Ihre Familien waren in England mittlerweile fest verwurzelt; ein erneuter Wechsel war unter diesen Umständen weder erwünscht noch zweckmäßig. Das Schloß einen vorübergehenden Besuch in Deutschland nicht aus, so bei Kerr, der auf einer solchen Besuchsreise verstarb. Andere dagegen sahen in der Rückkehr nach Deutschland eine Chance: Arthur Hellmer ζ. B. stellte sich der britischen Militärverwaltung zur Verfügung und wurde mit ihrer Unterstützung Intendant des Hamburger Schauspielhauses. Kommunistische Theaterkünstler wie Heinz Wolfgang Litten, Friedrich Richter, Amy Frank, Erich Freund oder Annemarie Hase kehrten aus politischen Gründen in die Sowjetische Besatzungszone zurück, was um so erstaunlicher ist, als sie in den Westend-Theatern inzwischen Karriere gemacht hatten. Andere, die ebenfalls inzwischen Stars des Westend-Theaters geworden waren: Frederick Valk, Anton Walbrook, Gerhard Hinze, Martin Miller, Lilly Kann, entschieden sich für den Verbleib in England. Nur gelegentlich kehrte der eine oder andere von ihnen zu Gastspielen nach Deutschland zurück. Der in der Tschechoslowakei geborene Julius Gellner blieb ebenfalls. Er war zeitweilig Direktor des Londoner Mermaid Theatre und auch der israelischen Habima. Eine herausragende Karriere als Regisseur machte in der Bundesrepublik Jahrzehnte später ein junger Emigrant, der auf englischen Bühnen und in der Schauspielerschule des FDKB debütiert hatte: Peter Zadek. 18

Das Deutsche Programm der BBC 1938 - 1988. London 1988, S. 18.

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James Μ. Ritchie

Mehrere prominente Schauspieler und Schauspielerinnen, so Lucie Mannheim und Sybille Binder, verließen England nach Gründung der Bundesrepublik, als die bisherigen Paß- und Einreisebeschränkungen fortgefallen waren. Sie alle feierten im Nachkriegstheater Erfolge - zumeist jedoch nur bei gelegentlichen Gastspielen und an der Peripherie. Eine bleibende bzw. stilbildende Wirkung ging von ihnen nicht aus. Die breite und facettenreiche Tätigkeit deutschsprachiger Theaterkünstler in England blieb auf diese Weise weitgehend folgenlos - eine Tatsache, die sicherlich auf ihre Weise die Besonderheit der Theatersituation in England unterstreicht. Literatur Alan Clarke: Die Rolle des Theaters des „Freien Deutschen Kulturbundes in Großbritannien" im Kampf gegen den deutschen Faschismus (1938 - 1947). Ein Beitrag zur Untersuchung des deutschen antifaschistischen Exiltheaters. Phil. Diss. HumboldtUniv., Berlin [DDR] 1972 (masch.). Exil in der Tschechoslowakei, in Großbritannien, Skandinavien und Palästina. Ludwig Hoffmann u. a. 2. erw. Aufl. Leipzig 1987 (= Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933 -1945, Bd. 5). Arndt Feinberg: DAS LATERNDL in London, 1939 - 1945. In: German Life and Letters, Oxford. 37. Jg. 1984, S. 211 - 217. Kevin Gough-Yates: Jews and Exiles in British Cinema. In: Leo Baeck Institute Yearbook, 37.1992, S. 517 - 541. Kunst im Exil in Großbritannien 1933 - 1945. Ausstellungskatalog der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst Berlin. Berlin 1986. Egon Larsen: Deutsches Theater in London 1933 - 1945. Ein unbekanntes Kapitel Kulturgeschichte. In: Deutsche Rundschau, 83. Jg. 1957, S. 378 - 383. Paul Marcus [d.i. P.E.M.]: Stage and Film. In: Britain's New Citizens. The Story of the Refugees from Germany and Austria. London 1951, S. 55 - 57. Österreicher im Exil. Großbritannien 1938 - 1945. Hrsg. von Wolfgang Muchitsch. Wien 1992. Conrad Pütter: Rundfunk im Widerstand. Eine Dokumentation deutschsprachiger Rundfunkaktivitäten des Auslands und des Exils. München 1985. Michael Seyfert: Im Niemandsland. Deutsche Exilliteratur in britischer Internierung. Ein unbekanntes Kapitel des Zweiten Weltkrieges. Berlin 1984. Theatre and Film in Exile. German Artists in Britain, 1933 - 1945. Ed. by Günter Berghaus. Oxford/New York/München 1989. Erna Wipplinger: Österreichisches Exiltheater in Großbritannien (1938 bis 1945). Phil. Diss. Wien 1984 (masch.). Archive Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin, Nachlaß Annemarie Hase, Sammlung Theater in GB Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur, Nachlaß Erich W. Freund - H. W. Litten

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Frithjof Trapp

Eine Schule für Schauspiel- und Musiktheater in der Türkei Zwischenstaatliche Hilfe und innertürkische Reformkonzeptionen In Darstellungen zur Geschichte des deutschen Exils nach 1933 findet in bezug auf die Türkei vor allem die Wissenschaftsemigration Erwähnung. Hier waren neben vielen anderen die Wirtschaftswissenschaftler Fritz Baade und Fritz Neumark tätig, die Romanisten Leo Spitzer und Erich Auerbach sowie - als Regierungsberater und Professor für Städtebau und Stadtplanung - der ehemalige Magdeburger Oberbürgermeister Ernst Reuter. Die Tätigkeit deutscher Theaterkünstler an der Staatlichen Kunsthochschule in Ankara, dem „Devlet Konservatuari", wird dagegen zumeist nur am Rande vermerkt. Richtig ist, daß die Zahl der hier Beschäftigten klein war. Mit ihrer Arbeit übten sie jedoch einen maßgeblichen Einfluß auf die Entwicklung des türkischen Schauspiel- und Musiktheaters aus. Die Tätigkeit deutscher Wissenschaftler an türkischen Hochschulen war ein Teil des innertürkischen Reformprogramms, das von Kemal Atatürk nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches in die Wege geleitet worden war. Ziel dieses Programms war die Modernisierung der Türkei nach dem Vorbild westeuropäischer Staaten. Daß dabei die Neugestaltung der natur-, wirtschafts- und verwaltungswissenschaftlichen Ausbildung Priorität hatte, bedarf keiner besonderen Erklärung. Von Beginn an war auch die Einbeziehung der künstlerischen Ausbildung und die Gründung eines an Westeuropa orientierten Musik- und Theaterwesens geplant. Dabei stand der türkischen Regierung die Errichtung einer Kunsthochschule nach deutschem Vorbild vor Augen sowie der Aufbau von Orchestern und Theatern. Mit der Umsetzung dieser Pläne wurde bereits während der zwanziger Jahre begonnen, die tatsächliche Realisierung aber erfolgte aus politischen wie finanziellen Gründen im wesentlichen erst während der dreißiger und vierziger Jahre. Ein derartig umfassendes Reformprogramm, wie es die Regierung plante, konnte verständlicherweise nicht aus eigener Kraft verwirklicht werden. Zur Umsetzung wurde sowohl finanzielle als auch konzeptionelle Unterstützung benötigt. Die Türkei bat deshalb befreundete westeuropäische Regierungen, darunter auch Deutschland, um Beratung und Hilfe, vor allem auch um die Vermittlung geeigneter Fachkräfte, die vor Ort als Leiter der neu zu errichtenden Institutionen, als Professoren an den Universitäten bzw. als Regierungsberater die gewünschten Reformkonzepte entwickeln und ggfs. auch praktisch in Angriff nehmen sollten. In der Anfangsphase der Reform konzentrierte sich die Kooperation zwischen der Türkei und dem Deutschen Reich auf die medizinische und die agrarwissenschaftliche Ausbildung. Die Berufung geeigneter Wissenschaftler und Berater wurde dabei in der Regel erst durch politische und z.T. auch finanzielle Hilfe von Seiten der deutschen Regierung möglich. Die Gründe, weshalb die türkische Regierung die erforderlichen Maßnahmen nicht allein in die Wege leiten konnte, lagen in der Situation. Einer erfolgreichen Berufung von qualifizierten Fachleuten und Beratern standen zum einen die begrenzten finanziel365

Frithjof Trapp len Angebote entgegen, die die Türkei offerieren konnte, vor allem aber auch sprachliche wie kulturelle Probleme. Die Türkei war zu dieser Zeit noch ein weitgehend islamisch geprägtes Land, und Fremdsprachenkenntnisse waren außerhalb der Universitäten nicht vorhanden. Unter solchen Umständen waren Dauerstellungen wenig erstrebenswert. Geeignete, fachlich versierte Wissenschaftler waren allenfalls bereit, aufgrund von Delegierung oder zeitweiliger Beurlaubung eine Tätigkeit in der Türkei zu übernehmen. Diese Situation änderte sich grundlegend nach der Entlassung jüdischer und politisch inkriminierter Hochschullehrer in Deutschland. Angesichts der geringen Chancen auf einen Ruf an eine nichtdeutsche Universität stiegen die Aussichten der türkischen Regierung beträchtlich, auch prominente Wissenschaftler für eine Tätigkeit in der Türkei zu gewinnen. Plötzlich war die Türkei zu einem begehrten Aufnahmeland geworden. In Anbetracht dieser Situation modifizierte die türkische Regierung ihr Vorgehen. Hatten bislang zwischenstaatliche Kontakte im Vordergrund gestanden, da nur auf diesem Wege die beamtenrechtlichen bzw. finanziellen Hindernisse, an denen Berufungen zu scheitern drohten, aus dem Wege geräumt werden konnten, so nahmen die türkischen Behörden von jetzt an immer häufiger die Auswahl der Kandidaten selbst in die Hand. Sie wandten sich entweder an die Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland oder direkt an geeignete Persönlichkeiten. Damit ging der Einfluß der deutschen Regierung auf die türkische Reformpolitik zurück. Die Machtbasis der deutschen Regierung wurde damit allerdings keineswegs beseitigt. Das lag an den politischen Gegebenheiten. Nach wie vor war das „Dritte Reich" für die Türkei ein wichtiger und geschätzter Partner, und es entsprach dem ureigensten Interesse der Türkei, diese freundschaftlichen Beziehungen weiterhin zu pflegen. Umgekehrt gab es für die deutsche Regierung gute Gründe, den Tatbestand nicht allzusehr ins Bewußtsein der türkischen Öffentlichkeit zu heben, daß die Neuberufenen zuvor in Deutschland unter erniedrigenden Umständen gezwungen gewesen waren, die Universitäten und Hochschulen zu verlassen. Immerhin war ihre Berufung ein Ausdruck von Wertschätzung. Eine negative Kommentierung hätte die türkisch-deutschen Beziehungen belastet und wäre als Einmischung in einen innertürkischen Entscheidungsprozeß, letztlich als politischer Affront, verstanden worden. Paradoxerweise deckte sich in diesem Punkt die Interessenlage der Emigranten mit der der deutschen Regierung. Der Grund lag in der finanziell und rechtlich unsicheren Position der Emigranten. Für sie war es von essentieller Bedeutung, weiterhin über deutsche Pässe zu verfügen. Die Alternative wäre Staatenlosigkeit gewesen, und das hätte die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Die fortbestehende deutsche Staatsbürgerschaft bedeutete Schutz - möglicherweise auch für Angehörige, die noch in Deutschland lebten - und sie eröffnete gewisse Aussichten, zumindest Teile des Privatvermögens und der Pensionen in die Türkei zu transferieren. Die Situation gestaltete sich vollends unübersichtlich, weil manche Emigranten zwar das „Dritte Reich" politisch strikt ablehnten, ihnen aber die Trennung von der deutschen Kultur schwerfiel. Die „deutsche Kultur" wurde in der Türkei jedoch von der deutschen Schule, dem Deutschen Verein und vom deutschen Orchester repräsentiert - alles Institutionen, die von der Deutschen Botschaft bzw. der örtlichen Auslandsorganisation der NSDAP dominiert wurden. Auf diese Weise bildete sich eine eigentümliche Zwischenwelt heraus, innerhalb der sich die Gegensätze zwischen dem „Dritten Reich" und dem Exil auf eine mitunter 366

Eine Schule für Schauspiel- und Musiktheater in der Türkei befremdliche Art und Weise abschwächten. Diesen Sachverhalt muß man im Auge behalten, will man die Arbeit sowohl der Wissenschaftler als auch der Künstler in der Türkei während der dreißiger Jahre angemessen beurteilen. Die Tatsache, daß die Deutsche Botschaft die Berufung von Emigranten mit nahezu allen Mitteln zu verhindern suchte, wird von diesem Sachverhalt nicht berührt. Die Deutsche Botschaft reagierte auf die veränderte Situation mit geschickter Zurückhaltung. Ihr vorsichtiges Lavieren hatte zur Folge, daß eine formale Klärung des Status, den die Emigranten innehatten, zunächst einmal unterblieb. Ihre Pässe wurden in der Regel anstandslos verlängert; gab es Probleme mit der „Reichsfluchtsteuer" oder mit dem Transfer von Pensionen, konnte es geschehen, daß sich die Botschaft einschaltete. Das geschah aus reinen Opportunitätsgründen. Eine Verweigerung der Unterstützung hätte im Gastland unliebsame Aufmerksamkeit erregt. Die Botschaft reagierte vorwiegend deshalb, weil in der türkischen Presse Meldungen über Vermögenskonfiskationen bei deutschen Wissenschaftlern auftauchten, die an türkischen Universitäten lehrten. Um diesen Meldungen entgegenzutreten, intervenierte die Botschaft bei den innerdeutschen Behörden. Das Argument war dabei, daß die Tätigkeit deutscher Wissenschaftler generell im Interesse des Deutschen Reichs läge und die Konfiszierung von Vermögen die türkischen Gastgeber brüskiere, also letztlich den deutschen Interessen schade. Diese Konzilianz war jedoch nur eine Seite des Phänomens. In den Bereichen der Universitäten und Fachhochschulen in Instanbul und Ankara, die unter dem Einfluß „reichsdeutscher" Instanzen standen, schaltete und waltete die Deutsche Botschaft nahezu nach Belieben. Wo die Möglichkeit zu politischer Einflußnahme nicht bestand, weil die Emigranten in der Mehrzahl waren, wurde flexibel mit einer Mischung aus Repression und Konzilianz reagiert. Vor allem benötigte man Informationen und Zuträger. Um die Zuträger bei der Stange zu halten, war man auch zu Konzessionen bereit. Diese Politik ist bis Mitte 1937 zu beobachten; danach gestaltete sich die Haltung der Deutschen Botschaft aufgrund einer entsprechenden Anweisung des Auswärtigen Amtes vom 23. Juli 1937 deutlich restriktiver. Jetzt wurde fast nur noch mit Sanktionen operiert, ζ. B. mit dem Verbot der deutschen Schule für Kinder von Emigranten. Die meisten Emigranten - wie z.B. Ernst Reuter, aber auch Carl Ebert - gingen möglichen Konflikten von vornherein aus dem Wege, indem sie den Kontakt zur Botschaft prinzipiell ablehnten bzw. auf das Notwendigste beschränkten. Bei anderen verfehlte die geschickte Politik der Botschaft nicht ihre Wirkung: Sie verhielten sich opportunistisch oder wurden sogar anfällig für Versprechungen, die sie in der Botschaft zu hören bekamen - bis hin zum Frontenwechsel. Ein spektakuläres Beispiel für das zuletzt genannte Verhalten ist Alfred Braun. Braun, ehemals prominenter Chefsprecher des Berliner Rundfunksenders und führend an der Entwicklung des Hörspiels beteiligt, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten sofort im KZ Oranienburg inhaftiert, dann in die Schweiz emigriert, wo er als Schauspieler am Basler Stadttheater arbeitete, war einem Ruf seines Freundes Carl Ebert an das Konservatorium in Ankara gefolgt. Braun hatte Deutschland aus politischen, aber nicht aus rassenideologischen Gründen verlassen müssen, und das war in der gegebenen Situation von Vorteil. Im März 1938, kurz nachdem er zum Stellvertreter Eberts ernannt worden war, nahm Braun Kontakt zur Deutschen Botschaft auf. In dem Gespräch äußerte er sich derartig positiv hinsichtlich einer möglichen Rückkehr nach 367

Frithjof Trapp Deutschland, daß die Botschaft über das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) bei der Reichstheaterkammer Auskünfte über Braun einholen ließ. Als darunter positive Referenzen waren, wurde beschlossen, mit Braun Fühlung zu halten, um auf diese Weise Einfluß auf die Berufungspolitik am Konservatorium zu gewinnen.1 Im Juni 1939 kehrte Braun schließlich nach Deutschland zurück - nach außen hin unter privatem Vorwand, in Wirklichkeit aber mit Hilfe und Unterstützung der Botschaft. Das war ein eklatanter Vertrauensbruch. Die Botschaft lieferte ihm den für die Rückkehr erforderlichen politischen Schutz: Sie bescheinigte ihm, in ihrem Auftrag einen türkischen Studenten nach Berlin zu begleiten, um ihn mit dem deutschen Theaterwesen vertraut zu machen. 2 In Deutschland fand Braun dann sofort als Kriegsberichterstatter Beschäftigung und anschließend als Drehbuchautor für Veit Harlan (Zwischen Nacht und Morgen und Pole Poppenspäler) und als dessen erster Regieassistent. Ebert war über Brauns „Verrat" anfangs tief betroffen. Später dann rechtfertigte er Brauns Verhalten mit Persönlichkeitsschwäche - und mit der Verführungskraft der Situation. Das war freilich eine sehr wohlwollende Interpretation des Sachverhalts. Paul Hindemith und der Aufbau der Staatlichen Kunsthochschule Während der wissenschaftsorientierte Teil des Reformprogramms schon in den zwanziger Jahren eingeleitet wurde, begann die Umsetzung des Teils, der die Kunst- und Musikerziehung betraf, erst nach 1933. Einige frühere Versuche waren vor allem aufgrund unzureichender finanzieller Angebote gescheitert. Im Zentrum stand dabei die Gründung der Staatlichen Kunsthochschule in Ankara. Sie sollte dreigegliedert sein und aus einer Musiklehrerschule, einem philharmonischen Orchester und einer Opern- und Theaterschule bestehen.3 Als Berater für ihren Aufbau wurde Paul Hindemith gewonnen. Hindemith hat in den darauffolgenden Jahren als Berater der türkischen Regierung einen maßgeblichen Einfluß auf die Entwicklung des Musikwesens ausgeübt. Die türkische Seite war 1934 durch Cevat Dursunoglu, den damaligen Inspekteur der in Westeuropa lebenden türkischen Studenten, an Hindemith mit der entsprechenden Frage herangetreten. Cevat seinerseits war dabei einer Empfehlung Furtwänglers gefolgt. Als Hindemith zustimmte, war man in der Türkei hoch erfreut, einen derartig prominenten Künstler gewonnen zu haben. Hindemith, ein Künstler von internationalem Renommee, war auch der richtige Mann für die vorgesehene Aufgabe: eine Persönlichkeit mit charismatischer Ausstrahlung und starken musikpädagogischen Interessen. Ausschlaggebend für Hindemiths Zusage war vermutlich, daß er in Deutschland im Frühjahr 1934 durch Angriffe auf sein Werk zur Persona non grata geworden war. Angesichts dieser Lage beschäftigte er sich immer stärker - wie andere namhafte Dirigenten, Komponisten und Interpreten auch - mit dem Gedanken, Deutschland zu verlassen, also ins Exil zu gehen. Andererseits setzten sich wichtige Persönlichkeiten des Musiklebens für Hindemith ein und versuchten, ihn in Deutschland zu halten. Dazu gehörten 1 2

3

Bundesarchiv Berlin, R 5001/566 Türkei, Bl. 221 - 226. Ich danke Bärbel Schräder für diesen Hinweis. Deutsche Botschaft in Ankara, Schreiben vom 5. Mai 1939; Alfred Braun an den Botschafter in Ankara, Schreiben vom 30.9.39 (Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Deutsche Botschaft Ankara, Bd. 750 [Kunst-, Musik- und Theaterwesen in der Türkei]). Zu Einzelheiten über den Aufbau des Devlet Konservatuari vgl. Cornelia Zimmermann-Kalyoncu: Deutsche Musiker in der Türkei im 20. Jahrhundert. Frankfurt a.M./Bem/New York 1985, S. 19 f.

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Eine Schule für Schauspiel- und Musiktheater in der Türkei Furtwängler, weiter der Direktor der Berliner Hochschule der Künste Fritz Stein, an der Hindemith eine Professur innehatte, aber auch Staatskommissar Hans Hinkel. Diesen Kreisen kam die Anfrage sehr gelegen. Das Interesse, das die Türkei an einer offiziellen Delegierung Hindemiths nach Ankara äußerte, diente ihnen als Mittel, auf die Wertschätzung Hindemiths durch eine befreundete Regierung aufmerksam zu machen. Damit wurde Zeit gewonnen - der Konflikt wurde zumindest vorübergehend entschärft, Hindemiths direktes Ausweichen ins Exil abgewendet - , und bei einem erfolgreichen Verlauf von Hindemiths Tätigkeit bestand die Möglichkeit seiner politischen Rehabilitierung. Hindemith selber unterstützte diese Intentionen, indem er in seinen Berichten eine typisch nationalsozialistische Diktion wählte, die als Ausweis seiner linientreuen Gesinnung verstanden werden konnte.4 Hindemiths Beratertätigkeit in der Türkei entwickelte sich außerordentlich erfolgreich. In vier z.T. mehrmonatigen Aufenthalten erarbeitete er eine Reihe gründlicher, sehr detaillierter Empfehlungen, die das gesamte Spektrum der zu bewältigenden Aufgaben abdeckten: von der Besetzung der künstlerischen Leitungsfünktionen bis zur Beratung bei der Anschaffung von Instrumenten und Noten. Die Hoffnungen in Kreisen der Reichsmusikkammer, den Konflikt um die Person Hindemiths zu entschärfen und, nach Möglichkeit, zum Positiven zu wenden, erfüllten sich jedoch nicht. Im März 1938 wurde Hindemith erneut Ziel vehementer Angriffe durch die nationalsozialistische Presse. Zur selben Zeit wurde durch Goebbels eine Untersuchung in die Wege geleitet, um die ,.höchst unerfreulichen personellen Verhältnisse an der Musikhochschule in Ankara" zu klären. Verbunden war dies mit einer Vorladung von Hindemith.5 Im September 1938 siedelte Hindemith daraufhin in die Schweiz über. Daß zu diesem Entschluß u. a. auch die eingeleitete Untersuchung beigetragen hatte, ist naheliegend. Hindemith vermittelte vor allem die Berufung von Ernst Praetorius zum Leiter des Sinfonieorchesters in Ankara und von Eduard Zuckmayer, dem älteren Bruder von Carl Zuckmayer, zum Leiter der dortigen Musiklehrerausbildung. Praetorius war im Februar 1933 - vermutlich aufgrund seiner Aufführung von Hindemiths Oper Cardillac - aus seiner Stellung als Generalmusikdirektor in Weimar entlassen worden. Es folgten zwei Jahre ohne feste Einkünfte, in denen er als Taxifahrer seinen Lebensunterhalt verdienen mußte. Um die avisierte Berufung zum Orchesterchef nach Ankara (Oktober 1935) nicht zu gefährden, ließ er sich im Mai 1935 von seiner jüdischen Frau Käte scheiden. Nach einem ebenso peinlichen wie erschütternden Brief an Staatskommissar Hinkel - Praetorius distanziert sich darin von allen .Juden, Nichtarierfn] oder nichtarisch Versippten" und beruft sich darauf, daß er Hinkel „stets blind vertraut habe" und allen „Anordnungen widerspruchslos gefolgt" sei6 - kann er sie im März 1936 in die Türkei nachholen. Neben Musiklehrerschule und Philharmonie war als dritte Abteilung des Konservatoriums eine „Theaterschule für Oper und Schauspiel" geplant. Zu ihrem Leiter wurde Carl Ebert berufen. - Ebert war von 1927 bis 1931 Generalintendant des Hessischen Landestheaters Darmstadt und von 1931 bis 1933 Intendant der Städtischen Oper Berlin. 4

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Zu den Briefen Hindemiths vgl. Bemdt Heller/Frieder Reininghaus: Hindemiths heikle Jahre. - In: Exil 4. Jg. 1984, H. 2, S. 71 - 81. Schreiben des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda an die Deutsche Botschaft in Ankara vom 31. März 1938 (Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Deutsche Botschaft Ankara, Bd. 750). Emst Praetorius an Staatskommissar Hans Hinkel vom 17.1.1936 (Document Center Berlin).

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Frithjof Trapp Von dieser Funktion wurde er im März 1933 beurlaubt. Die Beurlaubung, die einer faktischen Entlassung gleichkam, tat seiner internationalen Reputation jedoch keinen Abbruch. Im Frühsommer 1933 inszenierte er im Rahmen des ersten „Maggio Musicale Fiorentino" Verdis Nabucco und Spontinis La Vestale, leitete bis 1936 die „Deutsche Operntemporada" am Teatro Colön in Buenos Aires, arbeitete als Schauspieler und Regisseur in Basel und Zürich und war, ab 1934, zusammen mit Fritz Busch Organisator und künstlerischer Direktor des Glyndebourne Opera Festival. Ebert galt als einer der profiliertesten Erneuerer des Musiktheaters. Die Kontaktaufnahme mit Ebert erfolgte auf schriftlichem Wege von Berlin aus durch einen Brief Cevat Dursunoglus vom 8. Februar 1935. Cevat berief sich in diesem Schreiben ausdrücklich auf eine Empfehlung Hindemiths.7 In derselben Angelegenheit hatte sich Cevat bereits Anfang Januar an das RMVP gewandt, das umgehend eine Kandidatenliste erarbeitet hatte. Sie war die Grundlage eines Dreiervorschlags, der Cevat unterbreitet worden war und auf dem an erster Stelle der ehemalige Frankfurter Regisseur und Dramaturg Fritz Peter Buch stand, der 1933 unter dem Vorwurf, Stücke mit marxistischer Tendenz herausgebracht zu haben (u.a. Bruckners Krankheit der Jugend und Tretjakows Brülle China), entlassen worden war.8 Die zwei anderen Kandidaten waren der Regisseur Günter Nauhardt und der Schauspieler Albertus Kinkel. Von den Verhandlungen mit Ebert war das RMVP jedoch offenbar nicht unterrichtet. Daher war die Mitteilung der Deutschen Botschaft (2. Dezember 1935), daß Ebert von der türkischen Regierung zum Beauftragten für das Theaterwesen berufen worden sei, vermutlich eine Überraschung.9 Ebert traf in Ankara am 27. Februar 1936 ein. Um seinen Verpflichtungen vor allem in Glyndebourne nachkommen zu können, bat er sich wie Hindemith eine zeitlich beschränkte Anwesenheitspflicht aus. In der Vorkriegsphase hielt er sich dreimal in Ankara auf: vom 25. November 1936 bis zum 25. Februar 1937, vom 1. Oktober 1937 bis zum 1. Dezember 1937 sowie noch einmal im Februar 1939. Im Herbst 1939, nach Kriegsausbruch, verlegte Ebert seinen Wohnsitz ganz nach Ankara (bis 1947). Vor diesem Entschluß hatte er Ernst Reuter konsultiert und sich nach der möglichen Gefährdung seines bisherigen Asyllandes, der Schweiz, erkundigt. Aufgrund einer Intrige Renata Mordos, seines späteren Nachfolgers, wurde 1947 sein Vertrag nicht verlängert.10 Ebert ging in die USA, wo er an einer kalifornischen Universität seine Lehrtätigkeit fortsetzte, kehrte jedoch noch zweimal in die Türkei zurück: 1952 inszenierte er während eines zweimonatigen Aufenthaltes Shakespeares Sommernachtstraum, und im April 1969 nahm er als Ehrengast der türkischen Regierung an der Eröffnung des neuen Staatstheaters teil - ein Ausdruck der Wertschätzung für die Arbeit, die Ebert zwischen 1936 und 1947 in der Türkei geleistet hatte und die inzwischen breite Anerkennung gefunden hatte. Eberts Entschluß, die Berufung anzunehmen, waren Absprachen mit Hindemith vorangegangen, die offenbar die konzeptionellen Pläne, aber auch die Kompetenzen betrafen. Im Musikbereich wurden die Lehrkräfte, mit denen Ebert in der Türkei zusammen7 8 9

10

Stiftung Archiv der Akademie der Künste (SAAK), Berlin, Nachlaß Ebert, 161. Bundesarchiv Berlin, R 5001/566 Türkei, Bl. 85 - 109. Ich danke Bärbel Schräder für diesen Hinweis. Botschafter von Keller an das Auswärtige Amt Berlin, Schreiben vom 2.12.1935 (ebd.. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes). Vgl. Cornelia Zimmermann-Kalyoncu, a.a.O., S. 114.

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Eine Schule für Schauspiel- und Musiktheater in der Türkei arbeitete, im wesentlichen auf Vorschlag Hindemiths berufen, im Bereich der Theaterschule folgten die türkischen Behörden den Vorschlägen von Seiten Eberts: Alfred Braun, Herbert Kuchenbuch und Hans Hey. Eberts Ansprechpartner bei der Zusammenarbeit mit dem Orchester war Praetorius. Dieses Verhältnis gestaltete sich äußerst kompliziert. Praetorius und Ebert paßten schlecht zueinander. Ebert, der auch im Exil noch als Schauspieler arbeitete, war ein selbstbewußter, extrovertierter Künstler - Praetorius ein strenger, asketischer Pädagoge. Ebert war als Opernregisseur ein Wegbereiter des musikalischen Regietheaters - für Praetorius war die Partitur und ihre genaue Umsetzung die absolute Leitlinie. Daß Praetorius sich deshalb über Eberts musikalische Kompetenz negativ äußerte, nimmt nicht wunder.11 Erschwerend wirkte sich ferner aus, daß Praetorius nicht bereit war, das Orchester, das durch öffentliche Konzerte, vor allem aber auch durch Aufgaben für den Rundfunk nach seiner Meinung ohnehin überlastet war, ständig in den Dienst von Opernaufführungen, die die Theaterschule veranstaltete, zu stellen. Die Deutsche Botschaft nahm die Niederlage, die sie mit der Berufung Eberts erlitten hatte, jedoch nicht ohne weiteres hin. Von 1936 bis Oktober 1942 gab es eine enge Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Botschaft und dem Leiter des türkischen Theaters Darül Bedai in Istanbul, Ertugrul Mushin. Ertugrul hatte in Deutschland studiert, war Schüler von Possart in München gewesen und hatte Ende des Ersten Weltkrieges in mehreren deutschen Filmen mitgespielt. Die Unterstützung bestand darin, daß Ertugrul für die Aufführung deutscher Stücke Kostüme, Bühnenmanuskripte und anderes Material aus Deutschland zur Verfügung gestellt bekam. Besonders delikat gestaltete sich die Situation dadurch, daß Ertugruls Frau Chefredakteurin der Theater- und Filmzeitschrift Ρerde ve Sahne („Vorhang und Leinwand") war. In ihr erschienen groß aufgemachte Berichte über die Klassikeraufführungen ihres Mannes. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß Ertugrul für Ebert mehr oder weniger zum künstlerischen Antipoden wurde, dem er wiederholt vorwarf, durch effekthascherische Routine die pädagogische Arbeit zu stören. Angesichts der Tatsache, daß Ebert als Ausländer auf die Kooperation mit den türkischen Schauspielern und Kollegen angewiesen war, war das eine alles andere als erfreuliche Konstellation.

Die Aufgabenstellung der Theater- und Musikschule Ebert traf in der Türkei auf ein Publikum, dem die europäische dramatische Literatur nicht vertraut war und das theatralischen Darbietungen, die westeuropäischen Vorbildern folgten, mehr oder weniger verständnislos gegenüberstand. „Theater" war für das türkische Publikum gleichbedeutend mit Artistik und Unterhaltung. Wie gering das künstlerische Verständnis war, geht aus einer Beschreibung der Publikumsreaktionen aus Anlaß einer Fauii-Inszenierung in türkischer Sprache durch Ertugrul hervor, die sich in den Akten der Deutschen Botschaft befindet: „Es mußte peinlich berühren, wenn man feststellen mußte, daß die großen Monologe sichtlich ohne Eindruck blieben, während die Fechtszene zwischen Valentin und 11

Zu den Äußerungen von Praetorius über Eberts künstlerische Kompetenz vgl. Cornelia Zimmermann-Kalyoncu, S. 250 ff.

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Frithj of Trapp

Faust infolge des schneidigen Draufgehens der Fechter stürmisch beklatscht wurde oder beispielsweise die Erwähnung von Gretchens Bett große Heiterkeit auslöste".12 So waren die Theaterverhältnisse gestaltet, bevor Ebert die Arbeit aufnahm. Mit Gründung der Opern- und Theaterschule sollte aus türkischer Sicht nichts Geringeres in die Wege geleitet werden als die Errichtung eines künftigen „Nationaltheaters". Literatur und Theater sollten im intellektuellen und künstlerischen Leben in Zukunft eine ähnliche Funktion haben wie in den europäischen Staaten. Die Reform der Musikund Schauspieltheaterausbildung war also nur eine Vorstufe der eigentlichen Reform; ihre Endstufe waren die Adaption der Weltliteratur für das künftige (türkische) Theaterpublikum und die Entwicklung einer eigenen dramatischen Literatur in türkischer Sprache. Um diese Intention besser zu verstehen, muß man berücksichtigen, daß noch im 19. Jahrhundert das Theater in der Türkei - bedingt durch das aus religiösen Gründen bestehende Verbot, menschliche Handlungen abzubilden - ganz und gar in den Händen nichttürkischer (armenischer) Truppen lag. Zudem beschränkte sich das Theater im wesentlichen auf Improvisation und Unterhaltung. Bildende, intellektuelle Funktionen waren damit nicht verbunden. Seit den zaghaften Anfängen verlief die weitere Entwicklung dann mehr oder weniger spontan, so daß es weder eine Schauspielkultur gab noch eine entsprechende Bühnendichtung. Westliche Theater- und Opernformen blieben unter diesen Umständen Fremdkörper, und zwar in doppelter Hinsicht: weil sie sich nur an eine schmale, westlich gebildete Elite wandten und weil sie mit einem nichttürkischen Personal arbeiteten. Man konnte nicht einmal auf das entsprechende technische Personal zurückgreifen, geschweige denn auf Führungskräfte wie Regisseure, Orchesterdirigenten oder Intendanten. Versuche, türkische Sänger und Schauspieler im Ausland auszubilden, waren in der Vergangenheit zumeist gescheitert, weil die Betreffenden nicht mehr in die Heimat zurückkehrten. Die Erwartungen, die an Ebert herangetragen wurden, waren also komplex. Sie umfaßten ein weites Spektrum: die Vermittlung westeuropäischer Theaterkultur, ihrer Tradition und ihres Selbstverständnisses, die Ausbildung von Schauspielern, Regisseuren und von Vertretern der übrigen einschlägigen Berufe und die Institutionalisierung dieser Erfahrungen durch ein geeignetes Repertoire und beispielhafte Inszenierungen. Genau dieser Anforderungskatalog kam Eberts Persönlichkeit außerordentlich entgegen. Ebert formulierte die eigenen Vorstellungen von seiner künftigen Arbeit in einer siebenseitigen Denkschrift (April 1936).13 Darin sind die Erwartungen, die ihm von seinen türkischen Gesprächspartnern entgegengebracht worden waren, zu einer konzeptionell geschlossenen Empfehlung zusammengefaßt: Die Schule für Schauspiel- und Musiktheater solle die Mitglieder des künftigen Nationaltheaters in erster Linie durch eine entsprechende fachliche Ausbildung, ferner durch Modellinszenierung, durch Entwicklung eines systematischen Spielplans, durch Ensemblebildung, die beispielhaft für die künftigen Provinz- und Stadttheater sein müsse, sowie nicht zuletzt durch die Förderung eines speziellen künstlerischen Ethos auf ihre kommenden Aufgaben vorbereiten. Der Staat als Träger der Theaterschule solle nach Eberts Auffassung eine erzieherische Funktion 12

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Bericht des Generalkonsulats Istanbul vom 8. März 1936 (Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Botschaft Ankara. Bd. 749). SAAK (Berlin), Nachlaß Ebert, 27/81/1175 - Η Η 1.

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Eine Schule für Schauspiel- und Musiktheater in der Türkei

übernehmen. Er übe mit Hilfe der Opern- und Theaterschule einen prägenden Einfluß auf die Entwicklung des Theaters aus, das, ohne diesen Einfluß, ungesteuerten, von privatwirtschaftlichen Interessen geleiteten Entwicklungen folgen würde. Ebert stand eine moderne, den zeitgenössischen Theaterbetrieb kritisch reflektierende Konzeption der Schillerschen Vorstellung vom „Theater als moralischer Anstalt" vor Augen. Einer der Leitsätze der Denkschrift lautet, daß Kunst nicht wie „Konfektionsware" zu kaufen sei, sondern daß man alle Kräfte darauf konzentrieren müsse, „die eigenen Begabungen aufzuspüren, sie konkurrenzfähig mit den besten ausländischen Talenten zu machen und in diesem Wettkampf eine nationale künstlerische Eigenart zu kultivieren, die nicht geringere geschichtliche Werte zu schaffen imstande ist, als wissenschaftliche oder politische Erfolge es vermögen". An anderer Stelle faßt Ebert seine Vorstellungen von einer durch die Regierung ins Leben gerufenen „nationalen Theaterkultur" auf folgende Weise zusammen: „Die Vorbedingungen für die Errichtung eines National-Theaters liegen in der Türkei äußerst günstig. Da fast keine privaten Unternehmer vorhanden sind und somit keinerlei Rücksichtnahme die staatliche Initiative zu hemmen braucht, kann die Regierung alle ihre Machtmittel in den Dienst dieser Aufbauarbeit stellen und dabei eine selbst für Europa, den klassischen Boden der Theaterkultur, vorbildliche Systematik und Kompromißlosigkeit beweisen, die alle Fehler und halben Lösungen, an denen das europäische Theater krankt, vermeidet." Ebert postulierte, daß das Theater der „Bildung und Förderung der ethischen Anschauungen und Kräfte" dienen solle, als „geistige Plattform zum Austrag aktueller Probleme", als „Pflegestätte sprachlicher Säuberung und Verfeinerung", als „Anreger nationaler dramatischer und musikalischer Produktion" und als „Stätte der anschaulichsten und wirksamsten nationalen Musikerziehung". Das Konzept zeichnete sich also durch einen dezidiert ethisch-pädagogischen Anspruch aus. Es stand in der Tradition Lessings, Kants, also der Aufklärung. Durchführung und Organisation Eberts erste Bemühungen galten der Zusammenstellung des Lehrkörpers und der Ausarbeitung eines Studienplans. Er griff mit Absicht nur auf wenige nichttürkische Lehrkräfte zurück, die dafür um so wichtigere Positionen einnahmen. Männer und Frauen wurden in gemeinsamen Gruppen ausgebildet. Ebert kümmerte sich um sämtliche Details - bis hin zur Disziplinarordnung. Seinem Briefwechsel mit Alfred Braun ist zu entnehmen, daß er sich während seiner Abwesenheit über sämtliche Vorkommnisse in der Schule unterrichten ließ. Man tauschte sich ausführlich über die Entwicklung einzelner Schüler aus. 1940 wird an der „Tatbikat Sahnesi", der interimistischen Vorstufe des geplanten Nationaltheaters, die erste öffentliche Aufführung eines Schauspiels durchgeführt, 1942 die Aufführung der ersten Oper (Puccinis Madame Butterfly), und zwar in türkischer Sprache. Das war für Ebert alles andere als bloße Rücksichtnahme auf seine Auftraggeber und das Gastland. Immer wieder drängte Ebert in seinem Briefwechsel mit dem zuständigen Ministerium darauf, die erforderlichen Übersetzungen ins Türkische unverzüglich in die Wege zu leiten. Nur wenn die Texte der Weltliteratur in türkischer Spra373

Frithjof Trapp che vorlägen, sei eine breitgestreute Rezeption möglich; nur auf dieser Basis könne sich eine eigene türkische dramatische Literatur entwickeln. Bis 1947 werden an Opern Bastien und Bastienne, Die verkaufte Braut, Tosca, Figaros Hochzeit, La Boheme, Fidelio und Ein Maskenball inszeniert; im Schauspiel gelangen Werke von Molifere (Les Precieuses Ridicules, Le Bourgeois Gentil'Homme), Goldoni (La Locandiera, La Bottega di Cajfe), Sophokles (König Ödipus, Antigone), Lessing (Minna von Barnhelm), Gogol, Shakespeare (Julius Caesar, Comedy of Errors), Goethe (Faust), Maeterlinck (Interieur, Pelleas et Melisande), Synge (Die zum Meer reiten) und Thornton Wilder (Our Town) sowie mehrere Werke nicht näher genannter türkischer Autoren zur Aufführung. Das Bühnenbild zu der Fawif-Inszenierung wurde von Clemens Holzmeister gestaltet. - 1944 stehen zwei komplette Ensembles (für Schauspiel- und Musiktheater) ausgebildet zur Verfügung mit Regisseuren, die Erfahrungen in der Inszenierung von Schauspiel- und Musiktheater gemacht haben. Das Schauspielensemble umfaßt 16 Herren und 9 Damen, das Opernensemble 13 Herren und 15 Damen. Hinzu kommen noch 8 Herren und 2 Damen des Schauspielchores sowie 2 Herren und 2 Damen des Opernchores. In dem gut 50 Seiten umfassenden Abschlußbericht (Februar 1947)14 klassifiziert Ebert - bezogen auf verschiedene Absolventen der Schule - die eigenständigen Inszenierungen, die die Regie-Schüler geleistet haben. Der Maßstab, den er dabei anlegt, ist die von ihm zu Beginn seiner Tätigkeit formulierte Idee eines idealen Repertoires. So hat z.B. Mahir Canova Shakespeares Der Widerspenstigen Zähmung, also einen klassischen Text der englischen Literatur, Thornton Wilders Unsere kleine Stadt, einen zeitgenössisch-modernen Text, weiter „ein romantisches Stück": Maeterlincks Pelleas und Melisande, eine satirische Komödie: Gogols Revisor, inszeniert. In Vorbereitung sei die Inszenierung von Racines Phädra, also eines Textes der französischen Klassik. Erstaunlich ist die Detailliertheit von Eberts Vorschlägen. Manchmal beleuchtet er dabei auch die problematischen Seiten der Mentalität seiner Schüler. Er scheut sich z.B. nicht anzumerken, daß darauf hingewirkt werden müsse, daß die Opernregie-Absolventen auch an die Übernahme musikalischer Hilfsdienste - als Dirigent des Chors, als Korrepetitor und Konduit und anderer Aufgaben - zu gewöhnen seien. Derartige Pflichten stellten einen Teil des traditionellen Ausbildungsganges dar. Das „Genie" der Schüler dürfe nicht als Vorwand dienen, ihnen diesen Weg zu ersparen. Eberts Abschlußbericht enthält u. a. genaue Probenpläne sowie Vorschläge für die Spielzeit 1948/49 und für die Eröffnung des Nationaltheaters. Er regt an, aus Filialgründungen des künftigen Nationaltheaters Regionalensembles zu formen, um auf diese Weise ein System von Provinztheatern aufzubauen. Hierfür benennt Ebert mögliche Spielstätten. Er äußert auch Vorschläge hinsichtlich seines Nachfolgers. So wird neben anderen als künstlerischer Leiter der Schule auch Julius Gellner ins Spiel gebracht. Immer wieder wird in dem Memorandum auf die Notwendigkeit verwiesen, die spezielle nationale Verankerung des Schauspiel- wie des Musiktheaters zu verbessern: durch Einrichtung von Musikschulen außerhalb der Metropolen, durch Einbeziehung des Volkstanzes in den Ausbildungsplan, vor allem aber durch Berücksichtigung der sich langsam entwickelnden nationalen dramatischen Dichtung. Nebenbei erwähnt Ebert, daß er für einen türkischen Komponisten u. a. auch ein Opernszenarium entwor14

SAAK (Berlin), Nachlaß Ebert, 27/81/2734 - Η th Varia.

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Eine Schule für Schauspiel- und Musiktheater in der Türkei fen habe. Am Schluß seines Berichts vermerkt er, daß die Zusammenarbeit mit der Generaldirektion des zuständigen Ministeriums zehn Jahre lang außerordentlich harmonisch und vertrauensvoll verlaufen sei, sich aber in der letzten Zeit verschlechtert habe. Wichtige Entscheidungen seien gefällt worden, ohne daß er als Ratgeber des Ministeriums befragt worden sei. Insbesondere sei er nicht bei der abschließenden Formulierung und Beratung des von ihm entworfenen Theatergesetzes hinzugezogen worden. Hier deutet sich bereits das Ende von Eberts Einfluß an. Nach Beendigung von Eberts Tätigkeit wird im April 1948 in Ankara der Umbau der Oper abgeschlossen. Sie umfaßt 400 Parterreplätze und 320 Rangplätze. Der Architekt ist Paul Bonatz. Die Pläne gehen auf ausführliche Beratung durch Ebert zurück. Eberts Arbeit in der Türkei ist durch Fotos der Aufführungen vorzüglich dokumentiert. Es handelte sich um sorgfältige Einstudierungen, bei denen auf alle Details: von den Kostümen bis zum Bühnenbild, gewissenhafte Aufmerksamkeit gelegt wurde. Eberts Ziel war die „stilgerechte" Inszenierung, integriert in ein systematisch gegliedertes Repertoire. Die praktische Arbeit der Schauspiel- und Opernschule zielte nach Ethos, Disziplin und künstlerischem Anspruch darauf ab, Modell für die künftige „nationale Bühne" zu sein, die selber Zentrum und Vorbild sein sollte. - Ebert schließt seinen Bericht mit den Worten: „Mein Herz wird immer mit dem jungen türkischen Theater gehen und seinen Aufstieg mit Freude und Genugtuung verfolgen." Carl Ebert hat sich in den späteren Jahren immer wieder begeistert über seine Arbeit in der Türkei geäußert; er war fasziniert von der Ausdrucksstärke seiner türkischen Schauspielschüler. Für ihre körperliche Ausdruckskraft, die „Intensität und Ehrlichkeit" ihres Spiels, gab es für ihn nur einen einzigen Vergleich: den mit dem japanische Theater.15 Eberts mitreißende Persönlichkeit übte ihrerseits einen nachhaltigen Einfluß auf die Absolventen der Theaterschule aus. Diese langanhaltende Nachwirkung ist in zahlreichen Publikationen, wie Cornelia Zimmermann berichtet16, inzwischen auch in der Türkei gewürdigt worden.

Literatur Cornelia Zimmermann-Kalyoncu: Deutsche Musiker in der Türkei im 20. Jahrhundert. Frankfurt a.M./Bern/New York 1985 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe XXXVI: Musikwissenschaft, Bd. 15). Archive Ebert-Nachlaß in der Stiftung Archiv der Akademie der Künste (SAAK), Berlin Archiv des Ankara Devlet Konservatuari, Ankara Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn (Bestand Deutsche Botschaft Ankara / Gesandtschaft Istanbul) Bundesarchiv Berlin, Bestand Reichspropagandaministerium

13 16

Brief an Alfred Braun vom 5.10.1937; SAAK (Berlin), Nachlaß Ebert, 236. Vgl. Cornelia Zimmermann-Kalyoncu, S. 114.

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Exiltheater in Palästina/Israel Zwischen 1933 und dem Gründungsjahr des Staates Israel, 1948, gab es im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina zwar Theater, das von Hitler-Flüchtlingen aus Deutschland bzw. Österreich getragen wurde, aber kein „Exiltheater". Das lag zum einen im Selbstverständnis der in Palästina einwandernden Juden begründet - ihr Ziel war, sofern sie Zionisten waren, die Errichtung eines eigenen jüdischen Staates, infolgedessen betrachteten sie Palästina nicht als ein beliebiges Fluchtziel, sondern als den eigentlichen Endpunkt ihrer Migration - und zum anderen im sprachlichen Problem. Träger der Identifikation mit der Idee der nationaljüdischen Renaissance war das Hebräische, ursprünglich die Bibelsprache, nunmehr verwandelt in ein säkulares Verständigungsmedium (Iwrith). Bei dieser eigentümlichen Koppelung von Sprache und Selbstverständnis blieb für ein deutschsprachiges Exiltheater kein Raum. Das galt übrigens auch für Theater in jiddischer Sprache. Der Traum von der Neubelebung der Bibelsprache im verheißenen Lande war sogar einer der frühesten Vorboten der zionistisch-politischen Aktion gewesen. Als an einem denkwürdigen Herbsttag des Jahres 1890 Zöglinge der Lämmel-Schule in Jerusalem das Schauspiel Zerubabel oder die Rückkehr nach Zion von M. L. Lilienblum aufführten, bereitete es Darstellern wie Zuschauern eine gewaltige Genugtuung, daß damit die Hoffnung auf das Ende des zweitausendjährigen jüdischen Exils zum ersten Mal von der Bühne herab auf hebräisch verkündet wurde. Das Original des Stückes war, im Gegensatz zu den meisten anderen Werken des Autors, 1887 auf jiddisch entstanden. Auch die Aufführungen eines 1904 in Jaffa gegründeten Amateurvereins FREUNDE DES HEBRÄISCHEN THEATERS, der bis 1914 aktiv war, fanden in der biblischen Sprache statt. Es lag somit in der Natur der zionistischen Sache und des sprachlich sehr empfindlichen jüdisch-palästinensischen Publikums, daß die deutschsprachigen Künstler, die nach dem Ausbruch der Naziherrschaft in Palästina einwanderten, ebenfalls danach strebten, sich in der Berufsausübung des Hebräischen zu bedienen, denn diese Sprache war mehr als ein Werkzeug und Medium, sondern ein Ziel in sich selbst: Ausdruck der kulturellen Verbundenheit aller Teile des jüdischen Volkes. Außerdem war der Gebrauch des Hebräischen für die neueinwandernden Künstler eine politische wie praktische Notwendigkeit. Wenn es auch in den dreißiger Jahren hierzulande, vor allem unter den Einwanderern der vorhergehenden Zeit, die in ihrer Jugend in Osteuropa oft unter deutschen Sprach- und Literatureinflüssen gestanden hatten, eine große Zahl gab, die Theatervorstellungen in deutscher Sprache hätten folgen können, so hatte die Judenfeindschaft des Hitlerregimes doch das Ihre dazu beigetragen, die deutsche Sprache im Lande der Zuflucht so vieler seiner Opfer als öffentliches Verständigungsmittel im höchsten Grade unpopulär, vielen sogar verhaßt zu machen. Diese emotionelle Animosität gegen die „Sprache Hitlers" konnte durch das Vernunftargument nicht überwunden werden, daß Deutsch vordem die Sprache Lessings und Goethes, auch der großen jüdischen Europäer Heine, Marx, Freud und Einstein, sogar des zionistischen Herolds Theodor Herzl gewesen war. Vor allem für viele der zum Extrem neigenden Jugendlichen wurde der Kampf gegen die öffentliche Verwendung des Deutschen innerhalb der jüdischen Sektoren Palästinas zur Sache eines fanatisch-na377

Erich Gottgetreu tionalistischen Glaubens. So kam es denn auch, daß selbst Nachrichtenbulletins in deutscher Sprache, die dem Informationsbedürfnis der noch nicht Hebräisch Lesenden dienen sollten, von Fanatikern wiederholt aus den Kiosken gerissen und verbrannt wurden. Selbst das Jiddische war verpönt, obwohl es politisch nicht belastet war. In der Öffentlichkeit durfte nur hebräisch gesprochen werden. Das war also kein Klima für Theatervorstellungen auf deutsch, ganz abgesehen davon, daß die meisten der deutschsprachigen Neueinwanderer, die dem sich immer enger zusammenziehenden Nazinetz entkommen waren, weder Geldmittel noch Seelenruhe für Theaterbesuche gehabt hätten. Für den „alten Jishuv" der Alt- oder Ältereingesessenen mußte man aber auf hebräisch spielen. So ergab sich das außerordentlich interessante Phänomen, daß die Jüngeren der aus dem deutschen Sprachkreis eingewanderten Schauspieler, sobald sie die Gelegenheit erhielten, sich rasch des Hebräischen zu bedienen lernten, vermutlich infolge ihres akustischen Gedächtnisses, das ohnehin eine der wichtigsten Voraussetzungen des Schauspielerberufes ist. Hinzugefügt sei, daß die meisten der „zugewanderten" Schauspieler (und Sänger) die hebräische Sprache, einschließlich der keineswegs einfachen Grammatik und der zumeist vokallos gebrauchten Schrift, mit wahrhaftem Feuereifer lernten. Das verdient um so höhere Anerkennung, als den Einwanderern jener Zeit noch nicht wie in späteren Jahrzehnten ein ganzes Netzwerk von Intensivkursen die Um- und Ausbildung erleichterte. Das historische Datum, an dem der Zufluß deutsch-jüdischen theatralischen Talents erstmalig in der Geschichte des traditionellen hebräischen Theaters spürbar wurde, war der 9. September 1933. An diesem Tag fand in Tel Aviv im Arbeitertheater Ohel (Das Zelt) die palästinensische Premiere von Brechts/Weills Dreigroschenoper statt, fünf Jahre nach der denkwürdigen Berliner Uraufführung im Theater am Schiffbauerdamm. Mosche Halevy, einer der Schauspieler der nach der Russischen Revolution 1918 in Moskau gegründeten hebräischen Habima (Die Bühne), 1926 Gründer des Ohel und seitdem sein Direktor, war schon 1932 nach Deutschland gefahren, um sich die Rechte auf das Stück und die Hilfe eines jungen Regisseurs zu sichern. Der Reinhardt-Dramaturg Arthur Kahane hatte ihm schließlich Alfred Wolf empfohlen, der sich schon bei Richard Weichert in Frankfurt a. M. sowie an anderen Bühnen und auch beim Film einen Namen gemacht hatte. Wolf bewies auch in Palästina genügend Flexibilität, eine ihm zunächst völlig ungewohnte Schauspielertruppe russisch-jüdischer Provenienz und hebräischer Sprache im Sinne des Stückes und seiner Idee spielen, sprechen und singen zu lassen. Diese Regieleistung war um so erstaunlicher, als Wolf vorher in Deutschland nur wenige Unterrichtsstunden in Hebräisch hatte nehmen können. In Palästina wuchs er jedoch überraschend schnell in die Sprache hinein. Später wurde er sich sogar ihrer feinsten Verzweigungen bewußt, so daß er mit den Übersetzern der von ihm inszenierten Stücke eng zusammenarbeiten konnte. Der Übersetzer des Brecht-Textes war Abraham Schlonsky, dessen Witz und Einfühlungsgabe viel zu dem Erfolg der Aufführung beitrugen. Ein Erfolg wurde sie in ungeahntem Maße. Dabei war die Weill-Musik, die auf jeden Fall kurzweiliger anmutete als seine hier auch gehörten späteren Produktionen, in der ihr eigenen Aggressivität ein wesentlicher Faktor. Aber das entscheidende Erfolgsmoment war sicher die mitreißende Ensembleführung Wolfs, die für das künstlerische Freiwerden oder doch Freierwerden der hebräischen Schauspieler eine ähnliche Bedeutung hatte wie, fünfzehn Jahre vorher, 378

Exiltheater in Palästina/Israel die Darstellungskunst von Stanislawski, Meyerhold und Tairow für die mit ihnen arbeitenden Schauspieler. Es gab im Laufe der Jahre noch viele Aufführungen anderer Brecht-Stücke in Palästina bzw. Israel, aber der Erfolg der Dreigroschenoper sollte sich nicht wiederholen. Kurt Weill blieb wenn auch nicht dem hebräischen Theater, so doch der jüdisch-nationalen Sache verbunden. Er schrieb auf Max Reinhardts Anregung die Musik zu Franz Werfeis in New York uraufgeführtem Symbolwerk Der Weg der Verheißung („The Eternal Road"), ebenso zu Ben-Hechts zionistischen Revuen We Will Never Die und A Flag is Born und instrumentierte zum ersten Mal die jüdische Nationalhymne „Hatikvah" für ein großes Sinfonieorchester. Genau vier Wochen nach der Theaterrevolution, die Alfred Wolfs Brecht-WeillShow im Ohel eingeleitet hatte, kam es, ebenfalls in Tel Aviv, zu dem Versuch einer Verdi-Inszenierung, die in ihrer modernen Ausrichtung abermals den Einfluß des damals in Europa entwickelten Bühnenstils erkennen ließ. In diesem Fall war es der im Sommer 1933 eingewanderte Regisseur Benno Fränkel (später nannte er sich Frank), der mit seiner Rigoletto-Inszenierung stilerneuernd wirkte. - Hier muß etwas weiter ausgeholt werden. Den ersten Anstoß zu Opernaufführungen in Palästina hatte ein jüdischer Einwanderer aus der UdSSR gegeben, der 1875 in Izluchistaya (Ukraine) geborene Mordechai Golinkin, ein Zögling der alten russischen Dirigentenschule. 1918 war er Kapellmeister an der Maryinski-Oper in Petrograd geworden, träumte aber schon damals, zur selben Zeit, als in Moskau die Habima die ersten Geh- und Spielversuche machte, von einer „Hebräischen Nationaloper" in Palästina: einer Idee, für die auch Schaljapin warb. Im April 1923 kam Golinkin in Tel Aviv an und dirigierte bereits nach drei Monaten La Traviata als erste Aufführung der von ihm gegründeten PALÄSTINA-OPER; darauf folgten andere Inszenierungen für Vorstellungen in jeweils abendweise gemieteten Kinosälen mit häufig wechselnden Ensembles, einem begeisterten Amateur-Chor und einem Ballett von anfangs vier Mitgliedern. Künstler und Zuschauer waren in gleicher Weise Enthusiasten. Wie Mosche Halevy vom Ohel Instinktsicherheit bewiesen hatte, indem er sich rechtzeitig Alfred Wolf als Regisseur geholt hatte, so besaß auch Golinkin die Intuition, sich Benno Franks Talent für die Inszenierung einer Oper zu sichern. Während er sich selbst aufs Dirigieren beschränkte, vertraute er Frank die Regie an. Benno Frank brachte gute Voraussetzungen für die Mitwirkung an der Reform der hebräischen Bühne mit. Kind jüdisch-orthodoxer Eltern in Wiesbaden, im Sinne der mosaischen Religion erzogen und später mit dem betont religiösen Zweig der zionistischen Jugendbewegung verbunden, genoß er im Deutschland der zwanziger Jahre eine seinen verschiedenen künstlerischen Talenten entsprechende Schauspiel- und Regieausbildung. Vor allem waren es seine Inszenierungen an der Schiller-Oper in Hamburg-Altona, die die Kritiker aufmerken ließen. - Benno Frank beteiligte sich nach 1945 mittelbar auch am Wiederaufbau des deutschen Theaters: Unter General Robert McClure war er stellvertretender Direktor der Film-, Theater- und Musikabteilung der ICD, d. h. der Information Control Division in der amerikanisch besetzten Zone Deutschlands. Während des Krieges hatte er an wichtigen Stellen im Dienst der psychologischen Kriegsführung der amerikanischen Armee mitgearbeitet. Als Frank sich 1933 daranmachte, im Auftrage Golinkins für die PALÄSTINA-OPER Rigoletto zu inszenieren, lernte er zwangsläufig die großen Schwierigkeiten einer 379

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Opernaufführung in einem orientalischen Pionierland kennen: Es war nicht einmal ein für diesen Zweck geeigneter Theaterbau vorhanden. Ebensowenig gab es ein reguläres, erprobtes oder für Proben zur Verfügung stehendes Orchester. Zwar fanden sich in dem schon damals von mehreren hunderttausend Juden bewohnten Lande stets genügend Violinisten und Cellisten, aber Spieler für die Holz- und Blechinstrumente mußte man sich vom britischen Armee- bzw. Polizeiorchester ausborgen. Außerdem war es unmöglich, Höchstleistungen von Sängern und Sängerinnen zu erwarten, die tagsüber einem Brotberuf nachgehen mußten. Ein unsubventioniertes Temporärtheater wie das Golinkinsche in Tel Aviv war bei einer Höchstkapazität von zwei Aufführungen pro Woche nicht in der Lage, ausreichende Vollgagen zu zahlen. Aufgrund der erforderlichen zusätzlichen, auf den Lebensunterhalt ausgerichteten beruflichen Tätigkeit konnten auch die Proben jeweils erst nach Arbeitsschluß beginnen. - Trotz all dieser Schwierigkeiten kam jedoch unter Frank und Golinkin eine gute, modern empfundene Rigoletto-Aufführung zustande. Der künstlerische Erfolg der Rigoletto-Inszenierung war verbunden mit einer Lehre: Ohne erhebliche Subventionen, die zu erhalten keinerlei Aussicht bestand, und ohne die Mitwirkung eines hauptberuflichen Solistenensembles und eines ständigen Orchesters war an den Aufbau einer Großen Oper im Palästina jener Jahre nicht zu denken. Immerhin schienen sich aber einer mit weniger Kräften arbeitenden Kammeroper gute Chancen zu bieten. Benno Frank sollte sich auch darin irren und mit den Mitarbeitern der neuen KAMMEROPER die schmerzliche Erfahrung des „zu früh" machen. Aber sein Arbeitseifer, die Spielfreude der von ihm gewonnenen Künstler und die Hilfe des von ihm initiierten Freundeskreises der KAMMEROPER brachten doch eine ganze Reihe von guten Produktionen zustande, an die sich ältere Israelis auch später gern erinnerten. Die Eröffnungsvorstellung (1934) fand im winddurchwehten Amphitheater der Hebräischen Universität auf dem Scopusberg in Jerusalem vor dem dramatischen Hintergrund der Wüste Juda und des Toten Meeres statt. Sie bot La Serva Padrona von Pergolesi und Das Mädchen von Elizondo von Offenbach - Stücke, die eigentlich nicht recht in die pathetische Landschaft paßten. Nach dem Pergolesi-Offenbach-Programm brachte die KAMMEROPER noch Mozarts Entführung aus dem Serail und Bastien und Bastienne heraus sowie Die Pilger von Mecca und Der betrogene Kadi von Gluck - jeweils in geschlossenen Sälen, was für die Wirkung vorteilhaft war - , und zwar nicht nur in Jerusalem, sondern auch in Tel Aviv und Haifa. Es waren gute Aufführungen mit Künstlern, von denen sich viele bereits vor Ausbruch des Rassenwahns in Deutschland einen guten, z.T. sogar hervorragenden Namen gemacht hatten. Unter ihnen waren die Dirigenten Karl Salomon, Hans Schlesinger und Werner Sommerfeld, die Sängerinnen Dela Gotthelf (früher Staatstheater Kassel), Elli Kurz und Miriam Segal, die Sänger Rudolf (Ruben) Lazar, Leo Magido und Samuel Berlin (vordem an Opernhäusern in Wiesbaden, Berlin und Leipzig). Aber genau wie in den alten Tagen der vorhergehenden Einwanderungswelle aus Polen, als Maestro Golinkin davon träumte, die Oper von Tel Aviv zu einer der großen Opern der Welt zu machen, so mußten auch in den dreißiger Jahren die meisten der einwandernden Künstler, die über geringe oder gar keine finanziellen Mittel verfügten, zunächst noch bei ihren palästinensischen Erstberufen bleiben, um ein ausreichendes Einkommen zu finden: Karl Salomon z.B. als Musiklehrer und Hans Schlesinger als Pianist 380

Exiltheater in Palästina/Israel in einem Kaffeehaus (beide wurden später Dirigenten des palästinensischen Rundfunkorchesters), Miriam Segal als Landarbeiterin, Dela Gotthelf als Modistin, Ruben Lazar als Bienenzüchter, Leo Magido als Bauarbeiter. Auch die Mitglieder des fünfzehnköpfigen Orchesters, das Benno Frank (zeitweise Steineklopfer) für das Ensemble zusammengestellt hatte, mußten zumeist noch in anderen Berufen arbeiten, bevor sie später ein Engagement in den beiden palästinensischen Vollorchestern fanden: dem Radioorchester, dessen Gründung vor allem der Kunst- und Menschenfreundlichkeit des damaligen britischen High-Commissioners für Palästina, Sir Arthur Wauchope, zu verdanken ist, sowie dem durch die Initiative Bronislaw Hubermanns ins Leben gerufenen Palästina-Orchesters, das nach der Staatsgründung in Israelisches Philharmonisches Orchester umbenannt wurde. Wenn auch die musikalische Entwicklung in Palästina für die nächsten Jahrzehnte vor allem durch die Bemühungen dieser beiden großen Orchester, außerdem durch die Pflege der Kammermusik und die Arbeit der Konservatorien bestimmt wurde, so hatte die Franksche KAMMEROPER doch ihren erheblichen Beitrag zur Musikerziehung und zur Herausbildung einer Schicht aus alten Theater-Habitues und jungen Kunstsuchenden geleistet, was in den kritischen palästinensischen Werdejahren sonst nicht geschehen wäre. Inzwischen waren auf dem Gebiet des reinen Schauspiels neue Kräfte der deutschjüdischen Immigration drauf und dran, sich auf der hebräischen Bühne einen geachteten Platz zu erobern. Nach dem Brecht-Weill-Wolf-Erfolg zögerte Ohel-Direktor Mosche Halevy nicht, die Inszenierung von Büchners Dantons Tod einem gleichfalls bewährten deutschsprachigen Regisseur anzuvertrauen, der zudem schon eine gute schauspielerische Vergangenheit hinter sich hatte - Friedrich Lobe aus Breslau. Hal6vy hatte sich nicht geirrt: Dantons Tod wurde der einzige größere Ohel-Erfolg von 1934. Ein Jahr darauf, 1935, brachte Lobe im selben Theater Jaroslav Haseks anscheinend unsterblich gewordenes Stück Der brave Soldat Schwejk heraus, und zwar in einer Bearbeitung, die der Bühnenfassung von Max Brod und Hans Reimann ähnlich, wenn nicht gar mit ihr identisch war. Zum ersten Mal unter dem Eindruck der nazistischen Besetzung der Tschechoslowakei aktualisiert, 1968, nach dem sowjetischen Einmarsch, erneut ins Programm aufgenommen, wurde Schwejk lange über Lobes Lebenszeit hinaus gemessen an der Aufführungsziffer - der bisher größte Erfolg der modernen hebräischen Bühne: Von Anfang an mit Meir Margalit in der Hauptrolle, ist das Stück von 1935 bis Mitte 1972 850mal über die palästinensische und israelische Bühne gegangen, sogar noch nach der Schließung des Ohel Ende der sechziger Jahre, als eine andere, ad hoc gebildete Truppe den Schwejk als Erbstück erwarb. Nur einmal mußte Lobe einen argen Mißerfolg einstecken, und zwar als er eine deutschsprachige Aufführung in Jerusalem herausbrachte, wobei er allerdings vorsichtigerweise seinen Namen nicht im Programm angab. Das Unternehmen, das im heute in Jerusalem nicht mehr existierenden Orient-Kino als ORIENT-BÜHNE ins Leben treten sollte, hatte sich als erstes Stück Satan von Louis Verneuil ausgesucht. Das Programm, von dem noch ein Exemplar existiert, stellt die Akteure des Zweipersonenstücks vor: Friedel Lobe-Harms, ehemals an den Reinhardt-Bühnen, Berlin, und Joseph Schapira. Schapira war vordem an der Berliner Volksbühne engagiert, außerdem hatte er bereits bei einer der von Benno Frank inszenierten Kammeropern in einer Sprechrolle mitgewirkt. Aber kein vergangener Schauspielerruhm konnte den Satan retten, und höllisch 381

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war nur der Theaterskandal, der bald nach Beginn der Vorstellung einsetzte. Junge Sprachfanatiker hatten sich mit genügend Eiern versehen, um dem Satan das böse Ende zu bereiten, das er nach ihrer Meinung verdiente. Dieser Skandal bedeutete auch das Ende der ORIENT-BÜHNE, und es sollte noch viele Jahre dauern, bis in Jerusalem oder in einer anderen Stadt des Landes auf offener Bühne Deutsch gesprochen werden konnte. Der erfolgreichen Theaterarbeit des Ohel konnte und wollte Habima nicht nachstehen. Auf der Bühne der Habima wurde bereits 1933 - nur wenige Wochen nach der Dreigroschenoper im Ohel - die dramatisierte Fassung des Jud-Süß-Romans des aus Deutschland ausgebürgerten Lion Feuchtwanger gespielt. Die Reaktion auf diese Aufführung war so, als ob das Publikum in der Gestaltung des Schicksals des dem antisemitischen Massenwahn zum Opfer fallenden württembergischen Bankiers und Hofjuden des 18. Jahrhunderts modernste Geschichte miterlebte. Das zweite Antinazistück im Spielplan der Habima kam 1934 zur Aufführung: Professor Mamlock des jüdisch-deutschen Autors Friedrich Wolf, und zwar in der Inszenierung von Leopold Lindtberg, der seine Regiekunst schon vor 1933 in Berlin, „seit Hitler" in Zürich gezeigt hatte. Allerdings lernten die palästinensischen Theaterbesucher das Stück weder unter seinem richtigen Titel noch als ein Stück von Wolf kennen. Offenbar waren es Sicherheitsgründe, vermutlich Rücksicht auf die aus Deutschland noch nicht ausgewanderten Familienangehörigen des Dichters, die es ratsam erscheinen ließen, den Namen des Autors Friedrich Wolf mit dem Pseudonym „Hans Scheer" zu kaschieren. Aufgeführt wurde das Stück unter dem Titel Professor Mannheim - es war aber identisch mit dem Werk, das später allgemein unter den drei Titeln Doktor Mamlocks Ausweg. Tragödie der westlichen Demokratie, Doktor Mamlock und Professor Mamlock außerhalb des „Dritten Reiches" viel gespielt wurde. Der nächste Impuls, deutsch-jüdisches Regietalent zu integrieren, ging von der zentralen palästinensischen Gewerkschaftsorganisation, der Histadrut, aus, deren Leiter unter dem damaligen Generalsekretär David Ben Gurion, dem späteren Ministerpräsidenten Israels, sich auch in politisch und wirtschaftlich kritischen Zeiten ihrer kulturellen Verpflichtungen bewußt waren. Man war nicht recht glücklich mit der Tiefenwirkung des Ohel, welches trotz der gewerkschaftlichen Unterstützung, die es als offizielles Arbeitertheater genoß, eben doch nur ein Theater wie alle anderen wurde. Es bestand daher die Hoffnung, daß ein Künstler wie Alfred Wolf genügend Vision und Können besitzen werde, die latente Theaterfreude im Volke selbst, vor allem in den Kibbuzim und anderen Siedlungen, zu aktivieren und mit der Befriedigung des Laienspielbedürfnisses gleichzeitig auch das Publikum für die Leistungen des Berufstheaters rezeptiver zu machen. Diese Erziehung durch Mitspielen erschien um so gebotener, als Habima, Ohel und das 1928 gegründete, zur Satire hinstrebende Matateh (Der Besen) mit den meisten ihrer Produktionen auch das Land außerhalb Tel Avivs bereisten, insbesondere die Kibbuzim, von denen die größeren über ein eigenes Amphitheater oder über einen anderen Platz verfügten, wo die Bretter aufgeschlagen werden konnten. Entsprechend dieser „Theaterbelebungspolitik" gab die Histadrut in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Kibbuz-Organisationen Alfred Wolf häufig Gelegenheit, in den Zentren der jüdischen Kolonisation Fest- oder Gedenkspiele zu inszenieren, bei denen vor allem auch die Jugend zur Mitwirkung aufgerufen war. Eins der mehr historisierenden Stücke, das die Geschichte der jüdischen Einwanderung von den Tagen der ersten, 382

Exiltheater in Palästina/Israel noch im vorigen Jahrhundert aus Rußland gekommenen Landarbeitspioniere bis zu denen der Nazikatastrophe beschreibt, hatte Wolf gemeinsam mit dem hebräischen Dichter Avigdor Hameiri konzipiert, der übrigens schon 1927, noch ein Jahr vor der Gründung von Matateh, das wirklich erste satirische Theater in Palästina eröffnet hatte: den Kumkum (Teekessel). Ein anderes von Wolf mit großem Erfolg inszeniertes Stück war das Spiel um Ruth, eine biblische Komödie um die Figur von Ruth, der Moabiterin, aus der Feder des Jerusalemer Schriftstellers Μ. Y. Ben-Gavriel. Das Stück, von I. Shenhar aus dem deutschen Manuskript ins Hebräische übersetzt, wurde in Anwesenheit von achttausend Zuschauern im Theater der Siedlung Afikim gespielt; der besondere Anlaß war der 25. Jahrestag der Gründung dieses Kibbuz. Hatte Wolf schon bei diesen Fest- und Gedenkspielinszenierungen seine Neigung zur Entpathetisierung des hebräischen Theaters gezeigt, so ergab sich für ihn eine weitere Gelegenheit, seinen Reformwillen zu zeigen, als er zum ersten Mal das von ihm zusammengestellte Ensemble des THEATRON CHADASH (Neues Theater) vorstellte. Vor der ersten Premiere der Truppe (1934) - er hatte dafür Sheriffs Journey's End („Die andere Seite") gewählt - hieß es in einer der Presse übergebenen, von Wolf verfaßten programmatischen Erklärung: „Das Schauspielerensemble des THEATRON CHADASH besteht etwa zu gleichen Teilen aus Palästinensern, die schon viele Jahre im Lande sind und bereits an palästinensischen Bühnen spielten, und aus Neueinwanderern, die an deutschen und österreichischen Theatern lernten und aufgetreten sind. Solche Vermischung entspricht genau dem künstlerischen Stil, den Alfred Wolf seinem Theater zu geben gedenkt: eine Vereinigung des bildhaften, statischen Darstellungsstils der älteren palästinensischen Bühnen mit dem bewegten, dynamischen etwa der deutschen Reinhardt-Bühnen." Obwohl die Aufführung dieses Stückes (in verschiedenen gemieteten Sälen) ein künstlerischer Erfolg war, konnte sich das THEATRON CHADASH, wie vorher Benno Franks KAMMEROPER, finanziell nicht lange halten. Das gleiche Schicksal war Wolfs nächster Gründung beschieden, dem THEATRON EREZ-ISRAELI (Theater des Landes Israel), wo er unter eigener Regie drei Curt-Goetz-Einakter und Fodors Arm wie eine Kirchenmaus hebräisch aufführte. Schließlich war sein Name auch eng mit dem THEATRON IVRI (Hebräisches Theater) verbunden, das sein ereignisreiches, künstlerisch bedeutsames, aber ebenfalls nicht zu langes Leben in Haifa begann. Das THEATRON IVRI stand unter der Direktion des aus Prag stammenden Richard Rosenheim, der sich in den Jahren bis 1933 bereits an Theatern im deutschen Sprachbereich einen hervorragenden Namen gemacht hatte, vor allem in Königsberg und Zürich, und zwar sowohl als Regisseur und Dramaturg als auch als Intendant. Er war 1934 in Palästina eingewandert und sah zunächst keine Möglichkeit, sich in das kulturelle Leben des Landes zu integrieren. Seine Frau übernahm die Leitung einer Pension in dem damals noch recht abgelegenen Provinzstädtchen Rehovot; er selbst arbeitete eine Zeitlang als Tischler - auch das Beispiele erster Selbsthilfe. (Die Frau Arthur Sakheims, des früheren Dramaturgen an Erich Ziegels Hamburger Kammerspielen, arbeitete als Taxichauffeuse in Tel Aviv.) Zwei Jahre hielt es die Rosenheims in Rehovot. Als jedoch 1936 eine Gruppe prominenter Haifaer Bürger die Idee entwickelte, die vielen neu eingewanderten Theatertalente dem Kulturleben ihrer Stadt nutzbar zu machen, stellte Richard Rosenheim sich 383

Erich Gottgetreu gem für diesen neuen Versuch zur Verfügung - zusammen mit Benno Frank und Alfred Wolf, die als Regisseure gewonnen wurden. Der Freundeskreis des neuen Haifaer THEATRONIVRI spendete auch, ä fond perdu, das Grundkapital, mit dessen Hilfe für die ersten Vorstellungen das gerade neu eröffnete Ora-Kino gemietet wurde. Wegen hoher Mietforderungen wurde allerdings bald der Umzug in die Makkabi-Sporthalle nötig. Als Eröffnungsstück war Shakespeares Othello gewählt worden, und zwar aus dem einfachen Grund, weil man weder einem Autor noch einem Übersetzer Honorar zu zahlen brauchte. Gespielt wurde die hebräische Fassung von Isak Edward Salkinson. Die Haifaer Aufführung von Shakespeare-Salkinsons Othello war in ihrer Art ein theatralisches Ereignis. Der Kritiker Manfred Geis schrieb in der Jüdischen Rundschau, die damals noch in Berlin erscheinen und über Vorgänge in Palästina berichten durfte, über die Vorstellung: „Der Regisseur Benno Frankel lieferte in einer selbst für europäische Verhältnisse außerordentlich kurzen Zeit eine Aufführung, von der man als höchstes Lob sagen kann: es war wirklich Shakespeare. Die ganze Einstudierung wie die dramaturgische Bearbeitung verrät ebenso viel Ehrfurcht vor dem Werk wie Verständnis fiir das Werk". Richard Rosenheim und Benno Frank hatten erste Kräfte gewonnen. Den Othello gab Abraham Sklarsch, ein in Jaffa geborener Jude sephardischer Abstammung, aufgewachsen in arabischer und hebräischer Sprache. Nachdem er Deutsch gelernt hatte, genoß er seine schauspielerische Ausbildung bei Reinhardt und bei Jeßner. Hermann Heuser, früher Charakterdarsteller in Stuttgart und am Berliner Schillertheater, spielte den Jago, Esther Taube (vormals am Theater in der Josefstadt) Desdemona, Hertha Wolf (vordem am Neuen Schauspielhaus in Königsberg) Emilia, Joseph Schapira (vordem Berliner Volksbühne) Cassio und Chaim Ladendorff (ebenfalls vordem am Königsberger Theater) Rodrigo. Außer Othello erschienen im Spielplan des THEATRON IVRI O'Neills Kaiser Jones in der Regie von Alfred Wolf und mit Abraham Sklarsch in der Hauptrolle, Schönherrs Weibsteufel (Regie Wolf), Georg Kaisers Oktobertag (Regie Benno Frank) sowie Bruno Franks Sturm im Wasserglas, ebenfalls in Benno Franks Regie. Bei der Aufführung des Oktobertags gehörte dem Ensemble u. a. auch Miriam Ben-Gavriel an, die schon in Wien Theater gespielt hatte, ferner in Tel Aviv im hebräischen THEATRON LEUMI (Nationaltheater) des aus Bulgarien stammenden Regisseurs Izhak David, das 1926/27 existierte. Izak David wurde später an der hebräischen Universität in Jerusalem der erste Dozent für hebräische Phonetik. Bruno Franks Komödie Sturm im Wasserglas gab übrigens Anlaß für das erste Auftreten von Rose Lichtenstein in Palästina. Von Alfred Wolf zur Übersiedlung nach Palästina bewogen, spielte Rose Lichtenstein viele gute Rollen. Mit Erfolg trat sie später auch bei den Satirikern des Matateh und schließlich im Kammertheater auf, das 1944 gegründet wurde. Trotz der Bemühungen des vor allem aus alteingesessenen deutsch-jüdischen und russischjüdischen Einwanderern bestehenden Freundeskreises des THEATRON IVRI und trotz Gastvorstellungen in Tel Aviv und Jerusalem kam auch diese Truppe nicht so recht auf den berühmten grünen Zweig der Prosperität. Ungeachtet der guten Presse hielt ein Teil des Theaterpublikums Habima und Ohel die Treue. Mit Mißtrauen beobachtete man das Unternehmen der „Neuen", ihren Stil und sogar ihre Diktion des Hebräischen, 384

Exiltheater in Palästina/Israel

die oft als „zu deutsch" empfunden wurde im Vergleich zu der Aussprache, wie man sie von den „alten Russen" hörte. Besonders die Habima sollte noch sehr lange mit dem alten Stamm der 1917/18 in Moskau ausgebildeten Schauspieler arbeiten. Benno Frank dachte vor allem an die neuen jüdischen Einwanderer aus Zentraleuropa und an das alteingesessene Publikum, wenn er das Dilemma des THEATRON IVRI mit dem Satz charakterisierte: „Diejenigen, die gern ins Theater gehen wollen, verstehen noch kein Hebräisch - und die, die Hebräisch verstehen, gehen nicht in unser Theater." Die zu hohe Saalmiete und die Sprache stellten nicht die einzigen Schwierigkeiten dar, mit denen sich das THEATRON IVRI konfrontiert sah. Damals, 1936, war auch schon der Krieg der arabischen Nationalisten gegen die Ausdehnung des jüdischen Kolonisationswerkes in Palästina und insbesondere gegen die weitere jüdische Einwanderung entbrannt. Guerillaüberfälle auf Verkehrsmittel zwischen jüdischen Siedlungspunkten und Sabotageakte gegen jüdisches Eigentum waren an der Tages- und Nachtordnung, wobei die vom THEATRON IVRI als Theatersaal benutzte Makkabi-Sporthalle in Haifa anscheinend als ein besonders wichtiges strategisches Ziel erachtet wurde. Als die Halle eines Tages mit allen Dekorationen und dem Gestühl in Schutt und Asche lag, da war guter Rat teuer und die Fortsetzung des Theaterbetriebes zunächst unmöglich. Hier war es nun Benno Franks Erfindungsgabe, die den Schauspielern des Haifaer Theaters wie auch anderen zeitweise stellenlosen Schauspielern half, über die gagenlose Zeit hinwegzukommen. Nachdem eine schnell angestellte Marktanalyse gezeigt hatte, daß es in Palästina u. a. an jener Art „bleibender Andenken" fehlte, wie sie die damals hier stationierten britischen Soldaten nach Beendigung ihrer hiesigen Dienstzeit gern mit nach Hause nahmen, organisierte Benno Frank den Vertrieb von importierten Schweizer Taschenuhren, auf deren Zifferblatt ein gewandter Miniaturmaler ein Bild der Jerusalemer Altstadt gemalt hatte zusammen mit dem Porträt König Edwards VIII. und der Inschrift „On His Majesty's Service in the Holy Land". Das ging allerdings nur so lange gut, bis Edward VIII. abdankte. Für die einkommenslosen Schauspieler fand sich dann ein Helfer in Gestalt eines kunst- und menschenfreundlichen arabischen Bürgers von Haifa, der sich standhaft geweigert hatte, am Krieg gegen die Juden teilzunehmen und ihnen die Freundschaft zu kündigen. Er ließ für die Gruppe eine Anzahl attraktiv aussehender, metallisch glänzender Heißwurstöfchen aus Italien importieren. Benno Frank appellierte anschließend an den High Commissioner, das Gesundheitsamt möge seinen Schützlingen den Straßenverkauf von wannen Würstchen gestatten, die streng nach den Vorschriften der lokalen Behörden zubereitet seien. Die Herstellung übertrug Frank einem nach allen Regeln der Wurstkunst in seinem Fach versierten und auch die jüdisch-traditionellen Speisegesetze einhaltenden Metzger - einem Einwanderer aus Frankfurt. Seine Frankfurter Würstchen gingen ab wie die warmen Semmeln, die als Beigabe verabfolgt wurden. Es gelang Richard Rosenheim und Benno Frank, das THEATRON IVRI in Haifa noch einmal zu eröffnen, jedoch wiederum nur auf beschränkte Zeit. Immerhin gab es verschiedenen Künstlern einen guten Absprang für ihre weitere Laufbahn, die sie auf den fester verankerten hebräischen Bühnen fortsetzten. Richard Rosenheim und Benno Frank erhielten mehrere Regieaufträge vom satirischen Theater Matateh. Abraham Sklarsch machte als Ben Astar Karriere in Hollywood. Außerdem erzielte Frank einen großen Erfolg bei der im Auftrag der Erziehungsabteilung der Stadt Tel Aviv durchgeführten Inszenierung des Liberschen Originalstückes Yalde Hefker („Verwahrloste Ju385

Erich Gottgetreu gend"), in der Fürsorgezöglinge ihr eigenes Schicksal spielten. Diese Art aktiver Seelentherapie durch Theater, die heute vielfach im modernen Erziehungs- und Strafvollzug angewandt wird, bewirkte damals die Empörung vieler braver Bürger, stürmische Protestversammlungen und schließlich die Absetzung des Stückes. Ähnlich wie dem THEATRON IVRI erging es auch dem PAPILLION, einem hebräischsprachigen Kleinkunsttheater, das im April 1940 in Tel Aviv eröffnet wurde. Seine Leiterin war Stella Kadmon, die ehemalige Prinzipalin des Wiener DER LIEBE AUGUSTIN, ihr Mentor und Helfer der Dramatiker Sammy Gronemann. Für das erste Programm gelang es Gronemann, so namhafte hebräische Dichter wie Avigdor Hameiri und Nathan Altermann als Mitarbeiter zu gewinnen. M. Mokdy, der bei Jeßner in Berlin gearbeitet hatte, besorgte das Bühnenbild, die Musik komponierte kein Geringerer als Mark Lavri, der spätere Dirigent des Palestine Symphony Orchestra. Regie führte Martin Rost. Trotz wohlwollender Reaktionen scheiterte das Unternehmen schon nach dem zweiten Programm. Auch in diesem Fall war der Grund, daß die Zahl der an anspruchsvollen Kabarettaufführungen Interessierten zu klein war, das viel größere Potential - nämlich die deutschsprachigen Einwanderer - jedoch die hebräische Sprache nicht genügend beherrschte, um den Darbietungen folgen zu können. Hinzu kamen die ersten Auswirkungen des Nordafrika-Krieges - in Form von Auflagen, die Spielstätte zu verdunkeln. Sie trieben die Kosten derartig in die Höhe, daß an eine Weiterführung des PAPILLION nicht zu denken war. Die letzte Initiative deutschsprachiger Immigrantenregisseure und -schauspieler für ein hebräisches Theater wurde 1941 in Jerusalem unternommen. Die Gruppe, die sich JERUSALEM ARTISTS nannte, spielte im Theatersaal der YMCA unter der Regie von Mario Kranz (vormals Schauspieler in Wien) Ibsens Gespenster mit Miriam Ben-Gavriel als Frau Alwing, Walter Rosenbaum (vormals Köln) als Oswald, Zwi Hermann (Leipzig) als Pastor Manders, Mario Kranz als Engstrand und Antigone Bing, der Tochter des früheren Direktors der Münchner Kammerspiele Benno Bing. Durch die gleiche Gruppe fanden vor einem kleineren geladenen Kreis in den Räumen des Jerusalemer Konservatoriums Dramenvorlesungen in deutscher Sprache mit verteilten und andeutend agierten Rollen statt. Dafür wurden der erste Teil des Faust und Werfeis Jacobowsky und der Oberst gewählt. Ein Kreis von etwa hundert Eingeladenen lauschte ergriffen, als eines Abends mitten im Kriege in Jerusalem die sich hier durchaus im Exil fühlende Else Lasker-Schüler der Märchenprinz von Theben auf König Salomos Spuren - Teile des um die Wende 1940/41 geschriebenen Schauspiels Ichundich aus dem deutschen Manuskript vorlas. Die von ihr selbst an ihre Freunde ausgetragene Einladung lautete: „Adon, Gewereth, am 20. Juli Sonntag abend 8 Uhr 30 liest Else Lasker-Schüler im Alfred Berger Club der Olei Germaniah (Rehavia Mamillastr.) ihr neuestes Schauspiel aus dem Manuskript ihres zweiten Palästinabuchs vor geladenen Gästen. Eintritt nur auf Vorzeigen dieses Schreibens! Unkostenbeitrag 30 Mils." Die Begrenzung des Zuhörerkreises auf die Empfänger einer Einladung zeigt, daß die Dichterin, schon damals viel von Halluzinationen gequält, das Persönlichste zu sagen glaubte. Tatsächlich sagte sie Klarstes und Verworrenstes. In den Visionen des formal nach dem Faust-Vorbild konzipierten Stückes sind neben lyrischen Stellen von großer Schönheit lange Strecken nächtiger Dunkelheit. Am Schluß kapituliert Satan vor Gott; 386

Exiltheater in Palästina/Israel Hitler, Göring und das ganze Naziheer versinken in der brodelnden Höllenflut. Nur wer so an Deutschland litt wie diese Dichterin in Hölderlins Sprache, konnte ein solches Werk des Hasses, der Liebe und der Hoffnung schreiben. - Angemerkt sei, daß es in der Regieanweisung zum ersten Akt von Ichundich, der nah der Jerusalemer Altstadtmauer spielt, heißt: „In der steinern abgebröckelten alten Königsloge sitzen auf Prunksesseln unheimlich bewegungslos, bunt und golden angemalt wie die Figuren eines Panoptikums, die Könige Saul, David und Salomo. In der Direktorenloge Direktor Max Reinhardt aus Hollywood nach Jerusalem zur Inszenierung gebeten. [...]" Diese dichterische Vision verwirklichte sich freilich nicht. Nach der „Machtergreifung" hatte die Habima in Tel Aviv versucht, sich - zunächst gastspielweise - der Regiekunst Max Reinhardts zu versichern. Das gelang ihr nicht. Leopold Jeßner dagegen beantwortete die Einladung der Habima positiv. Der vormalige Intendant des Berliner Staatstheaters, einer der aktivsten Förderer des modernen deutschen Theaters, war stets am Aufbau Palästinas und an der Entwicklung eines hebräischen Theaters interessiert gewesen. Aber da es ihm und den Habima-Künstlern nicht gelang, eine Synthese zwischen dem von ihm entwickelten und dem von der Habima gepflegten russischen Stil Stanislawski-Wachtangowscher Prägung herzustellen, wollten seine beiden großen Tel Aviver Inszenierungen der Spielzeit 1936/37 nicht recht glücken - weder die des Kaufmanns von Venedig noch die von Wilhelm Teil. Interessant war, daß er den Kaufmann in zwei Tonarten inszenierte, indem er die so verschieden interpretierte Shylock-Rolle alternierend von zwei Schauspielern ganz verschiedenen Typs spielen ließ: einerseits von dem eher derben Aron Meskin, andererseits von dem Intellektuellen Shimon Finkel. Um der Gerechtigkeit willen muß jedoch gesagt werden, daß auch spätere Inszenierungen dieses Shakespeare-Dramas - 1959 in der Habima und 1972 im Kammertheater - keinen rechten Erfolg hatten. Die antijüdischen Untertöne des Stückes lassen sich nun einmal nicht eliminieren, ohne die Partitur Shakespeares zu vergewaltigen; sie aber sind nicht geeignet, die Zustimmung eines weder im Selbsthaß zerquälten noch von Minderwertigkeitsgefühlen geplagten jüdischen Publikums zu finden - obschon es weiß, daß Shakespeare ebensowenig wie die englischen Zuschauer seiner Zeit einen Juden gekannt haben dürfte. Jeßner schied verbittert. Von Natur aus konziliant und äußerst geschickt im Verhandeln, hatte er doch mit den Habima-Künstlern keine gemeinsame Sprache finden können. Hinzu kam, daß er das Kollektiv-Prinzip, wie es bei der Habima in Fragen der Verwaltung und der künstlerischen Leitung praktiziert wurde, als völlig ungeeignet für die Führung eines Theaters empfand. Die Habima-Leute waren damals in Erinnerung an die romantischen Anfänge in Moskau noch begeisterte Kollektivisten. Die weitere Entwicklung hat Jeßner recht gegeben: Nach einer langen Periode der Irrungen und Wirrungen, auch einiger Erfolge, wurde die Habima 1969 als Kollektiv aufgelöst. Nachdem Jeßner Tel Aviv 1937 verlassen hatte, erwog er den Plan eines Jüdischen Theaters in Polen, obschon es dort zu jener Zeit, in der viele noch auf die Erhaltung des Weltfriedens hofften, bereits mehr als ein Dutzend Theater in jiddischer Sprache für das Theaterbedürfnis der polnischen Juden gab. Die Gründung der Jeßner-Bühne in Polen wurde schließlich auch nicht realisiert. - Jeßners Verhandlungspartnerin für seine neuen Theaterpläne war die aus Berlin stammende Margot Klausner, die Neuberin der hebräischen Bühne, deren Hilfe und Organisationstalent viel dazu beigetragen hatten, 1928 387

Erich Gottgetreu den ersten Besuch der Habima in Palästina und 1932 deren endgültige Niederlassung in Tel Aviv zu ermöglichen. Margot Klausner blieb von da an dem Theater eng verbunden. In der Frage, wie die Habima bestmöglich zu organisieren sei, stand sie ganz auf der Seite Jeßners, ohne sich freilich gegen die Mehrheit durchsetzen zu können. Produktiver und friedlicher als mit Jeßner entwickelten sich die Gastspielbeziehungen zwischen der Habima und den Regisseuren einer jüngeren Generation: Leopold Lindtberg und Julius Gellner. Trotz intensiver Regiearbeit in Zürich und anderswo fand Lindtberg auch nach der Inszenierung des Professor Mannheim immer wieder Zeit zu Habima-Besuchen, um z.T. in Zusammenarbeit mit Teo Otto als Bühnenbildner seine Theatervisionen zu realisieren. Den größten Erfolg hatte er bereits ein Jahr nach der Professor Mannheim-Auiführung, als er die Grünen Felder von Perez Hirschbein so eindrucksvoll gestaltete, daß das Stück es auf 153 Vorstellungen brachte, was für die Verhältnisse jener Zeit ein absoluter Rekord war. Einen zweiten Erfolg brachte 1935 das von Lindtberg inszenierte Stück Golems Traum von H. Leiwik. Der jüdische Maler und Graphiker Jakob Steinhart (1887 - 1968) hatte die Bühnenbilder zu dieser Inszenierung geschaffen. Das Stück selbst befand sich schon seit 1925 im Repertoire der Habima. 1951 folgte Brechts Mutter Courage mit der hervorragenden Habima-Tragödin Chana Rovina in der Hauptrolle. Später inszenierte Lindtberg auch einige Stücke für das Kammertheater, darunter Max Brods Dramatisierung von Kafkas Roman Das Schloß und Frischs Biographie. Der aus der Tschechoslowakei stammende Julius Gellner, der kurze Zeit sogar den Posten eines künstlerischen Direktors der Habima innehatte, vertrat in einem gewissen Sinne das tschechische Exiltheater deutscher Sprache; aber da er mehrere Jahre hindurch im Mermaid-Theater in London und in den BBC-Studios inszeniert hatte, war sein Aufführungsstil stark westlich beeinflußt. Das Zusammentreffen dieser Tendenzen mit dem „russischen" Grundstil der Habima-Schauspieler konnte sich nur produktiv auswirken. Gellners größte Inszenierungserfolge bei der Habima waren 1951 Millers Tod eines Handlungsreisenden und 1953 Lost in the Stars, eine musikalische Fassung von Alan Patons Cry the Beloved Country. Außerdem inszenierte er u. a. vier Shakespeare-Stücke, die viel Beifall fanden, während der erste Teil des Faust nur auf begrenzte Zustimmung stieß, was vielleicht auch mit Besetzungsinkongruenzen erklärt werden kann. 1962 brachte Gellner Tolstois Krieg und Frieden in der Piscator-Bearbeitung heraus - Exiltheater auch insofern, als es eine der letzten großen Konzeptionen Piscators war. Vor dem hebräischen Genius loci verneigte sich Gellner, als er 1964 Die Reise nach Niniveh des israelischen Autors Yehuda Amihai auf die Bühne brachte. In diesem Zusammenhang müssen auch zwei andere jüdische Immigranten tschechoslowakischer Provenienz und Prager Prägung genannt werden, die der Entwicklung des hebräischen Theaters viel gegeben haben - Max Brod als Dramaturg und Josef Millo als Regisseur. Max Brod erreichte Tel Aviv vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, nachdem er Prag am 15. März 1939 mit dem letzten Zug, der die CSR-Grenze vor dem deutschen Einmarsch passieren sollte, verlassen hatte. Für ihn gewann die Ankunft in Palästina, wie Franz Werfel ihm später aus Amerika schrieb, „zumindest theoretisch die Bedeutung der Heimkehr". Er hatte schon bis dahin - d. h. bis zu seinem 55. Lebensjahr einen erheblichen Teil seines denkerischen und dichterischen Werkes jüdisch-nationalen Problemen gewidmet. Bei den Vorbereitungen zur Gründung des tschechoslowakischen 388

Exiltheater in Palästina/Israel Staates hatte er sich für kulturelle Autonomierechte, insbesondere die Errichtung einiger hebräischer Schulen für die in dem neuen Staat lebende jüdische Minderheit eingesetzt. In der Frage des von ihm stets befürworteten Aufbaus Palästinas war es das Problem der jüdisch-arabischen Beziehungen, das ihn vor allem beschäftigte: Er stand hier den zum binationalen Staat hinstrebenden Konzeptionen Martin Bubers, Yehuda Magnes' und seiner beiden Prager Freunde Hugo Bergmann und Robert Weltsch nahe. Wenn Brod bei seiner Ankunft in Tel Aviv von der Bevölkerung besonders herzlich begrüßt wurde, so galt dieser Empfang ebenso dem jüdischen Schriftsteller von europäischer Geltung wie dem zionistischen Heimkehrer, der im Gegensatz zu vielen Emigranten, die vor allem die NS-Verfolgung nach Palästina trieb, nicht erst „umzulernen" brauchte. Brod verband ein hohes Maß an europäischen Kenntnissen und großes jüdisches Wissen mit hervorragendem künstlerischen Gespür, das ihn zum Förderer Weinbergers, Janäceks und vor allem Kafkas gemacht hatte. So war es leicht erklärlich, daß sich das hebräische Theater seine Dienste sicherte: Die Habima bot ihm einen Posten als Dramaturg, den er bis zu seinem Tode im Jahre 1968 innehatte. Max Brod, ein unermüdlicher Leser und Prüfer, brachte manches Wertvolle ans Tages- und Rampenlicht, wie vordem vom Prager Schreibtisch aus. Dabei war er durchaus nicht einseitig: Die Aktualität sah er oft auch in historischen oder biblischen Stoffen, die ernste Tendenz auch in der leichteren Form. Unter den teils hier geborenen, teils später eingewanderten Autoren, die in Israels „Perikleischem Zeitalter" vor und nach der Staatsgründung von 1948 primär für die hebräische Bühne geschrieben haben, waren Sch. Schalom und Aharon Meged, Max Zweig, Nathan Bistritzky, Ephraim Kishon, vor allem aber Sammy Gronemann. Die Komödien des vormaligen Berliner Rechtsanwalts, Romanautors und Lustspieldichters Gronemann erlebten an vier hebräischen Theatern viele Hunderte von Aufführungen, außer an der Habima auch am Ohel, im Matateh und im Kammertheater. Eines seiner Stücke, Jakob und Christian, das kurz nach Gronemanns Einwanderung entstand, ist eine Satire auf die nazistischen Rassentheorien. Abgelehnt von den palästinensischen Bühnen wurde mit Recht manches die jüdische Vergangenheit verharmlosende Lustspiel und Rührstück - als Mißbrauch des Theaters zu einer Zeit, in der Hitler, Himmler und Göring in Deutschland herrschten. So blieb auch das alte Erfolgslustspiel Carl Rößlers, das Rothschild-Familienstück der Fünf Frankfurter, jahrzehntelang unaufgeführt; erst 1971 erreichten die fünf Frankfurter Brüder im Vehikel eines Broadway-Musicals die israelische Bühne. Als Dramaturg war Max Brod sehr erfolgreich bei der Einbürgerung mehrerer in Palästina bisher ungespielter Autoren aus der Weltliteratur. Seine Hoffnung, auch Stücke arabischer Dichter auf die hebräische Bühne zu bringen, erfüllte sich nicht; immerhin war es während des Burgfriedens in den Jahren des Zweiten Weltkrieges zu Verhandlungen zwischen der Habima und einem namhaften ägyptischen Schriftsteller gekommen. Daß Arnold Zweigs gedankenreiches Stück Bonaparte in Jaffa in Palästina zumindest zu einer Leseaufführung kam - und zwar in deutscher Sprache -, ist Stella Kadmon zu verdanken. Zweig schrieb das Stück, als er in den dreißiger Jahren auf dem Karmelberg bei Haifa wohnte, mit dem Blick auf das Schlachtfeld von Akko, wo Napoleons Feldzug sein Ende gefunden hatte. - Der Ort der Aufführung war der idyllische Dachgarten von Stella Kadmons Haus in Tel Aviv. Zusammen mit einem Gleichgesinnten, Arnold Czempin, hatte Stella Kadmon diese Form eines Ersatzes für „richtiges" Theater ins Le389

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ben gerufen. Neben dem Zweig-Drama kamen noch Werfeis Jacobowsky und der Oberst und, im April 1946, Brechts Furcht und Elend des Dritten Reiches zur Aufführung. Angesichts der vehementen Ablehnung der deutschen Sprache war jedoch auch diesem Unternehmen nur kurze Dauer beschieden. Bombendrohungen erzwangen im Juli 1946 seinen Abbruch. Der 1916 in Prag geborene Josef Millo war mit seiner Familie schon als Kind nach Palästina gekommen und hatte hier eine hebräische Erziehung genossen. Andererseits prägten ihn Einflüsse des Elternhauses und Theaterstudien in Europa im westlichen Sinne. Er sah hervorragend aus, war ein guter Sprecher und selbstsicherer Darsteller: Das ließ eine gute Karriere erhoffen. Da ihn jedoch in Israel keines der bestehenden hebräischen Theater aufnehmen wollte oder konnte, begnügte er sich zunächst mit einer Stelle als „Mädchen für alles" bei dem Puppenschnitzer Paul Löwy, dem wohl originellsten seiner aus der Tschechoslowakei eingewanderten Theaterkollegen. Paul Löwy war eigentlich Rechtsanwalt, die Puppenspielerei betrieb er als Hobby. Millo schrieb für ihn Texte, zog alle Stränge und sprach alle Stimmen: die ideale Schule für einen Theaterdirektor. Als Löwys Puppentheater, die HÖLZERNE TRUPPE, nicht mehr weiterspielen konnte, beschloß Millo, selbst Direktor zu werden. Es war 1944, gegen Ende des Krieges; die Welt hatte ganz andere Sorgen. Auch in den theaterinteressierten Kreisen von Tel Aviv erregte der Entschluß kein besonderes Aufsehen. Aber die jungen Schauspieler, um die Millo als Mitwirkende warb, waren begeistert. Sie hatten mehr Vertrauen zu seinem Theatermut als zu den traditionstreuen und manchmal recht stilsteifen Standardbühnen - „Hoftheater für den Volksgebrauch", wie sie dem Schauspielernachwuchs erschienen. Mit primitiven Mitteln, in kleinen und kleinsten Sälen fing die Gruppe um Millo an, verschiedene Einakter zu spielen. Sie wurde von den meisten Kritikern mit Skepsis aufgenommen, fand aber sichtlich Anklang bei jüngeren Menschen. Die erste Serie von vier Einaktern konnte 33mal über die Bühne gehen; das ermutigte sie. Millo adaptierte als zweite Inszenierung eine Erzählung des hebräischen Dichters Ch. N. Bialik. Dieses Stück fiel durch. Mit dem dritten Stück konnte sich das neue Theater, das Cameri (Kammertheater), fest etablieren: Goldonis Diener zweier Herren, mitreißend lustig im Commedia-dell'arte-Stil gespielt, brachte es in dieser Inszenierung von Millo zu 148 Aufführungen. Der Frische und Originalität des Milloschen Inszenierungsstils entsprach die Spielfreude der Schauspieler, von denen mehrere Emigranten aus Mitteleuropa waren. Einige Mitglieder dieses Ensembles seien namentlich genannt. Das Cameri hatte keine Bedenken, Rose Lichtenstein zu engagieren, die bis dahin, von Richard Rosenheims THEATRON IVRI abgesehen, nur im satirischen Matateh aufgetreten war; dort empfand man ihren leicht deutschen Akzent, der in Palästina auch ,j eckischer" Akzent genannt wird, als komisch. An Tuvia Grünbaum, dem im Lauf der Jahre eine Reihe wichtiger Rollen zufallen sollte, konnten sich nicht wenige erinnern: Er war schon bei Jeßner im Vor-Nazi-Berlin als Herbert Grünbaum aufgetreten. Später ging er nach Berlin zurück. Orna Porat, Nichtjüdin aus Köln, kam durch ihre Ehe mit einem Offizier der Jüdischen Brigade des Zweiten Weltkrieges ins Land. Sie lernte ein vorzügliches Hebräisch und gilt heute als eine der ersten Schauspielerinnen Israels. Eine ihrer Glanzrollen war die der Heiligen Johanna von Shaw. Die Entpathetisierung dieser Figur löste in Israel eine ähn390

Exiltheater in Palästina/Israel liehe Theatersensation aus wie seinerzeit Elisabeth Bergners Gestaltung im Berliner Deutschen Theater. Orna Porat wirkte nicht nur als Schauspielerin auf der Bühne des Cameri, sondern sie erwarb sich auch Verdienste als Reformatorin des hebräischen Kindertheaters: Sie gab Vorstellungen für Kinder mit möglichst vielen Kindern. Lange hatten in Israel - eigentlich im Gegensatz zu der pädagogischen Modernität des Landes - die Theaterveranstaltungen für die junge Generation im argen gelegen. Die verschiedenen Aufführungen der ins Hebräische übersetzten und dem Tel Aviver Milieu angepaßten Stücke von Erich Kästner, beispielsweise Emil und die Detektive, hatten seit Jahren gezeigt, daß gerade dieses Genre ein reiches Betätigungsfeld bot. Die Kästner-Begeisterung der israelischen Jugend, auch die Freude an seinen Kinderromanen, setzt sich durch die Generationen fort. Neben Orna Porat stammte auch der andere und nicht weniger berühmte „Star" des Cameri, Chana Meron, aus Deutschland. Sie hatte schon in Berlin als Hannchen Meierzak, wie sie damals hieß, Kinderrollen gespielt, die bereits ihre Begabung verrieten: so vor allem als Peter Lorres „Opfer" in Fritz Langs Film M. Außerdem trat sie in Erich Kästners Pünktchen und Anton im Theater in der Nürnberger Straße auf. Zur Emigration gezwungen, kam die Familie Meierzak über Paris nach Tel Aviv; aus Hannchen wurde Chana - die Theaterbegabung blieb ihr. Während des Krieges, an dem die meisten jüdischen Mädchen in Palästina ebenso wie die jungen Männer zur Verteidigung des Mittleren Ostens teilnahmen, sang sie für die alliierten Truppen in der ägyptischen Wüste. Dann, nach dem Kriege, war ihr erstes Engagement bei der Habima, das zweite beim Cameri, dem sie bis heute treu geblieben ist. Ibsens Nora und Shaws Doolittle waren unter ihren vielen Glanzrollen, was bereits die Spannweite ihrer Wandlungsfähigkeit andeutet. Als sie am 10. Februar 1970 von Tel Aviv nach London fliegen wollte, um den Vertrag für eine Filmrolle abzuschließen, wurde das Flugzeug während der Zwischenlandung in München von einer arabischen Terroristengruppe angegriffen und die Künstlerin schwer verletzt. Im Krankenhaus in München mußte ihr ein Bein amputiert werden. Ein Jahr darauf stand sie abermals auf der Bühne des Cameri in Tel Aviv; In der Rolle der Medea, für die sie mit den Proben bereits vor dem schicksalhaften Flug begonnen hatte, zeigte sie eine zutiefst ergreifende Leistung. Die physische Behinderung verlangte eine neue Rollenkonzeption; sie bewältigte sie meisterhaft. Von den mehr als zwanzig Medea-Fassungen hatte das Cameri die von Seneca gewählt, in der der Appell gegen alle sinnlose Gewalt besonders akzentuiert ist. Gerade die Rezensionen, die in der israelischen Presse nach der Medea-Premiere erschienen, zeigten, in welchem Maß das Niveau der israelischen Theaterkritik im Laufe der Jahre gestiegen war. Auch an dieser Entwicklung hat der Einfluß von Einwanderern aus dem deutschen Sprachraum einigen Anteil. So schrieb Max Brod, bis 1938 Kritiker für Musik und Schauspiel am Prager Tagblatt, seit 1939 bis zu seinem Tode 1968 unter dem Sammeltitel „Klang und Schatten" Rezensionen in den deutschsprachigen Tel Aviver Yedioth Chadashoth (Neue Nachrichten). In der hebräischen Tageszeitung Haaretz (Das Land) fand der aus Berlin stammende Musikkritiker Werner Rosolio eine Tribüne für sein fachmännisches Urteil. Die englischsprachige Jerusalem Post (die bis zur Staatsgründung The Palestine Post hieß) hatte in Franz Goldstein (Frango) aus Kattowitz, Rafael Dacosta, Ernst Mandowski und Manfred Geis (alle drei vormalige Berliner) kritische Betrachter von Erfahrung gewonnen. 391

Erich Gottgetreu Manfred Geis ging später zum MB-Mitteilungsblatt der deutschsprachigen Einwanderer aus Zentraleuropa. Dort waren seine durch Sachkenntnis und Gewissenhaftigkeit sich auszeichnenden Rezensionen von erheblichem erzieherischen Einfluß auf ein Publikum, das an das hebräische Theater heranzuführen so lange eine Aufgabe blieb, als es noch sprachunsicher und daher auch eindrucksunsicher war. Diese Funktion war um so bedeutsamer, als das hebräische Theater nicht nur ein Medium der Unterhaltung war, sondern auch eine pädagogische Aufgabe erfüllte. In einem 1957 im MB erschienenen Grundsatzartikel schrieb Geis in diesem Zusammenhang: „Das Theater konnte die verschiedenen jüdischen Welten den verschiedenen Einwandererschichten näherbringen, die von einander viel zuwenig wußten und sich daher fremd gegenüberstanden: vor allem die Welt und die Probleme des Landes hier (womit man allzuspät begann), aber auch die Welt der sephardischen Juden, der Jemeniten, des osteuropäischen jüdischen Städtls (das lange Zeit viel zu stark favorisiert wurde), auch die Welt der deutschen Juden. Das Theater konnte Unterweisung in jüdischer Historie geben, angefangen von der Bibel bis zu jüngster Zeit. Vor allem aber vermittelt das Theater, auch wenn es Stücke der Weltliteratur bringt, die für uns nicht weniger wichtig sind, das Gemeinschaftserlebnis, und ohne dieses zu verspüren, ist die Verwurzelung in einem neuen Land schwer möglich, bleiben Einwanderer ewig .Einwanderer', Individualisten, Außenstehende, die nicht recht .dazugehören'." Manfred Geis wirkte nicht nur als Theaterkritiker: Wie schon in Deutschland „vor Hitler" veranstaltete er auch in seiner neuen Heimat Rezitationsabende, auf denen er Bibeltexte in hebräischer Sprache sowie Lyrik und Prosa von Heine in deutscher Sprache vortrug. Außerdem wurde ihm von Margot Klausner die Leitung des von ihr gegründeten Tel Aviver Bühnenvertriebs Moadim übertragen, der die Interessen ausländischer Autoren in Israel und israelischer Theaterschriftsteller im Ausland wahrnimmt. Ende der sechziger Jahre übernahm Margot Klausner ihre dritte Pionierrolle mit dem Aufund Ausbau großer Filmstudios bei Tel Aviv. Diese Ateliers schufen eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Entwicklung der israelischen Filmindustrie. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der Liquidierung des Hitlerregimes und der relativen Konsolidierung des jüdischen Staates war die Integration der nach Palästina eingewanderten Überlebenden der Verfolgungen mehr oder weniger abgeschlossen. Einige der aus deutschsprachigen Gebieten immigrierten Schauspieler waren allmählich von hebräischen Theatern, vor allem dem Cameri, absorbiert worden. Andere hatten nichtkünstlerische Berufe ergriffen, manchmal mit befriedigendem Erfolg. Unter den ehemals deutschen Schauspielern jüdischer Herkunft, die den Übergang zur hebräischen Sprache nicht bewältigen konnten, befindet sich auch die Trägerin eines der größten Namen der deutschen Theatergeschichte: Gertrud Brahm, eine Nichte Otto Brahms, Tochter des Hamburger Schauspielers Ludwig Brahm und Schwester des Hollywood-Regisseurs John (Hans) Brahm. Gertrud Brahm hatte in den Weimarer Jahren an mehreren guten Provinzbühnen wie Königsberg und Chemnitz führende Rollen gespielt. Auch Hermann Vallentin, ein Mitglied der Reinhardt-Bühnen, hatte seinen Weg nach Palästina, aber nicht mehr auf die hebräische Bühne gefunden. Gelegentlich trat er in aus sprachlichen Gründen „geschlossenen" deutschsprachigen Kabarettveranstaltungen und bei sogenannten „heiteren Abenden" auf. Als im Lauf des Zweiten Weltkrieges die britischen Behörden es aus propagandistischen Gründen für angebracht hielten, das ge392

Exiltheater in Palästina/Israel gen die deutsche Sprache verhängte Tabu zu lockern, ließ man Vallentin in den nächtlichen deutschsprachigen Radiosendungen aus Jersusalem Kommentare über die Kriegslage lesen. Auch Vallentins Schwester, Rosa Valetti, fand keinen Anschluß an das hebräische Theater. Noch zu Beginn der siebziger Jahre lebte in Tel Aviv in größter Zurückhaltung Lia Rosen, von der Kerr schon nach der ersten Begegnung 1907 schrieb: „Sie hat den Leib eines Kindes. Die Stimmlosigkeit einer wenig entfalteten Privatperson. Und die Erschütterungsmacht eines Propheten." Ihr Haus war ein kulturelles Zentrum, aber sie hat sich nicht überwunden, in hebräischer Sprache auf der Bühne aufzutreten. Einige Schauspieler, die nach dem Zweiten Weltkrieg im wiedererwachten Theaterleben an deutschsprachigen Bühnen in Mitteleuropa bessere Berufschancen für sich sahen, traten die Rückwanderung an, unter ihnen Friedrich Lobe, Mario Kranz, Esther Taube, Tuvia Grünbaum und Max Buchsbaum. Wie es in Palästina und Israel Schauspieler aus Deutschland gab, die sich nicht mehr auf das Hebräische umstellen konnten, so war unter den Einwanderern aus Mitteleuropa eine Gruppe zumeist älterer Menschen, die beim Erlernen der alt-neuen Sprache niemals so weit kamen, daß ihnen der Besuch einer hebräischen Theatervorstellung einen ungetrübten Genuß bereitete. Diese Gruppe konnte als ein potentielles Publikum für deutschsprachige Theateraufführungen angesehen werden. Hinzu kam das Angebot einiger spielfreudiger, deutschsprachig gebliebener Schauspieler. Damit schienen die Voraussetzungen für deutschsprachige „Spätbühnen" in Israel gegeben. Allein in den dreißiger und in den vierziger, ja sogar noch zu Anfang der fünfziger Jahre war die Aversion gegen den öffentlichen Gebrauch des Deutschen in weiten Kreisen der jüdischen Bevölkerung so stark, daß Theater in deutscher Sprache noch lange nur „im Untergrund" gespielt werden konnte. So mußte sich die 1941 gegründete HAIFAER LESEGRUPPE, die mit Rezitationsabenden und Theatervorstellungen in deutscher Sprache vor die Öffentlichkeit treten wollte, als „Verein der Freunde der Weltliteratur" etablieren und sich verpflichten, keine Eintrittskarten zu verkaufen und zu ihren Darbietungen nur eingetragene Mitglieder zuzulassen. Der Gründer und Leiter dieses Haifaer „Untergrundtheaters" war der frühere Breslauer Schauspieler Heinz Brotzen. In seinem Ensemble traten u. a. Hermann Vallentin, Hermann Heuser und Hertha Wolf auf. Erst Ende der fünfziger Jahre konnte der „Verein der Freunde der Weltliteratur" die Tarnkappe ablegen und als Kammertheater in deutscher Sprache offen in Erscheinung treten, und zwar nicht nur in Haifa, sondern auch mit Gastspielen in Jerusalem und Tel Aviv. Auch die 1953 von dem früheren Wiener Renaissance-Theater-Mitglied Ernst Stössl gegründete deutschsprachige Bühne HAGESCHER (Die Brücke) in Tel Aviv mußte sich einige Zeit als Verein tarnen, um überhaupt sprachlich toleriert zu werden. Dabei deutete schon der Name des Unternehmens seine kulturelle Absicht an, eine Brücke zu sein für Nichthebräer, die Stücke der hebräischen Theaterliteratur in deutscher Übersetzung kennenlernen wollten, und für „Althebräer", die man mit Stücken bekanntmachen wollte, die auf den hebräischen Bühnen nicht zu sehen waren. Dieses Ensemble hat von 1953 bis Ende 1972 über fünfzig Stücke herausgebracht, darunter in einer Welturaufführung die Komödie Sein Name geht ihm voran von Ephraim Kishon. Unter den Schauspielern von HAGESCHER waren außer dem vielseitigen, oft auch Regie führenden Ernst 393

Erich Gottgetreu Stössl einige durchaus gute Kräfte: Clara Pick-Gernod (früher Berlin), Rosie Nathan aus München, „die Dulitskaya" aus Wien. Das dritte ,Post-Exiltheater' ist das der BÜHNENGRUPPE RAMOTH HASHAVIM, SO genannt nach dem 1933 nördlich von Tel Aviv gegründeten Siedlerdorf Ramoth Hashavim, in dem Einwanderer aus Deutschland, unter ihnen viele frühere Ärzte und Juristen, Hühnerzucht und andere Zweige der gemischten Landwirtschaft auf kooperativer Basis betreiben. Die Laienbühne des Ortes entstand auf organische Weise, indem die Siedler auf Dorffesten anläßlich irgendwelcher Jubiläen szenische Parodien ihrer eigenen Erlebnisse vorführten. Die künstlerische Leitung bei diesen an Selbstironie reichen Revuen hatte der Siedler Peter W. Leers, der schon in seiner Berliner Gymnasialzeit Shakespeare-Stücke inszeniert hatte. Später studierte er bei Gregori Theaterwissenschaft. Für die Hühnerzucht war das eigentlich nicht die richtige Ausbildung. Man gab Stücke von Molnar, Wouk, O'Neill, Wilder, Dürrenmatt, Kipphardt, Arthur Miller, Beckett, nicht zuletzt das noch immer aktuell wirkende Curt-Goetz-Stück Ausbruch des Weltfriedens. In einigen Aufführungen spielte die vielen Alt-Frankfurtern gut bekannte Mathilde Einzig, die mit ihrem Gatten ebenfalls in Ramoth Hashavim gesiedelt hat. Den meisten Darstellern fehlte es freilich an Bühnenpraxis - um so erstaunlicher, welche Leistungen diese Gruppe im Lauf der Jahre vollbracht hat. Schließlich muß noch die kleine Amateurgruppe erwähnt werden, die der aus Berlin stammende Theaterenthusiast und Kaufmann Max Stettiner (1887 - 1963) in der Siedlung Ramat Chen ins Leben rief. Stettiners Verdienst um das Theater in Israel bestand vor allem in der Beratung deutschsprachiger Bühnen. Er war ein Kenner des Berliner Theaters, wie es nur wenige gab. Zudem hatte er eine umfangreiche Theaterwissenschafts- und Dramenbibliothek mit nach Israel gebracht, die für das Land von großem praktischen Nutzen war. Er selbst bereicherte sie um ein kleines Bändchen über Max Reinhardt, den er glühend verehrte. In einem Vortrag über Reinhardt zitierte Stettiner aus Reinhardts „Rede über den Schauspieler" den bekannten, markanten Passus: „Ich glaube an die Unsterblichkeit des Theaters. Es ist der seligste Schlupfwinkel für diejenigen, die ihre Kindheit in die Tasche gesteckt und sich damit auf und davon gemacht haben, um bis an ihr Lebensende weiterzuspielen..." ... um weiterzuspielen. Im Exil, nach der Rückkehr oder auch in der neugewonnenen Heimat. Literatur Rudolf Hirsch/Ursula Behse: Exil in Palästina. - In: Exil in der Tschechoslowakei, in Großbritannien, Skandinavien und in Palästina. Leipzig 1980, S. 559 - 622 (= Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933 -1945, Bd. 5). Archive The Israeli Documentation Center for the Performing Arts. The Yolanda and David Katz Faculty of the Arts. Theatre Arts Department Tel Aviv University Eretz Israel Museum, Tel Aviv. The Israel The Israel Theatre Museum 394

Exiltheater in Palästina/Israel The Israel Goor Theatre Archives and Museums, The Faculty of Humanities, Hebrew University, Mount Scopus, Jerusalem

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Exiltheater in den USA In kein anderes Land sind in den Jahren 1933 bis 1945 so viele deutsche und österreichische Theaterleute gekommen wie in die Vereinigten Staaten, aber im Gegensatz zu diesen Exilländern hat es in den USA kein deutsches Exiltheater von nennenswerter Bedeutung gegeben. Dieses scheinbare Paradox erklärt sich aus der Privatstruktur der amerikanischen Theater, die keinerlei Subventionen vom Staat erhielten. Es gab keine Staats- oder Stadttheater wie in Deutschland. Ja, es gab sogar Zeiten, wie etwa am Ende des Befreiungskrieges, als in zwölf der Kolonialzeit ledigen Provinzen das Theaterspielen Windhundrennen und ähnlichen Belustigungen gleichgesetzt wurde und verboten war. Ausschreitungen gegen Theater in den bis dahin wenigen größeren Städten wie Philadelphia, New York und Boston waren nicht selten; in New York wurde sogar ein Theater von einer erregten Menge in Brand gesteckt! Die private Natur des amerikanischen Theaters hat es mit sich gebracht, daß der Theaterunternehmer auf Gewinn spielen mußte, wenn er imstande sein wollte, mehrere Jahre zu bestehen. - Mit der wachsenden Zahl deutscher Einwanderer war es kein Wunder, daß diese darangingen, ein eigenständiges Theater zu schaffen. Aber hier gab es weder Kontinuität noch Stabilität. Erst in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts - dieses Jahrzehnt hatte die höchste Einwandererzahl deutschsprachiger Menschen, nämlich über eine Million von den insgesamt etwa neun Millionen, die in den Vereinigten Staaten eine neue Heimat fanden - änderten sich die Verhältnisse. Damals gab es vorübergehend drei bis fünf deutsche Theater in New York; zahlreiche prominente Schauspieler kamen zu Gastspielen wie etwa Friedrich Haase, Josef Kainz, Albert Matkowski, Agnes Sorma, Adolph Sonnenthal, Adele Sandrock und andere Berühmtheiten. Oft gingen sie dann auch noch auf Tournee in andere Städte mit hoher deutscher Einwohnerzahl. Hier war, so merkten die Theaterunternehmer bald, Geld zu verdienen, und die Schauspieler unterzogen sich um des Mammons willen den Strapazen zum Teil recht langer Landreisen. Eine dieser Gründungen, das Irving Place Theater, zunächst nach seinem Urheber Amberg-Theater genannt, hatte sogar über mehrere Jahrzehnte hinweg Bestand, wenn auch unter wechselnder Direktion. Mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg fand das deutschsprachige Theater in den USA jedoch ein Ende. Seither hat es nur sporadisch deutschsprachiges Theater gegeben. Trotz der vielen verfolgten Schauspieler, Regisseure, Bühnenbildner - ihre Gesamtzahl dürfte sich auf über 500 belaufen - und, nicht zu vergessen, Autoren, kam es in den Jahren des Zweiten Weltkrieges nicht zu einer Neugründung. An entsprechenden Bemühungen hat es jedoch nicht gefehlt. Als ζ. B. Piscator nach sechsjährigem Aufenthalt in der Sowjetunion Anfang 1938 in Paris mit dem amerikanischen Impresario Gilbert Miller über eine Produktion von Krieg und Frieden für die Bühne verhandelte, wurde auch über ein größeres deutsches Theatergastspiel in den Vereinigten Staaten gesprochen. Mehrere prominente Schauspieler - die meisten von ihnen hielten sich zu dieser Zeit noch in der Schweiz auf - wurden angeschrieben. Piscator bat in diesem Zusammenhang sowohl Max Reinhardt als auch William Dieterle um Unterstützung. Der Plan scheiterte - nicht zuletzt deshalb, 397

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weil Gilbert Miller sein Interesse an dem Projekt verlor. Aus den Gästebüchern Piscators geht jedoch hervor, daß er in kleinerem Kreis immer wieder auf das Vorhaben zurückkam, bis mit der Gründung seines eigenen DRAMATIC WORKSHOP Anfang 1 9 4 0 verständlicherweise andere Ziele in den Vordergrund rückten. Immerhin gelang es 1940 Ernst Lothar, dem aus Wien stammenden Schriftsteller und Theatermann, eine kurzlebige ÖSTERREICHISCHE BÜHNE (The Austrian Theatre) ins Leben zu rufen. Trotz niedriger Eintrittspreise (75 Cent bis 1.25 $) und guter Besetzungen war der Zuspruch zu gering, um die Kosten zu decken. Es bestand, wie Ernst Lothar es später formulierte, ein eklatantes Mißverhältnis zwischen der Anstrengung und dem „Dreißig- oder Vierzig-Dollar-Profit", der aus der Anstrengung resultierte.1 Die ÖSTERREICHISCHE BÜHNE, an der Raoul Auernheimer als Dramaturg wirkte, konnte nur einen kleinen Teil der Versprechungen einlösen, die ein im Frühjahr 1940 an Interessierte versandter Prospekt enthielt. Gespielt wurde Anton Wildgans' In Ewigkeit Amen und Arthur Schnitzlers Komtesse Mizzi sowie C. A. Pugets Lustspiel Tage des Friedens (in einer Übersetzung Ernst Lothars), außerdem Raoul Auernheimers Das ältere Fach und Schnitzlers Liebelei (in einem Programm), Bruno Franks Sturm im Wasserglas und Jean Cocteaus Les enfants terribles, ebenfalls in einer Übersetzung Lothars. Die Darsteller waren fast durchweg Österreicher: Adrienne Gessner, Oscar Karlweis, Lilian Skala, John Wengraf, Ludwig Roth, Vilma Kürer und Ludwig Donath. Heinrich Schnitzler, Arthur Schnitzlers Sohn, und William W. Melnitz, beide später wie Lothar an amerikanischen Universitäten tätig, waren neben Lothar die Regisseure. Das Theater war im übrigen denkbar ungünstig untergebracht: in dem für Theaterzwecke nur bescheiden ausgestatteten Vortrags- und Konzertsaal der Young Men Hebrew Association (Lexington Avenue und 22. Straße). Ein ganz ähnliches Projekt, wenn auch weniger ambitioniert, dafür jedoch recht genau den vorhandenen Möglichkeiten und Publikumsbedürfnissen angepaßt, entwickelte sich mit Walter Wicclairs FREIER BÜHNE an der Westküste, in Los Angeles. Walter Wicclair erreichte Hollywood im Frühjahr 1939. Bereits Ende des Jahres veranstaltete er einen ersten Kleinkunstabend mit exilierten Berufsschauspielern. Seinen Lebensunterhalt verdiente er mit außerberuflicher Tätigkeit: Tellerwaschen, Gärtnerarbeit, später als Arbeiter in der Flugzeugindustrie. Geld für die Produktion war praktisch nicht vorhanden; alles mußte selbst finanziert werden. Die Dekorationen wurden selbst gemalt. Im Januar 1940 brachte er die erste Produktion heraus, den Schwank Königin Mutter von Emil und Arnold Golz, nur wenige Wochen später die zweite: Ludwig Thomas Lustspiel Lottchens Geburtstag. Als Star hatte Wicclair die österreichische Volksschauspielerin Gisela Werbezirk gewonnen, mit der er in der Tschechoslowakei auf der Bühne gestanden hatte. Andere, in gleicher Weise auf Unterhaltung abzielende Inszenierungen folgten, bis ein Konflikt mit dem Jewish Club of 1933, der den Gebrauch der deutschen Sprache auf der Bühne ablehnte, während des Krieges eine Unterbrechung erzwang. Wicclair nahm die Arbeit erst nach 1950 wieder auf - jetzt zumeist mit Aufführungen in englischer Sprache. - Theater dieser Art war also möglich, und ähnliche Versuche wurden, wenngleich mit unterschiedlichem Erfolg, häufiger unternommen. Vergleichsweise erfolgreich waren im übrigen die Operetten: 1934 wurde das Center Theatre in New York mit The Great Waltz von Willner, Reichert, E. Marischka mit der 1

Vgl.: Österreicher im Exil. USA. 1938 - 1945. Eine Dokumentation. Bd. 1. Hrsg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Einleitungen, Auswahl und Bearbeitung: Peter Eppel. Wien 1995, S. 409.

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Exiltheater in den USA Musik von Johann Strauß (298 Aufführungen) eröffnet. White Horse Inn („Im weißen Rößl") brachte es 1936 zu 223 Aufführungen, Three Waltzes, Musik von Johann Strauß dem Älteren und dem Jüngeren und von Oscar Straus, 1937 auf 122 Aufführungen, Friederike von Lehär 1937 auf 95 Aufführungen, You Never Know von Robert Katscher, Siegfried Geyer und Karl Farkas auf 78 Aufführungen, Rosalinda („Die Fledermaus") nach der Max-Reinhardt-Bearbeitung von Gottfried Reinhardt und John Meehan jr. 1942 auf über 420 Aufführungen, Helen Goes to Troy (Offenbachs „Schöne Helena"), ebenfalls nach der Max-Reinhardt-Bearbeitung von Gottfried Reinhardt und John Meehan jr., musikalische Bearbeitung von Erich Wolfgang Korngold, 1944 auf 64 Aufführungen.2 Andere Beispiele wären zusätzlich zu nennen. Zwar deutschsprachiges, aber kaum Exiltheater hatte es in New York im Jahre 1936 gegeben, als im Rahmen des Federal Arts Project der WPA (Works Progress Administration) zur Steuerung der Arbeitslosigkeit neben anderen fremdsprachigen auch eine deutsche Sektion geschaffen wurde. Geleitet von dem Ende der zwanziger Jahre nach Amerika gekommenen Theatermann John E. Bonn (vormals Hans Bohn), gab es von April bis Dezember 1936 jeweils nur einige wenige Aufführungen von Kleists Zerbrochnem Krug, Rudolf Wittenbergs Aposteln, Hans Rehmanns Schloßgespenst, Ludwig Thomas Lokalbahn, Roderich Benedix' Doktor Wespe, Joachim Ringelnatz' Seemannsballade und Peter Buchs' Einmal Mensch, also fast durchweg harmloses Amüsiertheater. Die meisten vor Hitler geflohenen Theaterkünstler kamen also zu einem Zeitpunkt in New York an, als es kein deutschsprachiges Theater gab, was die Chance in starkem Maße minderte, eine neue künstlerische Heimat zu finden. Max Reinhardts Sohn Gottfried hat in seinem Buch Der Liebhaber erklärt, daß im Grunde genommen das Theater viel nationaler sei, als es dem Weltbürger lieb ist. Reinhardts Schwierigkeiten (und seine Mißerfolge) in Amerika gehen nicht zuletzt auf die Unterschiede zwischen deutscher und amerikanischer Theatermentalität zurück. Die Differenz wirkte sich in nahezu allen Bereichen aus, vor allem aber bei der Sprachregie, einer der Stärken Reinhardts. „Sprachlich konnte sich wohl niemand mit dem deutschen Reinhardt messen", schrieb Gottfried. „Mit dem englischen konkurrierten aber viele." 3 Immerhin: Der Einfluß der deutschen Theaterleute auf das amerikanische Theater mag nur gering gewesen sein, aber insgesamt ist es doch beachtlich, daß in den zwölf Jahren zwischen 1933 bis 1945 Theaterkünstler aus dem früheren deutschen Kulturkreis - also Autoren, Komponisten, Schauspieler, Regisseure und Bühnenbildner - an rund 150 Broadway-Produktionen in mehr oder weniger prominenter Weise beteiligt waren. Freilich konnten nur wenige Star-Status erringen, wie etwa Elisabeth Bergner, Oscar Homolka, Mady Christians, Herbert Berghof. Auch wurden in dieser Zeit mehr als 30 Stücke emigrierter Autoren in englischer Sprache gegeben, allerdings mit wechselndem Erfolg. Manche Schauspieler haben auch amerikanische Namen angenommen: Wer, der ihn nicht gesehen hat, würde vermuten, daß Paul Andor mit Wolfgang Zilzer identisch ist oder Vera Zorina mit Brigitte Hartwig? Für die eingewanderten Schauspieler (wie auch für viele ihrer amerikanischen Kollegen) war das Theater kaum die Hauptverdienstquelle, und nicht wenige mußten Brotberufe ergreifen - wie andere Einwanderer auch. In Another Sun, einem am Broadway 2 3

Vgl.: Kurt Hellmer: Berlin und Wien am Broadway. In: Aufiau, 22.12.1944. Gottfried Reinhardt: Der Liebhaber. München 1973, S. 141.

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durchgefallenen Stück (Ende Februar 1940), das Fritz Kortner zusammen mit der amerikanischen Journalistin Dorothy Thompson schrieb, ist die Hauptperson ein prominenter deutscher Schauspieler, der sich sein karges Brot in New York mit dem Imitieren von Tierlauten im Rundfunk verdient und sich mit Statusverlust, Isolierung und den aus Armut erwachsenen Problemen auseinandersetzen muß. Viele der Schauspieler und Regisseure suchten unter diesen Umständen ihr Glück in Hollywood, wo die Arbeitsmöglichkeiten im ganzen günstiger waren als in New York. Beispiele für Erfolg und Mißerfolg am Broadway - Fritz Kortner und Otto Preminger Zeitweilig war die Präsenz deutschsprachiger Theaterkünstler auf den amerikanischen Bühnen beträchtlich. Wer z.B. in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges durch die Nebenstraßen des Times Square ging, mußte fast den Eindruck gewinnen, als habe es ihn in das Berlin oder Wien der zwanziger Jahre verschlagen: Im John Golden Theatre in der 45. Straße hatte Rose Frankens Schauspiel Soldier's Wife mit Lilli Darvas in einer der Hauptrollen gerade seine Uraufführung erlebt; im Martin Beck Theatre in derselben Straße feierte Oscar Karlweis in Jacobowsky and the Colonel Triumphe (das von Werfel geschriebene Stück war von S. N. Behrman für den amerikanischen Geschmack in eine Komödie umgewandelt worden); ebenfalls in der 45. Straße, in der Music Box, hatte I Remember Mama von John van Druten, das erfolgreichste Stück, in dem Theater-Emigranten je mitwirkten, seine mehr als zweijährige Laufzeit begonnen - die Hauptrollen waren mit Mady Christians, Oskar Homolka und Adrienne Gessner besetzt. Vier Straßenzüge von dort entfernt, konnte man Albert Bassermann bei seinem einzigen Broadway-Auftritt bewundern; er spielte im National (jetzt: Nederlander) Theatre den Papst in Embezzled Heaven, einer amerikanischen Bühnenbearbeitung von Werfeis Roman Der veruntreute Himmel. Der Wiener Herbert Berghof war in Arthur Millers wenig erfolgreichem Bühnenerstling The Man Who had All the Luck zu sehen. Und nur wenige Wochen später - die meisten der anderen Stücke wurden noch gepielt - hatte, ebenfalls im National Theatre, Grete Mosheim ihr nicht ganz geglücktes Broadway-Debüt in Calico Wedding von Sheridan Gibney. Eine weitere Woche später war die Premiere von It's a Gift, der Bearbeitung von Curt Goetz' Das Haus in Montevideo, mit ihm und seiner Frau in den Hauptrollen - aber auch dies war kein eindeutiger Erfolg. Es wäre also vermessen, von „Sternstunden der Theater-Emigranten" in der Spielzeit 1944/45 am Broadway zu sprechen. Den - vergleichsweise - erstaunlich vielen erfolgreichen Theaterkünstlern stehen weit mehr Fälle gegenüber, wo der Versuch, außerhalb der Muttersprache auf der Bühne Fuß zu fassen, scheiterte, darunter so spektakuläre Beispiele wie die von Fritz Kortner und Ernst Deutsch. In den seit seiner Ankunft in den USA vergangenen zwei Jahren hatte Kortner eine Enttäuschung nach der anderen erlebt. Zwar war der Ruf, der ihm vorangeeilt war, bedeutend; ihm hatte er es zu verdanken, daß er knapp ein Jahr nach seiner Ankunft in New York für eine Aufführungsserie von Herodes und Mariamne verpflichtet wurde. Als Partnerin hatte er einen großen Star des amerikanischen Theaters, Katharine Cornell. Aber nach den New Yorker Proben ging es zunächst in die Theaterprovinz, nach Pittsburgh, Indianapolis, Detroit, Cleveland und Washington. Die für New York angesetzte Premiere fand nie statt, denn die Kritiken waren geradezu vernichtend - vielleicht 400

Exiltheater in den USA das einzige Mal, daß dies der erfolggewöhnten Katharine Cornell passierte. Dabei schnitt Kortner besonders schlecht ab; der einhellige Verriß war für diesen Schauspieler wahrscheinlich ebenfalls einmalig. In der Showbusineß-Bibel Variety hieß es: „Die größte Enttäuschung bereitete Fritz Kortner, der exilierte deutsche Schauspieler, in seinem US-Theaterdebüt als Herodes. Er gehört zur alten kontinentalen Schule, fuchtelt mit den Armen hemm, zupft an seinen Fingern, dreht seinen Kopf und spricht oft im Flüsterton, der hinter den ersten Reihen nicht mehr zu hören ist" (2. November 1938). Noch schärfer drückte sich der Rezensent des Cleveland Piain-Dealer aus: „Kortner spricht Englisch nur unvollkommen, ein schweres Handicap in einem Stück, bei dem für seine Wirkung so viel von der Genauigkeit und Schönheit des Wortes abhängt. Aber die eigentliche Schwierigkeit besteht darin, daß Kortners Technik und Temperament für diese Rolle nicht geeignet sind. Herodes hat Elemente der Größe. Selbst seine Verruchtheit hat königliches Ausmaß. Kortner setzt die Statur des Herodes herab. Er übertreibt alles ein bißchen, und infolgedessen haftet der Darstellung, die Größe und Terror ausstrahlen sollte, etwas Komisch-Karikaturistisches an. Das entstellt das Stück. Es ist kein Grund einzusehen, weshalb die gute und edle Königin einen einigermaßen lächerlich wirkenden König lieben sollte" (11. November 1938). War das derselbe Kortner, über dessen Wiener Herodes Herbert Jhering nicht ganz zwei Jahrzehnte vorher geschrieben hatte: „[Kortner ist] ungeheuer im Sprachlichen. Unvergeßlich sind mir Kortners Gehörhalluzinationen. Unvergeßlich, wie man durch das Gehör die Gestalt sah. Unvergeßlich seine grandiosen Steigerungen, seine Ausbrüche, sein rhythmischer Aufbau. Er gab die Flammenschrift" Τ Hier müssen, jenseits des Sprachunterschieds, unüberwindliche kulturelle Unterschiede vorliegen, die das amerikanische und deutsche Theater damals - und, wenn man vom Musical absieht, wahrscheinlich auch heute noch - trennen. Nicht ganz anderthalb Jahre später erlitt Kortner seine zweite Schlappe. Er hatte, offenbar zunächst auf deutsch - obwohl kein deutsches Manuskript erhalten ist - , ein Stück mit dem englischen Titel Another Sun geschrieben und als Mitarbeiterin die gewandte, aber theaterunerfahrene Journalistin Dorothy Thompson gewonnen. Sie hatte nicht nur die Bürgschaft für die Einwanderung von Kortners Frau, seiner beiden Kinder und seiner Mutter übernommen, sondern ihm auch 10.000 Dollar geliehen und ihn so der drückenden finanziellen Probleme enthoben. Für die Produktion von Another Sun stellte Dorothy Thompson nochmals 30.000 Dollar zur Verfügung, für die damalige Zeit eine beträchtliche Summe, die ganz verlorenging. Der ursprüngliche Titel des Stücks war Spell Your Name\ als Produzent war Erwin Piscator vorgesehen, der aus dem Projekt dann jedoch ausschied. Bereits in dem Entwurf des gemeinsamen Vertrages wird Kortner als Regisseur genannt. Wie Elisabeth Bergner übernahm Kortner die erste Regiearbeit also am Broadway. Die Premiere von Another Sun fand am 23. Februar 1940 statt; die letzte der elf Aufführungen wurde am 2. März gegeben. Die Kritiken in den sechs führenden New Yorker 4

Herbert Jhering: Von Reinhardt bis Brecht. Berlin [DDR] 1961. Bd. 1, S. 232.

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Henry Marx Tageszeitungen waren vernichtend; selbst der sonst recht tolerante Brooks Atkinson von der New York Times schrieb, nicht ohne einen Anflug von Zynismus: „Ein statisches und wortreiches Stück", und fügte hinzu: „Thompsons und Kortners Sonne hat Schwierigkeiten beim Aufgehen, zeigt aber auch kein besonderes Interesse am Untergehen" eine nur allzu deutliche Anspielung auf die sich breitmachende Langeweile (24. Februar 1940). - Besonders bösartig urteilte der Variety-Rezensent: „Das Stück bestraft sein Publikum ärger als den Hitlerismus. Statt Mitgefühl hervorzurufen, erregt es beim Publikum nur Verärgerung" (28. Februar 1940). Kortners Frau Johanna Hofer, Hans Jaray in der Hauptrolle des deutschen Schriftstellers Georg Berndt, Adrienne Gessner, Erwin Kaiser und Arnold Korff waren die weiteren damals am Broadway fast unbekannten exilierten Schauspieler. Selbst die Mitwirkung zweier so prominenter amerikanischer Darsteller wie Celeste Holm und Leo Bulgakov vermochte das Stück nicht zu retten. Damit noch nicht genug, folgte die dritte Enttäuschung für Kortner etwa ein Jahr später mit dem Stück Somewhere in France, als dessen Mitautor er sich keinen geringeren als Carl Zuckmayer erkor. Wie schon im Falle von Herodes und Mariamne wurde die geplante New Yorker Premiere nach den schlechten Kritiken in Washington abgeblasen. In seiner Autobiographie Als wär's ein Stück von mir bezeichnet Zuckmayer das Drama, das Verwirrung, Korruption und Verrat in Frankreich kurz vor dem Zusammenbruch im Frühjahr 1940 beschreibt, ohne dessen Titel zu nennen, als „einen Wechselbalg, der klang- und ruhmlos versank: Ich konnte mich ebensowenig darauf einstellen, für den Broadway zu schreiben wie für die Filmindustrie". 5 Bei einem Gespräch dreißig Jahre später antwortete er lapidar: „Erst zog sich Kortner von der Sache zurück, dann ich. Und ich bin ja nie ein guter Zusammenarbeiter gewesen." Nachdem die Väter ihr Kind so im Stich gelassen hatten, beauftragte die Theatre Guild, damals eine der angesehensten Produktionsgemeinschaften am Broadway, einen erfahrenen Autor damit, Somewhere in France auf Vordermann zu bringen. Er gab den Auftrag nach Umarbeitung des ersten von drei Akten zurück, und die Theatre Guild ließ daraufhin das Projekt fallen. In Kortners Memoiren sucht man übrigens vergeblich nach einem Hinweis auf dieses Stück; er verschweigt diese Episode ganz. Kein Wunder, denn neben dem Mißerfolg führte sie auch zum Zerwürfnis mit Zuckmayer. Wer nun wirklich der schlechtere „Zusammenarbeiter" war, wird sich wohl nicht mehr feststellen lassen, aber beide standen im Ruf, schwierig und nicht zu Kompromissen geneigt zu sein. Beide verließen bald nach dem Fiasko New York; Kortner ging nach Hollywood, und Zuckmayer zog sich mit seiner Frau Alice Herdan nach Vermont zurück, wobei Dorothy Thompson wiederum half. Als Dr. Otto Ludwig Preminger im Alter von 29 Jahren aus Wien in New York eintraf - es war das Jahr 1935 - , ging ihm zwar der Ruf eines theatralischen Wunderkindes voraus, aber an Bedeutung stand er weit hinter den etablierten Namen des deutschen und österreichischen Theaters zurück. Er hatte in Amerika noch kein Renommee zu verlieren, war freundlich, wendig, hatte rasch gelernt, fehlerfreies Englisch zu sprechen. Preminger hatte keine Probleme mit dem Broadway-Theater und inszenierte in wenigen Jahren acht Stücke. Einige Produktionen waren so erfolgreich, daß er 1942 nach Hollywood übersiedelte. In den fünfziger Jahren gab er nur noch gelegentliche Gastspiele am Broadway. Er inszenierte in der Folgezeit mehr als dreißig Filme und war bei den mei5

Carl Zuckmayer: Als wär's ein Stück von mir. Frankfurt a. M. 1966, S. 497.

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sten auch sein eigener Produzent. Sein größter Theatererfolg war Margin for Error von Ciaire Boothe, der Frau des r/mes-Gründers Henry Luce. Es wurde das erste erfolgreiche Antinazi-Drama in New York. Preminger selbst spielte eine der Hauptrollen, einen deutschen Konsul. Es wurde in der Spielzeit 1939/40 acht Monate en suite gegeben, ehe es auf eine lange Tournee durch das Land ging. Bereits zwei Monate später wurde Preminger die Regie eines weiteren Stücks, My Dear Children, übertragen, eines allerdings oft peinlichen Schmarrens, in dem der berühmte John Barrymore die Hauptrolle eines alternden Don Juans spielte, der er auch im Leben war. Für 1941 war geplant, daß Preminger den für die Bühne bearbeiteten Roman Das siebte Kreuz von Anna Seghers inszenieren sollte, aber daraus wurde nichts. Und auch ein anderer Plan für ein Stück, in dem der 83jährige Albert Bassermann mitwirken sollte, zerschlug sich. Von letzterem Projekt gibt es Kenntnis durch einen Brief Bassermanns an Felix Gerstman, in dem er seinen New Yorker Agenten flehentlich bittet, den „doch so geschickten Preminger" zu veranlassen, für seine Frau Else „etwas hineinzuschreiben, und wenn es nur ein Dienstmädchen ist und eine ganz kleine Gage. Ich bin doch so daran gewöhnt, mit meiner Frau zusammen zu spielen." - Dieses geradezu rührende Ansuchen illustriert eine charakteristische Seite des Broadway-Betriebs. Hier ist es üblich, von den ersten Proben bis zur Aufführung vieles zu ändern: Rollen zu eliminieren, andere zu schaffen, Szenen umzubauen, große Striche zu machen usw. Als Preminger 42 Jahre nach seiner Ankunft in New York seine Memoiren schreibt, gibt er für seine Erfolge eine einfache Erklärung, vielleicht sogar eine zu einfache: „Im Fahrstuhl [des Hotels St. Regis, in dem Preminger wohnte] stieß ich auf Franz Werfel, der sich schon seit einigen Monaten in New York aufhielt. Neugierig fragte ich ihn, wie es ihm hier gefalle. Er zuckte mit den Schultern, ,wie kann es einem hier gefallen, wo man im Fahrstuhl, statt eine Schnur zu ziehen, auf einen Knopf drückt?' Er drückte, wie ich bald entdeckte, die Haltung zahlreicher Flüchtlinge aus Europa aus, die nach Amerika kamen und nun fast alles kritisierten. Wie etwa ein deutscher Schauspieler, der mir erzählte, er könne es hier nicht aushalten, weil die Menschen nicht wissen, wie man anständig ißt. ,Erst schneiden sie ihr Fleisch in Stücke, legen dann das Messer weg und nehmen die Gabel in die rechte Hand', sagte er verächüich. .Barbaren!' Ich meine, diese Art der Kritik war der Ausdruck unbewußter Selbstverteidigung bei den Neuankömmlingen, um sich nicht vorwerfen zu müssen, daß sie es hier nicht geschafft haben. Ich meinerseits habe mich von Tag zu Tag stärker in meine neue Heimat verliebt, sowohl an meinen erfolglosen wie an meinen erfolgreichen Tagen." 6 Was ist künstlerischer Erfolg? - Lili Darvas, Mady Christians, Elisabeth Bergner, Ernst Deutsch, Albert Bassermann Neben Können, Überwindung der Sprachbarriere und ein wenig Glück hatte die Einstellung zu Amerika, zu New York und seiner Theaterkultur viel damit zu tun, ob und wie man im amerikanischen Theater Fuß faßte. Schauspieler waren dabei in mancher Hinsicht schlechter dran als Schriftsteller, deren Werke trotz des Fehlens von Verlagen für deutschsprachige Bücher zumindest in englischer Übersetzung veröffentlicht werden konnten. Fließend englisch zu sprechen, um nicht auf eine vom Akzent bestimmte Ne6

Otto Preminger: Preminger. An Autobiography. New York 1977, S. 4 f.

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Henry Marx benrolle beschränkt zu bleiben, setzte neben der Sprachbegabung auch einen starken Willen und ein Maß an Anpassungsfähigkeit voraus, das nicht alle der eingewanderten Schauspieler besaßen. Zweifellos waren hier die aus Österreich stammenden Theaterleute - wenn man einmal von Reinhardt und Kortner als Gegenbeispielen absieht - den sogenannten „Reichsdeutschen" überlegen, was wohl etwas mit der sprachlichen und kulturellen Vielseitigkeit der Nachfolgestaaten der k.u.k. Monarchie zu tun hat wie mit der ihren Bewohnern eigenen größeren Flexibilität und Verbindlichkeit im Verhalten. Es geht hier keinesfalls nur um den Paradefall des Wieners Otto Preminger, der für das Wirken exilierter deutscher Theaterleute in seiner Art ohne Beispiel ist, da Preminger der einzige ist, der gleichermaßen als Theater- und Filmschauspieler, als Theaterregisseur, ja sogar in beiden Sparten als Produzent reüssierte und gleichzeitig Maßstäbe setzte. Ein hohes Maß an Anpassung gelang Lili Darvas aus Budapest und Mady Christians aus Wien - letztere ein Sonderfall, wie noch darzustellen ist. Zwischen Anpassung und Nichtanpassung müssen wir Elisabeth Bergner aus dem galizischen Drohobycz ansiedeln - deshalb, weil sie glaubte, sich angepaßt zu haben, während die Kritiker diese Auffassung ganz und gar nicht teilten und ihre Mißerfolge damit begründeten. Darvas und Christians gelang, womit selbst in Amerika geborene Schauspieler sich schwertun, nämlich Shakespeare zu spielen. Lili Darvas brachte das schon sieben Jahre nach ihrer Einwanderung fertig, als sie mit dem berühmten Maurice Evans in der Titelrolle in Hamlet die Königin darstellte. Amerika und New York kannte sie schon vom Gastspiel der Reinhardt-Bühnen im Winter 1927/28 her. Innerhalb dieses äußerst erfolgreichen Ensembles war sie in mehreren Stücken aufgetreten (Sommernachtstraum, Jedermann, Dantons Tod und Der Diener zweier Herren). Zehn Jahre sollten vergehen, ehe Darvas 1938 mit ihrem Mann Ferenc Molnär als Vertriebene wieder in New York eintraf. Zu ihrem Debüt in englischer Sprache verhalf ihr, wie so vielen ihrer Schicksalsgenossen, Erwin Piscator in seinem kleinen Theater in der New School for Social Research. (Preminger leistete solche Hilfe übrigens nie und Reinhardt nur dann, wenn ein Schauspieler bereits amerikanische Star-Qualität hatte wie Oscar Karlweis.) Sie spielte in Ferdinand Bruckners The Criminals („Die Verbrecher") die Rolle, die einst Lucie Höflich am Deutschen Theater in Berlin gespielt hatte. Anschließend mußte sie fast drei Jahre warten, ehe sie ihre erste Broadway-Rolle in der Zeitkomödie Soldier's Wife von Rose Franken erhielt. Darvas hatte zwar nur eine Nebenrolle in dem Fünf-PersonenStück, aber sie fiel auf; sie brauchte sich von da an keine großen Sorgen um andere Rollen zu machen. Soldier's Wife lief fast ein Dreivierteljahr am Broadway, und eine Tournee Schloß sich an. - Die Gertrude in Hamlet war dann ihr zweites Engagement, und von da an blieb sie fast bis an ihr Lebensende ziemlich regelmäßig beschäftigt. Zwischendurch wirkte sie auch in mehreren Filmen mit. Zu Star-Ehren kam sie in dem Film The Shop Around the Corner. Mady Christians war zwar in Wien geboren, kam aber im Alter von nur fünf oder sechs Jahren mit ihren Eltern nach New York, wo ihr Vater ein Engagement am deutschen Irving Place Theatre erhielt. Er war von 1913 bis 1917 dann Leiter dieses Theaters, bis es als Folge des Kriegseintritts der Vereinigten Staaten geschlossen werden mußte. Mady Christians spielte sogar einige kleine Rollen, ging aber bald nach Kriegsende mit ihrer Mutter nach Wien zurück. Mady wurde Reinhardt-Schülerin, machte in den zwanziger Jahren eine rasche Bühnen- und Filmkarriere und schiffte sich, früher als 404

Exiltheater in den USA

die meisten ihrer Kollegen, nur wenige Wochen nach dem 30. Januar 1933 in die Vereinigten Staaten ein. „Ich wollte immer nach Amerika zurückkommen", sagte sie über ein Jahrzehnt später einem New Yorker Interviewer. „Meine Rückkehr war unvermeidlich. Sie wurde durch meine Kindheit hier bestimmt." Trotz ihrer großen Erfolge im deutschen Theater, wo sie schon die Viola in Was ihr wollt, die Porzia im Kaufmann von Venedig und andere tragende Rollen gespielt hatte, mußte Mady Christians in New York erneut eine Lehrzeit durchlaufen, ehe sie an die ganz großen Rollen herangelassen wurde. Sie trat in heute völlig unbekannten Stücken wie The Divine Drudge und The Lady Who Came to Stay auf, bis sie 1937 mit Orson Welles in Shaws Heartbreak House („Haus Herzenstod") auch den Kritikern auffiel. Im Frühjahr 1941 hatte sie dann eine große Rolle in einem der wenigen beachtlichen AntiNazi-Stücke, Watch on the Rhine von Lillian Hellman, das über ein Jahr lang en suite gegeben wurde. Über ein halbes Dutzend Filme sorgten für Mady Christians' wachsende Popularität. Diese äußerte sich darin, daß sich nicht weniger als 270 Studenten für ihren Kurs „How to Approach a Part" an der Columbia University in New York anmeldeten. Nur dreißig wurden zugelassen. Sie übte diese Nebentätigkeit fast bis zu ihrem frühen Tod im Jahre 1951 aus. Ein mehrmals gehaltener Vortrag, „Actress Between Two Wars", zeigt sie wiederum von einer anderen Seite: Sie war eine dezidierte Gegnerin des Nationalsozialismus. Elisabeth Bergner kam nach nur zweijährigem Aufenthalt in London, wo sie rasch fehlerfreies Englisch gelernt hatte, 1935 mit einem Stück nach New York, das sie in London kreiert hatte: Escape Me Never von Margaret Kennedy. Der ihr vorangehende Ruf, von einer allzu emsigen Publizitätsmaschine verbreitet, sie sei eine zweite Sarah Bernhardt oder Eleonora Duse, hat ihr letzten Endes eher geschadet als genutzt, weil sie in dem oberflächlichen Stück die in sie gesetzten Erwartungen nicht zu erfüllen vermochte. Persönlich erhielt sie allerdings keine schlechten Kritiken, aber in einem negativ beurteilten Stück zu spielen stellt für einen Schauspieler fast immer ein unüberwindbares Handicap dar. Freunden vertraute sie an, daß es ihr in New York nicht gefalle, und nach knapp hundert Aufführungen brach sie das Engagement ab, um nach London zurückzukehren. Presseberichten zufolge verkündete sie, sie beabsichtige nicht, wieder nach New York zurückzukehren, obwohl es ihr an Angeboten, die ihr substantiellere Stücke in Aussicht stellten, nicht fehle. Offenbar hatte sie Schwierigkeiten, den für alle Schauspieler wichtigen Rapport mit dem Publikum herzustellen. Vier Jahre blieb sie New York fern. Dann änderte sie ihren Entschluß, und weitere vier Jahre vergingen, ehe sie mit The Two Mrs. Carrolls im August 1943 ihren einzigen großen Erfolg erzielte. Fast 600mal spielte sie die Rolle der Sally. Allerdings handelte es sich wiederum um ein Stück, das ihr zwar einen vielseitigeren Part bot als den der Gemma in Margaret Kennedys Schauspiel, das aber dennoch unter ihrem in Berlin und Wien gewohnten Niveau lag. Ihre anfänglichen Probleme schienen vergessen, als sie 1949 - offensichtlich, als ihr der frenetische Beifall noch in den Ohren klang, den sie für die Darstellung von Goethes Iphigenie im deutschsprachigen New Yorker Theater, den PLAYERS FROM ABROAD, erhalten hatte - einem Interviewer sagte:

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Henry Marx „Ich darf sagen, ich habe den Kontakt mit dem hiesigen Publikum ebenso rasch und sicher gefunden wie vormals mit dem deutschen. Die Sprache ist eine andere, und auch die Ohren, welche sie vernehmen, reagieren anders; trotzdem habe ich nicht den geringsten Unterschied im Empfang der Wellen bemerken können, die vom Sprecher auf der Bühne in den Zuschauerraum ausstrahlen und von dort fühlbar wieder zurückgeworfen werden." 7 Gefragt nach dem Unterschied zwischen europäischem und amerikanischem Theater, sagte sie bei diesem Anlaß: „Das europäische ist aus dem griechischen und der Shakespeare-Bühne organisch herausgewachsen. Das amerikanische ist, wie es so zutreffend heißt, ,show business'. Dieses Theater hat den vernünftigen Ehrgeiz, den besonderen Bedürfnissen seines Publikums zu dienen, und das gelingt ihm vollkommen, ohne daß jemals eine Übersättigung festzustellen wäre. Im Gegenteil! Der unstillbare Theaterhunger dieser Menschen eröffnet, wie mir scheint, in jede Richtung Möglichkeiten einer kommenden Entwicklung, deren Ziel zu weit gesteckt ist, daß wir es heute höchstens ahnen können. Ich habe das Gefühl, vor dem Beginn eines neuen amerikanischen Theaters zu stehen, das in nichts anderem wird bestehen können als in einer Hinwendung zu unserem Theater, zu einem Theater, das alle angeht, das - ohne Unterschied der Sprache - jeden fördert, nennen wir es nun .europäisches Theater' oder wie immer sonst." In demselben Interview vertrat Elisabeth Bergner auch die Auffassung, daß das Theater international sei - was im Gegensatz zu dem steht, was etwa Reinhardts Sohn Gottfried sagt - und die Sprache überhaupt keine Rolle spiele, was sicher von vielen Betroffenen nicht widerspruchslos hingenommen wurde. Das Interview stammt aus einer Zeit, als die amerikanische Karriere Elisabeth Bergners bereits abgeschlossen war und sie mit ihrem Mann, dem Regisseur Paul Czinner, wieder nach London zurückging, zumal auch die wenigen Hollywood-Engagements sie nicht viel weitergebracht hatten. - Auf The Two Mrs. Carrolls folgte im Februar 1945 Elisabeth Bergners erste Regiearbeit - zu einer Zeit, da weibliche Regisseure am Broadway selten waren. Aber wiederum verschwendete sie ihr Talent an ein recht seichtes Familienstück, The Overtons von Vincent Lawrence, das aber immerhin fast 200mal gegeben werden konnte. Sicher wäre es von Interesse zu wissen, inwieweit ihr bei dieser ersten Regiearbeit Paul Czinner, der als Produzent auftrat, noch die Hand geführt hat. Elisabeth Bergners nächster Broadway-Auftritt kam im Oktober 1946 in The Duchess of Malfi von John Webster, einem Dramatiker der elisabethanischen Zeit, mit einer zum erstenmal in New York - der Bergner adäquaten Rolle. Wiederum vermochte sie damit nicht ihren schauspielerischen Ruhm zu mehren. Das Ganze war als ein Projekt gedacht, das Brecht nach der total verunglückten Aufführung einiger Szenen aus Furcht und Elend des Dritten Reiches (Mai 1945) zu dem von ihm ersehnten Durchbruch am Broadway verhelfen sollte. (1935 war sein erstes in New York aufgeführtes Stück Die Mutter, nach Gorkis Roman, durchgefallen, zweifellos infolge einer völlig inadäquaten Aufführung.) Der Premiere von Websters Tragödie war eine dreijährige Tragikomödie ihrer Bearbeitung vorangegangen. Mehr darüber kann man in Bergners wortreichen Memoiren Be7

Robert Pirk in Forum und Tribüne (New York), Juni 1949, S. 7 ff.

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Exiltheater in den USA wundert viel und viel gescholten, in Brechts Schriften zum Theater und - am ausführlichsten - in James K. Lyons Brecht in Amerika8 nachlesen. Hier soll nur auf einiges eingegangen werden, das möglicherweise beweist, daß viele europäische Köche den amerikanischen Brei verderben können. Noch bei den Voraufführungen in mehreren Städten Neuenglands hatte Brechts Name neben dem des Engländers W. H. Auden das Programm geziert. Zu diesem Zeitpunkt hatte Brecht sicher schon längst die Hoffnungen begraben, das Stück auch selbst inszenieren zu können. Für die Broadway-Aufführung bestand er aber darauf, seinen Namen zurückzuziehen, weil von seiner ursprünglichen Bearbeitung nicht viel Übriggeblieben war. Während er im Falle des Drehbuchs des Fritz-Lang-Films Hangmen Also Die gezwungen gewesen war, auf seine Nennung als Szenario-Verfasser zu verzichten, war dies im Falle der Duchess ofMalfi sein eigener Entschluß. Die Wirkung war dieselbe: Brechts Name blieb der amerikanischen Öffentlichkeit weiter verborgen. Die Broadway-Premiere am 15. Oktober 1946 im Ethel Barrymore Theatre brachte von den fünf Versionen, die inzwischen fertiggestellt worden waren, jene zur Aufführung, die fast dem Original entsprach mit einigen wenigen Änderungen von Audens Hand. Sie fand erwartungsgemäß keine freundliche Aufnahme. Das Stück mußte nach nur 38 Aufführungen abgesetzt werden. Die Inszenierung wurde nicht einmal ein persönlicher Erfolg der Bergner. Am Ende, unter dem Druck ihres Mannes und Produzenten, Paul Czinner, und der Geldgeber, verwarf sie die von ihr vorher gutgeheißene Brecht-Version. Bergners Broadway-Abgesang wurde im Frühjahr 1948 The Cup of Trembling, wiederum ein ihrem Talent kaum angemessenes Stück, erneut von Czinner produziert, diesmal aber auch inszeniert. Es verschwand nach nur 31 Aufführungen von der Bildfläche. Die Bergner spielte die Rolle einer Alkoholikerin, die im Verlauf von acht Szenen innerhalb von zwei Monaten durch gutes Zureden von ihrer Sucht geheilt wird. Über die Aufführung wäre wenig zu sagen, wenn wir nicht die Rezension eines der besten kritischen Beobachter der Broadway-Szene hätten. George Jean Nathan hatte oft ein schärferes Urteil als die meisten seiner Kollegen, und Zynismus lag ihm nie sehr fern. Aber in diesem Falle unterzog er sich der Mühe - und kein anderer US-Kritiker hat dies nach den verschiedenen Auftritten Elisabeth Bergners so ausführlich getan - zu untersuchen, weshalb sie trotz ihres großen europäischen Rufs am Broadway nicht ankam: „Obwohl ihre wohlmeinenden Kritiker schon seit langem Elisabeth Bergner darauf hingewiesen haben, daß ihre Affektiertheit dem Eindruck schadet, den man von ihr im Theater erhält, macht sie unbekümmert so weiter und läßt zu, daß dies Jahr um Jahr die Wirkung ihrer Rollen ernsthaft schwächt. Wie einige andere Schauspielerinnen, die, manchmal zu Recht, davon überzeugt sind, daß die Kritiker nicht wissen, wovon sie reden, und finden, daß es unter der Würde einer Schauspielerin ist, ihnen selbst dann Gehör zu schenken, wenn sie es wissen, wird sie nicht verlernen, was sie unzweckmäßigerweise unter deutscher Anleitung in den Tagen ihrer Berliner Karriere gelernt hat, und sich entgegenkommenderweise dem amerikanischen Theater anpassen, wo ihre Eigenheiten nur allzu übertrieben scheinen [...]". 9 8 9

James K. Lyon: Bertolt Brecht in Amerika. Frankfurt a. M. 1984, S. 197 ff. George Jean Nathan: The Theatre Book of the Year 1947/48. New York, S. 356f.

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Henry Marx Scheiden sich hier, in dieser unterschiedlichen Beurteilung Elisabeth Bergners, die deutschen und die amerikanischen Geister, oder hat wirklich nur die mindere Qualität der von ihr ausgewählten Stücke - und sie konnte bestimmen, was sie spielen und inszenieren wollte - damit zu tun, daß sie im amerikanischen Theater nicht den Platz einnahm, der ihr aufgrund ihrer früheren Leistungen vielleicht zugestanden hätte? Aber Kortner ging es in dieser Beziehung eher noch schlechter. Die „alte" Bergner, die der Schwärm des Publikums in den zwanziger Jahren war, konnte man trotzdem in New York erleben - allerdings nur auf deutsch. Einmal trug sie auf einer Veranstaltung für ein deutsch-jüdisches Exilanten-Publikum in einer ihre Zuhörer aufwühlenden Weise den „Kinderkreuzzug" und einige andere kämpferische Gedichte Brechts vor. Ein zweites Mal begeisterte sie ein ebensolches nach gutem Theater dürstendes Publikum in der leider letzten der vier Spielzeiten der PLAYERS FROM ABROAD in einer Aufführung von Iphigenie, in der sie die Geistigkeit, die ganze Verletzlichkeit und die innere Dramatik dieser großen Figur deutlich machte. Daß sie am Broadway ihr großes Talent Stücken geliehen hatte, die nicht weit von Kolportage entfernt waren, wurde in dieser Aufführung überaus deutlich. Was hätte George Jean Nathan wohl gesagt, wenn er ins Barbizon-Plaza Theater gekommen wäre, vorausgesetzt, er hätte Deutsch verstanden? Also deckt die Sprache doch auch einen Unterschied in der Mentalität auf? Ganz im Gegensatz zu ihrem zitierten Interview aus dem Jahre 1949 sagte die Bergner drei Jahrzehnte später in ihren Memoiren, in New York habe sie gemerkt, wie „hoffnungslos europäisch" sie sei. Hat sie sich erst dann eingestanden, was sie, als ihre amerikanische Karriere schon beendet war, zu leugnen suchte? Und liegt letztlich darin das Unvermögen der Anpassung beschlossen? Ernst Deutsch, von den großen Gestalten des deutschen Theaters in der Vornazizeit vielleicht die gedankenschwerste, hat es auch am Broadway nicht geschafft. Aber er wußte, warum, und hat es immer wieder in Interviews gesagt, auch in einer Unterhaltung, die ich ein Jahr vor seinem Tod mit ihm führte, als er mit dem Burgtheater nach New York kam, um die Titelrolle in Schnitzlers Professor Bernhardt zu spielen: „Meine Sprache ist Deutsch. Ich habe nie gelernt, Englisch richtig zu sprechen." Entsprechend konnte er auch seine beiden Rollen, die ihm am Broadway in den Jahren 1938 und 1941 übertragen wurden, nicht zum Erfolg führen, obwohl die zwei Stücke, in denen er auftrat, von anerkannten Komödienschreibern stammten. Erst kam, im Guild Theatre, I Have Been Here Before von J. B. Priestley und, zweieinhalb Jahre später, ein Stück, das bei seiner Premiere den Titel The Mechanical Heart trug, aber noch während der relativ kurzen Laufzeit in The Talley Method umbenannt wurde; sein Verfasser war S. N. Behrman. Beide Male mußte sich Deutsch mit Nebenrollen begnügen, so daß er für die Kritik und damit für die Theaterbesucher ein Namenloser blieb. Ahnlich übrigens wie The Duchess of Malfi, das in England ein großer Erfolg war (Peggy Ashcroft spielte die Bergner-Rolle und John Gielgud war der Ferdinand), war auch I Have Been Here Before dort ein Zugstück, aber am Broadway stieß es auf keinerlei Interesse. Trotz des unterschiedlichen Theatersystems in Deutschland und England ist die Mentalität der beiden Länder offensichtlich ähnlicher als im Verhältnis zu den USA, was den Exilierten die Anpassung ans englische Theater erleichterte, an das amerikanische jedoch erschwerte. - Nicht unerwähnt soll bleiben, daß Ernst Deutsch, wie auch Fritz Kortner und Elisabeth Bergner, in New York zum ersten - und bei Deutsch nur dieses einzige - Mal Regie führte: In der Eröffnungsveranstaltung der PLAYERS FROM ABROAD im Oktober 1946 408

Exiltheater in den USA inszenierte Deutsch Ibsens Gespenster mit Bassermann als Pastor Manders, während er selbst die Rolle des Oswald übernommen hatte. Vielleicht hier noch ein Wort über den berühmtesten Nichtanpasser am Platz, der dennoch erfolgreich war, wenn auch weniger am Broadway als im Film: Albert Bassermann. Er war schon 72 Jahre alt, als er 1939 in die Vereinigten Staaten kam, ohne mehr als nur ein paar Brocken Englisch zu sprechen. Aber schon nach ein paar Monaten erhielt er seine erste Filmrolle; in dem Film Dr. Ehrlich's Magic Bullet spielte er den Dr. Robert Koch. Bassermann war gleich so erfolgreich - er lernte den Rollentext noch phonetisch - , daß er bis 1947 - inzwischen war er 80 Jahre alt geworden! - in weiteren 23 Hollywood-Filmen mitwirkte: eine ganz erstaunliche Filmkarriere! - Am Broadway trat er jedoch nur ein einziges Mal auf: Im Herbst 1944 spielte der 77jährige die Rolle des Papstes in der Bühnenbearbeitung von Franz Werfeis Roman Der veruntreute Himmel. Es war keine große Rolle! Er hatte seinen Auftritt nur in der letzten Szene des Stücks. Über ihn schrieb der 7imej-Kritiker Lewis Nichols: „Sein Akzent ist ein wenig schwierig, und er hat ein oder zwei europäische Manieriertheiten, spielt aber die Rolle würdevoll und aufrichtig" (New York Times, 1. November 1944). Und der Daily News-Kritiker John Chapman läßt sich wie folgt vernehmen: „Bassermann verleiht der Rolle von Papst Pius XI. ein echtes Gefühl von Heiligkeit und Mitgefühl" (1. November 1944). Übrigens wurde in fast allen Rezensionen ein Foto Bassermanns abgedruckt. Regisseure auf amerikanischen Bühnen Ungünstig waren die Arbeitsbedingungen vor allem für die exilierten Regisseure. Max Reinhardt, gewohnt, sich auf ein ihm vertrautes Ensemble zu stützen, dessen Mitglieder er kannte und das er, wie ein Instrument, im Laufe von Jahrzehnten in seiner Wirkung immer mehr perfektioniert hatte, ebenso gewohnt, über ein großzügig bemessenes Budget verfügen zu können, das ihm ermöglichte, seinen Inszenierungen Opulenz und Farbe zu verleihen - er traf in Amerika auf ein Theatersystem, dem die Bildung von Ensembles unbekannt war, wo die Produktionskosten scharf kalkuliert wurden und die nüchterne Frage nach der Rentabilität allen anderen Überlegungen vorgeordnet war. Der Regisseur war in diesem System nur ein Mitglied des Leitungsgremiums neben anderen. Name und Autorität besagten - zumindest in der praktischen Arbeit - zunächst einmal nichts. Und mehr noch, für Europäer völlig unvorstellbar: Die Schauspielergewerkschaft - und nicht der Direktor oder der Regisseur - wachte über die Dauer der Probenzeit. Friktionen, vor allem auch wechselseitige Mißverständnisse, waren die Folge. Daß Reinhardt unter diesen Umständen eine Enttäuschung nach der anderen erlebte, überrascht infolgedessen nicht. Reinhardts Anspruch auf Autonomie in künstlerischen Fragen, seine Vorstellung vom Theater als einer „orchestralen Kunst", sein Sinn für Individualität rieben sich ständig an der trivialen Realität des amerikanischen Theateralltags. Ein Stück, das später - nach Umarbeitungen - unter dem Titel Hello Dolly den Broadway eroberte, The Merchant ofYonkers von Thornton Wilder, brachte es nur auf 39 Vorstellungen (Guild Theatre, Uraufführung 28. Dezember 1938) - für das Broadway-System, wo nichts anderes als lange Aufführungssequenzen gelten, ein negatives Ergebnis. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Regisseur, Produzent und Autor begannen mit Besetzungsfragen, weiteten sich auf Probleme der von Reinhardt gewünschten Charakterkomik aus, wechselten über auf Divergenzen bezüglich des Ausstattungskonzepts 409

Henry Marx und endeten bei der Auswahl des Theaters. - Ein kommerzieller Erfolg wurde nur Reinhardts F/ederma Mi-Inszenierung („Rosalinda"). Ob diese Produktion jedoch den originären künstlerischen Vorstellungen Reinhardts entsprach, darf aus vielerlei Gründen bezweifelt werden. In den ersten Jahren von Reinhardts Aufenthalt in den USA war es die Zugkraft seines Namens gewesen, die ihm den Weg bereitet und die so spektakuläre Projekte wie die Verfilmung des Sommernachtstraums und, in Zusammenarbeit mit Werfel und Weill, die Inszenierung von The Eternal Road (Uraufführung am 7. Januar 1937), einem Massenspiel mit biblisch-zionistischer Thematik, ermöglicht hatte. The Eternal Road wurde zwar zu einem Triumph der Regiekunst Max Reinhardts, aber die Aufführung verfehlte trotzdem ihre Wirkung, denn die Produktionskosten waren so hoch, daß selbst bei ausverkauftem Haus ein Defizit unvermeidlich war. Im Mai 1937 mußte die Aufführungsserie beendet werden, da die Gelder erschöpft waren. Nachdem Reinhardt jedoch gezwungen worden war, endgültigen Abschied von Salzburg zu nehmen, und somit die Basis seines bisherigen Wirkens verloren war, erwies sich dieses Renommee bald als schweres Handicap, da es Erwartungen auch hinsichtlich des kommerziellen Erfolges nach sich zog, die Reinhardt zu erfüllen nicht imstande war. Dies wirkte sich auch aus auf Reinhardts Versuch, in Hollywood eine Schauspielschule ins Leben zu rufen. Das Berliner bzw. Wiener Muster erwies sich als für amerikanische Verhältnisse nicht geeignet, und Reinhardts WORKSHOP OF STAGE, SCREEN AND RADIO scheiterte nach nur rund zwei Jahren - und nicht nur finanziell. Reinhardts Leben in Amerika, insbesondere in seinen letzten Jahren, war sehr traurig, wenn man bedenkt, daß der einstige Herr von Leopoldskron, der gerne auf großem Fuß lebte, sich hier immer mehr einschränken mußte und von der Unterstützung durch seine beiden Söhne Wolfgang und Gottfried lebte. Er starb schließlich in New York in einem Zimmer im Hotel Gladstone, wie es kleiner wahrscheinlich nicht von seinem Personal in Leopoldskron bewohnt wurde, an den Folgen eines Schlaganfalls. Während es Max Reinhardt immerhin vorübergehend - wenngleich nicht mit dem erhofften Erfolg - gelang, in den Theaterbetrieb des Broadways einzudringen, kann bei Piscator nicht einmal davon die Rede sein. In den zwölf Jahren seines New Yorker Aufenthalts (1939 - 1951) verschloß sich ihm das kommerzielle Theater so gut wie völlig. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wurde sein Theaterkonzept von der New Yorker Kritik nicht verstanden - und dies bei Stücken wie Sartres Fliegen, Salacrous Nächte des Zorns, Wolfgang Borcherts Draußen vor der Tür oder Robert Penn Warrens All the King's Men - alles New Yorker Erstaufführungen und bestes politisches Theater. Gleichwohl übte Piscator eine weit nachhaltigere Wirkung auf das amerikanische Theater aus als Reinhardt, allerdings nicht durch seine Inszenierungen, sondern durch den DRAMATIC WORKSHOP, also durch seine Tätigkeit als Theaterpädagoge. Im Dezember 1939, also bereits vergleichsweise kurze Zeit nach seiner Ankunft, entwickelte Piscator in Zusammenarbeit mit Alvin Johnson, dem Direktor der New School for Social Research, die nach 1933 Zufluchtsort für zahlreiche prominente deutsche Wissenschaftler geworden war, sein Konzept des DRAMATIC WORKSHOP - einer organisatorisch weitgehend selbständigen, institutionell, ideell wie auch finanziell jedoch eng mit der New School verbundenen Schauspieler- und Theaterschule. Dem DRAMATIC WORKSHOP war - gemäß der Leitidee Piscators: „The school that is a theatre" - eine 410

Exiltheater in den USA eigene Bühne angeschlossen, das Studio Theatre, ursprünglich das von Joseph Urban in Anlehnung an den Stil der Wiener Werkstätten entworfene Auditorium der New School. Die überaus erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Piscator und der New School dauerte rund zehn Jahre, bis ihr - wie schon zwei Jahrzehnte zuvor in Deutschland finanzielle Schwierigkeiten schließlich ein jähes Ende bereiteten. Mit nur wenigen Theaterschülern begonnen, erreichte die Schule nach Ende des Zweiten Weltkrieges, als Tausende von Armee-Entlassenen in die Ausbildungsstätten strömten, mit nahezu 1.200 Studenten zeitweilig eine stolze Größe. Der jährliche Etat wuchs auf eine halbe Million Dollar an. Daß sich hieraus erhebliche Risiken ergaben, die zum Ende des DRAMATIC WORKSHOP führten, liegt auf der Hand. Die Konzeption des DRAMATIC WORKSHOP wich von herkömmlichen Ideen einer Theater- und Schauspielschule in erheblichem Maße ab. Piscator wollte im DRAMATIC WORKSHOP nicht bloß Ausbildung betreiben, sondern zugleich eine Alternative für das in New York vorherrschende Amüsiertheater bieten. Insbesondere war es ihm um die Aktivierung des Theaterpublikums zu tun. So strebte er nach jeder Aufführung Diskussionen an, die einen Wertmesser für das Verständnis der Zuschauer abgeben sollten. Die Aktivierung von Wechselwirkungen zwischen Theater und Publikum war also der eine Aspekt von Piscators Theaterarbeit - der andere war die Entwicklung theatralisch-künstlerischer Konzeptionen durch die gemeinsame Zusammenarbeit von Lehrenden und Lernenden. Beide Momente wirkten in gleicher Weise anregend wie innovatorisch. Im Studio Theatre machte Piscator drei Spielzeiten lang Theater, das von Kennern geschätzt und von der New Yorker Presse fast einhellig verrissen wurde. Er begann mit einer stark gegenwartsbezogenen Aufführung von König Lear - Lear (Sam Jaffee) wurde als Symbolgestalt eines Diktators gezeigt, dem ein nicht unverdientes Ende zuteil wird. Das zentrale dramaturgische Mittel der Aufführung war der Monolog. Helle Beleuchtung der Köpfe, das völlige Fehlen von Dekorationen und eine Drehscheibe mit drei symbolischen Plattformen waren die anderen, bewußt einfachen Gestaltungsmittel. - Der Lear-Aufführung schlossen sich während der ersten drei Spielzeiten Klabunds Kreidekreis an, Bruckners Verbrecher, dessen Bearbeitung von Lessings Nathan - diese Inszenierung siedelte für kurze Zeit (28 Aufführungen) an den Broadway über - , Shaws Heilige Johanna, Piscators und Alfred Neumanns Krieg und Frieden sowie die Stücke zweier bis dahin noch unaufgeführter junger Amerikaner. Zu erwähnen ist auch die Inszenierung des Mysterienspiels für Kinder von Walter Mehring, The Golden Doors, das unter Mitwirkung von 1.000 jüdischen New Yorker Kindern und Darstellern des Studio Theatre im Madison Square Garden 1943 zur Aufführung kam. - Am Ende der Spielzeit 1943/44 mußte Piscator das Auditorium der New School verlassen, pachtete das leerstehende President Theatre in unmittelbarer Nähe des Times Square und bald danach auch noch das Rooftop Theatre an der unteren Ostseite Manhattans, das er für kurze Zeit als Volkstheater bei freiem Eintritt betreiben konnte. Trotz der weitgehend negativen Reaktionen der New Yorker Kritik wäre es völlig falsch, daraus auf Wirkungs- und Folgenlosigkeit des DRAMATIC WORKSHOP zu schließen. Der Einfluß war indirekter Natur, was einzelnen Beobachtern in der New Yorker Presse durchaus nicht entging. Die ungeheure Intensität und die Vielseitigkeit der Piscatorschen Arbeit wirkten befruchtend auf die jüngere Generation von Schauspielern und Regisseuren. Vom Stil der Arbeit - der Menge und Unterschiedlichkeit der konzeptionellen Ideen - gingen nachhaltige Einflüsse auf die Studierenden aus. Piscators künst411

Henry Marx lerische Vorstellungen drangen auf diesem Wege zwar nicht direkt, aber durch die Vermittlung seiner Persönlichkeit erfolgreich in die fremde, an anderen Normen orientierte Kultursphäre ein. Die an der Schule herrschende Theaterbesessenheit ist für die spätere Entwicklung Dutzender Off- und Off-off-Broadway-Theater direkt oder indirekt verantwortlich. Von später berühmten Schauspielern sind u. a. Marlon Brando, Tony Curtis, Judith Malina, Harry Belafonte, Rod Steiger, Paul Newman und Elaine Stritch, von bekannten Dramatikern Arthur Miller und Tennessee Williams durch diese Schule gegangen. Leopold Jeßner, der dritte der großen deutschen Regisseure im US-Exil, unternahm erst gar nicht den Versuch, sich in das Broadway-System einzugliedern. Er ging nach Los Angeles, wo er 1939 eine ziemlich unglückliche, stilistisch widersprüchliche TellAufführung herausbrachte - in englischer Sprache mit prominenten, größtenteils exilierten Schauspielern. Der Teil war ein Stück, das - ähnlich dem Sommernachtstraum bei Reinhardt - Jeßner sein ganzes künstlerisches Leben hindurch begleitete. Die Kritik bemängelte mit vergleichsweise scharfen Urteilen, daß der Akzent des Ensembles uneinheitlich sei. Nach nur drei Aufführungen wurde das Ganze zurückgezogen, und von da an beschäftigte sich Jeßner nur noch theoretisch mit Theaterfragen. - Die Produktion war finanziell aufwendig gewesen. Sie war im wesentlichen durch William Dieterle finanziert worden; durch ihr Scheitern entstand ein erheblicher Schaden. Daß Jeßner das Faktum auch so gesehen hat, zeigt ein Bericht im New Yorker Außau (12. März 1945) aus der Feder von Emil Rameau über einen Vortrag Jeßners im Jewish Club of 1933, dessen Präsident er von 1940 bis 1943 war. Nach Rameau resümierte Jeßner in diesem Vortrag die Wirkungen des Exiltheaters auf folgende Weise: „Als Gesamtfaktor hat das emigrierte deutsche Theater eine richtungsgebende Leistung [in den USA] nicht - noch nicht - aufzuweisen." Diesem Fazit ist sicherlich zuzustimmen. - Um Jeßner, der 1937 nach Amerika kam, kümmerte sich bis zu seinem Tod acht Jahre später keine einzige amerikanische Institution. Er erhielt noch nicht einmal Gelegenheit zur Anpassung. Zu stolz, als Bittsteller zu erscheinen, flüchtete Jeßner sich an den Schreibtisch: Bis zu seinem Tod arbeitete er an einer Geschichte des politischen Theaters. Andere Regisseure, weniger bekannt als die „großen Drei", hatten durch ihre Lehrtätigkeit an Colleges die Möglichkeit, Aufführungen im Studententheater zu inszenieren, so etwa Georg Altmann, Heinrich Schnitzler, der Sohn Arthur Schnitzlers, William Melnitz und Alwin Kronacher. Auch Ernst Lothar fand schließlich auf diese Weise ein Betätigungsgebiet. Dem sensiblen Berthold Viertel wurde es ebenfalls nicht leichtgemacht, festen Fuß zu fassen. Für emigrierte Opernregisseure war es dagegen weitaus leichter, eine neue Existenz zu finden: Leopold Sachse, Lothar Wallerstein und Herbert Graf arbeiteten am Metropolitan Opera House, Carl Ebert und Ernst Lert in Kalifornien. Es hätte nahegelegen, Reinhardt etwa für Regieaufgaben im Opernhaus heranzuziehen, aber niemand kam auf diese Idee. Deutsche und österreichische Bühnenbildner, von denen verhältnismäßig wenige nach New York kamen, arbeiteten hier gleichfalls mit unterschiedlichem Erfolg. Ein bewährter Meister wie Ladislaus Czettel mußte sich auf die Ausstattung einiger Operetten beschränken. Harry Horner, als Assistent des amerikanischen Bühnenbildners Norman Bei Geddes zugleich Mitarbeiter Reinhardts an der Inszenierung von The Eternal Road, 412

Exiltheater in den USA gehörte bald zu den gefragtesten Broadway-Bühnenbildnern, der in einer einzigen Saison (1940/41) die Szenerie für acht Produktionen entwarf. Weitere vor 1945 gelegentlich tätige Bühnenbildner waren die beiden Exberliner Heinz Condell und Wolfgang Roth. Der früh verstorbene Condell arbeitete zunächst bei Piscator, wie auch der als Beleuchter wirkende Hans Sondheimer. Beide gingen in den vierziger Jahren zur New York City Opera, deren technischer Direktor Sondheimer dann für mehr als drei Jahrzehnte bis 1979 war. Schwierigkeiten der Dramatiker bei der Anpassung an die amerikanische Bühne Symptomatisch für die Schwierigkeiten, die die deutschsprachigen Dramatiker bei der Anpassung an die amerikanische Bühne hatten, für Mißverständnisse und Fehleinschätzungen ist der Fall von Werfeis Jacobowsky und der Oberst. Das Stück wurde am Broadway schließlich zum Welterfolg - aber bei seinem Autor, Franz Werfel, blieb Bitternis über die Art und Weise, wie es zu dem Erfolg kam, zurück. Werfel hatte im Juli 1941 auf Anraten von Freunden, so u. a. von Gottfried Reinhardt, begonnen, die Geschichte seiner Flucht aus Frankreich, die er in anekdotischer Form im Freundeskreis immer wieder erzählt hatte, in dramatische Form - als „Komödie einer Tragödie", wie der spätere Untertitel lautete - zu fassen. Fertiggestellt war der Text im August 1942. Um das Stück dem amerikanischen Markt anzupassen, wählte Werfel Clifford Odets als Mitautor. Die Produktion wurde aufgrund von Erwägungen hinsichtlich des Abonnentenstamms an die Theatre Guild vergeben. Die amerikanische Fassung lag im Mai 1943 vor. Um die Aufführung vorzubereiten, behielt sich die Theatre Guild das Recht einer erneuten Bearbeitung vor. Diese wurde an N. S. Behrman, einen erfahrenen Praktiker, vergeben. Behrman nahm einschneidende Veränderungen vor; so paßte er das Stück an den geringen politischen Wissensstand des amerikanischen Publikums an, gestaltete verschiedene Szenen um und verlieh dem Geschehen eine gewisse plastische Drastik - was für Exilanten, die diese Änderungen als nicht situationsgerecht empfanden, z.T. überaus befremdlich erscheinen mußte. Wie Albert Η. E. Brown im einzelnen dargestellt hat,10 änderte er darüber hinaus auch Szenen, die ihm offensichtlich als zu literarisch-symbolisch erschienen. Werfel glaubte nach Abschluß der Bearbeitung sein Stück nicht wiederzuerkennen und war verständlicherweise tief verstimmt. Nun folgt ein sehr aufschlußreicher Vorgang. Da er selber bei der Theatre Guild aufgrund seines sich rapide verschlechternden Gesundheitszustandes nicht mehr intervenieren konnte, beauftragte er eine Vertrauensperson, die als Schlichter agieren und ggfs. nach eigenem Ermessen entscheiden sollte. Dieser Schlichter, Lawrence Langner, entschied, was die bestehende Situation - und damit die Schwierigkeiten, die europäische Theaterkünstler mit diesen Gegebenheiten hatten - schlagartig erhellt, zugunsten der Bearbeitung durch Behrman und damit gegen den Autor Werfel. Das war gleichsam das Opfer, das Werfel für den Erfolg seines Stükkes am Broadway bringen mußte. Vor diesem Hintergrund wird es verständlicher, weshalb auch andere Dramatiker, Brecht vor allem, aber auch Toller oder Bruckner, kaum eine Chance hatten, ihre Stücke 10

Albert Η. E. Brown: Franz Werfel am Broadway. In: Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. 2. New York. Hrsg. von John M. Spalek u. Joseph Strelka. Bern 1989, S. 1592 - 1606.

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Henry Marx in eigener Initiative auf amerikanischen Bühnen zu lancieren. Voraussetzung für den Erfolg war immer - selbstverständlich - eine theateradäquate Übersetzung ins amerikanische Englisch, und noch wichtiger war die Bearbeitung des Textes durch einen erfahrenen, amerikanischen Mitautor. Selbst das Faktum, daß ein Drama bereits in englischer Übersetzung vorlag und auf britischen Bühnen mit Erfolg gelaufen war, reichte - wie das gut dokumentierte Beispiel der Dramatik Ernst Tollers zeigt 1 1 - für einen Erfolg in den USA nicht aus. Kabarett Ein anderer Fall von Nichtanpassung, der daher auch in einem Totaldesaster endete, war der New Yorker Auftritt der von Erika Mann gegründeten PFEFFERMÜHLE. Dieses Kabarett, das vier Wochen vor dem Ende der Weimarer Republik seine Premiere in der Münchner Bonbonniere hatte, kam vier Jahre später nach New York. Die Premiere fand am 5. Januar 1937 statt - zwei Tage vor der Uraufführung von The Eternal Road. Einige der für ein mitteleuropäisches Publikum geschriebenen Sketche waren allzu wörtlich ins Englische übersetzt worden, noch dazu von Schriftstellern, die keine Kabarettisten waren: Texte von Klaus und Erika Mann, Ernst Toller und Erich Mühsam. Der damals in New York lebende W. H. Auden hatte einige original englische Nummern beigesteuert, und neben den Hauskomponisten Magnus Henning und Peter Kreuder wurde auch noch die Musik amerikanischer Komponisten, darunter Aaron Copland, benutzt. Mit dem auf diese Weise entstandenen Wechselbalg - um das von Zuckmayer geprägte Wort für sein mit Kortner verfaßtes Theaterstück zu verwenden - wußten die mitteleuropäischer Kabarett-Tradition ohnehin fernstehenden New Yorker Kritiker überhaupt nichts anzufangen, also verrissen sie es mitleidlos: „[...] the group was not very well advised for its New York showing. Struggling with the Englisch language anyway, there seems to have been little thought given to context" (Variety, 13. Januar 1937). Sechs schwach besuchte Aufführungen in einem kleinen Auditorium waren die ganze Ausbeute. Offenbar hatten die Geschwister Mann aus dieser Erfahrung den richtigen Schluß gezogen, denn zwei Jahre später schrieben sie in Escape to Life, ihrem Rechenschaftsbericht über die ersten Exiljahre: „Die wortwörtliche Übertragung deutscher Dramen in andere Sprachen bietet weit größere Schwierigkeiten als etwa die Übersetzung von Romanen oder wissenschaftlichen Werken. Die Bühne fordert eine stärkere Anpassung an den besonderen Geschmack, die besondere Interessensphäre ihres Publikums; in beinah allen Fällen wird statt der einfachen .Übersetzung' die .Adaption' durch einen Bühnenschriftsteller nötig, der mit diesen Besonderheiten vertrauter ist, als der deutsche Dramatiker es sein kann." 12 Diese Binsenweisheit war im Fall der PFEFFERMÜHLE allerdings nicht befolgt worden. Darunter litten die Leistungen, vor allem die Therese Giehses, die auch Regie führte und für die es der einzige Auftritt in New York blieb. 11

12

Richard Dove: Problemreiche Zusammenarbeit. Ernst Tollers Beziehungen zu englischen und amerikanischen Theaterleuten nach 1933. In: Exiltheater und Exildramatik 1933 - 1945. Maintal 1991, S. 203 - 218 (= Exil. Sonderband 2). Klaus und Erika Mann: Escape to Life. München 1991, S. 318 f.

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Exiltheater in den USA Weitaus vorsichtiger gingen die sich in New York wiederfindenden Mitglieder der Wiener Kleinkunstbühnen ans Werk. Sie organisierten sich als REFUGEE ARTISTS GROUP und starteten unter erfahrenen Broadway-Auspizien; zu den Förderern dieses Ensembles gehörten neben bekannten Produzenten u. a. Irving Berlin und Richard Rogers, Eddie Cantor und Al Jolson, Edna Ferber und Robert Sherwood, Harpo und Zeppo Marx. Ein Theater wurde ihnen mietfrei zur Verfügung gestellt; das technische Personal war mit symbolischer Bezahlung zufrieden, und die Darsteller erhielten alle dieselbe Gage. Ein etwaiger Gewinn sollte der Unterstützung von Theaterleuten dienen, die als Flüchtlinge nach Amerika kamen. Die Mitwirkenden waren neben anderen Lotte Goslar, Vilmar Kürer, lila Rhoden, Kitty Mattern, Elisabeth Neumann, Walter Engel, Harry Horner, Manfred Inger. Der Initiator war Herbert Berghof. Ein Sprachlehrer hatte mit den Mitwirkenden, von denen die meisten noch nicht einmal ein Jahr im Lande weilten, seit Monaten täglich zwei Stunden lang Englisch gepaukt. Der europäische Akzent war trotzdem unverkennbar. Am 20. Juni 1939 ging erstmals ihre Show From Vienna in Szene, eine Kabarettrevue, die hauptsächlich schon in Wien erprobte Nummern, aber auch eine Reihe aktueller amerikanischer Sketche und Songs brachte. Die Presse war wohlwollend und im großen und ganzen positiv: „Eine tolle Gruppe, die dem New Yorker Theaterpublikum etwas Einzigartiges zu bieten hat", schrieb Willela Waldorf (New York Post, 21. Juni 1939). Brooks Atkinson ging etwas mehr auf das Grundsätzliche der Darbietung ein: „Was erwarten wir denn von Flüchtlingen?" fragte er. „Erwarten wir, daß sie verschreckt, scheu oder unterwürfig sind? Erwarten wir, daß sie ihre Persönlichkeit zu Hause gelassen haben, unter den Trümmern eines verdammten Landes? Was immer wir auch erwarten, bei dieser Darstellergruppe erleben wir die Ausstrahlung guter Menschen, die das tun, was ihnen Spaß macht. Ihr Lächeln ist attraktiv, ihr Talent voller Sensibilität. Sich klarzumachen, daß solche Menschen Flüchtlinge aus einem Teil der zivilisierten Welt sein können, ist schockierend. Denn sie stellen den Reiz und das Entzücken zivilisierten Lebens dar. Aber sie befinden sich jetzt unter Freunden" (New York Times, 21. Juni 1939). Burns Mantle wagte die Prophezeiung: „Es befinden sich einige ausgesprochene Talente in dieser Gruppe, und diese werden zweifellos künftig vom amerikanischen Theater absorbiert werden" (Daily News, 21. Juni 1939). Während zweier heißer Sommermonate gaben sie 79 Aufführungen en suite. Sie kamen im Februar 1940 mit einer zweiten Auflage ihrer Revue, nun unter dem Titel Reunion in New York und erheblich stärker amerikanisiert, wieder und brachten es sogar auf 89 Aufführungen, was für solche Darbietungen ein großer Erfolg war. Bald danach löste sich die Gruppe auf, vor allem auch deshalb, weil die jüngeren Männer von der amerikanischen Wehrpflicht erfaßt wurden. Da das Ensemble auseinanderbrach, ging Mantles Prophezeiung nur teilweise in Erfüllung, wenngleich manche dieser Schauspieler später mit einiger Regelmäßigkeit in Filmen auftauchten, zum großen Teil in Akzentrollen. Deutschsprachiges Kabarett hatte in den Jahren vor Kriegseintritt der USA nur noch in den kleinen New Yorker Künstlercafes eine Chance: dem „Cafe Vienna", dem „Broadway Fiaker", „Lublo's Palmgarten" oder dem „Old Europe". Hier traten prominente Kabarett- und Variete-Stars auf: Karl Farkas, Hermann Leopoldi, Fred Spielmann, Armin Berg, Kitty Mattern, Valeska Gert, Ilse Bois, Soja Wronkow; Kurt Robitschek 415

Henry Marx

eröffnete sein KABARETT DER KOMIKER neu. Zunächst dominierten die deutschsprachigen Künstler, dann tauchten allmählich auch immer mehr amerikanische Namen auf. Es entwickelte sich eine sehr eigentümliche, in Teilen spezifisch „wienerisch" geprägte Kleinkunst-Szene. Trotzdem schlugen sich die Akteure mehr schlecht als recht durch. Das Scheitern resultierte vor allem daraus, daß ein großer Teil der jüdischen Emigranten nicht mehr deutsch sprechen wollte. Der überwiegende Teil der nichtjüdischen deutschsprachigen Bevölkerung wiederum, die „Bundisten" aus Yorkville, sympathisierte mit den Nationalsozialisten. Diese Deutschamerikaner wollten mit einem von Emigranten betriebenen Kabarett nichts zu tun haben. Film- und Theaterschauspieler an der Westküste Ob Erfolg oder Mißerfolg: Das wahre Glück war für den europäisch geschulten Schauspieler im amerikanischen Theater nicht zu finden. Der Mut dieser Menschen ließ sie Schauspieler bleiben, obgleich sie sich in den langen Intervallen zwischen den Engagements durch Büroarbeit, als Warenhausangestellte, Geschirrwäscher, Gärtner, ambulante Verkäufer oder mit ähnlichen Betätigungen über Wasser halten mußten. Es war ein schweres, ein bitteres Los, und die Schauspieler, wie die Schriftsteller ihrer Sprache im fremden Lande beraubt, hatten es mit am schlechtesten getroffen. Kein Wunder daher, daß sich viele dieser Schauspieler nach Hollywood wandten, wo sie bessere Arbeitsmöglichkeiten fanden, und dem Theater ganz entsagten. Der Film stellte Regisseure, Komponisten, Drehbuchverfasser und Produzenten vor Aufgaben, die es am Broadway nicht gab. Insgesamt fanden dort etwa 130 exilierte Schauspieler eine Existenz, ferner rund 30 Regisseure, 20 Komponisten und etwa 50 Drehbuchverfasser - also weit mehr, als am Broadway heimisch wurden. Manche Schauspieler wanderten zwischen Broadway und Hollywood hin und her; die Karriere des Wieners Otto Preminger blieb eine Ausnahme. Daß die Tätigkeit in Hollywood jedoch keineswegs in einem allzu rosigen Licht gesehen werden darf, zeigt das Beispiel von Filmregisseuren wie Reinhold Schünzel, Felix Bäsch oder Alfred Zeisler. Ihnen gelang es in Hollywood nicht, in ihrem eigentlichen Metier Fuß zu fassen, sondern sie mußten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ihren Beruf wechseln und Schauspieler werden. Für emigrierte Schauspieler war es im übrigen kein reines Vergnügen, in den damals vielgedrehten Antinazifilmen immer wieder die Nazigrößen zu spielen. Sie empfanden diese Rollen politisch als kompromittierend und das künstlerische Niveau der Propagandafilme als abträglich für das eigene berufliche Renommee. Die Wirklichkeit der NS-Diktatur war ihnen im Antinazifilm viel zu simpel dargestellt. Wer es sich leisten konnte, wie z.B. Joseph Schildkraut oder Curt Goetz, weigerte sich infolgedessen, Nazirollen zu übernehmen. Neben diesen charakteristischen Akzent-Rollen - Täter- und Opfer-Rollen - verblieben den Emigranten nur die stereotypen Rollen des US-Films: Butler, Zimmermädchen, Ärzte, Psychiater, Komponisten, Kellner, Polizisten. Meist sollten die Darsteller auch ein bißchen komisch wirken wie etwa Fritz Feld oder Szöke Szakall. Die Zahl der emigrierten Schauspieler, die in Hollywood wirkliche Stars wurden, läßt sich an einer Hand abzählen. Unter den Schauspielerinnen wären nur Luise Rainer, Hedy Lamarr und Marlene Dietrich zu nennen. Die erstgenannten erlebten beide nur kurze, insgesamt allerdings durchaus spektakuläre Starkarrieren, die sich aber dadurch von dem üblichen Werdegang der meisten Filmschauspielerinnen Hollywoods kaum unterscheiden. Wie 416

Exiltheater in den USA

Greta Garbo oder Ingrid Bergman, also andere europäische Stars, fungierten sie wegen ihrer Jugend und Schönheit als fremde, exotische, meist moralisch zweideutige Geliebte. - Ähnliche Funktionen übten die erfolgreichen männlichen Kollegen aus, vor allem Paul Henreid, Carl Esmond und Francis Lederer: Sie galten als europäische Verführer unschuldiger Amerikanerinnen. Dagegen brachte es Peter Lorre zu Starruhm, indem er den Bösewicht in zahlreichen Horror- und Kriminalfilmen verkörperte. Das Beispiel für einen Hollywood-Film, der im wesentlichen von deutschen Emigranten konzipiert und gestaltet wurde, ist Margin for Error von Otto Preminger. An der Produktionsgeschichte dieses Films wird jedoch zugleich auch der geringe Spielraum erkennbar, der für einen zu diesem Zeitpunkt noch außerhalb des Hollywood-Systems stehenden Regisseur wie Preminger vorhanden war. Der Filmstoff beruht auf einem historisch belegten Ereignis. Im November 1938 gelang dem damaligen Bürgermeister von New York, LaGuardia, ein politischer Coup, als er eine ausschließlich aus jüdischen Polizisten bestehende Einheit zur Bewachung des deutschen Konsulats aufstellen ließ. Noch im Winter desselben Jahres verarbeitete Claire Boothe Luce diesen Stoff zu einem Theaterstück, wobei sie den jüdischen Polizisten Finkelstein in den Mittelpunkt einer Mordgeschichte rückte. Im Spätsommer 1939 machte sie über ihren Agenten Otto Preminger das Angebot, die Regie des Theaterstükkes zu übernehmen. Preminger schrieb das Stück zusammen mit der Autorin nochmals um und übernahm die Rolle des Nazikonsuls, nachdem Rudolf Forster aus der Produktion plötzlich ausschied. Nach dem Broadway-Erfolg des Stückes kaufte die 20th Century-Fox im Sommer 1940 die Filmrechte. Zuerst sollte Lubitsch Regie führen, dann wurde im September 1942 Preminger als Darsteller engagiert. Obwohl man Preminger 75.000 Dollar für sein Engagement geboten hatte, sagte er nur unter der Bedingung zu, daß ihm auch die Regie übertragen werde. Diese Forderung wurde zunächst abgelehnt, schließlich jedoch, als Preminger auf die Gage für die Regie verzichtete, akzeptiert. Für das Umschreiben des Drehbuchs wurden ebenfalls keine Mittel bewilligt, so daß Preminger sich gezwungen sah, auch Sam Fuller, den er als Mitarbeiter anstellte, aus der eigenen Gage zu bezahlen. Der positive Aspekt dieses an sich unsäglichen Verhaltens der Produktionsfirma war, daß Preminger auf diese Weise einen maßgeblichen Einfluß auf die Konzeption des Films und ihre künstlerische Umsetzung gewann. Neben Preminger treten in dem Film die Emigranten Carl Esmond, Poldi Dur, Hans von Twardowsky, Hans Schümm, Wolfgang Zilzer und Ludwig Donath auf. - Aus heutiger Sicht wird erkennbar, wie stark Margin for Error von den zu diesem Zeitpunkt (1943) bereits vergleichsweise strikten Klischee- und Genrevorstellungen abweicht, die sich hinsichtlich des Genres „Antinazifilm" herausgebildet hatten. Die Charaktere sind ungleich subtiler gezeichnet; die Handlung stellt eine genau kalkulierte Balance aus Melodrama und Komödie dar. Diese Abweichungen wurden von der zeitgenössischen Kritik allerdings durchaus nicht als positive Merkmale verstanden. Die Beschäftigung in Hollywood führte dazu, daß sich die bisherige Parallelität von Theater- und Filmtätigkeit allmählich auflöste. Ein charakteristisches Beispiel hierfür bietet der Schauspieler Wolfgang Zilzer (Paul Andor). In Deutschland war Zilzer in gleicher Weise auf der Bühne und im Kabarett wie auch im Film bekannt gewesen. In den Vereinigten Staaten entwickelte er sich zu einem nahezu ausschließlich im Film bzw. Fernsehen tätigen Schauspieler. 417

Henry Marx Wolfgang Zilzer kam 1937 in die Vereinigten Staaten, blieb nur kurze Zeit in New York, da er ein berufliches Fortkommen hier von vornherein als aussichtslos erachtete, und wandte sich sofort nach Hollywood. Er schlug sich anfangs mit berufsfremder Tätigkeit durch: als Chauffeur und als Fahrlehrer. Die erste Unterkunft war ein Quartier für Schauspieler, das von Lubitsch und Dieterle finanziell unterstützt wurde. Eine Empfehlung an Lubitsch verschaffte ihm den ersten Vertrag: die Akzentrolle eines kleinen (französischen) Buch Verkäufers in Bluebeard's Eighth Wife. Eine zweite, gleichfalls kleine (deutsche) Akzentrolle schloß sich an - in Anatole Litvaks Confessions of a Nazi Spy. Es waren Rollen mit ein, zwei Drehtagen - finanziell zunächst alles andere als lukrativ. Zwischendurch gab es noch einmal ein winziges Intermezzo auf der Bühne: in Schnitzlers Anatol mit einer deutschen Gruppe, der TRIBÜNE. Die Regie führte Perry (i.e. Alfred Pinkus). Nach Kriegsbeginn wurden die Filmrollen allmählich zahlreicher: die Gestaltung deutscher Naziopfer, gelegentlich auch Rollen von Nazis, darunter die Rolle von Goebbels in Enemy of Women in der Regie von Alfred Zeisler. In Hitler's Madman, dem Lidice-Film von Douglas Sirk, spielte Zilzer einen Naziobersten. - Im Juni 1945, nach Kriegsende, tritt Zilzer zum ersten Mal in New York auf: in der von Berthold Viertel eingerichteten New Yorker Aufführung von Brechts Furcht und Elend des Dritten Reiches (in der Szene „Rechtsfindung"). Als der Krieg vorbei ist, verschwinden die „accent parts". Erst in den fünfziger Jahren folgen für Zilzer auch Broadway-Rollen, von jetzt an jedoch in der Hauptsache Film- und Fernsehrollen. Neben Wolfgang Zilzer wären noch andere Schauspieler und Schauspielerinnen zu nennen, die dem Theater auf diese Weise verlorengehen, weil sie allenfalls noch sporadisch auf der Bühne stehen: Peter Lorre, Alexander Granach, Dolly Haas, Leo Askin. Die Reihe solcher ehemaliger Bühnenschauspieler ist lang. Nur vergleichsweise wenige von ihnen kehren - wie Curt Bois oder Oskar Homolka - wieder nach Deutschland zurück und damit auch zum Theater. Vergegenwärtigt man sich, daß ζ. B. Peter Lorre einmal tragende Rollen in Inszenierungen von Brecht- und Horväth-Stücken gespielt hatte, dann wird erkennbar, wie groß dieser Verlust für das deutsche Nachkriegstheater ist. Ein Sonderfall „verspäteten" Exiltheaters: Die PLAYERS FROM ABROAD Erst nach 1945 gab es in New York, wenn auch abseits vom Broadway, wieder deutschsprachiges Theater dank den von Felix Gerstman und Gert von Gontard initiierten PLAYERS FROM ABROAD. Die PLAYERS FROM ABROAD,

bereits 1942 gegründet, blieben bis 1945 inaktiv, weil sie es offenbar nicht für ratsam hielten, noch während des Krieges deutsches Theater zu spielen. Vielleicht lag es an der Stimmung der Zeit, daß sie sich einen englischen Namen gaben; wie sich die Mitgründerin Grete Mosheim erinnerte, ging die Wahl des Namens auf Hans Jaray zurück. Zum künstlerischen Beirat gehörten (in alphabetischer Reihenfolge) die Schauspieler Albert und Else Bassermann, Felix Bressart, Ernst Deutsch, Walter Firner, Paul Henried, Erwin Kaiser, Ida Roland, Ludwig Stoessel, Rose Stradner, Szöke Szakall, Erika von Wagner, John Wengraf und Gisela Werbezirk, ferner der Regisseur Victor Barnowsky und der Dramatiker Ferdinand Bruckner. Illusionen über die kommerziellen Erfolge dieses Theaters, das immerhin wie kein anderes mit Prominenten bestückt war, von denen einige - wie ζ. B. Reinhold Schünzel 418

Exiltheater in den USA

- sich auch in Hollywood einen Namen gemacht hatten, sollte man sich allerdings nicht hingeben: Vom Anfang bis zum Ende war ein Defizit zu begleichen, für das Felix Gerstman aufkam. Für den Egmont (acht Vorstellungen) betrug dieses Defizit knapp 11.000 Dollar, für die Iphigenie (ebenfalls acht Vorstellungen) knapp 6.300 Dollar, für den Tasso (vier Vorstellungen) gut 7.000 Dollar. Die Defizite summierten sich also zu einem beträchtlichen Vermögen. Besser als alles andere zeigt dieses Faktum, auf welch unsicherem Boden sich ein deutschsprachiges Theater in New York zu bewegen hatte. Als erste Premiere war Faust I in Aussicht genommen, aber Bassermann, dessen Meinung eingeholt wurde, riet in einem Brief aus Los Angeles ab. „Wie ich [...] schon gestern schrieb, war abends Ernst Deutsch mit seiner Frau bei uns. Auch er hat bezüglich des Faust starke Bedenken. Im Lauf der Debatte fanden wir schließlich alle, daß eine Aufführung von Ibsens Gespenstern das Einfachste und Richtigste wäre. Deutsch ist ein berühmter Oswald, meine Frau wäre zum ersten Mal Frau Alwing und ich zum ersten Mal Pastor Manders. [...] Barnowsky würde sicher sehr gerne die Regie führen." In dieser Besetzung ging das Stück am 2. April 1946 zum ersten Mal in dem zu einem inzwischen abgerissenen Hotel am Central Park gehörigen, 500 Plätze fassenden Barbizon Plaza Theatre in Szene, allerdings führte nicht Barnowsky Regie, sondern Deutsch. Julius Babs begeisterte Besprechung endete mit den Worten: „Dieser ganze Abend deutscher Schauspielkunst [...] bleibt ein großes, denkwürdiges Ereignis für Menschen, deren Heimat nun einmal die deutsche Sprache ist" (NYSZH, 4. April 1946). Im Herbst 1946 folgten zwei Komödien: Finden Sie, daß Constanze sich richtig verhält? von Somerset Maugham mit Leopoldine Konstantin in der Hauptrolle und Ist Geraldine ein Engel? von Jaray, der auch Regie führte. U. a. wirkten Lily Darvas, Oscar Karlweis und John Wengraf mit. Auch die Spielzeit 1947/48 wurde sehr „leicht" eingeleitet: Gisela Werbezirk spielte in Dreimal Hochzeit, Felix Saltens Bearbeitung von Anne Nichols Schwank Abies Irish Rose. Der aufgeschobene Faust hatte am 26. November 1947 Premiere. Das finanzielle Risiko einer solchen Aufführung konnte nun eingegangen werden, nachdem es gelungen war, in dem theaterbegeisterten Gert von Gontard, von 1938 bis 1940 Assistent Max Reinhardts an dessen Hollywooder Schauspielschule, einen Förderer zu finden, der nicht nur bereit war, die unvermeidlichen Defizite auszugleichen, sondern auch aktiv an der Weiterentwicklung der PLAYERS FROM ABROAD mitwirkte. Nicht ganz unerwartet wurde Faust mit 28 Aufführungen der größte Erfolg des Exiltheaters. Uta Hagen (Gretchen), Leon Askin (Faust), Bassermann (Mephisto) und seine Frau (Marthe) spielten die Hauptrollen. Regie führte Leon Askin. Wiederum Bab: „Uns hier mitten in New York den Goethischen Faust und zugleich dieses hohe Werk der Schauspielkunst geboten zu haben - das ist eine Tat, für die wir den PLAYERS FROM ABROAD dankbar sein müssen" (NYSZH, 29. November 1947). Zwei Monate nach der letzten Fa«ii-Aufführung stand Bassermann als Baumeister Solness erneut auf der Bühne des Barbizon Plaza; es war die am wenigsten erfolgreiche Produktion der PLAYERS. In der Spielzeit 1948/49 wurden Egmont (mit Jaray, Leopoldine Konstantin, Reinhold Schünzel und Grete Mosheim) sowie Tasso (Regie: Gert von 419

Henry Marx Gontard) und Iphigenie auf Tauris (mit Elisabeth Bergner, Herbert Berghof, Η. H. von Twardowsky und Theo Goetz; Regie: Barnowsky) gegeben. - Von den übrigen Produktionen muß vor allem noch Der Raub der Sabinerinnen, der bekannte Schwank der Gebrüder Schönthan, erwähnt werden, weil hier der zweiundachtzigjährige Bassermann eine seiner ganz großen Leistungen in der Rolle des Schmierendirektors Striese vollbrachte. Hier wuchs die Possenfigur zu einem wahren, echten Menschen, und, lächerlich, wie es beinahe klingen mag, sah man sich in dieser Aufführung mit einem der großen Augenblicke des Exiltheaters konfrontiert. Mit der Rückkehr einiger ihrer Besten nach Europa (Bassermann, der im Flugzeug nach Zürich starb, Deutsch, Bergner, Jaray, Mosheim) sahen sich die PLAYERS FROM ABROAD genötigt, ihre Tätigkeit einzustellen, da es zusehends schwieriger wurde, Stükke zu besetzen, denn auch die in New York gebliebenen Schauspieler waren immer stärker in dem nun aufkommenden Fernsehen beschäftigt. In den vier Spielzeiten traten etwa siebzig Schauspieler auf, die so die Gelegenheit erhielten, während des US-Exils in ihrer Muttersprache zu spielen. Selten dürfte sich eine derart illustre Gruppe von Schauspielern zusammengefunden haben. Für viele der schätzungsweise 50.000 Besucher, die den Aufführungen beiwohnten, wird nach der Vertreibung durch die Nazis und nach den schwierigen Anfangsjahren dieses Erlebnis sicherlich einer der kulturellen Höhepunkte ihres Aufenthaltes in den USA gewesen sein.

Das Theaterexil ist Episode geblieben Die Periode von 1933 bis 1945 endete, fast symbolhaft, mit dem Tod Leopold Jeßners am 13. Dezember 1945 in Los Angeles. Für ihn waren die Jahre der Emigration noch bitterer als für den zwei Jahre zuvor verstorbenen Reinhardt. Ein Buch über das politische Theater, an dem Jeßner bis zum Tag vor seinem plötzlichen Tode arbeitete, blieb unvollendet, das Manuskript ist verschollen, desgleichen seine Regiebücher. Nach seinem Tode schrieb Lion Feuchtwanger: „Mir scheint, gerade hier in Amerika müssen wir die Bedeutung Leopold Jeßners mit schmerzhafter Klarheit erkennen; denn eben das, was er gemacht hat, vermissen wir hier mit brennender Sehnsucht: ein Theater, das mehr wäre als ein Unterhaltungsinstitut" (Aufbau, 21. Dezember 1945). Aufschlußreich ist die Tatsache, daß am Broadway nach dem Ende der Exilzeit nur noch ganz selten deutsche und österreichische Schauspieler auftraten. Die jüngeren Schauspieler, die den Krieg auf amerikanischer Seite mitgemacht hatten, gingen zum größten Teil nicht mehr in den alten Beruf zurück. Nicht wenige kamen bei der VOICE OF AMERICA, aber auch in anderen Bundesbehörden unter und waren damit der Unsicherheit des Theaterspielens am Broadway entwichen. Herbert Berghof gründete zusammen mit seiner Frau Uta eine erfolgreiche Theaterschule, aus der später Weltstars wie Anne Bancroft und Liza Minelli hervorgingen. Von einem persönlichen oder konzeptionellen Einfluß deutscher und österreichischer Theaterleute auf den Broadway kann deshalb nach 1950 nicht mehr die Rede sein, zumal der eine, der dies am ehesten hätte fertigbringen können, Erwin Piscator, 1951 nach Deutschland zurückging. Lediglich auf dem Gebiet der Oper blieb der Einfluß der Exilierten erhalten: durch Regisseure wie Herbert Graf und Lothar Wallerstein in New York, Ernst Lert und Carl Ebert in Kalifor-

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Exiltheater in den USA nien, vor allem aber durch die 22 Jahre währende Leitung der Metropolitan Opera durch Rudolf Bing (1950 - 1972). Er war allerdings erst nach 1945 in die Vereinigten Staaten gekommen. Hätte Reinhardt im Jahre 1928 jedoch ein Angebot seines US-Gönners, des aus Mannheim stammenden Bankiers Otto H. Kahn, angenommen, die Leitung eines eigens für ihn am Broadway zu errichtenden Max-Reinhardt-Theaters zu übernehmen, wäre sicherlich eine Bühne entstanden, die eine neue Richtung im amerikanischen Theaterleben eingeschlagen und die möglicherweise den nach 1933 kommenden Darstellern die geschilderten Anpassungsschwierigkeiten erleichtert hätte.

Literatur Henry Marx: Regisseure im US-Exil. - In: Pen International. Symposium Exil U.S.A. Schriesheim oJ. [1985/86], S. 61 - 68. Ders.: Exiltheater in New York. - In: Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. 2. New York. Hrsg. von John M. Spaleku. Joseph Strelka. Bern 1989, S. 1527 - 1548. Ders.: Die exilierten Theaterleute und das Broadway-System. In: Exiltheater und Exildramatik 1933 -1945. Maintal 1991, S. 80 -103 (= Exil. Sonderband 2). Exil in den USA. Eike Middell u. a. Mit einem Bericht „Schanghai - eine Emigration am Rande" von Alfred Dreifuß. Leipzig 1983 (= Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933 -1945, Bd. 3). Edda Fuhrich-Leisler/Gisela Prossnitz: Max Reinhardt in Amerika. Salzburg 1976. Thea Kirfel-Lenk: Erwin Piscator im Exil in den USA. 1939 - 1951. Eine Darstellung seiner antifaschistischen Theaterarbeit am DRAMATIC WORKSHOP der New School for Social Research. Berlin [DDR] 1984. Jan-Christopher Horak: Fluchtpunkt Hollywood. Eine Dokumentation zur Filmemigration nach 1933. Münster 1986. Archive Henry-Marx-Nachlaß; Exil-Archiv der Deutschen Bibliothek Frankfurt a.M Zeitungen: Aufbau, New Yorker Staats-Zeitung und Herold

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Wolfgang Kießling

Es begann mit der „Galgentoni" - Theater im Heinrich-Heine-Klub (Mexiko) Etwa 1.500 deutsche und deutschsprachige Verfolgte des Naziregimes retteten sich aus Europa nach Mexiko, eine geringe Zahl im Vergleich zu anderen Ländern Lateinamerikas. Nach Argentinien gelangten rund 35.000, nach Brasilien etwa 20.000 Flüchtlinge. Uruguay nahm 7.000 Asylsuchende auf. Rund 90 Prozent der Lateinamerikaemigranten waren Juden aus Deutschland, Österreich, der Tschechoslowakei, aus Polen und Ungarn. Nach Mexiko kamen relativ viele Angehörige geistiger Berufe und Interessen: Schriftsteller, Journalisten, Redakteure, Ärzte, Musiker, Schauspieler, Architekten, Juristen und Wissenschaftler. Sie prägten das Ansehen des deutschen Mexikoexils im Gastland und auf dem gesamten amerikanischen Kontinent, nicht zuletzt durch die 1941 - 1946 in Mexiko herausgegebene Monatsschrift Freies Deutschland (FD) und die Bücher des Verlages El Libro Libre. Für eine deutsche Theaterarbeit fehlten in Mexiko faktisch alle Voraussetzungen. Es gab nur wenige Schauspieler, die Aufführungen zu tragen und Regie zu fähren vermochten: Das Ehepaar Steffie Spira und Günter Ruschin, beide Mitglieder der KPD, ursprünglich an Berliner Theatern engagiert, hatte in Paris an der Uraufführung Die Gewehre der Frau Carrar und von Szenen aus Furcht und Elend des Dritten Reiches von Brecht mitgewirkt. Steffie Spira bestritt in Mexiko den Lebensunterhalt als Blumenverkäuferin, Krankenschwester und Kinderbetreuerin. Ihr Mann leitete die Bibliothek der deutschen Emigranten, arbeitete zeitweise als Tischler und spielte, er, der Jude, deutsche Nazis in mexikanischen Filmen. Filmrollen, auch bei USA-Produzenten, die in Mexiko drehten, erhielt der Schauspieler Ernst oder Charles Rooner (bürgerlicher Name Ernst Robicek), der an Wiener Bühnen tätig gewesen war. Albrecht Viktor Blum, Jahrgang 1888 und damit älter als die drei anderen, ein deutschsprachiger Jude aus Brünn (Brno), hatte bis 1924 Engagements in München und Berlin und danach am Josefstädter Theater in Wien. Von 1929 bis 1933 war er, obwohl parteilos, für die IAH, faktisch für Willi Münzenberg, Produzent und Regisseur von Dokumentarfilmen. In Mexiko unterhielt er ein Fotostudio und verkaufte Stoffe. Hinzu kamen zwei Schauspielerinnen mit Bühnenpraxis in Berlin und Paris: Brigitte Chatel und Lydia Petrowa-Blumenthal. „Als wir im Dezember 1941 nach Mexiko gekommen waren", erinnerte sich Steffie Spira, „sahen wir keine Chance für eine deutsche Theaterarbeit. Für den Schauspieler beginnt das Theaterleben vor der Rampe und hinter den Kulissen oder besser: auf der Szene und hinter der Szene. Wenn sich die gepolsterte Tür schließt, die die Bühne von dem Garderobengang trennt, ist er in seinem Reich. Trotz aller moderner technischer Mittel bleibt es eine, .seine' Zauberwelt. Wir emigrierten Schauspieler in Mexiko mußten uns mit der Tatsache abfinden: eine Bühne für uns gibt es nicht..."1 1

Gespräch mit Wolfgang Kießling, 28. Januar 1973. - Steffie Spira: Theater ohne Bühne. In: Heines Geist in Mexico. Hrsg. vom Heinrich Heine-Klub. Mexiko 1946, S. 35.

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Wolfgang Kießling Doch viele Mitemigranten fanden sich damit nicht ab. Anna Seghers sprach für sie: „Wir hatten von Goethe gelernt: Gebt mir ein Brett, und wir machen daraus eine deutsche Bühne. Wir haben Büchner gehört und Brecht und Bruckner und Becher und Kisch."2 Das Publikum hatte gedrängt und den Schauspielern den Mut gegeben, Theateraufführungen zu wagen. „Nach deutschem Theater haben sich sogar die gesehnt, die Deutschland entschieden den Rücken kehrten. Die Sprache ist zugleich das Äußerlichste und Innerlichste, was jemand von der land- und arbeits- und geschichtsbedingten Gemeinschaft mitbringt, der er angehört oder lange angehört hat. Er mag die Gemeinschaft abstreifen oder vertauschen; er mag sich in allen Lebensbezirken der neuen Heimat einfügen, die Sprache wird ihm am schwersten zugänglich. Wie flüssig er sie auch lernen mag, die letzten Wendungen, die letzten Worterfindungen entzieht sie ihm doch, als ob sie ihm einprägen wollte: Du hast noch nicht lange genug hier gelebt; du hast noch keine Geschichte hier mitgemacht. Die Schauspieler haben es wohl in der Emigration am schwersten, gerade weil ihre Kunst die Sprache verlangt, das Innerlichste und Äußerlichste. Sie sind auch imstande, sie weiterzubringen und rein und unverfälscht zu erhalten."3 Das deutsche Exiltheater entstand innerhalb des Heinrich-Heine-Klubs. Gegründet hatten ihn im November 1941 Anna Seghers, seine Präsidentin bis zum 1. Februar 1946, solange er existierte, Egon Erwin Kisch, Bodo Uhse, der Journalist Rudolf Feistmann, der frühere Lektor des Rowohlt-Verlages Dr. Paul Mayer und der Kapellmeister und Dirigent Dr. Ernst Römer, der von 1922 bis 1933 in Berlin am Großen Schauspielhaus und zuletzt als Direktor der Komischen Oper tätig gewesen war, bis er 1938 aus Wien nach Mexiko emigrierte, wo er 1957 das mexikanische Radioorchester leitete. Den Anlaß zur Bildung des Heine-Klubs gab das Verlangen vieler Emigranten nach thematischen Gesprächen, nach Gedankenaustausch und kultureller Betätigung. Der Klub entstand als „Vereinigung antinazistischer Intellektueller deutscher Sprache" und erweiterte sich zur „Kulturorganisation aller deutschsprachigen Antifaschisten der verschiedensten Nationalitäten". Zweck des Klubs sollte sein, wie auf den Mitgliedskarten zu lesen war: „Förderung freiheitlicher deutscher und österreichischer Kunst, Literatur und Wissenschaft. Stärkung der Verbundenheit mit der mexikanischen Kultur der Vergangenheit und Gegenwart." In den mehr als vier Jahren seines Bestehens veranstaltete der Heinrich-Heine-Klub in Mexiko-Stadt achtundsechzig Abende: dreiundzwanzig Literatur- und sechs Musikabende, elf politische und neun wissenschaftliche Vorträge, fünf Abende über Mexiko und über europäische Völker, die von Nazideutschland unterjocht oder bedroht waren, drei Filmveranstaltungen, einen Vortrag über bildende Kunst, drei Mitgliederversammlungen und sieben Theateraufführungen. Der Klub zählte mehr als hundertfünfzig Mitglieder und gewann einen festen Besucherkreis von dreihundert Personen. Zu den Theater- und Filmvorführungen kamen vierhundert bis achthundert Personen. Stätte der Begegnung war vor allem der Mendelssohn-Saal im Musikhaus Schiefer in der Calle Venustiano Varranza, wo auch die beiden ersten Theateraufführungen stattfanden. Für spätere Theaterabende stellte die mexikanische Gewerkschaft der Elektrizitätsarbeiter den großen Saal ihres Verbandshauses in der Calle Artes zur Verfügung. 2 3

Anna Seghers: Abschied vom Heinrich Heine Club. In: Heines Geist in Mexico, a.a.O., S. 7. Anna Seghers: Das Ernst Deutsch-Gastspiel. In: Demokratische Post, Mexiko. 3. September 1946.

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Es begann mit der Galgentoni - Theater im Heinrich-Heine-Klub (Mexiko) Eine ständige deutsche Bühne stand in Mexiko wegen der relativ kleinen Exilgemeinde mit ihren wenigen Schauspielern nie zur Diskussion. Einige Aufführungen gestalteten die Österreicher und die jüdische Vereinigung Menorah. Einstudiert von Lydia Petrowa-Blumenthal spielten Kinder deutsch-jüdischer Emigranten zu Beginn des Jahres 1944 in spanischer Sprache Engelbert Humperdincks Kinderoper Hansel und Gretel. In deutscher Sprache brachte die Menorah mit Günter Ruschin, Steffie Spira, Albrecht Viktor Blum und anderen am 5. März 1945 ein Purimspiel von Paul Mayer. Die Theaterarbeit blieb mit nahezu gleichen Akteuren und Zuschauern integrierter Bestandteil der Tätigkeit des Heine-Klubs, dessen Vorstandsmitglieder Anna Seghers und Kisch den Standpunkt vertraten, wenn man sich allen Künsten verpflichtet fühle, müsse man auch Theater spielen. Der drängende Wunsch, die Schauspieler sollten trotz aller technischen und personellen Schwierigkeiten ihr Können in die Klubarbeit einbringen, kam vor allem von den Schriftstellern und Musikern, die sich ihrer Dominanz als Akteure in der geistig-kulturellen Unterhaltung ihrer Exilgefährten bewußt waren. Anna Seghers meinte: „Die Schriftsteller können sich mit ihrer Sprache und ihrer Literatur immer wieder konfrontieren, können bis zu einem gewissen Grad dabei zurückgewinnen, was sie durch Entfernung und Ablösung verlieren. Dem Schauspieler wird das Wesen seines Berufes zum Verhängnis, die Stunde, in der für ihn Begabung, Stück und Publikum zusammenfallen, kommt in der Emigration fast nie."4 Die Zielsetzung des Klubs ließ für das Veranstaltungsprogramm großen Freiraum, auch für die Auswahl der zu inszenierenden Theaterstücke. Als bereits Erfahrungen gesammelt waren, schrieb Alexander Abusch, der Chefredakteur des FD: „Ein Theater, das in Mexiko mit improvisierten technischen Mitteln und einer kleinen Schar von Berufsschauspielern arbeiten muß, aber dennoch hohes künstlerisches Niveau halten will, kann nur wenige Stücke im Jahr zur Aufführung bringen. Die Auswahl ist in mehrfacher Hinsicht ein Problem: Schwierigkeiten der Rollenbesetzung stehen neben der Notwendigkeit, das Aufführungsprogramm zeitverbunden zu gestalten und doch auch dem natürlichen Unterhaltungsbedürfnis des Publikums Genüge zu leisten. Der Heine-Klub wie die deutschsprachigen Schauspieler Mexikos, die mit größter Opferbereitschaft und künstlerischen Bemühungen im letzten Jahr Erstaunliches leisteten, haben es also nicht leicht."5 Der Klub tastete sich an die Theaterarbeit heran. Im ersten Jahr seiner Existenz traten Steffie Spira, Günter Ruschin, Charles Rooner und Albrecht Viktor Blum als Rezitatoren auf oder lasen literarische Texte. Die Besucher der Klubabende wünschten, die Schauspieler auch in Theaterrollen zu erleben. Deren Bedenken wegen der kaum geeigneten Bühne im Hause Schiefer zerstreute Egon Erwin Kisch. Er bot sich an, die von ihm vor Jahren in einem Berliner Cafe für eine Schauspielerin geschriebene Legende von der Galgentoni entsprechend zu bearbeiten. Einige Klubmitglieder fanden es reizvoll, sich als Laien von Berufsschauspielern fuhren zu lassen und mit ihnen gemeinsam auf der Bühne zu agieren. Damit war der Weg für den ersten Theaterabend am 23. Januar 1943 frei. Steffie Spira erinnerte sich am Ende ihres Exils: 4 5

Anna Seghers: Galgentoni. In: Freies Deutschland, Mexiko. März 1943, S. 30. Alexander Abusch: Büchner-Aufführung in Mexiko. In: Freies Deutschland, Nov. 1944, S. 58.

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Wolfgang Kießling „Wir hatten einen wahrhaft guten Start mit der Wahl unseres Stückes, zwar nur ein Einakter, doch mit einer Fülle des Geschehens, wie manch ein dreiaktiges Theaterstück sie nicht enthält: Die Galgentoni von Egon Erwin Kisch. Albrecht Viktor Blum führte Regie. Er mußte das Kunststück fertigbringen, auf einem Podium von vier Metern Breite und dreieinhalb Metern Tiefe sechs Personen gleichzeitig auftreten zu lassen und dazu noch für den lieben Gott und für den höllischen Anwalt Platz zu finden. Noch heute, nach mehr als drei Jahren, habe ich Angstträume, wenn ich mich als Galgentoni auf dem einen Quadratmeter, der mir zum Spielen übrigblieb, betrunken herumschwanken sehe. Keine noch so kleine Abdeckung stellte eine Kulisse dar, sonst Schutz und Freund von Schauspieler und Regisseur. (.Gehen Sie mal an die rechte Kulisse, da bleiben Sie angelehnt stehen, bis...'). Und nun zum Abschluß des Stückes gar ein Freudentanz mit meinem .blonden Willi', dargestellt von Kisch selbst. Wir hopsten unsere Polka beinahe in den Zuschauerraum hinein. Und trotzdem, es ging! Und es wurde der Anfang für eine Reihe von Theateraufführungen, die sich später auch in theaterähnlichen Sälen abspielten."6 Die Aufführung der Himmelfahrt der Galgentoni (Titelrolle Steffie Spira) zeigte, daß auch mit Laien, vorausgesetzt, sie sind richtig eingesetzt, und ohne Bühnenaufwand Theater gespielt werden kann. Der Vorstand des Heine-Klubs dankte Steffie Spira dafür, daß sie „den Hunderten von Zuhörern den verlorengegangenen Glauben an das Theater wiedergegeben hat". 7 Eine langfristige Konzeption für die Theaterarbeit des HeineKlubs gab es nicht. Jährlich waren wegen der vielen Proben - die Laien erhielten dabei faktisch Schauspielunterricht; für alle liefen die Vorbereitungen neben ihrem Broterwerb - kaum mehr als zwei Inszenierungen möglich. Der Vorstand und die Schauspieler plädierten für eine unter den gegebenen Bedingungen maximal erreichbare Qualität der Aufführungen, auf ihren geistigen Wert und Kunstwert und nicht vordergründig auf Unterhaltung des Publikums im Sinne von Zerstreuung und Amüsement. Diese nicht dogmatisch praktizierte Prämisse galt für die Arbeit des Klubs insgesamt. Über die Wahl der Stücke gab es lebhafte Diskussionen. Die Akzente verschoben sich von einer Aufführung zur anderen. Jedes Stück warf besondere Fragen auf, auch die Galgentoni, angekündigt als „Faustdichtung des Kabaretts". Anna Seghers ging darauf in ihrer Besprechung ein: „Einige etwas befremdete Leute im Publikum, die nicht ganz willens schienen, sich dem biblischen Hinweis blind anzuvertrauen, nämlich den Weg ins Paradies unter der Führung der Huren und Zöllner anzutreten, seien daran erinnert, daß sie vor einigen Jahren samt ihrer unmündigen Kinder Tränen vergossen bei Greta Garbos Spiel von der Kameliendame. Toni ist gar nicht viel andres... Beide Mädchen erheben sich, indem sie fallen... Beide gehen ihrer Liebsten verlustig, indem sie ihr Seelenheil gewinnen. Beide gehen darüber zugrunde, doch das Himmelreich ist ihnen. Seit zweitausend Jahren hat die Kunst sehr wenig Grundstoffe hervorgebracht. Die Abwandlung ist vielfältig."8 In der Exilgruppe der KPD fragte Alexander Abusch, ob es angebracht gewesen sei, die Theateraufführungen mit einem zeitlosen Stück zu beginnen, zumal am Tage des Debüts die Entscheidungsschlacht von Stalingrad ihren Höhepunkt erreichte und in 6 7 8

Steffie Spira: Theater ohne Bühne, a.a.O., S. 35 f. Brief vom 25. Jan. 1943. In: Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Π - Mexiko, Β 2. Anna Seghers: Galgentoni, a.a.O., S. 30.

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Nordafrika die deutsch-italienische Panzerarmee Tripolis räumte und sich weiter auf tunesisches Gebiet zurückzog. Die Diskussion darüber, wie und in welchem Umfang der Weltkampf gegen Hitlerdeutschland die Tätigkeit des Heine-Klubs und damit auch seine Theaterarbeit durchdringen soll, blieb aktuell, solange die Kulturvereinigung existierte. Wenn auch die Meinungen hochschlugen, letztlich galt das Prinzip, nicht Aktualität um jeden Preis, sondern der humanistische Wert ist für die Wahl eines Themas ausschlaggebend. Mit der sowjetischen Diplomatenpost gelangte Johannes R. Bechers dramatisches Poem Winterschlacht von Moskau nach Mexiko, übersandt vom stellvertretenden Außenminister Salomon Losowski, der als ehemaliger Generalsekretär der Roten Gewerkschaftsinternationale freundschaftlich mit Paul Merker, dem Leiter der KPD-Gruppe in Mexiko, verbunden war. „Losowski schickte uns häufig Texte deutscher Schriftsteller in der Sowjetunion", erinnerte sich Merker. „Ich wollte ihm nach dem Krieg dafür persönlich danken. Dazu kam es nicht. 1948 wurde Losowski auf Stalins Weisung erschossen."9 Am 17. Juli 1943, nach wochenlanger mühseliger Sorgfalt in der Vorbereitung - die Regie hatte Α. V. Blum - erlebte Bechers Drama in einer den Bedingungen des Mendelssohn-Saales im Hause Schiefer angepaßten, leider nicht überlieferten Fassung unter dem Titel Hundert Kilometer vor Moskau die Welturaufführung, nachdem am 23. Mai 1943 in einer Veranstaltung des Freien Deutschen Kulturbundes im Londoner Scala Theater einige Szenen geboten worden waren. Kischs Kritik in der Zeitschrift FD lobt die „Projizierung weltumfassenden Zeitgeschehens auf das Quadrat einer Schußdistanz und auf eine einzige Woche" und die Wandlung des deutschen Gefreiten Hörder, Sohn eines Richters am Volksgerichtshof (Α. V. Blum), zum aktiven Antifaschisten, gespielt von dem jungen Emigranten Klaus Bodek. Dessen „Debüt brachte ihm einen Erfolg, der kaum hinter dem Steffanie Spiras zurückblieb."10 Bestätigt findet sich das gelungene Zusammenspiel von Schauspielern und Dilettanten in Ludwig Renns unveröffentlichten Tagesnotizen: „Mittwoch, 14. Juli. Abends Probe bei Blum. Klaus Bodek ist auch als Schauspieler ausgezeichnet, so kindlich gut, trotz seiner Länge. Er hat mich schon überwachsen... Sonnabend, 17. Juli. Abends Aufführung von Joh. R. Bechers ,100 Kilometer vor Moskau'. Klaus Bodek spielte als Gefreiter Hörder wirklich so natürlich und überzeugend. Es war sehr schön. Ich hatte als Roter Kommandeur die Schlußworte."11 Drei Wochen nach diesem Theaterabend brachten Schauspieler und Laien, die nicht in Bechers Stück mitwirkten, als Veranstaltung der Acciön Republicanca Austriaca de Mexico, der Organisation der österreichischen Emigranten, Johann Nestroys parodistisches Antimetternichspiel Judith und Holofernes in einer Bearbeitung von Ernst Robicek, der auch Regie führte, mit dem Untertitel „Auflage 1943" auf die Kleinstbühne des Mendelssohn-Saales. Kisch lobte in der deutschen Wochenzeitung Demokratische Post die schauspielerischen Leistungen, fand aber „die Parallelen zu den blutgierig-feigen Holofernessen von heute oft zu liebenswürdig" und meinte, „eine politische Beratung 9 10 11

Paul Merker im Gespräch mit Wolfgang Kießling, 18. Febr. 1967. Egon Erwin Kisch: Hundert Kilometer vor Moskau. In: Freies Deutschland, Aug. 1943, S. 34. Tagebuch von Ludwig Renn, 27. April 1944.

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Wolfgang Kießling hätte der Bearbeitung nur nutzen können."12 Ernst Rooner blieb von der Kritik unbeeindruckt. Ein Jahr später brachte er, wiederum von ihm „zeitgemäß bearbeitet", Nestroys Posse mit Gesang Frühere Verhältnisse auf die Bühne. Bruno Frei empfand den „Nestroy so bearbeitet, als ob im Nachlaß eine Version für Mexiko 1944 gefunden worden wäre". Er würdigte die „von großer Liebe zur Sache" getragene Aufführung im Theatersaal der mexikanischen Elektrizitätsarbeiter. „Die Sache aber, der diese Liebe gehört, heißt Wien."13 Ludwig Renn schrieb in sein Tagebuch: „Ein recht mäßiges Stück, das uns auch nichts angeht."14 Das gelungene Ensemblespiel von Schauspielern und Amateuren in den Stücken von Kisch und Becher ließ den Heine-Klub zum Sternenhimmel des Theaters greifen und die in Mexiko noch nie gespielte Dreigroschenoper ins Visier nehmen. Die Idee zu diesem kühnen Unternehmen kam von Ernst Römer, einem der Vizepräsidenten des Klubs. Seine Begründung: Das bis zum Verbot durch Hitler 1.300mal gespielte Werk von Brecht und Weill gehöre zu den großen Theatererfolgen der deutschen Hauptstadt. Römer, beruflich in Mexikos Konzertleben fest eingebunden, übernahm (wie auch bei späteren Inszenierungen) die musikalische Leitung. Er nutzte dabei seine langjährigen Berliner Operettenerfahrungen. Für die Dreigroschenoper empfahl er ein Jazzorchester mit zwei Flügeln. Auf dem einen wollte er selbst spielen, am anderen sollte der Wiener Pianist Egon Neumann sitzen. Die Gesamtregie lag bei Steffie Spira, die auch die Rolle der Frau Peachum übernahm. Den Herrn Peachum verkörperte Ernst Rooner. Günter Ruschin spielte den Mackie Messer. Als Polly fand sich Lisa Tabajovitz, eine Berlinerin russischer Herkunft, die vom Tanz zum Theater kam. Für das Bühnenbild wurde der mexikanische Freskenmaler Xavier Guerrero gewonnen. Etwa 100 Proben mit 26 Darstellern und Sängern - die Musiker zählten extra - waren notwendig, um schließlich die Dreigroschenoper ein einziges Mal aufzuführen - alles in freiwilliger, uneigennütziger Arbeitsleistung. Die Akteure wurden von der Lust an dem eigenen Spiel getragen. Den Auftritt vor Publikum empfanden sie als Krönung ihrer Freude, die sie bei den Proben empfanden. Kommunistische Arbeiteremigranten spielten mit Leidenschaft das Gaunerquartett. Albert Gromulat, der, wie Kisch schrieb, „wegen Hünenhaftigkeit Geldschrankknacker werden muß", hatte an der Jahreswende 1932/33 für das ZK der KPD illegale Quartiere beschafft. Hein Hollender, „ein grotesker Knockabout", war Spanienkämpfer gewesen wie auch Oscar Margon, „der salbungsvolle Seelsorger der Banditen". Paul Krautter, „der immer humorvolle Penner vom Londoner Alexanderplatz", er sang die Ballade vom Haifisch, kam aus der Roten Gewerkschaftsopposition. Kisch folgerte: „Wenn das Emigranten zuwege brachten, ohne einen Pfennig Zuschuß, ohne behördliche Unterstützung - was hätte die selige Deutsche Volksgemeinschaft mit ihren Millionären unter der Mitgliedschaft, mit der Macht der Deutschen Gesandtschaft zusammenbringen müssen? Ein ständiges Theater (allenfalls im Deutschen Haus), mindestens wöchentliche Vorstellung, Ensemble. Nun, die Nazis haben programmgemäß und ihrer Anlage nach kein Interesse an Kultur. Aber hat da nicht auch die deutsche Republik unter den Auslandsdeutschen ebensoviel versäumt, wie sie zu Hause versäumte?"15 12 13 14 15

M. Br. [d.i. Egon Erwin Kisch]: Österr. Musik - Österr. Theater. In: Demokratische Post, 15. Aug. 1943. Bruno Frei: Wien, Wien nur du allein... In: Demokratische Post, 1. Mai 1944. Tagebuch von Ludwig Renn, a.a.O. M. Brunnhauser: Die Dreigroschen-Oper in Mexiko. In: Freies Deutschland, Jan. 1944, S. 29.

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Die dreistündige Aufführung der Dreigroschenoper am 12. Dezember 1943 vor 800 Zuschauem war für Kisch „nicht nur eine Schau über die geistig Interessierten und nicht nur eine neue Glanzleistung des Heinrich-Heine-Klubs, der dem in Deutschland verbotenen Geist ein Zentrum schuf. Sondern vor allem war es eine Tat des kollektiven Optimismus, vollbracht von allen denen, die sich von Hitler ihre Freude an der Kultur nicht rauben lassen. Auch wenn das Unternehmen keinen Erfolg gehabt hätte, wäre es ein Erfolg gewesen. Aber es war auch ein äußerer, jubelnder Erfolg."16 Grundsätzlich gegen die Dreigroschenoper äußerte sich im FD der Journalist Andre Simone (Otto Katz): Die Aufführung sei „nicht als Erfolg für das Programm des HeineKlubs zu buchen", denn der Klub „wurde gegründet, um den Krieg gegen das Naziregime kulturpolitisch mit allen Kräften zu unterstützen. Daß die Kräfte bemerkenswert sind, daß sie bewundernswerte Arbeitsleistung vollbringen können, hat der letzte Abend gezeigt. Um so wichtiger ist es, sie für das richtige politische Theater einzusetzen, wenn politisches Theater gemacht wird. Die Dreigroschenoper genügt heute diesem Anspruch nicht mehr, ,denn die Verhältnisse, sie sind nicht so...'" Die Dreigroschenoper habe schon 1928 trotz der in ihr enthaltenen sozialen Anklage nur Staub aufgewirbelt. Brecht selbst sei inzwischen über sein Stück hinausgewachsen und habe dies neben seiner Szenenfolge über das Leben in Hitlerdeutschland und dem Film Hangmen also die in seinem Dreigroschenroman bewiesen, „in dem Bankherren und Bankräuber sich zusammentun gegen jene, die weder von Einbruch noch von Spekulation, noch von der Arbeit anderer leben wollen... Da es mehr denn je gilt, das Unrecht zu verfolgen, darf der Zuschauer nicht mit dem Choral aus dem Theater entlassen werden: .Verfolgt das Unrecht nicht zu sehr!'" 17 Die Leser des FD folgten der Redaktion nicht, Simones Einwände öffentlich zu diskutieren. Es muß ihnen engstirnig erschienen sein, Brechts Song als Aufruf zur Milde gegenüber Nazi- und Kriegsverbrechern zu deuten. Chefredakteur Alexander Abusch schrieb sich selbst einen mit A. gezeichneten Leserbrief. Die Dreigroschenoper basierte für ihn von Anfang an „auf einer falschen sozialen Konzeption. Schon im Jahre 1928, bei ihrer Uraufführung in Berlin, bemerkten linke Zeitungen, daß die Deklassierten (Straßenräuber, Bettler und Huren) nicht gerade die geeigneten Träger sozialer Anklage sind. Immerhin waren Brechtsche Songs wie .Verfolgt das Unrecht nicht zur sehr' damals nur eine ätzende Verhöhnung herrschenden Unrechts. Deshalb kann ich Andr6 Simones Schlußfolgerung nicht ganz teilen, ... so unaktuell er (der Song - W. K.) sein mag. Aber Andre Simone hat völlig recht mit seiner Forderung nach dem richtigen aktuellen politischen Theater, wenn schon politisches Theater gemacht wird... An aufführbaren (ernsten und heiteren) Stücken aus der Vergangenheit und der Gegenwart fehlt es nicht."18 Beim Nachdenken des Klubvorstandes mit den Schauspielern über die nächste Inszenierung blieben die sektiererischen und dogmatischen Besorgnisse von Simone und Abusch nicht unbeachtet, aber unberücksichtigt. Anna Seghers plädierte - und fand Zustimmung - für Georg Büchners Dramenfragment Wozzek von 1835. Büchner galt bei den Nazis, vorgegeben von dem Literaturhistoriker Adolf Bartels, als gewissenloser Au16 17 18

Ebenda. Αηάτέ Simone: „Denn die Verhältnisse, sie sind nicht so..." In: Freies Deutschland, Jan. 1944, S. 30. Α.: Diskussion um die „Dreigroschen-Oper". In: Freies Deutschland, Febr. 1944, S. 28.

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Wolfgang Kießling tor, der die absolute Zersetzung alles Sittlichen und Menschlichen reflektiere. Für Anna Seghers gehörte Büchner zu den ersten „deutschen Dichtern, die im Leben und Werk die politische Emigration am weitgehendsten verkörpern". Sein Wozzek, ein „Drama aus der besten deutschen progressiven Überlieferung", sei „wahre Kunst in Volks- und Lebensverbundenheit". Büchner mache einen niedrigen Mann aus dem Volk zum Helden, „was ungewohnt war in der deutschen Literatur". Die Handlung des Stückes ist bedingt „durch den Unterschied zwischen Oben und Unten, zwischen Arm und Reich - wie Büchner in seinen Briefen selbst schreibt."19 Die Regie des Wozzek übernahm Ernst Rooner. Die Rollenverteilung sah vor: Rooner spielt den Wozzek, Steffie Spira die Marie, Blum den Hauptmann, Ruschin den Doktor. Mit der vierten Inszenierung für den Heine-Klub wurden geistige und technische Probleme aufgeworfen, die es in diesem Maße vorher nicht gegeben hatte. An das Publikum wurden höhere Ansprüche gestellt. Es müsse dem Zuschauer deutlich gemacht werden, erklärte Rooner gegenüber Bruno Frei: „Was in der griechischen Tragödie das von den Göttern verhängte Schicksal ist, das ist bei Büchner die mitleidlose Welt, in der sein Held lebt." Obwohl wiederum für die Aufführung das große Teatro de los Electricistas zur Verfügung stand, fehlten für die Aufeinanderfolge von zwanzig Bildern in eineinhalb Stunden eine Drehbühne und andere technische Voraussetzungen. Dazu befragt, antwortete Rooner: „Wir sind ja daran gewöhnt, daß eine Straßenlaterne uns eine Häuserzeile, zwei Matratzen einen Kasernenschlafraum, ein Quadratmeter Schilf das Ufer eines Teiches vorstellen." 20 Anna Seghers schrieb über die Aufführung am 29. Juli 1944, was ihr dieser Abend bedeutete: „Meine private, höchst individuelle, höchst impulsive Zustimmung war dadurch verstärkt, daß ich seit Berlin keine echte deutsche Aufführung, kein künstlerisches Erbe an Darstellung und Inhalt gesehen habe. Mit jeder Phase des Abends wuchs meine Hochachtung vor der ungebrochenen Tradition, vor der gemeinsamen Leistung an Darstellung, an Regie, an Bühnenentwurf. Der Wozzek-Rooner hat an Barlach erinnert mit seinen knapp aus dem Holzblock vom Rumpf gelösten Gliedern. Die Arme bekommen erst einen Schwung, als sie ungeschickt morden. Wozzek-Rooner ist physisch gebunden durch den Militärdienst und die unsinnige aufgezwungene Diät und innerlich durch die Verzweiflung und durch die Ahnung von Unglück. Er hat nach innen keinen Ausweg als den in Visionen und Stimmen und nach außen in Mord. Seine Steffanie Spira-Geliebte ernährt er mit Pfennigen aus dem Dienst und aus der lächerlichen experimentellen Diät. Sie geht fremd, weil sie einmal etwas Glänzendes haben will, und für sie ist das Glänzende der Tambour-Major Richard Hahn. Er spielt seine Rolle in eben dem kärglichen Glanz, in dem ihn die Marie sieht. Die Marie hat gar nichts von einer Galgen-Toni. Sie geht ein einziges Mal fremd und das einzige Mal wird ihr schon tödlich: sie ist mütterlich und leichtsinnig, sie ist demütig und schlecht. Nicht bloß die zwei Hauptdarsteller, alle Schauspieler haben es fertig gebracht, hier auf dem fremden Kontinent, nach zwölf Jahren die beste Tradition zu halten: vollkommenen Einsatz in das Werk und künstlerische Solidarität."21 19 20

21

Anna Seghers: Büchners „Wozzek" in Mexiko. In: Freies Deutschland, Sept 1944, S. 29. Bruno Frei: „Wozzek"-Aufführung in Mexiko. Ein Interview mit Ernst Rooner. In: Demokratische Post, 15. Juli 1944. Anna Seghers: Büchners „Wozzek" in Mexiko, a.a.O.

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Als Bodo Uhse im Dezember 1958, vierzehn Jahre nach der Vorstellung in Mexiko, den Wozzek in einer Inszenierung des Deutschen Theaters in Berlin gesehen hatte, wertete er diese in seinem Tagebuch als eine im ganzen saubere, aber trockene Aufführung. „Die Figur des Arztes völlig verzeichnet. Nur Gisela May [...] über dem Durchschnitt. Wieviel besser doch war unsere Vorstellung in Mexiko mit Rooner als Wozzek und Steffie Spira als Marie."22 In Mexiko hatte es neben Zustimmung auch Einwände gegeben. „Den einen war das Stück zu proletarisch, den anderen nicht revolutionär genug."23 Abusch gestand der Aufführung zu, als künstlerisches Experiment interessant gewesen zu sein. Bruno Frei sprach vom zeitfremden, wenn auch ewigen Wozzek. Therese Feibelmann, eine Amateurkritikerin, sagte den Lesern der Demokratischen Post in ihrer Wozzefc-Besprechung, sie glaube, „daß die Mehrheit des Publikums für den nächsten Theaterabend des HeineKlubs ein Zeitstück wünscht".24 Im Ensemble der Schauspieler und der nun schon erfahrenen Amateure bestand dieses Verlangen gleichermaßen. Man wollte auf der Bühne darstellen, was einen selbst tagtäglich bei den Nachrichten über das Geschehen in Europa bewegte. Es war folglich ein Glücksumstand - provoziert durch die Berichte über die Theaterarbeit des HeineKlubs in der Zeitschrift FD - , als der Vorstand in Mexiko von dem im USA-Exil lebenden österreichischen Dramatiker Ferdinand Bruckner dessen soeben beendetes Stück Denn seine Zeit ist kurz angeboten bekam. Der Autor verstand es als den fünften Teil seines Dramen-Zyklus Deutsche Jugend zweier Kriege, dessen erste Stücke in den zwanziger Jahren große Erfolge im Berliner Deutschen Theater Max Reinhardts erlebt hatten. Bereits am 30. September 1944, diesmal nach nur achtwöchiger Probezeit, fand in der Regie von Steffie Spira die Aufführung des neuen Stückes von Bruckner statt. „Seine Bedeutung geht über Mexiko hinaus", schrieb Abusch. „Schauspieler, Regisseur, Bühnenbildner und die hinter ihnen stehende Organisation des Heine-Klubs können für sich in Anspruch nehmen, durch die Uraufführung eines der besten Dramatiker in seiner eigenen Sprache, hier im fernen Mexiko, einen großen kulturellen Beitrag zum Antihitlerkampf geleistet zu haben."25 Die im besetzten Norwegen angesiedelte Handlung zeigt die Wandlung des Pfarrers Vossevangen (Ernst Rooner) vom Märtyrer zum Kämpfer nicht nur gegen jene, „die unser Volk mißhandeln", wie des Pfarrers Tochter Tora (Steffie Spira) sagt, sondern gegen den Feind, der von den Besiegten meint: „Sie denken wohl, wir seien Menschen?" Schauspieler und Publikum faszinierte an Bruckner die von ihm über norwegische Geschehnisse vermittelten Erkenntnisse wie diese: „Jede Kirche ist ein Feind, wenn sie sich außerhalb des Staates stellen will. Innerhalb muß sie sein"; oder: „Militärisch läßt sich ein Volk nur besetzen. Besiegt aber wird ein Volk durch Demütigung und Demoralisation". Der alte Landpfarrer Erle (V. A. Blum) erklärt: „Je größer die Rechtlosigkeit, um so umständlicher die formale Prozedur." 22

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Bodo Uhse: Reise- und Tagebücher. Bd. II. Berlin/Weimar 1981, S. 387 (= Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Bd. 5,2). Anna Seghers: Büchners „Wozzek" in Mexiko, a.a.O. Therese Feibelmann: Büchners „Wozzek". In: Demokratische Post, 15. Aug. 1944. Alexander Abusch: Bruckner-Uraufführung in Mexiko. In: Freies Deutschland, Nov. 1944, S. 58.

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Wolfgang Kießling Mit den Stücken von Büchner und Bruckner hatte die Theaterarbeit des Heine-Klubs ihren Höhepunkt und ihre Hochform erreicht. Niemand erhob drohend den Zeigefinger, als am 14. Januar 1945 in der Regie von Rooner und Spira drei lustige Einakter des als modernen Moliere bezeichneten Georges Courteline über die Bühne gingen: Ihre Sorgen, Der häusliche Friede und Der gemütliche Kommissar. Lydia Lambert schrieb in der Demokratischen Post: „Es war die Absicht des Heine-Klubs, uns für einen Abend vergessen zu lassen, daß wir in einer ganz anderen Welt leben, und uns drei Stunden vollkommene Entspannung zu bieten... Es gibt nicht allzuviele Gelegenheiten herzlichst zu lachen im Jahre des Heils 1945."26 Kischs 60. Geburtstag am 29. April 1945 gab Anlaß zu einem einmaligen Theaterspaß. Seine Schriftsteller- und Journalistenkollegen spielten am 10. Mai unter dem Eindruck der Siegesfreude der Antihitlerkoalition über Nazideutschland Der Fall des Generalstabschefs Redl, eine Tragikomödie, ein Gemisch von Zeitkritik und Satire, in fünf Bildern, die Egon Erwin Kisch nur für diesen Zweck aus seinen Reportagen über die einst mit seiner Hilfe publik gemachte Affäre am Vorabend des Ersten Weltkrieges um den Militärspion Redl geschrieben hatte. Die Proben - Schauspieler waren nicht zugelassen - fanden unter Kischs Leitung ab 1. Mai täglich in seiner Wohnung statt. Der Meister gab den Akteuren viel Freiheit in Gestik, Mimik und Wortwahl. Großer Wert wurde auf die Kostümierung gelegt. Der Theaterfundus im Palast der Schönen Künste bot dafür genügend Auswahl. Bruno Frei stellte den homosexuellen Oberst Redl dar, Bodo Uhse seinen Geliebten, den Leutnant Stefan. „Der glücklichste Augenblick meiner Heine-Klub-Karriere (und vielleicht meiner ganzen Mexiko-Laufbahn) war", erinnerte sich Frei, „als ich, am Halse Bodo Uhses hängend, mit dem entrüsteten Zittern des verschmähten Liebhabers in der Stimme ausrufen durfte: ,Und ich? Habe ich dir nicht mein ganzes Glück geopfert?' Als dann gar Lenka Reinerova (des Leutnants Braut - W. K.) vor mir auf die Knie fiel, um die Verzeihimg des Vorgesetzten ihres Stefferls zu erflehen, waren meine kühnsten Tagträume erfüllt." 27 Anna Seghers übernahm die Rolle der Baronin Daubek mit Diadem, Lorgnon und Brillantschmuck. Leo Katz spielte den Portier des Hotels Klomser, Hans Marum den Generalauditor Worlitschek. Rudolf Feistmann gab sich als Drahtzieher des Spionagedienstes, Theodor Balk und Kurt Stern waren seine Widersacher. Andre Simone spielte, Lachsalven hervorrufend, den Tölpel Erzherzog Viktor Salvator. Albrecht V. Blum, als Schauspieler war ihm an diesem Abend das Betreten der Bühne verboten, fungierte als Kritiker: „Zur Darstellung der Dummheit auf der Bühne gehört Witz - aber auch Demut! Daß Simone so demütig ist, wer hätte das geglaubt? Er spielte derart überzeugend, als ob er die Dummheit einer ganzen Welt für sich gepachtet hätte; wer wird ihm künftig noch seine Klugheit glauben?"28 Simone blödelte über die blöde Furcht vor blöden Spionen - makaber im Rückblick mit dem Wissen, daß eine angebliche Furcht vor angeblichen Spionen Andre Simone sieben Jahre später in der Tschechoslowakei am Galgen enden ließ. Am Abend nach der Aufführung notierte Ludwig Renn in sein Tagebuch: „Ich muß den Conrad von Hötzendorf kommissig und unangenehm spielen. 26 27 28

Demokratische Post, 1. Febr. 1945. Bruno Frei: Lob der Schauspielerei. In: Heines Geist in Mexiko, a.a.O., S. 42. Albrecht Viktor Blum: Schriftsteller spielen Theater. In: Demokratische Post, 17. Mai 1945.

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Es begann mit der Galgentoni - Theater im Heinrich-Heine-Klub (Mexiko) Abusch als General so unmöglich, daß es schon wieder schön war". Als Renn-Hötzendorf zu seinem Orden an der Uniform befragt worden war, ob dies das Kreuz der Anna Seghers sei, verneinte er. Das Kreuz der Anna Seghers sei ihr Mann Laszlo Radvanyi. Was aber dann der Orden bedeute? Renns Antwort: „Es ist das Siebte Kreuz der Anna Seghers." Der Redl-Abend des Heine-Klubs ließ Bruno Frei angesichts seines „Schauspielerdebüts" nachdenken: „Was ist es, was uns Schauspielern jene einzigartige Befriedigung verschafft, die kein anderer Beruf bietet? Es ist, wie mir scheint, die kollektive Produktionsweise, die den Schauspielerberuf von anderen intellektuellen Berufen unterscheidet. Das Stichwort verbindet demokratisch den Star mit dem Komparsen. Wir Schauspieler gehen mit der Zeit. Wir wissen, was Teamwork ist. Die Befriedigung, die ich während der Vorbereitung der Redl-Aufführung genoß, stammte zweifellos aus dieser reinen Quelle. Wie sich jeder freute, wenn der andere besser arbeitete als er selbst! Ist nicht auf der Bühne jede Einzelleistung vom guten Zusammenspiel aller abhängig? Genau besehen, erscheint mir der Schauspielerberuf wie eine Schule der Demokratie."29 Im Dezember 1945 begannen die Proben zu Volpone, der auf europäischen Bühnen und am Broadway erfolgreichen Erbschleicherkomödie von Shakespeares Zeitgenossen Ben Jonson. Rooner hatte diese Mischung von Schwank und Singspiel für die Theatergruppe des Heine-Klubs bearbeitet. Am 1. Februar 1946, wenige Tage vor der Premiere - es gab Vorstellungen am 7. und 24. Februar im Saal des neuen Teatro de los Telefonistas - , löste sich in der für die meisten Emigranten viel zu frühen Erwartung, sie könnten ihr Exilland Mexiko bald verlassen, der Heinrich-Heine-Klub auf. Volpone und auch die folgende Inszenierung von Shakespeares Sommernachtstraum (wiederum mit zwei Vorstellungen), den, wie Renn am 18. Mai 1946 im Tagebuch vermerkte, „unsere Schauspieler erstaunlich gut aufführten", liefen in eigener Trägerschaft der Schauspieler. Sie hatten wie immer ohne jede materielle Hoffnung monatelang Tag und Nacht gearbeitet. Mancher Amateur war in den nun schon drei Spieljahren durch die Geduld und das Vorbild der Professionellen während der Proben über sich hinausgewachsen, so daß Aufführungen wie der Sommernachtstraum gewagt werden konnten. Albert Gromulat zum Beispiel schien, wie die Kritik bemerkte, als Egeus der geborene tyrannische Heldenvater aus der altgriechischen Tragödie zu sein. Der Sommernachtstraum war ursprünglich als Freilichtveranstaltung unter dem samtenen Nachthimmel Mexikos bei fließendem Mondlicht und Sternenglanz geplant. Als Ort des Geschehens bot sich ein dem griechischen Theater verblüffend ähnlich gestalteter Hof in Mexiko-Stadt an. Doch Wetterunbilden zwangen dazu, die Aufführungen kurzfristig in den Saal der Telefonistas zu verlegen. Im Sommer 1946 vereinigte sich die Theatergruppe mit dem als Nachfolger des Heine-Klubs gegründeten Komitee für Mexikanisch-Deutschen Kulturaustausch, dem auch bedeutende Künstler und Wissenschaftler des Gastlandes angehörten. Sie und die in Mexiko für immer oder noch zeitweilig verbleibenden ehemaligen Mitglieder des Heine-Klubs wollten Brücken schlagen zu dem kommenden demokratischen Deutschland und verstanden sich vor allem als Partner des 1945 in Berlin gegründeten Kultur29

Bruno Frei: Lob der Schauspielerei, a.a.O., S. 42.

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Wolfgang Kießling bundes. Doch der einsetzende Kalte Krieg und die sich abzeichnende Spaltung Deutschlands lahmten das Komitee in Mexiko bereits nach einem Jahr reger Tätigkeit, in das auch zwei Theaterinszenierungen fielen. Der im USA-Exil lebende Schauspieler Ernst Deutsch, mit Albrecht Viktor Blum seit frühen Wiener Bühnenjahren befreundet, kam 1946 auf der Durchreise zu einem Gastspiel an der Freien Deutschen Bühne in Buenos Aires nach Mexiko. Seinem Bericht, er werde in der argentinischen Hauptstadt die Rolle des Oswald in Ibsens Gespenster übernehmen, folgte die Idee, er könne wiederkommen und den Oswald auch mit der Theatergruppe in Mexiko spielen. Die Regie übernahm Ernst Rooner. Die Rollen sahen u.a. vor: Steffie Spira (Frau Alving), Α. V. Blum (Pfarrer Manders), Brigitte Chatel (Regine). Nach den Aufführungen am 28. und 30. August 1946 gab Anna Seghers ihre Empfindungen wieder: „Ich glaube, wir haben uns den Schauspieler Ernst Deutsch schon herbeigewünscht, bevor wir nur eine Ahnung hatten, daß er herkommen will. Er hat vermutlich gemerkt, daß er erwartet und empfangen wurde wie ein verlorener Sohn - wobei das .verloren' sich mehr auf die Eltern als auf den Sohn bezieht. Die deutsche Sprache kam mit ihm wieder... Ernst Deutsch hat sie so klar und jung und unverbrüchlich bewahrt, wie sie sich in die Zuhörer einhämmerte, damals, als das Berliner Theater ein entscheidender Punkt in der Kultur von Europa war [...]. Er hätte nicht sein können, was er war, wenn ihn nicht unsere Schauspielergruppe empfangen hätte. Wie selbstlos unbeachtet und streng auch sonst ihre Arbeit durch all die Jahre war, sein Kommen war der Anlaß zu einer besonders guten Vorbereitung. Da eine Leistung nie für sich selbst allein da ist, sondern über kurz oder lang, bei den Schauspielern über kurz, die anderen Leistungen mitzieht, war dieser Abend als Ganzes so konzentriert und abgemessen, wie Deutsch als einzelner Künstler wirkt."30 Am 24. Februar 1947 schrieb Rudolf Feistmann an den bereits zurückgekehrten Paul Merker nach Berlin: „Wir versuchen natürlich trotz der dezimierten Kräfte die Arbeit so gut wie möglich weiterzuführen. Das Kulturkomitee hat die Absicht, ein politisches antifaschistisches Stück von Bodo Uhse aufzuführen." 31 Das Schauspiel Preis des Lebens, Ort und Zeit der Handlung war der Silvesterabend 1944, Uhses einziges Theaterstück, war von ihm nach seiner Erzählung Mit dem Tode bestraft - mit dem Leben belohnt geschrieben worden. Die Aufführung am 20. März 1947 mit Spira, Ruschin, Blum, Chatel und anderen im Saal der Union Republicana Espanola beendete die Theaterarbeit der Antihitleremigration in Mexiko-Stadt. Das Ehepaar Spira-Ruschin und etwa die Hälfte der Laiendarsteller reisten in den sowjetischen Sektor von Berlin. Albrecht Viktor Blum erhielt trotz nachhaltiger Unterstützung durch Paul Merker keine Einreiseerlaubnis der Besatzungsmacht. Er, Rooner, Brigitte Chatel und andere blieben in Mexiko.

Literatur Wolfgang Kießling: Alemania Libre in Mexiko, Bd. 1: Ein Beitrag zur Geschichte des antifaschistischen Exils, Berlin 1974, Bd. 2: Texte und Dokumente zur Geschichte des antifaschistischen Exils, Berlin 1974. 30 31

Anna Segheis: Das Ernst Deutsch-Gastspiel, a.a.O. Aus dem Nachlaß von Paul Merker, Abschrift des Briefes im Besitz des Verf.

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Es begann mit der Galgentoni - Theater im Heinrich-Heine-Klub (Mexiko)

Wolfgang Kießling: Exil in Lateinamerika, Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933 -1945 in sieben Bänden, Bd. 4, Leipzig 1984. Fritz Pohle: Das mexikanische Exil. Ein Beitrag zur Geschichte der politischkulturellen Emigration aus Deutschland (1937 - 1946), Stuttgart 1986. Wolfgang Kießling: Brücken nach Mexiko, Traditionen einer Freundschaft, Berlin 1989. Archive Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin

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Frithjof Trapp

Exiltheater in Südamerika Einreisebedingungen und Asylgesetzgebung „Wenn sich [...] dieses großartige Experiment vollkommener Rassenmischung und Farbgleichsetzung hier in diesem Lande weiter so vollendet bewährt, dann ist der Welt ein Vorbild demonstriert. Und nur die Vorbilder helfen im moralischen Sinne, nie die Programme und Worte." Als Stefan Zweig diese optimistischen Erwartungen formulierte - „ein Land der Zukunft", wie er sein wenig später erscheinendes Brasilien-Buch überschrieb1 - , war er überzeugt von der Aufnahmebereitschaft der südamerikanischen Staaten gegenüber den aus rassenideologischen Gründen verfolgten Hitlerflüchtlingen. Von der sozialen Integration der Verfolgten erwartete er Impulse für die politische und wirtschaftliche Entwicklung des lateinamerikanischen Kontinents und darüber hinaus für die Demokratie in der übrigen Welt. Das Brasilien, das Zweig vor Augen stand, war ein Gegenbild zum Deutschland Hitlers, also einem Staat, der sich durch politisch und rassenideologisch motivierte Verfolgung auszeichnete. Stefan Zweig unterlag in seinen Erwartungen einer aus heutiger Sicht bestürzenden Täuschung: zwar nicht in bezug auf die wirtschaftlichen Chancen, die angesichts des natürlichen Reichtums dieses Landes tatsächlich bestanden, sofern es nur besiedelt und erschlossen wurde, wohl aber hinsichtlich ihrer Realisierung. Die Vision einer prosperierenden, von Rassenschranken freien demokratischen Gesellschaft war eine Wunschvorstellung. Geradezu tragisch war jedoch, daß Zweig in dem Irrtum befangen war, es gäbe in den lateinamerikanischen Staaten keinen Antisemitismus. Die Realität sah anders aus. Während der zweiten Hälfte der dreißiger und der beginnenden vierziger Jahre wurde in Lateinamerika gerade die Abschottung gegenüber „fremdrassigen" Einwanderern zum entscheidenden Hindernis, das der Aufnahme einer hinreichend hohen Zahl von Hitlerflüchtlingen, deren Einwanderung aus wirtschaftlichen wie sozialpolitischen Gründen so naheliegend gewesen wäre, entgegenstand. Brasilien war dafür das eklatanteste Beispiel. Nur 16.000 bis 19.000 Asylsuchende fanden zwischen 1933 und 1941 in Brasilien Zuflucht, dem größten Flächenstaat Lateinamerikas, einem traditionellen Einwanderungsland, in Südamerika insgesamt nur schätzungsweise 75.000 bis 90.000 deutschsprachige Emigranten. Die Zahlen stehen in keinem Verhältnis zu den vorhandenen Möglichkeiten zur Aufnahme von Flüchtlingen. Es handelte sich um eine förmliche Blockade gegenüber jüdischen Verfolgten, wie an der Tatsache erkennbar wird, daß die Einwanderungszahlen nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder beträchtlich anstiegen. Die Emigrationsbewegung nach Lateinamerika begann zunächst zögernd. 1935 waren es für ganz Südamerika nur einige tausend Personen. Bis 1937 verlief sie auch in vergleichsweise geordneten Bahnen. Anschließend schwoll sie - unter dem Eindruck 1

Brief an Berthold Viertel vom November 1940. Abgedruckt in: Stefan Zweig. Leben und Werk im Bild. Hrsg. von Donald Prater u. Volker Michels. Frankfurt a.M. 1981, S. 298.

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Frithjof Trapp des „Anschlusses" Österreichs und der Novemberpogrome von 1938 - zu einem chaotischen Massenansturm an. Er verstärkte sich mit der Ausweitung des deutschen Machtgebiets nach Ausbruch des Krieges. Im Verlaufe des Jahres 1942 versiegte der Flüchtlingsstrom dann nahezu vollständig - einmal, weil nach Schließung der deutschen Grenzen allenfalls eine illegale Ausreise noch möglich war, vor allem aber, weil das Kriegsgeschehen auf dem Atlantik eine reguläre Passage nahezu unmöglich machte. Die Flüchtlingsströme nach Lateinamerika verteilten sich ungleich. Den Hauptanteil mit vermutlich über 35.000 Flüchtlingen trug Argentinien. Die Erhebungen schwanken zwischen einer Zahl von 31.000 und einer von 39.000 Flüchtlingen. In Anbetracht der Größe und Prosperität dieses Landes war das sicherlich zu wenig. Nach Kriegsende kam allerdings noch ein beträchtliches Kontingent von Personen aus anderen südamerikanischen Aufnahmeländern hinzu, die aufgrund von Binnenwanderungsprozessen in Argentinien Aufnahme fanden. Für Chile geht man von 12.000 Flüchtlingen aus, nach Uruguay kamen ca. 3.500 bis 7.000 Flüchtlinge, nach Bolivien 6.000 bis 10.000. Die Aufnahmepraxis in den lateinamerikanischen Staaten war uneinheitlich, zudem unterlag sie Schwankungen. Nach Argentinien konnten Hitlerflüchtlinge lange Zeit sogar noch mit Besuchervisa einreisen, sofern man erster Klasse und selbstverständlich mit Retourbillett reiste. Waren die Flüchtlinge einmal im Lande, war es möglich, durch Zahlung landesüblicher Bestechungsgelder ohne allzu große Mühe die Besuchervisa in reguläre Einwanderungsvisa umzutauschen. Als die Einreise nach Argentinien gesperrt wurde, wich ein Teil der Flüchtlinge nach Paraguay aus und wartete dort einen geeigneten Zeitpunkt ab, um erneut nach Argentinien einzureisen. Ganz anders gestaltete sich die Praxis in Brasilien. Eine Asylgesetzgebung war in Brasilien unbekannt. Infolgedessen galten die Hitlerflüchtlinge als „Einwanderer", und hier trat eine Quotenregelung nach Nationen in Kraft. Jüdische Einwanderer wurden darüber hinaus als „besondere ethnische Gruppe" zusätzlichen Restriktionen unterworfen. Es ist keine Frage, daß gerade diese Vorgehensweise den akuten Bedürfnissen, wie sie sich insbesondere zwischen 1939 und 1941 entwickelten, nicht gerecht wurde. Statt die Aufnahme von Flüchtlingen kontinuierlich zu erleichtern, wie es angesichts des situativen Drucks notwendig und für die meisten Staaten nach Maßgabe bevölkerungspolitischer wie auch wirtschaftlicher Interessen sinnvoll gewesen wäre, wurde sie im Laufe der Jahre - als Gegenreaktion auf den immer stärker wachsenden Druck der Weltöffentlichkeit hinsichtlich einer Liberalisierung der Aufnahmepraxis - zunehmend restriktiver gehandhabt bis hin zur Sperrung wichtiger Häfen für jüdische Flüchtlinge. Ende 1939 durften Schiffe mit jüdischen Flüchtlingen in Buenos Aires zeitweilig nicht einmal mehr anlegen. Ein ähnliches Einreiseverbot bestand zum Jahreswechsel 1939/40 auch für Chile. Zwar ließ die chilenische Regierung die Passagiere der vom Verbot betroffenen Schiffe letztendlich an Land - sie verwies sie jedoch in den äußersten Süden, also in eine Region, auf die die Flüchtlinge aufgrund der dort herrschenden klimatischen Bedingungen und der geringen Erschließung nicht vorbereitet waren. Derartige Tragödien häuften sich in der Phase kurz vor und nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Der Grund für die restriktive Aufnahmepolitik lag in den ständig anwachsenden antisemitischen Tendenzen. Eigentümlich für nahezu alle südamerikanischen Staaten waren bürokratische Schikanen, die im Endeffekt darauf hinausliefen, die ohnehin bereits weitgehend mittellosen Hitlerflüchtlinge durch die Forderung nach Erlegung einer „Einreisesteuer" bzw. eines 438

Exiltheater in Südamerika „Landungsgeldes" auch noch der letzten Ressourcen zu berauben. Immerhin erlaubten sowohl Argentinien als auch Brasilien Familienzusammenführungen, was für einen Teil der Verfolgten eine beträchtliche Einreiseerleichterung bedeutete. Die stark differierenden Aufnahmequoten der südamerikanischen Staaten hatten selbstverständlich auch Folgen hinsichtlich der Struktur und Verteilung der politischen und kulturellen Zentren innerhalb des Subkontinents. Der politische und kulturelle Schwerpunkt des deutschsprachigen Exils in Lateinamerika lag zweifelsohne im Bereich der La-Plata-Mündung, also in den gegenüberliegenden Kapitalen Buenos Aires und Montevideo. Die übrigen Zentren: Säo Paulo und Rio de Janeiro in Brasilien, Santiago de Chile, Bogota in Kolumbien, La Paz und Cochabamba in Bolivien, waren von weit geringerer Bedeutung. Daß der Schwerpunkt der kulturellen Aktivitäten im Bereich der La-Plata-Mündung und nicht in Brasilien lag, hatte u. a. seinen Grund auch darin, daß in Brasilien nach der Kriegserklärung an Deutschland der öffentliche Gebrauch der deutschen Sprache (wie der italienischen) verboten war. In Buenos Aires konzentrierte sich die Mehrzahl der nach Argentinien Geflüchteten, in Montevideo, einer Stadt mit einem politisch ungleich liberaleren Klima als Buenos Aires, die Mehrzahl derer, die nach Uruguay gelangt waren. In diesem Raum erschienen - von den Deutschen Blättern (Santiago de Chile) einmal abgesehen - mit dem Anderen Deutschland und dem Argentinischen Tageblatt die wichtigsten Zeitungen des lateinamerikanischen Exils, hier war die gleichnamige Organisation Das Andere Deutschland (DAD) angesiedelt, die - neben dem Freien Deutschland in Mexiko - einflußreichste politische Gruppierung des Exils auf lateinamerikanischem Boden, und hier entstand auch das bedeutendste von Exilierten betriebene Exiltheater, die von P. Walter Jacob g e g r ü n d e t e FREIE DEUTSCHE BÜHNE.

Buenos Aires und die kulturelle Situation vor 1939 Argentinien war in den dreißiger Jahren ein prosperierendes, aufstrebendes Land und Buenos Aires sein kulturelles Aushängeschild. 1936 hatte Buenos Aires ca. 2,4 Millionen Einwohner. Die deutsche Kolonie war zahlenmäßig groß, ihr wirtschaftlicher wie politischer Einfluß beträchtlich. Man geht, wiederum bezogen auf 1936, in Argentinien von knapp 240.000 deutschsprachigen Einwohnern aus, von denen etwa ein Fünftel die deutsche Staatsangehörigkeit besaß. Die deutsche Kolonie war zum überwiegenden Teil nationalsozialistisch beeinflußt, und zwar in einem solchen Maße, daß der Nationalsozialismus im Asylland den jüdischen Emigranten bei einem Vergleich zwischen ihrer neuen und der alten Heimat als weitaus dominanter erschien. Der Eindruck war vermutlich falsch; wahrscheinlich verklärte die Erinnerung das Erscheinungsbild der alten Heimat. Nichtsdestoweniger war das politische Umfeld, auf das die Neuankömmlinge trafen, damit richtig erfaßt. Abgegrenzt gegenüber dem nationalsozialistisch beherrschten Teil der deutschsprachigen Öffentlichkeit gab es in Buenos Aires eine Anzahl nichtnazistische Organisationen. Sie bildeten einen eigenen deutschsprachig-demokratischen Sektor innerhalb der vornehmlich von deutschen Einwanderern bewohnten Stadtbezirke von Buenos Aires: der Verein Vorwärts, die Pestalozzi-Gesellschaft, mehrere jüdische Gemeinschaften und Hilfsorganisationen wie das Forum Sionista und die Jüdische Kultur-Gemeinschaft - finanziell unterstützt von alteingesessenen jüdischen Geschäftsleuten - , vor allem das li439

Frithjof Trapp berale, von der aus der Schweiz stammenden Familie Alemann herausgegebene Argentinische Tageblatt. Allerdings war der innenpolitische Einfluß, den die beiden antagonistischen Gruppen auf das Gastland hatten, ungleich verteilt. Buenos Aires war eine kulturell aufgeschlossene Stadt. Besonders das Musikleben war ungemein vielfältig und zog die Hitlerflüchtlinge in seinen Bann. Üblicherweise gehört zu einer prosperierenden, schnell anwachsenden Stadt auch ein breitgefächertes Theaterangebot. Der Stolz der reichen argentinischen Großgrundbesitzer und Unternehmer war jedoch nicht die Sprechbühne, sondern das Opernhaus, das Teatro Colon. Wer immer in der internationalen Opernwelt Rang und Namen besaß, wurde zur Opernsaison ans Teatro Colön nach Buenos Aires verpflichtet. Hier arbeiten zu können war eine Auszeichnung. 1933, nach ihrer Entlassung, wurden Fritz Busch als Dirigent und Carl Ebert als Regisseur zur „Deutschen Operntemporada" ans Teatro Colön verpflichtet. Ebert inszenierte während der Spielzeiten 1933 bis 1936; u. a. führte er einen kompletten WagnerZyklus auf. Anschließend, von 1937 bis 1949, war Erich Kleiber Leiter der Operntemporada. Als Dirigent war auch Alexander Michael Szenkar am Teatro Colon beschäftigt, als Regisseur der aus Wien stammende Josef Gielen. Er war zuletzt am Burgtheater tätig gewesen. Leiter der Opernschule war der Dirigent Erich Engel, Leiterin des Balletts seit 1938 Margarethe Wallmann. Sie wurde später für mehrere Jahre Direktorin des Argentinischen Nationalballetts. Es bestand im Bereich des Musiktheaters also eine kontinuierliche Präsenz von Exilierten in führenden Positionen, und Prominenz und künstlerisches Profil der Beteiligten lassen auf den ersten Blick einen prägenden künstlerischen Einfluß der exilierten Theaterschaffenden vermuten. Mit dem Engagement nach Buenos Aires schien sich insbesondere für Ebert eine große künstlerische Chance eröffnet zu haben. Die Realität jedoch sah anders aus, wie aus den Briefen hervorgeht, die Ebert und seine Frau mit ihren in Europa verbliebenen Freunden wechselten. In dieser Hinsicht besonders eindrucksvoll ist ein Schreiben Gerti Eberts an den befreundeten Gustav Härtung (31. Juli 1933). Die sarkastische Schilderung beleuchtet überdeutlich die Mentalität des argentinischen Besitzbürgertums, das das Teatro Colön finanziell trug, und die aus dieser Mentalität resultierenden anachronistischen Arbeitsbedingungen der exilierten Theaterkünstler: „Der Gigli ist ein berühmter Sänger? Her mit dem Kerl, wir zahlen 11.000 (elftausend!) Pesos pro Abend. Aber neue Dekorationen für den Rosenkavalier, wo die alten von 1916 noch so gut sind? Nein, mein Lieber, wir leben in einer Krise, wir müssen sparen! [...] Wir spielen also den Rosenkavalier und mit Ausnahme von Parsifal und Schwanda auch die drei anderen Opern in lächerlich bemalten Leinwandfetzen. Carl hat sich in sein Schicksal gefunden u. seine Begriffe von ,Regie' in die Koffer verpackt, die wir erst in Europa wieder brauchen, und bewundert im übrigen die Routine seiner Sänger, die er vorsichtig und mit viel Kinderliebe in etwas weniger ausgefahrene Bahnen zu lenken versucht."2 Unter diesen Umständen war eine Regietätigkeit in Buenos Aires keine künstlerische Aufgabe, die Befriedigung vermittelte, sondern reiner „Broterwerb", wie Gerti Ebert formulierte. Am Teatro Colon beschäftigt zu sein war trotzdem ein Nachweis für den 2

Ebert-Nachlaß in der Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin (27/81/1038).

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Exiltheater in Südamerika hohen internationalen Marktwert eines Künstlers, und daß die Beschäftigung darüber hinaus finanziell auch einträglich war, ist keine Frage. Unübersehbar ist allerdings die Tatsache, daß das Teatro Colon nicht zuletzt auch ein Prestigeobjekt deutscher Kulturpolitik auf argentinischem Boden war - und damit auch des „Dritten Reiches". Gerade weil das Teatro Colon von der argentinischen Oberschicht gehegt und gepflegt wurde, war es für das „Dritte Reich" eine Selbstverständlichkeit, deutsche Sängerinnen und Sänger Jahr für Jahr ans Teatro Colon zur Deutschen Operntemporada nach Buenos Aires zu delegieren - in offiziellem Auftrag des Auswärtigen Amtes und bei Erstattung der Reisekosten. Die nationalsozialistischen Behörden waren sich dabei durchaus der Tatsache bewußt, daß an der Deutschen Operntemporada auch Emigranten mitwirkten, und zwar in maßgeblichen Positionen. Befürchtungen, daß sich hier möglicherweise ein Widerspruch zur eigenen kulturpolitischen Zielsetzung auftun könnte, hatte man jedoch nicht. Als sich im Juni 1938 die Auslandsorganisation der NSDAP mit einer diesbezüglichen Mitteilung an das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda wandte und darauf aufmerksam machte, „daß die deutsche Oper im Teatro Colon mehr und mehr in die Hände der aus Deutschland und Österreich emigrierten Juden gerät"3, reagierte die Reichstheaterkammer auf die Denunziation mit Gelassenheit: „Nach meinen seitherigen Erfahrungen im Auslande muß man manchmal mit den Wölfen heulen, um Einfluß zu gewinnen" (16. Juli 1938). Die Stellungnahme spricht in ihrer Selbstsicherheit für sich; offenbar war die nationalsozialistische Position so gut fundiert, daß man frei in der Entscheidung war, wo und wann man den Konflikt suchte. In allen Fragen, die wesentliche Interessen des „Dritten Reiches" betrafen, gab es, wie aus diesen und anderen Äußerungen zu folgern ist, eine unausgesprochene Zusammenarbeit zwischen der Gesandtschaft und den argentinischen Behörden. Wie vorteilhaft im Sinne des Nationalsozialismus sich dieses einvernehmliche Verhältnis zeitweilig gestaltete, wird an dem vergeblichen Versuch argentinischer Theaterleute erkennbar, in Buenos Aires Ferdinand Bruckners Die Rassen in spanischer Sprache zur Aufführung zu bringen. Das war natürlich ein Gegenstand, der die Interessen der nationalsozialistischen Kulturpolitik viel stärker tangierte als das Musiktheater. Voller Genugtuung berichtete der deutsche Gesandte in einem Telegramm an die Berliner Zentrale über den Ablauf des Theaterabends: „Theateraufführung [des] Hetzstücks Las razas vom Emigranten Bruckner, worin Führer, Hoheitszeichen, Horst-Wessellied, S.A. verächtlich gemacht werden, auslöste bei anwesenden Deutschen große Erregung. Folgen waren Tumulte, die 45 Minuten dauerten, wonach Aufführung polizeilich abgebrochen wurde. [Die] Polizei beantragte Verbot weiterer Aufführungen [des] Hetzstücks und festhielt bis Montag 18 Uhr 68 Demonstranten. Montag Abend Schloß Munizipalität vorläufig [das] Theater". Der anschließende ausführlichere Bericht erläutert den Zusammenhang genauer:

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Bundesarchiv Berlin, Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Bd. 553/69/52, Bl. 278. Die folgenden Akten-Zitate beziehen sich auf diesen Bd.

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Frithjof Trapp „In diesem Falle waren, wie schon so oft, die Polizeiorgane sehr wohlwollend eingestellt, mußten jedoch pflichtgemäß auch gegen die Demonstranten einschreiten; das geschah ohne jede Härte. Die Festgehaltenen hatten auf der Wache jede nur denkbare Freiheit, es wurde ihnen erlaubt zu singen und turnerische Vorführungen zu machen, die von den anwesenden Polizeioffizieren bewundert wurden. Die Weiteraufführung des Theaterstücks [...] wurde vorläufig untersagt." (15. Dezember 1934) Es folgt ein weiterer Bericht: „Seit dem 10. Januar ist das Stück nunmehr vom Spielplan verschwunden, und ich habe die Hoffnung, daß es meinen dringenden Vorstellungen entsprechend auf argentinischen Bühnen nicht wieder erscheinen wird." Mitte Januar 1935 teilt der Gesandte der Berliner Zentrale mit, daß es einen Bombenanschlag [!] auf das Theater Comico gegeben habe, in dem Die Rassen aufgeführt werden sollten. Vermutungen, wie groß der Einfluß der Deutschen Gesandtschaft und ihrer argentinischen Handlanger tatsächlich war, erübrigen sich unter diesen Umständen. Bisweilen berichtet der deutsche Botschafter von Thermann sehr detailliert über Aktivitäten von Emigranten. Am 4. Oktober 1940 teilt er ζ. B. der Berliner Zentrale mit, daß Walter Szurovy, Schauspieler an der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE, Ehemann der Sängerin Rise Stevens sei, die während der Winterspielzeit am Teatro Colön engagiert gewesen sei. Offensichtlich wartete von Thermann auf eine Anweisung, ob er in dieser Frage - durch Druck auf die Kreise, die das Teatro Colön finanzierten - tätig werden solle. - Wie ein Antrag auf einen Zuschuß von 4.000 RM an die Theaterabteilung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda aus dem Dezember 1942 zeigt, unterstützte die Deutsche Gesandtschaft außerdem das seit 1938 unter der Leitung von Ludwig Ney stehende nationalsozialistische DEUTSCHE THEATER in Buenos Aires. Die Emigranten wurden also observiert, es wurde Druck auf die argentinischen Behörden ausgeübt, und man förderte gezielt Konkurrenzunternehmen, um die künstlerische Arbeit der Exilierten zu unterminieren. D i e FREIE DEUTSCHE BÜHNE P. W a l t e r J a c o b s

Unter diesen Umständen mutet es fast wie ein Wunder an, daß in Buenos Aires mit der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE (F.D.B.) überhaupt ein von Exilierten betriebenes Theater

entstehen konnte. Noch erstaunlicher ist, daß dieses Theater zu einem Erfolg wurde, und zwar weit über die Zeit des Exils hinaus. Fast 25 Jahre lang hatte die Bühne Bestand. Freilich waren die Bedingungen, unter denen die F.D.B. in den fünfziger und sechziger Jahren arbeitete, andere als die während der vierziger Jahre. - Der erste Leiter der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE war P. Walter Jacob, sein Nachfolger ab 1949 Siegmund Breslauer. Breslauer war 1946 in die Verwaltung des Theaters eingetreten. Als Jacob 1949 nach Deutschland zurückkehrte, um Intendant der Städtischen Bühnen Dortmund zu werden, löste ihn Breslauer als Leiter der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE ab. Der Plan für ein deutschsprachiges Kammertheater „für Schauspiel und musikalische Komödie" mit einem Ensemble, bestehend aus acht Schauspielern, fünf Schauspielerinnen, einer Souffleuse und einem Inspizienten, also für die spätere FREIE DEUTSCHE BÜHNE, war von Jacob Ende 1936, also bereits weit im Vorfeld der Emigration nach Argentinien, erarbeitet und über Jacobs Frau Liselott Reger, eine gebürtige Argentinierin, brieflich einer in Buenos Aires ansässigen Kontaktperson, dem argentinischen Re442

Exiltheater in Südamerika gisseur Dr. Enrique T. Susini, übermittelt worden. Über Reaktionen Dr. Susinis ist nichts bekannt. Mit dem organisatorischen Konzept war bereits ein detaillierter Spielplanentwurf verbunden, der in seiner Anlage dem tatsächlichen späteren Spielplan stark ähnelte. Jacob war im Januar 1939 mit seiner Frau aus der Tschechoslowakei nach Buenos Aires gelangt. Zu diesem Zeitpunkt deutete nur weniges darauf hin, daß der Plan zum Erfolg führen und Jacob durch ihn zu einer der wichtigsten Gestalten des Exiltheaters werden würde. Allerdings verriet Jacobs bisheriger Werdegang bereits eine ungewöhnliche Vielseitigkeit: Jacob hatte vor 1933 eine Karriere als Dramaturg, Dirigent, als Regisseur für Schauspiel und Oper, als Charakterdarsteller, als Schriftsteller, Journalist und Kritiker begonnen. Zunächst hatte er eine Ausbildung zum Kapellmeister bei Leo Blech durchlaufen; erst dann war er als Schüler von Ferdinand Gregori ans Theater gelangt. Er war in Tanz, Gymnastik und Bewegungslehre durch Rudolf von Laban und Toni Vollmuth ausgebildet worden. 1929 war er als Schauspieler, Dramaturg und Oberspielleiter nach Koblenz gegangen, anschließend nach Lübeck und Wuppertal. Im März 1932 übernahm er eine Gastregie am Opernhaus in Köln; 1932/33 wurde er als Regisseur für Oper und Operette an die Städtischen Bühnen Essen verpflichtet. Am 29. März 1933 wurde Jacob, Jude und Sozialdemokrat, aufgrund der „zur Zeit vorhandene[n] Stimmung weiter Volkskreise", so die Formulierung in einer brieflichen Mitteilung des Oberbürgermeisters, in Essen vom Dienst beurlaubt. 1933/34 hielt sich Jacob in Paris auf, wo er vor allem als Musikkritiker und Kulturberichterstatter für die Exilpresse tätig war. Nebenher fungierte er als Fachberater der deutschen Flüchtlingshilfe bei der Französischen Liga für Menschenrechte. Von Oktober 1934 bis Februar 1936 folgte eine Beschäftigung als Oberregisseur und Dramaturg beim in Luxemburg auftretenden Tournee-Ensemble DIE KOMÖDIE (Leitung Walter Eberhard); von Herbst 1936 bis Frühjahr 1938 arbeitete er als Regisseur am Stadttheater Teplitz-Schönau (Direktion Curth Hurrle). Offenbar waren es die Erfahrungen aus dem Pariser Exil, aus der Arbeit am Stadttheater Teplitz-Schönau und mit der Tourneebühne in Luxemburg, die Jacob veranlaßten, die Zielvorstellungen für das eigene, in Argentinien zu gründende Exiltheater außergewöhnlich klar und situationsgerecht zu definieren. Disziplin, Anpassungsfähigkeit, professionelle Werbung und professionelle schauspielerische Arbeit waren unabdingbare Voraussetzungen, die angesichts der Probleme, vor denen jede Exilbühne stand, notwendig waren. Der Pariser Exilaufenthalt hatte mit Sicherheit die Erkenntnis bestärkt, daß eine Bühne in einer fremdsprachigen Umgebung sich ganz und gar auf das zu erwartende Publikum einstellen mußte. Das - letztendlich gescheiterte - Experiment einer Tourneebühne wird zu der Einsicht geführt haben, daß selbst eine vergleichsweise gutkalkulierte Unternehmung kaum etwas anderes als eine ständige finanzielle Gratwanderung sein würde und schon ein geringfügiges Abweichen vom richtigen Pfad das gesamte Projekt gefährdet. Teplitz-Schönau brachte die Erfahrungen eines „großen Hauses" mit zwei Spielstätten (für Schauspiel und Musiktheater) und den entsprechenden Publikumsanforderungen. - Der entscheidende Grund für den Erfolg lag jedoch vermutlich in der Persönlichkeit Jacobs: in seiner ungewöhnlichen künstlerischen Vielseitigkeit als Schauspieler, Kapellmeister und Regisseur, in seiner Überzeugungskraft auf Außenstehende, der starken organisatorischen Begabung, seiner Durchsetzungsfähigkeit sowie 443

Frithj of Trapp seinem Aktivitätsdrang - in Jacobs Arbeit lief eine breitgestreute journalistische Tätigkeit mit der zentralen Theaterarbeit ständig parallel. Eine unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen von Jacobs Vorhaben war, daß das künftige Theater sich rechtzeitig eine lokale Monopolstellung sicherte. Wenn in Buenos Aires der Kreis potentieller Theaterbesucher unter den deutschen Emigranten und den nichtnationalsozialistisch eingestellten deutschsprachigen Einheimischen zahlenmäßig auch vergleichsweise groß war, so war doch deutlich erkennbar, daß es sich in der Regel um ein wenig bemitteltes Publikum handelte. Die finanzielle Basis für das Theater war also begrenzt, die lokale Konkurrenz - ζ. B. von seiten jiddischer Bühnen oder ungarischer Operettentheater - beträchtlich. Das Publikum konnte nur dann kontinuierlich an die neue Bühne gebunden werden, wenn der künstlerische Anspruch deutlich in Erscheinung trat und das Niveau konstant aufrechterhalten wurde. Konkurrierende deutschsprachige Theaterunternehmen durfte es dabei nicht geben. Es mußte durch entsprechende Angebote versucht werden, sie in dem geplanten neuen Theater aufgehen zu lassen. Das gelang bei Max Wächters DEUTSCHSPRACHIGER BÜHNE IN ARGENTINIEN, blieb aber, als Wächter an der F.D.B, arbeitete, ein permanenter Konfliktpunkt zwischen Jacob und Wächter. Die Abschottung gegenüber der Konkurrenz wird auch bei der Gestaltung der Schauspielerverträge erkennbar. Da jedes Mitwirken von Ensemblemitgliedern der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE an konkurrierenden Veranstaltungsformen wie ζ. B . an Kabarettoder Theaterabenden der örtlichen Vereine und Organisationen ein finanzielles Risiko darstellte, wurde es den Schauspielern von vornherein durch Vertrag untersagt. Penibel gestaltet waren auch andere Vertragsbedingungen. Ζ. B. wurde vertraglich festgehalten, daß jeder Schauspieler verpflichtet sei, auch Nebenrollen zu übernehmen. Spesenforderung und Zusatzvergütungen waren ausgeschlossen. In dieser Rigidität lag Konsequenz, und Jacob war bereit, sich auch seinerseits diesen Bedingungen zu unterwerfen. Er zögerte ζ. B. nicht, aus der Jüdischen Kultur-Gemeinschaft auszutreten, als diese erwog, Theaterveranstaltungen in eigener Regie durchzuführen. Die größte Gefahr ging jedoch offenbar von halbprofessionellen Bühnen aus vermutlich deshalb, weil sie, da sie nicht die Risiken eines laufenden Etats zu tragen hatten, bei der Stückeauswahl sich eine größere Flexibilität leisten konnten, also auch mehr politische Stücke bringen konnten und im Einzelfall eine durchaus attraktive Alternative zur FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE darstellten. Als nach Kriegsende sich ein Teil des Ensembles unter Leitung von Max Wächter und mit Unterstützung von Bruno Arno zu einem Konkurrenzunternehmen, den MUSIKALISCHEN KÜNSTLERSPIELEN, zusammenschloß, kam es zum Eklat. Jacob gab der Neugründung keine Chance. Mit einer konkurrierenden Programmgestaltung entzog er dem Unternehmen die Publikumsbasis. Die geschlagenen Konkurrenten - und ehemaligen Kollegen - bestrafte Jacob mit Ausschluß und Ächtung. Manche kehrten an die F.D.B. erst zurück, als Jacob nicht mehr ihr Leiter war. So wichtig diese Fragen waren, handelte es sich im Grunde trotzdem nur um unabdingbare Voraussetzungen, die geklärt sein mußten, bevor die Unternehmung in die tatsächliche Planungsphase eintreten konnte. Ausschlaggebend für die Gründung des Theaters war, daß Jacob die Unterstützung einer alteingesessenen, innerhalb der deutschsprachigen Einwohnerschaft verbreiteten Zeitung mit deutlich antinationalsozialistischer Tendenz, des Argentinischen Tageblatts, und ihres Herausgebers Dr. Ernsto F. 444

Exiltheater in Südamerika Alemann gewinnen konnte sowie die Unterstützung der maßgeblichen Organisationen sowohl des politischen Exils als auch der jüdischen Emigration. Erst dadurch erhielt das Projekt die notwendige organisatorische und publizistische Verankerung, die die Basis dafür war, daß das Theater in der fremden, politisch keineswegs günstig gestimmten Umgebung sich an ein Publikum wenden konnte. Möglich wurde das offenbar dadurch, daß Jacob durch vielfältige Aktivitäten - als Leiter von Theaterveranstaltungen innerhalb des örtlichen Vereinslebens, als Chorleiter und durch publizistische Arbeit - sich in kurzer Zeit künstlerisch wie organisatorisch einen Namen gemacht hatte. Er konnte sicherlich auch auf ein gewisses politisches Renommee aufgrund seiner journalistischen Arbeit für die Exilpresse, so für die Neue Weltbühne und zahlreiche andere Organe, zurückgreifen. Durch Vermittlung von Ernsto F. Alemann gelang es außerdem, mit Hilfe von Spenden von Seiten der eingesessenen Geschäftsleute und Unternehmer einen „Theaterfonds" zusammenzubringen, der zumindest für einige Monate die Finanzierung des laufenden Betriebes sicherte. Hilfreich war dabei die Unterstützung durch die Familie von Jacobs Frau, die zum Kreis des argentinischen Establishments gehörte. Dieser Fonds wurde in der Ära Jacob mehrfach wieder aufgefüllt. 1942 wurde zur Unterstützung der Schauspieler während der spielfreien Zeit ein Schauspieler-Ferien-Fonds eingerichtet. Der wichtigste Förderer war der Textilindustrielle Dr. Heinrich Frankel. Auch diese Absicherung zeigt Jacobs Souveränität. Keineswegs war es nur eine Frage glücklicher Umstände, daß eine derartig breite finanzielle Basis überhaupt geschaffen werden konnte. Vielmehr war es kluge Voraussicht, daß Jacob auf die Bereitstellung der angesichts der Umstände erforderlichen finanziellen Reserve drängte. Die Förderung des Projektes durch Geschäftsleute und Unternehmer entsprang durchaus nicht nur kulturellen Interessen, sondern war auch ein politisch-sozialer Akt. Die geplante deutschsprachige, von Exilierten betriebene Bühne wurde offensichtlich von allen Beteiligten, den Privatpersonen wie den unterstützenden Organisationen, als ein Bindeglied verstanden, das geeignet war, als identitätsstiftendes Element der Gemeinschaft der deutschsprachigen Hitlergegner innerhalb einer fremdsprachigen, kulturell anders strukturierten Umgebung zu wirken: als Vermittlungsinstrument zwischen den Traditionen des Herkunftslandes und dem Asylland, als Bindeglied innerhalb einer noch fragilen, in sich heterogenen sozialen Gemeinschaft von Neuankömmlingen und Alteingesessenen. Natürlich war das eine - wenn auch nichtpolitisch definierte - „politische" Funktion. - Die F.D.B, ihrerseits trug dieser Aufgabe Rechnung, indem sie kontinuierlich auf die Zusammenarbeit mit den sie unterstützenden Organisationen hinwies und sich für entsprechende Sonderveranstaltungen, die im Interesse der Organisationen lagen, zur Verfügung stellte. Demonstrativ wurde z.B. die Zusammenarbeit der F.D.B. mit dem Hilfskomitee für die inhaftierten Flüchtlinge in französischen Internierungslagern (Comite de Socorro para Gurs) herausgestellt. Es erübrigt sich beinahe, darauf hinzuweisen, daß aus dieser integrativen Funktion auch Konflikte erwuchsen. Angesichts der Heterogenität, die auch für das Exil in Buenos Aires charakteristisch war, wäre das Gegenteil verwunderlich gewesen. Mit Geschick, mitunter aber auch mit rigider Robustheit verstand es Jacob, den Interessen der von ihm repräsentierten Institution Vorrang zu verschaffen. Es gelang Jacob in erstaunlich kurzer Zeit, durch gezielte Suche in den örtlichen Emigrantenkreisen - nicht zuletzt mit Hilfe von Anzeigen im Argentinischen Tageblatt 445

Frithjof Trapp ein geeignetes Ensemble zusammenzustellen. Der Versuch, den Spielbetrieb bereits im Spätherbst 1939 aufzunehmen, scheiterte jedoch. Angesichts des Kriegsausbruchs rieten diejenigen, die das Projekt unterstützend und beratend förderten, dringend davon ab, das Theater zu diesem Zeitpunkt zu eröffnen. Sie ahnten vermutlich die Gefahr, daß das Theater zum exponierten Angriffspunkt der pronazistischen Gruppen sowie der Deutschen Gesandtschaft werden könne. Allen standen sicherlich die bereits erwähnten Tumulte vor Augen, die den Versuch, Die Rassen zur Aufführung zu bringen, begleitet hatten. Derartige Ereignisse hätten zu diesem Zeitpunkt den argentinischen Behörden als Vorwand dienen können, das Theater unmittelbar nach der Eröffnung zu schließen. Damit wäre dem Projekt bereits zu Beginn die Basis entzogen worden. Zum nächsten Konflikt - diesmal innerhalb des Ensembles - kam es, als Jacob in Bruno Franks Komödie Sturm im Wasserglas, der zweiten Premiere der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE, eine harmlose, wenngleich trotzdem anzügliche Anspielung auf die nazistische Rassentheorie strich: Eine bajuwarische Hausfrau sagt über die „Rassereinheit" ihres Hundes, einer geliebten Promenadenmischung: „Naa. Nix fürn Hitler." Als Jacob anschließend das erste - bereits angekündigte - „politische", pazifistische Drama, Der Mann, den sein Gewissen trieb von Maurice Rostand jun., durch ein „unpolitisches" Stück, Ibsens Baumeister Solneß, ersetzte, schien sich die F.D.B. nahezu alle Sympathien in Kreisen des politischen Exils verscherzt zu haben. In Wahrheit handelte es sich auch hier nur um einen Teil der Gratwanderung, von der anfangs gesprochen wurde. Am deutlichsten ist die Problemlage bei der Absetzung des Rostand-Stückes erkennbar. Sieht man von denjenigen ab, die den Weltkrieg als „imperialistischen Krieg" interpretierten und deshalb für pazifistische „Neutralität" plädierten, stand der Mehrzahl der Beteiligten im Mai 1940, also zum Zeitpunkt des deutschen Angriffes auf Frankreich, vor Augen, daß ein pazifistisches Drama auf dem Spielplan einer Exilbühne in diesem Moment absolut deplaciert war. - Etwas anders verhielt es sich mit der Streichung der nach Meinung Jacobs anstößigen Passage in Sturm im Wasserglas. Dieser letztendlich kleine politische Scherz wäre vom Publikum zweifelsohne begeistert aufgenommen worden. Der Direktor der Bühne war sich jedoch mit Sicherheit bewußt, daß man bei anderer Gelegenheit - in den Niederlanden im Falle von Heinz Liepmanns Dokumentarroman Das Vaterland - einen im Grunde vergleichbaren Sachverhalt zum Anlaß genommen hatte, um Liepmann „wegen Beleidigung eines mit den Niederlanden befreundeten Staatsoberhauptes" auszuweisen. Im pronazistischen Argentinien hätte ohne weiteres ähnliches drohen können. Auch das hätte für die F.D.B, das Ende bedeutet. Die Folge dieser frühen Konflikte war, daß die FREE DEUTSCHE BÜHNE ein für alle Male mit der Hypothek belastet war, sich einer politischen Festlegung zu entziehen. Von diesem Vorwurf konnte sie sich auch dann nicht befreien, als Jacob - nach dem Kriegseintritt der USA und der damit verbundenen Wende der argentinischen Deutschlandpolitik - den Spielplan tatsächlich politischer gestaltete. Auf anderer Ebene traten Konflikte mit den jüdischen Organisationen in Erscheinung. Es wurde moniert, daß Theater in deutscher Sprache gespielt wurde - in der „Sprache der Verfolger" - und daß jüdischen Autoren und jüdischer Thematik ein zu geringer Platz eingeräumt werde. Im Grunde wiederholte sich hier eine Diskussion, die zwischen 1933 und 1941 auch im Jüdischen Kulturbund geführt worden war. Auch die Gegenargumente, die Jacob vorbrachte, ähneln den damaligen: Der Begriff des .Jüdischen" werde von den Kritikern zu vordergründig verstanden und einseitig auf ostjüdi446

Exiltheater in Südamerika sehe Autoren und Themen bezogen bzw. auf Stücke, die in Palästina entstanden seien bzw. dort spielten - solche Autoren und Texte seien im Spielplan vertreten, aber eine größere Zahl werde bestimmt auf Desinteresse beim Publikum stoßen - ; außerdem sei ein Großteil der Stücke, die gespielt würden, von Autoren verfaßt, die - im Sinne der Nationalsozialisten - „Juden" seien. Deutlich ist erkennbar: Im Hintergrund all dieser Kontroversen stand die Debatte um die Assimilation bzw. ihre Revokation. Jenseits dieser Konflikte wird ein konstantes Element bei der Aufnahme des Spielplans erkennbar: Das Publikum, das sich in der Mehrzahl aus Hitlerflüchtlingen zusammensetzte, die z.T. mit drängenden finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, dabei nahezu täglich bedrückende Nachrichten aus Europa über das Schicksal ihrer dort lebenden Verwandten erhielten - dieses Publikum wollte von den Alltagssorgen abgelenkt und unterhalten werden. Jacob formulierte den Sachverhalt in einer Antwort an seine Kritiker drastisch so, daß das Publikum ausbleibe, sobald nur ein „Lustspiel" und keine „Komödie" - angekündigt werde. Diese Beschreibung der Gegebenheiten war richtig. Zeitweilig kam es so weit, daß die Theaterkritiker in ihren Besprechungen unmißverständlich das Publikum angriffen, weil es anspruchsvollere Stücke ablehne und diese Ablehnung durch mangelnde Aufmerksamkeit auch demonstrativ zur Schau stelle. Es wäre deshalb auch ein Mißverständnis, aus dem Spielplan zu folgern, daß hier „Boulevardtheater" - oder, in einer wohlmeinenderen Formulierung: „Stadttheater" geboten wurde. Beide Begriffe berücksichtigen nicht, daß es sich bei der F.D.B. um kein „normales" Theater handelte, sondern um Theaterspielen in einer Ausnahmesituation. Die Funktion war eine andere: Der Spielplan trug dem im Publikum vorherrschenden Bedürfnis Rechnung, den Lasten des Alltags zu entfliehen. Das Theater übte eine spezielle evasorische Funktion aus. Mindestens ebenso wichtig war, daß die F.D.B. als deutschsprachige Bühne in einer anderssprachigen Umgebung allein durch ihre Existenz dem Publikum Rückhalt und Sicherheit verlieh. Durch Vertreibung und Flucht hatte es einen Teil seiner kulturellen Identität verloren. Die Existenz eines eigenen Theaters glich diesen Verlust zumindest teilweise wieder aus. - Zwischen diesen ζ. T. differierenden Polen bewegte sich die FREIE DEUTSCHE BÜHNE. Indem sie diesen Bedürfnissen Rechnung trug, schuf sie eine eigentümliche, spezifisch situationsbezogene Bindung des Publikums an sein Theater. Organisation des Spielbetriebs, Spielplan, Ensemble Die FREIE DEUTSCHE BÜHNE nahm ihren Spielbetrieb am 20. April 1940 in der Casa del Teatro auf, einem Saal mit 350 Sitzplätzen, dem Sitz der argentinischen Theaterorganisationen. Gespielt wurde während der argentinischen Wintermonate, also von April bis Oktober. Es wurde wöchentlich ein Stück herausgebracht; am Sonnabendnachmittag fand die Premiere, am Sonnabendabend die erste und am Sonntagnachmittag die zweite Vorstellung statt. Dieser Turnus mußte am Ende der Spielzeit 1943 aufgrund der Kündigung der Spielstätte geändert werden. Die Arbeitsbedingungen an dem neuen Spielort waren ungünstiger: Es waren nur zwei Aufführungen des jeweiligen Stückes möglich, und zwar am Sonntagnachmittag und am Dienstagabend. Wegen erneuten Theaterwechsels mußte in der Spielzeit 1945 sogar der bislang wöchentliche zugunsten eines vierzehntäglichen Aufführungstumus aufgegeben werden. Das hatte finanzielle Einbußen 447

Frithjof Trapp zur Folge. Erst in der Spielzeit 1946 war es wieder möglich, zum ursprünglichen Turnus zurückzukehren - jedoch in der Regel mit nur zwei anstelle der anfänglichen drei Aufführungen. Insgesamt fanden zwischen 1940 und 1946 550 Veranstaltungen, davon 165 Premieren, statt. Unter den Exilensembles nimmt die FREIE DEUTSCHE BÜHNE damit die Spitzenstellung ein. Eine wesentliche Basis dieses Erfolges bildete die eigene Besucherorganisation, die von Max Wächter nach dem Vorbild des Jüdischen Kulturbundes für seine DEUTSCHSPRACHIGE BÜHNE IN ARGENTINIEN aufgebaut und von Jacob übernommen und erweitert worden war. Es besteht kein Zweifel, daß der schnell wechselnde Aufführungsrhythmus die Psyche wie die Physis der Mitwirkenden strapazierte. Der Wechsel war jedoch notwendig, um die Attraktivität des Theaters zu gewährleisten. In der Regel war das Theater gut besucht. Das bestätigen auch die regelmäßigen Berichte der Deutschen Gesandtschaft. Trotzdem reichten die Einkünfte nur aus, um das Ensemble während der Theatersaison zu bezahlen. Außerhalb der Spielzeit mußten die Schauspieler einer Nebenbeschäftigung nachgehen. Bruno Arno ζ. B. betrieb eine Parfümerie, Erni Wünsch-Vacano leitete ein Gymnastik-Studio. Der erwähnte Fonds, der zu Beginn der Arbeit von Förderern aufgebracht worden war, mußte durch jährliche Theaterbälle und Lotterien zugunsten des Theaters, vor allem aber durch neue Zuschüsse der Förderer mehrfach aufgefüllt werden. In der spielfreien Zeit schlossen sich die Ensemblemitglieder zeitweilig zu Spielgemeinschaften zusammen und unternahmen Gastspielreisen ins benachbarte Rosario oder nach Montevideo. Auf die Ausstattung wurde beträchtliche Sorgfalt verwandt. Das Bühnenbild wurde auf Vorschlag von Hans Schön, des früheren Inspizienten des Prager Neuen Deutschen Theaters, und in Zusammenarbeit mit Hermann Spielmann, einem Innenarchitekten weitgehend standardisiert: Es bestand aus einer Serie von Holzwänden (Rahmen) verschiedenster Breite und gleicher Höhe, die mit bemaltem Kulissenpapier bespannt oder mit Tapeten beklebt werden konnten. Daraus wurden die Innenräume konstruiert. Für die Außendekoration wurden bei argentinischen Spezialfirmen Kulissen entliehen oder in besonderen Fällen eigene Dekorationsstücke hergestellt. Das Mobiliar und sonstige Dekorationen wurden von ortsansässigen Geschäften entliehen. Wie der Spielplan der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE von einem Außenstehenden beurteilt wurde, zeigt ein Kommentar von Julius Bab in der New Yorker Staats-Zeitung und Herold. Der Artikel war zugleich ein Rückblick auf acht - aus Sicht der Bühne sehr erfolgreiche - Spielzeiten: „Was das Repertoire betrifft, so tauchen in den 8 Jahren eigentliche deutsche .Klassiker' nur zwei auf: Schiller mit Wilhelm Teil und mit Maria Stuart. Von Goethe, Kleist, Hebbel, Grillparzer gibt es gar nichts - auch nicht einen einzigen Shakespeare - und das bleibt ja bedauernswert. Doch wird das literarische Gesicht gewahrt durch Stücke von Shaw (10), von Gerhart Hauptmann und Schnitzler, auch Gorki und Ibsen und vereinzelt auch Wedekind und Romain Rolland kommen vor. Auch Georg Kaiser, Pirandello, Bruno Frank, Zuckmayer. Von amerikanischer Dramatik nur Ardrey (Leuchtfeuer) und Kingsley (Menschen in Weiß). Die Hauptmasse der 185 Vorstellungen [gemeint sind Premieren - F.T.] gehört aber dem Unterhaltungstheater, das von qualitätvollen Produkten, wie es die Stücke von Molnar und Curt Goetz vorstellen, bis in die Niederungen von Schönthan, Kadelburg, Arnold und Bach reicht. Auch 448

Exiltheater in Südamerika bei der Operette oder wenigstens beim Singspiel werden zuweilen Besuche gemacht. Man hat den Eindruck, daß höhere Literatur dem argentinisch-deutschen Publikum nur mit Vorsicht und in kleinen Dosen und in viel bloßen Bühnenspaß verpackt beizubringen ist" (16. Mai 1948). Obwohl der Tendenz nach wohl wollend, war Babs Urteil aufgrund der Maßstäbe, die er an den Spielplan anlegte, zu streng. Nicht einmal das Theater des Jüdischen Kulturbundes hätte diesen Maßstäben entsprochen. Bab hatte bei seinem Urteil über die FREIE DEUTSCHE BÜHNE offensichtlich das Theater der Weimarer Republik im Blick, also die künstlerische „Normalität". Die Notwendigkeit, den veränderten Umständen durch einen veränderten Maßstab Rechnung zu tragen, erkannte er nicht. Bab, der in New York miterlebt haben mußte, daß deutschsprachiges Theater in der Vorkriegszeit und während des Krieges praktisch nicht möglich gewesen war, unterschätzte offensichtlich die Probleme, mit denen Jacob - und damit die FREIE DEUTSCHE BÜHNE - konfrontiert war. Möglicherweise standen Bab auch die PLAYERS FROM ABROAD vor Augen mit ihrem weit ausgewogeneren, die Klassik wie die Moderne berücksichtigenden Spielplan; doch auch dieser Vergleich war ungerecht. Die PLAYERS FROM ABROAD waren vor 1945, also während der eigentlichen Exilperiode, nicht aktiv gewesen. Die Situation nach Beendigung des Krieges war jedoch mit der Situation zwischen 1940 und 1945 nicht zu vergleichen. Außerdem standen in New York prominente Schauspieler zur Verfügung, zudem zwei Mäzene, die das Defizit des Spielbetriebes trugen. Für die FREIE DEUTSCHE BÜHNE war die finanzielle Situation sehr viel schwieriger, und sie mußte in einem sehr viel bescheideneren Rahmen agieren. Jacob hatte gleich zu Beginn seiner Arbeit mit der von Bab erwähnten Inszenierung von Maria Stuart den Versuch gemacht, Klassiker auf die Bühne zu bringen, war aber dabei gescheitert. Das Publikum nahm das Angebot nicht in erwartetem Maße an. Daß in Argentinien Stücken mit politischem Inhalt Grenzen gesetzt waren, ist gesagt worden. Sobald sich die innenpolitische Situation änderte - das war nach Kriegseintritt der USA der Fall - , unternahm Jacob jedoch gezielte Versuche, dieses Defizit auszugleichen. Die Aufführungen von Lillian Hellmans Die Unbesiegten („Watch on the Rhine"), von Elmar Rice' Flug nach dem Westen, einem „prointerventionistischen" Drama, das die Flucht aus Frankreich im Mai/Juni 1940 zum Thema hat, und einem Resistance-Stück des Argentiniers Ayalti Vater und Sohn (August 1943) sind dafür Belege. Das Thema der Palästina-Einwanderung ist durch Nathan Bistritzkys In jener Nacht... (November 1942) präsent. Ebenfalls wird Herzls Das neue Ghetto (März 1941) gespielt. Jacob inszenierte Werfeis Jacobowsky und der Oberst (September 1945). Zuckmayers Des Teufels General (Regie Fritz Gehlen) wird im Juni 1948 gespielt. Daß man auf dem Spielplan kein Stück von Brecht, Wolf oder Bruckner findet, ist nach allem, was über das Umfeld und die Publikumserwartungen gesagt worden ist, verständlich. Von den lokalen deutschsprachigen Autoren fand nur Fred Heller Berücksichtigung, der in Montevideo ansässig war, nicht aber Paul Zech. Seine Dramen waren in den Augen Jacobs nicht hinreichend publikumsgerecht. Natürlich dominierten im Spielplan Schwanke und Konversationsstücke: z.T. gängiges Unterhaltungstheater, weit häufiger aber reines Amüsiertheater. Man findet aber auch eine Reihe von Dramen, die in den dreißiger Jahren allenthalben, in Teplitz-Schönau wie in Zürich, aufgeführt wurden: Vilem Werners Menschen auf der Eisscholle, Peripherie von Frantisek Langer, Menschen in Weiß von Sidney Kingsley oder Die Mutter 449

Frithjof Trapp

von Karel Capek. Hinzu kommen die von Bab positiv vermerkten „modernen Klassiker" wie Shaw oder Schnitzler. Es fehlen die Novitäten, und es fehlen spezifisch „literarische" Stücke. Ob aber diese auf Resonanz gestoßen wären, ist im Hinblick darauf, daß das Publikum bereits Klassiker nicht goutierte, zweifelhaft. Ebenso wird man sich fragen, ob es angesichts der Umstände, unter denen die F.D.B. arbeitete, überhaupt möglich gewesen wäre, ausgerechnet durch literarisch anspruchsvolle Texte im Spielplan stärkere Akzente zu setzen. Nach 1946 änderte sich der Spielplan deutlich, als Prominentengastspiele - von Emst Deutsch, Ellen Schwanneke, Victor de Kowa, Hans Moser - möglich wurden. Das Gastspiel von Ernst Deutsch mußte allerdings noch einmal von einem privaten Mäzen, Dr. Heinrich Fränkel, finanziert werden. Danach trugen sich Prominentengastspiele im wesentlichen selber. Schwierigkeiten bereitete die Beschaffung geeigneter Bühnentexte. Es herrschte ein genereller Mangel an Spielvorlagen, nicht bloß an deutschsprachigen. Der Engpaß wurde durch das Angebot des örtlichen Literaturagenten Dr. Hugo Lifezis gemildert, aber nicht behoben. Über einen Freund im Schweizer Exil, Rudi Wiechel, erhielt Jacob zusätzliche Bühnentexte. Sie wurden anschließend manuell vervielfältigt, fremdsprachige Texte zuvor übersetzt. Daß angesichts dieser Situation keine größeren Engpässe auftraten, lag daran, daß Jacob auf seine umfangreiche Bibliothek mit entsprechend vielen Bühnentexten zurückgreifen konnte. Von Nachteil war sicherlich, daß die F.D.B, aufgrund der eingeschränkten Reisemöglichkeiten und der hohen Kosten, die solche Reisen verursachten, im wesentlichen auf den Kreis örtlich verfügbarer Schauspieler beschränkt blieb. Verschiedentlich hatte Jacob versucht, prominente Kolleginnen und Kollegen - wie ζ. B. die in Chile lebende Reinhardt-Schauspielerin Nora Gregor - für Gastspielauftritte zu gewinnen. Das Vorhaben scheiterte fast immer an den zu hohen Gagenforderungen. Die Zahl der festangestellten Schauspielerinnen und Schauspieler schwankte zwischen 10 und 14. Hinzu kamen mehrere Externe. Die wichtigsten Akteure traten dabei in nahezu allen Vorstellungen auf: P. Walter Jacob selbst, seine Frau Lieselott RegerJacob, Jacques Arndt, der 1941 zur F.D.B, kam, Rudolf Baer (ab 1943), Alexander Berger, Josef Halpern, Walter Lenk, Wolfgang Vacano, Max Wächter, Ernst Wurmser. Häufig beschäftigt waren: Oscar Beregi jun., Hanna Danszky, Anni Ernst, Hermann Geiger-Torel - er führte neben Jacob, Lieselott Reger-Jacob und Jacques Arndt häufig auch Regie - , Martha John (ab 1942), Jeanne Merezier (1940 - 1942), Bernhard Salno (1943 - 1948), Hansi Schottenfels, Erni Wünsch-Vacano, Lilly Wiehert. Für die Anfangsphase waren außerdem wichtig: Edith Hammerstein, William Harding, Victor Parlaghy und Hedwig Schlichter. Es handelte sich durchweg um gutausgebildete, erfahrene und außerdem ungewöhnlich vielseitige Künstler. Hervorzuheben ist insbesondere Hermann Geiger-Torel, der wie Jacob eine Kapellmeisterausbildung (bei Wallerstein) durchlaufen hatte, ferner Jacques Arndt - mit ihm hatte Jacob bereits bei der KOMÖDIE in Luxemburg zusammengearbeitet - , der Komiker Ernst Wurmser, den Jacob aus der Zeit seiner Arbeit in der Tschechoslowakei kannte, sowie Max Wächter, der Schauspieler im Jüdischen Kulturbund Hamburg gewesen war. Größere Möglichkeiten, sich in besonderer Weise künstlerisch auszuzeichnen, also über ihr spezielles Rollenprofil hinaus, hatten die Schauspieler aufgrund der Arbeitsbedingungen allerdings nicht. Eine Reihe von Schauspielern 450

Exiltheater in Südamerika war nur für eine oder zwei Spielzeiten beschäftigt. Der Kern des Ensembles blieb jedoch bis 1945 konstant; danach verstärkte sich die Fluktuation. Herausragende Ereignisse waren die Gedächtnisfeiern für Conrad Veidt (3. Mai 1943) und für Max Reinhardt (17. November 1943), die in großen, mehr als 1.000 Personen fassenden Kinosälen durchgeführt wurden. Hier handelte es sich nicht um Gedenkfeiern im üblichen Sinne, sondern um Repräsentationsveranstaltungen mit Prestigecharakter, die das deutschsprachige Exil in Buenos Aires zusammenführen sollten, also identitätsstiftende Funktion hatten. Versucht man, Jacobs Leistung als Leiter der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE zu charakterisieren, wird man vor allem seine Verdienste als Organisator hervorheben müssen. Ohne Jacobs organisatorisches Talent hätte es die F.D.B. nicht gegeben. Er war zugleich aber auch ihr wichtigster Schauspieler und Regisseur. Es gab kaum ein Stück, in dem Jacob nicht eine tragende Rolle spielte. Der durch die Umstände auferlegte Zwang zur Routine setzte der damit verbundenen künstlerischen Leistung jedoch verständlicherweise Grenzen. Aufgrund der Dominanz Jacobs treten die übrigen Mitglieder des Ensembles zwangsläufig in den Hintergrund, was dem Beitrag, den sie zum Erfolg der Bühne erbrachten, sicherlich nicht gerecht wird, aber ebenfalls von der Situation her verständlich ist. Die eigentliche Leistung der F.D.B, bestand darin, daß das Theater mit dem erklärten Anspruch auf Professionalität und künstlerisches Niveau an die Öffentlichkeit trat und diesen Erwartungen über eine Zeitspanne von zehn Jahren hinweg auch gerecht wurde. Dies war nur möglich, weil die Akteure vielseitige, fachlich versierte Schauspieler waren, deren Können und Einfallsreichtum selbst durch den Zwang zur Routine nicht erstickt wurde. Vor allem durch dieses Anspruchsniveau hob sich die F.D.B. von anderen in Südamerika arbeitenden Exilensembles ab, von denen sie sich, blickt man einzig auf den Spielplan, ansonsten nicht sonderlich unterschied. Die FREIE DEUTSCHE BÜHNE wurde nach Konzeption und künstlerischer Gestalt ohne Zweifel im wesentlichen von P. Walter Jacob geprägt. Erstaunlich ist, daß sich Jacobs Spannkraft trotzdem nicht darin erschöpfte, die F.D.B. zu leiten, sondern daß er darüber hinaus ein ungewöhnlich aktiver publizistischer Autor blieb, der während des argentinischen Exils mehrere Sammelbände mit Aufsätzen veröffentlichte, neben anderen spanischsprachigen Texten eine Wagner-Biographie und einen spanischsprachigen Opernführer verfaßte und der in deutscher und spanischer Sprache auch musikgeschichtliche Vorträge hielt. Als Herausgeber mehrerer umfangreicher Almanache war er im übrigen auch der wichtigste Chronist der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE.

Für Jacobs intellektuelle Orientierung sind vielschichtige Interessen und weitgespannte künstlerische Kontakte (zu Fritz Busch und Ernst Uthoff, Franz Allers und Ernst Kfenek) charakteristisch. Durch die Zeitumstände und die besonderen Arbeitsbedingungen wurden diese Interessen jedoch nur bedingt innovativ wirksam. Die F.D.B. war nach Organisation und Spielplan eine außerordentlich zweckbestimmte, auf Effektivität ausgerichtete Bühne. Diese Funktionalität war die Basis für ihren Erfolg, aber sie wurde möglicherweise auf die Dauer auch zu einer Fessel. Ein Teil der Probleme, die sich nach Ausscheiden Jacobs aus der F.D.B, entwickelten: merkliche Kennzeichen künstlerischer Stagnation, ist sicherlich hieraus zu erklären. Für Jacobs eigene Entwicklung scheint das ebenfalls zuzutreffen, wie die nachfolgende, sicherlich erfolgreiche, aber eigentümlich konturenlose Intendantentätigkeit in Dortmund zeigt. Sie legt die Vermutung nahe, daß 451

Frithjof Trapp die starke Ausrichtung auf einen (konservativen) Publikumsgeschmack eine letztendlich problematische Hypothek war. Prägnante künstlerische Statur gewann P. Walter Jacob jedenfalls erst wieder, als er nach Ende seiner Dortmunder Intendantentätigkeit erneut als freier Schauspieler zu arbeiten begann. Exiltheater innerhalb und außerhalb des Umfeldes der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE Die FREIE DEUTSCHE BÜHNE war für das Exiltheater in den übrigen lateinamerikani-

schen Staaten ein Modell, das durch Struktur und Spielplan einen prägenden Einfluß ausübte. Das war bei der KOMÖDIE im benachbarten Montevideo der Fall, aber ebenso bei den entfernteren Bühnen in Bolivien oder in Chile. Faszinierend sind aus heutiger Sicht die Breite und Vielfalt des Exiltheaters in Lateinamerika. Wo immer wenige hundert Emigranten zusammenkamen, wurde Theater gespielt. Das Phänomen ist im Grunde nur damit zu erklären, daß die kulturelle Integration der jüdischen Bevölkerungsgruppe sich in Deutschland in hohem Maße durch und mittels des Theaters vollzogen hatte, so daß Selbstverständnis und kulturelle Identität der Verfolgten sich auch und gerade im Exil durch das Theater manifestierten. Die organisatorischen Kristallisationspunkte der verschiedenen Theaterensembles und -initiativen waren in der Regel jüdische Gemeinden bzw. Hilfskomitees, politische Organisationen und nicht zuletzt Rundfunksender, also lokale deutschsprachige, kommerzielle Radioprogramme. Den Kern des Ensembles bildeten zumeist professionelle Schauspielerinnen und Schauspieler, die von Laienschauspielern unterstützt wurden. Manchmal handelte es sich bei den Bühnen um kurzlebige Initiativen, in der Regel hatten sie jedoch über eine längere Zeitspanne hinweg Bestand. In Montevideo ging die Initiative für ein deutschsprachiges Theater von Hermann P. Gebhardt aus, dem Leiter der örtlichen deutschsprachigen Rundfunksendung LA VOZ DEL DIA („Die Stimme des Tages"). Den Beginn machten Kabarettprogramme im Rundfunk (1939). Gestützt auf den Schriftsteller und Journalisten Fred Heller und den ehemaligen Direktor des Bochumer Operettentheaters und Schauspieler Albert Maurer entwickelten sich daraus eigenständige Theateraufführungen, die unter dem Patronat von LA VOZ DEL DIA durchgeführt wurden. 1941 gründeten Heller und Maurer die Theatergruppe DIE KOMÖDIE. Fünf Jahre lang spielte die Truppe kontinuierlich, zwischen 1945 und 1952 dann nur noch sporadisch. 1948 schied Heller aus der Leitung aus, weil er inzwischen Anschluß an den argentinischen Film und an argentinische Sprechbühnen gefunden hatte. Der Spielplan der KOMÖDIE ähnelte stark dem der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE, mit

der DIE KOMÖDIE bei den Gastspielen in Montevideo ohnehin eng zusammenarbeitete. Während der Theatersaison fanden in der Regel sieben bis acht Premieren statt, also eine pro Monat. Wie in Buenos Aires wurden die Stücke zwei- oder dreimal aufgeführt. Es braucht nicht erwähnt zu werden, daß die Mitglieder der KOMÖDIE ungleich stärker als ihre Kollegen in Buenos Aires auf nebenberufliche Tätigkeit angewiesen waren. Im August 1949 fand eine vielbeachtete Inszenierung der Dreigroschenoper statt. Die Regie führte Albert Maurer, die musikalische Leitung hatte Geza Schaeffer. Die Polly spielte Heidi Eisler, Macheath war Bruno Arno. Neben der KOMÖDIE existierten in den Jahren zwischen 1949 und 1951 in Montevideo auch die KAMMERSPIELE. Sie brachten es auf neun Inszenierungen, darunter Kla452

Exiltheater in Südamerika bunds Kreidekreis und Der Hauptmann von Köpenick von Zuckmayer. Die KAMMERSPIELE waren eine Gründung des Schauspielerehepaares Georg Braun und Lotte HasselBraun. Für Georg Braun und seine Frau war Uruguay nicht die erste Station im lateinamerikanischen Exil. Sie kamen aus Bolivien, hatten sich zuerst in La Paz und dann, von 1943 an, in Cochabamba aufgehalten. In Cochabamba arbeitete die KLEINE BÜHNE COCHABAMBA, eine von Alfred und Franziska Lebenheim geleitete Laienbühne. Dieses mit viel Enthusiasmus betriebene Theater war im September 1940 mit Die Juden von Lessing eröffnet worden. Die Bühne existierte bis 1944. 1943, vermutlich in Zusammenhang mit dem Eintreffen des Ehepaars Braun, kam es zu Konflikten innerhalb des Ensembles und damit zur Abspaltung der NEUEN BÜHNE COCHABAMBA, SO daß zeitweilig zwei deutschsprachige Bühnen am Ort existierten. Die NEUE BÜHNE COCHAMBAMBA entwickelte sich unter der Leitung von Georg Braun und seiner Frau zu einem insgesamt professioneller geführten Unternehmen, so daß schließlich auch eine neue Spielstätte mit einem größeren, 120 Personen umfassenden Theatersaal gewählt werden konnte. Die dritte bedeutendere Theatergründung außerhalb von Buenos Aires war die KLEINE CASEMO-BÜHNE in La Paz, eine Initiative von Georg Terramare und seiner Frau Erna Terrel (gegründet im Oktober 1939). Terramare, neben Jacob sicherlich der namhafteste Theaterleiter im südamerikanischen Exil, war als Regisseur u. a. in Hamburg tätig gewesen, war dann zwischen 1932 und 1934 am Burgtheater beschäftigt und anschließend an sudetendeutschen Bühnen. Seit 1939 hielt er sich in Bolivien auf. Wie in Montevideo ging auch in La Paz die Anregung zur Gründung des Theaters auf eine deutsche Sendestunde zurück, die in diesem Fall von österreichischen Emigranten bei RADIO NACIONAL betrieben wurde. Zunächst beschränkte sich die Theaterarbeit auf wöchentliche Auftritte in einem Hotel; ab 1941 entwickelte sich eine engere Zusammenarbeit mit der Federacion de Austriacos Libres en Bolivia. Als 1944 die Federacion ein eigenes Domizil bezog, bekam auch das Theaterensemble darin eine Spielstätte. Der Spielplan des Terramare-Ensembles war - wie überall - stark auf die Unterhaltungsbedürfnisse des örtlichen Publikums ausgerichtet. Besondere Akzente wurden durch die Aufführung von Texten des Autors Terramare gesetzt. So wurde im Februar 1943 sein Schauspiel Hofopernballett aufgeführt, desweiteren, 1946, ein von ihm verfaßtes gleichnamiges Stück um die Wiener Volksschauspielerin Therese Krones. 1948 starb Terramare in La Paz. Erna Terrel Schloß sich - nach einem Gastspiel bei der F.D.B, in Buenos Aires - zusammen mit Fritz und Ernst Kalmar daraufhin den KAMMERSPIELEN in Montevideo an. In Brasilien, dem größten Flächenstaat Lateinamerikas, entstand aufgrund des Verbots, die deutsche Sprache im öffentlichen Leben zu gebrauchen, ein deutschsprachiges Theater erst nach Kriegsende: das von Willy Keller, Werner Hammer und Wolfgang Hoffmann-Harnisch 1946 initiierte FREIE EUROPÄISCHE KÜNSTLERTHEATER. Aufgrund des späten G r ü n d u n g s d a t u m s ist das FREIE EUROPÄISCHE KÜNSTLERTHEATER n u r b e -

dingt als eine Exilbühne anzusehen. Nach Konzeption und Spielplananlage gehört es bereits zum „auslandsdeutschen Theater" der Nachkriegsära. Keller war im übrigen einer der wenigen, der bereits früh, 1941, den Kontakt zum nichtdeutschsprachigen Theater gesucht hatte. Das war in Brasilien aufgrund der sprachlichen Situation naheliegend. Während den übrigen Exilierten die Integration nur gelegentlich gelang, war sie bei Willy Keller ein begleitendes Moment seiner Karriere als Schauspieler und Regisseur. 453

Frithjof Trapp Ein vergleichbares Beispiel stellt die Karriere des Regisseurs und Philosophen Ludwig Schajowicz dar. Schajowicz, der in Wien Philosophie bei Karl Bühler und Moritz Schlick studiert hatte und am Reinhardt-Seminar ausgebildet worden war, gelangte 1939 nach Kuba, gründete in Havanna das Universitätstheater und wurde Leiter des dortigen Seminars für dramatische Kunst. Seine gesamte Karriere verlief innerhalb des spanischsprachigen Theaters. Er wird heute als eine der bestimmenden Gestalten des kubanischen Theaters angesehen. - Ähnliches ist über Hedwig Schlichter zu sagen: Die in Wien ausgebildete Künstlerin, zeitweilig Mitglied der FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE in Buenos Aires, wurde als Schauspiellehrerin eine prägende Gestalt für eine ganze Generation argentinischer Theaterkünstler. Die Leistungen des Exiltheaters in Südamerika als identitätsstiftendes Element innerhalb einer kulturell anders strukturierten Umgebung sind unübersehbar. Ist deshalb die künstlerische Bilanz ähnlich positiv zu bewerten? - Einen stilbildenden Einfluß auf die Aufnahmeländer hat das Exiltheater nicht gehabt - ganz anders übrigens als Ballett und Ausdruckstanz. Hier löste die Tätigkeit der Exilanten (Margarethe Wallmann, Otto Werberg, Ernst Uthoff, Gertrud Bodenwieser u. a.) einen starken Innovationsschub aus, der zu einer unverkennbaren künstlerischen Neuorientierung der Tanzkunst in Südamerika führte. Eine vergleichbare stilistische Beeinflussung hat es im Bereich des Schauspieltheaters nicht gegeben. Das Exiltheater blieb eine Enklave in einer fremden Umgebung. Es wandte sich nahezu ausschließlich an die Exilierten selber bzw. an die mit ihnen sympathisierende, eingesessene deutschsprachige (jüdische) Bevölkerungsgruppe. Berührungen zum spanisch- bzw. portugiesischsprachigen Theater entwickelten sich nur punktuell; wechselseitige Beeinflussungen gab es - von den genannten Beispielen abgesehen - praktisch nicht. Das „Theater der überseeischen Exilphase" war letztendlich ein konservatives Phänomen: das Resultat einer Ausnahmesituation. In seinen Strukturen war es weitgehend von der Zeitsituation geprägt: ausgerichtet auf die Gruppe von Verfolgten und Deklassierten, in seinen Darbietungsformen und Themen überwiegend von den künstlerischen Erwartungen dieser Gruppe bestimmt. Nahezu besitzlos, in ihrer sozialen und kulturellen Identität tief erschüttert, waren die Hitlerflüchtlinge im Aufnahmeland eingetroffen. Sie hatten ihre berufliche und gesellschaftliche Stellung verloren und waren mit der Notwendigkeit konfrontiert, eine fremde Sprache zu erlernen und eine neue berufliche Existenz aufzubauen. Unter diesen Umständen übte das Theater die Funktion aus, die Krisenperiode zu überbrücken und das erschütterte Selbstbewußtsein zu stabilisieren. Seinem Charakter nach war es retrospektiv orientiert: Es rekurrierte auf die (positiven) Erfahrungen der Akkulturation und sozialen Integration, die die jüdische Bevölkerungsgruppe: die Künstler ebenso wie das Publikum, in Deutschland während der Zeitspanne zwischen der Reichsgründung und dem Ende der Weimarer Republik durchlaufen hatte. Jüdische Theaterkünstler hatten während dieser Periode die soziale und kulturelle Gleichstellung erreicht. Die berühmtesten von ihnen waren zu Repräsentanten der deutschen Kultur geworden, das jüdische Publikum zu einem bestimmenden Faktor des Kulturlebens. Zwangsläufig war damit das Theater zum Inbegriff von Identität, sozialer und kultureller Gleichstellung geworden. Insofern war es also naheliegend, daß das Exiltheater auf diese kollektiven Erfahrungen zurückgriff und noch einmal an die Vergangenheit erinnerte - um die Erschütterungen, die die Gegenwart verursacht hatte und weiter verursachte, zu mildern, das Identitätsgefühl zu stärken und eine emotionale Basis für die Be454

Exiltheater in Südamerika wältigung der aktuellen Probleme zu schaffen. Als der Krieg beendet war, die wirtschaftliche und kulturelle Integration in die südamerikanischen Aufnahmeländer vorangeschritten, trat der auf Deutschland ausgerichtete retrospektive Bezug zunehmend in den Hintergrund. Damit verlor auch das Exiltheater seine ehemals so wichtige soziale Funktion. Der Bezugspunkt verschob sich: Nun gewann das Interesse an der Theaterkultur der Aufnahmeländer an Bedeutung. Die verbliebenen Reste der Exilbühnen verwandelten sich damit allmählich in „auslandsdeutsche Bühnen". Literatur Patrik von zur Mühlen: Fluchtziel Lateinamerika. Die deutsche Emigration 1933 - 1945. Politische Aktivitäten und soziokulturelle Integration. Bonn 1988. Wolfgang Kießling: Exil in Lateinamerika. 2., erw. Aufl. Leipzig 1984 (= Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933 -1945, Bd. 4). Fritz Pohle: Emigrationstheater in Südamerika abseits der „FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE", Buenos Aires. Mit Beiträgen von Hermann P. Gebhardt und Willy Keller. Hamburg 1989 (= Schriftenreihe des P. Walter Jacob-Archivs, Bd. 2). Ein Theatermann im Exil: P. Walter Jacob. Hrsg. von Uwe Naumann unter Mitarbeit von Frank H. Ernsting, Jan Hans u. Karin Vivian Wolfgang. Hamburg 1985. Wie weit ist Wien. Lateinamerika als Exil für österreichische Schriftsteller und Künstler. Hrsg. von Alisa Douer u. Ursula Seeber. Mitarbeit Edith Blaschitz. Wien 1995. Archive P. Walter Jacob-Archiv der Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur

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Michael

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Exiltheater in Shanghai 1939 -1947 Historische und politische Voraussetzungen Shanghai gehört zu den abgelegensten Fluchtorten der deutschsprachigen Emigration der Jahre 1933 - 1945 - sowohl in geographischer als auch in kultureller Hinsicht. Die Stadt ist in keiner Weise mit Asylorten in europäischen Ländern oder auf dem amerikanischen Kontinent zu vergleichen. In Shanghai dürften die problematischsten Lebensumstände für Flüchtlinge in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft überhaupt bestanden haben. Dennoch gelangten etwa 20.000 Verfolgte, immerhin rund vier Prozent der Gesamtemigration, nach Shanghai, das nach Paris (bis 1939), London, New York und Buenos Aires als eines der großen Emigrationszentren gelten kann. Für die hohe Zahl von Flüchtlingen gibt es einen ebenso einfachen wie keineswegs selbstverständlichen Grund: Shanghai war in den Jahren nach 1933 der einzige Hafen der Welt, in dem eine Landung ohne Visum möglich war. Wegen der extremen Voraussetzungen und Bedingungen in geographischer, politischer, sozialer und kultureller Hinsicht kann das Exil in Shanghai als prototypisch für die Geschichte des Exils überhaupt gelten. Die Emigranten waren von ihrer ihnen völlig fremden Umgebung nahezu gänzlich abgeschnitten, eine wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Integration oder gar Assimilation war für die Flüchtlingskolonie nicht denkbar. In dieser isolierten Situation waren die Exilanten - abgesehen von der wirtschaftlichen Unterstützung der Komitees - auf sich selbst verwiesen. Die Emigranten bildeten eine Enklave innerhalb einer Enklave. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts war Shanghai wie andere chinesische Hafenstädte nicht nur dem europäischen Handel geöffnet, sondern ausländische Kaufleute wie Missionare genossen umfangreiche Privilegien: Ihre Niederlassungen hatten exterritorialen Status. Als Anfang der dreißiger Jahre der japanische Expansionsdrang auf Mittelchina übergriff, kam es zu den ersten Kämpfen zwischen Japanern und Truppen der chinesischen Nationalregierung um Shanghai. Im Juli 1937 begannen erneut Kampfhandlungen um die Stadt; nach schweren Beschießungen und Bombardements nahmen die Japaner Shanghai ein. Sie besetzten nur die Vororte militärisch, während das Zentrum zunächst noch seinen internationalen Charakter behielt. Diese verworrene Mischung aus partieller Exterritorialität, Rückzug der chinesischen Bürokratie und teilweiser Eroberung durch japanische Truppen führte zu einem Machtvakuum, das die Aufnahme von Exilanten überhaupt erst ermöglichte. Neben den vier Millionen Chinesen lebten rund 100.000 Nichtchinesen, die sog. „Foreigners", in Shanghai, darunter 29.000 Japaner, 15.000 Russen, 9.000 Briten, 5.000 Deutsche und Österreicher und 4.000 Amerikaner. Die Zahl der aus Deutschland und Österreich Vertriebenen war also in etwa so hoch wie die der Briten, Amerikaner, nichtemigrierten Deutschen und Österreicher zusammen. Neben den Emigranten gab es 2.500 bis 3.000 „Auslandsdeutsche", vielfach aus geschäftlichen Gründen längerfristig in Shanghai wohnende deutsche Staatsbürger, die sich nach 1933 teilweise offen zum Nationalsozialismus bekannten. 457

Michael Philipp Die ersten jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland, ca. hundert, trafen bereits 1933 in Shanghai ein. 1938 begann der große Zustrom an Emigranten im Rahmen regelmäßiger Massentransporte mit Schiffen, zumeist von italienischen Häfen aus. Ende 1938, nach den Novemberpogromen, wurden in Shanghai bereits rund 1.500 Emigranten gezählt, im Laufe der folgenden Monate trafen 12.000 weitere Flüchtlinge ein. Über 50 Prozent der Shanghaier Emigration sammelte sich also in weniger als einem Jahr - ein in dieser Größenordnung beispielloser Fall der Exilgeschichte. Bis zum Beginn des Pazifikkrieges im Dezember 1941 waren rund 20.000 Emigranten nach Shanghai gekommen, von denen nahezu ein Viertel aus Österreich stammte. Diese ungewöhnliche Relation, die mit dem späten Zeitpunkt der Emigration zusammenhängt, läßt sich mit den Verhältnissen in Großbritannien vergleichen. Die Zeit des Shanghaier Exils ist durch die äußeren weltgeschichtlichen Ereignisse in drei Phasen unterteilt. Den ersten Abschnitt bilden die Jahre bis zum Beginn des Pazifikkrieges im Dezember 1941, den zweiten der Zeitraum bis zur Kapitulation der Japaner im August 1945. Die dritte Phase schließlich ist die Zeit vom Kriegsende bis zur weitgehenden Auflösung der Emigrantengemeinschaft im Sommer 1947. Der Beginn des Pazifikkrieges im Dezember 1941 hatte auch in Shanghai sofort einschneidende Auswirkungen. Die Emigranten mußten zum Teil erhebliche Einschränkungen ihrer Existenzmöglichkeiten hinnehmen. Die Ernährung wurde für die Flüchtlinge, von denen bis 1941 noch immer rund drei Viertel aus Gemeinschaftsküchen der Hilfsorganisationen verpflegt werden mußten, ein immer größeres Problem. So verschlechterten sich die Lebensbedingungen nach Kriegsbeginn weiter, bis im Februar 1943 eine extreme Verschärfung der Situation der Emigranten eintrat: Die japanischen Behörden verfügten die Einrichtung eines Ghettos für „stateless refugees". Alle nach 1936 in Shanghai eingetroffenen Flüchtlinge, das war die überwiegende Mehrheit, mußten bis zum 1. Mai 1943 in den noch immer teilweise zerstörten Stadtteil Hongkew ziehen. Damit verloren zahlreiche Emigranten, die bis dahin in den internationalen Stadtbezirken ein eigenes Geschäft aufgebaut hatten, ein weiteres Mal ihre Existenzgrundlage. Im „designated area" oder „Distrikt", wie der Ghettobereich genannt wurde, übten die japanischen Militärbehörden eine in allen Erlebnisberichten als überaus schikanös dargestellte Willkürherrschaft aus. Die Zwangsumsiedelung war im Juni 1943 abgeschlossen, die Ghettoisierung dauerte über zwei Jahre bis zum August 1945. Lebensbedingungen in Shanghai Die späte Ausreise der meisten Emigranten hatte zur Folge, daß sie überwiegend völlig mittellos in Shanghai ankamen und kontinuierlich unterstützungsbedürftig waren. 8.000 Flüchtlinge mußten ständig in Gemeinschaftsküchen verpflegt werden, rund 4.000 lebten in Hongkew in primitiven Massenunterkünften, allgemein als „Heime" bezeichnet. In den meisten Gebieten Shanghais herrschten extrem schlechte hygienische Bedingungen, die gesundheits- oder sogar lebensbedrohend waren. So hatten die chinesischen Häuser keine sanitären Einrichtungen; Ratten gehörten zum täglichen Bild in den Straßen und mitunter innerhalb der Wohnungen. Neben Moskitos und Wanzen wurden die Menschen vor allem von Läusen geplagt, die Typhus übertrugen. Zudem waren die Körper durch Unterernährung und Vitaminmangel geschwächt, das subtropische Klima bedeutete zusätzliche Belastungen. Der Mangel an nahezu allen Medikamenten erschwerte 458

Exiltheater in Shanghai 1939 -1947

Linderung oder Heilung bei Krankheiten. Die Lebensbedingungen in Shanghai mußten sich auch auf das soziale Gefüge auswirken. Die Kriminalitätsrate schien gering zu bleiben, aber Familienbindungen und Sexualmoral sollen sich zunehmend gelockert, Neidausbrüche und Denunziationen gehäuft haben. Die Zahl von 18.000 bis 20.000 Flüchtlingen entsprach einer mittleren Kleinstadt. Die Emigranten mußten sich eine eigene Infrastruktur aufbauen. Sie wurden dabei unterstützt von in Shanghai ansässigen, wohlhabenden, sephardischen jüdischen Familien. Zu dieser Struktur gehörten Schulen und Krankenhäuser ebenso wie Sportvereine und ein eigenes Kulturleben mit Zeitungen, Zeitschriften und Veranstaltungen. Einige Emigranten eröffneten Läden und kleine Handwerksbetriebe, es gab zahlreiche, vor allem von Österreichern geführte Restaurants und Kaffeehäuser mit Wiener Küche. Insgesamt konnten sich jedoch nur etwa zehn Prozent der Emigranten in das wirtschaftliche Leben Shanghais integrieren, und auch das nur bis zum Beginn des Pazifikkrieges. Die Shanghai-Emigration war überwiegend mittelständisch-kleinbürgerlich und weithin unpolitisch. Gerade etwa 50 Kommunisten befanden sich unter den Flüchtlingen, von denen die Hälfte in geheimen Zirkeln aktiv war und politische Schulungen durchführte. Die weitgehend antipolitische Stimmung erschwerte es Aktivisten politischer Gruppierungen, offen gegen den Nationalsozialismus zu agitieren und der Eigenpublizistik oder dem Theater eine programmatische antifaschistische Richtung zu geben. Mochten die Exilierten in anderen Ländern der Illusion anhängen, sie könnten Mitemigranten und die Bevölkerung des Gastlandes gegen den Nationalsozialismus mobilisieren oder gar ins „Dritte Reich" hineinwirken - in Shanghai fehlte diese für das Selbstverständnis politischer Exilanten fundamentale Voraussetzung. Der Druck der Lebensumstände, aber auch die zeitliche Nähe zu den Ereignissen der Vertreibung verhinderten eine breite Auseinandersetzung mit den Hintergründen des Nationalsozialismus und den Entwicklungen, die ihre Emigration erzwungen hatten. Gleichwohl gibt es aus den Bereichen Theater, Rundfunk und Vortragswesen einzelne eindrückliche Beispiele für eine offen antifaschistische Kulturarbeit. Diejenigen Flüchtlinge, die bis 1939 im „Dritten Reich" aushielten, hatten sechs Jahre Entrechtung, Unterdrückung und Bedrohung hinter sich. Die österreichischen Juden hatten noch bis zum „Anschluß" ihres Landes im März 1938 in bürgerlicher Normalität gelebt, dann aber unter extremen antisemitischen Kampagnen und Aktionen leiden müssen. Mit individuellen Unterschieden teilten alle Shanghai-Emigranten diese Erlebnisse. Sie bildeten eine kollektive Erfahrungsgrundlage, wie sie in diesem Ausmaß innerhalb der Emigration nirgendwo sonst anzutreffen ist. Außergewöhnlich ist auch der relativ hohe Anteil deqenigen, die in einem Konzentrationslager inhaftiert gewesen waren. Mehrere Dutzend, vielleicht sogar einige hundert Männer kamen direkt aus den Konzentrationslagern Buchenwald oder Dachau nach Shanghai. Zu diesen zum Teil langjährigen Erfahrungen von Entwürdigung und Verfolgung trat der konkrete lebensgeschichtliche Bruch durch die Emigration. Weit stärker noch als in anderen Zufluchtsländern hatten sich die Exilanten in Shanghai um die Wiederherstellung eines persönlichen und gesellschaftlichen Selbstbewußtseins zu bemühen. Die individual· wie sozialpsychologischen Grundlagen moderner Gesellschaften - kulturelle Kontinuität, gegenwärtige Identität und Zukunftsperspektive - mußten völlig rekonstruiert werden. Vor dem Hintergrund dieses Prozesses gewinnen alle Ansätze eines eigenen 459

Michael Philipp kulturellen Lebens einen Stellenwert, der dem der Bemühungen um die materielle Lebenssicherung gleichkommt. Exilierte Theaterkünstlerinnen und -künstler in Shanghai Insgesamt lassen sich für den Zeitraum 1939 bis 1947 in Shanghai etwa 200 Kulturschaffende aus allen Bereichen darstellender Kunst namentlich ausmachen. Unter den Shanghai-Emigranten befand sich, anders als in fast allen anderen Zufluchtsländern, kein einziger prominenter Künstler, Wissenschaftler oder Politiker. Von den mehr oder weniger „anonymen" Shanghai-Exilanten sind hervorzuheben: der Architekt (und Bühnenbildner) Richard Paulick, der Sänger Max Kuttner, die österreichischen Filmpioniere Alfred Gottlein sowie Luise und Jakob Fleck und die Schauspieler und Regisseure Fritz Melchior und Alfred Dreifuß. Alfred Dreifuß nennt in seinen Aufzeichnungen eine Zahl von ca. 80 nach Shanghai emigrierten hauptberuflichen Bühnenkünstlern.1 Darunter versteht er vor allem die Schauspieler und Kabarettisten. Die Zahl derjenigen, die als Künstler auftraten, war wohl mehr als doppelt so hoch: Neben Konzertsängerinnen und -Sängern, die vielfach auch bei Operettenaufführungen mitwirkten, gehörte dazu insbesondere eine große Anzahl von (Berufs-) Musikern, Instrumentalisten wie Kapellmeistern. Anhand der Besetzungslisten und Rezensionen wird deutlich, daß rund 40 Künstlerinnen und Künstler als die wesentlichen Akteure des Schauspieltheaters anzusehen sind. Sie waren in verschiedenen, teils kurzzeitig bestehenden Spielgemeinschaften wie den SIEBEN SCHAUSPIELERN, der KOMÖDIE oder dem ENSEMBLE zusammengeschlossen oder hatten Einzelengagements an der SAPIRO-BÜHNE oder bei Aufführungen der EJAS (EUROPEAN JEWISH ARTIST SOCIETY). Sie waren bereits vor ihrer Emigration an deutschsprachigen Theatern, zumeist Provinzbühnen, engagiert gewesen. Die herausragenden Schauspielerinnen waren Lily Flohr und Jenny Rausnitz, bei den Schauspielern dominierten - durchaus bezeichnend für das Shanghaier Theater - die Kabarettisten, die zumeist aus Österreich kamen: Erwin Engel, Desiderius Grün, Fritz Heller und Herbert Zernik. Mehrere Konzertsängerinnen und -sänger wirkten bei Operettenaufführungen von Adolf Breuers LIGHT OPERA mit. Zahlreiche weitere Künstlerinnen und Künstler traten im Kabarett als Akteure oder Conferenciers auf. Vor allem fünf Theaterkünstler führten neben ihrer schauspielerischen Tätigkeit auch Regie, davon war Walter Friedmann mit über zwanzig nachweisbaren Inszenierungen der aktivste Regisseur des Schauspieltheaters in Shanghai. Bei mindestens je sieben Inszenierungen führten Fritz Melchior und Karl Bodan Regie, Alfred Dreifuß brachte fünf Stücke auf die Bühne. Erst in der Nachkriegszeit sind Inszenierungen von Robert Weiss-Cyla dokumentiert. Mit seinem eigenen kleinen Theater, der SAPIRO-BÜHNE, spielte Boris Sapiro eine eigenständige Rolle im Shanghaier Kulturleben. Praktische Schwierigkeiten eines Theaterbetriebs Erste und überaus rege genutzte Auftrittsmöglichkeiten ergaben sich in vielfältiger Weise im Bereich der Kleinkunst: Im Rahmen „Bunter Abende", literarischer Matineen oder 1

Alfred Dreifuß: Shanghai - eine Emigration am Rande. In: Eike Middell u.a.: Exil in den USA. Leipzig 1979, S. 497 (= Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil, Bd. 3).

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Exiltheater in Shanghai 1939 - 1947 bei Soloauftritten in Kaffeehäusern hatten (Opern-)Sängerinnen und Sänger, Kabarettisten, Zauberkünstler, Pianisten und Conferenciers ihr Publikum. Die Gründe für die große Zahl dieser Programme liegen auch in der einfachen Handhabbarkeit dieses Genres, für die einzelnen Veranstaltungen bedurfte es keines besonderen organisatorischen Aufwands. Die Kleinkunst-Veranstaltungen waren vor allem im Herbst 1939 so zahlreich, daß in der Emigrantenpresse schon von einer „Ermüdung des Publikums" geschrieben wurde. Eines der schwierigsten Probleme für die Etablierung eines Theaters war das Finden einer geeigneten Spielstätte. In Shanghai gab es keine Theatergebäude im europäischen Sinne. Am ehesten nutzbar waren die Säle in einigen als Flüchtlingsheim verwendeten ehemaligen Schulen, die teilweise über kleine Bühnen verfügten. An den Zuschauerraum eines Theaters mochte der Saal des „Eastern-Theaters" erinnern, eines Kinos mit 900 Sitzplätzen. Hier jedoch war der zur Verfügung stehende Bühnenraum nur anderthalb Meter tief. Gleichwohl bemühten sich die Emigranten um Nutzung dieses Hauses, was erst durch die finanzielle Unterstützung von Shanghaier jüdischen Kaufleuten ab November 1939 zumindest zeitweise möglich war. Eine andere häufig genutzte Spielstätte war das Kino Broadway-Theater. Das Fehlen eines Fundus von Kostümen und Requisiten war zwar problematisch, konnte jedoch noch am leichtesten durch Improvisation ausgeglichen werden, obgleich auch hierfür kein Etat vorhanden war. Dagegen bereitete ein anderer Mangel in den ersten Monaten kaum lösbare Schwierigkeiten: Es fehlte an geeigneter Theaterliteratur. In Shanghai gab es keinen europäischen Buchmarkt, und wegen des späten Zeitpunkts der Emigration dürfte kaum einer der Exilanten seine Bibliothek nach Shanghai gerettet haben. Die geringe Auswahl der zur Verfügung stehenden Stücke hatte zur Folge, daß Freiheit des Spielplans keineswegs gegeben war. Das relativ geschlossene Kommunikationssystem des Shanghaier Exils erzwang außerdem eine Berücksichtigung der Publikumsinteressen bei der Spielplangestaltung, die über das übliche Maß hinausging. Nicht zuletzt diese Zwangssymbiose führte zu einer Reduzierung des literarischen und politischen Anspruchs des Programms. Aufgrund des Literaturmangels entstanden in Shanghai zahlreiche neue Stücke - weit mehr als an anderen Exilorten - oder wurde im kreativen Umgang mit dem fragmentarisch Vorhandenen Neues geschaffen. In bezug auf die Musik schrieb Martin Hausdorff über diesen Umstand: „Es ist in Shanghai das Schicksal vieler Musikwerke, irgendeiner Neubearbeitung zu unterliegen. Entweder kann man mit den bescheidenen Mitteln, die hier [...] zur Verfügung stehen, gewisse Originalkompositionen nicht zur Aufführung bringen, so daß sie für .kleines Orchester' arrangiert werden müssen; oder die Partitur ist nicht aufzutreiben und eine Neuinstrumentierung wird notwendig. Vom einfachen Walzer bis zum Feuervogel von Strawinsky haben wir hier derartige Instrumentierungen erlebt" (China Daily Tribune, 1. Juni 1946). Ließen sich die praktischen Probleme zumindest teilweise bewältigen, führte die als „völliges Abgeschnittensein von der übrigen Welt" empfundene Isolation der Emigranten zu unlösbaren strukturellen Problemen: Der Kreis des Publikums wie der Darsteller war zahlenmäßig eingeschränkt und weitgehend festgelegt. Daraus ergaben sich zum einen Besetzungsprobleme, zum anderen war die Gefahr der ermüdenden Wiederholung gegeben, wenn über Jahre hinweg immer nur dieselben Gesichter auf der Bühne zu se461

Michael Philipp hen waren. Die quantitative Überschaubarkeit des Besucherkreises wirkte sich auf die Zahl der Aufführungen einer Inszenierung aus. In einem Zeitschriftenartikel (Die Tribüne, Nr. 2, 1940) wurde ein Potential von 600 europäischen Theaterbesuchern genannt, wobei sich diese Zahl nicht verifizieren läßt. Der Anteil von Chinesen und Europäern, möglicherweise auch Angehörigen der „deutschen Gemeinde", an der Zuschauerschaft bleibt unbekannt, dürfte allerdings zumeist nicht allzu groß gewesen sein. Die 900 Plätze des Eastern-Theaters konnten bei der Premiere den Interessentenkreis vollständig fassen, bereits eine zweite Aufführung war nicht selbstverständlich. Die fehlende finanzielle Grundlage des Theaters - eine für jede (Emigranten-) Bühne existentielle Frage - bedeutete auch, daß kein hauptberuflich spielendes Ensemble engagiert werden konnte. Die Schauspielerinnen und Schauspieler mußten einem Brotberuf nachgehen, Proben und Aufführungen mußten zusätzlich zur täglichen Arbeit geleistet werden. Die Arbeitsmöglichkeiten und -Verhältnisse entsprachen dabei in der Regel kaum europäischen Maßstäben und waren so geartet, daß gerade das Überlebensminimum gesichert werden konnte.

Alfred Dreifuß: „Vom Kulturbund zur EJAS " Zwar initiierte Ossi Lewin, Gründer und Herausgeber des Shanghai Jewish Chronicle, bereits im Frühjahr 1939 den ARTIST CLUB als Vereinigung Shanghaier emigrierter Künstler, doch scheinen dessen Veranstaltungen zunächst eher beiläufigen Charakter gehabt zu haben. Erst mit dem großen Zustrom von Emigranten im Sommer 1939 war die quantitative Basis von Publikum und Künstlerschaft für die Entfaltung eines vielgestaltigen und intensiven Kulturbetriebes gegeben. Im Januar 1940 wurde der ARTIST CLUB in EUROPEAN JEWISH ARTIST SOCIETY (EJAS) umbenannt, Präsident blieb Ossi Lewin. Der festangestellte (und bezahlte) Sekretär des ARTIST CLUB und später der EJAS war - nach seinem zwischenzeitlichen Rücktritt im Frühjahr 1940 - Alfred Dreifuß, der vielleicht tatkräftigste und initiativreichste Theaterkünstler des Shanghaier Exils. Seine vielfältigen Tätigkeiten waren stets von einer regen Pressearbeit begleitet, der sich zahlreiche Zeitungsbeiträge aktuellen oder grundsätzlichen Inhalts über das Shanghaier Kulturleben verdanken. Dreifuß war am 4. Juli 1939 in Shanghai angekommen, und nur knapp zwei Wochen später veröffentlichte er einen Artikel über .Jüdische Kunstbetätigung in Shanghai" (Shanghai Jewish Chronicle, 1939), in dem er auf die Erfahrungen im nationalsozialistischen Deutschland zurückblickte: „Herausgerissen aus einer Wirkungsstätte, an der er mit jeder Faser seines Herzens hing, ist der jüdische Kunstschaffende gewiß schon in den Jahren nach 1933 seelisch wie auch materiell einem in vielen Fällen zweifelhaften Schicksal ausgeliefert gewesen." Dreifuß fragte nach der Möglichkeit, den Künstlern in Shanghai „eine neue Wirkungsstätte zu bieten", und ob sie in der Lage seien, „sich als künstlerische Persönlichkeit zu behaupten?" Er entwickelte ein großangelegtes Bild von den Aufgaben und Möglichkeiten des ARTIST CLUB. Neben der Beschaffung eines Theatergebäudes, für die ein „großzügiges Mäzenatentum" erforderlich sei, sollten mehrere Schauspielensembles, dazu Orchester und Chor gebildet werden. Darüber hinaus sollte der ARTIST CLUB auch eine feste Besucherorganisation einrichten. Diese Pläne knüpften an die Konzeption des Jüdischen Kulturbundes an, der vor allem den deut462

Exiltheater in Shanghai 1939 - 1947 sehen Spätemigranten als einzige Auftrittsmöglichkeit jüdischer Künstler im „Dritten Reich" bekannt war. Der Verweis auf den Kulturbund ist nicht nur als Erinnerung an eine bewährte Aktionsform zu sehen, sondern gründete in einer Parallelität der Bedingungen, wobei Dreifuß auch auf wesentliche Unterschiede hinwies: „Eine schematische Nachahmung der einst in Deutschland bestehenden und z.T. noch spielenden jüdischen Kulturbünde ist hier nicht möglich. Dieselben wurden unter anderen ideologischen Voraussetzungen gegründet, stützten sich auch auf einen finanziell noch gesicherten Besucherkreis. In einem allerdings können und sollen sie auch uns Vorbild sein: in dem Elan, den die führenden Persönlichkeiten einstens bei der Aufstellung des Arbeitsprogrammes an den Tag legten, und der fanatischen Besessenheit, mit der die ehemaligen Kulturbundensembles [...] an der Verwirklichung dieser Aufgabe tätig waren." Wohl bis zum Frühjahr 1940 dauerten die organisatorischen Vorbereitungen, dann wurde der Beginn der Mitgliederwerbung angekündigt. Die Resonanz unter den Emigranten scheint bis zum Herbst 1940 jedoch nicht so groß gewesen zu sein, daß die Mitgliederzahlen einen vielschichtigen Spielbetrieb ermöglicht hätten.

D i e T h e a t e r a r b e i t d e r EJAS

Bereits ein Jahr vor der Einrichtung der kulturbundähnlichen Abonnements der EJAS im Herbst 1940 fanden noch unter dem Namen ARTIST CLUB mehrere Aufführungen statt. Den Beginn einer ernsthaften Theatertätigkeit markierte ein „Lustspielabend" des ARTIST CLUB am 4. September 1939, bei dem unter der künstlerischen Gesamtleitung Walter Friedmanns die kleinen Stücke Hund im Hirn von Curt Goetz und Es lebe das Leben von Oskar Günther gegeben wurden. Die beiden Höhepunkte der EJAS-Theaterarbeit - und die von Dreifuß' dramaturgischer Tätigkeit - fanden bereits zu Beginn des regulären Theaterbetriebes und ebenfalls noch unter dem Namen ARTIST CLUB statt: König Ödipus von Sophokles und Lessings Nathan der Weise wurden im November 1939 und im Januar 1940 aufgeführt. Mit der Wahl dieser beiden Stücke dokumentierte Dreifuß seinen hohen Anspruch auf kulturelles und geistiges Niveau. In einer Rezension zum Nathan, mit dem auch der Berliner Kulturbund 1933 seine Tätigkeit eröffnet hatte, hieß es: „Diese Afai/iaw-Aufführung kann sich auf jeder Bühne sehen lassen. Wir in der Emigration empfanden dieses Lessing'sehe Werk besonders stark. Es mutete uns an, als ob dort oben auf der Bühne nicht ein klassisches Schauspiel, sondern ein aktuelles Tendenzdrama unserer Tage abrollte" (Shanghai Jewish Chronicle, Januar 1940). Seinen künstlerischen Anspruch konnte Dreifuß allerdings nicht durchsetzen. Die meisten, sogar fast alle der später folgenden Stücke waren mehr oder weniger niveauvolle Komödien. Bereits nach nur wenigen Monaten schien sich - nach der Findung einer Spielstätte, der kontinuierlichen Probenarbeit und der Aussicht auf weitere regelmäßige Aufführungen - eine Normalität des Theaterbetriebes eingestellt zu haben. Im April 1940 gab sich Dreifuß äußerst zuversichtlich:

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Michael Philipp „Es soll fernerhin ein Spielbetrieb angestrebt werden, der ein Höchstmaß an künstlerischer Verantwortung in sich birgt und dem Zuschauer Erbauung und Erheiterung übermittelt. Wir haben heute Spieler und Stücke. Wir haben, wenn auch nicht viel, aber ein wenig Geld. Und wir haben wieder ein ,Haus'. Sicher, die Unzulänglichkeit der Bühne wird uns zunächst noch manche Sorgen machen, aber wir hoffen mit Zuversicht, daß auch in bühnentechnischer Hinsicht in absehbarer Zeit eine befriedigende Lösung gefunden wird."2 Die Winterspielzeit 1940/41 - und damit auch das propagierte System der Zuschauerabonnements - begann am 9. September mit dem Drama Gesellschaft von John Galsworthy, dem nur zwei Tage später - ebenfalls unter der Regie von Dreifuß - Siegfried Geyers Kleine Komödie folgte. Mark Siegelberg kritisierte in seiner Rezension, das Stück sei von der Situation der Emigranten her nicht angemessen, es zähle „zu jenen Lustspielen mit literarischem Niveau, die eine eigene Atmosphäre der Unbeschwertheit voraussetzen, um ohne weiteres den Kontakt mit dem Publikum zu finden. Die Kleine Komödie ist zu gut - stellenweise geistreich und nachdenklich - , um ein mit sonstigen Sorgen beladenes Publikum drei Stunden lang in ausgelassener Stimmung halten zu können." Das nicht gerade selbstverständliche Kriterium des eigenen Lebensgefühls war aber nicht der einzige Grund für Siegelberg, die Inszenierung abzulehnen: „Sieht man von kleinen, aber immerhin auffallenden technischen Mängeln ab [...], so hatte man den Eindruck, daß es dem Regisseur Dr. Dreifuß nicht gelungen ist, sein kleines Ensemble auf einen einheitlichen Spielton zu bringen." 3 War bei der Kleinen Komödie das Stück von der Kritik gerade noch akzeptiert worden, so stieß Dreifuß' nächste - und letzte - EJAS-Inszenierung auf heftige Ablehnung. Den literarischen Gehalt des Lustspiels Der Hochtourist hatte Dreifuß schon in der Ankündigung als gering bezeichnet, Fritz Friedländer rezensierte die Aufführung (Shanghai Jewish Chronicle, November 1940): „Nur Böswillige werden es als eine gewisse Ironie des Schicksals empfinden, daß gerade der Dreifuß, der immer Niveau des Spielplans gefordert hat, einen ausgesprochenen Schmarren ausgewählt und eingeübt hat." Die Wahl des Stückes sei aber weniger problematisch als das Niveau der Aufführung: „In Berlin zum Beispiel wurden im Lustspielhaus serienweise Schmarren mit Guido Thielscher in der Hauptrolle gegeben, und das Publikum amüsierte sich königlich. Aber wenn schon ein Schmarren gespielt wird, dann muß er gut gespielt werden. Darauf kommt es an. Und das ist leider nicht der Fall gewesen." Möglicherweise veranlaßten diese Kritiken Dreifuß, seine Tätigkeit als Regisseur einzustellen. Während er zunächst weiterhin die Öffentlichkeitsarbeit für das Theater betrieb, übernahm vor allem Walter Friedmann die Inszenierungen. In einer Bilanz der EJAS-Theaterarbeit für den Zeitraum März 1940 bis März 1941 zählte Dreifuß alle gespielten Stücke auf. Unübersehbar dominierten die Komödien, so daß von einer Ausgewogenheit des Spielplans keineswegs die Rede sein konnte. Er schien dies anders gesehen zu haben: „Dieses Repertoire, das in glücklicher Mischung sowohl einfache, derbe Kost wie literarische Leckerbissen enthielt und das schon aus selbstverständlicher Rücksichtnahme auf die Verschiedenartigkeit unseres hiesigen Theaterpublikums und bei der geringen Ausbeute an vorrätiger, dramatischer Ware so gemixt sein muß, stellt der EJAS wohl das Zeugnis aus, nichts unversucht gelassen zu 2 3

Alfred Dreifuß: Vom Broadway Theater zum - Broadway Theater. O. Ort, ca. April 1940. Mark (Siegelberg). O. Ort, Sept. 1940.

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Exiltheater in Shanghai 1939 - 1947 haben. Es ist weiterhin zu sehen, daß gegenüber den Anfängen unseres Theaterlebens, wo noch der Zufall stark regierte, heute ein planmäßiger Ausbau des Repertoires angestrebt wird." (Shanghai Jewish Chronicle, 9. März 1941) Entgegen dieser selbstgewissen Ankündigung ist eine weitere Theaterarbeit der EJAS kaum überliefert. Noch im März fand unter der Regie Walter Friedmanns die Uraufführung der Komödie In einer kleinen Bank (Hans Schubert) statt. Der Abend war als „14. Vorstellung im Stammsitz-Abonnement" angekündigt - das letzte Mal, daß diese Einrichtung erwähnt wird. Ohne diese Bezeichnung liefen bereits die beiden Aufführungen des Lustspiels Ein besserer Herr von Walter Hasenclever, bei denen ebenfalls Friedmann Regie führte. Sofern nicht eine - kaum wahrscheinliche - Überlieferungslükke vorliegt, scheint die EJAS ihre Theaterarbeit bereits im Frühjahr 1941, also ein dreiviertel Jahr vor dem Beginn des Pazifikkrieges, mehr oder weniger plötzlich eingestellt zu haben. Die Gründe für diesen Abbruch lassen sich nicht rekonstruieren, dürften aber hauptsächlich in der Person von Dreifuß zu suchen sein, der im folgenden nur noch publizistisch und auf musikalischem Gebiet tätig war. Weitere Theaterinitiativen Neben oder nach der Theaterarbeit der EJAS bestanden mehrere Spielgemeinschaften, die für einen kürzeren oder längeren Zeitraum zum Teil sehr aktiv und publikumswirksam waren. Die zahlreichen Aufführungen stellten allerdings nicht wie bei der EJAS einen regulären Theaterbetrieb mit Spielplänen und Besucherorganisation dar; sie folgten wohl eher den situativen Möglichkeiten als programmatischen Anliegen. Neben der von Adolf Breuer initiierten LIGHT OPERA traten die Gruppen ENSEMBLE, DIE KOMÖDIE, DIE SIEBEN SCHAUSPIELER, der THESPISKARREN u n d die n a c h i h r e m

Gründer und Hauptdarsteller benannte SAPIRO-BÜHNE in Erscheinung. Über das Unternehmen von Sapiro äußerte Dreifuß rückblickend: „Heute stand ein Stück aus dem ostjüdischen Repertoire auf dem Spielplan, morgen ein Amerikaner, dann ein Franzose, und wenn die abgespielt waren und Spielplanlücken entstanden, wurde in Gemeinschaft mit Shanghai-Autoren in wenigen Tagen ein neues .Werk' fabriziert. Natürlich war er auch zwischendurch mal pleite." 4 Mehr als zehn Inszenierungen der SAPIRO-BÜHNE lassen sich nachweisen, darunter eine Dramatisierung des im jüdischen Milieu beliebten Romans Die Killeberger und die von ihm selbst geschriebenen Stücke Der Fall John Gray, Jonny ohne Gewissen und Die Teufelskonferenz· Sapiros Theater scheint durchaus akzeptiert worden zu sein, worauf nicht nur die anhaltende Mitarbeit der renommierten Shanghaier Theaterkünstlerinnen und -künstler hinweist. In einem Inserat der SAPIRO-BÜHNE für Baccarat im Acht-Uhr-Abendblatt (12. Dezember 1940) hieß es, „des sensationellen Erfolges wegen zum 40. Mal nochmalige Wiederholung." Auch wenn die reißerische Ausdrucksweise wohl eher der Reklame diente, ist die große Zahl der Aufführungen bemerkenswert. Allerdings war Sapiros Spielstätte ein Cafe, während die EJAS-Veranstaltungen in den großen Kinos stattfanden. Fast nur im Jahr 1943 sind Aktivitäten des ENSEMBLE, einer von Fritz Melchior geleiteten Spielgemeinschaft, dokumentiert. Die Aufführungen wurden von Dreifuß im Jüdischen Nachrichtenblatt (12. Dezember 1943) ausgesprochen positiv beurteilt, wobei 4

Mitteilung Herta Schubert.

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Michael Philipp er die Erkenntnis hervorhob, „daß heute unser aus den mannigfachsten Schichten zusammengesetztes Publikum trotz drückendster Alltagssorgen sehr wohl auch dem ernsthaften .Literatur-Theater' zugängig gemacht werden kann und damit beweist, daß es über das nur Amüsier- und Zerstreuungsbedürfnis hinaus ein gesteigertes Verlangen nach vollwertigen Gesamtleistungen in sich trägt." Eine von Österreichern dominierte Spielgemeinschaft waren DIE SIEBEN SCHAUSPIELER, die mit ihren selbstverfaßten Schwänken vor allem in der Nachkriegsperiode auftraten. Nach dem Urteil von Dreifuß mußte man sie „zu jener Art von Darstellern rechnen, die das Erbe des Wiener Volkstheaters in sich trugen, die Kunst des Improvisierens meisterlich beherrschten und es verstanden, auch aus minderwertigen Texten gutes Theater hervorzuzaubern."5 Die von den SIEBEN SCHAUSPIELERN unter Mitwirkung weiterer Akteure aufgeführten Lustspiele waren Tante Sali läßt sich scheiden, Alt Eisig wird tänzerig, Ohne Permit nach Schuschan und Der Kowedchapper. Ohne eine Organisationsbezeichnung liefen etwa Hersch Friedmanns Inszenierung von Scholem Aschs Mit dem Strom im Januar 1946 oder die mindestens sieben Inszenierungen, die Robert Weiss-Cyla zwischen Februar und Dezember 1946 herausbrachte. Darunter war im Mai 1946 Die Dreigroschenoper, über die Dreifuß in der China Daily Tribune (1. Juni 1946) schrieb: „Sie war mehr als nur ein ,Hongkew-Theaterabend'. Sie war Höhepunkt und reifster Niederschlag dessen, was in sieben Jahren Emigration von unserer Künstlerschaft erarbeitet und geleistet wurde." Im Dezember 1946 inszenierte Weiss-Cyla mutmaßlich noch Bruckners Die Rassen; für die Aufführung dieses bedeutenden Stücks der politischen Exildramatik gibt es aber keine Rezensionsbelege. Einige Inszenierungen liefen unter dem Ensemblenamen DIE KOMÖDIE, darunter der Schwank Meyers sowie die Uraufführungen von Scheidungsgrund Liebe (Hans Schubert) und Königin Esther (Siegfried Neumann). Auch beim jiddischen Theater in Shanghai, das von Rose Schoschano und anderen vorwiegend polnischen Emigranten betrieben wurde, spielten gelegentlich deutsche und österreichische Exilantinnen und Exilanten, etwa bei dem jiddischen Familienstück Mirele Efros von Jacob Gordin im Mai 1946. Das Schauspieltheater der EJAS und der anderen Gruppierungen brachte - mitgerechnet die Stücke der Shanghai-Autoren - insgesamt über 90 Inszenierungen auf die Bühne. Deutlich mehr als die Hälfte waren Lustspiele. Nur wenige Stücke sind einem anspruchsvolleren literarischen Spielplan zuzuordnen. Neben Nathan und König Ödipus waren dies Strindbergs Fräulein Julie, Shaws Pygmalion und Frau Warrens Gewerbe und Schnitzlers Liebelei sowie einige Teile aus dem Anatol-Zykhis. Aber auch diesen Stücken kann, selbst wo sie sozialkritische Ansätze zeigen, nur bedingt eine politische Ausrichtung zugesprochen werden. Der unmittelbarer Gegenwartsbezug läßt sich nur für die Stücke Fremde Erde und Die Masken fallen von Schubert/Siegelberg ausmachen. Eine weitere Spielgemeinschaft des Sprechtheaters, der THESPISKARREN, ist nur durch den Nachlaß des Schauspielers und Regisseurs Fritz Eduard Jonas (d.i. Fritz Friedrich) dokumentiert. Eine von ihm angefertigte Liste zählt über zwanzig in Shanghai inszenierte Theaterstücke auf, von denen die Mehrzahl von klassischen Autoren stammt. Als Eröffnungsvorstellung wird Molnärs Spiel im Schloß am 17. Oktober 1939 5

Alfred Dreifuß: Shanghai - eine Emigration am Rande, a.a.O., S. 496

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Exiltheater in Shanghai 1939 - 1947 angegeben. Allerdings liegen nur von dieser Aufführung Rezensionsbelege vor, was angesichts der relativ dichten Presseüberlieferung erstaunlich ist. So ist zu vermuten, daß es sich beim THESPISKARREN - mit Ausnahme der ersten Inszenierung - um ein Laienoder vielleicht Schülertheater gehandelt hat, das im nur in Jonas' Nachlaß genannten „Zimmertheater" in der Ward-Road gespielt hat. Neben dem Schauspieltheater hatte in Shanghai die Operette große Bedeutung; die fünf dort entstandenen Werke eingeschlossen, lassen sich 27 Inszenierungen nachweisen. Bei der Besetzung gab es häufige Überschneidungen zum Schauspieltheater; in Shanghai traten Sängerinnen und Sänger vielfach erstmals auch im Sprechtheater auf. Vom Frühjahr 1941 an gab die EJAS musikalische Potpourris unter dem Titel „Perlen der Operette" oder „Opern-Abend", bei denen die Lieder teilweise szenisch vorgetragen wurden. Auch nach Beginn des Pazifikkrieges, selbst unter den kaum erträglichen Lebensbedingungen des Ghettos, kamen kulturelle Veranstaltungen der Emigranten, darunter auch Operetten- und Theateraufführungen, zustande. Zeitweise scheint es Aufführungsverbote gegeben zu haben. Da für diese Zeit die Quellen weitgehend fehlen, lassen sich nur wenige gesicherte Aussagen über den Zeitraum Januar 1942 bis August 1945 machen. Eine der für das Jahr 1942 belegbaren Veranstaltungen ist ein Opernabend der EJAS im Jewish Club Theatre. Im November 1943, also in der Ghetto-Zeit, fanden drei Vorstellungen von Menschen in Weiß von S. Kingsley sowie die Operettenaufführungen Die Csärdäsfürstin und Gräfin Mariza statt, daneben wurden der Schwank Meyers und Bernard Shaws Pygmalion gegeben. In einer Rezension der Aufführung von Klabunds XYZ lobte Dreifuß im Jüdischen Nachrichtenblatt (24. Dezember 1943) den Regisseur Fritz Melchior, der es verstanden habe, „einer aufnahmebereiten Zuhörerschaft einen so vergnügten und heiteren Theaterabend zu bereiten, daß wirklich einmal alle Alltagssorgen in den Hintergrund traten." In Shanghai entstandene Stücke I Das Exiltheater in Shanghai zeichnete sich durch eine besonders reiche Produktion von Textvorlagen aus - rund dreißig Stücke, darunter einige Operetten, entstanden in Shanghai. Die meisten dieser Stücke, häufig nicht zuletzt wegen des Mangels an spielbarer Literatur entstanden, dürften mehr oder weniger ausgefeilte Lustspiele gewesen sein; in einigen Fällen ist aber auch eine Beschäftigung mit den Gegenwartsproblemen der Emigration dokumentiert. Der bedeutendste Bühnenautor war der Wiener Hans Schubert, von dem in Shanghai mindestens sieben dort verfaßte Stücke aufgeführt wurden, darunter die Lustspiele In einer kleinen Bank, Scheidungsgrund Liebe, Herz an der Leine, Ehe auf geteilte Rechnung. Drei weitere Stücke hatten Mark Siegelberg als Koautor: Urlaub vom Jenseits sowie die politisch hochaktuellen Dramen Fremde Erde und Die Masken fallen. Die Verfasser anderer, oft in Gemeinschaftsproduktion entstandener Stücke waren vielfach selbst Bühnenkünstler wie Max Brandt-Bukofzer, Desiderius Grün, Erwin Engel, Fritz Heller. Das Singspiel Jeder trägt sein Pinkerl stammt von Desiderius Grün und Erwin Engel, die beiden verfaßten auch gemeinsam Schuschan, Stadt des Lächelns, Shanghai und wir, Ohne Permit nach Schuschan. Möglicherweise haben sich diese Stücke in mehr oder weniger scherzhafter Weise auf die Situation der Emigranten bezo467

Michael Philipp gen. Adalbert Klein und Fritz Heller schrieben für die SIEBEN SCHAUSPIELER die Komödien Tante Sali läßt sich scheiden und Der Kowedchapper. Bei einigen Stücken von Shanghai-Autoren ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Situation bzw. mit der politischen Gegenwart dokumentiert. Das Stück Sie verrückter Mechaniker von Alphons Krämer handelte von einem österreichischen jüdischen Erfinder, der aus rassenideologischen Gründen beruflich benachteiligt wird. Kamerad Frau von Berthold Metis und Boris Sapiro beschäftigte sich mit der situationsbedingten Rolle der Frau, die für die meisten Emigranten, die ein traditionell patriarchalisches Familienbild hatten, ein neues Geschlechter- und Moralverständnis erforderte. Siegfried Neumann schrieb das Stück Königin Esther, das als „Zeitdokument in 7 Bildern" inseriert und im April 1946 uraufgeführt wurde. Zu den in Shanghai entstandenen Operetten gehören Adolf Breuers Die geschiedene Frau und Harry Hauptmanns Abenteuer in Tientsin. Bei dem letztgenannten Werk handelt es sich vermutlich um ein bereits vor dem Exil entstandenes Stück, das aus Gründen des Lokalkolorits in die chinesische Hafenstadt verlegt wurde. Der Journalist Walter Sternberg schrieb die musikalische Komödie It takes two to be happy, die Gino Smart vertonte. Während es von Lissy, einer gemeinsamen Produktion von Harry Friedländer und Siegfried Sonnenschein, keine Rezensionen gibt, ist die Aufführung der Operette Sag' bist du mir gut? als ein großes Ereignis in Shanghai dokumentiert. Auch hier hatte Sonnenschein die Musik zur Textvorlage Friedländers geschrieben. In Shanghai entstandene Stücke Π: „Fremde Erde" und „Die Masken fallen" Unter den in Shanghai geschriebenen Spielvorlagen, unter allen dort überhaupt gespielten Stücken, ragen zwei Dramen hervor, deren Gegenwartsbezug für die Emigranten von größter Unmittelbarkeit war. Die Aufführungen von Fremde Erde und - vor allem Die Masken fallen waren die zentralen Ereignisse des Shanghaier Exiltheaters. Diese beiden Stücke, von Hans Schubert, unter dem Pseudonym Hans Wiener, und Mark Siegelberg gemeinsam verfaßt, gehören zu den charakteristischsten Werken der Exildramatik. Die Masken fallen schildert auf sehr realistische Weise die Situation in Österreich kurz vor und nach dem 12. März 1938. Christine, die nichtjüdische Frau des jüdischen Journalisten Paul Brach, will sich von ihrem Mann trennen und seinen Freund heiraten. Dieser bedient sich der juristischen Hilfe eines Anwalts, der zu den in Österreich illegalen Nationalsozialisten gehört. Noch bevor die Scheidung vollzogen ist, wird, nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht, Paul Brach verhaftet und in ein Konzentrationslager verbracht. Christine schiebt die Scheidung auf und setzt alles daran, ihren Nochehemann freizubekommen. Gezeigt werden die Wandlung Christines, die Einschüchterungen durch den NS-Anwalt und einzelne Szenen aus dem Konzentrationslager. Unter der Bedingung, daß Christine in die Scheidung doch einwilligt und sie für ihren Mann die Fahrkarten für eine Emigration besorgt, setzt sich der Anwalt für die Freilassung Brachs ein. Der letzte Akt spielt auf einem Bahnhof, auf dem Brach, aus dem KZ entlassen, ankommt. Brachs alter Vater will die für ihn gekaufte Fahrkarte nicht annehmen, um sie Christine zu überlassen. Er begeht Selbstmord, indem er sich vor einen Zug stürzt, Christine verspricht ihrem Mann, ihm in die Emigration zu folgen. 468

Exiltheater in Shanghai 1939 -1947 Die Uraufführung von Die Masken fallen in der Inszenierung Karl Bodans fand in den Räumen der britischen Gesandtschaft in Shanghai am 9. November 1940 statt - auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Novemberpogrom, bei dem zahlreiche deutsche und österreichische Juden in Konzentrationslager verschleppt worden waren. Das Stück fand begeisterte Zustimmung; in einer Rezension in dem Shanghai Jewish Chronicle hieß es: „Die Premiere war nicht nur ein großes künstlerisches Ereignis. Man sah im Zuschauerraum das diplomatische Korps und ein internationales Publikum, das alles umfaßte, was in Shanghai Rang und Namen hat. Das Stück wurde mit außerordentlichem Beifall aufgenommen. Die Darsteller mußten nach jedem Aufzug unzählige Male vor der Rampe erscheinen." Ein unerwünschter Aspekt der großen Resonanz war eine wirkungsvolle Drohgebärde nationalsozialistischer Stellen in Shanghai. Der deutsche Konsul forderte die Absetzung des Stückes, andernfalls werde es Repressalien gegen noch in Deutschland befindliche Juden geben. Die - bis Kriegsende einzige - Aufführung von Die Masken fallen rief aber nicht nur den Protest nationalsozialistischer Organisationen hervor, sondern stieß bereits im Vorfeld auf Ablehnung bei den örtlichen jüdischen Einrichtungen. So wandte sich der Vorsitzende des Jewish Refugee Committee in einem Leserbrief gegen die geplante Vorstellung, weil seine Organisation der Meinung war, daß alles vermieden werden sollte, was eine Auseinandersetzung provoziere. Von Seiten des Komitees hatte es intensive Bemühungen gegeben, die Aufführung zu verhindern. Die Vorgänge um Die Masken fallen zeigen, daß der vielzitierte „Lange Arm" der Gestapo tatsächlich bis nach Shanghai reichte, sie zeigen aber auch, daß die offiziellen jüdischen Organisationen eine nachdrücklich antifaschistische Kulturarbeit aus Furcht vor Sanktionen ablehnten. Die zweite Inszenierung von Die Masken fallen in Shanghai erfolgte im April 1946 unter der Regie von Robert Weiss-Cyla. Die Publizität des Stückes war wiederum enorm; die Shanghaier Emigranten waren sich der Aussagekraft dieses Dramas sehr wohl bewußt. In der Rezension Gertrude Herzbergs im Shanghai Echo (26. April 1946) hieß es: „Alle die deutschen und österreichischen Emigranten und auch alle anderen Menschen sollten es sehen, auch die, die vom Hitlerismus nicht betroffen wurden, die die Verlogenheiten, Verwerflichkeiten und Gemeinheiten nicht sahen und erlebten und vielleicht nicht voll daran glaubten, die Tragik des Judentums nicht voll ermessen konnten." Am eindrücklichsten war für Herzberg die Darstellung im KZ, bei der drei Häftlinge psychisch gequält wurden: „Die Konzentrationslager-Szene ist in diesem Stücke, obwohl wir selbst viel gesehen, gehört, erlebt haben, obwohl uns in dieser Hinsicht nichts mehr erschrecken dürfte, die Aufregendste. Uns stockt der Herzschlag, wenn man hinter der Szene die Befehle hört, wenn man drei der Lagerinsassen aufmarschieren sieht und wenn im Büro des Lagers die Gestapobeamten den drei aufmarschierten Opfern [...] seelische Folterqualen auferlegen." Die eindrückliche Realistik der Szenen im Konzentrationslager entsprang den eigenen Erfahrungen der Autoren - sowohl Schubert als auch Siegelberg waren nach der Okkupation Österreichs in ein deutsches KZ deportiert worden. Fremde Erde, am 8. und 10. April 1941 im Rahmen des EJAS-Programmes aufgeführt, zeigt die soziale Deklassierung und Existenznot eines nicht mehr jungen Emigrantenehepaares in Shanghai. Dem Mann, einem Arzt, fehlen die Mittel, um eine Praxis einzurichten, er kann als Vertreter nur mühsam Geld verdienen. Seine Frau nimmt eine Stelle als Bardame an, eine in Shanghai von Emigrantinnen häufig ausgeübte Tätigkeit. 469

Michael Philipp Dabei sollten die Gäste durch Gespräche zum Konsum animiert werden. Die Frau gibt nach langem Zögern dem Werben eines reichen Chinesen nach, wofür sie so viel Geld erhält, daß sich ihr Mann eine Arztpraxis einrichten kann. Als er erfährt, daß das Geld nicht vom Verkauf einer Perlenkette stammt, sondern ein Liebeslohn ist, trennt er sich von seiner Frau und gibt die erworbene Praxis wieder auf. Erst nachdem er erkennt, daß seine Frau sich nur seinetwegen mit dem Chinesen einließ, begreift er ihr Handeln und kommt wieder zu ihr zurück. Fremde Erde behandelte ein Problem, das in einer europäischen kleinbürgerlichen Gesellschaft in dieser Weise kaum hätte thematisiert werden können. Daß das Thema überhaupt diskutiert wurde, lag an den besonderen Lebensumständen in Shanghai. Dabei ist es in gewisser Hinsicht paradox, daß ein Thema, das einer Situation gesellschaftlicher Nichtnormalität entsprang, in einem bürgerlich-gesellschaftlichen Rahmen - dem des Theaters - gezeigt wurde, zumal inhaltlich ein ansonsten tabuisierter Vorgang öffentlich dargestellt wurde, dessen Ablehnung zum fundamentalen Konsens bürgerlicher Moral gehört. Als ein zuspitzendes Moment kam noch hinzu, daß es sich durchaus nicht um einen zeitlich verfremdeten Sachverhalt handelte, sondern um ein akutes Problem, mit dem sich die Zuschauerinnen und Zuschauer konkret in ihrer aktuellen Lebenslage in sicherlich oftmals sehr schmerzlicher Weise - auseinanderzusetzen hatten. Immerhin bot die Fabel von Fremde Erde eine Lösungsmöglichkeit an, deren Realisierbarkeit zumindest vorstellbar erscheinen mußte oder als Appell Gültigkeit besaß. Gegen die totale Selbstaufgabe als Tribut an die Gegebenheiten einerseits, andererseits gegen das irreale Beharren auf traditionelle Moralvorstellungen zur ideellen Selbsterhaltung wurde als der zentrale Wert die eheliche Partnerschaft gestellt, die persönliche Verbundenheit gegen die Widrigkeiten der Welt. Auseinandersetzungen um den Spielplan Um die Inhalte des Theaterprogramms gab es unter den Shanghai-Emigranten zwei Kontroversen, die zentrale Fragen betrafen, die in den Jahren 1933 - 1945 an das nichtnationalsozialistische Theater gestellt wurden: Zum einen ging es um das Problem einer spezifisch .jüdischen" Theaterkultur - eine Frage, über die vor allem im Jüdischen Kulturbund debattiert worden war zum anderen um das politische, d. h. antifaschistische Engagement des Theaters, eine alle Exilbühnen betreffende Diskussion. An beiden Disputen war Alfred Dreifuß ursächlich und maßgeblich beteiligt. Im Januar 1940 hatte Dreifuß geäußert, bei der Spielplangestaltung in Ermangelung einer .jüdischen" Literatur auf die Werke der Weltliteratur zurückgreifen zu müssen. Diese Äußerung war auf die Kritik des Vorstandes des ARTIST CLUB gestoßen; er erklärte, ihm sei die „Pflege jüdischer Kultur oberstes Gesetz". Dieser Disput griff die Auseinandersetzung innerhalb des Jüdischen Kulturbundes der Jahre 1933 - 1938 auf. Nachdem die jüdische Bevölkerungsgruppe von den nationalsozialistischen Machthabern aus der „deutschen" Kultur ausgegrenzt worden war und keine Stücke nichtjüdischer deutscher Autoren mehr gespielt werden durften, bemühten sich die Organisatoren des Kulturbundes um die Besinnung auf eigene jüdische Traditionen, deren Fundamente sie im Ostjudentum suchten. Daß sich diese von den Nationalsozialisten aufgezwungene Trennung in „deutsch" und .jüdisch" auch in Shanghai fortsetzte, ist hinsichtlich der Identitätssuche der Exilanten nur zu verständlich, für die 470

Exiltheater in Shanghai 1939 - 1947

sich in erster Linie als Deutsche oder Österreicher verstehenden assimilierten Juden konnte sie aber nicht akzeptabel sein. Dreifuß sah zudem eine Einschränkung seiner künstlerischen Freiheit und trat - vorübergehend - im Januar 1940 von seinem Amt als Sekretär des ARTIST CLUB zurück.

Schützenhilfe erhielt Dreifuß von Günther Lenhardt, der sich gegen die vom ARTIST CLUB intendierte Selbstbeschränkung beim Spielplan erklärte: „Es ist nicht einzusehen, warum ein Kunstunternehmen, wie überall auf der Welt, nicht auf einer breiten Basis aufgebaut werden soll. Ja, es ist sogar Pflicht eines Kulturinstituts, sein Publikum mit Werken der Weltliteratur bekannt zu machen" (Acht-Uhr-Abendblatt, ca. Januar 1940). Lenhardt bekräftigte, daß er keinerlei Vorbehalte gegen .jüdisches" Theater habe, daß das für ihn wesentliche Kriterium die literarische Qualität sei: „Gelingt es aber wirklich, ein jüdisches Stück zu erwerben, dann wird jeder sich auch gern ein solches Werk ansehen, das - seine Qualität vorausgesetzt - genau so zur Weltliteratur gehört wie jedes andere bedeutende Stück." Ausführlich stellte Dreifuß seine Ansichten in der Emigrantenzeitschrift Die Tribüne (Nr. 2 1940) dar. Er unterstellte, daß seine Kontrahenten nicht auf das .Jüdische" überhaupt zielten, sondern auf das Ostjüdische. Gegen die Orientierung auf diese Theaterliteratur erhob er eine Reihe von Einwänden, die Sprache, Thematik und Ausrichtung dieser Werke betrafen, welche zumeist eine den Westeuropäern kaum vertraute Atmosphäre schilderten. Diese Ausführungen können als durchaus repräsentative Ansichten deutscher assimilierter Juden gelten. Dreifuß betonte: „Es kann nicht angehen, daß diese im Entstehen begriffene Bühne irgendeiner weltanschaulich festgelegten Besuchergruppe eindeutig zugewiesen wird, dazu ist die Zusammensetzung unserer Emigrantengemeinde eine viel zu heterogene." Dreifuß hoffte auf weitere Entwicklungsmöglichkeiten des Emigrantentheaters: „Weiterhin ist zu bedenken, je verschiedenartiger der Spielplan ist, desto mehr Möglichkeiten haben die Schauspieler und Regisseure, ihre Fähigkeiten zu entfalten, ihre z[um] Teil noch vollkommen unentwickelten Darstellungsmittel unter Beweis zu stellen. Ich bin mir darüber vollkommen klar, daß auch wir hier einmal zu einem bestimmten Darstellungsstil, der einmal der Stil der Shanghaier jüdischen Schauspieler sein wird, gelangen werden, aber bis dahin gilt es, an jedem nur brauchbaren Stück diesen Stil entwickeln zu können." Zur Ausprägung eines spezifischen Theaterstils ist es in Shanghai nicht gekommen; das mag an der Fixierung auf die europäischen Traditionen oder an der geringen künstlerischen Potenz der Schauspieler und Regisseure gelegen haben, vor allem aber dürften die problematischen äußeren Umstände und die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit die Konstituierung einer eigenständigen Ausdrucksform - die es auch an keiner Emigrantenbühne in anderen Exilländern gegeben hat - verhindert haben. Auch an der zweiten Kontroverse war Dreifuß maßgeblich beteiligt. Es ging anläßlich der Shanghai-Stücke Fremde Erde und Die Masken fallen um die Frage nach dem politischen Engagement des Theaters. Die an allen Exilbühnen diskutierte Forderung nach bewußter antifaschistischer Kulturarbeit stieß in Shanghai auf nachhaltigen Widerstand: nicht nur, weil die Mehrheit des Publikums vor allem Unterhaltung und „unpolitische" Kultur wünschte, sondern auch, weil eine antifaschistische Propaganda in einer asiatischen Umgebung, 20.000 Kilometer von Deutschland entfernt, befremdend wirken 471

Michael Philipp mußte. Dazu kam die Furcht vor dem Einfluß der Nationalsozialisten in Shanghai und den Restriktionen der japanischen Behörden. Die Diskussion über die politischen Aufgaben der Exildramatik zentrierte sich um das Stück Fremde Erde. Dreifuß warf Siegelberg, einem der Autoren, vor, keine eindeutige politische Stellungnahme abzugeben, keine deutlich antifaschistische Tendenz zu äußern: „Wer nun geglaubt hat, daß mit diesem Stück ein Problem aufgegriffen würde, das auch nur im entferntesten an die Hintergründe unseres Schicksals greift, wer gar erhofft hat, dieses neue Werk zeige sowohl inhaltlich wie dramaturgisch eine neue Linie auf, der wurde auf das Bitterste enttäuscht" (Acht-Uhr-Abendblatt). Für Dreifuß war Fremde Erde zu sehr auf die spezielle Situation der Emigranten in Shanghai bezogen: „Wir leben zwar hier im Reich der Mitte, aber Hongkew ist noch lange nicht der Nabel der Welt, und mit so nebensächlichen und wirklich unwichtigen Geschichten, wie wir sie hier antreffen, wird keine Emigrations-Dramatik geschaffen." Nach Dreifuß' Ansicht stand die individuelle Problematik zu sehr im Vordergrund: „Zu viel wird noch privates Wehgeschrei angestimmt. Das möge jeder für sich abmachen, aber damit nicht seine Mitmenschen behelligen. Die Welt hat andere Sorgen, und die heißen Kampf dem Faschismus, und diesen Kampf auszufechten sollte auch des Dichters Aufgabe sein." In seiner „Antwort an Dr. Dreifuß", die Mark Siegelberg als offenen Brief im AchtUhr-Abendblatt erscheinen ließ, maß der Autor seinen Kritiker an dessen eigener Tätigkeit: „Dr. Alfred Dreifuß bekleidet schon seit bald 1 1/2 Jahren das Amt eines Dramaturge und Regisseurs, und man hätte mit Recht gerade von ihm, der in seiner Kritik so maßlose Strenge an den Tag legt, erwartet, daß er in seinem Wirkungsgebiet die Theaterzuhörer der Emigration mit Werken bekannt macht, die keine ,Privatschicksale' und keine uninteressanten, abseits liegenden Fragen zu beantworten versuchen." Siegelberg führte einige der von Dreifuß geleiteten Inszenierungen an und stellte rhetorische Fragen nach deren Gegenwartsbezug: „Soll vielleicht die nichtssagende und veraltete Posse Der Hochtourist, bei der Dr. Dreifuß selbst die Regie führte, den drängenden Fragen dieser Zeit Rechnung tragen? Oder ist die gräfliche Liebesaffäre in der Kleinen Komödie, für die Dr. Alfred Dreifuß gleichfalls als Regisseur zeichnete, etwa ein Ausschnitt aus den brennenden Problemen der Emigration und dieser Zeit? [.··] Wo bleibt hier die wegweisende Arbeit eines Dramaturgen, der doch immerhin berufen war, Stücke zu bringen, die den Menschen in der Emigration mehr sagen und mehr bedeuten als etwa Die Masken fallen und Fremde ErdeT' Auch wenn Die Masken fallen durch die Darstellung nationalsozialistischer Grausamkeit sich nachdrücklich gegen das „Dritte Reich" wandte und durch diese Schilderung auch Aufklärung über die Verbrechen leistete, lag dem Drama keine Faschismusanalyse zugrunde. Der Nationalsozialismus wurde beschrieben, aber nicht seine Ursachen dargestellt; gleichwohl wurde er in einem seiner zentralen ideologischen Elemente - dem Antisemitismus - widerlegt. Der Appell an die zwischenmenschliche Solidarität, die Konfliktbewältigung durch persönliche Verläßlichkeit, dürfte für das Shanghaier Publikum angemessener gewesen sein als die politische Analyse. Zur Uraufführung von Die Masken fallen hatte Günter Lenhardt geschrieben, „unsere Bühne würde ihren ethischen Ansprüchen nicht genügen, wollte sie es bei einer billigen Unterhaltung bewenden lassen" (Acht-Uhr-Abendblatt, 13. November 1940). Solche Stimmen waren indes vereinzelt. Die überwiegende Mehrzahl der Shanghaier Aufführungen waren trotz oder gerade wegen der problematischen Lebensbedingungen Komödien. 472

Exiltheater in Shanghai 1939 - 1947 Rundfunk, Film und Marionettentheater Während es für das Medium Film in Shanghai nur ein Beispiel für die Mitwirkung von Emigranten gibt, nahm der Rundfunk eine bedeutendere Stelle als Arbeitsmöglichkeit ein, wenngleich der Rundfunkbereich kaum als Ersatz-Tätigkeitsfeld wie in anderen Exilländern gesehen werden kann. Unter den rund dreißig an verschiedenen Sendern feststellbaren Mitwirkenden mit einem mehr oder weniger andauernden redaktionellen Engagement befanden sich nur sechs Theaterkünstler. Zahllose Vortragende aus dem künstlerischen Bereich wurden allerdings für einzelne Auftritte verpflichtet. Im Sommer 1940 wurden in Shanghai mehr als vierzig Rundfunksender betrieben, die Mehrzahl davon durch Chinesen. Die meisten Stationen hatten nur lokale Reichweite und waren kommerziell ausgerichtet - sogar größere chinesische Kaufhäuser verfügten über eigene (Reklame-)Sender. Eine rege Beteiligung von Emigranten läßt sich vor allem für die beiden Sender XMHA und XGDN ausmachen. Der Sender XMHA wurde von der amerikanischen National Broadcasting Corporation betrieben, die bereits im Frühjahr 1939 eine deutschsprachige Stunde einrichtete. Mit der Leitung des German Refugee Program wurde der damals erst 23jährige Horst Levin beauftragt. Ab dem 8. Mai 1939 veranstaltete Levin täglich eine Sendung, in der auch zahlreiche Emigrantenkünstlerinnen und -künstler auftraten. Die Bedeutung dieser Sendereihe gerade in den Anfangsmonaten der Emigration dürfte für die Schaffung eines Kommunikationsraumes einerseits sowie für die Selbstvergewisserung der Künstler andererseits groß gewesen sein. Das Programm konnte bis zum Beginn des Pazifikkrieges ausgestrahlt werden. Der britische Sender XGDN, nach Beginn des Zweiten Weltkrieges unter Aufsicht des britischen Generalkonsulates, richtete wie BBC London deutschsprachige Sendungen ein, die im Sinne alliierter Propaganda von Emigranten betrieben wurden. Der verantwortliche Redakteur war Peter Adam, der auch die Gründung einer FREIEN DEUTSCHEN BÜHNE initiierte, die unter der Leitung der Schauspielerin Eva Schwarcz antifaschistische Texte brachte. Zumindest zwei dieser Sendungen lassen sich dokumentieren. Im Oktober 1941 wurde ein Hörspiel nach Wolfgang Langhoffs Tatsachenbericht Die Moorsoldaten gebracht. Kurz vor diesem war ein anderes antifaschistisches Hörspiel gesendet worden, Wien, März 1938, das an Die Masken fallen erinnerte. Die Tätigkeit von Emigranten im Bereich des Films ist nur in einem Einzelfall dokumentiert, dem des Schauspielers und Filmregisseurs Jakob Julius Reck und seiner Frau Luise. Im März 1940 knüpften die Flecks Kontakte zur einheimischen Filmproduktion. Der chinesische Regisseur Fei Mu beauftragte die Flecks, für einen Film seines Studios die Regie zu übernehmen, in der Hoffnung, daß die Erfahrungen der Europäer das technische Niveau der Produktion heben könnten. Unter dem Titel Söhne und Töchter der Welt wurde der Film am 4. Oktober 1941 in Shanghai uraufgeführt - vermutlich der einzige Film, an dem Emigranten in Shanghai maßgeblich mitgewirkt haben. Für einen anderen Pionier des österreichischen Films läßt sich in Shanghai keine Filmtätigkeit nachweisen: Arthur Gottlein, der dort ein Marionettentheater aufbaute. Die erste Veranstaltung im Frühjahr 1942 war allerdings ein Mißerfolg, aus den Reihen der Emigranten fanden sich nur zwölf Zuschauer ein. Erst als Gottlein das Stück in englischer Sprache einstudierte, war die Resonanz größer, wurde das Puppentheater zu einer auch unter den Chinesen beliebten Einrichtung. Mit der Proklamation des Ghettos im Januar 1943 mußte das Marionettentheater seine Arbeit einstellen. 473

Michael Philipp Resonanz der Kulturarbeit - weitere Aktivitäten Daß ihre schauspielerischen Aktivitäten für die Künstlerinnen und Künstler einen enorm hohen Stellenwert besessen haben, braucht kaum weiter ausgeführt zu werden. Zumeist werden Idealismus, Spielfreude und der Wunsch nach künstlerischer Entfaltung die wesentlichen Motive für ein Engagement gewesen sein. Finanzielle Gründe waren sicherlich nicht ausschlaggebend, die Gagen dürften allenfalls einen kleinen Beitrag zum Lebensunterhalt ausgemacht haben. Den Rezensionen zufolge war die Aufnahme der Theateraufführungen und kabarettistischen Veranstaltungen unter den Emigranten sehr intensiv, die kulturellen Tätigkeiten nahmen einen wichtigen Platz in der Öffentlichkeit der Flüchtlinge ein. Vielleicht läßt sich sogar sagen, daß erst Theater und Kleinkunst - in Verbindung mit der Presse - eine Öffentlichkeit innerhalb der Emigrantengemeinschaft herstellten und zugleich ein bürgerlich-soziales Gefüge schufen. Fritz Friedländer bezeichnete eines der EJAS-Konzerte, einen Opernabend, als „ein gesellschaftliches Ereignis ersten Ranges", es erinnerte ihn „an die Premierenabende in Berlin und Wien. Ein festlich gestimmtes und gekleidetes Publikum füllte die herrlichen Räume des Masonic-Building, das den Emigranten aus Berlin in seiner innenarchitektonischen Ausstattung an das ehemalige Logenhaus in der Kleiststraße erinnerte" (Shanghai Jewish Chronicle, April 1941). Die Reminiszenz an Berlin offenbart ein grundsätzliches Dilemma des Shanghaier Exiltheaters: Das großstädtische Publikum hatte oftmals die bedeutendsten Inszenierungen und prominente Bühnenstars gesehen, mit denen sich die Shanghaier Aufführungen nicht im geringsten messen konnten. Für die Akzeptanz des Theaters außerhalb der Emigrantenschaft gibt es einige wenige Belege; die Außenwirkung auf musikalischem Gebiet war jedoch wesentlich ausgeprägter, was in der multinationalen Stadt Shanghai schon aus sprachlichen Gründen nahelag. Hatten die musikalischen Aktivitäten von Emigranten mit kleineren Engagements begonnen, nahmen die exilierten Musiker bald vielfach Anteil am musikalischen Leben Shanghais. Insbesondere bereicherten sie das Städtische Orchester, in dem bis zu 15 Musiker an zum Teil herausragender Stelle mitwirkten. Ein von C. M. Winternitz geleitetes Orchester spielte mit japanischen Künstlern, rege war auch die Zusammenarbeit mit Weißrussen. So dirigierte Henry Margolinski im Winter 1939/40 Opern- und Operettenaufführungen im Russian Club-Theatre, dessen musikalische Leitung er gemeinsam mit Leo Schönbach übernahm. Arthur Wolff wurde Korrepetitor beim Russian Ballet. Im Rahmen von Gastverträgen wurden emigrierte Sängerinnen und Sängern zu Aufführungen der ständigen RUSSIAN OPERA und der RUSSIAN LIGHT OPERA verpflichtet. Erwin Marcus arbeitete als Dirigent chinesischer Chöre. Im August 1944 wurden an das Chinese National Conservatory als Professoren für Gesang Max Warschauer und Josef Fruchter berufen. Zahlreiche emigrierte Musiker hatten einen größeren Kreis von Musikschülern. Die meisten Angehörigen des chinesischen Jugendensembles, das 1953 in der DDR gastierte, sollen Schüler der Emigranten in Shanghai gewesen sein - vielleicht das einzige Beispiel für kulturelle Nachwirkungen der Emigration in Shanghai, abgesehen von der Verbreitung wienerischer Küche und Kaffeehaustradition.

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Exiltheater in Shanghai 1939 -1947 Nach dem Pazifikkrieg Mit der japanischen Kapitulation am 10. August 1945 änderte sich die Situation für die Emigranten schlagartig. Zwar zogen die japanischen Truppen noch nicht aus Shanghai ab, aber sie übten keine Exekutivgewalt mehr aus. Die Beschränkungen der Freizügigkeit wurden sofort aufgehoben. Die Reorganisation eines öffentlichen Lebens der Emigranten in Shanghai dauerte bis einige Monate nach Beendigung des Pazifikkrieges. Ab Dezember 1945 finden sich wieder Hinweise auf kulturelle Veranstaltungen. Unter dem Titel D' Praterspatzen laden ein wurde für den 2. 12. 1945 ein „Wiener Abend" angekündigt. Als erste Theateraufführung nach Kriegsende wollten die SIEBEN SCHAUSPIELER am 22.Dezember das Lustspiel Tante Sali läßt sich scheiden bringen. Für das erste Halbjahr 1946 ist noch ein reichhaltiges Kulturleben der Emigranten dokumentiert, das quantitativ wohl die Ausmaße der Vorkriegszeit in Shanghai erreichte. Aus dem Frühjahr 1946 sind vor allem die zweite Aufführung von Die Masken fallen, die Uraufführung der Operette Sag' bist du mir gut und die Inszenierung der Dreigroschenoper hervorzuheben. Im April fand eine von der EJAS organisierte Aufführung der Fledermaus als Dankveranstaltung für die Chinesen und Alliierten statt. Für den Herbst 1946 sind nicht mehr viele Aktivitäten des Theaters nachzuweisen, nur die Lustspiele Der Garten Eden und Der Kowedchapper. Als „das letzte große künstlerische Ereignis der Emigration" wurde auf einem Plakat eine Veranstaltung angekündigt, bei der sich Kurt Lewin und Berthold Metis, „die Dichter der Emigration", am 15. Juli 1947 aus Shanghai verabschiedeten. Das Nachlassen der kulturellen Aktivitäten ab dem Sommer 1946 war vermutlich eine Folge der Hoffnung auf eine baldige Abreise aus Shanghai. Die Emigranten beschäftigte vor allem die Frage ihrer persönlichen Zukunft, während sie die Gegenwart nur noch als Übergangs- und Wartezeit empfanden. Mit dem Wissen um die bevorstehende und von allen ersehnte Auflösung der Emigrantengemeinschaft entfielen die grundsätzlichen Voraussetzungen eines Kulturlebens. Im Februar 1947 lief das erste Transportschiff mit österreichischen Remigranten aus, die meisten der Rückkehrwilligen fuhren am 25. Juli 1947 mit einem amerikanischen Truppentransportschiff nach Neapel. Von den rund 650 Passagieren, nur etwa vier Prozent der Shanghai-Emigranten, gingen 258 in die damalige sowjetisch besetzte Zone bzw. den Ostteil Berlins, 244 in die Westzonen bzw. die Westsektoren Berlins und 144 nach Österreich. Der größte Teil der Emigranten kehrte nicht nach Europa zurück; die meisten übersiedelten nach Australien, Palästina oder in die Vereinigten Staaten. Die meisten Emigranten hatten von Anfang an gewünscht, Shanghai zu verlassen. Die durch die politischen Entwicklungen in China erzwungene Ausreise nahezu aller Europäer führte dazu, daß selbst in den wenigen Fällen, wo eine kulturelle Assimilation beabsichtigt worden war, diese nicht realisiert werden konnte. Das Shanghaier Exiltheater kann, von lokalen Spezifika - wie der ausdrücklichen Anknüpfung an den Jüdischen Kulturbund zwischen 1933 und 1941 - abgesehen, mit seinen Diskussionen, seiner eigenen Dramatik, seinen kaum überwindlichen praktischen Schwierigkeiten und seinen gescheiterten und gelungenen Bemühungen als repräsentativ für diese kulturelle Erscheinungsform des Exils gelten. Ein wesentlicher Unterschied zu vielen Theaterinitiativen in anderen Exilländern besteht allerdings im Selbstverständnis: Sahen sich die exilierten Theaterkünstlerinnen und -künstler in anderen Ländern oftmals als aktive Antifaschisten, ihre Kulturarbeit als Beitrag zum Kampf gegen den Na475

Michael Philipp tionalsozialismus und für Freiheit und Demokratie, so fehlte dieser fundamentale Ansatz in Shanghai weitgehend - mit wenigen Ausnahmen in personeller wie inhaltlicher Hinsicht. Daß in den meisten Ländern dennoch mehr „Theater ohne Hitler" statt „Theater gegen Hitler" (Hansjörg Schneider) gemacht wurde, verbindet die Shanghaier Kulturaktivitäten wiederum mit denen anderer Exilbühnen. Das Shanghaier Theater war (klein-) bürgerliches Unterhaltungstheater, Stücke mit literarischem Anspruch waren auf dem Spielplan eher selten zu finden. Aus den besonderen Gegebenheiten des Exils in Shanghai erklärt sich, daß das Exiltheater keine Auswirkungen auf das Asylland hatte, ebenso daß keine Impulse auf das Theater im Nachkriegsdeutschland oder in Österreich ausstrahlten. Seine entscheidende Bedeutung - und beachtliche Leistung - liegt darin, in einer fremden, weitgehend sogar bedrohlichen Umgebung den Künstlerinnen und Künstlern die Möglichkeit individueller Selbstbehauptung gegeben zu haben. Zugleich wurde ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur sozialen und kulturellen Identität aller Emigranten geleistet. Vor diesem Hintergrund bleibt die Frage nach dem literarischen Anspruch des Spielplans sekundär.

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Personenregister Abraham, Paul 113,117,128 Abraham, Pierre 204 Abramowicz, Mieczyslaw 257 Abramowitsch, Ruth 246 Abusch, Alexander 425, 426,429, 431,433 Achard, Marcel 197 Adam, Peter 473 Adam, Ursula 342 Adler, Anna s. Christa Bühler Adler, Bruno 362 Adler, Friedrich 334 Adler, Hermann 313 Adler, Kurt 313 Adolphson, Edvin 335 Afinogenow, Alexander 300, 305 Agate, James 354 Ahnert, Charlotte s. Charlotte Wallburg Ahrendt, Kurt 289,299,311 Albach, Ben 219 Albers, Hans 124, 266, 326 Alejchem, Scholem 90, 93, 149, 150, 257 Alemann, Ernsto F. 440, 444, 445 Alexander, Georg 40 Alin, Konstantin (Ali Weiss) 297, 298, 307 Allers, Franz 451 Allner, Ewald 206 Almas, Josef 174, 176, 191, 296, 354, 357 Alpar, Gitta 113 Alsberg, Max 106, 114, 162, 177 Alster, Raoul 159 Altenberger, Kaspar s. Leo Reuß Altendorf, Erich H. 123 Altermann, Nathan 386 Altmann, Georg 412 Altmann, Hans 49, 199, 205, 208, 209, 212, 216, 217 Alverdes, Paul 14 Amann, Klaus 154 Amihai, Yehuda 388

Amrein, Ursula 281 Anders, Peter 69 Andersch, Alfred 62 Andersen, Hans Christian 325 Andersen, Irmgard 221 Andersen Nexö, Martin 167, 323 Andersson, Carl-Albert 335 Andor, Paul s. Wolfgang Zilzer Andreasen, Dagmar 323,324 Andrejew, Andrej 352 Andrejew, Leonid 133 Andrzejewski, M. 254 Anger, Ludwig Josef 132 Anouilh, Jean 196 Anzengruber, Ludwig 210 Appen, Karl von 28 Appollinaire, Guillaume 196 Arbusow, Alexej 300 Ardrey, Robert 448 Aristophanes 134,139,185 Arndt, Jacques 135, 240, 242, 243,450 Arno, Bruno 444,448, 452 Arno, Siegfried 236 Arnold, Franz 113, 117,118, 239, 448 Arpe, Verner 331 Artaria, Paul 264 Artaud, Antonin 196 Asch, Schalom 257,466 Aschberg, Olof 295 Aschenbach, Kitty 206 Ashcroft, Peggy 408 Askin, Leo (Leon Askenasy) 3,127, 130, 131, 141, 211, 212, 213, 214, 245, 418,419 Asther, Nils 351 Atatürk, Kemal 52, 365 Atkinson, Brooks 402,415 Atlasz, Rita 256 Attenhoffer, Elise 275 Auden, Wystan H. 277,407,413 Auerbach, Erich 365 Auerbach, Eugen 181 Auernheimer, Raoul 398

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Aufricht, Ernst Josef Aufricht, Ernst Josef 198, 203, 204 August, Wolf-Eberhard 21, 40, 78 Aurich, Otto 232, 233 Ayalti, Hanan J. 449 Baade, Fritz 365 Baar, Jozef 221, 224, 232 Bab, Julius 32, 33, 81, 82, 89, 94, 247, 259, 419, 448, 449, 450 Bach, David 101 Bach, Ernst 113,117,239 Bach, Johann Sebastian 240, 328, 448 Bach, Margarete 146 Bach, Peter 213 Bach, Rudi 217 Bachheimer, Theo 126 Bachmann, Dieter 287, 288 Bacmeister, Ernst 18, 23 Badenhausen, Peter 55 Badia, Gilbert 218 Bäck, Grete 159 Baeck, Leo 82, 93 Baer, Rudolf 450 Bärwald, Therese 215 Bahr, Gisela E. 25 Bahr, Hermann 206 Balanchine, Georges 203 Balk, Theodor 432 Balledux, Pierre 222 Baiser, Ewald 110,111 Balter, Max 240 Balthoff, Alfred 34,94 Bamberger, Rudolf 236 Bancroft, Anne 420 Barbusse, Henri 195 Baring, Alfred 135 Baring, Else 135 Barlach, Ernst 8, 430 Barlog, Boleslaw 67 Barnay, Ludwig 173 Barnay, Paul 20, 132, 173, 174, 263 Barnet, Boris 294 Barnowsky, Viktor 121, 418,419, 420 Barrie, James M. 345 Barrymore, John 403 492

Barsony, Rosy 127 Bartels, Adolf 429 Barthel, Kurt s. Kuba, Barthou, Louis 193 Bäsch, Felix 416 Bäsch, Irene 175 Bassermann, Albert 9, 10, 51, 102, 113, 114, 115, 116, 118, 120, 127, 152, 162, 175, 177, 206, 210, 211, 226, 236, 262, 266, 271, 286, 400, 403, 409, 418, 419, 420 Bassermann, Alfred 144 Bassermann, Else 103, 106, 114, 115, 116, 118, 152, 162, 175, 177, 210, 403, 418, 419 Basson, Robert 215 Batdori, Schulamit 248 Bauer, Anton 112 Bauer, Otto 99 Bauer, Ruth 125 Baum, Vicki 164 Baumann, Hans 175 Baumann, Kurt 32, 81, 82 Baumann, Max 254, 255 Baumbach, Felix 206 Baumgartner, Karl 135 Β ayerdörfer, Hans-Peter 151 Becher, Johannes R. 60, 183,197, 245, 303, 316, 334, 358, 424, 427, 428 Beck, Miroslav 192 Becker, Anatol 295, 307 Becker, Maria 262, 267, 282 Beckett, Samuel 394 Beckmann, Max 219 Beda-Löhner, Fritz 29 Bedny, Demjan 297 Beecham, Thomas 355 Beer, Imre 314 Beer, Rudolf 111, 112, 113, 125, 135, 137, 146 Beer-Hofmann, Richard 335 Beethoven, Ludwig van 90, 327, 329, 334 Behr, Walter 61 Behrman, S. N. 400,408,413 Behse, Ursula 394

Björnson, Bjömstjerne Bekessy, Stefan 361 Bei Geddes, Norman 412 B61a, Dajos 220 Belafonte, Harry 412 Ben-Gavriel, Μ. Y. 383 Ben-Gavriel, Miriam 383, 384, 386 Ben Gurion, David 382 Benatzky, Ralph 127, 348 Benavente, Jacinto 94 Bender, Hans 58 Benedek, Jula 150 Benedetti, Aldo de 93 Benedix, Roderich 399 Benes, Edvard 157, 160, 161, 168,190 Benjamin, Walter 44 Benz, Wolfgang 30, 34, 53,78, 95 Bera, Mizzi 213 Beran, Rudolf 190 Beregi, Oscar jun. 450 Berend-Groa, Ilse 290, 291, 292, 300, 303, 304 Berendsohn, Walter A. 330 Berent, Günther 254, 256 Berg, Alban 60,276 Berg, Armin 49,415 Berg, Jimmy 49 Berger, Albert 154 Berger, Alexander 450 Berger, Hedda 134,135 Berger, Ludwig 219,228,231,233, 234,354 Berger, Maria 350 Berghaus, Günter 352, 364 Berghof, Herbert 113, 124, 127, 130, 131, 134, 141, 143, 207, 296, 399,400, 415,420 Berghof, Uta 420 Bergmann, Erich 238, 240 Bergmann, Hugo 389 Bergmann, Ingrid 417 Bergmeier, Horst J. P. 229, 234 Bergner, Elisabeth 9, 35, 41, 51,197, 268, 294, 344, 345, 350, 391, 399,401, 403,404,405,406, 407, 408, 420 Berlau, Ruth 323, 324, 326 Berlin, Irving 415

Berlin, Samuel 380 Berliner, Alfred (s. Alfred Β althoff) Berliner, Trade 225 Berlioz, Hector 94 Bernadotte, Graf Folke 333 Bernard, Jean-Jacques 201 Bernauer, Emmerich 224 Bernauer, Rudolf 157, 164, 224, 350, 351, 352, 358, 363 Bernelle, Agnes 358 Bernhard, Georg 201,207 Bernhardt, Sarah 405 Bernhardt-Brixel, Harald 330, 333 Bernstein, Henri 89, 93, 150 Bernstein, Otto 39 Berossi, Viktor s. O. Teller, V. Schlesinger Bersarin, Nikolaj 65, 314 Berte, Heinrich 240 Bertheau, Julien 204 Bethge, Friedrich 23 Bettac, Ulrich 152 Bettauer, Hugo 350 Betz, Albrecht 195,218 Beumelburg, Werner 14 Beyerlein, Franz Adam 239 Bialik, Chaim Nachman 390 Biberti, Leopold 18,264 Bickner, Maria 134 Bieber, Leo 175,188, 189, 191, 295, 303, 304 Bildt, Paul Hermann 15,26,40,63, 68, 72 Bill, Friedrich 165,191 Billinger, Richard 15,16, 67, 68 Binder, Sybille 77, 207,265, 348,364 Bing, Antigone 386 Bing, Benno 386 Bing, Rudolf 355, 356,421 Birnbaum, Uriel 148 Birsinger, Elisabeth 261, 262 Bisson, Alexander 114 Bistritzky, Nathan 145, 389,449 Bittner, Georg 240, 242 Bittner, Grete 240 Björnson, Bjömstjerne 252 493

Β lachstein, Peter Blachstein, Peter 338 Blaschitz, Edith 455 Blattner, Ludwig 350 Blaustein, Maxim 206 Blech, Hans Christian 76 Blech, Leo 443 Bleibtreu, Hedwig 172 Bloch, Ernest 93 Bloch, Jean-Richard 195, 197 Blom, Paul 234 Blomberg, Werner von 18 Blubacher, Thomas 268, 269,271,272 Blum, Albert Viktor 423, 425, 426, 427, 430,431,432, 434 Blum, Leon 194 Blum, Maria 132 Blum, Robert 210,211 Blumenthal, Oscar 115, 239 Bodan, Karl 460,469 Bodek, Klaus 427 Bodenwieser, Gertrud 454 Bodson, Victor 242 Bönsch, Franz (Franz Hartl) 359, 360 Bohn, Hans (John E. Bonn) 399 Bois, Curt 113,122,162,418 Bois, Ilse 415 Bonatz, Paul 375 Bonyi, Adorjan von 127 Bool, Flip 234 Boothe-Luce, Ciaire 403,417 Borchert, Wolfgang 410 Borg, Trade 212 Bossi, Renzo 93 Botz, Gerhard 144 Bourdet, Edourd 197 Braak, Menno ter 222, 223 Brady, Hugo 137 Brahm, Gertrud 392 Brahm, Hans (John) 350, 392 Brahm, Ludwig 392, Brahm, Otto 146, 392 Brahms, Johannes 274 Brand, Hermann 274 Brand, Matthias 35 Brandhofer, Kaspar s. Leo Reuß Brando, Marlon 412 494

Brandt, Dora 136 Brandt, Michael (Weichert) 248, 249 Brandt-Bukofzer, Max 467 Brantner, Ignaz 108 Brasch, Martin 94 Braun, Alfred 270, 367, 368, 371, 373, 375 Braun, Georg 240, 242, 243, 453 Brecht, Bertolt 7, 8, 11, 12, 14, 15, 17, 23, 24, 25, 27, 47, 50, 55, 59, 60, 71, 72, 73, 75, 76, 77, 78, 137, 162, 167, 176, 183, 185, 188, 195, 196, 198, 200, 202, 203, 204, 208, 209, 214, 217, 222, 227, 245, 247, 252, 269, 275, 281, 282, 283, 284, 286, 287, 292, 297, 298, 304, 305, 307, 311, 312, 316, 322, 323, 324, 325, 326,329,332, 334, 336,337, 338,339, 349, 350, 351, 352, 354, 357, 360, 378, 379, 381, 388, 390, 401, 406, 407, 408, 413,418,424, 428, 429,449 Brecka, Hans 101,141 Bredel, Willi 14 Brehm, Bruno 153 Breslauer, Siegmund 442 Bressart, Felix 113, 114, 118, 127, 214, 246, 418 Breton, Andr6 196 Breuer, Adolf 460,465,468 Breuer, Kurt 131 Breuer, Robert 199,208,210, 211,216 Bridie, James 352, 353 Brod, Fritta 163, 174,185, 186,188, Brod, Max 158, 162, 164, 167,190, 191, 381,388,389, 391 Broder, Henrik M. 95 Brodsky, Nikolaus 113 Bronnen, Arnolt 8 Brotzen, Heinz 393 Brown, Albert Η. E. 413 Brown, Martin 135 Bruck, Karl 238 Bruckner, Ferdinand 8, 23, 50, 149, 162, 163, 164, 198, 200, 201, 202, 203, 205, 207, 217, 247, 265, 266, 275, 348, 361, 370, 404, 411, 413, 418, 424, 431, 432, 441,449,466

Cramer, Walter

Brückl-Zehetner, Heidemarie 100 Bruna, Herbert 159 Brunn, Frederick 351 Brunnhauser, M. 428 Brusse, Marie J. 224 Bry, Curt 130, 132, 222 Buber, Martin 82, 389 Buch, Fritz Peter 370 Buch, Peter 399 Buchsbaum, Max 393 Buckwitz, Harry 55 Budzinski, Klaus 181 Büchner, Georg 281,284,298,337, 381, 424, 429, 430, 432 Bühler, Christa (d.i. Anna Adler) 175, 178,185,186 Bühler, Karl 454 Bührer, Jakob 284 Bulgakov, Leo 402 Bulthuis, Rico 224 Bunge, Hans 75 Bunzl, Josef 185 Burckhardt, Jacob 57 Burg, Eugen 39 Burger, Hanus (Hans) 178, 180, 185, 186 Burghardt, Max 28 Burian, Emil Frantisek 133, 167,178, 180 Burkhard, Paul 283 Bus-Fekete, Ladislaus 115 Busch, Adolf 356 Busch, Ernst 9, 28, 47, 63, 106, 167, 209/210, 225, 226, 227, 233, 278, 296, 311,312,313 Busch, Eva 224 Busch, Fritz 52, 74, 158, 355, 356, 370, 440,451 Busch, Lydia Busse, Sylta 297, 300 Buxbaum, Max 393 Campendonck, Heinrich Canaris, Wilhelm 34 Canetti, Elias 133

219

Canova, Mahir 374 Cantor, Eddie 415 Cantor, Jetty 232 Capek, Josef 191 Capek, Karel 158,164,167,169,175, 176, 187,190, 210, 345,450 Carlsen, Traute 123 Carmiggelt, Simon 222 Carpenter, Edward Childs 252 Caspar, Horst 27, 40, 68, 69, 76, 77 Cavalcanti, Alberto 347 Cave, Renee 204 Cederlund, Morten 148 Chamberlain, Arthur Neville 189 Chapman, John 409 Charell, Erik 10, 344, 348, 352 Chatel, Brigitte 423,434 Chevalier, Maurice 212 Chmelnitzky, Wilhelm s. William W. Melnitz Christians, Mady 52, 399, 400, 403, 404, 405 Christie, John 52, 355 Ciesielski, Zenon 252 Clair, Ren6,196 Clarke, Alan 357,364 Claudel, Paul 24,134,196,197 Cochran, Charles B. 345 Cocteau, Jean 24, 112, 196, 197, 203, 398 Cohen-Portheim, Paul 12 Cohn, Benno 89, 94 Cohn, Emil Bernhard 256 Collmäry s. Fritz Freund-Collmäry Colpet, Max 132, 213 Condell, Heinz 413 Conradi, Inge 137 Constantin, Leopoldine 236 Copeau, Jacques 202 Copland, Aaron 414 Cornell, Katherine 400,401 Cosma, Joe 216 Courant, Curt 350 Courteline, Georges 432 Coward, Noel 343, 345, 346, 348 Cramer, Walter 185, 186 495

Cremers, Paul Joseph Cremers, Paul Joseph 23 Cros, Francis 201 Csokor, Franz Theodor 109, 133, 246, 275 Cummings, Constance 353 Cuijel, Hans 275, 286 Curth, Egon 123, 137 Curtis, Tony 412 Czempin, Arnold 389 Czettel, Ladislaus 412 Czinner, Paul 35, 344, 350, 406, 407 Dacosta, Raphael 391 Dähnhardt, Willy 338 Dahlke, Paul 9 Dahm, Volker 38, 95 Daiber, Hans 53, 55,78 Daladier, Edouard 189 Dalberg, Niels 148 Dalinger, Brigitte 147, 150, 151 Damerius, Helmut 49, 289, 294, 297, 311 Danegger, Mathilde 278, 281, 282, 283, 285 Danszky, Hanna 450 Darcy, Jean 215 Darland, Gustav 336 Darvas, Lili 52, 152, 400,403, 404, 419 Daus, Adolf 213 David, Fritz 306 David, Hans Walter 308, 309, 310 David, Izak 384 David, Li 308,309,310 Davids, Henriette 231 Davids, Louis 221, 223 Dawidowicz, Lucy S. 34, 78 Dawurin, A. 307 Debüser, Lola 314 Deltgen, Ren6 236 Demel, Paul 162, 175, 185, 188, 191 D6nes, Oskar 127,128 Denger, Fred 68 Deniaud, Yves 215 Dessau, Paul 283 496

Deutsch, Ernst 51, 102,114, 115, 143, 152,157, 162, 163, 175, 191, 197, 210, 211, 226, 236, 265, 344, 351, 400,403, 408,409,418, 419, 420, 434, 450 Deutsch, Franz 134 Deutsch, Julius 99 Deval, Jacques 197 Diament, Heinrich 293 Dickstein, Leopold 147 Diebold, Bernhard 8, 260 Dieterle, Wilhelm 397, 412, 418 Dietrich, Marlene 351, 416 Diez, Fritz 172, 275, 285 Diez, Martha 285 Diezel, Peter 4, 44, 289, 295, 297, 299, 302, 304, 307, 313, 317 Dimitroff, Georgi 310,311 Diora, Olga 206 Dirk, Jan s. Hermann Greid Dittmann (-Wolff), Dora 289, 290, 300, 311 Dittrich, Kathinka 226, 228, 234 Döblin, Alfred 61 Döring, Rudolf 159,175 Dohnanyi, Ernst von 328 Doli, Jürgen 154 Dollfuß, Engelbert 97,98, 99,100, Domarus, Max 13,21 Domburg, Van 228 Donadt, Hanns 251, 252, 253 Donath, Ludwig 121,123, 127, 398,417 Donizetti, Gaetano 356 Donskoi, Mark 312 Dorell, Alice 39,224,233 Dorm, Rene 212 Dorsay, Robert 28 Dorsch, Käthe 9, 68, 75, 262 Dostal, Karel 167, 169 Doswald, Cornel 280 Douer, Alisa 455 Dove, Richard 414 Drach, Hans 183,300,301,309 Dreifuß, Alfred 421, 460, 462,463, 464, 466, 467, 470, 471, 472,476 Drewniak, Boguslaw 245, 246, 249 Druten, John van 400

Fein, Walter

Dudow, Slatan 47, 48, 198, 209, 210, 217, 324 Dürrenmatt, Friedrich 286, 287, 394 Duj ardin, Edouard 195 Dukes, Ashley 149, 343, 350, 351, 352, 353 Dulitskaya, Hilda 394 Dumont, Herve 262, 268, 287 Dunzinger, Christian 101, 103 Dur, Poldi 417 Durieux, Tilla 106, 114, 145, 157, 162, 163, 164, 175, 177, 210, 211, 226, 236, 246 Durra, Alfred 206 Dursunoglu, Cevat 368, 370 Duschinsky, Richard 115, 175, 359 Duschy, Ernst 175 Duse, Eleonara 405 Dussel, Konrad 59 Duty, Hilde 307 Dwerthon, Conrad 123, 124 Dwinger, Erwin Erich 14 Dymow, Ossip 86, 133, 148,149, 252 Eberhard, Walter 238, 240, 241, 242, 243, 443 Ebert, Carl 20, 25, 52, 53, 110, 269, 273, 278, 279, 349, 355, 367, 368, 370, 371, 372, 373, 374, 375,412, 420,440 Ebert, Gerti 440 Ebinger, Blandine 98 Eckhard, Dietrich 18, 23 Eckhardt, Fritz 131 Eder, Angela 126, 128, 152 Eger, Paul 162 Eger, Rudolf 164 Ehrlich, Arthur s. Arthur Hellmer Ehrlich, Max 37, 39, 49, 86, 92, 93, 106, 221, 225, 232, 233, 256 Eichendorff, Josef von 136, 362 Eicher, Thomas 23, 56, 78 Einstein, Albert 377 Einzig, Mathilde 394 Eisenstein, Sergej 290 Eisinger, Irene 122

Eisler, Hanns 75, 76, 167, 227, 297, 312, 324, 327, 329, 334, 351 Eisler, Heidi 452 Eisler, Martin 134 Elber, Luise 206 Ellmar, Paul 205 Elmar, Erich 212 Elmhirst, Leonard 356 Eloesser, Arthur 82, 88 Engberg, Harald 323, 325, 339 Engel, Erich (Dirigent) 440 Engel, Erich (Regisseur) 9, 56, 57, 58, 63, 72, 75 Engel, Erwin 460,467 Engel, Franz 39, 217, 232, 233 Engel, Walter 131,415 Ennas, August 325 Epp, Elisabeth s. Elisabeth Eschbaum Epp, Leon 134, 153, 154, 243 Eppel, Peter 398 Erdmann, Boris 297 Ernst, Anni 450 Ernst, Paul 18, 23 Ernsting, Frank H. 455 Erpenbeck, Fritz 49,60,177,179 Eschbaum, Elisabeth 134,154,238, 240, 242, 243 Esmond, Carl 417 Esslin, Martin 362 Euripides 139 Evans, Maurice 404 Eybner, Richard 152 Faber, Lilly 216 Faktor, Emil 164, 190 Falckenberg, Otto 8, 16, 20, 275 Fanta, Theodor 208 Farkas, Karl 49, 118, 123, 127, 129, 130, 154, 221, 224, 399, 415 Feher, Friedrich 351 Fehling, Jürgen 9, 16, 26, 27, 30, 56, 57, 58, 64,65,66, 70, 345 Fehrmann, H. 308 Feibelmann, Therese 431 Fein, Walter 224 497

Feinberg, Arndt

Feinberg, Arndt 364 Feistmann, Rudolf 424, 432, 434 Feld, Fritz 416 Feldhammer, Jakob 105 Feldmar, Emil 174, 186 Felsenstein, Walter 40, 58, 67, 72 Felsmann, Barbara 234 Ferber, Edna 415 Feschel, Heinz 228 Fetter, G. 106,116 Fetting, Hugo 37, 146, 234 Feuchtwanger, Lion 105,149, 162, 168, 198,245,312, 350, 382,420 Fiedler, Erich 40 Finck, Werner 221 Finke, Fidelio F. 162 Finkel, Shimon 387 Firner, Irma 144 Firner, Walter 104, 107, 109, 112, 124, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144,150, 151, 418 Fischer, Adolf 297 Fischer, Betty 236, 237 Fischer, Emil 256 Fischer, Heinrich 173, 191, 357 Fischer, Hertha 328 Fischer, Max 212 Fischer, Otakar 158, 167, 189 Flandrak, Fritz 139 Flatow, Harry 134 Fleck, Jakob 460, 473 Fleck, Luise 460, 473 Flickenschild, Elisabeth 77 Flohr, Lily 460 Florath, Albert 15 Florian, Werner 209, 215 Flygare-Stenhammar, Anna 338 Fodor, Ladislaus 383 Fogarasi, Belä 304 Fogarasi, Ilse s. Ilse Berend-Groa Fontana, Oskar Maurus 125,138 Forster, Rudolf 236, 417 Föthy, Elisabeth 159 Fournes, Luisrose 294, 298, 300, 314 Frankel, Benno D. 61,379,380,381, 383,384, 385

498

Frankel, Heinrich 445,450 Franck, Paul 239 Franck, Walter 15, 26,55 Frango s. Franz Goldstein Frank, Amy (d.i. Emmy Richter) 52, 163, 188, 189, 191, 295, 303, 308, 309, 347, 363 Frank, Benno D. s. Benno Fränkel Frank, Bruno 88,164, 198, 204, 206, 252, 343, 345, 352, 353, 384, 398, 446, 448 Frank, Leonhard 89,162,164,206, 260, 265 Frank, Lisi 232, 233 Frank, Rudolf 275 Frank, Ruth 178 Franke, Ingeborg 294, 298 Franken, Rose 400, 404 Franzos, Karl Emil 256 Fräser, Georg s. Hermann Zeiz Freeden, Herbert 3, 32, 33, 81, 95 Freedman, Florence 344 Frei, Bruno 428,430,431,432,433 Freud, Sigmund 359, 377 Freund, Erich 49, 177, 180, 185, 186, 188,189,191,357, 358, 363 Freund, Nina 191 Freund-Collmäry, Fritz 177 Frey, Erik 152 Fried, Oskar 313 Friedländer, Fritz 464, 474 Friedländer, Harry 468 Friedländer, Otto 327 Friedmann, Hersch 466 Friedmann, Walter 460,463,464,465 Friedrich, Evy 236 Frisch, Max 286, 287, 388 Frisch-Gerlach, Theo 131,134, 135 Fröhlich, Gustav 54,113 Fruchter, Josef 474 Fuchs, Albert 360 Fuchs, Olga s. Olga Malzmann-Fuchs Fuchs, Rudolf 191 Fucik, Julius 158 Flinten, Ferdinand aus der Fürnberg, Louis 184,185,191

Gordon, Paul Fürst, Manfred 211 Fürth, Hans 185,186, 191 Fuhrich, Edda 99, 153, 421 Fulda, Ludwig 93 Fuller, Sam 417 Furlan, Wilhelm 131 Furtwängler, Wilhelm 276, 368, 369 Gallinger, Hermann 20 Galsworthy, John 140, 464 Ganghofer, Ludwig Ganther, Heinz 216 Ganz, Fedor 205 Ganzert, Albert s. Awrum Albert Haibert Garbo, Greta 417,426 Gauty, Lys 212 Gebauer, Olly 213 Gebhardt, Hermann P. 3, 452,455 Gehlen, Fritz 449 Geiger-Torel, Hermann 450 Geis, Manfred 384, 391, 392 Geisel, Eike 95 Gelbart 215 Gelder, Max van 233 Gellner, Julius 52, 158, 162, 163, 164, 191, 347, 353, 362, 363, 374, 388 Gemmeker, Konrad 38, 232 Genschow, Fritz 15 George, Heinrich 9, 22, 27, 65, 66, 260, 270 George, Stefan 270 Gerron, Kurt 36, 37, 39, 49, 106, 117, 214, 224, 228, 229, 232, 233, 234 Gerson, Dora 39, 221, 222, 233 Gerstman, Felix 403,418, 419 Gert, Valeska 187,415 Gertz, Jenny 186 Geschonneck, Erwin 29, 30, 183, 184, 188, 189, 245, 294, 300, 302, 303, 304 Geßner, Adrienne 152, 398, 400, 402 Geyer, Emil 120,150 Geyer, Siegfried 399, 464 Gibney, Sheridan 400 Gide, Andre 24,195

Giehse, Therese 42,49,73,76,181, 182, 238, 262, 273, 277,283, 285, 286, 287,414 Gielen, Josef 110,153,440 Gielgud, John 348, 353, 408 Gigli, Benjamin 440 Gilzmer, Mechtild 218 Ginsberg, Ernst 9,20,42, 61,73, 106, 259, 263, 265, 267, 280, 282, 285, 286, 287 Giraudoux, Jean 24,143,164, 196, 197 Glaeser, Günter 47, 209 Glowinski, Hersch 257, 258 Gluck, Christoph Willibald 380 Glücksmann, Joseph 75,139 Gmeyner, Anna 291 Goebbels, Joseph 13,17,18, 20,21,22, 27, 28, 30, 32, 39,40, 53, 54, 57, 60, 63, 72, 73,102, 107, 152, 158, 179, 230, 264, 270, 271, 369, 418 Göring, Emmy (geb. Emmy Sonnemann) 63 Göring, Herrmann 18, 26, 32, 54, 57, 72,312,387,389 Gösch, Erwin s. Geschonneck Goethe, Johann Wolfgang von 13, 67, 77, 86, 89, 240, 241, 297, 298, 329, 334, 358, 374, 377,405, 419,424, 448 Goetz, Curt 206, 256, 358, 361, 383, 394, 400, 416, 448, 463 Goetz, Theo 420 Gog, Gregor 311 Gogol, Nikolai 38, 133, 374 Gold, Njusja 257 Goldberg, Heinz 312 Golding, Louis 350 Goldoni, Carlo 93, 134, 225, 374, 390 Goldsmith, Isadore 350 Goldstein, Chaja 221, 222, 246 Goldstein, Franz (Frango) 391 Golinkin, Mordechai 379, 380 Golz, Arnold 398 Golz, Emil 398 Gontard, Gert von 418,419/420 Gordin, Jakob 94,466 Gordon, Paul 211 499

Goring, Marius

Goring, Marius 345 Gorki, Maxim 74, 116, 133, 176, 211, 285, 290, 293, 304, 406,448 Goslar, Lotte 181, 182, 187, 233, 238, 277, 415 Gottesfeld 258 Gottfurcht, Fritz 49, 357 Gottgetreu, Erich 3, 377 Gotthelf, Dela 380, 381 Gottlein, Alfred 460,473 Gottlieb, Vaclav 169 Gottschalk, Joachim 40 Gough-Yates, Kevin 352, 364 Gounod, Charles 240 Gozzi, Carlo 139 Grabbe, Christian Dietrich 24, 123 Grabova, Hedda 39 Graetz, Paul 51, 344, 350 Grätzer, Wilhelm 146 Graf, Herbert 185, 412,420 Graf, Oskar Maria 60, 332 Graff, Sigmund 15, 16, 22, 253 Granach, Alexander 9, 15, 20, 26,123, 245, 248, 249, 296, 311, 312, 418 Grand, Gloria 186 Granichstaedten, Bruno 236 Gray, Allan s. Josef Zmigrod Greenbaum, Mutz 352 Greene, Graham 351 Gregor, Nora 450 Gregori, Ferdinand 174, 394, 443 Greid, Hermann 295, 296, 299, 301, 302, 328, 329, 330, 332, 333, 335, 336, 337 Greif, Heinrich 15, 68, 69, 70, 78, 265, 294, 299,311,312,313 Gretler, Heinrich 20, 167, 260, 264, 272, 278, 279, 280, 281, 285, 286 Gretry, Ande Erneste M. 93 Griensteidl, Monika 130 Griffith, David W. 350 Griffith, Hubert 353 Grillparzer, Franz 116, 140, 141, 206, 334, 448 Gromulat, Albert 428, 433 Gronemann, Sammy 149, 386, 389 500

Gropius, Walter 356 Großmann, Stefan 105 Grube, Max 172 Gruber, Esther 258 Grün, Bernhard 355 Grün, Desiderius 460, 467 Grün, Walter 245 Grünbaum, Fritz 36, 37, 123,129, 130, 221,233 Grünbaum, Herbert (Tuvia) 390, 393 Grünberg, Max 177 Gründgens, Gustaf 9, 25, 27, 28, 34, 53, 54,55,56, 57, 58, 63,65,68,69, 70,77, 78, 123, 206 Grüning, Ilka 211 Grünne, Fritz 94, 135 Grünwald, Alfred 113 Grüne, Karl 344, 350, 351 Grynspan, Herschel 92 Günther, Friedrich 177 Günther, Johannes 18 Günther, Oskar 463 Guerrero, Xavier 428 Guilbert, Yvette 203, 212 Guisan, Henri 282 Guitry, Sascha 197 Gußmann, Walter 163,185 Guth, Hella 178,231 Guth, Robert 134 Gutherz, Harald Peter 130 Guthrie, Tyrone 347 Gutmann, Marie 141, 142 Gutzkow, Karl 150 Gynt, Walter 206 Gyulai, Ferovy 178

Haarmann, Hermann 306, 317 Haas, Dolly 350,351,418 Haas, Hugo 212 Haase, Friedrich 397 Hächa, Emil 190 Hacker, Siegfried 146 Händel, Georg Friedrich 240, 355 Haeften, Gerrit von 272 Haenel, Günther 153

Hermsdorf, Klaus Haeussermann, Ernst 76 Hagen, Julius 350 Hagen, Uta 419,420 Hahlo, Julius 361 Hahn, Richard 430 Haid, Liane 246 Haider-Pregler, Hilde 4, 42, 97, 119, 151, 152, 153, 154, 287 Halbe, Max 206, 352 Haibert, Awrum Albert 148, 149 Hal6vy, Mosche 207, 378, 379, 381 Haller, Hermann 10 Halpern, Josef 450 Hameiri, Avigdor 383, 386 Hammer, Werner 453 Hammerschlag, Peter 130, 131,139 Hammerstein, Edith 450 Hans, Jan 455 Hansen, Max 127, 335 Hansson, Per-Albin 336 Harding, William 450 Hardt, Ludwig 86 Hardy, Lo 350 Harich, Wolfgang 64, 67, 69 Harlan, Veit 15, 22, 28, 40, 270, 368 Harlan, Walter 22 Harnack, Arvid 27 Harrison, Rex 352 Hart, Ferdinand 160, 163, 207 Hartl, Franz s. Franz Bönsch Hartmann, Ernst 238, 240, 241, 242, 243 Hartmann, Paul 63, 77, 111 Härtung, Gustav 8, 9, 20, 25, 173, 200, 259, 262, 263, 264, 266, 269, 270, 271, 273, 274, 286, 440 Hartwig, Brigitte (Vera Zorina) 399 Hase, Annemarie 49, 357, 358, 362, 363 Hasek, Jaroslav 158, 332, 360, 381 Hasenclever, Walter 8, 51, 198, 217, 247, 275, 348, 353, 465 Häsler, Alfred A. 284, 288 Hassel-Braun, Lotte 453 Hauptmann, Gerhart 35,109,143, 164, 448 Hauptmann, Harry 468

Hausdorff, Marlin 461 Hauska, Hans 289,300, 311 Hay, Julius 68,197,317 Heartfield, John 358 Hebbel, Friedrich 206, 308,448 Hecht, Ben 379 Heckert, Fritz 293,294,296 Heckroth, Hein 349, 353, 356, 361 Heger, Grete 131 Heiber, Helmut 21 Heilbut, Iwan 208 Heilig, Bruno 145 Heimann, Moritz 89 Heine, Heinrich 69, 179, 185, 215, 245, 301, 328, 334, 377, 392 Heinemann, Lili 52 Heinrich, Leonhard 186 Heinz, Wolfgang 19, 20, 26, 34, 42, 61, 73, 74, 154, 259, 263, 267, 273, 281, 283, 285, 286, 287 Heiss, Gernot 97 Heiste, Hanns-Werner 317 Held, Ernst (Heinrich Ernst Rosenbaum) 292,294,313 Held, Nelly 292,313 Heller, Berndt 369 Heller, Fred 241, 242, 449, 452 Heller, Fritz 460,467,468 Heller, Heinrich 177 Hellman, Lillian 67,405,449 Hellmer, Arthur 113, 118,120,122, 126, 127, 128, 132, 153, 342, 361, 363 Hellmer, Kurt 126, 399 Helm, Hugo 220,233 Henckels, Paul 22, 40, 63, 77 Henlein, Konrad 52,165,166, 172,175, 275 Henning, Magnus 181, 277, 414 Hennings, Fred 152 Henreid, Paul 345,417, 418 Henz, Rudolf 134 Herdan, Alice 402 Hermand, Jost 59 Hermann, Georg 82 Hermann, Zwi 386 Hermsdorf, Klaus 37, 234 501

Hetterich, Franz Herterich, Franz 139 Herwig-Schenirer, Hans 135 Herz, Peter 361,362 Herzberg, Gertrude 469 Herzfelde, Wieland 166 Herzl, Theodor 377, 449 Herzog, Wilhelm 252 Hessen, Rosa van 224 Hesterberg, Trude 40 Hetterle, Albert 304 Heumann, Edgar 203 Heuser, Hermann 384, 393 Hey, Hans 371 Heym, Stefan 61 Heyne, Kurd Ε. 270 Heyse, Paul 92, 274 Hilpert, Heinz 9, 12, 25, 55, 56, 57, 58, 68, 69,152, 295 Himmler, Heinrich 39, 232, 389 Hindemith, Paul 53,276, 368, 369, 370, 371 Hindenburg, Paul von 165 Hinkel, Hans 17, 30, 32, 33, 85, 86, 87, 90, 92, 119, 264, 369 Hinrichs, August 239, 300 Hintze, Carl Ernst 15, 253 Hinz, Werner 68,72,77 Hinze, Gerhard (Gerard Heinz) 20,41, 191, 295, 301, 302, 303, 304, 347, 357, 363 Hinzelmann, Steffi 94 Hinzelmann, Werner 94 Hippen, Reinhard 360 Hirsch, Fritz 220, 221, 230, 233 Hirsch, Leo 93, 94 Hirsch, Rudolf 394 Hirschbein, Perez 90, 256, 388 Hirsche, Ernst 185 Hirschfeld, Kurt 75,77, 259, 262, 263, 266/267, 278, 283, 286 Hirschfeld, Ludwig 123, 239 Hitchcock, Alfred 345, 350 Hitler, Adolf 13, 15,18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 30, 33, 36, 37,46,49, 53, 54, 55, 60, 61, 66, 76, 78, 79, 86, 97, 100, 107,176, 181, 182, 189, 190, 204, 207, 502

208, 214, 221, 247, 252, 253, 259, 272, 278, 279,281, 282, 297, 299, 316, 333, 348, 362, 377, 387, 389, 399,428,429, 437,446,476 Hochmann, Väsa 176, 185,191 Hochwälder, Fritz 50, 132 Hock, Stefan 173,348 Hodann, Max 333 Höflich, Lucie 18,404 Hölderlin, Friedrich 387 Höllering, Georg 350 Hörbiger, Attila 28, 274 Hofer, Johanna 402 Hoffmann, Arthur 240 Hoffmann, E.T.A. 123 Hoffmann, Grete 240 Hoffmann, Ludwig 192, 227, 332, 339, 364 Hoffmann-Hamisch, Wolfgang 453 Hoffmeister, Adolf 164, 167 Hofmannsthal, Hugo von 8, 38, 69, 86, 111, 144, 164,233,240,260 Holceröwna, Rachel 248 Holewa, Hans 328, 334, 335 Hollaender, Friedrich 222, 354 Hollaender, Victor 347 Hollender, Hein 428 Holm, Celeste 402 Holm, H.G. Tennyson s. HJ. Rehfisch Holm, Peter (i.e. Georg Kaufmann) 290 Holzmeister, Clemens 111, 374 Holzmeister, Judith 153 Homma, Hans 103, 142,143 Homolka, Oskar 7, 51, 123, 344, 345, 352, 399,400, 418 Hoppe, Marianne 77 Hora, Josef 158,189 Horak, Jan-Christopher 421 Horenstein, Jascha 74 Horky, Robert 152 Horner, Harry 412,415 Horowitz, Leo 238 Horst, Willi s. Wilhelm Furlan Horsten, Harold 224 Horster, Horst 324

Juschkewitsch, Semen Horväth, Ödön von 23, 109, 114, 123, 132,133,135,136,164,176, 198,211, 217, 275, 418 Horwitz, Hans 131 Horwitz, Kurt 61, 73, 76, 263,265, 272, 286 Horwitz(-Ziegel), Miqam 122, 123, 138, Howard, Sydney 346, 347 Hruby, Margarete 210 Huber, Gusti 264 Hubermann, Bronislaw 381 Huder, Walter 3,111,226 Humperdinck, Engelbert 425 Hurrle, Curt 173, 174, 443 Huxley, Lawrence 241 Huysmans, Camiel 227 Hylton, Jack 220 Ibsen,, Henrik 88, 115, 210, 211, 239, 240, 252, 308, 345, 386, 391, 409, 419, 434, 446, 448 Ihle, Peter (Peter Illing) 130, 131, 134, 347, 353, 359, 362 Ilberg, Werner 185 Dtz, Bruno 152, 153 Inger, Manfred 127, 130, 131, 415 Ipsen, Bodil 323 Ivens, Joris 310 Jacob, P. Walter 3, 48, 133, 173, 191, 238, 239, 240, 241, 242, 439, 442, 443, 444,445,446,447, 448, 449, 450,451, 452,453,455,476 Jacobs, Monty 358, 360, 361 Jacobsohn, Georg 94 Jacobsohn, Siegfried 247 Jacoby, Rolf 178 Jäger, Lotte 213 Jaffe, Carl Heinz (Carl Jaffe) 347, 355, 362 Jaffee, Sam 411 Jahn, Rolf 152 Jahn, Rudolf 112, 113, 114, 116, 118, 140, 141, 144

Jahnke, Erich 183 Jahnke, Friedel 183 Jahnn, Hanns Henny 8 Janäcek, Leos 389 Jannings, Emil 9,54 Janßen, Karl-Heinz 19 Jaracz, Stefan 248 Jaray, Hans 127,152,402,418,419 Jarka, Horst 141,154 Jarlowetz, Heinrich 174 Jarno(-Niese), Josef 102,125,139,140, 141, 142, 143, Jauslin, Christian 152, 266,287,288 Jedlicka, Ludwig 98 Jelusich, Mirko 110,134, 152, 153 Jeremiäs, Otakar 169 Jerome, Jerome Κ. 137,346 Jeßner, Leopold 9,10.11,12,16,22, 25, 34, 35, 51, 144, 145,146, 217, 225, 226,245,293, 349, 350,354,384, 386, 387, 388,390,412,420 Jezek, Jaroslav 191 Jhering, Herbert 9,10. 11, 12, 17, 78, 247,401 Joachim, Hans A. 208 John, Eckhard 317 John, Martha 450 Johnson, Alvin 410 Johst, Hanns 14, 15, 23, 24, 26, 29, 51, 66, 248,253 Jolson, Al 415 Joly, Fran5oise 218 Jonas, Fritz Eduard (d.i. Fritz Friedrich) 466,467 Jonson, Ben 93,433 Jooß, Kurt 187, 220, 356, 357 Josefovicz, Karl (Carl Joseph) 123, 349 Joseph, Walter 212 Jouvet, Louis 197 Jubal, Elias 104,132,133,134,148 Jünger, Ernst 55 Jungwirth, Erich 185 Juschkewitsch, Semen 149 503

Kadelburg, Gustav Kadelburg, Gustav 115, 239, 448 Kadmon, Stella 130, 386, 389 Kadrnoska, Franz 141, 154 Kästner, Erich 109, 177,334, 391 Kafka, Franz 388, 389 Kahane, Arthur 378 Kahle, Kurt 231 Kahn, Harry 199,211 Kahn, Otto H. 421 Kainz, Josef 397 Kaiser, Georg 8, 23, 25, 50, 247, 252, 262, 275, 282, 283, 352, 384, 448 Kaiser, Konstantin 154 Kaiser-Kyser, Kurt 141, 142 Kajemeth, Keren 145 Kalbeck, Paul 273,274 Kaiman, Emmerich 93 Kalmar, Ernst 453 Kalmar, Fritz 453 Kalmar, Rudolf 29 Kaiser, Erwin 262, 263, 296, 402, 418 Kann, Lilly 41,363 Kant, Immanuel 373 Kantorek, Otto 351 Kantorowitz (Konzertagent) 276 Kaplun, Leon 213 Karlweis, Oscar 225, 246, 398,400, 404,419 Karoly, Lilly 152 Katajew, Valentin 252 Katsch, Kurt (Mark Katz) 207, 246 Katscher, Robert 399 Katz, Leo 432 Katz, Otto s. Andr6 Simone Kaus, Gina 124,352 Kayßler, Friedrich 262 Keisch, Henry (Henryk) 49 Keiser-Hayne, Helga 223 Keller, Willy 3, 453, 455 Kempinski, Gerhard 346 Kennedy, Margaret 345,405 Keppler, Ernst 19 Kerr, Alfred 10, 11, 78, 195, 198, 199, 205, 206, 247, 357, 363, 393 Kerten, Friedrich 177 Kesser, Hermann 271 504

Kessler, Hugo 20 Kesten, Hermann 219 Kestenberg, Leo 188 Kießling, Wolfgang 423,427,434,455 Kingsley, Sidney 264,448,449,467 Kinkel, Albertus 370 Kionka, Helmuth 28 Kipnis, Alexander 256 Kipphardt, Heiner 394 Kirfel-Lenk, Thea 4,421 Kirk, Hans 325 Kirschon, Wladimir M. 305 Kisch, Egon Erwin 158,195, 199, 210, 424,425,426, 427,428,429,432 Kishon, Ephraim 389, 393 Klabund 245, 247, 260, 352, 411,452/ 453,467 Klausner, Margot 248, 387, 388, 392 Kleiber, Erich 74,168,440 Klein, Adalbert 468 Klein, Albert 249 Klein, Robert 348,349,361 Klein-Lörk, Robert 177, 178 Kleist, Heinrich von 23,58, 266,269, 300,301, 331, 332, 333, 358, 399,448 Klemke, Christian 311 Kieling, Hans 289,294,311,312 Klopfer, Eugen 9,18,110 Klöters, Jacques 49,219 Kluck, von 208 Klüger, Jaro 277 Klupp, Maja 206 Klupp, Robert 205,206 Knappl, Hans 126 Knepler, Georg 49,355, 359, 360 Knepler, Paul 355, 360 Kner, Hermann 131 Knüpfer, Felix 142 Knutzon, Per 322, 323, 324, 325, 326 Koch, Alice 150 Koch, Walter 182 Köhler, Alma 135 Köhler, Fritz 285 Königsgarten, Hugo F. 3, 130, 131, 359, 360, 362 Körber, Nina 132, 133

Landsberg, Eric Körner, Hugo Heinz s. Walter Firner Koestler, Arthur 332 Kohl, Anton 172, 173 Kohlmey, Gerda 182,183,184,191 Kokoschka, Oskar 27, 357, 360 Kolbenheyer, Erwin Guido 16,253 Kolbenhoff, Walter 185 Kollo, Walter 113,117 Kolman(n), Trade 130,132, Kolpe, Max s. Max Colpet Konräd, Edmund 164 Konradi, Inge 153 Konschewska, Helena 238 Konstantin, Leopoldine 114,419 Koppenhöfer, Maria 26 Korda, Alexander 350, 351, 354 Korff, Arnold 402 Kornelis, Pier 241 Kornfeld, Paul 8, 354 Korngold, Erich Wolfgang 348, 399 Korsch, Karl 324 Kortner, Fritz 7, 9, 10, 22, 25, 34, 35, 41,42,51, 55, 56,65, 66,72,75, 76,77, 78, 106,197, 236, 286, 344, 345, 346, 350, 351,400, 401, 402, 404, 408,414 Kosterlitz, Hermann (Henry Koster) 117,228 Kowa, Victor de 67, 450 Krämer, Alphons 468 Kraner, Cissy 131 Kranz, Heinrich B. 140 Kranz, Mario 386, 393 Kranzler, David 476 Krasa, Hans 191 Kraus, Hilde Maria 174, 186 Kraus, Karl 332, 334 Krauss, Clemens 110 Krauss, Ernst 220 Krauß, Werner 9, 35, 63, 64, 110, 111, 140, Kraußhaar, Claudius 121 Krautter, Paul 428 Kreisky, Bruno 334 Krenek, Ernst 162,451 Kreuder, Peter 414 Kreutzer, Konradin 240

Kreutzer, Leonid 82 Krips, Heinrich 131 Krofta, Kamil 161 Kronacher, Alwin 198,199,207,211, 269, 273, 412 Kronberger, Herbert 178 Kropatschek, Gustav 112 Krüger, Jaro 181 Kruk, Raya 249 Krumrey, Marianne 292 Kruse, Werner 181 Kuba (Kurt Barthel) 185, 191 Kuby, Erich 64 Kuchenbuch, Herbert 371 Kuckhoff, Adam 27, 28 Kuckhoff, Greta 27 Kühne, Felix 163,186,188 Kühnly, Ernst 271,276 Küter, Charlotte 52,159,163,178,185, 188,189,191, 357 Kuh, Anton 185 Kulbak, Mojsche 312 Kuli, Ernst 183 Kuprie, Mosche 258 Kurella, Alfred 310 Kürer, Vilma 130, 398, 415 Kurmann 142 Kurz, Hlli 380 Kusewicki, Moses 256 Kutschera, Rudolf 128 Kuttner, Max 460 Kvam, Kela 339 Laban, Rudolf von 356, 357,443 Lach, Alice 130 Ladendorff, Chaim 384 Lagerlöf, Selma 274 LaGuardia, Fiorella 417 Lamarr, Hedy 416 Lamberg-Offer, Marianne 133 Lambert, Lydia 432 Lampel, Peter Martin 204, 247 Landers, Gerda 131 Landes, Alice Landsberg, Eric 328 505

Landshoff, Fritz Η. Landshoff, Fritz H. 219 Lang, Fritz 391,407 Lang, Viktor 305, 306, 308, 309 Lange, Wigand 62, 63, 64 Langenbeck, Kurt 23 Langer, Frantisek 89, 158,164, 176, 449 Langhoff, Wolfgang 9, 20, 26, 29,42, 61, 64/65, 66,70,73,166,167, 259, 263, 264, 267, 273, 280, 281, 282, 283, 285, 286, 287, 296, 329, 332, 473 Langner, Lawrence 413 Lania, Leo 183,198 Lantz, Robert 133 Larsen, Egon 186, 357, 364 Laserson, Miriam (Miriam Weiser) 146, 147 Lask, Berta 291,315,316 Laske, Siegfried 233 Lasker-Schüler, Else 266, 386 Laubinger, Otto 18, 19 Lauret, Ren6 196 Lavery, Emmet 116,264, 269 Lavri, Mark 386 Lawrence, Vincent 406 Lazar, Rudolf (Ruben) 380, 381 Leander, Zarah 127 Lebenheim, Alfred 453 Lebenheim, Franziska 453 Lederer, Beppo 177 Lederer, Francis 417 Leeder, Sigurd 356 Leers, Peter W. 394 Legal, Ernst 67, 68 Letar, Franz 399 Lehmann, Else 167 Lehmann, Rosamond 348 Lehrburger, Egon s. Egon Larsen Leicht, Wilhelm 116 Leiden, Fritz 256 Leigh, Vivien 352 Leinsdorf, Erich 74 Leiwik, Halper 388 Lenau, Nikolaus 334 Lenhardt, Günther 471,472 Lenk, Margit 26,78 Lenk, Walter 450

506

Lenormand, Henri-Ren6 195, 196, 197 Lenya, Lotte 203, 356 Lenz, Leo 241 Leonhard, Rudolf 194,198,199 Leonhard, Walter 239 Leopoldi, Hermann 415 Leppin, Paul 164,188,191 Lerner, Marcel 134 Lernet-Holenia, Alexander 143 Lert, Ernst 412, 420 Lesch, Walter 277 Lessing, Gotthold Ephraim 23, 33, 69, 89, 116,139, 210, 239, 328, 329, 334, 361, 362, 373, 374, 377,411, 453,463 Lessing, Theodor 165 Levie, Werner 82, 91, 93, 94, 95, 231 Levin, Horst 473 Lewin, Kurt 475 Lewin, Ossi 462 Lewis, Sinclair 275 Lewitt, Paul 49, 52, 159, 163, 171,174, 185,188,189,191, 361 Lichow, Oskar 211 Lichtenberg, Wilhelm 115,164 Lichtenstein, Erwin 255, 258 Lichtenstein, Hans 231 Lichtenstein, Rose 384, 390 Lichtnecker, Friedrich 136 Lichtwitz, Hans 188 Lieb, Fritz 270 Liebe, Ulrich 29, 36, 78, 117, 118, 130 Liebermann, Max 82 Liebermann, Mischket 291,300, 314 Liebl, Max 163,164 Liepmann, Heinz (Lipmann) 137, 139 Liepmann, Heinz 446 Liessem, Wera 133 Lieven, Albert 346 Lieven-Stiefel, Lotte 312 Lifezis, Hugo 450 Lüie, Adolf 169 Lilien, Kurt 39,224,233 Lilienblum, M. L. 377 Liliencron, Detlev von 334 Lilienthal, Arthur 82 Lindberg, Per 322, 338

Marcus, Julia Lindenberg, Paul 131,181, 277 Lindenberg, Walter 213, 214 Lindner, Paul 183 Lindt, Klara 191 Lindtberg, Leopold 15, 22, 55, 61, 64, 73, 76, 153, 205, 248, 259, 262, 263, 264, 265, 266, 273, 281, 282, 283, 286, 287,288, 382, 388 Lingen, Theo 40, 63 Linkers, Eduard 131,134 Links, Fritz 150 Lipinska, Dela 256 Lipman, Moses 248 Lipschütz, Alfred 134 Litten, Hanna 94 Litten, Heinz Wolfgang 357, 358, 363 Litten, Rainer 52, 163, 177, 211 Littlewood, Joan 357 Litvak, Anatole 418 Lobe, Friedrich 381, 393 Lobe-Harms, Friedel 381 Lochthofen, Lorenz 310 Locker, Malkah 146 Lode, Margarete 293 Loebinger, Lotte 245, 294, 311,313 Lönner, Ernst 123, 135, 136 Loesch, Ilse 186 Löwenadler, Holger 338 Loewenberg, Carl 87 Löwenstein, Leo 82 Löwy, Paul 390 Lohde, Sigurd 113,174 Lohmar, Heinz 209, 211, 216 Lom, Herbert 346 Loon, Gerard Willem van 61 Loos, Theodor 18 Lorenz, Einhart 339 Lorenz, Max 276 Lorm, Sidonie 123, 212 Lorre, Peter 9,391,417,418 Losch, Tilly 203 Losowski, Salomon 427 Lothar, Ernst 112, 116, 119, 120, 143, 144, 152, 398,412 Lothar, Rudolf 150 Lubitsch, Ernst 417, 418

Luce, Henry 403 Ludwig, Otto 123 Lugt-Melsert, Cor van der 226 Lukäcs, Georg 62, 303 Lukas, Robert 353, 362 Luschnat, David 199,215 Lwunin, J. A. 310 Lyon, James K. 407 Maaß, Alexander 199,205,207 Maaß, Ingrid 235 MacColl, Ewan 357 Mack, Max 350,351 Maennlein, Max 213,215 Maeterlinck, Maurice 374 Magido, Leo 380, 381 Magner, Martin 123,130,131 Magnes, Yehuda 389 Magnus, Hans Karl 134,150 Mahler, Gustav 328,332,334 Maimann, Bert 135 Maimann, Helene 99 Mainzer, Arthur 103,116, 127 Majerovä, Marie 158,190, Malina, Judith 412 Maloitz (d. i. Max Louis Blitz) 233 Malraux, Andri 195 Malzmann-Fuchs, Olga 104, 134,137 Mandowski, Ernst 391 Mann, Erika 36,49,180,181,182,220, 223, 233, 237, 238, 272, 276, 277,414 Mann, Heinrich 105,160, 166, 176, 199, 334 Mann, Klaus 8, 61,157,160, 219,414 Mann, Thomas 160, 167, 168, 176, 189, 190, 245, 265, 334 Mannheim, Lucie 9, 20,51, 115, 344, 345, 353, 363, 364 Mannheimer, Georg 191 Mansfeld, Ernst 312 Mantle, Burns 415 Marchwitza, Hans 14 Marco, Sidney 177 Marcus, Erwin 474 Marcus, Julia 221, 222, 246 507

Marcus, Paul Marcus, Paul 364 Mare, Ina 148 Marenbach, Leny 264 Margalit, Meir 381 Margolinski, Henry 474 Margon, Oscar 428 Margulies, Hans 131 Marian, Ferdiand 54, 65 Marischka, Ernst 398 Marischka, Hubert 125, 126 Marischka-Karczag, Lilian 126 Marli, Arnold 163,188,191,350, 361 Marie, Omre 188 Martens, Valerie von 400 Martin, Karl Heinz 9, 57, 58, 66, 67, 124 Martinec, Jan s. Martin Reach Marum, Hans 432 Marx, Harpo 415 Marx, Henry 51,397,421 Marx, Karl 10, 377 Marx, Paul 174, 191 Marx, Zeppo 415 Masaryk, Tomiis Garrigue 157,161 Masereel, Frans 204 Massary, Fritzi 113, 236 Massenet, Jules 240 Matejka, Viktor 74 Mathijse, Hub(ertus) 234 Matkowski, Albert 397 Mattern, Kitty (Katharina) 131,134, 181,277,415 Mattfuß, Kitty s. Kitty Mattern Mattl, Siegfried 99 Maugham, Somerset 252, 275, 343, 348, 419 Maurer, Albert 452 Maurer Zenck, Claudia 317 May, Gisela 431 Mayer, Carl 350, 351 Mayer, Paul 424,425 Mayer, Ulrike 106,129,133,150 McClure, Robert 379 Mechanicus, Philip 232 Mechow, Karl Benno von 14 Medak, Eva Maria 177 508

Meehan, John jr. 399 Meged, Aharon 389 Mehlhardt, Edgar 185 Mehring, Walter 177,185,211,213, 214,411 Meierzak, Hanne s. Chana Meron Meinhard, Carl 106,157,159,248 Meitner, Lise 335 Melchior, Fritz 460,465,467 Mellinger, Friedrich 61 Melnitz, William W. (Wilhelm Chmelnitzky) 87,398,412 Mendelssohn, Eleonora von 20,112 Mendelssohn, Felix 93 Mendelssohn, Francesco 203 Mendes, Lothar 350 Menuhin, Jehudi 220 Merezier, Jeanne 450 Merker, Paul 427,434 Meron, Chana (d.i. Hanne Meierzak) 391 Mertens, Hanna 29 Merz, Konrad 220 Meskin, Aron 387 Metis, Berthold 468,475 Mewes, Eugen W. 208 Meyer, Ernst Hermann 355 Meyer, Rudolf 228,233 Meyer-Förster, Wilhelm 239 Meyer-Hanno, Hans 28 Meyer-Ricard, Herbert 231 Meyerhold, Wsewolod E. 294, 379 Michaelis, Cassie 22 Michaelis, Heinz 22 Michalka, Wolfgang 26 Michels, Volker 437 Middell, Eike 421,460,476 Mihaly, Jo 278,285,286,296 Miller, Arthur 75, 388, 394, 400,412 Miller, Gilbert 353, 354, 397, 398 Miller, Martin 49,131,134,150,175, 359,360, 363 Millo, Josef 388,390 Minelli, Liza 420 Minetti, Bernhard 9,15,16, 26 Minkin, Adolf 205

Ney, Ludwig Mistinguette 220, Mittag, Gabriele 218 Mittenzwei, Werner 4, 5,7, 22, 37,43, 55,70, 259, 266, 267, 281, 282, 283, 288, 297 Mittler, Leo 296 Mocher Sforim, Mendele 90 Modes, Theo 172,176, 275 Möller, Eberhard Wolfgang 15, 23 Moeschlin, Felix 260, 261 Mohr, Albert Richard 269 Moissi, Alexander 41, 51, 157, 162, 226, 246, 262, 265 Moissi, Beate 132 Mokdy, M. 386 Molifcre, Jean-Baptiste 38, 86, 89, 132, 252, 266, 304, 308, 374 Molnär, Franz (Ferenc) 38, 86, 89, 94, 95, 231, 256, 394, 404, 448,466 Molnär, Lilly 160, 163 Monasch, Charlotte Luise 240, 242 Mordo, Renato 162, 191, 370 Morgan, Paul 35, 36, 37, 49, 106, 113, 114, 118, 122, 123, 127, 132, 177, 186 Mosbacher, Lotte 186, 215 Moser, Hans 40,450 Mosheim, Grete 9, 51, 115, 151, 265, 344, 345, 400, 418, 419 Mostar, Gerhart Hermann 130, 131 Moussinac, Leon 195 Mozart, Wolfgang Amadeus 38, 240, 328, 329, 356, 380 Mu, Fei 473 Muchitsch, Wolfgang 364 Mühr, Alfred 77,78 Mühsam, Erich 24, 25, 158, 166,188, 295,312,414 Müller, Gerda 68 Müller, Reinhard 303 Müller, Rudolf s. Martin Miller Müller-Reitzner, Adolf 153 Müller-Wesemann, Barbara 95 Münzenberg, Willi 289, 310, 312, 423 Müssener, Helmut 43, 295, 319, 339 Müthel, Lola 68

Müthel, Lothar 18,19,30, 58, 63, 65, 152 Murmelstein, Benjamin 39 Mushin, Ertugrul 371 Musset, Alfred de 134 Mussolini, Benito 51, 100, 122 Nachmann, Kurt 130, 134 Naef, Louis 3,152,266, 274, 276, 288 Nansen, Fridtjof 327 Nansen, Odd 327 Naso, Eckart von 19, 20, 23 Nathan, George Jean 407,408 Nathan, Rosie 394 Nathansen, Henri 164 Nauhardt, Günter 370 Naumann, Uwe 238,455 Naumow, Salomon 257 Naumow, Samuel 258 Neagles, Anna 346 Neck, R. 98 Neff, Dorothea 153 Neher, Carola 163,167, 295, 296, 298, 307 Neher, Caspar 203, 349,356 Nehls, Rudolf 297 Nelson, Herbert 3, 224, 231, 233 Nelson, Rudolf 49, 106, 211, 220, 221, 222, 223, 224, 229, 230, 231, 233 Nestroy, Johann Nepomuk 105, 110, 210, 332, 361, 362,427,428 Neubürger, Erich 357 Neudegg, Egon 268,269, 270, 271, 272 Neugebauer, Wolfgang 155 Neuländer, Bertold 246 Neumann, Alfred 353, 411 Neumann, Angelo 162 Neumann, Egon 428 Neumann, Elisabeth 131,415 Neumann, Jecheskel Mosche 93 Neumann, Robert 351,360 Neumann, Siegfried 466,468 Neumark, Fritz 365 Newman, Paul 412 Ney, Ludwig 442 509

Nezval, Viteslav Nezval, Viteslav 158, 159,190 Nichols, Anne 419 Nichols, Lewis 409 Nielsen, Asta 206 Nielsen, Birgit S. 338 Nielsen, Fritz Walter (d.i. Fritz Wallensteiner) 178, 188, 189 Niese, Hansi 102, 139 Niethammer, Lutz 63 Nietzsche, Friedrich 55 Niki, Peter s. Johannes Wüsten Nolle, Eckehart 297 Nörregaard, Hans Chr. 326, 339 Norbert (-Miller), Hanne 134 Norden, Hans 105 Norden, Maqa 177, 178 Nordlund, Elsa-Brita 335 Nordstrand, Sekel 337 Nosseck, Max 228 Nostiz-Rienek, Franz Anton Graf von 168 Novotnä, Jarmila 158 Nowack, Friedel 274, 285 Nuntius s. Louis Fürnberg Odets, Clifford 67, 185, 413 Oefelein, Karl 289, 297, 300, 311 Östereicher, Rudolf 164 Offenbach, Jacques 38, 380, 399 Olbracht, Ivan 158,190 Ollendorff, Fritz (Friedrich) 82 O'Montis, Paul (i.e. Paul Wendel) 106 O'Neill, Eugene 110, 143, 394 Ophüls, Max 228 Oppenheimer, Franz 82 Oppenheimer, Hans 355, 356 Oprecht, Emil 266, 278 Orlik, Emil 297 Ortmayer, Franz 137 Ortmayer, Heinrich 181, 238, 277 Ortner-Kallina, Elisabeth 152 Osborn, Max 82, 123 Oskar, Henry 353 Ossietzky, Carl von 158, 159, 271 Ossietzky, Rosalinde von 332 510

Osten, B. von 232 Ostfelden, Maria von 134 Ostreil, Otakar 162 Oswald, Marianne 203 Oswald, Richard 228 Otten, Karl 355,362,363 Otto, Hans 15, 19,20, 26, 27, 28, 35, 78, 199, 208, 260, 262, 270, 295 Otto, Teo 19, 61, 73, 260, 262, 266, 267, 279,283, 285, 286, 287, 292, 298, 311,388 Ottwalt, Ernst 14 Oxaal, Ivar 144 Pabst, G.W. 203 Pahlen, Igor 181, 238, 277 Pallenberg, Max 109,111,113, 162, 220, 246, 262, 265 Palmaer, Margit 337 Palmer, Lilli 20,131,213,259, 346, 350 Papen, Franz von 18 Parker, Erwin 61,113,127, 222, 262, 263, 267, 285, 286 Parlaghy, Victor 450 Paryla, Karl 20, 42, 73, 154, 263, 267, 273, 281, 283, 285, 286, 287, 296 Pasch, Hans 177 Pass, Walter 74 Paton, Allan 388 Pauli, Hertha 133 Paulick, Richard 460 Paulsen, Dora 224,233 Paulsen, Mie 27 Pawlo, Toiwo 337 Pechacek, Josef 131 Peiper, Robert 327, 329, 330, 332, 333, 334, 337 Pellert, Wilhelm 287 Pensis, Henri 240 Perez, Jizchak Leib 90,148 Pergolesi, Giovanni Battista 256, 380 Perl, Kurt 182,183 Pesch, Erika 283 Peter, Birgit 130 Peters, Jan 339

Reding, Walter Petersen, Hans-Uwe 339 Petersen, Peter 317 Petrowa-Blumenthal, Lydia 423, 425 Philipp, Michael 457,476 Philipps, Sidney s. H J . Rehfisch Pick, Otto 179,180,191 Pick-Gernod, Clara 394 Pieck, Arthur 291, 294, 306, 307, 314 Pieck, Wilhelm 292,293,303,312,314, 315 Pike, David 310 Pinkus, Alfred (Perry) 418 Pirandello, Luigi 112, 225,252,448 Pirk, Robert 406 Piscator, Erwin 11,12,14, 25,44,50, 51, 68, 69, 71,76, 77, 123, 137, 196, 197, 198, 199, 202, 211, 217, 237, 245, 249, 263, 290, 291, 292, 293, 296, 298, 299, 302, 303, 304, 305, 306, 307, 312, 313, 353, 388, 397, 398, 401, 404, 410, 411,413,420,421 Pisuisse, Jean Louis 221 Pitoeff, Georges C. 201, 202, Pitsch, Ilse 56,78 Plautus 353, Plivier, Theodor 167 Pogodin, Nikolai 294 Pohle, Fritz 3, 243, 435, 455 Pohlmann, Erich 131 Polgar, Alfred 105, 157 Pollak, Michael 144 Pommer, Erich 350 Popper, Kurt 135 Porat, Orna 390,391 Porten, Henny 40 Posford, George 355 Possart, Ernst von 371 Praag, Elias van 230 Praetorius, Ernst 53, 369, 371 Prater, Donald 437 Preminger, Otto 52, 112, 400, 402, 403, 404, 416, 417 Preß, Dinorah 134,140, 141 Presser, Otto 147 Prieberg, Fred K. 59,78 Priestley, J. B. 86, 93, 358, 360, 408

Prins, Annie 224 Prins, Henry 254,255/256 Prossnitz, Gisela 99,421 Prümm, Karl 234 Puccini, Giacomo 38, 60,373 Puchelt, Gerhard 69 Pudowkin 290,291 Pütter, Conrad 364 Puget, Claude Andre 398 Puschkin, Alexander 329 Quadflieg, Will 77 Quatember, Eva Maria

124

Raabe, Peter 59 Rachmanow, Leonid 68,69, 361 Racine, Jean 374 Radvanyi, Laszlo 433 Raeder, Gustav 139 Rahm, Karl 39 Raimund, Ferdinand 362 Rainer, Luise 351,416 Raky, Hortense 154,282,285, 287 Rameau, Emil 412 Ramlo, Gertrud 268,270 Rankl, Karl 74 Raphaeli, Leo 86 Rappaport, Herbert 205, 248 Rasumnyl, Michael 213 Rath, Ernst von 33 Rathaus, Karol 350 Rathkolb, Oliver 40, 78, 97, 152 Rattigan, Terence 347 Rau, Arthur 82 Raudnitz, lila 131 Raus, Arthur 186 Rauschenbach, Walter 312 Rauschning, Hermann 253 Rausnitz, Jenny 460 Raynal, Paul 176, 197, 202, 205, 207, 252 Reach, Martin (Jan Martinec) 186 Redgrave, Michael 354 Reding, Kurt 134 Reding, Walter 330 511

Redlich, Gerda Redlich, Gerda 213 Reger(-Jacob), Liselott 442, 450 Rehberg, Hans 15, 16, 68 Rehfisch, Hans Jose 109, 113, 114, 116, 122, 123, 124, 144, 162, 252, 354 Rehmann, Hans 399 Reich, Bernhard 296, 306, 307, 309, 317 Reiche, Erwin 274 Reichenbaum, Arthur 147 Reichert, Heinz 398 Reichmann-Jungmann, Eva 82 Reimann, Hans 381 Reimann, Max 126 Reiner, Hans 212 Reinerova, Lenka 432 Reinhardt, Gottfried 399, 406, 410, 413 Reinhardt, Max 9, 16, 17, 21, 27, 36, 44, 51, 54, 68, 78, 95, 98, 106, 109, 110, 111, 112, 119, 140, 146, 152, 197, 198, 206, 208, 210, 211, 225, 226, 246, 256, 273, 274, 292, 307, 343, 345, 347, 348, 354, 355, 379, 381, 384, 387, 394, 397, 399, 401, 404,409, 410, 412, 419, 420, 421,431,451 Reinhardt, Wolfgang 410 Reininghaus, Frieder 369 Reissmann, Janos 297 Reißner, Emil 159 Reiter, Annie 127 Reiterer, Beate 153, 154 Rejmoser, Jan 187 Remarque, Erich Maria 15 Renn, Ludwig 158, 427, 428, 432, 433 Renoir, Jean 197 Reuß, Leo (Lionel Royce) 86,118,119, 120, 121, 127, 128 Reuter, Ernst 365, 367, 370 Reuter, Jim 240 Rewalt, Lothar 123, 124, 134, 137, 174, 176, 191 Rhoden, lila 415 Ribbing, Maria 335 Rice, Elmar 449 Richter, Friedrich (Rosenthal) 52, 159, 163,172,189,191, 295, 301, 303, 308, 309, 347, 350, 363 512

Richter, Walter 68, 69 Rickert, Heinrich 315 Riegelhaupt, Kurt 147 Rieger, Fritz 169 Rieser, Ferdinand 50, 164, 262, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 270, 271, 273, 278, 279, 280, 281, 282 Riess, Curt 111, 262, 265, 280, 288 Rilla, Walter 350,351,355,362,363 Ringelnatz, Joachim 132,180, 334, 399 Ringhofer, Georg 153 Rings, Werner 282 Rischbieter, Henning 5, 53 Rismondo, Piero 140, 143 Ritchie, James M. 341, 343 Ritter, Hilde 186 Robert, Ernst 215 Roberts, Ralph Arthur 241 Robicek, Ernst s. Charles Rooner Robitschek, Kurt 122,415 Roda Roda, Alexander 167 Rodenberg, Hans 290,292,310,312, 313 Rodenberg, Lux 52, 163, 169,191 Rodker, Joan 295, 300 Röbbeling, Hermann 108, 109, 110, 152 Roeck-Hansen, Harry 338 Roeder, Edith 241 Röder, Karl 29 Röhm, Ernst 18 Römer, Ernst 424, 428 Rosier, Walter 49, 50 Rösner, Lola 238 Rößler, Carl 389 Roessler, Peter 154 Rogers, Richard 415 Rogoff, Gregor 94 Roland, Ida 418 Rolland, Romain 24, 195,197,448 Romains, Jules 24 Romdahl, Axel 335 Romm, Michail 312 Rooner, Charles (Ernst) 423,425,427, 428, 430, 431, 432, 433,434 Roosevelt, Franklin Delano 189 Rosen, Lia 393

Schiller, Dieter Rosen, Willy 37, 39,49, 92,106, 221, 225, 230, 231, 232, 233, 234, 236 Rosenbaum, Walter 386 Rosenberg, Alfred 60, 107 Rosenheim, Richard 383, 384, 385, 390 Rosenthal, Friedrich 152 Rosenthal, Jakob 149 Rosolio, Werner 391 Rossi, Hedwig 143 Rost, Martin 386 Rostand, Maurice 241,446 Roth, Hans 135 Roth, Hans Ludwig Roth, Joseph 18,105,167,211, 219 Roth, Lucy 135 Roth, Ludwig 124, 398 Roth, Ludwig Roth, Wolfgang 137, 413 Rötha, Paul 350 Rothe, Eduard 159, 270 Rothe, Hans 353 Rothmund, Heinrich 261 Rothschild, Baron Robert de 193, 389 Rouleau, Raymond 200, 201, 203, 204 Roussel, Raymond 196 Rovina, Chana 388 Rühle, Günter 8, 12, 78 Rühmann, Heinz 114,118 Ruschin, Günther 49, 209, 215, 217, 423, 425, 428, 430, 434 Rydeberg, Georg 338 Sabatini, Rafael 351 Sachse, Leopold 412 Safir, Rosl 147 St. Granier 212 Sakheim, Arthur 383 Salacrou, Armand 410 Saida, Frantisek 158,159 Saldern, Erwin 217 Salkinson, Izak Edward 384 Salno, Bernhard 450 Salomon, Ernst von 14 Salomon, Karl 380 Saiten, Erna 177

Saiten, Felix 116,141,419 Saitenburg, Heinz 121,346, 348,362 Salzer, Frantisek 167,168 Sanden, Hans 113,117,122,125,126 Sander, Berthold 93 Sanderling, Kurt 313 Sandra, Paule 216 Sandrock, Adele 397 Sapiro, Boris 460,465,468 Sartre, Jean Paul 5 0 , 7 0 , 7 7 , 4 1 0 Sauer, Anni 313 Sauter, Willmar 339 Schach, Max 350, 351 Schacht, Hjalmar 91 Schadl, Fritzi 224 Schäfer, Hans Dieter 57,58 Schaeffer, Geza 452 Schaeffers, Willi 18 Schaff-Immendorf, Alfred 135 Schaffer, Arthur 134 Schaffer-Bernstein, Jenny 39 Schajowicz, Ludwig 454 Schaljapin, Fjodor 256 Schalom, Sch. 389 Schaper, Rudolf 251,252 Schapira, Joseph 381, 384 Schapiro, Genia 258 Scharmitzer 134, Scharrer, Adam 14,316 Schauwecker, Franz 14 Scheer, Hans s. Friedrich Wolf Scheidemann, Philipp 19 Scheinin, Lew u. Thür 304 Scheinpflug(ovä), Olga 134,164, Scheit, Gerhard 74 Scheicher, Raimund 30 Scherchen, Hermann 74 Scherphuis, Ageeth 230 Schey, Hermann 256 Schickele, Ren£, 260 Schiff-Bassermann, Else s. Else Bassermann Schildberger, Hermann 82 Schildkraut, Joseph 416 Schiller, Dieter 218 513

Schiller, Friedrich Schiller, Friedrich 23, 38, 86, 112, 140, 172, 216, 225,226, 239, 240, 269, 298, 304, 330, 334, 349, 373, 448 Schiller, Leon 247, 248 Schirach, Rosalind von 253 Schirmer, Lothar 3,306,317 Schivelbusch, Wolfgang 67, 70, 78 Schönstedt, Silvia 234 Schlesinger, Hans 130, 134, 380 Schlesinger, Viktor 147 Schlichter, Hedwig 133,450,454 Schlick, Moritz 454 Schließer, Elli (Hanna Herfurth) 166 Schlösser, Rainer 172, 173 Schlonsky, Abraham 378 Schloß, Sybille 181,238, 277 Schmerzenreich, Anton 162,168 Schmidt, Joseph 118,284 Schmidt-Bloss, Karl 276, 278 Schmidtsdorf, Bruno 289, 311 Schmitz, Hanni (Hanni Rodenberg) 296, 312,313 Schmitz, Siegfried 148 Schmückle, Hans-Ulrich 297 Schneider, Hansjörg 4,5,157,192,476 Schneider, Rolf 287,288 Schneuer, Gerda 304,314 Schnitzler, Arthur 89, 164,206, 211, 252, 262, 332, 335, 352, 360, 398, 408, 418, 448, 450, 466 Schnitzler, Heinrich 115, 116,118,119, 398,412 Schnog, Karl 36, 49, 236, 327 Schön, Hans 448 Schönbach, Leo 474 Schönberg, Arnold 60, 94,355 Schönfeld, Fritz 39 Schönherr, Franz 361, 384 Schönlank, Erich 231, 334 Schönthan, Franz u. Paul von 420, 448 Schoop, Günther 287 Schoschano, Rose 466 Schostakowitsch, Dmitri 162, 276, 305 Schottenfels, Hansi 450 Schottmüller, Oda 28 Schräder, Bärbel 368, 370 514

Schramm, Friedrich 270 Schrecker, Franz (Fritz) 135, 359, 362 Schreiber Zdanov, Else 35 Schreiner, Evelyn 101,153 Schreyvogl, Friedrich 109, 110, 134 Schubert, Hans (Pseud. Hans Wiener) 465, 466,467,468, 469,476 Schubert, Hertha 465 Schubert, Rainer 101 Schüfftan, Eugen 219,228, 350 Schünzel, Reinhold 416,418,419 Schürmann-Horster, Willy 27,295 Schütz, Adolf 127,335 Schütz, Alfred 241,242 Schulhoff, Erwin 191 Schulz, Franz 359 Schulze-Boysen, Harro 27 Schumacher, Horst 3 Schümm, Hans 417 Schurek, Paul 239 Schurli, Ludwig 143 Schuschnigg, Kurt 97,100,101 Schwabe, Rudolf 271, 273, 274 Schwanneke, Ellen 109,113,139, 140, 143,450 Schwanneke, Victor 109 Schwarcz, Eva 473 Schwartz, Maurice 207 Schwarz, Egon 190 Schwarz, Jewgenij 70 Schwarz, Lotte 297 Schwarz, Paul 52 Schwarz, Rudolf 93,94 Schwarzschild, Leopold 199 Schwiefert, Fritz 245 Sebastian, Georges 313 Seeber, Ursula 455 Seeck, Adelheid 77 Seegers, Kurt 69 Seeler, Moriz 8,119 Segal, Miriam 380, 381 Segalowicz, Klara 248 Seghers, Anna 47,199,210,290, 332, 403, 424,425, 426, 429,430, 432,433, 434 Seiberg, Otto 254

Stanislawski, Konstantin Selesnojow, Kostja 314 Sender, Ramön Jose 301 Seneca 391 Settiner, Max 394 Seyfert, Michael 364 Seyß-Inquart, Arthur 152, 229, 230 Seywald, Wilfried 476 Shakespeare, William 38,51,71,86,87, 88, 89, 93, 110,140, 176, 206, 230, 231, 240, 256, 298, 304, 307, 344, 347, 353, 358, 370, 374, 384, 387, 388, 394, 404, 433, 448 Shall, Theo 262 Shaw, George Bernard 33, 89, 118, 123, 228, 230, 252, 269, 294, 343, 344, 345, 348, 390, 391, 405, 411, 448, 450, 466, 467 Shdanow, Andrej A. 298 Shenhar, I. 383 Sheriff, Robert G. 252, 383 Sherwood, Robert E. 140, 415 Siebenhaar 215 Siebig, Karl 227 Sieg, John 28 Siegelberg, Mark 464, 466, 467, 468, 469, 472, 476 Siegrist, Christoph 272 Sierck, Detlef 228,418 Silbermann, Lola 257 Simon, Michel 197 Simone, Andre (Otto Katz) 429,432 Singer, Kurt 32,33,39,81,82,84,87, 89, 91, 94, 95 Singer-Valetti, Elisabeth s. Lisi Valetti Sirk, Douglas s. Detlef Sierck Sittels, Gerti 131 Sjöberg, Alf 322 Sjöberg, Gunnar 337 Skadanek, Julian 247 Skala, Lilian 398 Skalde, Hermann 215 Skalnik, Kurt 98 Sklarsch, Abraham (Ben Astar) 384, 385 Sklenka, Hans 181,238,277 Slonimski, Anton 148

Smart, Gino 468 Smurow 309 Söderbaum, Kristina 40 Söderberg, Hjalmar 337 Sofka, Walter 238,240,242 Sohn-Rethel, Dotz 221, 222 Solms, Daisy 122,152 Somin, Willy Oscar 22 Sommer, Ernst 191 Sommerfeld, Werner 380 Sondheimer, Hans 413 Sonnemann, Emmy s. Emmy Göring Sonnenschein, Siegfried 468 Sonnenthal, Adolph 397 Sonneveld, Wim 225 Sophokles 374,463, Sordan, Victor (Viktor Steuer) 178,189 Sorma, Agnes 397 Sowa, Carlo 235,237, 238, 241, 243 Soyfer, Jura 29,130,131,154,360, 361, 362 Spalek, John M. 413,421 Spanier, Ben 39, 94, 95 Sperr, Monika 283 Speyer, Wilhelm 164 Spiel, Hüde 97 Spielmann, Fritz (Fred) 49, 130, 415 Spielmann, Hermann 448 Spira, Camilla 106,232 Spira, Fritz 106 Spira, Steffi 49, 198, 209, 212, 215, 216, 217,423, 425, 426, 427, 428, 430, 431,432,434 Spitz, Arthur 122, 125 Spitz, Rudolf 104, 130, 131, 359, 361 Spitzer, Frantisek 167,191 Spitzer, Leo 365 Spohn, Grete 131 Spoliansky, Mischa 354,355, 363 Spontini, Gasparo 370 Srämek, Frana 164 Stadner, Rose 418 Stalin, Josef W. 46,306,310,312,427 Stalski, N. 308 Stanislawski, Konstantin 51,68,73/74, 146, 308, 315, 379, 387 515

Stark, Otto Stark, Otto 49 Stastny, Sylvia 144 Staudinger, Anton 98,101, 144 Steckel, Leonard 9,42, 61, 73, 259, 262, 263, 264, 265, 273, 278, 283, 284, 285, 286, 287, 296 Steffensen, Steffen 326, 339 Steguweit, Heinz 14 Steiger, Rod 412 Stein, F. W. 130, 369 Stein, Irma Carla 137, 140 Stein, Lotte 52, 115,163,169,191 Steinbeck, John 272, 275, 284, 285 Steinberg, Wilhelm 74 Steinboeck, Rudolf 131, 206 Steiner, Sigfrit (Siegfried) 283 Steiner, Walter 149 Steiner-Prag, Hugo 158,191 Steinhart, Jakob 388 Stella, Adoqan 361 Stepanek, Karel 354 Stepänek, Jan Neopmuk 168 Stepanek, Lilly 152 Sterler, Hermine 159 Stern, Ernst 345, 346, 348,353, 363 Stern, Kurt 432 Sternberg, Walter 468 Sternheim, Carl 23, 204, 247, 343, 353, 358 Stevens, Rise 442 Stiedry, Fritz 74,313 Stimatz, Angelo 139 Stöckler, Fritz 147 Stöhr, Emil 127, 154, 263, 265, 267, 281,285,286,287 Stössl, Ernst 393, 394 Stoessl, Ludwig 418 Stokvis, E. 351 Stolz, Robert 114 Stompor, Stephan 53, 97 Storm, Erika 52 Strasde, Marina 217 Strasser, Gregor 17, 18 Strassny, Fritz 152 Straub, Agnes 18,119,121 Straus, Oscar 113,399 516

Strauss, Richard 59,60,61 Strauß, Johann 327, 399 Strawinsky, Igor 461 Strelka, Joseph 413, 421 Strindberg, August 75,102, 123,140, 241, 252, 336, 466 Stritch, Elaine 412 Stroux, Karl Heinz 58 Stuart, Conny 225 Stübs, Albin 178, 179,183, 188 Sudermann, Hermann 226,241,349, 352 Suhl, Nicole 235,243 Susini, Enrique T. 443 Sussin, Mathilde 20,39 Sussmann, Henri 212 Svoboda, Wilhelm 74 Sykora, Hilde 131 Synge, John 374 Szakall, Szöke 225,416,418 Szekely, Alexander 130 Sz611, Georg 162 Szendrei, Lilli 213 Szenkar, Alexander Michael 440 Szenkar, Eugen 313 Szurovy, Walter 175,442 Szymanski, Alfred 247

Tabajovitz, Lisa 428 Tachauer, Fritz 94 Tairoff, Alexander 379 Tallert, Lothar 215 Tälos, Emmerich 155 Taub, Walter 163,166,167, 168,178, 189,191 Taube, Esther 384, 393 Tauber, Richard 158, 350, 355 Teller, Oscar 147,148,150 Terramare, Georg (von) 159, 453 Terrel, Erna 453 Teubner, Hans 285 Thaller, Anton 103,106 Thälmann, Ernst 158,195 Thein, Hanus 166,167,168, 169 Thenen, Lisa 152

Voskovec, Jiri Thermann, Edmund Freiherr von 442 Thielscher, Guido 464 Thimig, Helene 112 Thimig, Hermann 18 Thoeren, Robert 214 Thoma, Ludwig 206, 398, 399 Thompson, Dorothy 35,400,401, 402 Thunberg, Fritz 337 Tindemans, Carlos 234 Tolczyner, Ernst 126 Toller, Ernst 24, 25, 195, 198, 211, 217, 245, 247, 262, 275, 332, 343, 352, 413, 414 Tolstoj, Leo 252, 295, 330, 353, 388 Toscanini, Arturo 276 Trapp, Frithjof 3,33,48,53, 365,437 Trenk-Trebitsch, Willy 122, 131, 132 Trenker, Luis 28 Trepte, Curt 294, 295, 297, 298, 299, 300, 301, 302, 303, 308, 309, 310, 311, 314, 328, 329, 330, 331, 332, 333, 334, 335, 336, 337, 338, 339 Tretjakow, Sergej 370 Trösch, Robert 49, 181, 272, 277, 278, 285, 294, 298,311 Trommler, Frank 59 Tschaikowsky, Peter 94 Tschechow, Anton P. 302 Tschechowa, Olga 28 Tschuppik, Walter 158 Tucholsky, Kurt 185 Turkow, Jonas 258 Turner, Georg s. HJ. Rehfisch Tuschinsky, Abraham 224 Twardowski, Hans von 417, 420 Tzara, Tristan 196 Uhl, Renate 139 Uhse, Bodo 424,431, 432,434 Ulbricht, Walter 60,70,310 Ulimann, Lisa 356 Ulimann, Ludwig 103, 116, 125 Ullrich, Luise 9 Ungar, Hermann 163 Unger, Heinz 313

Unruh, Fritz von 8,198, 247 Unruh, Julius (i.e. Julius Simon) 310 Urban, Joseph 411 Urwancew, Lew 252 Uthoff, Ernst 451,454

178,

Vacano, Wolfgang 450 Valberg, Robert 138,144,152 Valetti, Lisi 117,131,134 Valetti, Rosa 103,116,117, 123, 393 Valk, Fritz (Frederick) 52, 162, 164, 167, 169,188, 191, 346, 347, 353, 363 Vallentin, Edith 293, 296, 300, 303, 308 Vallentin, Hermann 116, 174, 191, 269, 392, 393 Vallentin, Maxim 50, 68, 293, 295, 296, 300, 301, 302, 303, 308, 309, 310, 313, 314,315, 332 Vallentin, Richard 293 Vancura, Vladislav 158,167,189,190, 191 Vaucher, Charles F. 264 Vega, Lope de 189 Veidt, Conrad 344, 346, 350, 352,451 Verdenius, Marie 224 Verder, Hans 330 Verdi, Giuseppe 38,240,269, 349, 356, 370, 379 Verkade, Eduard 228, 231 Verkade, Eline 231 Verneuil, Louis 115,381 Vesely, Jiri 192 Veterman, Eduard 230 Viertel, Berthold 25,76,110, 153, 341, 347, 348, 352, 357, 412,418, 437 Villard, Claudie 193 Vnoucek, Väclav 167 Völker, Klaus 55, 72,75,76,78, 345 Vogeler, Heinrich 304,311,314 Vollmuth, Toni 443 Volsansky, Gabriele 100,107 Volters, Eduard 152 Voskovec, Jiri 166, 167, 175, 181, 184, 185, 187, 191 517

Voss, Friedrich Voss, Friedrich 292,313 Vydra, Väclav 167, 168, 169, 188 Waack-Ullrich, Renate 317 Wachtangow, Jewgenij 387 Wächter, Hans-Christof 3, 42, 78, 204, 248, 249, 323, 324, 326, 361 Wächter, Max 444,448,450 Wälterlin, Oskar 50, 271, 272,278, 279, 280, 281, 282, 283 Wäscher, Aribert 26, 68 Waghalter, Ignatz 149 Wagner, Elsa 26 Wagner, Erika von 418 Wagner, Richard 162, 240,251, 253, 355,440,451 Wagner, Stephan 138 Wagner, Willy 329 Walach, Dagmar 306, 317 Wald, Friedl 270 Waldis, Otto 134, 135 Waldmann, Otto 133 Waldorf, Wülela 415 Wallburg, Charlotte 117,118 Wallburg, Otto 36, 37, 39, 103, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 127,233,296 Wallburg, Reinhart 118 Wallerstein, Lothar 412, 420, 450 Wallmann, Margarete 111, 440, 454 Walter, Bruno 167, 168, 246, 265 Walter, Emil 256 Walter, Hans-Albert 317 Walter, Michael 59, 60,79 Walter, Michael 59, 60,79 Wanderscheck, Hermann 14, 23 Wang, Cilly 130, 181, 225, 233 Wangenheim, Gustav von 8, 14, 24, 28, 68, 69, 70, 197, 198, 204, 214, 285, 294, 295, 296, 297, 298, 299, 300, 304, 307, 310,311,312,314,316,317 Wangenheim, Inge von s.u. Ingeborg Franke Wardetzky, Jutta 295 Warnholz, Elsbeth (i.e. Elisika Frejkovä) 167, 191 518

Warren, Robert Penn 410 Warschauer, Max 474 Waschinsky, Gerda 131 Wassermann, Jakob 82 Wasservogel, Ernst 335 Watt, William (Pseud.) 133 Wauchope, Arthur 381 Weber, Carl Maria von 168 Weber, Max 315 Webster, John 406 Wedekind, Frank 8,23, 89,102, 210, 245, 262, 352, 358, 448 Wegener, Paul 67,68, 69, 262 Wegner, Ludwig s. Walter Firner Wegner, Matthias 190 Wehner, Josef Magnus 14 Weidner, Karl 292, 309, 310 Weidt, Jean 187, 313 Weigel, Hans 127, 130, 131 Weigel, Helene 47, 72, 167, 204, 209, 210, 275, 283, 296, 311, 323, 324, 326, 336/337, 338 Weil, Grete 231,232 Weül, Kurt 59,60,203,252,298, 325, 349, 356, 378, 379, 381,410, 428 Weinberger, Jaromir 158,389 Weinheber, Josef 110 Weinlaub, Walter (Wicclair) 191, 398 Weinstock, Simi (Symche) 257 Weinzierl, Erika 98 Weiser, Benno 147 Weisgerber, Antje 77 Weiskopf, Franz Carl 178, 188 Weiss, Peter 73 Weiß, Rudolf 134,137,150, Weiss-Cyla, Robert 460,466,469 Weisz, G6za L. 39, 221, 222, 233 Weitz, Hans J. 266 Weizsäcker, Ernst Freiherr von 271 Welles, Orson 405 Wells, Η. G. 360 Welter, Nikolaus 239,240 Weltmann, Lutz 358 Weltsch, Robert 389 Wendel, Paul 106 Wendhausen, Fritz 362

Würzner, Hans Wendler, Bernhard 135 Wengraf, Hans (John) 398,418,419 Wenter, Josef 134, Wenzler, Franz 262 Werberg, Otto 454 Werbezirk, Gisela 113,118,127,150, 163, 398,418,419 Werfel, Alma 133 Werfel, Franz 89, 112, 133, 164, 198, 211, 265, 275, 282, 335, 352, 354, 379, 386, 388, 390,400,403,409,410,413, 449 Werfel, Marianne 262 Werich, Jan 166, 167, 175, 181,184, 185,187,191 Werndorff, Oscar 352 Werner, Alfred 146 Werner, Alma 212 Werner, Ilse 40, 54 Werner, Vil&n 132, 164,449 Wernicke, Otto 40 Wesolowski, Maximilian 172 Wessely, Paula 111, 274, 335 Wetrow, N. 308 Weys, Rudolf 130,131 Wicclair, Walter s. Walter Weinlaub Wiehert, Lilly 450 Wiechel, Rudi 450 Wiemann, Mathias 9 Wiene, Robert 351 Wiener, Hugo 131 Wiener, Karl 94 Wiener, Max 94 Wifstrand, Naima 326, 336, 337 Wilde, Oscar 132, 135, 241, 358 Wilder, Thorton 50, 374, 394, 409 Wildgans, Anton 211, 327, 334, 335, 361, 398 Wilhelma (niederl. Königin) 228 Williams, Tennessee 412 Winawer, Bruno 247 Winder, Ludwig 164, 191 Winner, Peter 175, 191, 329, 330, 332, 335, 337 Winternitz, C. M. 474 Winternitz, Hans 181

Winterstein, Eduard von 20,40,68 Wipplinger, Erna 343, 359, 360, 361, 364 Wischnewski, Wsewolod 305 Wisoko, Karl 102,138,141, 142, 143 Wisten, Fritz 32, 33, 34, 67, 93, 94, 95 Wittenberg, Rudolf 399 Wlach, Hermann 262,264 Wohl, Gustav 245 Wohlbrück, Adolf (Anton Walbrook) 41,77, 335, 344, 346, 352, 355,363 Wohlgemuth, Else 152 Wohlmuth, Hans 134 Wolf, Alfred 378,379,381,382,383, 384 Wolf, Arthur 167 Wolf, Frieder 185 Wolf, Friedrich 8, 14,15, 23, 24, 25, 50, 149, 163,167, 194, 197,198, 204, 205, 217, 247, 248, 249, 252, 265, 266, 284, 298, 303, 308, 309, 311, 312, 315, 316, 317, 327, 338, 352, 361, 382, 449 Wolf, Hertha 384,393 Wolf, Hugo 256 Wolf, Jakob 152 Wolf, Konrad 311 Wolfe, Thomas 275 Wolff, Albert 299,311 Wolff, Arthur 474 Wolff, Kurt Egon 221 Wolff, Meta (Meta Gottschalk) 40 Wolff, Theodor 157 Wolffheim, Hans 3 Wolfgang, Karin Vivian 238, 455 Wolfit, Donald 348 Wollenberg, Erich 307 Wollenberger, Werner 20, 279, 280, 286 Wollf, Karl 357 Wouk, Herman 394 Wright, Basil 351,361 Wronkow, Sonja 415 Wünsch-Vacano, Erni 448, 450 Wünsche, Marion 169 Würzner, Hans 226, 234

519

Wüsten, Johannes Wüsten, Johannes 186, 189 Wurmser, Ernst 450 Yourgrau, Wolfgang

245

Zadek, Peter 363abkZaslawski, Rudolf 257 Zech, Paul 449 Zeisel, Rudolf 116, 174, 175,176, 191 Zeisler, Alfred 416,418 Zeiz, Hermann (Georg Fräser) 113 Zelnik, Fred 350 Zelwerowicz, Aleksander 247 Zernik, Herbert 460 Ziegel, Erich 8, 122, 123, 138, 383 Ziegler, Erich 37, 232, 233 Ziegler, Lulu 324 Zilahy, Ludwig von 114 Zillinger, Gustav 238 Zilzer, Wolfgang 213, 417, 418 Zimmering, Max 183 Zimmering, Siegfried 357 Zimmermann, Rafael 134

520

Zimmermann-Kalyoncu, Cornelia 368, 370, 371, 375 Zinner, Hedda 49, 177, 178, 179, 187, 310,316 Zivier, Georg 157 Zmigrod, Josef 350, 355 Zobeltitz, Carspar von 140 Zoff, Otto 136 Zola, Emile 354 Zombor, Adolf 152 Zorina, Vera s. Brigitte Hartwig Zuckmayer, Carl 8, 23, 53, 63/64, 109, 162, 198, 206, 211, 247, 248, 252, 275, 282, 354, 360, 369, 402,414, 448, 449, 453 Zuckmayer, Eduard 53, 369 Zwanzger, Hans 142 Zweig, Arnold 120, 167, 198, 199, 207, 389 Zweig, Fritz 162 Zweig, Max 389 Zweig, Stefan 177,204, 207, 241, 260, 328, 330, 332, 334, 335, 346, 352, 357, 360, 437

Bühnenregister Ensembles, Bühnen u. Organisationen des Exiltheaters 4 & 20 Black Sheep (London) 357 9 Scharfrichter (Wien) 131 ABC (Wien) 130,131 ABC im Regenbogen s. Der Regenbogen Accion Republicanca Austriaca de Mexico (Mexico City) 427 Adelphi Theatre (London) 348 Akademisches Staatstheater Engels (Sowjetunion) 50 Aldwych Theatre (London) 346 Alhambra (Prag) 177 Ankara/Staatliches Konservatorium 52, 53, 365-375 Apollo Theatre (London) 347 Arbeitsgemeinschaft emigrierter Schauspieler (Paris) 199,207 Artist Club s. EJAS Arts Theatre (London) 353 Art-Theatre (New York) 207 Aussig/Stadttheater (CSR) 185 Austrian Centre (London) 341, 359, 361 Der Ballon (Paris) 215 Barbizon-Plaza Theater (New York) 408,419 Basel/Stadttheater (Schweiz) 268-273, 274, 367 Bassecourt/Internierungslager (Schweiz) 47, 284 BBC/Rundfunksender (London) 135, 345, 347, 362-363, 388 Bern/Stadttheater (Schweiz) 273, 274 Biel-Solothurn/Städtebundtheater (Schweiz) 132,274 Blue Danube (London) 361, 362 Bodenbach/Stadttheater (CSR) 174 Bodenwieser-Ballett 454 Brettl (Paris) 217 Das Brettl (Wien) 132 Brettl am Aisergrund (Wien) 131 Broadway Fiaker (New York) 415 Broadway-Theater (Shanghai) 461

Brünn/Vereinigte deutsche Theater/Neues Schauspielhaus (CSR) 140, 175, 176 Bühnengruppe Ramoth Hashavim (Palästina/Israel) 394 Burgtheater (Wien) 42, 51, 108 ff., 111, 116,124,150,153 Cabaret Cornichon (Zürich) 275, 277 Caf6 Vienna (New York) 415 Cameri/Kameri (Palästina/Israel) 384, 387,389, 390, 391, 392 Center Theatre (New York) 398, 399 Chur/Stadttheater (Schweiz) 275 Coliseum (London) 347, 354 The Continental Players (Los Angeles) 412 Corso-Theater (Zürich) 275 Covent Garden (London) 349 Criterion Theatre (London) 345, 353 DDOC(CSR) 185,186,191 Deutsche Gebietstheater Dnepropetrowsk 50,183,294,295,299, 332 Deutscher Freiheitssender (Frankreich) 209 Deutsches Kollektivistentheater Odessa 300,301,302,303,304 Deutsches Theater „Kolonne Links" Moskau 49, 294,295,296,297,298, 300, 311 Deutsches Volkstheater (Wien) 111, 112, 114,115, 118, 124, 127,134, 138, 141, 142,143, 144, 152, 154 Deutschsprachige Bühne in Argentinien (Buenos Aires) 444, 448 Deutschsprachiges Schauspielensemble (Straßburg) 205, 206, 238 Don-Carlos-Ensemble 226 Dorell's Drie Dames-Cabaret (Niederlande) 224 Dramatic Workshop (New York) 4, 398, 404, 410-412 Duke of York's Theatre (London) 349 Dynamisches Ballett (Frankreich) 187 521

Eastern-Theater (Shanghai)

Eastern-Theater (Shanghai) 461 Echo von links (CSR) 184 Echternacher Festspiele (Luxemburg) 240 Eger/Stadttheater (CSR) 172 EJAS/European Jewish Artist Society (Shanghai) 460,462-465,466,467, 469, 470,471 Embassy Theatre (London) 352 Emigranthjemmet (Kopenhagen) 320 Engels/Staatstheater (Sowjetunion) 303, 304, 305, 306, 307, 308, 309, 310 Ensemble Moissi-Capodaglio (Italien) 51 Das Ensemble (Shanghai) 460,465 Ethel Barrymore Theatre (New York) 407 Federaciön de Austriacos Libres en Bolivia s. Terramare-Ensemble Fiaker (Wien) 137 Die Flüsterharfe (Paris) 216, 217 Freie Deutsche Bühne (Buenos Aires) 3, 48, 133, 135, 242, 243, 439,442-452, 454 Freie Bühne (Los Angeles) 398 Freie Bühne (Stockholm) 43, 322, 329, 330-333, 336,338 Freie Deutsche Spielgemeinschaft (CSR) 182-184, 186 Freier Deutscher Kulturbund (London) 341, 347, 354, 357-358, Freies Europäisches Künstlertheater (Brasilien) 453 Fritz-Hirsch-Operette (Niederlande) 220, 221, 225, 230, 233 Der fröhliche Landtmann (Wien) 131 Garrick Theatre (London) 346 Gate Theatre (London) 352, 353 Gordola/Internierungslager (Schweiz) 47, 284, 285 Globe Theatre (London) 353 Glyndeboume-Festival (Großbritannien) 52,349,355,356 Gruppe Bühne (KZ Westerbork) 37, 38, 232, 233 Gruppe Ernst Lönner (Wien) 135,136 522

Gruppe roter Tänzer (CSR) 187 Guild Theater (New York) 408,409 Gurs/Internierungslager 47,194 Habimah (Palästina/Israel) 145,363, 378, 379, 382, 384, 385, 387, 388, 389 H-B-School (New York) 420 Hagescher (Tel Aviv) 393, 394 Haifaer Lesegruppe (Palästina/Israel) 393 Haymarket Theatre (London) 345, 346 Heinrich-Heine-Klub (Mexico City) 423-434 Die hölzerne Truppe (Palästina/Israel) 390 Holland Gruppe Freies Deutschland (Niederlande) 231,232 Die Insel (Wien) 134,153,154,243 Jerusalem Artists (Palästina/Israel) 386 Jeßner-Ensemble 133,226,349 Jewish Club of 1933 (Los Angeles) 398 John Golden Theatre (New York) 400 Jooss-Ballett 187, 188, 349, 356 Josef Lehmann-Schule (Berlin) 91 Jüdisch-politisches Cabaret (Wien) 147 Jüdische Bühne (Danzig) 257,258 Jüdische Bühne (Wien) 136, 147 Jüdische Kleinkunstbühne (Paris) 213 Jüdisches Kleinkunstensemble (Amsterdam) 231 Jüdisches Kulturtheater (Wien) 107, 129,133,134,147-150,151,153 Jüdisches Nationaltheater (Warschau) 248 Jüdische Künstlerspiele (Wien) 120 Jüdische Selbsthilfe (Stockholm) 328, 329 Jüdisches Theater (Danzig) 258 Jüdisches Theater (Kiew) 312 Junge deutsche Tribüne (Paris) 194, 199,215 Junge Gruppe (Österreich) 123,124 Junge Stimmen (Schweden) 336 Kabarett der Komiker (New York) 416 Kaminski-Theater (Warschau) 248 Kammeroper (Jerusalem) 380,381 Kammerspiele (Montevideo) 452,453

Old Vic Theatre (London) Kammerspiele in der Rotenturmstraße (Wien) 122,143 Kleine Bühne Cochabamba (Bolivien) 453 Kleine Bühne (London) 357, 358 Kleine Bühne (Wien) 153 Das kleine Cabaret (Wien) 132 Kleine Casino Bühne (La Paz) 453 Kleines Theater (Wien) 136 Kleinkunstensemble Alice Dorell (Niederlande) 224 Kollektiv der jüdischen Schauspieler (Paris) 207 Die Komödie (Luxemburg) 235, 236, 238-242,443 Die Komödie (Montevideo) 452 Die Komödie (Shanghai) 460, 465 Komödie (Wien) 123 Konflikt-Ensemble 105, 114, 177 Kulturbund Danzig 255-257 Kulturbund Hamburg 82 Kulturbund München 91 Kulturbund Rhein-Main 83, 91 Kulturbund Rhein-Ruhr 82, 91, 93 Kulturbund Stuttgart 91 Kulturbundtheater (Berlin) 6, 23, 79-95, 225,449 Künstler-Club Paris-Wien s. Wiener Künstler-Club Der Kundas (Paris) 213 Kurhaus-Cabaret (Scheveningen) 221 Landestheater (Prag) 170,176,191 Das Laterndl (London) 49, 131, 355, 359-361 Die Laterne (Paris) 47, 198, 208, 209, 210, 212, 214, 215, 216, 217 Lessing-Bühne (London) 361 Light Opera (Shanghai) 460,465 Der liebe Augustin (Wien) 118, 128, 130, 359, 386 Literatur am Naschmarkt (Wien) 118, 128,130,131,153, 359 Lodz/Stadttheater (Polen) 247 Lublos Palmgarten (New York) 415 Lumpazi (Wien) 131 Luzern/Stadttheater (Schweiz) 274

Madison Square Garden (New York) 411 Mährisch-Ostrau/Deutsches Theater (CSR) 116,169, 174, 175, 191 Maggio Musicale Fiorentino (Italien) 370 Martin Beck Theatre (New York) 400 Matateh (Tel Aviv) 382, 383, 384, 385, 389,390 M61odie Viennoise (Paris) 217 Menorah (Mexico City) 425 Mermaid Theatre (London) 363, 388 Meshrabpom/Filmgesellschaft (Sowjetunion) 310,311 Metropolitan Opera House (New York) 412,421 Modernes Theater (Wien) 133,134 Music Box (New York) 400 Musikalische Künstlerspiele (Buenos Aires) 444 National Theatre (New York) 400 Nelson-Revue (Amsterdam) 223,224, 233 Neue Bühne Cochabamba (Bolivien) 243,453 Der neue Chor (Zürich) 278 Neues Deutsches Theater (Prag) 36, 52, 160,161-165,166,168,169,175,178, 182,190, 191 Neue jüdische Bühne (Paris) 206, 207 Das Neue Leben (CSR) 184,185,188 Neues Wiener Stadttheater (Wien) 125, 126 New York City Opera (New York) 413 Österreichische Bühne (London) 342, 361-362 Österreichische Bühne (New York) 48, 398 Österreichisches Theater (Wien) 134 Österreichische Volksbühne (Wien) 104, 107,109, 112, 124, 135, 136-144, 150, 151 Old Europe (New York) 415 Ohel (Palästina/Israel) 145, 207, 378, 379, 381, 382, 384, 389 Old Vic Theatre (London) 347 523

Olympia-Stadion (London) Olympia-Stadion (London) 347 Die Optimisten (Wien) 131 Orient-Bühne (Jerusalem) 381, 382 Oxford Refugee Movement (Großbritannien) 362 Palästina-Oper (Palästina/Israel) 379, 380 Papillion (Tel Aviv) 386 Pariser Asasel (Paris) 213 Die Pfeffermühle 36,49,175,180-182, 186, 222, 223, 233, 234, 235, 237, 238, 276, 277, 414 Picadilly Theatre (London) 354 Pinguin (Niederlande) 224 Ping-Pong (Amsterdam) 221, 222, 223 The Players from Abroad (New York) 405, 406,408, 418-420,449 Prater-Variete Leicht (Wien) 116, 118, 132 Die Prominenten/Theater bzw. Kabarett der Prominenten (Amsterdam) 225 Radio Moskau 313,314 Radio Nacional (La Paz) 453 Raimundtheater (Wien) 112,139, 153, 173 Ramoth Hashavim s. Bühnengruppe Ramoth Hashavim Refugee Artists Group (New York) 415 Der Regenbogen/ABC im Regenbogen (Wien) 130, 131, 135 Reichenberg/Stadttheater (CSR) 173, 174 Reinhardt-Tournee 225 Rieucros/Internierungslager (Frankreich) 217 Ronacher (Wien) 106, 118 Rond-Point (Luxemburg) 237 Russian Club-Theatre (Shanghai) 474 Russian Ballet (Shanghai) 474 St. Gallen/Stadttheater (Schweiz) 185, 274, 275 St. James Theatre (London) 345 Les Sans-Culottes (Paris) 214 Salzburger Festspiele (Österreich) 99, 110,111, Sapiro-Bühne (Shanghai) 460,465 524

Savoy Theatre (London) 345, 346, 349, 353 Scala Theatre (London) 427 Scala (Wien) 111,113,114,115,117, 118,125, 136, 138, 139 Die Schaubude (CSR) 186 Der sechste Himmel (Wien) 132 Die Seeschlange (Wien) 131 Die sieben Schauspieler (Shanghai) 460, 465,466 Der silberne Stier (Antwerpen) 227 Simplicissimus (Wien) 129,130 Die Stachelbeere (Wien) 131 Stacheldraht-Kabarett (Internierungslager Hutchinson Camp) 361 Stadttheater auf den Weinbergen (Prag) 169 Ständetheater (Prag) 168 Strand Theatre (London) 346. 347 Studio 1934 (Prag) 49, 177-180, 189 Studio Theatre (New York) s. Dramatic Workshop Teatro Colön (Buenos Aires) 110,440, 441 Terramare-Ensemble (Bolivien) 453 Tejjlitz-Schönau/Stadttheater (CSR) 171,173, 174,443 Theater am Neubau (Wien) 134, 135 Theater an der Wien (Wien) 36,118, 120, 126-128,132, 141, 153 Theater Comico (Buenos Aires) 442 Theater der Emigranten im Elsaß (Straßburg) 199,205 Theater der Jüdischen Schulen (Berlin) 92 Theater der Prominenten (Amsterdam) 37 Theater in der Josefstadt (Wien) 36, 109, 111, 112, 115, 116,118,119,122, 123, 131, 143, 144, 274 Theater in der Kommandantenstraße (Berlin) 93 Theater für 49 (Wien) 132,133,134, 135,148 Theatergilde (Wien) 134 Theater Piccolo (Wien) 131

Zürcher Stadttheater (Schweiz)

Th6atre de L'Etoile (Paris) 203 Theatre Guild (New York) 413 Theatre de l'Humour (Paris) 211 Theatre Pigalle (Paris) 212 Theatre Royal des Galeries St. Hubert (Brüssel) 242 Theatron Chadash (Tel Aviv) 383 Theatron Erez-Israeli (Palästina/Israel) 383 Theatron Ivri (Tel Aviv) 383, 384, 385, 390 Theatron Leumi (Tel Aviv) 384 Theresienstadt/KZ 39,95 Thespiskarren (Shanghai) 465, 466,467 Tribüne (Los Angeles) 418 Tribüne (Wien) 135 Truppe 31 8,28,32,33,34,68,198, 204, 212, 214, 248, 294, 298 Truppe 35/Zum Weltgewissen (CSR) 185 Tutti Frutti (Wien) 131 Unga Konstnärer (Schweden) 337 Unitaria (Prag) 184,188

Urania (Prag) 179,186 Vara/Rundfunksender (Niederlande) 227 Le Vernet/Internierungslager (Frankreich) 194 Vienne ä Paris (Paris) 217 Voice of America/Rundfunksender (New York) 420 La Voz del Dia/Rundfunksender (Montevideo) 243,452 Westerbork/KZ s. Gruppe Bühne Wiener Kammertheater (Wien) 135 Wiener Künstler-Club (Paris) 213, 214 Winter Gardens (Liverpool) 353 Workshop of Stage, Screen and Radio (Hollywood) 410 Wyndhams Theatre (London) 346 XGDN/Rundfunksender (Shanghai) 473 XMHA/Rundfunksender (Shanghai) 473 Young Austria (London) 362 Zürcher Schauspielhaus (Schweiz) 42, 50, 61, 71,73, 118, 262-268, 278-284 Zürcher Stadttheater (Schweiz) 276

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